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Jens S. Rohark Bartusch
Poopol Wuuj
– Das Heilige Buch des Rates der K´ichee´-Maya von Guatemala
4. Auflage, 2014
ISBN 978-3-944828-01-5
© Hein-Verlag
Alle Illustrationen stammen aus der Hand des Autors
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Jens S. Rohark Bartusch
Poopol Wuuj
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Inhaltsverzeichnis
Seite
9 Vorwort
11 Die Geschichte des Poopol Wuuj
22 Anmerkung zur Interpretation
23 Kapitel 1 - Vorspruch des indianischen Erzählers
25 Kapitel 2 - Die Erschaffung der Welt
28 Kapitel 3 - Die Erschaffung der Tiere
31 Kapitel 4 - Die Erschaffung der Lehmmenschen
32 Kapitel 5 - Das Orakel
36 Kapitel 6 - Die Erschaffung der Holzfiguren
40 Kapitel 7 - Die Eitelkeit des Sieben-Papagei
42 Kapitel 8 - Die Familie des Sieben-Papagei
44 Kapitel 9 - Der Sturz des Sieben-Papagei
49 Kapitel 10 - Sipakna und die 400 Jünglinge
54 Kapitel 11 - Der Sturz des Sipakna
58 Kapitel 12 - Der Sturz des Kabraqan
65 Kapitel 13 - Die Familie des Eins-Junajpu
67 Kapitel 14 - Die Herren der Unterwelt
70 Kapitel 15 - Die Eulenboten von Xibalba
73 Kapitel 16 - Der Abstieg des Maisgottes in die Unterwelt
79 Kapitel 17 - Xkiik´ und der Xicara-Baum
89 Kapitel 18 - Xkiik´ und die Großmutter
95 Kapitel 19 - Die Geburt der Göttlichen Zwillinge
97 Kapitel 20 - Der Sturz der Affenbrüder
105 Kapitel 21 - Die Zwillinge bestellen das Maisfeld
113 Kapitel 22 - Die Boten kommen zur Großmutter
120 Kapitel 23 - Der Abstieg der Zwillinge in die Unterwelt
124 Kapitel 24 - Die ersten Prüfungen und das erste Ballspiel
132 Kapitel 25 - Weitere Prüfungen der Unterwelt
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134 Kapitel 26 - Junajpus Enthauptung
136 Kapitel 27 - Junajpus Wiedererweckung
140 Kapitel 28 - Opfertod und Wiederauferstehung der Zwillinge
144 Kapitel 29 - Das Gaukelspiel und der Sieg über Xibalba
150 Kapitel 30 - Die Offenbarung und Vergöttlichung der Zwillinge
156 Kapitel 31 - Die Erschaffung der Urväter
163 Kapitel 32 - Das Gebet an die Morgenröte
168 Kapitel 33 - Der Empfang der Stammesgötter
176 Kapitel 34 - Das Feuer des Tojiil
181 Kapitel 35 - Die Versammlung auf dem Ratsplatz
185 Kapitel 36 - Die Zuflucht der Stammesgötter
189 Kapitel 37 - Der Anbruch der Morgenröte
192 Kapitel 38 - Der Wehgesang
194 Kapitel 39 - Der Kampf der Naguale
200 Kapitel 40 - Die Versuchung des Tojiil durch die Jungfrauen
207 Kapitel 41 - Die Verschwörung der Stämme
210 Kapitel 42 - Der Sieg über die Stämme
214 Kapitel 43 - Das Vermächtnis der Urahnen
217 Kapitel 44 - Die Festungen Jakawitz und Dornenort
221 Kapitel 45 - Die Rebellion der Ilok
224 Kapitel 46 - Die Festung Faules Schilfrohr
227 Kapitel 47 - Der Glanz der K´ichee´
229 Kapitel 48 - Die Helden K´iq´ab und Kawisimaj
235 Kapitel 49 - Die Tempel der Götter
240 Kapitel 50 - Die Generationen der Kawek
242 Kapitel 51 - Die Generationen der Nimjaa´ib
244 Kapitel 52 - Die Generationen der K´ichee´
246 Bibliographie
250 Fußnoten
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Gewidmet
den anonymen Maya-Schamanen,
vor deren profunder Weisheit ich mich demütig verneige.
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Vorwort
Das Poopol Wuuj ist weit mehr als ein Buch. Das Buch des Poopol Wuuj ist
nur eine Ausdrucksform einer jahrtausendealten mündlichen Tradition vieler
Mayavölker. Das Buch des Poopol Wuuj ist ein Poem, ein wahres Gedicht,
denn in verdichteter, in konzentrierter Form drückt es das kollektive
Bewusstsein der Mayavölker, insbesondere der K´ichee´-Maya, aus. In
reichhaltiger Symbolsprache demonstriert das Poopol Wuuj die beein-
druckende Überlegenheit einer holistischen und harmonischen Mythischen
Geschichtsschreibung im Gegensatz zu einer fragmentierten, widersprüch-
lichen Wissenschaftlichen Geschichtsschreibung.
Das Poopol Wuuj ist mehr als ein Juwel der Menschheitsliteratur. Es ist ein
Universum für sich.
Die vorliegende Übersetzung ist ein Versuch, der Bedeutung dieses wich-
tigen Werkes endlich gerecht zu werden. Die ersten Übersetzungen des
Poopol Wuuj sind sehr mangelhaft gewesen, aus Gründen unzureichender
Kenntnisse der Sprache, der Grammatik, der Geschichte und der Mythologie
der Maya. Im Laufe der Zeit hat sich die Qualität der Übersetzungen immer
mehr verbessert (abgesehen von solchen, die nicht aus dem K´ichee´, son-
dern von einer anderen Übersetzung, wie aus dem Spanischen oder Französi-
schen, angefertigt wurden). Heute ist die internationale, interdisziplinäre
Maya-Forschung so weit fortgeschritten, dass wir endlich eine Interpretation
des Buches des Rates anbieten können, die praktisch frei von, auf jeden Fall
groben, Übersetzungsfehlern ist. Die weißen Flecken sind verschwunden;
heute geht es nur noch um Feinheiten.
Eine Übersetzung des Poopol Wuuj ist heutzutage natürlich keine Leistung
einer Einzelperson mehr. An dieser vorliegenden Übersetzung waren mehr
oder weniger direkt die folgenden Personen beteiligt: Francisco Ximénez,
Brasseur de Bourbourg, Walter Lehmann, Eduard Seler, Leonhard Schultze-
Jena, Adrian Recinos, Allen Christenson, Dennis Tedlock, Sam Colop,
Linda Schele, Nikolai Grube, Michael Dürr, der Schamane Grauer Coyote
und viele andere mehr, vor allem viele K´ichee´-Maya in Santa Cruz del
Quiche´ sowie Chichicastenango. Allen ihnen verdanken wir die vorliegende
Übersetzung.
