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Warum gemeinsam?

Erkenntnisse der Begabtenforschung und empirische Studien zu Musikerbiographien


zeigen immer wieder, dass es zwar einerseits wichtig ist, jungen Talenten möglichst
früh eine handwerklich optimale Förderung am Instrument zu gute kommen und sie
von einem künstlerisch musikalisch anregenden Umfeld profitieren zu lassen,
anderseits aber auch, dass es aufgrund von Frühförderung und
Wettbewerbsteilnahmen mittlerweile eine große Zahl von best-ausgebildeten jungen
Musikerinnen und Musikern gibt, die in ihrer allgemeinen, menschlichen und
künstlerischen Entwicklung weit hinter ihren handwerklichen Fähigkeiten
zurückgeblieben sind. Diese müssen meist nach Beginn oder während ihres
Hochschulstudiums feststellen, dass sie in ihrem Leben außer Disziplin und
Konkurrenzstress nichts erlebt haben, was sich lohnen würde, mit den Mitteln von
Musik zu erzählen. Sie erleben, dass Familienleben, Spaß und Auseinandersetzung
mit Freunden, schulisches Umfeld, Liebesleben, ein zweites Instrument, Chorsingen,
Kammermusik, Orchester, prägende menschliche Begegnungen auf der Strecke
geblieben sind. Familien, Musikschulen, Musikhochschulen,
Wettbewerbsveranstalter und Förderer müssen darauf achten, dass sie nicht ein
handwerklich hochgezüchtetes Mittelmaß produzieren, das weder zum charismatisch
interessanten Künstler auf dem Podium taugt, noch ansteckende, erfolgreiche,
zufriedene und verantwortungsvolle Musikpädagogen ins Leben entlässt.

Das bedeutet: Wir müssen besonders begabten Kindern die Chance geben, eine
optimale musikalische Förderung zu genießen, die in ein „normales“ Leben mit
Familie, Freunden, Sport, Schule etc. eingebettet ist,eine Förderung, der eine
gesunde, soziale, menschliche Entwicklung nicht geopfert wird. Eine Förderung ohne
Entwurzelung, die im Nachhinein auch dann Sinn macht, wenn sich ein junger
Mensch irgendwann völlig anders beruflich orientiert. Dieses Ziel ist in Kooperationen
zwischen Musikschulen und Musikhochschulen, die vor allem den Nachwuchs der
Region im Focus haben, besser zu erreichen, als in Alleingängen von
Musikhochschulen, in denen Kinder oft aus ihrem natürlichen Umfeld herausgerissen
sind und eher in einer Retortensituation „gezüchtet“ werden.”

Als Vorsitzender einer Jugend musiziert-Bundesjury habe ich schon einmal knapp
100 Pianisten der Altersgruppe IV gehört. Die meisten von ihnen pianistisch sehr gut.
Aber auch viele, um deren Zukunft und seelische Gesundheit man sich sorgen
müsste, vor allem dann, wenn alle Energie und Motivation aus einer allzu engen
Fokussierung auf eine spätere erfolgreiche Solo-Karriere geschöpft wird.

