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V. Limmroth z H. C.

Diener z Neurologie fçr Praktiker


V. Limmroth H. C. Diener

NEUROLOGIE
fçr Praktiker
2., çberarbeitete und erweiterte Auflage

Unter Mitarbeit von


D. Timmann-Braun M. Maschke I. Savidou
G. Tietze-Schillings M.-S. Yoon

Mit 106 Tabellen


ISBN 3-7985-1522-0 Steinkopff Verlag, Darmstadt

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SPIN 11504078 85/7231-5 4 3 2 1 0 ± Gedruckt auf såurefreiem Papier
Vorwort zur 2. Auflage

Zu unserer groûen Freude ist das Konzept dieses Neurologie-


buches fçr Praktiker gut angenommen worden. Bereits nach
weniger als 12 Monaten war das Buch vergriffen, so dass eine
neue Auflage sinnvoll erscheint. Doch auch die pharmakologi-
sche Therapie der neurologischen Erkrankungen entwickelt
sich so rasant, dass nach gut 2 Jahren eine neue aktualisierte
Auflage gerechtfertigt ist.
In dieser 2. Auflage haben wir das bewåhrte Konzept beibe-
halten: Jedem Kapitel ist ein Flussdiagramm vorangestellt, das
einen Ûberblick çber die neurologischen Erkrankungen mit
ICD-Nummern gibt. Jedes Erkrankungsbild wird dann im be-
kannten Muster ± Definition/Epidemiologie, Klinik und Diag-
nostik, Pathophysiologie, Therapie ± diskutiert. Jedem Kapitel
folgt dann eine aktualisierte Ûbersicht der gçnstigsten ver-
schreibungsfåhigen Medikamente.
In Erweiterung zur 1. Auflage haben wir auf Anregung meh-
rerer Leser ein Kapitel ¹Periphere Nervenschåden, Engpasssyn-
drome und Bandscheibenvorfålleª hinzugenommen.
Wir hoffen, dass das Buch auch diesmal eine entsprechende
Aufnahme findet und sind auch weiterhin fçr alle Anregungen
dankbar.

Kæln und Essen, im Januar 2006 V. Limmroth


H. C. Diener
Vorwort zur 1. Auflage

Die meisten Fachbçcher der Neurologie orientieren sich in ih-


rer Struktur an den Bçchern, die auch im Studium Verwendung
finden, d. h. sie handeln die Neuroanatomie, Neurophysiologie
und die neurologische Diagnostik ab und besprechen dann in
systematischer Weise die neurologischen Erkrankungen des pe-
ripheren Nervensystems, des Zentralnervensystems und die
Muskelkrankheiten.
Das Buch, das Sie jetzt in Hånden halten, hat eine andere
Struktur. Es orientiert sich an der Håufigkeit, mit der neurologi-
sche Krankheitsbilder in der Praxis des Allgemeinmediziners,
des praktischen Arztes und des hausårztlich tåtigen Internisten
auftauchen. Deshalb werden Kopfschmerzen und Schwindel be-
reits am Anfang des Buches abgehandelt. Die çbrigen neurologi-
schen Erkrankungen sind in einer Weise dargestellt, dass Sie di-
agnostische Verfahren und therapeutische Vorschlåge, die vom
Neurologen oder von der neurologischen Klinik kommen, nach-
vollziehen und fçr Ihren Patienten kompetent çbersetzen kænnen.
Im Zeitalter der Kostendåmpfung und der Arzneimittelbud-
gets haben wir ± soweit sinnvoll ± jedes Kapitel durch einen
speziellen Anhang ergånzt, der die gångigsten Pråparate und
Generika fçr die entsprechende Indikation angibt, und dar-
gestellt, was die Behandlung pro Monat im Durchschnitt kostet.
An dieser Stelle sei Frau Gabriele Tietze-Schillings, Apothe-
kerin in unserer Klinikumsapotheke, und Herrn Dr. Ilker Ka-
vuk gedankt, die sich der mçhsamen Aufgabe unterzogen,
såmtliche Medikamente fçr die Anhånge zusammenzustellen
und die monatlichen Kosten zu errechnen.

Essen, im Januar 2002 H. C. Diener


V. Limmroth
Inhaltsverzeichnis

1 Kopf- und Gesichtsschmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1


Volker Limmroth

2 Schwindel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
Volker Limmroth

3 Zerebrale Durchblutungsstærungen
(Schlaganfålle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
Hans-Christoph Diener

4 Epilepsien und andere Anfallserkrankungen . . . . . 113


Irini Savidou, Volker Limmroth

5 Demenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Hans-Christoph Diener

6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen
und andere Bewegungsstærungen . . . . . . . . . . . . . 169
Mathias Maschke, Volker Limmroth

7 Multiple Sklerose
(Encephalomyelitis disseminata) . . . . . . . . . . . . . . . 225
Volker Limmroth

8 Polyneuropathien (PNP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257


Min-Suk Yoon, Volker Limmroth
X z Inhaltsverzeichnis

9 Infektionen des Nervensystems . . . . . . . . . . . . . . . 283


Volker Limmroth

10 Stærungen der neuromuskulåren Ûberleitung . . . . 319


Min-Suk Yoon, Volker Limmroth

11 Muskelerkrankungen (Myopathien) und


Erkrankungen der muskulåren Ionenkanåle
(Myotonien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
Volker Limmroth

