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4 POLITIK 26.

Januar 2023 DIE ZEIT N o 5

Bei den Unversöhnlichen


Die Grenze zwischen Serbien und dem Kosovo ist zu einer gefährlichen Bruchlinie in
Europa geworden. Droht dort ein neuer Krieg? Eine Erkundungsreise VON ULRICH LADURNER

A
M tums Strafen an. Daraufhin gingen die Blocka- verboten. Damit reagierte sie auf die serbische
n der Brücke von Mitrovicë den hoch. Die Serben verließen geschlossen die Regierung, die zuvor den Import albanischer
steht ein italienischer Carabi- staatlichen Institutionen des Kosovos. Über 550 Schulbücher nach Serbien verboten hatte, wo
niere neben seinem Jeep und serbische Polizisten, die im kosovarischen Dienst eine albanische Minderheit lebt. Rapajić sat-
raucht eine Zigarette. Er ist standen, quittierten ihren Dienst, Richter, telte um und eröffnete einen Spielwarenladen,
nicht mehr der Jüngste, trägt Staatsanwälte, Gemeindebedienstete zogen sich in einem schmalen Regal sind dort heute noch
einen grauen Bart und aus den Institutionen zurück – auf Drängen Bel- Klassiker der Literatur zu finden, wie Moby
kommt aus Crotone, Kala- grads, wie es heißt. Dick von Herman Melville und 1984 von
brien. Zwei Monate verrichtet er hier im Kosovo Auf internationalen Druck wurden die Barri- George Orwell. Spielwaren kann Rapajić im-
im Auftrag der Europäischen Union seinen kaden Ende Dezember wieder abgebaut, vorerst. portieren, allerdings müssen sie verzollt wer-
Dienst. Dann geht es zurück nach Italien. Zwei An den Grenzposten händigen Beamte Auto- den, was die Gewinnmargen schmälert. Er
langweilige Monate, nach seinem missmutigen fahrern nun Klebestreifen aus, mit denen die sagt, er sei kein Freund des serbischen Präsi-
Gesichtsausdruck zu urteilen. In der Tat tut der Landeskennung auf dem Nummernschild beim denten, doch auf die Frage, ob die Serben des
Mann derzeit nicht viel mehr, als mit seinen Grenzübertritt überklebt wird – auf dem Weg Kosovos diskriminiert würden, antwortet er
Kollegen an der Brücke über den Fluss Ibar Wa- nach Serbien das Kosovo, auf dem Weg ins Ko- mit einem klaren Ja.
che zu schieben und hinüber zum nördlichen sovo Serbien. Die Liste der Klagen, die er anführt, ist
Teil der Stadt Mitrovicë zu blicken. Dort näm- In Nordmitrovicë findet man Menschen, die lang. Die Abschlüsse der Schulen und der Uni-
lich wohnen mehrheitlich Serben, und die Ser- reden wollen und der Marionetten-These wider- versität in Mitrovicë werden von den kosovari-
ben des Kosovos gelten als potenzielle Unruhe- sprechen. Marko Jakšić gehört dazu. Der 39-Jäh- schen Behörden nicht anerkannt. Dabei haben
stifter. Kurz vor Weihnachten errichteten sie rige ist Mitglied der Partei SDP (Freiheit, De- sich die Regierungen des Kosovos und Serbiens
Barrikaden, es drohte Gewalt, ja, es war sogar mokratie, Gerechtigkeit). das in einem Abkommen
von einem Krieg die Rede. Und so muss der Ita- »Die Serben aus Mitrovicë von 2016 gegenseitig zu-
liener an der Betonsperre am Ende der Brücke haben spontan, ohne Ein- gesichert. Die serbische
auf kleinste Anzeichen möglicher Gefahr achten, fluss von außen, diese Ent- ZEIT- GRAFIK Sprache sei als zweite of-
während die letzten Fußgänger des Tages vorbei- scheidung getroffen«, sagt 100 km fizielle Sprache des Lan-
gehen und ein kalter Wind über den Fluss weht. er. »Wir hatten keine ande- des anerkannt, aber das
Sein Blick geht direkt hinauf über den Boule- re Wahl mehr. Wir sind in Recht eines Serben, bei
vard Petar I., der geschmückt ist mit serbischen den Jahren immer weiter den Behörden in seiner
Fahnen, als bereite sich die Stadt auf einen Hel- an den Rand gedrängt wor- Belgrad Muttersprache sprechen
denempfang vor. Wir gehören zu Serbien, das den. Es geschah nicht auf zu können, sei das Papier
will all der flatternde Fahnenstoff sagen. »Wer Befehl Belgrads.« nicht wert, auf dem es
versteht das schon?«, sagt der Carabiniere, wirft Es kann gefährlich sein, SE R BI E N stehe. Und da ist vor al-
seine Zigarette auf das Pflaster und steigt in den in Mitrovicë den Herrscher lem der Serbische Ge-
Wagen, um sich aufzuwärmen. in Belgrad offen zu kritisie- meindeverband, der den
Mitrovicë ist Teil des Kosovos, das sich 2008 ren. Oliver Ivanović, ein Serben im Kosovo be-
für unabhängig erklärt hat. 110 Länder der Welt Freund von Jakšić und Mitrovicë grenzte Autonomierechte
haben das Kosovo anerkannt, unter jenen, die Chef seiner Partei, wurde gebe. Tatsächlich haben
das nicht tun, sind fünf Mitgliedsländer der EU. 2018 am helllichten Tag Prishtinë Belgrad und Prishtinë im
Der EU-Beitrittskandidat Serbien verweigert auf der Straße erschossen. KOSOVO Jahr 2013 ein Abkom-
ebenfalls die Anerkennung. Für Serbien bleibt Bis heute ist nicht klar, wer men darüber in Brüssel
das Kosovo eine serbische Provinz, die ihr die den Mord in Auftrag gege- geschlossen.
Kosovaren 1999 mithilfe der Nato gewaltsam ben hat. Jakšić kümmert Doch Albin Kurti, der
entrissen haben. Auch mehr als 23 Jahre später das nicht. Er sitzt am Fens- Ministerpräsident des
bleibt der Status des Kosovos eine offene Wun- ter eines Cafés auf dem Boulevard Petar I., jeder Kosovos, weigert sich beharrlich, diesen Punkt
de, die nicht vernarbt, auch weil der serbische kann sehen, dass er mit einem Journalisten des Abkommens in die Tat umzusetzen. In ei-
Oben: Vor einer Statue des mittelalterlichen serbischen Herrschers Präsident Aleksandar Vučić das nicht will. Für spricht. Je offener, desto sicherer, das glaubt er nem Gespräch mit der ZEIT sagt er, dass dieser
Lazar feiern Serben in der Stadt Mitrovicë den Tag des Stadtheiligen. ihn sind die kosovarischen Serben ein nützliches jedenfalls. Über den serbischen Präsidenten Gemeindeverband nur in der Absicht gebildet
Unten: Ein kosovarischer Polizist wacht am Grenzübergang Jarinje. Instrument. Wann immer er will, kann er es ein- Vučić sagt er: »Schwach ist der, sehr, sehr würde, das Kosovo zu destabilisieren. In den
setzen und für Unruhe sorgen, um zu zeigen, schwach!« Er gebe immer nach. Und über dessen Augen Kurtis ist Serbien ein revisionistischer
dass er auf dem Balkan unentbehrlich ist: ich Gegenüber Albin Kurti, den kosovarischen Mi- Staat, der Nachbarstaaten auf dem Westbalkan
oder der Krieg. Das ist die unausgesprochene nisterpräsidenten, sagt er, dieser sei ein Diktator, als temporäre Gebilde betrachtet. Er vergleicht
Botschaft, die Vučić Richtung Brüssel sendet, der die Serben des Kosovos immer weiter an den das Land mit dem neoimperialen Russland
wenn er im Kosovo zündelt. Rand dränge. »Der Rückzug der Serben aus den Wladimir Putins.
Und Brüssel fürchtet nichts so sehr wie eine Institutionen des Kosovos war die letzte Mög- Die Härte, mit der Kurti auf Serbien
Destabilisierung auf dem Westbalkan, gerade lichkeit«, sagt Jakšić, »wir können nicht weiter blickt, seine Unnachgiebigkeit, mag auch in
jetzt, da in der Ukraine der Krieg tobt. Es ist in zurückweichen!« Auch Jakšić hat seine Arbeit der Tatsache begründet liegen, dass er von
der Tat zu befürchten, dass Wladimir Putin in beim Gericht aus Protest niedergelegt. 1999 bis 2001 als politischer Gefangener in
dieser Region einen Konflikt provozieren will, Niemand weiß, wie viele Serben noch im Serbien im Gefängnis saß – und gewiss nicht
um der EU weiteren Schaden zuzufügen. Putin Kosovo leben. Doch die Zeichen des Nieder- gut behandelt wurde. Und er sieht, was alle
hat viele Freunde unter serbischen Politikern gangs sind unübersehbar, ob Prishtinë, Štrpce, sehen: In Serbien gibt es keine Aufarbeitung
auf dem Balkan. Der Präsident der Republika Gracanica: Viele gehen weg, zuerst nach Nord- der Verbrechen, die Serben in den Neunziger-
Srpska, eines serbisch dominierten Landesteils mitrovicë, schließlich weiter nach Serbien. Selbst jahren des vergangenen Jahrhunderts began-
von Bosnien und Herzegowina, hat ihm kürz- in Nordmitrovicë ist sichtbar, wie düster die Zu- gen haben.
lich den höchsten Orden verliehen, den dieser kunft für die Serben des Kosovos ist. Die Fassa- Doch selbst wenn Kurtis Argument zuträfe,
zwergenhafte Quasistaat zu vergeben hat. Die den der Häuser sind schmutzig, die wenigen wenn die serbische Regierung den Serbischen
serbische Regierung entsandte ihren Außen- Läden verströmen den zweifelhaften Charme Gemeindeverband nur als Instrument benut-
minister. Vučić verlieh der Feier eine persönliche des untergegangenen Realsozialismus, in den zen würde, um das Kosovo zu spalten: Es war
Note, indem er seinen Sohn Danilo schickte. Hinterhöfen sammelt sich der Müll. Ist dies das eine kosovarische Regierung, die das Brüsseler
Obwohl Serbien ein EU-Beitrittskandidat ist, Ergebnis eines Abwanderungsprozesses, der für Abkommen 2016 unterzeichnet hat. Das war
weigert er sich, die Russland-Sanktionen der EU den ganzen Westbalkan typisch ist? Oder sind zwar vor Kurtis Amtszeit, aber »pacta sunt ser-
mitzutragen. die Serben im Kosovo Gefangene des Macht- vanda«, sagt ein europäischer Diplomat. West-
Die Nähe Serbiens zu Putin macht das Koso- spiels zwischen dem Kosovo und Serbien, dis- liche Botschaften machen Druck. Wie die
vo zu einer gefährlichen geopolitischen Bruch- kriminiert von den einen, in Abhängigkeit ge- Rechte des Serbischen Gemeindeverbandes
linie inmitten Europas. Aber stimmt es wirklich, halten von den anderen? Gehen sie, weil sie zer- ausgestaltet werden, darüber ließe sich reden –
dass die Serben des Kosovos nur Marionetten in mürbt werden? nicht aber darüber, dass er kommen müsse.
den Händen des Belgrader Herrschers sind? Ge- In einem Hinterhaus, das über verzweigte, Brüssel wie auch Washington wollen Ruhe auf
hen sie nur im Auftrag ihres Herrn auf die Stra- schmutzige Gassen zu erreichen ist, sitzt dem Balkan. Und der Serbische Gemeinde-
ße, oder haben sie berechtigte eigene Anliegen? Aleksandar Rapajić, der Programmdirektor der verband würde für Ruhe sorgen; das jedenfalls
Wer das herausfinden möchte, müsste zuerst Nichtregierungsorganisation Advocacy Center ist die Annahme. Ob sie richtig ist, das kann
mit den Vertretern der Srpska Lista, der Mehr- for Democratic Culture. Am Leben dieses Mitt- heute niemand sagen.
heitspartei der Serben des Kosovos, sprechen. vierzigers lässt sich das Schicksal der Serben des Ruhe kann man vielleicht erzwingen, Ver-
Nur: Sie reden nicht, weder mit den Medien Kosovos in den letzten beiden Jahrzehnten trauen aber nicht. Das muss wachsen mit Wor-
noch mit sonst jemandem. Die Partei hat sich nachzeichnen. Rapajić lebte bis 1999 in Prishti- ten, Taten und Gesten. Da gibt es zum Beispiel
zurückgezogen. Der Grund dafür: Nahezu alle në, nach dem Ende des Krieges, nachdem sich den Fall des serbischen Klosters Decani. Nach
Serben, die im kompakten serbischen Siedlungs- die serbischen Truppen zurückgezogen hatten, der Unabhängigkeit hatten die kosovarischen
gebiet im Norden leben, verwendeten die Kfz- ging er zunächst mit seiner Mutter nach Bel- Behörden 24 Hektar Ackerland des Klosters
Kennzeichen aus dem Jahr 1999, als die Region grad, dann nach Mitrovicë, heiratete und grün- enteignet, das Kloster klagte. Das Verfassungs-
Fotos: Vladimir Zivojinovic/Inland

noch zu Serbien gehörte. Damit zeigten sie, dass dete eine Familie. Er betrieb einen Buchhandel gericht gab den serbischen Mönchen in letzter
sie das Kosovo als unabhängigen Staat nicht an- in der Stadt und lebte von den Leuten, die – wie Instanz recht. Das Urteil stammt aus dem Jahr
erkennen und der Linie Belgrads folgen. Die Re- er sagt – wie die Besessenen lesen. Rapajić be- 2018. Doch bis heute ist es nicht umgesetzt.
gierung des Kosovos beharrte auf dem Wechsel sorgte den Stoff für die gierigen Leser, die Bü- Bis heute warten die serbischen Mönche auf
der Kennzeichen, um deutlich zu machen, dass cher kamen aus Belgrad. Doch damit ist es seit eine Rückgabe ihres Besitzes.
seine staatliche Souveränität auch in dieser Re- einigen Jahren vorbei. Die Regierung des Koso-
gion gilt, und drohte nach Ablauf eines Ultima- vos hat den Import von Büchern aus Serbien !www.zeit.de/vorgelesen

Torten Woran man


erfolgreiche Frauen
Warum Frauen
durch Femizide
Weil sie sich
trennen wollten
Wer heutzutage
überhaupt noch ein
Heterosexuell Verheiratete mit zwei Kindern
Andersgeschlechtlich Verheiratete mit drei Kindern Berichtigung
der erkennt sterben Weil sie keine Beziehung
eingehen wollten
»normales Leben« führt Geschiedene ohne Kind
Patchworkfamilien mit fünf Kindern
In der Ausgabe vom 19. Januar

Wahrheit
hieß es im Text »Ampelschmelze«,
Weil sie über ihren Alleinerziehende mit Kind
Am Lebensstil selbst der Bundesgerichtshof habe 2021

VONWahrheit
vielen Lob bestimmen wollten Verheiratete ohne Kind ein Klima-Urteil gefällt.
KATJA BERLIN
Kinderfreie Singles
Das Urteil fällte das Bundes-
An der Weil ein Mann verfassungsgericht. Wir bitten,
vielen Kritik sie umbringt Und alle anderen auch den Fehler zu entschuldigen.
DIE ZEIT N o 6 2. Februar 2023 GESCHICHTE 17

Stalingrad-Wetter am Kriegs-Denkmal in Wolgograd: Im Nebel reckt Mutter Heimat ihr Schwert

Foto: Sergey Kozmin/Redux/laif (2010)


»Wir allein gegen die ganze Welt«
Am 2. Februar 1943 endete die Schlacht von Stalingrad mit dem Sieg der Roten Armee. 80 Jahre danach dient das Gedenken in Russland
der Propaganda im Krieg gegen die Ukraine. Eine Reise an den historischen Kampfplatz  VON MICHAEL THUMANN

