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i u i: u: iu io ie uo
e o e: o: ei ou
a a:
Durch den i-Umlaut hatten aber die Phoneme a, o, u, a:, o:, u:, iu, uo,
ou Allophone, die in der Schrift noch nicht bezeichnet zu werden
brauchten: ä, ö, ü, æ, œ, ü:, iü, üö, öü. Die Phonemisierung muss
zuerst beim sog. ‚Primärumlaut’‘ (z. B. ahd. setzen, gesti) vor sich
gegangen sein, da sich hier das umgelautete Allophon phonetisch
dem alten ë genähert hatte und es sogar bis zu stark geschlossenem e
‚überholte‘. Während nun der sog. ‚Sekundärumlaut‘ (z. B. mhd.
mägede), eine unter kombinatorischen Bedingungen stehengeblie-
bene Stufe ä, im Alternationsverhältnis zu a verblieb, schloss sich
das Primärumlauts-e als Allophon dem alten Phonem ë an (ohne mit
diesem zusammenzufallen) und wurde deshalb als erster Umlauts-
vokal in der Schrift bezeichnet. Nach der Abschwächung bzw. dem
Verlust der umlautbewirkenden i-Laute der Folgesilben (fasto, festi
zu faste, feste) wurde die funktionelle Belastung der Opposition
nichtumgelautet ≠ umgelautet zu groß, sodass die 10 Umlauts-Allo-
phone allmählich zu eigenen Phonemen wurden. Das System des
Mittelhochdeutschen enthielt also – nach dem Zusammenfall von
iü mit (noch iu geschrieben) und io mit ie (ie geschrieben) – nun 24
Phoneme statt der 16 des Ahd. (nach Moulton):
i ü u i: ü: u: ie üe uo
e ö o e: œ o: ei öu ou
ë
ä a œ a:
Ia Ib IIa IIb
Sg. NA tac stil hirte gast apfel
G tag-e-s stil-s hirte-s gast-e-s apfel-s
D tag-e stil hirte gast-e apfel
Pl. NA tag-e stil hirte gest-e epfel
G tag-e stil hirte gest-e epfel
D tag-e-n stil-n hirte-n gest -e-n epfel-n
Von Mischklassen wie z. B. bei nagel und zaher kann hier abge-
sehen werden. Als Kasusmorpheme sind also im Mhd. nur noch die
Konsonanten -s und -n relevant, während das nicht mehr als Unter-
scheidungsmerkmal fungierende e der Endungen nur noch eine bei
bestimmten Lexemen übliche Stammerweiterung darstellt, deren
Verteilung Subklassen bildet, wobei die Stammerweiterung bei den
a-Subklassen im Nominativ und Akkusativ sg. gleich Null ist. Dass
dieses -e im Auslaut keine eigentliche Flexionsendung mehr war,
zeigt sich daran, dass gerade diese -e später (vgl. IV, 5) sehr gefähr-
det waren, aber trotz Schwund oder fakultativer Variation (Dat.
sg.) das Flexionssystem nicht beeinflussten. Der Übergang von der
Relevanz des Endungsvokals im Althochdeutschen zur mittelhoch-
deutschen Irrelevanz stellt eine Verschiebung der Morphemgrenze
Hoch- und spätmittelalterliches Deutsch 45
nit). Die Einebnung aller unbetonten Silben auf den Vokal e eröff-
nete nun der deutschen Dichtung ein Vielfaches an Reimwörtern.
Typische Reime der mhd. Klassik wie minnen: sinnen wären im
Althochdeutschen noch nicht möglich gewesen (minnôn, sinnan).
Jetzt erst war im Deutschen die strenge Kunst des reinen Reims
möglich geworden, die von Heinrich v. Veldeke an für die höfi-
schen Dichter verbindlich war und bis heute die höchste Form poe-
tischen Versschmuckes geblieben ist.
men‘) und -ier(-en) aus der frz. Infinitivendung -ier (z. B. parlieren,
loschieren ‚herbergen‘, regnieren ‚herrschen‘) übernommen und
bald auch zur Ableitung neuer Wörter aus dt. Wortstämmen ver-
wendet wurden (jegerîe, buoberîe, zegerîe ‚Zaghaftigkeit‘; hovie-
ren, stolzieren, halbieren). Beide Suffixe sind noch im Nhd. pro-
duktiv: Auskunftei, Wortklauberei, buchstabieren, lackieren. Auch
das Suffix -lei ist zu dieser Zeit aus altfrz. loi ‚Art‘ entlehnt worden
(mancherlei, allerlei). Die wichtigsten höfischen Standeswörter
sind Lehnprägungen nach frz. Vorbild: hövesch nach courtois, ritter
nach chevalier, dörper nach vilain. So ist damals auch die Anrede in
der 2. Person Plural (mhd. irzen ‚ihrzen‘) Mode geworden, die jahr-
hundertelang die Höflichkeitsform des Deutschen blieb; das ‚Sie-
zen‘ setzte sich erst seit dem 16. Jh. allmählich durch.