12 Erkrankungen des Kleinhirns (Ataxien) . . . . . . . . . . 363


Dagmar Timmann-Braun, Volker Limmroth

13 Degenerative Erkrankungen
des motorischen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
Volker Limmroth

14 Erkrankungen der Hirnnerven . . . . . . . . . . . . . . . . . 401


Volker Limmroth

15 Periphere Nervenschåden,
Engpasssyndrome und Bandscheibenvorfålle . . . . . 419
Volker Limmroth

16 Schmerztherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437
Hans-Christoph Diener

17 Untersuchungsmethoden in der Neurologie . . . . . . 459


Volker Limmroth

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477
Autorenverzeichnis

Priv.-Doz. Dr. med. Volker Limmroth


Neurologische Klinik, Klinikum Kæln-Merheim
Kliniken der Stadt Kæln
Ostmerheimer Str. 200
51109 Kæln

Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener


Prof. Dr. med. Dagmar Timmann-Braun
Priv.-Doz. Dr. med. Mathias Maschke
Dr. med. Irini Savidou
Dipl. Apothekerin Gabriele Tietze-Schillings
Dr. med. Min-Suk Yoon
Klinik und Poliklinik fçr Neurologie
Universitåtsklinik Essen
Hufelandstraûe 55
45145 Essen
1 Kopf- und Gesichtsschmerzen
Volker Limmroth
2 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

Kopfschmerzen kænnen vielfåltige Ursachen haben und mçssen


daher je nach Øtiologie unterschiedlich behandelt werden. An-
fang 2004 ist die 2. Klassifikation aller Kopfschmerzerkrankun-
gen erschienen, die çber 220 verschiedene Kopfschmerzformen
unterscheidet. Im Wesentlichen kænnen alle Kopfschmerzfor-
men in zwei Gruppen geteilt werden: primåre (nicht symptoma-
tische Kopfschmerzen, ohne erkennbare strukturelle Låsionen)
und sekundåre (symptomatische Kopfschmerzen), bei denen
der Kopfschmerz Leitsymptom einer u. U. schwerwiegenden
strukturellen Låsion ist. Im årztlichen Alltag macht jedoch die
Gruppe der primåren Kopfschmerzen çber 90% der Patienten
aus. Dennoch mçssen die differenzialdiagnostisch mæglichen
sekundåren Kopfschmerzen ståndig pråsent sein, da die den se-
kundåren Kopfschmerzen zugrunde liegenden Låsionen håufig
sofortiges Handeln erfordern oder mæglicherweise lebens-
bedrohlich sind. Aus didaktischen Grçnden werden in diesem
Kapitel beide Gruppen zusammen besprochen, dabei zunåchst
die sehr håufigen primåren (nicht symptomatischen) und an-
schlieûend die differenzialdiagnostisch wichtigsten sekundåren
(symptomatischen) Kopfschmerzformen.

1.1 Migråne [ICD 10: G 43]

1.1.1 Definition und Epidemiologie

Migråne ist ein anfallsartig auftretender, nicht syptomatischer


Kopfschmerz, der mit typischen autonomen Begleiterscheinun-
gen wie Ûbelkeit, Erbrechen, Licht-, Geråusch- und Geruchsemp-
findlichkeit einhergeht. Sie ist eine der håufigsten neurologischen
Erkrankungen çberhaupt. Die Pråvalenz betrågt weltweit 12±20%
bei Frauen, 6±8% bei Månnern und immerhin 5±7% bei Kindern
unter 12 Jahren. Damit leben allein in Deutschland ca. 8 Mio. Mig-
rånepatienten. Nur 15% der Migrånepatienten suchen jemals we-
gen der Migråne einen Arzt auf und nur ca. 2% werden von einem
Neurologen untersucht. Inzwischen konnte eine erbliche Disposi-
tion nachgewiesen werden. Die Erwachsenenmigråne beginnt
a 1.1 Migråne z 3

meistens wåhrend der Pubertåt und hat ihren Håufigkeitsgipfel


zwischen dem 35. und 40. Lebensjahr. Bei Kindern stehen vege-
tative Begleitsymptome wie abdominelle Schmerzen und Ûbelkeit
im Vordergrund der Symptomatik. Im Gegensatz zu den Erwach-
senen sind Mådchen und Jungen etwa gleich håufig betroffen.

