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Altenthan, & Hobmair, H. (2021). Sozialwissenschaften für die Schweizer Berufsmaturität. Schaffhausen: Westermann.

e, Soziologie und Ethik


1 Die drei Wissenschaften Psychologi

ammenleben und
der sozialen Wirklichkeit, vom Zus
= Soziologie ist die Wissenschaft von lassen sich zwei
Hinsichtlich der sozialen Wirklichkeit
Zusammenwirken von Menschen. (soz iales Verhalten)
orheben: das soziale Handeln
Objektbereiche der Soziologie herv
n sozialen Strukturen.
und die sozialen Gebilde mit ihre
n irgendeiner
eln von Menschen gemeint, welchesi
Mit sozialem Handeln ist jedes Hand Gebi lde ist die
ren Menschen bezogen ist. Soziales
Weise auf das Verhalten von ande besteht und in der
it, die aus mehreren Personen
Bezeichnung für eine soziale Einhe
Handeln stattfinden.
soziale Beziehungen sowie soziales

eln
1.3 Ethik: Das gute und richtige Hand
Disziplin geht auf
se im Sinne einer philosophischen
Die systematische ethische Sichtwei ken Athen lebte. So-
ten Jahrhundert vor Christus im anti
Sokrates zurück, welcher im fünf te und damit die Men-
isch philosophische Fragen stell
krates war der erste, der systemat heute. So fragte er
Seine Fragen beschäftigen uns noch
schen zum Nachdenkenanregte. en könnte oder was
llschaft gerecht organisiert werd
sich beispielsweise, wie eine Gese
überhaupt Gerechtigkeit sei.
h selbst und über die
sich auf das Nachdenken über sic
Es gehört generell zum Menschen, gar als homo phi-
7) dazu veranlasste den Menschen
Welt einzulassen, was Georges (200
losophicus zu bezeichnen.
hen
uns im Laufe seines Lebens mit philosophisc
„Die Philosophie ist überall, weil jeder von falsc h, sich jetzt eine n
gende Fragensein (‚Wärees
Fragen konfrontiertist. Das können drän gen verknoten,
jener Art, die einem die Gehirnwindun
Kuss zu erschwindeln?“) oder Rätsel ich dannfrei
denkt (‚Wenn Gottalles weiss, kann
wenn man abends im Bett darüber nach wie sapiens
[...] Man kann sich darüber streiten,
entscheiden, wann ich aufstehe?‘). phil osop hisc h sind —
ittig ist, dass wir hoffnung slos
(wissend) der Menschist, doch unstr
osophicus’ heissen.“
unsere Spezies sollte also besser ‘homo phil
(Georges, 2007, S. 9)

ie
1.3.1 Ethik, ein Teilgebiet der Philosoph
die daraus entstan-
Staunen über die Welt und versucht
Philosophieren beginnt mit dem gibt es keine klare
en Denkens zu beantworten. Dabei
denen Fragen mithilfe des kritisch h auf das kritische
Wichtig ist einfach, sich grundsätzlic
und eindeutige Vorgehensweise. hmend in ein kont-
n zu iiben, das eigene Denken zune
Denken einzulassen und sich dari
denken zu überführen.
rolliertes und selbstkritisches Nach
unft lernen.
g undselbsteigenen Gebrauch der Vern
„Philosophieren lässt sich nur durch Übun teigenen, keinen
als Selbstdenker einen freien und selbs
[...] Der wahre Philosoph muss also
seiner Vernunft machen.“
sklavischen nachahmenden Gebrauch
(Kant, 1799)
ien Klarheit über
en mithilfe reiner Gedankenspielere
Philosophieren bedeutet nicht selt ergeben würde,
wird sorgfältig durchdacht, was sich
wichtige Fragen zu gewinnen. Dabei fiktiv, also so kon-
äfen. Solche Überlegungen sind oft
wenn bestimmte Bedingungen zutr
Ethik: Das gute und richtige Handeln

