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n den vergangenen zwei Jahrzehnten haben werden. Der in vielen Branchen beklagte exzes-
Manager gelernt, nach neuen Regeln zu sive Wettbewerb – von manchen Hypercompeti-
spielen. Die Unternehmen mussten so flexi- tion genannt – ist jedoch keineswegs das unver-
bel werden, dass sie auf jede Änderung meidliche Resultat eines von Grund auf veränder-
der Wettbewerbs- und Marktbedingungen ten Wettbewerbs, sondern vielmehr häufig ein
rasch reagieren können. Sie lernten, kontinuier- selbst verschuldetes Problem.
lich Benchmarking zu betreiben, um Best Prac- Die Wurzel des Problems ist die Unfähigkeit,
ti-ces zu identifizieren, und kräftig auszulagern, klar zwischen operativer Exzellenz und Strategie
um effizienter zu werden. Und es wurde ihnen zu unterscheiden. Das Streben danach, Produk-
beigebracht, dass es entscheidend ist, nur einige tivität, Qualität und Schnelligkeit zu steigern,
wenige Kernkompetenzen zu pflegen, um sich hat eine bemerkenswerte Anzahl von Manage-
gegenüber den Wettbewerbern behaupten zu mentinstrumenten und -methoden hervorge-
können. bracht: Total Quality Management (TQM),
Sich auf eine eindeutige Marktpositionierung Benchmarking, Time-Based Competition, Out-
festzulegen – einst Kernstück jeder Geschäftsstra- sourcing, Partnering, Reengineering, Change-
tegie – gilt dagegen heute als altmodisch und wird Management. Damit konnten beachtliche Ver-
mit Hinweis auf die dynamischen Märkte und den besserungen erreicht werden. Doch viele Unter-
technischen Fortschritt als zu statisch abgelehnt. nehmen sind enttäuscht, dass diese Fortschritte
Der neuen Glaubenslehre zufolge können Mitbe- nicht in dauerhaft höhere Erträge mündeten.
werber jede Marktposition schnell kopieren, und Und nach und nach haben diese Management-
jeder Wettbewerbsvorteil kann daher allenfalls instrumente fast unmerklich den Platz einge-
für eine kurze Zeit gehalten werden. nommen, der eigentlich der Strategie zukommen
Doch diese Überzeugungen sind gefährliche sollte.
Halbwahrheiten, die immer mehr Unternehmen Je mehr Manager versuchen, an allen Fronten
auf den Pfad eines allseits zerstörerischen Wett- Verbesserungen zu erzielen, desto weiter ent-
bewerbs führen. Gewiss, mit zunehmender Ent- fernen sie sich von ihrem wichtigsten Ziel, ihren
staatlichung und Globalisierung der Märkte ent- Unternehmen einen wirklich nachhaltigen Wett-
fallen einige Wettbewerbsbarrieren. Und sicher bewerbsvorteil zu verschaffen. Im Folgenden
haben die Unternehmen zu Recht große Mühen möchte ich fünf Thesen dazu aufstellen, wie diese
darauf verwandt, schlanker und beweglicher zu Situation verbessert werden kann.
hoch
da er dafür verantwortlich ist, dass operative Effi-
zienz und Strategie heute oft verwechselt werden.
Stellen wir uns zunächst einmal eine fiktive
Kundennutzen
ideale Obergrenze für die Produktivität vor, die
erreicht würde, wenn in einem Unternehmen alle Produktivitätsobergrenze
zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbaren Best
Practices eingesetzt würden (siehe Grafik rechts).
Die Kurve beschreibt den maximalen Wert, den
ein Unternehmen mit einem bestimmten Pro-
niedrig
Kunden durchs Geschäft begleiten, Ikea setzt zu- bewerbsstrategien“ der Kostenführerschaft, Dif-
dem auf Selbstbedienung. Alle Produkte, die Ikea ferenzierung und Nischenstrategie (siehe Kasten
im Angebot hat, sind in riesigen Hallen zu Zim- Seite 9):
mereinrichtungen arrangiert. Es müssen keine
Vorschläge mehr gemacht werden, wie eine Ein- Produkt- oder Servicevarianten. Erstens kann
richtung daheim aussehen könnte. Im Lager ne- eine Marktposition darauf basieren, dass ein Un-
benan können die Kunden ihre Ware gleich ternehmen nur einen Teil des in einer Branche üb-
abholen, und sie stellen die Möbel zu Hause lichen Sortiments an Produkten oder Leistungen
selbst auf. anbietet. Ich nenne dies eine variantenbezogene
Wenn auch ein großer Teil der guten Preisposi- Positionierung (variety-based positioning), da es
tion von Ikea auf dem „Do it yourself“-Geschick hier um die Wahl von Produkt- oder Service-
der Kunden beruht, so bietet das Unternehmen varianten geht statt um Kundengruppen.
doch einige zusätzliche Leistungen, die es bei der Eine solche Positionierung ist wirtschaftlich
Konkurrenz nur selten gibt: Kinderbetreuung dann sinnvoll, wenn ein Unternehmen bestimmte
etwa oder lange Öffnungszeiten. Das kommt den Produkte oder Leistungen aufgrund spezieller
Kunden sehr entgegen, jungen Leuten, die nicht Kompetenzen besser erbringen kann als andere.
