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Ha. ..J W einrieb _s_pr_a_c_he~u_nd~VV._i_ss_e_.n_sc_h_a_ft~~~~~~~~··~~~~~~~~~~~497

die Schulter ldopft und vor Theoriezwang nicht mehr denken kann, denkt der und die kritisch rezipierenden Wissenschaftler dürfen nicht eher Ruhe geben,
Essay weiter, indem er seine Resultate keinem anempfehlen möchte. Ohne es bis sie die mutmaßliche wissenschaftliche Erkenntnis allen denkbaren Falsi~
zu wollen, wird er zum Fortsetzer der romantischen Ironie. Das ist das Phan- fikationsversuchen ausgesetzt und sie auf diese Weise entweder erhärtet oder
tastische am Skandal: sein Widersprnch zur Vernunft kommt erst dann ganz zu Fall gebracht haben.
zum Vorschein, wenn er am vernünftigsten scheint.« Das Veröffentlichungsgebot auf der einen Seite und das Rezeptions- und
Nur wenn solche Vermittlungen, sei es im Rahmen der Wissenschaft, sei es Kritikgebot auf der anderen Seite sind natürlich ideale ;Forderungen, deren
im Rahmen ihres ästhetisch-expressiven Komplements gelingen, sind wir strikte Beachtung durch die reale Komplexität des weltweiten Wissenschafts-
nicht genötigt, auch nur einen einzigen Schritt hinter den verwissenschaft- p1~?zesses unmöglich gemacht oder jedenfalls stark eingeschränkt wird. Aber

lichten Rationalismus von Kulturlaitik Ib und sein utopisches Erbe zurück- wie sind sie einzuschränken? Das auf den ersten Blick naheliegende Reduk-
zugehen - um uns auf die abschüssige Bahn Richtung Kulturhitik II zu tionsprinzip Fachlichkeit, das heißt, die Einschränkung der genannten Gebo-
te auf den engeren Kreis der Fachgenossen, erweist sich bei näherer Betrach-·
begeben.
Genau das unterscheidet die dialektische Idee einer Vermittlung von Auf- tung keineswegs als so plausibel, wie es sich dem ersten Blick darstellt. Denn
klärung und Romantik von allen konservativen Anschlägen gegen die Auf- die Einzelwissenschaften sind - leider oder glücklicherwetse - voneinander
klärung, die deren utopischen Blitk blenden und sie in die Naivität zmück- nicht so scharf abgegrenzt, wie es dem Außenstehenden vielleicht erscheint.
Man kann daher einem Wissenschaftle1~ der sich in der Forschung einen Na-
zwingen wollen.
Einer der meistzitierten Sätze von Botho Strauß lautet: »Ohne Dialektik men machen will, kaum raten, bei seinen Arbeiten mhigen Gemüts immer in
denken wir auf Anhieb dümmer; aber es muß sein: ohne sie.« - Warum den Grenzen seines Faches zu verweilen. Von einer Wissenschaft die nur
Fachwissenschaft ist, hat die Welt wenig zu erwarten und einiges zu,befürch-
eigentlich?
Der in Minima Moralia vorweggenommenen Antwort ist auch heute nichts ten, und auf der anderen Seite ist aus der Wissenschaftsgeschichte gut be-
hinzuzufügen: »Die Verteidigung des Naiven, wie sie von lrrationalisten und kannt und vielfach bezeugt, daß wichtige Anstöße für den Gang der For-
lntellektuellenfressern aller Art betrieben wird, ist unwürdig.« schung gerade von den Grenzgebieten zwischen den etablierten Fächern
ausgegangen sind. Die neueren Versuche, die Wissenschaften durch interdis-
ziplinäre Forschung anzuregen, ziehen ihre Hoffnungen aus solchen Erfah-
rungen. Da ich selber einige Erfahrnngen mit dem Für und Wider interdiszi-
plinärer Forschung sammeln konnte, neige ich nicht dazu, dieses Remedium
zu überschätzen, bin jedoch zu der Ansicht gekommen, daß es den wissen-
HARALD WEINRICH schaftlichen Disziplinen am besten bekommt, wenn ihnen Interdisziplinarität
in begrenzter Dosiemng und vielleicht nur in Spuren - um nicht zu sagen als
Sprache und Wissenschaft Sauerteig - zugesetzt wird. Ich habe daraus bei fiiiherer Gelegenheit einige
Folgerungen für die sprachliche Form wissenschaftlicher Veröffentlichungen
abgeleitet und sie in Gestalt der folgenden Maxime formuliert: Stell Dir,
fst es nicht das erste Zeichen eines wissen-
wenn Du für Deine Fachgenossen schreibst, mindestens einen unbekannten
schaftlichen Mannes, daß er die Sprache der
Wissenschaft zu reden versteht?
A?ressaten. vor, der nicht zum engeren Kreis Deiner Fachgenossen gehört!
Rudolf Virchow Diese Maxnue kann man als sprachnormspezifische Ausweitung des oben er-
wähnten Veröffentlichungsgebotes ansehen. Das diesem korrespondierende
Etwas wissen und es wissenschaftlich wissen, ist nichts wert, wenn es nicht Rezeptionsgebot ist nun, wie mir scheint, in der gleichen Hinsicht auszuwei-
auch den an dem Angehörigen der wissenscliaftlichen Population bekanntge- ten. Die entsprechende Maxime könnte lauten: Berücksichtige immer, wenn
geben wird. Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse sind daher einem allgemei- Du ein wissenschaftliches Problem behandelst, mindestens einen Beitrag, der
nen Veröffentlichungsgebot unterworfen, und kein privates Wissen oder Ge- aus einem anderen Fach stammt!
