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WIE SMARTE
PRODUKTE
DEN WETTBEWERB
VERÄNDERN
„Braun, Toaster“: Kunstwerk
von Chris Labrooy
Automatisierung und stets verfügbarer Internetzugang haben die Welt der Wirtschaft
radikal verändert. Mit der Vernetzung von Produkten durch Sensoren steht
uns nun die dritte IT-Welle bevor. Sie lenkt die Wege der Wertschöpfung um, definiert
die Grenzen des Wettbewerbs neu und erfasst praktisch jede Branche.
D
ie Informationstechnologie revolutio- konzentrieren, die durch die neue Produktkategorie
niert unsere Produkte. Früher bestanden ausgelöst wird.
sie aus mechanischen und elektrischen In diesem Beitrag und in einer demnächst erschei-
Komponenten. Heute sind sie komplexe nenden Fortsetzung analysieren wir diese Revolution
Systeme, die Hardware, Sensoren, Daten- und untersuchen die strategischen und operativen
speicher, Mikroprozessoren, Software und Vernetzung Auswirkungen, die sich daraus ergeben.
auf die unterschiedlichsten Arten miteinander ver-
knüpfen. Diese „intelligenten, vernetzten Produkte“, DIE DRITTE WELLE
die durch Quantensprünge bei der Rechenleistung, Zweimal hat die Informationstechnologie in den ver-
durch die Miniaturisierung von Geräten und allgegen- gangenen 50 Jahren Wettbewerb und Strategie umge-
wärtige Funknetze ermöglicht wurden, haben eine krempelt. Jetzt erleben wir die dritte grundlegende Ver-
neue Ära des Wettbewerbs eingeläutet. änderung. Bevor es die moderne IT gab, waren unsere
Diese neue Art von Waren bietet gegenüber her- Produkte rein mechanisch, und die Tätigkeiten entlang
kömmlichen Produkten einen exponentiell gestiege- der Wertschöpfungskette stützten sich auf manuelle,
nen Funktionsumfang, sie ist zuverlässiger, ermöglicht auf Papier festgehaltene Prozesse und verbale Kommu-
eine bessere Auslastung und sprengt mit ihren Mög- nikation. In den 60er und 70er Jahren des 20. Jahr-
lichkeiten alle traditionellen Produktgrenzen. Dadurch hunderts brachte die erste IT-Welle eine Automatisie-
revolutioniert sie die Wertschöpfungsketten und zwingt rung einzelner Tätigkeiten mit sich – von der Auftrags-
Unternehmen, praktisch alle internen Aufgaben zu bearbeitung über das Bezahlen von Rechnungen bis hin
überdenken und umzugestalten. zu rechnergestütztem Design (CAD) und Ressourcen-
Sie verändert Branchenstrukturen und Wettbewerbs- planung per Computer (siehe dazu den Artikel „Die
regeln und birgt für Unternehmen sowohl neue Informationstechnik revolutioniert Branchen und
Chancen als auch neue Schwierigkeiten. Sie definiert Märkte: Wettbewerbsvorteile durch Information“ von
alte Branchen neu und lässt neue entstehen. So man- Michael Porter und Victor Millar, Harvard Business
ches Unternehmen muss sich angesichts der Produkt- Manager 1/1986). In diesen Bereichen der Wertschöp-
revolution fragen: „Was ist eigentlich unser Geschäfts- fungskette stieg die Produktivität enorm an, was zum
modell?“ Teil daran lag, dass bei jeder Tätigkeit große Mengen
Intelligente, vernetzte Produkte werfen eine ganze neuer Daten erhoben und analysiert werden konnten.
Reihe grundlegender strategischer Fragen auf: Wie Dies führte zu einer unternehmensübergreifenden
funktionieren Wertschöpfung und Werterschließung? Standardisierung von Prozessen. Die Unternehmen
Wie sollen die ungeheuren Mengen an neuen (und standen damit vor der schwierigen Aufgabe, die von der
sensiblen) Daten genutzt und verwaltet werden? Wie IT ermöglichten operativen Vorteile zu nutzen und eine
werden die traditionellen Beziehungen zu Geschäfts- unverwechselbare Strategie beizubehalten.
partnern – zum Beispiel zu Vertriebspartnern – neu Die Verbreitung des Internets löste mit dem billigen,
definiert? Und welche Rolle wollen die Unternehmen nahezu überall verfügbaren Netzzugang in den 80er
spielen, wenn die Grenzen zwischen den Branchen und 90er Jahren die zweite IT-getriebene Transforma-
verschwimmen? tionswelle aus (siehe dazu den Artikel „Bewährte Stra-
Der Begriff „Internet der Dinge“ wurde geprägt, um tegien werden durch das Internet noch wirksamer“ von
die wachsende Zahl intelligenter, vernetzter Produkte Michael Porter, Harvard Business Manager 5/2001).
und die damit verbundenen neuen Möglichkeiten zu Umfassende individuelle Tätigkeiten konnten nun
beleuchten. Doch er wird weder dem Phänomen an koordiniert und integriert werden – zwischen Liefe-
sich noch den Auswirkungen gerecht, weil er das ranten, Kanälen, Kunden und Regionen. Zum Beispiel
falsche Element in den Mittelpunkt rückt. Das Internet konnten Unternehmen erstmals eng aufeinander ab-
ist nur ein Mechanismus, um Daten zu übermitteln, gestimmte globale Lieferketten zusammenstellen.
ganz gleich, ob es dabei um Menschen oder Dinge geht. Die ersten beiden Wellen brachten beträchtliche Pro-
Das grundlegend Neue ist nicht das Internet, sondern duktivitätszuwächse und Wachstumssteigerungen in
die Wesensveränderung der „Dinge“. Die erweiterten allen Wirtschaftsbereichen. Doch während die Wert-
Funktionen intelligenter, vernetzter Produkte und die schöpfungskette eine Transformation erlebte, blieben
von ihnen erzeugten Daten sind das eigentlich Re- die Produkte an sich weitgehend unberührt.
volutionäre, das eine neue Ära des Wettbewerbs ein- Jetzt, mit der dritten Welle, hält die IT auch in die
läutet. Für die Unternehmen ist es wichtig, dass sie Produkte selbst Einzug. Integrierte Sensoren, Prozesso-
nicht bei den einzelnen Technologien hängen bleiben, ren, Software und Netzwerktechnik (die zusammen im
sondern sich auf die Veränderung des Wettbewerbs Grunde eine Computerisierung der Produkte darstel-
PRODUKTWOLKE
INTELLIGENTE PRODUKTANWENDUNGEN
Software in der Cloud, die Produktfunktionen überwacht, steuert,
optimiert und zum Teil auch automatisch ablaufen lässt.