G
elassen lehnt die Wärterin im Zeit, in der man ehrenvoll siegte – und dient als Vor- men jener Zeit kann man die englischen Waffen satzer erschossen haben soll. Oder die Verteidiger der meter vorangekommen«, sagt der russische Historiker
Stuhl. Um sie herum brennt bild für die Entfesselung übermenschlicher Kräfte. und die amerikanischen Lastwagen gut erkennen. Stalingrader Traktorenfabrik, in der T-34-Panzer Piwowarow. »Eine sinnlose Operation.« Gefeiert wird
es lichterloh, Flammen schla- Vor dem Schlachtengemälde im Panorama-­ Im Panorama-Museum ist davon nichts zu sehen. montiert wurden. Oder Jakow Pawlow, der mit seinen Stalingrad, Rschew dagegen wird nicht einmal­
gen bis zur Decke. Das Not- Museum steht Wladimir Nikolajewitsch, ein hoch­ Wladimir Nikolajewitsch führt an einer 70-Milli- Männern das sogenannte Pawlow-Haus wochenlang betrauert, sondern einfach verdrängt.
falltelefon, mit dem sie auf gewachsener Mann, der schon viele Gruppen von meter-Kanone, einem Motorrad Ural M-72, an gegen eine Übermacht verteidigte, was viele Deutsche Wie viele Opfer die Schlacht von Stalingrad for-
Knopfdruck die Feuerwehr Studierenden, Touristen und Kadetten durch das Haubitzen und Panzerfäusten vorbei, alle aus sowje- das Leben kostete. Neuere Forschungen zeigen, dass derte, ist bis heute unklar. Wladimir Nikolajewitsch
alarmieren könnte, bleibt un- inszenierte Feuer geführt hat. »Sehen Sie, dort über- tischer Produktion. Die einzige aus dem Westen Pawlow, ein Landwirt aus Nowgorod, schon früh- spricht von 1,3 Millionen sowjetischen Toten und
berührt. Denn so echt die vielen Feuer wirken: Sie rumpeln die sowjetischen Soldaten die faschistischen stammende Waffe ist ein mit Juwelen besetztes Deko- zeitig verwundet aus dem Haus abtransportiert Verletzten und 1,5 Millionen bei den Deutschen und
sind eine Illusion, ausgemalt bis ins kleinste De- Eroberer, hier rücken die T-34-Panzer vor, da steht Schwert, das der englische König Georg VI. aus wurde. Andere kämpften an seiner statt. Doch der ihren Verbündeten. Ein anderes Museum in Wolgo-
tail, von Bühnenbildnern inszeniert, sorgfältig unsere Artillerie.« Das Panorama rekonstruiert den Sheffield-Stahl für die »Verteidiger von Stalingrad« Pawlow-Mythos lebt weiter in Wolgograd. grad beziffert die Verluste auf 1,13 und 1,26 Millio-
illu­mi­niert. Davor liegen auf echtem Steppensand Blick vom Mamajew-Hügel, Wolgograds Hausberg, schmieden ließ. Wladimir Nikolajewitsch zeigt es Höhepunkt der Heldengalerie ist ein Saal mit nen. Westliche Historiker schätzen die Zahlen vor
Patronen, Munitionstaschen, Waffenschrott. auf dem heute eine kolossale Mutter-Heimat-Statue stolz in einer Vitrine. Ölgemälden der hohen sowjetischen Generale und allem auf deutscher Seite als deutlich geringer ein.
Das monumentale Panorama von Stalingrad ist über einer Gedenkstätte steht. »In Stalingrad kämpf- Der Anteil der Westalliierten am Sieg über Hitler- des »großen Stalin«. In Glaskästen liegen die Orden, In Russland sind die Verluste heute eher Märtyrer-
das größte und wohl beeindruckendste Schlachten- te Russland ganz allein ums Überleben und siegte Deutschland wird in Russland nicht erst seit dem die ihnen verliehen wurden. Dem Diktator Stalin statistik als Anlass zur Trauer – eine Entwicklung, die
gemälde der Welt: Es zeigt das winterliche Kampf- heldenhaft«, sagt Nikolajewitsch. 24. Februar 2022 heruntergespielt. Bereits vor zwei ist sogar ein eigenes, privat organisiertes Museum auch der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge
gelände wenige Tage vor der Kapitulation der deut- Allein gegen alle – das war auch das Leitmotiv Jahren warf Putin den Westalliierten in einem Aufsatz in Wolgograd gewidmet. Dort posiert er als Wachs- zu spüren bekommt, der im Dorf Rossoschka bei
schen 6. Armee an der Wolga. Auf 120 Meter Länge der Kämpfe, die der Militärhistorische Club Scha- vor, der Sow­jet­union im Krieg nicht rechtzeitig ge- figur hinter seinem Kreml-Schreibtisch vor einer Wolgograd einen Friedhof für mehr als 64.000 deut-
sieht der Besucher Kampfjets, Panzer, Kanonen, tun im vergangenen November in Wolgograd nach- holfen zu haben. Das dürfe niemanden wundern, Landkarte, umgeben von seiner eigenen Büste, sche Soldaten angelegt hat. Genau gegenüber ent-
Kalaschnikows, sterbende und triumphierende Sol- stellen ließ. Auf einem Truppenübungsplatz spielten schrieb er, denn Briten und Franzosen hätten »schon Fotos seiner selbst, Zeitungsausschnitten, Schall- stand mit deutscher Unterstützung ein sowjetischer
daten. Die Deutschen kauern im düsteren Schatten Verwaltungsangestellte, Museumsführer und andere 1939 Polen im Stich gelassen«, als es von Hitler­ platten und einem alten Radio. Soldatenfriedhof. Viele Jahre trauerten Deutsche und

D
des Untergangs, verstecken sich hinter den aufgetürm- Statisten die Offensive »Uranus« nach. Mit ihr­ angegriffen wurde. Dass Polen von Stalin und Hitler Russen gemeinsam an den Gräbern, saßen bei Kaffee
ten Leichen ihrer gefallenen Kameraden. Die sowje- begann am 19. November 1942 die Rückeroberung gemeinsam überfallen und aufgeteilt wurde,­ ie Heroenverehrung steht allerorten und Kuchen, Suppe und Wodka in einem nahe­
tischen Soldaten stürmen voran im hellen Schein der Stalingrads. Als sowjetische und deutsche Soldaten verschweigt der Hobbyhistoriker Putin; Stalins im Mittelpunkt der russischen gelegenen Haus der Gemeinde Rossoschka, das von
Wintersonne, die durch die Wolken bricht. Den verkleidet, verkeilten sich die Darsteller auf Geröll Teufelspakt mit Hitler vom August 1939 verniedlicht Kriegserinnerung unter Putin, der den Deutschen finanziert wurde. Doch seit Kriegs-
Siegern gebührt das Licht. und Ruinen in­ein­an­der, rangen mit ihren schlecht er als »defensive« Maßnahme. Ähnlich behauptete am 9. Mai 2022 auf dem Roten ausbruch im Februar 2022 können die deutschen
Stalingrad heißt seit 1961 Wolgograd. Das sitzenden historischen Uniformen, schossen mit die Kreml-gesteuerte Zeitung Rossijskaja Gaseta zum Platz eine Reihe von Helden na- Besucher nicht mehr kommen, die russischen Partner
Schlachtenbild ist eine der großen Attraktionen der Platzpatronen auf­ein­an­der, stachen mit Bajonett- Stalingrad-Jahrestag im Februar 2020, Stalin habe mentlich nannte, unter ihnen General Nikolai­ sabotieren die Zusammenarbeit. Für den Treffpunkt
nach dem Zweiten Weltkrieg von Grund auf neu spitzen in die Luft. Hinter ihnen zerplatzten die Westalliierten vergeblich um Hilfe gebeten. Die Watutin. Dessen Erwähnung war hochpolitisch: nahe dem Friedhof wurde den Deutschen der Miet-
erbauten Heldenstadt in Südrussland. Vor dem Kanonen­schläge auf freiem Feld, für den richtigen USA und England hätten nur einen Bruchteil des Watutin plante 1939 die sowjetische Besetzung­ vertrag gekündigt. »Unsere Versöhnungsarbeit mit
80. Jahrestag des Sieges sind Putzkolonnen durch die Sound. Das Kriegsschauspiel wurde von lokalen Erbetenen geliefert, viel zu wenig und zu spät. Polens, war am Überfall auf Rumänien beteiligt, den offiziellen Stellen in Russland«, sagt der Präsident
Straßen gezogen, haben sie von Schnee, Matsch und Fernsehsendern übertragen. Nach Umfragen des unabhängigen Lewada-­ kämpfte in Stalingrad und wurde später von ukrai- des Volksbundes, General a. D. Wolfgang Schneider-
Staub gesäubert. Auf der »Allee der Helden« haben Echte Deutsche waren bei dem Spektakel nicht Instituts glauben heute zwei Drittel aller Russen, die nischen Nationalisten tödlich verwundet. Ein Ge- han, »liegt in Scherben.«
Bauarbeiter im Akkord neue Granitplatten verlegt; zugelassen. Die ZEIT beantragte rechtzeitig eine Sow­jet­union hätte Deutschland im »Großen Vater- neral, der exemplarisch für den Drang nach Westen Verständigung passt nicht mehr in eine Zeit, in
die alten waren teils abgesackt. Nicht, dass Wladimir Akkreditierung bei Alexander Nowikow, dem Chef ländischen Krieg« auch ohne die Hilfe der Alliierten steht, dem Putin verfallen ist. der Russland die Formel »Nie wieder Krieg!« durch
Putin bei seinem Besuch am 2. Februar stolpert. des Militärhistorischen Clubs. Am Telefon begrün- besiegt. In den historischen Quellen liest sich das Was bei dieser selektiven Erinnerung auf der die Redewendung »Wir können das wiederholen!«
Alles soll nach Plan laufen. dete er seine Absage so: »Ich bin ein Stalingrader, anders. Die sowjetische Führung machte selbst im Strecke bleibt, ist dreierlei: die Opfer, die Repressio- ersetzt. In Moskau inszeniert die Propaganda den
Als die Wehrmacht Stalingrad im Sommer 1942 und nach all dem, was die Deutschen uns angetan Kalten Krieg keinen Hehl aus der Bedeutung der nen und die Versöhnung. Angriffskrieg gegen die Ukraine als heroische Fort-
angriff, hoffte sie auf einen schnellen Beifang auf dem haben, will ich sie hier nicht sehen.« Trotz deutscher Hilfsprogramme. Stalins Marschall Georgi Schukow Im Panorama-Museum haben die Opfer der setzung der Schlachten des Zweiten Weltkriegs.
Weg zu den sowjetischen Ölquellen am Kaspischen Vergangenheitsbewältigung und vieler Versöhnungs- sagte in einem vom KGB aufgezeichneten Gespräch: Schlacht von Stalingrad keinen Namen, kein Gesicht, Der unabhängige russische Journalist Sergej
Meer. Es wurde eine der grausamsten Schlachten der treffen an den Gräbern von Stalingrad? »Welche »Die Amerikaner gaben uns Material, ohne das wir keine Geschichte. Dabei gäbe es so viel zu erzählen. Medwedew beschreibt die staatliche Erinnerung an
Weltgeschichte daraus. Bis Mitte November erober- Bewältigung?«, gab Nowikow zurück. »Bei Ihnen den Krieg nicht hätten fortführen können.« Der­ Wladimir Nikolajewitsch berichtet vor kargen den Sieg von 1945 als eine Art »permanente Liturgie,
ten die Deutschen die Stadt fast vollständig. Zehn- im Westen herrscht der liberale Neonazismus, Sie unabhängige russische Historiker Juri Piwowarow Schwarz-Weiß-Schaubildern, wie die Deutschen ein ekstatisch-mystisches Erleben der Vergangenheit,
tausende Zivilisten kamen bei Bombenangriffen ums lieben die Nazis bis heute.« Nowikow folgt hier ganz erinnert daran, dass die Sow­jet­union weder in der sowjetische Flüchtlingsschiffe auf der Wolga­ das den Menschen ihre triste Zukunft ersetzen«
Leben. Dann folgte die Gegenoffensive der Roten dem Politsprech seines Präsidenten. Schlacht um Moskau 1941 noch in Stalingrad allein beschossen, Menschen vertrieben und ausgehungert solle. Das Siegesgedenken werde zum Hochamt ­und
Armee. Die 6. Armee unter General Paulus wurde Dasselbe gilt für die falsche Behauptung, die dastand, und erwähnt dabei auch ein wichtiges Er- haben. Aber dieses Leiden wirkt auf den wenigen diene der Legitimierung der Gewalt von heute. Jedes
eingeschlossen; Hitler untersagte den Ausbruch, Sow­jet­union habe damals allein gegen Deutsch- eignis, das in Russland ganz in Vergessenheit geraten Tafeln eher wie eine Fußnote in der Heldenerzählung. kritische Hinterfragen des Hergangs sowie der
Göring fabulierte von einer Versorgung der deutschen land gekämpft. Mit dieser Legende will Putin er- sei: Die Amerikaner landeten 1943 auf Sizilien und Auch sonst erfahren wir kaum etwas von den­ Führung Stalins werde vom isolationistischen­
Truppen aus der Luft. Schlecht ausgerüstet und bei klären, warum er mit seinem verbrecherischen zwangen Hitler so, dringend benötigte Divisionen Verbrechen der Deutschen, insbesondere auf dem Imperativ übertönt: »Wir allein gegen die ganze Welt!«
Temperaturen von bis zu minus 40 Grad, blieb den Krieg gegen die Ukraine so einsam in Europa da- von der Ostfront abzuziehen und nach Italien zu ver- Vormarsch im Sommer und Herbst 1941 durch die Statt das Ende des Krieges mit vielen Millionen
Deutschen am Ende nur die Kapitulation. steht, sieht man einmal von dem gekauften bela- legen. Doch die Anti-Hitler-Koalition hat in der Ukraine, wo die 6. Armee am Judenmord beteiligt Opfern feierlich zu würdigen, sagt Medwedew, »feiert
80 Jahre danach hat Wolgograd nicht nur eine russischen Diktator ab. Putinschen Erinnerungsarbeit ausgedient. war und zahllose Zivilisten tötete. Wir erfahren nichts Russland den Krieg selbst«.

T
symbolische Bedeutung für Putins Krieg gegen die Entsprechend werden in Wolgograd ausschließ- davon, dass die Zivilbevölkerung die Stadt auf Befehl
Ukraine: Hier wurden auch überdurchschnittlich atsächlich ist Putin so isoliert wie kein lich die Leistungen der Sow­jet­union vorgeführt. aus Moskau anfangs nicht verlassen durfte. Wir hören
viele junge Männer mobilisiert und an die ukrainische
Front geschickt. Wolgograd liegt rund 500 Kilometer
russischer Herrscher vor ihm. Schon
gar nicht Stalin: Der sowjetische Füh-
»Achten Sie auf diesen Mann«, sagt Wladimir Niko-
lajewitsch. Wir sehen einen brennenden Sowjet­
nichts von den sowjetischen Kriegsgefangenen, die
in deutschen Lagern umkamen.
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entfernt von der Front im Donbass, wo russische Sol- rer war während des Krieges mit soldaten, der mit einem Molotowcocktail einen Gefangenschaft galt unter Stalin und gilt unter
daten ukrainisches Land besetzt halten. Doch dieses Großbritannien, den USA und einem Panzer in Brand steckt. »Michail Panikacha hat sich Putin als Schande. Deshalb findet man in Wolgograd Stalingrad
Mal verteidigen sich die Russen nicht gegen einen erheblichen Teil der Welt gegen Deutschland ver- geopfert, um einen deutschen Panzer zu zerstören.« auch keine Erwähnung der Schlacht von Rschew bei Mythos und Wahrheit
verbrecherischen Angriff, sondern führen ihn selbst, bündet. Die Vereinigten Staaten und Großbritan- Vorher habe er auf einen russischen Panzer gepinselt: Moskau, die sich fast zur gleichen Zeit wie die einer Schlacht.
während sich die Ukraine so entschlossen verteidigt nien lieferten von Juni 1941 an, als der deutsche »Ich sterbe, mein Vaterland siegt!« Das sind die Ge- Kämpfe in Stalingrad ereignete – zwischen Januar Das neue Heft
wie die Sow­jet­union von 1941 bis 1945. Das Stalin- Vernichtungskrieg gegen die Sow­jet­union begann, schichten der Helden, die dieses Museum feiert. 1942 und März 1943 – und die heute beinahe­ von ZEIT Geschichte,
grad-Gedenken soll helfen, den russischen Angriff zu Flugzeuge, Panzer, Lastwagen, Munition, Artillerie Dazu gehören Einzelkämpfer wie Wassili Saizew, vergessen ist. »Dort verlor die sowjetische Armee rund 124 S., 8,95 €. Jetzt am Kiosk
rechtfertigen; die historische Schlacht erinnert an eine und Ausrüstung an Moskau. In den Filmaufnah- der berühmte Scharfschütze, der 242 deutsche Be- eine Mil­lion Soldaten und ist doch kaum einen Kilo- oder unter www.zeit.de/zg-heft
4 POLITIK 9. Februar 2023 DIE ZEIT N o 7