ossen und damit im wirklichen Leben gar


struiert, dass sie gegen die Naturgesetze verst
rimente und sie werden häufig mit „Stel-
nicht méglich sind. Man nennt sie Gedankenexpe
." eingeleitet. Gedankenexperimente wer-
len Sie sich vor...“ oder „Angenommen, es gäbe..
i beschreibbar sind. Diese Wider-
den allein dadurch beschränkt, dass sie widerspruchsfre
eine unmögliche Denkfigur wie
spruchslosigkeit muss sein, andernfalls könnte
r entstehen. Mithilfe von sol-
beispielsweise die auf- und absteigende Treppe von Esche
n, Gedanken anstossen oder
chen Gedankenexperimente lassen sich Ideen provoziere
schaulichen.
auch die Richtigkeit bzw. Begrenztheit einer Theorie veran
riment von Platon Platon
Folgende Geschichte des Hirten Gyges ist ein berühmtes Gedankenexpe
lebte: Gyges fand
(Vretska, 1982, S. 127), der ebenfalls als Philosoph im antiken Athen
Er nutzte die Unsicht barkeit dazu, die Königin zu
einen Ring, der ihn unsichtbar machte.
König zu ernenne n. Stellen Sie sich vor,
verführen, den König zu töten und sich selbst zum
Sie sich an die morali-
Sie hätten auch einen solchen Ring - was würden Sie tun? Würden
der Unsicht barkeit
schen Regeln halten oder würden Sie - wie Gyges es tat - den Vorteil
moralisch und
dafür nutzen, die eigenen Interessen durchzusetzen? Warum sollten Sie
keiner sieht und Sie keine Strafe oder Missbilligung
nicht egoistisch handeln, wenn Sie
durch andere Menschen fürchten müssten?

1.3.2 Die besondere Qualität von moralischen Fragen


Was soll ich zu
Mit der Frage „Was soll ich tun?“ sind wir im Alltag häufig konfrontiert:
einschlag en? Soll ich der Kollegin helfen,
Mittag essen? Welche Studienrichtung soll ich
Frage ist moralisc h. In An-
auch wenn ich sie nicht sonderlich mag? Aber nicht jede dieser
zwischen einem „techni-
lehnung an Kant(zit. nach Ach und Siep, 2016, S. 11) kann man
eiden:
schen“, einem „pragmatischen“' und einem „moralischen“Sinn untersch
onalen? Sinn
= Beim technischen „Wassoll ich tun?“ geht es darum im instrumentell-rati
dene „techni-
die Beste von mehreren Handlungsoptionen zu wählen. Es gibt verschie
zu erreichen , nun soll die Beste dieser Möglichke iten
sche“ Möglichkeiten, um ein Ziel
ausgewählt werden.
7:25 Uhr
Soll ich für den Arbeitsweg das Auto oder den Zug nehmen? Soll ich den Zug um
für einen Kaffee vor der Arbeit lässt?
nehmen oder den früheren, der mir sogar noch Zeit
ein
Beim pragmatischen „Wassoll ich tun?“ geht es um übergeordneteZiele, wie etwa
nicht mehr nur einfach um eine „tech-
gelingendes oder glückliches Leben. Es geht also
nische“, sondern um eine „kluge“ Wahl, was zu tun ist.
Familie ent-
Soll ich diesen oder jenen Beruf ergreifen? Mich für eine Karriere oder für eine
scheiden? Was soll ich mit meinem Leben anfangen?
salternative, die in
Beim moralischen „Wassoll ich tun?“ fragt man nach der Handlung
moralischer Hinsicht richtig oder falsch bzw. moralisch geboten oder verboten ist.
ll ich den
Darf ich zur Not jemanden anlügen, auch wenn niemand zu Schaden kommt?So
Konsum bestimmter Produkte einschränken, weil sie unter fragwürd igen Umständ en gefer-
das ich
tigt worden sind? Darf ich wegen des Klimawandels noch fliegen? Sollte ich Geld,
h-
nicht unbedingt benötige, an eine wohltätige Organisation spenden? Wäreich gar verpflic
tet dazu?

