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SCHWERPUNKT DAS INTERNET DER DINGE | STRATEGIE

WIE SMARTE
PRODUKTE
DEN WETTBEWERB
VERÄNDERN
„Braun, Toaster“: Kunstwerk
von Chris Labrooy

Automatisierung und stets verfügbarer Internetzugang haben die Welt der Wirtschaft
radikal verändert. Mit der Vernetzung von Produkten durch Sensoren steht
uns nun die dritte IT-Welle bevor. Sie lenkt die Wege der Wertschöpfung um, definiert
die Grenzen des Wettbewerbs neu und erfasst praktisch jede Branche.

VON MICHAEL E. PORTER UND JAMES E. HEPPELMANN

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SCHWERPUNKT DAS INTERNET DER DINGE | STRATEGIE

D
ie Informationstechnologie revolutio- konzentrieren, die durch die neue Produktkategorie
niert unsere Produkte. Früher bestanden ausgelöst wird.
sie aus mechanischen und elektrischen In diesem Beitrag und in einer demnächst erschei-
Komponenten. Heute sind sie komplexe nenden Fortsetzung analysieren wir diese Revolution
Systeme, die Hardware, Sensoren, Daten- und untersuchen die strategischen und operativen
speicher, Mikroprozessoren, Software und Vernetzung Auswirkungen, die sich daraus ergeben.
auf die unterschiedlichsten Arten miteinander ver-
knüpfen. Diese „intelligenten, vernetzten Produkte“, DIE DRITTE WELLE
die durch Quantensprünge bei der Rechenleistung, Zweimal hat die Informationstechnologie in den ver-
durch die Miniaturisierung von Geräten und allgegen- gangenen 50 Jahren Wettbewerb und Strategie umge-
wärtige Funknetze ermöglicht wurden, haben eine krempelt. Jetzt erleben wir die dritte grundlegende Ver-
neue Ära des Wettbewerbs eingeläutet. änderung. Bevor es die moderne IT gab, waren unsere
Diese neue Art von Waren bietet gegenüber her- Produkte rein mechanisch, und die Tätigkeiten entlang
kömmlichen Produkten einen exponentiell gestiege- der Wertschöpfungskette stützten sich auf manuelle,
nen Funktionsumfang, sie ist zuverlässiger, ermöglicht auf Papier festgehaltene Prozesse und verbale Kommu-
eine bessere Auslastung und sprengt mit ihren Mög- nikation. In den 60er und 70er Jahren des 20. Jahr-
lichkeiten alle traditionellen Produktgrenzen. Dadurch hunderts brachte die erste IT-Welle eine Automatisie-
revolutioniert sie die Wertschöpfungsketten und zwingt rung einzelner Tätigkeiten mit sich – von der Auftrags-
Unternehmen, praktisch alle internen Aufgaben zu bearbeitung über das Bezahlen von Rechnungen bis hin
überdenken und umzugestalten. zu rechnergestütztem Design (CAD) und Ressourcen-
Sie verändert Branchenstrukturen und Wettbewerbs- planung per Computer (siehe dazu den Artikel „Die
regeln und birgt für Unternehmen sowohl neue Informationstechnik revolutioniert Branchen und
Chancen als auch neue Schwierigkeiten. Sie definiert Märkte: Wettbewerbsvorteile durch Information“ von
alte Branchen neu und lässt neue entstehen. So man- Michael Porter und Victor Millar, Harvard Business
ches Unternehmen muss sich angesichts der Produkt- Manager 1/1986). In diesen Bereichen der Wertschöp-
revolution fragen: „Was ist eigentlich unser Geschäfts- fungskette stieg die Produktivität enorm an, was zum
modell?“ Teil daran lag, dass bei jeder Tätigkeit große Mengen
Intelligente, vernetzte Produkte werfen eine ganze neuer Daten erhoben und analysiert werden konnten.
Reihe grundlegender strategischer Fragen auf: Wie Dies führte zu einer unternehmensübergreifenden
funktionieren Wertschöpfung und Werterschließung? Standardisierung von Prozessen. Die Unternehmen
Wie sollen die ungeheuren Mengen an neuen (und standen damit vor der schwierigen Aufgabe, die von der
sensiblen) Daten genutzt und verwaltet werden? Wie IT ermöglichten operativen Vorteile zu nutzen und eine
werden die traditionellen Beziehungen zu Geschäfts- unverwechselbare Strategie beizubehalten.
partnern – zum Beispiel zu Vertriebspartnern – neu Die Verbreitung des Internets löste mit dem billigen,
definiert? Und welche Rolle wollen die Unternehmen nahezu überall verfügbaren Netzzugang in den 80er
spielen, wenn die Grenzen zwischen den Branchen und 90er Jahren die zweite IT-getriebene Transforma-
verschwimmen? tionswelle aus (siehe dazu den Artikel „Bewährte Stra-
Der Begriff „Internet der Dinge“ wurde geprägt, um tegien werden durch das Internet noch wirksamer“ von
die wachsende Zahl intelligenter, vernetzter Produkte Michael Porter, Harvard Business Manager 5/2001).
und die damit verbundenen neuen Möglichkeiten zu Umfassende individuelle Tätigkeiten konnten nun
beleuchten. Doch er wird weder dem Phänomen an koordiniert und integriert werden – zwischen Liefe-
sich noch den Auswirkungen gerecht, weil er das ranten, Kanälen, Kunden und Regionen. Zum Beispiel
falsche Element in den Mittelpunkt rückt. Das Internet konnten Unternehmen erstmals eng aufeinander ab-
ist nur ein Mechanismus, um Daten zu übermitteln, gestimmte globale Lieferketten zusammenstellen.
ganz gleich, ob es dabei um Menschen oder Dinge geht. Die ersten beiden Wellen brachten beträchtliche Pro-
Das grundlegend Neue ist nicht das Internet, sondern duktivitätszuwächse und Wachstumssteigerungen in
die Wesensveränderung der „Dinge“. Die erweiterten allen Wirtschaftsbereichen. Doch während die Wert-
Funktionen intelligenter, vernetzter Produkte und die schöpfungskette eine Transformation erlebte, blieben
von ihnen erzeugten Daten sind das eigentlich Re- die Produkte an sich weitgehend unberührt.
volutionäre, das eine neue Ära des Wettbewerbs ein- Jetzt, mit der dritten Welle, hält die IT auch in die
läutet. Für die Unternehmen ist es wichtig, dass sie Produkte selbst Einzug. Integrierte Sensoren, Prozesso-
nicht bei den einzelnen Technologien hängen bleiben, ren, Software und Netzwerktechnik (die zusammen im
sondern sich auf die Veränderung des Wettbewerbs Grunde eine Computerisierung der Produkte darstel-

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len) verbessern in Verbindung mit dem Cloud-Ansatz, KOMPAKT
bei dem auf externen Servern Daten gespeichert und
analysiert werden und Programme laufen, die Funk- TECHNOLOGISCHER WANDEL
tionen und die Leistung der Produkte in erheblichem Im Vergleich zu herkömmlichen Produkten
Maße. Viele dieser Verbesserungen basieren auf den ist der Funktionsumfang intelligenter,
enormen Mengen an Produktnutzungsdaten, die jetzt vernetzter Produkte höher. Mit ihren smarten
zur Verfügung stehen. Eigenschaften sprengen sie die traditionellen
Diese neuen Produkte werden einen weiteren Quan- Produktgrenzen. Der Produktwandel
tensprung bei der volkswirtschaftlichen Produktivität revolutioniert die Wertschöpfungsketten
bewirken. Und ihre Herstellung wird auch die Wert- und zwingt die Unternehmen, praktisch
schöpfungskette erneut revolutionieren: Produktkon- alles, was sie tun, zu überdenken – von der
zeption, Marketing, Fertigung und Aftersales-Dienst- Konzeption ihrer Produkte über die
leistungen ändern sich, neue Aufgaben wie die Analyse Herstellung, den Betrieb und die Wartung
und der Schutz von Produktdaten kommen hinzu. Da- bis hin zum Aufbau und zur Absicherung der
durch kommt es zu weiteren Produktivitätssteigerun- nötigen IT-Infrastruktur.
gen in der Wertschöpfungskette. Die dritte Welle der
IT-getriebenen Transformation könnte die bislang STRATEGISCHE HERAUSFORDERUNGEN
größte werden und noch mehr Innovationen, Produk- Diese Veränderungen beeinflussen alle
tivitätszuwächse und Wirtschaftswachstum auslösen strategischen Entscheidungen: Wie sollen
als die beiden vorangegangenen. Wertschöpfung und Werterschließung
Das Internet der Dinge ändert alles, heißt es häufig. funktionieren? Wie sollen Unternehmen mit
Doch das ist eine gefährliche Vereinfachung. Wie das traditionellen und neuen Partnern
Internet selbst stehen auch vernetzte Produkte für zusammenarbeiten? Und wie können sie in
völlig neue technische Möglichkeiten. Die Regeln von neu definierten Branchen ihre Wettbewerbs-
Wettbewerb und Wettbewerbsvorteilen bleiben gleich, vorteile sichern? Viele Unternehmen werden
aber um in der neuen Welt erfolgreich zu sein, müssen sich die grundsätzliche Frage stellen
die Manager in den Unternehmen diese Regeln besser müssen: „Was ist eigentlich unser
verstehen denn je. Geschäftsmodell?“ Der Beitrag liefert einen
Rahmen für die Strategieentwicklung
WAS SIND SMARTE PRODUKTE? nd zeigt, wie Wettbewerbsvorteile in einer
Sie bestehen aus drei Kernelementen: physische Kom- intelligenten, vernetzten Welt funktionieren.
ponenten, intelligente Komponenten und Vernet-
zungskomponenten. Die intelligenten Komponenten
verstärken die Leistung und den Wert der physischen
Teile, während die Vernetzungselemente wiederum die
Leistung und den Wert der intelligenten Komponenten
steigern und einige sogar aus dem Produkt herauslö-
sen. Auf diese Weise entsteht ein sich selbst verstärken-
der Wertsteigerungszyklus.
PHYSISCHE KOMPONENTEN Dazu zählen die mechani-
schen und elektrischen Bestandteile. Bei einem Auto
sind das zum Beispiel der Motor, die Reifen und die
Batterie.
INTELLIGENTE KOMPONENTEN Sie umfassen Sensoren,
Mikroprozessoren, Datenspeicher, Steuerungselemen-
te, Software und in der Regel ein integriertes Betriebs-
system sowie verbesserte Bedienoberflächen. Im Auto
sind das zum Beispiel die Motorsteuerung, Regen-
sensoren für automatische Scheibenwischer und
Touchscreens. In vielen Produkten werden physische
Teile durch Software ersetzt. Dadurch kann ein und
dasselbe Bauteil auf unterschiedlichen Leistungsstufen
eingesetzt werden.

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VERNETZUNGSKOMPONENTEN Sie umfassen Schnittstel- spiel Temperaturänderungen in Transformatoren und


len, Antennen und Protokolle, die kabelgebundene Umspannwerken. So erkennen die Kontrollzentren
oder kabellose Verbindungen mit dem Produkt ermög- potenzielle Überlastungen rechtzeitig und können
lichen. Dabei gibt es drei Arten der Vernetzung, wobei gegensteuern, bevor es zu Stromausfällen kommt.
alle drei gleichzeitig vorhanden sein können: Deckenventilatoren der Marke Big Ass schalten sich
■ One-to-one bezeichnet die Verbindung zwischen automatisch ein, wenn jemand ins Zimmer kommt,
einem einzelnen Produkt und dem Nutzer, dem Her- und regulieren die Geschwindigkeit in Abhängigkeit
steller oder einem anderen Produkt über einen Port von Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Raum. Außer-
oder eine andere Schnittstelle. Diese Vernetzungsart dem merken sich die Ventilatoren die Präferenzen der
liegt zum Beispiel vor, wenn ein Auto an ein Diagnose- Nutzer und passen sich entsprechend an.
gerät angeschlossen wird. Warum kommt diese Transformation gerade jetzt?
■ One-to-many bezeichnet einen Verbindungstyp, bei Weil aktuell zahlreiche Innovationen in unterschied-
dem ein zentrales System kontinuierlich oder zeitwei- lichen Technologiebereichen zusammenkommen, in-
lig mit mehreren Produkten gleichzeitig in Kontakt telligente, vernetzte Produkte nun technisch und
steht. Viele Tesla-Fahrzeuge sind zum Beispiel mit wirtschaftlich möglich sind. Dazu gehören erhebliche
einem zentralen Herstellersystem verbunden, das die Fortschritte bei der Leistung, Miniaturisierung und
Leistung überwacht und Fernwartungsdienste sowie Energieeffizienz von Sensoren und Batterien; extrem
Upgrades bereitstellt. kompakte und kostengünstige Rechner- und Speicher-
■ Many-to-many bezeichnet die Verbindung vieler kapazitäten, die es überhaupt erst möglich machen,
Produkte mit zahlreichen anderen Produkttypen und Computer in Produkte zu integrieren; billige Netz-
häufig auch mit externen Datenquellen. So können anschlüsse und überall verfügbare, kostengünstige
zum Beispiel unterschiedliche Landmaschinen ver- Funknetze; Tools für eine schnelle Entwicklung von
netzt und an ein Geo-Ortungssystem angeschlossen Software; Big-Data-Analysefähigkeiten; der neue Über-
werden, damit der Landwirt sein System koordinieren tragungsstandard IPv6, der 340 Sextillionen (340 Milli-
und optimieren kann. Eine Düngemaschine ist auf arden Milliarden Milliarden Milliarden) neue IP-Adres-
diese Weise in der Lage, in gleichmäßigen Abständen sen für einzelne Geräte bietet, die Sicherheit erhöht,
und in immer der exakt gleichen Tiefe Stickstoffdünger Übergaben bei mobilen Geräten innerhalb eines Netz-
in den Boden einzubringen, während im zweiten werks vereinfacht und Geräten ermöglicht, selbst-
Schritt eine Pflanzmaschine Maissaatgut direkt in den ständig IP-Adressen anzufordern, ohne dass dazu eine
gedüngten Boden sät. IT-Abteilung nötig wäre.
Die Vernetzung erfüllt zwei Funktionen. Zum einen Für diese neue Technik müssen Unternehmen eine
ermöglicht sie einen Datenaustausch zwischen Pro- vollkommen neue, mehrstufige Technologieinfrastruk-
dukt und Betriebsumfeld, Hersteller, Nutzern und an- tur schaffen, die im Englischen als „Technology Stack“
deren Produkten und Systemen. Zum anderen können bezeichnet wird (siehe Kasten rechts). Sie besteht aus
einige Produktfunktionen aus dem physischen Pro- drei Hauptblöcken. Der erste umfasst eine modifizierte
dukt ins Internet auf einen externen Server ausgelagert Hardware, Softwareanwendungen und ein im Produkt
werden. Bei einem neuen Wi-Fi-Musiksystem von Bose integriertes Betriebssystem. Der zweite enthält die
versorgt eine in der Cloud zum Download angebotene Netzwerkkomponenten. Und der dritte ist die Cloud,
Smartphone-App das Gerät per Streaming mit Musik das heißt, die Computerprogramme laufen auf dem
aus dem Internet. Für eine möglichst hohe Funktiona- Server des Herstellers oder einem anderen externen
lität sind alle drei Vernetzungsarten erforderlich. Server und die Nutzer greifen via Internet darauf zu.
Intelligente, vernetzte Produkte ziehen in alle Ferti- In dieser Cloud verbergen sich die Produktdatenbank,
gungssektoren ein. Bei Personenaufzügen reduziert die eine Softwareentwicklungsplattform, eine Regel-
PORT-Technologie von Schindler die Wartezeit um bis Engine (ein System, das zum Beispiel Geschäftsregeln
zu 50 Prozent, indem sie Anforderungsmuster pro- verwaltet) und eine Analyseplattform sowie intelli-
gnostiziert, die schnellste Zeit zum Zielstockwerk be- gente Produktanwendungen, die nicht im physischen
rechnet und den passenden Aufzug zuteilt, um die Pas- Produkt eingebaut sind. Alle drei Blöcke sind umgeben
sagiere möglichst schnell in die gewünschte Etage zu von einer Identitäts- und Sicherheitsstruktur, einem
transportieren. Im Energiesektor können Versorger mit Gateway für den Zugriff auf externe Daten und von
der Smart-Grid-Technologie von ABB riesige Mengen Tools, mit deren Hilfe Daten aus intelligenten, ver-
an aktuellen Daten über zahlreiche (von ABB und Dritt- netzten Produkten an andere Unternehmenssysteme
anbietern produzierte) Produktions-, Übertragungs- (zum Beispiel ERP- oder CRM-Systeme) weitergegeben
und Verteilungsanlagen hinweg analysieren, zum Bei- werden.