Jens Rohark
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Maya in Chichicastenango
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Die Geschichte des Poopol Wuuj
Die Maya von Mesoamerika haben eine der faszinierendsten Hochkulturen
unseres Planeten hervorgebracht. Ihre Anfänge gehen auf etwa 3000 vor
Christus zurück, was sich interessanterweise mit den eigenen Angaben der
antiken Maya deckt, denn diese legten den Tag der letzen Weltschöpfung auf
den 13. August 3114 vor Christus fest. Die erstaunliche Entwicklung, die sie
vollzogen, reicht von der dörflichen Agrargemeinschaft bis zur hoch-
entwickelten Stadtkultur. Ihre Blütezeit dauerte eintausend Jahre lang, von
etwa 100 vor Christus, wie wir anhand der neuesten sensationellen Funde
von San Bartólo sehen können, bis etwa 900 nach Christus, als sich durch
verschiedene Faktoren, die letztendlich auf Übervölkerung zurückzuführen
sind, der große Kollaps der klassischen Mayakultur ereignet. Dieser Kollaps
war ein langfristischer Prozess, der bereits um 761 nach Christus mit der
Zerstörung der Stadt des Neuen Motul und der Niederlage des Königs
K´awiil Chan K´inich seinen Anfang nahm. 1 In der klassischen Periode war
das Mayagebiet in etwa 60 Stadtstaaten zersplittert. Jeder Stadtstaat wurde
von einem Gottkönig, einem „göttlichen Herren“ regiert, der über Mais-
bauern, Handwerker, Kaufleute, Krieger, Priester und Adlige herrschte.
Dabei regierte er nicht nur als weltliches Oberhaupt, sondern auch als
oberster Schamane. Zu Ehren der Götter ließ er von seinen Untertanen gött-
liche Landschaften nachgestalten, beauftragte Pyramiden als künstliche
Berge, Tempel als künstliche Höhlen, Plazas als künstliche Seen, Stelen als
künstliche Bäume und Ballspielplätze als künstliche Schluchten. Diese Bau-
werke zu Ehren der Götter dienten ihm und seinen Hohepriestern als Schau-
plätze für öffentliche Rituale, wo er in allen wichtigen Zeremonien als
Mittler zwischen den Menschen und den Göttern wirkte, denn als spirituelles
Oberhaupt trug er die Verantwortung, mit seinen Tänzen, Gebeten und Blut-
opfern das Wohlergehen der Gemeinschaft zu sichern. Nicht nur der Raum
war den Maya heilig, sondern auch die Zeit. Bei allen Ritualen ließ man sich
leiten vom Ablauf der heiligen Tage, wählte gewissenhaft den günstigsten
Augenblick. Als der Herrscher Schlangen-Jaguar von der Stadt des Großen
Wassers sechs Jahre nach seiner Krönung, am 23. Juli 690 nach Christus im
gregorianischen Kalender, drei Tempel einweihte, standen der Mond,
Jupiter, Saturn und Mars sehr eng beieinander, ein Ereignis, das sich in der
gesamten klassischen Mayageschichte nur zweimal ereignete, 690 und 828
nach Christus.2 Der Jupiter befand sich dabei am zweiten stationären Punkt,
also genau an der gleichen Stelle wie sechs Jahre vorher, als der Herrscher
gekrönt wurde. Die drei Tempel waren dem Zeptergott mit dem Schlangen-
fuß K´awiil und den Zwillingen Jun Ajaaw und Yax Balam gewidmet. Diese
Götter begegnen uns wieder im Poopol Wuuj als Stammesgott der K´ichee´
Tojiil und als die Göttlichen Zwillinge Junajpu und Xbalanq´e.
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Den Mayakönig finden wir auf vielen Mayastelen dargestellt in der Gestalt
des Maisgottes. Dabei stellte er gemeinsam mit den Priestern und seinen
Untertanen Szenen aus dem Schöpfungsmythos und der Evolution des
Mayavolkes dar, so wie sie im Poopol Wuuj, im Heiligen Buch des Rates,
erzählt werden. Der Herrscher ist auf Stelen auch bei der Maisaussaat zu
sehen, deren Termine von den Kalenderpriestern berechnet und dem Volk
mitgeteilt werden. Diese Berechnungen beruhen auf jahrhundertelanger
Beobachtung und Erfahrung. Die Ergebnisse der Beobachtung werden mit
Hieroglyphen in den Heiligen Büchern festgehalten. Diese Bücher kennen
wir heute als Codices. Von vielen hunderten Codices sind nur noch drei
Mayacodice erhalten, die wir als Dresdener, Madrider und Pariser Codex
kennen. Der angebliche vierte Mayacodex, bekannt als Grolier Codex, hat
sich als Fälschung entpuppt. Diese Codexe enthalten die Rechentafeln der
Kalenderpriester, um die guten und unheilvollen Tage zu berechnen, sowie
Finsternisse und Venuspositionen vorherzusagen. Ebenso enthielten sie
historische Ereignisse, Biografien, Landkarten, Zeichnungen von Heil-
pflanzen und vieles mehr. Einige Codices enthielten Szenen der Schöpfungs-
geschichte, vielleicht sogar das komplette Poopol Wuuj. Diese Codices sind
nicht mehr erhalten, teilweise durch das feuchte Klima, durch kriegerische
Ereignisse, sowie durch die Zerstörungswut der katholischen Kirche, die in
diesen Handschriften Zeugnisse heidnischer Religion sah und versuchte,
diese auszumerzen, wie wir im „Bericht von Yucatán“ nachlesen können, wo
Diego de Landa selbst beschreibt, wie er die Codices verbrannt hat. Infolge
der Verfolgungswut der katholischen Kirche gerät die Hieroglyphenschrift
der Maya bald in Vergessenheit. Die spanische Sprache und die lateinischen
Buchstaben werden unterrichtet, um die eroberten Maya zum katholischen
Glauben zu erziehen. Die indianischen Sprachen durch die spanische zu
ersetzen erweist sich als ein nahezu aussichtsloses Unterfangen. Es ist
einfach unmöglich, Millionen von Maya im Spanischen zu unterrichten, aber
viel leichter ist es für die Maya, die lateinische Buchstabenschrift zu er-
lernen, denn das sind ja nicht viele Zeichen. Das führt nun dazu, dass einige
Maya anfangen, Teile ihrer antiken Geschichte und Mythologie in ihrer
Mayasprache, aber in lateinischen Buchstaben aufzuschreiben.
