Claudia Riemer
Haben DaF-/DaZler sich massiv um die wird, in denen Entwicklungen bei Aneig-
ausgeschriebene Studie beworben, haben nungsprozessen DaF/DaZ umfassend
sie die Studie durchgeführt – oder be- und mehrperspektivisch erforscht wer-
scheidener gefragt: War DaF-/DaZ-Kom- den? Wenn wir solche Fragen nicht über-
petenz im Team vertreten, das die Studie zeugend bejahen können, wenn wir sie
durchgeführt hat? Die Antwort lautet er- auch gegenüber potenziellen For-
neut: nein. Das kommerzielle Manage- schungsförderern, Auftraggebern von
ment-Beratungsunternehmen, das die Forschung und in interdisziplinären For-
Studie durchgeführt hat, äußert sich dazu schergruppen nicht überzeugend beja-
im Abschlussbericht indirekt folgender- hen können, haben wir ein Problem. Wir
maßen: – damit meine ich die Praxis und die
»Um der Komplexität des Untersuchungs- universitären DaF-/DaZ-Forschungsbe-
gegenstandes Rechnung zu tragen, stellte reiche. Betroffen ist die Praxis, die mögli-
Rambøll Management ein Evaluationsteam cherweise mit den direkten Folgen sol-
aus unterschiedlichen wissenschaftlichen cher Forschung leben muss, z. B. im Rah-
Disziplinen zusammen. Durch diesen mul- men von Sprachförderangeboten, die
tidisziplinären Ansatz waren für jeden Un-
tersuchungsaspekt spezifische Fachkompe- nicht angemessen ausgestattet sind und
tenzen vorhanden. Im Evaluationsteam wa- sich möglicherweise von Fachfremden
ren die folgenden wissenschaftlichen Hin- vorhalten lassen müssen, dass u. a. der
tergründe präsent: Unterricht qualitativ verbessert werden
• Politologie muss, wenn die Ergebnisse einer Sprach-
• Jura
• Betriebswirtschaftslehre fördermaßnahme nicht den Erwartungen
• Volkswirtschaftslehre entsprechen (wenn z. B. das Erreichen
• Internationales Informationsmanage- einer Niveaustufe B1 von einem großen
ment Anteil von Lernenden in einer Förder-
• Erziehungswissenschaften maßnahme nicht erreicht werden kann).
• Soziologie/Statistik
• Psychologie Die universitären DaF-Bereiche hängen
• Geographie auch hinsichtlich ihrer Eigenständigkeit
• Informatik« in Form von eigenen Studiengängen und
(Bundesministerium des Innern 2006: 6) Promotionsmöglichkeiten und der damit
Solche empirische Forschung muss zu- möglichen Ausbildung auch des wissen-
nächst einmal als von außen an das Fach schaftlichen Nachwuchses von einer er-
herangetragene Herausforderung wahr- folgreichen Forschungsentwicklung ab.
genommen werden. Ich frage aber hier zu Die Zeit der Freiheit in Lehre und For-
Beginn meines Beitrags ganz offen und schung scheint endgültig vorbei zu sein.