sachlich.
' pragmatisch (griech.): tüchtig, erfahren. Pragmatisch bedeutet praxisbezogen, auf Nützliches ausgerichtet,
oderMittel dienend, rational bezeichnet vernünftig, (überlegt und) sinnvoll
? instrumentell bedeutet als Werkzeug
Soziologie und Ethik
1 Die drei Wissenschaften Psychologie,

n qualitativ ab,
der technischen und pragmatische
Die moralische Frage hebt sich von n Pers pekt ivenwechsel.
geht. Dies bedeutet eine
indem es ihr um das menschlich Gute beid en empirischen
earten — wie übrigens auch die
Während sich die beiden anderen Frag t wert neutral zu
ologie - darum bemühen, möglichs
Wissenschaften Psychologie und Sozi und: Eine Hand-
gerade diese Bewertung im Vordergr
sein, steht bei der moralischen Frage
bewertet.
lung wird als moralisch gut oder schlecht
n nur dann
h bewertet werden. Handlungen habe
Nicht alle Handlungen können moralisc haupt sinnvoll
Bewertung im moralischen Sinne über
eine moralische Qualität, wenn eine eilung, ob
im Wald moralisch neutral. Für die Beurt
ist. So ist zum Beispiel ein Spaziergang folg ende n Krite rien an:
h relevantist, bieten sich die
eine Handlung neutral oder moralisc int, das sein
Subjekt sein - damit ist ein Wesen geme
Der Handelnde muss ein moralisches beab sich tigt
Regel ein Mensch-, die Handlung muss
Handeln frei wählen kann, also in der
sich ziehen'.
sein und sie muss Folgen für andere nach

.. Eine Handlung ist neutral, wenn...


Eine Handlung ist moralisch, wenn.
der Akteur ein Tier oder die Natur ist.
der Akteur ein Mensch (moralisches
Subjekt) ist.
sie zufällig erfolgt.
sie beabsichtigtist.
sie keine Auswirkungen auf andere hat.
sie Andere auf schädliche/nützliche
Weise betrifft.

„Vorstel-
immer soziale Werte?. Werte beschreiben
Hinter moralischen Handlungen stehen en sinnb ildli ch als
Erstrebenswerte“. Werte könn
lungen über das Wünschens- und Mens chen an und
denn sie leiten das Handeln von
„Leuchttürme“ verstanden werden, nlich,
esind sowohl subjektiv, das heisst persö
geben eine Richtung vor. Solche Leuchttürm g sein, wel-
müssen uns in einer Gruppe darüber eini
als auch gemeinschaftlich geteilt. Wir n. Ansc hliessend
hen Werten zusc hrei ben wolle
chen Stellenwert wir als Gemeinschaft welc en fest gesetzten
Hinblick darauf, wie gut sie dies
beurteilen wir unsere Handlungen im unge n vorg eben,
Massstab für moralische Beurteil
Werten entsprechen. Werte, welche den
nennen wir ethische Werte.
n, aber
htigkeit gehören zu den ethischen Grundwerte
Menschenwürde, Solidarität, Fürsorge, Gerec sehr wicht ig.
ung sind in unserer westlichen Welt
auch Freiheit Autonomie oder Gleichberechtig
Wüns-
vorherrschendeVorstellungen über das
Ethische Werte sind in einer Gemeinschaft von Hand lung en
Massstabfiir die Beurt eilun g
chens- und Erstrebenswerte. Sie geben den
als moralisch gut oder schlechtvor.
alle gleich
edert, damit ist gemeint, dass uns nicht
Ethische Werte sind hierarchisch gegli en.
solche auf die wir eher verzichten könn
wichtig sind. Es gibt grundlegendere und
n Massnah-
für einen wichtigen Wert und wir sind gege
So halten die meisten von uns „Familie“ men und
eise, dass ein Kind einer Familie weggenom
men, die Familien schaden, wie beispielsw n wir aber für einen
und seelische Unversehrbarkeit“ halte
fremdplatziert wird. Die „körperliche Schutz
daher , dass ein misshandeltes Kind zu seinem
weit wichtigeren Wert und befürworten
ie raus genommen werden soll.
aus seiner misshandelnden Famil
m
' vgl. Kapitel 18.1.1
eingegangen.
2 Auf soziale Werte wird in Kapitel 4.2.1 ausführlich
Ethik: Das gute und richtige Handeln

