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DEUTSCHER EINFLUSS UND DEUTSCHE

I N T E R E S S E N I N D E R Ρ R O F E S S I O Ν A LI S I E -
RUNG EINIGER LATEINAMERIKANISCHER
A R M E E N V O R D E M 1. W E L T K R I E G
(1 8 8 5 - 1 9 1 4)

Von G e r h a r d Brunn

Seit den Unabhängigkeitskriegen bildet das Militär eine der stärksten


sozialen Gruppen in Lateinamerika, ja man kann sagen, daß viele Re-
publiken bis heute die meiste Zeit von ihren eigenen Armeen besetzt
gewesen sind 1 .
Militärisch war die soziale Bedeutung anfangs in keiner Weise ge-
rechtfertigt, denn bis spät ins 19. Jahrhundert hinein hielten diese
Armeen keinem Vergleich mit straff organisierten und disziplinierten
Berufsheeren stand. Freiwillig Soldat wurde, wer in anderen Berufen
versagte; die übrigen Soldaten wurden zum Dienst gepreßt. Die Offi-
ziere hatten bestenfalls eine minimale militärisdie Ausbildung, die aber
nicht ordnungsgemäß belohnt wurde, da die Beförderung durch per-
sönliche und politische Beziehungen erfolgte. „Verwegene Tapferkeit
und drakonische Kriegsgesetze ersetzten den Mangel an taktischer Aus-
bildung und wahrer Disziplin"*. Hauptsächliches Betätigungsfeld war
die Politik, ob man nun von den Parteien hineingezogen wurde oder
sich selbst zum Eingreifen entschloß. Der Staat war nicht viel mehr als
ein Ausbeutungsobjekt 8 .
Als in der Zeit vor der Jahrhundertwende die lateinamerikanischen
Republiken wirtschaftlich auflebten und ein leicht erregbarer Natio-
nalismus besonders in den häufigen Grenzkonflikten zu einer fühl-
baren politischen Kraft wurde, führte dies audi in den betreffenden
Armeen zu folgenreichen Veränderungen. Chile hatte im Pazifischen
Krieg gezeigt, wie nützlich ein wohlausgebildetes und -ausgerüstetes
Heer für die Bewahrung und Ausdehnung der Grenzen sein konnte.

') John J. J o h n s o n , The Military and Society in Latin America, Stanford


(Calif.) 1964, S. 3.
*) (Alfred A r e η t), Ein Land der Zukunft. Ein Beitrag zur näheren Kenntnis
Argentiniens. Von einem deutschen Offizier, München (1906), S. 166.
*) Ausgezeidineter Uberblick bei J o h n s o n , The Military, S. 20 ff.; vgl. auch
Edwin L i e u w e η , Arms and Politics in Latin America, New York 1960, S. 17 ff.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 279

Das Beispiel wirkte stilbildend, und so entwickelte sich das Militär auch
andernorts zu einem Instrument des nationalen Prestiges und einer
entschlossenen Außenpolitik; gleichzeitig fungierte es als loyale Polizei-
truppe der regierenden Oligarchien*. Damit begann ein kostspieliger
Rüstungswettlauf, der bis zum Erwerb riesiger, von den unausgebilde-
ten Mannschaften nicht zu handhabender Dreadnoughts führte, sowie
— wiederum nach chilenischem Beispiel — eine Modernisierung und
Professionalisierung der Armeen und die Ausrichtung des Militär-
wesens auf ständige Kriegsbereitschaft und militärische Effizienz ent-
sprechend den Anforderungen der modernen Kriegführung und Waf-
fentechnik. Mittel hierzu waren neben der organisatorischen Umgestal-
tung und der Verbreiterung der materiellen Basis vor allem die Ein-
führung einer streng geregelten, berufsspezifischen Ausbildung der
Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, gekoppelt mit der Durch-
setzung des Leistungsprinzips bei Beförderungen.
Professionalisierung bedeutete aber auch Entpolitisierung, d. h. die
Militärs zogen sich auf den isolierten Bereich ihres Berufes zurück, ver-
zichteten weitgehend auf Interventionen im politischen Raum und
schlössen andererseits politische Eingriffe in innermilitärische Ange-
legenheiten aus.
Die Entpolitisierung war jedoch nicht von Dauer. Schon bald zeigte
sich, daß die Professionalisierung nur einen neuen Typ von Militaris-
mus geschaffen hatte. War das Militär vorher eher eine parasitäre
Gruppe gewesen, so trat es nun mit dem Anspruch auf, das eigentlich
nationale und fortschrittliche Element im Staate zu sein, das Ordnung
und Fortschritt nach Übernahme der Macht auch in der Gesamtgesell-
schaft durchzusetzen im Stande sei, ohne dabei die traditionellen Werte
zu verraten. Hier wurde das ideologische Gerüst geschaffen, das zur
moralischen Legitimierung der so häufigen Militärputsche in der neue-
ren lateinamerikanischen Geschichte diente 5 .

·) J o h n s o n , The Military, S. 69.


s
) Zum Prozeß der Professionalisierung siehe J o h n s o n , The Military, S. 68 ff.
und S. 113 ff.; L i e u w e n , Arms, S. 31 ff. Vgl. auch Edwin L i e u w e η , The
Changing Role of the Military in Latin America, in: Journal of Interamerican Stu-
dies 3, Nr. 4, 1961, S. 559—569. Jacques L a m b e r t , Amérique Latine. Structures
sociales et Institutions politiques, Paris 1963, S. 266 ff. S. E. F i η e r , Military and
Society in Latin America, in: Latin American Sociological Studies. The Sociological
Review: Monograph Nr. 11. Keele, Staffordshire 1967, S. 133—151. An Detail-
studien siehe u. a. Marvin G o 1 d w i r t , The Rise of Modem Militarism in Argen-
280 Gerhard Brunn

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß die strukturelle und


ideologische Umgestaltung der lateinamerikanischen Armeen in einer
Zeit steigender nationaler Empfindlichkeiten und heftiger Xenophobie
ausgerechnet mit ausländischer Hilfe durchgeführt werden mußte.
D a s geschah, indem man europäische Offiziere als Instrukteure an die
militärischen Bildungsanstalten oder direkt zur Truppe verpflichtete,
oder eigene Offiziere zur Dienstleistung in fremde Armeen komman-
dierte. Einen tiefgreifenden Einfluß hat hierbei das deutsche Militär-
system ausgeübt. Deutsche Offiziere arbeiteten in Chile, Argentinien
und Bolivien. Offiziere dieser Länder und aus Brasilien dienten in der
preußischen Armee, und durch die Rolle, die Chile und Argentinien als
Vorbilder f ü r andere lateinamerikanische Armeen gewannen, dehnte
sich der deutsche Einfluß mittelbar auf den ganzen Kontinent aus.
Deutsche Offiziere formten nicht nur weitgehend die Organisation der
betreuten Armeen, sondern waren auch Werkzeuge von Diplomatie
und Wirtschaft, und nidit zuletzt wurde durch sie der deutsch-franzö-
sische Gegensatz in das Militärwesen ihrer Gastländer hineingetragen e .
Die Aufgabe der vorliegenden Arbeit ist es, einige Einblicke in diese
Entwicklung zu geben.

tina, in: The Hispanic American Historical Review (HAHR) 48, Nr. 2, 1968,
S. 189—205; Frederick M. N u n n , Military Rule in Chile: The Revolutions of
September 5, 1924 and January 23, 1925, i n : H A H R 47, Nr. 2, 1967, S. 1—24, und
dazu die zahlreiche Literatur über den „Tenentismo" in Brasilien. Zu der erst kürz-
lich in Gang gekommenen grundsätzlichen Diskussion über die Rolle des Militärs in
der lateinamerikanischen Gesellschaft vgl. vor allem L. N . M c A l i s t e r , Recent
Research and Writings on the Role of the Military in Latin America, in: Latin
American Research Review 2, Nr. 1, 1966, S. 5—36, und Martin C. N e e d i e r ,
The Latin American Military: Predatory Reactionaries or Modernizing Patriots? in:
Journal of Interamerican Studies 11, Nr. 2, 1969, S. 237—244.
*) Für einige knappe, wenn auch zum Teil irreführende Hinweise über Rolle und
Bedeutung der Instrukteure siehe J o h n s o n , The Military, S. 70; L a m b e r t ,
Amérique Latine, S. 273; Gustavo B e y h a u t , Süd- und Mittelamerika II. Von
der Unabhängigkeit bis zur Krise der Gegenwart. Fischer Weltgeschichte Bd. 23,
Frankfurt 1965, S. 141 f.; Arthur P. W h i t a k e r , Argentine. Englewood Cliffs
(New Jersey) 1964, S. 84 f.; Siegfried B e n i g n u s , Deutsche Kraft in Südamerika.
Historisch wirtschaftliche Studie von der Konquista bis zur Gegenwart, Berlin 1917;
Wilhelm F a u ρ e 1, Las Relaciones del Ejército Alemán con los de los Países Ibero-
Americanos, in: Ibero-America y Alemania. Obra colectiva sobre las relaciones
amistosas, desarme e igualdad de derechos. Hrsg. von Wilhelm F a u ρ e 1 u. a., Berlin
1933, S. 171—175.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 281

Die V e r p f l i c h t u n g deutscher I n s t r u k t e u r e
nach Chile, A r g e n t i n i e n und Bolivien

Im allgemeinen setzt man den Beginn der Professionalisierung la-


teinamerikanischer Armeen 1885 in Chile an. Der Pazifische Krieg
(1879—1883) hatte gezeigt, wie ungenügend die Offiziere für den
Ernstfall vorbereitet waren, und so fand der ehemalige Leiter der
Militärschule, General Sotomayor, offene Ohren, als er die Anwer-
bung europäischer Lehrer für diese Schule vorschlug. Für ihn als
eifrigen Bewunderer der preußischen Armee kamen eigentlich nur
preußische Lehrer in Frage, und 1884 gelang es, den preußischen Leut-
nant Schenk als Lehrer der Artillerie und des Befestigungswesens zu
gewinnen 7 . Ein Jahr später folgte — wie es heißt, auf Vorschlag Gene-
ralfeldmarschall Moltkes - Emil Körner, Hauptmann à la suite des
thüringischen Feldartillerieregiments Nr. 19 und Lehrer an der Ver-
einigten Artillerie- und Ingenieurschule, als Lehrer für Ballistik, Tech-
nik und Strategie. In den folgenden Jahren wurde Körner zum Motor
der chilenischen Heeresreform, setzte damit die gleichlaufenden Pro-
zesse der Nachbarstaaten in Gang und erreichte in Chile so großen
Einfluß wie kaum ein anderer Ausländer vor oder nach ihm 8 .
Seinem Tatendrang genügte die Stellung als Lehrer nicht. Schon
kurz nach seiner Ankunft begann er Reformpläne für den Unterricht
der Kadetten auszuarbeiten und durchzusetzen und war maßgeblich
an der Gründung und Organisation der 1887 gegründeten Militär-
akademie beteiligt. Sein Einfluß wuchs. 1888 wurde er zum „subdirec-
tor técnico" der Kriegsschule ernannt. Doch kam es auch zu Reibereien
mit chilenischen Kameraden, und er hätte sich wohl nie ernsthaft gegen

') Victor v o n H a r t r o t t , Der Deutsche Einfluß im Chilenischen Heere, in :


Deutsche Arbeit in Chile. Festschrift des Deutschen Wissenschaftlichen Vereins zu
Santiago zur Centenarfeier der Republik Chile, (Verhandlungen des Vereins, Band
VII, Heft 1—2), Band II, Santiago de Chile 1913, S. 4.
e
) Emil Körner wurde am 10. Oktober 1846 in Wegwitz bei Merseburg geboren,
Eintritt 1866 in die Armee, 1868 zum Leutnant ernannt, ab 1869 Besuch der Ver-
einigten Artillerie- und Ingenieurschule, Kriegsteilnahme, 1873—76 Besuch der
Kriegsakademie, 1881 zum Hauptmann befördert und Kommandierung als Lehrer
an die Vereinigte Artillerie- und Ingenieurschule. 1885 Abschied. Gestorben 1920 in
Berlin. Zu seiner Verpflichtung in Chile vgl. Francisco Antonio E n c i n a , Histo-
ria de Chile, Tomo XVIII, Santiago 1951, S. 255; Kurt v o n B o r c k e , Deutsche
unter fremden Fahnen, Berlin 1938, S. 294; E(mil) K ö r n e r , Die historische Ent-
wicklung der chilenischen Wehrkraft, in: Beihefte zum Militär-Wodienblatt 1910,
S. 142.
282 Gerhard Brunn

das traditionelle Offizierskorps durchsetzen können und wäre eine


Randfigur in der lateinamerikanischen Militärgeschichte geblieben,
wenn nicht ein außerordentliches Ereignis ihn plötzlich zu einem der
einflußreichsten Männer im Staate und der Armee emporgetragen
hätte*.
1891 weitete sich der schwelende Konflikt zwischen dem chilenischen
Reformpräsidenten Balmaceda und dem traditionalen Kongreß zum
Bürgerkrieg aus. Körner ging zur Kongreßpartei über und übernahm
Organisation, Disziplinierung und Ausbildung der zusammengewür-
felten Rebellentruppen. In kurzer Zeit hatte er eine schlagkräftige
Truppe aus dem Boden gestampft. In zwei entscheidenden Treffen
wurden die Regierungstruppen geschlagen. Balmaceda ging ins Exil
und beging Selbstmord. Körner aber galt nach dem Sieg als „Chileni-
scher Moltke und Roon in einer Person" 10. Auch in deutschen Augen
reditfertigte der Erfolg den Verrat. Nadi einer Anstandsfrist zeichnete
der Kaiser Körner mit dem preußischen Kronenorden aus 11 . In Chile
behielt er seinen im Kriege erworbenen Posten als Generalstabschef,
rückte 1896 zum Divisionsgeneral auf - in Chile der höchste militä-
rische Rang - und trat 1904 mit der Berufung zum Heeresinspekteur
an die Spitze des Heeres. Das war die Basis, auf der gegen alle Wider-
stände das chilenische Heer vollständig nach preußisch-deutschem
Muster umgestaltet werden konnte 18 .
Nach einer dreijährigen Übergangszeit, die der Homogenisierung
des Offizierskorps und der Erhaltung und Festigung der inneren Ord-

*) K ö r n e r , Die historische Entwicklung, S. 142 fí.; E n c i n a , Historia, Tomo


X I X , S. 334 f.
10
) Ges. Treskow an AA, Viña del Mar, 6. 3. 93, Politisches Archiv des Auswärti-
gen Amtes, Bonn, Chile 1 Bd. 20 (künftig zitiert als Pol. Α.).
" ) Ges. Gutschmidt an AA, 1. 9. 91; Erlaß an Gutschmidt, 17. 10. 91, Pol. Α.,
Chile 1/13; Militärkabinett an AA, 3. 1. 93; Erlaß an Ges. Treskow, 8. 1. 93, Pol. Α.,
Chile 1/19, Treskow, 6. 3. 93, Pol. Α., Chile 1/20. Gegen Körners Verrat an Bal-
maceda polemisierte eigentlich nur Maximilian H a r d e n , in: Die Zukunft Nr. 61,
1894, S. 1—7 und Nr. 74, S. 8—10. Zu den Ereignissen des Bürgerkriegs aus deut-
scher Sicht vgl. S c h a u m a n n , Die militärischen Ereignisse während des chile-
nischen Bürgerkrieges im Jahre 1891, in: Beihefte zum Militär-Wochenblatt 1892,
S. 199 ff.; K ö r n e r , Die historische Entwicklung, S. 145 ff.; zum Problem der
Historiographie des chilenischen Bürgerkrieges siehe Harold B l a k e m o r e , The
Chilean Revolution of 1891 and its Historiography, in: H A H R , 45, Nr. 3, 1965,
S. 393—421.
1!
) Zu einer Gesamtwürdigung Körners, wenn auch mit einzelnen Ungenauig-
keiten, siehe B o r c k e , Deutsche, S. 296 fi.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 283

nung der Armee diente, sah Körner den Zeitpunkt für die eigentliche
Reorganisation gekommen. Die allgemeine politische Lage gab ihm ein
wirkungsvolles Druckmittel in die Hand. Der seit längerer Zeit schwe-
lende Grenzstreit zwischen Argentinien und Chile strebte einem neuen
Höhepunkt zu; Militärs hielten eine kriegerische Auseinandersetzung
über kurz oder lang für unvermeidlich Eine günstigere Gelegenheit,
gegen den Widerstand eines beleidigten Nationalgefühls und eines um
seinen Einfluß bangenden Offizierskorps ausländische Instrukteure zu
verpflichten, konnte es nicht geben.
Als sich Körner Mitte 1894 nach Europa begab, ahnten weder der
deutsche Gesandte in Santiago nodi das Auswärtige Amt in Berlin
etwas von dem wirklichen Zweck dieser Reise, und auch der kaiser-
liche Vertreter in Buenos Aires konnte guten Gewissens Anfang 1895
die ersten Zeitungsberichte über eine bevorstehende Kontraktierung
deutscher Offiziere dementieren 14 . Im April stellte sich jedoch heraus,
daß die Zeitungen besser informiert gewesen waren. Der Antrag zur
Anwerbung von Ausbildern war unter Umgehung der deutsdien diplo-
matischen Behörden direkt über Kaiser und Militärkabinett gelau-
fen 1β. Im Sommer des Jahres unterschrieben 37 jüngere Offiziere ihre
Verträge und begaben sich nadi Chile, wo sie drei Jahre lang, über das
ganze Land verstreut, bei Truppenteilen und in militärischen Bildungs-
anstalten daran arbeiteten, ihren chilenischen Kameraden die Techniken
der modernen Kriegführung und Truppenausbildung zu vermitteln 1β .
Bei den Nachbarn Chiles rief diese Entwicklung so lebhafte Erörte-

" ) K ö r n e r , Die historische Entwicklung, S. 152 f.; zur internationalen Lage


in Südamerika Mitte der 90er Jahre siehe Robert N. B u r r , By Reason or Force.
Chile and the Balancing of Power in South America, 1830—1905, Berkeley and Los
Angeles 1967, S. 167 S.; zu den Kriegsgerüditen Ges. Krauel an AA, Buenos Aires
18. 5. 94, Pol. Α., Chile 1/21 oder etwa die Bemerkung des argentinischen Präsidenten
im Februar 1896 „La política, pues, por abora es prepararnos seria y sólidamente
para una guerra próxima, . . . " in: Diego A b a d d e S a n t i l l á n , Historia Argen-
tina, Buenos Aires 1965, Bd. 3, S. 437.
" ) Treskow an AA, 4. 5. 94, Pol. Α., Chile 1/21 ; Tele. Goltz an AA, Buenos Aires,
5. 3. 95; Randbemerkung Legationsrat Lindenau zu entsprechendem Artikel der
Hamburger Nachriditen vom 1. 2. 95, alles Pol. Α., Chile 1/21.
" ) Schreiben Militärkabinett an AA, auszugsweise Kopie, 15. 4. 95, Pol. Α., Chile
1/22.
" ) K ö r n e r , Die historische Entwicklung, S. 168 f.; H a r t r o t t , Der deutsche
Einfluß, S. 9; Jaime E y z a g u i r r e , Chile durante el Gobierno de Errázuriz
Ediauren 1896—1901, Santiago de Chile 1957, S. 84. Β e η i g η u s, Deutsche Kraft,
S. 58.
284 Gerhard Brunn

rungen hervor, daß ζ. Β. die deutschen Kaufleute in Argentinien ge-


schäftliche Einbußen befürchteten. La Prensa in Buenos Aires meinte
auf die ersten Gerüchte hin> aus Friedensgründen sollte doch kein Miß-
trauen geschürt werden, und sollte sich die Nachricht bewahrheiten, so
müsse man sich fragen, ob die Neutralität nicht wenigstens dem Geist
nach verletzt werde. Die Nützlichkeit der Maßnahme wurde bezwei-
felt, weil — wie La Nación schrieb — der gekränkte nationale und per-
sönliche Stolz der chilenischen Offiziere einen Erfolg der Mission
unwahrscheinlich erscheinen lasse17.
Unmittelbare Konsequenzen zog als erste die peruanische Regierung.
Sie kontraktierte ihrerseits im September 1896 eine aus sieben Mitglie-
dern bestehende Militärmission in Frankreich, die in wechselnder Stärke
und Besetzung bis zum Ausbruch des Weltkrieges für die Modernisie-
rung der peruanischen Streitkräfte sorgte 18 .
Für Chile erwies sich die Mission als ein großer Erfolg, und als
1898 die meisten Offiziere nach Deutschland zurückkehrten, war der
deutsche Einfluß auf breiter Ebene fest gegründet. Daß er erhalten
blieb, dafür sorgten neben Körner diejenigen Offiziere, die wie er in
die chilenische Armee übernommen wurden, wie etwa der Oberst im
chilenischen Generalstab Deinert oder Hauptmann Ziegert als Major
in der Feldzeugmeisterei le . Außerdem war auch in der Folgezeit stän-
dig ein kleiner deutscher Beraterstab an den verschiedenen Schulen und
im Generalstab tätig, und die höhere Militärwissenschaft an der Kriegs-
akademie, wie Taktik, Generalstabsdienst usw., blieb bis zum Ausbruch
des Krieges eine Domäne deutscher Lehrer 80 .
Es kamen jedoch nidit nur deutsche Offiziere nach Chile, sondern
nach ersten Verhandlungen 1895 wurden von der Jahrhundertwende an
regelmäßig chilenische Offiziere in deutsche Truppenteile komman-
diert, und es bildete sich die Gewohnheit heraus, einige der besten
Absolventen der Kriegsakademie in Santiago de Chile für einige Zeit

") „La Prensa", 4. 1. 95, nach den „Hamburger Nachrichten", 1. 2. 95; „La N a -
ción", 17. 7. 95; Heintze, Buenos Aires, 20. 7. 95, Pol. Α., Chile 1/23.
1S
) Militär-Wochenblatt 88, 1 (1903), Spalte 1371; M-W 91, 1 (1906), Sp. 968 ff.;
Ges. Hacke, Lima 6. 8. 1910, Pol. Α., Bolivien 1/12.
" ) Körner an dt. Gesandten Castell, Santiago 31. 10. 1902, Pol. Α., Chile 1/20;
Hauptmann Niemöller, kommandiert zur Gesandtschaft in Santiago, Anlage zu
Erckert, 1. 7. 1914, Pol. Α., Chile 7/2; zu einzelnen übergetretenen Offizieren siehe
audi die Berichte in: Deutsche Arbeit, S. 12 ff.
!0
) Hauptmann Niemöller, siehe Anm. 19.
L a t e i n a m e r i k a n i s c h e A r m e e n v o r dem 1. W e l t k r i e g 285

nach Deutschland zu schicken. Bis 1913 hatten ca. 150 chilenische


Offiziere diese Schule durchlaufen 21 .
Mit der argentinischen Armee war es vom Standpunkt der Profes-
sionalisierung aus gesehen noch schlechter bestellt als mit der chileni-
schen. Zwar hatte man auf Grund der bösen Erfahrungen im Para-
guaykrieg (1865—70) Anläufe unternommen, das argentinische Heer
nach modernen europäischen Vorbildern auszurichten, hatte eine Mili-
tärschule gegründet und schickte regelmäßig Offiziere zur höheren
Fachausbildung an die Kriegsakademien in Belgien, Frankreich und
Italien, doch setzte sich angesichts des chilenischen Beispiels die Uber-
zeugung durch, daß man auf diesem Wege nicht recht weiterkommen
werde 22 . 1895 berichtete der deutsche Geschäftsträger in Buenos Aires
erstmals von Plänen der argentinischen Regierung, an eine nach chile-
nischem Vorbild zu errichtende Kriegsakademie deutsche Offiziere zu
berufen 23 . Vier Jahre später konkretisierten sich diese Pläne. Es wurde
beschlossen, die Kriegsakademie zu gründen und einen preußischen
Offizier mit ihrer Organisation zu betrauen 24 . Der von Präsident
Roca und seinem Kriegsminister Campos ausgewählte Oberst Arent
warb seinerseits vier weitere Offiziere als Lehrer für die argentinischen
Generalstobsoffiziere an und am 1. April 1900 konnten die ersten
Kurse beginnen 25 . Auch wenn Arent sich mit Campos' Nachfolger
Riccheri zerstritt und dieser die willkommene Gelegenheit einer dis-
ziplinarischen Auseinandersetzung zwischen den deutschen Offizie-