REGEL-/ANALYSE-ENGINE
Enthält Regeln, Geschäftslogiken und Big-Data-Analysefähig-
keiten. Liefert den Algorithmen im Produktbetrieb Informationen
und neue Erkenntnisse über die Produkte.
ANWENDUNGSPLATTFORM
Entwicklungsumgebung, in der intelligente, vernetzte
IDENTITÄT UND Geschäftsanwendungen mit Datenzugang, Visualisierung und EXTERNE ANBINDUNG
SICHERHEIT Laufzeittools schnell erstellt werden können. DATENQUELLEN AN UNTER-
Werkzeuge für Ein Anschluss NEHMENS-
die Verwaltung PRODUKTDATENBANK für Informationen SYSTEME
von Nutzerprofilen Big-Data-Datenbanksystem, in dem historische und aus externen Tools, die Daten
und System- aktuelle Produktdaten aggregiert, normalisiert und verwaltet Quellen – zum aus intelligen-
zugängen sowie werden können. Beispiel Wetter, ten, vernetzten
zur Sicherung Verkehr, Roh- Produkten
des Produkts, stoff- und Ener- an die Kern-
der Netzwerk- giepreise, soziale systeme des
verbindung und Medien und Unternehmens
der Cloud- NETZANBINDUNG Geo-Ortung – als binden, zum
Komponenten. NETZWERKKOMMUNIKATION Datengrundlage Beispiel ERP,
Protokolle, die die Kommunikation zwischen Produkt und für Produktfunk- CRM und PLM.
Cloud ermöglichen. tionen.
PRODUKT
SOFTWARE
Eingebettetes Betriebssystem, Softwareanwendungen
im Produkt, eine erweiterte Benutzerschnittstelle und Produkt-
steuerungskomponenten.
HARDWARE
Eingebettete Sensoren, Prozessoren sowie Netzwerkanschluss
oder Antenne – zusätzlich zu den traditionellen mechanischen
und elektrischen Komponenten.
AUTOMATISIERUNG
OPTIMIERUNG
STEUERUNG
ÜBERWACHUNG
1 Sensoren und externe 2 Im Produkt oder in der 3 Überwachungs- und Steue- 4 Die Kombination von Über-
Datenquellen ermöglichen Cloud angesiedelte Software rungsfunktionen ermögli- wachung, Steuerung und
Überwachung von: ermöglicht: chen Algorithmen, die den Optimierung ermöglicht:
Betrieb und die Nutzung
• Produktstatus • Steuerung der Produkt- des Produkts optimieren, mit • einen automatisierten
• Umfeld funktionen dem Ziel: Produktbetrieb
• Betrieb und Nutzung • Personalisierung des • eigenständige Abstimmung
des Produkts Nutzererlebnisses • die Produktleistung zu des Betriebs mit anderen
verbessern Produkten und Systemen
Überwachungsfunktionen • vorausschauende • automatische Produkt-
ermöglichen auch Benach- Diagnosen, Wartungen erweiterungen und Perso-
richtigungen und Warn- und Reparaturen
nalisierung
meldungen, wenn sich durchzuführen
• Selbstdiagnose und Service
etwas ändert.
2. Intelligentes Produkt
1. Produkt
sales-Service neu zu definieren. Außerdem können die stellen. Die traditionellen Fertigungsunternehmen be-
Kundentreue und die Kosten eines Anbieterwechsels kommen aber auch Konkurrenz von neuen Wettbewer-
steigen, was die Einstiegshürden ebenfalls erhöht. bern wie Apple. Der iPhone-Hersteller präsentierte vor
Senken können Neulinge die Hürden hingegen, Kurzem einen einfacheren, smartphonebasierten An-
wenn sie die Stärken und Vorteile der etablierten An- satz für die Verwaltung des vernetzten Haushalts.
bieter aushebeln. Manche der alteingesessenen Wett-
bewerber sträuben sich vielleicht auch gegen die neuen BEDROHUNG DURCH ERSATZPRODUKTE
Funktionen von intelligenten, vernetzten Produkten Intelligente, vernetzte Produkte sind leistungsstärker,
und versuchen lieber, ihre auf physischen Faktoren ba- lassen sich besser an individuelle Bedürfnisse anpassen
sierenden Stärken und rentablen alten Produkte und und bieten den Kunden einen höheren Mehrwert als
Dienstleistungen abzuschirmen. Damit öffnen sie traditionelle Ersatzprodukte. Im Wettstreit mit her-
neuen Anbietern Tür und Tor. Im Agrarbereich hat das kömmlichen Produkten können sie also die Gefahr
OnFarm ausgenutzt, ein neuer Anbieter ohne physi- verringern, ersetzt zu werden und das Wachstum sowie
sches Produkt, der sich in den USA mit Datendienst- die Rentabilität der Branche steigern. Umgekehrt be-
leistungen erfolgreich gegen traditionelle Landmaschi- drohen die neuen Produkte mit ihren umfangreicheren
nenhersteller behauptet. OnFarm trägt Daten zu unter- Funktionen und Fähigkeiten in vielen Branchen
schiedlichen Arten von Landmaschinen für Bauern zu- die herkömmlichen Produkte und schaffen damit neue
sammen. Im Bereich der Heimautomatisierung verkauft Gefahren. Das trifft zum Beispiel auf die tragbaren Fit-
Crestron, ein Anbieter von integrierten Lösungspake- nessgeräte von Fitbit zu, die von der Bewegungsinten-
ten, komplexe Systeme mit vielfältigen Bedienschnitt- sität einer Person bis zum Schlafverhalten unterschied-
Saat-
PFLÜGE optimierungs-
anwendung
BEWÄSSERUNGS-
SYSTEM
Boden- Bewässerungs-
sensoren anwendung
Bewässerungsknoten
liche gesundheitsrelevante Daten erheben und damit den nachsehen, wo die nächste Leihstation ist, und sich
herkömmliche Geräte wie Laufuhren oder Schritt- dort ein Fahrrad ausleihen. Die Räder werden über-
zähler verdrängen. wacht, und die Kunden bezahlen für die Zeit, in der sie
Einige neue Geschäftsmodelle auf der Grundlage das Rad nutzen. Solche Modelle führen dazu, dass es für
smarter Produkte bieten Alternativen zum Kauf und Städter immer seltener notwendig ist, ein Rad zu besit-
Besitz und senken damit die Gesamtnachfrage. Die Idee, zen, das Radfahren aber gefördert wird. Sie sparen nicht
Produkte als Dienstleistung anzubieten, ermöglicht nur den Anschaffungspreis, sondern müssen das Rad
den Kunden zum Beispiel, sie uneingeschränkt zu nut- auch nicht zu Hause abstellen. Bequeme Leihräder wer-
zen, aber nur für den tatsächlichen Gebrauch zu zahlen. den in Zukunft nicht nur ein Ersatz für gekaufte eigene
Eine Abwandlung dieses Modells ist die gemeinsame Fahrräder sein, sondern womöglich auch für Autos
Nutzung von Produkten. In diese Kategorie fällt zum und andere Formen des städtischen Nahverkehrs. Dass
Beispiel das Carsharing. Anbieter wie Zipcar bieten ihren Verleihmodelle dem herkömmlichen Eigentumsmo-
Kunden Zugang zu einem Auto, wann immer und wo dell Konkurrenz machen, ist erst möglich, seitdem uns
immer sie eines brauchen. Ein eigenes Auto wird da- intelligente, vernetzte Produkte zur Verfügung stehen.
