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Geschichte der Mathematik

Die Geschichte der Mathematik reicht zurück bis ins Altertum und den Anfängen des Zählens in der
Jungsteinzeit. Nachweise erster Anfänge von Zählverfahren reichen ca. 50.000 Jahre zurück.[1] Der
Pyramidenbau im Alten Ägypten vor über 4500 Jahren mit seinen exakt berechneten Formen ist ein
deutliches Anzeichen für das Vorhandensein von bereits weitreichenden mathematischen Kenntnissen. Im
Gegensatz zur Mathematik der Ägypter, von der wegen der empfindlichen Papyri nur wenige Quellen
existieren, liegen von der babylonischen Mathematik in Mesopotamien etwa 400 Tontafeln vor. Die beiden
Kulturräume hatten zwar unterschiedliche Zahlensysteme, kannten aber beide die vier Grundrechenarten
sowie Annäherungen für die Kreiszahl . Mathematische Belege aus China sind deutlich jüngeren Datums,
da Dokumente durch Brände vernichtet wurden, ähnlich schlecht lässt sich die frühe indische Mathematik
datieren. Im antiken Europa wurde die Mathematik von den Griechen als Wissenschaft im Rahmen der
Philosophie betrieben. Aus dieser Zeit datiert die Orientierung an der Aufgabenstellung des „rein logischen
Beweisens“ und der erste Ansatz einer Axiomatisierung, nämlich die euklidische Geometrie. Persische und
arabische Mathematiker griffen die von den Römern eher vernachlässigten griechischen, aber auch indische
Erkenntnisse auf und begründeten die Algebra. Von Spanien und Italien aus verbreitete sich dieses Wissen
in die europäischen Klosterschulen und Universitäten. Die Entwicklung der modernen Mathematik (höhere
Algebra, analytische Geometrie, Wahrscheinlichkeitstheorie, Analysis u.  a.) erfolgte in Europa ab der
Renaissance. Europa blieb bis ins 19. Jahrhundert das Zentrum der Entwicklung der Mathematik, das 20.
Jahrhundert sah eine „explosionsartige“ Entwicklung und eine Internationalisierung der Mathematik mit
einem deutlichen Schwerpunkt in den USA, die besonders nach dem Zweiten Weltkrieg Mathematiker aus
aller Welt anzogen mit einem großen Bedarf aufgrund der expansiven technologischen Entwicklung.

Inhaltsverzeichnis
Mathematik der alten Ägypter und Babylonier
Ägypten
Babylon
Mathematik in Griechenland
Chinesische und indische Mathematik
China
Indien
Mathematik in der Blütezeit des Islam
Mathematik der Maya
Mathematik in Europa
Mathematik im Mittelalter
Aufstieg der Klosterschulen
Berechnung des Ostertermins
Universitäten
Praktische Mathematik
Beginn der Geldwirtschaft
Mathematik der frühen Neuzeit
Entwicklung der Infinitesimalrechnung
Mathematik im 18. Jahrhundert
Mathematik im 19. Jahrhundert
Moderne Mathematik
Siehe auch
Literatur
Weblinks
Einzelnachweise

Mathematik der alten Ägypter und Babylonier

Ägypten
→ Hauptartikel: Mathematik im Alten Ägypten

Die wichtigsten der wenigen erhaltenen Quellen, die uns Auskunft über die mathematischen Fähigkeiten
der Ägypter geben, sind der Papyrus Rhind, der Papyrus Moskau und die sogenannte „Lederrolle“.

Die Ägypter verwendeten die Mathematik meist nur für praktische Aufgaben wie die Lohnberechnung, die
Berechnung von Getreidemengen zum Brotbacken oder Flächenberechnungen. Sie kannten die vier
Grundrechenarten, so die Subtraktion als Umkehrung der Addition, die Multiplikation führte man auf das
fortgesetzte Verdoppeln zurück und die Division auf das wiederholte Halbieren. Um die Division
vollständig durchführen zu können, verwendeten die Ägypter allgemeine Brüche natürlicher Zahlen, die sie
durch Summen von Stammbrüchen und dem Bruch 2/3 darstellten. Sie konnten auch Gleichungen mit
einer abstrakten Unbekannten lösen. In der Geometrie waren ihnen die Berechnung der Flächen von
Dreiecken, Rechtecken und Trapezen, (16/9)2 als Näherung der Kreiszahl π (pi) und die Berechnung des
Volumens eines quadratischen Pyramidenstumpfs[2] bekannt. Archäologische Funde von Aufzeichnungen
einer mathematischen Beweisführung fehlen bis heute. Sie hatten für Zahlen eigene Hieroglyphen, ab dem
Jahr 1800  v.  Chr. benutzten sie die hieratische Schrift, die mit abgerundeten und vereinfachten
hieroglyphischen Schriftzeichen geschrieben wurde.

Babylon
→ Hauptartikel: Babylonische Mathematik

Die Babylonier verwendeten ein Sexagesimal-Stellenwertsystem, wenn auch mit unvollkommener


Ausprägung, so dass sich die Bedeutung häufig erst aus dem Zusammenhang ergab. Die erhaltenen
Tontafeln sind zum Beispiel Zahlentabellen für Multiplikation, mit Kehrwerten (entsprechend ihrem
Verfahren für die Division), Quadraten und Kuben; nicht vorhandene Tabellenwerte konnten durch lineare
Interpolation und Anwendung von Teilbarkeitsregeln ermittelt werden. Es gibt auch Tafeln mit Aufgaben,
die zum Beispiel heutigen linearen Gleichungssystemen entsprechen oder Zinseszinsrechnungen, und
Erläuterungen von Rechenmethoden. Sie verfügten über einen Algorithmus zur Berechnung von
Quadratwurzeln (Babylonisches Wurzelziehen) und konnten damit sogar quadratische Gleichungen lösen.
Sie kannten den Satz des Pythagoras und als Näherung für die Kreiszahl π benutzten sie 3 oder 3+1/8. Eine
strenge Beweisführung strebten die Babylonier offenbar nicht an.
Babylonische Keilschrifttafel YBC
7289 mit einer sexagesimalen
Näherung für die Quadratwurzel von
Zwei (auf der Diagonalen):

Mathematik in Griechenland
Die Mathematik der griechischen Antike teilt sich in vier große Perioden:[3]

Ionische Periode (Ionische Philosophie/Vorsokratiker: Thales, Pythagoras, Anaxagoras,


Demokrit, Hippokrates, Theodoros) von 600 bis 400 v. Chr.
Athenische Periode (Sophisten, Platon, Aristoteles, Theaitetos, Eudoxos von Knidos,
Menaichmos, Deinostratos, Autolykos von Pitane) von 400 bis 300 v. Chr.
Alexandrinische Periode (Euklides, Aristarchos, Archimedes, Eratosthenes, Nikomedes,
Apollonios) von 300 bis 200 v. Chr.
Spätzeit (Hipparchos, Menelaos, Heron von Alexandria, Ptolemäus, Diophant von
Alexandrien, Pappos) von 200 v. Chr. bis 300 n. Chr.

Thales Archimedes Heron von Claudius Ptolemäus


Alexandria

Nach einer aus der Antike stammenden, aber unter Wissenschaftshistorikern umstrittenen Überlieferung
beginnt die Geschichte der Mathematik als Wissenschaft mit Pythagoras von Samos. Ihm wird – allerdings
wohl zu Unrecht – der Grundsatz „alles ist Zahl“ zugeschrieben. Er begründete die Schule der Pythagoreer,
aus der später Mathematiker wie Hippasos von Metapont und Archytas von Tarent hervorgingen. Im
Unterschied zu den Babyloniern und Ägyptern hatten die Griechen ein philosophisches Interesse an der
Mathematik. Zu den Erkenntnissen der Pythagoreer zählt die Irrationalität geometrischer
Streckenverhältnisse, die von Hippasos entdeckt worden sein soll. Die früher verbreitete Ansicht, dass die
Entdeckung der Irrationalität bei den Pythagoreern eine philosophische „Grundlagenkrise“ auslöste, da sie
ihre früheren Überzeugungen erschütterte, wird jedoch von der heutigen Forschung verworfen. Die antike
Legende, wonach Hippasos Geheimnisverrat beging, indem er seine Entdeckung veröffentlichte, soll aus
einem Missverständnis entstanden sein.

