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Der Sternenmann und das große


Abenteuer - Teil 2
Eine Geschichte von Max von Thun und Romedio von Stein mit Illustrationen
von Marta Balmaseda, erschienen im arsEdition Verlag.
Hier kommt der zweite Teil der Geschichte
Kapitel 6: Der Feuerplanet

Schon von Weitem konnten sie den

Feuerplaneten erkennen, denn er

leuchtete dunkelrot, und außerdem

wurde es immer wärmer, je näher sie

ihm kamen.

Den schwarzen Planeten des bösen Zauberers konnten sie allerdings

nirgendwo entdecken.

Und eigentlich wäre das ja auch gar nicht so schlimm gewesen, wenn der

Sternenmann nicht plötzlich ein leichtes Ziehen bemerkt hätte.

Nicht an seinen Zügeln, sondern irgendwie bildete er sich ein, dass das ganze

Spacemobil langsam, aber sicher immer weiter nach rechts gezogen wurde.

Er versuchte, so gut es eben ging, dagegenzulenken, und Willi und Walli

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hatten ebenfalls große Mühe, ihr Gefährt in der Spur zu halten.

Es schien, als würden sie von einer unsichtbaren Kraft angezogen, aber der

schwarze Planet war weit und breit nirgends zu sehen.

War sein magnetisches Feld wirklich so stark?

Nur mit vereinten Kräften, denn der Sternenmann bat nun alle, ganz weit links

im Mobil zu sitzen, schafften sie es irgendwie, sich weit genug aus dem

Magnetfeld des schwarzen Planeten zu entfernen.

Das Ziehen ließ nach, und endlich konnten sie sich auf den Anflug auf den

Feuerplaneten konzentrieren, was eine ziemlich heiße Angelegenheit werden

sollte.

Darüber hatte bisher nur niemand nachgedacht vor lauter Aufregung und

Ablenkung.

Wenn ein Planet schon Feuerplanet heißt, dann muss man ja eigentlich auch

davon ausgehen, dass er irgendwas mit Feuer zu tun hat.

Und wenn etwas mit Feuer zu tun hat, dann ist es normalerweise auch heiß.

Oder hast du etwa schon mal ein kaltes Feuer gesehen?

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Und so kamen auch unsere Freunde beim Landeanflug auf den Feuerplaneten

ziemlich ins Schwitzen.

Vor allem Willi und Walli, die sich mit ihrem dicken Fell fühlen mussten, als

hätte man sie im Skianzug in eine Sauna gesetzt.

Und ein weiteres Problem wurde immer dringlicher: Wie – beziehungsweise

wo – landete man eigentlich auf einem Feuerplaneten?

Und wie suchte man hier nach einer Pflanze?

Was für Pflanzen wuchsen auf einem solchen Planeten überhaupt?

Mussten die nicht eigentlich sofort verbrennen?

Vielleicht hatten sie sich doch geirrt und der lange dünne Mondmann hatte

gelogen.

So viele Fragen schossen jetzt durch den Kopf vom Sternenmann, und auch

in Luna arbeitete es – das konnte er ganz genau sehen.

Am liebsten wäre er auf der Stelle umgekehrt, wenn Carlchen nicht plötzlich

begonnen hätte, laut zu bellen.

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Er schien etwas entdeckt zu haben, so aufgeregt, wie er jetzt im Spacemobil

herumhüpfte.

Endlich konnte es auch der Sternenmann sehen: Wie aus dem Nichts ragte

ein spitzer, hoher Felsen aus dem Feuer heraus.

Vielleicht hast du schon mal den Eiffelturm in Paris gesehen?

Genau so eine Form hatte dieser Felsen, unten etwas breiter und oben ganz

spitz mit einer kleinen Plattform, die genau so groß war, dass das Spacemobil

gerade so darauf landen konnte und sich niemand die Füße verbrannte.

Denn das sollte das nächste Problem sein, um das es sich zu kümmern galt:

Wie bewegte man sich auf einem Feuerplaneten überhaupt fort?

Aber zunächst einmal musste der Sternenmann alle Konzentration darauf

verwenden, ihr Gefährt sicher auf dem spitzen Felsen zu landen.

Und kaum hatten sie aufgesetzt, da hörte der Sternenmann Luna auch schon

fragen:

„Wie sollen wir denn auf diesem Planeten nach dem blauen Stachelstrauch

suchen, ohne uns die Füße zu verbrennen?“

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Da hatte der Sternenmann plötzlich die rettende Idee!

Wie du vielleicht weißt, bestehen Raketen und alle anderen Raumschiffe und

Weltraumfahrzeuge aus einem besonders hitzebeständigen Material.

Sonst würden sie beim Eintritt in die Erdatmosphäre ja sofort verbrennen.

Auch das Gefährt vom Sternenmann war natürlich aus diesem

hitzebeständigen Material gebaut.

Und soeben hatte sich der Sternenmann erinnert, dass auf der Unterseite des

Spacemobils, wo das Fahrgestell mit den Rädern verbunden ist, schon seit

einiger Zeit ein paar lose Platten klapperten.

Die wollte er eigentlich noch vor ihrer Abfahrt bei sich zu Hause reparieren,

hatte es aber wegen der Dringlichkeit, Lunas Vater zu helfen, irgendwie

vergessen.

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Genau diese vier Platten schraubte er

jetzt schnell herunter, nahm einen der

Zügel und schnitt vier gleich lange

Stücke davon ab und bastelte sich und

Luna so die ersten Weltraum-Skier, die

dieser Planet jemals gesehen hatte.

Wohlgemerkt, hitzebeständige

Weltraum-Skier!

Unter den staunenden Blicken von Carlchen und Samara half der

Sternenmann Luna, diese besonderen Skier anzulegen.

Die Schafe Willi und Walli waren unterdessen so sehr damit beschäftigt, das

Spacemobil auszubalancieren und dabei in den tiefen Abgrund zu starren,

dass sie von alledem gar nichts mitbekamen.

„Vertraust du mir?", fragte der Sternenmann Luna. „Dann fahr mir einfach

nach.“

Und mit diesen Worten sauste er auch schon auf seinen selbst gebauten

Space-Skiern den steilen Felsen hinab.