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DIE NEUE TECHNOLOGIE-INFRASTRUKTUR
Für intelligente, vernetzte Produkte müssen Unternehmen eine völlig neue Technologieinfrastruktur aufbauen. Dieser
„Technologie-Stapel“, wie der englische Fachausdruck wörtlich übersetzt heißt, besteht aus mehreren Blöcken. Dazu gehören
neue Produkthardware, eingebettete Software, Netzwerkkomponenten, eine Cloud für die Software, eine Reihe von
Sicherheitswerkzeugen, ein Anschluss an externe Datenquellen und die Anbindung an andere Unternehmenssysteme. Die
Grafik zeigt, wie diese Technologien miteinander verknüpft sind.

PRODUKTWOLKE
INTELLIGENTE PRODUKTANWENDUNGEN
Software in der Cloud, die Produktfunktionen überwacht, steuert,
optimiert und zum Teil auch automatisch ablaufen lässt.

REGEL-/ANALYSE-ENGINE
Enthält Regeln, Geschäftslogiken und Big-Data-Analysefähig-
keiten. Liefert den Algorithmen im Produktbetrieb Informationen
und neue Erkenntnisse über die Produkte.

ANWENDUNGSPLATTFORM
Entwicklungsumgebung, in der intelligente, vernetzte
IDENTITÄT UND Geschäftsanwendungen mit Datenzugang, Visualisierung und EXTERNE ANBINDUNG
SICHERHEIT Laufzeittools schnell erstellt werden können. DATENQUELLEN AN UNTER-
Werkzeuge für Ein Anschluss NEHMENS-
die Verwaltung PRODUKTDATENBANK für Informationen SYSTEME
von Nutzerprofilen Big-Data-Datenbanksystem, in dem historische und aus externen Tools, die Daten
und System- aktuelle Produktdaten aggregiert, normalisiert und verwaltet Quellen – zum aus intelligen-
zugängen sowie werden können. Beispiel Wetter, ten, vernetzten
zur Sicherung Verkehr, Roh- Produkten
des Produkts, stoff- und Ener- an die Kern-
der Netzwerk- giepreise, soziale systeme des
verbindung und Medien und Unternehmens
der Cloud- NETZANBINDUNG Geo-Ortung – als binden, zum
Komponenten. NETZWERKKOMMUNIKATION Datengrundlage Beispiel ERP,
Protokolle, die die Kommunikation zwischen Produkt und für Produktfunk- CRM und PLM.
Cloud ermöglichen. tionen.

PRODUKT
SOFTWARE
Eingebettetes Betriebssystem, Softwareanwendungen
im Produkt, eine erweiterte Benutzerschnittstelle und Produkt-
steuerungskomponenten.

HARDWARE
Eingebettete Sensoren, Prozessoren sowie Netzwerkanschluss
oder Antenne – zusätzlich zu den traditionellen mechanischen
und elektrischen Komponenten.

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WIE SICH SMARTE PRODUKTE EINSETZEN LASSEN


Die Funktionen von intelligenten, vernetzten Produkten lassen sich in vier Gruppen unterteilen: Überwachung, Steuerung,
Optimierung und Automatisierung. Jede Gruppe baut auf der vorigen auf. Steuerungsfunktionen benötigen zum Beispiel erst
einmal die Möglichkeit, Produkte zu überwachen.

AUTOMATISIERUNG
OPTIMIERUNG
STEUERUNG
ÜBERWACHUNG
1 Sensoren und externe 2 Im Produkt oder in der 3 Überwachungs- und Steue- 4 Die Kombination von Über-
Datenquellen ermöglichen Cloud angesiedelte Software rungsfunktionen ermögli- wachung, Steuerung und
Überwachung von: ermöglicht: chen Algorithmen, die den Optimierung ermöglicht:
Betrieb und die Nutzung
• Produktstatus • Steuerung der Produkt- des Produkts optimieren, mit • einen automatisierten
• Umfeld funktionen dem Ziel: Produktbetrieb
• Betrieb und Nutzung • Personalisierung des • eigenständige Abstimmung
des Produkts Nutzererlebnisses • die Produktleistung zu des Betriebs mit anderen
verbessern Produkten und Systemen
Überwachungsfunktionen • vorausschauende • automatische Produkt-
ermöglichen auch Benach- Diagnosen, Wartungen erweiterungen und Perso-
richtigungen und Warn- und Reparaturen
nalisierung
meldungen, wenn sich durchzuführen
• Selbstdiagnose und Service
etwas ändert.

Unternehmen können so nicht nur neue Produktan- ÜBERWACHUNG


wendungen schnell entwickeln und umsetzen, sondern Bei intelligenten, vernetzten Produkten lassen sich der
auch enorm große Längsschnittdatenmengen erheben, Status, der Betrieb und das Umfeld eines Produkts mit
auswerten und weiterleiten – Daten, die ihnen in dieser Sensoren und externen Datenquellen umfassend über-
Form noch nie zur Verfügung standen. Eine derart wachen. So kann ein Produkt die Nutzer oder andere
komplexe Technologieinfrastruktur für intelligente, warnen, wenn sich im Umfeld oder bei der Leistung
vernetzte Produkte aufzubauen und zu betreiben er- eines Produkts etwas verändert. Außerdem können
fordert erhebliche Investitionen und eine breite Palette Unternehmen und Kunden das aktuelle und bisherige
an neuen Fähigkeiten, etwa in den Bereichen Soft- Betriebs- oder Einsatzverhalten eines Produkts nach-
wareentwicklung, Systems Engineering, Datenanalyse verfolgen und so besser verstehen, wie das Produkt
und Onlinesicherheit. Doch diese sind in Fertigungs- tatsächlich genutzt wird. Diese Daten haben große Aus-
unternehmen nur selten vorhanden. wirkungen auf den Entwurf (etwa um Overengineering
zu vermeiden), auf die Marktsegmentierung (durch
WAS KÖNNEN DIE NEUEN PRODUKTE? eine Analyse der Nutzungsmuster unterschiedlicher
Die neuen Funktionen lassen sich in vier Bereiche Kundentypen) und auf den Aftersales-Service (damit
gliedern: Überwachung, Steuerung, Optimierung und der richtige Techniker mit dem richtigen Ersatzteil los-
Automatisierung. Theoretisch kann ein Produkt alle geschickt wird und mehrere Probleme gleich beim ers-
vier Bereiche umfassen (siehe Kasten oben). Jede Funk- ten Mal gelöst werden können). Die Überwachung von
tion ist sowohl für sich genommen wertvoll als auch Daten kann auch Garantieprobleme oder Verkaufs-
als Grundlage für die nächste Stufe. Überwachungs- potenzial aufzeigen, etwa den Bedarf an zusätzlicher
funktionen bilden zum Beispiel das Fundament für die Produktkapazität bei einer besonders starken Nutzung.
Steuerung, Optimierung und Automatisierung von Manchmal ist die Überwachung an sich der eigent-
Produkten. Unternehmen müssen die Funktionen aus- liche Mehrwert, etwa bei bestimmten medizintechni-
wählen, die ihren Kunden einen Mehrwert bieten und schen Geräten. Das digitale Blutzuckermessgerät von
ihre Wettbewerbsposition definieren. Medtronic misst über subkutane Sensoren den Zucker-

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gehalt in der Gewebeflüssigkeit und sendet die Daten controller jedes Rotorblatt bei jeder Umdrehung so
per Funkverbindung an ein Gerät, das Patienten und steuern, dass die maximale Windenergie ausgenutzt
Pflegepersonal bereits bis zu 30 Minuten vor Erreichen wird. Darüber hinaus können die Windräder nicht nur
eines Grenzwerts alarmieren kann und auf diese Weise so eingestellt werden, dass sie für sich genommen eine
eine geeignete Anpassung der Therapie ermöglicht. optimale Leistung bringen, sondern auch so, dass sie
Überwachungsfunktionen können sich auch über einen optimalen Kompromiss aus eigener Leistungs-
mehrere räumlich getrennte Produkte erstrecken. Joy optimierung und minimaler Effizienzbeeinträchtigung
Global, ein führender Hersteller von Bergbaumaschi- der umliegenden Windräder erzielen.
nen, überwacht Betriebsbedingungen, Sicherheitspara- Mit Echtzeitdaten zum Produktstatus und mit Steue-
meter und vorausschauende Wartungsindikatoren für rungsfunktionen können Unternehmen ihren Service
ganze Maschinenparks, die unter Tage im Einsatz sind. optimieren, indem sie zum Beispiel bei drohenden Pro-
Zu Benchmarkingzwecken überwacht Joy die Betriebs- duktausfällen vorbeugend ein Gerät warten und Repa-
parameter auch über mehrere Bergwerke in unter- raturen per Fernzugriff erledigen. Das reduziert die
schiedlichen Ländern hinweg. Ausfallzeiten und die notwendigen Mechanikerbesu-
che beim Kunden. Und selbst wenn einmal ein Mecha-
STEUERUNG niker vor Ort nachsehen muss, zeigen Vorabinfos, was
Waren lassen sich nun per Fernsteuerung oder über defekt ist, welche Ersatzteile erforderlich sind und wie
Algorithmen steuern, die in das Produkt integriert oder sich das Problem beheben lässt. Das senkt die Repara-
in der Cloud gespeichert sind. Algorithmen sind turkosten und erhöht die Quote der beim ersten Besuch
Regeln, die das Produkt bei bestimmten Veränderun- gelösten Probleme. Der Geldautomatenhersteller Die-
gen auf eine vorher definierte Art und Weise reagieren bold überwacht viele seiner Automaten im Rahmen
lassen (zum Beispiel „Wenn der Druck zu hoch wird, eines Frühwarnsystems. Wenn es doch zu einer Panne
Ventil abschalten“ oder „Wenn der Verkehr im Park- kommt, repariert das Unternehmen die Geldautomaten
haus ein bestimmtes Niveau erreicht, Deckenbeleuch- nach Möglichkeit per Fernzugriff oder stattet den Me-
tung an- oder ausschalten“). chaniker, der die Reparatur vor Ort durchführt, mit ei-
Die Steuerung über ins Produkt integrierte oder über ner detaillierten Problemdiagnose, einem empfohlenen
die Cloud betriebene Software ermöglicht eine indivi- Reparaturprozess und nach Möglichkeit auch gleich
duelle und exakte Leistungsabstimmung des Produkts, mit den nötigen Ersatzteilen aus. Wie bei vielen
die vorher entweder nicht möglich war oder nicht schlauen Produkten lassen sich bei den Geldautomaten
rentabel gewesen wäre. Mit der gleichen Technologie von Diebold auch Funktionserweiterungen häufig per
können auch die Nutzer ihre Interaktion mit einem Fernzugriff über ein Software-Update integrieren.
Produkt auf vielfältige Art und Weise steuern und indi-
vidualisieren. Glühbirnen der Philips-Lighting-Marke AUTOMATISIERUNG
Hue lassen sich zum Beispiel über ein Smartphone steu- Dank Überwachungs-, Steuerungs- und Optimierungs-
ern: Die Nutzer können die Lampen per Handy ein- funktionen erreichen die neuen Produkte auch ein
und ausschalten, so programmieren, dass sie rot blin- bisher nie da gewesenes Maß an Autonomie. In der ein-
ken, wenn ein Einbrecher erkannt wird, oder abends fachsten Version funktioniert das wie beim iRobot
langsam abdimmen. Bei dem intelligenten, vernetzten Roomba, einem Saugroboter, der mithilfe von Sensoren
Türsicherheitssystem Doorbot sieht der Bewohner auf und Software Böden mit unterschiedlichem Grundriss
seinem Smartphone das Bild der Überwachungska- selbstständig reinigen kann. Höher entwickelte Pro-
mera, wenn jemand geklingelt hat, und kann dem Be- dukte können sogar das Wissen über ihr Umfeld stän-
sucher gegebenenfalls mit dem Handy die Tür öffnen. dig erweitern, per Selbstdiagnose Wartungsbedarf an-
zeigen und sich auf die Vorlieben der Nutzer einstellen.
OPTIMIERUNG Automatisierte Produkte reduzieren nicht nur den
Die umfangreichen Überwachungsdaten von intelli- Bedarf an Bedienern, sondern können auch sicher in
genten, vernetzten Produkten und die Fähigkeit, den gefährlichen Umgebungen arbeiten und entlegene
Betrieb eines Produkts zu steuern, bieten Unternehmen Standorte erreichen.
vielfältige neue Möglichkeiten der Leistungsoptimie- Zudem ermöglicht die Automatisierung das Abstim-
rung. Intelligente, vernetzte Produkte können Echt- men mit anderen Produkten und Systemen. In solchen
zeit- oder historische Daten analysieren und Algo- Fällen steigt der Mehrwert exponentiell, je mehr Pro-
rithmen hinzuziehen und so die Leistung, Auslastung dukte angeschlossen werden. So nimmt zum Beispiel
und Effizienz eines Produkts drastisch verbessern. Bei die Energieeffizienz eines Stromnetzes exponentiell zu,
Windturbinen kann zum Beispiel ein kleiner Mikro- je mehr intelligente Zähler angeschlossen sind. Dann