Die antike Hieroglyphenschrift war in Vergessenheit geraten, war außerdem
nur der Eliteschicht bekannt gewesen, und nicht zuletzt mit über 1000
Zeichen ziemlich kompliziert gewesen. Die Buchstabenschrift konnte jeder
schnell erlernen, und so entstehen eine Reihe von Manuskripten. In Yukatán
sind es zum Beispiel die Libros de Chilam Balam „Bücher des Jaguar-
propheten“, die anschließend immer wieder kopiert werden. Viele Manu-
skripte werden geheimgehalten.
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Seiten 4 und 5 des Dresdener Mayacodex. Zeichnung des Autors.
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Kaqchikeles. Das vollständigste und beeindruckendste Werk aber stellt ein
Manuskript dar, das sehr wahrscheinlich unter Beteiligung eines adligen
K´ichee´s namens Juan Cortés entstanden ist. Er war ein Adliger vom Range
eines Aj Poop K´aam Jaa, das heißt, er war ein „Herr der Matte des
Empfangshauses“. Als solcher hatte er das Recht, Tribute einzusammeln.
Nach der Konquista bemühte er sich ständig darum, die antiken Rechte der
ehemaligen Herren der K´ichee´ wieder herzustellen. Diese Bemühungen
führten ihn 1557 bis nach Spanien. Wir können davon ausgehen, dass er sich
nicht mit leeren Händen auf die Reise machte, sondern ein Dokument
mitnahm, um seine Ansprüche zu rechtfertigen. Dieses Dokument war
wahrscheinlich das gleiche Manuskript, das wir heute als Poopol Wuuj
kennen, denn darin wird die gesamte Geschichte des K´ichee´-Volkes
erzählt. Das Poopol Wuuj endet mit den Königslisten der drei Hauptstämme
der K´ichee´: der Kaweq, der Nimjaa´ib und der K´ichee´ Ajaaw. Darunter
taucht auch der Name des Juan Cortés auf (Kapitel 50):
Wir können also davon ausgehen, dass das Poopol Wuuj vor 1557 ent-
standen ist. Die letzten erwähnten Herrscher geben weitere Anhaltspunkte
zur Datierung dieser Handschrift. Das Poopol Wuuj erwähnt Pedro de
Robles vom Hauptstamm der Nimjaa´ib als „Königlichen General“ (Kapitel
51):
14
Sein Vorgänger war aber noch 1554 im Amt, so dass das Poopol Wuuj erst
später entstanden sein kann. Als wahrscheinlichstes Datum für die Nieder-
schrift des Poopol Wuuj ergibt sich das Jahr 1556. Ein gewisser Diego
Reynoso, den Schultze-Jena und Gerdt Kutscher (siehe Edward Seler) als
Autor des Poopol Wuuj angeben, kommt mit Sicherheit nicht in Frage, denn
ein Vergleich des Poopol Wuuj-Manuskripts mit seinen Werken zeigt, dass
gewisse Unterschiede in der Orthographie zu groß sind, als dass diese Werke
aus einer Feder stammen könnten, außerdem legte Diego Reynoso immer
Wert darauf, seinen Namen als Autor anzugeben. Dieser Diego Reynoso war
Mitverfasser des Título de los Señores de Totonicapán. Dort nennt er sich
Sohn von Zehn Erdbeben sowie als Poopol Winaaq.
Das originale Manuskript des Poopol Wuuj ist verschwunden. Möglicher-
weise befindet es sich immer noch in einer Familie ehemaliger Adliger der
K´ichee. Wahrscheinlich enthielt es weder eine Jahreszahl noch einen
Namen eines Autors. Letzteres kann darauf zurückzuführen sein, dass ein
anonymes Dokument eher als offizielles Dokument anerkannt werden
würde, als wenn der Name eines Zeremonienmeisters oder Herren der Matte
des Empfangshauses als Autor angegeben worden wäre. Ein anderer Grund
kann sein, dass Erzähler und Schreiber des Manuskripts nicht dieselbe
Person sind. In allen Büchern lese ich immer, dass irgendein kundiger Maya
das Poopol Wuuj aufgeschrieben hätte. Tatsächlich aber halte ich das für
wenig wahrscheinlich. Aus der Natur der Fehler, die im Manuskript auf-
tauchen, schließe ich, dass sie nicht Kopierfehler von Ximénez sind, sondern
„Hörfehler“. Wenn man selber aufschreibt, was man weiß, dann macht man
andere Fehler als wenn man aufschreibt, was einem jemand anderes erzählt.
Ich bin mir sicher, dass im Falle des Poopol Wuuj ein adliger Maya, ent-
weder ein Zeremonienmeister oder ein anderer Geschichtenerzähler, die
Geschichte erzählt hat, und eine andere Person, die vor kurzen die
lateinische Schrift erlernt hatte, das Manuskript anfertigte. Ob die Initiative,
die Erzählung des Poopol Wuuj aufzuschreiben, vom Schreiber oder vom
Erzähler ausging, ist schwer zu sagen. Vielleicht von keinem von beiden,
denn eine weitere Möglichkeit ist, dass hier drei Personen beteiligt waren.
Die immer knapper werdende Ausdrucksweise gegen Ende des Manuskripts
weist darauf hin, dass der Erzähler nicht die nötige Initiative zeigte, alles
komplett aufzuschreiben. Das würde ihn als Initiator des Unternehmens
ausschließen. Da der Anlass zum Aufschreiben des Manuskripts wahr-
scheinlich von einem Adligen ausging, um legale Ansprüche geltend zu
machen, nehme ich folgendes Szenario an: Juan Cortés, Herr der Matte des
Empfangshauses der Nimjaa´ib, sucht einen Schreiber, der die neue
lateinische Schrift gelernt hat, und sucht mit ihm einen Zeremonienmeister
oder mehrere Zeremonienmeister auf, damit sie die Erzählung des Poopol
Wuuj gemeinsam zu Papier bringen. Der Name eines Zeremonienmeisters
der Kaweq ist überliefert: Cristóbal Velasco. Er war Zeremonienmeister der
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Kaweq seit 1554. Nach der Niederschrift nimmt Juan Cortés das Manuskript
an sich, lässt sehr wahrscheinlich eine Sicherheitskopie anfertigen, die er mit
nach Spanien nimmt. Das Original wird heute noch in einer K´ichee´-Maya
Familie wie ein Schatz gehütet.
Die adligen K´ichee´ zogen nach der Zerstörung ihrer Hauptstadt Q´uma´raq
Aj „Faules Schilfrohr“, von den Azteken später Utatlán genannt, nach
Chichicastenango. Und das ist genau der Ort, wo die mysteriöse Geschichte
des Poopol Wuuj seinen weiteren Verlauf nimmt.