heimwissen darf sich wissenschaftlich nennen. Das Gebot der Veröffentli- Die beiden genannten Maximen, die wir in verkürzter Form die Maxime
chung ist jedoch mehr als ~in bloßes Mitteilungsgebot; es ist nämlich in des unbekannten Adressaten und die des unbekannten Adressanten nennen
seiner striktesten Form nur dann erfüllt, wenn ein Forschungsergebnis allen können, soJJen gewährleisten, daß beim Austausch wissenschaftlicher Er-
anderen Wissenschaftlern, die es je für relevant halten können, zugänglich ge- kenntnisse die Fächergrenzen offen gehalten werden und daß möglichst kei-
macht wird. Alle diese Wissenschaftler sind nämlich, sobald sie die Nachricht ne wissenschaftlichen Konventikel und Gettos entstehen. Sie können beide
von einem Forschungsergebnis empfangen haben, im Prinzip einem ebenso zusammen gleichzeitig als Ausdmck einer minimalen Pluralisierung des Pro-
strikten Rezeptionsgebot, das mit einem Kritikgebot gepaart ist, unterworfen, blems »Sprache und Wissenschaft« beschrieben werden. Denn es muß j::i.,
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wenn ich diesen beiden Maximen folge. zu meiner eigenen Wissenschafts- Einige der wissenschaftlichen Fachsprachen sind nun, wie bekannt. mehr
sprache, die ich lesend oder schreibend praktiziere, mindestens eine weitere oder weniger formalisie1t und haben sich in dieser Form sehr weit v~n der
Wissenschaftssprache hinzutreten. Ich bin aber der Überzeugung, daß dies Gemeinsprache entfernt. Das ist das gute Recht jeder Fachsprache, und nie-
nicht ohne einen gemeinsprachlichen Einschlag in den jeweils beteiligten mand kann etwas dagegen haben, wenn Wissenschaftler sich einer solchen
Fachsprachen möglich ist. Gerade meine Erfahrungen mit der interdiszipli- Formelsprache bedienen, sofern es nur sachlich begründet ist und nicht. was
nären Forschung haben nämlich gezeigt, daß der direkte Weg von Fachspra- allerdings auch vorkommt, aus laxer Gewohnheit oder gar Renommier~ucht
che zu Fachsprache nicht immer der kürzeste Weg der Verständigung zwi- geschieht. Ich sehe keine Veranlassung,,9asVerhältnisvonSpra,che und Wis~
schen wissenschaftlichen Disziplinen ist, sondem daß in solchen Fällen der senschaft unter denBedingungen der Formalisierung gnmdsätzlich anders zu
Umweg über die Gemeinsprache häufig besser zum Ziel führt. beschreiben als in nicht-formalen Wissenschaften. Ich meine, es sollten auch
Wenn ich nun einmal für die genannten Maximen eine gewisse wohlwol- für formalisierte Wissenschaftstexte die Maximen des unbekannten Adressa-
lende Zustimmungsbereitschaft annehmen darf, mit der reservatio mentalis ten und des unbekannten Adressanten gelten - man braucht ja dabei nicht
natürlich daß der Teufel im Detail steckt und so weiter, dann wäre es natür- unbedingt gleich an Theologen und Literaturwissenschaftler als die hier fern-
lich gut, ich könnte als Linguist in einen großen Schatz von Wissenschafts- sten Adressaten oder Adressanten zu denken. Aber vielleicht sollten doch
sprachforschung greifen und aus ihm einige handliche Ergebnisse und Rat- diejenigen Wissenschaftler, die aus guten oder auch aus weniger gute1; Grün-
schläge herausziehen und vorzeigen. Das kann ich nur in sehr begrenztem den eine hochformalisierte Fachsprache benutzen, daran denken, daß die
Ausmaß tun. Denn die Erforschung der Wissenschaftssprache oder der Wis- Formelsprache irgendwann im weiteren Vermittlungsprozeß der betreffen-
senschaftssprachen und im weiteren Sinne die Fachsprachenforschung über- den Wissenschaft doch in eine Inhaltssprache. übersetzt oder jedenfalls mit
haupt ist erst seit etwa einer Dekade in größerem Umfang zum Gegenstand Inhalten, die dann nicht mehr durch Variablen vertreten werden können an-
der linguistischen Forschung gemacht worden, und es gibt bis heute noch an gereichert werden muß. Es sollte, wie mir scheint, zum sprachlichen E~hos
keiner deutschen Universität einen Lehrstuhl für Fachsprachenforschung, ge- der Formalisten gehören, diese .Stufe der spraqhlicheü Ve1mittlung ihrer Wis-
schweige denn für die Erforschung des Problemkreises »Sprache und Wis- senschaft njcht sekundären Vermittlern und bloßen Anwendern zu überlas-
t'senschaft«. Insbesondere gibt es noch keine nennenswerte empirische Erfor- sen. Zwischen einer formalen und einer ihr äquivalenten nicht-f01malen Wis-
; schung der Bedingungen, unter denen Wissenschaftler diese oder jene senschaftssprache besteht kein sprachlicher Rangunterschied, sondern es
J Sprache, diese oder jene Sprachfo1111 für ihre Publikationen wählen. lnexi- handelt sich um verschiedenartige, aber grundsätzlich gleichrangige Fonnen
--...stent bis auf einige wenige Ansätze ist in diesem Zusammenhang auch die Er- des wissenschaftlichen Sprachverkehrs, die je nach den Kommunikations-
forschung der mündlichen Wissenschaftssprache, mit der die Forscher in bedürfnissen gewählt werden können und dafür ihre spezifischen Vor- und
ihren Lehrveranstaltungen und Vorträgen, auf Kongressen und Kolloquien, Nachteile haben. Die größere sprachliche Verantwo1tung ist dabei allerdings
aber auch in informellen Labor-, Seminar- und Klinikgesprächen den Gang den Formalisten zuzuweisen, da sie sich mit ihren, Sprach- und Schriftfom1en
der Forschung erläutern und erörtern. Die mündliche Wissenschaftssprache am weitesten von der Gemeinsprache entfernen. Sie tragen daher auch die
gilt nach der unausgesprochenen, aber um so zählebiger herrschenden Mei~ stärkste Verantwortung dafür, daß die Verbindung dennoch nicht reißt. Das
nung einfach als eine je nach dem Förmlichkeitsgrad der Situation mehr oder formale Register darf unter diesen Bedingungen nur eines ihrer fachsprachli-
weniger ins Informelle verschobene und folglich mehr oder weniger defizien- chen Register sein.
te schriftliche Wissenschaftssprache, was aber wohl der Wahrheit ganz und
gar nicht entspricht. Denn so wie die Linguistik seit einigen Jahren zu ihrer *
eigenen Übmaschung entdeckt hat, daß .Q~_mün.Qlich~_.fu?gE!~.~~E~-'!.~h
gegenüber den Formen des schriftlichen Spx_~~!:i_Y..~r.k~lu:f'_§eine durchau~ Was heißt es nun aber genau, gutes Wissenschaftsdeutsch zu schreiben?