wohlhabend sind, oft Kinder haben (aber kein So hat sich beispielsweise Jiffy Lube Inter-
Kindermädchen), und die, weil berufstätig, au- national auf den Service bei Autoschmierstoffen
ßerhalb der Bürozeiten einkaufen müssen. spezialisiert, leistet aber keine sonstigen Repara-
Eine strategische Positionierung kann anhand tur- oder Wartungsdienste. Somit bietet das Un-
von drei Kategorien vorgenommen werden, die ternehmen zu niedrigen Preisen einen schnelleren
sich wechselseitig keineswegs ausschließen, häu- Service als gewöhnliche Werkstätten mit ihrem
fig sogar kombiniert werden. Sie erlauben eine breiteren Leistungsangebot. Viele Kunden finden
detailliertere Positionierung hinsichtlich der von das attraktiv und teilen ihre Aufträge auf: den
mir früher entwickelten drei „generischen Wett- Ölwechsel lassen sie beim fokussierten Wett-
Abtransport Ausstellungs-
der Ware durch räume für
die Kunden großen Kunden-
selbst andrang
Waren- Nieder-
kataloge, lassungen am
mehr
Ausstellungen Stadtrand mit
Impulskäufe
und Kennzeich- ausreichend
nungen Parkraum
Auswahl durch
eingeschränkter
die Kunden
Kundendienst
selbst
leicht zu wenig die meisten
transportieren Verkaufs- Artikel
und zu Hause personal vorrätig
aufzustellen
Selbstmontage reichhaltiges
durch Warenlager
die Kunden vor Ort
erhöhte
zu Bausätzen Wahrschein- ganzjährige
abgepackt lichkeit künftiger Bevorratung
Einkäufe
Möbel-
konstruktion niedrige
nach Baukasten- Herstellkosten
große system
eigene Bezug
Auswahl
Möbelentwürfe, von Dauer-
an leicht
Herstellkosten lieferanten
herstellbaren
maßgeblich
Modellen
bewerber Jiffy Lube machen, andere Dienste bei Die Fondsmanager halten die Handelsumsätze
Konkurrenten. gering, wodurch die Gebühren niedriger ausfal-
Die Vanguard Group, eine führende US-In- len. Außerdem raten sie den Kunden davon ab,
vestmentgesellschaft, liefert ein weiteres Beispiel Fondsanteile zu schnell zu kaufen oder zu ver-
für variantenbezogene Positionierung. Das Un- kaufen, weil sich sonst die Kosten erhöhen und
ternehmen bietet privaten Kapitalanlegern ein die Fondsmanager ihrerseits zu Transaktionen ge-
breites Spektrum an Aktien, Obligationen und zwungen sein könnten. Auch im Vertrieb, Kun-
Geldmarktpapieren mit festen Erträgen zu äu- dendienst und Marketing bemüht sich Vanguard
ßerst geringen Gebühren. Mit diesem Anlage- stets um möglichst niedrige Kosten. Viele Anleger
konzept gibt Vanguard relativ guten Ergebnis- nehmen einen oder mehrere Vanguard-Fonds ins
sen über mehrere Jahre ausdrücklich den Vorzug Portfolio und beziehen aggressiv gemanagte oder
vor der Möglichkeit, in einem Jahr ein außer- spezialisierte Fonds bei Konkurrenzunternehmen.
ordentliches Ergebnis zu erzielen. Bekannt ist Kunden entscheiden sich für Jiffy Lube oder
Vanguard für seine Indexfonds. Das Unterneh- Vanguard, weil diese für einen eng begrenzten Be-
men vermeidet Wetten auf Zinsänderungen und reich von Services eine überlegene Wertschöp-
konzentriert sich nicht auf bestimmte Aktien- fungskette aufweisen. Doch bei den meisten Kun-
gruppen. den wird nur ein Teil der Bedürfnisse erfüllt.
ler Filmeinkauf, geringere Miet- und Lohnkosten deren gemeinsame Bedürfnisse; die besonderen
sowie sehr niedrige Overhead-Kosten (unter- Bedürfnisse bestimmter Kundengruppen ignorie-
nehmensweit 2 Prozent, Branchendurchschnitt ren sie oder erfüllen sie nur teilweise.
5 Prozent). Obendrein kann Carmike in den klei- Was auch immer die Grundlage sein mag – Vari-
neren Städten eine sehr persönliche Form von anten, Kundenbedürfnisse, Kundenzugang oder
Marketing praktizieren. Der örtliche Theaterma- eine Kombination der drei Elemente: Positio-
nager kennt die Kunden und ermuntert sie durch nierung verlangt stets eine Reihe genau zuge-
seine direkten Kontakte zum Kinobesuch. Und schnittener Tätigkeiten. Es kommt auf die Unter-
weil Carmike der dominierende, wenn nicht der schiede im Leistungsangebot an, also auf die
alleinige Anbieter auf seinen lokalen Märkten ist – Differenzierung.