" ) Ebda.
! ! ) Fritz T . E p s t e i n , Argentinien und das deutsche Heer. Ein Beitrag zur
Geschichte europäischer militärischer Einflüsse auf Südamerika, in: Geschichtliche
K r ä f t e und Entscheidungen. Festschrift zum fünfundsechzigsten Geburtstage v o n
Otto B e c k e r , hrsg. von Martin G ö h r i n g und Alexander S c h a r f f ,
Wiesbaden 1954, S. 288.
Geschäftsträger Heintze, 7. 10. 1 8 9 5 , Pol. Α., Argentinien 9/1.
M ) Nach Generaloberst v o n der Goltz, der 1 9 1 0 zur Jahrhundertfeier der argen-

tinischen Unabhängigkeit als Sonderbotschafter nadi Buenos Aires kam, w a r es dem


Einfluß des zweimaligen Bürgermeisters v o n Buenos Aires und späterem Leiter der
Kriegsintendantur, Francisco Seeber, zuzuschreiben, daß deutsche O f f i z i e r e berufen
wurden. Seeber entstammte einer der ältesten deutsch-argentinischen Familien. Gene-
raloberst von der Goltz, Berlin 24. 7. 1 9 1 0 , Pol. Α., Argentinien 9/10. Angeblich
w a r anfangs der französische Oberst Picquard nach Argentinien gebeten worden,
hätte jedoch wegen seiner Rolle im D r e y f u s - P r o z e ß nicht zusagen können.
E p s t e i n , Argentinien, S. 288 f. Es f r a g t sich doch, ob hier nicht eine Verwechs-
lung mit späteren Plänen dieser A r t vorliegen, die A r e n t zu energischem Einspruch
bei Präsident Roca veranlaßten. Wangenheim, 3 1 . 3. 1902, Pol. Α., Argentinien 9/2.
" ) Ges. Wangenheim, 31. 2. 1 9 0 2 , Pol. Α., Argentinien 9/2.
286 Gerhard Brunn

ren ergriff, um den unliebsamen Direktor der Kriegsakademie vor-


zeitig nach Deutschland zurückzuschicken und einen argentinischen
Nachfolger zu ernennen2", so änderte das dodi nichts an dem wachsen-
den deutschen Einfluß im argentinischen Heer, zumal nach Richens
Ablösung. Nach der unerquicklichen Arent-Affaire hatten auf deut-
scher Seite Überlegungen bestanden, von sich aus auf die Einflußnahme
zu verzichten. Als Kaiser und Generalstab erwogen, der argentinischen
Bitte um Entsendung weiterer Lehrer nicht mehr Folge zu leisten und
keine weiteren Offiziere zum Dienst in Argentinien freizustellen, riet
das Auswärtige Amt aber dringend ab. Angesichts der Tatsache, daß
in Chile eine Anzahl deutscher Offiziere tätig sei, könne ein solcher
Entschluß nur Mißstimmung hervorrufen; außerdem sei es angesichts
der starken handelspolitischen Interessen in Argentinien nicht geraten,
die argentinische Regierung schlechter als die chilenische zu behan-
deln".
In der Folgezeit bildeten bis zum Ausbruch des Weltkrieges ständig
vier bis sechs deutsche Offiziere die argentinische militärische Elite aus,
unter ihnen so bekannte Leute wie der Sohn der Generalobersten von
der Goltz oder die späteren Generale Bronsart v. Schellendorf,
Kretzschmar und Faupel, von denen der letztere auch noch nach dem
Kriege eine bedeutende Rolle im südamerikanischen Militärwesen
spielen sollte. Deutsche Offiziere leiteten die Ausbildung an der Schieß-
schule, waren Lehrer an der Kadettenanstalt und betreuten den Unter-
offiziersnachwuchs !S .
Über die Verpflichtung deutscher Offiziere hinaus folgte Argen-
tinien auch dem chilenischen Beispiel mit der Kommandierung seiner
Offiziere zur deutschen Armee. 1895 stießen die vom Geschäftsträger
in Buenos Aires berichteten Vorstellungen argentinischer Kreise auf

M
) Zu der Affaire siehe Berichte und Privatbriefe Wangenheims, 31. 3. 1902;
1. 4. 1902; 10. 4. 1902; 15. 4. 1902; 20. 7. 1902; 7. 8. 1902 und 24. 9. 1902; Absdirift
Brief Arent, 18. 8. 1902, Berlin; AA an Chef des Generalstabes 9. 5. 1902; Chef des
Generalstabes an AA, 17. 8. 1902; alles Pol. Α., Argentinien 9/2.
" ) Chef des Generalstabes an AA, 21. 3. 1903; AA an Militärkabinett, 27. 1. 1903,
eilig, Pol. Α., Argentinien 9/3.
28
) Vgl. hierzu die große Anzahl der militärischen Berichte der verpflichteten
Offiziere und die Gesandtschaftsberichte, u. a. Leutnant Lohmann, zur Ges. in
Buenos Aires kommandiert, 15. 9. 1908; Bericht der Hauptleute Perinet v. Thauvenay,
Kretzsdimar, v. d. Goltz, 5. 10. 1908, Pol. Α., Argentinien 9/6; v. d. Goltz, vertr.,
13. 12. 1909, Pol. Α., Argentinien 9/9; Ges. Bussdie-Haddenhausen, 3, 11. 1910,
Pol. Α., Argent. 9/10; Hauptmann Scheven, z. Gesandtschaft kommandiert, 4.2.1914,
Pol. Α., Argentinien 9/13.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 287

scharfe Ablehnung des Kaisers2*. Vier Jahre später stimmte er jedodi


einer durch Arent vermittelten entsprechenden Bitte Präsident Rocas zu
und war sehr verärgert, als dieser die gegebene Zusage aus politischen
Gründen nicht ausnützen konnte 30 . 1904, nadi der Rückkehr von
General Campos auf den Stuhl des Kriegsministers, wurde der Antrag
erneuert und die ersten dreißig Argentinier kamen nach Deutschland,
die jeweils in eineinhalbjährigem Turnus ausgewechselt wurden 81 . Als
einzigem lateinamerikanischen Land wurde Argentinien auch gestattet,
ausgewählte Offiziere auf die Kriegsakademie nach Berlin zu schicken;
da sich aber Mißhelligkeiten wegen der Verbreitung militärischer Ge-
heimnisse ergaben, wurde die Berliner Akademie bald für alle aus-
ländischen Offiziere gesperrt 82 .
Das dritte Land, für das eine deutsche Militärmission verpflichtet
wurde, war Bolivien. Seit der Jahrhundertwende arbeiteten audi im
bolivianischen Heer deutsche Offiziere als Ausbilder, nachdem der
Ministerresident in La Paz das befürwortet hatte. Das geschah jedodi
nodi nicht im Rahmen einer offiziellen Mission. Es waren inaktivierte
Offiziere, die Privatverträge mit der bolivianischen Regierung abge-
schlossen hatten, wie z. B. der preußische Freiherr v. Plotho oder der
bekannte Militärschriftsteller v. Vacano8*. Ihre Wirkungsmöglichkeit
war gering. Immerhin führten sie Einzelheiten des preußischen Regle-
ments ein, mußten sich aber im übrigen bei der Reorganisation auf
äußere Details beschränken M .
Offiziell wurde vorerst 1905 eine französische Mission verpflichtet.
Der frankophile Präsident Ismael Montes bat den französischen
Pionieroberst Sever, der sich als Vertreter französischer Firmen in La
Paz aufhielt, den Generalstab, das militärische Bildungswesen und das

u
) Geschäftstr. Heintze an AA, 7. 10. 1895, Pol. Α., Argent. 9/1.
M
) Schreiben Arents, Abschrift, Berlin 18. 8. 1902, Pol. Α., Argentinien 9/2.
A r e n t , Ein Land, S. 174.
,l
) A r e n t , Ein Land, S. 186; Vortrag des aus Deutschland zurückgekehrten
Hauptmann Kinkelin vor dem deutschen Kriegerverein in Buenos Aires, in: Deutsche
La Plata Zeitung, 12. 6. 07; Aufzeichnung im AA, 30. 4. 1906, Pol. Α., Argentinien
9/4; E p s t e i n , Argentinien, S. 289.
M
) V. Löbell's Jahresberichte über das Heer- und Kriegswesen 33, 1906, S. 41;
Ges. Erckert, Santiago de Chile, 18. 5. 1912, Pol. Α., Chile 7/1.
S1
) Julio D i a z Α., Historia del Ejército de Bolivia 1825—1932, La Paz 1940,
S. 759, S. 77, S. 153. Alfred v o n P a w l i k o w s k i - C h o l e w a , Heeresge-
schichte der Völker Afrikas und Amerikas, Berlin 1943, S. 239.
M
) Militär-Wochenblatt 92,1 (1907), Sp. 143 f.; Ministerresident Harthausen, La
Paz, 31. 1. 1910, Pol. Α., Bolivien 1/12.
288 Gerhard Brunn

Heer zu reorganisieren. Sever zog vier weitere französische Offiziere


nach, arbeitete das Gesetz zur allgemeinen Wehrpflicht aus und führte
zum erstenmal in Bolivien Manöver durch Si . Trotzdem war man mit
seiner Arbeit nicht zufrieden, aber es waren wohl vor allem politische
Gründe und die Gegnerschaft zwischen Präsident Montes und dem
seinerzeit beiseite gedrängten Oberbefehlshaber des Heeres, General
Pando, die den neuen Präsidenten Villazon bewogen, der französischen
Mission zu kündigen und eine deutsche zu berufen 3e .
Der deutsche Ministerresident in La Paz, Harthausen, unterstützte
die Bewerbung vor allem aus handelspolitischen Gründen. Er schrieb,
die politischen Verhältnisse seien stabil, das Offizierskorps halte sich in
neuerer Zeit aus der Politik heraus und wenn Deutschland nicht auf die
Bitte eingehe, werde ein anderes Land die Arbeit übernehmen S7 . Nach
der Annahme der deutschen Bedingungen durch die bolivianische Regie-
rung wurde dem Gesandten in Berlin gestattet, die Kontrakte auszu-
handeln 38 .
Die unter Oberst Kundt nach Bolivien geschickte Mission hatte einen
anderen Charakter als die nach Chile und Argentinien verpflichteten
Missionen. Einmal setzte sie sich nicht nur aus Offizieren, sondern
auch aus dreizehn Unteroffizieren zusammen, und zum anderen galt
Kundt von vornherein als Chef der Mission, dem· die anderen Mit-
glieder unterstellt waren, eine Maßnahme, die disziplinarischen Aus-
einandersetzungen wie in Argentinien einen Riegel vorschob, die Stel-
lung Kundts gegenüber der Regierung verbesserte und sich offensichtlich
sehr bewährte8®.
In Chile war man über Kundts Entsendung nicht sehr erbaut, wie
man auch Arents Mission in Argentinien mit Mißfallen beobachtet
hatte. Man glaubte nicht, daß Bolivien den Verlust der Küstengebiete
an Chile schon verschmerzt habe und fürchtete außerdem, daß die

,s) D i a z Α., Historia, S. 759 f.


**) Ebda., S. 761, Aufzeichnung Ministerresident Harthausen, Berlin, 11. 4. 1909,
Po!. Α., Bolivien 1 / 1 0 ; Harthausen, La Paz, 31. 1. 1910, Pol. Α., Bolivien 1 / 1 2 ;
Ministerresident v. Sanden, 14. 10. 1912, Pol. Α., Bolivien 1 / 1 5 .
" ) Harthausen, 31. 1. 1910, Pol. Α., Bolivien 1/10.
3Θ) Kriegsministerium an A A , 17. 6. 1910; A A an Kriegsministerium, 27. 9. 1910,

beides Pol. Α., Bolivien, 1 / 1 2 ; D i a z Α., Historia, S. 761.


•·) Zu Kundt allgemein, B o r c k e , Deutsche, S. 298 ff.; Zusammensetzung der
Mission bei D i a ζ Α., Historia, S. 7 6 2 ; Harthausen 31. 1. 1910, Pol. Α., Bolivien
1 / 1 2 ; zu den Unteroffizieren Reisebericht General Gayl, 14. 12. 1911, Pol. Α., Boli-
vien 1/14.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 289

gesteigerte Wehrkraft anderer Nationen die chilenische Sonderstellung


schmälere40.
Schon auf der Uberfahrt nach Südamerika wurden die Mitglieder
der Mission im Rahmen eines straffen Dienstplans auf ihre künftigen
Aufgaben vorbereitet, so daß diese bei ihrer Ankunft in La Paz sofort
mit der Arbeit beginnen konnten 41 . Kundt selbst setzte sich schnell und
energisch durch, und innerhalb kurzer Zeit erlangte er eine bemerkens-
werte Popularität. Er wurde Chef des Generalstabes, und schon nach
einjährigem Aufenthalt wählte der Senat ihn gegen starke Konkurrenz
inländischer Offiziere zum General4*. Auch die Verpflichtung von
Unteroffizieren, der man anfangs skeptisch gegenübergestanden hatte,
bewährte sich
Auch der wiedergewählte Ismael Montes, von dem man eine Wie-
dereinführung des französischen Systems erwartet hatte, erneuerte
Kundts Vertrag und die der anderen Offiziere und Unteroffiziere,
die bleiben wollten, und verpflichtete für die ausscheidenden Mit-
glieder der Mission Ersatz 44 . Wie die deutschen Offiziere in den an-
deren Ländern, verließen allerdings die Instrukteure in Bolivien sofort
bei Ausbruch des Krieges das Land. Kundt, der einige Wochen vorher
zum Urlaub nach Deutschland gereist war, rückte auch hier zum
General auf, und sollte nach dem Kriege noch eine bedeutsame Rolle in
der bolivianischen Geschichte spielen 4i .
Wie schon gesagt, dehnte sich der deutsche Einfluß über die genann-
ten Länder hinaus mittelbar über das ganze übrige Lateinamerika aus.
Insbesondere das chilenische Militär wurde zum Lehrmeister von wei-
teren Armeen auf dem Kontinent. Entweder wurden chilenische Aus-
bilder erbeten oder Offiziere der betreffenden Armeen kamen zur Er-
weiterung ihrer Kenntnisse nach Chile.

40
) Ges. Erdtert, Santiago, 26. 2. 1911, Pol. Α., Bolivien 1/13.
41
) B o r c k e , Deutsche, S. 299.
" ) Ministerresident v. Sanden, 10. 8. 1911; N o t e der bolivianischen Gesandt-
schaft, 29. 8. 1911, beides Pol. Α., Bolivien 1/13; V. Sanden, 14. 10. 1912 u. 20. 11.
1912, Pol. Α., Bolivien 1/15. In Südamerika bestand generell die Praxis, Generals-
stellen durch den Senat besetzen 2U lassen.
" ) Reisebericht General Gayl, 14. 12. 1911, Pol. Α., Boliv. 1/14.
44
) Geschäftsträger Hinz, 26. 6. 1913; 21. 8. 1913; 5. 11. 1913; Kundt an Minister-
residenten, 5. 11. 1913, alles Pol. Α., Bolivien 1/15. D i a z Α., Historia, S. 764.
« ) Ebda.; B o r c k e , Deutsche, S. 299 ff.; F a u ρ e 1, Las Relaciones, S. 172. Auch
Paraguay bat 1914 um die Entsendung deutscher Offiziere. Hier konnte jedoch wegen
des Ausbruchs des Weltkrieges nicht mehr mit der Arbeit begonnen werden. Ebda.
290 Gerhard Brunn

1899 machte das mit Chile durch gemeinsamen Antagonismus gegen


Peru verbundene Ekuador einen Anfang und erbat einen chilenischen
Offizier. Schon 1902 waren die dem deutschen Vorbild angelehnten
Vorschriften für den inneren Dienst der chilenischen Armee, die Körner
ausgearbeitet hatte, in Bolivien, Ekuador, Guatemala, Kolumbien und
Paraguay eingeführt worden 46 . Oberst Jara, 1911 für wenige Monate
Diktator in Paraguay, und einige seiner Offiziere waren zur militäri-
schen Ausbildung in Chile gewesen. Im Dezember 1911 wurde die Zahl
der in die chilenische Armee aufgenommenen Offiziere aus Paraguay
auf zehn erhöht, und schon vorher war die Ermächtigung erteilt wor-
den, junge Paraguayer in das diilenischeKadettenkorps zu entsenden 47 .
Kolumbien und Bolivien war ein solches Privileg früher zugestanden
worden, so daß es um diese Zeit bereits kolumbianische und bolivia-
nische Offiziere gab, die den strengen chilenischen Ausbildungsgang
durchlaufen hatten 4S .
Chilenische Offiziere reformierten die Armeen in Kolumbien, Ekua-
dor und EI Salvador. Venezuela, dessen Bitte um Entsendung einer
deutschen Mission auf dringendes Anraten des kaiserlichen Vertreters
in Caracas abgelehnt worden war, erbat chilenische Instrukteure, und
die Streitkräfte aller dieser Länder entsandten ihre Offiziere zu den
verschiedenen chilenischen Truppenteilen oder an die Kriegsakademie
in Santiago. Nicht nur in Chile selbst rief diese Entwicklung einigen
Stolz hervor, sondern auch in Deutschland, und zusätzlich notierte der
deutsche Gesandte in Santiago mit Befriedigung, daß sich der chile-
nische Einfluß auch in Waffenbestellungen bei der deutschen Industrie
niederschlage44.

M
) Rede des chilenischen Abgeordneten Bulnes in der Deputiertenkammer, 11. 12.
1902, Anlage zu Bericht Generalkonsul Zimmer, Valparaiso, 19. 12. 1902, Pol. A„
Chile 1/31.
«) Ges. Erckert, 14. 3. 1911, Pol. Α., Chile 1/43; Erckert, 29. 11. 1911, Pol. Α.,
Chile 1/44; Erckert, 29. 12. 1911, Pol. Α., Chile 7/1.
«) v o n L ö b e 11 ' s Jahresberichte 37,1910, S. 52; 38, 1911, S. 50.
Át
) Der Ministerresident Rhomberg in Venezuela hatte dringend von der Ent-
sendung einer Mission abgeraten, da die wenigen „Bataillons-Horden" nur dem
Schutz des jeweiligen Machthabers dienten, die Offiziere auf niedrigem Niveau
stünden und es ζ. B. mehr Generale als Soldaten gebe. Rhomberg, Caracas, 5. 3.
1910; Note venezolanischer Gesandtschaft mit der Bitte um Entsendung, 14.4.
1910; Note des AA mit Ablehnung, 29. 4. 1910, alles Pol. Α., Venezuela 1/37. Audi
in Ekuador gab es Bestrebungen, eine deutsche Mission zu erbitten, Geschäftsträger
Haniel, Santiago, 4. 11. 1913, Pol. Α., Chile 7/1; Zur Bitte Venezuelas an Chile,
Ministerresident Vietinghoff, Caracas, 10. 1. 1914, Pol. Α., Chile 7/2; Zur Arbeit der
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 291

Die d e u t s c h e n O f f i z i e r e und die U m g e s t a l t u n g


von Armeen und militärischen Bildungs-
anstalten

In den Augen preußischer Berufsoffiziere waren die lateinamerika-


nischen Armeen mehr als reformbedürftig. Symptomatisch für ihre
Kritik der vorgefundenen Zustände sind die Ausführungen Körners
bei dem Rückblick auf seine Tätigkeit im Jahre 1910: . . in bezug
auf die militärische Ausbildung stand sie [die chilenische Armee] auf
dem Boden des Napoleonischen Reglements und deren Auslegung durch
Formenkünstler, denen theatralische Wirkungen über praktische Nutz-
anwendungen gingen . . . Wirksame Gefechtsformen, Felddienst, Sdiieß-
dienst und Bajonettfechten kannte sie ebensowenig wie den theoreti-
schen Unterricht über die Wirkungen ihrer Waffen und Gefechtsmärsche
und Gefechtsübungen... die Truppe [bestand] wesentlich aus den-
jenigen Teilen [der Bevölkerung], die zu einer anderweitigen Be-
schäftigung keine Fähigkeit oder Neigung besaßen,... und die Manns-
zudit würde vollständig zugrunde gegangen sein, wenn der Stock, der
bis zu 200 Hieben zudiktiert wurde, und die Ketten (grillos) sie nicht
in brutalster Form erzwungen hätten. Soldat und Auswurf der Mensch-
heit waren ungefähr gleichwertige Bezeichnungen, . . . Aus der Truppe
hervorgegangen, improvisiert aus Personen, die die Begeisterung für
die vaterländische Sache während des Feldzuges50 in die Reihen der
Armeen getrieben hatte, und zum geringsten Teile aus der Militar-
sdhule in Santiago stammend, bildete der Offiziersstand nicht das ge-
schlossene Ganze, welches in einheitlichem Zusammenwirken durch
Wort und Beispiel die Truppe hätte auf das eigene moralische Niveau
heben können" 81 .
Einhelliges Lob wurde nur dem „Soldatenmaterial" zuteil, so wie
es Arent für Argentinien tat, wenn er schrieb, es rekrutiere sich aus

diilenischen Mission in Kolumbien vergi. Ministerresident Kracker, Bogotá, 24. 1.


1912, Pol. Α., Chile 1/45. Gesandter Erckert, 20. 12. 1911, Pol. Α., Chile 7/1; F a u -
p e l , Las Relaciones, S. 172.
50
) Es handelt sich um den Pazifischen Krieg.
51
) K ö r n e r , Die historisdie Entwicklung, S. 139 f. Für eine umfassende kritisdie
Darstellung des diilenischen Heerwesens in den 80er Jahren vergi, vor allem (Emil
K ö r n e r ) , Das Heerwesen von Chile, in: Militär-Wodienblatt 73, 1888, Sp. 743—
750, 1066—1071, 1266—1275, 1602—1610, 1814—1822, 1830—1834. Die Dar-
stellung ist nidit gezeichnet. Wegen der außerordentlichen intimen Detailkenntnisse
ist aber Körner als Autor anzunehmen.
292 Gerhard Brunn

einer ausdauernden, nüchternen, genügsamen, abgehärteten, mit natür-


licher Intelligenz begabten Bevölkerung, die noch nicht durch ungesunde
Mietskasernen und entsprechende Lebensweise verweichlicht sei52.
Heterogenität und mangelhafte Ausbildung des Offizierskorps galt
überall als die größte Ursache für die Ineffizienz der besuchten Armeen.
In Argentinien standen alte Troupiers, die in langandauernden India-
nerkämpfen von der Pike auf gedient hatten, neben übergetretenen
Offizieren aus fast allen europäischen Heeren, zusammen mit Absol-
venten der Kadettenanstalt (colegio militar). So war die militärische
und gesellschaftliche Bildung sehr verschieden. Kameradschaftlicher
Geist fehle fast vollständig, notierte ein Berichterstatter. Die Dienst-
freudigkeit werde durch ein starres Zeremoniell - das insbesondere die
jüngeren Offiziere knebelte - niedergehalten. Denunziation sei häufig.
Es gebe kein Vertrauen und keinen zwanglosen Verkehr, weil jeder
dem anderen politisch mißtraue. Im Militärklub sehe man nur kleine
Gruppen mit vorsichtig geführter leiser Unterhaltung M .
Bei den geschilderten Mängeln ergab sich das Hauptarbeitsfeld für
die deutschen Instrukteure von selbst, und in der Tat waren sie ja auch
vor allem als Lehrer an die militärischen Bildungsanstalten berufen
worden, wo sie für eine sachgemäße Aus- und Fortbildung der Offiziere
sorgen sollten. Das galt auch für Körner, als er 1885 in Chile eintraf.
Die chilenische Kadettenanstalt war die älteste Südamerikas. 1817
gegründet, entsprach sie in den 80er Jahren des Jahrhunderts in keiner
Hinsicht den Notwendigkeiten, wie sich im Kampf gegen Peru und
Bolivien gezeigt hatte Wie etwa auch in Brasilien, diente die Militär-
schule in erster Linie als billige und strenge Erziehungsanstalt, die den
Ubergang zur Universität ermöglichte, und glich eher einem Polytech-
nikum mit militärischer Disziplin als einer Offiziersschule. Der Unter-
richt bestand größtenteils aus rein formalem Auswendiglernen des
Lehrstoffs M .