~Ifieil~n~Stilil~ti~·r-;~:~1}~G~ß-~.tidi.~t:· ;~ isT~~1ch für den Berel~b~d.e.LWis.sen­ Ich habe natürlich mit Absicht von gutem und nicht von schönem Wissen-
schaftssprache zu erw~rte1i., q~ß.. i~E~.§PE~c!!pr<J.9!~!1t~-~~.sh.J!:!r~E~.rnY:g,<:llish~ schaftsdeutsch gesprochen. Denn ich weiß wohl, daß es nach dem Konsens
Verständigüni--i~11z".-- anders .· darst~He._~.--w~rg~n als fi.i-L den schriftlichen fast der gesamten akademischen Population bei einer wissenschaftlichen Ver-
Spiacliverkelii- Hier-i11uß id~ai~~-~in großes Forschungsdefizit und folglich öffentlichung überhaupt nicht auf die S~h9nh~it d.er.f()qn sqridern nuraLLf
ein ebenso großes Forschungsdesiderat anmelden, und es wäre gut, wenn ,-
_die"Richtigkeit und Rel~1;z~'~<l~;-~~l~~~~T1t~~; s~~h~ ~~~i~~~;I~;t. N~b~l; der
__,,..„„•.
-~----·-~·-···-··'\~---··-'-~·---·--~-·-·----~--·~--~·-•-'·~---·---·=·---------··"',, ~"=~-<-~·~--~--

eine Wiss~nschaftsstiftung oder eine der großen Forschungsorganisationen \..Wahrh~ocheint in der Wissenschaft für die Schönheit kein Platz zu sein. Ge-
sich dieses Problemkomplexes energisch annähme. Noch wichtiger ist frei- r;de-;n seiner Ungeschmücktheit scheint folglich der wissenschaftliche Stil
lich daß die Wissenschaften selber die Beobachtung ihrer sprachlichen Vor- am zuverlässigsten erkennbat: zu sein. Diese Überzeugung ist so fest in den
aus~etZLingen und ihres fonnellen wie infonnellen Sprachverkehrs in die Köpfen fast aller Wissenschaftler verankert, daß es Aberwitz wäre, sie in Fra-
Liste ihrer regulären Forschungsgegenstände aufnehmen. ge stellen zu wollen. Ich möchte dennoch zu diesem Problem einige Anmer-
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kungen machen, damit es trotz seiner offensichtlichen Plausibilität nicht ganz seit langem eine sehr gespaltene Einstellung zum Umgang mit sprachlichen
dem kritischen Nachdenken entgeht. Bildern besteht. Es hat literarische Schulen gegeben, insbesondere in der
Dies zunächst: Wenn es richtig ist, daß die wissenschaftliche Sprache der europäischen Lyrik zwischen etwa ·1850 und 1950, die von der Überzeugung
Schönheit nicht tributpflichtig ist, so hat sie sich damit noch lange nicht die lebten, das poytischelilgenium zeige sich vor allem in Metaphern, in mög-
Ästhetik vom Hals geschafft. Denn auch die Schriftsteller und Sprachkünst- lichst kühnen Metapl~. Andere literarische Schulen haben gerade im Ge-
ler sowie die ihnen zugewandten Theoretiker der Ästhetik und Poetik haben gensatz dazu d~tle1ermachen unter strenge Kuratel gestellt oder sogar, wie
sich seit langem daran gewöhnt, den Begriff der Schönheit, weil vom Regel- ~~~~~~den Slogan »Kampf der Meta2~!l~ zur Maxime ihres lite-
kanon einer Normalklassik schwer ablösbar, mit Skepsis zu betrachten und rarischen Handelns gemacht. Eine gewisse Enthaltsamkeit in der Metapho-
die moderne Kunstperiode als eine Epoche der »nicht mehr schönen Kün- rik, wie sie zum stilistischen Ethos vieler Wissenschaftler gehört, könnte also
ste« (Siegfried Kracauer) anzusehen. Und in der Tat sind auch seit reichlich durchaus in eine Ästhetik des wissenschaftlichen Sprachgebrauchs integriert
einem Jahrhundert viele Hervorbringungen der Literatur - und nicht die werden. Das Problem der Anschaulichkeit oder Unanschaulichkeit des wis-
schlechtesten - so beschaffen,' daß uns bei ihrer Beschreibung das Prädikat senschaftlichen Denkens ist damit allerdings noch nicht gelöst. Die säuberli-
»schön« im Halse steckenbleiben würde. Nach einer gewissen Phase der Ver- che Zuweisung der vorbegrifflichen Anschauung an das sprachliche Denken
blüffung und der Desorientierung hat sich die l!terarische Kritik und Litera- der Gemeinsprache und der unanschaulichen Begrifflichkeit an das logische
turtheorie jedoch ziemlich mühelos mit diesem neuen ästhetischen Zustand I?,.enketl)der wissenschaftlichen Facf!s.pr:;i~hen, wie sie der Romanist Karl
abgefunden. Es kann jedenfalls keine Rede davon sein, daß die Ästhetik da- (~E~le_rjln Sinn hatte, als er im J~~I~~-~92}.Jtbenfalls einen Aufsatz unter dem
durch auf Dauer an sich selber irre geworden wäre. Vielleicht ist sie sogar aus Titel S.prache. und Wissenschaft schrieb, dürfte wohl in beiden Denkstilen
diesem Prozeß der, wenn ich so sagen darf, »Entschönung« gestärkt hervor- nicht der'CrifterenzTe1tereil'W1fI<l1chkeit entsprechen. Wir müssen daher stär-
gegangen. ker, a]s es seinerzeit Karl Voßler gesehen hat,.,3y.ri~<;~end.~IR··ansql}aulicl1en
Diese Bewegungen der Ästhetik vom· Schönen zum Häßlichen und vom und dem,l.l?anschaulichen Denkenn1it der Vermittlung vorl DenkmÖciellen
Häßlichen wieder zu neuen Qualitäten jenseits von Schönheit und Häßlich- regp11~n, Jli~ ~p~hr 9der r11i11d.yr .deutlic~.: meüiphqrischen Charakter tragen
keit sind den Wissenschaftlern, sofern sie keine Literaturwissenschaftler sind, und nichtciadµrc:;h aus der Welt zu schaffeil sind, daß man sie aus dem wis-
nicht immer deutlich gegenwätiig, und so beruht das Desinteresse an den äs- senschaftstheoretischen Bewußtsein verdrängt.
