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Das bedeutet: Wir müssen besonders begabten Kindern die Chance geben, eine
optimale musikalische Förderung zu genießen, die in ein „normales“ Leben mit
Familie, Freunden, Sport, Schule etc. eingebettet ist,eine Förderung, der eine
gesunde, soziale, menschliche Entwicklung nicht geopfert wird. Eine Förderung ohne
Entwurzelung, die im Nachhinein auch dann Sinn macht, wenn sich ein junger
Mensch irgendwann völlig anders beruflich orientiert. Dieses Ziel ist in Kooperationen
zwischen Musikschulen und Musikhochschulen, die vor allem den Nachwuchs der
Region im Focus haben, besser zu erreichen, als in Alleingängen von
Musikhochschulen, in denen Kinder oft aus ihrem natürlichen Umfeld herausgerissen
sind und eher in einer Retortensituation „gezüchtet“ werden.”
Als Vorsitzender einer Jugend musiziert-Bundesjury habe ich schon einmal knapp
100 Pianisten der Altersgruppe IV gehört. Die meisten von ihnen pianistisch sehr gut.
Aber auch viele, um deren Zukunft und seelische Gesundheit man sich sorgen
müsste, vor allem dann, wenn alle Energie und Motivation aus einer allzu engen
Fokussierung auf eine spätere erfolgreiche Solo-Karriere geschöpft wird.
Auf der einen Seite entzieht sich die Kunst, die ihrem Wesen gemäß genauso
„heilig“, einmalig, unverwechselbar ist wie jedes musizierende Kind jeder Bewertung
und Einordnung nach Punkten. Auf der anderen Seite liegt es in unserem Wesen, in
unserem Streben nach Erkenntnis und Vergleichbarkeit, liegt es aber auch in der
kindlichen oder jugendlichen Spiel- und Sport-Lust, sich messen zu wollen. Nicht nur
im Sport. Das ist nach meiner Überzeugung solange gesund, wie das
Selbstwertgefühl, das Geliebt- und Geachtet - Werden so selbstverständlich und
unverrückbar verankert ist, dass es nicht vom Erfolg bei einem Wettbewerb abhängt.
Mir hat gut gefallen, was Yoshihisa Matthias Kinoshita im Band 3 der von Michael
Fuchs herausgegebenen Reihe „Kinder- und Jugendstimme“ dazu schrieb. Ich
zitiere: „Aus dem Erleben der eigenen Freude und aus dem Erleben, dass diese
auch Anerkennung findet und mit anderen geteilt werden kann, verstärkt sich die
schon vorhandene Motivation bei den Kindern fürs Singen. Durch eine
Beziehungsebene, in der die grundsätzliche Anerkennung vom Erbringen einer
Leistung abgekoppelt ist, wird ein stabiles Beziehungsfundament gelegt. Stabil vor
allem auch deswegen, weil durch die Entkopplung von Anerkennung und Leistung
die Angst vor dem Versagen als ein wesentlicher Verhinderer von Motivation so gut
es geht vermieden werden kann.“ Zum Thema „erfolgreich Scheitern“ wäre noch viel
zu forschen, zu beobachten und zu lernen.
Die Akademie bietet seitdem als Option folgendes Ausbildungspaket für bis zu 30
Akademisten: Zwei Unterrichtseinheiten im Hauptfach (also 90 Minuten), eine
Unterrichtseinheit im Zweitfach, Unterricht in Ensemblespiel, Kammermusik und
Orchester, Gesang, Körperdisposition, Theorie, bei Bedarf Korrepetition,
gemeinsame Konzert- und Opernbesuche, Begegnungen mit prominenten Künstlern,
Vermittlung und Begleitung von Wettbewerbs- und Meisterkurs-Teilnahmen.
Das kann für manches Kind angemessen sein, für ein anderes eine glatte,
gesundheitsgefährdende Überforderung. Daher ist entscheidend, dass eine
Musikhochschule und eine Partner-Musikschule gemeinsam empfehlen, welches
ganz persönliche Unterrichtspaket für den jeweiligen Akademisten in seiner
schulischen, persönlichen und künstlerischen Entwicklung adäquat ist. Dazu gehört
auch, welcher Lehrer, welche Lehrerin bzw. welches Pädagogentandem aus
Musikschule und Musikhochschule den Unterricht im Hauptfach übernimmt. Dies
alles geschieht in enger Abstimmung mit Eltern und allgemein bildenden Schulen,
damit die Kinder in einer gesunden, "normalen", familiären und schulischen
Umgebung aufwachsen - auch mit der Möglichkeit der Pflege von Freundschaften
und Freizeitaktivitäten. Natürlich schließt das auch so verrückte, aber hoch
motivierende Aktionen mit ein, wie sie einmal eine der jüngsten Akademistinnen
erleben durfte: in China mit Lang Lang Duo zu spielen. Mit Vergnügen! Oder in einen
Kleinbus zu einer Probe des Orchesters der Hans-Eisler-Hochchschule – in dem
Ehemalige der Jugendakademie mitspielen - mit Simon Rattle nach Berlin zu fahren,
einen gemeinsamen Workshop für neue Musik zu erleben, an einem deutsch
japanischen Jugendaustausch teilzunehmen, als Solist zur Eröffnung des
Bundeswettbewerbes Jugend musiziert in Lübeck mit dem städt. Sinfonieorchester
ein Mozart-Konzert zu spielen, ein gemeinsames Sommer-Gartenfest aller
Akademisten und vieler Lehrenden zu feiern, als Klaviertrio beim Sommerfest des
Bundespräsidenten auftreten zu dürfen, als Solisten des Barockensembles zu
Konzerten in der Deutschen Botschaft in Washington oder im Rahmen eines
Musikfestivals in Singapur weltweit unterwegs zu sein: dies sind nur einige von vielen
schönen und inspirierende Mosaiksteinen, die den exzellenten Unterricht motivierend
ergänzen.
Um bei aller Sorge um ein „gesundes“ Leben mit Familie und Schule immer wieder
deutlich musikalische Schwerpunkte setzen zu können, arbeitet die Akademie vor
allem mit solchen allgemein bildenden Schulen zusammen, die besonders begabten
Kindern und Jugendlichen dafür die notwendigen Freiräume zugestehen. Hier kann
es sich um die Freistellung vom Unterricht für die Wahrnehmung einer Hauptfach-
Stunde am Vormittag handeln (möglichst nach dem "Drehtür-Modell", damit nicht
immer die selbe Schulstunde ausfällt), oder auch um die Befreiung für mehrere Tage
zugunsten eines Meisterkurses, einer Wettbewerbsteilnahme oder Konzertreise. Die
Jugendakademie kann nur parallel zum Besuch einer allgemein bildenden Schule
besucht werden. Das bedeutet auch: Das Abitur aufzugeben für eine
hundertprozentige Konzentration auf die Musikerkarriere wird ausdrücklich
ausgeschlossen. Die an der Hochschule belegten Kurse können bei einem späteren
Musikstudium angerechnet werden.
Und: Bei allem Verständnis für die besondere Bedeutung der Motivation durch das
künstlerische Hauptfach sollte den Kindern und Jugendlichen das gesamte
künstlerische und pädagogische Spektrum der Musikberufe als attraktive Perspektive
vermittelt werden.