5S
) A r e n t , Ein Land, S. 164 f.; vgl. auch v o n L ö b e l l ' s Jahresberichte 33,
1906, S. 41.
ss
) Thewaldt, Hauptmann zur Gesandtschaft kommandiert, Buenos Aires, 21.12.
1905, Pol. Α., Argentinien 9/4.
M
) Siehe hierzu Héctor A r a v e n a , La Escuela Militar a través de sus 150
Años, in: Boletín de la Academia Chilena de la Historia 34 (1967), Nr. 176, S. 141
bis 145; dazu audi Reseñas Históricas de los Establecimientos de Instrucción y Uni-
dades del Ejército de Chile, in: Memorial del Ejército de Chile, Numero Especial 54
(52), N ° 299 (I960). S. 22—28.
" ) Joäo Cruz C o s t a , História das Idéias no Brasil. O Desenvolvimento da
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 293

Hier setzte Körner mit seiner Reorganisation ein: Der vierjährige


Kurs der Schule wurde um einen weiteren — den curso militar — ver-
mehrt. Neben höherer Mathematik, Geodäsie, organischer Chemie und
höherer Physik, standen Taktik der drei Waffen, Waffenlehre, Balli-
stik, Befestigungslehre und militärisches Planzeidinen auf dem Stunden-
plan. Fechten mit Florett, Säbel, Bajonett; Schießen mit scharfer Muni-
tion und taktisches Exerzieren am Geschütz bereiteten die Kadetten
praktisch auf ihren zukünftigen Beruf vor 5 ·.
Ihre über den Augenblick hinausgehende Bedeutung erlangten diese
Reformen jedoch erst dadurch, daß sie nicht, wie frühere Versuche
dieser Art®7, in der Routine untergingen, sondern daß es Körner mit
seinem durch den Bürgerkrieg erworbenen Prestige und Status gelang,
sie zu konsolidieren, und daß er so den für die weitergehenden Refor-
men notwendigen fachlich qualifizierten Offiziersnachwuchs erhielt.
Vorerst freilidi wurde die eben erst begonnene intensive Schulung
der Kadetten unterbrodien, da die Schule 1892-1895 gebraucht wurde,
um den geeigneten, frischgebackenen Offizieren des Revolutionsheeres
in einjährigen Kursen die notwendigen fachlichen Kenntnisse zu ver-
mitteln und daneben in Schnellkursen den dringenden Bedarf an
Unteroffizieren zu decken M .
Der entscheidende Schritt zur eigentlichen Neuordnung der Escuela
Militar, der diese Einrichtung zur bewunderten Musteranstalt für ganz
Lateinamerika machte, blieb — wie man es nannte — den drei „Bs" vor-
behalten, Hermann Rogalla von Bieberstein, v. Below und José Bar-
celo Lira.
Major Rogalla v. Bieberstein und Hauptmann v. Below waren die
führenden Köpfe jener Gruppe von fünf Offizieren, die bei der Ver-
pflichtung der deutschen Mission an die Militärschule beordert wur-
den*®. Sie setzten auf breiter Ebene die von Körner zehn Jahre vorher
begonnene Arbeit fort. Einen vorläufigen Abschluß fand diese Ent-
wicklung, als die Escuela Militar unter ihrem Direktor Barceló Lira

filosofia no Brasil e a evoluçâo histórica nacional, Rio de Janeiro 1956, S. 139 ff.;
K ö r n e r , Die historisdie Entwicklung, S. 141 f.
") K ö r n e r , Die historisdie Entwicklung, S. 141 f.
>T
) Ebda., S. 142 f.
So waren schon in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts französische Instruk-
teure an die Militärsdiule verpflichtet und Kadetten nach Frankreich geschickt wor-
den. A r a v e n a , L a Escuela, S. 145.
" ) Reseñas, S. 29; K ö r n e r , Die historisdie Entwicklung, S. 153.
M
) Zu den anderen Offizieren vgl. R e s e ñ a s . . . , S. 29.
294 Gerhard Brunn

1901 einen Studienplan erhielt, „der in jedem Punkte dem im Oktober


1899 veröffentlichen Studienplan des königlich-preußischen Kadetten-
korps entspricht" el . Aus Deutschland kamen die Lehrbücher, ab 1897
war Deutsdi Pflichtsprache — Französisch nur noch fakultativ — und als
1905 auch noch eine deutsche Uniform eingeführt wurde, glichen die
„Nevados" (so genannt wegen der weißen Helmbüsche) in jeder Be-
ziehung nach Chile verpflanzten deutschen Kadetten. Die Schule hatte
ausschließlich militärisches Gepräge, der praktische Dienst vollzog sich
wie in der Truppe und jedes Jahr nahmen die Sdiüler an Manövern
und größeren Truppenübungen teil °2.
Deutsche Lehrer wurden außer für den Sprachunterricht bald
nicht mehr benötigt. Chilenische Offiziere, die ihre Ausbildung mehrere
Jahre in Deutschland vervollkommnet hatten, waren an ihre Stelle ge-
treten. Durch ständigen Druck hatten es die Militärs 1909 endlidi ge-
schafft, gegen die finanziellen Bedenken von Regierung und Kongreß
die Schülerzahl durchzusetzen, die sie für den Offiziersnachwuchs für
notwendig hielten. Vor dem Kriege wurde die Escuela Militar von 250
Schülern besucht und entließ regelmäßig etwa 85 junge Offiziere in die
Armee es .
Anfangs hatten es die Absolventen der Militärschule schwer, sich ge-
gen die im Dienst ergrauten Offiziere durchzusetzen. Aber auch das än-
derte sich im Laufe der Zeit: „Der Grundsatz, daß alle Offiziere auf
gleicher Stufe militärischer Erkenntnisse ihre Laufbahn beginnen müs-
sen, und sie zu dieser nur gelangen können, indem sie möglichst alle Jahr-
gänge der Militärschule durchlaufen, wird nicht mehr angefochten""4,
konnte Körner 1910 schreiben. Aber auch die weitere Beförderung wurde
an einen Leistungsnachweis gebunden. War also für die Ernennung
zum Leutnant Abitur mit zusätzlichem militärischem Examen Voraus-
setzung, so verlangte die Beförderung zum Hauptmann den erfolgrei-
chen Abschluß einer weiteren Prüfung. Der anschließende Aufstieg
in der Hierarchie erfolgte nach Dienstalter und durch Auswahl einer

" ) H a r t r o t t , Der deutsche Einfluß, S. 5.


M
) Ebda., S. 4 f.; K ö r n e r , Die historische Entwicklung, S. 154 u. 156; Reseña,
S. 29 f.; A r a v e n a , La Escuela, S. 148 f.; E y ζ a g u i r r e, Chile, S. 84. Ein
Triumph preußischen Drills in Südamerika, in: Militär-Wochenblatt 95, 2 (1910),
Sp. 2108—2110.
M
) H a r t r o t t , Der deutsdie Einfluß, S. 5 ; K ö r n e r , Die historische Entwick-
lung, S. 154; v o n L ö b e l l ' s Jahresberichte 36 (1909), S. 57; 37 (1910), S. 52;
38 (1911), S. 50; 39 (1912), S. 48; 40 (1913), S. 51.
°4) K ö r n e r , Die historische Entwicklung, S. 154.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 295

Offizierskommission. Berufliche Qualifikation als einzige Voraus-


setzung für die Offizierslaufbahn hatte sich unangefochten durch-
gesetzt °5.
Die Entwicklung in Argentinien folgte ähnlichen Linien, in diesem
Falle allerdings ohne direkten deutschen Einfluß. Die 1869 gegründete
Militärsdiule Argentiniens wurde im ersten Vierteljahrhundert ihres
Bestehens yon dem Deutsch-Ungarn Johann Czetz geleitet, wies aber
dieselben Mängel auf, die Körner an der chilenischen festgestellt hatte:
vor allem Überladung des Lehrplanes mit theoretischem Stoff, der für
den Dienst der späteren Offiziere irrelevant war 64 .
Trotz der Überbetonung theoretischen Lehrstoffs galt der Unterricht
an der Militärschule nach deutschem Urteil 1906 als ausgezeichnet.
Offiziersanwärter mußten vor ihrer Aufnahme sechs Monate bei der
Truppe gedient haben, ein Eignungszeugnis ihres Kommandeurs vor-
weisen und eine Aufnahmeprüfung bestehen. Dann folgte ein drei-
jähriger Kursus, nach Waffen getrennt, in dem u. a. Unterricht in inne-
rer Verwaltung und Militärgesetzgebung, Waffenvorschriften, Schieß-
und Kompaniedienst, Topographie und Felddienst, Befestigungslehre,
Ballistik, Pferdekunde usw. erteilt wurde. Ab 1902 galt der erfolg-
reiche Abschluß der Militärsdiule als einziger Befähigungsnachweis für
die Offizierslaufbahn, nachdem dieses Prinzip in den 90er Jahren schon
für die Artillerie durchgesetzt worden war. Dazu wurde die Schüler-
zahl drastisch erhöht. 1894 war sie noch auf 50 begrenzt 47 , später
schwankte sie zwischen 350-450, so daß jährlich weit über 100 Leut-
nants in die Armee entlassen werden konnten eB .
Die Qualität des Offizierskorps besserte sich audi, weil die zahlrei-
chen, aus der Truppe aufgerückten Offiziere bei Beförderungen über-
gangen wurden und so verhältnismäßig früh ausschieden. Die Beförde-
rung wurde jetzt generell durch eine Kommission geregelt, die aus dem
Chef des Generalstabes, dem Chef des Militärkabinetts und den In-
spekteuren der verschiedenen Waffengattungen zusammengesetzt war.

" ) ν ο η L ö b e 1 Γ s Jahresberichte 38 (1911), S. 50.


**) E p s t e i n , Argentinien, S. 288; Augusto G. R o d r i g u e z , Los Oficiales
de las Armas. Su Formación en las 150 Años de la Vida Argentina, in: Revista
Militar, 60, 189, 190, 191, N o . 657, Buenos Aires, S. 34 ff.; ν ο η L ö b e 1 Γ s Jahres-
berichte 33 (1906), S. 41; A r e η t , Ein Land, S. 169 f.
• 7 ) R o d r i g u e z , Los Oficiales, S. 35.
·») Ebda., S. 38; v o n L ö b e l l ' s Jahresberichte 37 (1910), S. 31; 38 (1911),
S. 27; 39 (1912), S. 27; 40 (1913), S. 31.
296 Gerhard Brunn

Dienstalter und Leistung galten als Kriterien, ab Major im Verhältnis


1 zu 4. Politische Einflußnahme konnte sich praktisdi nur nodi bei den
Generalsstellen auswirken, die auf Vorschlag des Präsidenten durch
den Senat besetzt wurden M .
War bei den argentinischen Reformen der deutsche Einfluß nur in-
direkt durch das chilenische Beispiel und die Beratertätigkeit Arents zur
Geltung gekommen, so waren es in Bolivien wieder deutsche Offiziere,
die mit überkommenen Verhältnissen aufräumten.
Das dortige Colegio Militar - 1 8 2 5 von Bolivar gegründet - aber im-
mer wieder aufgelöst und neueingerichtet - erhielt seinen ersten Impuls
zur Modernisierung unter der Präsidentschaft General Pandos (1899-
1905), als die verabschiedeten Offiziere Richard Gutmann und kurz
darauf Walter Hansen als Direktoren verpflichtet wurden 70 . Sie paß-
ten den Lehrplan modernen Ansprüchen an, und auch nach ihrem Weg-
gang blieb der deutsche Einfluß erhalten, wie sich bei der Neueinrich-
tung der Schule 1907 mit deutschem Material oder der Einführung der
deutschen Sprache in den Unterricht 1910 zeigte.
Erst Hauptmann Muther aber, der als Mitglied der deutschen Mis-
sion 1911 zum Direktor der Militärschule ernannt wurde, entfaltete
eine ähnlich energische Tätigkeit wie Bieberstein und Below in Chile
fünfzehn Jahre früher. Er reduzierte den Lehrplan auf militärisch not-
wendige Fächer und richtete die übrigbleibenden streng auf die Erfor-
dernisse der künftigen Offiziere aus. Die Prügelstrafe ersetzte er durch
andere formale Disziplinarmaßnahmen. In den drei Jahren seiner
Kontraktzeit erwarb er sich ein solches Ansehen, daß die bolivianische
Regierung neben Kundt vor allem ihn unbedingt im Lande halten
wollte 71 .
Sorgten die Militärschulen ganz allgemein für den Offiziersnach-

·») A r e n t , Ein Land, S. 169 f.; v o n L o b e 1 1 ' s Jahresberichte 33 (1906),


S. 39 ff.; Internationale Revue über die gesamten Armeen und Flotten 29 (1911),
Beiheft 126: Die militärischen Machtmittel der Staaten von Südamerika, S. 17; für
die politische Einflußnahme bei der Besetzung von Stellen vgl. G o l d w i r t , The
Rise, S. 192 u. 194. Den Vorsitz der Beförderungskommission führte ein alljährlich
vom Kongreß zu bestimmender General, nicht wie G o l d w i r t , S. 191 schreibt,
der höchst rangige. Als nadi der Präsidentschaftsübernahme durch Hipólito Yrigoyen
politische Eingriffe wieder die Regel wurden, kam es zu einer Reaktion in der Armee,
die maßgeblich zu dem Sturz Yrigoyens beitrug. Siehe Go 1 d w i r t , The Rise,
S. 192 ff.
™) D i a z Α., Historia, S. 105 ff., S. 153.
" ) Ebda., S. 127; v o n L ö b e l l ' s Jahresberichte 38 (1911), S. 36; Geschäfts-
träger Hinz, La Paz, 26. 6. 1913, Pol, Α., Bolivien 1/15.
L a t e i n a m e r i k a n i s c h e A r m e e n v o r d e m 1. W e l t k r i e g 297

wuchs, so wurde an den Kriegsakademien die Elite der Offiziere auf


den Generalstabsdienst und die höhere Adjudantur vorbereitet. Noch
deutlicher als in den Kadettenanstalten ging man hier nach deutschem
Vorbild unter direkter deutscher Leitung vor, so daß Korpsgeist und
Selbstverständnis der militärischen Elite in der Frühzeit entscheidend
vom preußisch-deutschen Vorbild geprägt wurden.
Eine militärwissenschaftliche Ausbildung zur Vorbereitung auf
Generalstabsdienst, Strategie, kriegsmäßige Verwendung großer Trup-
penmassen, Nachschubwesen usw., hatte es bis zur Errichtung von
Kriegsakademien in Lateinamerika so gut wie nicht gegeben; höchstens
wurden einige wenige Offiziere zum Erwerb solcher Fähigkeiten auf
entsprechende Einrichtungen in Europa geschickt. Wieder ging Chile
voran.
Mitte der 80er Jahre hatte der Oberbefehlshaber der chilenischen
Armee, Patricio Lynch, in einem Gutachten auf den Mißstand bei
Generalstabsarbeit und Waffenkenntnis im Pazifikkrieg hingewiesen.
Als sich die ersten positiven Ergebnisse der Arbeit Körners abzeichne-
ten, arbeitete dieser zusammen mit dem gerade von einer Studienreise
aus Europa zurückgekehrten Oberst Jorge Boonen Rivera ein weiteres
Gutachten aus, das die Grundlage für das Dekret vom 9. September
1886 bildete, mit dem die Errichtung einer Kriegsakademie angeord-
net wurde. Organisatorisch und im Lehrplan lehnte sich die Neugrün-
dung eng an das Berliner Beispiel an. Ihre Aufgabe sollte sein, die
Offiziere mit den Kenntnissen zu versehen, die sie befähigten, im
Kriegsfall die modernen Methoden der Kriegführung und Waffentech-
nik anzuwenden, die im Pazifikkrieg erworbenen Erfahrungen nutzbar
zu machen, die Kenntnisse aus der Militärschule wieder aufzufrischen
und zu vertiefen".
Hinter dieser allgemein gehaltenen Begründung stand noch mehr.
Eigentlicher Zweck der Initiatoren war, eine schmale Schicht von Elite-
offizieren heranzubilden, die bereit waren, Krieg als eine Wissenschaft
zu betrachten und ihn entsprechend vorzubereiten. Ein logischer Schritt
nach der Gründung der Kriegsakademie mußte demnach die Einrich-
tung eines Generalstabes nach diesen Richtlinien sein73, was allerdings
erst nach dem Bürgerkrieg im vollen Umfange gelang.

" ) Reseñas, S. 7 ff., Κ ö r η e r , Die historische Entwicklung, S. 1 4 4 ; H a r t r o c t ,


Der deutsche Einfluß, S. 10.
7S
) Zu diesen Überlegungen Reseñas, S. 9 f.
298 Gerhard Brunn

Im Mai nahm die Akademie mit 28 Schülern die Arbeit auf. Vor-
gesehen war ein zweijähriger Kurs, besonders qualifizierte Absolventen
blieben noch ein weiteres Jahr zur speziellen Generalstabsausbildung.
Wie Körner schreibt, erfreute sich die Kriegsakademie so großer Be-
liebtheit, daß der Direktor der Militärschule und viele andere Generale
und höhere Stabsoffiziere auch aus entfernten Garnisonen häufig die
Unterrichtsstunden besuchten, um still zuzuhören 74 .
Eine Kriegsakademie im europäischen Sinne aber wurde die Acade-
mia Militar erst nach 1895. Zusätzlich zu Körner, der noch bis 1902
Militärgeschichte und Strategie lehrte, unterrichteten nun sechs weitere
deutsche Offiziere Taktik, Generalstabsdienst, Ballistik und Waffen-
lehre, Topographie und Planzeichnen,Geodäsie, Befestigungslehre usw.
Daneben wurde die Allgemeinbildung verbessert, Französisch, Deutsch,
Mathematik, Geschichte, Geographie gelehrt, großenteils audi von
deutschen Lehrern 76 .
Nur das drückende Gewicht Körners in der chilenischen Armee aber
konnte die Akademie davor bewahren, wieder an Qualität zu verlie-
ren. 1905 war es bei jungen Stabsoffizieren Mode geworden, Lehr-
stellen an der Akademie anzustreben, und, um möglichst vielen ent-
gegenzukommen, richtete man zur Erbitterung Körners eine Anzahl
weiterer Fächer ein oder teilte vorhandene auf. Bei Eröffnung des neuen
Kursus', drei Jahre später, kehrte man zu dem früheren straffen
Unterrichtsgang zurück, verpflichtete audi wiederum erfahrene Stabs-
offiziere in Deutschland™. Wie sehr man auf deutsche Hilfe bei der
Führung der Akademie noch angewiesen war, zeigte sich 1914, als die
Rückkehr der letzten Offiziere ins Reich in Chile als herber Verlust
empfunden wurde 77 .
Wie nicht anders zu erwarten, richtete Alfred Arent die Kriegs-
akademie in Buenos Aires ebenfalls nach dem Muster der Königlich
Preußischen Kriegsakademie in Berlin ein, und wenn Arent auch 1902
durch einen argentinischen Direktor abgelöst wurde, so bestand doch
das übrige Lehrerkollegium der militärischen Fächer bis zum Weltkrieg
aus deutschen Offizieren. Erst 1913 wurden sechs argentinische Offi-
ziere, welche die Akademie mit besonderem Erfolg besucht hatten, als

74
) K ö r n e r , Die historische Entwicklung, S. 145.
" ) Reseñas, S. 12 f.; H a r t r o 1 1 , Der deutsche Einfluß, S. 11.
7i
) H a r t r o t t , Der Deutsche Einfluß, S. 11 f.; K ö r n e r , Die historische Ent-
wicklung, S. 155 f.
" ) Reseñas, S. 13.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 299

Hilfslehrer (professores suplentes) zur Unterstützung der deutschen


eingesetzt. Das Ziel war, sich allmählich von der direkten deutschen
Bevormundung zu befreien 78 .
Wie in Chile gab es einen Dreijahreskurs für ca. 45 Hauptleute und
Leutnants aller drei Waffengattungen. Der Andrang war groß. Zur
Aufnahmeprüfung meldeten sich regelmäßig etwa sechzig Aspiranten,
von denen aber nur ca. fünfzehn aufgenommen werden konnten 79 .
Der Unterrichtsplan glich dem chilenischen und sah als Lehrfächer
Kriegsgeschichte, formelle und angewandte Taktik, Generalstabs-
geschäfte, Befestigungskunst, militärische Hygiene, internationales
Redit, Chemie und Physik vor, um nur einige zu nennen. Eher noch
als es in Chile geschah, führte Arent in Argentinien das Kriegsspiel
im Sandkasten ein, bei dem die Schüler die einzelnen Abteilungen
führten und ein deutscher Offizier anschließend Kritik übte. Hier wie
dort wurden dem Lageplan Szenen aus dem deutsch-französisdien
Krieg von 1870-71 zugrunde gelegt. Ein Jahreskurs wurde nach deut-
schem Vorbild - wie audi in Chile - mit einer Generalstabsreise ab-
geschlossen, die anfangs jeweils in das chilenische, später in das brasi-
lianische Grenzgebiet führte, um hier die strategischen Bedingungen zu
erkunden und mögliche Truppenbewegungen durchzuspielen80. Die
besten Schüler wurden in den Generalstab entlassen, der Rest erhielt
Truppenkommandos.
Neben der Ausbildung der militärisdien Elite erhielt die Akademie
zusätzlich die Aufgabe, ganz allgemein in der Armee die Ansichten über
Krieg und Truppenführung abzustimmen; zu diesem Zwedk wurden
neunmonatige Kurse für Majore und Oberstleutnants eingerichtet. Diese
Abstimmung, die im Ernstfall der Führung und den Truppenführem
das Gefühl gebe, sich aufeinander verlassen zu können und die die ge-
genseitigen Reaktionen auf bestimmte Situationen voraussehen lasse,