Titelthema

DIE VERTRAUENSFRAGE
Unterschiedliche Temperamente, strategische Differenzen und Sprachlosigkeit zwischen
Außenministerin Baer­bock und Kanzler Scholz – in der Panzerwende kommt alles zusammen.
Eine Rekonstruktion  VON ROBERT PAUSCH UND HOLGER STARK
Foto: David Hecker/Getty Images; kl. Fotos (u., v. l.): Sean Gallup/ddp; dpa; Kira Hofmann/imago

Allein zwischen Panzern: Olaf Scholz beim Besuch des Bundeswehr-Trainingszentrums Ostenholz im Oktober 2022. Links ein Puma-Schützenpanzer, rechts einer der Leopard-2-Kampfpanzer, die Scholz lange nicht liefern wollte

O
laf Scholz, das weiß man terin spricht. Von einer Außenministerin, die sich die Idee kommen, einen Antrag auf Ausfuhr­ wöhnlich viele Mechaniker und Ingenieure. Eine froh, wenn sich europäische Staaten stärker engagie-
mittlerweile, ist ein Mann eigene Wege sucht, um ihre Ziele durchzusetzen, und genehmigung zu stellen, wie es beim Export von Faustregel des Pentagon besagt, dass pro Panzer ren wollen. In diesen Spätsommer- und Herbsttagen
der sparsamen Emotionen. dabei bis an die Grenze der Loyalität geht. Man er- in Deutschland produzierten Waffen notwendig und dessen fünfköpfiger Besatzung vier zusätzliche in Washington hört man oft, dass alles helfe, egal ob
Wenn er wütend ist, brüllt fährt von Zerwürfnissen und einer Kraftprobe, die ist. Berlin werde einen solchen Antrag nicht ge- Soldaten zur Wartung bereitstehen müssen. Haubitzen, Flugabwehrraketen oder Kampfpanzer;
er nicht. Und wenn er ge- nicht nur die deutsche Regierung, sondern auch das nehmigen. Innerhalb der US-Administration sieht die bei der Waffengattung sei man »agnostisch«, man
winnt, triumphiert er nicht. Verhältnis zu den Amerikanern unter enorme Span- Spätestens da musste jedem und jeder in der Stimmungslage in Sachen Kampfpanzer zu dieser hänge in der Frage keinem Glauben an. Aber die
Jedenfalls nicht laut, mit nung gesetzt hat. Und vielleicht noch setzen wird. Bundesregierung klar sein, wie der Kanzler die Zeit so aus: ­Biden – dagegen. Verteidigungsminister Amerikaner sind vorsichtig, wenn es darum geht, den
Siegerlächeln. Wenn der Bundeskanzler richtig zu- Die Panzerwende ist nach der Zeitenwende, die Leopard-Frage sieht. Lloyd Austin – dagegen. Außenminister Antony Bundeskanzler öffentlich unter Druck zu setzen.
frieden mit sich ist, klingt er so: Scholz vor fast einem Jahr als Reaktion auf den Im Sommer sind Jake Sullivan, Joe Bidens Na- Blinken – tendenziell aufgeschlossen. Aber die drei Ist der Vorstoß bei Blinken noch das kluge Tak-
»Es ist richtig, dass wir uns Stück für Stück­ Kriegsbeginn verkündete, seine wahrscheinlich fol- tionaler Sicherheitsberater, und sein deutsches Gegen- eint, dass sie die amerikanischen Abrams-Panzer tieren einer Ministerin? Oder schon Diplomatie
vorangearbeitet haben.« genschwerste Entscheidung. Sie wiegt auch deshalb über Jens Plötner zu einem grundsätzlichen Aus- für ungeeignet halten. Wenn schwere Panzer gelie- hinter dem Rücken des Chefs?
»Es ist richtig, dass wir uns nicht haben treiben so schwer, weil sie die deutsche Bevölkerung in zwei tausch über die Zukunft der Ukraine verabredet. Sie fert werden, dann sollen die Europäer mit ihren Nach dem Gespräch von Baer­bock und Blinken
lassen.« nahezu gleich große Lager von Befürwortern und wollen die endlose Schleife von blutigen Front­ Leoparden ran. gibt die US-Botschafterin in Deutschland, Amy
»Meine Damen und Herren, das ist das richtige Gegnern teilt. Sie rührt an die Vertrauensfrage. Olaf meldun­gen und neuen Forderungen nach Waffen Das weiß auch Anna­lena Baer­bock. Und sie Gutmann, dem ZDF ein Interview. Sie erklärt, dass
Prinzip.« Scholz wusste schon seit dem Sommer des vergange- beenden. Die beiden Berater diskutieren, wie eine selbst sieht es genauso: Die deutsche Außen­ Deutschland bei der Unterstützung der Ukraine eine
Es ist der Mittwoch vor zwei Wochen, als Olaf nen Jahres, dass sie sich eines Tages stellen würde. moderne ukrainische Armee aussehen müsste, die in ministerin ist der Überzeugung, dass dringend ge- »noch größere Führungsrolle« einnehmen müsse.
Scholz im Plenarsaal des Deutschen Bundestags Es ist ja nicht so, dass Joe ­Biden und Olaf Scholz der Lage ist, das Land dauerhaft zu verteidigen. Es handelt werden müsse. Jedes Zögern der Bundes­ Entgegen dem dutzendfach wiederholten Credo des
diese Sätze sagt. Wenige Stunden zuvor ist bekannt nicht gesehen hätten, dass die Ukraine irgendwann geht um Artilleriesysteme wie die Panzerhaubitze regierung, heißt es im Auswärtigen Amt, koste Kanzlers, »nur in enger Abstimmung mit den Part-
geworden, dass die US-Regierung bereit ist, Kampfpanzer brauchen würde. Anders wären die 2000 – aber auch da schon um Kampfpanzer. Menschen­leben in der Ukraine. Die Frage ist nur: nern« zu entscheiden, erklärt Gutmann: »Die Ent-
Kampfpanzer in die Ukraine zu schicken. Kurz Stellungen der Armee kaum zu halten. Ganz zu Sullivans Leute haben die Leoparden gezählt Wie erreicht man dafür die nötige Unterstützung? scheidung über die Art der Hilfen liegt letztlich bei
darauf hat die Bundesregierung erklärt, sie werde schweigen davon, Städte wie Mariupol zurückzuer- und sind auf mehr als 2000 in Europa stationierte Baer­bock hat ein gutes Verhältnis zu Antony jedem Land selbst.«
ebenfalls Panzer liefern. Scholz hat die Amerikaner obern. Andererseits teilen die beiden Regierungs- Kampfpanzer ­made in Germany gekommen. Aber Blinken, ihrem US-amerikanischen Amtskollegen. Das Interview entsteht in enger Abstimmung mit
dazu gebracht, Joe ­Biden lobt ihn für seine »Füh- chefs eine gewisse Skepsis gegenüber Wolodymyr diese sind in diversen Ländern verstreut, die Pro- Sie nennt ihn einen Freund, und er lobt öffentlich Blinkens Leuten in Washington, die Botschafterin
rungsstärke«, und der Mann, der eben noch als Selenskyj. Wer weiß, wofür der ukrainische Präsi- duktionskapazitäten für Nachschub sind gering, ihre Führungsstärke. Im Sommer sprechen die beiden hat vorher sorgfältig geübt, was sie sagen will. Die
Zauderer galt, wirkt plötzlich wie ein entschlosse- dent schwere Panzer alles einsetzen würde? Diese Wartungsarbeiten wären nötig. Die Frage kommt mit­ein­an­der über weitere Waffen für die Ukraine. Kunst liegt darin, den Impuls von Baer­bock aufzu-
ner Anführer. Nun, im Plenarsaal des Bundestags, Frage stellt sich, die Szenarios reichen bis hin zu auf, was denn mit den amerikanischen Kampf- Nach Informationen der ZEIT aus mehreren Quellen nehmen und nach Berlin zurückzuspielen, ohne
spricht selbst Scholz’ schärfste Kritikerin Marie- Angriffen auf russisches Staatsgebiet. Das wollen panzern vom Typ M1 Abrams sei. wirbt Baer­bock in dem Gespräch offensiv dafür, die dabei einen diplomatischen Affront zu provozieren.
Agnes Strack-Zimmermann (FDP) milde von­ weder ­Biden noch Scholz. Da ist sie, die Idee, neben dem Leopard auch Bewaffnung der Ukraine deutlich auszuweiten. Sie Das Interview ist weniger, als Baer­bock sich ver-
einer »guten Nachricht für die Menschen in der Über Pfingsten sickert durch, das spanische den Abrams in die Ukraine zu liefern. ist überzeugt, dass insbesondere westliche Kampf- mutlich erhofft hatte, aber mehr, als die US-Regie-
Ukraine«. Sogar CDU-Abgeordneten bleibt nichts Verteidigungsministerium erwäge, 40 der spani- Joe Biden ist kein Fan des Gedankens. Zum panzer nötig sind. Im ­State Department ist klar, was rung bisher hatte verlauten lassen.
anderes übrig, als eine »richtige Entscheidung« zu schen Leopard-Panzer in die Ukraine zu senden – einen wegen des Misstrauens gegenüber Selenskyj. damit gemeint ist: der Leopard. Drei Tage später spricht auch Baer­bock, sie nutzt
loben. Manchmal, ganz sparsam, huscht dem Panzer aus deutscher Produktion. Darüber sei es Zum anderen aus pragmatischen Gründen: Der Blinkens Leute sind überrascht ob des forschen den Augenblick. In der FAZ fordert die Außenminis-
Kanzler beim Zuhören ein Schmunzeln über das zu einem Austausch zwischen dem Kanzleramt Abrams wird, anders als andere Kampfpanzer, nor- Agierens der deutschen Außenministerin: Will Baer­ terin von ihrer eigenen Regierung, die Entscheidung
Gesicht. Als er seine Entscheidung erläutert, sagt und den Spaniern gekommen, so berichten es malerweise nicht mit Diesel, sondern mit Kerosin bock etwa über Bande spielen und die Amerikaner über Kampfpanzer nicht hinauszuzögern – »unsere
Scholz einen Satz, den man nach 15 Monaten des mehrere Quellen der ZEIT. Das Si­gnal aus Ber- angetrieben. Er braucht also eine eigene Infra- einspannen, um den Kanzler diskret in ihre, Baer­ Waffen helfen, Menschenleben zu retten«.
Regierens als ein Versprechen seiner Kanzlerschaft lin: Die Regierung in Madrid solle bloß nicht auf struktur zur Versorgung. Und er braucht unge- bocks, Richtung zu schubsen? Die USA sind zwar Mitte September findet ein Gespräch zwischen
betrachten kann: »Vertrauen Sie mir.« Kanzler und Außenministerin statt. Es ist dem Ver-
Vertrauen ist eine kostbare Ressource. Eine Re- nehmen nach eines der letzten offenen, ausführlichen
gierung, die Panzer in einen Krieg schickt, braucht
das Vertrauen der Bevölkerung. Aber sie braucht auch Präsident, Kanzler, Ministerin: Eine schwierige Dreierbeziehung für sehr lange Zeit. Scholz, heißt es, soll Baer­bock
aufgefordert haben, sich in der Öffentlichkeit zurück-
das Vertrauen der Kabinettsmitglieder un­ter­ein­an­der, zuhalten. Er werde zu gegebener Zeit eine Entschei-
die unausgesprochene Gewissheit, dass man sich auf­ dung treffen. Querschüsse seien nicht hilfreich.
ein­an­der verlassen kann. Dass es bei allen Meinungs- Weder das Kanzleramt noch das Auswärtige Amt
verschiedenheiten, bei allen persönlichen Unterschie- wollen sich zu dem Gespräch auf Anfrage äußern.
den eine Linie gibt, an die sich alle halten. Nach dieser unmissverständlichen Ansprache tut
»Vertrauen Sie mir« – zu wem spricht der Kanz- Baer­bock etwas, das eigentlich nicht ihrem Naturell
ler in diesem Moment? Zu den Deutschen? Zu entspricht: Sie schweigt. Sie achtet die Kabinetts­
Deutschlands internationalen Partnern, vor allem disziplin. Sie hat bis hierhin viel dafür getan, dass
den Amerikanern? Oder zu seinen Ministern? Deutschland endlich Leopard-Panzer liefert. Viel-
Wenn man die Monate bis zur Panzerentschei- leicht sogar zu viel.
dung des Bundeskanzlers rekonstruiert, wenn man Außenminister sind fast immer beliebt, aber sie
mit Beteiligten in Berlin und Washington spricht, sind nur selten mächtig. Sie können zwar reden, ver-
lernt man viel darüber, wie es um das Vertrauen be- mitteln, werben. Aber die großen Entscheidungen
stellt ist – innerhalb des westlichen Bündnisses, aber fallen im Kanzleramt. So war es unter Angela Merkel,
auch innerhalb der Regierung. Man erfährt von einem 26. 6. 2022 17. 1. 2023 24. 1. 2023 und so ist es auch unter Olaf Scholz. Diese Erfahrung
Kanzler, der in einer höchst wichtigen Frage der­ Einig: Präsident Joe Biden und Scholz Skeptisch: Scholz mit Baer­bock im Forsch: Baer­bock spricht beim Europarat macht Anna­lena Baer­bock in den Sommer- und
internationalen Politik kaum mit seiner Außenminis- beim G7-Gipfel auf Schloss Elmau Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten in Straßburg über den Ukraine-Krieg Herbstmonaten 2022.
DIE ZEIT N o 7 9. Februar 2023 POLITIK 5

Der Riss

Denn in den Wochen darauf geschieht: nichts.