Und Luna, die ja eine tapfere und mutige Prinzessin war, fuhr ihm hinterher.

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Zwar etwas wackeliger als der Sternenmann, aber sie konnte gut balancieren,

und so stellte sie sich auch ziemlich passabel an.

Nun habe ich dir ja erzählt, dass der Felsen in etwa die Form des Eiffelturms

in Paris hatte, und wenn du den kennst, dann kannst du dir sicherlich

vorstellen, wie steil es da bergab ging.

Und falls du schon mal Skifahren warst, dann weißt du ja, wie schnell man

werden kann, wenn man Schuss einen steilen Hang herunterbrettert.

Genauso ging es jetzt Luna und dem Sternenmann.

Carlchen und Samara schauten den beiden über den Rand der Plattform

hinweg nach, beugten sich aber ein bisschen zu weit nach vorne, wodurch

das Spacemobil zu wackeln begann und beinahe das Gleichgewicht verloren

hätte.

Schnell sprangen die beiden wieder in die Mitte zurück und trauten sich von

nun an nicht mehr, sich zu rühren.

Das Einzige, was sie jetzt noch wahrnehmen konnten, waren die Schreie ihrer

mutigen Freunde, die vor lauter Tempo gar nicht anders konnten, als lauthals

zu jauchzen und zu johlen.

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Sie waren schon weit über die Hälfte heruntergesaust, als der Sternenmann

einen kleinen Felsvorsprung ausmachen konnte und sofort eine Idee hatte.

„Wir springen über diese Schanze da unten! Nimm so viel Schwung, wie du

kannst, und folge mir!“, rief er nach hinten, wo Prinzessin Luna sogar langsam

ihren Spaß an der Abfahrt zu haben schien.

An dem Vorsprung angekommen, nahmen beide die Schanze, und plötzlich

flogen sie auf ihren Skiern beinahe schwerelos durch die Luft.

Unter ihnen brannte der Boden, und von oben sah es aus wie ein riesiges

Meer aus Lava, das da kochend heiß und wild unter ihnen tobte.

Die Luft flackerte, so wie sie es an ganz heißen Tagen in der Wüste, knapp

über dem Boden, auch tut.

Und wenn die beiden nicht gewusst hätten, dass sie irgendwann auch mal in

diesem Meer aus Feuer und Lava landen mussten, dann hätten sie beinahe

noch mehr Spaß an der ganzen Sache gefunden.

Sie flogen viel weiter, als es der Sternenmann jemals zu träumen gewagt

hätte.

Vielleicht hatte es ja mit der Hitze zu tun, aber irgendetwas gab ihnen einen

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so starken Auftrieb, dass sie es schafften, viele Hundert Meter weit in der Luft

zu gleiten.

Mittlerweile waren der Sternenmann und Luna gleich auf, und sie fanden

sogar einen kurzen Augenblick, in dem sie sich anschauen und vorsichtig

dabei anlächeln konnten.

Allerdings war es nur ein kurzes Vergnügen, denn noch im selben Moment

bemerkten sie, dass sie an Höhe verloren und der brodelnden Feuersbrunst

unter ihnen immer näher kamen.

„Wenn wir landen, musst du einfach die Spitzen der Skier vorne aufstellen,

dann können wir auf dem Feuer weitergleiten. Hab keine Angst, so kann uns

nichts passieren. Wir dürfen nur nicht stürzen, sonst sind wir verloren!“

Luna wollte sich gerade darüber wundern, woher der Sternenmann das

eigentlich alles wusste – immerhin ist Skifahren, in welcher Form auch

immer, im Weltall ja keine gängige Freizeitbeschäftigung –, als sie dem

Boden schon so nahe kam, dass sie nur noch die Spitzen ihrer Skier aufstellte

und genau wie der Sternenmann mit einem leichten Wackler auf dem Feuer

aufsetzte und wie auf Wasserskiern auf seiner Oberfläche weiter dahinglitt.

Natürlich war es unter ihnen ziemlich heiß, aber sie waren auch so schnell

unterwegs, dass der Fahrtwind sie ein klein wenig abkühlte.

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Und auch hier war es wieder erstaunlich, wie weit sie auf ihren Skiern noch

geradeaus fahren konnten.

Doch nach einer Weile spürten sie, dass sie langsamer und langsamer

wurden.

Und wenn man auf einer flüssigen Oberfläche mit Skiern immer langsamer

wird, dann sinkt man irgendwann einfach ein.

Vielleicht hast du das schon mal bei Wasserskifahrern beobachtet.

Nur dass es sich hier nicht um Wasser, sondern um Feuer und Lava und was

weiß ich noch alles Heiße handelte.

Gerade als sie beide schon ein wenig einzusinken drohten, entdeckte Luna

etwas vor ihnen.

Erst wirkte es wie eine flirrende Fata Morgana, aber je näher sie kamen, desto

deutlicher erkannten sie, was es war.

„Eine Insel! Komm, dorthin schaffen wir es noch!“, rief der Sternenmann,

nahm Lunas Hand, und mit dem allerletzten Schwung konnten sie sich gerade

noch auf den Felsen retten, der wie eine steinerne Platte aus der Lava

herausragte.

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Kapitel 7: Kasimir, der brennende Bürgermeister


Auf der Insel angekommen, schnallten sie sich ihre Skier ab und beschlossen,

die Umgebung zu erkunden.

Wie du dir vielleicht vorstellen kannst, sind auf so einem Planeten und bei

dieser Hitze keine Inseln zu finden, wie wir sie aus unseren Ozeanen kennen.

Du darfst also keine Palmen erwarten oder Bananenstauden oder

Mangobäume.

Und natürlich auch keine schönen Strände mit weißem Sand, an denen man

baden und Sandburgen bauen kann.

Nein, diese Insel war einfach nur eine riesige Steinplatte, die mitten auf dem

Feuer zu schwimmen schien.

Es gab keinen Baum, keinen Strauch, keine Tiere und auch sonst eigentlich

nichts.

Nur in der Mitte der Insel brannte ein großes Feuer, nicht sehr hoch und nicht

sehr breit.