Eine wichtige Vermittlerrolle bei der Übernahme der ritter-
lichen Kultur haben die Niederlande gespielt, die infolge alter
Bindungen an Frankreich als Übergangsland besonders geeignet
waren. Neben den höfischen Fremdwörtern frz. Herkunft lässt sich
daher auch eine kleine Gruppe niederländischer Lehnwörter
im Mittelhochdeutschen nachweisen, die sämtlich leicht als Wörter
der ritterlichen Standessprache zu durchschauen sind, wie z. B.
mhd. wāpen (davon unser Wappen, ursprünglich die nd. Entspre-
chung von hd. Waffe), ors (nd. und ndl. Nebenform von ross),
dörper (‚Dorfbewohner‘, ‚Unhöfischer‘, davon nhd. Tölpel). Aus
dem Nordwesten des Reiches stammen auch die höfischen Epitheta
klâr, kluoc, gehiure, wert, wie auch Kleid und traben, die bis ins
12. Jh. dem Hochdeutschen fehlen. Auch an der Lautgestalt einiger
frz. Lehnwörter lässt sich der Weg über die Niederlande erkennen.
Frz. dance ist nicht als *danz ins Mhd. übernommen worden, son-
dern in der ‚verhochdeutschten‘ Form tanz (ndl. d durch hochdt. t
ersetzt), also mit einem hyperkorrekten Mitbringsel vom Über-
schreiten der Lautverschiebungsgrenze. Das vlœmen (‚flämisch
sprechen‘) galt aber sonst den dt. Rittern als vornehm. Die höfische
Kultur Nordfrankreichs hatte sich im Gebiet der reichen flandri-
schen Städte zuerst entfaltet, ehe sie zusammen mit der neuen epi-
schen Dichtung im übrigen Reich Eingang fand. Der Limburger
Heinrich v. Veldeke galt schon den Zeitgenossen (z. B. Gotfrid v.
Straßburg) als Vorbild und Beginn höfischer Dichtung in dt. Spra-
che, durch den vornehmen Geist seines Werkes ebenso wie durch
seine verfeinerte dichterische Formkunst. Der andere Weg, von der
Provence nach Süddeutschland, war nur für den Minnesang wich-
48 Ritterliche Dichter- und Standessprache
beachtet werden, dass das Deutsch der höfischen Dichter nicht nur
zum rein räumlichen Ausgleich neigte. Es war auch auf dem Wege
zur Hochsprache im Sinne von ‚gehobener Sprache‘. Vulgarismen,
wie Schimpfwörter und Obszönitäten oder die Adjektivabstrakta
auf -ede (ahd. -ida), die sich doch sonst vom Ahd. bis in heutige
Mundarten nachweisen lassen (lengede ‚Länge‘, wermede ‚Wär-
me‘), wurden gemieden. Das höfische Mhd. war ein stilistisch eli-
tärer Soziolekt bzw. ein gruppengebundener literarischer Funktio-
lekt mit einem erlesenen Wortschatz. Eine Menge alter Ausdrücke,
die im Heldenepos noch kräftig fortleben, treten in der hoch-
höfischen Dichtung deutlich zurück: recke, degen, wîgant ‚Held‘,
balt ‚kühn‘, ellentrîch ‚tapfer‘, mœre ‚berühmt‘, gemeit ‚fröhlich‘,
dürkel ‚durchbohrt‘. Ähnlich ablehnend verhält sich das höfische
Epos in seiner reinsten Ausbildung gegen stilistische Eigentümlich-
keiten der heimischen Dichtungstradition wie die Stellung des
attributiven Adjektivs nach dem Substantiv (der helt guot). Dafür
zeigt sich in der höfischen Dichtung eine starke wortschöpferische
Neigung, vor allem in der großen Zahl neuer Komposita, die sicher
nicht alltagssprachlich waren: herzemœre, minnekraft, minnenmu-
ot, trügevreude, wortheide, wunschleben, herzebœre, hôchgemüe-
tic, lachebœre, minnenblint, trūresam, durchzieren, entherzen,
überzaln. Das Wortfeld ethischer Werte war mit differenzierten
Abstraktbildungen reich ausgebildet: sœlde, triuwe, stœte, mâze,
zuht, vuoge, hôher muot. Esoterische Bildungen wie edelez herze
in Gotfrids ‚Tristan‘ lassen sich nur mit literatursprachlichen Prä-
gungen wie der schönen Seele der Empfindsamkeit des 18. Jh. ver-
gleichen. Eine preziös-euphemistische Stiltendenz zeigt sich in der
Vorliebe für unpersönlichen Ausdruck, man-Sätze, Passivkons-
truktionen und untertreibende Litotesformeln (dô was lützel trûren
‚da herrschte wenig Trauern‘ d. h. ‚große Freude‘).
In solchen Eigenheiten ist, ebenso wie in den höfischen Anre-
den und Grußformeln, etwas vom gepflegten Umgangston der
höfischen Gesellschaft zu spüren, von der hovesprâche, die man
in dirre küchin nit vernimet, wie es die Mystikerin Mechthild v.