Nicht nur die Maya schreiben Manuskripte über ihre Geschichte, sondern
auch die spanischen Priester beginnen, die Einheimischen zu befragen und
Teile ihrer Geschichte aufzuschreiben. Nachdem während der Eroberung der
Maya anfänglich alle Tempel und heiligen Codices vernichtet werden,
empfinden die Mönche und Priester des 17. und 18. Jahrhunderts ein
gewisses Vakuum, was die Geschichte des eroberten Landes anbelangt, und
eine größer werdende Neugier macht sich breit, die einige Missionäre sogar
veranlasst, die Einheimischen zu ermutigen, ihre Geschichte aufzuschreiben,
nicht ohne teilweise starken Widerspruch einiger Kirchenoberhäupter.
Nachdem die Missionare einige Jahre bei den Maya gelebt haben, erlernen
viele von ihnen, mehr oder weniger gut, die Sprachen der Maya, in Yukatán
war es Yukatekisch-Maya, oder in Guatemala K´ichee´-Maya oder Tz´utujil
oder Kaqchikel oder eine andere von den etwa 30 Mayasprachen, die zur
Zeit der Konquista gesprochen wurden, fälschlicherweise auch heute noch
oft als „Dialekte“ bezeichnet.
Einer der sprachlich begabteren Missionare war der Padre Francisco
Ximénez vom Orden de Santo Domingo. Im Jahre 1688 kam er als 22-
jähriger „mit einer Schiffsladung von Klerikern“, wie er selbst sagt, in die
Neue Welt. Dort erlernte er verschiedene Mayasprachen, vor allem K´ichee´,
Tz´utujil und Kaqchikel. Im Jahre 1701 wurde er als Parochial nach Santo
Tomás Chuilá, das heutige Chichicastenango, versetzt, wo er bis 1703
weilte.
Ximénez war ein frommer Katholik. Aber er war kein Fanatiker, sondern
von Natur aus neugierig und strebsam. Er lebt sich ein in seiner neuen
Heimat, und empfindet eine große Genugtuung, die einheimischen Sprachen
immer besser zu verstehen. Stolz schreibt er in seiner gegen 1722
vollendeten Historia de la Provinçia de San Vicente de Chiapas y
Gvatemala, im Kapitel XXV des ersten Buches, dass er durch Fleiß und
Studium die K´ichee´-Sprache besser verstehen gelernt habe als jeder
anderer und sein von Gott gegebenes Talent nicht zu verstecken wünsche. Er
lobt auch die K´ichee´-Sprache, dass sie so harmonisch und exakt sei, um die
Dinge dieser Welt so treffend zu beschreiben. Eifrig macht er Notizen, denn
er entwickelt einen immer größer werdenden Ehrgeiz, Wörterbücher,
Grammatiken und Geschichtsbücher zuschreiben. Sie sollen der katholischen
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Kirche dienen, die Geschichte und den Charakter der Einheimischen besser
zu verstehen, um sie umso erfolgreicher und schneller missionieren zu
können. Unbewusst vielleicht entwickelt Ximénez eine gewisse Be-
geisterung für die Kultur der Einheimischen. Er zeigt eine gewissen Nach-
sicht mit ihnen und lässt vielleicht einige Sachen durchgehen, die andere
Missionare als heidnisches Gedankengut den Kirchenoberen gemeldet
hätten. Vor allem aber seine Begeisterung für alte Handschriften fällt den
K´ichee´-Maya auf, die immer mehr das Gefühl bekommen, dass sie ihm
vertrauen können. Schließlich passiert das Unfassbare: sie zeigen ihm eines
ihrer wichtigsten Manuskripte, weil sie sich sicher sind, dass er die
Bedeutung dieses Dokumentes besser ermessen kann als jeder andere.
Dieses Manuskript ist das Heilige Buch des Rates, das Poopol Wuuj.
Ximénez ist begeistert von dieser Handschrift, denn auf mysteriöse Weise ist
auch hier von der Weltschöpfung, von der Sintflut, und von einer Meeres-
überschreitung die Rede, was ihn unweigerlich an die Überschreitung des
Roten Meeres durch die verlorenen Stämme Israels erinnert. Er weiß nicht,
was er davon halten soll, er weiß nur, dass er diese mysteriöse Handschrift
studieren muss. So bittet er die K´ichee´-Maya, diese Handschrift kopieren
zu dürfen. Die K´ichee´-Maya geben das Manuskript nie aus der Hand. Doch
sie erlauben Ximénez, eine Abschrift zu machen, wobei sie ihn die ganze
Zeit bewachen. Nach Ende der Abschrift muss Ximénez das Original
zurückgeben. Ximénez schreibt den K´ichee´-Originaltext in der linken
Spalte. In der rechten Spalte schreibt er später seine eigene Übersetzung.
Seinem Manuskript gibt er die Überschrift:
Der Text des Poopol Wuuj füllt bei Ximénez 56 Blätter. Diese Handschrift
reiht er einem anderen Werk ein, der später entstandenen Arte des las tras
lengvas εaεchiquel, qviche y g,vtvhil.3
Die Historia und die Arte des Ximénez ruhten nun unbeachtet im Archiv des
Convento de Santo Domingo.
Als die mittelamerikanischen Befreiungskriege ausbrechen, werden viele
Klöster geschlossen. Die Handschriften des Ximénez gelangten dadurch
1830 in die Bibliothek der San Carlos-Universität von Guatemala.