das Football-Team der Highschool ist oft der ein- Nicht in jedem Fall ist die strategische Position
zige Konkurrent –, kann sich das Unternehmen dagegen von Unterschieden auf der Kundenseite
die Filme frei aussuchen und mit den Verleihern abhängig; insbesondere varianten- und zugangs-
günstigere Konditionen aushandeln. bezogene Positionierungen gründen nicht auf
Bei einer Positionierung geht es nicht einfach Unterschieden bei den Kunden. In der Praxis
nur darum, sich eine Nische zu sichern: eine beruhen Unterschiede in Varianten oder Zugang
Marktstellung, die aus einem der genannten Kri- vielmehr häufig auf verschiedenartigen Bedürf-
terien hervorgeht, kann breit oder eng definiert nissen. Die Vorlieben – und das heißt: die Bedürf-
sein. Fokussierte Wettbewerber wie Ikea zielen nisse – der kleinstädtischen Kunden von Carmike
auf die spezifischen Bedürfnisse einer Teilgruppe gelten eher Komödien, Western und Action-
von Kunden ab und haben Erfolg, weil die Kon- filmen sowie der Familienunterhaltung. Carmike
kurrenz entweder zu viel Service bietet (der teuer zeigt ausschließlich jugendfreie Filme.
bezahlt werden muss) oder zu wenig. Unterneh- Nachdem wir geklärt haben, was strategische
men mit breiterer Zielgruppenansprache bedie- Positionierung bedeutet, können wir uns nun der
nen eine große Gruppe von Kunden und erfüllen Frage zuwenden: „Was ist eigentlich Strategie?“
künftige besondere Position des Unternehmens, verwundbar werden. Auf der Tagesordnung steht
festzulegen und zu kommunizieren. Dazu müs- dabei zu Recht das Streben nach ständigen Ver-
sen Topmanager klar entscheiden, auf welche Ver- besserungen, mehr Flexibilität und nach Best
änderungen und welche Kundenbedürfnisse rea- Practices. Zur strategischen Agenda gehört es da-
giert werden soll und auf welche nicht. gegen, eine einzigartige Position zu definieren,
Den Managern unterer Ebenen fehlt es meist klare Trade-off-Entscheidungen zu treffen, die
an Perspektive und Zuversicht, um eine Strategie Aktivitäten der Organisation eng aufeinander ab-
durchzusetzen. Sie sind ständig versucht, Kom- zustimmen und ständig nach Wegen zu suchen,
promisse einzugehen, von Regeln abzuweichen die Position des Unternehmens zu stärken. Und
und Konkurrenzfirmen nachzuahmen. Die Auf- dabei kommt es auf Disziplin und Kontinuität an;
gabe der Unternehmensführung ist es, allen Mit- Gift sind Konfusion und Halbheiten.
arbeitern die Strategie zu verdeutlichen, also zu Natürlich kann es sein, dass ein Unternehmen
kommunizieren, was sie tun sollen – aber auch, sich gezwungen sieht, seine Strategie zu ändern,
was sie unterlassen müssen. wenn in seiner Branche erhebliche strukturelle
Strategie erfordert ständige Disziplin und klare Veränderungen stattfinden. Neue strategische
Kommunikation. Nur dann sehen sich Mitarbei- Positionen eröffnen sich in der Tat häufig durch
ter bei ihrer Arbeit und ihren Alltagsentscheidun- einen solchen Wandel, und diese können von un-
gen ausreichend geführt. belasteten Newcomern besonders leicht genutzt
Die operative Exzellenz zu erhöhen zählt ge- werden.
wiss zu den wichtigsten Pflichten. Das allein ist Aber wenn ein Unternehmen sich für eine neue
aber noch keine Strategie. Die Verwechslung des Position entscheidet, muss es auch in der Lage
einen mit dem anderen hat zu einer zunehmenden und bereit sein, die hier beschriebenen Schritte zu
Angleichung der Rivalen geführt. Das liegt jedoch tun, um einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil zu
weder im Interesse der Beteiligten, noch ist es erreichen. ■
unvermeidbar. Unermüdlich die operative Exzel-
lenz zu steigern ist dort geboten, wo es keine
Wahlmöglichkeit gibt. Wird dies versäumt, kön-
nen sogar Unternehmen mit einer guten Strategie
HBM ONLINE
(zu beziehen über: www.harvardbusinessmanager.de)
PORTER, M. E.; NOHRIA, N.; LORSCH, J. W.:
CEO-Workshop. Was erwartet Sie hinter Tür
Nummer eins? in: Harvard Businessmanager,
April 2005, Seite 108, Produktnummer 200504108.
EDITION 1/2006: Die besten Ideen von
Michael E. Porter.
INTERNET
Homepage von Michael Porter:
www.isc.hbs.edu/
SEMINARE
Michael Porter leitet an der Harvard Business
School ein Programm für CEOs, die neu an die
Spitze von Unternehmen mit Milliarden-
umsätzen berufen wurden.
Der „New-CEO-Workshop“ findet zweimal im
Jahr statt und behandelt die Themen Führung,
Agenda-Setting, Strategie, Board Governance,
Kommunikation sowie Zeitmanagement und Werte.