thetischen Aspekten der Wissenschaftssprache bei vielen Wissenschaftlern Meine Überlegungen laufen also fürs erste darauf hinaus, die Frage einer
schlicht auf einem Mißverständnis. Denn man könnte natürlich das oberste Ästhetik des wissenschaftlichen Sprachgebrauchs als eine offene Frage anzu-
Prinzip einer Stilistik der Wissenschaftssprache auch in negativer Form aus- · sehen, über die von den Wissenschaftlern der verschiedenen Disziplinen
d1ücken und von ihr sagen, sie brauche nicht schön zu sein, ja sie dürfe nicht noch nicht genügend nachgedacht worden ist. Ich werde in dieser Überzeu-
einmal schön sein. In diesem Sinne kann man die Texte der Wissenschaftler, gung durch die Beobachtung bestärkt, daß gerade die bedeutendsten For-
insoweit sie nach ihren eigenen Ges.etzen wohlgeformt sind, in Analogie zu scherpersönlichkeiten der Wissenschaftsgeschichte offensichtlich ästheti-
Kracauers nicht-mehr-schönen Künsten den kunstvoll entschönten Künsten schen Gesichtspunkten nicht gleichgültig gegenübergestanden haben. So
zuordnen und ihnen mit Selbstverständlichkeit eine entsprechende Provinz in habe ich mir, um ein Beispiel aus der neueren Forschung zu wählen, genau
der weiten ästhetischen Landschaft zuweisen. In ihr stehen dann im Vorder- angesehen, in welcher Fonn J51-1~~-P.:.:W:::.i.tson.,yn<!_ .fral~sisl:I:.g-~ C,ri~k.,.das
grund der Sprachkultur, was jedem Wissenschaftler nur gefallen kann, solche Jahrhundertereignis der von ihnen aufgedeckten D_N~-Stru.ktur ··veröffent-
Qualitäten. wi~_ßla~h~it,V\{i,derspruchs_freih_eit und .f'olg~E_~~~!~i.~~~~!:„s.!,~~„.~~ licht haben. Es handelt sich, so muß man wohl sageri,"iiin"efri ~>Aufsätzche1rn
de'fWisse~schafts~hecn}~ ohnehi11gefordert sin~ und die ohne weiteres auc_l) von kaum mehr als zwei Seiten Umfang in der Zeitschrift Nature (195~)\ und
als ästhetische.weiie elne.s
.vvisseri.schaft11Ci1en stffs anerkannt werde1i kön- die beiden Forscher haben diesem Text in seiner Knapiihe1füiid"Prägnanz
nen. eine so »klassische« Sprachform gegeben, daß man ihn nicht nur wegen sei-
foh wiJl mich jedoch nicht lange bei solchen Selbstverständlichkeiten auf- n.es weltbewegenden Inhalts, sondern auch weg~_n seiner z~~~~n Fonn in
halten, sondern statt dessen auf einen besonderen Gesichtspunkt zu sprechen em Lehrbuch der wissenschaftssprachlichen Asthetik aufnehmen könnte.
kommen, der vielen Wissenschaftlern sogleich durch den Kopf geht, wenn Und gerade weil dies ein Text ist, dessen Inhalt offensichtlich von größter
man ihnen gegenüber die Frage einer möglichen j\sthetik der wissenschaftli- Tragweite für die wissenschaftliche und die nichtwissenschaftliche Welt ist,
chen Sprachfonn anschneidet. Ich meine den Aspekt der Anschaulichkeit, liegt sein besonderer ästhetischer Reiz in der raffinierten Untertreibung der
häufig konkretisiert in der Besorgnis vieler Wissenschaftle1~ es solle ihnen mit sprachlichen Form, die natürlich in diesem Text gleichzeitig dem ästheti-
der Ästhetik zugleich eine unangemessene Metaphorik aufgeschwatzt wer..: schen Geniu§.Joci entspricht und cambridgeförmiges Understatement ist.