Von 1853 bis 1854 war Dr. Carl Scherzer aus Wien in Guatemala, auf der
Suche nach den drei Bänden der Historia de la Provinçia de San Vicente de
Chiapas y Gvatemala. In der Universitätsbibliothek fand er nur den dritten
Band, jedoch verhalf ihm ein gewisser Don Juan Gavarrete zu einem noch
viel wichtigeren Fund. Gemeinsam stießen sie auf die Arte des Ximénez, die
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das Poopol Wuuj enthielt. Scherzer fertigte eine Kopie vom Poopol Wuuj
an, und veröffentlichte den spanischen Text im Jahre 1857 in Wien unter
dem Titel Las Historias del orígen de los indios de esta provincia de Guate-
mala. Dieser Text war nur in Spanisch, nicht zweisprachig, wie Carmelo
Sáenz de Santa María fälschlicherweise schreibt. 4 Ein weiterer Fehler bezüg-
lich dieser Ausgabe ist bei Gerdt Kutscher zu finden, der im Vorwort zu
Selers Übersetzung schreibt, Carl Scherzer hätte die „freiere spanische
Fassung des Ximénez“5 veröffentlicht. Er bezieht sich hiermit auf eine
zweite Fassung des Poopol Wuuj, die Ximénez selbst angefertigt hat. In
dieser zweiten Fassung verbessert er die spanische Version, da die erste
Fassung sehr eng an die Struktur der K´ichee´-Sprache angelehnt ist, aber
dadurch oft ungeschickt im Spanischen klang. Gleichzeitig kürzt er viele
Stellen, von denen er meint, dass sie für den spanischsprachigen Leser zu
langatmig seien. Zum Teil lässt er ganze Absätze weg. Diese freiere Version
fügt Ximénez ohne den K´ichee´-Originaltext dem ersten Band seiner
Historia ein. Das war genau der Band, den Scherzer vergebens suchte. Somit
ist klar, dass Scherzer diese Version nicht veröffentlicht hat. Carl Scherzers
Veröffentlichung brachte noch keinen großen Erfolg ein. Das lag einerseits
an den vielen Fehlern, die sich durch falsche Abschreibung, falsche Inter-
pretation von Abkürzungen im Manuskript des Ximénez sowie durch Druck-
fehler eingeschlichen hatten, sowie andererseits an dem nichtssagenden
Titel. Erst der illustre Abbé Charles Etienne Brasseur de Bourbough war so
clever, dem antiken Manuskript den prägnanten Titel „Popol Vuh“ sowie
„Heiliges Buch der Maya“ zu verleihen. Der Name „Popol Vuh“, oder
„Poopol Wuuj“ in moderner Orthographie, stammt aus dem erwähnten
Manuskript selbst, denn dort wird es als Buch des Rates, als Buch der
Priester und Könige der Maya erwähnt. Das Wort „wuuj“ bedeutet „Papier-
blatt“, „Codex“ oder „Buch“, wobei es natürlich keine gebundenen Bücher
wie in Europa gab. Das Wort „poop“ bedeutet „Thronmatte“ im engeren
Sinne, im weiteren Sinne „Thron“, „Ratsversammlung“, „Regierung“. Das
Wort „poopol“ wäre das entsprechende Adjektiv, zusammen mit „wuuj“ also
„das Buch des Rates“ oder „der Codex der Ratsversammlung“. Nur der
Ausdruck „pop vuh“, den man gelegentlich sieht, wäre „der Rat des
Buches“, würde also den Sinn verstellen. Es war also eine gute Idee des
Bourbough, der Handschrift „Empiezan las historias del origen de los indios
...“ den Namen „Popol Vuh“ zu geben.
Nach der Übersetzung des Poopol Wuuj ins Französische wurden mehrere
Dutzend Übersetzungen von verschiedenen Autoren angefertigt; nicht alle
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haben sich dabei die Mühe gemacht, aus der originalen K´ichee´-Sprache zu
übersetzen, auch wenn sie mitweilen diesen Anschein gegeben haben. Unter
den bedeutenden Übersetzungen sind die deutsche Version von Dr.
Leonhard Schultze-Jena zu nennen, die 1944 erschien, sowie die spanische
Version von Adrian Recinos, die 1947 veröffentlicht wurde. Die bisher beste
englische Übersetzung stammt von Dennis Tedlock, dessen erste Fassung
1985 erschien, allerdings ohne Originaltext. Ebenfalls einen Meilenstein in
der Poopol Wuuj-Forschung stellt die von Luis Enrique Sam Colop nur in
K´ichee´-Sprache veröffentlichte, in die moderne Orthographie übertragene,
Version „Popol Wuj – versión poética K´ichee´“ dar, veröffentlicht mit
Unterstützung der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GTZ. Die
von der Academia de Lenguas Mayas de Guatemala ALMG unter Mithilfe
des Übersetzers Gaspar Tambriz Gómez veröffentlichte K´ichee´-Version
dagegen enttäuscht sehr, nicht durch die Anpassung an die moderne
K´ichee´-Sprache, denn dagegen ist nichts zu sagen, sondern durch die
Verstümmelung des Originaltextes, die auf fehlendes sprachliches Ver-
ständnis, so komisch das klingen mag, da es sich ja hier um Muttersprachler
handelt, zurückzuführen ist, sowie auf Unkenntnis der mythologischen
Symbolsprache der antiken Maya. Die Übersetzungen leiden natürlich alle
darunter, dass die Verfasser des originalen Manuskriptes des 16. Jahr-
hunderts, die ihr Werk unter Zeitdruck sowie unter Bedrohung religiöser
Verfolgung verfassten, der Phonetik nicht die nötige Aufmerksamkeit
schenkten, das heißt, vor allem der Unterscheidung der vier verschiedenen
Laute, die wir heute mit k, k´, q und q´ umschreiben, nicht die gebührende
Beachtung geschenkt hatten, was uns heute große Schwierigkeiten
verursacht. Zum Beispiel kann der Buchstabe c des antiken Manuskripts für
alle vier Laute stehen. Um ein kleines Beispiel zu geben, sei hier eine kurze
Wortliste nebst Übersetzung aufgeführt:
kaq = rot
k´ak´ = neu
kak´ = ihr Huhn
kaq = ihre Schweine
kaq´ = ihre Zungen
q´aq´ = Feuer
k´aq = Fliege
qak´ = unsere Hühner
qaq = unsere Schweine
qaq´ = unsere Zungen
20
Wenn ich alle diese Wörter mit cac wiedergebe, so kann das wohl ein paar
Verwirrungen auslösen! Es bleibt daher zu wünschen, dass sich die besten
Experten der K´ichee´-Sprache und der Maya-Mythologie zusammensetzen,
um eine fehlerlose Version des Heiligen Buches der Maya in Original-
sprache zu verfassen, die ja eine Voraussetzung für eine fehlerlose
Übersetzung ist. Das Poopol Wuuj ist eine der größten und beein-
druckendsten Schriften der Menschheit, daher gebührt diesem Werk die
allergrößte Aufmerksamkeit.
J.S.R.B.
21
Anmerkung zur Interpretation
J.S.R.B.
22
Kapitel 1 - Vorspruch des indianischen Erzählers
Are uxee´ ojer tziij Dies hier ist der Anfang der alten Kunde
waraal des antiken Guatemala,
K´ichee´ ub´ii´. des Ortes der vielen Wälder, K´ichee´ genannt. 7
Wa´e xchiqatz´iib´aj chi upaam Wir schreiben dies nun schon inmitten
chik uch´aab´äl Dios, der Predigt des Christengottes, 12
pa Christianoil chik. schon in der Zeit des Christentums.