und „Ethik“
1.3.3 Die beiden Begriffe „Moral“
welche mit Normen be-
Wir leben in einer Welt von Werten und davon abgeleitet Regeln,
konkretes Handeln um’.
zeichnet werden. Normen setzen Werte in
rtheit“ werden die Normen „Du
Aus dem ethischen Wert „körperliche/psychische Unverseh
sollst nicht töten“ bzw. „Schütze Leben“ abgeleite t. Weitere Normen können sein: „Du darfst

niemanden quälen, foltern oder stalken“.

und
Mit Moral wird ein System von Normen bezeichnet, das richtiges Handeln beschreibt
t. Es haben sich also alle Mitglie-
innerhalb eines sozialen Gebildes? Gültigkeit beanspruch
der des sozialen Gebildes an diese Normen zu halten. Moralische Gebote bzw. Verbote
treten häufig - wenn auch nicht immer - als Imperative auf, welche für alle Beteiligten
gelten.

„Man soll nicht stehlen!“, „Man soll nicht schummeln!“, „Man soll nicht lügen!“ oder „Man soll
ehrlich sein!“.

Mit Moral wird ein System von Normen bezeichnet, das richtiges Handeln beschreibt
undinnerhalbeines sozialen Gebildesfür alle Gültigkeit beansprucht.

Es gibt eine Vielzahl von solchen Normensysteme, weshalb Moral ohne Weiteres im Plural
(Morale) stehen kann.

Verschiedene „Morale“ gibt es beispielsweisein den unterschiedlichen Religionen (Zehn Gebote,


Aug um Aug etc.), in unterschiedlichen politischen Strömungen (Mitbestimmung, Menschen-
rechte, Meinungsfreiheit etc.) oder für bestimmte Personengruppen(Ärzte, Eltern, Lehrpersonen
etc.).

Vereinzelt entwerfen gar einzelne Menschen eine für sie besondere „Moral“, wie Prophe-
ten, Nonkonformisten?oder Revolutionäre „und möglichweise ist jeder moderne Mensch in
pluralistischen Gesellschaften ein Stück weit aufgefordert, seine eigene „Moral“ zu wäh-
len und zu entwickeln“ (Hübner, 2018, S, 13). Die Unterschiede zwischen diesen Moralen
sind aber nicht derart gross, dass es ständig zum Streit kommen würde. Die moralischen
Grundüberzeugungen bleiben dieselben, sie werden nur unterschiedlich ausgestaltet oder
gewichtet, sodass keine ernsthaften inhaltliche Differenzen entstehen.

»[...] “Moral”ist [...] eine Sammlung von Maßstäben, Werten, Urteilen, die sich aufmensch-
liche Haltungen, Aktionen, Verrichtungen beziehen undhierin eine strikte, bedingungslose,
unbeschränkte Verbindlichkeit geltend machen.
Eine Moral kann gruppenbezogene oder personsspezifische Wertüberzeugungen für die
private Lebensführung enthalten, aber auch gesellschaftsweite oder menschheits umspan-
nende Normvorschriften für das öffentliche Zusammenleben[...]”
(Hübner, 2018, 5. 13) ‘

Moral bezeichnet also das Normensystem, Ethik ist die Reflexion über dieses Normensys-
tem. Moral ist der Gegenstand, Ethik die Wissenschaft. Auf der Ebene der Ethik stellen wir
uns beispielweise die Frage, ob bzw. wieso eine konkrete Handlung in einer bestimmten
Situation moralisch geboten, verboten oder erlaubtist.