In der Platonischen Akademie in Athen stand die Mathematik hoch im Kurs. Platon schätzte sie sehr, da sie
dazu diente, wahres Wissen erlangen zu können. Die griechische Mathematik entwickelte sich danach zu
einer beweisenden Wissenschaft. Aristoteles formulierte die Grundlagen der Aussagenlogik. Eudoxos von
Knidos schuf mit der Exhaustionsmethode zum ersten Mal eine rudimentäre Form der
Infinitesimalrechnung. Wegen des Fehlens von reellen Zahlen und Grenzwerten war diese Methode
allerdings recht unhandlich. Archimedes erweiterte diese und berechnete damit unter anderem eine
Näherung für die Kreiszahl π.

Platon Aristoteles Euklid von Demokrit


Alexandria

Euklid fasste in seinem Lehrbuch Elemente einen Großteil der damals bekannten Mathematik (Geometrie
und Zahlentheorie) zusammen. Unter anderem wird darin bewiesen, dass es unendlich viele Primzahlen
gibt. Dieses Werk gilt als Musterbeispiel für mathematisches Beweisen: aus wenigen Vorgaben werden alle
Ergebnisse in einer Strenge hergeleitet, die es zuvor nicht gegeben haben soll. Euklids „Elemente“ wird
auch noch heute nach über 2000 Jahren als Lehrbuch verwendet.

Im Gegensatz zu den Griechen befassten sich die antiken Römer kaum mit höherer Mathematik, sie waren
mehr an praktischen Anwendungen etwa im Vermessungs- und Ingenieurswesen interessiert. Die
römischen Landvermesser hießen Gromatici oder Agrimensoren; ihre Schriften wurden im 6. Jahrhundert
zu einem Sammelwerk (Corpus Agrimensorum) zusammengefasst. Wichtige Agrimensoren waren Sextus
Iulius Frontinus, Hyginus Gromaticus und Marcus Iunius Nipsus. Bis zur Spätantike blieb die Mathematik
weitgehend eine Domäne der griechischsprachigen Bewohner des Reichs, der Schwerpunkt
mathematischer Forschung lag in römischer Zeit auf Sizilien und in Nordafrika, dort vor allem in
Alexandria. Pappos lieferte neue Beiträge zur Geometrie (auch mit ersten Resultaten zur Projektiven
Geometrie), Apollonios zu Kegelschnitten und Diophant lieferte Beiträge zu einer geometrisch verkleideten
Algebra und zur Zahlentheorie (Lösung ganzzahliger Gleichung, nach ihm später Diophantische Probleme
genannt). Die letzte, namentlich bekannte Mathematikerin in Alexandria war Hypatia, die 415 von einem
christlichen Mob getötet wurde.

Chinesische und indische Mathematik

China
→ Hauptartikel: Mathematik im alten China

Das erste noch erhaltene Lehrbuch chinesischer Mathematik ist das Zhoubi suanjing. Es wurde während
der Han-Dynastie, zwischen 206 v. Chr. bis 220 n. Chr., von Liu Hui ergänzt, da infolge der Bücher- und
Urkundenverbrennungen während der Qin-Dynastie die meisten mathematischen Aufzeichnungen zerstört
waren und aus dem Gedächtnis heraus wieder aufgeschrieben wurden. Die mathematischen Erkenntnisse
werden bis in das 18. Jahrhundert v. Chr. datiert. Es folgten später bis 1270 n. Chr. weitere Ergänzungen.
Es enthält außerdem einen Dialog über den Kalender zwischen Zhou Gong Dan, dem Herzog von Zhou,
und dem Minister Shang Gao. Fast genauso alt ist Jiu Zhang Suanshu („Neun Kapitel über mathematische
Kunst“), welches 246 Aufgaben über verschiedene Bereiche enthält; unter anderem ist darin auch der Satz
des Pythagoras zu finden, jedoch ohne jegliche Beweisführung. Die Chinesen verwandten ein dezimales
Stellenwertsystem aus waagerechten und senkrechten Strichen (Suan  Zi, „Rechnen mit Pfählen“
genannt)[4] geschrieben; um 300  n.  Chr. errechnete Liu Hui über ein 3072-Eck die Zahl 3,14159 als
Näherung für π.

Den Höhepunkt erreichte die chinesische Mathematik im 13. Jahrhundert. Der bedeutendste Mathematiker
dieser Zeit war Zhu Shijie mit seinem Lehrbuch Siyuan Yujian („kostbarer Spiegel der vier Elemente“), das
algebraische Gleichungssysteme und algebraische Gleichungen vierzehnten Grades behandelte und diese
durch eine Art Hornerverfahren löste. Nach dieser Periode kam es zu einem jähen Abbruch der Mathematik
in China. Um 1600 griffen Japaner die Kenntnisse in der Wasan (Japanische Mathematik) auf. Ihr
bedeutendster Mathematiker war Seki Takakazu (um 1700). Mathematik wurde als geheime
Tempelwissenschaft betrieben.

Indien

Datierungen sind, einem Bonmot des Indologen W. D. Whitney zufolge, in


der gesamten indischen Geschichte außerordentlich problematisch.[5]

Die ältesten Andeutungen über geometrische Regeln zum Opferaltarbau


finden sich bereits im Rig Veda. Doch erst mehrere Jahrhunderte später
entstanden (d.  h. wurden kanonisiert) die Sulbasutras („Seilregeln“,
geometrische Methoden zur Konstruktion von Opferaltären) und weitere
Lehrtexte wie beispielsweise die Silpa Sastras (Regeln zum Tempelbau)
usw. Möglicherweise halbwegs verlässlich datiert auf etwa um 500 n. Chr.
das Aryabhatiya und verschiedene weitere „Siddhantas“ („Systeme“,
hauptsächlich astronomische Aufgaben). Die Inder entwickelten das uns Aryabhata
vertraute dezimale Positionssystem, das heißt die Polynomschreibweise zur
Basis  10 sowie dazugehörende Rechenregeln. Schriftliches Multiplizieren
in babylonischer, ägyptischer oder römischer Zahlnotation war außerordentlich kompliziert und arbeitete
mittels Substitution; d.  h. mit vielen auf die Notation bezogenen Zerlegungs- und
Zusammenfassungsregeln, während sich in indischen Texten viele „elegante“ und einfache Verfahren
beispielsweise auch schon zum schriftlichen Wurzelziehen finden.
Unsere Zahlzeichen (indische Ziffern) für die Dezimalziffern leiten sich direkt aus der indischen
Devanagari ab. Die früheste Verwendung der Ziffer 0 wird auf etwa 400 n. Chr. datiert; Aryabhata um 500
und Bhaskara um 600 verwendeten sie jedenfalls bereits ohne Scheu, sein Zeitgenosse Brahmagupta
rechnete sogar mit ihr als Zahl und kannte negative Zahlen. Die Benennung der Zahlzeichen in
verschiedenen Kulturen ist uneinheitlich: Die Araber nennen diese (adoptierten Devanagari-) Ziffern
„indische Zahlen“, die Europäer auf Grundlage der mittelalterlichen Rezeptionsgeschichte „arabische
Zahlen“ und die Japaner aus analogem Grund Romaji, das heißt lateinische oder römische Zeichen
(zusammen mit dem lateinischen Alphabet). Unter „römischen Zahlen“ verstehen Europäer wiederum
etwas anderes.

Mit der Ausbreitung des Islams nach Osten übernahm um etwa 1000 bis spätestens 1200 die muslimische
Welt viele der indischen Erkenntnisse, islamische Wissenschaftler übersetzten indische Werke ins
Arabische, die über diesen Weg auch nach Europa gelangten. Ein Buch des persischen Mathematikers
Muhammad ibn Musa Chwarizmi wurde im 12. Jahrhundert in Spanien ins Latein übersetzt. Die indischen
Ziffern (figurae Indorum) wurden zuerst von italienischen Kaufleuten verwendet. Um 1500 waren sie auf
dem Gebiet des heutigen Deutschland bekannt.

Ein anderer bedeutender Mathematiker war der Astronom Bhaskara II (1114–1185).

Mathematik in der Blütezeit des Islam


→ Hauptartikel: Mathematik in der Blütezeit des Islam

In der islamischen Welt bildete für die Mathematik die Hauptstadt Bagdad das Zentrum der Wissenschaft.
Die muslimischen Mathematiker übernahmen die indische Positionsarithmetik und den Sinus und
entwickelten die griechische und indische Trigonometrie weiter, ergänzten die griechische Geometrie und
übersetzten und kommentierten die mathematischen Werke der Griechen. Die bedeutendste mathematische
Leistung der Muslime ist die Begründung der heutigen Algebra. Diese Kenntnisse gelangten über Spanien,
die Kreuzzüge und den italienischen Seehandel nach Europa. In der Übersetzerschule von Toledo etwa
wurden viele der arabischen Schriften ins Lateinische übertragen.