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hen, müssen wir die Folgen für die Branchenstruktur


prüfen. Der Wettbewerb wird von fünf Kräften geprägt
FÜNF PRÄGENDE KRÄFTE (seine berühmte Theorie der „Five Forces“ entwickelte
Michael Porter bereits 1979 – Anm. d. Red.): Verhand-
Smarte Produkte werden die Branchenstruktur verändern. Die lungsmacht der Käufer, Art und Intensität der Rivalität
fünf Kräfte, die den Wettbewerb bestimmen, liefern den unter den Wettbewerbern, Bedrohung durch Markt-
notwendigen Rahmen, um die Bedeutung dieser Veränderungen neulinge, Bedrohung durch Ersatzprodukte oder
verstehen zu können. -dienstleistungen und Verhandlungsmacht der Liefe-
ranten (siehe Kasten links). Anordnung und Stärke die-
ser fünf Faktoren definieren die Art des Wettbewerbs
Bedrohung durch und die durchschnittliche Rentabilität der etablierten
Marktneulinge Anbieter. Wenn neue Technologien, Kundenanforde-
rungen oder andere Faktoren diese fünf Kräfte beein-
flussen, verändert das den Wettbewerb. Intelligente,
vernetzte Produkte werden die Wettbewerbsstruktur
vieler Branchen transformieren, wie es beim Einzug des
Verhandlungs- RIVALITÄT Verhandlungs- Internets in die IT der Fall war. Dabei werden die Um-
macht der ZWISCHEN DEN macht wälzungen in den Fertigungssektoren am größten sein.
LIeferanten WETT- der Käufer
BEWERBERN
VERHANDLUNGSMACHT DER KÄUFER
Smarte Produkte schaffen erheblich mehr Möglichkei-
ten der Produktdifferenzierung, sodass der Preis als
Hauptwettbewerbsfaktor an Bedeutung verliert. Wenn
Unternehmen wissen, wie die Kunden ein Produkt
Bedrohung durch tatsächlich einsetzen, können sie ihre Zielgruppe ge-
Ersatzprodukte oder
-dienstleistungen
nauer segmentieren, ihre Angebote besser auf die ein-
zelnen Segmente abstimmen, mit einer optimierten
Preispolitik die Werterschließung verbessern und ihre
Mehrwertangebote ausweiten. Die Unternehmen kön-
nen ihre Kunden enger an sich binden, denn je um-
fangreicher die gesammelten kundenspezifischen Nut-
erhält der Versorger im Lauf der Zeit immer mehr zungsdaten, desto teurer wird es für den Kunden, den
Informationen über die Nachfragemuster und kann Anbieter zu wechseln. Außerdem können Unterneh-
entsprechend reagieren. men ihre Abhängigkeit von Vertriebs- oder Servicepart-
Auf der letzten Stufe agieren Produkte vollkommen nern verringern, oder sie kommen sogar ganz ohne
eigenständig. Sie nutzen Algorithmen, die auf Leis- diese Partner aus und können so ihren Gewinnanteil
tungs- und Umweltdaten basieren – einschließlich der steigern. All das trägt dazu bei, die Verhandlungsmacht
Aktivitäten anderer Produkte im System –, und kom- der Käufer zu verringern.
munizieren mit anderen Produkten. Menschen über- Der Triebwerkhersteller GE Aviation beispielsweise
nehmen nur noch die Leistungsüberwachung oder kann heute mit mehr Dienstleistungen direkt an die
kontrollieren ganze Flotten oder Systeme statt ein- Endkunden herantreten und ist dadurch gegenüber sei-
zelner Einheiten. Das Longwall Mining System des nen unmittelbaren Kunden, den Flugzeugherstellern,
Herstellers Joy Global kann unter Tage vollkommen in einer besseren Verhandlungsposition. Mit Daten aus
autonom arbeiten und wird von einem Bergwerkskon- Hunderten von Triebwerkssensoren kann GE zusam-
trollzentrum an der Erdoberfläche überwacht. Es findet men mit den Fluggesellschaften Diskrepanzen zwi-
eine ständige automatische Leistungs- und Fehlerkon- schen Soll- und Ist-Leistung analysieren und auf dieser
trolle statt. Techniker werden nur noch bei Problemen, Basis die Triebwerksleistung optimieren. Alitalia konn-
die ein menschliches Eingreifen erfordern, in den Stol- te zum Beispiel dank GEs Analyse des Kerosinver-
len geschickt. brauchs seine Flugprotokolle so anpassen, dass we-
niger Flugbenzin verbraucht wird – etwa durch eine
VERÄNDERUNG DER BRANCHENSTRUKTUR bessere Positionierung der Landeklappen während der
Um die Auswirkungen der Produkte auf den Wett- Landung. GE profitiert von einer engen Beziehung zu
bewerb und die Rentabilität einer Branche zu verste- den Fluggesellschaften auf zweierlei Weise: durch eine

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bessere Abgrenzung von der Konkurrenz und durch druck, wenn Unternehmen versuchen, ihre Fixkosten
eine größere Verhandlungsmacht gegenüber den Flug- auf eine größere verkaufte Stückzahl zu verteilen.
zeugherstellern. (Zur Digitalisierung bei General Elec- Die enorme Ausweitung der Funktionspalette könn-
tric und GE Aviation siehe auch den Beitrag „Digitale te Konkurrenten dazu verleiten, ein Funktionswett-
Erneuerung“ in diesem Heft.) rüsten zu starten und einen zu großen Anteil der
Intelligente, vernetzte Produkte können aber auch verbesserten Produktleistung zu verschenken – eine
die Verhandlungsmacht der Käufer erhöhen. Wenn die Dynamik, die die Kosten in die Höhe treibt und die
Käufer mehr Informationen über die tatsächliche Pro- Rentabilität der Branche schmälert.
duktleistung haben, können sie die Hersteller besser Außerdem kann die Wettbewerbsintensität zuneh-
miteinander vergleichen. Außerdem sind sie mit detail- men, wenn intelligente, vernetzte Produkte Teil größe-
lierten Produktnutzungsdaten weniger auf die Bera- rer Produktsysteme werden. Auf diesen Trend gehen
tung und Unterstützung der Hersteller angewiesen. wir später noch näher ein. Die Hersteller von Beleuch-
Und wenn Produkte als Dienstleistung oder zur ge- tung, Klimaanlagen sowie Audio- und Videoausrüs-
meinsamen Nutzung angeboten werden (Einzelheiten tung haben in der Vergangenheit nicht miteinander
hierzu folgen weiter unten), sinken die Kosten eines konkurriert. Heute ringen die Vertreter aller drei Grup-
Anbieterwechsels. Auch das stärkt die Position der pen um die besten Plätze im neuen Sektor „Heimver-
Käufer oder Nutzer. netzung“, bei dem unterschiedliche Produkte durch
Daten- und Netzwerkkomponenten in ein übergeord-
RIVALITÄT ZWISCHEN DEN WETTBEWERBERN netes System eingegliedert werden.
Auch die Art und die Intensität des Wettbewerbs kann
sich verändern, weil zahlreiche neue Differenzierungs- BEDROHUNG DURCH MARKTNEULINGE
möglichkeiten und Mehrwertdienste möglich werden. Einsteiger im Markt der technisch erweiterten Pro-
Außerdem können Unternehmen mit den neuen Pro- dukte müssen hohe neue Hürden überwinden. Dazu
dukten ihre Angebote auf kleinere Marktsegmente ab- gehören die hohen Fixkosten für eine komplizierte
stimmen und teilweise sogar einzelkundenspezifische Produktkonstruktion, eingebettete Technologie und
Produkte anbieten, was die Differenzierung und die eine mehrere Ebenen umfassende IT-Infrastruktur. In
Ausnutzung des Preispotenzials weiter optimiert. seinem Handspektrometer TruDefender FTi hat der
Die Anbieter können ihr Wertversprechen sogar über Labortechnikspezialist Thermo Fisher ein bereits intel-
das eigentliche Produkt hinaus erweitern und wert- ligentes Produkt um eine Vernetzungskomponente er-
volle Daten oder Mehrwertdienstleistungen mit an- gänzt, damit die Ergebnisse einer chemischen Analyse
bieten. Babolat zum Beispiel stellt seit 140 Jahren Ten- in kontaminierten Umgebungen an andere Nutzer
nisschläger und Tennisausrüstung her. Mit der neuen übertragen und Gegenmaßnahmen eingeleitet werden
Produktfamilie Babolat Play Pure Drive, bei der Senso- können, noch bevor die an der Messung beteiligten
ren und Netzwerkkomponenten im Griff des Schlägers Geräte und Personen dekontaminiert wurden. Thermo
integriert sind, bietet das Unternehmen jetzt auch noch Fisher musste eine vollständige Produktwolke auf-
eine Dienstleistung: Es hilft Tennisspielern dabei, über bauen, um Produktdaten sicher erfassen, analysieren,
eine Auswertung von Ballgeschwindigkeit, Spin und speichern und sowohl intern als auch an den Kunden
Auftreffpunkt des Balls am Schläger ihr Spiel zu verbes- übermitteln zu können. Das war ein sehr umfangrei-
sern. Die vom Schläger erfassten Daten werden per ches Projekt.
Funkverbindung zu einer App auf dem Smartphone des Die Erweiterung von Produktdefinitionen kann die
Spielers übertragen. Einstiegshürden für Marktneulinge sogar noch er-
Intelligente, vernetzte Produkte erhöhen den Fix- höhen. Das Berliner Medizintechnikunternehmen
kostenanteil und senken den Anteil der variablen Kos- Biotronik stellte früher klassische Herzschrittmacher,
ten. Dieser Faktor wirkt der Verschiebung weg vom Insulinpumpen und andere Geräte her. Heute bietet es
Preis als Hauptdifferenzierungsfaktor entgegen. Der intelligente, vernetzte Geräte an, zum Beispiel ein Ge-
Grund liegt darin, dass zuverlässige Verbindungen so- sundheitsüberwachungssystem für zu Hause, das mit
wie robuste Speicher-, Analyse- und Sicherheitsfunk- einem Rechenzentrum verbunden ist, damit Ärzte die
tionen für die Daten gewährleistet werden müssen. Geräte und den klinischen Status ihrer Patienten aus
Das führt zunächst zu höheren Kosten bei der Soft- der Ferne überwachen können.
wareentwicklung, zu einem komplizierteren Produkt- Die Einstiegshürden werden auch höher, wenn die
design und hohen Fixkosten für den Aufbau der kom- Pioniere auf einem Markt ihre Vorreiterrolle gebrau-
plexen Technologieinfrastruktur. In Branchen mit ei- chen, um auf Basis von Nutzungsdaten ihre Produkte
nem hohen Fixkostenanteil entsteht schnell Preis- und Dienstleistungen zu verbessern und den After-

DEZEMBER 2014 HARVARD BUSINESS MANAGER 11


SCHWERPUNKT DAS INTERNET DER DINGE | STRATEGIE

SO LÖSEN SICH BRANCHENGRENZEN AUF


Das Internet der Dinge verändert nicht nur den Wettbewerb innerhalb einer Branche, sondern erweitert auch die Branche
an sich. Dazu kommt es, wenn sich die Wettbewerbsgrundlage verschiebt – weg von einzelnen Produkten, hin zu Systemen,
die aus eng miteinander verknüpften Produkten bestehen, und weiter zu übergeordneten Systemen von Systemen,
die mehrere Produktsysteme zusammenbringen. Für einen Traktorhersteller kann dies bedeuten, dass er sich in einer
erweiterten Branche wiederfindet, die alles Mögliche rund um die landwirtschaftliche Automatisierung umfasst.

3. Intelligentes, vernetztes Produkt

2. Intelligentes Produkt

1. Produkt

sales-Service neu zu definieren. Außerdem können die stellen. Die traditionellen Fertigungsunternehmen be-
Kundentreue und die Kosten eines Anbieterwechsels kommen aber auch Konkurrenz von neuen Wettbewer-
steigen, was die Einstiegshürden ebenfalls erhöht. bern wie Apple. Der iPhone-Hersteller präsentierte vor
Senken können Neulinge die Hürden hingegen, Kurzem einen einfacheren, smartphonebasierten An-
wenn sie die Stärken und Vorteile der etablierten An- satz für die Verwaltung des vernetzten Haushalts.
bieter aushebeln. Manche der alteingesessenen Wett-
bewerber sträuben sich vielleicht auch gegen die neuen BEDROHUNG DURCH ERSATZPRODUKTE
Funktionen von intelligenten, vernetzten Produkten Intelligente, vernetzte Produkte sind leistungsstärker,
und versuchen lieber, ihre auf physischen Faktoren ba- lassen sich besser an individuelle Bedürfnisse anpassen
sierenden Stärken und rentablen alten Produkte und und bieten den Kunden einen höheren Mehrwert als
Dienstleistungen abzuschirmen. Damit öffnen sie traditionelle Ersatzprodukte. Im Wettstreit mit her-
neuen Anbietern Tür und Tor. Im Agrarbereich hat das kömmlichen Produkten können sie also die Gefahr
OnFarm ausgenutzt, ein neuer Anbieter ohne physi- verringern, ersetzt zu werden und das Wachstum sowie
sches Produkt, der sich in den USA mit Datendienst- die Rentabilität der Branche steigern. Umgekehrt be-
leistungen erfolgreich gegen traditionelle Landmaschi- drohen die neuen Produkte mit ihren umfangreicheren
nenhersteller behauptet. OnFarm trägt Daten zu unter- Funktionen und Fähigkeiten in vielen Branchen
schiedlichen Arten von Landmaschinen für Bauern zu- die herkömmlichen Produkte und schaffen damit neue
sammen. Im Bereich der Heimautomatisierung verkauft Gefahren. Das trifft zum Beispiel auf die tragbaren Fit-
Crestron, ein Anbieter von integrierten Lösungspake- nessgeräte von Fitbit zu, die von der Bewegungsinten-
ten, komplexe Systeme mit vielfältigen Bedienschnitt- sität einer Person bis zum Schlafverhalten unterschied-

12 HARVARD BUSINESS MANAGER DEZEMBER 2014


5. Systeme von Systemen
Wetterkarten Wettervorhersagen
4. Produktsystem
Sensoren für Anwendung der
Regen, Feuchtigkeit, Wetterdaten
Temperatur WEATHER
WETTERDATEN-
DATA SYSTEM
SYSTEM
PLATFORM Leistungsdaten-
bank für den
PFLANZMASCHINEN Agrarbetrieb

AGRAR- SAAT- Saat-


LANDMASCHINEN- MÄH- LANDMASCHINEN-
MANAGEMENT- OPTIMIERUNGS- daten-
SYSTEM DRESCHER SYSTEM
SYSTEM SYSTEM bank
TRAKTOREN

Saat-
PFLÜGE optimierungs-
anwendung
BEWÄSSERUNGS-
SYSTEM
Boden- Bewässerungs-
sensoren anwendung