! Der Zusammenhang zwischen Werten und Normenist in Kapitel 4.3.1 detailliert dargestellt.
2 Ein soziales Gebilde bezeichnet eine soziale Einheit, die aus mehreren Personen besteht und in der soziale Beziehungen so-
wie soziales Handeln stattfinden, also beispielweise eine Familie, ein Verein, eine Schulklasse, eine Firma, eine Gemeinde
oder eine Gesellschaft (vgl. Kap. 1.2.3).
3 Konform bedeutetsozial angepasst. Für weitere Informationen siehe Kap. 5.2.1
ogie und Ethik
1 Die drei Wissenschaften Psychologie, Soziol

die Moral zum Gegenstand. So denkt Ethik


Ethik ist die Wissenschaft der Moral, sie hat ie“
„Theorie der Moral“ oder „Moralphilosoph
über Moral nach und wird daher auch als e moral i-
eilungen. Sie fragt und klärt, welch
bezeichnet. Ethik überprüft moralische Beurt
Geltung beanspruchen könne n.
schen Normen gelten und wieso sie überhaupt
rüft moralische Beurteilungen, indem sie
Ethik ist die Wissenschaft der Moral. Ethik überp
genklärt.
sie hinterfragt und ihre Entscheidungsgrundla

sophische
l so unterschieden, dass „Ethik“ als philo
„[..] wird zwischen „Ethik“ und „Mora
komplexe System der Regeln, Normen und
Theorie der Moral gilt. „Moral“ dagegen als das
ausmacht. Ethik ist demnach bedeutungs-
Wertmassstäbe, das den Gegenstand der Ethik
gleich mit „Moralphilosophie““
(Birnbacher, 2003, S. 2)

k
Zusammenfassung: Einführungin die Ethi

Durch widerspruchsfreie Gedankenexpe-


Ethik stellt ein Teilgebiet der Philosophie dar.
wichtige Fragen zu erlangen.
rimente versucht der Mensch Klarheit über
pragmatisch oder moralisch eingehen,
Auf moralische Fragen kann man technisch,
cht darstellt. Werte, welche den Massstab
wobei die moralische Sicht eine wertendeSi n
en wir ethische Werte. Sie beschreibe
für moralische Beurteilungen vorgeben, nenn
Erstrebenswerte.
die Vorstellungen über das Wünschen- und
als Normen bezeichnet. Diese Normen set-
VorherrschendeRegeln in der Welt werden
wird ein System von Normen bezeich-
zen Werte in konkretes Handeln um. Mit Moral
innerhalb eines sozialen Gebildes für alle
net, das richtiges Handeln beschreibt und
Gültigkeit beansprucht.
ist die Reflexion über dieses Normen-
Moral bezeichnet also das Normensystem, Ethik
Wissenschaft. Ethik wird daher auch als
system. Moral ist der Gegenstand, Ethik die
ie“ bezeichnet.
„Theorie der Moral“ oder „Moralphilosoph

1.4 Drei Blicke auf ein Thema


wissenschaftlichen Sichtweisen Psycholo-
Im Folgenden sollen die Unterschiede der drei
a-Pandemie dargelegt werden. Dabei hat
gie, Soziologie und Ethik am Beispiel der Coron
Fokus auf das Thema, es gibt aber auch Über-
jede der drei Wissenschaften einen anderen
lappungen.
na-Pandemie überschattet, ausgelöst durch
Das Jahr 2020 wurde von der globalen Coro
2019 sprang vermutlich das Virus auf einem
das COVID-Virus (SARS-CoV-2). Im Dezember
n von einem Tier auf den Menschen über.
Markt in der zentralchinesischen Stadt Wuha
en Behörden den Markt. Die Ausbreitung des
Anfang Januar 2020 schlossen die chinesisch
n.
Virus konnte jedoch nicht aufgehalten werde
Norden von Italien, kurz darauf kam es ZU
Mitte Februar 2020 erreichte COVID-19 den
Bundesamt für Gesundheit BAGstartete eine
den ersten Infektionen in der Schweiz. Das n
„So schützen wir uns“. Über diverse Medie
breit angelegte Kampagne mit dem Motto
ohung informiert. Die Zahl der Infizierten stieg
wurde die Bevölkerung über die neue Bedr
Klassische Hauptpositionen in der normativen Ethik