Folgende Phasen können unterschieden werden:

Frühzeit: Al-Chwarizmi (um 820 n. Chr.), Name steckt im Wort „Algorithmus“ (Rechnen nach
Art des Algorismi), schrieb De numero indorum, in dem das indische Positionssystem
beschrieben ist, und Al-dschabr wa'l muqabalah (Aufgabensammlung für Kaufleute und
Beamte, steckt im Wort „Algebra“); andere Mathematiker: Thabit ibn Qurra, al-Battani
(Albategnius), al-Dschawhari, Abu l-Wafa.
Hochblüte: um 1000 n. Chr.; al-Karadschi erweiterte die Algebra; der persische Mediziner,
Philosoph und Mathematiker Avicenna (Ibn Sina) betonte die Bedeutung der Mathematik; al-
Bīrūnī; Ibn al-Haitham (Alhazen).
Spätzeit: Der persische Dichter und Mathematiker Omar Chayyām (um 1100) verfasste ein
Lehrbuch für Algebra; weitere wichtige Mathematiker dieser Zeit waren Nasir al-Din al-Tusi
(um 1250) und al-Kaschi (um 1400).
Al-Chwarizmi Al-Tusi Abu l-Wafa Ibn Sina

Mathematik der Maya


Unser Wissen über die Mathematik und Astronomie (Kalenderrechnung) der Maya stammt überwiegend
aus dem Dresdner Kodex. Die Maya-Zahlschrift beruht auf der Basis 20. Als Grund dafür wird vermutet,
dass die Vorfahren der Maya mit Fingern und Zehen zählten[6]. Die Maya kannten die Zahl  0, aber
verwendeten keine Brüche. Für die Darstellung von Zahlen verwendeten sie Punkte, Striche und Kreise,
die für die Ziffern 1, 5 und 0 standen. Die Mathematik der Maya war hochentwickelt, vergleichbar mit den
Hochkulturen im Orient. Sie verwendeten sie zur Kalenderberechnung und für die Astronomie. Der Maya-
Kalender war der genaueste seiner Zeit.

Mathematik in Europa

Mathematik im Mittelalter

Das Mittelalter als Epoche der europäischen Geschichte begann etwa mit dem Ende des römischen Reiches
und dauerte bis zur Renaissance. Die Geschichte dieser Zeit war bestimmt durch die Völkerwanderung und
den Aufstieg des Christentums in Westeuropa. Der Niedergang des römischen Reiches führte zu einem
Vakuum, das in Westeuropa erst durch den Aufstieg des Frankenreiches kompensiert wurde. Im Zuge der
Gestaltung einer neuen politischen Ordnung durch die Franken kam es zu der sogenannten karolingischen
Renaissance. Das Wissen des Altertums wurde zunächst in Klöstern bewahrt. Klosterschulen wurden im
späteren Mittelalter von Universitäten als Zentren der Gelehrsamkeit abgelöst. Eine wichtige Bereicherung
der westeuropäischen Wissenschaft erfolgte, indem die arabische Überlieferung und Weiterentwicklung
griechischer Mathematik, Medizin und Philosophie sowie die arabische Adaption indischer Mathematik
und Ziffernschreibung auf dem Weg von Übersetzungen ins Lateinische im Westen bekannt wurden. Die
Kontakte zu arabischen Gelehrten und deren Schriften ergaben sich einerseits als Folge der Kreuzzüge in
den Vorderen Orient und andererseits durch die Kontakte mit den Arabern in Spanien und Sizilien, hinzu
kamen Handelskontakte besonders der Italiener im Mittelmeerraum, denen zum Beispiel auch Leonardo da
Pisa („Fibonacci“) einige seiner mathematischen Kenntnisse verdankte.

Aufstieg der Klosterschulen

An der Grenze zwischen dem römischen Reich und dem beginnenden Neuen steht Boëthius (ca. 480–524).
Seine Einführung in die Arithmetik bildete die Grundlage für den Unterricht dieses Faches bis zum
Ausgang des Mittelalters; ebenfalls einflussreich, wenn auch in geringerem Maße, war seine Einführung in
die Geometrie. Im Jahre 781 berief Karl der Große den Gelehrten Alkuin von York (735–804) zum Leiter
seiner Hofschule, der das Bildungswesen des Frankenreiches aufbauen sollte. Man nannte ihn auch den
„Lehrer der Westfranken“. Im östlichen Frankenreich begründete ein
Schüler Alkuins das Schulwesen, der aus Mainz stammende Rabanus
Maurus. Mathematische Lehrinhalte wurden gemäß der Einteilung der
sieben freien Künste in den vier Fächern des Quadriviums gelehrt:

Arithmetik: Die Eigenschaften und Arten der Zahlen (z. B.


gerade, ungerade, Primzahlen, Flächen- und Körperzahlen)
sowie Proportionen und Zahlenverhältnisse, jeweils nach
Boëthius, außerdem Grundkenntnisse über griechische und
lateinische Zahlschrift, Grundrechenarten, Fingerrechnen und
im 11.–12. Jahrhundert Abakusrechnen, seit dem
13. Jahrhundert auch schriftliches Rechnen mit arabischen
Ziffern Boëthius (mittelalterliche
Geometrie: Elemente euklidischer Geometrie, Mess- und Illustration)
Vermessungswesen, Geographie und z. T. auch Geschichte
Astronomie: Grundkenntnisse der Ptolemäischen Astronomie
und z. T. auch Astrologie, seit dem 10. Jahrhundert Benutzung des Astrolabs, außerdem
Komputistik zur Berechnung des Ostertermins und der beweglichen Feste des
Kirchenjahres
Musik: Harmonielehre nach den Zahlenverhältnissen der antiken Kirchentonarten

Bekannt sind folgende in Klöstern entstandenen Rechenbücher: Aufgaben zur Schärfung des Geistes
Jugendlicher (um 800) (früher Alkuin von York zugeschrieben), die Aufgaben aus den Annales Stadenses
(Kloster Stade) (um 1180) und die Practica des Algorismus Ratisbonensis (Kloster Emmeram Regensburg)
(um 1450).

Berechnung des Ostertermins

Die Berechnung des Termins für das Osterfest, des wichtigsten Festes des Christentums, spielte im
Mittelalter eine große Rolle für die Weiterentwicklung der Mathematik. Karl der Große verfügte, dass sich
in jedem Kloster ein Mönch mit der Komputistik zu befassen hatte. Dadurch sollte das Wissen um die
Berechnung des Osterdatums sichergestellt werden. Die genaue Berechnung des Termines und die
Entwicklung des modernen Kalenders wurde durch diese Mönche weiterentwickelt, die Grundlagen
übernahm das Mittelalter von Dionysius Exiguus (ca.  470 bis ca.  540) und Beda dem Ehrwürdigen
(ca. 673–735). Im Jahre 1171 publizierte Reinher von Paderborn eine verbesserte Methode zur Berechnung
des Osterdatums.

Universitäten

Die frühmittelalterlichen Klosterschulen wurden erst im weiteren Verlauf des Mittelalters ergänzt durch die
Kathedralschulen, die Schulen der Bettelorden und die Universitäten. Sie waren deshalb zunächst die
einzigen Träger des antiken Kulturerbes, indem sie für die Abschrift und Verbreitung der antiken Werke
sorgten. Die Abschrift, Kommentierung und kompilierende Aufbereitung des Lehrguts blieb lange Zeit die
einzige Form der Auseinandersetzung mit den Themen der Mathematik. Erst im Hochmittelalter
entwickelte sich die in Ansätzen kritischere Methode der Scholastik, mit der Lehrmeinungen in ihrem pro
und contra auf Widersprüche überprüft und diese nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit den als
grundlegend erachteten Standpunkten der kirchlichen und antiken Autoritäten aufgelöst wurden.