1.1.2 Klinik und Diagnostik

Klassischerweise kommt es meist in den Morgenstunden zu ei-


nem heftigen, pulsierenden und pochenden halbseitigen Kopf-
schmerz, der z. T. aber auch den ganzen Kopf betrifft und mit
Ûbelkeit, Erbrechen, Lichtscheu, Lårmempfindlichkeit und Ge-
ruchsçberempfindlichkeit einhergeht. Der Kopfschmerz nimmt
typischerweise bei kærperlicher Betåtigung zu. Ein Migråne-
anfall kann zwischen 4 und 72 h dauern (im Durchschnitt
16 h). Nicht wenige Patienten verspçren ferner sog. Prodromal-
zeichen. Diese Symptome treten bis zu 48 h vor der eigentlichen
Kopfschmerzphase auf und sind durch Heiûhunger, Stim-
mungsschwankungen, euphorische Gefçhle oder Polyurie ge-
kennzeichnet. Typische Provokationsfaktoren sind Regelblutung,
vorheriger Alkoholgenuss, Aufenthalt in verrauchten Råumen,
Ønderung des Schlaf-Wach-Rhythmus, stressreiche Situationen
oder Abfall des Koffein-Spiegels.
Je nach Klinik werden verschiedene Migråneformen unter-
schieden. Bei etwa 10±15% der Patienten liegt eine Migråne mit
Aura (frçher klassische Migråne, Migraine accompagne) vor.
Hierbei kommt es vor ± oder selten ± unmittelbar zu Beginn
der Kopfschmerzen zu neurologischen Reiz- oder Ausfalls-
erscheinungen wie Gesichtsfelddefekten (Flimmerskotomen),
Wahrnehmung gezackter Figuren (Fortifikationen), halbseitigen
Sensibilitåtsstærungen, Paresen sowie Sprech- oder Sprach-

Tabelle 1.1. Formen der Migråne

z Migråne ohne Aura z Familiår-hemiplegische Migråne


z Migråne mit Aura z Retinale Migråne
z Migråne mit prolongierter Aura z Basilarismigråne
4 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

stærungen. Die neurologischen Ausfålle entwickeln sich çbli-


cherweise graduell çber 5±20 min und dauern nicht långer als
60 min. Eine Sonderform ist die Migråne mit prolongierter Au-
ra, wobei die neurologischen Ausfålle bis zu maximal 1 Woche
anhalten und danach wieder vællig abklingen.
Eine weitere seltene Form stellt die Basilarismigråne dar.
Hier kommt es neben Gesichtsfelddefekten zu Sehstærungen,
Schwindel, Tinnitus, Hærstærungen und Doppelbildern, Ataxie
und u. U. zu einer Paraparese der Beine. Weitere (sehr) seltene
Migråneformen sind die rein retinale Migråne mit einer flçchti-
gen monokulåren Erblindung sowie die familiår-hemiplegische
Migråne, bei der im Rahmen der Migråne-Aura eine komplette
Halbseitenlåhmung fçr 30±120 min auftritt.
Die Diagnose kann in der Regel bereits durch eine sorgfål-
tige Anamnese gestellt werden, der eine klinisch-neurologische
Untersuchung folgen sollte. Alle technischen Untersuchungen,
insbesondere die kraniale Bildgebung dienen lediglich dem
Ausschluss symptomatischer Ursachen. Eine Zusatzuntersu-
chung, die die Diagnose einer Migråne beståtigen kann gibt es
nicht. Bei spezifischen Hinweisen in der Anamnese oder der
klinisch-neurologischen Untersuchung auf einen symptoma-
tischen Kopfschmerz mçssen zum differenzialdiagnostischen
Ausschluss gezielt die jeweiligen spezifischen Untersuchungen
durchgefçhrt werden. Die differenzialdiagnostischen Erwågun-
gen und die entsprechenden Zusatzuntersuchungen kænnen den
Tabellen 1.2 und 1.3 entnommen werden. Die dort erwåhnten
Kopf- und Gesichtsschmerzen sollten auch von den çbrigen in
diesem Kapitel erwåhnten Schmerzen differenziert werden.

1.1.3 Pathophysiologie

Die Pathophysiologie der Migråne ist nur z. T. geklårt. Grund-


såtzlich herrscht jedoch darin Ûbereinstimmung, dass es sich
um eine genetisch determinierte Ionenkanal-Erkrankung han-
delt, bei der es temporår zu einem Ausfall antinozizeptiver Zent-
ren im Hirnstamm kommt. Der Kopfschmerz selbst entsteht
wahrscheinlich durch eine Freisetzung verschiedener vaso-
aktiver (stark vasodilatorischer) Neuropeptide wie calcitonin
a 1.1 Migråne z 5