ungeschützt: Ist das Fach DaF überhaupt Einbindbarkeit von Neuberufenen in
hinreichend darauf vorbereitet, sich in größere Forschungsverbünde an den je-
kleine und große empirische Studien im weiligen Universitäten (und in denen
Rahmen der Bildungsforschung ange- gibt es im schlimmsten Fall keine oder im
messen einzubringen, in Studien, bei de- Normalfall nur wenige andere DaF-/
nen das Lernen und Lehren von Deutsch DaZler oder Fremdsprachendidaktiker
als Fremd- oder Zweitsprache reliabel anderer Philologien) ist zunehmend zum
und valide evaluiert werden soll, Stu- wichtigen Kriterium in Berufungskom-
dien, in denen die Wirksamkeit entwi- missionen und Berufungsentscheidun-
ckelter Konzeptionen, eingesetzter Me- gen von Universitätspräsidien gewor-
thoden und Materialien methodisch kon- den; individuelle Forschungsleistungen
trolliert und systematisch überprüft gelten schon jetzt mancherorts als zweite
448
Wahl. Hinzu kommt: Gute Forschungs- deutliche Sprache, obwohl sie eher be-
leistungen über die Einwerbung von For- scheiden formuliert sind (vgl. Fachver-
schungsdrittmitteln zu beweisen, ist be- band Deutsch als Fremdsprache 2006). Es
reits heute wichtig und im Rahmen von wird weiter unterschiedliche For-
Zielvereinbarungen und Besoldungsver- schungsschwerpunkte an den universitä-
handlungen ein zentraler Punkt. Der ren DaF-Abteilungen geben; hier ist an-
Druck wird mit Sicherheit zukünftig gesichts des hohen Forschungsbedarfs in
noch zunehmen (Stichwort: Exzellenzini- allen Bereichen Vielfalt sogar ausdrück-
tiative, in deren Folge die DFG z. B. Gut- lich zu begrüßen und zu fördern. Die
achter darauf hinweist, dass nur mehr auch empirische Ausrichtung dieser For-
solche Forscherpersönlichkeiten förder- schungsschwerpunkte mit Nachdruck
würdig sind, die »national führend« oder anzustreben bzw. – wenn bereits in An-
besser noch »international sichtbar« sind sätzen vorhanden – diese auszubauen
– schlechte Chancen für Neueinsteiger, und weiterzuentwickeln, halte ich jedoch
für Neuberufene. Wer an der Aufrechter- für unverzichtbar, wenn die wissen-
haltung und für den Ausbau von schaftliche Beschäftigung mit deutscher
Deutsch als Fremdsprache im Fächerka- Sprache, Kultur und Literatur im für das
non der Universitäten mitarbeitet, muss Fach konstitutiven Verbund mit damit
sich dieser Herausforderung nichtsdesto- verbundenen fremd-/zweitsprachlichen
trotz stellen. und fremdkulturellen/interkulturellen
Ich möchte die Relevanz empirischer For- Prozessen der Aneignung und Verwen-
schung nicht allein – wie es in der Ver- dung erfolgt. Wenn ich im Folgenden
gangenheit oft getan wurde – auf den also von Fremdsprachenlernen und -leh-
Bereich der fremdsprachenlehr-/-lern- ren spreche, schließt dies immer auch
wissenschaftlichen Ausrichtung des Prozesse des kulturellen Lernens ein.
Fachs beziehen. Die Unterscheidung von
Forschung im Bereich DaF/DaZ kann
unterschiedlichen Ausrichtungen (lehr-/
dabei anknüpfen an Entwicklungen in
lernwissenschaftlich oder didaktisch-me-
der internationalen Fremdsprachenfor-
thodisch, linguistisch, literaturwissen-
schaftlich, kulturwissenschaftlich) hatte schung (insbesondere Applied Linguis-
meines Erachtens heuristischen Wert in tics, Second Language Acquisition Re-
der Phase der akademischen Konstituie- search, Bilingualismusforschung) und in
rung des Faches – sie ist heute aber nicht der deutschen Fremdsprachenforschung
mehr zielführend. Zukünftig sollte eher (Sprachlehr- und -lernforschung, empiri-
das Verhältnis dieser Ausrichtungen zu- sche Fremdsprachendidaktik).