23
K´oo naab´ee wujiil, Wohl gibt es noch den originalen Codex,
ojer tz´iib´aam puch, wie er in alter Zeit geschrieben wurde,
xa ewal uwäch iilol re, doch verborgen ist er dem Blick des Suchenden,
b´isol re. des Forschenden.
Nim upe´oxik, Großartig fürwahr war die Beschreibung, 16
utziijoxik puch, die Kunde,
ta chi k´ïs tz´uk ronojeel kaaj, wie alle Seiten erschaffen wurden, im ganzen Himmel
uleew: und auf der ganzen Erde,
15
ukaj tz´ukuxik, ukaj xukutaxik, die vier Seiten, die vier Ecken,
retaxik, ukaj che´xik; gemessen, und viermal abgesteckt.
umej k´a´maxik, uyuuq k´a´maxik Halbiert wurde die Schnur, gestreckt wurde die Schnur,
upa kaaj, upa uleew; im Himmel, und auf Erden.
kaj tz´uk, kaj xukut, Vier Seiten und vier Ecken wurden vermessen,
chuchaa´xik so heißt es,
rumal ri Tz´aqool, B´itool; durch die Schöpferin und den Former,
uchuuch, uqajaaw Mutter und Vater
k´asleem, winaqireem, des Lebens und der Menschenschöpfung,
ab´aneel, k´uxla´neel; durch den Schöpfer der Seele und der Vernunft,
alay reech, k´uxla´ay reech welche den Söhnen und Töchtern des Lichts 18
saqil amaq´il; die Existenz schenken
saqil aal, saqil k´ajool;17 und sie zur Erleuchtung führen,
ajb´iis, durch den Weisen,
ajna´ooj chi reech ronojeel ata k´ool durch den, dem alles offenbart ist was existieren möge,
wi kaaj-uleew, im Himmel und auf Erden,
chöö-päloo. in den Seen und in den Meeren.
JR: Xmukane ist eine Göttin, auch Frau Jagendes Opossum genannt.
Xpiyakok ist ein Gott, auch Herr Jagender Coyote genannt. Beide sind
Schöpfergötter.
JR: Damit ist die Laguna de Terminos in Mexiko gemeint, wo die Urväter
der K´ichee´ auf ihrer Wanderung vorbeikamen.
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Kapitel 2 - Die Erschaffung der Welt
Are utziijoxik wa´e: Dies ist die Kunde, hier ist sie:
k´ä katz´ininoq, Noch regt sich nichts,
k´ä kachamamoq, nur ein Flüstern ist es,
katz´inonik, ein Rascheln,
k´ä kasilanik, nur ein Atemhauch,
k´ä kalolinik, 19 nur ein Summen;
katölona puch upa kaaj. und leer ist der Raum unter dem Himmel.
Mawi q´aalaaj uwäch uleew, Noch ist das Antlitz der Erde nicht enthüllt.
xa utukeel remanik päloo Nur das sanfte Meer ist da,
upa kaaj, ronojeel. unter des Himmels weitem Raum.
Ma jab´i naki la´ kamolob´ik, Da ist noch nichts versammelt.
kakotz´ob´ik, Noch ruht es,
jun ta kasilob´ik, kumal kab´an taj, nichts regt sich oder bewegt sich.
k´ä kotz´ kab´an taj pa kaaj: Noch herrscht Ruhe im Himmel.
xa ma k´oo wi naki la´ k´oolik yakalik, Noch ist nichts aufgerichtet worden.
xa remanik jaa´, Da ist nur das stille Wasser,
xa li´anik päloo, xa utukeel remanik. das sanfte Meer, vollkommen still.
Xa ma k´oo wi naki la´ lo k´oolik; Da existiert nichts weiter.
xa kachamanik, katz´ininik Unbeweglich und still ist es in der Finsternis,
chi q´eequ´m, chi aq´aab´. in der Nacht.
Xa utukeel ri Da sind allein
Tz´aqool, B´itool, die Schöpferin und der Former,
Teepew Q´uukumätz, und die Prächtige Gefiederte Schlange,
ee Aloom, ee K´ajoloom sowie die Gebärerin und der Erzeuger;
k´oo pa jaa´ saqte´toj ee k´oo wi. im Wasser sind sie, umflossen von Licht.
Ee muqutal pa q´uuq´, pa räxoon; Sie sind umgeben von blaugrünen Federn,
are ub´ina´m wi ri Q´uukumätz. darum sagt man Gefiederte Schlange.
Ee nimaa´q eeta´maneel, Große Weisheit
ee nimaa´q ajna´ooj chi kik´oje´ik. und großes Denken ist ihr Wesen.
K´eje k´ut xax k´oo wi ri kaaj Da war also der Himmel,
k´oo wi nay puch Uk´u´x Kaaj, und auch das Herz des Himmels.
are ub´ii´ ri kab´awiil. Chuchaa´xik. So ist der Name dieses Gottes. So wird berichtet.
„Are ri ja´ chel taj, chi jama´ taj! „Möge das Wasser weichen und Raum geben!
Chiwinaqir wa uleew, Möge die Erde emporsteigen
ulaaqel ta k´u riib´ ch´ata k´ut! und sich ausbreiten!
Ta chawäxoq, ta saqiroq Möge die Aussaat und die Lichtwerdung
kaaj, uleew! in Himmel und Erde stattfinden!
Ma ta k´ut uq´iijilab´äl, Doch es wird keine heiligen Tage
uq´aalajib´ääl ri qatz´aaq, und keine Verehrung für unsere Schöpfung,
ri qab´iit, für unsere Formung geben,
ta winaqiroq: winaaq tz´aaq, bis der Mensch erschaffen sein wird,
winaaq b´iit!” bis der Mensch geformt sein wird.“
xechaa´ k´ut. So sprachen sie.
Ta xwinaqir k´u ri uleew kumal. Und dann erschufen sie die Erde.
Xa kitziij xk´ooje wi uwinaqirik. Nur durch ihr Wort kam sie zum Vorschein.
Chiwinaqir uleew: So stieg die Erde empor:
Naab´ee k´ut xwinaqir uleew, Zuerst erschuf man also die Erde,
juyuub´-taq´aaj. die Berge und die Täler.
Xch´ob´och´ox ub´ee jaa´: Der Weg des Wassers wurde geteilt.
xb´inije´ik k´oole Viele Flüsse und Bäche formten sich,
je raqan xo´l taq juyuub´ als das Wasser die Hügel umspülte;
xa ch´ob´ol chik xek´oje wi jaa´ und es verteilte sich,
ta xk´utunije´ik nimaa´q juyuub´. als die großen Berge erschienen.