Scholz lässt sich in der Panzerfrage nicht treiben.
auf anderem Weg: Die Briten melden sich. Sie
hätten die Entscheidung auch getroffen, um die
Am Montagnachmittag deutscher Zeit, dem Tag
nach dem Festakt in Paris, treffen die entscheiden- Torten der Wahrheit
Im Gegenteil, je stärker der öffentliche Druck, des- Deutschen dazu zu bringen, ihrerseits Leopard- den Signale aus dem Weißen Haus ein: Der US-
VON KATJA BERLIN
to sturer wirkt der Kanzler. Manchmal scheint er fast Panzer zu exportieren. Ob sich denn nun etwas Präsident wird mitziehen. Abrams und Leos. Sulli-
trotzig: Wenn alle wollen, dass er sich zu Nord bewege? Scholz’ Leute trauen ihren Ohren nicht. van und Plötner, die beiden Sicherheitsberater,
Stream 2 erklärt, nimmt er nicht mal das Wort in Es gibt jetzt ein Momentum, die ganze Welt haben das ganze Wochenende über telefoniert und
den Mund. So war es vor einem Jahr, kurz vor spricht über Kampfpanzer aus Deutschland, auch gemailt, Austin hat Biden von der sturköpfigen
Kriegsausbruch. Und so ähnlich ist es jetzt in der Scholz wird sich irgendwann rühren müssen. Aber Position im Kanzleramt berichtet. Der US-Vertei- Wer Arbeitnehmer entlastet Gründe fürs Do-it- yourself
Panzerfrage. Stets wiederholen er und seine Ver- zu welchen Bedingungen? digungsminister, berichtet die Washington Post, habe
trauten intern ihre Bedenken: Was, wenn die Ukrai- Am 17. Januar, einem Dienstag, um 16.15 Uhr ­Biden daraufhin den long-term proposal empfohlen,
ne mit deutschen Panzern russisches Territorium deutscher Zeit sind Scholz und Biden erneut zum den ihm die Deutschen mit auf den Rückweg ge-
angreift? Was, wenn Putin die Lieferung von Kampf- Telefonieren verabredet. An Bidens Seite sind sein geben hatten: Es sollen Abrams geliefert werden,
panzern als Vorwand für eine Eskalation nutzt? Wie Nationaler Sicherheitsberater ­Jake Sullivan und aber keine aus aktiven Beständen der US-Armee,
ist es um die Einigkeit des Westens bestellt? Außenminister Blinken. Scholz ist von seinen engs- sondern Reservepanzer, die erst generalüberholt
Im Auswärtigen Amt dagegen betont man, ten Vertrauten umgeben, darunter sein außenpoli- werden müssen. Schließlich steht der Deal. »Wir
Putin führe einen Krieg gegen die gesamte euro- tischer Berater Jens Plötner und Kanzleramtschef wollten sicherstellen, dass wir alle zusammenste-
päische Friedensordnung. In einer solchen Lage Wolfgang Schmidt. hen«, sagt Biden bei einer Pressekonferenz im Künstliche Intelligenz Kreativität
dürfe man »keine halben Sachen machen«. Immer Diesmal geht es vor allem um die Kampfpanzer. Weißen Haus. »Wir sind uns vollumfänglich und Die Ehefrau mit Teilzeitjob Sparsamkeit
wieder kommen im Auswärtigen Amt zudem Kla- Über dem Gespräch liegt der Mantel der Vertrau- total einig.« Handwerkermangel
gen aus anderen Ländern über Scholz’ Zaudern an. lichkeit, weder das Kanzleramt noch das Weiße
Immer wieder muss sich Baer­bock im Nato-Außen- Haus wollen sich zum Inhalt äußern. Aber in der Scholz setzt sich durch, aber wer die USA Deutsche Reaktionen
ministerrat für die Zögerlichkeit ihrer Regierung Washington Post sind einige Details durchgesickert. kennt, weiß, dass alles seinen Preis hat
rechtfertigen. Immer wieder drängt ihr ukrainischer Scholz habe erneut darauf verwiesen, dass es grünes Auf immer mehr SUVs im Auf immer mehr vegane
Amtskollege Dmytro Kuleba auf die Lieferung von Licht für die Leoparden nur dann gebe, wenn die Biden hat der Bundesregierung schon einmal Straßenverkehr Lebensmittel im Supermarkt
Kampfpanzern. Die Außenministerin lässt das nicht Amerikaner ihrerseits M1-Abrams-Kampfpanzer gegen seine eigene fachliche Überzeugung aus
kalt, im Gegenteil. lieferten. Man müsse »im Gleichschritt« voran- der Patsche geholfen, im Frühjahr 2021. Damals
Baer­bock und Scholz – das sind zwei Politiker- schreiten. »Ich melde mich«, beendet Biden die hob er kurzerhand die Sanktionen wegen der
typen, die kaum zusammenpassen. Zu Baer­bocks Unterhaltung. Gas-­Pipe­line Nord Stream 2 auf. Die transatlan-
Verständnis von Politik gehört es, sich berühren zu Nach dem Telefonat, heißt es in der Washington tische Solidarität war ihm wichtiger als eine Be-
lassen. Wenn sie in die Ukraine reist, besucht sie die Post, hätten ­Biden, Blinken und Sullivan zusam- strafung der widerborstigen Deutschen.
zerstörten Städte. Sie will das Leid sehen, das der mengesessen und das Gespräch bewertet: »Enttäu- Bei den Abrams wiederholt sich dieses Muster.
Krieg hinterlässt. Oft spricht sie anschließend da- schend« sei es verlaufen. Der US-Präsident entscheidet gegen den Rat seiner Das ist halt Angebot und Das ist halt Angebot und
von, was so ein Angriff für die Kinder bedeutet, wie Das gilt auch deshalb, weil die Amerikaner Minister, um eine größere Botschaft zu senden: die Nachfrage. Nachfrage.
sehr ihr »das Herz blutet«. Manchmal ringt sie mit Scholz so verstanden haben, dass er ohne die US- der Einigkeit des Westens. Er kommt den Deut- Sie wollen uns umerziehen! Sie wollen uns umerziehen!
den Tränen. Panzer nicht nur keine deutschen Leoparden liefern schen entgegen. Er schenkt Scholz Vertrauen.
Zu Olaf Scholz’ Selbstverständnis gehört die wolle, sondern sogar die Ausfuhrgenehmigung für Dass es zu diesem ungewöhnlichen Geschenk
äußerliche Unberührtheit. Er ist der Überzeugung, die polnischen Leoparden blockieren werde. Drei kommen konnte, hat auch mit der besonderen Kon-
dass es für Entscheidungen eine gewisse Kälte Quellen, die mit dem Verlauf des Gesprächs ver- stellation der beiden Regierungschefs zu tun: Im ANZEIGE
braucht. Dass man sich nicht ergreifen lassen darf traut sind, bestätigen der ZEIT, dass dies die Bot- Kanzleramt regiert ein Politiker, der womöglich
und dass man Risiken nur erkennt, wenn man die schaft gewesen sei, die im Weißen Haus angekom- starrsinniger auftritt als die meisten seiner Vor-
eigenen Gefühle ausblendet. men sei. gänger. Auf der anderen Seite des Atlantiks sitzt im
Sie spricht von Werten, er von Interessen. Sie Die folgenden fünf Tage werden zu einer Phase Weißen Haus ein mitunter altersmilder Präsident,
will ein neues Selbstbewusstsein für die deutsche des gegenseitigen Abtastens und Austestens. Am der ein Freund der guten alten transatlantischen
Außenpolitik. Er hält das für Großsprecherei. Donnerstag, zwei Tage nach dem Telefonat der Partnerschaft ist und der nach den Trump-Jahren

„Für vermögende Anleger


Sie treibt ihn in den Wahnsinn. Und er sie auch. beiden Regierungschefs, landet der amerikanische zu reparieren versucht, was in die Brüche gegangen
Im November erreicht das Verhältnis der beiden Verteidigungsminister Lloyd Austin in Berlin. Er ist. Der eine ist ungewöhnlich bockig, der andere
einen neuen Tiefpunkt. Scholz plant eine Reise ist gekommen, um in Ramstein an einer interna- ungewöhnlich kompromissbereit.

kenne ich kein besseres


nach China, Baer­bock hält den Besuch für einen tionalen Konferenz zur Unterstützung der Ukraine Allzu oft kommt es im Verhältnis der beiden
Fehler. Kurz vor seiner Abreise erklärt sie öffentlich, teilzunehmen. Aber vorher will Austin ausloten, ob Länder nicht vor, dass der Präsident der USA etwas
sie erwarte vom Kanzler, dass er sich an den Koali- sich die deutsche Position inzwischen geändert hat. gegen seine Überzeugung und die seiner Berater

Modell am Markt.”
tionsvertrag halte, in dem von der »systemischen Er trifft sich mit Wolfgang Schmidt und Jens tut, nur um einen deutschen Kanzler hinter der
Rivalität« zwischen China und der Bundesrepublik Plötner. Das Gespräch findet im Besprechungsraum Barrikade hervorzuholen. Scholz hat sich durch-
die Rede ist. Sie fordert Scholz auf, bei dem Besuch im sechsten Stock des Kanzleramts statt, intern gesetzt, aber wer die Amerikaner kennt, weiß, dass

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auch Fragen wie faire Wettbewerbsbedingungen, »Kleine Lage« genannt. Austin hat seine Beraterin alles seinen Preis hat.
Menschenrechte und Anerkennung des interna- für internationale Fragen, die US-Botschafterin in Wie schon bei der »Zeitenwende« zeigt sich auch
tionalen Rechts anzusprechen. Eine Außenminis- Berlin und zwei Mitarbeiter dabei. bei den Kampfpanzern, wie überkontrolliert Scholz
terin, die ihrem Chef öffentlich Verhaltensregeln Aber Scholz’ Leute bewegen sich nicht. Sie Politik betreibt. Nachdem der Kanzler erfahren hat,
auf die Reise mitgibt – im Kanzleramt, aber auch bleiben hart: ohne Abrams keine Leos. dass die Amerikaner dem Deal zugestimmt haben,
in anderen Ministerien empfindet man das als Im Weißen Haus reagieren Bidens Berater mit ruft er Robert Habeck an, den Vizekanzler, und
Anmaßung. einer Mischung aus Entgeisterung und Frustration, Chris­tian Lindner, den Vize-Vizekanzler. Den an-
Inmitten der größten außenpolitischen Krise der so berichten es jedenfalls mehrere Beteiligte. Der deren Ministern berichtet Scholz von der Panzer- Mit LIQID investieren
Nachkriegszeit herrscht zwischen Kanzler und Begriff ­annoyed fällt, der irgendetwas zwischen »ge- wende erst am Mittwochmorgen im Kabinett – Unternehmer, Entscheider
Außenministerin ein Austausch, den Eingeweihte nervt« und »verärgert« bedeutet. auch Baer­bock. Ganz am Ende der Sitzung verliest und Macher in exklusive
als »Nullkommunikation« empfinden. Mit jedem Bevor Austin zurück nach Washington fliegt, der Kanzler unter dem Tagesordnungspunkt »Ver-
Schritt, den Baer­bock sich vorwagt, scheint sie sich bauen ihm die Deutschen noch eine Brücke: Die schiedenes« mit monotoner Stimme eine Mittei- Anlagelösungen, die bisher
weiter zu isolieren. Auch in der Panzerfrage gibt es Abrams-Panzer müssten ja nicht morgen oder über- lung, die nur Minuten später über die Nachrichten- nur großen Vermögen
seit Wochen keine Bewegung. morgen geliefert werden. Es gehe um die Geste. Der agenturen laufen wird. Im Saal wird es ganz leise. offen standen.
Ukraine würden die Abrams in einem solchen Knapp zwei Wochen später, am vergangenen
Mit elf Worten stellt sich die Szenario zwar erst in vielen Monaten helfen. Aber Samstag, steht die Bundesaußenministerin auf einer
Außenministerin gegen den Kanzler manchmal ist in der Politik ein Symbol wichtiger Bühne in einem Festsaal vor einer Schar von Narren.
Florian Heinemann,
als die konkrete Auswirkung einer Entscheidung. Auf dem Kopf trägt sie einen Karnevalshut, an
Zum Jahreswechsel ändert sich die Lage. Die Während Austin mit dieser Botschaft aus Berlin diesem Tag erhält Anna­lena Baer­bock den »Orden LIQID-Kunde und Founding
russischen Truppen rücken bei Bachmut vor, zurück nach Washington fliegt, reist eine deutsche wider den tierischen Ernst« des Aache­ner Karnevals- Partner von Project A
Putin verkündet eine neue Welle der Mobilisie- Delegation für den Festakt zum 70. Jubiläum des vereins. Sie habe lange über ihre Verkleidung nach-
rung, die Geheimdienste befürchten einen Élysée-Vertrags nach Paris. Dort gibt Anna­lena gedacht, beginnt Baer­bock ihre Rede. »Eigentlich
Durchbruch an der ukrainischen Ostfront. Baer­bock dem französischen Fernsehsender LCI am wollte ich als Leopard kommen. Aber dann hatte
Am 5. Januar fliegt Baer­bock nach London. Das Abend ein Interview. Als es um mögliche Export- ich etwas Sorge, dass mir das Kanzleramt wochen-
Treffen ist als »strategischer Dialog« der Bundes- anträge für Leopard-Panzer geht, sagt sie einen Satz, lang keine Reisegenehmigung erteilt«, frotzelt sie.
republik mit dem Vereinigten Königreich angekün- der so kurz wie brisant ist: »Wenn man uns fragt, »Hier bin ich also, so wie ich bin. Eine weibliche
digt. Es scheint allerdings, als verfolge Baer­bock ihre würden wir dem nicht im Weg stehen.« Außenministerin – ohne Visier.« Und das sei in
ganz eigene Strategie. Im Gespräch mit dem briti- Elf Worte, mit denen sich die Außenministerin diesem Land immer noch etwas Exotisches.
schen Außenminister J­ ames Cleverly wirbt sie nach gegen den Kanzler stellt. Denn während Scholz im Dann wird die Außenministerin ernst. »Ich höre
ZEIT-Informationen dafür, dass Großbritannien Gespräch mit Biden den Eindruck vermittelt hat, ja manchmal: Jetzt redet die schon wieder über
Challenger-Panzer in die Ukraine liefern könne, jeden Exportantrag ablehnen zu wollen, solange die Kinder. Jetzt wird sie schon wieder emotional.« Baer­
man werde dann sehen, wie sich die Bundesregie- Amerikaner nicht eigene Panzer entsenden, erklärt bock macht eine Pause. »Wissen Sie, was? Ich bin
rung verhalte. Sie hofft offenbar auf einen Domino­ Baer­bock nun en passant, dass man Exportanträge froh, dass ich – auch als Außenministerin der Bun-
effekt. Ein riskanter Vorstoß, zumal bei dieser Vor- durchwinken werde. Es ist das Gegenteil der Posi- desrepublik Deutschland – sagen kann, wie nahe
geschichte: Die Bundesaußenministerin lobbyiert tion, mit der Scholz gerade versucht, die Amerika- mir das geht. Ich bin dankbar, dass wir in einem
bei einem Verbündeten für Panzerlieferungen – und ner auf seine Seite zu bringen. Baer­bock untergräbt Land leben, in dem das möglich ist: in dem wir­
hinterlässt den Eindruck, sie wolle den Bundes- Scholz’ Verhandlungsposition, und die ganze Welt Politikerinnen und Politiker zeigen können, dass uns
kanzler so abermals unter Druck setzen. sieht zu. das Leid, das wir sehen, nicht kaltlässt.«
Denn Scholz hat seine Sicht noch immer Es habe auf Arbeitsebene aus dem Kanzleramt Dies ist die eine Variante, wie sich die Geschichte­
nicht geändert. Am selben Tag, an dem Baer­ vorsichtige Signale gegeben, dass sich die Haltung der letzten Monate erzählen lässt. Da ist eine Frau
bock in London über britische Kampfpanzer zu Ausfuhranträgen etwa aus Polen ändern könnte, mit Überzeugungen, bewegt vom Schicksal der
und den möglichen Einfluss auf die deutsche heißt es später. Von dem Inhalt des Gesprächs des Menschen in der Ukraine, die sich nicht unter-
Entscheidung redet, telefoniert der Bundeskanz- Bundeskanzlers mit Joe Biden hat Baer­bock dem ordnen will – und schließlich von den Männern im
ler mit Biden, und auch in diesem Gespräch geht Vernehmen nach nichts gewusst. Und während Kanzleramt an den Rand gedrängt wird.
es um Panzer – nur nicht um Kampfpanzer. Das andere Regierungsvertreter in vertraulichen Ge- Da ist, andererseits, eine Außenministerin, die
Kanzleramt teilt später mit, Biden und Scholz sprächen an diesem Sonntag in Paris am Rande des die Autorität des Kanzlers nicht anzuerkennen
hätten ihre gemeinsame Entschlossenheit bekun- Festakts die Gewissheit durchschimmern lassen, scheint, die ihre eigene Politik betreibt und damit
det, die Ukraine so lange wie nötig zu unterstüt- dass eine deutsche Leopard-Lieferung bevorsteht, ihren Chef bloßstellt.
zen. »Zu diesem Zweck beabsichtigen die Verei- weiß Baer­bock davon anscheinend nichts. Und auch über Olaf Scholz gibt es mindestens
nigten Staaten, der Ukraine Schützenpanzer vom Dass Scholz kein überschwänglicher Kommuni- zwei Geschichten. Für die einen ist er ein Mann,
Typ Bradley zur Verfügung zu stellen, und kator ist, ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Dass der so rechthaberisch auftritt, dass er halb Europa
Deutschland beabsichtigt, Schützenpanzer vom er jedoch selbst wichtige Kabinettsmitglieder im gegen Deutschland aufbringt, bis ihm am Ende der
Typ Marder zu liefern« – über den Leopard: kein Unklaren lässt, bringt ihn nun selbst in Bedrängnis. US-Präsident beistehen muss.
Wort. Während die deutsche Außenministerin Die unterschiedlichen Temperamente, die stra- Für die anderen ist er ein besonnener Politiker,
in London für Kampfpanzer wirbt, schweigt sich tegischen Differenzen, das Schweigen zwischen der versucht, die Unterstützung für die Ukraine mit
der Kanzler dazu aus. Größer kann die Disso- Kanzler und Außenministerin – in der Panzerfrage den Gefahren einer militärischen Eskalation aus-
nanz zwischen den beiden kaum werden. kommt all das zusammen. Die Regierung des mäch- zubalancieren – und der damit am Ende mehr für
Vier Tage nach dem Baer­ bock-­Be­
such, am tigsten Landes in Europa schafft es in dieser so die Ukraine erreicht als seine Kritiker.
9. Januar, gibt Großbritannien bekannt, Chal- existenziellen Situation nicht, abgestimmt zu han- Ganz gleich, welcher Lesart man glaubt, unbe-
lenger-Panzer in die Ukraine verschiffen zu wollen. deln, das ist der Eindruck, auch wenn eine Regie- streitbar bleibt der Schaden, den die vergangenen
Zwei Tage später stellt Polens Präsident Andrzej rungssprecherin sagt, der Bundeskanzler arbeite Monate angerichtet haben. Die Außenministerin
Duda die Lieferung von Leopard-Panzern aus pol- »mit allen seinen Ministerinnen und Ministern eng erweckt den Eindruck, die Politik des Bundeskanz-
nischen Beständen in Aussicht, deren Export die und vertrauensvoll zusammen«. Und das Auswär- lers zu hintertreiben. Der Bundeskanzler schneidet Jetzt informieren:
Bundesregierung genehmigen müsste. Binnen tige Amt legt Wert darauf, dass es im Vorfeld der die Außenministerin vom Informationsfluss ab. Die 030 3080 7083 Wealth Management
weniger Tage ist der Druck auf Olaf Scholz enorm Leopard-Entscheidung »einen intensiven Austausch beiden sprechen kaum noch mit­ein­an­der, wenn es
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gewachsen. innerhalb der Bundesregierung, auch zwischen der nicht sein muss.
Die Auswirkungen des London-Besuchs errei- Bundesaußenministerin und dem Bundeskanzler«, »Vertrauen Sie mir.« Dieser Satz hat in diesen
chen das Kanzleramt nicht über Baer­bock, sondern gegeben habe. Tagen einen ganz besonderen Klang.
2 POLITIK 8. Dezember 2022 DIE ZEIT N o 51