Und weil unsere Inseltouristen ja die Gegend erkunden wollten, beschlossen

sie einfach, damit anzufangen.

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Das Merkwürdige an diesem Feuer, und das wurde mit jedem Schritt in seine

Richtung deutlicher, war, dass es irgendwie viereckig aussah.

Nun, normalerweise macht Feuer ja, was es will, und in eine Form zwängen

lässt es sich schon gar nicht, doch dieses hier war ganz offensichtlich ein

brennendes Rechteck.

Als sie schließlich direkt davorstanden, staunten sie nicht schlecht, denn was

da vor ihnen in Flammen stand, war nichts anderes als ein kleines,

brennendes Haus.

Mit einem Dach mit Schornstein, einem einzigen Fenster und einer kleinen Tür

mit einem runden Metallknauf, der vor Hitze dunkelrot glühte.

Wie war das möglich? Wie konnte auf dieser Insel, auf diesem Planeten und

unter diesen Bedingungen überhaupt ein Haus stehen?

Wer hatte es gebaut? Und wie lange brannte es wohl schon?

Müsste es nicht jeden Moment einstürzen, so sehr wie sich die Flammen

durch seine Mauern fraßen?

Sie konnten sich einfach keinen Reim darauf machen.

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Die Tür zu öffnen, war unmöglich, so wie der Türknauf vor Hitze glühte, und

durchs Fenster zu schauen, ging auch nicht, denn dort peitschten große

Flammen heraus, und es wäre viel zu gefährlich gewesen, sich ihnen zu

nähern.

„Meinst du, der Bewohner dieses Hauses ist verbrannt?“, fragte Luna nach

einer Weile besorgt.

„Ich hoffe nicht, denn das wäre schrecklich. Aber irgendwer muss dieses

Haus ja gebaut haben. Wahrscheinlich hat er einfach die Hitze des Feuers

unterschätzt und konnte sich im letzten Moment retten“, antwortete der

Sternenmann.

„Auf jeden Fall keine gute Idee, hier ein Haus zu bauen. An so einem Ort.“

„Was soll das heißen: Keine gute Idee? Das hier ist das Rathaus. Und das ist

ein sehr guter Ort dafür. Wenn es uns hier nur nicht immer so kalt wäre…“,

ertönte eine Stimme aus Richtung der brennenden Hütte.

„Wer ist da?", fragte der Sternenmann, der erst jetzt bemerkte, dass sich die

Tür des brennenden Hauses geöffnet hatte.

„Oh, verzeiht. Wir sind Besuch einfach nicht gewohnt. Wie dumm von uns. So

könnt ihr uns ja gar nicht sehen…“, sagte die Stimme, und unsere beiden

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Helden trauten ihren Augen kaum, als tatsächlich jemand hinter der Tür

hervortrat und sich auf sie zubewegte.

Als er schließlich kurz vor ihnen stehen blieb, konnten sie es ganz deutlich

erkennen:

Der Bewohner des Hauses war ein

kleines Männchen, das an etlichen

Stellen seines Körpers in Flammen

stand.

Es trug einen Hut mit brennender

Feder, einen Schal, der lichterloh brannte, und einen dicken Mantel mit einem

Kragen aus Flammen.

„Wir heißen Kasimir und sind hier der Bürgermeister. Herzlich willkommen auf

unserer Insel!“, sagte das brennende Männchen jetzt freundlich und streckte

den beiden zur Begrüßung seine Hand entgegen.

Ich weiß ja nicht, ob du gerne eine brennende Hand schütteln würdest, aber

Luna und der Sternenmann wollten dies natürlich nicht, weil sie sich sonst ja

verbrannt hätten.

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Um nicht unhöflich zu wirken, entschieden sie sich stattdessen für eine Art

Verbeugung, auch aus Respekt vor dem würdevollen Amt des Bürgermeisters,

und der Sternenmann fügte noch hinzu, dass es eine große Ehre für sie sei,

den Bürgermeister dieser bezaubernden kleinen Insel kennenzulernen, und

dass sie sich freuen würden, hier zu sein.

Dann stellte er sich und Prinzessin Luna vor.

„Eine Prinzessin? Royaler Staatsbesuch? Donnerwetter, wenn wir das

gewusst hätten, hätten wir einen gebührenden Empfang vorbereitet. Dass uns

davon niemand in Kenntnis gesetzt hat, also wirklich…“, sagte Kasimir, dem

das Ganze tatsächlich etwas peinlich zu sein schien.

„Wir…?“, fragte Luna ungläubig.

„Wie viele Menschen leben denn auf dieser Insel? Und auf dem gesamten

Planeten?“

„Na, nur wir. Oder seht ihr hier sonst noch irgendwen? Aber wie unhöflich von

uns, bitte, tretet ein in unser Rathaus, dann trinken wir eine heiße Tasse Tee.

Ihr müsst verzeihen, aber zu dieser Jahreszeit ist es unglaublich kalt auf

unserem Planeten, und mit großem Bedauern muss ich euch davon in

Kenntnis setzen, dass unsere Heizung schon vor Wochen ausgefallen ist,

weshalb wir hier alle bibbern und zittern müssen.“

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Luna und der Sternenmann warfen sich einen ratlosen Blick zu, und es

dauerte eine ganze Weile, Kasimir davon zu überzeugen, dass sie lieber nicht

in das Rathaus gehen würden.

Schließlich wollten sie ja nicht darin verbrennen, was sie so direkt natürlich

nicht sagen konnten.

Schon gar nicht, weil Kasimir aus irgendeinem unerklärlichen Grund die ganze

Zeit zu frieren schien. Hier auf dem Feuerplaneten!

Und wenn etwas so merkwürdig war – und der Sternenmann wollte sich ja so

wenig wie möglich über die sonderbaren Dinge auf ihrer Reise wundern –,

dann sollte man sie wohl einfach so akzeptieren, wie sie nun mal waren.

Außerdem hatten sie keine Zeit zu verlieren, denn schließlich waren sie den

ganzen weiten Weg gekommen, um den blauen Stachelstrauch für Lunas

Vater zu besorgen.