durch überflüssig. Deshalb sind auch die traditionellen
Autohersteller in diesen Markt eingestiegen. Bei Gene- VERHANDLUNGSMACHT DER LIEFERANTEN
ral Motors heißt das Programm RelayRides, BMW be- Smarte Produkte revolutionieren die traditionellen
treibt DriveNow und Toyota ein Angebot namens Dash. Lieferantenbeziehungen und verschieben das Kräfte-
Ähnliche Systeme gibt es in immer mehr Städten auch gleichgewicht der Verhandlungspartner. Intelligente
für Fahrräder. Per Smartphone-App können die Kun- und vernetzte Produktkomponenten bieten einen
größeren Mehrwert und lassen die herkömmlichen auch die Branche an sich neu definieren. Grenzen wer-
physischen Komponenten zu Massenmarktgütern den neu gezogen, Branchen erweitert. Sie enthalten
werden oder ersetzen sie im Laufe der Zeit durch Soft- nicht mehr nur einzelne Waren, sondern ganze Pro-
ware. Je mehr Produktfunktionen softwaregesteuert duktgruppen, die bestimmte Bedürfnisse und Anforde-
sind, desto weniger physische Anpassungen sind er- rungen erfüllen. Die Funktion eines Produkts wird
forderlich und desto weniger unterschiedliche physi- durch andere ergänzt. So lässt sich die Gesamtmaschi-
sche Komponenten werden verarbeitet. Der Anteil der nenleistung eines landwirtschaftlichen Betriebs stei-
traditionellen Zulieferer an den Gesamtproduktions- gern, wenn intelligente, vernetzte Maschinen wie Trak-
kosten geht zurück, und damit schwindet auch ihre toren, Pflüge und Pflanzmaschinen in einem Netzwerk
Verhandlungsmacht. zusammengeführt werden (siehe Kasten Seite 12/13).
Allerdings bringen die neuen Produkte auch ein- Die Wettbewerbsgrundlage verschiebt sich dadurch
flussreiche neue Zulieferer ins Spiel, etwa für Sensoren, von der Funktionalität eines einzelnen Produkts zur
Software, Netzwerkkomponenten, eingebettete Be- Leistung eines breiteren Produktsystems, in dem das
triebssysteme, Datenspeicherung, Analyse und andere Unternehmen nur einer von mehreren Akteuren ist.
Teile der komplexen Technologieinfrastruktur. Einige Der Hersteller kann ein Paket mit vernetzten Geräten
davon sind in ihren eigenen Branchen echte Schwer- und dazu passenden Dienstleistungen anbieten, die
gewichte, zum Beispiel Google, Apple oder AT&T. Sie das Gesamtergebnis verbessern. In unserem Landwirt-
verfügen über Talente und Fähigkeiten, die die meisten schaftsbeispiel wächst die Branche also von der Trak-
Produktionsunternehmen in der Vergangenheit nicht torherstellung bis zur Landmaschinenoptimierung. Im
gebraucht haben, die jetzt aber eine entscheidende Rolle Bergbau zielt der amerikanische Dienstleister Joy Glo-
für die Produktdifferenzierung und für die Kosten spie- bal mit seiner Leistungsoptimierung nicht mehr auf
len. Diese Zulieferer genießen mitunter eine große Ver- einzelne Bergbaumaschinen, sondern auf den gesamten
handlungsmacht. Sie können sich einen größeren An- Maschinenpark, der unter Tage im Einsatz ist. Auf diese
teil des gesamten Produktwerts sichern und schmälern Weise wächst die Branche von einzelnen Maschinen zu
den Gewinn für die Fertigungsunternehmen. ganzen Maschinensystemen.
Ein gutes Beispiel ist die Open Automotive Alliance, Die Entwicklung geht aber noch weiter. Zunehmend
in der sich die Autobauer General Motors, Honda, Audi entstehen Systeme von Systemen. Hier werden unter-
und Hyundai vor Kurzem zusammengetan haben, um schiedliche Produktsysteme und damit in Beziehung
Googles Android-Betriebssystem für ihre Fahrzeuge zu stehende externe Informationen koordiniert und als
nutzen. Den Autobauern fehlt die Kompetenz, selbst Gruppe optimiert. Ein Beispiel dafür sind intelligentes
ein robustes integriertes Betriebssystem zu entwickeln, Wohnen, intelligente Gebäude oder intelligente Städte.
das ein erstklassiges Benutzererlebnis gewährleistet Bei den sogenannten Smart Homes werden die Pro-
und gleichzeitig einem ganzen Netzwerk von Entwick- duktsysteme für unterschiedliche Bereiche wie Be-
lern ermöglicht, neue Apps hervorzubringen. Die tradi- leuchtung, Heizung, Lüftung und Klimatisierung, Un-
tionell große Verhandlungsmacht der Automobilher- terhaltungselektronik und Sicherheit zu einem überge-
steller gegenüber Zulieferern greift bei Lieferanten wie ordneten System von Systemen zusammengeführt. Die
Google nicht. Denn diese besitzen nicht nur umfang- Landmaschinenhersteller John Deere und AGCO ver-
reiche Ressourcen und viel Kompetenz, sondern auch netzen inzwischen nicht nur Landmaschinen, sondern
starke Verbrauchermarken und eine Menge ähnlicher auch Bewässerungssysteme sowie Boden- und Nähr-
Anwendungen. So bevorzugen die Kunden womöglich stoffquellen und ergänzen diese Systeme um Infor-
ein Auto, bei dem sie Smartphone, Musik und Apps mationen über Wetter, Preise für landwirtschaftliche
nahtlos einbinden können. Erzeugnisse und Rohstoff-Futures, um die Gesamt-
Neue Technologielieferanten für smarte Produkte leistung eines landwirtschaftlichen Betriebs weiter
könnten sich auch deshalb mehr Einfluss erkämpfen, zu optimieren. Diejenigen Anbieter, deren Produkte
weil sie enge Beziehungen zu den Endkunden haben und Gestaltung die größte Wirkung auf das übergeord-
und über wertvolle Nutzungsdaten verfügen. Da die nete Gesamtsystem haben, können diesen Prozess am
Lieferanten solche Daten direkt von den Endkunden stärksten vorantreiben und einen größeren Teil der
erheben, können sie auch neue Dienstleistungen an- Wertschöpfung erschließen als andere.