19.1 Klassische Hauptpositionen in der


normativen Ethik
pien, welche vernünftige Begrün-
Normative Theorien suchen nach übergeordneten Prinzi
liefern.
dungen für ethische Entscheidungen
eingekauft und bemerken zu Hause, dass
Stellen Sie sich vor,Sie haben soeben im Supermarkt
- Wassollen Sie jetzt tun?
Ihnen die Kassiererin 20 Franken zu viel zurückgegeben hat
wonach diese Frage geklärt
Normative Theorien suchen nach einer allgemeinen Regel,
werden kann.
welche vernünftige Begrün-
Normative Theorien suchen nach übergeordneten Prinzipien,
dungen für ethische Entscheidungen liefern.
Motivation, Handlung und
Jedes menschliche Handeln lässt sich in die drei Komponenten
punkte für moralische Urteile.
Konsequenz unterteilen. Alle drei Komponenten bieten Ansatz

= Es geht immer um eine Handlung:


Supermarkt zurückbringen.
So sollte manin unserem Beispiel "das zuviel erhaltene Geld" zum

= Jede Handlung hat immer eine Konsequenz:


Abend 20 Franken und je-
Wenn Sie das Geld nicht zurückgeben, fehlen in der Kasse am
ausglei chen.
mand (eventuell die Kassiererin) muss diesen Fehlbetrag
lung oder Gesinnung des
Die dritte Komponentebezieht sich auf die Motivation, Einstel
Akteurs:
ichkeit? Denn dies ist entschei-
Wie wichtig ist Ihnen Ehrlichkeit, Gerechtigkeit oder Bequeml
arkt machen und das
dend dafür, ob Sie sich tatsächlich nochmals auf den Weg zum Superm
Geld der rechtmässigen Besitzerin zurückgeben.
lassen sich diesen drei Kompo-
Die drei klassischen Hauptpositionen der normativen Ethik
nenten wie folgt zuteilen:
der Handlung selbst,
= Deontologische' Theorien befassen sich hauptsächlich mit

= teleologische? Theorien mit deren Konsequenzen und


.
= die Tugendethik mit der Motivation bzw. der Gesinnung des Akteurs

Handlung Konsequenz
Motivation

Deontologische Teleologische
Gesinnungs-
ital Ethik
Ethik

Pflichtethik Utilitarismus
Tugend-Ethik
Dell: EU
70123053

' deon (griech.): das Erforderliche, dasGesollte, die Pflicht


2 telos (griech.): Zweck, Ziel
19 Theorien der normativen Ethik

19.1.1 Utilitarismus
Starten wir mit einem sehr bekannten Gedankenexperiment, dem Trolley-Problem.
Gedankenexperimente sind - wie in Kapitel 1.3.1 ausgeführt - philosophische Hilfs-
mittel, um bestimmte Theorien zu veranschaulichen, zu widerlegen oder weiterzu-
denken. Dabei wird gedanklich eine Situation konstruiert, die real so nicht oder nur
sehr schwer herzustellen ist.

Stellen Sie sich vor, Sie stehen an


einer Weiche. Eine Strassenbahn
rast unkontrolliert auf fünf an ein
Gleis gefesselte Personen zu.
Wenn Sie nicht handeln, werden
diese Personen überfahren und
getötet. Falls Sie die Weiche um-
stellen, verändert die Strassen-
bahn ihren Kurs und rastlediglich
auf eine Person zu, welche getötet
wird. Fünf Personen oder eine Per-
son - würden Sie die Weiche um-
stellen?
Wenn Sie die Weiche umstellen würden und so fünf der sechs Personen retten, sind Sie
Utilitarist. Der Utilitarismus ist der bekannteste Ansatz der teleologischen Ethik. Nach
diesem Argumentationsmodell ist eine Handlung nur nach ihren Folgen zu beurteilen. We-
der die Handlung an sich noch die Gesinnung des Handelnden sind für die ethische Beur-
teilung ausschlaggebend, sondern ausschliesslich die Folgen (Konsequenzen) der Hand-
lung. Im Gedankenexperiment ist das die Anzahl der geretteten bzw. getöteten Personen.