Und deshalb kam der Sternenmann jetzt auch direkt auf den Punkt.

„Lieber Kasimir", begann er, „wir sind den weiten Weg hierhergekommen, weil

wir den blauen Stachelstrauch suchen, der ja angeblich hier wachsen soll.“

„Den blauen Stachelstrauch? Na, da habt ihr aber Glück. Der blüht nämlich nur

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im Winter. Und dass wir Winter haben auf unserem schönen Planeten, habt

ihr sicherlich schon längst mitbekommen. Allerdings befürchten wir, dass ihr

auf der Reise dorthin erfrieren könntet. Denn der Weg ist lang und führt euch

ins Gebirge.“

Natürlich war das ganz und gar nicht ihre Sorge, denn Erfrieren war so

ziemlich das Letzte, wovor die beiden gerade Angst hatten.

Nur, wie sollten sie überhaupt in dieses Gebirge gelangen?

Ohne Schwung konnten sie ja schließlich nicht mit ihren Skiern über das

Feuer fahren.

„Lieber Kasimir", sagte nun auch Luna, „leider drängt die Zeit, und wir wissen

nicht, wie wir so schnell wie möglich in dieses Gebirge kommen sollen.

Kannst du … Verzeihung, könnt IHR uns nicht irgendwie helfen?“

Kasimir grübelte, und es wirkte schon fast, als wäre er eingeschlafen,

während er da so brennend vor ihnen stand.

Aber dann schien er doch eine Idee zu haben.

„Leider ist unser Schiff letzten Sommer gesunken, aber wir haben da noch

zwei kleine Kisten von einer tapferen Astronautin, die vor vielen, vielen Jahren

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hier auftauchte, weil ihre Rakete kaputt war und sie sie hier reparieren wollte.

Eine sehr geschickte Frau. Und weil sie die Rakete so leicht wie möglich

machen wollte, um den Start nicht zu gefährden, ließ sie ein paar ihrer Kisten

hier, damit wir sie für sie aufbewahren. In so einem Notfall sind wir uns

allerdings sicher, dass sie nichts dagegen haben wird, wenn ihr euch das ein

oder andere Teil ausleiht, sofern es euch von Nutzen sein kann. Wir kommen

nur deshalb darauf, weil ihre Kisten aus demselben Material sind wie diese

Dinger, die ihr euch um die Füße geschnallt habt. Wartet hier, wir holen sie

euch geschwind aus dem Keller unseres Rathauses.“

Und damit verschwand Kasimir in seiner brennenden Hütte und ließ Luna und

den Sternenmann allein in der brütenden Hitze zurück.

Kapitel 8: Ein Licht geht auf


Einige Minuten später, nachdem sie erst ein lautes Poltern und Rücken,

gefolgt vom Fluchen und Brummen des kleinen Bürgermeisters gehört hatten,

kam dieser wieder aus seinem Rathaus heraus und hielt zwei Kisten in seinen

brennenden Händen.

Allerdings eher kleine Kisten, wie der Sternenmann mit Bedauern feststellte,

denn insgeheim hatte er gehofft, dass sie sich vielleicht als eine Art Boot

eignen könnten.

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Immerhin waren sie auch aus dem feuerfesten Material, aus dem sie sich ihre

Skier gebastelt hatten.

Und diese hatten sich im Feuer ja nun wirklich bewährt. Nun durchsuchten sie

also gemeinsam den Inhalt der Kisten, wobei sie Kasimir baten, das Ganze

mit einigem Sicherheitsabstand zu verfolgen, da sie ja nicht wussten, was in

diesen Kisten drin war.

Der Inhalt konnte ja leicht entzündlich sein, und dann wäre das nicht nur

gefährlich geworden, sondern hätte ihnen für ihre Weiterreise am

allerwenigsten geholfen.

Und so stand Kasimir nun bibbernd und frierend neben ihnen und erklärte

ihnen schon mal den Weg ins Gebirge.

Denn eine Karte von dem Planeten gab es leider nicht, obwohl Kasimir

damals, als die Astronautin ihm auf seinen Wunsch hin einen Stift und Papier

gab, versucht hatte, eine zu zeichnen.

Aber was da mit geschah, kannst du dir wohl denken!

Noch bevor er den Umriss des Feuerplaneten zeichnen konnte, verbrannten

vor seinen Augen Stift und Papier und ließen Kasimir resigniert zurück.

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„Ihr müsst immer in diese Richtung, dann könnt ihr das Gebirge gar nicht

verfehlen. Aber die Steine dort sind so spitz und hart, dass sie jeden Schuh zu

durchbohren vermögen. Nein, zu Fuß können wir euch diese Reise wahrlich

nicht empfehlen. Aber Flügel habt ihr ja leider auch nicht, wie man ganz klar

sehen kann. Am besten wird es wohl sein, ihr bleibt hier bei uns. Wir könnten

nämlich noch ein paar Einwohner auf unserer Insel vertragen. Wir bauen euch

einfach ein Haus, gleich hier neben unser Rathaus, und können von nun an

jeden Beschluss demokratisch abstimmen. Für eine Zweidrittelmehrheit

benötigt man nämlich mindestens drei Einwohner. Und wenn zwei für etwas

sind und einer dagegen, wird es umgesetzt. Wenn aber nur einer dafür ist und

zwei dagegen, dann wird der Antrag abgewiesen und wir gehen einfach über

zum nächsten Tagesordnungspunkt. Das wäre wirklich eine feine Sache. Wir

träumen hier schon so lange von einer richtigen Demokratie. Also, was meint

ihr? Wollt ihr hierbleiben und uns bei unseren wichtigen Aufgaben helfen?“

Verzweifelt und bibbernd vor Kälte, wartete er vergebens auf eine Antwort der

beiden, die sich stattdessen auf den Inhalt der Kisten konzentrierten.

Immerhin hatten sie eine wichtige Mission, und da konnten sie sich von so

einer feurigen Demokratie nun wirklich nicht ablenken lassen.