einander im Rahmen einer integrativen Ich möchte kurz ausholen, warum zu-
Fachkonzeption im Zentrum stehen. So nächst im Bereich der lehr-/lernwissen-
kann auch kein Studiengang, der ernst- schaftlichen Ausrichtung des Fachs em-
haft eine umfassende Ausbildung in pirische Forschung vorangetrieben
Deutsch als Fremd- und Zweitsprache wurde. Dies hatte zu tun mit der Ent-
anstrebt, ohne entsprechende Studienele- wicklung der Sprachlehr-/-lernfor-
mente aus den unterschiedlichen Berei- schung in Deutschland und der dann
chen auskommen. Die federführend vom schrittweise erfolgten Umorientierung
Fachverband Deutsch als Fremdsprache der Fremdsprachendidaktik, für die die
benannten Kernbereiche, die in einem Erforschung des Fremdsprachenunter-
Bachelor-/Masterstudiengang zu be- richts und dabei insbesondere die empiri-
rücksichtigen sind, sprechen hier eine sche Untersuchung seiner prozessualen
449
schungsrichtungen und des Plädoyers Daten (rich data) erhoben werden. Dies
für eine Verbindung von beiden im Rah- bedeutet andererseits, dass es aus for-
men von hybriden Methodologien Ver- schungsökonomischen Gründen selten
treter der jeweiligen Ausrichtung gern möglich ist, größere Probandengruppen
die Arbeiten und Entwicklungen der an- zu erfassen und dass damit qualitative
deren Ausrichtung ignorieren. Forschungen zumeist in Form von Fall-
Hinsichtlich einer Gegenüberstellung studien organisiert sind, die auf eine
wichtiger Merkmale beider Paradigmen breite Generalisierung der Befunde ver-
halte ich mich kurz: Auf der Ebene der zichten müssen. Oben erwähnte Parame-
allgemeinen Zielsetzung von Forschun- ter wie »Verstehen« oder »interpretativ«
gen stehen sich Verstehen auf der qualita- deuten darauf hin, dass qualitative Stu-
tiven Seite und auf der quantitativen dien weniger dem Gütekriterium der Ob-
Seite Deskription und Erklären menschli- jektivität entsprechen können; hierfür
chen Verhaltens gegenüber. Qualitative wurden Gütekriterien wie »Nachvoll-
Forschung verlangt einen empathischen ziehbarkeit« und »Intersubjektivität«
Nachvollzug aus der Perspektive der Un- bzw. »reflektierte Subjektivität« einge-
tersuchungsteilnehmer und bedingt ein führt (vgl. Arbeitsgruppe Fremdspra-
komplexes elaborativ-prospektives Men- chenerwerb Bielefeld 1996, Steinke 1999).
schenbild, wobei das Gesamtfeld als In- Noch relativ wenig ist in der qualitativen
formationslieferant zur Verfügung steht. Fremdsprachenforschung die Zusam-
(Zur Menschenbilddiskussion in der menstellung von Untersuchungsgrup-
Fremdsprachenforschung vgl. Grotjahn pen/Auswahl von Fällen diskutiert wor-
2005b.) Hypothesen und Theorien sollen den, was meines Erachtens dringend not-
dabei erst während des Forschungspro- wendig wäre. Denn die mit der Wahl
zesses durch das interpretative Auffin- eines qualitativen Forschungsdesigns
den wiederkehrender Muster erschlossen verbundenen notwendigen Entscheidun-
werden (qualitative Forschung als theo- gen für ein bestimmtes Lehr-/Lernum-
riegenerierende Forschung), wobei aus- feld (Alter, Ausgangssprache, L2-Kom-
geprägte Vorstrukturierungen des Unter- petenz, Unterrichtskontext, Lernziele
suchungsfeldes (z. B. Standardisierungen etc.) inklusive Verzicht auf größere Pro-
in der Datenerhebung oder vorrangige bandengruppen (und repräsentative
Berücksichtigung von Vorwissen in der Stichproben) dürfen nicht in Beliebigkeit
Entwicklung kategorialer Systeme) weit- bzw. Zufälligkeit der Auswahl der For-
gehend vermieden werden sollen. Es in- schungssubjekte resultieren.
teressieren nicht allein die Produkte Quantitative Forschung dagegen strebt
menschlichen Verhaltens, sondern vor al- generalisierbare Gesetzmäßigkeiten an.