Bewässerungsknoten

liche gesundheitsrelevante Daten erheben und damit den nachsehen, wo die nächste Leihstation ist, und sich
herkömmliche Geräte wie Laufuhren oder Schritt- dort ein Fahrrad ausleihen. Die Räder werden über-
zähler verdrängen. wacht, und die Kunden bezahlen für die Zeit, in der sie
Einige neue Geschäftsmodelle auf der Grundlage das Rad nutzen. Solche Modelle führen dazu, dass es für
smarter Produkte bieten Alternativen zum Kauf und Städter immer seltener notwendig ist, ein Rad zu besit-
Besitz und senken damit die Gesamtnachfrage. Die Idee, zen, das Radfahren aber gefördert wird. Sie sparen nicht
Produkte als Dienstleistung anzubieten, ermöglicht nur den Anschaffungspreis, sondern müssen das Rad
den Kunden zum Beispiel, sie uneingeschränkt zu nut- auch nicht zu Hause abstellen. Bequeme Leihräder wer-
zen, aber nur für den tatsächlichen Gebrauch zu zahlen. den in Zukunft nicht nur ein Ersatz für gekaufte eigene
Eine Abwandlung dieses Modells ist die gemeinsame Fahrräder sein, sondern womöglich auch für Autos
Nutzung von Produkten. In diese Kategorie fällt zum und andere Formen des städtischen Nahverkehrs. Dass
Beispiel das Carsharing. Anbieter wie Zipcar bieten ihren Verleihmodelle dem herkömmlichen Eigentumsmo-
Kunden Zugang zu einem Auto, wann immer und wo dell Konkurrenz machen, ist erst möglich, seitdem uns
immer sie eines brauchen. Ein eigenes Auto wird da- intelligente, vernetzte Produkte zur Verfügung stehen.
durch überflüssig. Deshalb sind auch die traditionellen
Autohersteller in diesen Markt eingestiegen. Bei Gene- VERHANDLUNGSMACHT DER LIEFERANTEN
ral Motors heißt das Programm RelayRides, BMW be- Smarte Produkte revolutionieren die traditionellen
treibt DriveNow und Toyota ein Angebot namens Dash. Lieferantenbeziehungen und verschieben das Kräfte-
Ähnliche Systeme gibt es in immer mehr Städten auch gleichgewicht der Verhandlungspartner. Intelligente
für Fahrräder. Per Smartphone-App können die Kun- und vernetzte Produktkomponenten bieten einen

DEZEMBER 2014 HARVARD BUSINESS MANAGER 13


SCHWERPUNKT DAS INTERNET DER DINGE | STRATEGIE

größeren Mehrwert und lassen die herkömmlichen auch die Branche an sich neu definieren. Grenzen wer-
physischen Komponenten zu Massenmarktgütern den neu gezogen, Branchen erweitert. Sie enthalten
werden oder ersetzen sie im Laufe der Zeit durch Soft- nicht mehr nur einzelne Waren, sondern ganze Pro-
ware. Je mehr Produktfunktionen softwaregesteuert duktgruppen, die bestimmte Bedürfnisse und Anforde-
sind, desto weniger physische Anpassungen sind er- rungen erfüllen. Die Funktion eines Produkts wird
forderlich und desto weniger unterschiedliche physi- durch andere ergänzt. So lässt sich die Gesamtmaschi-
sche Komponenten werden verarbeitet. Der Anteil der nenleistung eines landwirtschaftlichen Betriebs stei-
traditionellen Zulieferer an den Gesamtproduktions- gern, wenn intelligente, vernetzte Maschinen wie Trak-
kosten geht zurück, und damit schwindet auch ihre toren, Pflüge und Pflanzmaschinen in einem Netzwerk
Verhandlungsmacht. zusammengeführt werden (siehe Kasten Seite 12/13).
Allerdings bringen die neuen Produkte auch ein- Die Wettbewerbsgrundlage verschiebt sich dadurch
flussreiche neue Zulieferer ins Spiel, etwa für Sensoren, von der Funktionalität eines einzelnen Produkts zur
Software, Netzwerkkomponenten, eingebettete Be- Leistung eines breiteren Produktsystems, in dem das
triebssysteme, Datenspeicherung, Analyse und andere Unternehmen nur einer von mehreren Akteuren ist.
Teile der komplexen Technologieinfrastruktur. Einige Der Hersteller kann ein Paket mit vernetzten Geräten
davon sind in ihren eigenen Branchen echte Schwer- und dazu passenden Dienstleistungen anbieten, die
gewichte, zum Beispiel Google, Apple oder AT&T. Sie das Gesamtergebnis verbessern. In unserem Landwirt-
verfügen über Talente und Fähigkeiten, die die meisten schaftsbeispiel wächst die Branche also von der Trak-
Produktionsunternehmen in der Vergangenheit nicht torherstellung bis zur Landmaschinenoptimierung. Im
gebraucht haben, die jetzt aber eine entscheidende Rolle Bergbau zielt der amerikanische Dienstleister Joy Glo-
für die Produktdifferenzierung und für die Kosten spie- bal mit seiner Leistungsoptimierung nicht mehr auf
len. Diese Zulieferer genießen mitunter eine große Ver- einzelne Bergbaumaschinen, sondern auf den gesamten
handlungsmacht. Sie können sich einen größeren An- Maschinenpark, der unter Tage im Einsatz ist. Auf diese
teil des gesamten Produktwerts sichern und schmälern Weise wächst die Branche von einzelnen Maschinen zu
den Gewinn für die Fertigungsunternehmen. ganzen Maschinensystemen.
Ein gutes Beispiel ist die Open Automotive Alliance, Die Entwicklung geht aber noch weiter. Zunehmend
in der sich die Autobauer General Motors, Honda, Audi entstehen Systeme von Systemen. Hier werden unter-
und Hyundai vor Kurzem zusammengetan haben, um schiedliche Produktsysteme und damit in Beziehung
Googles Android-Betriebssystem für ihre Fahrzeuge zu stehende externe Informationen koordiniert und als
nutzen. Den Autobauern fehlt die Kompetenz, selbst Gruppe optimiert. Ein Beispiel dafür sind intelligentes
ein robustes integriertes Betriebssystem zu entwickeln, Wohnen, intelligente Gebäude oder intelligente Städte.
das ein erstklassiges Benutzererlebnis gewährleistet Bei den sogenannten Smart Homes werden die Pro-
und gleichzeitig einem ganzen Netzwerk von Entwick- duktsysteme für unterschiedliche Bereiche wie Be-
lern ermöglicht, neue Apps hervorzubringen. Die tradi- leuchtung, Heizung, Lüftung und Klimatisierung, Un-
tionell große Verhandlungsmacht der Automobilher- terhaltungselektronik und Sicherheit zu einem überge-
steller gegenüber Zulieferern greift bei Lieferanten wie ordneten System von Systemen zusammengeführt. Die
Google nicht. Denn diese besitzen nicht nur umfang- Landmaschinenhersteller John Deere und AGCO ver-
reiche Ressourcen und viel Kompetenz, sondern auch netzen inzwischen nicht nur Landmaschinen, sondern
starke Verbrauchermarken und eine Menge ähnlicher auch Bewässerungssysteme sowie Boden- und Nähr-
Anwendungen. So bevorzugen die Kunden womöglich stoffquellen und ergänzen diese Systeme um Infor-
ein Auto, bei dem sie Smartphone, Musik und Apps mationen über Wetter, Preise für landwirtschaftliche
nahtlos einbinden können. Erzeugnisse und Rohstoff-Futures, um die Gesamt-
Neue Technologielieferanten für smarte Produkte leistung eines landwirtschaftlichen Betriebs weiter
könnten sich auch deshalb mehr Einfluss erkämpfen, zu optimieren. Diejenigen Anbieter, deren Produkte
weil sie enge Beziehungen zu den Endkunden haben und Gestaltung die größte Wirkung auf das übergeord-
und über wertvolle Nutzungsdaten verfügen. Da die nete Gesamtsystem haben, können diesen Prozess am
Lieferanten solche Daten direkt von den Endkunden stärksten vorantreiben und einen größeren Teil der
erheben, können sie auch neue Dienstleistungen an- Wertschöpfung erschließen als andere.
bieten – so wie es GE bei Alitalia gemacht hat. Einige Unternehmen wie John Deere, AGCO und Joy
Global wollen ihre Branchen bewusst erweitern und
WIE SICH DIE BRANCHEN VERÄNDERN neu definieren. Andere empfinden diese Entwicklung
Die neuen Fähigkeiten der Produkte verändern nicht als bedrohlich, denn sie bringt natürlich neue Wettbe-
nur den Wettbewerb in einer Branche, sondern können werber und neue Wettbewerbsgrundlagen mit sich und

14 HARVARD BUSINESS MANAGER DEZEMBER 2014


erfordert völlig neue und breiter angelegte Kompeten- Wettbewerber zurückfallen. Operative Effizienz allein
zen. Unternehmen, denen es nicht gelingt, sich anzu- reicht aber selten aus, um sich einen nachhaltigen
passen, müssen womöglich mit ansehen, wie ihre tradi- Vorteil zu verschaffen, denn die Konkurrenz wird die
tionellen Produkte zur Massenware werden oder wie gleichen Best Practices einführen und nachziehen.
sie selbst zu Zulieferern der anderen Originalhersteller Um über die Mindestanforderungen hinauszuwach-
werden, während die Systemintegratoren die Kontrolle sen, müssen Unternehmen eine strategische Positionie-
übernehmen. rung entwickeln, mit der sie sich von der Konkurrenz
Wie sich intelligente, vernetzte Produkte im Einzel- absetzen. Bei der operativen Effizienz geht es darum,
nen auswirken, wird von der jeweiligen Branche ab- die Dinge gut zu machen, bei der strategischen Positio-
hängen. Einige Grundtendenzen sind aber bereits ab- nierung darum, die Dinge anders zu machen. Ein Un-
sehbar. ternehmen muss sich entscheiden, auf welche Art und
Erstens kündigen steigende Einstiegshürden zusam- Weise es der gewählten Zielgruppe einen einzigartigen
men mit Pioniervorteilen durch das frühzeitige Sam- Mehrwert bieten wird. Dazu gehört nicht nur die Ent-
meln und Auswerten von Nutzungsdaten in vielen scheidung, was man tun will, sondern vor allem auch,
Branchen eine Konsolidierung an. was man nicht tun will.
Zweitens dürfte der Konsolidierungsdruck in Bran- Smarte Produkte definieren einen neuen Standard für
chen, deren Grenzen zunehmend verschwinden, be- operative Effizienz und legen die Latte bei den Best
sonders stark ausfallen. Dort werden es die Hersteller Practices deutlich höher. Jeder Produkthersteller wird
von Einzelprodukten schwer haben, mit Unternehmen überlegen müssen, wie er künstliche Intelligenz und
mitzuhalten, die mehrere Produkte anbieten und die die Vernetzungsfähigkeit in seine Produkte integrieren
Produktleistung über breitere Systeme hinweg optimie- kann. Betroffen ist aber nicht nur das Produkt. Wie be-
ren können. reits erörtert, bringt die Umstellung auf die neue Tech-
Drittens dürften einflussreiche neue Wettbewerber nologie neue Best Practices für die gesamte Wertschöp-
entstehen, denn Unternehmen ohne Produktaltlasten, fungskette mit sich. Im zweiten Beitrag dieser Reihe
die keine eingefahrenen Wettbewerbsmodelle um- (siehe Kasten Seite 16) werden wir in einer der folgenden
krempeln und keine traditionellen Gewinnquellen ver- Ausgaben besprechen, wie sich die neuen Produkte auf
teidigen müssen, können das Wertschöpfungspoten- die Wertschöpfungskette auswirken. An dieser Stelle
zial smarter Produkte leichter ausnutzen. Einige der gehen wir kurz auf die Folgen für Produktdesign, Ser-
neuen Strategien werden produktlos sein, das heißt, viceleistungen, Marketing, Personalwesen und Sicher-
der eigentliche Wettbewerbsvorteil wird in dem System heit ein. Denn diese veränderten internen Vorgänge be-
bestehen, das Produkte miteinander verbindet, nicht in einflussen oft direkt die strategischen Entscheidungen.
den einzelnen Produkten.
KONZEPTION
WETTBEWERBSVORSPRUNG AUFBAUEN Wer smarte Produkte herstellen will, braucht ganz neue
Wie lassen sich nachhaltig Wettbewerbsvorteile auf- Konzeptionsprinzipien. So sollen zum Beispiel soft-
bauen, wenn sich die Branchenstrukturen verschie- waregestützte Individualisierungen physische Bauteile
ben? Die grundlegenden Strategieregeln gelten natür- standardisieren. Möglich werden sollen außerdem
lich weiterhin. Wer einen Wettbewerbsvorteil erzielen Personalisierung, Unterstützung kontinuierlicher
will, muss sich mit seinem Angebot von der Konkur- Upgrades und vorausschauende, erweiterte oder per
renz absetzen und entweder einen Preisaufschlag Fernzugriff zu erledigende Serviceleistungen. Um
durchsetzen oder die Kosten niedriger halten können Hardware, Elektronik, Software, Betriebssystem und
als die anderen – oder beides. Das bleibt das Rezept für Netzwerkkomponenten integrieren zu können, ist
überdurchschnittliche Rentabilität und überdurch- Fachwissen in Systems Engineering und agiler Soft-
schnittliches Wachstum. wareentwicklung notwendig – Kompetenzbereiche, die
Grundlage für Wettbewerbsvorteile ist die operative in vielen Fertigungsunternehmen nicht gut ausgebildet
Effizienz (OE). Das bedeutet, Best Practices entlang sind. Die Produktentwicklungsprozesse müssen so an-
der Wertschöpfungskette einzusetzen, einschließlich gelegt sein, dass Änderungen auch in späten Phasen
moderner Produktionstechnologien, neuester Produk- oder nach dem Kauf schnell und effizient realisierbar
tionsanlagen, aktueller Vertriebsmethoden, IT-Lösun- sind. Außerdem müssen die Unternehmen das völlig
gen und Supply-Chain-Ansätzen. unterschiedliche Tempo von Hardware- und Software-
Operative Effizienz ist die Mindestanforderung, um entwicklung in Einklang bringen. Denn die Entwick-
im Wettbewerb zu bestehen. Wer diese Anforderung lung eines physischen Produkts dauert bis zu zehnmal
nicht erfüllt, wird bei Kosten und Qualität hinter die länger als die Entwicklung der eingebauten Software.

DEZEMBER 2014 HARVARD BUSINESS MANAGER 15


SCHWERPUNKT DAS INTERNET DER DINGE | STRATEGIE

bundene Reparaturaufwand reduziert werden können.


Darüber hinaus lassen sich mithilfe von Nutzungs-
DIE VIER WICHTIGSTEN FRAGEN daten auch Garantieansprüche prüfen und Verstöße
gegen die Garantiebedingungen aufdecken.
Dieser Artikel ist der erste von zwei Beiträgen, in denen wir unter- In einigen Fällen können Unternehmen die Service-
suchen, wie smarte Produkte den Wettbewerb in vielen Branchen kosten auch senken, indem sie physische Teile durch
revolutionieren. Dabei müssen Unternehmen ganz allgemein vier Computerprogrammbausteine ersetzen. Darunter fallen
Fragen klären: zum Beispiel Glas-LCD-Displays im Cockpit von Flug-
zeugen, die elektrische und mechanische Anzeigen
Wie beeinflusst die Umstellung die Struktur und und Messinstrumente ersetzt haben und sich software-
1 die Grenzen unserer Branche? gesteuert reparieren oder aktualisieren lassen. Mithilfe
der Daten zur Produktnutzung sind die Experten in
Wie werden der Aufbau der Wertschöpfungskette und die den Unternehmen besser in der Lage, störungsanfäl-
2 wettbewerbsnotwendigen Aktivitäten beeinflusst? lige Teile von vornherein reparaturfreundlich zu kon-
struieren. All diese Verbesserungen ändern die Repa-
Welche neuen strategischen Entscheidungen müssen Unter- ratur- und Servicestufen der Wertschöpfungskette
3 nehmen treffen, um sich Wettbewerbsvorteile zu sichern? erheblich.