Tabelle 1.2. Wichtige symptomatische Differenzialdiagnosen der Migråne und die


notwendige Diagnostik

Differenzialdiagnose Kopfschmerz Typische Anamnese


und Begleitsymptom Untersuchung

z Subarachnoidal- Heftigster, nie gekannter, Aufgetreten nach


blutung (SAB) plætzlich aufgetretener Anstrengung
Kopfschmerz, Bewusst- CCT, Liquoruntersuchung:
seinstrçbung, blutiger Liquor
Meningismus
z Intrazerebrale Heftige Kopfschmerzen, Blutungsneigung,
Blutung (ICB) fokal neurologische Markumar?
Symptome, Krampfanfålle, Hochdruckkrise?
vegetative Unruhe CCT
z Sinusvenethrombose Langsam çber Wochen Junge Frauen, Pille,
(bis zu 8) zunehmende Nikotin, Schwangerschaft
Kopfschmerzen, NMR (CCT, CT-Angiogra-
therapierefraktår, phie)
Krampfanfålle,
Bewusstseinsstærungen
z Arteriitis temporalis Ûber Tage bis wenige Alter > 50 Jahre, Schmer-
Wochen sich entwickeln- zen beim Kauen (!), BSG
der heftiger einseitiger massiv erhæht, Leukozytose,
ganztågiger Kopfschmerz, ggf.
u.U. Visusminderung Biopsie, sonst klinisch
Diagnose
z Sinusitis Schmerz dumpf, Ræntgen: Nasenneben-
morgens Sekretabfluss hæhlen, ggf. CCT
z Meningitis Insbesondere okzipitale Fieber, Meningismus
und frontale bilaterale (nicht immer stark), Liquor
Kopfschmerzen entzçndlich veråndert
z Zerebrale Vaskulitis Diffuse, teils intensive Kernspintomographie,
Kopfschmerzen, entzçndlich verånderter
sehr selten (!) Liquor
z Glaukomanfall Heftigster orbital 50 Jahre, Risikofaktoren,
lokalisierter einseitiger Bulbus steinhart,
Schmerz Augeninnendruck messen
z Kiefergelenks- Schmerz v. a. beim Kauen Klinisch, Tasten
myathropathie und nach dem Essen der Kieferbewegung
z Arterielle Hypertonie Pochender Kopfschmerz, Blutdruck messen
gerætetes Gesicht
z Arterielle Hypotonie Keine Kopfschmerzen Keine
6 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

Tabelle 1.3. Wichtige Differenzialdiagnosen und håufige Fehldiagnosen bei Migråne


mit Aura (klassische Migråne)

Differenzialdiagnose Unterscheidungs- Weitere Diagnostik


merkmal

z Transiente ischåmische Symptome sind apoplekti- Anamnese, Doppler-


Attacke (TIA) form vorhanden, Sonographie, CCT
vaskulåre Risikofaktoren
z Fokaler epileptischer Entwicklung der neurolo- Anamnese, EEG, evtl. CT
Anfall gischen Ausfålle çber
wenige Minuten,
motorische Phånomene
çberwiegen

gene related peptide (CGRP) und weiteren Mediatoren wie Sero-


tonin und Histamin. Fçr die Entstehung der Migråneaura
nimmt man eine Hemmung der kortikalen Aktivitåt an, die
sich langsam çber die Hirnrinde ausbreitet (sog. spreading de-
pression), ohne sich an das Verteilungsareal der versorgenden
Blutgefåûe zu halten. Traditionelle (Ergotamin, Dihydroergota-
min) und neue Migrånemittel (Triptane) hemmen die Schmer-
zentstehung durch Bindung an pråsynaptische 5-HT1B/D-Rezep-
toren in den Gefåûwånden, die die Freisetzung der Neuropepti-
de hemmen. Ausgelæst wird die Freisetzung der Neuropeptide
wahrscheinlich durch efferente Signale aus dem Kerngebiet des
N. trigeminus, die çber die 3 Trigeminusåste und den N. facia-
lis fortgeleitet werden. Beide Hirnnerven innervieren die Gefåû-
wånde der intra- und extrakraniellen Arterien. Fçr die familiår-
hemiplegische Migråne (FHM) konnten inzwischen Genmuta-
tionen des Kalziumkanals (Chromosom 19) der Na+/K+-Pumpe
(Chr 1) sowie des Natriumkanals (Chromosom 2) nachgewiesen
werden. Psychische Faktoren spielen nur als Triggerfaktoren ei-
ne Rolle (die Migråne ist keine primår psychosomatische Er-
krankung!).
a 1.1 Migråne z 7

1.1.4 Therapie
z Behandlung der akuten Migråneattacke
Die Behandlung der akuten Attacke sollte sich an der Intensitåt
des Kopfschmerzes und der Begleiterscheinungen orientieren.
Als Basistherapie erfolgt bei leichten bis mittleren Attacken die
kombinierte Gabe eines Analgetikums mit einem Antiemeti-
kum. Dabei sollte jedoch beachtet werden, dass die Dosierung
ausreicht (z. B. mindestens 1000 mg Acetylsalicylsåure oder
600 mg Ibuprofen) und eine resorptionsfreundliche Darrei-
chungsform (Brausetabletten oder Granulat) verwendet wird.
Die Gabe des Antiemetikums erfolgt zum einen, um Ûbelkeit
und Erbrechen zu bekåmpfen; insbesondere jedoch, um die
Magen- und Darmtåtigkeit anzuregen, die zu Beginn und wåh-
rend eines Migråneanfalls drastisch reduziert ist, fçr eine opti-
male Resorption von Analgetika jedoch unabdingbar ist. Dies
erklårt, warum eine ganze Reihe von Arzneimitteln, die als Tab-
letten gegen die Schmerzen eingenommen werden, wenig wirk-
sam sind: Die Wirkstoffe werden nur sehr verzægert von Magen
oder Darm in den Kreislauf aufgenommen. Als Antiemetika
kommen hier die verschreibungspflichtigen Substanzen Meto-
clopramid oder Domperidon zum Einsatz (Tabelle 1.4).
Bei schweren Migråneattacken sind bis vor kurzem Mutterkor-
nalkaloide eingesetzt worden. Bis auf ein einziges Pråparat sind
jedoch alle Ergotaminpråparate vom deutschen Markt genommen
worden. Da diese Substanzgruppe unspezifisch an verschiedene
Rezeptorgruppen, u.a. an das dopaminerge System, bindet, wer-
den Ûbelkeit und Erbrechen bei vielen Patienten zunåchst ver-
stårkt. Mehrere Vergleichsstudien konnten eindeutig zeigen, dass
Ergotamine den neuen Triptanen hinsichtlich Vertråglichkeit und
Wirksamkeit unterlegen sind und werden deshalb von den Fach-
gesellschaften nicht mehr als Mittel der ersten Wahl empfohlen.
Die håufigsten Nebenwirkungen sind Ûbelkeit, Erbrechen, Miss-
empfindungen und Engegefçhl in der Brust. Die Hæchstdosis, die
an einem Tag eingenommen werden darf, liegt bei 2 mg. Die
Hæchstdosis zur Behandlung einer Migråneattacke, die långer
als 24 h dauert, liegt bei 4 mg. Vier mg Ergotamintartrat als Tab-
lette oder 6 mg als Zåpfchen sind auch die zulåssigen Hæchstmen-
gen pro Woche.
8 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