In den beiden Kisten befand sich allerlei Kleinkram, von drei ausfahrbaren

Teleskopangeln über eine alte Zahnbürste und eine ausgequetschte Tube

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Zahnpasta bis hin zu einem harten Kaugummi, einem Knäuel fester Schnur

und ein paar alten Karten vom Weltall.

Sie entdeckten aber auch noch einige andere, nützlichere Sachen, wie zum

Beispiel einen Kompass, Astronautennahrung und eine dunkle Sonnenbrille.

Und dann fand der Sternenmann etwas, das ihn auf eine Idee brachte: eine

Rolle Aluminiumfolie.

„Ich hab’s!", schrie er vor Begeisterung auf, „wir bauen einen Drachen, der uns

durch die Lüfte bis zum Gebirge trägt!“

„Und wie bitte schön sollen wir das machen? Mit den paar Sachen hier?“,

fragte Luna, und auch Kasimir verstand nicht so recht.

Also stellte sich der Sternenmann vor die beiden und erklärte ihnen seinen

Plan:

„Wir nehmen die Teleskopangeln und bauen daraus ein Dreieck. Und dann

ziehen wir so viele Streifen von der Alufolie ab, dass das ganze Dreieck davon

bedeckt wird. Aus der Schnur baue ich uns zwei Sitze, und die Deckel der

Kisten nehmen wir als Sitzfläche. Wenn der Drachen fertig ist, nimmst du ihn

links und ich rechts, und wir rennen so schnell wir können, bis die Insel

aufhört. Dann springen wir in unsere Sitze und hoffen, dass der Drachen

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durch die Thermik der aufsteigenden warmen Luft in die Höhe steigt und wir

losfliegen. Ist doch eigentlich ganz einfach.“

Erwartungsvoll schaute der Sternenmann die beiden an.

„Hmm, wir wissen zwar nicht, wo hier warme Luft sein soll", sagte Kasimir,

„aber grundsätzlich gefällt uns dieser Plan.“

Auch Luna schien ziemlich beeindruckt von der Idee, und sofort machten sie

sich daran, sie in die Tat umzusetzen.

Mit kleinen Stücken Schnur verbanden sie die Enden der Angeln miteinander,

und Luna und Kasimir wickelten nun die Aluminiumfolie so darum, dass sie

eine geschlossene Oberfläche ergab.

Dabei konnte Kasimir ausnahmsweise helfen.

Immerhin kann Alufolie ja auch kein Feuer fangen, und daher machten ihr

Kasimirs brennende Hände überhaupt nichts aus.

Der Sternenmann knotete in der Zwischenzeit die Kistendeckel so geschickt

an die Angeln, dass sich daraus zwei sehr bequeme Sitze ergaben, und um

sie noch gemütlicher zu machen, legte er die alten Karten als Polsterung

darauf.

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Nur ein paar Minuten später standen die drei stolz vor ihrem Flugobjekt.

Und für einen kurzen Augenblick vergaß Kasimir sogar zu frieren, denn sosehr

er die Einsamkeit hier auch gewohnt war, fand er es doch schön, mal

jemanden zum Reden zu haben.

Vor allem, wenn es sich um den Staatsbesuch einer Königlichen Hoheit

handelte.

Und auch wenn er es nicht ganz verstehen konnte, reichte er den beiden

diesmal nicht die Hand, sondern verbeugte sich zum Abschied, wie es sich

bei einer Prinzessin ja schließlich auch gehört, und wünschte ihnen eine gute

und erfolgreiche Reise.

Der Sternenmann packte noch die

Astronautennahrung unter seinen

Umhang, falls sie unterwegs Hunger

bekommen sollten, gab Luna den

Kompass, denn schließlich war sie ja seine Kopilotin, und setzte sich die

Sonnenbrille auf.

Nicht nur, weil er sich damit verwegener vorkam und aussah wie ein echter

Kapitän, sondern weil es auf diesem Planeten wirklich besonders hell war.

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Wenn du schon mal länger in ein Feuer geschaut hast, dann weißt du ja, wie

sehr das blenden kann.

„Macht es gut, lieber Kasimir. Und danke für eure Hilfe“, rief Luna, und dann

hoben sie ihren Drachen auf, jeder an einem Eck, winkten Kasimir noch mal

zum Abschied und rannten so schnell sie konnten auf das Ende der Insel zu.

Kurz bevor der Steinboden aufhörte und das weite Feuermeer begann, hoben

sie die Spitze des Drachen leicht an, sprangen in ihre Sitze, und wie es der

Sternenmann vorausgesagt hatte, segelte der Drachen durch die Lüfte.

Und nicht nur das, er flog sogar langsam nach oben, weil die warme Luft ihn

behutsam ansteigen ließ.

„Es hat geklappt! Wir fliegen!“, schrie der Sternenmann vor Freude und sah

Luna durch seine dunkle Sonnenbrille mit einem breiten Lächeln an.

Der Start war geglückt, und als sie sich noch einmal umdrehten, sahen sie nur

noch einen kleinen Feuerfleck auf der Insel, der ihnen scheinbar zuwinkte.

Kapitel 9: Die große Drachenfahrt


Sie flogen mit ihrem Drachen in einer angenehmen Höhe.

Der Sternenmann fühlte sich mit seiner Sonnenbrille wie ein echter Drachen-

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Kapitän, und Luna achtete mit ihrem Kompass darauf, dass sie auch wirklich

in die richtige Richtung flogen.

Da so ein Drachen ja mit Wind und ohne Motor fliegt, fühlten sie sich so frei

wie Vögel, die nur den Wind in den Ohren hatten.

Und zum ersten Mal, seit sie auf diesem Planeten gelandet waren, konnten

sie auch seine Schönheit genießen.

Wenn man so weit oben flog, wirkte das Feuer, das den ganzen Planeten wie

Lava bedeckte, gar nicht mehr so bedrohlich und fremd, sondern beinahe

schon friedlich und wunderschön anzuschauen.

So wie ein Feuer ja auch nicht nur aus einer Farbe besteht, entdeckten sie

jetzt die unterschiedlichsten Rot-, Gelb-, Orange- und sogar Blautöne in den

Flammen, die wie Wellen in einem riesigen Ozean unter ihnen wogten.