7e
) Scheven, Hauptmann zur Gesandtschaft in Buenos Aires kommandiert, 4. 2.
1914, Pol. Α., Argentinien 9/13; E p s t e i n , Argentinien, S. 289.
" ) ν ο η L ö b e 11 ' s Jahresberichte 33, 38—40 (1906, 1910—1913), S. 41, S. 27,
S. 31; Internationale Revue 29, Beiheft 126, S. 18.
80
) Die argentinische Kriegsakademie, in: Militär-Wochenblatt 86, 2 (1901), Sp.
1642—1643 und 2133—2134; ν ο η L ö b e 11 ' s Jahresberichte 33 (1906), S. 41. Die
zur Gesandtschaft in Buenos Aires kommandierten Offiziere wurden regelmäßig zu
den Absdilußreisen der Escuela Militar eingeladen und berichteten darüber. Siehe
u. a. Beridit Oberleutnant v. Breidbadi, Anlage zu v. Bussche-Haddenhausen, 3. 12.
1910, oder Oberleutnant Lahusen, Anlage zu Beruht Bussche-Haddenhausen, 5. 12.
1911, Pol. Α., Argentinien 9/10 und 9/11.
300 Gerhard Brunn

sei eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein schlagkräftiges Heer,


schrieb Generaloberst von der Goltz 8 1 .
Die Breitenarbeit der deutschen Instrukteure ging aber noch über die
Lehre an den höheren militärischen Bildungsanstalten hinaus.
An erster Stelle ist hier die chilenische Unteroffiziersschule zu nen-
nen, an die 1895 vier deutsche Instrukteure kamen. Der zum Direktor
ernannte Hauptmann Eridi Hermann erzielte mit ihrer Umgestaltung
nach dem Vorbild der deutschen Unteroffiziersschule und dem darauf-
folgenden Aufbau solche Erfolge und wußte die Schüler zu solchen
Leistungen anzustacheln, daß die ausgebildeten Unteroffiziere zu den
Absolventen der Militärschule in Konkurrenz traten. So wurde die
Schule paradoxerweise wegen ihrer außerordentlichen Qualität auf-
gelöst und wohl audi, weil sie ein unerwünschtes Mobilitätsinstrument
innerhalb der Armee geworden war, deren entscheidende Stellen im
Offizierskorps nodi immer von Angehörigen der regierenden Oligar-
chie besetzt wurden. 1908 erstand sie wegen des empfindlichen Unter-
offiziersmangels auf anderer Basis neu. Der Kurs dauerte zwei Jahre.
Jährlich wurden 1 0 0 - 1 5 0 Unteroffiziere in die Armee entlassen92.
Neben der Unteroffizierssdiule hatten deutsche Offiziere die nach
dem Vorbild des Reitinstituts in Hannover organisierte Kavallerie-
schule aufgebaut; ein ehemaliger deutscher Offizier leitete die militä-
rische Landesaufnahme. Ein anderer Deutscher stand dem Militär-
veterinärwesen vor, deutsche Fahnenschmiede führten die Militärlehr-
schmiede, und deutsdie Fachingenieure sorgten in den militär-techni-
schen Werkstätten dafür, daß man in Reparatur- und Ersatzteilherstel-
lung vom Ausland unabhängiger wurde. Kurz, es gab kaum ein militä-
risches Gebiet, auf dem nicht deutsche Fachleute an leitender Stelle tätig
gewesen wären 88 .
Die argentinische Armee war nicht entfernt so von Deutschen durch-
setzt wie die chilenische. Sie hatte aber eines vor ihrem westlidien

81) v o n d e r G o l t z , Militärische Eindrücke aus Argentinien, in: Militär-


Wochenblatt 96, 2 (1910), Sp. 2 2 5 4 ; v o n L ö b e l l ' s Jahresberidite 38 (1911),
S. 27. Hauptmann Niemöller, 1. 7. 1914, Pol. Α., Chile 7/2.
e 2 ) K ö r n e r , Die historische Entwicklung, S. 1 5 5 ; v o n H a r t r o t t , Der deut-

sche Einfluß, S. 5 ff.; Reseñas, S. 36 ff.; Hauptmann Niemöller, zur Gesandtschaft in


Santiago kommandiert, Anlage zu Bericht E r à e r t , 1. 7. 1914, Pol. Α., Chile 7/2.
M ) v o n H a r t r o t t , Der deutsche Einfluß, S. 12 ff.; Felix D e i η e r t , Die mili-

tärische Landesaufnahme, in: Deutsche Arbeit, S. 1 6 — 1 8 ; Wilh[elm] W a d e n -


p h u 1, Robert öhlmann, Die militär-tedinisdien Werkstätten, in : Deutsche Arbeit,
S. 1 9 — 2 2 ; Robert R e f f , Militärveterinärwesen, in: Deutsche Arbeit, S. 2 3 — 2 5 .
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 301

Nachbarn voraus: Sie besaß eine Artillerie- und Infanterieschießschule,


und an diese wiederum waren deutsche Offiziere verpflichtet, die ihr in
kurzer Zeit zu anerkannter Qualität verhalfen. Jedes Jahr wurden in
dieser Schule Leutnants und Oberleutnants der Infanterie und Artille-
rie zu siebenmonatigen Kursen einberufen, speziell zur Schießausbil-
dung, aber auch zur Vervollkommnung in anderen militärischen Fä-
chern wie Taktik, Strategie und Befestigung, Darüber hinaus fand jähr-
lich ein zweiwöchiger Informationskurs für Stabsoffiziere statt. War
1905 seit drei Jahren überhaupt nicht scharf geschossen worden, so
wurden danach von Zeit zu Zeit audi größere Übungen abgehalten, die
bis zu drei Monaten dauern konnten84.
Im Gegensatz zu Chile und Argentinien wurden mit der Verpflich-
tung der Mission nach Bolivien nidit zugleich Lehrer an eine Kriegs-
akademie berufen. 1902 war zwar auch in Bolivien eine Kriegsakademie
gegründet worden, an die zwei Jahre später der ehemalige deutsche
Offizier Max v. Vacano als Direktor berufen wurde, aber es zeigte sich,
daß mit den isolierten Bemühungen eines einzelnen nicht viel erreicht
werden konnte, und so mußte die Akademie 1910 wegen fehlender
qualifizierter Lehrer wieder schließen. Wenn in dem Einstellungs-
beschluß auch die Erwartung ausgesprochen wurde, daß die Akademie
nach Ankunft der deutschen Mission „definitivamente en condiciones
técnicas más satisfactorias'' reorganisiert werden würde, erfüllte sich
diese Hoffnung nidit, wiederum weil geeignete Lehrer nicht aufzutrei-
ben waren 85 .
Generell sahen es die Instrukteure in den einzelnen Republiken nicht
als ihre einzige Aufgabe an, mit Hilfe des theoretischen Unterrichts in
einer sdimalen Schicht des Offizierskorps' „wenigstens eine Idee von
taktischen und strategischen Kenntnissen" zu verbreiten, wie es Arent
etwas sarkastisch ausdrückteββ. Für sinnvoll hielten sie ihre Verpflich-
tung nur, wenn das theoretische Wissen durch praktische Übungen mit
der Truppe vertieft und fest verankert werden konnte. Das aber war für
argentinische Verhältnisse ζ. B. etwas ganz Neues. Hier hatte— wie in
den anderen betroffenen Ländern — die Ausbildung der Soldaten bis-
her in der parademäßigen Disziplinierung durdi eintöniges Griffe-

M ) von L ö b e l l ' s Jahresberichte 38 (1911), S. 2 7 ; Hauptmann Thewalt, zur


Gesandtschaft in Buenos Aires kommandiert, 21. 12. 1905, Pol. Α., Argentinien 9/4.
« ) D i a ζ , Α., Historia, S. 76 ff.; Militär-Wochenblatt 92, 1 (1907), S. 142 ff.
»·) A r e η t , Ein Land, S. 172.
302 Gerhard Brunn

klopfen, stundenlanges Marschieren in geschlossenen Verbänden und


einfachen Front- und Formationsänderungen bestanden. Für das Exer-
zieren im Gelände und Üben im zerstreuten Gefecht fehlten auch alle
Voraussetzungen. Die Kommandeure waren nicht darauf eingerichtet
oder vorbereitet, es gab weder gemischt taktische Verbände, in denen
man das Zusammenspiel der verschiedenen Waffengattungen erproben,
noch größere Verbände, mit denen die Stabsoffiziere kriegsmäßige
Übungen abhalten konnten. Übungsgelände stand nicht zur Verfügung.
Privatgelände durfte nicht betreten werden, so daß die Truppen in
Buenos Aires z. B. nicht auf dem offenen Gelände, sondern auf der
Straße exerzieren mußten 87 .
Die so sehr beklagte mangelnde praktische Ausbildung wurde in der
folgenden Zeit wenigstens zum Teil nachgeholt. Schon Arent war mit
seinen Schülern so oft wie möglich ins Gelände gegangen, aber das
konnte nicht den praktischen Dienst mit der Truppe, insbesondere mit
gemischt taktischen Verbänden, ersetzen. Da die Verpflichtung einer
größeren Anzahl deutscher Instrukteure für die unmittelbare Ausbil-
dung der Truppen, wie in Chile und Bolivien, politisch nicht durch-
setzbar war, andererseits sich aber der Nachfolger Ricdieris von den
deutschen Beratern überzeugen ließ, daß wenigstens einem Teil junger
Offiziere die Gelegenheit geboten werden müsse, eine regelrechte Re-
krutenausbildung und kriegsmäßige Übung aller Waffen kennenzuler-
nen, wurden regelmäßig, wie schon gesagt, Offiziere nach Deutschland
entsandt, um dann bei der Rückkehr ihrerseits die Erfahrungen prak-
tisch zu verwerten und ein anregendes Beispiel zu gebenββ.
In Argentinien selbst brauchte man zum praktischen Dienst mit der
Waffe erst einmal Ubungsgelände. So hatte Arent vorgeschlagen, jeder
Garnison solches Gelände zur Verfügung zu stellen, um überall Feld-
dienst zu ermöglichen. Vorerst aber wurde nur bei Buenos Aires der
87
) Ebda., S. 184; Militär-Wochenblatt 86, 2 (1901), Sp. 1642—1643 u. Sp. 2133—
2134; v o n d e r G o l t z , Militärische Eindrücke, Militär-Wochenblatt 96, 2 (1910),
Sp. 2247—2251; Hauptmann Thewalt, zur Gesandtschaft in Buenos Aires komman-
diert, 21. 12. 1905, Pol. Α., Argentinien 9/4; Bericht der Hauptleute v. der Goltz,
Perinei v. Thauvenay, Kretzschmar, Geheim, 5. 10. 1909, Pol. Α., Argentinien 9/6.
8S
) A r e n t , Ein Land, S. 174 u. 186; zu den Schwierigkeiten der Kontrahierung
auch Wilhelm L ü t g e , Werner H o f f m a n n , Karl Wilhelm K ö r n e r , Geschichte
des Deutschtums in Argentinien, hrsg. vom Deutschen Klub in Buenos Aires zur
Feier seines 100jährigen Bestehens, 18. Oktober 1955, Buenos Aires 1955, S. 299; für
das Beispiel der Zurückgekehrten vgl. v o n d e r G o l t z , Militärische Eindrücke,
Sp. 2249; auch Hauptmann Scheven, zur Gesandtschaft in Buenos Aires komman-
diert, 24. 6. 1914, Pol. Α., Argentinien 9/13.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 303

Campo de Mayo als riesiger Exerzierplatz und bei Mendoza, der Campo
de los Andes als Manövergelände gekauft. Zehn Jahre später gab es
dann bei jeder Garnison genügend Übungsplätze 89 .
Für den Campo de Mayo wurde als erster größerer Verband, der
über Bataillonsstärke hinausging, eine Instruktionsabteilung geschaf-
fen, die aus Verbänden der verschiedenen Waffen zusammengesetzt
war und etwa 150 Offiziere und 2600 Mann umfaßte. So wie in Chile
Körner neue Felddienstordnungen eingeführt hatte, konnten die deut-
schen Ausbilder in Argentinien die dortigen Reformer veranlassen, die
leicht veränderte deutsche Felddienstordnung einzuführen, die erstmals
Vorschriften für einen intensiven Dienst lieferte, Offiziere und Mann-
schaften aus ihrem bisherigen bequemen Garnisonsschlaf aufweckte und
dementsprediende Gegenwehr hervorrief* 0 .
1905 waren erstmals nach langer Zeit Manöver abgehalten worden.
Drei Jahre später hatten sich die „Jungtürken", wie die Heeresrefor-
mer überall in Lateinamerika genannt wurden, mit ihren Professiona-
lisierungsideen so weit durchgesetzt, daß neben theoretischen Kennt-
nissen vor allem ihre praktische Anwendung und die Fähigkeit, grö-
ßere Truppenverbände zu leiten, als Maßstab für die Beförderung
hoher Offiziere galt. In diesem Jahr - 1908 - wurden erstmals mehr-
tägige praktische Übungen für die Hauptleute der argentinischen Armee
durchgeführt, die den Majorsgrad erwerben wollten. Die Stellung der
deutschen Instrukteure in diesem Jahr war so stark, daß sie theoreti-
sches und praktisches Examen leiteten, die Manöverpläne ausarbeiteten
und praktisch über die Beförderung der 47 teilnehmenden Hauptleute
entschieden41.
Seit dieser Zeit fanden Manöver regelmäßig statt. Nicht nur in der
eben angedeuteten Form, sondern auch im Bereich größerer Einheiten,
der Divisionen und neugebildeten Armeekorps· 2 .

M
) A r e η t , Ein Land, S. 173; Armando B r a u n M e n é n d e z , u . a., Historia
Argentina Contemporánea 1862—1930, Vol. I. Historia de las Presidencias 1898—
1930, Segunda Sección, Buenos Aires 1963, S. 2 3 f . ; v o n L ö b e l l ' s Jahresberichte
38 (1911), S. 28.
M
) go η L ö b e l l ' s Jahresberichte 33 (1906), S. 35; Hauptmann Lohmann, zur
Gesandtschaft in Buenos Aires kommandiert, 4. 9. 1908, Pol. Α., Argentinien 9/6;
Bericht der Offiziere v, der Goltz, Kretzsdimar, Perinet v. Thauvenay, Geheim,
5. 10. 1908, ebda.
el
) Bericht Hauptmann Lohmann und Bericht der drei Offiziere, siehe Anm. 90.
»2 v o n L ö b e 11 ' s Jahresberichte 37 (1910), S. 31; 38 (1911), S. 27 f.; 40 (1913),
S. 31.
304 Gerhard Brunn

In Chile hatten sidi alle diese Prinzipien, die in Argentinien müh-


sam durchgesetzt werden mußten, längst eingebürgert. Die ersten
Schritte waren 1891 getan worden, als erste Dienstanweisungen ver-
faßt wurden und der ehemalige sächsische Oberleutnant v. Bischoff s-
hausen begann, Kavallerieoffiziere in der praktischen Truppenarbeit
nach preußischen Grundsätzen auszubilden, und so bei Ankunft der
deutschen Instrukteure, vier Jahre darauf, schon etwa 50 entsprechend
vorgebildete Offiziere vorhanden waren, die in gleicher Richtung wie
die deutschen Ausbilder arbeiteten und ihnen die Tätigkeit sehr erleich-
terten. Neuerungen, die Körner vergeblich auf institutionellem Wege
hatte einführen wollen, wurden von ihnen „probeweise" angewendet
und setzten sich ohne Mühe durch. Nach dem Ablauf der Kontrakte
waren deutsche Reglements und Truppenausbildung nach preußisdi-
deutschem Vorbild in der chilenischen Armee selbstverständlich gewor-
den, wurden ständig der Entwicklung in Deutschland angepaßt und
streng befolgt. 1914 waren die Chilenen in der Truppenausbildung
vollständig unabhängig und erreichten in der Qualität beinahe das
deutsche Beispiel, wie der zur Gesandtschaft kommandierte Hauptmann
Niemöller bemerkte. Die Identifikation mit dem deutschen Vorbild war
so stark, daß die Truppe einer preußischen zum Verwechseln ähnlich
sah, solange nicht der dunklere Ton der Gesichtsfarbe ins Auge fiel.
Alljährlich wurde das Ausbildungsjahr durch Brigade- oder Divisions-
manöver abgeschlossen, um die erreichten Leistungen zu überprüfen.
1906 etwa nahm fast das gesamte Heer mit 9000 Mann an den Herbst-
manövern teil M .
Oberst Kundt stand in Bolivien vor ähnlichen Problemen. Hier setzte
man allerdings gleich zu Anfang mit der Heeresreform an der Basis an,
d. h., man konzentrierte sich auf die Einzelausbildung. Aus diesem
Grunde hatte man auch die Unteroffiziere verpflichtet. Regle-
ments wurden übersetzt, den bolivianischen Verhältnissen angepaßt
und von den Unteroffizieren bei ihrer Arbeit angewendet. In kurzer
Zeit wurde so die Ausbildung vervollkommnet, vereinheitlicht und
modernisiert, eine Arbeit, die dadurch erleichtert wurde, daß einzelne
Kommandeure in ihren Regimentern schon die chilenischen Reglements

·') Κ ö r η e r , Die Entwicklung, S. 153 f., 157 f., 168 f.; H a r t r o 1 1 , Der deut-
sche Einfluß, S. 9 f.; Internationale Revue 29, Beiheft 126, Die militärischen Macht-
mittel. S. 7; v o n L ö b e l l ' s Jahresberichte 33 (1906), S. 69; 36 (1909), S. 5 7 f . ;
37 (1910), S. 53; 38 (1911), S. 51 f.; 40 (1913), S. 52 f.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 305

übernommen hatten, die ja im wesentlichen den deutschen Vorbildern


entsprachen.
Schon wenige Monate nach seiner Ankunft, im November 1911, ließ
Kundt Manöver abhalten, zu dem auch Reserven einberufen wurden,
ein Vorgang, der nicht einmal in Chile ein Vorbild hatte. Bei einer
etatmäßigen Präsenzstärke des bolivianischen Heeres von 3000 Mann
nahmen an den Manövern 2500 Soldaten und Offiziere teil, eine für
Lateinamerika beachtliche Anzahl. Manöver dieser Art wiederholten
sich in den nächsten Jahren M .
Über die Förderung der rein beruflichen Kenntnisse bei den betreu-
ten Offizieren hinaus hatten die deutschen Instrukteure noch andere
Intentionen. Selbstverständnis und soziales Verhalten sollten dem deut-
schen Beispiel angepaßt, „der revolutionäre Geist im Offizierskorps
durch deutsche Pflichtauffassung" ausgerottet und im Endeffekt das
Heer, wie in Deutschland, zur „Schule der Nation" gemacht werden· 5 .
Am weitesten kam man mit solchen Bestrebungen in Chile. Aufgabe
der in Deutschland verpflichteten Offiziere war es nach den Worten
Kömers u. a., „dem chilenischen Offizier praktisch zu zeigen, . . . , wie
der Offizier sich anziehen und benehmen muß, um die hohe Stellung,
die er seinen Untergebenen gegenüber dienstlich einnimmt, auch außer-
halb des Dienstes und in der Gesellschaft zu bewahren"
Eines der Mittel zur Schaffung dieses Korpsgeistes war die Einrich-
tung von Offizierskasinos mit Aufenthaltsräumen, Bibliotheken, Bil-
lardsälen, Restaurants für gemeinsamen Mittagstisch usw. Hier gab es
einen gesellschaftlichen Mittelpunkt, wo man auch außerdienstlich zu-
sammenkam und jenes Standesbewußtsein entwickelte, das charakteri-
stisch für das chilenische Offizierskorps vor dem Ersten Weltkrieg war.
Deutscherseits war man auf die chilenischen Offiziere recht stolz wie
auf wohlgeratene Kinder und bescheinigte ihnen, „daß diese Herren
das Beste sind, was im öffentlichen Leben Chiles zur Zeit vorhanden
ist" 97 . Anzeichen für den elitären und oligarchisdien Charakter des
") D i a z , Α., Historia, S. 761 ff.; v o n L o b e 11*s Jahresberichte 38 (1911),
S. 35; Ministerresident ν. Sanden, La Paz, 1. 11. 1911, Pol. Α., Bolivien 1/13.
*') Thewalt, zur Gesandtschaft in Buenos Aires kommandiert, 21.12.1905, Pol. Α.,
Argentinien 9/4.
·*) Die historische Entwicklung, S. 153.
") Ges. Erdcert, Santiago, 31. 12. 1911, Pol. Α., Chile 7/1; eine ähnliche Einstel-
lung v o n L ö b e U ' s Jahresberichte 36 (1909), S. 59. Als Spiegelbild des Selbst-
verständnisses etwa die Ausführungen in: v o n H a r t r o t t , Der deutsche Einfluß,
S. 2 f., oder den Artikel des sdiwedisdien Offiziers L i η d h o 1 m , übernommen in:
Militär-Wochenblatt 58, 1 (1903), Sp. 1541-1545.
306 Gerhard Brunn

chilenischen Offizierskorps - und damit seiner Ähnlichkeit mit dem


preußischen — ist die Tatsache, daß gerade die Ober- und die obere
Mittelschicht um diese Zeit noch einen großen Teil des Offiziersnach-
wuchses stellten ' 8 .
In Argentinien war der ideologische und gesellschaftspolitische Ein-
fluß preußischer Offiziere nicht entfernt so stark. Einmal wohl wegen
des generell geringeren Einflusses überhaupt, und zum anderen audi
wegen der anderen sozialen Zusammensetzung des argentinischen
Offizierskorps. In Argentinien bedeutete Professionalisierung zugleich,
daß die Armee zu einem Instrument sozialer Mobilität wurde, eine Ent-
wicklung, die deutscherseits mit Mißfallen beobachtet wurde".
Trotz dieser Einschränkung läßt sich in Argentinien eine ähnliche
Entwicklung im Selbstwertgefühl der Offiziere feststellen wie in Chile.
Elitebewußtsein, außerordentlicher Stolz auf die erworbenen militäri-
schen Kenntnisse und ein aggressiver Nationalismus ,<,e .
Die Übernahme der deutschen Vorstellung von der Armee als „Volks-
erziehungsmittel " 101 ging wiederum am weitesten in Chile. Eine der
geglücktesten Maßnahmen im Rahmen dieser Konzeption war die Ein-
richtung von Elementarschulen in den Kasernen, wo jährlich ca. 70°/o
der Rekruten Lesen und Schreiben lernten. Die Fortgeschrittenen er-
hielten Unterricht in Geographie, Rechnen, Diktat und praktische und
theoretische Unterweisung in Fragen der Landwirtschaft. Im Jahr 1911
z. B. wurde diese Instrucción Pnmarta von 6112 der 7540 Rekruten
besudit. 7 0 % von ihnen bestanden ihre Prüfung im Lesen und
Schreiben1M.
Der erzieherische Ehrgeiz der chilenischen Armee ging nodi über die
•8) Militär-Wochenblatt 58, 1 (1903), Sp. 1541; H a r t r o t t , Der deutsche
Einfluß, S. 2; v o n L ö b e l l ' s Jahresberichte, 33 (1906), S. 68. Zehn Jahre später
bot die chilenische Armee in ihrer sozialen Zusammensetzung jedoch schon ein ganz
ähnliches Bild wie die argentinische zu dieser Zeit und wurde zu einem Herd sozialer
Unruhe. Siehe Ν u η η , Military Rule, S. 4.
M
) G o I d w i r t , The Rise, S. 192; zu der Einstellung deutscher Offiziere vgl.
die Äußerungen in: v o n L ö b e l l ' s Jahresberichte 33 (1906), S. 42.
10
°) Hierzu siehe u. a. die Berichte der zur Gesandtschaft in Buenos Aires kom-
mandierten Offiziere Oberleutnant v. Breidbach und Lahusen, Anlage zu Berichten
des Ges. Bussdie-Haddenhausen, 3. 12. 1910 und 5. 12. 1911, Pol. Α., Argentinien
9/10 und 9/11.
m
) Prinz Heinrich, An Bord Cap Trafalgar, 27. 4. 1914, Pol. Α., Chile 7/2.