K´eje k´ut uwinaqirik uleew ri, So geschah die Schöpfung der Erde,
ta xwinaqirik als sie enthüllt wurde
kumal ri Uk´u´x Kaaj, Uk´u´x Uleew. durch das Herz des Himmels und das Herz der Erde,
Ke´uchaa´xik. wie sie genannt werden.
Ri´ k´ut ee naab´ee xkino´jij, Denn das war das Erste, was sie erdacht hatten.
xk´oolo wi ri kaaj, Der Himmel war da,
xk´oolo nay puch uleew aber dann auch die Erde,
chi upaam jaa´. inmitten des Wassers.
K´eje k´ut uno´jixik ri, Auf diese Weise wurde sie durch sie erdacht,
ta xkino´jij, nachdem sie überlegt hatten,
ta xkib´isoj rutzinik, nachdem sie sich gesorgt hatten über ihr Werden,
ub´anatajik, kumal. und ihre Vollendung.
JR: So ist es! So ist ja auch sein Name: jun-raqan, das heißt: „ein-Bein“.
JR: So ist es! Das Wort Hurricane oder Orkan kommt aus dem K´ichee´-
Maya, das heißt „der Einbeinige Wirbelwind“.
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Kapitel 3 - Die Erschaffung der Tiere
Ta xkino´jij chik uchiköpil juyuub´, Dann erdachten sie die Tiere der Berge,
chajaal re k´iche´laaj, die Wächter der Wälder,
ronojeel uwinaqiil juyuub´: aller Bewohner der Berge:
ri keej, tz´ikiin, die Rehe, die Vögel,
kööj, b´aaläm, die Pumas, die Jaguare,
kumätz, Schlangen,
sochoj, k´anti´, Klapperschlangen und Giftnattern,
chajaal k´a´aam. als Wächter der Gebüsche.
Kachaa´ ri Aloom, K´ajoloom: Denn es fragten sich die Gebärerin und der Erzeuger:
Ta xkino´jij, xkitziijoj puch; Als sie dies erwägten und ihr Wort erhoben,
jusuk´ xwinaqir keej, tz´ikiin. waren augenblicklich Hirsch und Vogel erschaffen.
Ta xkisipaj k´ut rochooch Und einem jeden wiesen sie seine Wohnstatt zu,
keej, tz´ikiin: sowohl dem Hirsch als auch dem Vogel.
Ta xkich´ik k´ut kochooch Und dann gaben sie auch ihre Wohnstätten
ch´uti tz´ikiin, nima tz´ikiin: den kleinen Vögeln und den großen Vögeln.
Ta xe´uchaax chi k´ut ri keej, tz´ikiin; Und dann sprachen die Schöpferin und der Former,
rumal Tz´aqool, B´itool, die Gebärerin und der Erzeuger
Aloom, K´ajoloom: zu Hirsch und Vogel:
Ta xkita´ ri Tz´aqool, B´itool, Als die Schöpferin und der Former hörten,
mawi mixutzinik, dass es nicht gut geworden war,
mixech´aawik. dass sie nicht gesprochen hatten,
Xechaa´ chik chi kib´il kiib´: sagten sie zueinander:
„Mawi mixutzin ub´ixik qab´ii´; „Sie können uns nicht bei unseren Namen nennen,
rumal oj kajtz´aaq, oj pu kajb´iit: wo wir doch ihre Schöpferin und ihr Former sind!
mawi utz!“ Das ist nicht gut!“
xechaa´ chik chi kib´il kiib´ sagten sich zueinander
ri Aloom, K´ajoloom. die Gebärerin und der Erzeuger.
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Xe´uchaax k´ut: Und sie sagten ihnen:
„Xa kixjalatajik „Wir werden Euch ersetzen,
rumal mawi mixutzinik, da es nicht gut geworden ist,
mawi mixixch´aawik. da Ihr nicht gesprochen habt!
Mi k´u xqajaal qatziij; Wir haben unseren Sinn geändert:
iwechaa´, ik´uxun; Eure Nahrung, Euer Gras,
iwarab´äl, iyakalib´äl; Eure Schlafplätze und Eure Wohnstätten
ri weech sollt Ihr haben,
wi mixe´uxik siwaan, k´eche´laaj in den Schluchten und Wäldern,
rumal mawi xutzin qaq´iijiloxik, denn Ihr konntet nicht unsere Tage verehren
mawi ixsik´iy qe. und uns anbeten.
K´a k´oo, Sie werden noch kommen,
k´oo wi lo q´iijiloneel, die Verehrer der Tage,
nimaneel chi qab´an chik! wir werden sie noch erschaffen.
Xa chik´am ipataan: Dies wird Euer Schicksal sein:
xa ityo´jiil chikach´ik. Euer Fleisch wir verzehrt werden!
Ta chuxoq! So soll es sein!
Are k´ut chipataniij!” Das möge Eure Bürde sein!“
xe´uchaa´xik. So sprachen sie zu ihnen.
Ta xraj k´u kitiij chik kiq´iij; Doch jene wollten ihr Glück noch einmal versuchen.
xraj kitiijtob´ej chik, Sie wollten es noch einmal probieren,
xraj pu kinuk´ chik sie wollten noch einmal versuchen,
q´iijilab´äl. die Tage zu verehren.
Xa ma xkita´ wi kich´aab´äl Aber sie konnten ihre Sprache
chi kib´il kiib´. untereinander nicht verstehen,
Xa ma xnawachir wi k´ut, sie waren einfach nicht dazu fähig,
xa ma xb´anataj wi puch. vergeblich blieben ihre Versuche.
K´eje k´ut xech´äkataj wi kityo´jiil. Darum wurde ihr Fleisch geopfert.
Xkipataniij: xetiy´ik, xekamïsaxik Und die Tiere hier auf Erden waren fortan verdammt,
ri chikööp k´oo waraal chuwäch uleew. gegessen und getötet zu werden.
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Kapitel 4 - Die Erschaffung der Lehmmenschen
Ta utz´aqik k´ut, ub´anik Und die Schöpfung und Formung des Körpers
puch uleew, machten sie mit Erde,
xoq´o´l utyo´jiil xkib´ano. mit Lehm.
Hier ist es die dritte Zeile, welche verkürzt wird. In der Übersetzung hätte ich auch
schreiben können:
„die vier Seiten,
die vier Ecken,
viermal gemessen,
und viermal abgesteckt“.
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9 Laq ist „Schale“, und sel ist „Schüssel“, in diesem Fall sind die flache Erde und die
Himmelsschüssel gemeint. Hier finde ich es zulässig, diese Bedeutung im Text mit
auszudrücken.