Nur Lebewesen konnten sie weit und breit nirgends ausmachen.

Keine Vögel, keine Fische, und da es ja sowieso fast kein Land gab, auch

keine anderen Tiere und Pflanzen, geschweige denn Menschen.

Scheinbar war Kasimir, dem immer kalt war, wirklich das einzige Wesen, das

auf dem Feuerplaneten lebte. Armer Kasimir!

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Hätte so gerne etwas Gesellschaft, um seine Demokratie zu gründen.

Aber da waren sie leider die Falschen.

Sie hatten eine wichtige Mission zu erfüllen und konnten ihm schließlich nicht

auch noch helfen.

Nach einer Weile begann Prinzessin Lunas Magen zu knurren, also griff der

Sternenmann unter seinen Umhang und reichte ihr ein Stück von der

Astronautennahrung, die er ja extra für solche Fälle mitgenommen hatte, und

biss gleich ebenfalls davon ab.

Astronautennahrung, wie du vielleicht gar nicht weißt, ist getrocknete und

damit besonders lange haltbare Nahrung und kann nach allem Möglichen

schmecken.

Sie hatten Schnitzel- und Apfelkuchengeschmack. Was für ein Glück!

Und wie sie nun so friedlich über dem Feuermeer schwebten und sich dabei

den Magen vollschlugen, da fragten sie sich, wie es wohl Carlchen und

Samara gerade ging.

Ob sich die beiden ihretwegen Sorgen machten oder vielleicht auch schon so

einen Hunger hatten, wie sie jetzt?

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Ob es Willi und Walli wohl weiterhin gelang, das Spacemobil auf der kleinen

Plattform zu balancieren?

Und dann fragten sie sich, wie viel Zeit ihnen überhaupt noch blieb und wie es

König Max, dem 265., wohl ging, ob sie den blauen Stachelstrauch jemals

finden würden und ob der Tee dann überhaupt helfen würde.

Hier oben war es beinahe so friedlich wie auf der Veranda des Sternenmanns,

und da fielen ihm auf einmal seine Sterne wieder ein, und er stellte sich vor,

wie alle Kinder auf der Erde hinauf zum Himmelszelt schauten und keinen

einzigen Stern entdecken konnten.

Und das nur, weil er ja immer noch hier war und deshalb seine Arbeit nicht

ausüben konnte.

Noch nie gab es einen sternenlosen Himmel. Noch nie, soweit er sich

zurückerinnern konnte.

Natürlich war der Himmel oft bewölkt, und deshalb konnten die Kinder die

Sterne nicht sehen.

Aber da waren sie immer, nur eben hinter den Wolken.

Worauf hatte er sich da nur eingelassen?

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Doch diesen trüben Gedanken konnte der Sternenmann zum Glück nicht mehr

allzu lange nachhängen, denn wie aus dem Nichts ragte vor ihnen plötzlich

das Gebirge aus den Flammen.

Und Kasimir hatte wirklich nicht übertrieben.

Die Felsen sahen wild und zerfurcht aus und überall ragten ihre Spitzen wie

kleine Lanzen in die Luft.

Es schien auch keine einzige gerade Fläche oder Plattform zu geben, auf der

man hätte landen können.

Am Fuße der Felsen klatschten die Feuerwellen mit großer Wucht gegen die

Steine und Tausende kleiner Feuertropfen spritzten in alle Richtungen.

So, als würde ein Vulkan ausbrechen und seine Lava in sämtliche

Himmelsrichtungen spucken.

Einige dieser Feuertröpfchen kamen dabei dem Drachen unserer Helden

beängstigend nahe.

Jetzt mussten sie gut lenken und durften nicht an Höhe verlieren, denn sonst

hätte sie das Feuer erreichen können und womöglich wären sie mitsamt

ihrem Drachen in Flammen aufgegangen oder in die Feuersbrunst gefallen.

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Und dann mussten sie ja auch noch irgendwie den blauen Stachelstrauch

finden, was unter solchen Umständen nun wirklich nicht besonders einfach

war.

Aber sie erinnerten sich auch daran, was ihnen die Sonne damals gesagt

hatte, als sie gemeinsam die Welt vor dem Kometen gerettet hatten, nämlich

dass die Liebe bekanntlich Berge versetzt.

Immerhin waren sie auch jetzt wieder zusammen und reinen Herzens und mit

einer löblichen Mission unterwegs.

Und wer Gutes tun will und uneigennützig handelt, dem hilft das Schicksal oft

weiter.

Hoffentlich auch hier und jetzt…

Wenn du schon mal Urlaub am Meer gemacht hast, dann hast du vielleicht

bemerkt, dass an der Küste oft ein sehr starker Wind weht.

Und so war es natürlich auch hier.

Der Wind peitschte um das kleine Gebirge herum und wirbelte den Drachen

ganz schön durch die Luft, während von unten immer noch die Feuerwellen

wild gegen das Gestein klatschten.

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Da entdeckte Luna etwas an einem kleinen Vorsprung.

Es ragte dort in die Luft hinaus, auch wenn es bei all der Hitze zu flackern

schien, was natürlich nur eine optische Täuschung war.

Und als Luna mit dem Finger darauf deutete, um es dem Sternenmann zu

zeigen, da bestand plötzlich kein Zweifel mehr.

Es war eine kleine Pflanze.

Oder besser gesagt ein kleiner Strauch, der sich unter diesen widrigen

Umständen tapfer zur Wehr setzte und hier, als wohl Einziger seiner Art, sein

Plätzchen gefunden hatte.

„Wie sollen wir da bloß hinkommen? Die Böen werden immer stärker!“, fragte

der Sternenmann verzweifelt und auch Luna wusste im Moment keinen Rat.

In der Tat wurde der Drachen jetzt von einem Luftwirbel erfasst und, wie ein

Papierflugzeug im Sturm, durch die Lüfte geschleudert.

Der Sternenmann schaffte es nur mit aller Kraft und größter Mühe, halbwegs

die Kontrolle zu behalten.

„Die Luftwirbel schleudern uns im Kreis um das Gebirge herum. Ich werde

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versuchen, so weit wie möglich an die Felsen heranzufliegen.