Auf der einen Seite entzieht sich die Kunst, die ihrem Wesen gemäß genauso
„heilig“, einmalig, unverwechselbar ist wie jedes musizierende Kind jeder Bewertung
und Einordnung nach Punkten. Auf der anderen Seite liegt es in unserem Wesen, in
unserem Streben nach Erkenntnis und Vergleichbarkeit, liegt es aber auch in der
kindlichen oder jugendlichen Spiel- und Sport-Lust, sich messen zu wollen. Nicht nur
im Sport. Das ist nach meiner Überzeugung solange gesund, wie das
Selbstwertgefühl, das Geliebt- und Geachtet - Werden so selbstverständlich und
unverrückbar verankert ist, dass es nicht vom Erfolg bei einem Wettbewerb abhängt.
Mir hat gut gefallen, was Yoshihisa Matthias Kinoshita im Band 3 der von Michael
Fuchs herausgegebenen Reihe „Kinder- und Jugendstimme“ dazu schrieb. Ich
zitiere: „Aus dem Erleben der eigenen Freude und aus dem Erleben, dass diese
auch Anerkennung findet und mit anderen geteilt werden kann, verstärkt sich die
schon vorhandene Motivation bei den Kindern fürs Singen. Durch eine
Beziehungsebene, in der die grundsätzliche Anerkennung vom Erbringen einer
Leistung abgekoppelt ist, wird ein stabiles Beziehungsfundament gelegt. Stabil vor
allem auch deswegen, weil durch die Entkopplung von Anerkennung und Leistung
die Angst vor dem Versagen als ein wesentlicher Verhinderer von Motivation so gut
es geht vermieden werden kann.“ Zum Thema „erfolgreich Scheitern“ wäre noch viel
zu forschen, zu beobachten und zu lernen.

Daher favorisiere ich, favorisiert der Verband deutscher Musikschulen diejenigen


Modelle der Begabtenförderung, die den begabten Kindern und Jugendlichen ein
Weiterleben mit Familie und Freunden und „normalen“ Alltagsherausforderungen
gestatten und trotzdem alle Ressourcen für eine optimale Förderung erschließen.
Das sind aus meiner Sicht vor allem Modelle wie die JARO, das Netzwerk Amadé in
Mannheim oder eben die Jugendakademie in Münster. Wenn ich eben diese im
Folgenden präsentiere, dann nicht, um sie als einziges Modell oder Top-Modell
darzustellen, sondern als EIN Beispiel einer gelingenden Kooperation zum Wohle
besonders begabter Kinder und Jugendlicher.

Nach mehreren Jahren intensiver, aber eher durch vertrauensvolle und


wertschätzende Zusammenarbeit einzelner Lehrender von Westfälischer Schule für
Musik und Musikhochschule Münster mit hochbegabten Kindern und Jugendlichen
fand im Februar 2011 die erste offizielle Aufnahmeprüfung statt und die Website
wurde freigeschaltet.

Die Akademie bietet seitdem als Option folgendes Ausbildungspaket für bis zu 30
Akademisten: Zwei Unterrichtseinheiten im Hauptfach (also 90 Minuten), eine
Unterrichtseinheit im Zweitfach, Unterricht in Ensemblespiel, Kammermusik und
Orchester, Gesang, Körperdisposition, Theorie, bei Bedarf Korrepetition,
gemeinsame Konzert- und Opernbesuche, Begegnungen mit prominenten Künstlern,
Vermittlung und Begleitung von Wettbewerbs- und Meisterkurs-Teilnahmen.

Das kann für manches Kind angemessen sein, für ein anderes eine glatte,
gesundheitsgefährdende Überforderung. Daher ist entscheidend, dass eine
Musikhochschule und eine Partner-Musikschule gemeinsam empfehlen, welches
ganz persönliche Unterrichtspaket für den jeweiligen Akademisten in seiner
schulischen, persönlichen und künstlerischen Entwicklung adäquat ist. Dazu gehört
auch, welcher Lehrer, welche Lehrerin bzw. welches Pädagogentandem aus
Musikschule und Musikhochschule den Unterricht im Hauptfach übernimmt. Dies
alles geschieht in enger Abstimmung mit Eltern und allgemein bildenden Schulen,
damit die Kinder in einer gesunden, "normalen", familiären und schulischen
Umgebung aufwachsen - auch mit der Möglichkeit der Pflege von Freundschaften
und Freizeitaktivitäten. Natürlich schließt das auch so verrückte, aber hoch
motivierende Aktionen mit ein, wie sie einmal eine der jüngsten Akademistinnen
erleben durfte: in China mit Lang Lang Duo zu spielen. Mit Vergnügen! Oder in einen
Kleinbus zu einer Probe des Orchesters der Hans-Eisler-Hochchschule – in dem
Ehemalige der Jugendakademie mitspielen - mit Simon Rattle nach Berlin zu fahren,
einen gemeinsamen Workshop für neue Musik zu erleben, an einem deutsch
japanischen Jugendaustausch teilzunehmen, als Solist zur Eröffnung des
Bundeswettbewerbes Jugend musiziert in Lübeck mit dem städt. Sinfonieorchester
ein Mozart-Konzert zu spielen, ein gemeinsames Sommer-Gartenfest aller
Akademisten und vieler Lehrenden zu feiern, als Klaviertrio beim Sommerfest des
Bundespräsidenten auftreten zu dürfen, als Solisten des Barockensembles zu
Konzerten in der Deutschen Botschaft in Washington oder im Rahmen eines
Musikfestivals in Singapur weltweit unterwegs zu sein: dies sind nur einige von vielen
schönen und inspirierende Mosaiksteinen, die den exzellenten Unterricht motivierend
ergänzen.