Titelthema
Foto: Julia Sellmann für DIE ZEIT (Berlin, 30. 11. 2022)

Es muss nicht »Frau Bundeskanzlerin« sein – ein Jahr


nach dem Ausscheiden bevorzugt sie »Frau Merkel«

»Hatten Sie gedacht, ich komme


mit Pferdeschwanz?«
Angela Merkel über ihren neuen Lebensabschnitt, mögliche Fehler ihrer Russlandpolitik, ihre Rolle in der Flüchtlingskrise
und die Frage, ob mit deutschen Kanzlern ungnädig umgegangen wird
8. Dezember 2022 DIE ZEIT N o 51 POLITIK 3

In Angela Merkels neuem Büro saß früher ihr von Schüler-Union, Junger Union, RCDS ge- ZEIT: In Ihrer Kanzlerschaft hat die Zahl der losgesagt hatten. Ziel war, über einen Waffenstill- matie. Übertragen auf das Zwei-Prozent-Ziel
Vorvorgänger Helmut Kohl in seiner Zeit als prägt, sondern kam mit meiner eigenen Sprache Krisen und ihre Gleichzeitigkeit von Jahr zu Jahr stand Zeit zu gewinnen, um später zu einem Frieden heißt das, dass wir für die Abschreckung durch
Altkanzler. Es liegt im fünften Stock eines und meinen eigenen Vorstellungen. Das fiel zugenommen ... zwischen Russland und der Ukraine zu kommen. höhere Verteidigungsausgaben nicht genug getan
schmucklosen DDR-Baus, in dem Margot manchmal auf und erschien einigen furchtlos – Merkel: Die ersten beiden Jahre waren in meiner Sie hat diese Zeit hat auch genutzt, um stärker haben.
Honecker als Ministerin für Volksbildung war es aber nicht. Erinnerung eine sehr ruhige Zeit, dann ging es los zu werden, wie man heute sieht. Die Ukraine von ZEIT: Sie haben Alexander Osang für ein Porträt
residierte, Unter den Linden, zwischen dem ZEIT: Sie haben verschiedene Male gesagt, es mit der globalen Finanzkrise, der Euro-Krise, im- 2014/15 ist nicht die Ukraine von heute. Wie im Spiegel den Satz gesagt: »Kritik auszuhalten ist
Hotel Adlon und der russischen Botschaft. habe Sie fürs Leben nachdenklich gemacht, dass mer wieder haben sich auch die Nachrichten zum man am Kampf um Debalzewe (Eisenbahner- Teil der Demokratie, aber mein Eindruck ist zu-
Für das Gespräch hat sie auf derselben Etage die DDR weniger kollabiert war aus einem Man- Klimaschutz verschlechtert. Nach dem ersten Be- stadt im Donbass, Oblast Donezk, d. Red.) An- gleich, dass ein amerikanischer Präsident mit
den Sitzungssaal ausgesucht, von dem aus man gel an demokratischen Freiheiten, sondern daran, richt des Club of Rome schien es noch so zu sein, fang 2015 gesehen hat, hätte Putin sie damals mehr Respekt in der Öffentlichkeit behandelt
einen schönen Blick auf den Pariser Platz und dass sie wirtschaftlich nicht funktionierte. Unser dass es in der Realität ein bisschen besser lief als leicht überrennen können. Und ich bezweifle wird als ein deutscher Kanzler.« Was genau mein-
das Brandenburger Tor hat. Die ganze Zeit früherer Herausgeber Helmut Schmidt hat als vorhergesagt. Mit jedem Bericht des internationa- sehr, dass die Nato-Staaten damals so viel hätten ten Sie damit?
dabei ist ihre politische Beraterin Beate Bau- einer, der eine Diktatur miterlebt hatte und dabei len Klimarates IPCC aber wurde es alarmierender, tun können wie heute, um der Ukraine zu helfen. Merkel: Ich meinte zum einen, dass heute sehr
mann. Bevor es losgeht, werden Fotos gemacht, auch nicht ganz schuldlos geblieben war, gesagt, sodass sich die Frage stellt, ob wir überhaupt noch ZEIT: Beim ersten öffentlichen Auftritt nach dem schnell über politische Entscheidungen der Ver-
schnell, denn Merkel mag es nicht, fotografiert ihm sei daraus ein gewisses Misstrauen gegenüber die Zeit haben, angemessen zu reagieren. Viel- Ende Ihrer Kanzlerschaft haben Sie erklärt, Sie gangenheit gerichtet wird, ohne sich den Kontext
zu werden. Warum das so ist, auch das wird dem eigenen Volk geblieben. Gibt es bei Ihnen leicht sind Krisen aber auch der Normalfall hätten schon 2007 erkannt, wie Putin über Eu- in Erinnerung zu rufen und Alternativen kritisch
im Gespräch eine Rolle spielen. Dann sind die auch so etwas? menschlichen Lebens, und wir hatten bloß einige ropa denkt, und dass die einzige Sprache, die er zu prüfen. Das Zweite ist: Zum Teil wird einfach
Kameras weg, Merkel entspannt sich. Ein Jahr Merkel: Ich würde es nicht Misstrauen gegenüber Jahre, die eine Besonderheit waren. versteht, Härte sei. Wenn diese Erkenntnis so damit gehadert, dass ich nach 30 Jahren Politik
ist sie nun nicht mehr im Amt. Früher konnte dem eigenen Volk nennen, sondern ein generelles ZEIT: Stellen Sie sich die Frage, ob die Jahre rela- früh da war, warum haben Sie eine Energiepolitik und 16 Jahren Bundeskanzlerin freiwillig aus dem
die einfache Frage »Wie geht es Ihnen?« ihren Misstrauen uns Menschen gegenüber, weil Men- tiver Ruhe auch Jahre der Versäumnisse waren betrieben, die uns von Russland so abhängig ge- Amt gegangen bin, im zarten Alter von 67, und
Argwohn wecken. Heute finde sie so eine Frage schen zu Unfassbarem fähig sind. Deutschland und Sie nicht nur Krisenmanagerin, sondern zum macht hat? jetzt sage, ich möchte »Wohlfühl-Termine« ma-
angebracht, stellt Merkel fest und macht dazu hat das im Nationalsozialismus in furchtbarer Teil Verursacherin von Krisen? Merkel: Es war uns allen klar, dass das ein einge- chen. Das heißt für mich, dass ich mich nicht
eine ironische Merkelschnute. »Und ich würde Weise auf die Spitze getrieben. Deshalb bin ich so Merkel: Ich wäre kein politischer Mensch, wenn frorener Konflikt war, dass das Problem nicht ge- immer dafür rechtfertigen muss, wenn ich auch
auch gerne antworten, dass es mir persönlich überzeugt, dass der Aufbau unseres Staates und ich mich nicht damit beschäftigen würde. Neh- löst war, aber genau das hat der Ukraine wertvolle meine eigene Agenda bestimmen möchte. Ich
gut geht.« Die politische Gesamtlage allerdings das Grundgesetz ein hohes Maß an Weisheit be- men wir den Klimaschutz, bei dem Deutschland Zeit gegeben. Natürlich kann man jetzt die Frage möchte nicht immer getrieben sein durch das,
empfinde sie als bedrückend. inhalten, in dem die Unabhängigkeit der Presse, im internationalen Vergleich sehr viel getan hat. stellen: Warum hat man in einer solchen Situation was von außen auf mich zukommt.
Angela Merkel hat wie alle ehemaligen Kanzler der Justiz, die demokratischen Prozesse wohl- Bezogen auf das Thema selbst räume ich aber ein: noch dem Bau von Nord Stream 2 zugestimmt? ZEIT: Meinen Sie damit auch die Diskussion um
protokollarisch das Recht auf die Anrede durchdacht sind. Wie schnell ist man dabei, das Gemessen an dem, was der Internationale Klima- ZEIT: Ja, warum? Zumal es schon damals sehr die Ausstattung Ihres Büros? Es gab Unverständ-
»Frau Bundeskanzlerin«. Kohl ließ sich gerne infrage zu stellen, etwa Gerichtsurteile für nicht bericht des IPCC heute sagt, ist nicht genügend heftige Kritik am Bau der Pipeline gab, zum Bei- nis dafür, dass Sie neun Mitarbeiter beschäftigen.
auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt einleuchtend zu erklären. Ich selbst bin zum Bei- spiel von Polen und den USA. Merkel: Das ist vielleicht ein Nebeneffekt. Wel-
Herr Bundeskanzler nennen, zu Kanzlerzeiten spiel vom Bundesverfassungsgericht dafür gerügt Merkel: Ja, man konnte da zu einer unterschied- chen Leistungsnachweis muss ich denn erbringen,
forderte er auch seinen »Dr.« ein. worden, 2019 gesagt zu haben, dass das Ergebnis lichen Meinung kommen. Worum ging es? Zum dass die Ausstattung gerechtfertigt ist?
Sie bevorzugt: Frau Merkel. der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen im einen legte die Ukraine sehr viel Wert darauf, ZEIT: Sie haben zu Beginn Ihrer Amtszeit darauf

DIE ZEIT: Frau Merkel, Sie sind nicht mehr


Kanzlerin, aber Sie sehen immer noch ziemlich
Februar mit Stimmen der AfD rückgängig ge-
macht werden muss. Ich hätte zu dieser Entschei-
dung einiges sagen können, habe das aber nicht
»Es gibt einen auch weiter Transitland für russisches Gas zu blei-
ben. Sie wollte Gas durch ihr Gebiet und nicht
durch die Ostsee leiten. Heute wird ja manchmal
hingewiesen, dass es in der Vergangenheit schein-
bar unbesiegbare Hochkulturen gab, die unter-
gegangen sind, weil sie sich nicht schnell genug
genauso aus wie früher.
Angela Merkel: Hatten Sie gedacht, ich komme mit
gemacht, sondern hatte und habe sie zu respektie-
ren. An der Stelle dürfen wir nie weich werden.
Unterschied so getan, als ob jedes russische Gas-Molekül des
Teufels war. So war das nicht, das Gas war um-
verändern konnten. Könnte es sein, dass es die
Menschheit trotz aller Erkenntnisse über den
Pferdeschwanz? Meine Kleidung ist für mich prak-
tisch, mit der Frisur habe ich mich angefreundet.
Natürlich begegne ich Ihnen als Kanzlerin a. D.
ZEIT: Haben Sie die Befürchtung, dass das Sys-
tem auch schnell wieder in sich zusammenbre-
chen könnte?
zwischen einem kämpft. Zum anderen war es auch nicht so, dass
die Bundesregierung die Genehmigung von Nord
Stream 2 beantragt hatte, das haben die Firmen
Grad der Erderwärmung einfach nicht fertig-
bringt, ihr eigenes Überleben zu organisieren,
weil nicht alle an einem Strang ziehen wollen?
Aber Sie können daraus den Umkehrschluss zie-
hen, dass ich keine künstliche Rolle gespielt habe
Merkel: Es muss gelebt werden von jedem Einzel-
nen, sonst kann es schnell in sich zusammenbre- Diktatfrieden, getan. Für die Bundesregierung und für mich
ging es also im Ergebnis darum, zu entscheiden,
Merkel: Mein Motto in der Politik war immer:
Wir schaffen das. Und deshalb habe ich mich mit

den ich wie


als Bundeskanzlerin. Das war schon ich. Und das chen. Deshalb finde ich Sprüche wie die von der ob wir als politischen Akt ein neues Gesetz ma- solchen Untergangsszenarien als Politikerin nie
bin ich auch heute, in einer etwas zweckmäßigeren »Prenzlauer-Berg-Blase« auch nicht gut. Natürlich chen, um die Genehmigung von Nord Stream 2 auseinandergesetzt, sondern immer Lösungen ge-
Ausfertigung, sagen wir mal so. Ich muss weniger ist das nicht ganz Deutschland, aber wir dürfen ausdrücklich zu versagen. sucht. Als Bürgerin kann man sich die Frage
auf Schminke achten. Ich kann Sie aber beruhigen:
In meinem Wohnzimmer sitze ich nicht im Jackett.
Da nehme ich schon mal eine Strickjacke.
nie einen Teil der Individuen in einem Land zu
Außenseitern erklären und den Rest sozusagen zu
Vertretern der echten Demokratie. Das endet mit
viele andere ZEIT: Was hat Sie daran gehindert?
Merkel: Zum einen hätte eine solche Versagung in
Kombination mit dem Minsker Abkommen aus
schon stellen, aber da ich immer noch in einem
Zwischenstadium bin, würde ich sagen: Wir
müssen alles daransetzen, dass genau das nicht
ZEIT: 2019 haben Sie vor dem Kanzleramt aus-
gerechnet den ukrainischen Präsidenten Wolody-
nichts Gutem.
ZEIT: Ihre Kanzlerschaft war stark geprägt von
nicht will, und meiner Sicht das Klima mit Russland gefährlich
verschlechtert. Zum anderen ist die energiepoli-
passiert.
ZEIT: 30 Prozent chinesischer CO₂-Ausstoß,
myr Selenskyj empfangen und begannen auf ein-
mal sehr stark und für alle sichtbar zu zittern.
Kam da die private Frau Merkel der Bundeskanz-
einem Thema, das relativ spät aufkam: der Flücht-
lingspolitik im September 2015. In dem Zusam-
menhang haben Sie auf kritische Nachfragen zu
freundschaftlich tische Abhängigkeit entstanden, weil es weniger
Gas aus den Niederlanden, aus Großbritannien
und begrenzte Fördermengen in Norwegen gab.
knapp zwei Prozent deutscher, das sind die
Zahlen.
Merkel: Das ist aber keine Legitimation, dass wir
lerin Merkel in die Quere?
Merkel: Das war jedenfalls ein bedrückender Mo-
den Folgen Ihrer liberalen Politik gesagt: »Wenn
wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu offenem ZEIT: Und es gab den vorgezogenen Ausstieg aus
der Kernenergie. Auch von Ihnen initiiert.
nichts tun müssen. Wir können Vorbild sein,
auch wenn andere noch nicht mitziehen. China