Diese Methode wurde ab dem 12. Jahrhundert auf die Darstellungen der antiken Wissenschaft angewendet,
insbesondere die des Aristoteles. Im 12.  Jahrhundert wurden die Universitäten in Paris und Oxford zum
europäischen Zentrum der wissenschaftlichen Aktivitäten. Robert Grosseteste (1168–1253) und sein
Schüler Roger Bacon (1214–1292) entwarfen ein neues Wissenschaftsparadigma. Nicht die Berufung auf
kirchliche oder antike Autoritäten, sondern das Experiment sollte die Bewertung der Korrektheit
maßgeblich bestimmen. Papst Clemens IV. forderte Roger Bacon im Jahre 1266 auf, ihm seine Ansichten
und Vorschläge zur Behebung der Missstände in der Wissenschaft mitzuteilen. Bacon verfasste als Antwort
mehrere Bücher, darunter sein Opus Maius. Bacon wies auf die Bedeutung der Mathematik als Schlüssel
zur Wissenschaft hin; er befasste sich insbesondere mit der Geometrie angewendet auf die Optik.
Unglücklicherweise starb der Papst, bevor ihn das Buch erreichte. Ein weiterer wichtiger Beitrag Bacons
betrifft die Kalenderreform, die er einforderte, die allerdings dann erst im Jahre  1582 als Gregorianische
Kalenderreform durchgeführt wurde.

Robert Grosseteste Roger Bacon Nikolaus von Wilhelm von


Oresme Ockham

Eine wichtige methodische Entwicklung in der Wissenschaft war die Quantifizierung von Qualitäten als
Schlüssel für die quantitative Beschreibung von Vorgängen. Nikolaus von Oresme (1323–1382) war einer
der ersten, die sich weitergehend auch mit der Veränderung der Intensitäten beschäftigten. Oresme
untersuchte verschiedene Formen der Bewegung. Er entwickelte eine Art funktionale Beschreibung, indem
er Geschwindigkeit gegen Zeit auftrug. Er klassifizierte die unterschiedlichen Formen der Bewegungen
und suchte nach funktionalen Zusammenhängen.

Oresme, aber auch Thomas Bradwardine (1295–1349), Wilhelm von


Ockham (1288–1348), Johannes Buridan (ca.  1300 bis ca.  1361) und
andere Gelehrte des Merton College untersuchten die funktionale
Beschreibung der Zusammenhänge von Geschwindigkeit, Kraft, Ort,
kurzum: sie beschäftigten sich mit Kinetik. Es wurden auch methodisch
wichtige Fortschritte erzielt. Grosseteste formulierte das Prinzip der
Uniformität der Natur, demzufolge Körper gleicher Beschaffenheit sich
unter gleichen Bedingungen auf gleiche Weise verhalten. Hier wird
deutlich, dass schon damals den Gelehrten bewusst war, dass die
Umstände, unter denen bestimmtes Verhalten betrachtet wird, zu
kontrollieren sind, wenn Vergleiche angestellt werden sollen. Weiterhin
formulierte Grosseteste das Prinzip der Ökonomie der Beschreibung, nach
dem unter gleichen Umständen diejenige Argumentation vorzuziehen ist,
die zum vollständigen Beweis weniger Fragen zu beantworten oder
weniger Annahmen erfordert. William Ockham war einer der größten
Logiker der damaligen Zeit, berühmt ist Ockhams Rasiermesser, ein
Grundsatz, der besagt, dass eine Theorie immer so wenig Annahmen und
Begrifflichkeiten wie möglich enthalten soll.

Die Gelehrten der damaligen Zeit waren oft auch Theologen. Die Nikolaus von Kues
Beschäftigung mit geistlichen Fragen wie z. B. der Allmacht Gottes führte (Nikolaus Cusanus)
sie zu Fragen in Bezug auf das Unendliche. In diesem Zusammenhang ist
Nikolaus von Kues (Nikolaus Cusanus) (1401–1464) zu nennen, der als einer der ersten, noch vor Galilei
oder Giordano Bruno, die Unendlichkeit der Welt beschrieb. Sein Prinzip der coincidentia oppositorum
zeugt von einer tiefgehenden philosophischen Beschäftigung mit dem Thema Unendlichkeit.

Praktische Mathematik

Gegen Ende des Mittelalters entstanden die Kathedralen Europas, deren Bau ganz neue Anforderungen an
die Beherrschung der Statik stellte und zu technologischen Höchstleistungen auf diesem Gebiet
herausforderte. In diesem Zusammenhang wurden auch immer wieder geometrische Probleme behandelt.
Ein wichtiges Lehrbuch, das die Architektur behandelt, ist das Bauhütten­buch von Villard de Honnecourt.

Im Bereich der Vermessungsgeometrie wurden während des gesamten Mittelalters stetige Fortschritte
erzielt, besonders zu nennen sind hier im 11. Jahrhundert die Geometrie der Geodäten zurückgehend auf
ein Buch des Boëthius, im 12.  Jahrhundert die eher konventionelle Geometria practica von Hugo von
St.  Victor (1096–1141). Im 13.  Jahrhundert wurde von Levi ben Gershon (1288–1344) ein neues
Vermessungsgerät beschrieben, der sogenannte Jakobsstab.

Beginn der Geldwirtschaft

Mit dem Beginn einer Wirtschaft, die nicht auf Warentausch, sondern auf Geld
basiert, entstanden neue Anwendungsgebiete der Mathematik. Dies gilt
insbesondere für Italien, das zur damaligen Zeit ein Umschlagplatz für Waren von
und nach Europa war, und dessen damals führende Rolle im Finanz- und
Bankwesen sich noch heute in der Verwendung von Wörtern wie „Konto“,
„brutto“ und „netto“ auswirkt. In diesem Zusammenhang ist besonders Leonardo
da Pisa, genannt Fibonacci, und sein Liber abbaci zu nennen, der nichts mit dem
Abacus als Rechenbrett zu tun hat, sondern gemäß einem zu dieser Zeit in Italien
Leonardo da Pisa aufkommenden Sprachgebrauch das Wort abacus oder „abbacco“ als Synonym
(Fibonacci), für Mathematik und Rechnen verwendet. In der Mathematik Fibonaccis vollzog
Fantasieporträt sich eine für das Mittelalter singuläre Synthese aus kaufmännischem Rechnen,
traditioneller griechisch-lateinischer Mathematik und neuen Methoden der
arabischen und (arabisch vermittelten) indischen Mathematik. Mathematisch
weniger anspruchsvoll, dafür mehr an den praktischen Erfordernissen von Bank- und Kaufleuten
ausgerichtet, waren die zahlreichen Rechenbücher, die als Lehrbücher zur praktischen und merkantilen
Arithmetik seit dem 14. Jahrhundert in italienischer Sprache verfasst wurden.

Mathematik der frühen Neuzeit

Arabische Mathematik kam über Spanien, wo im Zuge der Reconquista die Mauren aus Europa vertrieben
wurden, und über Handelsbeziehungen nach Europa und ihre Mathematik beeinflusste in der Folge die
europäische grundlegend. Begriffe wie Algebra, Algorithmus sowie die arabischen Ziffern gehen darauf
zurück. In der Renaissance wurden die antiken Klassiker und andere Werke durch weite Verbreitung über
den Buchdruck allgemein zugänglich.[7] Die Kunst der Renaissance führte zur Entwicklung der
Perspektive (u. a. Albrecht Dürer, Filippo Brunelleschi, Leon Battista Alberti, Piero della Francesca) und
Darstellenden Geometrie und die damit zusammenhängende projektive Geometrie (Gérard Desargues)
hatte ebenfalls im Architekturwesen ihren Ursprung. Die Entdeckungsreisen führten zu Entwicklungen in
Kartographie und Navigation (das lange akute Längengradproblem) und die Landvermessung (Geodäsie)
war für die Entwicklung der Territorialstaaten von Bedeutung. Praktische Erfordernisse von Ingenieuren
(nicht zuletzt militärischer Art) wie Simon Stevin (Dezimalbrüche) und Astronomen führten zu
Verbesserungen der Rechentechnik, insbesondere durch Erfindung der Logarithmen (John Napier, Jost
Bürgi).