den. Auch diese Besorgnis ist unbegründet, und ich möchte wiederum zum Nun'-Wrrcf vielleicht jemand ein;-en-Cie'n~·d1es.e'Bescfüe1·15ungfreffe zwar zu,
Vergleich daran erinnern, daß selbst in der sogenannten schönen Literatur die sprachliche F01m sei jedoch bei allem nur eine schöne Zutat und für die
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wissenschaftliche Wahrheit nicht erheblich. Ich bin mir dessen nicht so si- auf beide Texte verteilt; dann ist aber daraus zu folgern, daß die knappe Mel-
cher. Denn mit der gleichen Aufmerksamkeit, mit der ich die Entdeckungs- dung in der wissenschaftlichen Zeitschrift nur die halbe Wahrheit gewesen ist
nachricht in der Zeitschrift Nature studiert habe, habe ich auch das Buch ge- und daß in all den anderen Fällen, in denen eine wichtige wissenschaftliche
lesen, das Watson hinterher (1968) unter dem Titel T7ze Double Helix (Die Nachricht so veröffentlicht wird, wie Watson und Crick sie in der genannten
Doppel-Helix. 1973) über die Geschichte dieser Entdeckung veröffootlicht Zeitschrift veröffentlicht haben, etwas verdrängt wird und allenfalls später
hat. In diesem Buch ist überraschend oft und an wichtigen Gelenkstellen des auf dunlden und verschlungenen Wegen und nicht selten auch mehr oder we-
berichteten Forschungsprozesses von der Suche nach »eleganten« Lösungen niger verzerrt als Legendenbildung wieder ans Licht tritt. Das war in den Wis-
des Strukturproblems die Rede. Es ist bekannt, daß auch in anderen, insbe- senschaften nicht immer so. Unter den zahlreichen Traktaten und Abhand-
sondere formalen Wissenschaften, namentlich in der Mathematik, sehr auf lungen, die wir von Descartes haben, ist ja zum Beispiel auch der Discow:'i de
die Eleganz bei der Lösung eines Problems geachtet wird und daß einer sol- la Methode, in dem der Philosoph seinen Lesern erzählt, wie er den Gewiß-
chen Eleganz bisweilen sogar der We1i eines mindestens zusätzlichen Wahr- heitssatz Je pense, donc je suis gefunden hat. Dies ist die Schrift, durch die
heitskriteriums zugesprochen wird. Bei Watson hat mich darüber hinaus Descartes am mächtigsten auf die Nachwelt gewirkt hat. Ich will mich hier
überrascht, welche Rolle die erwartete Eleganz der Lösung schon in der Heu- mit diesem Beispiel begnügen und nur beiläufig die Frage aufwerfen, ob es
ristik gespielt hat. Und dieser Gesichtspunkt hat sich ja auch bewährt: die ge~ nicht auch eine interessante Aufgabe für eine Ästhetik des wissenschaftlichen
fundene Struktur ist elegant. Unter diesen Umständen müßte man sich schon Diskurses 'Wäre, n.3c~h derSt~V1111g des ~rzählens im schriftlichen und mündli-
sehr blind stellen, wenn man die Brücke zwischen der Eleganz in der Heu- chen Spra2hverkehr der Wisseiischaften zu fragen.
ristik und der Eleganz in der Ästhetik nicht sehen wollte. Sind vielleicht
heuristische und ästhetische Eleganz nur zwei Seiten einer und derselben
*
Medaille?
Ich möchte in diesem Zusammenhang allerdings auch noch auf die Selt- Zum Abschluß will ich mich noch kurz der Frage zuwenden, ob es für die
samkeit aufmerksam machen, die darin liegt, daß ein bestimmtes wisse1~­ Ästhetik der wissenschaftlichen Sprachfonn einen wesentlichen Unterschied
schaftliches Ergebnis, hier die Entdeckung der DNS-Struktur, in zwei grund- macht,_i1LW.elcherB_prache_ das_hetreff~nd_1:;t:wiSßenschaftlj~.h~_ß_r_g~bnis veröJ-
verschiedenen sprachlichen Formen veröffentlicht worden ist. Wir haben · ___fäntlichL.wjnJ.. Schon Karl Voßler hat sich im Jahre 1923 die Frage gestellt,
zunächst, so darf ich repetieren, einen sehr knappen Text von Watson und w..elche ~12.rachel!.E.!!§...~~r v~.~J'.?_a.J~Ls!~!JY.elt~2_0.-'2Q~!-~~1.119:~1-P.t_~~-~!~-~hance
Crick als Aufsatz in einer wissenschaftlichen Zeitschrift, der seinem sprachli- haben, Wissenschaftssprachen zu werden, zu sein oder zu bleiben. Für Voßler
chen Charakter nach ein Bericht ist und einige argumentative und maßvoll war d~-s-S-eineneit-noCii-·eliie-iechCFes.dial.iiiche Frage, da er nicht einen Au-
polemische Einlagen enthält. Es liegt sodann, einige Jahre später und nur von genblick daran zweifelte, daß neben dem Englischen und dem Französischen
Wats0.11 verfaßt, eine Veröffentlichung in Buchform vor, die ihrem sprachli- auf jeden Fall auch das Deutsche seinen Rang und Platz als übernationale
chen Charakter nach narrativ ist und einige erläuternde und anekdotische Wissenschaftssprache behaupten würde. Die language requirements angese-
Einlagen enthält. Der letztgenannte Text hat literarisch Sensation, wissen- hener ausländischer Universitäten, bei denen die deutsche Sprache damals in
schaftlich aber Skandal gemacht. Was die literarische Sensation betrifft, so . vielen Fällen noch eine unangefochtene Position hatte, wie auch die große
beruht sie darauf, daß ein hochqualifizierter Wissenschaftler offensichtlich, Zahl der nach Deutschland reisenden, ja nicht selten pilgernden ausländi-
wenn er die Feder zu führen weiß, von einem wichtigen wissenschaftlichen schen Dozenten und Studenten bestätigten eindrucksvoll die über alle Zwei-
Sachverhalt nach allen Regeln der narrativen Kunst erzählen kann. Das ist in fel erhabene Bedeutung der deutschen Sprache für die internationale Wissen-
einer literarischen Umwelt, in der so viel von der Krise des Erzählens die schaft.