Gespräch
ment. In gewisser Weise war ich für einen Mo- müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein Merkel: Richtig, und dazu parteiübergreifend die ist heute der größte Emittent, richtig. Es ist
ment ohnmächtig, und das in einer sehr offiziel- freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht Entscheidung, auch in Deutschland weniger Gas gleichzeitig Rivale, Wettbewerber und Partner.
len Situation, bei der Abnahme der militärischen mein Land.« Diesen Satz haben viele als sehr au- zu fördern. Man hätte sich entscheiden müssen, Das richtig auszutarieren wird die große diploma-
Ehren. In mir hatte sich offensichtlich sehr viel
Spannung angestaut. Das hatte mit dem Tod
meiner Mutter zu tun. Ich hatte zu wenig Zeit,
toritär und auch als ausgrenzend empfunden. Es
wirkte auf einige so, als hätten Sie den Anspruch,
zu bestimmen, wie das Land sein soll.
miteinander« teureres LNG aus Katar oder Saudi-Arabien zu
kaufen, die USA standen erst später als Export-
nation zur Verfügung. Das hätte unsere Wett-
tische Frage der Zukunft sein. Aber durch den
Krieg in der Ukraine hat sich die Chance zur
Rettung des Klimas noch einmal dramatisch
sie in ihren letzten Wochen zu begleiten. Außer- Merkel: Bei diesem Satz hatte ich ganz besonders bewerbsfähigkeit deutlich verschlechtert. Heute verschlechtert, weil sie in den Hintergrund zu ge-
dem war es heiß, wie immer waren auch Kamera- die Menschen auf dem Münchner Hauptbahn- wird unter dem Druck des Krieges so gehandelt, raten droht.
objektive auf mich gerichtet wie Gewehrläufe hof im Kopf, die die ankommenden Flüchtlinge was ich unterstütze, aber damals wäre das eine viel ZEIT: Haben Sie denn eine Idee, wie dieser Krieg
und gaben mir plötzlich dieses Gefühl: Du bist in Empfang nahmen. Ich habe meine Entschei- massivere politische Entscheidung gewesen. enden kann? Und ist es völlig ausgeschlossen, dass
vollkommen transparent. dung, sie einreisen zu lassen, als in Einklang mit ZEIT: Hätten Sie diese Entscheidung dennoch Sie dabei eine Rolle spielen könnten?
ZEIT: Die amerikanische Schriftstellerin Siri unseren Grundrechten und Grundwerten ge- treffen sollen? Merkel: Die zweite Frage stellt sich nicht. Zur
Hustvedt hat ähnliche Erfahrungen gemacht und sehen. Und diese Grundwerte wollte ich mit dem Merkel: Nein, zumal es dafür überhaupt keine ersten: Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Er wird
ein Buch darüber geschrieben, Die zitternde Frau. Satz hochhalten. Akzeptanz gegeben hätte. Wenn Sie mich um eines Tages mit Verhandlungen zu Ende gehen.
Sie stellt sich darin die Frage: Fürchte ich mich ZEIT: Der Satz hatte aber durchaus etwas von Selbstkritik bitten, gebe ich Ihnen ein anderes Kriege gehen am Verhandlungstisch zu Ende.
vor etwas, das mir vollständig verborgen ist? Ha- einer Ansage an das Volk, oder? Beispiel. ZEIT: Kann man, gerade weil dieser Krieg so viel-
ben Sie sich so eine Frage auch gestellt? Merkel: Ich habe über diesen Satz nicht tagelang ZEIT: Die ganze Welt wartet auf ein Wort der fache dramatische Auswirkungen hat, die Frage,
Merkel: Ich habe mir die Frage gestellt: Was ist vorher nachgedacht. Es war eine sehr emotionale Selbstkritik! wann und unter welchen Umständen Verhand-
das? Es war klar, da war etwas, was ich nicht arti- Antwort, aber trotzdem keine zufällige. Dahinter Merkel: Das mag sein, in vielen Punkten ent- lungen aufgenommen werden, allein der Ukraine
kulieren kann. Das war schon eher gegen Ende stand mein Verständnis, dass die Würde des Men- spricht die Haltung der Kritiker aber nicht meiner überlassen?
meiner Amtszeit und auch nach der Entschei- schen nicht nur etwas aus einer Sonntagsrede sein Meinung. Sich dem einfach zu beugen, nur weil Merkel: Es gibt einen Unterschied zwischen
dung, nicht mehr anzutreten. Und es war im darf, sondern eine praktische Implikation hat. es erwartet wird, hielte ich für wohlfeil. Ich habe einem Diktatfrieden, den ich wie viele andere
Grunde noch mal ein Hinweis darauf, dass diese Das als autoritär zu brandmarken und zu sagen: Der Krieg in der Ukraine könne eines Tages nur mir so viele Gedanken damals gemacht! Es wäre nicht will, und freundschaftlich offenem Gespräch
Entscheidung auch richtig war. Na ja, so ist eben der Ostdeutsche, der steht ne- mit Verhandlungen enden – die Frage, ob sie doch geradezu ein Armutszeugnis, wenn ich jetzt, miteinander. Mehr will ich dazu nicht sagen.
ZEIT: Glauben Sie, dass wir in Deutschland je- ben dem Land – das fand ich schon kühn. dabei eine Rolle spiele, stelle sich nicht: nur um meine Ruhe zu haben und ohne wirklich ZEIT: Es ist so viel Unvorhergesehenes in und
mals so weit kommen werden, dass ein Spitzen- ZEIT: Hat Sie nie der Gedanke belastet, dass Sie Angela Merkel im Gespräch mit so zu denken, einfach sagen würde: Ach, stimmt, nach Ihrer Amtszeit passiert. Hätten Sie sich je-
politiker oder eine Spitzenpolitikerin in so einer mit Ihrer Politik gleichwohl erheblich zur Spal- Tina Hildebrandt und Giovanni di Lorenzo jetzt fällt’s mir auch auf, das war falsch. Aber ich mals vorstellen können, dass ausgerechnet aus
Situation auch sagen kann: Ich habe mir psycho- tung des Landes beigetragen haben? sage Ihnen einen Punkt, der mich beschäftigt. Er dem Springer-Verlag – zu dessen Verlegerin Sie
therapeutische Hilfe gesucht? Merkel: Natürlich hat mich das beschäftigt. Und hat damit zu tun, dass der Kalte Krieg nie wirklich ein freundschaftliches Verhältnis haben – in den
Merkel: Ich musste das nicht, aber fände es auch natürlich ist es politisch immer wundervoll, wenn zu Ende war, weil Russland im Grunde nicht be- letzten Jahren Ihrer Kanzlerschaft und bis heute
nicht schlimm, wenn das ein Politiker sagt. Na- 90 Prozent einer Meinung sind und am besten friedet war. Als Putin 2014 die Krim überfiel, die härteste Kritik kam und kommt?
türlich war ich beim Arzt, um sicherzugehen, dass auch noch meiner Meinung. Aber es gibt Situatio- wurde er zwar aus G8 ausgeschlossen. Auch hat Merkel: Die Pressefreiheit ist ein ganz großes Gut.
neurologisch alles in Ordnung war, ich war und nen, in denen man Kontroversen nicht aus dem die Nato Truppen im Baltikum stationiert, um zu (schmunzelt)
bin ja selbst an meiner Gesundheit interessiert. Weg gehen kann. Den Menschen, die sozusagen passiert. Oder schauen wir auf meine Politik in zeigen, wir sind als Nato zur Verteidigung bereit. ZEIT: Lassen Sie die Kritik an sich heran? Lesen
ZEIT: Würden Sie sagen, dass Sie von der Natur vor unserer Haustür standen, habe ich geholfen Bezug auf Russland und die Ukraine. Ich komme Außerdem haben wir im Bündnis beschlossen, Sie die Bild?
oder dem lieben Gott mit einer gewissen Furcht- und zugleich unter anderem mit dem EU-Türkei- zu dem Ergebnis, dass ich meine damaligen Ent- zwei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandspro- Merkel: Auch wenn ich sie nicht lese, gibt es ga-
losigkeit gesegnet worden sind? Abkommen einen Beitrag dazu geleistet, die Ur- scheidungen in einer auch heute für mich nach- dukts für Verteidigung auszugeben. CDU und rantiert jemanden, der mir die Kritik unter die
Merkel: Gottvertrauen, würde ich sagen, oder sachen der Flucht an der Wurzel zu packen. vollziehbaren Weise getroffen habe. Es war der CSU waren die Einzigen, die das überhaupt noch Nase hält.
Optimismus, ja. ZEIT: Haben Sie, als eine Politikerin, von der es Versuch, genau einen solchen Krieg zu verhin- in ihrem Regierungsprogramm hatten. Aber auch ZEIT: Zu Ihrem Abschied vor einem Jahr durften
ZEIT: Sie haben sich mit Helmut Kohl angelegt, heißt, sie denke gerne vom Ende her, den Preis dern. Dass das nicht gelungen ist, heißt noch wir hätten schneller auf die Aggressivität Russ- Sie wie alle ausscheidenden Kanzler drei Lieder
in dessen Büro Sie jetzt sitzen. Er war politisch ein dieser Kontroverse geahnt, also in Kauf ge- nicht, dass die Versuche deshalb falsch waren. lands reagieren müssen. Deutschland hat das aussuchen. Sie haben unter anderem Für mich
Schwergewicht, aber auch körperlich ein Koloss. nommen? ZEIT: Man kann aber doch plausibel finden, wie Zwei-Prozent-Ziel trotz Erhöhung nicht erreicht. soll’s rote Rosen regnen ausgewählt. Darin heißt es:
Um ihm zu begegnen, brauchte es schon eine ge- Merkel: Ich habe geglaubt, dass man diese Ausein- man in früheren Umständen gehandelt hat, und Und auch ich habe nicht jeden Tag eine flammende »... mich fügen, begnügen. Ich kann mich nicht
wisse Furchtlosigkeit. andersetzung gewinnen kann. Und ich war der es angesichts der Ergebnisse trotzdem heute für Rede dafür gehalten. fügen, kann mich nicht begnügen, will immer
Merkel: Ich habe das auch in anderen Zusammen- festen Überzeugung, dass ich dieses Risiko ein- falsch halten. ZEIT: Warum nicht? Weil Sie insgeheim dachten, noch siegen, will alles oder nichts« und dann
hängen mit Männern in der Politik erlebt – die gehen musste, weil es umgekehrt auch zu einer Merkel: Das setzt aber voraus, auch zu sagen, was man braucht das nicht? »mich fern von Altem neu entfalten, von dem,
tiefere Stimme, der weit größere Körper, beides Spaltung der Gesellschaft geführt hätte, es nicht genau die Alternativen damals waren. Die 2008 Merkel: Nein, sondern weil ich nach dem Prinzip was erwartet, das meiste erhalten.« In welcher
wird auch eingesetzt. Der frühere Bundesminister zu tun. diskutierte Einleitung eines Nato-Beitritts der Helmut Kohls gehandelt habe: Entscheidend ist, Zeile steckt am meisten Angela Merkel drin?
Foto: Julia Sellmann für DIE ZEIT (Berlin, 30. 11. 2022)

Rexrodt konnte, selbst wenn ich mir den Platz in ZEIT: Würden Sie heute an irgendeiner Stelle an- Ukraine und Georgiens hielt ich für falsch. Weder was hinten rauskommt. Eine flammende Rede zu Merkel: Ich habe das Lied als Ganzes ausgesucht.
der ersten Reihe erkämpft hatte, ins Mikrofon ders handeln? brachten die Länder die nötigen Voraussetzungen halten, um anschließend als Bettvorleger zu lan- Ich wollte sagen, dass ich mich auf einen Lebens-
einfach über meinen Kopf sprechen. Helmut Merkel: Nein! dafür mit, noch war zu Ende gedacht, welche den, hätte dem Etat nicht geholfen. Aber wenn abschnitt freue. Ich habe Wunderschönes erlebt,
Kohl konnte auch extra laut sprechen, wenn er ZEIT: An keiner Stelle? Folgen ein solcher Beschluss gehabt hätte, sowohl ich in der Geschichte nach erfolgreichen Rezep- es war auch anstrengend. Aber es war eine tolle
sich ärgerte. Merkel: Natürlich lerne ich. Deshalb würde ich mit Blick auf Russlands Handeln gegen Georgien ten schaue, komme ich auf den Nato-Doppel- Sache: Wer kann schon Bundeskanzlerin der
ZEIT: Sie meinen, dass er dann geschrien hat? im Rückblick deutlich früher daran arbeiten, dass und die Ukraine als auch auf die Nato und ihre beschluss ... Bundesrepublik Deutschland werden? Ich habe
Merkel: Dann war er wuchtig, und man musste eine Situation wie im Sommer 2015 gar nicht erst Beistandsregeln. Und das Minsker Abkommen ZEIT: ... über diesen Beschluss hat Helmut das immer mit Freude gemacht, und jetzt ist
überlegen, ob man dem widerstehen will und entstehen muss, zum Beispiel mit einer Erhöhung 2014 war der Versuch, der Ukraine Zeit zu geben. Schmidt letztlich seine Kanzlerschaft verloren ... trotzdem wieder eine gewisse Spannung da: Was
widerstehen kann. Dass ich manchmal Sachen der Beträge zum World-Food-Programm für Anm. d. Red.: Unter dem Minsker Abkommen ver- Merkel: Richtig, was meine Hochachtung für ihn kann jenseits dessen noch passieren?
gesagt habe, die ungewöhnlich für die politischen Flüchtlingslager in besonders von Migration be- steht man eine Reihe von Vereinbarungen für die nur noch gesteigert hatte. Das Intelligente am
Gepflogenheiten waren, hängt mit meiner Her- troffenen Nachbarländern, wie wir sie dann auch selbst ernannten Republiken Donezk und Luhansk, Nato-Doppelbeschluss war eben die doppelte Die Fragen stellten Tina Hildebrandt
kunft zusammen. Ich war nicht von Kindheit an gemacht haben. die sich unter russischem Einfluss von der Ukraine Herangehensweise mit Nachrüstung und Diplo- und Giovanni di Lorenzo
8. Dezember 2022 DIE ZEIT N o 51

12 STREIT
Ist es zu schwer, Deutscher zu werden?
Die Ampelkoalition will die Einbürgerung erleichtern. Ist das überfällig – oder wird die Staatsbürgerschaft künftig »verramscht«,
wie die CSU glaubt? Die Bundes-Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman streitet mit Bayerns Innenminister Joachim Herrmann