In Deutschland erklärte Adam Ries(e) – bekannt aus einem verbreiteten Sprichwort – seinen Landsleuten in
der Landessprache das Rechnen, und die Verwendung der indischen Ziffern statt der unpraktischen
römischen wurde populär. Im Jahr 1544 wurde in Nürnberg Arithmetica integra, eine Zusammenfassung
der damals bekannten Arithmetik und Algebra von Michael Stifel, gedruckt.[8] In Frankreich entdeckte
René Descartes, dass man Geometrie, die bis dahin nach Euklid gelehrt wurde, auch algebraisch
beschreiben kann und umgekehrt algebraische Gleichungen geometrisch deuten kann (Analytische
Geometrie) nach Einführung eines Koordinatensystems. Ein Briefwechsel zwischen Blaise Pascal und
Pierre de Fermat im Jahr  1654 über Probleme von Glücksspielen gilt als Geburt der klassischen
Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Siehe auch: Geschichte der Wahrscheinlichkeitsrechnung

Adam Ries(e) Michael Stifel René Descartes Blaise Pascal

Pierre de Fermat

Blaise Pascal war auch einer der Begründer der Kombinatorik (Binomialkoeffizienten, Pascalsches
Dreieck) und baute eine der ersten Rechenmaschinen. François Viète verwendete systematisch Variablen
(Unbekannte) in Gleichungen. Damit wurde die Algebra weiter formalisiert. Pierre de Fermat, der
hauptberuflich Richter war, lieferte wichtige Resultate zur Variationsrechnung und in der Zahlentheorie
(Lösung von algebraischen Gleichungen in den ganzen Zahlen, sogenannte Diophantische Probleme),
insbesondere den „kleinen Fermatschen Satz“ und formulierte den „großen Fermatschen Satz“. Er
behauptete, dass die Gleichung keine positiven ganzzahligen Lösungen hat, falls .
Am Rand seiner Ausgabe der Arithmetica von Diophant von Alexandrien schrieb er dazu den Satz: „Ich
habe einen wunderbaren Beweis gefunden, doch leider ist dafür der Rand zu schmal“. Jahrhundertelang
suchten Mathematiker vergeblich nach diesem angeblichen Beweis. Der Beweis des Satzes gelang erst
Jahrhunderte später (1995) mit Fermat nicht zugänglichen Methoden (siehe unten). In Italien fanden
Cardano und Tartaglia die algebraische Formel für die Lösungen der kubischen Gleichung, Ferrari der
Gleichung 4. Grades. Die Suche nach weiteren Lösungsformeln höherer Gleichungen fand erst durch die
Galoistheorie im 19. Jahrhundert ein Ende.

Entwicklung der Infinitesimalrechnung

Das Problem, Tangenten an Kurven


(Differentialrechnung) und Flächen unter Kurven
(Integralrechnung) zu bestimmen, beschäftigte viele
Mathematiker des 17. Jahrhunderts, mit wichtigen
Beiträgen zum Beispiel von Bonaventura Cavalieri,
Johannes Kepler, Gilles de Roberval, Pierre de Fermat,
Evangelista Torricelli, René Descartes, Isaac Barrow
(mit Einfluss auf Newton) und Christian Huygens (der
Gottfried Wilhelm besonders Leibniz beeinflusste).[9] Isaac Newton
Leibniz
Unabhängig voneinander entwickelten Isaac Newton
und Leibniz eine der weitreichendsten Entdeckungen der Mathematik, die
Infinitesimalrechnung und damit den Begriff der Ableitung und des Zusammenhangs von Differential- und
Integralrechnung über den Fundamentalsatz der Analysis. Um der Problematik der unendlich kleinen
Größen beizukommen, argumentierte Newton hauptsächlich über Geschwindigkeiten (Fluxionen). Leibniz
gab eine elegantere Formulierung des Infinitesimalkalküls und begründete die Bezeichnung sowie das
Integralzeichen . Zwischen den beiden Mathematikern und ihren Schülern kam es später zu einem
langwierigen Prioritätsstreit,[10][11] der sich auch zu einem Gegensatz kontinentaleuropäischer und
englischer Mathematik zuspitzte. Der vielseitig, aber eher philosophisch interessierte Leibniz kam zwar in
Hinsicht auf mathematische Fähigkeiten nicht an den in persönlicher Hinsicht sehr schwierigen und
streitbaren Newton heran (Leibniz hatte zuvor in Briefwechsel mit Newton gestanden, der das so sah, dass
er ihm auf diese Weise wesentliche eigene Ergebnisse zukommen ließ, die Newton nicht veröffentlicht
hatte, aber unter ausgewählten Mathematikern zirkulieren ließ), erhielt aber Unterstützung durch
kontinentaleuropäische Mathematiker, besonders den begabten Mathematikern der Familie Bernoulli aus
der Schweiz.

Gleichzeitig legte Isaac Newton die Grundlagen der theoretischen Mechanik und theoretischen Physik in
seinem berühmten Hauptwerk Philosophiae Naturalis Principia Mathematica. Er verwendete darin zwar
nicht die Sprache der Analysis, sondern formulierte seine Sätze im klassischen geometrischen Stil, den
Zeitgenossen war aber klar, dass er sie mit Hilfe der Analysis gewonnen hatte und in dieser Sprache
wurden die theoretische Physik und Mechanik dann auch im 18. Jahrhundert ausgebaut.

Von Leibniz wiederum stammen auch Ideen zu einer universalen Algebra, Determinanten, Binärzahlen und
eine Rechenmaschine.

Mathematik im 18. Jahrhundert

Die Methoden der Infinitesimalrechnung wurden weiter entwickelt, auch wenn die Anforderungen an
mathematische Strenge damals noch sehr gering waren, was einige Philosophen wie zum Beispiel George
Berkeley scharf kritisierten. Einer der produktivsten Mathematiker jener Zeit war der Schweizer Leonhard
Euler. Ein Großteil der heute verwendeten „modernen“ Symbolik geht auf Euler zurück. Neben seinen
Beiträgen zur Analysis führte er, neben vielen anderen Verbesserungen in der Notation, als erster das
Symbol i als eine Lösung der Gleichung x2 = −1 ein. Die Vorgeschichte der komplexen Zahlen ging bis
auf Cardano und andere Renaissance-Mathematiker zurück, diese Erweiterung des Zahlbereichs bereitete
aber noch lange der Vorstellungskraft der meisten Mathematiker Schwierigkeiten und ihren wirklichen
Durchbruch in der Mathematik erzielten sie erst im 19. Jahrhundert, nachdem auch eine geometrische
Interpretation als zweidimensionale Vektoren entdeckt wurde (Caspar Wessel 1799, Jean-Robert Argand,
Gauß). Von Euler stammen auch zahlreiche Anwendungen der Mathematik in der Physik und Mechanik.

Außerdem spekulierte Euler darüber, wie eine Analysis situs aussehen könne, der Beschreibung von
Lagebeziehungen von Objekten ohne Verwendung einer Metrik (Längen- und Winkelmessung). Diese Idee
wurde später zum Theoriegebäude der Topologie ausgebaut. Eulers erster Beitrag dazu war die Lösung des
Königsberger Brückenproblems und sein Polyedersatz. Ein weiterer fundamentaler Zusammenhang
zwischen zwei entfernten Gebieten der Mathematik, der Analysis und der Zahlentheorie, geht ebenfalls auf
ihn zurück. Die Verbindung von Zeta-Funktion und Primzahlen, die Bernhard Riemann im 19. Jahrhundert
zu einer Grundlage der analytischen Zahlentheorie machte, entdeckte Euler als erster. Weitere Beiträge zur
Analysis der Zeit und ihrer Anwendung stammten von den Bernoullis (insbesondere Johann I Bernoulli,
Daniel Bernoulli), Lagrange und D’Alembert, insbesondere dem Ausbau und der Anwendung der
Variationsrechnung auf die Lösung vieler Probleme der Mechanik. Ein Zentrum der Entwicklung war
Frankreich und Paris, wo nach der Französischen Revolution und unter Napoleon die Mathematik in neu
gegründeten Ingenieursschulen (besonders der Ecole Polytechnique) einen großen Aufschwung nahm.
Mathematiker wie Jakob I Bernoulli am Anfang des Jahrhunderts, Abraham de Moivre, Laplace und
Thomas Bayes in England bauten die Wahrscheinlichkeitstheorie aus.