Magdeburg einmal nannte. Die ersten Schritte von der spontanen
Umgangssprache zur auswählenden Bildungssprache sind also
schon damals getan worden. So etwas hat es im Deutschen – nach
der jahrhundertelangen Herrschaft von Latein und Französisch an
den Höfen und bei den Gebildeten – erst im 18. Jh. wieder gegeben.
Eine Kontinuität von der feudalistischen Standessprache zur
52 Sprachliche Leistung der deutschen Mystik
es uns noch heute kaum möglich ist, über Gegenstände der Philoso-
phie oder Psychologie zu sprechen, ohne Ausdrücke mystischen
Ursprungs zu verwenden. Besonders charakteristisch sind die Abs-
traktbildungen auf -heit, -keit, -unge und -lich, z. B. enpfenclicheit,
geistekeit, unwizzenheit; aneschouwunge, schuolunge, înbildunge;
anschouwelich, enpfindelich, wesenlich, bildelich.
Das erkennende, erlebende Verhältnis des Menschen zu Gott
war das Hauptproblem der Mystik. Die Gottheit ‚drückt sich dem
Menschen ein‘, ‚fließt in ihn ein‘, ‚leuchtet ihm ein‘, der Mensch
hingegen soll sich von der Welt abwenden, ‚eine Einkehr tun‘, ‚sich
Gott lassen‘, um so schließlich der Gottheit ‚einförmig‘ oder
‚gleichförmig‘ zu werden. Es genügt, diese wenigen Beispiele aus
der mystischen Gedankenwelt anzuführen, um begreiflich zu
machen, dass unsere Wörter Eindruck, Einfluss, einleuchten, Ein-
kehr, gelassen, einförmig, gleichförmig in diesem Vorstellungskreis
ihren Ursprung haben, oder wenigstens durch den mystischen Vor-
stellungskreis hindurchgegangen sind, ehe sie ihre heutige abstrakte
Bedeutung erlangten. Auch ein so gebräuchliches und heute so
abgeblasstes Wort wie das Adverb bloß (= ‚nur‘) verdankt ohne
Zweifel der Mystik seine Abzweigung von dem Adjektiv bloß
(= ‚nackt‘, ‚unbekleidet‘). Der Wunsch, die Gottheit ‚bloß‘ zu
schauen, kehrt in den mystischen Schriften unablässig wieder.
Bei den Mystikern begegnen schon kühne Substantivierun-
gen, die man auf den ersten Blick für typische Neubildungen
moderner Philosophen halten möchte: selbesheit (‚Selbstheit‘), ich-
heit (‚Ichheit‘), dînesheit (‚Deinheit‘), nihtheit, geschaffenheit,
gewordenheit, genantheit, daz niht (‚das Nichts‘), daz wâ (‚das
Wo‘), daz al (‚das All‘). An den drei letzten Beispielen zeigt sich,
dass die Mystiker sich eines neuen Wortbildungsmittels des analyti-
schen Sprachbaus bedienten: Lexeme (kleinste relevante Wort-
schatzeinheiten) nicht nur durch Anfügen von Suffixen (-heit,
-ung) zu substantivieren, sondern durch deren bloße Verwendung
in einer Satzgliedrolle, die normalerweise für die syntaktische
Klasse des betreffenden Lexems nicht zugänglich ist (Konversion
im Sinne der Wortbildungslehre). Auf ähnliche Weise wird vor
allem der substantivierte Infinitiv, den Sprachkritiker für eine
Erscheinung moderner ‚Substantivitis‘ halten, von den Mystikern
schon häufig benutzt: daz wesen, daz sı̄n, daz tuon, daz hœren, daz
anehaften, daz minnen – bezeichnenderweise meist mit dem unbe-
stimmten Artikel ein. Sogar der philosophische Satzinfinitiv (das
54 Sprachliche Leistung der deutschen Mystik
Hier wird das Prädikat sage des zweiten Satzes im dritten Satz
unter Weglassung von got und dem menschen in der substantivi-
schen Form daz sagen als Satzsubjekt wiederaufgenommen, ein
typisches Beispiel für syntaktische Notwendigkeiten dieser Art
von Substantivstil in der Sprache des geistigen Lebens.
Es ist deshalb fraglich, ob die Sprache der Mystiker Vorberei-
tung oder nur frühe Parallele der modernen deutschen Wissen-
schaftssprache war. Wenn auch mit einer direkten Verbindung von
der Mystik zum Neubeginn philosophischer dt. Prosa im 18. Jh.
kaum gerechnet werden kann, so hat doch die sprachliche Leistung
der Mystiker wenigstens über die Predigt und die Bibelübersetzung
bis auf Luther und damit auf die nhd. Hochsprache gewirkt. Die
mystische Predigtliteratur, vor allem die Werke Taulers, hat Martin
Hoch- und spätmittelalterliches Deutsch 55
Luther bekanntlich geschätzt, und aus einer von ihm selbst bearbei-
teten und herausgegebenen mystischen Schrift, deren Verfasser als
‚der Franckforter‘ bezeichnet wird, hat er nach eigener Angabe
mehr gelernt als aus irgendeinem anderen Buch, mit Ausnahme der
Bibel und der Schriften Augustins.