bieten – so wie es GE bei Alitalia gemacht hat. Einige Unternehmen wie John Deere, AGCO und Joy
Global wollen ihre Branchen bewusst erweitern und
WIE SICH DIE BRANCHEN VERÄNDERN neu definieren. Andere empfinden diese Entwicklung
Die neuen Fähigkeiten der Produkte verändern nicht als bedrohlich, denn sie bringt natürlich neue Wettbe-
nur den Wettbewerb in einer Branche, sondern können werber und neue Wettbewerbsgrundlagen mit sich und
1 PRODUKTFUNKTIONEN SOLL
DAS UNTERNEHMEN ANSTREBEN?
Die Bandbreite an möglichen Funktionen und Pro-
des Kunden für einen minimalen Energieverbrauch.
Drittens sollten sich Unternehmen für Funktionen
entscheiden, die ihre Wettbewerbsposition stärken.
duktmerkmalen wächst erheblich. Da ist die Versu- Unternehmen mit einer Premiumstrategie können ihre
chung groß, möglichst viele davon umsetzen zu wol- Differenzierung häufig durch besonders umfangreiche
len, vor allem angesichts der niedrigen Grenzkosten für Funktionspakete verstärken, während Akteure im Bil-
weitere Sensoren und zusätzliche Software sowie der
weitgehend fixen Kosten für die Cloud und andere
Teile der Infrastruktur. Aber nur weil viele neue Funk-
tionen zur Verfügung stehen, heißt das noch lange
nicht, dass ihr Mehrwert für die Kunden auch tatsäch-
lich die Kosten übersteigt. Wenn Unternehmen sich auf JOY GLOBAL
ein Wettrüsten bei den Produktfunktionen einlassen,
verwässern sie nur ihre strategische Positionierung und Bergbaumaschinen wie
erzeugen letztlich ein Nullsummenspiel. dieser Strebbau-
Doch wie findet ein Unternehmen heraus, welche Walzenlader von Joy
Funktionen es anbieten sollte? Global stimmen
Erstens muss es entscheiden, welche Funktionen den sich automatisch mit
Kunden – gemessen an den Kosten – einen echten anderen Maschinen
Mehrwert bieten. Der Boilerhersteller A. O. Smith hat ab, um die Effizienz
für Privathäuser Boiler mit einer automatischen Feh- im Bergwerk
lerüberwachung und -benachrichtigung entwickelt. zu verbessern.
Aber Warmwasserbereiter sind so langlebig und zuver-
lässig, dass kaum ein Privathaushalt bereit ist, für sol-
che Funktionen einen Aufpreis zu zahlen. Deshalb bie-
tet A. O. Smith diese Funktionen nur bei einigen weni-
gen Modellen als Sonderausstattung an. Bei gewerblich
SCHWERPUNKT DAS INTERNET DER DINGE | STRATEGIE
ligsegment eher nur die grundlegenden Funktionen AUTOMATISIERUNG Voll automatisierte Produkte wie
integrieren sollten, die direkt mit der Kernleistung des Antiblockiersysteme erfordern in der Regel, dass mehr
Produkts zu tun haben und die Betriebskosten senken. Funktionen direkt im Gerät angesiedelt werden.
A. O. Smiths Tochterunternehmen Lochinvar setzt VERFÜGBARKEIT, ZUVERLÄSSIGKEIT UND SICHERHEIT
massiv auf Differenzierung über Produktmerkmale. DES NETZWERKS Wenn Software direkt ins Produkt in-
Deshalb gehören umfangreiche intelligente, vernetzte tegriert wird, ist sie nicht darauf angewiesen, dass eine
Funktionen bei den Kernprodukten zur Standardaus- Netzwerkverbindung zur Verfügung steht. Und wenn
stattung. Die Schweizer Premium-Uhrenmarke Rolex keine Daten an eine Anwendung in der Cloud geschickt
hat hingegen beschlossen, bewusst nicht im Bereich der werden müssen, entfällt auch das Risiko, dass heikle
intelligenten, vernetzten Funktionen zu konkurrieren. oder vertrauliche Daten während der Übertragung ab-
gefangen werden.
WELCHE FUNKTIONEN SOLLEN INS EINSATZORT DES PRODUKTS Unternehmen, die Pro-
mieren, muss das Unternehmen in der Regel Daten von zu sparen, und umgekehrt die Häuser und Wohnungen
„sofortigem Wert“ erheben, die sich in Echtzeit auswer- vorausschauend kühlt, bevor die Spitzenlast einsetzt.
ten und nutzen lassen. Dies gilt vor allem für komplexe, Nest hat Partnerschaften mit Energieanbietern, sichert
teure Produkte, bei denen Ausfallzeiten besonders deren Daten und führt sie mit den Kundendaten zu-
kostspielig sind, etwa bei Windrädern oder Flugzeug- sammen. Auf diese Weise ermöglicht Nest seinen
turbinen. Kunden, durch einen stärker antizyklischen Strom-
Unternehmen, die die Führungsrolle beim Produkt- verbrauch bei den Versorgern, Rabatte oder Gutschrif-
system übernehmen möchten, müssen in die Erfassung ten zu bekommen.
und Auswertung umfangreicher Daten investieren –
über mehrere Produkte und das gesamte Umfeld hin- WIE VERWALTET DAS UNTERNEHMEN
weg. Dabei müssen sie auch Produkte berücksichtigen,
die sie nicht selbst herstellen. Für einen Fuhrpark muss
ein smartes Produktsystem zum Beispiel Verkehrsda-
6 DIE EIGENTUMS- UND ZUGRIFFSRECHTE FÜR
DIE PRODUKTDATEN?