lem die Prozesse, die zu ihnen führen. Das Es ist anzumerken, dass dieses Para-
Untersuchungsfeld soll so weit wie mög- digma – wohl auch durch seine erwie-
lich natürlich belassen sein, dies heißt sene Effizienz innerhalb naturwissen-
konkret: Soll z. B. gesteuerter Fremdspra- schaftlicher Forschung und den davon
chenerwerb verstanden werden, so sind abgeleiteten Anspruch auf ›Wissen-
die Daten aus dem Kontext real stattfin- schaftlichkeit‹ – besonders in den letzten
denden Fremdsprachenunterrichts zu 50 Jahren innerhalb sozialwissenschaftli-
gewinnen und nicht in speziell eingerich- cher Forschung und in der fremdspra-
teten laborähnlichen Handlungsräumen chenerwerbsspezifischen Forschung ang-
mit je eigenen Konstellationen. Dabei sol- loamerikanischer Ausrichtung sehr ein-
len möglichst tiefgründige, reichhaltige flussreich war und weiter ist. Im Rahmen
451
ren systematische sowie vorweg festge- ments und Lernmaterialien gestellt wer-
legte Analyse im Rahmen quantitativer den und aus der Forschungsperspektive
Forschung, auf der anderen Seite bei qua- nicht zufriedenstellend beantwortet wer-
litativer Forschung die Notwendigkeit ei- den können.
nes stärker offenen und hinsichtlich sich Was ist los? Ist empirische Forschung im
ergebender Bedingungen des Untersu- Bereich DaF/DaZ und allgemein in der
chungsfelds anpassbaren Forschungs- deutschen Fremdsprachenforschung in
plans, der sich z. B. in sukzessiver Pro- eine Sackgasse geraten, die uns nicht zu
bandenauswahl und modifizierten Erhe- den goldenen Töpfen akademischer und
bungsverfahren niederschlägt. gesellschaftlicher Anerkennung führt?
Warum fehlt Wirkungsforschung weitge-
4. Akzeptanzprobleme hend, die etwas Profundes darüber aus-
Zwar kann in den letzten Jahren insge- sagen kann, ob, wann und wie Fremd-
samt ein Anstieg im Volumen empiri- sprachenunterricht in seinen unter-
scher Forschung v. a. im Rahmen von schiedlichen Ausprägungen Lernen be-
Qualifikationsarbeiten des wissenschaft- wirkt? Dies ist zweifelsohne ein For-
lichen Nachwuchses beobachtet werden, schungsfeld, das besonders intensive Be-
der auch damit zu tun hat, dass eine arbeitung benötigt, von Bildungspoliti-
empirische Erarbeitung vielerorts von kern und Praktikern gefordert wird, aber
den Betreuern solcher Arbeiten verlangt aus unterschiedlichen Gründen zu wenig
wurde und wird. Trotzdem (oder viel- angegangen wird. Als exemplarisches
leicht sogar als Folge davon?) ist heute Beispiel möchte ich hier lediglich die
teilweise offen zu hören, dass ›die weitgehend fehlende Lehrmaterialwir-
Sprachlehr-/-lernforschung ihre pro- kungsforschung nennen, die nicht erst
grammatischen Versprechungen nicht seit dem mit der Adaption von Lernmate-
eingehalten habe‹, teilweise wird getu- rialien an den Europäischen Referenzrah-
schelt, dass ›die ganze Empirie doch men boomenden Lehrwerkmarkt ein
nichts oder nur wenig gebracht habe‹, dringliches Desiderat darstellt. DaF gilt –
dass die Arbeiten oft methodisch nicht das habe ich immer wieder bewundernd
überzeugen können und man besser wie- von Kolleginnen und Kollegen aus der
der zu ›hermeneutischer‹ Forschung Englisch- oder Französischdidaktik ge-
(was immer auch darunter verstanden hört – als Vorreiter in der Lehrwerkent-
werden mag) zurückkehren könne. Nicht wicklung – aber leider nicht im Bereich
nur in der fremdsprachenunterrichtli- der Lehrmaterialwirkungsforschung.