Rede ist tatsäch1ich sensationell. Was auf der anderen Seite den wissen- Das ist heute von Grund auf anders geworden. Aus vielfältigen histori-
schaftlicl1en Skandal angeht, der sich allerdings inzwischen beruhigt hat, so schen Gründen, denen ich hier im einzelnen nicht nachzugehen habe, sind im
ist er ebenfalls wegen des Erzählens zustande gekommen. Denn es gehört Vergleich zur englischen Sprache alle anderen ß.l!:.1.~~~!'_l?E~9.b:C::,!l, so auch das
sich nicht, daß man von der Wissenschaft erzählt, außer privat oder, lange Deutsche und das Französische, im Wettlauf um die Gunst der Wissenschaft-
nachher, in der Wissenschaftsgeschichte mit ihrem textsortenspezifischen Tri- ler weit zurückgefallen. In nicht wenigen Wissenschaften kann Q,li!§_pngli§C..h.Y
umphalismus. Ganz anders jedoch Watson: er erzählt, »wie es wirl<li.~h gewe- h~!:l:t~_€11§_..ifi€_:\l{issenschaftssprache schlechthin gelten und hat also eine ähnli-
sen ist«. Diese Erzählung ist auf ihre Weise so zwingend in ihrer Uberzeu- che Stellung wi~-da~WissenschaftslateinTm-1\TIITetäHer. Dabei muß man frei-
gungskraft, daß man sich als Laie oder als Leser, der aus einer anderen Wis- lich, was den Vergleich zwischen Deutschpund Englisch ~ls Wissenschafts-
senschaft kommt, nun fragt, in welchem Text eigentlich mehr wissenschaftli- _§V_rn~h~!LQ~Jdfft~.„.11f.lm=71~i1]'~J[~e1n"·uiitei:s.cheTde11·~-uiid-· käffri ___etwä· ·drei
che Wahrheit zu finden ist, in der kurzen Meldung oder in der langen ~P_EE. bilden. Die ~rste G~pp~-;i"r<l-;~~;:-wkh~~~ \,vi-~8et;8-chaftei1 w}_iE11-
Geschichte von der Entdeckung. Vielleicht ist die Wahrheit auch gleichmäßig ~-zyn1fors'c5lmng und Gen-Technologie gebildet; in ihr ist die Entscheidung für
504 H::... ald Weinrich

das Englische als Wissenschaftssprache längst gefallen. Zur LWeigm G.DJ_QQe ehe zu wählen. Aber das darf nicht aus oberflächlicher Effekthascherei und
sind solche Wissenschaften zu rechnen, die zur Zeit ein gewisses Schwanken Prahlerei geschehen. ~~"--- Im ül::>rillen ist eine sorgfältige emnirische Erforschuncr--)f
-~--~'"'------~"-''· --·-- ··-·-'·'·,.!::'.:__ ,___ .,, -~···-"·"'''···~·········--·-··-··-~.12
zwischen dem Deutschen und dem Englischen erkenhen lassen. Zu ihr gehö- ~~r.,Q~.4.~g!s~1!_!Jg_4_g,~~.1J.~rn~.~~!!.!S~_l!.,__Q!:.1E_C:Q_g_!~ ~igh_ ~i§§~ns~!~-~1~.~-~!" ~!.§chie- /
ren solche Eächer wie_P._sycholog!~,-und..:Ligguistilc,}n denen sich beispielswei- Q.en~_r_Q!~~~Plh!~QJ?~.L4.~LW.~hLfü1:~_r__fy~Ek~1t2!1ssp_!_~che ·leitei1. lassen, ein f
se einige Zeitschriften, die in der Bundesrepublik Deutschland erscheinen, iiJ2~rJ!Jl~.f.lring~nd~§.J~'2rn91nmg§_<;!~_sider,at. -------··-·----------------- ;
neuerdings solche englischen Titel wie Psychological Research und Theoreti- Solange wir aber daruber nicht~ G~~~~1eres wissen, ist 'vielleicht ein ande~
cal Linguistics gegeben haben. Schließlich gibt es eine Qr.itte Gmppe von Wis- rer Aspekt dieser Frage wichtiger. Ich will einmal - until fi1rther notice - un-
senschaften, die keine nennenswerte Neigung erkennen lassen, Deutsch ge- terstellen, daß es für den Fortschritt der Forschung unerläßlich ist, möglichst
gen Englisch als Wissenschaftssprache einzutauschen. Ich denke dabei an alle relevanten Forschungsergebnisse, wenigstens in einer bestimmten Grup- ·
solche Fächer wie ~~Jli..S,~!~d P~!l2,~,~2hl~ik~l.e bis auf seltene Ausnah- pe von wissenschaftlichen Fächern, il}}~ng!i_~cher Sprache zu publizieren, da-
men bisher an der deufadien Sprache festgehalten haben. Eine gewisse Son- mit sie die Chance der größtmöglichen Verbreitung erhalten.··Wenn man das
derstellung nehmen die Fremdsprachenphilologien ein, die um ihres Gegen- also einmal unterstellt, so ist damit dennoch nicht der gesamte Sprachverkehr
standes willen häufig die betreffende Fremdsprache als Publikationssprache dieser _Wissenschaften beschrieben. Sie bleiben ja trotz des anglophonen
wählen, in Deutschland übrigens wesentlich seltener als in anderen Ländern. Sprachgestus Wissenschaften, die in Deutschland betrieben, von unserer Ge-
Was soll man nun als Linguist und Fremdsprachenlinguist dazu sagen? sellschaft unterhalten und hierzulande an die nächste Generation weitergege-
Die Versuchung ist groß, gar nichts dazu zu sagen, da es nicht zu den traditio- ben werden. Irgendwann also, vielleicht auf der Stufe des Lehrbuchs, der
nellen Aufgaben des Linguisten und Fremdsprachen-Linguisten gerechnet Vorlesung oder des Fortbildungskurses, muß doch die Übersetzung ins Deut-
wird, zu Fragen dieser Art Stellung zu nehmen. Wenn ich es dennoch tun soll, sche geleistet werden. Und sie muß natürlich gut geleistet~erdell:'das-vei~