Welche organisatorischen Auswirkungen hat der neue Produkt- MARKETING


4 typ, und welche Herausforderungen sind mit ihm verbunden? Unternehmen können dank der intelligenten und ver-
netzten Produkte neue Arten von Kundenbeziehungen
In diesem Beitrag analysieren wir, wie sich intelligente, aufbauen. Diese erfordern jedoch auch neue Marke-
vernetzte Produkte auf die Struktur und die Grenzen von Branchen tingpraktiken und Kenntnisse von den Mitarbeitern.
auswirken. Wir stellen außerdem die neuen strategischen Indem die Unternehmen Nutzungsdaten auswerten,
Entscheidungen vor, die Unternehmen treffen müssen. In Teil erfahren die Verantwortlichen, auf welche Weise Pro-
zwei (erscheint in einer der nächsten Ausgaben) prüfen wir dukte den Kunden einen Mehrwert bringen. Auf dieser
die Auswirkungen auf die Wertschöpfungskette und die organisa- Grundlage können sie ihre Angebote besser positio-
torischen Herausforderungen, die sich daraus ergeben. nieren und den Kunden den Wert eines Produkts leich-
ter nahebringen. Mit Datenanalysetools können An-
(Hinweis: James E. Heppelmanns Firma PTC arbeitet weltweit mit mehr als bieter ihre Märkte genauer segmentieren, Produkt- und
28 000 Unternehmen zusammen, von denen einige in diesem Artikel erwähnt werden.) Leistungspakete schnüren, die jedem einzelnen Seg-
ment einen höheren Mehrwert bringen, und sich mit
einer entsprechenden Preispolitik einen größeren An-
teil dieses Mehrwerts sichern. Dieser Ansatz funktio-
niert besonders gut, wenn die Produktanpassung
KUNDENDIENST schnell und effizient per Software möglich ist – mit
Auch vorbeugende Wartung und Serviceproduktivität erheblich niedrigeren Grenzkosten als bei physischen
lassen sich erheblich verbessern. So können Unterneh- Produktveränderungen. Der Landmaschinenherstel-
men Produktdaten nutzen, die bestehende und künf- ler John Deere produzierte früher für die verschie-
tige Probleme anzeigen, sodass sich Reparaturen recht- denen Kundensegmente unterschiedlich leistungs-
zeitig und zum Teil auch aus der Ferne durchführen las- starke Motoren. Heute kann das Unternehmen die Leis-
sen. Dazu braucht die Dienstleistungsorganisation je- tung bei ein und demselben Motor softwaregesteuert
doch neue Strukturen und Umsetzungsprozesse. Mit variieren.
Echtzeitdaten zur Leistung und Nutzung von Produk-
ten lassen sich die Kosten für Außendienstmitarbeiter PERSONALWESEN
erheblich reduzieren; bei der Bestandskontrolle von Er- Intelligente, vernetzte Produkte bringen erhebliche
satzteilen winken beträchtliche Effizienzsteigerungen. Anforderungen und Probleme für das Personalwesen
Ein Frühwarnsystem für drohende Probleme bei ein- mit sich. Vor allem müssen neue Fähigkeiten einge-
zelnen Teilen oder Komponenten kann Produktausfälle kauft werden, von denen viele sehr gefragt sind. Die
verringern und ermöglicht eine effizientere Wartungs- Konstruktionsabteilungen, in denen traditionell Ma-
planung. Außerdem liefern Leistungs- und Nutzungs- schinenbauingenieure arbeiten, brauchen zusätzlich
daten wertvolles Feedback für den Produktaufbau, Fachleute für Softwareentwicklung, Systems Enginee-
sodass künftige Produktausfälle und der damit ver- ring, Cloud-Computing, Big-Data-Analyse und anderes.

16 HARVARD BUSINESS MANAGER DEZEMBER 2014


SICHERHEIT genutzten Boilern werden solche Funktionen hingegen
Ein solides Sicherheitsmanagement muss Daten auf häufig nachgefragt, Tendenz weiter steigend. Die
dem Weg von und zu den Produkten schützen, unbe- Fernüberwachung und der Fernbetrieb bieten gewerb-
fugte Zugriffe auf das Produkt verhindern und dafür lichen Nutzern, die ohne Heizung und Warmwasser
sorgen, dass die Technologieinfrastruktur sicher an nicht arbeiten könnten, einen Mehrwert, der deutlich
andere Unternehmenssysteme angebunden wird. Die über den Kosten liegt. Daher setzen sich Über-
IT muss neue Identifizierungsprozesse einführen, Pro- wachungsfunktionen hier als Standard durch. Unter-
duktdaten sicher speichern, Produkt- und Kunden- nehmen sollten auch bedenken, dass die Kosten für den
daten vor Hackern schützen, Zugangsrechte definieren Einbau intelligenter, vernetzter Produktfunktionen in
und kontrollieren und die Produkte selbst vor Hackern der Regel im Laufe der Zeit sinken, so auch bei Warm-
und unbefugtem Zugriff schützen. wasserbereitern und Boilern. Deshalb müssen sie im-
mer wieder neu bewerten, welche Funktionen sie
WAS BEDEUTET DAS FÜR DIE STRATEGIE? anbieten wollen.
Der Weg zu einer führenden Wettbewerbsposition Zweitens hängt der Wert einzelner Produktfunktio-
führt letztlich immer über die Strategie. Unsere Unter- nen vom Marktsegment ab. Das sollten Unternehmen
suchungen zeigen, dass Unternehmen in einer intelli- berücksichtigen, wenn sie ihr Angebot zusammenstel-
genten und vernetzten Welt zehn neue strategische Op- len. Schneider Electric vertreibt sowohl Bauprodukte
tionen haben. Bei jeder müssen Abstriche gemacht wer- als auch integrierte Gebäudemanagementlösungen, die
den, und jede muss die individuellen Gegebenheiten detaillierte Daten zum Energieverbrauch und andere
des Unternehmens berücksichtigen. Zudem sind die Leistungskennziffern für Gebäude liefern. Einem Kun-
Optionen miteinander verknüpft. Alle zusammen müs- densegment bietet Schneider eine Lösung mit Anlagen-
sen sich gegenseitig verstärken und eine kohärente, fernüberwachung und Warnfunktionen und berät die
individuelle, strategische Positionierung des Unter- Kunden zusätzlich, wie sie Energie und Kosten sparen
nehmens ergeben. können. Für ein anderes Segment, das eine vollständig
ausgelagerte Lösung sucht, übernimmt Schneider
WELCHE INTELLIGENTEN, VERNETZTEN selbst die Anlagenüberwachung und sorgt im Auftrag

1 PRODUKTFUNKTIONEN SOLL
DAS UNTERNEHMEN ANSTREBEN?
Die Bandbreite an möglichen Funktionen und Pro-
des Kunden für einen minimalen Energieverbrauch.
Drittens sollten sich Unternehmen für Funktionen
entscheiden, die ihre Wettbewerbsposition stärken.
duktmerkmalen wächst erheblich. Da ist die Versu- Unternehmen mit einer Premiumstrategie können ihre
chung groß, möglichst viele davon umsetzen zu wol- Differenzierung häufig durch besonders umfangreiche
len, vor allem angesichts der niedrigen Grenzkosten für Funktionspakete verstärken, während Akteure im Bil-
weitere Sensoren und zusätzliche Software sowie der
weitgehend fixen Kosten für die Cloud und andere
Teile der Infrastruktur. Aber nur weil viele neue Funk-
tionen zur Verfügung stehen, heißt das noch lange
nicht, dass ihr Mehrwert für die Kunden auch tatsäch-
lich die Kosten übersteigt. Wenn Unternehmen sich auf JOY GLOBAL
ein Wettrüsten bei den Produktfunktionen einlassen,
verwässern sie nur ihre strategische Positionierung und Bergbaumaschinen wie
erzeugen letztlich ein Nullsummenspiel. dieser Strebbau-
Doch wie findet ein Unternehmen heraus, welche Walzenlader von Joy
Funktionen es anbieten sollte? Global stimmen
Erstens muss es entscheiden, welche Funktionen den sich automatisch mit
Kunden – gemessen an den Kosten – einen echten anderen Maschinen
Mehrwert bieten. Der Boilerhersteller A. O. Smith hat ab, um die Effizienz
für Privathäuser Boiler mit einer automatischen Feh- im Bergwerk
lerüberwachung und -benachrichtigung entwickelt. zu verbessern.
Aber Warmwasserbereiter sind so langlebig und zuver-
lässig, dass kaum ein Privathaushalt bereit ist, für sol-
che Funktionen einen Aufpreis zu zahlen. Deshalb bie-
tet A. O. Smith diese Funktionen nur bei einigen weni-
gen Modellen als Sonderausstattung an. Bei gewerblich
SCHWERPUNKT DAS INTERNET DER DINGE | STRATEGIE

ligsegment eher nur die grundlegenden Funktionen AUTOMATISIERUNG Voll automatisierte Produkte wie
integrieren sollten, die direkt mit der Kernleistung des Antiblockiersysteme erfordern in der Regel, dass mehr
Produkts zu tun haben und die Betriebskosten senken. Funktionen direkt im Gerät angesiedelt werden.
A. O. Smiths Tochterunternehmen Lochinvar setzt VERFÜGBARKEIT, ZUVERLÄSSIGKEIT UND SICHERHEIT
massiv auf Differenzierung über Produktmerkmale. DES NETZWERKS Wenn Software direkt ins Produkt in-
Deshalb gehören umfangreiche intelligente, vernetzte tegriert wird, ist sie nicht darauf angewiesen, dass eine
Funktionen bei den Kernprodukten zur Standardaus- Netzwerkverbindung zur Verfügung steht. Und wenn
stattung. Die Schweizer Premium-Uhrenmarke Rolex keine Daten an eine Anwendung in der Cloud geschickt
hat hingegen beschlossen, bewusst nicht im Bereich der werden müssen, entfällt auch das Risiko, dass heikle
intelligenten, vernetzten Funktionen zu konkurrieren. oder vertrauliche Daten während der Übertragung ab-
gefangen werden.
WELCHE FUNKTIONEN SOLLEN INS EINSATZORT DES PRODUKTS Unternehmen, die Pro-

2 PRODUKT INTEGRIERT, WELCHE SOLLEN IN DIE


CLOUD AUSGELAGERT WERDEN?
Wenn sich ein Unternehmen für eine bestimmte Palette
dukte an entlegenen oder gefährlichen Orten nutzen,
können die damit verbundenen Gefahren und Kosten
senken, indem sie Funktionen in der Cloud unterbrin-
an Funktionen entschieden hat, muss geklärt werden, gen. Wie bereits erwähnt, verfügen die Spektrometer
ob die Technologie für die jeweilige Funktion ins Pro- von Thermo Fisher über cloudbasierte Funktionen, die
dukt integriert werden soll (was die Kosten jedes ein- eine sofortige Übertragung der Kontaminationsdaten
zelnen Produkts steigert), ob sie über die Cloud ange- ermöglichen und so dafür sorgen, dass Gegenmaßnah-
boten werden soll oder beides. Neben den Kosten sind men schneller eingeleitet werden können.
noch eine Reihe weiterer Faktoren zu berücksichtigen: ART DER BENUTZERSCHNITTSTELLE Wenn Benutzer-
REAKTIONSZEIT Wenn es auf die Reaktionszeit einer schnittstellen kompliziert sind und sich häufig ändern,
Funktion ankommt, zum Beispiel bei der Sicherheits- sind sie in der Cloud am besten aufgehoben. Dies er-
abschaltung in einem Atomkraftwerk, muss die Soft- möglicht ein deutlich umfangreicheres Nutzererlebnis,
ware dafür in das physische Produkt integriert werden. und es können sogar vertraute und stabile Benutzer-
Damit sinkt auch das Risiko, dass eine fehlende oder oberflächen wie ein Smartphone eingesetzt werden.
schwache Funkverbindung die Reaktionszeit verlängert. HÄUFIGKEIT VON WARTUNGEN ODER UPGRADES Bei
cloudbasierten Anwendungen und Schnittstellen kön-
nen Unternehmen Produktänderungen und Upgrades
einfach und automatisch umsetzen.
Der Heimaudiospezialist Sonos, der in diesem Be-
reich als einer der ersten intelligente, vernetzte Pro-
TESLA dukte anbot, nutzt die Möglichkeiten des Cloud-Com-
puting, um Heimaudio im digitalen Zeitalter neu zu
Ein Tesla-Auto kann bei Reparaturbedarf erfinden. Im Vordergrund stehen Komfort, eine breite
selbstständig Korrektursoftware anfordern und her- musikalische Palette und Benutzerfreundlichkeit. Beim
unterladen oder dem Besitzer eine Nachricht Wi-Fi-System des Unternehmens sind sowohl die
senden und ihn darum bitten, einen Termin mit Musikquelle als auch die Tasten zur Bedienung in der
der nächsten Tesla-Werkstatt zu vereinbaren, im Internet gespeicherten Software untergebracht. Da-
die den Wagen dann abholt. durch konnte Sonos das physische Design seiner Pro-
dukte besonders einfach gestalten: Das tragbare Gerät,
das über ein Smartphone gesteuert wird, enthält ledig-
lich Verstärker und Lautsprecher. Mit diesem Angebot
wollte Sonos den Markt für Heimaudiosysteme revolu-
tionieren. Der Kompromiss? Wi-Fi-Audiosysteme, die
auf Streaming basieren, erreichen nicht die Tonqualität,
die echte Audiophile erwarten. Wettbewerber wie Bose
entscheiden sich lieber für Kompromisse in anderen
Bereichen, um ihre Positionierung zu verteidigen.
Unserer Einschätzung nach werden mit der zuneh-
menden Entwicklung von intelligenten, vernetzten
Produkten immer mehr Elemente der Gerätesteuerung
aus dem Produkt ins Internet verlagert. Dabei wird
allerdings die Bedienung für die Nutzer immer kompli-
zierter. Die Handhabung der Geräte könnte übermäßig
WINDRÄDER
komplex werden, aber aufgrund des Drucks der Nutzer
werden die Unternehmen für die wichtigsten Funktio- Wenn intelligente Windräder in einem Netzwerk
nen wie Ein- und Ausschalten wieder zu einfacheren zusammengeschaltet werden, können die
Bedienkonzepten zurückkehren. Rotorblätter softwaregesteuert so eingestellt werden,
dass sie die Effizienz der benachbarten
SOLL DAS UNTERNEHMEN Windräder so wenig wie möglich beeinträchtigen.