) Zu diesen Schulen K ö r n e r , Die historische Entwicklung, S. 161; v o n
L ö b e l l ' s Jahresberichte 38 (1911), S. 51; Hauptmann Niemöller, zur Gesandt-
schaft in Santiago kommandiert, Anlage zu Bericht Erckert, 1. 7. 1914; Pol. Α.,
Chile 7/2.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 307

Vermittlung von Lese- und Schreibfertigkeit hinaus. K ö r n e r schrieb:


„Einer der wesentlichen Vorteile des Militärdienstes für den Chilenen
bildet die Gewöhnung an Pünktlichkeit, Reinlichkeit und Ordnung,
an Ehrlichkeit und Enthaltsamkeit" 1 0 3 . Jahrelang erhalte sich der in
den Kasernen eingeimpfte Sinn für Pünktlichkeit, Reinlichkeit und
Ordnung in den Reservisten, die man überall im Lande, im Gebirge
und Walde, an der reinen ausgebesserten Kleidung, dem gewaschenen
Gesicht, dem gescheitelten Haar oder dem Stiftekopf erkenne. Enthalt-
samkeit und Mäßigkeit habe man in der Truppe eingeführt und Ach-
tung vor fremdem Eigentum, und diese Eigenschaft würden durch die
entlassenen Mannschaften auch in das Volk verpflanzt. Am deutlich-
sten zeige sich der wohltätige Einfluß der Armee in der Tatsache, daß
ein entlassener Soldat früher nur die schlechtesten Stellen angeboten
bekommen habe, nun aber zu verantwortlichen Stellen womöglich schon
vor der Entlassung verpflichtet werde 1 M .
Auch wenn man diesen Euphemismus Körners auf die nüchternen
Tatsachen zurückführt, so wird man dodi eine gewisse, audi über den
unmittelbaren Dienst hinausgehende disziplinierende Wirkung des
chilenischen Heeres dieser Zeit nicht bestreiten können, wie es audi der
Bruder des Kaisers, Prinz Heinrich, bei seiner Reise nach Chile im
Jahre 1914 feststellte 1M .
Die Ausbildungsarbeit der Instrukteure an den Militärschulen und
in der Truppe wurde allgemein begleitet von weitreichenden organisa-
torischen und materiellen Veränderungen, die zum Teil erst eine erfolg-
reiche Arbeit gewährleisteten, wenn auch vielfach nicht Zweckmäßig-
keit, sondern Großmannssucht die Maßnahmen bestimmte, so daß von
einer breit gestreuten Verbesserung nicht immer die Rede sein konnte 10 *.
Uberall wurden Kasernen gebaut, in Argentinien zum Teil mit durch
nichts zu rechtfertigendem Aufwand. In Chile wurden den Kasernen
Kasinos für Offiziere und Unteroffiziere angegliedert; Schuster, Schnei-
der und andere Handwerker standen in eigenen Werkstätten zur Ver-
fügung, Offiziere erhielten großzügige Unterstützung bei der Aus-

loa ) K ö r n e r , Die historische Entwicklung, S. 158.


1M ) Ebda., S. 159 ff. In Argentinien gab es ähnliche Ansätze. Rekruten erhielten
eine Ahnung von Lesen und Schreiben und wurden durch die Armee über ihre lokale
Gebundenheit hinaus erstmals in die Gesamtnation integriert. Siehe James R. S c o -
bi e , Argentine. A City and a Nation, N e w Y o r k 1964, S. 195.
l o s ) Prinz Heinrich, siehe Anm. 101. Zur allgemeinen Disziplin vgl. audi E y ζ a -

g u i r r e , Chile, S. 84.
" « ) Vgl. A r e η t , Ein Land, S. 178 f.
308 Gerhard Brunn

rüstung. Arsenale und Pulvermagazine wurden eingerichtet, Pulver-


fabriken erstellt, Übungsplätze und Artillerieschießgelände erworben,
modernste Waffen überreichlich angeschafft107.
All das wurde ergänzt durch eine Verminderung des Ofïizierkorps
durch zwangsweise Verabschiedung unqualifizierter und überflüssiger
Stabsoffiziere, und das so gründlich, daß z. B. in Chile bei der sukzes-
siven Truppenvermehrung Offiziersmangel auftrat, ein unerhörter
Vorgang für Lateinamerika, wo es in der Regel ein großes Übergewicht
beschäftigungsloser Offiziere gab und gibt 108 .
Militärregionen, entsprechend den deutschen Korpsbezirken, wurden
geschaffen - in Argentinien nicht unbedingt mit vollem Erfolg - , um
Mobilisierung und Kontrolle der Reserven und Nationalgarde zu orga-
nisieren. Großer Generalstab und Truppengeneralstäbe wurden nach
preußischem Vorbild eingerichtet und ihnen auch die gleichen Aufgaben
zugewiesen, nämlich das Heer auf den Kriegsfall vorzubereiten und
dazu Manöver, Mobilmachung und Nachschubwesen zu organisieren,
sich über Kriegsschauplätze und fremde Armeen zu unterrichten, und
das in die eigene Planung einzubeziehen usw.
Auch Formationsgliederung und Kommandostruktur der preußischen
Armee mit Kompanie, Bataillon, Regiment, Brigade, Division und - in
Argentinien — Armeekorps, wurden übernommen und — wie beispiels-
weise in Chile — so genau kopiert, daß die vielen Untergliederungen,
die ja auf eine viel größere Heeresstärke zugeschnitten waren, eine
viel zu geringe Mannschaftsstärke aufwiesen.
Die Organisation der höheren Kommando- und Verwaltungsbehör-
den entsprach in Argentinien im kleinen dem preußischen Modell, in
Chile waren auch sie buchstabengetreu nachgebildet; so etwa die Ein-
teilung des Kriegsministeriums in die verschiedenen Departements, Zu-
ordnung von Heeresinspektor, Generalsfab, technischen Instituten,
Divisionskommandos usw. loe .

107
) B r a u n M e n í n d e z , Historia Argentina, S. 23 £.; A r e η t , Ein Land,
S. 171 ff.; Militär-Wodienblatt 58, 1 (1903), Sp. 1541—1545; Internationale Revue
29, Beiheft 126, S. 3; Internationale Revue über die gesamten Armeen und Flotten 19
(1901), S. 329.
»·») A r e n t , Ein Land, S. 172; v o n L ö b e l l ' s Jahresberidite 33 (1906),
S. 39 f.; 36 (1909), S. 57; 38 (1911), S. 50.
1W
) K ö r n e r , Die historische Entwicklung, S. 150 ff., S. 172 f.; A r e n t , Ein
Land, S. 173 f.; E y z a g u i r r e , Chile, S. 84; v o n L ö b e l l ' s Jahresberidite 33
(1906), S. 39 f.; 36 (1909), S. 57; 38 (1911), S. 50; Militär-Wodienblatt 86, 2 (1901),
Sp. 2133—2134.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 309

Mit der getreuen Kopie des preußischen Armeeverwaltungs- und


-leitungsmechanismus gingen die jungen Stabsoffiziere, denen die Ein-
führung in erster Linie zu verdanken war, über Körners Intentionen
hinaus, denn wie, so sagte er, kann das System funktionieren, wenn
nicht „an seiner Spitze ein wirklicher Oberster Kriegsherr, der erste
Soldat der Armee, und zu seiner Rechten ein aus den Reihen der be-
währtesten Generale hervorgegangener Kriegsminister steht?" 110
Hinter diesen Worten verbarg sich außer preußischem Hochmut
jene Auseinandersetzung, die neben der generellen Professionalisierung
ein Generalthema der Heeresorganisation war, nämlich die Frage nach
Autonomie und politischer Kontrolle der Armee. Zweifellos gehört es
zu den wirklichen Verdiensten Körners, die Armee nach dem Bürger-
krieg von 1891 aus der Politik herausgehalten zu haben, aber so, wie
er von der Armee politische Abstinenz erwartete, so verlangte er, daß
die Armee nicht zu einem politischen Instrument in der Hand eines
allmächtigen Kriegsministers würde. Darüberhinaus fürchtete er um
sachgemäße Organisation und Verwaltung der Armee, die er bei einer
absoluten Kontrolle durch häufig wechselnde, verantwortungsscheue,
politisch abhängige Kriegsminister gefährdet s a h m .
Die Opposition gegen solche Pläne, die gleichzeitig mit generellen
Einsparungen im Haushalt, verbunden mit einer Truppenverminderung
im Jahre 1902, durchgesetzt werden sollten, war so heftig, daß man
schon von Staatsstreichplänen sprach. Körner gelang es aber, die Armee
im Griff zu behalten. Er verhinderte einen großen Teil der geplanten
Einsparungen und der Truppenverminderung und setzte vorläufig die
überragende Position des Heeresinspektors als Zentralstelle für Befehl
und Verwaltung des Heeres durch. Erst 1909, nach Körners Verabschie-
dung, wurde dem Kriegsminister die völlige Befehlsgewalt in Fragen
der Organisation, Ausbildung, Bewaffnung, Verwaltung des Befesti-
gungswesen usw. eingeräumt, eine Befugnis, die ihm in Argentinien
etwa nie bestritten worden war, wo man sich in seinen Autonomie-
bestrebungen sehr viel bescheidenere Ziele setzen m u ß t e m .
uo
) K ö r n e r , Die historische Entwicklung, S. 172.
M1
) Ebda., S. 169 ff.
ut
) Ebda., S. 172; zu der Reorganisation von 1902 und den heftigen Auseinan-
dersetzungen siehe die umfangreiche Berichterstattung des Gesandten Castell mit Be-
richten K ö r n e r s als Anlage, u.a. 15. 7. 1902, 1.11.1902 (mit Anlage), Pol. Α.,
Chile 1/30; 8. 12. 1902; 7. 1. 1903 (mit Anlage); 19. 1. 1903, Pol. Α., Chile 1/31;
beste Darstellung der damaligen chilenischen Heeresorganisation Hauptmann Nie-
möller, zur Gesandtschaft in Buenos Aires kommandiert, 1.7.1914, Pol. Α., Chile 7/2.
310 Gerhard Brunii

Die Veränderung aber, die in dieser Zeit die Armeestruktur am in-


tensivsten beeinflußte, war die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht,
mit der Chilel900 den Anfang machte, gefolgt von Argentinien (1901),
Peru (1901), Ekuador (1902), Bolivien (1907), um nur einige Daten
zu nennen.
Schon 1891 hatte Körner die ersten Pläne zur Einführung der Wehr-
pflicht in Chile ausgearbeitet, um auf diese Weise die Aufstellung eines
großen stehenden Heeres zu ermöglichen, für den Ernstfall eine Re-
serve zu schaffen und ein wirkungsvolles Instrument „de elevación
moral y cultural del Pueblo" zu erhalten 118 . Furcht vor den unabseh-
baren finanziellen Folgen und die heftige Opposition wirtschaftlicher
Kreise, die sich gegen den zeitweiligen Entzug der arbeitskräftigsten
Teile der Bevölkerung wehrten, ließen das Projekt scheitern. Erst die
krisenhafte Zuspitzung der internationalen Lage in Südamerika und
die drohende Einkreisung Chiles 1900 gaben den Militärs das Mittel
in die Hand, das Gesetz im Herbst des Jahres im Kongreß verabschie-
den zu lassen. Peru und Argentinien blieb nichts anderes übrig, als auf
den chilenischen Zug mit gleichen Maßnahmen zu antworten 114 .
Seines Erfolges wurde Körner aber nicht recht froh, da das Gesetz
weithin toter Buchstabe blieb. Das lag einmal an den Bestimmungen,
zum anderen an ihrer Handhabung. Dem Wortlaut nach war jeder
chilenische Bürger von 20 bis 45 Jahren dienstpflichtig. Der einjährige
aktive Dienst sollte mit zwanzig Jahren geleistet werden. Von vorn-
herein war jedoch eine große Zahl von Befreiungen vorgesehen, die
Wehrpflichtigen wurden nidit in Grundlisten erfaßt, sondern mußten
sich selbst zur Einschreibung melden, und die zivilen Beamten, welche
die Listen führten, waren leicht zu veranlassen, bestimmte Personen
nicht aufzunehmen. So war es kein Wunder, wenn in ruhigen Zeiten
nur ein Fünftel oder ein Zehntel der Wehrpflichtigen erfaßt wurden,
und diese rekrutierten sich fast ausschließlich aus der Unterklasse. Im-
merhin aber wurden in den ersten beiden Jahren - in der Zeit außen-
politischer Spannungen - jeweils 11500 Rekruten eingezogen und audi
später nodi jährlich 7000. Vor dem Weltkrieg, während der Zeit ge-
steigerter Feindschaft zwischen Chile und Peru, wurden es wieder mehr,
so daß die Heeresstärke innerhalb weniger Jahre von ca. 16 000 Mann

1U
) E y z a g u i r r e , Chile, S. 283.
»*) Ebda.; Kölnische Zeitung 23. 11. 1892; Ges. Treskow, 3. 2. 1899, Pol. Α.,
Chile 1/26; K ö r n e r , Die historische Entwicklung, S. 161 f.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 311

auf 27 000 Mann anstieg, eine Zahl, die um 3000 über der entsprechen-
den argentinischen lag 115 .
Auch in Argentinien kam das Gesetz zur allgemeinen gleichen Dienst-
zeit, das von Arent ausgearbeitet worden war, nur in abgeschwächter
Form durch den Kongreß, und wurde auch bei seiner Neufassung im
Jahre 1905 nicht wesentlich verschärft. Im Höchstfall zog man ein Drit-
tel der Wehrpflichtigen ein, und da außerdem die Zahl der länger
Dienenden in Argentinien erheblich niedriger lag als in Chile (1912
ca. 8000 zu 12000), war die Heeresstärke trotz der höheren Einwoh-
nerzahl Argentiniens niedriger 11 ·.
Die Wirksamkeit der Gesetze wurde weiterhin abgeschwächt durch
die Tatsache, daß die Eingezogenen zum Teil nidit einmal ihr Jahr
abdienen mußten, wenn sie nach drei Monaten gewisse Fertigkeiten
aufweisen konnten - so in Argentinien - oder nicht auf einmal, son-
dern in halbjährigem Turnus einberufen wurden — so in Chile —, und
daß die Reserven nicht einberufen wurden, weil kein Präsident es
wagte, dem Kongreß das Geld hierfür abzufordern. Nur zu den Jahr-
hundertfeiern der Unabhängigkeit in Chile und Argentinien rief man
die Reservisten ein, um die Paradeformationen für das große Defilee
aufzufüllen. Eine Ausnahme machte nur Bolivien, welches im übrigen
aber das gleiche Bild wie seine südlidien Nachbarn bot. So gelten die
Worte K ö r n e r s auch für Argentinien und Bolivien, wenn er schreibt:
„So ist die Ausbildung des fünften Teiles der wehrpflichtigen Jugend
die einzige Folge des Gesetzes von 1900 geblieben, und diese Ausbil-
dung, . . . , ist als vergebliche Arbeit zu bezeichnen, weil es unmöglich
ist, die . . . Kontingente mehr als vier bis fünf Jahre nach ihrer Ent-
lassung als kriegsbereite Reserven für das stehende Heer zu betrach-
ten" m .

"·) K ö r n e r , S. 162ff., Ges. Castell, Santiago, 7. 1. 1903, Pol. Α., Chile 1/31;
Internationale Revue 29, Beiheft 126, S. 2; v o n L ö b e l l ' s Jahresberichte 37
(1910), S. 51 f.; 38 (1911), S. 50; 39 (1912), S. 45 ff.
"·) A r e n t , Ein Land, S. 172 f.; Internationale Revue, Beiheft 126, S. 14 ff.;
v o i L ö b e l l ' s Jahresberichte 33 (1906), S. 38 u. 40; 39 (1912), S. 25 ff.
m
) K ö r n e r , Die historische Entwicklung, S. 167; v o n d e r G o l t z , Militä-
rische Eindrücke, Militär-Wochenblatt 96, 2 (1910), Sp. 2253; Militär-Wochenblatt
96, 1 (1910), Sp. 594 f.; ebda., Sp. 487 ff.; zu Bolivien siebe Internationale Revue 29,
Beiheft 126, S. 21 f.; ν ο η L ö b e 1 Γ s Jahresberichte 38 (1911), S. 35 f.
312 Gerhard Brunn

Auseinandersetzungen und Widerstände


bei der V e r p f l i c h t u n g der M i s s i o n e n

Bei ihrer Arbeit stießen die Instrukteure auf erhebliche Widerstände.


Wegen des heftigen Nationalismus und der weit verbreiteten Fremden-
feindlichkeit war es den verantwortlichen Politikern ja schon schwer-
gefallen, Ausländer in höhere Stellungen der Armeen zu verpflichten,
und wenn die Angeworbenen eintrafen, bekamen sie bald zu spüren,
wie unbeliebt man als „Gringo" war, und wie sich nationaler Stolz
gegen jede Art von Belehrung oder Führung durch Ausländer auf-
lehnte 118 .
Insbesondere argentinische Zeitungen entfesselten immer wieder ge-
hässige Kampagnen gegen die deutschen Offiziere u e . Das lag aber nicht
nur am generellen Fremdenhaß, sondern hier kam der deutsch-franzö-
sische Gegensatz ins Spiel. Ganz allgemein hatte die liberale, franko-
phile lateinamerikanische Mittelschicht gegenüber Deutschland ein un-
behagliches Gefühl, das einmal auf verschiedene politische Wertvor-
stellungen zurückzuführen war, zum anderen sich aus Mentalitäts-
gründen ergab und seine stärkste Stütze in der starken geistigen Aus-
richtung auf Frankreich hatte 180 . So ist es kein Wunder, daß es wegen
der Affinität zu Frankreich häufiger zu Ausfällen gegen die „germani-
sación del ejercito" kam, gegen die deutschen Offiziere persönlich und
gegen die ganze deutsche Richtung ü b e r h a u p t m .
Beinahe noch mehr als Nationalstolz oder Franzosenfreundlichkeit
machte den deutschen Beratern das verwundete Selbstgefühl jener im
Dienst ergrauten Offiziere zu schaffen, die sich durch die Verpfliditung
ausländischer Spezialisten disqualifiziert fühlten. Körner hatte in seinen
ersten Jahren mit Schwierigkeiten von dieser Seite her zu kämpfen;
seine Neuerungen galten als „ embolismos complicados, cosas de gringos,
buenas para Europa, pero no para los países de America"122. In den

11β
) A r e n t , Ein Land, S. 172; Beridit der Hauptleute Perinet v. Thauvenay,
Kretzschmar, ν . der Goltz, Buenos Aires, 5. 4. 1909, Pol. Α., Argentinien 9/7.
lle
) Militär-Wochenblatt 86, 2 (1901), Sp. 1643.
12
°) Für Argentinien siehe etwa Percy Martin A 1 ν i η , Latin America and the
War, Baltimore 1925, S. 178 ff.; für Brasilien vgl. Gerhard B r u n n , Deutschland und
Brasilien 1889—1914, phil. Diss., Köln 1967, S. 332 f.
121
) Bericht der Hauptleute Perinet v. Thauvenay, Kretzschmar, v. der Goltz,
11. 8. 1908, Pol. Α., Argentinien 9/6.
ltl
) Zitiert nadi E n c i n a , Historia, Tomo X I X , S. 335.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 313

Berichten der deutschen Offiziere aus Argentinien taucht dieser Wider-


stand der alten Offiziere neben der Frankreichfreundlichkeit als Leit-
motiv immer wieder auf, und auch die Meldungen des Ministerresiden-
ten in Bolivien klangen ähnlich12S.
Deutscherseits war man leicht geneigt, den alten Offizieren bei ihren
Einwänden Dummheit oder Angst vor der Entdeckung ihrer Unfähig-
keit zu bescheinigen, aber die alten „Gaucho-Generale" konnten ihre
Abneigung gegen die Flut der Modernisierung, der sie machtlos gegen-
überstanden, auch rational begründen. Sie meinten, die deutsche Taktik
passe nicht auf argentinische Verhältnisse, und verwiesen dazu auf die
argentinische Militärgeschichte, führten das Beispiel der Indianerkriege
an und fragten, was denn die jungen Offiziere mit ihrer Kenntnis der
Bewegung von Armeekorps anfangen sollten, die sie in Argentinien
gar nicht hätten. „Sie stehen eben auf dem Standpunkt des Guerilla-
Krieges", schrieb Oberleutnant Breidbach, der sich auf einer General-
stabsreise mit diesen Argumenten auseinandergesetzt hatte, „der aller-
dings bei diesen weiten Entfernungen große Vorteile haben könnte" 1M.
Außerdem hatten sich die deutschen Offiziere den Ärger in ihren
Gastländern zum Teil selbst zuzuschreiben. Körner war hochmütig -
hatte einen aristokratischen Charakter, wie es ein Chilene höflich um-
schrieb - , stufte preußische Offiziere, auch wenn sie es nicht verdienten,
zu gut ein, war schroff und verfolgte seine Gegner mit unnachsichtiger
Härte, mit anderen Worten, er konnte unerträglich sein, so daß sich
die geplagte chilenische Regierung einige Male keinen anderen Rat
wußte, als ihn mit ehrenvollen Aufträgen ins Ausland abzuschieben;
denn ablösen konnte man ihn bei seiner starken Stellung im Heere
nicht 1 «.
Auch Arent bewies in Argentinien kein großes diplomatisches Ge-
schick und konnte sich auf lateinamerikanische Verhältnisse nicht recht
einstellen. Er wollte nicht einsehen, daß bei der starken Stellung der

1M
) K ö r n e r , Die historische Entwicklung, S. 145, 154, 171 f.; Ges. W a d l h a u -
sen, 16. 8. 1908, Pol. Α., Argentinien 9/6; Ges. Bussche-Haddenhausen, 3. 11. 1910,
Pol. Α., Argentinien 9/10; Beridit der fünf Offiziere in Argentinien, Anlage zu Be-
richt Bussdie-Haddenhausen, 18. 10. 1913, Pol. Α., Argentinien 9/12; Ministerresi-
dent v. Sanden, La Paz, 10. 8. 1911, Pol. Α., Bolivien 1/13.
1M
) Oberleutnant Breidbach, zur Gesandtschaft in Buenos Aires kommandiert, An-
lage zu Bericht Bussdie-Haddenhausen, 3. 12. 1910, Pol. Α., Argentinien 9/10.
,!t
) K ö r n e r , Die historisdie Entwicklung, S. 172; zur Charakterisierung Kör-
ners vgl, Beridit des Gesandten Reichenau mit Äußerungen prominenter chilenischer
Offiziere, 25. 3. 1904, Pol. Α., Chile 1/33.
314 Gerhard Brunn

Volksvertretung in Argentinien Kompromisse notwendig waren, wenn


man Reformen durchsetzen wollte, zerstritt sich mit dem Kriegsminister
Riccheri, dem er daraufhin Deutschfeindlichkeit vorwarf, und mußte
gehen, da seine Stellung trotz des Rückhalts bei Präsident Roca nicht so
stark war. Auch später gab es in Argentinien nodi häufiger Ärger mit
deutschen OfFizieren, die unter falschen Voraussetzungen nach Buenos
Aires kamen und bitter enttäuscht waren, wenn sich ihre materiellen
und sozialen Hoffnungen nicht erfüllten 126 .