10 Hier übersetzt Wolfgang Cordan das Wort sii´s als „Dachs”, obwohl es
„Nasenbär” heißen muss. Er ist hier dem Volksmund aufgesessen. Die Mexikaner
und Guatemalteken benennen viele Tier- und Pflanzenarten falsch. So sagen sie zum
Nasenbär oft „tejón“, was aber das Wort für „Dachs“ ist. Korrekterweise müssten sie
„pizote“ sagen. Auch sagen sie „tigre“ zum Jaguar, was korrekterweise „jaguár“
wäre. Der Puma wird oft „león“ anstatt „puma“ genannt. Der Graufuchs wird oft
„gato del monte“ („Wildkatze“) genannt, was korrekterweise auf Spanisch „zorro
gris“ heißt. Das gleiche bei Pflanzenarten. Da wird der Bek´-Baum, ein Baum mit
harten Holz, einfach „Eiche“ genannt (auf Spanisch „roble“), oder der wilde
Feigenbaum, auf Maya kopó genannt, wird wegen seines weichen Holzes „Pappel“
genannt (auf Spanisch „alamo“). Da muss man also immer verdammt aufpassen,
ansonsten springen hier im Mayalande munter die Löwen und Tiger zwischen den
Eichen und Pappeln umher, dass es nur so seine Freude hat.
11 Der Text des Poopol Wuuj erwähnt normalerweise galant die Frau zuerst, und
dann den Mann - mit zwei Ausnahmen: aufgrund der Satzmelodie wird das Wort
Xmukane hintenangestellt, um den Satz mit dem tieferen Ton abschließen zu können.
Das gleiche gilt für Saqinim Aaq, Sii´s, siehe Fußnote 2. Aaq heißt „(Herr)
Nabelschwein“ und Sii´s heißt „(Frau) Nasenbär“. Im deutschen Text aber kommt
diese Intonation nicht so zum Ausdruck, deswegen erwähne ich konsequent
durchweg die Frau zuerst, um Missverständnisse zu vermeiden, wie das in der
Vergangenheit bei anderen Ausgaben oft passiert ist.
12 Wolfgang Cordan übersetzt hier „unter dem Wort Gottes“ (S. 25). Aber wenn die
Schamanen der K´iche´ vom „Wort (ihres Gottes)“ sprechen, benutzen sie den
Begriff tzij, was „Wort, Wahrheit, Sprache“ bedeutet. Siehe 5 Zeilen weiter oben, wo
ich K´ichee´ tzij als „ehrwürdige Sprache der K´ichee´“ übersetzt habe. Ch´aab´äl ist
auch „Sprache“ oder „das Sprechen“. In Wahrheit haben die K´iche´ damit eine
Geringschätzung der christlichen Religion ausgedrückt.
13Das Wort xchi-q-elesaaj ist von elesaxik abgeleitet, was „herausziehen,
wegnehmen, hervorbringen“ bedeutet.
14 Gemeint ist auf jeden Fall die Laguna de Términos in Tabasco, wo sich die
Urväter der K´ichee´ auf ihrer Wanderung nach Guatemala aufgehalten haben.
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Sam Colop schreibt immer tz´uq für „Seite“, aber ich denke es muss tz´uk heißen.
Siehe auch kajtz´ukaxik „rezar en los cuatro puntos cardenales“ (PLFM, S. 123).
Wenn hier von den vier Seiten des Weltmodells der Maya die Rede ist, sind
allerdings nicht die vier Himmelsrichtungen gemeint, vielmehr entsprechen die
Ecken den vier Ecken, wo die Sonne während des Aufgangs und Untergangs den
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Horizont kreuzt an den Tagen des Sommer- und Winteranfangs. Siehe auch Rafael
Girard.
16 Die hier erwähnte Beschreibung bezieht sich meines Erachtens nach auf den oben
erwähnten Codex. Ansonsten würde diese Stelle hier keinen Sinn machen. Von
Tedlock nicht erkannt.
17 In der Mayasprache gibt es kein Wort, was einfach nur „Kind“ bedeutet; das Wort
aal bedeutet „Kind einer Frau“, und das Wort k´ajool bedeutet „Kind eines Mannes“.
Genaugenommen müsste man saqil aal, saqil k´ajool als „die im Licht Geborenen
und im Licht Gezeugten“ übersetzen, aber das klingt etwas ungeschickt. Deshalb
übersetze ich hier besser als „Söhne und Töchter des Lichts“.
18 Gemeint sind die Menschen, die auf dem Niveau der Zivilisation existieren, auf
der Kulturstufe der Maisbauern.
19Das Wörtchen k´a steht hier für eine Verlaufsform, darf hier mir “nur” oder
“noch” übersetzt werden.
20 Achtung, hier liegt ein Wortspiel vor: xq´aalaaj (es wurde hell) und xkalaj (sie
wuchsen), bzw. „wie sie wachsen würden“ mit ta xkalaj. Siehe PLFM, S. 123:
„kalajeem: comenzar a crecer los elotes“. Die zukünftigen Menschen werden hier mit
den Maiskolben verglichen – eine Anspielung auf die letzte Menschenschöpfung aus
Mais-Teig.
21 Für „Hirsch” tauchen im Originalmanuskript von Ximenez sowohl kyej, als auch
die Schreibweise kej auf.
22 Auch dieses Wort ist bisher von niemandem richtig übersetzt worden:
mixyonolik´inik. Das Präfix mi- steht hier nicht für Negativität, sondern drückt eine
Verstärkung aus. Das Wort hat zwei Wurzeln: yon und lik´. Die erstere Wurzel ist
sehr selten, drückt aber das gleiche aus: „ausbreiten“. Auch lik´ hat diese Bedeutung,
aber zusätzlich noch die Bedeutung „erklären, darlegen“. Gemeint ist ganz einfach,
dass sich die Tiere artikuliert ausdrücken sollen. Dass die negativen Übersetzungen
wie „lärmt nicht, schreit nicht!“ usw. falsch sind, ist eigentlich allein dadurch klar,
dass von den vier hier genannten Verben (kixch´awoq, kixsik´inoq, mixyonolik´inik,
mixsik´inik) das zweite und vierte Verb gleich sind, denn sie unterscheiden sich nur
durch das Präfix, das wie gesagt keine Negativität, sondern nur eine Verstärkung
ausdrückt, sowie durch die Endung. Die Endung allerdings kann den Sinn nicht
ändern, sondern unterstützt nur die rhythmische Struktur. Man beachte, dass die
ersten zwei Verben auf –oq enden, und die letzten zwei Verben auf –ik. Exakt die
gleiche Struktur taucht auf am Anfang von Kapitel 2, vor der Erschaffung der Erde:
k´a katz´ininoq, k´a kachamamoq, katz´inonik, k´a kasilanik...
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