3 EIN OFFENES ODER EIN GESCHLOSSENES


SYSTEM ANSTREBEN?
Smarte Produkte sind mit mehreren Arten von Funk-
tionen und Dienstleistungen verbunden. Oft sind es
ganze Produktsysteme. Bei geschlossenen Systemen
sollen die Kunden das gesamte Paket von einem ein-
zigen Hersteller kaufen. Die wichtigsten Schnittstellen
sind geschützte Eigenentwicklungen, und der Zugriff
ist beschränkt. Die Betriebsdaten, die General Electric
(GE) aus seinen Flugzeugturbinen sammelt, stehen
nur den Fluggesellschaften zur Verfügung, die diese
Turbinen einsetzen. Bei offenen Systemen können die
Endkunden hingegen die Bestandteile einer Lösung
von unterschiedlichen Herstellern beziehen und frei
zusammenstellen – sowohl die Produkte als auch die
Plattform, die das System zusammenhält. Die Schnitt-
stellen für den Zugriff auf die einzelnen Bestandteile
des Systems sind offen oder standardisiert, sodass
auch Externe neue Anwendungen dafür entwickeln
können.
Geschlossene Systeme schaffen Wettbewerbsvor-
teile, indem sie einem Unternehmen erlauben, das
Design aller Systembestandteile zu kontrollieren und folgen und Krankenhäusern bildgebende Systeme ver-
zu optimieren. Das Unternehmen behält nicht nur kaufen, in denen ausschließlich die eigenen Produkte
die Kontrolle über die Technologie und die Daten, oder die von Partnerunternehmen enthalten sind. Da
sondern bestimmt auch, in welche Richtung das Pro- aber keiner der beiden Anbieter ausreichend Markt-
dukt und die Produktwolke weiterentwickelt werden. macht hat, um die Auswahlmöglichkeiten der Kran-
Die Hersteller einzelner Systemkomponenten haben kenhäuser auf die eigenen Produkte zu beschränken,
keinen Zugang zu einem geschlossenen System oder sind die Plattformen beider Unternehmen mit den
müssen Lizenzen kaufen, damit sie ihre Produkte in Geräten anderer Hersteller kompatibel.
das System integrieren dürfen. Solch ein Ansatz In ein vollständig offenes System kann jeder Anbieter
kann dazu führen, dass das System eines Herstellers de einsteigen. Als Philips Lighting seine Glühlampe Hue
facto zum Branchenstandard wird und das Unterneh- auf den Markt brachte, integrierte das Unternehmen
men den größten Teil des Branchenmehrwerts für sich eine einfache Smartphone-App, über die die Nutzer
verbucht. Farbe und Leuchtintensität einzelner Lampen regeln
Ein geschlossener Ansatz erfordert allerdings erheb- konnten. Philips veröffentlichte auch die Program-
liche Investitionen und funktioniert am besten, wenn mierschnittstelle dieser Anwendung, was dazu führte,
ein einzelner Hersteller in einer Branche ohnehin be- dass unabhängige Softwareentwickler schnell Dut-
reits eine dominierende Stellung einnimmt. Die kann er zende Anwendungen schufen, die den Glühlampen
dann nutzen, um das Angebot aller Komponenten eines neue Funktionen hinzufügten und den Umsatz ankur-
intelligenten, vernetzten Produktsystems zu kontrol- belten. Ein offener Ansatz beschleunigt die Anwen-
lieren. Wäre in der Medizintechnik entweder Philips dungsentwicklung und Systeminnovationen, weil Dritt-
Healthcare oder GE Healthcare der marktbeherr- anbieter einsteigen können. Auch das kann de facto zu
schende Hersteller von bildgebenden Geräten, könnte einem Branchenstandard führen, nur kann in diesem
dieses Unternehmen einen geschlossenen Ansatz ver- Fall kein Unternehmen allein davon profitieren.

DEZEMBER 2014 HARVARD BUSINESS MANAGER 19


SCHWERPUNKT DAS INTERNET DER DINGE | STRATEGIE

BABOLAT SOLL DAS UNTERNEHMEN ALLE FUNKTIONEN

Das Play-Pure-Drive-Produktsystem des Tennis-


4 UND DIE INFRASTRUKTUR SELBST
ENTWICKELN ODER ANDERE BEAUFTRAGEN?
Dazu sind erhebliche Investitionen in Fachkenntnisse,
ausrüsters Babolat bietet Sensoren und Technologien und Infrastruktur nötig, die in Ferti-
Netzwerkkomponenten im Griff des Tennisschlägers. gungsunternehmen normalerweise nicht vorhanden sind.
Damit können Spieler Ballgeschwindigkeit, Viele dieser Kompetenzen sind knapp und sehr gefragt.
Spin und Schläger treffpunkt aufzeichnen, auswerten Unternehmen müssen sich entscheiden, welche
und auf dieser Grundlage ihr Spiel verbessern. Technologiekomponenten sie intern entwickeln und
betreuen möchten und welche sie lieber in die Hände
von Zulieferern und Partnern legen. Wenn die Wahl auf
externe Anbieter fällt, sollten sie klären, ob es eigens
entwickelte, maßgeschneiderte Lösungen sein sollen,
oder ob es reicht, die besten fertigen Lösungen über
Lizenzen zu nutzen. Unsere Untersuchungen zeigen,
dass die erfolgreichsten Unternehmen eine sinnvolle
Kombination beider Varianten wählen.
Unternehmen, die smarte Produkte intern ent-
wickeln, holen sich das nötige Know-how und Infra-
strukturkomponenten ins Haus und gewinnen so mehr
Kontrolle über Produktmerkmale, Funktionen und
Produktdaten. Sie können sich vielleicht auch
Pioniervorteile sichern und die Richtung der weiteren
technologischen Entwicklung mitbestimmen. Das
Unternehmen bewegt sich auf seiner eigenen, steileren
Lernkurve, die ihm helfen kann, seine führende Wett-
bewerbsposition zu verteidigen. Die Softwarekompe-
tenz ist in den meisten Fertigungsunternehmen nicht
besonders gut ausgebildet. Doch wie GE-Chef Jeff Im-
melt im März 2014 sagte: „Jedes Industrieunternehmen
Anders als bei einzelnen Produktsystemen ist der wird zu einem Softwareunternehmen werden.“ Die
geschlossene Ansatz bei Systemen, die andere Systeme Technologie in smarten Produkten macht deutlich,
enthalten, oft unpraktisch. Whirlpool weiß, dass seine warum er damit recht haben könnte und warum es für
starke Position im Markt für Haushaltsgeräte nicht aus- Industrieunternehmen so wichtig ist, intern Soft-
reicht, um in der Heimvernetzung die Führungsrolle warekompetenzen aufzubauen.
zu übernehmen. Dazu gehören nämlich nicht nur Deshalb haben sich die Landmaschinenhersteller
vernetzte Haushaltsgeräte, sondern auch die Automati- AGCO und John Deere, zwei Pioniere in diesem Be-
sierung von Beleuchtung, Klima-, Lüftungs- und Heiz- reich, bewusst entschieden, ihre intelligenten Landma-
technik, Unterhaltungselektronik und Sicherheit. Des- schinenlösungen weitgehend intern zu entwickeln. GE
halb konstruiert Whirlpool seine Geräte so, dass sie hat ein großes Softwareentwicklungszentrum geschaf-
mit unterschiedlichen Heimautomatisierungssystemen fen, um intern Kapazitäten aufzubauen, die der Konzern
kompatibel sind, und versucht lediglich, die Kontrolle spartenübergreifend für strategisch entscheidend hält.
über seine eigenen Produktfunktionen zu behalten. Wie bei den zwei ersten IT-Wellen ist der Aufbau der
Ein hybrider Ansatz, bei dem Teilfunktionen offen komplexen Technologieinfrastruktur mit einem hohen
sind, aber ein einzelnes Unternehmen den Zugang zur Maß an Schwierigkeiten, Kompetenz, Zeit und Kosten
Gesamtfunktionalität kontrolliert, findet sich zum Bei- verbunden, und er führt bei jedem Technologieblock
spiel in der Medizintechnik. Dort unterstützen die Her- zu einer Spezialisierung. So wie Intel Spezialist für
steller eine branchenweit standardisierte Schnittstelle, Mikrochips wurde und Oracle für Datenbanken, tau-
stellen aber nur ihren Kunden den vollen Funktions- chen bereits neue Unternehmen auf, die sich auf die
umfang zur Verfügung. Mit der Zeit werden geschlos- Komponenten der Technologieinfrastruktur für smarte
sene Systeme schwieriger, weil sich die Technologie Produkte spezialisieren. Sie amortisieren ihre Techno-
verbreitet und die Kunden sich gegen die Beschrän- logieinvestitionen über viele Tausend Kunden. Pio-
kung ihrer Wahlmöglichkeiten wehren. niere, die sich für eine interne Entwicklung entschei-

20 HARVARD BUSINESS MANAGER DEZEMBER 2014


den, überschätzen zum Teil ihre Fähigkeit, den anderen Um herauszufinden, welche Datentypen im Verhält-
einen Schritt voraus zu bleiben, und bremsen letztlich nis zu den Kosten ausreichend Wert bieten, muss das
ihre eigene Entwicklung. Unternehmen viele Fragen beantworten: Wie schafft
Doch Outsourcing kann neue Kosten verursachen, der jeweilige Datentyp einen messbaren Mehrwert für
denn Zulieferer und Partner wollen einen größeren die Funktionalität? Wie steigert er die Effizienz der
Anteil an dem geschaffenen Mehrwert. Außerdem be- Wertschöpfungskette? Tragen die Daten dazu bei, dass
grenzen Unternehmen, die Entwicklungsarbeiten aus- das Unternehmen die Leistung des Produktsystems im
lagern, ihre künftigen Differenzierungsmöglichkeiten Lauf der Zeit besser versteht und optimieren kann? Wie
und ihre Fähigkeit, intern die nötige Kompetenz auf- häufig müssen die Daten erhoben werden, damit sie
zubauen, um die gesamte Produktdesignstrategie rich- den größten Nutzen bringen, und wie lange sollte man
tig zu definieren, Innovationen zu managen und die sie speichern?
passenden Zulieferer auszuwählen. Auch Risiken im Zusammenhang mit Dateninte-
Bei der Entscheidung, ob sie Dinge selbst entwickeln grität, Datensicherheit und Vertraulichkeit sowie die
oder einkaufen wollen, sollten Unternehmen über- damit verbundenen Kosten muss ein Unternehmen für
legen, welche Technologieblöcke die größten Chancen jeden Datentyp klären. Je weniger sensible Daten ein
bieten, um das Verständnis für Produkte zu erhöhen, Unternehmen erhebt, desto geringer ist das Risiko
künftige Innovationen zu fördern und Wettbewerbs- von Verstößen und Übertragungsstörungen. Bei hohen
vorteile zu erzielen. Sicherheitsanforderungen brauchen Unternehmen
Dann müssen sie diejenigen auslagern, die schon entsprechende interne Fähigkeiten, um die Daten zu
bald zu Massenmarktgütern werden dürften oder bei schützen, und sie müssen die Daten im Produkt selbst
denen die Entwicklung einfach zu schnell voranschrei- unterbringen, um Übertragungsrisiken zu minimieren.
tet. So sollten die meisten Unternehmen darauf achten, (Diesen Aspekt werden wir im Folgeartikel noch aus-
dass sie in Bereichen wie Gerätedesign, Benutzer- führlicher besprechen.)
schnittstellen, Systems Engineering, Datenanalyse und Welche Daten ein Unternehmen erhebt und analy-
schnelle Anwendungsentwicklung genügend internes siert, hängt auch von der Positionierung ab. Zielt die
Know-how haben. Strategie darauf ab, bei der Produktleistung ganz vorn
Doch natürlich werden sich diese Entscheidungen mit dabei zu sein oder die Wartungskosten zu mini-
mit der Zeit verändern. Als smarte Produkte neu auf-
kamen, gab es kaum fähige und zuverlässige Lieferan-
ten. Deshalb hatten die Unternehmen gar keine andere
Wahl, als notwendige Dinge selbst zu entwickeln oder
maßgeschneiderte Entwicklungen bei anderen Unter-
nehmen in Auftrag zu geben. Inzwischen gibt es aber RALPH LAUREN
bereits führende Spezialisten, die fertige Vernetzungs-
lösungen und Cloud-Dienstleistungen anbieten, Das Polo Tech Shirt von
sichere Hochleistungsplattformen für bestimmte Ralph Lauren, das 2015
Anwendungen und fertige Datenanalysewerkzeuge. Da in die Läden kommt,
wird es für interne Entwicklungsabteilungen immer sendet Daten wie die zu-
schwerer mitzuhalten, und der einstige selbst ent- rückgelegte Entfernung,
wickelte Wettbewerbsvorteil kann zu einem Wett- die verbrannten Kalorien,
bewerbsnachteil werden. die Bewegungsintensität,
den Puls und andere
WELCHE DATEN BRAUCHT DAS Informationen an ein

5 UNTERNEHMEN, UM DEN WERT SEINER


PRODUKTE ZU MAXIMIEREN?
Daten sind die entscheidende Grundlage für die Wert-
Mobilgerät des Trägers.

schöpfung und den Wettbewerbsvorteil. Sie zu erheben


erfordert allerdings Sensoren, die zusätzliche Kosten
verursachen – ebenso wie Übertragung, Speicherung,
Schutz und Analyse der Daten. Außerdem müssen Un-
ternehmen sich unter Umständen die Rechte an den
Daten sichern. Auch dies schafft zusätzliche Komple-
xität und Kosten.
SCHWERPUNKT DAS INTERNET DER DINGE | STRATEGIE