Tabelle 1.4. Medikamente zur Behandlung akuter Migråneattacken


Behandlung der leichten bis leichten bis mittleren Attacke
Pråparat Dosierung und Darreichungsform

z Acetylsalicylsåure Mindestens 1000 mg als Brausetablette + Antiemetikum


(ASS) (Metoclopramid/Domperidon)
z Ibuprofen Mindestens 600 mg als Granulat + Antiemetikum
(Metoclopramid/Domperidon)
z Paracetamol Mindestens 1000 mg + Antiemetikum
(Metoclopramid/Domperidon)
z Naproxen Mindestens 500 mg + Antiemetikum
(Metoclopramid/Domperidon)

Behandlung schwerer Migråneattacken


Pråparat Handelsname und Anflutzeit Halbwertszeit
Darreichungsform (tmax) (tv 1/2)

z Sumatriptan Imigran Tablette 50 und Ca. 90 min 2h


100 mg
Imigran s.c. 6 mg Ca. 10 min
Imigran supp 25 mg Ca. 90 min
Imigran nasal 20 mg/10 mg Ca. 90 min
Imigran T 50/100 mg 50±60 min 2h
z Zolmitriptan AscoTop 2,5 mg und 5 mg Ca. 90 min 2±3 h
AscoTop Schmelztablette Ca. 90 min
AscoTop Nasenspray 5 mg 20±30 min
z Naratriptan Naramig Tablette 2,5 mg Ca. 150 min 5±6 h
z Rizatriptan Maxalt 5 mg/10 mg Ca. 50 min 3h
Maxalt lingua 5 und 10 mg Ca. 50 min
z Almotriptan Almogran 12,5 mg Ca. 90 min 3h
z Eletriptan Relpax 20 und 40 mg Ca. 60 min 5h
z Frovatriptan Allegro 2,5 mg Ca. 150 min 25 h
z Ergotamin Ergo-Kranit mono 2 mg Ca. 150 min
Monopråparate
(Ergotamintartrat)

Fçr den Notfall geeignete Pråparate

z Lysin-Acetylsalicyl- Aspisol 1000 mg i.v. Wenige


såure IVASPIRIN Minuten
a 1.1 Migråne z 9

z Mittel der ersten Wahl in Akutbehandlung

Neue hoch wirksame Migrånemittel sind die kçrzlich ent-


wickelten Serotoninagonisten (5-HT1B/D-Agonisten) wie Suma-
triptan (Imigran). Hauptvorteil der neuen Substanzen gegenç-
ber den ålteren Ergotaminpråparaten ist die ausgeprågte antie-
metische Wirkung. Inzwischen stehen in Deutschland 6 weitere
5-HT1B/D-Agonisten zur Verfçgung (Details s. Tabelle 1.4):
Zolmitriptan (AscoTop), Naratriptan (Naramig), Rizatriptan
(Maxalt), Eletriptan (Relpax), Almotriptan (Almogran), Frovat-
riptan (Allegro). Sumatriptan liegt inzwischen in verschiedenen
Applikationsformen vor: In der oralen Form stehen 50- und
100-mg-Tabletten zur Verfçgung. Fçr Patienten, die im Rahmen
der Migråneattacke frçh erbrechen und keine Tabletten einneh-
men kænnen, gibt es eine subkutane Form (6 mg), die mit Hilfe
eines Autoinjektors (åhnlich dem Diabetes-Pen) vom Patienten
selber appliziert werden kann. Fçr Patienten, die eine subkuta-
ne Injektion nicht wçnschen oder vertragen, werden nun auch
Zåpfchen (25 mg) und ein Nasenspray (20 mg) angeboten.
Zolmitriptan und Rizatriptan liegen ferner als Schmelztablet-
te vor, die sich innerhalb von wenigen Sekunden auf der Zunge
auflæst und nicht mit Wasser eingenommen zu werden braucht.
Darçber hinaus ist Zolmitriptan jetzt auch als Nasenspray 5 mg
erhåltlich, das schnell anflutet. Alle anderen Substanzen gibt es
zunåchst nur in den gångigen oralen Formulierungen. Zwei der
Substanzen wirken aufgrund ihrer Pharmakokinetik deutlich
langsamer (Naratriptan und Frovatriptan), wirken allerdings
auch långer und sind mæglicherweise besser fçr Patienten mit
langen Attacken (> 24 h) oder einer hohen Rate an Wiederkehr-
kopfschmerz (Attacke kommt nach primårem Therapieerfolg
nach einigen Stunden wieder) geeignet. Zwei weitere Triptane
fluten besonders schnell an und zeigen gute Wirkungen inner-
halb von 60 min (Rizatriptan und Eletriptan). Vergleichsstudien
sind meist gegen Sumatriptan 100 mg durchgefçhrt worden,
wobei jeweils Rizatriptan (10 mg) und Eletriptan (80 mg) die
hæchste Effektivitåt zeigten. Alle 5-HT1B/D-Agonisten sind vaso-
konstriktorische Substanzen, die zwar wesentlich selektiver auf
kraniale Gefåûe wirken als die Ergotamine, jedoch Patienten
mit vaskulåren Risikofaktoren nur unter Vorbehalt und Patien-
10 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