Lagrange leistete wichtige Beiträge zur Algebra (quadratische Formen, Gleichungstheorie) und
Zahlentheorie, Adrien-Marie Legendre zu Analysis (Elliptische Funktionen u.  a.) und zur Zahlentheorie
und Gaspard Monge zur Darstellenden Geometrie.
Leonhard Euler Johann I Bernoulli Jakob I Bernoulli Jean Baptiste
Joseph Fourier

Joseph-Louis
Lagrange

Mathematik im 19. Jahrhundert

Ab dem 19.  Jahrhundert wurden die Grundlagen der mathematischen


Begriffe hinterfragt und fundiert. Augustin-Louis Cauchy begründete die -
Definition des Grenzwertes. Außerdem legte er die Grundlagen der
Funktionentheorie. Der enge Zusammenhang der Entwicklung von Physik
und Mechanik und der Analysis des 18. Jahrhunderts blieb bestehen und
viele Mathematiker waren gleichzeitig theoretische Physiker, was man
damals also noch nicht trennte. Ein Beispiel für den Zusammenhang ist die
Entwicklung der Fourieranalyse durch Joseph Fourier. Eines der zentralen
Themen des 19. Jahrhunderts war die Untersuchung spezieller Funktionen,
besonders Elliptischer Funktionen und deren Verallgemeinerungen (eine
wichtige Rolle spielten hier Niels Henrik Abel und Carl Gustav Jacobi) und
algebraische Geometrie von Kurven und Flächen mit Verbindungen zur
Funktionentheorie (u. a. Bernhard Riemann mit seiner Idee der
Riemannschen Fläche, Alfred Clebsch, Felix Klein und die italienische Augustin-Louis Cauchy
Schule bei algebraischen Flächen). Es wurden eine Fülle von
Einzelresultaten auf den verschiedensten Gebieten entdeckt, deren
Ordnung und strenge Begründung aber häufig erst im 20. Jahrhundert erfolgen konnte. Ein großes
Beschäftigungsfeld von Mathematikern und Quelle für Entwicklungen in der Mathematik blieb wie im 18.
Jahrhundert die Himmelsmechanik.

Der jung in der Folge eines Duells getötete Franzose Évariste Galois verwendete in seiner Galoistheorie
Methoden der Gruppentheorie, um die Lösbarkeit algebraischer Gleichungen zu untersuchen, was zum
Beweis der allgemeinen Nichtauflösbarkeit von polynomialen Gleichungen (Grad 5 und höher) durch
Radikale (Wurzeloperationen) führte. Dies wurde unabhängig von Niels Henrik Abel gezeigt. Auch mit
Hilfe der Galoistheorie wurden einige der klassischen Probleme der Antike als nicht lösbar erkannt,
nämlich die Dreiteilung des Winkels und die Verdoppelung des Würfels (das gelang allerdings auch Pierre
Wantzel ohne Galoistheorie). Die Quadratur des Kreises wurde erst durch Beweis der Transzendenz von
durch Ferdinand Lindemann erledigt. Es entstanden neue Geometrien, insbesondere die Projektive
Geometrie (Jean-Victor Poncelet, Jakob Steiner, Karl von Staudt) wurde stark ausgebaut und Felix Klein
ordnete diese und andere Geometrien mit Hilfe des Konzepts der Transformationsgruppe (Erlanger
Programm).

Die Algebraiker erkannten, dass man nicht nur mit Zahlen rechnen kann; alles, was man braucht, sind
Verknüpfungen. Diese Idee wurde in Gruppen (zum Beispiel Galois, Arthur Cayley, Camille Jordan,
Ferdinand Georg Frobenius), Ringen, Idealen und Körpern (unter anderem Galois, endliche Körper
werden nach Galois Galois-Körper genannt) formalisiert, wobei Algebraiker in Deutschland wie Richard
Dedekind, Leopold Kronecker eine wichtige Rolle spielten. Der Norweger Sophus Lie untersuchte die
Eigenschaften von Symmetrien. Durch seine Theorie wurden algebraische Ideen in die Analysis und
Physik eingeführt. Die modernen Quantenfeldtheorien beruhen im Wesentlichen auf Symmetriegruppen.
Das Vektorkonzept entstand (unter anderem durch Hermann Grassmann) und das dazu konkurrierende
Konzept der Quaternionen (durch William Rowan Hamilton), einem Beispiel der vielen neu entdeckten
algebraischen Strukturen, sowie die moderne Theorie der Matrizen (Lineare Algebra).

In Göttingen wirkten zwei der


einflussreichsten Mathematiker der Zeit,
Carl Friedrich Gauß und Bernhard
Riemann. Neben fundamentalen
Erkenntnissen in der Analysis,
Zahlentheorie, Funktionentheorie schufen
sie und andere die Differentialgeometrie mit
dem Begriff der Krümmung und der
weitgehenden Verallgemeinerung in höhere
Dimensionen durch Riemann
(Riemannsche Geometrie). Die Bernhard Riemann
Nichteuklidische Geometrie machte die
Carl Friedrich Gauß Begrenztheit des jahrhundertelang
gelehrten Euklidischen Axiomensystems deutlich und wurde durch Nikolai
Iwanowitsch Lobatschewski und János Bolyai begründet (ihre Existenz
war auch Gauß bekannt, der aber nichts darüber veröffentlichte). Gauß legte mit seinen Disquisitiones
Arithmeticae die Grundlagen der Algebraischen Zahlentheorie und bewies den Fundamentalsatz der
Algebra.

In Berlin begründete insbesondere Karl Weierstraß eine mathematische Schule der strengen Grundlegung
der Analysis und der Begründung der Funktionentheorie auf Potenzreihen, während Riemann die
geometrische Funktionentheorie begründete und dabei die Rolle der Topologie herausstellte. Die Schülerin
von Weierstraß Sofja Wassiljewna Kowalewskaja war eine der ersten Frauen, die eine prominente Rolle in
der Mathematik einnahmen, und die erste Professorin in Mathematik.

Georg Cantor überraschte mit der Erkenntnis, dass es mehr als eine „Unendlichkeit“ geben kann. Er
definierte zum ersten Mal, was eine Menge ist, und wurde somit der Gründer der Mengenlehre. Gegen
Ende des 19. Jahrhunderts nahm Henri Poincaré eine führende Rolle in der Mathematik ein, unter anderem
gelangen ihm wesentliche Fortschritte in der algebraischen Topologie und der qualitativen Theorie der
Differentialgleichungen, was ihn später zu einem Vorläufer der Chaostheorie machte.
Die neu gestiegenen Forderungen an die Strenge von Beweisen und Bemühungen um Axiomatisierung
von Teilgebieten der Mathematik vertraten etwa Richard Dedekind bei den reellen Zahlen, Giuseppe Peano
bei den natürlichen Zahlen und David Hilbert in der Geometrie. Nach Tausenden von Jahren erfuhr die
Logik eine Runderneuerung. Gottlob Frege erfand die Prädikatenlogik, die erste Neuerung auf diesem
Gebiet seit Aristoteles. Zugleich bedeuteten seine Arbeiten den Anfang der Grundlagenkrise der
Mathematik.

Frankreich hatte nach der Französischen Revolution einen großen Aufschwung in der Mathematik erlebt,
Deutschland zog Anfang des Jahrhunderts mit der dominierenden Forschungspersönlichkeit von Gauß
nach, der allerdings keine Schule bildete und wie Newton die Angewohnheit hatte, selbst wesentliche neue
Entdeckungen nicht zu veröffentlichen. Das deutsche System der Forschungsseminare an den Universitäten
bildete sich zuerst in Königsberg und war dann zentraler Bestandteil der Lehre in den mathematischen
Zentren in Göttingen und Berlin und wirkte dann auch darüber hinaus zum Beispiel in die USA, für die
Deutschland in der Mathematik prägend war. Auch in Italien nahm die Mathematik nach der
Unabhängigkeit des Landes einen großen Aufschwung, besonders in der algebraischen Geometrie
(italienische Schule von Francesco Severi, Guido Castelnuovo und Federigo Enriques) und den
Grundlagen der Mathematik (Peano). Großbritannien hatte insbesondere einen Wirkungsschwerpunkt in
der theoretischen Physik, ihre mathematischen Schulen neigten aber immer wieder zu Sonderwegen, die sie
von Kontinentaleuropa isolierten, so im hartnäckigen Festhalten am Newtonschen Stil der Analysis im 18.
Jahrhundert und in der Betonung der Rolle der Quaternionen Ende des 19. Jahrhunderts. Der zuletzt in
Göttingen neben Hilbert wirkende, gut vernetzte Felix Klein nahm gegen Ende des Jahrhunderts in
Deutschland eine in vieler Hinsicht führende Stellung ein und organisierte ein Enzyklopädieprojekt der
Mathematik und ihrer Anwendungen, das auch französische Mathematiker einschloss. Die Niederlage im
Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 wirkte auf viele französische Mathematiker als Ansporn – wie
auf anderen Gebieten auch – um einen vermeintlichen Rückstand zum aufstrebenden deutschen Reich
aufzuholen, der zu einer neuen Blüte der französischen Mathematik führte. Der Erste Weltkrieg führte zu
einem Bruch der Beziehungen auch in der Mathematik.