chen Praxis herrscht Zweifel, ob die be- Solche und andere Defizite können dazu
schworene angestrebte empirische Be- führen, dass – aus der Außenperspektive
gründung spezifischer fremdsprachendi- betrachtet – von empirischen Forschern
daktischer Handlungsstrategien oder all- möglicherweise immer gerade das ›Fal-
gemeiner Prinzipien nicht doch eher die sche‹ erforscht wird.
wissenschaftliche Deskription des bereits Akzeptanzprobleme von Forschung bei
Bekannten oder spezifischer Sonderfälle Praktikern mögen eine Ursache darin ha-
darstelle, und es gibt auch die Meinung, ben, dass das Postulat, zu begründeten
dass solche Forschung die ›wahren‹ Pro- Handlungsstrategien im Fremdsprachen-
bleme nicht löse. Solche Einschätzungen unterricht zu gelangen, häufig in empiri-
werden häufig dann laut, wenn Fragen schen Studien nicht oder nur in kleinen
zur Wirksamkeit bzw. Effektivität spezifi- Ausschnitten erreicht werden kann. Häu-
scher Instruktionsformen, Lernarrange- fig müssen sich solche Arbeiten auf allge-
453
meine Prinzipien bzw. Ziele der Sensibili- kaum ausgeprägt (vgl. diesbezügliche
sierung von Rezipienten für ausgewählte Überlegungen in Riemer 2002). Leider!
Bereiche des Lehrens und Lernens be- Denn Aktionsforschung wird insbeson-
schränken. Eine Folge enttäuschter Er- dere das Potenzial zugeschrieben, dass
wartungen auf Seiten der Lehrenden, von aus der konkreten Unterrichtswirklich-
Forscherseite konkrete Vorschläge zur keit entnommene Fragestellungen nach
Umsetzung der empirisch gewonnenen ihrer systematischen Analyse in Hand-
Ergebnisse für die eigene didaktische lungsstrategien für die Unterrichtsgestal-
Praxis zu erhalten, kann sein, dass der tung überführt werden, die sofort in ih-
Dialog mit der Forschung ganz aufgege- ren Auswirkungen reanalysiert werden
ben wird (vgl. zu Störfeldern zwischen können und dann zu weiteren Modifika-
Theorie und Praxis auch Aguado/Rie- tionen führen können. Ursachen für das
mer 2000) bzw. auf die Phase der Ausbil- Fehlen solcher Forschung (v. a. in größe-
dung und punktuelle Weiterbildung be- ren und von der Fachöffentlichkeit wahr-
schränkt und ohne nachhaltige Auswir- genommenen Zusammenhängen) mögen
kungen bleibt. Die Untersuchung von darin liegen, dass solche Aktionsfor-
Lehrerhaltungen (vgl. exemplarisch Cas- schung hierzulande, anders als z. B. in
pari 2003) hat bestätigt, dass überwie- Großbritannien und den USA, auf keine
gend eigene frühere Sprachlernerfahrun- Tradition zurückblicken kann und auch
gen, vorwissenschaftliche Überzeugun- keinen entscheidenden Einfluss auf curri-
gen sowie lehr-/lernkontextspezifische culare Entwicklungen nehmen konnte.
Erwägungen unterrichtliches Handeln Hinzu kommen allgemeine Probleme,
von Lehrenden leiten. Eine letztes Jahr in die Forschungsinteressen von Lehrenden
der Fachzeitschrift Modern Language Jour- massiv beeinträchtigen, wie Befristungen
nal publizierte Studie von Rankin/Becker und schlechte Bezahlung von Lehrtätig-
(2006) mit dem Titel: »Does reading the keiten, Zeitmangel, Mangel an Unterstüt-
research make a difference? A case study zung (durch Kollegen, durch die Institu-
of teacher growth in FL German« kommt tion) und Mangel an Erfahrung mit For-
zum Schluss, dass die Rezeption von schungsprojekten und Forschungsme-
Forschungsergebnissen das Handeln ei- thoden sowie die Befürchtung, solche
nes (noch unerfahrenen) Lehrers zwar Forschung würde von einem prinzipiell
nachweislich beeinflusst, dies geschieht defizitären Lehr- und Unterrichtsmodell
aber durch einen Filter vorhandener Ein- ausgehen.