Der Begriff Utilitarismus ist vom lateinischen Begriff „utilis“ („nützlich“) abgeleitet. Das
Kriterium für Moralität ist bei dieser Position das grösste Glück für die grösste Zahl (die
Mehrheit der Betroffenen). Jeder Mensch realisiert demnach sein Glück nur dann, wenn er
auch das Glück der Allgemeinheit anstrebt.

DerUtilitarismus beachtet für die ethische Beurteilung ausschliesslich die Folgen einer
Handlung. Sein Moralprinzip ist das Prinzip der Nützlichkeit: Tue das, was den grössten
Nutzenbringt.

Der englische Philosoph Jeremy Bentham gilt als einer der Begründer des Utilitarismus. Er
argumentiert, dass dem Einzelnen, wie auch der Allgemeinheit nur das dient, was nützlichist.
Eine Handlung ist demnach moralisch, wenn sie für alle Betroffenen nützlich ist. Die Folgen
einer moralischen Handlung sollen das Glück maximieren unddas Leid minimieren.

Jeremy Bentham (1748-1832) war ein englischer Jurist, Philosoph und Sozialrefor-
mer. Er gilt als prominentester Mitbegründer des Utilitarismus. Zugleich war er ein
Vordenkerfür die Demokratie und einer der wichtigsten Sozialreformer Englands im
19. Jahrhundert. Er forderte allgemeine Wahlen, das Frauenstimmrecht, die Abschaf-
Jung der Todesstrafe, Tierrechte, die Legalisierung jeglicher sexuellen Präferenz und
die Pressefreiheit. Seine Ideen standen quer zum damaligenZeitgeist.

Jeremy Bentham
Klassische Hauptpositionen in der normativen Ethik

zu verstehen, durch die es dazu


„Unter Nützlichkeit ist jene Eigenschaft an einem Objekt
hervorzubringen. [...]
neigt, Gewinn, Vorteil, Freude oder Glück
dem Prinzip der Nützlichkeit[...],
Man kann also von einer Handlungsagen,sie entspreche
Gemein schaft zu vermehren, größerist
wenn die ihr innewohnende Tendenz, das Glück der
n.“
als irgendeine andere ihr innewohnende Tendenz, es zu minder
(Bentham, 2013, S. 56-57)

hedonistische Kalkül, das folgende Kri-


Zur Bestimmung von Glück dient das sogenannte
terien umfasst:
_ Die Intensität des Glücks
- Die Dauer des Glücks
- Die Gewissheit des Eintreffens
- Die Nahe des Eintreffens
(egalitares Prinzip).
Weiterhin gilt, dass alle Interessen gleichwertig sind

Daraus ergeben sich folgende ungelöste Probleme:


werden?
_ Wie sollen Freude und Leid miteinander verrechnet
nicht bekannt sind?
- Was ist, wenn die Interessen der Betroffenen
hten?
- Sind alle Formen der Lust als gleichwertig zu betrac
ründer des Utilitarismus. Mill er-
Der englische Philosoph John Stuart Mill gilt als Mitbeg
er die beiden Grössen „Glück“ und „Leid“
weitert den Ansatz von Bentham insofern, dass
„Freisein von Unlust“, „Unglück“ umge-
ändert. Glück sieht er als direkte „Lust“ und das
ch erklärt er die freie Entfaltung der
kehrt als „Unlust“ und das „Fehlen von Lust“. Zuglei
Unterschied zu Bentham begründet
Persönlichkeit für das wahre Glück des Menschen. Im
cheidet dabei zwischen höher-
Mill einen qualitativ orientierten Utilitarismus. Er unters
innlichen Freuden.
rangigen geistig-seelischen und niederen körperlich-s