Bei der Entscheidung, welche Daten erhoben und ana-
ten, Wetterbedingungen und die Spritpreise an mehre- lysiert werden, müssen Unternehmen festlegen, wie sie
ren Standorten erfassen. die Rechte an den Daten schützen und den Zugriff re-
Unterschiedliche Strategien erfordern auch unter- geln. Entscheidend ist, wem die Daten gehören. Dem
schiedliche Datenerfassungsmodelle. Der Automatisie- Hersteller gehört das Produkt, aber die Rechte an den
rungsspezialist Nest, der eine Führungsrolle bei Ener- Nutzungsdaten liegen unter Umständen beim Kunden.
gieeffizienz und Energiekosten anstrebt, erhebt sowohl Wem gehören zum Beispiel die Daten aus einer intelli-
zur Produktnutzung als auch zu Nachfragespitzen im genten Flugzeugturbine – dem Turbinenhersteller, dem
Stromnetz umfassende Daten. Auf dieser Grundlage Flugzeughersteller oder der Airline, der die Flugzeuge
hat das Unternehmen das Rushhour-Rewards-Pro- gehören und die sie betreibt?
gramm entwickelt, das in Spitzenlastzeiten bei privaten Um die Rechte an Daten aus smarten Produkten zu
Klimaanlagen die Zieltemperatur anhebt, um Energie sichern, gibt es viele Möglichkeiten. Manche Unterneh-
men streben Eigentumsrechte oder zumindest ein Mit-
eigentum an den Produktdaten an. Andere bevorzugen
Nutzungsrechte unterschiedlicher Art – von Geheim-
haltungsvereinbarungen über das Recht, Daten weiter-
zugeben, bis hin zu dem Recht, Daten zu verkaufen.
MEDTRONIC Unternehmen müssen festlegen, wie transparent sie die
Erhebung und Nutzung ihrer Daten gestalten möchten.
Das implantierte Blutzuckermessgerät von Die Datenrechte können explizit in einem eigenen Ver-
Medtronic sendet per Funkverbindung Daten an trag geregelt oder im Kleingedruckten oder in krypti-
ein Überwachungs- und Anzeigegerät und schen Standardklauseln versteckt werden. Wir erleben
kann Patienten bei kritischen Abweichungen zwar den Anfang eines Trends hin zu einer transparen-
des Blutzuckerspiegels warnen. ten Datennutzung, aber Standards zu Offenlegung und
Eigentum von Daten fehlen immer noch weitgehend.
Eine weitere Option sind Vereinbarungen, bei denen
bestimmte Produktdaten mit den Lieferanten ausge-
tauscht werden, etwa zum Status und zur Leistung ei-
ner Komponente, andere aber nicht, zum Beispiel zum
Standort. Den Zugriff der Lieferanten auf Produktdaten
einzuschränken kann aber auch Nachteile bringen.
Wenn ein Lieferant über die Nutzung seines Produkts
nur unzureichend Bescheid weiß, bremst dies das
Innovationstempo.
Kunden und Nutzer wollen bei solchen Entschei-
dungen ein Mitspracherecht. Bei der Bereitschaft, das
eigene Nutzungsverhalten offenzulegen, gibt es heute
große Unterschiede. Das Wertversprechen von Fitbit
basiert zum Beispiel darauf, persönliche Fitnessdaten
über soziale Medien mitzuteilen. Das wollen aber nicht
alle Kunden. Ebenso sind umsichtige Autofahrer viel-
DIESE FEHLER SOLLTEN SIE VERMEIDEN
Smarte Produkte bieten umfangreiche neue Möglich- NEUE WETTBEWERBSBEDROHUNGEN IGNORIEREN
keiten für Wertschöpfung und Wachstum. Doch der Weg Anbieter smarter Produkte oder leistungs- oder service-
dorthin kann steinig sein. Die Liste zeigt einige der basierter Geschäftsmodelle können schnell in Märkte
größten strategischen Risiken für Unternehmen: einsteigen. Wahrscheinlich werden sie den Wettbewerb
und die Grenzen der Branche neu definieren.
FUNKTIONEN ANBIETEN, DIE DEN KUNDEN KEINEN
AUFPREIS WERT SIND ZU LANGE WARTEN
Nur weil eine Funktion möglich ist, bedeutet das noch Wenn sich Pioniere zu langsam entwickeln, haben neue
lange nicht, dass sie den Kunden auch einen Mehrwert Markteinsteiger Zeit, Fuß zu fassen, Daten zu sammeln
bietet. Wer seine Produkte mit zu vielen Funktionen und und auszuwerten, zu lernen und so aufzuholen.
Merkmalen ausstattet, kann die Rendite schmälern,
weil Kosten und Komplexität zu groß werden. INTERNE KAPAZITÄTEN ÜBERSCHÄTZEN
Wer auf die neuen Produkte umstellt, benötigt neue
SICHERHEITS- UND DATENSCHUTZRISIKEN Technologien, Fähigkeiten und Prozesse entlang der
UNTERSCHÄTZEN gesamten Wertschöpfungskette (zum Beispiel Big-Data-
Eine Anbindung an Unternehmenssysteme und Analyse, Systems Engineering und Anwendungs-
-daten erfordert auch ein höheres Sicherheitsniveau entwicklung). Entscheidend ist, dass Unternehmen
bei Netzwerk, Geräten, Sensoren und bei der realistisch einschätzen, welche Funktionen sie intern
Datenverschlüsselung. entwickeln können und welche sie besser abgeben.
leicht bereit, Daten zu ihrem Fahrverhalten an Ver- Ein vorsichtiger Umgang mit Daten wird entschei-
sicherungen oder Mietwagenfirmen weiterzugeben, dend sein, vor allem in stark regulierten Branchen wie
wenn sie so günstigere Tarife erhalten. Andere könnten der Medizintechnik. In vielen Bereichen gibt es bereits
sich aber dagegen wehren. Die Verantwortlichen in den aufsichtsrechtliche Standards, die den Zugriff auf Da-
Unternehmen müssen ihren Kunden daher einen über- ten und die Datensicherheit regeln. So hat der Berliner
zeugenden Nutzen bieten, damit diese bereit sind, Medizintechnikspezialist Biotronik eine Infrastruktur
Daten zur Produktnutzung oder für andere Zwecke geschaffen, über die er sensible Patientendaten, etwa zu
preizugeben. Je mehr sich die Kunden des Mehrwerts Herzrhythmusstörungen oder zum Batteriestatus bei
bewusst sind, den Daten entlang der Wertschöpfungs- Herzschrittmachern, sicher erheben und nur mit einem
kette schaffen können, desto aktiver werden sie und ausgewählten Personenkreis teilen kann, zum Beispiel
desto mehr wollen sie mitentscheiden, welche Daten dem Arzt des Patienten. Doch egal, um welche Branche
erhoben werden, wie das Unternehmen sie verwendet es geht: Ein vertrauensvoller Umgang mit den Daten
und wer davon profitiert. wird eine wesentliche Rolle spielen. Verstöße und Pan-
Weitverbreitet sind heute Verträge, die vor der ersten nen im Umgang mit Daten werden ernste Konsequen-
Nutzung eines smarten Produkts per Mausklick be- zen haben – ganz gleich, wer schuld ist. So ist das
stätigt werden und die dem Kunden eine breit angelegte Sicherheitsrisiko ein wichtiger Aspekt bei der Frage,
Zustimmung zur Datennutzung abringen. Damit kön- welche Daten erhoben und wie sie verwaltet werden.