DerFall Brasilien

Exemplarisch für die Positionen, die bei einer Stellungnahme für


oder gegen die deutsche militärische Ausbildung in Lateinamerika be-
zogen wurden, ist das Ringen um die Verpflichtung oder Niditver-
pfliditung einer deutschen Militärmission in Brasilien.
Auch in Brasilien liefen seit der Jahrhundertwende Versudie zu einer
stärkeren Professionalisierung der Armee. Auch hier gab es
eine Gruppe junger reformfreudiger Offiziere, die „Jungtürken" oder
audi wegen ihrer Vorliebe für das deutsche Heer „Germanophile" ge-
nannt wurden. 1Z7 . Hier wurden ebenfalls erstmals Manöver abgehalten,
unfähige Offizier entlassen und der Unterricht an der Militärschule neu
geordnet" 8 . 1902 wurden erstmals brasilianische Offiziere, wenn auch
widerwillig, zum preußischen Heer zugelassen. Als der deutsche Ge-
sandte in Petropolis das Bedauern des brasilianischen Außenmini-
sters Rio Branco mitteilte, daß so wenige brasilianische Offiziere
zum Dienst in deutschen Truppenteilen zugelassen würden, meinte
Kaiser Wilhelm: „Dem Volk kann man nicht trauen, sie sind franzö-
sisch oder englisch gesinnt" 1M . Im Auswärtigen Amt aber war man
längst von der Nützlichkeit der militärischen Einflußnahme überzeugt,
- das hatten Chile und Argentinien schon deutlich bewiesen - , und auch

1M
) Siehe oben S. 285 f.; zu den Schwierigkeiten mit weiteren deutschen Offizieren
vgl. Hauptmann v. der Goltz, 13. 12. 1909; Ges. Waldthausen, 8. 12. 1909, beides
Pol. Α., Argentinien 9/9.
127
) Bertoldo K l i n g e r , Narrativas Autobiográficas I. Como fue Tenente, Rio
de Janeiro 1944, S. 186.
12e
) Joâo Batista M a g a l h a e s , A Evoluçâo militar do Brasil, Rio de Janeiro
1958, S. 399 ff.
"») Marginai zu Bericht des Ges. Treutier, 12. 11. 1906, Pol. Α., Brasilien 3/5,
L a t e i n a m e r i k a n i s c h e A r m e e n v o r d e m 1. W e l t k r i e g 315

der Kaiser setzte den seit 1906 anlaufenden brasilianischen Bemühun-


gen, eine deutsche Mission zu erhalten, keinen Widerstand mehr ent-
gegen.
Die treibende Kraft bei den Bemühungen, eine deutsche Mission zur
Instruktion der brasilianischen Bundestruppen zu verpflichten, war der
Außenminister Rio Branco. Er beobachtete aufmerksam die Bemühun-
gen um die Modernisierung der Armee in Peru durch französische In-
strukteure, mit dem Brasilien wegen der ungelösten Grenzfragen im
Amazonasgebiet immer noch in Verhandlungen stand. Außerdem hegte
er Befürchtungen, gegenüber Argentinien ins Hintertreffen zu geraten,
da die Militärreform unter dem Einfluß der deutschen Offiziere sidit-
lich Fortschritte erzielte.
Prinzipiell lag es in Brasilien nahe, eine französische Mission zu ver-
pflichten. Die Sympathien der Öffentlichkeit, insbesondere der Intelli-
genz und der meisten Politiker, galten zweifellos Frankreich. Außer-
dem hatte selbst nach dem Urteil der deutschen Diplomaten die franzö-
sische Mission zur Instruktion der Polizeitruppen in Sao Paulo aus-
gezeichnete Arbeit geleistet130. Rio Branco hatte dagegen während sei-
ner langen Amtszeit als Konsul und Gesandter in Europa entscheidende
Eindrücke von dem aufstrebenden, selbstbewußt auf allen Gebieten
vordringenden Deutschen Reich erhalten 181 . Er hielt deshalb die deut-
schen Erzieher für besonders geeignet, brasilianischen Soldaten militäri-
schen Geist einzuflößen 132 , und bemühte sich im Gegensatz zu der an-
gelaufenen profranzösischen Kampagne intensiv um deutsche Instruk-
teure.
Vorerst galt es aber, den Kriegsminister Hermes da Fonseca, den
Enkel des Gründers der Republik, Deodoro da Fonseca, für den Plan
zu gewinnen. Dieser hatte die Reformen seines Vorgängers, Marschall
Mallet, fortgeführt und dem Heer eine moderne Organisation mit
Spezialeinheiten gegeben und den Nachschub neu organisiert 138 . Weiter
bemühte er sich um eine Verbesserung der militärischen Ausbildung
und hielt regelmäßig Manöver ab. Außerdem hatte er maßgeblichen
Anteil an der Verabschiedung des Gesetzes zur Einführung der allge-

"«) Ges. Treutier, 29. 4. 1908, Pol. Α., Brasilien 3/8.


151
) José Maria B e l l o , História da República, Rio de Janeiro »1964, S. 226.
ia2
) Georges C l e m e n c e a u , Notes de voyage dans l'Amérique du Sud. Argen-
tine, Uruguay, Brésil, Paris 1911, S. 212.
1SS
) Alvaro L i n s , Rio Branco. O Baräo do Rio Branco, 1845—1912, Rio de
Janeiro 1945, S. 591 ff.
316 Gerhard Brunn

meinen Wehrpflicht, die dem chronischen Mangel der Armee an quali-


fizierten Soldaten abhelfen und sie populärer machen sollte 184 . Wie fast
alle höheren Offiziere war auch Hermes da Fonseca gegen ausländische
Instrukteure eingestellt, trat dem Plan jedoch näher, nachdem er die
Erfolge der Franzosen in Sao Paulo gesehen hatte. Rio Branco meinte,
gegen sein Vorurteil helfe nur die Radikalkur einer persönlichen Be-
kanntschaft mit dem deutschen Heer. Er rate daher dringend zu einer
Reise des Kriegsministers nach Deutschland las .
Der deutsche Gesandte Reichenau unterstützte diesen Plan nachdrück-
lich und stellte einen Antrag auf Einladung Hermes da Fonsecas zur
Herbstparade. Schon vorher hatte er, zusammen mit dem zur Gesandt-
schaft kommandierten Oberleutnant Auer von Herrenkirchen, bei den
brasilianischen Manövern 1907 persönlichen Kontakt zu Militärkreisen
gesucht, um - wie er schrieb - den deutschen Einfluß ungezwungen und
natürlich zur Geltung zu bringen und dem französischen Einfluß ent-
gegenzutreten 1M . In Berlin entsprach man dem Antrag 1 3 7 . Das Militär-
kabinett teilte dem AA mit, der Kaiser lade Hermes da Fonseca und
den General Mendes de Moraes zur Herbstparade des Gardekorps nach
Berlin und zu den Kaisermanövern im Elsaß ein i a e .
Die Einladung erwies sich mit ihrer Wirkung auf das brasilianische
Selbstgefühl als ein sehr guter Schachzug, um das deutsche Ansehen in
Brasilien zu heben. Mit einer Ausnahme berichteten alle Zeitungen be-
geistert und geschmeichelt über die Einladung. „O honroso convite do
Kaiser" war tagelang Stadtgespräch von Rio. Die Einladung wurde als
außerordentliche Ehre angesehen, da sie dem ersten außereuropäischen
Kriegsminister galt. Sogar ein erklärter Gegner Deutschlands, wie
Medeiros e Albuquerque 18 *, brachte einen freundlichen Artikel in der
Zeitung A Noticia. Vielfach empfand man die Einladung als gegen

,M
) José Maria B e l l o , História da República, S. 247. Das Gesetz wurde aller-
dings nicht ausgeführt.
5
" ) Reichenau, 24. 5. 1908, Pol. A„ Brasilien 3/8.
m
) Reichenau, 23. 9. 1907, Pol. Α., Brasilien 3/7.
li7
) Bei dem chilenischen General Ortuzar hatte man mit einer ähnlichen Ein-
ladung günstige Erfahrungen gemacht. Reichenau, 24. 5. 1908, Pol. Α., Brasilien 3/8.
188
) Graf Hülsen, 18. 6. 1908, Pol. Α., Brasilien 3/8. Mendes de Moraes war der
Befehlshaber der Militärregion Rio de Janeiro und ein Bewunderer des deutschen
Kaisers und des Deutschen Rciches. Rio Branco hatte aus taktischen Gründen
vorgeschlagen, ihm Fonseca als Begleiter mitzugeben, um einen entsprechenden Ein-
fluß auf ihn auszuüben.
tM
) Bekannter Sdiriftsteller, er war Mitglied der brasilianischen Akademie der
Künste.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 317

Frankreich gerichtet. Medeiros e Albuquerque meinte, das Ziel sei,


Frankreich kommerziell an die Wand zu drücken. Die Zeitung O Seculo
- eine Feindin Rio Brancos - wandte sich als einzige gegen die Ein-
ladung mit der Begründung, sie bedeute eine Kränkung Frankreichs.
Abschließend schrieb der deutsche Gesandte in seinem Bericht: „Die Wir-
kung der kaiserlichen Einladung ist hier für uns eine so willkommene
und die aus ihr entspringende Stimmung eine so befriedigende und
günstige, daß man sagen muß, mehr wäre weniger" 14 °.
Während seines Aufenthaltes in Deutschland erlebte Hermes nicht
nur das glänzende Schauspiel der Herbstparade des Gardekorps in Pots-
dam und der Kaisermanöver im Elsaß, sondern auch darüber hinaus war
man intensiv um ihn bemüht. Die Firma K r u p p trat aus verständlichem
Interesse als Gastgeber auf und führte den brasilianischen Minister
durch ihre Rüstungsbetriebe. In Hamburg wurde ihm ein glänzender
Empfang mit Hafenrundfahrt, Festtafel der Stadt und Diner der H a n -
delskammer bereitet t 4 t .
Für Rio Branco erfüllte der Aufenthalt voll seinen Zweck : Hermes da
Fonseca kehrte als überzeugter Anhänger deutscher Heereseinrichtun-
gen zurück. Auf einem Empfang nach seiner Rückkehr gab er seiner
Begeisterung beredten Ausdruck. Ständig wiederholte er in seinen Er-
zählungen die Worte ideal, erstaunlich, wunderbar, lobte die Disziplin
in Heer und Bevölkerung. Wörtlich sagte er: „Die Deutschen sind un-
sere Freunde, sie widmen Brasilien großes Interesse, fragen nach allem,
zeigen sich für uns begeistert und glauben an unsere Zukunft"
Rio Branco hielt nun die Zeit für gekommen, das Terrain für die
Anwerbung einer deutschen Militärmission endgültig vorzubereiten.
Er ließ in Deutschland durch den brasilianisdien Gesandten Costa
Motta Erkundigungen über die Bedingungen einziehen, unter denen
die deutschen Offiziere nach Chile verpflichtet worden waren 1 4 5 . Zu
Reichenau sagte er, aufgrund der hervorragenden Eindrücke, die der
Kriegsminister in Deutschland erhalten habe, würde nun auch der
Widerstand der alten Troupiers und Routiniers gegen die Anwerbung
gebrochen werden 1 4 4 . Auch in Deutschland wurde die Meinung positi-

" » ) Reichenau, 13. 7. 1908, Pol. Α., Brasilien 3/7.


W1 ) Preußische Gesandtschaft, Hamburg, Götzen an AA, 8. 10. 1908, Pol. Α.,

Brasilien 3/8.
» " ) A Imprensa, 8 . 1 1 . 1908.
" " ) A A an Reichenau, 26. 10. 1908, Pol. Α., Brasilien 3/8.
1 M J Reichenau, 7. 11. 1908, Pol. Α., Brasilien 3/8.
318 Gerhard Brunn

ver. Der Kaiser erklärte sein Einverständnis, preußischen Offizieren,


die ihren Abschied nähmen, bis zu einem gewissen Zeitpunkt die Wie-
dereinstellung zuzusichern14ä.
Parallel zu der Reise Fonsecas nach Deutschland war eine Presse-
kampagne zugunsten der Pläne Rio Brancos angelaufen. Den Anfang
machte ein langer Artikel im Organ der Liga Maritima, dem brasiliani-
schen Flottenverein, dem 30000 Mitglieder angehörten. In diesem
Artikel wurde energismi die Verpflichtung deutscher Instrukteure ver-
langt. Kurz darauf brachte A Imprensa einen Artikel, in dem ein akti-
ver Offizier des Heeres mit Entschiedenheit für die Gewinnung einer
deutschen Mission eintrat. Rio Branco veranlaßte, daß der Artikel im
Jornal do Commercio abgedruckt wurde 148 , um ihm eine möglidist
weite Verbreitung zu sichern147. Überhaupt, meinte Reichenau, habe
die Presse immer mehr Mut, Propaganda für Deutschland zu machen ,48 .
Trotz des erfolgversprechenden Anfangs und einer Ermächtigung im
Etat von 1909 kam die Angelegenheit über ein Jahr lang nicht recht
voran, was wohl weitgehend der neuen innenpolitischen Konstellation
Brasiliens zuzuschreiben war. Im Mai 1909 war Hermes da Fonseca als
Heeresminister zurückgetreten, weil er für das Amt des Präsidenten der
Republik kandidieren wollte. Die Auseinandersetzungen, die dieser
Kandidatur folgten, ließen kaum Raum, die begonnenen Verhandlungen
fortzuführen, insbesondere da der Wahlkampf von dem Gegenkandi-
daten Hermes da Fonsecas, Rui Barbosa, unter dem Motto einer Ent-
scheidung zwischen der Rückkehr zum militärischen Einfluß der ersten
Jahre der Republik und dem alleinigen Anspruch der Zivilisten bei der
Führung des Staates geführt wurde. So hing die weitere Verfolgung
der Ziele Rio Brancos davon ab, ob der frühere Heeresminister die
Wahl gewinnen und damit eine sichere Grundlage für das Wirken der
deutschen Offiziere gegeben sein würde.
Im Wahlgang vom 1. März 1910 unterlag Rui Barbosa. Bald darauf
gab die amtierende Regierung die Zustimmung zu den Forderungen
der deutschen Regierung, nur eine deutsche Mission zu verpflichten.
Auch die offizielle Bitte ließ nicht lange auf sich warten. Die Mission
sollte aus einem Major, 19 Hauptleuten und Leutnanten bestehen und

"») Militärkabinett an AA, 27. 7. 1908, Pol. Α., Brasilien 3/8.


"») Jornal do Commercio, 20. 8.1908.
MT
) Mitteilung an Reidienau. Reichenau, 24. 8. 1908, Pol. Α., Brasilien 3/8,
14e
) 7. 11.1908.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 319

auf die Militärdistrikte von Rio de Janeiro und Rio Grande do Sul
verteilt werden 14 ·.
Auf den Rat des gerade auf Urlaub in Deutschland weilenden Ge-
sandten Michahelles wurde die Zusage der deutschen Regierung ver-
zögert und Fonseca als gewähltem Präsidenten auf seiner europäischen
Informationsreise im Juli 1910 persönlich gegeben. Man wollte ihm das
Gefühl geben, die Zusage sei auf seine persönlichen Beziehungen zu-
rückzuführen. Die deutschen Offiziere würden - so glaubte man - spä-
ter bei ihm einen Rüdshalt finden, wenn er die Anwerbung als eigenen
Erfolg ansähe 160 . Bald sollte sich jedoch zeigen, daß Fonseca seine Ein-
flußmöglichkeiten überschätzt hatte, als er die Kontraktierung fest zu-
sagte.
Zu dieser Zeit lief in Brasilien eine Pressekampagne zugunsten der
deutschen Mission, die von der Zeitung A Imprensa gestartet und vom
Jornal do Commercio in großem Stil weitergeführt wurde. Wie in bra-
silianischen Zeitungen der Zeit üblich, wurde der Meinungskampf in
Form von Leserbriefen ausgetragen. Fast alle Briefschreiber traten für
die Gewinnung einer Mission ein, dodi waren die Meinungen darüber
sehr gespalten, ob es eine große oder kleine Mission sein sollte, ob man
Franzosen, Deutsche oder Schweizer wählen sollte.
Zwar hatte im August 1909 der damalige Heeresminister, General
Carlos Eugenio de Andrade Guimaräes, unter Generälen und Obersten
eine Umfrage abgehalten, ob eine Mission nötig sei und dabei nur von
zwei Generälen eine ablehnende Antwort erhalten 151 . Dennoch hielt
sich weiter hartnäckig die Meinung, daß ein großer Teil der höheren
Chargen gegen die Mission opponiere, weil sie um ihr „renomée" 1 5 2
fürchteten und glaubten, die Zustimmung sei ein Eingeständnis eigener
Unfähigkeit und käme einer moralischen Abdankung gleich. 1911 er-
klärten noch zwei Generäle dem Berichterstatter eines Rio-Blattes, sie
seien gegen die Berufung einer Mission und würden darin eine schwere
Beleidigung der brasilianischen Offiziere erblicken183. Dazu kam der
Widerstand der franzosenfreundlichen Kreise. Schon in dem eben er-
wähnten Gutachten des Generals Eugenio war die Ansicht erwähnt
worden, daß man Frankreich in ethnischer und sprachlicher Hinsicht

14i) Note vom 25. 6. 1910, Pol. Α., Brasilien 3/10.


,M ) Michahelles, Bad Kissingen, 1. 7. 1910, Pol. Α., Brasilien 3/10.
m ) Jornal do Commercio, 8. 7 . 1 9 1 0 .
15E) Jornal do Commercio, 7. 7. 1910.
«") Urwaldbote, 30. 8. 1911.
320 Gerhard Brunn

näher stehe. Das entsprach den Gedanken einer großen Anzahl höherer
Offiziere, die außerdem das französische Heer für besser hielten 1 ". Ein
Einsender gab einer weitverbreiteten Meinung radikalen Ausdruck, in-
dem er schrieb, deutsche Offiziere seien als Sklaven des Kaisers nicht für
die amerikanische Demokratie geeignet 155 . Auf der anderen Seite wies
man auf das weltberühmte deutsche Heer hin, auf das Entgegenkom-
men bei der Einstellung brasilianischer Offiziere15®, auf das günstige
Ergebnis der Mission von der Goltz in der Türkei und auf Argentinien
und Chile 1 5 7 .
Auf der deutschen Seite war die Zustimmung nicht einhellig. Der Tag
äußerte im November 1908 die Befürchtung, daß sich aus dem gegen
Deutschland gerichteten Chauvinismus und Nativismus Schwierigkei-
ten ergeben könnten. Disziplinschwierigkeiten könnten von der eng-
lisdien und der US-Presse zu Hetzereien ausgenutzt werden 1S8 . Konsul
Rössler aus Rio Grande do Sul äußerte Bedenken, die im Auswärtigen
Amt stark beachtet wurden. Das Heer bestehe fast nur aus Farbigen
und weißen Taugenichtsen; Vergehen gegen die Disziplin seien an der
Tagesordnung, auch der verkommenste farbige Wicht zeige einen uner-
träglichen Nationalitätsdünkel. Der allgemeine Deutschenhaß würde
zu häufigen Disziplinvergehen führen und strenge Bestrafung die öffent-
liche Meinung stark erregen, da der Geist der Bevölkerung so unmilitä-
risch wie nur möglich sei 159 .
Auch französische Beobachter sahen für die deutschen Instrukteure
Schwierigkeiten voraus, die hauptsächlich durch die Verschiedenheit der
Volkscharaktere entstehen würden. Paul Walle, der 1910 als Sonder-
botschafter der französischen Regierung Brasilien bereiste, meinte, die
Ausbildung brasilianischer Soldaten durch deutsche Offiziere würde
nur Unzuträglichkeiten bringen, da das brasilianische Temperament
nicht mit dem chilenischen vergleichbar sei. Der Brasilianer sei gutmütig,
aber stolz bis zum Exzeß. Man erreiche bei ihm alles durch Milde und
Überredung, nichts oder noch Schlimmeres, wenn man ihn brüskiere
oder grob behandle. Die straffen Methoden der Deutschen, ihre Bruta-
lität, der Mangel an Einfühlungsvermögen, ihr Dünkel, errege selbst

1M ) Klinger, Narratives, S. 186.


"5) Folha do Dia, 17. 7. 1910.
>'«) Gutaditen General Eugenio, Jornal do Commercio, 8. 7.1910.
W7) Ebda., 12. und 13. 7 . 1 9 1 0 .
1M) Der Tag, 28. 11. 1908.
"») 28. 2. 1911, Pol. Α., Brasilien 3/11.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 321

in Deutschland Kritik, und die Erfahrung mit Deutschen könnte sehr


schlecht auslaufen 160 . C l é m e n c e a u , der um diese Zeit ebenfalls eine
Reise nadi Südamerika unternahm, äußerte Bedenken über die Kom-
patibilität der absolutistischen, militärischen Doktrin Kaisers Wilhelms
und dem demokratischen Staatsideal in Brasilien 1 ' 1 .
Ganz unbegründet waren diese Ansichten nicht, wie die Erfahrun-
gen einer deutschen Erzieherin in Brasilien zeigen. Sie hatte mit ihren
phantasielosen disziplinaren Methoden kläglich Schiffbruch erlitten
und war zu dem Schluß gekommen: Wenn hier eine Pädagogik ein-
geführt werden sollte, dann müßte es eine brasilianische, republikanische
sein und keine deutsche. Sie - die Pädagogik - spräche äußerlich und
seelisch eine fremde Sprache l e z .
Bei den französischen Bedenken sprachen natürlich ganz erheblich
eigene Interessen mit. Die geistige Verbundenheit zwischen Franzosen
und Brasilianern war schon immer groß gewesen. Seit Jahrzehnten aber
erlebten die Franzosen einen ständigen relativen Rückgang ihres Han-
dels mit Brasilien zugunsten des deutschen Handels. Auch die erheb-
lichen investierten Kapitalien konnten diese Entwicklung nicht auf-
halten. Nun sollte auch auf einem so entscheidenden Gebiet wie dem
Militärwesen der deutsche Einfluß den französischen überrunden. Nach
dem Bekanntwerden der beabsichtigten Verpflichtung äußerte sich die
Gereiztheit der französischen Öffentlichkeit in einer heftigen Presse-
kampagne. Cri de Paris nannte das Vorgehen „eine brasilianische
Flegelei", stereotypes Schlagwort war „un affront à Ια France". D a -
neben wiesen die Zeitungen immer wieder auf die guten Ergebnisse der
französischen Instrukteure in Säo Paulo hin und versuchten, mit freund-
lichen Artikeln die Sympathien Hermes da Fonsecas während seiner
Europa-Reise von 1910 zu gewinnen 1 ".
Der Druck aus Paris blieb nicht ohne Auswirkungen auf die brasi-
lianische Haltung. Insbesondere fürchtete man Nachteile bei der Kredit-
gewährung, wie ein Artikel der als offiziös geltenden Zeitung O Paiz

W a 11 e , op. cit., S. 57.


m ) C l é m e n c e a u , Notes, S. 212.
1 M ) Ina B i n z e r (Pseudonym für Ulla v o n E c k ) , Leid und Freud einer E r -
zieherin in Brasilien, Berlin 1887, S. 9 5 ; so hatte sie versucht, Disziplinlosigkeiten
mit der Methode „Stehen! Setzen! Stehen! Setzen!" zu beenden, ohne den geringsten
Erfolg.
1 M ) Beridite Botschafter Radolins aus Paris, 25. 8. 1910, 27. 8. 1910, 23. 9. 1910,

Pol. Α., Brasilien 9/5.