Fließband und im Schichtsystem. Für sie gab es ZEIT: Wer löst das Problem dann? Besserstellung von noch mehr Flüchtlingen
Joachim Herrmann (CSU), oft keine Integrations- und Sprachkurse, sie Herrmann: Menschen, die gezielt zum Arbeiten legen wollen. In Bayern führt das schon zu enor-
66, ist seit 2007 bayerischer hatten womöglich keine Zeit, kein Geld, keine kommen. Leider braucht es unheimlich viel men Problemen. Wir brauchen mehr Arbeits-
Innenminister. Zuvor war er Kraft, richtig Deutsch zu lernen. Menschen, die Zeit, einen Antrag auf ein Arbeitsvisum zu stel- kräfte, klar. Aber dann darf die Bundesinnen-
Fraktionschef im Landtag jahrzehntelang Steuern gezahlt haben, sollen len. Das Verfahren in den deutschen Botschaf- ministerin nicht auch noch verkünden, dass wir
nicht mitbestimmen dürfen? Ihre Heimatstadt ten und Konsulaten ist unzureichend, frisst in monatlich 1000 Afghanen aufnehmen wollen.
München hat den höchsten Ausländeranteil in der Regel sechs Monate bis ein Jahr. Dafür sind, Sie sollte lieber ein Programm auflegen, mit
Bayern. Ich finde schade, dass Sie so ein negati- mit Verlaub, das Auswärtige Amt und die Frau dem 1000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
ves Bild von diesen Menschen haben. Bundesaußenministerin verantwortlich. In Bay- mer aus dem Balkan zu uns kommen können.
Herrmann: Habe ich nicht. Ich bin in Mün- erns Wirtschaft gibt es etwa einen großen Bedarf Ataman: Menschenrechtsfragen und die Forde-
chen geboren und wohne in Erlangen. Ich an Mitarbeitern aus den Balkanländern. rung nach mehr Fachkräften muss man ausei-
habe gelesen, dass Sie dort studiert haben ... Ataman: Ja, das ist Teil des Problems. Eigentlich nanderhalten. In Afghanistan geht es doch um
Ataman: Ja. Ich komme aus Nürnberg und müsste man das ganze Einwanderungsrecht ver- den Schutz von Menschen, die dort unter
weiß, wie es sich anfühlt, in Bayern als Aus- ändern. Sie unterschlagen, dass die letzte Bun- lebensbedrohlichen Umständen leben.
länderkind aufgewachsen zu sein. desregierung 2019 eine Änderung des Einwan- Herrmann: Unsere Aufnahmemöglichkeiten
Herrmann: Es gab in Erlangen nie einen Man- derungsrechts beschlossen hat. Vor allem die sind nun mal begrenzt. Wir müssen aufpassen,
gel an Sprachkursen. Es gibt seit vielen Jahren Unionsparteien haben dafür gesorgt, dass daraus dass wir die Integrationsfähigkeit unseres Lan-
Menschen mit Migrationshintergrund im Er- eine kleinkarierte Reform wurde. So sollen des nicht überfordern. Wir können nicht alle
langer Stadtrat. Aber es ist doch zumutbar, ver- Fachkräfte schon im Ausland Deutsch gelernt gleichzeitig aufnehmen. Der Bundestag hat jetzt
nünftig Deutsch zu lernen, wenn man Deut- haben, obwohl unsere Sprache wirklich keine ein »Chancenaufenthaltsrecht« beschlossen ...
scher oder Deutsche werden möchte. Weltsprache ist. Viele Firmen sagen: Wir brau- ZEIT: Dabei geht es darum, dass Ausländer, die
ZEIT: Was bedeutet das: Deutscher sein? chen keine Mitarbeiter, die fließend Deutsch zum Stichtag 31. Oktober 2022 seit fünf Jah-
Herrmann: Die deutsche Sprache ist, wie ge- sprechen. Ich finde einige Ihrer Argumente ren im Land lebten, 18 Monate Zeit bekom-
sagt, Mindestvoraussetzung. wirtschaftsfeindlich, Herr Herrmann! men sollen, die Voraussetzungen für einen
ZEIT: Aber ist es Privileg? Gar Belohnung? Herrmann: Nein, Frau Ataman. Grundkennt- langfristigen Aufenthalt zu schaffen, indem sie
Herrmann: Staatsbürger zu werden ist der nisse der deutschen Sprache zu fordern ist etwa einen Job finden und Deutsch lernen.
erfolgreiche Höhepunkt eines Integrationspro- nicht wirtschaftsfeindlich, sondern in vielen Herrmann: Damit ist verbunden, dass Men-
zesses. Und wer sich gut integriert hat und sagt, Branchen erforderlich. schen vom ersten Tag an Anspruch auf Bürger-
ich möchte auf Dauer in diesem Land bleiben, Ataman: Das Fach- und Arbeitskräfteproblem geld haben. Lange bevor sie sich auf den Weg
soll diese Möglichkeit erhalten. ist seit Jahren bekannt. In diesem Sommer gemacht haben, einen Arbeitsplatz zu suchen.
Ataman: Der Reformentwurf sieht genau das konnten Freibäder nicht öffnen, weil Mitarbei- Die Ampel organisiert vor allem einen Zugang
vor: die Einbürgerung steht weiterhin am Ende ter*innen fehlten. Jetzt finden Supermärkte kei- zum deutschen Sozialsystem.
des Integrationsprozesses. Es soll dabei bleiben, ne Angestellten, nicht mal Weihnachtsmänner Ataman: Natürlich müssen diese Geduldeten
dass Menschen gute Deutschkenntnisse haben gibt es, es fehlen Bäckerinnen und Handwerker, eine Arbeit haben, darin liegt ja die Chance.
müssen, sie müssen Einkommen für sich und Krankenhäuser sind am Limit. Dieses Problem Das sehen die Arbeitgeberverbände, viele bay-
ihre Familie nachweisen, straffrei sein, das hat damit zu tun, dass wir nicht über Lösungen rische Handwerksbetriebe und einflussreiche
Grundgesetz achten, einen Daueraufenthalts- reden, sondern angstbehaftet immer alles in ei- Unions-Kollegen genauso. Sie alle unterstützen
status haben. Das Zerrbild, da würde irgendwas nen Topf werfen: Einbürgerung, Staatsangehö- die Initiative. Ich würde mir wünschen, dass
leichtfertig rausgegeben, stimmt nicht. rigkeit, Einwanderung, Migration, Flucht, Asyl. die Unionsparteien insgesamt das C in ihrem
ZEIT: Herr Herrmanns Parteikollege Alexan- ZEIT: Die Ampel will, dass Ausländer schon zur Namen ernster nähmen. Fürsorge und Nächs-
der Dobrindt hat sogar davor gewarnt, deut- Ausbildung einwandern können. Es soll schneller tenliebe gehen mir oft etwas unter.
sche Pässe würden »verramscht«. Visa auch ohne Berufsabschluss geben, Herrmann: Mir ist das C sehr wichtig, ich bete
Ataman: Wer so spricht, hat ein problematisches Gehaltsschwellen für Akademiker und IT-Spezia- und setze mich für Solidarität und christliche
Demokratie- und Menschenbild. Staatsbürger- listen sollen gesenkt werden. Und analog zum Nächstenliebe ein. In den vergangenen Mona-
schaft ist weder eine Ramsch- noch eine Luxus- kanadischen Punktesystems soll es eine »Chan- ten haben wir die in einem gewaltigen Ausmaß
»Wieso sollte jemand Staatsbürger werden, ware, sie ist ein Bürgerrecht. Und wer in
Deutschland bestimmte Kriterien erfüllt, hat
cenkarte« geben. »Kanadisches Vorbild«, davon
sprechen doch auch Konservative gerne, oder?
gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine erlebt!
Ataman: Ja, sehr beeindruckend, so wie 2015

der noch nicht unsere Sprache spricht?« einen Anspruch darauf. So zu tun, als gäbe es
jetzt einen »Black Friday Sale« für deutsche
Herrmann: Mit einer Reihe von Maßnahmen
der Ampel-Regierung habe ich kein Problem.
auch schon. Da kommen wir doch zusammen.

Pässe, ist unanständig. Dieser Ton des Merz- Mein Eindruck ist aber, dass SPD und Grüne Das Gespräch moderierten Jana Hensel und
Lagers in der Union und aus der CSU wundert den Schwerpunkt weiterhin auf Aufnahme und Martin Machowecz
mich. Man klebt offenbar wieder an alten, ste-
DIE ZEIT: Herr Herrmann, finden Sie es Herrmann: Es gibt manchmal längere Warte- reotypen, von Abwehr geprägten Ausländerbil-
eigentlich zu leicht, Deutscher zu werden? zeiten. Aber das ändert sich nicht durch die dern. Bei vielen Menschen aus Einwanderer-
Joachim Herrmann: Gegenwärtig nicht. Wir Dinge, die da in Berlin geplant werden. familien kommt das verheerend an. Wollen wir
haben ein vernünftiges Staatsangehörigkeits- Ataman: Wir wollen doch, dass Menschen nach wirklich die Debatten der 90er, als Roland Koch Ferda Ataman (parteilos), 43,
recht. Die Einbürgerungen laufen gut. Wir Deutschland kommen, denn es fehlen Arbeits- Unterschriftenkampagnen gegen Doppelpässe Journalistin und Politologin,
erleben in Bayern von Jahr zu Jahr neue kräfte. Aber niemand kommt mehr nur für ein organisiert hat, wieder aufleben lassen? ist Bundesbeauftragte für
Rekorde – 2021 gab es hier mehr als 23.000 paar Jahre, um einen Job zu machen und wieder Herrmann: Wir wollen, dass Menschen einge- Antidiskriminierung.
Einbürgerungen. Ich habe erst vor zwei Wochen zu gehen. Menschen ziehen dorthin, wo sie eine bürgert werden, wenn sie integriert sind und Sie wurde auf Vorschlag der
mit dem Ministerpräsidenten wieder einen Ein- Perspektive haben, sich etwas aufbauen können, sich zu Deutschland bekennen! Die grundsätzli- Ampelkoalition gewählt, ist
bürgerungsempfang veranstaltet, auf dem wir willkommen sind. Wer keinen Pass hat, erlebt, che Pflicht, die alte Staatsangehörigkeit aufzuge- aber von ihr unabhängig
Hunderte neue Staatsbürger persönlich begrüßt dass er oder sie keinen Kredit aufnehmen, kein ben, stellt das sicher – ebenso die bisherige Min-
haben. Sehr beeindruckend war das! Haus kaufen, kein Eigentum aufbauen kann. destaufenthaltszeit hier. Die Vorschläge der
Ferda Ataman: Ich sehe das anders, Herr Herr- Theoretisch ginge das auch mit ausländischem Bundesregierung verzichten auf diese Vorausset-
mann. Sich einbürgern zu lassen ist kompliziert, Pass – aber es wird schwerer. Eine Staatsbürger- zungen oder weichen sie ganz wesentlich auf,
viele müssen erst ihre alte Staatsbürgerschaft ab- schaft schafft Rechtssicherheit, baut Diskrimi- damit die deutsche Staatsangehörigkeit vor
legen und ein abschreckend bürokratisches Ver- nierung ab. Es geht nicht nur ums »Deutsch- allem schnell und leicht erworben werden kann.
fahren durchlaufen. Selbst die Beamten verlie- sein«, sondern auch darum, nach ein paar Jahren Für mich ist nicht zu verstehen, weshalb jemand
ren manchmal den Überblick. Tatsache ist: Wir ankommen zu können. einen Einbürgerungsanspruch haben soll, ob-
haben in Deutschland eine sehr geringe Einbür- Herrmann: Ich bin großer Freund davon, Men- wohl er sich von seinem bisherigen Heimatland
gerungsquote, auf alle Ausländer bezogen liegt schen willkommen zu heißen. Aber wenn ich nicht lösen mag oder noch nicht hinreichend in
sie bei einem Prozent. Das führt zu einem höre, dass Ausnahmen zugelassen werden sollen unserer Gesellschaft Fuß gefasst hat. Und das
Demokratieproblem, denn diese Menschen in der Frage, ob man die deutsche Sprache spre- geht vielen Menschen so wie mir.
dürfen nicht wählen. Im restlichen Europa ist chen muss, um Deutscher zu werden? Entschul- Ataman: Die geplante Verkürzung der Warte-
das Tempo im Schnitt doppelt so hoch. digung, dazu hatten wir doch mal einen Mini- frist entspricht internationalen Standards. Klas-
Herrmann: In Bayern ist es schneller geworden! malkonsens! Natürlich wollen wir bürokratische sische Einwanderungsländer wie die USA oder
Ataman: Aber noch nicht schnell genug. Ich Prozesse beschleunigen, aber man ist nur gut Frankreich haben längst die Regel, dass man
wundere mich über die Debatten, die gerade in integriert, wenn man die Sprache spricht. Das nach fünf Jahren eingebürgert werden kann.
den Unionsparteien geführt werden. Sie reden, hat nichts mit Deutschtümelei zu tun. Ich wer- Kanada hat eine Dreijahresfrist eingeführt. Und
als würden Sie die Fakten nicht kennen. Es ist de auch in Australien nicht aufgenommen, Deutschland befindet sich in einem internatio-
gut, dass wir jetzt endlich einen Reformvor- wenn ich nicht ordentlich Englisch spreche. nalen Wettbewerb um die klügsten Köpfe und
schlag auf dem Tisch haben. Ataman: Da werfen Sie etwas durcheinander, hat hier nicht das beste Image.
Fotos: Markus Burke für DIE ZEIT (o.); Gene Glover für DIE ZEIT (u.)

ZEIT: Die Ampel will den Zugang zur Staats- Herr Herrmann. Die Sprachanforderungen bei Herrmann: Natürlich können wir darüber
bürgerschaft vereinfachen. Es soll nach fünf Einbürgerungen werden grundsätzlich bleiben. reden, was noch besser werden kann. Aber ich
Jahren Aufenthalt möglich sein, Deutscher zu Der Reformplan, den Sie hier ansprechen – möchte darauf hinweisen, dass sich bei jeder
werden – nicht wie bisher nach acht. Zudem nämlich die Sprachprüfungen bei der Einbür- Ankunft die Frage nach einem Arbeitsplatz
sollen die Chancen auf doppelte Staatsbürger- gerung runterzusetzen – soll nur die kleine stellt. Wir in Bayern haben im Vergleich aller
schaft vergrößert werden. Zu viel Erleichterung? Gruppe der über 67-Jährigen ehemaligen »Gast- Bundesländer die niedrigste Arbeitslosenquo-
Herrmann: In der Tat. Ich sehe keinen Anlass, arbeiterinnen und Gastarbeiter« betreffen. Für te unter ausländischen Staatsangehörigen. In
die Frist zu verkürzen. Es gibt schon heute die sie soll eine Ausnahme gemacht werden. anderen Bundesländern wird vielleicht theo-
Möglichkeit, besonders gut integrierte Zuwan- Herrmann: Ich habe Respekt vor dem, was viele retisch intensiver über Integration geredet,
derer nach sechs Jahren einzubürgern. Bei unse- dieser Menschen geleistet haben. Aber wieso aber bei uns in Bayern findet sie statt.
rem Empfang waren gerade einige dabei! Außer- sollte jemand deutscher Staatsbürger werden, ZEIT: In den nächsten Jahren werden 400.000
dem ist es richtig, in der Regel keine doppelte der nach zehn oder 20 Jahren noch nicht unsere Fachkräfte fehlen. Braucht das Land nicht
Staatsbürgerschaft zuzulassen. Die Menschen Sprache spricht? Er hat offenbar keine Lust, wie schlicht sehr viele Zuwanderer?
müssen klar bekennen, ob sie ihren Lebensmit- ein Deutscher zu leben und zu sprechen. Herrmann: Ja. Und wir müssen um sie werben.
telpunkt bei uns sehen wollen. Oder eben nicht. Ataman: Es macht mir Sorge, wenn Sie als Inte- Aber wir vermischen zu vieles. In den letzten
Ataman: Bei EU-Bürger*innen wird Mehrstaat- grations- und Innenminister eines diversen Jahren haben wir häufig über Flüchtlinge dis-
lichkeit schon lange hingenommen. Da fragt
auch keiner nach einem Bekenntnis.
Bundeslands wie Bayern so auf Migranten bli-
cken. Das sind Menschen, die vor 30, 40, 50
kutiert. Die lösen den Fachkräftemangel nicht,
denn unter ihnen sind zu viele, denen Qualifi- »Es macht mir Sorgen, wie Sie auf
ZEIT: Hat denn Frau Ataman recht, wenn sie
sagt, dass die Verfahren zu aufwendig sind?
Jahren nach Deutschland kamen und die teil-
weise in den härtesten Jobs gearbeitet haben, am
kationen noch immer fehlen – obwohl wir
ihnen intensiv helfen, sie zu erwerben. Migranten blicken!«
DIE ZEIT N o 51 8. Dezember 2022 GESCHICHTE 19

Vergessene
Verbrechen
Welche Fragen die Resolution
des Bundestags zum Holodomor
aufwirft VON MARTIN SCHULZE WESSEL

Seit Jahren wird darüber gestritten, ob der Holo-


domor in der Ukraine ein Genozid war oder
nicht. Am 30. November hat nun der Bundestag
beschlossen, die von Stalin Anfang der Dreißiger-
jahre gezielt herbeigeführte große Hungersnot als
Völkermord einzustufen. Damit folgt die Bundes-
republik einer großen Zahl von Staaten, die diesen
Schritt bereits vollzogen haben. Dennoch ist die
Entscheidung nicht der Schlussstein einer De-
batte, sie sollte vielmehr ein Anfang sein.
Nicht nur, weil die Resolution bei einigen
Skepsis hervorgerufen hat. Dass der Ukraine-Krieg
den Ausschlag gegeben hat, mag tatsächlich irri-
tieren, denn an den historischen Tatsachen ändern
die aktuellen Ereignisse nichts. Aber die Gegen-
wart interpretiert immer die Vergangenheit. Und
der gegenwärtige Krieg erinnert in vielen seiner
Muster an Massenverbrechen des 20. Jahrhun-
derts: Die russische Armee führt gezielte Schläge
gegen die Zivilbevölkerung und deportiert Ukrai-
nerinnen und Ukrainer über Filtrationslager nach
Russland, während die Kreml-Propaganda die

Fotos (Ausschnitte): AFLO/imago


Kiewer Führung systematisch dämonisiert.
Russland hat mit seinem Überfall die Rechts-
basis der internationalen Ordnung infrage gestellt.
»Führt ein offensichtlicher Bruch so fundamen-
taler Rechtsgrundsätze nicht notwendigerweise
zu einem Verlust an Normativität?«, fragte deshalb
kürzlich der Münchner Völkerrechtler Christian
Walter. In der Tat scheint ein normativer Ero-
Unter der Herrschaft der Kuomintang wurden bis 1987 Tausende Oppositionelle in Taiwan inhaftiert und ermordet. sionsprozess unvermeidlich, wenn die Staaten-
Zwei Angehörige erinnern an den gewaltsamen Tod ihrer Verwandten gemeinschaft nicht durch Widerspruch und,
sobald möglich, strafrechtliche Sanktionierung
dem Unrecht begegnet. Die Bundestagsresolution
steht – in weiterem Sinne – in diesem Zusammen-
hang. Viel zu lange hat der Holodomor insbeson-

Taiwans offene Wunden


dere in Deutschland nicht die Aufmerksamkeit
erfahren, die ihm als größtem stalinistischen
Einzelverbrechen mit fast vier Millionen Toten
in der Ukraine gebührt. Auch das Ignorieren ver-
gangener Massenverbrechen leistet dem Verfall
der normativen Ordnung Vorschub.
Ein Anfang und kein Ende ist die Bundestags-
Die junge Demokratie des ostasiatischen Inselstaats wird von seiner autoritären Geschichte eingeholt. resolution, weil sie nicht auf einem breiten Wissen
in der Gesellschaft über das Ausmaß des Verbre-
Deren Aufarbeitung berührt auch das Verhältnis zu China VON LENA FIEDLER chens aufbaut. Über die Bedeutung des Holodo-