Moderne Mathematik
Das 20. Jahrhundert erlebte einen beispiellosen, die vorangehenden Jahrhunderte in den Schatten stellenden
Ausbau der Mathematik sowohl in der Breite als auch in der Tiefe. Die Zahl der Mathematiker und
Anwender der Mathematik nahm stark zu, auch was die Zahl der Herkunftsländer und Frauen betraf.
Amerika und die Sowjetunion übernahmen vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg zusätzlich zu den
traditionellen mitteleuropäischen Nationen eine Führungsrolle, aber auch Länder wie Japan und China nach
Öffnung zum Westen. Die Mathematik wurde durch die großen technologischen Fortschritte im 20.
Jahrhundert und insbesondere die Digitalisierung zu einer Schlüssel-Disziplin.

Hilbert formulierte 1900 eine Reihe von berühmten Problemen (Hilbertsche Probleme), die vielfach als
Richtschnur für den weiteren Fortschritt dienten und von denen die meisten im Lauf des 20. Jahrhunderts
gelöst oder einer Lösung nähergebracht wurden. Ein Anliegen der modernen Mathematik war das
Bedürfnis, die Grundlagen dieser Wissenschaft ein für alle Mal zu festigen. Allerdings begann dies mit
einer Krise Anfang des 20.  Jahrhunderts: Bertrand Russell erkannte die Bedeutung von Freges Arbeiten.
Gleichzeitig entdeckte er allerdings auch unlösbare Widersprüche darin, die mit Paradoxien des
Unendlichen zusammenhingen (Russellsche Antinomie). Diese Erkenntnis erschütterte die gesamte
Mathematik. Mehrere Versuche zur Rettung wurden unternommen: Russell und Alfred North Whitehead
versuchten in ihrem mehrtausendseitigen Werk Principia Mathematica mit Hilfe der Typentheorie ein
Fundament aufzubauen. Alternativ dazu begründeten Ernst Zermelo und Abraham Fraenkel die
Mengenlehre axiomatisch (Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre). Letztere setzte sich durch, weil ihre wenigen
Axiome wesentlich handlicher sind als die schwierige Darstellung der Principia Mathematica.
Der Zweifel an den Grundlagen blieb aber bestehen. David Hilbert, der
eine berühmte Schule in Göttingen begründet hatte und die
unterschiedlichsten mathematischen Disziplinen revolutioniert hatte (von
der Geometrie, der algebraischen Zahlentheorie, der Funktionalanalysis mit
Beiträgen zur Physik bis zu den Grundlagen der Mathematik), sich
allerdings in einzelnen Schaffensperioden im Wesentlichen einem Gebiet
widmete und frühere Forschungsgebiete völlig aufgab, wandte sich in
seiner letzten Schaffensphase den Grundlagen der Mathematik und der
Formalisierung mathematischer Beweise zu. Beweise waren für Hilbert
und seine formalistische Schule nur eine Folge von Ableitungen aus
Axiomen, eine Folge von Symbolen, und einem berühmten Ausspruch von
Hilbert zufolge, der sich auf die Axiomatisierung der Geometrie bezog,
sollte man Punkte, Geraden und Ebenen in der Formelsprache jederzeit
durch Tische, Stühle und Bierseidel ersetzen können, wichtig waren nur die David Hilbert, Foto aus dem
Axiome und Ableitungsregeln. Kurt Gödels Unvollständigkeitssatz zeigte Jahr 1886
jedoch, dass es in jedem formalen System, das umfangreich genug ist, um
die Arithmetik der natürlichen Zahlen aufzubauen, Sätze gibt, die weder
bewiesen noch widerlegt werden können. Mathematiker und Logiker wie
Gerhard Gentzen bewiesen die Widerspruchsfreiheit von Teilgebieten der
Mathematik (jeweils unter Rückgriff auf diese Teilgebiete überschreitende
Prinzipien). Eine andere Richtung, die mit dem Intuitionismus Brouwers,
der zuvor auch einer der Begründer der mengentheoretischen Topologie
war, Anfang des Jahrhunderts einsetzte, versuchte eine von endlichen
Schritten ausgehende konstruktive Mathematik aufzubauen, bei der man
allerdings auf wichtige Sätze der Mathematik verzichten muss.

Neben der Logik wurden andere Bereiche der Mathematik zunehmend


abstrahiert und auf axiomatische Grundlagen gestellt, worin besonders
David Hilbert mit seiner Schule eine führende Rolle hatte. Französische
Kurt Gödel (1925)
Mathematiker wie Henri Lebesgue (Lebesgue-Integral), Jacques Hadamard
und Emile Borel (Maßtheorie), die Hilbert-Schule in Göttingen und die
polnische Schule unter ihrer Leitfigur Stefan Banach waren Zentren der
Entwicklung der Funktionalanalysis, das heißt der Untersuchung unendlich dimensionaler
Funktionenräume. Mit Hilfe der Banachräume und ihrer Dualitäten können viele Probleme, zum Beispiel
der Integralgleichungen, sehr elegant gelöst werden. Die polnische Schule der Zwischenkriegszeit war
auch führend in Topologie und mathematischer Grundlagenforschung und auch die russischen
Mathematiker hatten anfangs einen Schwerpunkt in Funktionalanalysis (Lusin-Schule, Andrei
Kolmogorow) und Topologie (u. a. Pawel Sergejewitsch Alexandrow, Lew Pontrjagin). Die Mathematik
wurde durch die Entwicklung neuer physikalischer Theorien befruchtet, insbesondere der
Quantenmechanik (mit Verbindung insbesondere zur Funktionalanalysis) und die Relativitätstheorie, das
den Tensorkalkül und die Differentialgeometrie beförderte. Die Distributionen (Laurent Schwartz, Sergei
Lwowitsch Sobolew) der Funktionalanalysis führte zuerst Paul Dirac in der Quantenmechanik ein. Diese
wiederum profitierte von der Entwicklung der Spektraltheorie linearer Operatoren (linearer Algebra in
unendlich vielen Dimensionen).

Andrei Kolmogorow lieferte eine axiomatische Begründung der Wahrscheinlichkeit. Die


Wahrscheinlichkeit ist für ihn ähnlich dem Flächeninhalt und kann mit Methoden der Maßtheorie behandelt
werden. Damit erhielt dieses Gebiet eine sichere Grundlage, auch wenn die Auseinandersetzungen über
Interpretationsfragen andauerten (siehe auch Geschichte der Wahrscheinlichkeitsrechnung). Eine große
Quelle „nützlicher Mathematik“ war die Entwicklung vielfältiger statistischer Methoden (Ronald Aylmer
Fisher, Karl Pearson, Abraham Wald, Kolmogorow und andere) mit breiten Anwendungen im
Versuchswesen, der Medizin, aber auch in den Sozial- und Geisteswissenschaften, der Marktforschung und
Politik.

Die Weiterentwicklung dieser Idee führte zur Schaffung des Standardmodells der Elementarteilchenphysik.
1930 wurde er Nachfolger von Hilbert in Göttingen. Drei Jahre später emigriert er in die USA. Die
führende Rolle der Hilbertschen Schule endete mit dem Nationalsozialismus, der sich auch in der
Mathematik bei den Vertretern der Deutschen Mathematik ausprägte, und der Vertreibung eines Großteils
der jüdischen Wissenschaftler aus ihren Universitätsstellen. Viele fanden Zuflucht in den USA und
anderswo und befruchteten dort die Entwicklung der Mathematik.

Im Zweiten Weltkrieg entstand großer Bedarf an der Lösung konkreter


mathematischer Probleme für militärische Belange, beispielsweise bei der
Entwicklung der Atombombe, des Radars oder der Entschlüsselung von
Codes. John von Neumann wie Alan Turing, der in der Theorie der
Berechenbarkeit zuvor das abstrakte Konzept einer universalen
Rechenmaschine entwickelt hatte, arbeiteten an konkreten
Computerprojekten. Der Computer hielt Einzug in die Mathematik. Dies
führte zu einer dramatischen Weiterentwicklung der numerischen
Mathematik. Mit Hilfe des Computers können nun komplexe Probleme, die
per Hand nicht zu lösen waren, relativ schnell berechnet werden, und
numerisches Experimentieren machte viele neue Phänomene erst
zugänglich (Experimentelle Mathematik).
John von Neumann
Einen Höhepunkt erreichten Abstraktion und Formalisierung im Schaffen
des Autorenkollektivs Nicolas Bourbaki, zu der führende Mathematiker in
Frankreich (und darüber hinaus) gehörten wie André Weil, Jean-Pierre Serre, Henri Cartan und Claude
Chevalley und deren Treffen schon Ende der 1930er Jahre begannen. Sie übernahmen nach dem
Niedergang der Hilbert-Schule und der Vertreibung vieler Mathematiker durch die Nationalsozialisten nach
dem Krieg, wovon vor allem die USA profitierten, eine Führungsrolle in der strukturellen Auffassung der
Mathematik. Sie wollten zunächst in bewusster Anlehnung an die Göttinger algebraische Schule das stark
an der Analysis orientierte Curriculum in Frankreich überwinden, wirkten aber bald auch weit darüber
hinaus (mit der Neuen Mathematik im Schul-Curriculum der 1960er und 1970er Jahre).