322 Gerhard Brunn

zeigt, der sidi bemühte, durch Konzilianz und Schmeicheleien nach bei-
den Seiten die aufgeregten Wogen des öffentlichen Disputes zu glät-
ten" 4 . Dieser Artikel gab mit seinem Mangel an eindeutiger Aussage
ein getreues Spiegelbild der Haltung der Regierung. Man konnte sich
zu keiner festen Stellungnahme durchringen. Paul W a l l e schrieb, die
Kräfte der Regierung seien beinahe gleich verteilt, und der status quo
könne dauernd anhalten 1W .
Damit hatte er die zukünftige Entwicklung nur zu gut voraus-
gesehen. In der Tat kam es bis 1920 zu keiner endgültigen Entschei-
dung 1M. Zwar war Rio Branco bis zu seinem Tode 1912 unermüdlich
tätig , e 7 und hatte sogar nodi zusätzlich durch eine Note vom 6. IV.
1911 188 um die Entsendung von Marineinstrukteuren gebeten, dodi ge-
lang es ihm nie, die Pläne in die Tat umzusetzen. Er fand auch keine
Hilfe in dem schwankenden Präsidenten, der die in ihn gesetzten deut-
schen Hoffnungen so bitter enttäuschte. Ende 1911 hatte es noch einmal
so ausgesehen, als ob das jahrelange Tauziehen um die Mission doch
noch zugunsten Deutschlands ausgehen sollte. Gegen heftigen Wider-
stand, besonders des Deputierten Barboza Lima, war der Etatanschlag,
der die Autorisierung zur Anwerbung der Mission gab, im Kongreß
verabschiedet worden. Er hatte auch den Senat passiert, obwohl der
Senator für Matto Grosso, Azeredo, ihn hatte zu Fall bringen wollen,
indem er das stereotype Argument der engen geistigen und sprachlichen
Verbindungen Brasiliens mit Frankreich benutzte, dem Deutschen Reich
Expansionsgelüste auf Südbrasilien vorwarf und bei disziplinaren
Schwierigkeiten deutsche Forderungen erwartete, die mit der nationa-
len Ehre nicht vereinbar seien. Außerdem seien die französische Artil-
lerie und die italienische Kavallerie besser als die entsprechenden
deutschen Waffengattungen. Der Senator für Santa Catarina, Lauro
Müller, wies die Angriffe auf Deutschland scharf zurück und meinte,
keine Mission könne die Integrität Brasiliens verletzen, sondern nur
innere Uneinigkeit 1W . Die Ermächtigung im Etat, eine deutsche Mission
anzuwerben, blieb aber toter Buchstabe. Der Präsident war zu schwach,
um sich gegen die Gegner des Planes durchzusetzen, und Rio Branco,

1M
) Generalkonsul, Rio de Janeiro, 15. 9.1910, Pol. Α., Brasilien 9/5.
1W
) W a l l e , op. cit., S. 56.
im) 1920 wurde eine französisdie Mission angeworben.
"7) Michahelles, 30. 6. 1912, Pol. Α., Brasilien 3/11.
"") Pol. Α., Brasilien 3/11.
"·) Midiahelles, 18. 12. und 31. 12. 1911, Pol. Α., Brasilien 3/11.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 323

dem die Durchsetzung vielleicht noch gelungen wäre, starb bald


darauf 170 .

Die K o n s o l i d i e r u n g der Missionen


und ihr E i n f l u ß auf die d e u t s c h e Interessen-
vertretung

Kam es in Brasilien zu keiner EntsAeidung, so war in den anderen


drei Ländern trotz aller Widerstände der deutsche Einfluß nicht auf-
zuhalten; vor Kriegsausbruch hatte er sich durchgesetzt.
„Im chilenischen Heer", so schrieb der deutsche Gesandte in Santiago
1911, „bilden sich zu den wirklich maßgebenden Personen immer mehr
die Offiziere vom Major-Oberst heran, die großenteils hier und in
Deutschland die deutsche militärische Ausbildung genossen haben und
die fast alle Bewunderung und Dankbarkeit für Deutschland hegen" i71 .
öffentliche Opposition von Offizieren gegen die deutsche Richtung war
nicht möglich. Ein prominenter Offizier, der es trotzdem versuchte,
ruinierte damit nur seine Karriere 172 . Das Leben und Treiben in den
Kasernen, die Straßendisziplin, das Benehmen der Offiziere, Unter-
offiziere und Mannschaften entsprach nach den Worten Prinz Heinrichs
deutschen Gewohnheiten, und er fuhr fort: „Ich konnte mich eines ge-
wissen Gefühles des Stolzes nicht erwehren, daß im fernen Südamerika
unser von so vielen bespöttelter Paradedrill Gemeingut einer militärisch
denkenden Nation geworden ist, die in der Nachahmung nicht nur,
sondern in ernstem Bestreben, mit Hilfe ihrer Armee ein Volks-
erziehungsmittel zu schaffen, in den Geist der preußisch-deutschen
Heeresorganisation eingedrungen ist" 17S .
Ganz so gefestigt war der deutsche Einfluß in Argentinien nicht. Hier
konnte es nodi 1907 geschehen, daß in der Revista Militar, dem offi-
ziellen Organ des Kriegsministeriums, trotz der starken pro-deutschen
Neigung des Kriegsministers Aguirre, ein Artikel gegen die deutsche

1T0
) 1913 wollte der Bundesstaat Paraná Staatstmppen nach deutschem Vorbild
ausbilden lassen. Der Plan scheiterte wahrscheinlich am Ausbrudi des Weltkrieges.
Bericht des zur Gesandtschaft kommandierten Oberleutnants Prieger über seine Reise
η adi Paraná, 25. 10. 1913, Pol. Α., Brasilien 1/43.
»») Erckert, Santiago, 31. 11. 1911, Pol. Α., Chile 7/1.
"«) Erckert, Santiago, 10. 12. 1911, Pol. Α., Chile 1/43 und 3. 9. 1912, Pol. Α.,
Chile 1/46.
17S
) Prinz Heinrich, An Bord Cap Trafalgar, 27. 4. 1914, Pol. Α., Chile 7/2.
324 Gerhard Brunn

Richtung erschien, ohne daß dies nachteilige Folgen für die Redaktion
oder den Verfasser gehabt hätte m .
Im selben Jahre aber hatte sich die kleine Anzahl der Politiker und
hohen Offiziere, die neben den jungen fortschrittlichen „Jung-
türken" in der Armee für eine Modernisierung der Wehrmacht
durch deutsche Offiziere eingetreten war, eine so große Anhängerschaft
gesichert, daß sie es erstmals wagen konnte, eine öffentliche demonstra-
tive Sympathiekundgebung für die Instrukteure zu veranstalten.
Kriegsminister Aguirre, die Spitzen der Militärbehörden und 250 Offi-
ziere aller Grade feierten ihre deutschen Kameraden mit einem großen
Bankett 178 . Generaloberst von der Goltz, der vielbewunderte Reorga-
nisator der türkisdien Armee, der 1910 als Sonderbotschafter zu den
argentinischen Jahrhundertfeiern der Unabhängigkeit reiste, war be-
eindruckt von der Hinneigung der argentinischen Offiziere zur preußi-
schen Armee. Bei seiner Rückkehr von einer Reise ins Innere wurde er
von 200 Offizieren am Kai begrüßt, die ihm eine Sympathieadresse mit
1000 Unterschriften überreichten, eine Zahl, die umso schwerer wiegt,
da von den 1200 aktiven Offizieren viele in der kurzen Zeit unerreich-
bar, weit im Innern Dienst taten Seit der Jahrhundertwende war,
wie Goltz schrieb, aus Offizieren, die die Kriegsakademie besucht hat-
ten, zum Dienste in deutsche Truppenteile kommandiert gewesen wa-
ren oder die Kriegsakademie in Berlin absolviert hatten, ein nach
Hunderten zählender, junger, preußisch gebildeter Nachwuchs ent-
standen, unter denen sich schon Oberstleutnants, Oberste und Generale
befanden, deren Einfluß gegenüber den alten Gaucho-Generalen
wuchs177 und sidi drei Jahre später so durchgesetzt hatte, daß der
deutsche Gesandte, von Bussche-Haddenhausen, nach Berlin meldete,
ein Offizier könne nur als Anhänger des deutschen Systems Karriere
machen m .
Erstaunlich weit für die kurze Zeit seiner Einflußnahme kam Kundt
mit der Umformung der bolivianischen Armee nach preußisch-deutschem
Muster. Seine Popularität glich der Körners in Chile, wobei es bezeich-
,M
) Militärischer Bericht, v. d. Goltz, Kretzsdimar, Perinet v. Thauyenay, Geheim,
5. 10. 1908, Pol. Α., Argentinien 9/6.
"*) Ges. Waldthausen, Buenos Aires, 16. 8. 1908; v. der Goltz, Kretzsdimar,
Perinet v. Thauvenay, Geheim, 5. 10. 1908, beides Pol. Α., Argentinien 9/6.
"') Reiseberidit Generaloberst v. der Goltz, Berlin 24. 7. 1910, Pol. Α., Argen-
tinien 9/10.
'") Ebda.
"•) Bussdie-Haddenhausen, 24. 8. 1913, Pol. Α., Argentinien 9/12.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 325

nend ist, daß er schon nach einjähriger Tätigkeit, trotz der starken
Opposition im Senat, zum General gewählt werden konnte 1? ".
So wie heute konnte man damals das jeweilige Vorbild für die
Heeresorganisation am augenfälligsten am Schnitt der Uniformen er-
kennen. Glichen in den 80er und 90er Jähen des 19. Jahrhunderts die
lateinamerikanischen Armeen vom Erscheinungsbild her eher franzö-
sischen Kolonialtruppen10a, so wurde zehn Jahre später der franzö-
sische Schnitt der Uniform vom preußischen abgelöst. 1905 führte man
in Chile die preußische Uniform mit so geringfügigen Änderungen ein,
daß für ein ungeübtes Auge kein Unterschied feststellbar war, und es
häufiger zu Verwechslungen kam. So wurden Chilenen als vermeintliche
Deutsche in Frankreich und Großbritannien angepöbelt, während Ge-
neraloberst von der Goltz in Buenos Aires auf den Straßen mit „Viva
Chile" beklatscht wurde181.
In Argentinien erhielt auf Betreiben des Oberstleutnants Uriburú
das Kavallerieregiment, das die Eskorte des Präsidenten stellte, 1905
anstelle der früheren französischen Kürassieruniform, die des zweiten
Garde-Ulanen-Regiments in Berlin, zu dem Uriburú ein Jahr zur
Dienstleistung kommandiert gewesen war 18 '. 1910 wurde im Heer
allgemein eine neue Uniform eingeführt, die im Schnitt der deutschen
angeglichen war, und schon bald nach Kundts Ankunft in Bolivien er-
eignete sich dort das gleiche1W.
Die sachlichen Ergebnisse der in den drei Heeren geleisteten Arbeit
fanden allgemeine Anerkennung. Die Qualität des Offiziers- und Unter-

" · ) D i a z , Α., Historia, S. 7 6 3 ; Ministerresident v. Sanden, 20. 12. 1912, Pol. Α.,
Bolivien 1/15.
1 M ) Vgl. ζ. Β. Ε ρ s t e i η , Argentinien, S. 288.

ι β 1 ) Geschäfbtr. Bodman, Santiago, 29. 1. 1910; Muthesius, Hauptmann i. G.,

Magdeburg, 26. 3. 1910, Pol. Α., Chile 1/41 ; Reisebericht Generaloberst v. der Goltz,
vgl. Anm. 176.
Ges. Waldthausen, 21. 6. 1905, Pol. Α., Argentinien 9/4. Uriburú war der
herausragende Vertreter der „neuen Offiziere" der „neuen Armee" und der ener-
gischste Verfechter deutschen Einflusses. E r durchlief eine steile Karriere, wurde mit
45 Jahren 1913 schon zum General ernannt und führte den ersten Militärputsch der
neueren argentinischen Geschichte 1930 an. Zu seiner Person und seiner Bedeutung
siehe G o 1 d w i r t , The Rise, S. 194 ff. Bei der Beschreibung der Karriere Uriburús
ist G o 1 d w i r t nicht ganz korrekt. Uriburú diente sdion 1904 in Deutschland
(nicht erst 1908), war schon 1908 Direktor der Kriegsakademie (nicht erst 1910).
Zu Uriburú vgl. Hauptmann Lohmann, zur Gesandtschaft in Buenos Aires komman-
diert, 4. 9. 1908, Pol. Α., Argentinien 9 / 6 ; Bericht der fünf Offiziere in Argentinien,
Anlage zum Bericht Bussche-Haddenhausen, 18. 10. 1913, Pol. Α., Argentinien 9/12.
IM ) ν ο η L ö b e 1 Γ s Jahresberichte 37 (1910), S. 31 ; D i a ζ , Α., Historia, S. 763.
326 Gerhard Brunn

offizierskorps, der Ausbildungsstand der Mannschaften, die Disziplin


und das Berufsethos waren nicht mehr mit den früheren Verhältnissen zu
vergleichen. 1903 schrieb der schwedische Offizier von Lindholm einen
begeisterten Artikel, in dem er die Erfolge bei der Ausbildung der
chilenischen Armee beschrieb, die chilenischen Offiziere als unbedingte
Kavaliere hinstellte und die vorbildliche Sauberkeit und musterhafte
Ordnung der Kasernen und Kasinos lobte 184 . Um die gleiche Zeit be-
stätigte der Legationssekretär an der Gesandtschaft in Petropolis (Bra-
silien), Flöckher, nach einer Reise durch Argentinien und Chile dem
chilenischen Heer Manöverleistungen, wie er sie sonst nur in Deutsch-
land gesehen habe. Der deutsche Gesandte in Santiago rühmte die her-
vorragenden Qualitäten des chilenischen Offizierskorps, und nicht
weniger beeindruckt zeigte sich Prinz Heinrich 1914 18ä .
Auch in der argentinischen Armee war nach zehn Jahren ein bemer-
kenswerter Wandel eingetreten. Bemerkte der eben schon erwähnte
Flöckher 1901 in Argentinien nur Disziplinlosigkeit, „die nicht ein-
mal in der Schweiz übertroffen wird", und unterstrichen die deutschen
Offiziere an der Kriegsakademie, daß die argentinische Armee der
chilenischen in keiner Weise ebenbürtig sei18e, so hob einer dieser Offi-
ziere, der Generaloberst von der Goltz 1910 als Adjutant begleitete,
die tiefgreifenden Veränderungen der Armee hervor. Der argentinische
Soldat von 1910 sei in seiner Haltung, in seinem Benehmen inner- und
außerhalb des Dienstes, in der Art, wie er sein Gewehr trage, nicht
mehr mit dem von 1900 zu vergleichen187. Noch immer aber kritisierten
deutsdie Offiziere das Vorherrschen des formalen Drills und die geringe
Kampfvorbereitung und bemängelten bei argentinischen Einheiten jene
Haltung, die die argentinische Presse bei Paraden als „prussianisado"
bezeichnete und der sie die „naturalidad" weniger disziplinierter Einhei-
ten entgegenstellte. Für deutsche Beobachter stellte sich das Problem
anders. Sie, die in dem Drill nur ein Hilfsmittel zur Kampfausbildung
sahen, vermißten das Ergebnis einer harten, sachbezogenen Ausbildung:

1M
) In Militär-Wodienblatt 88, 1 (1903), Sp. 1541—1545.
1B5
) Flöckher, Petropolis, 30. 4. 1901, Pol. Α., Chile 1/28; Erckert, Santiago, 31.12.
1911, Pol. Α., Chile 7/1 und Prinz Heinrich, 27. 4. 1914, Pol. Α., Chile 7/2.
>M) Flödther, 30. 4. 1901, siehe Anm. 185; Ges. Wangenheim, 8. 7. 1901, Pol. Α.,
Argentinien 9/2.
187
) Der Adjutant war Major Bronsart v. Schellendorf, Reisebericht von der Goltz,
siehe Anm. 176.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 327

die Freiheit der Bewegungen und die Entwicklung der eigenen Ent-
schlußfähigkeit 188.
In Bolivien zeigte sich in Ansätzen ein ähnlicher Wandel der ver-
alteten bolivianischen Armee zu einem moderneren und kampfkräftige-
ren Heer. Die Erfolge Kundts waren so eklatant, daß nach den Manö-
vern 1913 sich militärische Kreise in Chile ernsthaft beunruhigt zeig-
ten18».
Deutscherseits gab man sich gern den Anschein, als sei man den
lateinamerikanischen Staaten mit der Entsendung von Instrukteuren
großzügig entgegengekommen und handle aus rein idealen Erwägun-
gen. Empört berichtete der deutsche Ministerresident aus La Paz, die
unedle materialistische Auffassung, die in Südamerika herrsche, sehe
in den militärischen Beziehungen zu Deutschland in erster Linie ein
Geschäft, bei dem Deutschland der Löwenanteil zufalle. Präsident Mon-
tes habe ihm gesagt, er bedürfe eher der Nachsicht der französischen
Geldgeber, als daß er Deutschland Dank schulde ,eo .
Wird man der deutschen Seite das subjektive Gefühl echter Groß-
zügigkeit nicht bestreiten können, wenn sie anderen Ländern gestattete,
von dem hohen Entwicklungsstand der preußischen Armee beim Auf-
bau einer eigenen modernen Wehrmacht zu profitieren, so war sie sich
doch sehr wohl der materiellen Vorteile bewußt, die dieses Entgegen-
kommen mit sich brachte, und glaubte außerdem, ein moralisches An-
recht darauf zu besitzen.
Da die lateinamerikanischen Länder jeweils als Bittsteller auftraten,
konnte man die eigenen Aufwendungen gering halten und bei dem
Eingehen auf die Bitten gewisse Forderungen durchdrücken. Die ein-
zige echte Belastung dürfte in der Erschwerung des Dienstbetriebes
durch die Aufnahme fremder Offiziere in deutsche Truppenteile ge-
legen haben. Aber auch hier sicherte man sich ab.
Fremde Offiziere durften nur zugelassen werden, wenn sich die Regie-
rungen zu folgenden Bedingungen verpflichteten:
1. Kosten dürfen der deutschen Staatskasse nicht entstehen.
2. Für Berittmachung haben die fremden Offiziere selbst zu sorgen.
3. Sie unterstehen nicht inländischer Gerichtsbarkeit.

1M
) Ebda.; auch Militärische Eindrücke, Militär-Wochenblatt 96, 2 (1910), Sp.
2248 f.; Berichte Hauptmann Pabst von Chaim, zur Gesandtschaft kommandiert,
10. 12. 1912 und 5. 6. 1913, beides Pol. Α., Argentinien 9/12.
,8t
) Erckert, Santiago, 9. 4. 1913, Pol. Α., Bolivien 1/15.
1M
) Ministerresident v. Sanden, La Paz, 31. 8. 1915, Pol. Α., Bolivien 2.
328 G e r h a r d Brunn

4. Bei erheblichem Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen werden


sie von der Zulassung ausgeschlossen. Weiteres bleibt der betreffen-
den Regierung überlassen.
5. Es wird erwartet, daß die betreffende Regierung für etwaige Schul-
den ihrer Staatsangehörigen aufkommt.
6. Eine Mobilmachung hebt die Zulassung sofort auf 1 · 1 .
Galten diese Bedingungen bei der unmittelbaren Zulassung der Offi-
ziere selbst, so war Voraussetzung für das Zugeständnis der Aufnahme
eine Vorvereinbarung, in der sich die betreffenden Regierungen ver-
pflichteten, nur deutsche Offiziere als Instrukteure zuzulassen, alle
Offiziere aus anderen als deutschen Truppenteilen zurückzuziehen und
auch weiterhin Offiziere zur Ausbildung nur nach Deutschland zu
schicken1M. So sicherte man einmal den ausschließlichen deutschen Ein-
fluß ab, zum anderen schützte man sich gegen die Verbreitung von In-
terna aus dem Dienstbetrieb der preußischen Armee,
Bei der Befürwortung von Anträgen zur Entsendung deutscher In-
strukteure gegenüber Kaiser und Militärkabinett wies das Auswärtige
Amt stets auf die wirtschaftspolitischen Vorteile hin, die sich bei einem
Eingehen auf die Wünsche ergeben würden 1 * 9 . Wirtschaftspolitische
Vorteile hieß jedoch ganz konkret Eroberung und Sicherung des Mark-
tes für die deutsche Waffenindustrie, und die deutsche Waffenindustrie
bestand vor allem aus den Kruppwerken, die für die Artillerie zustän-
dig waren, und den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (vor-
mals Ludwig Löwe), die Handfeuerwaffen lieferten.
Bis zur Jahrhundertwende besaß Krupp auf dem Waffenmarkt eine
beneidenswerte Position. Die englische und nordamerikanische Kon-
kurrenz war unbedeutend, die französische Industrie durch den ver-
lorenen Krieg geschädigt und außerdem bis 1884 gesetzlich daran ge-
hindert, Waffen in das Ausland zu verkaufen. In Deutschland selbst
kaufte Krupp jede ernsthafte Konkurrenz, etwa das Grusonwerk in
Magdeburg, auf. So verfügten die Essener über eine kaum gefährdete
Monopolstellung, konnten Preise und andere Bedingungen diktieren

lel
) Erlaß A A an Ministerresident in La Paz 8. 6. 1909, Pol. Α., Bolivien 1/10.
IM
) Entsprechende Bedingungen für Brasilien AA an Kriegsminister, 21. 9. 1909;
N o t e der brasilianischen Gesandtschaft, 18. 5. 1910, beides Pol, Α., Brasilien 3/9;
für Bolivien siehe Anm. 38; für Argentinien vgl. Bemerkung Geschäftsträger Bod-
man in Santiago, 5. 1. 1909, Pol. Α., Chile 1/37.
lea
) Siehe etwa Schreiben A A an Militärkabinett, 27. 1. 1903, Pol. Α., Argen-
tinien 9/3.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 329

und hatten geringe Spesen durch Reklame oder sonstige Markt-


bemühungen 1M.
In Lateinamerika besaß Krupp seit den 60er Jahren des 19. Jahrhun-
derts einen ansehnlichen Markt. Von 1864-1898 erfolgten in Argen-
tinien zwölfmal Geschützbestellungen, zum Teil in erheblichem Um-
fang. 1895-1898 wurden allein 653 Geschütze verschiedener Kaliber,
mit einem Gesamtwert von über 60 Millionen Mark gekauft. Die Be-
stellungen Brasiliens und Chiles waren nicht so umfangreich, aber im-
merhin nahm Chile von 1872-1901 insgesamt neun Sendungen ab,
— 1895—1901 341 Geschütze — und Brasilien bezog seit 1871 sein Ge-
schützmaterial in Essen, 1894 u. a. 201 Geschütze1M.
Um 1900 war es mit den idyllischen Zeiten für Krupp vorbei. Im
Reich war die Rheinische Metallwaren- und Maschinenfabrik (Rhein-
metall, früher Ehrhardt) emporgekommen, in Frankreich erregte
Schneider-Creuzot 1897 mit der neuen Feldkanone Aufsehen, die dem
deutschen Modell von 1896 klar überlegen war, und stellte 1900 erst-
mals zwei durchkonstruierte Feldkanonen mit langem Rohrrücklauf vor.
Als Norwegen und die USA Artilleriematerial bei der Rheinischen
Metallwarenfabrik in Düsseldorf bestellten, weil sich Krupp weigerte,
sein Modell in Schießversuchen testen zu lassen, als Mexiko, Peru, Por-
tugal und Spanien zu Schneider-Creuzot übergingen, weil die Franzosen
in Vergleichsversuchen erfolgreicher waren, als Vertreter detaillierte
Berichte über die gefährdete Stellung Krupps schickten, reagierte man
in Essen energisch und erarbeitete sich jenes reichhaltige Repertoire von
Mitteln im Konkurrenzkampf, das später in einem detaillierten firmen-
internen Kodex für die Verkäufer zusammengefaßt wurde. Hier wurde
aufgeführt, wie man Krisengerüdite schürte, um Waffenbestellungen
nachzuhelfen, wie Gewährung von Anleihen an Waffenverkauf ge-
knüpft wurde, wie man entscheidende Personen der Käuferländer durch
zuvorkommende Behandlung und Bestechung für sich gewinnen konnte,
wie eine im Bedarfsfall gekaufte Presse einzusetzen war, daß man sich
auf jeden Fall vor Übertreibungen beim Bekämpfen der Konkurrenz
hüten müsse, da sich das nur nachteilig auswirke, usw. 1ββ .
1M
) Allgemeine Gesichtspunkte für Missionen für die Firma Friedrich Krupp,
Vertraulicher Bericht des Krupp-Vertreter in Buenos Aires, Restorff, Dezember 1906,
Pol. Α., Argentinien 9/10.
m
) Zusammenstellung der Firma Krupp für Prinz Heinrich bei dessen Süd-
amerikareise 1914, Pol. Α., Preußen 1 Nr. 3, Band 13.
IM
) Anm. 194; dazu „Erfahrungen im Kriegsmaterial-Gesdiäft mit dem Ausland".
Zusammenstellung für den Hausgebrauch der Firma Krupp, N I K 10501.
330 Gerhard Brunn