will ich als erstes vor einer kurzschlüssig-nationalistischen Reaktion warnen, langt die betreffende Wissenschaft, und das verlangt auch die deutsche Spra-
die darauf hinausliefe, deutschen Wissetischaftlern den Gebrauch des Deut- che. Ich würde es nun sehr beklagen, wenn diejenigen Wissenschaftler, die
schen als Wissenschaftssprache zur moralischen Verpflichtung oder sogar zur aus guten oder auch aus weniger guten Gründen in englischer statt in deut-
Amtspflicht zu machen. Die französische Kultur- und Wissenschaftspolitik scher Sprache publizieren, diese spätere - oder besser noch gleichzeitige -
hat sich, was die Rolle des Französischen als Wissenschaftssprache betrifft, Umsetzung ins Deutsche als eine unwichtige und niedere Tätigkeit erachte-
ein riskantes Stück weit auf diesen Weg begeben, ohne durchgreifenden Er- ten, für die sie als »Spitzenforscher« eigentlich kein Interesse aufzubringen
folg übrigens. Dieses Beispiel ist nicht nachzuahmen. Aber der Sprachwissen- brauchen. Wir wissen ja inzwischen, daß bei allen F01tschritten der Wissen-
schaftler, der auf die subtilen Steuenmgsmechanismen des mündlichen und schaften immer die Fortschrittsnebenfolgen und Umweltbelastungen zu be-
schriftlichen Gesprächs zu achten gelernt hat, fällt auf der anderen Seite auch denken sind, die mit ihnen verbunden sein können. Das gilt auch für den
nicht gam; leicht auf die naive Auffassung herein, daß bestimmte wissen- ~pr~chgeb~~-uch_ der Wissenschaften. Bej!1}_§<;h..!:!!t..Y2.~Q.~Lg,~,~t1~~!!~:1.L~~!! e1~g­
schaftliche Erkenntnisse. in bestimmten wissenschaftlichen Fächern sozusa- „J_fü~-~!J,~\L ...tlrn!!Q!!~ß.Rflt~h~,!J~~,~~n,_~1~\QQ"gr.,g~_fl,!l:„~i!!..Pg1!§.~h1-:~!!j_~!~.~benf~ls
gen mit naturwüchsiger Notwendigkeit nach dem Englischen als Publika- fQ,It,~_GhJJ!t!H!~J?!inföJg~JlJll1f, .<:fj~JJir, Sl~~ k_ulturellen_ ~!~~US l!11S~res l_,andes
tionssprache verlangen. Es geht ja die Rede, in einigen Fächern sei zwar ,JJnJrnUmJi~r.b_a_LQ,Q.tirj~q~11falls fös h~µte pichtJqilkuli~rt sind. Man kann bei-
vielleicht nicht die_gesamte wissenschaftliche Publikation anglophon, aber spielsweise nicht das EngÜs,~l~e al~-~~'i~~r~~I~ ~vi~~~~~-;i~-;ftssprache wollen
die Stpltzenforschung, --die spreche allemal Englisch. Das Wort Spitzenfor- und gleichzeitig meinen, man könnte junge Leute dauerhaft motivieren, zu
schung-i-s-t--m-i-r-in-di~1 Zusammenhang verdächtig. Es erinnert bedenklich dieser Sprache, die ja auch als internationale Verkehrssprache offensichtÜch
an den Spitzensport und vergleichbare Spitzenleistungen, deren Überbietun- überaus tauglich ist, noch weitere europäische oder außereuropäische
gen der Vorgängerleistungen mit der Stoppuhr oder einem anderen Meßin- Fremdsprachen zu lernen. Die unter diesen Umständen erwartbaren Motiva-
strument meßbar sind. Vielleicht sind auch die Angriffsspitzen einer von-ük- tionsabbrüche sind in der jetzigen Schülergeneration bereits deutlich nach-
kendeu Forschungsfront gemeint. Das sind aber alles schlechte Metaphern weisbar.
für die Tätigkeiten des Wissenschaftlers, und die elementaren Erscheinungs- Ich will dieses Problem hier jedoch nicht ausloten, sondern mich damit be-
formeu der wissenschaftlichen Öffentlichkeit und ihres Sprachverkehrs kom- gnügen, die englisch publizierendeff Wissenschaftler unseres Landes daran
men bei solchen Denkmodellen gar nicht erst in den Blick. Wenn es nämlich zu erinnern, daß sie mit dem Übe1tritt zur publikationstechnischen Anglo-
ein so einfaches Kriterium für die Zugehörigkeit zur Spitzenforschung geben pho.nie nicht aus der y~rfl1t:o/()~t11ugfq1·,pieqeµts9~e Wissenschaftssprache
sollte, dann werden sich bald gerade die mediokren Geister ein so billig zu entlassen sind. Da sie ein kulturelles Umweltproblem;'schaffen, bleiben sie,
habendes Qualitätskriterium nicht entgehen lassen. Ich meine also, es sollte auch wenn sie ihren Forschungsergebnissen eine englische Sprachform ge-
zwar jedem Wissenschaftler freistehen, statt der deutschen die englische oder ben, für die .lTmsetzung 11l~c:l\';:H?~~s,~t~P!L9l~~,~~:,jYis~enscl1fftsenglis9h in
ich weiß nicht welche andere Sprache als wissenschaftliche Publikationsspra- gutes Wissenschaftsdeutsch veran'fwortlich iuid cH1rfen diese Aufgabe nicht
Rainald Goetz Der Attentäter 507
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angestellten Dolmetschern und Hilfskräften überlassen. Das ist insbesondere ze geliehen hat, um zwei Dollar angegangen, deren Rückzah]ung er Tag um
bei der Begriffsbildung zu bedenken, und kein deutscher Wissenschaftler Tag, Dumpfes murmelnd, dumpf lächelnd, Nachsicht heischend verzögerte.