stellungen und Lernerfahrungen, ein ein- Auf Akzeptanzprobleme stoßen For-
facher Transfer von Wissen in Handeln ist schungen, insbesondere Einzelforschun-
nicht gegeben – es muss in den persönli- gen, aber genauso im wissenschaftlichen
chen Rahmen eingepasst und v. a. gut Diskurs. Dies hat unterschiedliche
reflektiert werden. Untersucht wird in Gründe. Einer liegt darin, dass empiri-
dieser Studie das recht gut erforschte sches Arbeiten stets hinsichtlich Gegen-
mündliche Korrekturverhalten von Leh- standswahl, -konstruktion und -operatio-
rern, was ein Forschungsbereich ist, dem nalisierung anfechtbar ist. Zweifel an der
wahrlich nicht vorgeworfen werden Relevanz und Reichweite empirischer
kann, praxisfern und implikationslos zu Einzelforschung hat wohl aber fachintern
sein. auch mit dem Paradoxon lehr-/lernwis-
Aktionsforschung, die begründet etwas senschaftlicher Forschung zu tun, aus der
zur Effektivität von Fremdsprachenlehre Beobachtung sowie Introspektion real ab-
sagen könnte, ist in unserem Bereich laufender Lehr-/Lernprozesse und einer
454
DaZ unterscheiden sich massiv von de- die auch Vergleichbarkeit mit anderen
nen für DaF, so dass jeweils sorgfältig zu Untersuchungen ermöglichen. Und hier
prüfen ist, ob in einem Bereich gewon- spiegelt sich die Problematik des Kon-
nene Erkenntnisse für den anderen (zu- strukts Faktorenkomplexion in einer
mindest teilweise) gültig sind oder ob sie auch forschungsmethodologischen Auf-
überhaupt nicht auf den anderen Bereich fassung von Fremdsprachenlehren und
übertragen werden können. -lernen als dynamischen, komplexen und
Es wäre vermessen, hierfür eine schnelle mehrdimensionalen, von unterschiedli-
Lösung anbieten zu wollen. Ich wage chen Variablen konstituierten Untersu-
aber dennoch zu behaupten, dass die chungsgegenständen. Dieses hat Konse-
Erforschung der tatsächlich in Lernsze- quenzen in den forschungsmethodologi-
narien vorliegenden Faktoren und ihrer schen Entscheidungen, die von der An-
Einflüsse auf das Fremdsprachenlernen nahme eines komplexen Subjektmo-
noch lange nicht hinreichend erfolgt ist, dells/Menschenbilds (vgl. Grotjahn
um auszuschließen, dass durch den kriti- 2005) über die umfassende Berücksichti-
schen Vergleich vielfältiger Lernformen gung affektiver Variablen sowie des kon-
doch allgemeingültigere Aussagen inklu- textuellen (sozialen wie auch interakti-
sive Einschätzungen über Wirksamkeiten ven) Lehr-/Lernumfelds inklusive der
auf messbare Lernresultate möglich wä- Präferenz von möglichst natürlichen Da-
ren. ten aus real ablaufenden Lehr-/Lernsitu-
Weniger logische als ganz forschungs- ationen gegenüber künstlich elizitierten
praktische Probleme bereitet die zu- Daten bis hin zur Beachtung von Gütekri-
grunde gelegte Komplexität des Gegen- terien wie Gegenstandsangemessenheit,
stands Fremdsprachenlehren und -lernen Nachvollziehbarkeit und Akzeptabilität
bei der Operationalisierung von Untersu- im Forschungsprozess reichen (vgl. auch
chungsgegenständen im Rahmen empiri- Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb
scher Untersuchungen. Spezifische Fra- Bielefeld 1996).