Lateinamerika wurde ein heiß umkämpfter Markt, und einen ent-


scheidenden Anteil an der Positionsbehauptung der deutschen Waffen-
industrie hatten die Instrukteure. Ein Memorandum im Auswärtigen
Amt von 1910 stellte fest, daß der Sieg der deutschen Waffenindustrie
im Kampf französischer und deutscher Firmen in erster Linie den deut-
schen Instrukteuren zu verdanken sei, und der General der Infanterie,
von Gayl, machte dieselbe Feststellung und schrieb, die Instrukteure
hätten bewirkt, daß in Staaten mit deutschen Instrukteuren fast aus-
schließlich Waffen, Munition, Ausrüstung und Kleidungsstücke in
Deutschland bestellt würden
Freilich hütete man sich, die Instrukteure offen als Hilfsorgane der
deutschen Diplomatie einzusetzen oder nur den Verdacht einer solchen
Verbindung zu erwecken. Sie hatten auch keinen offiziellen Status.
Nach Darstellung des Auswärtigen Amtes ging man den Offizieren
zwar mit Rat und Tat zur Hand, aber sie wurden von deutscher Seite
weder benannt noch entsandt und traten aus dem aktiven deutschen
Dienst aus. Dem Minister residenten in La Paz, von Sanden, der sich
massiv in eine Auseinandersetzung zwischen Kundt und seinen Arbeit-
gebern eingemischt hatte, wurde bedeutet, daß die Kontraktierung der
Instrukteure eine rein private Angelegenheit zwischen den Offizieren
und der verpflichtenden Regierung sei, und man nicht wünsche, daß
über die Tätigkeit der Instrukteure Vorstellungen entstünden, die über
militärisches Gebiet hinausgingen. Die Stärkung des deutschen Ein-
flusses werde umso sicherer eintreten, je weniger die Aufmerksamkeit
darauf gelenkt werde. Je mehr man von politischen Vorteilen spreche,
um so sicherer werde es zu mißgünstigen Einflüssen kommen. So sei
Zurückhaltung angebracht, ohne unfreundlich zu wirken, und den
deutschen Offizieren nicht mehr Unterstützung zu gewähren als ande-
ren Reichsangehörigen auch 1M .
Diese Äußerung heißt nun keineswegs, daß man auf die Mithilfe der
deutschen Instrukteure bei der Interessenwahrnehmung verzichtete.
Zum Teil arbeiteten die Offiziere eng mit der Gesandtschaft zusammen.
Regelmäßige Berichte gingen an den Generalstab in Berlin 188 mit Ab-

197
) Aufzeichnung im AA, ungez. 1910, Pol. Α., Deutschland 121/19/7; Reise-
bericht General v. Gayl, 14. 12. 1911, Pol. Α., Bolivien 1/14.
1M
) Erlaß AA an v. Sanden, 8. 10. 1911, Pol. Α., Bolivien 1/13.
1M
) Die Akten der preußischen Armee, in denen diese Berichte zu finden wären,
stehen nicht zur Verfügung. Es ist auch fraglich, ob die Berichte noch existieren, da
der größte Teil der Akten der preußischen Armee vernichtec ist. Siehe Friedrich-
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 331

Schriften für den diplomatischen Dienst; beabsichtigte Waffenkäufe


oder Mängel an geliefertem Material wurden frühzeitig angezeigt. Vor
allem aber machten sie von sich aus Propaganda für Deutschland und
deutsches Material und wußten in Zwei felsfällen ihren Einfluß in die
Waagschale zu werfen.
Beispielhaft für die manchmal ausschlaggebende Rolle der deutschen
Instrukteure für die Auftragsvergabe ist die Rolle, die sie während der
erbitterten Auseinandersetzung zwischen Krupp und Schneider-Creuzot
bei der NeubewafFnung der argentinischen Artillerie von 1906-1909
gespielt haben.
Schon im Frühjahr 1906 begannen die ersten Plänkeleien. Creuzot
hatte den früheren Präsidenten Roca für sein neuestes Geschütz inter-
essiert und die Ergebnisse der Schießkonkurrenz in Peru, die zugunsten
des Schneiderschen Geschützes ausgefallen waren, machten in Buenos
Aires so großen Eindruck, daß der zur Gesandtschaft kommandierte
Hauptmann Thewalt dem Kruppschen Modell, das ebenfalls vorge-
führt werden sollte, keine großen Chancen einräumte 200 .
Die so früh begonnene Propaganda und Einflußnahme zahlte sich
aus. Als die Vergleichsversuche begannen, bestand die Prüfungskom-
mission in ihrer Mehrheit aus frankreichfreundlichen Offizieren, und
daran änderte sich auch nichts, als eines der Mitglieder wegen der un-
vorsichtigen Äußerung „yo tengo un odio contra los alemanes y las
piezas alemanas" abgelöst wurde. Krupp und Schneider lieferten in
den Schieß- und Fahrversuchen ungefähr gleiche Ergebnisse, wobei nach
dem Urteil der deutschen Offiziere allerdings vertuscht wurde, daß das
französische Material den gestellten Anforderungen an die Stabilität
nicht ganz entsprach. Das Votum der Kommission fiel für Schneider-
Creuzot aus 20 '.
Korrekterweise hätte der Kriegsminister jetzt den Auftrag nach
Frankreich vergeben müssen. Er veranlaßte jedoch neue Versuche, die
vom technischen Standpunkt für Krupp noch schlechter ausfielen. Es

Christian Stahl, Die Bestände des Bundesardiivs — Militärarchiv, in: Militär-


geschiduliche Mitteilungen 2 (1968), hrsg. vom Militärgeschiditlichen Forschungsamt,
Freiburg, S. 139—144.
200
) Hauptmann Thewalt, zur Gesandtschaft in Buenos Aires kommandiert, 28. 2.
1906, Pol. Α., Argentinien 9/4.
lM
) Gesandter Waldthausen, 3. 1. 1908, Ganz vertraulidi, Pol. Α., Argentinien
9/5; Bericht der Hauptleute von der Goltz, Kretzsdimar, Perinet von Thauvenay,
15. 8. 1908, Pol. Α., Argentinien 9/6.
332 Gerhard Brunn

gab einen Rohrkrepierer. Eine andere Firma hätte ausscheiden müssen,


K r u p p durfte das Rohr auswechseln. Die letzte Belastungsprobe im
Schnellfeuerschießen fand ohne das Kruppsche Geschütz statt, angeb-
lich weil die Granatzünder fehlten und die Erlaubnis der Firmenleitung,
die im Arsenal befindlichen zu benutzen, zu spät eintraf, in Wirklich-
keit aber wohl, weil die Rohrrücklaufbremse nicht ganz in Ordnung
war, wurde doch ein Kruppscher Mechaniker dabei ertappt, wie er sich
an der versiegelten Bremse zu schaffen machte; diese letzte Probe wurde
jedoch nicht gewertet. Außerdem zeigte sich, daß das französische Ge-
schütz über eine höhere Feuergeschwindigkeit verfügte 2 0 2 .
All das war jedoch nicht mehr ausschlaggebend, denn längst hatte
sich die Auseinandersetzung von technischen Fragen auf das politische
Gebiet verlagert und sidi zu einer Generaldebatte um Für und Wider
der eingeschlagenen Form der Modernisierung des Heeres und der deut-
schen Ausrichtung bei diesem Prozeß ausgeweitet. In der publizistischen
Auseinandersetzung waren die Franzosen weit überlegen, dafür sorgte
schon die frankophile Einstellung der Presse, und dazu hatte Schneider
noch erhebliche Summen in das Oppositionsblatt Diario investiert, das
sich mit großer Heftigkeit in die Debatte stürzte und auch gehässige
Artikel gegen die deutschen Instrukteure persönlich verbreitete. Zu-
sätzlich erschwert wurde Krupps Position, da paradoxerweise der lang-
jährige Firmenvertreter in Buenos Aires, Tornquist, als Deputierter im
Kongreß gegen den Kauf von Geschützen generell polemisierte, weil er
das in den Arsenalen angehäufte Material für ausreichend hielt und
außerdem in Rio de Janeiro von der Haltlosigkeit der Behauptung
brasilianischer Rüstungen und Kriegsabsichten gegen Argentinien über-
zeugt worden war. So stand Krupps Speziai V e r t r e t e r Restorff allein 20S .
Alles in allem konnte die Position der Essener kaum schlechter sein.
Dringend forderten sie diplomatische Unterstützung an, die jetzt auch

Rheinische Metallwaren- und Maschinenfabrik an AA, 30. 12. 1908, Pol. Α.,
Argentinien 9/6; Graf Hatzfeld (Militärattache), London, 12. 1. 1909, Bericht der
drei Offiziere in Buenos Aires, 9. 4. 1909, Pol. Α., Argentinien 9/7.
,os
) Waldthausen, 3. 1. 1908, Ganz vertraulich; Tel. Waldthausen, 28. 2. 1908;
Firma Krupp an A A , 11. 3. 1908; Waldthausen, 26. 3. 1908, Pol. Α., Argentinien
9/5; Waldthausen, 15. 4. 1908, ebda. 9/6. Zu der Auseinandersetzung siehe auch
Bernhard M e n n e , Krupp. Deutschlands Kanonenkönige, Zürich 1937, S. 251 f.
M e n n e greift allerdings sehr einseitig Krupps Methoden an, verläßt sich auf fran-
zösische Quellen und ist auch sonst nicht korrekt. Als Beispiel siehe die Anführung
von Restorff (bei ihm Restsoff) als einen „jener Agenten . . . die für das Halbdunkel
der Rüstungsgeschäfte so charakteristisch sind" (ebda. S. 251). Restorff war offizieller
Spezialvertreter von Krupp und als solcher eingeführt.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 333

in stärkerem Maße zugestanden wurde, weil die Rheinische Metall-


warenfabrik, deren Teilnahme ein intensiveres Eintreten des Ge-
sandten für Krupp verhindert hatte, aus dem Wettbewerb ausgeschie-
den war. Der Prokurist der Firma, Marquardt, eilte selbst nach Buenos
Aires 204 .
Jetzt zeigte sidi die Schlüsselposition der deutschen Instrukteure.
Sie machten ihren Einfluß im Heer geltend - in diese Zeit fiel das
Sympathiebankett der argentinisdien Offiziere - und boten alle ihre
Überredungsgabe auf, um den Kriegsminister, der ohnehin ein über-
zeugter Anhänger deutscher Methoden bei der Reform des Heeres war,
von der Notwendigkeit eines Kaufes deutscher Geschütze zu überzeugen.
Im Verein mit dem argentinischen Militarattaché in Berlin, Oberst
Toranzo, wiesen sie stets von neuem darauf hin, daß eine Einführung
des französischen Geschützes auch französische Sthießregeln und fran-
zösische Taktik nach sich ziehen müßte, und das würde die Einheitlich-
keit der gesamten Heeresausbildung in Frage stellen, und die deutsch-
argentinischen Heeresbeziehungen belasten. Das gab den Ausschlag.
Die fünfzig Batterien, um die es ging, wurden bei Krupp bestellt, und
damit war gleichzeitig die letzte große Belastungsprobe für den deut-
schen Einfluß bei der Heeresausbildung ausgestanden. Die französische
Rache folgte auf dem Fuße. Die Offiziere, welche für das französische
Geschütz gestimmt hatten, wurden zwar mit dem Kreuz der Ehren-
legion ausgezeichnet, aber der argentinischen Regierung wurde die
Cotierung einer Anleihe in Paris verweigert S M .
In der Folgezeit gehörte der lukrativste Teil des lateinamerikanischen
Marktes Krupp wieder unangefochten. In Brasilien, wo gleich nach der
Jahrhundertwende die beiden Konkurrenten aufeinandergetroffen
waren und das Rennen mit einer symbolischen Bestellung bei Krupp
geendet hatte, bestellte der germanophile Kriegsminister Hermes da
Fonseca 1909 ohne Ausschreibung siebzehn Batterien für sieben Millio-
nen Mark in Essen, und in Chile, wo der deutsche Gesandte Erckert

•o*) Krupp-Direktorium an AA, 6. 11. 1907; Tel. A A an Waldthausen, 8. 1 1 . 1 9 0 7 ;


Tel. Waldthausen, 28. 12. 1907; alles Pol. Α., Argentinien 9/5.
m ) Zu der Auseinandersetzung insgesamt siehe die Berichte der deutschen Offi-
ziere an der Kriegsakademie, von der Goltz, Kretzsdimar, Perinet von Thauvenay,
24. 2. 1908, 18. 8. 1908, 5. 10. 1908, 5. 4. 1909; Berichte Waldthausen, 3. 1. 1908;
5. 10. 1908; Tel. 17. 1. 1909; Aufzeichnung Leutnant Hätz, zur Gesandtschaft in
Buenos Aires kommandiert, Pol. Α., Argentinien 9/5—9/7. Geschäftsträger Bodman,
Santiago, 5. 1. 1909, Pol. Α., Chile 1/37; Gesandter von Bussche-Haddenhausen,
6. 8.1912, Pol. Α., Argentinien 9/11.
334 Gerhard Brunn

keine Gelegenheit ausließ, um die maßgebenden Personen auf die


moralische Verpflichtung des Waffenkaufs in Deutschland hinzuweisen,
wurde 1909 auf die ursprünglich geplante Ausschreibung verzichtet,
weil, wie es öff entlich hieß, die Dankbarkeit Chile verpflichte, sämtliche
Waffenlieferungen seinen Lehrmeistern zu übertragen 2M . In Chile
konnte auch ein Kesseltreiben von Diplomaten, deutschen Offizieren
und Krupp die Auflösung einer Waffenkaufkommission in Deutsch-
land erreichen, die dazu übergegangen war, Waffen audi außerhalb
Deutschlands zu kaufen, wozu insbesondere beitrug - wie der chileni-
sche Gesandte, unterstützt von Körner, in einer Note ausführte —, daß
sie in Essen wenig kulant und sogar beleidigend behandelt worden
war 807 . Bedauernd berichtete Erdtert aus Santiago, daß man den Ge-
sandten in Berlin wegen seiner Familienbeziehungen leider nicht von
seinem Posten entfernen könne. Selbst eine aufsehenerregende angeb-
liche Äußerung des Krupp-Direktors Eccius, daß die Auflösung der
Waffenkaufkommission auf seinen Einfluß hin erfolgt sei, konnte kei-
nen großen Schaden anrichten. Beinahe selbstverständlich muß es schei-
nen, daß die von Frankreich propagandistisch geschickt ausgenutzte
Niederlage der deutsch ausgebildeten und ausgerüsteten türkischen
Truppen im Balkankrieg, hier in Chile, anders als in Brasilien und
Argentinien, ohne Folgen blieb, zumal die deutschen Offiziere sofort
eine intensive Gegenkampagne begannen 20S .
Solche Sorgen wie Krupp brauchte sich die Deutsche Waffen- und
Munitionsfabrik nicht zu machen. Seit Beginn der 90er Jahre des vori-
gen Jahrhunderts waren fast überall in Lateinamerika die nordameri-
kanischen Remington- oder französischen Gras-Gewehre durch Mauser-
gewehre und -karabiner abgelöst worden, so daß die Firma seitdem
keine Konkurrenz mehr zu befürchten hatte. 1911 mußte die Fabrik
zum Beispiel wegen Uberbeschäftigung durch eine brasilianische Be-
stellung einen chilenischen Auftrag weitergeben 2W .

i0
«) Erdtert, Santiago, 3. 10. 1911, Pol. Α., Chile 1/44; Bodman, 20. 1. 1909,
Pol. Α., Chile 1/37.
!07
) Note der chilenischen Gesandtsdlift, 9. 3. 1912, Pol. Α., Chile 7/1.
2 8
° ) Bodman, 14. 2. 1909, Pol. Α., Chile 1/37; Tel. Erdtert, 24. 8. 1911; Aufz. von
Rhomberg über Unterredung mit Direktor der Deutschen Waffen- und Munitions-
fabrik Kosegarten, 25. 8.1911; Aufz. über Unterredung mit chilen. Gesandten Matte,
31. 8. 1911, Erdtert 25. 11. 1911, ebda., Chile 1/44; Tel. Erdtert, 27. 1. 1912; 4. 5.
1912; 8. 7. 1912; ebda., Chile 1/45; Krupp v. Bohlen und Halbach an Legationsrat
Bergen, 1. 8. 1912; ebda., Chile 7/1; Erdtert, 9. 3. 1913; ebda., Deutschland 127/20/1.
»»·) Aufzeichnung Montgelas, 4. 11. 1911, Pol. Α., Chile 1/44.
Lateinamerikanische Armeen vor dem 1. Weltkrieg 335

Vor dem Kriege glichen aufgrund dieser unumschränkten Vormacht-


stellung der deutschen Waffen- und Heeresausrüstungsindustrie süd-
amerikanische Paraden manchmal deutschen Waffenausstellungen.
Mochte Südamerika insgesamt auch nur ein Vorfeld für die deutsche
Industrie sein, so waren die umgesetzten Summen dodi für die dama-
lige Zeit bedeutend und nahmen einen hervorragenden Platz im Ge-
samtwarenhandel zwischen Deutschland und Lateinamerika ein. So
erreichten die 1912 in Chile anfallenden Lieferungen einen Wert von
50-60 Millionen Mark, und ein Jahr später nahmen Karabiner und
Pistolen den zweiten Platz in der Rangliste der deutschen Importwaren
in Brasilien ein. Krupp allein lieferte von 1901-1913 an die drei Haupt-
abnehmer Argentinien, Brasilien und Chile Geschütze im Werte von
115,4 Millionen Mark 210 .
Hatte sich die Überlassung von Instrukteuren und die Aufnahme von
Offizieren für Deutschland schon rein materiell gelohnt, so wirkte sie
sich auf anderem Gebiet noch vorteilhafter aus. Es wurde schon gesagt,
wie unbeliebt Deutschland sowohl bei der Mittelschicht als auch bei
der geistigen Elite Lateinamerikas war, und diese Unbeliebtheit ver-
stärkte sich analog der stetigen weltweiten Verschlechterung der Stim-
mungslage zu Ungunsten Deutschlands beim Herannahen des Welt-
krieges. Umso wichtiger mußte es für Deutschland sein, wenn ihm bei
einer so bedeutenden sozialen Gruppe wie den Militärs ein Einbruch
in die einheitlich unfreundliche Haltung gelang. Bei Ausbruch und
Fortgang des Krieges zeigte sich denn auch, daß hier ein Sympathie-
reservoir für Deutschland lag, das zumindest mittelbar half, Argen-
tinien und Chile aus dem Kriege herauszuhalten, und auch in Bolivien
bewirkte, daß sich der französische Einfluß nicht so ausdehnte, wie er
es sonst getan hätte 211 .
Rückblickend kann man sagen, daß deutsche Militärmissionen einen
wesentlichen Beitrag zu den ersten Grundlagen der modernen latein-
amerikanischen Armeen geleistet haben. Dieser Beitrag lag vor allem auf
organisatorischem und technischem Gebiet, doch wird man ihren Ein-
fluß auf die Entstehung des elitären Selbstbewußtseins der „neuen
Armeen" auch nicht zu gering einschätzen dürfen. Die Umorientierung

"") Vgl. Anm. 195; Erckert, Santiago, 12.2.1912, Vertraulich, Pol. Α., Chile 1/45;
B r u n n , Deutschland, S. 369 u. 405; Hauptmann Thewalt, Buenos Aires, 21. 12.
1905, Pol. Α., Argentinien 9/4.
M a r t i n , Latin America, S. 183 ff., 266 ff.; Vossische Zeitung, 14. 11. 1914;
Ministerresident von Sanden, La Paz, 31. 8. 1915, Pol. Α., Bolivien 2
336 Gerhard Brunn

des traditionell nach innen gerichteten lateinamerikanischen Militaris-


mus nach außen, die den Anstoß für den starken militärisdien Ausbau
gegeben hatte, war freilich nur in der kurzen Phase wirtschaftlichen
Aufschwungs und relativer innerer Stabilität, verbunden mit außen-
politischen Spannungen möglich. Sobald diese Voraussetzungen fort-
fielen und sich die politischen Institutionen als unfähig und zu schwadi
erwiesen, die aufbrechenden wirtschaftlidien und sozialen Spannungen
zu lösen, war das Eigengewicht der aufgeblähten Armeen so groß und
ihr Selbstbewußtsein so ausgeprägt, daß sie sich vielfach als die einzi-
gen handlungsfähigen Organisationen ansahen, die imstande seien, eine
stabile und praktikable Alternative zu bilden. So stellte sich wieder
das vertraute Bild militärischer Dominanz in der Innenpolitik heraus,
nur mit veränderten Voraussetzungen und mit erhöhter Wirksamkeit.
Ob diese Alternative Eigeninteresse der Militärs, Sicherung der be-
stehenden oligardhischen Ordnung oder Sozialrevolutionäre Bestrebun-
gen heißt, hängt von der Einstellung der die Macht ergreifenden Offi-
ziere ab, ändert jedoch nichts am Grundmuster des Vorganges selbst.
So zeigt sich hier in Lateinamerika schon früh jene Entwicklung, wie
sie sich bei vielen der heutigen jungen Nationen wiederholt. D a ß die
politisch schwachen Institutionen von militärischen Organisationen bei-
seite geschoben werden, die zuvor von ausländischen Beratern zur
stärksten sozialen Gruppe im Lande gemacht wurden.

Resumen

Valiéndose de la documentación del Archivo Político del Ministerio


de Asuntos Exteriores en Bonn, el autor muestra el influjo y la im-
portancia que tuvieron los oficiales y las misiones militares alemanas
en la fundación de los ejércitos modernos latinoamericanos antes de
la primera guerra mundial. Se describe cómo y porqué se llegó a la
contratación de misiones militares en Chile, Argentina y Bolivia. Asi-
mismo se estudia qué resultados obtuvieron estas misiones en su trabajo
de formación teorética y práctica. En el caso de Brasil se muestran las
resistencias que levantaron la contratación de los oficiales alemanes.
En Brasil el proyecto de llamar una misión fracasó. De esta documen-
tación resulta que la política alemana de envío de oficiales prometió
el monopolio del mercado de armamentos. Esta política obtuvo tam-
bién este resultado.

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