Vielleicht kommen wir ja nah genug, dass du den Strauch zu fassen kriegst!“,

schrie der Sternenmann gegen den tosenden Wind an, und Luna nickte nur

und machte sich bereit, den Strauch im Vorbeifliegen zu greifen.

Geschickt manövrierte der Sternenmann den Drachen an den spitzen Felsen

entlang, und mit jeder weiteren Umrundung kamen sie dem Gestein, und

damit auch dem Strauch, näher und näher.

Als sie den Strauch bei der nächsten Runde wieder sehen konnten, beugte

Luna sich zur Seite und streckte ihren Arm so weit aus, wie es nur ging.

Mit den Fingerspitzen berührte sie schon die Zweige, konnte ihn aber einfach

nicht greifen.

„So ein Mist, ich hatte ihn fast!“, rief sie, worauf der Sternenmann sie

ermutigte: „Bei der nächsten Runde klappt es bestimmt!“

Vorsichtig lenkte er ihren Drachen noch ein kleines bisschen näher an die

spitzen Felsen heran, und als sie wieder an die Stelle kamen, wo der Strauch

wuchs, da lehnte sich Luna so weit hinaus, wie es nur ging, und tatsächlich

konnte sie diesmal einen kleinen Zweig mit ihrer Hand umklammern.

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Als sie sich gerade weiter Richtung Wurzeln vorarbeiten wollte, schleuderte

eine weitere Böe erneut den Drachen durch die Lüfte.

Doch diesmal hatte es geklappt.

Luna öffnete ihre Hand, und darin lagen fünf bläuliche, kleine Blätter.

Zum Jubeln blieb aber keine Zeit. Zu nah waren sie schon an die spitzen

Felsen gekommen und spätestens nach der nächsten Runde würden sie

daran zerschellen.

Mit allerletzter Kraft verlagerte der Sternenmann also sein ganzes Gewicht

auf die andere Seite, Luna tat es ihm gleich, und wie durch ein Katapult

geschossen, flogen sie weg von dem Gebirge und zurück in Richtung ihres

Spacemobils.

„Wir haben es geschafft! Wir haben es wirklich geschafft! Gut gemacht, Luna!

Und jetzt nichts wie weg hier und zurück zu den anderen!“, rief der

Sternenmann mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

„Gut navigiert, Herr Kapitän!“, sagte Luna und lächelte zurück.

Kapitel 10: Der Rückweg durch das Reich des bösen Knuterich
Der Flug zurück zu den anderen verlief ruhig und ohne weitere

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Komplikationen.

Der Sternenmann steuerte ihren Drachen jetzt ganz routiniert und genoss die

Aussicht durch seine Sonnenbrille, mit der man viel besser in die Flammen

unter ihnen schauen und dabei die eigentliche Schönheit dieses Planeten

genießen konnte.

Luna gab ihm ab und zu, nach einem kurzen Blick auf den Kompass, kleine

Richtungswechsel durch und teilte schon mal die restliche

Astronautennahrung so auf, dass Carlchen, Samara, Willi und Walli auch noch

ihren Anteil davon bekommen würden.

Schließlich mussten sie langsam einen ziemlichen Hunger haben!

Ansonsten genoss auch sie die Aussicht, hielt die Blätter des blauen

Stachelstrauchs fest in ihrer Hand und freute sich schon darauf, ihre Katze

bald wieder in die Arme schließen zu können.

Schon von Weitem sahen sie den spitzen Felsen, der aussah wie der

Eiffelturm in Paris, und darauf ihr Gefährt mit den Schafen und Carlchen und

Samara, was allerdings gar nicht so leicht zu erkennen war, weil es bei der

Hitze fast so wirkte, als wäre der Felsen aus Gummi und ihre Freunde kleine

tanzende Ameisen, so sehr verzerrte die heiße Luft ihre Sicht.

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Carlchen war der Erste, der sie bemerkte, und sofort bellte er los vor Freude

und jaulte auf wie ein Wolf.

Das wiederum riss Willi und Walli so abrupt aus ihrem Schlaf, dass sie

fürchterlich erschraken und fast von der kleinen Plattform gefallen wären.

Im letzten Moment konnten sie sich gerade noch gegenseitig stützen und so

Schlimmeres verhindern.

„Am besten fliegen wir genau über die Plattform und springen dann ab.

Landen können wir dort ja nicht. Es ist einfach zu wenig Platz und wäre viel zu

gefährlich“, sagte der Sternenmann, und Luna bereitete sich schon mal

langsam darauf vor, indem sie alles, was wichtig war, wie die

Astronautennahrung, den Kompass und natürlich die Blätter vom blauen

Stachelstrauch, unter ihrem Umhang verstaute.

Mit großem Geschick lenkte der Sternenmann den Drachen auf die Plattform

zu, und als sie genau darüber waren, so in etwa ein oder zwei Metern Höhe,

rief er Luna zu: „Spring!“

Und das tat Luna auch und der Sternenmann sprang ihr sogleich hinterher.

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Kaum waren sie in ihr altes

Spacemobil geplumpst, da leckte

Carlchen schon das Gesicht vom

Sternenmann ab, Samara schmiegte

sich an Luna und die Schafe blökten

vor Freude los.

So sehr freuten sich alle über ihr Wiedersehen und dass den beiden nichts

passiert war.

„Wir haben den Strauch gefunden! Jetzt aber nichts wie zurück zum Palast,

damit wir meinem Vater seinen Tee brauen können und der Fluch von

Knuterich endlich vorbei ist«, sagte Luna, und so machten sie sich auf und

ließen den Feuerplaneten langsam hinter sich, während sich Carlchen und

Samara über ihren Anteil der Astronautennahrung hermachten.

Und auch die Schafe, die das Gefährt jetzt wieder durchs All zogen, kauten im

Flug genüsslich auf Schnitzel und Apfelkuchen herum.

Schließlich hatten sie alle mittlerweile schon einen ziemlichen Hunger gehabt.

Und so ausgelassen die Stimmung an Bord auch war, machten sich doch

langsam wieder ein paar Sorgenfalten auf der Stirn des Sternenmanns

bemerkbar.