gestellungen müssen untersuchungsin-
tern angemessen ausgewählt werden, 6. Schlussfolgerung
aber gleichzeitig die allgemeine For- Die oben beschriebenen Herausforderun-
schungsentwicklung im entsprechenden gen an empirische Forschung in unserem
Gegenstandsbereich im Blick behalten. Bereich sind besonders brisant in einer
Bei jeder empirischen Studie stellen sich Zeit, in der uns quantitative, outputori-
die Fragen neu, innerhalb welchen Unter- entierte Bildungsstudien zum Schuler-
suchungsdesigns welche Erkenntnisinte- folg, Festsetzungen von Standards, Kern-
ressen, Gegenstände, Datenerhebungs-, curricula und Kompetenzen überrollen,
Datenaufbereitungs-, -analyse- und -in- die keine Pendants in fremdsprachenspe-
terpretationsverfahren angemessen zu zifischer, insbesondere spracherwerbsbe-
verbinden sind, wo geeignete und aus- zogener empirischer Forschung haben, ja
kunftsbereite bzw. freiwillige Untersu- ohne solche auszukommen glauben.
chungsteilnehmer (Lehrende, Lernende) Diese in der Öffentlichkeit stark beachte-
bzw. Lehr- und Lernkontexte zu finden ten und politisch enorm einflussreichen
sind und wie sich die Vorgehensweisen quantitativen Bildungsstudien messen
bei unvorhergesehenen Ereignissen wäh- Lernoutput und beschreiben Defizite,
rend des Forschungsprozesses angemes- während empirische Fremdsprachenfor-
sen anpassen lassen. Gleichzeitig soll die schung – überspitzt ausgedrückt – noch
forschungsmethodische Anlage der Stu- Schwierigkeiten dabei hat, überhaupt zu
456
weise vorgenommen werden, entspre- den, die im Rahmen von Master- und
chend vorhandenen Ressourcen und Doktorarbeiten selbstständig erfolgt.
Kompetenzen. Wer soll aber diese Lehre Hierfür sind Kompetenzen zu erarbeiten,
anbieten, fragen sich jetzt vielleicht ei- z. B. in der begründeten Konzeption von
nige. Zweifellos wird es v. a. in der Auf- Forschungsansätzen (qualitativ, quantita-
bauphase immer wieder notwendig wer- tiv, gemischt) und der Auswahl geeigne-
den, für die Hochschullehre Kompetenz ter Datenerhebungsmethoden, z. B. die
aus den Nachbarwissenschaften ›einzu- begründete Auswahl von Probanden
kaufen‹ (z. B. durch die Investition von oder die Zusammenstellung von Stich-
Mitteln zur Verbesserung der Lehre). Die proben, z. B. Beachtung von Standards
Studienstandorte sollten Möglichkeiten der Datenaufbereitung und Analyse (u. a.