ten mit koronarer Herzerkrankung, Z. n. Herzinfarkt oder


Schlaganfall unter keinen Umstånden erhalten sollten.
Auf nichtmedikamentæser Basis sind bei manchen Patienten
mit leichten Attacken auch die Anwendung von Eisbeuteln, das
Aufsuchen eines dunklen und ruhigen Raums und der Versuch,
etwas Schlaf zu finden, hilfreich.
Fçr den Notfall steht ferner eine wasserlæsliche Form der
Acetylsalicylsåure, Lysin-Acetylsalicylsåure zur Verfçgung, die
intravenæs verabreicht werden kann und gut vertråglich ist.

z Migråneprophylaxe
Die Vorbeugung der Migråne sollte bereits vor der Einleitung
einer medikamentæsen Prophylaxe mit spezifischen Ønderun-
gen im Verhaltensbereich beginnen, um unætige Triggerfaktoren
auszuschalten: Beibehaltung des Schlaf-Wach-Rhythmus, auch
am Wochenende (z. B. Samstags und Sonntags mæglichst zur
selben Uhrzeit aufstehen wie unter der Woche), Vermeiden
çbermåûigen Hungers, Vermeiden von Alkohol und Nikotin,
Abbau von Stress, regelmåûige kærperliche Betåtigung, z. B. Jog-
ging, Radfahren, Schwimmen und andere Ausdauersportarten.
So banal es auch klingen mag, Ausdauersport kann einen we-
sentlichen Beitrag zu Prophylaxe leisten. Ziel der medika-
mentæsen Prophylaxe ist es, Håufigkeit und Schwere der einzel-
nen Migråneanfålle zu vermindern sowie die Wirkung der
Akutmedikation zu verbessern. Verlauf der Erkrankung und Er-
folg bzw. Misserfolg der Prophylaxe sollte anhand eines Kopf-
schmerztagebuchs çberprçft werden. Die Indikationen, unter
denen eine medikamentæse Prophylaxe begonnen werden sollte,
sind in Tabelle 1.5 aufgefçhrt.
Mittel der ersten Wahl sind auch weiterhin Betarezeptoren-
blocker. Wirksam sind hier Metoprolol oder Propranolol. Auch
andere Betablocker (z. B. Bisoprolol) sind wahrscheinlich gut
wirksam, jedoch weniger gut untersucht. Vergleichbar gut wirk-
sam und damit noch Mittel der ersten Wahl ist der Kalzium-
antagonist Flunarizin (Sibelium) eine Substanz, die auch auf
dopaminerge und serotoninerge Rezeptoren wirkt. Auch Valpro-
insåure und Topiramat sind inzwischen in mehreren Studien
ausreichend getestet worden, konnten ihre Wirksamkeit belegen
a 1.1 Migråne z 11

Tabelle 1.5. Indikationen fçr die Migråneprophylaxe

z Mehr als 2±3 Migråneanfålle im Monat


z Bei mehr als 1 Attacke pro Monat mit einer Dauer von långer als 48 h
z Bei mehr als 1 Attacke pro Monat und bekanntem Versagen
jeglicher Akutmedikation
z Bei sog. komplizierten Migråneattacken (d. h. Migråneanfålle, bei denen
die neurologischen Ausfallserscheinungen wie Låhmungen oder Sehstærungen
långer als 24 h anhalten)
z Bei beruflicher oder sozialer Beeintråchtigung und Gefahr fçr den Arbeitsplatz