Bedeutend in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die grundlegende Umwälzung der algebraischen
Geometrie vor allem durch Arbeiten Alexander Grothendiecks und seiner Schule sowie die breite
Entwicklung der algebraischen Topologie, und – teilweise damit einhergehend – die Entwicklung der
Kategorientheorie. Das war ein nochmaliger Steigerungsgrad der Abstrahierung nach der Entwicklung der
abstrakten Algebra in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts insbesondere in der Schule von Emmy Noether
und lieferte neue Ansätze und Denkweisen, die in weiten Teilen der Mathematik wirksam geworden sind.
Die Kategorientheorie bot dabei eine Alternative zur Mengenlehre als Theorie der grundlegenden
Strukturen.

Neben den Tendenzen zur Abstraktion gab es in der Mathematik aber immer wieder die Tendenz, konkrete
Objekte detailliert zu erkunden. Besonders geeignet waren diese Untersuchungen auch, der Öffentlichkeit
die Rolle der Mathematik näherzubringen (zum Beispiel Fraktale ab den 1980er Jahren und die
Chaostheorie, die Katastrophentheorie der 1970er Jahre).

Wichtige neue Entwicklungen wie der Atiyah-Singer-Indexsatz oder der Beweis der Weil-Vermutungen
spiegeln sich in der Verleihungen der Fields-Medaille und des Abelpreises. Viele teilweise jahrhundertealte
Probleme wurden im 20. Jahrhundert gelöst wie das Vierfarbenproblem, die Kepler-Vermutung (beide mit
Computerhilfe), der Klassifikationssatz der endlichen Gruppen, die Mordellvermutung (Gerd Faltings), die
Poincaré-Vermutung (durch Grigori Perelman 2002) und 1995 schließlich der Satz von Fermat durch
Andrew Wiles. Fermats Aussage, dass der Rand einer Buchseite zu schmal
für einen Beweis sei, bestätigte sich: Wiles’ Beweis ist über 100  Seiten
lang, und er brauchte Hilfsmittel, die weit über den mathematischen
Erkenntnisstand zu Fermats Zeiten hinausgingen. Einige Probleme wurden
für prinzipiell unlösbar erkannt (wie die Kontinuumshypothese durch Paul
Cohen), viele neue Probleme kamen hinzu (wie die abc-Vermutung) und
die Riemann-Hypothese ist eines der wenigen Probleme der Hilbertliste,
deren Beweis trotz großer Anstrengungen vieler Mathematiker weiterhin in
weiter Ferne zu liegen scheint. Eine Liste zentraler ungelöster Probleme der
Mathematik ist die Liste der Millennium-Probleme. Zum Ende des
Jahrhunderts gab es wieder eine starke Wechselwirkung von Mathematik
und Physik über Quantenfeldtheorien und Stringtheorie mit überraschenden
und tiefliegenden Verbindungen in verschiedenen Bereichen der
Andrew Wiles
Mathematik (unendlich dimensionale Lie-Algebren, Supersymmetrie,
Dualitäten mit Anwendungen in der abzählenden algebraischen Geometrie,
Knotentheorie u. a.). Vorher hatte die Elementarteilchenphysik von der Mathematik insbesondere durch
deren Klassifikation von kontinuierlichen Symmetriegruppen, den Lie-Gruppen, ihren Lie-Algebren und
deren Darstellungen profitiert (Elie Cartan, Wilhelm Killing im 19. Jahrhundert, Hermann Weyl im 20.
Jahrhundert), und Lie-Gruppen sind auch ein zentrales, vereinigendes Thema der Mathematik des 20.
Jahrhunderts mit vielfältigsten Anwendungen innerhalb der Mathematik bis zur Zahlentheorie (Langlands-
Programm).

Siehe auch
Liste bedeutender Mathematiker
Mengenunterscheidung bei Tieren
Zentralarchiv deutscher Mathematiker-Nachlässe

Literatur
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Jean-Paul Pier (Hrsg.): Development of Mathematics 1900–1950. Birkhäuser 1995.
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Bartel Leendert van der Waerden: Erwachende Wissenschaft. Band 1: Ägyptische,
babylonische und griechische Mathematik. Birkhäuser 1966.

Biographien von Mathematikern finden sich in:

Dictionary of Scientific Biography


Siegfried Gottwald, Hans-Joachim Ilgauds, Karl-Heinz Schlote: Lexikon bedeutender
Mathematiker. Bibliographisches Institut, Leipzig 1990.

Weblinks
Commons: Geschichte der Mathematik (https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:History_
of_mathematics?uselang=de) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Mathematik – Quellen und Volltexte
Wikisource: Rechenbücher – Quellen und Volltexte
Sendereihe: Die Geschichte der Mathematik (http://www.planet-schule.de/sf/php/02_sen01.
php?reihe=1073) Vierteilige Sendereihe der BBC, The Story of Maths, vom WDR für Planet
Schule auf Deutsch übersetzt, die Filme können online angesehen werden
ERAM (http://www.emis.de/projects/JFM) Literaturdatenbank 1868–1942, Jahrbuch über die
Fortschritte der Mathematik
MacTutor: Mathematik-Geschichts-Projekt der Universität St. Andrews (http://turnbull.mcs.st-
and.ac.uk/history) mit umfassendem Archiv vorzüglicher Biografien (auf englisch)
Zentralarchiv deutscher Mathematikernachlässe auf der Seite des Fachinformationsdienstes
Mathematik (https://fidmath.de/historisches/zamn/)
History Topics: Index of Ancient Indian mathematics (http://www-groups.dcs.st-and.ac.uk/~hi
story/Indexes/Indians.html)

Einzelnachweise
1. Howard Eves: An Introduction to the History of Mathematics. 6th Edition, 1990 S. 9.
2. Moscow Papyrus (http://www.math.tamu.edu/~don.allen/history/egypt/node4.html)
3. Heinz-Wilhelm Alten et al.: 4000 Jahre Algebra. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 2003,
ISBN 3-540-43554-9, S. 49.
4. Ifrah Universalgeschichte der Zahlen. Zweitausendeins, Kapitel 29.
5. „Alle in der indischen Literaturgeschichte gegebenen Daten sind gleichsam wieder zum
Umwerfen aufgesetzte Kegel“ aus: Alois Payer: Einführung in die Exegese von
Sanskrittexten. Skript. Kap. 8: Die eigentliche Exegese. Teil II: Zu einzelnen
Fragestellungen synchronen Verstehens (online (http://www.payer.de/exegese/exeg08.ht
m)).
6. Vgl. auch Maya Mathematics (https://mathshistory.st-andrews.ac.uk/HistTopics/Mayan_math
ematics/), MacTutor.
7. Siehe bei Thomas de Padova: Alles wird Zahl. Wie sich die Mathematik in der Renaissance
neu erfand. Hanser, 2021, ISBN 978-3-446-26932-3.
8. Vgl. Joseph Ehrenfried Hofmann: Michael Stifel (1487?–1567). Leben, Wirken und
Bedeutung für die Mathematik seiner Zeit (= Sudhoffs Archiv. Beiheft 9). Franz Steiner
Verlag, Stuttgart 1968, ISBN 3-515-00293-6.
9. Calculus History, McTutor (http://www-history.mcs.st-and.ac.uk/HistTopics/The_rise_of_calc
ulus.html)
10. Moritz Cantor: Vorlesungen über die Geschichte der Mathematik. Band 3, 1901, S. 285–328
(Digitale Ausgabe (http://www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/19848) Univ. Heidelberg, 2014).
11. Thomas Sonar: Die Geschichte des Prioritätsstreits zwischen Leibniz und Newton. Springer
Verlag, Berlin 2016.

Abgerufen von „https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Geschichte_der_Mathematik&oldid=229046034“

Diese Seite wurde zuletzt am 21. Dezember 2022 um 00:12 Uhr bearbeitet.

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