nen Unternehmen nach Lust und Laune Daten sam-
meln und sie ohne große Einschränkungen verwenden. SOLL DAS UNTERNEHMEN BESSER AUF
Wir gehen davon aus, dass mit der Zeit strengere ver-
tragliche Rahmenbedingungen und Mechanismen auf-
kommen, die das geistige Eigentum an den Daten ge-
7 VERTRIEBSPARTNER ODER SERVICENETZWERKE
VERZICHTEN?
Smarte Produkte ermöglichen direkte und enge Kun-
nauer definieren und schützen. Unternehmen sind gut denbeziehungen, die dazu führen, dass das Unterneh-
beraten, diesem Trend zuvorzukommen, vor allem bei men womöglich nicht mehr so stark auf Vertriebspart-
den Produktdaten, die sie für ihr Wertversprechen ner angewiesen ist. Leistungsstörungen und Ausfälle
dringend brauchen. lassen sich per Fernüberwachung oder Ferndiagnose
analysieren und manchmal auch gleich beheben, so- Unternehmen unterhält. Sind die Partner nur dafür
dass weniger externe Servicepartner notwendig sind. verantwortlich, die Produkte an den Mann oder die
Für die Hersteller bedeutet das unter Umständen neue Frau zu bringen, oder bieten sie den Endkunden auch
Ertragsquellen und höhere Margen. Außerdem können Schulungs- und Serviceangebote? Welcher Prozentsatz
sie ihr Wissen über die Kundenbedürfnisse verbessern, der Partneraktivitäten lässt sich durch smarte Produkt-
das Markenbewusstsein steigern und die Kundentreue funktionen ersetzen? Betrachten die Kunden den Weg-
erhöhen, wenn sie dem Kunden den Mehrwert eines fall einer Zwischenstufe als Mehrwert? Ist ihnen klar,
Produkts direkt nahebringen. dass die traditionellen Beziehungen zu etablierten Ver-
Der amerikanische Elektroautobauer Tesla hat sich triebspartnern nicht mehr erforderlich sind und nur
von einem ungeschriebenen Gesetz der Automobil- zusätzliche Kosten verursachen?
branche verabschiedet und verkauft seine Autos direkt
an den Verbraucher statt über das traditionelle Händ- SOLL DAS UNTERNEHMEN
lernetz. Das hat die Preispolitik des Unternehmens ver-
einfacht. Die Verbraucher zahlen, was auf dem Preis-
schild steht. Das für Autohändler typische Geschacher
8 SEIN GESCHÄFTSMODELL
ÄNDERN?
Fertigungsbetriebe haben sich traditionell darauf kon-
entfällt, und die Kundenzufriedenheit ist drastisch ge- zentriert, physische Produkte herzustellen. Die Wert-
stiegen. Weil Tesla auch bei Reparaturen auf externe schöpfung besteht darin, das Eigentum an einem Pro-
Partner verzichtet, sichert sich das Unternehmen zu- dukt beim Verkauf an den Kunden zu übertragen. Für
sätzliche Erträge und vertieft die Beziehung zu den die Wartungs- und Unterhaltskosten des Produkts ist
Kunden. Software-Updates sendet der Hersteller direkt ab diesem Zeitpunkt der Eigentümer verantwortlich.
an die bereits verkauften Autos. Dadurch wird das Kun- Er trägt das Risiko von Produktausfällen und anderen
denerlebnis immer besser, und mit jedem Update gibt Produktfehlern, die nicht durch Garantieansprüche ab-
es auch wieder so etwas wie Neuwagengeruch. Wenn gedeckt sind.
Tesla per Fernüberwachung feststellt, dass ein Wagen Smarte Produkte ermöglichen einen radikalen Wan-
zur Reparatur muss, fordert das Auto entweder auto- del dieses langjährigen Geschäftsmodells. Dank Pro-
matisch eine softwaregestützte Fernreparatur an oder duktdaten und Vernetzung können die Hersteller Feh-
benachrichtigt den Kunden und bittet ihn, einen Ter- ler vorhersehen, reduzieren und reparieren sowie auf
min mit einem Tesla-Mitarbeiter zu vereinbaren, der völlig neue Art und Weise die Produktleistung und den
den Wagen abholt. Die Testzeitschrift „Consumer Service optimieren. Das eröffnet zahlreiche neue Ge-
Reports“ setzte Tesla Ende 2013 bei einem Kunden- schäfts- und Verwertungsmodelle – von einer Variante
zufriedenheitsranking auf Platz eins. des traditionellen Eigentumsmodells, bei dem die Kun-
Doch während Ferndienstleistungen zweifellos ihre den von der neuen Serviceeffizienz profitieren, bis hin
Vorzüge haben, ist in den meisten Branchen ein gewis- zu einem Produkt-als-Dienstleistung-Modell, bei dem
ses Maß an persönlichem Kontakt nach wie vor erfor- der Hersteller als Eigentümer des Produkts die Be-
derlich und erwünscht. Die Kunden müssen physische triebs- und Wartungskosten übernimmt und nur eine
Produkte entgegennehmen und manchmal auch in- laufende Nutzungsgebühr erhebt. Die Kunden bezah-
stallieren, und bestimmte Servicebesuche sind auch len nicht im Voraus, sondern immer nur für das, was
weiterhin notwendig. Außerdem haben Kunden zum sie in Anspruch nehmen. In diesem Fall kommen die
Teil enge Beziehungen zu Wiederverkäufern und zu bessere Produktleistung, die geringeren Betriebskosten
Kanälen, die ihnen eine breitere Produktpalette sowie (zum Beispiel durch eine höhere Energieeffizienz) und
fundiertes und lokales Fachwissen bieten. Unterneh- die höhere Serviceeffizienz dem Hersteller zugute.