sollte Beifall für eine englische Begrifflichkeit finden, wenn er sich nicht Später hat er die Donuts in meiner Einkaufstüte so begehrlich angeschaut,
gleichzeitig Mühe gegeben hat, dafür zu sorgen, daß diese Begriffe in mündli- daß ich ihm an manchen Tagen einen der vanillenen, oder gepuderten, oder
ches und schriftliches Wissenschaftsdeutschgut übertragbar sind. Es gibt da- schokoglacierten Donuts, meist einen der Schokodonuts, die ich selbst am
her zu dem oben erläuterten Veröffentlichungsgebot, dem alle Wissenschaft- wenigsten mag, schenkte, den er dann untertänig grinsend in sich hinein-
ler unterworfen sind, eine anglophone Variante, die in der fä1R~!lß.~_Q_ Mg:X,,iill~­ mampfte, widerwärtig kindhaft freudig, übertrieben dankbar~ um mich so für
ausgedrückt werden kann: vy~ggJ?.!:!.. R~i!?:~J:2!§.9Q!!.~E.~~~-rn.e.!21~l~~~Jg.~.!!.&!k· die mir abgenötigte Freundlichkeit zu erniedrigen. Freilich i~t der Neger, an-
s,c_her sr1:ache ver<? f[~!~!!}g_~~.!1 _~g__ l?~-~t!2~!.J~!L~!-~--E2J_g~~~!öf~!!!.li ch!l..l~fil'..!l.J~ ders als ich anfangs dachte, kein Risiko, da das kalkulierbarste.
·d~üi~cli~_isi2rß:Qii~:.-~J2i~ hin . z:u c1enQymn~S.i::i.lfii91J.~rn .:-:. . m.HY~r.~1~tyv9rfü~h..~ . Die neue Aufgabe ist auch nicht riskanter als alle alten, sage ich mir, weil
Was weiterhin das Rezeptionsgebot betrifft, das ja gleichzeitig ein Kritikge- ich im Gegenteil das Risiko lähmend finde, müßige Grübeleien, weil es Läh-
bot ist so darf der wissenschaftliche Leser vom wissenschaftlichen Autor, der mung in Wahrheit nicht gibt. Sogar die fürchterliche Zeit der letzten Monate,
englis~h schreibt, selbstverständlich gutes Wissenschaftsenglisch verlangen, in der mir alles nichts war, nur Agonie, war in Wahrheit keine Zeit der Ago-
ebenso wie er von einem wissenschaftlichen Autor; der deutsch schreibt, gu- nie, denn ich lag im Bett und sagte, ich atme, Zug um Zug, logisch, immer
tes Wissenschaftsdeutsch verlan en noch, atme ich, alles andere ist Lüge, Lähmung gibt es nicht, ich atme, ich
esse, ich schlafe, ich schaue das Ferns.ehen an, so hat es ausgeschaut,' monate- '
lang, lähmend ratlos, aber nicht gelähmt. Ohne Befehl von oben, das war das
Schlimmste. Nun sind die neuen Orders da, rücksichtsloser denn je, daher die
Risikokalkulationen, das müßige Gedankengeschiebe, daher auch meine
euphorisierte, im Grunde zutiefst beunruhigende, aktivitätsfahrige Tatenbe-
sessenheit.
Jetzt, jetzt oder nie, sage ich. Nachts stehe ich am Fenster, es geschieht
nichts, ich öffne das Fenster, Schreie siebenstockwerktief unter mir Rufe
Pfeifen, Signale, ich lehne mich weit hinaus, jetzt oder nie, sage ich, aber ich
halte mich fest, seltsame Luft, die denkbar januarfernste, mitten im Januar.
Der fürchterliche Sog der verlorenen Zeit der vergangenen Monate nach
unten ist im Moment des Agonieaktivitätsumbruchs, in diesem Moment also,
der logisch gefährlichste, zugleich der sinnloseste, also dümmste. Sinnlosig··
keit ist Dummheit, gegen die Dummheit habe ich mich, seit ich denke, ent-
schieden, meine Rettung lebenslänglich, jetzt, nicht anders als in jedem ent-
RAINALD GOETZ
scheidenden Moment der letzten dreißig Jahre. Mit jedem Jahr logisch, da
Der Attentäter hilft nichts, mehr von allem, mehr Dummheit, Sinnlosigkeit, mehr Sog der al-
ten Zeit, der ununterbrochen wachsende, sich aufstauende Druck von Welt-
Bericht dreck und Lebensdreck im Hirn, der jederzeit, täglich, ankünd.igungslos
durchbrechen, alles fortreißen und vernichten kann, deshalb ununterbrochen
»Ob es möglich ist, ist weg kontrolliert und so unter Kontrolle gehalten werden muß, was mit jedem
nur praktisch zu ermitteln.« Jahr mehr Strenge, Kontrolle, Hirn und Kraft fordert, also produziert, logisch
die Rettung.
I Ich friere. Ich hole den gefährlich weit, von ferne gesehen eher bodennah
Stille, Düsternis, eisige Winde noch vor wenigen Tagen, der Präsident zuver- aus der zigstöckigen Hochhausfassade herausragenden Oberkörper, er ist
sichtlicher denn je, ich der Niedergeschlagenste, und jetzt plötzlich diese er- schließlich doch meiner, verdammtnochmal, ins Zimmer zurück. Ich schließe
dene wilde waime Luft, alles beginnt doch wieder neu. das blöde Fenster. Ich sage, jetzt, ich will endlich wieder an die Arbeit gehen,
Der Feind ist der alte. Freundlich grüße ich den blau uniformierten Neger, jetzt, ich tue, was ich will. Ich schalte den Fernseher ein, gehe alle dreizehn
der die Eingangshalle bewacht, neuerdings will er wissen, wo ich meine prot- Kanäle durch, nichts. Ich mache mich, wie einst im vorvergangenen goldenen
zigen Ringe kaufe, am ersten Tag, vor Monaten, hat er mich sofort, nachdem Jahr, erneut an ein Dossier. Ich bin voll einer irritierenden Zuversicht. Ich
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