mieren, muss das Unternehmen in der Regel Daten von zu sparen, und umgekehrt die Häuser und Wohnungen
„sofortigem Wert“ erheben, die sich in Echtzeit auswer- vorausschauend kühlt, bevor die Spitzenlast einsetzt.
ten und nutzen lassen. Dies gilt vor allem für komplexe, Nest hat Partnerschaften mit Energieanbietern, sichert
teure Produkte, bei denen Ausfallzeiten besonders deren Daten und führt sie mit den Kundendaten zu-
kostspielig sind, etwa bei Windrädern oder Flugzeug- sammen. Auf diese Weise ermöglicht Nest seinen
turbinen. Kunden, durch einen stärker antizyklischen Strom-
Unternehmen, die die Führungsrolle beim Produkt- verbrauch bei den Versorgern, Rabatte oder Gutschrif-
system übernehmen möchten, müssen in die Erfassung ten zu bekommen.
und Auswertung umfangreicher Daten investieren –
über mehrere Produkte und das gesamte Umfeld hin- WIE VERWALTET DAS UNTERNEHMEN
weg. Dabei müssen sie auch Produkte berücksichtigen,
die sie nicht selbst herstellen. Für einen Fuhrpark muss
ein smartes Produktsystem zum Beispiel Verkehrsda-
6 DIE EIGENTUMS- UND ZUGRIFFSRECHTE FÜR
DIE PRODUKTDATEN?
Bei der Entscheidung, welche Daten erhoben und ana-
ten, Wetterbedingungen und die Spritpreise an mehre- lysiert werden, müssen Unternehmen festlegen, wie sie
ren Standorten erfassen. die Rechte an den Daten schützen und den Zugriff re-
Unterschiedliche Strategien erfordern auch unter- geln. Entscheidend ist, wem die Daten gehören. Dem
schiedliche Datenerfassungsmodelle. Der Automatisie- Hersteller gehört das Produkt, aber die Rechte an den
rungsspezialist Nest, der eine Führungsrolle bei Ener- Nutzungsdaten liegen unter Umständen beim Kunden.
gieeffizienz und Energiekosten anstrebt, erhebt sowohl Wem gehören zum Beispiel die Daten aus einer intelli-
zur Produktnutzung als auch zu Nachfragespitzen im genten Flugzeugturbine – dem Turbinenhersteller, dem
Stromnetz umfassende Daten. Auf dieser Grundlage Flugzeughersteller oder der Airline, der die Flugzeuge
hat das Unternehmen das Rushhour-Rewards-Pro- gehören und die sie betreibt?
gramm entwickelt, das in Spitzenlastzeiten bei privaten Um die Rechte an Daten aus smarten Produkten zu
Klimaanlagen die Zieltemperatur anhebt, um Energie sichern, gibt es viele Möglichkeiten. Manche Unterneh-
men streben Eigentumsrechte oder zumindest ein Mit-
eigentum an den Produktdaten an. Andere bevorzugen
Nutzungsrechte unterschiedlicher Art – von Geheim-
haltungsvereinbarungen über das Recht, Daten weiter-
zugeben, bis hin zu dem Recht, Daten zu verkaufen.
MEDTRONIC Unternehmen müssen festlegen, wie transparent sie die
Erhebung und Nutzung ihrer Daten gestalten möchten.
Das implantierte Blutzuckermessgerät von Die Datenrechte können explizit in einem eigenen Ver-
Medtronic sendet per Funkverbindung Daten an trag geregelt oder im Kleingedruckten oder in krypti-
ein Überwachungs- und Anzeigegerät und schen Standardklauseln versteckt werden. Wir erleben
kann Patienten bei kritischen Abweichungen zwar den Anfang eines Trends hin zu einer transparen-
des Blutzuckerspiegels warnen. ten Datennutzung, aber Standards zu Offenlegung und
Eigentum von Daten fehlen immer noch weitgehend.
Eine weitere Option sind Vereinbarungen, bei denen
bestimmte Produktdaten mit den Lieferanten ausge-
tauscht werden, etwa zum Status und zur Leistung ei-
ner Komponente, andere aber nicht, zum Beispiel zum
Standort. Den Zugriff der Lieferanten auf Produktdaten
einzuschränken kann aber auch Nachteile bringen.
Wenn ein Lieferant über die Nutzung seines Produkts
nur unzureichend Bescheid weiß, bremst dies das
Innovationstempo.
Kunden und Nutzer wollen bei solchen Entschei-
dungen ein Mitspracherecht. Bei der Bereitschaft, das
eigene Nutzungsverhalten offenzulegen, gibt es heute
große Unterschiede. Das Wertversprechen von Fitbit
basiert zum Beispiel darauf, persönliche Fitnessdaten
über soziale Medien mitzuteilen. Das wollen aber nicht
alle Kunden. Ebenso sind umsichtige Autofahrer viel-
DIESE FEHLER SOLLTEN SIE VERMEIDEN
Smarte Produkte bieten umfangreiche neue Möglich- NEUE WETTBEWERBSBEDROHUNGEN IGNORIEREN
keiten für Wertschöpfung und Wachstum. Doch der Weg Anbieter smarter Produkte oder leistungs- oder service-
dorthin kann steinig sein. Die Liste zeigt einige der basierter Geschäftsmodelle können schnell in Märkte
größten strategischen Risiken für Unternehmen: einsteigen. Wahrscheinlich werden sie den Wettbewerb
und die Grenzen der Branche neu definieren.
FUNKTIONEN ANBIETEN, DIE DEN KUNDEN KEINEN
AUFPREIS WERT SIND ZU LANGE WARTEN
Nur weil eine Funktion möglich ist, bedeutet das noch Wenn sich Pioniere zu langsam entwickeln, haben neue
lange nicht, dass sie den Kunden auch einen Mehrwert Markteinsteiger Zeit, Fuß zu fassen, Daten zu sammeln
bietet. Wer seine Produkte mit zu vielen Funktionen und und auszuwerten, zu lernen und so aufzuholen.
Merkmalen ausstattet, kann die Rendite schmälern,
weil Kosten und Komplexität zu groß werden. INTERNE KAPAZITÄTEN ÜBERSCHÄTZEN
Wer auf die neuen Produkte umstellt, benötigt neue
SICHERHEITS- UND DATENSCHUTZRISIKEN Technologien, Fähigkeiten und Prozesse entlang der
UNTERSCHÄTZEN gesamten Wertschöpfungskette (zum Beispiel Big-Data-
Eine Anbindung an Unternehmenssysteme und Analyse, Systems Engineering und Anwendungs-
-daten erfordert auch ein höheres Sicherheitsniveau entwicklung). Entscheidend ist, dass Unternehmen
bei Netzwerk, Geräten, Sensoren und bei der realistisch einschätzen, welche Funktionen sie intern
Datenverschlüsselung. entwickeln können und welche sie besser abgeben.

leicht bereit, Daten zu ihrem Fahrverhalten an Ver- Ein vorsichtiger Umgang mit Daten wird entschei-
sicherungen oder Mietwagenfirmen weiterzugeben, dend sein, vor allem in stark regulierten Branchen wie
wenn sie so günstigere Tarife erhalten. Andere könnten der Medizintechnik. In vielen Bereichen gibt es bereits
sich aber dagegen wehren. Die Verantwortlichen in den aufsichtsrechtliche Standards, die den Zugriff auf Da-
Unternehmen müssen ihren Kunden daher einen über- ten und die Datensicherheit regeln. So hat der Berliner
zeugenden Nutzen bieten, damit diese bereit sind, Medizintechnikspezialist Biotronik eine Infrastruktur
Daten zur Produktnutzung oder für andere Zwecke geschaffen, über die er sensible Patientendaten, etwa zu
preizugeben. Je mehr sich die Kunden des Mehrwerts Herzrhythmusstörungen oder zum Batteriestatus bei
bewusst sind, den Daten entlang der Wertschöpfungs- Herzschrittmachern, sicher erheben und nur mit einem
kette schaffen können, desto aktiver werden sie und ausgewählten Personenkreis teilen kann, zum Beispiel
desto mehr wollen sie mitentscheiden, welche Daten dem Arzt des Patienten. Doch egal, um welche Branche
erhoben werden, wie das Unternehmen sie verwendet es geht: Ein vertrauensvoller Umgang mit den Daten
und wer davon profitiert. wird eine wesentliche Rolle spielen. Verstöße und Pan-
Weitverbreitet sind heute Verträge, die vor der ersten nen im Umgang mit Daten werden ernste Konsequen-
Nutzung eines smarten Produkts per Mausklick be- zen haben – ganz gleich, wer schuld ist. So ist das
stätigt werden und die dem Kunden eine breit angelegte Sicherheitsrisiko ein wichtiger Aspekt bei der Frage,
Zustimmung zur Datennutzung abringen. Damit kön- welche Daten erhoben und wie sie verwaltet werden.
nen Unternehmen nach Lust und Laune Daten sam-
meln und sie ohne große Einschränkungen verwenden. SOLL DAS UNTERNEHMEN BESSER AUF
Wir gehen davon aus, dass mit der Zeit strengere ver-
tragliche Rahmenbedingungen und Mechanismen auf-
kommen, die das geistige Eigentum an den Daten ge-
7 VERTRIEBSPARTNER ODER SERVICENETZWERKE
VERZICHTEN?
Smarte Produkte ermöglichen direkte und enge Kun-
nauer definieren und schützen. Unternehmen sind gut denbeziehungen, die dazu führen, dass das Unterneh-
beraten, diesem Trend zuvorzukommen, vor allem bei men womöglich nicht mehr so stark auf Vertriebspart-
den Produktdaten, die sie für ihr Wertversprechen ner angewiesen ist. Leistungsstörungen und Ausfälle
dringend brauchen. lassen sich per Fernüberwachung oder Ferndiagnose

DEZEMBER 2014 HARVARD BUSINESS MANAGER 23


SCHWERPUNKT DAS INTERNET DER DINGE | STRATEGIE

analysieren und manchmal auch gleich beheben, so- Unternehmen unterhält. Sind die Partner nur dafür
dass weniger externe Servicepartner notwendig sind. verantwortlich, die Produkte an den Mann oder die
Für die Hersteller bedeutet das unter Umständen neue Frau zu bringen, oder bieten sie den Endkunden auch
Ertragsquellen und höhere Margen. Außerdem können Schulungs- und Serviceangebote? Welcher Prozentsatz
sie ihr Wissen über die Kundenbedürfnisse verbessern, der Partneraktivitäten lässt sich durch smarte Produkt-
das Markenbewusstsein steigern und die Kundentreue funktionen ersetzen? Betrachten die Kunden den Weg-
erhöhen, wenn sie dem Kunden den Mehrwert eines fall einer Zwischenstufe als Mehrwert? Ist ihnen klar,
Produkts direkt nahebringen. dass die traditionellen Beziehungen zu etablierten Ver-
Der amerikanische Elektroautobauer Tesla hat sich triebspartnern nicht mehr erforderlich sind und nur
von einem ungeschriebenen Gesetz der Automobil- zusätzliche Kosten verursachen?
branche verabschiedet und verkauft seine Autos direkt
an den Verbraucher statt über das traditionelle Händ- SOLL DAS UNTERNEHMEN
lernetz. Das hat die Preispolitik des Unternehmens ver-
einfacht. Die Verbraucher zahlen, was auf dem Preis-
schild steht. Das für Autohändler typische Geschacher
8 SEIN GESCHÄFTSMODELL
ÄNDERN?
Fertigungsbetriebe haben sich traditionell darauf kon-
entfällt, und die Kundenzufriedenheit ist drastisch ge- zentriert, physische Produkte herzustellen. Die Wert-
stiegen. Weil Tesla auch bei Reparaturen auf externe schöpfung besteht darin, das Eigentum an einem Pro-
Partner verzichtet, sichert sich das Unternehmen zu- dukt beim Verkauf an den Kunden zu übertragen. Für
sätzliche Erträge und vertieft die Beziehung zu den die Wartungs- und Unterhaltskosten des Produkts ist
Kunden. Software-Updates sendet der Hersteller direkt ab diesem Zeitpunkt der Eigentümer verantwortlich.
an die bereits verkauften Autos. Dadurch wird das Kun- Er trägt das Risiko von Produktausfällen und anderen
denerlebnis immer besser, und mit jedem Update gibt Produktfehlern, die nicht durch Garantieansprüche ab-
es auch wieder so etwas wie Neuwagengeruch. Wenn gedeckt sind.
Tesla per Fernüberwachung feststellt, dass ein Wagen Smarte Produkte ermöglichen einen radikalen Wan-
zur Reparatur muss, fordert das Auto entweder auto- del dieses langjährigen Geschäftsmodells. Dank Pro-
matisch eine softwaregestützte Fernreparatur an oder duktdaten und Vernetzung können die Hersteller Feh-
benachrichtigt den Kunden und bittet ihn, einen Ter- ler vorhersehen, reduzieren und reparieren sowie auf
min mit einem Tesla-Mitarbeiter zu vereinbaren, der völlig neue Art und Weise die Produktleistung und den
den Wagen abholt. Die Testzeitschrift „Consumer Service optimieren. Das eröffnet zahlreiche neue Ge-
Reports“ setzte Tesla Ende 2013 bei einem Kunden- schäfts- und Verwertungsmodelle – von einer Variante
zufriedenheitsranking auf Platz eins. des traditionellen Eigentumsmodells, bei dem die Kun-
Doch während Ferndienstleistungen zweifellos ihre den von der neuen Serviceeffizienz profitieren, bis hin
Vorzüge haben, ist in den meisten Branchen ein gewis- zu einem Produkt-als-Dienstleistung-Modell, bei dem
ses Maß an persönlichem Kontakt nach wie vor erfor- der Hersteller als Eigentümer des Produkts die Be-
derlich und erwünscht. Die Kunden müssen physische triebs- und Wartungskosten übernimmt und nur eine
Produkte entgegennehmen und manchmal auch in- laufende Nutzungsgebühr erhebt. Die Kunden bezah-
stallieren, und bestimmte Servicebesuche sind auch len nicht im Voraus, sondern immer nur für das, was
weiterhin notwendig. Außerdem haben Kunden zum sie in Anspruch nehmen. In diesem Fall kommen die
Teil enge Beziehungen zu Wiederverkäufern und zu bessere Produktleistung, die geringeren Betriebskosten
Kanälen, die ihnen eine breitere Produktpalette sowie (zum Beispiel durch eine höhere Energieeffizienz) und
fundiertes und lokales Fachwissen bieten. Unterneh- die höhere Serviceeffizienz dem Hersteller zugute.
men, die die Rolle solcher wertvollen Vertriebspartner Die neuartigen Produkte stellen Fertigungsunter-
minimieren, laufen Gefahr, ihre Kunden an Wettbewer- nehmen vor ein Dilemma. Das gilt vor allem für die-
ber zu verlieren, die sich ganz bewusst für diese Partner jenigen, die komplexe, langlebige Produkte herstellen,
entscheiden. Außerdem ist es nicht so einfach, die Auf- bei denen Ersatzteile und Wartung einen erheblichen
gaben von Partnern zu übernehmen, etwa den Direkt- Umsatz- und einen überproportionalen Gewinnbeitrag
versand oder bestimmte Servicetätigkeiten. Damit sind leisten. So verdient Whirlpool momentan recht gut
nämlich hohe Anlaufkosten und Investitionen in Teile an Ersatzteilen und Serviceverträgen – ein Modell, das
der Wertschöpfungskette wie Vertrieb, Logistik, Lager- nicht gerade einen Ansporn bietet, Produkte zuver-
haltung und Infrastruktur verbunden. lässiger, langlebiger und reparaturfreundlicher zu ma-
Die Entscheidung für oder gegen eine Trennung von chen. Würde Whirlpool hingegen zu einem Produkt-
Vertriebs- oder Servicepartnern wird hauptsächlich als-Dienstleistung-Modell übergehen, bei dem das
davon abhängen, welche Art von Partnernetzwerk ein Eigentum beim Hersteller bleibt und der Kunde ledig-

24 HARVARD BUSINESS MANAGER DEZEMBER 2014


lich für die Nutzung der Maschine bezahlt, sähen die
wirtschaftlichen Anreize ganz anders aus.
SONOS
Ob es sich rechnet, nur die Nutzung eines Produkts
zu verkaufen, hängt von der Preispolitik und den Das Wi-Fi-Musiksystem von Sonos verlagert die
Vertragsbedingungen ab, die wiederum eine Folge der Bedienelemente des Geräts in die Cloud.
Verhandlungsmacht sind. Das Modell Produkt-als- Dadurch können die Nutzer das tragbare System
Dienstleistung kann die Macht des Käufers stärken, über ihr Smartphone steuern.
weil die Kunden anders als beim Eigentumsmodell
nach Vertragsende womöglich problemlos den Anbie-
ter wechseln können (es sei denn, das Produkt ist fest
integriert, wie ein Aufzug).
Die Produktnutzung durch mehrere Kunden – eine
Variante des Modells Produkt als Dienstleistung –
konzentriert sich auf die effiziente Auslastung eines
Produkts, das der einzelne Kunde eher selten braucht.
Auch hier bezahlen die Kunden nur für die Nutzung
(eines Autos oder Fahrrads zum Beispiel), und das Un-
ternehmen (beispielsweise Zipcar oder Hubway) ist für
alles andere verantwortlich. Dieses Modell ist inzwi-
schen auch bei nicht mobilen Produkten zu finden,
etwa bei Häusern.
Zwischen den beiden Extremen Produkt als Dienst-
leistung und Produkt als Eigentum gibt es auch Hyb-
ridmodelle, zum Beispiel Produkte, die mit Garantie-
oder Serviceverträgen verkauft werden, oder Produkt-
verkäufe, die an leistungsbasierte Verträge gekoppelt
sind. Bei Serviceverträgen kann der Hersteller die War-
tung intern erledigen und profitiert stärker von einer
effizienten Serviceorganisation. Bei leistungsbasierten
Verträgen verkauft der Hersteller das Produkt zusam-
men mit einer vertraglichen Zusicherung, dass das
Produkt bestimmte Leistungsvorgaben erfüllt (zum
Beispiel eine bestimmte Laufzeit). Hier geht das Eigen- Straßenbauern. Und Informationen zum Fahrverhalten
tum auf den Kunden über, das Produktleistungsrisiko bieten unter Umständen Fuhrparkbetreibern oder Ver-
trägt aber weiterhin der Hersteller. sicherungen wertvolle Hinweise.
Auch hier müssen die Unternehmen abwägen, wie
SOLL DAS UNTERNEHMEN ihre Kunden wohl reagieren werden. Einigen ist es viel-