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Wie lange würden sie denn eigentlich für den Rückflug brauchen?

Schließlich konnten sie nicht so schnell fliegen wie der Kieselmann, der sie

auf dem Hinweg ja freundlicherweise gezogen hatte.

Was, wenn sie zu spät kamen?

Und auch an seine Sterne musste er wieder denken und was wohl aus ihnen

werden würde, falls er hier noch länger gebraucht wurde.

Aber mit alledem wollte er die anderen nicht beunruhigen.

Zumal die Stimmung nach dem bestandenen Abenteuer und mit den vollen

Mägen im Moment einfach zu gut war, um sie einfach so zerplatzen zu

lassen.

Und so nahmen sie also Kurs Richtung Palast und die von der Mahlzeit

gestärkten Schafe Willi und Walli gaben Vollgas.

Nach ein paar Kilometern bemerkte Luna plötzlich etwas Sonderbares auf

ihrem Kompass.

Irgendwie schien sich die Kompassnadel nicht mehr so sicher zu sein, wo

denn nun Norden, Süden, Westen oder Osten war, und begann stattdessen

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wie verrückt zu tanzen und sich mal in die eine, mal in die andere Richtung zu

drehen.

Auch der Sternenmann bemerkte wieder dieses merkwürdige Ziehen und

Rütteln an ihrem Gefährt.

Genau so, wie sie es auf dem Hinweg zum Feuerplaneten schon einmal erlebt

hatten.

Aber dieses Mal, so schien es, konnten sie sich dem Sog nicht entziehen.

Sosehr die Schafe auch in die Gegenrichtung zogen und sosehr sie sich alle

auf eine Seite lehnten, der Sog wurde stärker und stärker.

Bald hatte der Sternenmann die Kontrolle über ihr Gefährt komplett verloren,

und unseren Helden blieb nichts anderes übrig, als sich ihrem Schicksal zu

ergeben und abzuwarten, wohin es sie nun bringen würde.

Die Kompassnadel drohte mittlerweile fast völlig durchzudrehen, und die

Schafe Willi und Walli zogen jetzt nicht mehr das Spacemobil, sondern

wurden umgekehrt von ihrem eigenen Gefährt gezogen, so als würden sie

nicht mehr wiegen als eine Feder.

„So ein Mist, wir müssen in das magnetische Feld des bösen Zauberers

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Knuterich geflogen sein. Und es muss ein ziemlich starker Magnet sein. Ich

habe keinerlei Kontrolle mehr über unser Gefährt“, sagte der Sternenmann

jetzt leicht panisch, denn es gab im Augenblick nichts, was er hätte tun

können, um aus dieser Lage herauszukommen.

Vielleicht hast du schon mal einen Magneten an einen Kompass gehalten und

beobachtet, wie sehr dann die Nadel hin- und hertanzt.

Und weil auch der Sternenmann das wusste und sah, was der Kompass in

Lunas Hand für ein Tänzchen vollführte und wie stark das Gefährt von dieser

unsichtbaren Kraft angezogen wurde, gab es für ihn keinen Zweifel mehr:

Sie waren in die Fänge des bösen Zauberers geraten.

Unaufhaltsam bewegten sie sich weiter in seine Richtung und langsam wurde

es um sie herum immer dunkler und vor allem auch kälter.

Fast schon so kalt, dass sie das heiße Klima des Feuerplaneten zu vermissen

begannen.

Vor ihnen hingen dunkle Wolken, aus denen es blitzte und donnerte, und

schließlich begann es auch noch zu regnen, und zwar so stark, dass sie alle

nach kürzester Zeit pitschnass bis auf die Knochen waren.

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Der Sternenmann kämpfte mit seinem nassen Umhang, der ihm immer wieder

ins Gesicht klatschte.

Samara wirkte noch viel dünner als sonst, denn ihr weiches Fell hing nun an

ihrem dünnen Körper herab, und auch Willi und Wallis Wolle war schon so

vollgesogen mit Wasser, dass sie schwer nach unten hing.

Kein Wunder, bei so viel nassem Fell!

Auf einmal blitzte es so hell, dass sie alle die Umrisse eines schwarzen

Turms erkennen konnten, auf den sie unaufhaltsam zusteuerten.

Dem Blitz folgte ein mächtiger Donner, der ihnen durch Mark und Bein ging,

und ehe sie sich’s versahen und noch weitere Umrisse der düsteren, wenig

einladenden Burg ausmachen konnten, klebten sie mit ihrem Spacemobil

auch schon an der nassen, kalten Außenwand des Turms, an der der Regen

herunterfloss, als hätte jemand eine Dusche über ihren Köpfen aufgestellt.

Und da hingen sie nun und mussten sich gegenseitig festhalten, so stürmisch

war es hier. Und so bitterkalt.

Unter dem Gefährt hingen die triefend nassen Schafe Willi und Walli und

blökten verzweifelt vor sich hin.

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Was sollten sie nur tun?

Da blitzte es abermals, und genau in dem Moment entdeckte der

Sternenmann eine nasse, schwere Holztür direkt über ihnen.

Eine Tür in der Mitte eines Turms, die nach außen führte? Sehr merkwürdig.

Er stupste Luna an und deutete auf die Tür über ihnen, und als auch die

anderen nach oben blickten, da blitzte es erneut, und in dem grellen Licht

sahen sie, dass die Tür offen war und eine schwarze Silhouette darin stand

und auf sie herunterblickte.

„Herzlich willkommen in meinem Reich“, dröhnte eine tiefe Stimme, und jetzt

gab es keinen Zweifel mehr.

Das musste der böse Zauberer Knuterich sein, der auf sie herabschaute und

dabei ein schrilles Lachen ausstieß.

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Wie es weiter geht, erfahrt ihr in der nächsten Geschichte.

Der Sternenmann und das große Abenteuer - Teil 2


Geschichte aus: Der Sternenmann und das große Abenteuer
Autor: Max von Thun, Romedio von Stein
Illustration: Marta Balmaseda
Verlag: arsEdition
Alterseinstufung: ab 5 Jahren
ISBN: 978-3-8458-3755-0

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