Um bei aller Sorge um ein „gesundes“ Leben mit Familie und Schule immer wieder
deutlich musikalische Schwerpunkte setzen zu können, arbeitet die Akademie vor
allem mit solchen allgemein bildenden Schulen zusammen, die besonders begabten
Kindern und Jugendlichen dafür die notwendigen Freiräume zugestehen. Hier kann
es sich um die Freistellung vom Unterricht für die Wahrnehmung einer Hauptfach-
Stunde am Vormittag handeln (möglichst nach dem "Drehtür-Modell", damit nicht
immer die selbe Schulstunde ausfällt), oder auch um die Befreiung für mehrere Tage
zugunsten eines Meisterkurses, einer Wettbewerbsteilnahme oder Konzertreise. Die
Jugendakademie kann nur parallel zum Besuch einer allgemein bildenden Schule
besucht werden. Das bedeutet auch: Das Abitur aufzugeben für eine
hundertprozentige Konzentration auf die Musikerkarriere wird ausdrücklich
ausgeschlossen. Die an der Hochschule belegten Kurse können bei einem späteren
Musikstudium angerechnet werden.

So entscheidend, wie die gemeinsame Federführung zweier auch in ihrer


Kooperation bereits viele Jahre erfolgreicher Institute für das Gelingen der Akademie
ist, so wichtig ist eine gute Kooperation mit den Musikschulen der Region. So sind
alle Familien und Musikschulen im Raum Westfalen eingeladen, sich in Sachen
Begabtenförderung an die Jugendakademie zu wenden – und zwar ohne Sorge um
einen Verlust erfolgreicher Schülerinnen und Schüler, denn diese bleiben in der
Regel Schüler der jeweiligen Musikschule. Das kann konkret bedeuten: Sie
gewinnen dort ihre Wettbewerbe, spielen dort weiter als Konzertmeisterin im
Jugendsinfonieorchester, beleben dort das Musikschul-Leben und spornen zur
Nachahmung an. Es ist ausdrücklich vorgesehen, mit den erfolgreichen
Instrumentalpädagogen vor Ort zusammen zu arbeiten und sie weiter mit der
Betreuung zu beauftragen, um eine organische und von Vertrauen geprägte
Entwicklung zu ermöglichen.

Und: Bei allem Verständnis für die besondere Bedeutung der Motivation durch das
künstlerische Hauptfach sollte den Kindern und Jugendlichen das gesamte
künstlerische und pädagogische Spektrum der Musikberufe als attraktive Perspektive
vermittelt werden.

Akademistin Maren Paterok als Solistin des Westfälischen Jugendsinfonieorchester


mit Chaminade´s Flötenkonzert in Fresno, Kalifornien
Das Klaviertrio der Jugendakademie als Gast des Bundespräsidenten in Schloss
Bellevue
Suyoen Kim als Solistin des Westfälischen Jugendsinfonieorchester mit Sarasates
“Carmen Fantasie” auf Tour in Malaysia
Aktuelle Akademisten vor einem Konzert “Jung und wild” in der Musikhochschule

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