men, die die Rolle solcher wertvollen Vertriebspartner Die neuartigen Produkte stellen Fertigungsunter-
minimieren, laufen Gefahr, ihre Kunden an Wettbewer- nehmen vor ein Dilemma. Das gilt vor allem für die-
ber zu verlieren, die sich ganz bewusst für diese Partner jenigen, die komplexe, langlebige Produkte herstellen,
entscheiden. Außerdem ist es nicht so einfach, die Auf- bei denen Ersatzteile und Wartung einen erheblichen
gaben von Partnern zu übernehmen, etwa den Direkt- Umsatz- und einen überproportionalen Gewinnbeitrag
versand oder bestimmte Servicetätigkeiten. Damit sind leisten. So verdient Whirlpool momentan recht gut
nämlich hohe Anlaufkosten und Investitionen in Teile an Ersatzteilen und Serviceverträgen – ein Modell, das
der Wertschöpfungskette wie Vertrieb, Logistik, Lager- nicht gerade einen Ansporn bietet, Produkte zuver-
haltung und Infrastruktur verbunden. lässiger, langlebiger und reparaturfreundlicher zu ma-
Die Entscheidung für oder gegen eine Trennung von chen. Würde Whirlpool hingegen zu einem Produkt-
Vertriebs- oder Servicepartnern wird hauptsächlich als-Dienstleistung-Modell übergehen, bei dem das
davon abhängen, welche Art von Partnernetzwerk ein Eigentum beim Hersteller bleibt und der Kunde ledig-
ander zu tun hatten, können zu Komponenten opti- attraktivsten ist eine Expansion, wenn verwandte Pro-
mierter Systeme werden oder sogar in übergeordnete dukte gemeinsam konzipiert werden, mit dem Ziel,
Systeme von Systemen eingegliedert werden. Wenn Sek- das System zu optimieren. Hängt die Optimierung
toren durch eine Erweiterung der Grenzen wachsen, nicht vom Aufbau der einzelnen Produkte ab, ist es in
können Unternehmen, die jahrzehntelang Branchen- der Regel sinnvoller, bei seinem eigenen Produkt zu
führer waren, in den Hintergrund gedrängt werden. bleiben und dafür zu sorgen, dass verwandte Produkte
Produktsysteme und Systeme von Systemen erfor- anderer Hersteller sich mit den eigenen verbinden
dern mindestens zwei strategische Entscheidungen können. Der Erfolg hängt somit weniger vom traditio-
zum Tätigkeitsbereich eines Unternehmens. Erstens: nellen Produktkonzept ab als vom Aufbau des Gesamt-
Soll das Unternehmen in das Geschäft mit verwandten systems.
Produkten oder anderen Bestandteilen in einem System Unternehmen, deren Produkte (und die damit ver-
von Systemen einsteigen? Zweitens: Soll das Unterneh- bundenen technologischen Fähigkeiten) für den Be-
men die Plattform liefern, auf der alle verwandten Pro- trieb und die Leistung des gesamten Systems entschei-
dukte und Informationen basieren, auch wenn es nicht dend sind, wie die Bergbaumaschinen von Joy Global,
all diese Produkte herstellt und nicht alle Bestandteile haben die besten Voraussetzungen, in verwandte Pro-
des Systems kontrolliert? duktbereiche einzusteigen und diese ins System zu
Für manche Unternehmen ist die Versuchung groß, integrieren. Hersteller, die weniger systemkritische
in benachbarte Produktsegmente einzusteigen, um Maschinen produzieren – zum Beispiel Lastwagen, die
große Chancen zu nutzen. Aber so ein Schritt ist immer den Aushub aus dem Bergwerk wegkarren –, haben
mit Risiken verbunden und erfordert neue Fähigkeiten. nicht die nötige Kompetenz und bei den Kunden auch
Bevor ein Unternehmen in ein neues Segment einsteigt, nicht die nötige Glaubwürdigkeit, um eine breiter an-
muss es ein klares Wertversprechen definieren. Am gelegte Rolle als Systemintegrator zu übernehmen.
Ob es sich lohnt, die für ein System oder System von
Systemen entscheidende Technologieplattform zu ent-
wickeln, hängt von ähnlichen Fragen ab. Erstens: Kann
das Unternehmen die IT-Kompetenz und die nötige
Technologie aufbringen, die sich doch recht grund-
PHILIPS LIGHTING legend von den traditionellen Anforderungen bei Pro-
duktdesign und Fertigung unterscheidet? Zweitens:
Die Glühbirne Hue von Philips Lighting lässt Wo soll die Systemoptimierung stattfinden? Bei der
sich per Smartphone an- und ausschalten, Optimierung „im Produkt“ werden einzelne Produkt-
dimmen und so programmieren, dass sie blinkt, designs aufeinander abgestimmt, damit die Produkte
wenn ein Einbrecher erkannt wird. besser zusammenarbeiten. Die Optimierung „außer-
halb des Produkts“ erfolgt über die Algorithmen, die
Produkte und Daten miteinander verbinden, wobei die
Produkte selbst in diesem Fall modular sind. Die pro-
duktinterne Variante liefert das stärkste Argument für
eine Expansion in benachbarte Produktbereiche und
für das Entwickeln einer eigenen Plattform. Die pro-
duktexterne Variante begünstigt eine offene Plattform,
die auch ein Unternehmen bereitstellen kann, das gar
keine Produkte für diese Plattform produziert.
Wie diese Entscheidungen in der Praxis aussehen
können, zeigt das Beispiel der Carrier Corporation.
Das US-Unternehmen entwickelt seit 100 Jahren Hei-
zungs-, Lüftungs- und Klimatechnikinnovationen und
stellt Produkte wie Öfen, Klimaanlagen, Wärmepum-
pen, Befeuchter und Ventilatoren her. Carrier optimiert
die Leistung seines Produktsystems, indem das Unter-
nehmen die einzelnen Produktkonzepte aufeinander
abstimmt und die Produkte über die intelligente Heiz-
und Kühlsystemplattform Infinity miteinander verbin-
det. Der gesamte Bereich Heizung, Lüftung und Küh-
lung ist wiederum Teil eines breiteren Heimautomati- Gesamtwirtschaft verändern und die dritte Welle IT-
sierungssystems. Carrier ist bewusst nicht in andere Be- getriebener Produktivitätssteigerungen für Unterneh-
reiche dieses Systems eingestiegen, weil dafür völlig an- men, Kunden und die Weltwirtschaft auslösen. Dies
dere Fähigkeiten erforderlich wären. Stattdessen bietet fällt in eine Zeit, in der die beiden ersten IT-Wellen
die Infinity-Plattform Schnittstellen, über die die Heiz-, weitgehend abgeebbt sind und das Produktivitäts-
Lüftungs- und Kühlproduktfamilie in das übergeord- wachstum nachgelassen hat.