und kænnen deshalb als Mittel der ersten Wahl gelten. Als Mit-
tel der zweiten Wahl gelten weiterhin nichtsteroidale Anti-
rheumatika (z. B. Naproxen oder Acetylsalicylsåure) in niedriger
Dosierung und die schon långer Verwendung findenden Seroto-
ninantagonisten Pizotifen (Sandomigran) und Methysergid (De-
seril), die bei Patienten aber wegen ihrer etwas stårkeren Neben-
wirkungen (Mçdigkeit, Gewichtszunahme) meist nicht beson-
ders beliebt sind. Beide Substanzen sind inzwischen vom deut-
schen Markt genommen worden, kænnen jedoch fçr spezielle Fål-
le noch çber die Auslandsapotheke bezogen werden. Die Wirkung
von Magnesium ist nach wie vor unklar, da die bisherigen Studi-
en widersprçchlich sind. Es ist jedoch das einzige Mittel, das
auch in der Schwangerschaft eingesetzt werden kann. Eine Thera-
pie mit Riboflavin (Vitamin B6) kann aufgrund der einzuneh-
menden Mengen nicht empfohlen werden. Obsolet ist ferner die
Gabe von Hormonen, da die potenziellen Nebenwirkungen und
Langzeitwirkung in keinem Verhåltnis zu dem bisher nach wie
vor zweifelhaften Thrapieerfolg stehen. Der Stellenwert von Boto-
linumtoxin bleibt weiterhin unklar, da alle græûeren plazebokon-
trollierten Studien bisher negativ waren.
Entscheidend fçr die erfolgreiche Prophylaxe ist der Erhalt
der Patienten-Complience. Alle prophylaktisch verabreichten
Substanzen sollten daher langsam eingeschlichen werden, um
die typischen Nebenwirkungen gering zu halten. Die Wirkung
ist selbst bei regelmåûiger Einnahme erst nach mehreren Wo-
chen abschlieûend beurteilbar. Auch dies sollte dem Patienten
12 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

Tabelle 1.6. Medikamente zur prophylaktischen Behandlung der Migråne


Mittel der ersten Wahl
Substanz Nebenwirkungen Kontraindikationen

Betarezeptorenblocker
z Metoprolol 50±200 mg Mçdigkeit, arterielle Asthma, AV-Block, Diabetes,
z Propanolol 40±160 mg Hypotonie, Schlafstærungen orthostatische Dysregulation
z Bisoprolol 2,5±5 mg (Albtråume), Schwindel,
Bronchospasmus,
Bradykardie
Kalziumantagonisten
z Flunarizin 5±10 mg Mçdigkeit, Dystonien, Schwangerschaft
Gewichtszunahme
z Valproinsåure Mçdigkeit, Schwindel, Leberfunktionsstærungen,
500±900 mg Haarausfall, Gewichts- Schwangerschaft
zunahme, Leber-
funktionsstærungen
z Topiramat Paråsthesien, Gewichts- Nierensteine
50±100 mg abnahme, Mçdigkeit

Mittel der zweiten Wahl


Substanz Nebenwirkungen Kontraindikation

z Naproxen 2 ´ 250 mg Magenschmerzen Ulkus, Blutungsneigung,


Asthma
z Acetylsalicylsåure Magenschmerzen Ulkus, Blutungsneigung,
300 mg Asthma
Nicht mehr auf dem deutschen Markt:
z Pizotifen Mçdigkeit, Gewichts- Glaukom, Prostata-
1±3 mg zunahme, Hunger, hypertrophie,
Mundtrockenheit, koronare Herzkrankheit
Obstipation
z Methysergid Mçdigkeit, Gewichts- Hypertonus,
2±6 mg zunahme, Hypertonus koronare Herzkrankheit
a 1.2 Spannungskopfschmerzen z 13

mitgeteilt werden, um ein frçhzeitiges Absetzen der Medikation


zu verhindern.

z Alternative Therapieformen bei der Migråne


Von den alternativen Therapieformen haben sich (mit måûigem
Erfolg) lediglich psychologische Behandlungsverfahren wie
Stressbewåltigungstraining, die progressive Muskelrelaxation
nach Jacobsen und das sog. Biofeedback-Training durchgesetzt.
Die Akupunktur war in mehreren græûeren Studien nicht wirk-
samer als Scheinakupunktur, sodass mægliche Effekte als unspe-
zifisch betrachtet werden mçssen.

1.1.5 Das Neueste

z In mehreren Studien konnte jetzt gezeigt werden, dass La-


motrigin eine hochspezifische Wirksamkeit in der Behand-
lung der Migråne-Aura besitzt.
z Mit der neuen Kopfschmerz-Klassifikation ist auch der Be-
griff ¹Chronische Migråneª eingefçhrt worden. Die Diagnose
wird gestellt, wenn der Patient an mehr als an 15 Tagen pro
Monat Migrånekopfschmerzen hat, aber kein medikamenten-
induzierter Kopfschmerz vorliegt.
z Ústrogene sind in der Behandlung der menstruellen Migråne
nicht prophylaktisch wirksam und sollten in diesem Zusam-
menhang nicht mehr eingesetzt werden.

1.2 Spannungskopfschmerzen [ICD 10: G 44.2]

1.2.1 Definition und Epidemiologie


Der episodische Spannungskopfschmerz (frçher vasomotori-
scher Kopfschmerz) ist ein nicht symptomatischer holokraniel-
ler Kopfschmerz ohne autonome Begleiterscheinungen. Kom-
men diese Schmerzen håufiger als an 15 Tagen pro Monat oder
14 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

180 Tagen pro Jahr vor, wird von einem chronischen Span-
nungskopfschmerz gesprochen. Die Pråvalenz des episodischen
Spannungskopfschmerzes betrågt 40±50%. Månner und Frauen
sind im Gegensatz zur Migråne fast gleich håufig betroffen. Die
Pråvalenz des chronischen Spannungskopfschmerzes betrågt
etwa 2%. Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt mit
25±30 Jahren etwas hæher als das der Migråne.