standortübergreifender Konzepte entwi- Transkriptionsverfahren, EDV-gestützte
ckeln und sich gegenseitig unterstützen. Verfahren der Analyse quantitativer und
Gesprächsbeiträge nach dem Vortrag die- qualitativer Daten). Geeignete Fachlitera-
ses Beitrags auf der FaDaF-Jahrestagung tur ist verfügbar, auch das Volumen hat
regten z. B. die gemeinsame Entwicklung sich in den letzten Jahren insofern deut-
und Betreuung von E-Modulen an. lich verbessert, dass einige Monogra-
Zweifellos wird genauer zu differenzie- phien zur Forschungsmethodik im Rah-
ren sein, welches forschungsmethodolo- men der Fremdsprachenforschung publi-
gische Wissen und Können Absolventin- ziert wurden, die teils einführenden, teils
nen und Absolventen DaF-/DaZ-spezifi- weiterführenden Charakter haben. Be-
scher Studiengänge benötigen. An dieser zeichnenderweise sind dies fast aus-
Stelle möchte ich erste Vorschläge unter- nahmslos Publikationen in englischer
breiten. In den Bachelorstudiengängen Sprache (eine solche Ausnahme stellt Al-
sind Kompetenzen anzustreben, die die bert/Koster 2002 dar, vgl. aber auch die
Rezeption von Forschung erlauben und kritischen Anmerkungen von Grotjahn
an Praxisforschung heranführen (z. B. 2003), was trotz aller Rede von der inter-
Aktionsforschung oder die Durchfüh- nationalen Wissenschaftssprache Eng-
rung/Mitgestaltung von Evaluationen). lisch für viele DaF-Studierende (darunter
Hierfür sind rezeptive und produktive oft internationale Studierende) eine
Kenntnisse z. B. in folgenden Bereichen Hürde darstellt (exemplarische Beispiele:
anzustreben: Erstellen und Beurteilen Brown 1988, Brown/Rodgers 2002, Dör-
einfacher (Evaluations-)Instrumentarien, nyei 2003, Ellis 2005, Gass/Mackey 2007,
Konzeption und Bewertung von Frage- Mackey/Gass 2005, McDonough/McDo-
bögen und Beobachtungsbögen, Durch- nough 1997, Perry 2005, Seliger/Sho-
führung von Leitfaden-Interviews und hamy 1989).
hierfür Aneignung von Interviewstrate- Es ist mir ein besonderes Anliegen her-
gien. Mit der Arbeit an der Entwicklung vorzuheben, dass eine gute forschungs-
solcher Kompetenzen kann frühzeitig be- methodische Ausbildung nicht allein für
reits in den ersten Studiensemestern be- Nachwuchswissenschaftlerinnen und
gonnen werden, wobei auch komplexi- Nachwuchswissenschaftler und für die
tätsreduzierte Einführungsliteratur ein- Aufrechterhaltung und Weiterentwick-
gesetzt werden kann (als exemplarisches lung der universitären DaF-Standorte
Beispiel Moser 2003). Im Rahmen von wichtig ist. Ich halte die kompetente Be-
Masterstudiengängen und in der Promo- herrschung des grundlegenden Hand-
tionsphase sollten Studierende auf die werkszeugs für empirische Forschung
eigene Forschungspraxis vorbereitet wer- für eine Schlüsselkompetenz jeder akade-
458
misch ausgebildeten Kraft, die im Bereich Deutsch als Fremdsprache 33 (1996), 144–
der Vermittlung von Sprache und Kultur 155; 200–210.
agiert. Nur wer über solche Grundlagen Bausch, Karl-Richard; Christ, Herbert;
verfügt, wird Forschungsergebnisse an- Krumm, Hans-Jürgen: »Fremdsprachen-
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gemessen rezipieren können (und wol- Bausch, Karl-Richard; Christ, Herbert;
len), z. B. das Kleingedruckte in statisti- Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch
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in Second Language Learning. A Teacher’s
Forschungsergebnissen im Rahmen der Guide to Statistics and Research Design. Cam-
professionellen Aus- und Weiterentwick- bridge: Cambridge University Press, 1988.
lung kann dadurch gefördert werden. Brown, James Dean; Rodgers, Theodore S.:
Des Weiteren kann eine bessere Befähi- Doing Second Language Research. Oxford:
gung zur methodisch kontrollierten Eva- Oxford University Press, 2002.
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onsverständnis akademisch geschulter rungsgesetz. Abschlussbericht und Gutach-
ten über Verbesserungspotenziale bei der
Sprachlehrkräfte weiterentwickeln und Umsetzung der Integrationskurse. Rambøll
möglicherweise bei der weiteren Profes- Management, Dezember 2006 [verfügbar
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reich DaF/DaZ nützlich sein. So betrach- nn_442016/SharedDocs/Anlagen/DE/
tet stellt Forschungskompetenz ein wich- Integration/Downloads/Integrations-
kurse/Kurstraeger/Sonstiges/ab-
tiges Ausbildungsziel für die DaF-/DaZ- schlussbericht-evaluation__IP, templa-
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