9 DIE GEWONNENEN PRODUKTDATEN


AN DRITTE VERKAUFEN?
Oft sind die Daten aus smarten Produkten nicht nur für
leicht gleichgültig, wie ihre Daten genutzt werden, an-
dere reagieren womöglich allergisch und sind beim Da-
tenschutz und bei der Weiterverwendung ihrer Daten
Hersteller und Kunden, sondern auch für weitere Par- sehr restriktiv. Daher müssen Unternehmen Mittel und
teien interessant. Oder die Hersteller stellen fest, dass Wege finden, wertvolle Daten an Dritte zu verkaufen,
sie problemlos auch zusätzliche Daten erheben kön- ohne die Kunden zu vergraulen. So könnten sie zum
nen, die sie für die Optimierung des Produktwerts Beispiel anonymisierte und aggregierte Daten zu Kauf-
gar nicht brauchen, die aber für Dritte nützlich sein verhalten, Fahrgewohnheiten oder Energieverbrauch
könnten. In beiden Fällen kann das Unternehmen neue anbieten.
Dienstleistungen oder Geschäftsfelder erschließen.
Leistungsdaten für einzelne Produktkomponenten SOLL DAS UNTERNEHMEN
könnten zum Beispiel für die Hersteller dieser Kom-
ponenten wertvoll sein. Daten zu den Straßen- und
Verkehrsverhältnissen, die von einer Fahrzeugflotte
10 SEINEN TÄTIGKEITSBEREICH
AUSWEITEN?
Die neue Technik transformiert nicht nur unsere tra-
erhoben werden, helfen womöglich anderen Verkehrs- ditionellen Produkte, sondern verschiebt häufig auch
teilnehmern, Betreibern von Logistiksystemen oder Branchengrenzen. Produkte, die vorher nichts mitein-

DEZEMBER 2014 HARVARD BUSINESS MANAGER 25


SCHWERPUNKT DAS INTERNET DER DINGE | STRATEGIE

ander zu tun hatten, können zu Komponenten opti- attraktivsten ist eine Expansion, wenn verwandte Pro-
mierter Systeme werden oder sogar in übergeordnete dukte gemeinsam konzipiert werden, mit dem Ziel,
Systeme von Systemen eingegliedert werden. Wenn Sek- das System zu optimieren. Hängt die Optimierung
toren durch eine Erweiterung der Grenzen wachsen, nicht vom Aufbau der einzelnen Produkte ab, ist es in
können Unternehmen, die jahrzehntelang Branchen- der Regel sinnvoller, bei seinem eigenen Produkt zu
führer waren, in den Hintergrund gedrängt werden. bleiben und dafür zu sorgen, dass verwandte Produkte
Produktsysteme und Systeme von Systemen erfor- anderer Hersteller sich mit den eigenen verbinden
dern mindestens zwei strategische Entscheidungen können. Der Erfolg hängt somit weniger vom traditio-
zum Tätigkeitsbereich eines Unternehmens. Erstens: nellen Produktkonzept ab als vom Aufbau des Gesamt-
Soll das Unternehmen in das Geschäft mit verwandten systems.
Produkten oder anderen Bestandteilen in einem System Unternehmen, deren Produkte (und die damit ver-
von Systemen einsteigen? Zweitens: Soll das Unterneh- bundenen technologischen Fähigkeiten) für den Be-
men die Plattform liefern, auf der alle verwandten Pro- trieb und die Leistung des gesamten Systems entschei-
dukte und Informationen basieren, auch wenn es nicht dend sind, wie die Bergbaumaschinen von Joy Global,
all diese Produkte herstellt und nicht alle Bestandteile haben die besten Voraussetzungen, in verwandte Pro-
des Systems kontrolliert? duktbereiche einzusteigen und diese ins System zu
Für manche Unternehmen ist die Versuchung groß, integrieren. Hersteller, die weniger systemkritische
in benachbarte Produktsegmente einzusteigen, um Maschinen produzieren – zum Beispiel Lastwagen, die
große Chancen zu nutzen. Aber so ein Schritt ist immer den Aushub aus dem Bergwerk wegkarren –, haben
mit Risiken verbunden und erfordert neue Fähigkeiten. nicht die nötige Kompetenz und bei den Kunden auch
Bevor ein Unternehmen in ein neues Segment einsteigt, nicht die nötige Glaubwürdigkeit, um eine breiter an-
muss es ein klares Wertversprechen definieren. Am gelegte Rolle als Systemintegrator zu übernehmen.
Ob es sich lohnt, die für ein System oder System von
Systemen entscheidende Technologieplattform zu ent-
wickeln, hängt von ähnlichen Fragen ab. Erstens: Kann
das Unternehmen die IT-Kompetenz und die nötige
Technologie aufbringen, die sich doch recht grund-
PHILIPS LIGHTING legend von den traditionellen Anforderungen bei Pro-
duktdesign und Fertigung unterscheidet? Zweitens:
Die Glühbirne Hue von Philips Lighting lässt Wo soll die Systemoptimierung stattfinden? Bei der
sich per Smartphone an- und ausschalten, Optimierung „im Produkt“ werden einzelne Produkt-
dimmen und so programmieren, dass sie blinkt, designs aufeinander abgestimmt, damit die Produkte
wenn ein Einbrecher erkannt wird. besser zusammenarbeiten. Die Optimierung „außer-
halb des Produkts“ erfolgt über die Algorithmen, die
Produkte und Daten miteinander verbinden, wobei die
Produkte selbst in diesem Fall modular sind. Die pro-
duktinterne Variante liefert das stärkste Argument für
eine Expansion in benachbarte Produktbereiche und
für das Entwickeln einer eigenen Plattform. Die pro-
duktexterne Variante begünstigt eine offene Plattform,
die auch ein Unternehmen bereitstellen kann, das gar
keine Produkte für diese Plattform produziert.
Wie diese Entscheidungen in der Praxis aussehen
können, zeigt das Beispiel der Carrier Corporation.
Das US-Unternehmen entwickelt seit 100 Jahren Hei-
zungs-, Lüftungs- und Klimatechnikinnovationen und
stellt Produkte wie Öfen, Klimaanlagen, Wärmepum-
pen, Befeuchter und Ventilatoren her. Carrier optimiert
die Leistung seines Produktsystems, indem das Unter-
nehmen die einzelnen Produktkonzepte aufeinander
abstimmt und die Produkte über die intelligente Heiz-
und Kühlsystemplattform Infinity miteinander verbin-
det. Der gesamte Bereich Heizung, Lüftung und Küh-
lung ist wiederum Teil eines breiteren Heimautomati- Gesamtwirtschaft verändern und die dritte Welle IT-
sierungssystems. Carrier ist bewusst nicht in andere Be- getriebener Produktivitätssteigerungen für Unterneh-
reiche dieses Systems eingestiegen, weil dafür völlig an- men, Kunden und die Weltwirtschaft auslösen. Dies
dere Fähigkeiten erforderlich wären. Stattdessen bietet fällt in eine Zeit, in der die beiden ersten IT-Wellen
die Infinity-Plattform Schnittstellen, über die die Heiz-, weitgehend abgeebbt sind und das Produktivitäts-
Lüftungs- und Kühlproduktfamilie in das übergeord- wachstum nachgelassen hat.
nete System von Systemen integriert werden kann. Die dritte IT-Welle wird nicht nur Quantensprünge
Da smarte Produkte die Grenzen von Branchen und bei der Funktionalität und Leistungsfähigkeit von Pro-
Wettbewerbsfeldern verschieben, müssen viele Unter- dukten auslösen. Sie hilft uns auch, viele geschäftliche
nehmen schließlich auch ihren unternehmerischen und gesellschaftliche Bedürfnisse erheblich besser zu
Zweck überdenken. Nicht mehr die traditionelle Pro- erfüllen. In vielen Bereichen werden Produkte wesent-
duktdefinition wird künftig im Mittelpunkt stehen, lich effizienter, wirksamer, sicherer und zuverlässiger
sondern viel breiter gefasste Kundenbedürfnisse. So werden, ihr Auslastungsgrad wird steigen, und wir
sieht sich der irische Konzern Trane nicht mehr als werden knappe Ressourcen wie Energie, Wasser und
Hersteller von Heiz-, Lüftungs- und Klimatechnik, Rohstoffe sparsamer einsetzen können.
sondern als Unternehmen, das Hochleistungsgebäude Diese Chance, Innovationen und Wirtschaftswachs-
für alle Nutzer besser macht. Wenn Produkte weiter tum erheblich zu beschleunigen und damit auch wie-
miteinander kommunizieren und in immer größeren der eine Zunahme des Wohlstands zu erreichen,
und vielfältigeren Netzwerken zusammenarbeiten, kommt keinen Moment zu früh. Das vergangene Jahr-
werden viele Unternehmen ihre Mission und ihr zehnt war in weiten Teilen der Wirtschaft geprägt von
Wertversprechen überdenken müssen. internen Kostensenkungen, deutlicher Zurückhaltung
In jeder dieser zehn Strategiedimensionen müssen bei Investitionen, höheren Konzerngewinnen, einer
Unternehmen eine klare Entscheidung treffen, aber Zunahme der Fusionen und Übernahmen und ver-
gleichzeitig dafür sorgen, dass jede Entscheidung zu haltenen Innovationen. Die Folge waren geringerer
den anderen passt und diese unterstützt. Ein Unterneh- Stellenzuwachs, eine schwache Lohn- und Gehaltsent-
men, das die Führungsrolle bei einem Produktsystem wicklung sowie ein stagnierender Lebensstandard der
anstrebt, wird zum Beispiel in verwandte Produkt- normalen Bevölkerung. Der Glaube an das wirtschaft-
kategorien einsteigen, die einzelnen Produktdesigns liche Potenzial hat abgenommen, die Kritik am
aufeinander abstimmen, in großem Umfang Produkt- Kapitalismus steigt, und die Öffentlichkeit beurteilt die
nutzungsdaten erheben und umfassendere interne Wirtschaft heute negativer als früher.
Kompetenzen in allen Bereichen der Technologieinfra- Das Zeitalter der smarten Produkte kann das ändern
struktur entwickeln. Ein Unternehmen, das sich hin- – vorausgesetzt, die Unternehmen nutzen die damit
gegen auf eine einzige Komponente eines Produktsys- verbundenen Chancen konsequent. Unternehmen und
tems konzentriert, wird bei den Produktmerkmalen Staat werden gemeinsam dafür sorgen müssen, dass
und -funktionen die Führungsrolle übernehmen müs- Arbeitskräfte quer durch alle Bevölkerungsgruppen in
sen. Über transparente und offene Schnittstellen muss der Lage sind, an dieser Entwicklung mitzuwirken.
es sicherstellen, dass das Produkt problemlos in die Sie werden sich auf Regeln und Gesetze einigen müs-
Systeme und Plattformen anderer Unternehmen in- sen, um Standards vorzugeben, Innovationen zu för-
tegriert werden kann und ein wertvoller Teil dieser dern, Daten zu schützen und Fortschrittshindernisse
Systeme und Plattformen wird. Im Wettstreit mit der (wie den Widerstand der Autohändler gegen Tesla) aus
Konkurrenz werden nicht diejenigen gewinnen, die dem Weg zu räumen.
Wettbewerber imitieren, sondern diejenigen, die ein Die Vereinigten Staaten haben die besten Vorausset-
besonderes Wertversprechen definieren, das sie in der zungen, in einer intelligenten, vernetzten Produkt-
Praxis auch tatsächlich halten können. welt die Vorreiterrolle zu übernehmen und überpro-
portional davon zu profitieren. Dafür sorgen Amerikas
DIE GROSSE CHANCE Stärke bei den zugrundeliegenden Technologien, bei
Intelligente, vernetzte Produkte verändern nicht nur vielen der erforderlichen Kompetenzen und in wich-
die Methoden, mit denen Unternehmen für ihre Kun- tigen unterstützenden Branchen. Wenn die neue Welle
den Wert schöpfen und miteinander konkurrieren, der Technologie den USA dazu verhilft, ihre Rolle als
sie verschieben auch die Grenzen des Wettbewerbs an Technologieführer in der Welt wieder aktiver auszu-
sich. Diese Transformation wird direkt oder indirekt füllen, wird sie nicht nur den amerikanischen Traum
praktisch jede Branche erfassen. Und damit nicht ge- beleben, sondern die gesamte Welt ein Stück besser
nug: Ihre Auswirkungen werden die Entwicklung der machen.

DEZEMBER 2014 HARVARD BUSINESS MANAGER 27


SCHWERPUNKT DAS INTERNET DER DINGE | STRATEGIE

SERVICE
LITERATUR
MICHAEL PORTER: Wettbewerbsstrategie:
Methoden zur Analyse von Branchen und
Konkurrenten, Campus 2013.

HBM ONLINE
MICHAEL PORTER, JAN W. RIVKIN: Die
wirtschaftliche Zukunft der USA,
in: Harvard Business Manager, Mai 2012,
Seite 50, Nachdrucknummer 201205050.

MICHAEL PORTER, MARK R. KRAMER: Die


Neuerfindung des Kapitalismus, in: Harvard
Business Manager, Februar 2011, Seite 58,
Nachdrucknummer 201102058.

INTERNET
Das Institute for Strategy and Competitiveness
an der Harvard Business School:
www.isc.hbs.edu/Pages/default.aspx

Michael Porter erklärt im Video sein Konzept


der fünf Wettbewerbskräfte:
www.youtube.com/watch?v=mYF2_FBCvXw

Alle HBM-Beiträge von Michael Porter auf einen


Blick: bit.ly/hbm-porter

KONTAKT
Twitter: @MichaelEPorter

NACHDRUCK
Nummer 201412034, siehe Seite 110
oder www.harvardbusinessmanager.de
© 2014 Harvard Business Publishing
Übersetzung: Manfred Schnitzlein

MICHAEL E. PORTER
ist Professor an der Harvard Business School.
Er zählt zu den wichtigsten Managementdenkern
weltweit und wurde bekannt durch seine
Arbeiten zu den fünf Wettbewerbskräften.

JAMES E. HEPPELMANN
ist President und CEO von PTC, einem Software-
unternehmen aus Massachusetts,
das Fertigungsunternehmen hilft, Produkte zu
entwickeln, zu betreiben und zu warten.

28 HARVARD BUSINESS MANAGER DEZEMBER 2014

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