A
mors gibt es selbst unter Historikern bemerkens-
werte Differenzen. Dabei spielt es innerwissen-
ls Fred Chin eine Lilie auf einen hängt. Bis 1987 werden schätzungsweise 140.000 Visiting Fellow an der Academia Sinica in Taipeh zu sie zufällig von einem Cousin in den USA die Wahr- schaftlich eine nachrangige Rolle, ob man ihn
der unzähligen Gedenksteine Menschen inhaftiert und mehrere Tausend wegen Erinnerungspolitik und sagt: »Die Verurteilung der heit über ihren Vater erfährt. Als sie ihn dazu befragen wegen eines gleichzeitig geführten Kulturkampfs
legt, hat es schon viele Stunden tatsächlicher oder vermeintlicher Opposition zur Täter hätte das historische Gedächtnis Taiwans ge- will, ist es zu spät: Er ist an Demenz erkrankt und gegen die ukrainische Intelligenz als Genozid oder
ununterbrochen geregnet. Der KMT hingerichtet. prägt und einen moralischen Standard gesetzt.« kann sich nicht mehr erinnern. als Massenmord an den Bauern, als Soziozid, im
jungenhafte alte Mann ist Teil In den Neunzigerjahren begann ein zaghafter Die Folgen des Unterlassens zeigen sich etwa in Wang Yu-juin lässt die Geschichte nicht los. Sie Zuge der stalinistischen Industrialisierungspolitik
einer Prozession, die mit Schir- Prozess der Aufarbeitung, der in Taiwan als »Tran- der Debatte um die Statuen Chiang Kai-sheks. Als fängt an, nach Unterlagen zu suchen, um das Schick- einstuft. Beides ist kaum voneinander zu trennen.
men und Regenjacken im Hof sitional Justice« – »Übergangsgerechtigkeit« – be- Chen Shui-bian 2000 zum ersten Präsidenten aus sal ihres Vaters zu dokumentieren. Heute weiß sie, Viel wichtiger ist es, die generationsübergreifende
des ehemaligen Jingmei-Gefängnisses am Rande zeichnet wird, wobei man sich stark an Deutschland den Reihen der DFP gewählt wurde, ließ er die meis- dass dessen Scham über das Erlittene zu groß war, zerstörerische Wirkung des Hungerterrors auf die
Taipehs langsam an großen Schwarz-Weiß-Foto- orientierte. 2018 lud das taiwanische Kulturminis- ten der im ganzen Land verteilten Statuen entfernen. um darüber zu sprechen. Stolojan-filipesco hat wäh- ukrainische Gesellschaft zu begreifen.
grafien vorbeizieht. Sie zeigen, was hier einmal terium den Stasi-Unterlagen-Beauftragten Roland Den Großteil verfrachtete man in einen Park südlich rend seiner Arbeit ähnliche Erfahrungen gemacht. Nicht zuletzt ist zu fragen, wie der Holodomor
Alltag war: ausgemergelte Körper, die in Reih und Jahn ein, um über den Umgang mit politischen von Taipeh, unweit der Grabstätte Chiangs. Die Viele der Opfer, die er interviewte, kämpfen noch zu anderen Massenverbrechen in Beziehung zu
Glied vor den Wärtern stehen. Akten der Diktatur zu sprechen. Ende Oktober größte von allen aber blieb an ihrem Platz – in der um ihre rechtliche Anerkennung oder leiden unter setzen ist, zumal die damalige Hungersnot auch
Fred Chin war eins der Opfer. Als 18-Jähriger dieses Jahres reiste eine Delegation des Menschen- Chiang-Kai-shek-Gedächtnishalle im Zentrum der Traumata, die sie häufig an die nächste Generation andere Regionen traf. Die Bundestagsresolution
kam er von Malaysia auf die Insel Taiwan, um zu rechtsausschusses des Bundestags nach Taipeh und Hauptstadt, flankiert von einer Ausstellung, die den weitergeben. Es habe an einer sozialen Bewegung erwähnt zu Recht Kasachstan. Hier kamen wäh-
studieren. »Das war die schlimmste Entscheidung besuchte das Jingmei-Gefängnis. Weißen Terror ausspart. Chiang Kai-shek gilt einigen gefehlt, die sich mit den Opfern solidarisiert. In den rend des Holodomors durch staatlich herbei-
meines Lebens«, sagt er. 1971 wurde er von der Der Umgang mit der Vergangenheit ist in Taiwan Taiwanern bis heute als Held. Sein angeblicher Ur- späten Achtzigerjahren habe die Zivilbevölkerung geführten Hunger und im Zuge einer Kampagne,
Geheimpolizei abgeholt. Chin kann sich bis heute so brisant, weil er den komplexen Demokratisie- enkel Chiang Wan-an hat kürzlich bei den Regional- sich immerhin für das Erinnern des 228-Massakers die Nomaden sesshaft zu machen 40 Prozent der
nicht erklären, warum. Die Polizisten zwangen ihn, rungsprozess des Landes und das Verhältnis zu Chi- wahlen für die KMT in Taipeh die Mehrheit gewon- von 1947 eingesetzt. »Das blieb beim Weißen Terror Gesamtbevölkerung ums Leben. Der Massenmord
Blut zu trinken, und hängten ihn kopfüber auf. »Sie na berührt. Erst nachdem Chiang Kai-sheks Sohn nen. Bei Veranstaltungen betont er, dass er in die weitestgehend aus«, sagt er. in der Ukraine und der an den Kasachen folgten
folterten mich so lange, bis ich gestand, ein malay- Chiang Ching-kuo 1987 unter dem Druck der Op- Fußstapfen seines Urgroßvaters treten werde, um Wang Yu-Juin fuhr nach Deutschland und be- je eigenen Motiven; Verbrechen gegen die
sischer Terrorist zu sein«, erinnert sich der heute position das Kriegsrecht aufgehoben hatte, bekann- Taiwan zu einem besseren Ort zu machen. suchte Erinnerungsstätten. »Als ich zurückkam«, sagt Menschlichkeit waren sie beide.
73-Jährige. »Ich versuchte, mich umzubringen, aber te sich die KMT zur Demokratie. Am Verhandlungs- »Die Statue ist der Grund, warum ich nicht an sie, »habe ich mich gefragt, warum wir eine Behörde Die Beschäftigung mit der sowjetischen Ge-
scheiterte.« Das Militärgericht verurteilte ihn zu tisch saß sie nun der neu gegründeten Demokra- diesen Platz gehen kann«, sagt Fred Chin. Der So- für Transitional Justice, aber keine Vergangenheits- waltgeschichte ist überfällig. Sie sollte allerdings
zwölf Jahren Gefängnis. Der heutige Tag Anfang tischen Fortschrittspartei (DFP) gegenüber. ziologe Stolojan-filipesco kann das gut verstehen: bewältigung haben.« Sie setzt sich heute für mehr nicht von Genoziden und Massenmorden ab-
November ist ihm und den anderen Opfern des Heute wirkt das Land in vielen Dingen auf ge- »Es reicht nicht, den Opfern nur Geld zu geben«, Aufarbeitung ein, organisiert historische Touren lenken, die von Deutschland begangen wurden,
damaligen Regimes gewidmet. Ihnen ist es zu ver- radezu mustergültige Weise fortschrittlich: angeführt sagt er. Es brauche auch rituelle Momente, in denen durch Taiwan und Reisen zu deutschen Gedenk- sei es in den Kolonien oder in Osteuropa. Die
danken, dass es das Gefängnis noch gibt, denn es von einer unverheirateten Präsidentin, weltweit die taiwanische Gesellschaft ihrem historischen stätten. Eine staatliche Unterstützung ihres Engage- Bundestagsresolution hebt den Holocaust in seiner
waren die Opfer selbst, die gegen den Abriss bekannt für die Legalisierung der Ehe für alle und Gewissen Ausdruck verleihen kann, zudem mehr ments lehnt sie ab – aus Angst vor politischer Ein- Singularität hervor und nennt Wola, Babyn Jar
gekämpft haben. Seit 2007 dient der Bau als Ge- bewundert für sein modernes und günstiges Gesund- politische Bildung an den Schulen. Das aber würden flussnahme. Wang wünscht sich für ihre Arbeit einen und Leningrad. Der breiteren Öffentlichkeit
denkstätte und erinnert an Gräueltaten, die viele in heitssystem. In der Haltung zu China jedoch ist es viele Eltern nicht tolerieren, weil sie Politik aus der emotionaleren Begriff als den der Transitional Jus- dürften höchstens die letzten beiden Orte bekannt
Taiwan gern vergessen würden. tief gespalten. Chian Kai-shek träumte zeitlebens von Schule fernhalten wollten. tice. Einen Begriff, der klarmache, dass es einer sein: Während der Leningrader Blockade ver-
Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen der einer Wiedervereinigung mit dem Festland; die KMT Selbst als die DFP-Politikerin Tsai Ing-wen 2016 kollektiven Anstrengung bedürfe. hungerten zwischen 1941 und 1944 mindestens
Militärführer und Politiker Chiang Kai-shek und ist bis heute einer Annäherung nicht abgeneigt. Die Präsidentin wurde, änderte sich die Situation kaum. Auch Stolojan-filipesco stört sich an der offiziel- eine Million Zivilisten; im ukrainischen Babyn Jar
seine chinesische Nationalpartei, die Kuomintang DFP dagegen möchte die Autonomie der Insel Zwar hatte die DFP zugleich die Mehrheit im Par- len Bezeichnung. »Sie deutet an, dass es sich hier um erschossen im September 1941 Einsatzgruppen
(KMT), die Herrschaft über Taiwan. Dort wurden stärken. Eine gründliche Aufarbeitung der Vergan- lament und konnte so 2018 eine Behörde für die eine vorübergehende Aufgabe handelt«, sagt er. der Sicherheitspolizei, unterstützt von der Wehr-
sie zunächst freudig begrüßt, doch schnell wuchs bei genheit käme dem entgegen: Sie würde Taiwan von Aufarbeitung der Vergangenheit gründen, die Tran- Tatsächlich wurde die Transitional Justice Commis- macht, mehr als 33.000 jüdische Männer, Frauen
den Taiwanern die Unzufriedenheit mit der KMT, der Volksrepublik China unterscheiden, wo jede sitional Justice Commission; zeitgleich wurde in sion im Mai 2022 aufgelöst; ihre Aufgaben, heißt es und Kinder. Vom polnischen Wola, in dem deut-
unter der die Inflation stieg und die Korruption im Form der kollektiven Erinnerung staatlich gelenkt Taipeh das Nationale Menschenrechtsmuseum er- vage, sollen nun andere Institutionen übernehmen. sche Einheiten 1944 während der Niederschla-
Land zunahm. Nicht minder stark misstrauten die ist. Des Tiananmen-Massakers von 1989 etwa darf öffnet. »Nach den Tätern zu fragen birgt für die DFP Von vornherein war sie von Präsidentin Tsai nur gung des Warschauer Aufstands 150.000 Zivilisten
Festlandchinesen den Taiwanern, die gerade erst aus bis heute niemand öffentlich gedenken. aber auch Risiken«, sagt Stolojan-filipesco. 2019 etwa temporär beauftragt worden. ermordeten, weiß hierzulande kaum jemand.
der jahrzehntelangen japanischen Kolonialherrschaft DFP und KMT einigten sich nach der Diktatur wurden zuvor gesperrte Akten aus der Zeit der Dik- Dabei wäre eine entschlossene Aufarbeitung der Die Forschung zu den deutschen Weltkriegs-
befreit worden waren und kaum Hochchinesisch, auf einen Kompromiss: Die Opfer des 228-Massakers tatur öffentlich zugänglich gemacht, ein wichtiger Vergangenheit für Taiwans junge Demokratie ge- verbrechen ist weit fortgeschritten – ihre Vermitt-
dafür aber das verhasste Japanisch sprachen. und des Weißen Terrors sollten entschädigt, dafür Sieg der neuen Behörde – der allerdings auch dazu rade jetzt wichtig: Im kommunistischen China lung ist es nicht. Auch daran ist nach dem Bundes-
Der Konflikt eskaliert am 28. Februar 1947, als aber die Täter geschützt werden. Bis heute wurde führte, dass man in den Reihen der DFP einen ehe- protestieren mehr und mehr Menschen gegen die tagsbeschluss zum Holodomor zu erinnern.
in Taipeh ein chinesischer Polizist eine Verkäuferin keiner von ihnen angeklagt. Auch deshalb kommt maligen Informanten des KMT-Regimes entdeckte. Corona-Politik und das autoritäre System. Mit der
dabei ertappt, wie sie westliche Zigaretten verkauft. die Geschichte nicht zur Ruhe. »Ich würde gerne die »Mit diesem Thema kann man keine Wähler gewin- eigenen autoritären Vergangenheit aufzuräumen Martin Schulze Wessel ist Professor für
Nach einem Wortgefecht wird der Beamte hand- Staatsanwälte von damals kennenlernen und sie nen«, sagt Stolojan-filipesco. Deswegen lasse man es wäre ein starkes Signal Taiwans an diese Bewegung. Osteuropäische Geschichte an der Ludwig-
greiflich, ein Schuss fällt, schließlich brennt eine auf- fragen, ob sie Mitleid mit uns hatten«, sagt Chin. lieber ruhen – zum Leidwesen der Opfer. Doch eine grundlegende Neubewertung des Erbes Maximilians-Universität München und Mitglied
gebrachte Menge das chinesische Monopolamt Auch Vladimir Stolojan-filipesco findet die Frage Welche Folgen das haben kann, zeigt sich an Chiang Kai-sheks ist nicht in Sicht: Für die China- der Deutsch-Ukrainischen Historikerkommission
nieder – der Beginn eines Aufstands. Taiwans obers- nach den Tätern wichtig. Der Soziologe forscht als Wang Yu-juin. Sie ist die Tochter eines ehemaligen Nationalisten in Taiwan verkörpert er nach wie vor
ter Verwaltungschef lässt ihn mit militärischer Unter- politischen Gefangenen und fühlt sich mit der Ge- das Ideal eines geeinten China.
stützung vom Festland niederschlagen. Mindestens schichte ihrer Familie alleingelassen. Ihr Vater Wang Als Fred Chin 1983 aus dem Gefängnis entlassen
10.000 Taiwaner werden während des »228-Massa-
kers« ermordet (der Name leitet sich vom Datum Mehr Geschichte Chun-chang und viele seiner Kommilitonen wurden
1950 an der Staatlichen Universität Taiwan in Taipeh
wurde, wollte er zurück nach Malaysia. Doch die
Regierung behielt seinen Pass ein, um zu verhindern, Berichtigungen
her), unter ihnen etliche Unbeteiligte. festgenommen, weil sie einem angeblich kommunis- dass er im Ausland von dem erlittenen Unrecht er-
Es folgt eine Phase in Taiwans Geschichte, die tischen Buchclub angehörten. Wang zeigt auf ein zählt. Heute führt er als Zeitzeuge durch das Jingmei-
heute Weißer Terror genannt wird und eng mit dem Die deutschen Kaiser Klassenfoto. Ihr Vater sitzt lächelnd in der zweiten Gefängnis. »Ich empfinde es als meine Pflicht, hier- Nr. 48: Sun Ra setzte 1969 nicht »als erster
Namen Chiang Kai-shek verbunden ist. Als er 1949 Ein historisches Panorama von Reihe, umgeben von anderen jungen Männern in zubleiben«, sagt er, »und der jüngeren Generation Musiker« den Moog-Synthesizer ein, er war
den Bürgerkrieg gegen die Kommunistische Partei den Ottonen bis zu Wilhelm II. hellen Anzügen, die glauben, in eine glänzende Zu- meine Geschichte zu erzählen.« einer der ersten. Wendy/Walter Carlos kam
Chinas verliert, flieht er vom Festland nach Taiwan. Das neue Heft von kunft zu blicken: »Zwei Jahre später ist der Großteil ihm mit Switched-On Bach ein Jahr zuvor.
Mehr als eine Million Menschen folgen ihm. Chi- ZEIT Geschichte, von ihnen tot.« Wang Chun-chang wurde für zehn Die Recherche wurde durch ein Stipendium der Nr. 49: In der Balfour-Deklaration heißt es
angs »freies China« auf der Insel ist allerdings eine 124 S., 8,95 €. Jetzt am Kiosk Jahre auf Lü Dao eingesperrt, einer Gefängnisinsel Heinz-Kühn-Stiftung für Nachwuchsjournalisten 1917 »Seine Majestät«, nicht »Ihre«. König
Diktatur. Im Mai 1949 wird das Kriegsrecht ver- oder unter www.zeit.de/zg-heft im Osten Taiwans. Seine Tochter ist 26 Jahre alt, als aus Nordrhein-Westfalen gefördert von England war damals ein Mann: Georg V.

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