warPolitiker, Ökonom und ei-


Derbritische Philosoph John StuartMill (1806- 1873)
nderts. Die Freiheit ist für
ner der einflussreichsten liberalen Denker des 19. Jahrhu
h der menschlichen Natur“, denn erst
John Stuart Mill der „erste und stärkste Wunsc
seinen Geist und seine Moral
wenn ein Individuumfreiist, kann es seine Fähigkeiten,
ungehi nderte und freie Entfaltung
voll entwickeln. So trat er ein für das Recht auf eine
dem grösstmöglichen individu-
der eigenen Persönlichkeit und auf das Streben nach
ellen (und allgemeinen) Glück. John StuartMill

de Teilprinzipien:
Das Moralprinzip der Nützlichkeit beinhaltet folgen

= Das Konsequenzen- oder Folgeprinzip


ren Handlungsabsichten zu beur-
Handlungen sind nach ihren Folgen und nicht nachih
teilen.

Das Nutzens- oder Utilitätsprinzip


gen ist der Nutzen, also eine Meh-
Der Massstab für die Beurteilung von Handlungsfol
rung von Freude und eine Minderung von Leid.

Das Glücks- oder hedonistische Prinzip


das menschliche Glück gelten als
Die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse sowie
höchster Wert.

Das Sozial- oder Universalitätsprinzip


nicht nur das Glück des Einzelnen,
Für die moralische Beurteilung einer Handlung ist
nd.
sondern das Glück der Gemeinschaft entscheide
19 Theorien der normativen Ethik

Eine Handlung ist moralisch richtig, wenn

Starken des Utilitarismus


Die Starken des Ansatzes liegen unter anderem in folgen
den Aspekten:
= Das Streben des Menschen nach einem gelingenden, gliick
lichen Leben findet grosse
Beachtung.

= Es wird ein quantifizierbarer Wertmassstab zur Lösun


g von moralischen Konflikten
vorgegeben.

= Die Folgen von Handlungen werden massgeblich bedach


t.

Probleme desUtilitarismus

Die Umsetzung des Nützlichkeitsprinzips wirft ethisch


ungeklärte Fragen auf:
= Wie kann „Glück“ definiert werden? Wie unters
cheiden sich die Begriffe „Nutzen“,
„Glück“ und „Lust“? Ist „Glück“ wirklich eine quanti
fizierbare, objektive Grösse?
= Wie ist der Vorrang des Allgemeinwohls vor dem Einzel
wohl zu begründen?
= Warum wird die gute Absicht moralisch geringer gewertetals
die Folgen der Handlung?
= Wie lassen sich die Kriterien „grösste Zahl“ und „gröss
tes Glück“ abwägen?
= Was wenn der Nutzen einer Minderheit dem Gesamtnutzen
entgegensteht? Darf die
Minderheit dann geopfert werden?

= Sind wirklich alle Folgen vorhersehbar? Welcher Zeitraum


soll beachtet werden?

19.1.2 Pflichtethik
| Führenwir das Trolley-Problem weiter undstellen Sie sich folgend
e Variation vor:
I| 2 .
2 Die Strassenbahn rast wieder .
unkontrolliert
auf fünf gefesselte Personen zu. Diesmal
| stehen Sie nicht bei einer Weiche, sondern
auf einer Brücke, unter der die Strassen-
bahn durchfahren wird. Neben Ihnen - so
will es der Zufall - steht ein schwerer Mann.
Wenn Sie ihn von der Brücke stossen und
dadurch töten, bringen Sie die Strassen-
bahn zum Stoppen undretten dadurch die
fünf Personen. Eine andere Möglichkeit die
Bahn zu stoppen, gibt es nicht. Würden Sie
den Mann von derBrücke stossen?

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