nete System von Systemen integriert werden kann. Die dritte IT-Welle wird nicht nur Quantensprünge
Da smarte Produkte die Grenzen von Branchen und bei der Funktionalität und Leistungsfähigkeit von Pro-
Wettbewerbsfeldern verschieben, müssen viele Unter- dukten auslösen. Sie hilft uns auch, viele geschäftliche
nehmen schließlich auch ihren unternehmerischen und gesellschaftliche Bedürfnisse erheblich besser zu
Zweck überdenken. Nicht mehr die traditionelle Pro- erfüllen. In vielen Bereichen werden Produkte wesent-
duktdefinition wird künftig im Mittelpunkt stehen, lich effizienter, wirksamer, sicherer und zuverlässiger
sondern viel breiter gefasste Kundenbedürfnisse. So werden, ihr Auslastungsgrad wird steigen, und wir
sieht sich der irische Konzern Trane nicht mehr als werden knappe Ressourcen wie Energie, Wasser und
Hersteller von Heiz-, Lüftungs- und Klimatechnik, Rohstoffe sparsamer einsetzen können.
sondern als Unternehmen, das Hochleistungsgebäude Diese Chance, Innovationen und Wirtschaftswachs-
für alle Nutzer besser macht. Wenn Produkte weiter tum erheblich zu beschleunigen und damit auch wie-
miteinander kommunizieren und in immer größeren der eine Zunahme des Wohlstands zu erreichen,
und vielfältigeren Netzwerken zusammenarbeiten, kommt keinen Moment zu früh. Das vergangene Jahr-
werden viele Unternehmen ihre Mission und ihr zehnt war in weiten Teilen der Wirtschaft geprägt von
Wertversprechen überdenken müssen. internen Kostensenkungen, deutlicher Zurückhaltung
In jeder dieser zehn Strategiedimensionen müssen bei Investitionen, höheren Konzerngewinnen, einer
Unternehmen eine klare Entscheidung treffen, aber Zunahme der Fusionen und Übernahmen und ver-
gleichzeitig dafür sorgen, dass jede Entscheidung zu haltenen Innovationen. Die Folge waren geringerer
den anderen passt und diese unterstützt. Ein Unterneh- Stellenzuwachs, eine schwache Lohn- und Gehaltsent-
men, das die Führungsrolle bei einem Produktsystem wicklung sowie ein stagnierender Lebensstandard der
anstrebt, wird zum Beispiel in verwandte Produkt- normalen Bevölkerung. Der Glaube an das wirtschaft-
kategorien einsteigen, die einzelnen Produktdesigns liche Potenzial hat abgenommen, die Kritik am
aufeinander abstimmen, in großem Umfang Produkt- Kapitalismus steigt, und die Öffentlichkeit beurteilt die
nutzungsdaten erheben und umfassendere interne Wirtschaft heute negativer als früher.
Kompetenzen in allen Bereichen der Technologieinfra- Das Zeitalter der smarten Produkte kann das ändern
struktur entwickeln. Ein Unternehmen, das sich hin- – vorausgesetzt, die Unternehmen nutzen die damit
gegen auf eine einzige Komponente eines Produktsys- verbundenen Chancen konsequent. Unternehmen und
tems konzentriert, wird bei den Produktmerkmalen Staat werden gemeinsam dafür sorgen müssen, dass
und -funktionen die Führungsrolle übernehmen müs- Arbeitskräfte quer durch alle Bevölkerungsgruppen in
sen. Über transparente und offene Schnittstellen muss der Lage sind, an dieser Entwicklung mitzuwirken.
es sicherstellen, dass das Produkt problemlos in die Sie werden sich auf Regeln und Gesetze einigen müs-
Systeme und Plattformen anderer Unternehmen in- sen, um Standards vorzugeben, Innovationen zu för-
tegriert werden kann und ein wertvoller Teil dieser dern, Daten zu schützen und Fortschrittshindernisse
Systeme und Plattformen wird. Im Wettstreit mit der (wie den Widerstand der Autohändler gegen Tesla) aus
Konkurrenz werden nicht diejenigen gewinnen, die dem Weg zu räumen.
Wettbewerber imitieren, sondern diejenigen, die ein Die Vereinigten Staaten haben die besten Vorausset-
besonderes Wertversprechen definieren, das sie in der zungen, in einer intelligenten, vernetzten Produkt-
Praxis auch tatsächlich halten können. welt die Vorreiterrolle zu übernehmen und überpro-
portional davon zu profitieren. Dafür sorgen Amerikas
DIE GROSSE CHANCE Stärke bei den zugrundeliegenden Technologien, bei
Intelligente, vernetzte Produkte verändern nicht nur vielen der erforderlichen Kompetenzen und in wich-
die Methoden, mit denen Unternehmen für ihre Kun- tigen unterstützenden Branchen. Wenn die neue Welle
den Wert schöpfen und miteinander konkurrieren, der Technologie den USA dazu verhilft, ihre Rolle als
sie verschieben auch die Grenzen des Wettbewerbs an Technologieführer in der Welt wieder aktiver auszu-
sich. Diese Transformation wird direkt oder indirekt füllen, wird sie nicht nur den amerikanischen Traum
praktisch jede Branche erfassen. Und damit nicht ge- beleben, sondern die gesamte Welt ein Stück besser
nug: Ihre Auswirkungen werden die Entwicklung der machen.
SERVICE
LITERATUR
MICHAEL PORTER: Wettbewerbsstrategie:
Methoden zur Analyse von Branchen und
Konkurrenten, Campus 2013.
HBM ONLINE
MICHAEL PORTER, JAN W. RIVKIN: Die
wirtschaftliche Zukunft der USA,
in: Harvard Business Manager, Mai 2012,
Seite 50, Nachdrucknummer 201205050.
INTERNET
Das Institute for Strategy and Competitiveness
an der Harvard Business School:
www.isc.hbs.edu/Pages/default.aspx
KONTAKT
Twitter: @MichaelEPorter
NACHDRUCK
Nummer 201412034, siehe Seite 110
oder www.harvardbusinessmanager.de
© 2014 Harvard Business Publishing
Übersetzung: Manfred Schnitzlein
MICHAEL E. PORTER
ist Professor an der Harvard Business School.
Er zählt zu den wichtigsten Managementdenkern
weltweit und wurde bekannt durch seine
Arbeiten zu den fünf Wettbewerbskräften.
JAMES E. HEPPELMANN
ist President und CEO von PTC, einem Software-
unternehmen aus Massachusetts,
das Fertigungsunternehmen hilft, Produkte zu
entwickeln, zu betreiben und zu warten.