1.2.2 Klinik und Diagnose

Der episodische Spannungskopfschmerz tritt nur gelegentlich


fçr 1±2 Tage auf. Typisch sind dumpf-drçckende, bilaterale
Kopfschmerzen, die teilweise frontal, teilweise okzipital, auch
bitemporal oder holozephal, lokalisiert sind. Der Schmerz wird
wie ein ¹zu enger Hutª, ein ¹Band um den Kopfª und das
Gefçhl ¹des Nicht-klar-denken-kænnensª beschrieben. Er ist
von mittelschwerer Intensitåt und schrånkt die Arbeitsfåhigkeit
(anders als bei der Migråne) meist nicht wesentlich ein. Vegeta-
tive Begleiterscheinungen fehlen oder sind nur gering aus-
geprågt. Im englischen Schrifttum wird diese Form des Kopf-
schmerzes als tension headache oder ¹Muskelkontraktionskopf-
schmerzª bezeichnet, obwohl nach EMG-Messungen der Tonus
der extrakraniellen Muskulatur nicht erhæht ist. Es gibt Ûber-
gangsformen von der Migråne zum Spannungskopfschmerz so-
wie Patienten, die an beiden Kopfschmerzformen leiden. Wie
bei den anderen Kopfschmerzen erfolgt die Diagnose durch die
Anamneseerhebung. Die Differenzierung gegençber der Migrå-
ne erfolgt durch unterschiedliche klinische Charakteristik und
das Fehlen oder die geringe Ausprågung von vegetativen Begleit-
erscheinungen (z. B. Erbrechen, Geruchsçberempfindlichkeit bei
der Migråne). Spezifische Untersuchungen zur Sicherung der Di-
agnose existieren nicht. Eine kraniale Bildgebung ist nicht not-
wendig und sollte nur bei therapieresistenten Schmerzen oder
Auftreten fokaler neurologischer Ausfålle durchgefçhrt werden.
Die wichtigste Differenzialdiagnose ist der medikamentenindu-
zierte Kopfschmerz (siehe auch Abschn. 1.4), der durch die
Medikamente-Anamnese jedoch gut differenzierbar ist (tågliche
Einnahme von Migrånemitteln oder Analgetika).
a 1.2 Spannungskopfschmerzen z 15

1.2.3 Pathophysiologie

Die Pathophysiologie des Spannungskopfschmerzes ist nach wie


vor unklar. Die frçher vorherrschende Theorie der verspannten
perikraniellen Muskulatur konnte nicht beståtigt werden. Ein
håufig angenommener Zusammenhang mit Verånderungen an
der Halswirbelsåule besteht nicht. Wahrscheinlich liegt eine
Verånderung der zentralen Schmerzschwelle vor, sodass ein an
sich physiologischer Zustand als schmerzhaft empfunden wird.
Bei Patienten mit chronischem Spannungskopfschmerz konnten
kçrzlich morphologische Verånderungen im Bereich des peri-
aquåduktalen Graus nachgewiesen werden.

1.2.4 Therapie

z Medikamentæs
Der akute Spannungskopfschmerz kann zunåchst physikalisch
(etwa mit Eisbeuteln) behandelt werden. Ist er von ausgeprågter
Intensitåt, werden 500±1500 mg Acetylsalicylsåure oder Paraceta-
mol oral eingesetzt. Auch andere nichtsteroidale Antirheumatika
(NSAR) wie Ibuprofen sind wirksam. Kombinationspråparate, die
zusåtzlich Koffein, Kodein, Muskelrelaxanzien, Antihistaminika,
Tranquilizer, DHE oder Ergotamin enthalten, sollten vermieden
werden. Bei chronischen Spannungskopfschmerzen reichen
NSAR håufig nicht aus. Mittel der Wahl sind dann trizyklische
Antidepressiva (TCA) wie Amitriptylin und Amitriptylinoxid.
Die initiale Dosis betrågt 25 mg Amitriptylin oder 30 mg Amit-
riptylinoxid, die Enddosis nach 3±4 Wochen 50±75 mg Amitrip-
tylin oder 90 mg Amitriptylinoxid/Tag. Grundsåtzlich kænnen
aber auch andere TCA verwendet werden. Eine Liste der wichtigs-
ten TCA enthålt Tabelle 1.7. MAO-Hemmer haben sich in einigen
wenigen Studien als wirksam erwiesen, sollten jedoch nur von
Kollegen verwendet werden, die Erfahrungen mit dieser Sub-
stanzgruppe haben. Interessanterweise scheinen die neueren Se-
rotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) ohne Wirkung bei der
Behandlung des chronischen Spannungskopfschmerz zu sein.
Ûber die potenziellen Effekte von Botulinum-Toxin liegen noch
16 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

Tabelle 1.7. Medikamentæse Therapie des chronischen Spannungskopfschmerzes

Substanz Startdosis Zieldosis Halbwertszeit


[mg] [mg] [h]

z Amitriptylin 25 50±100 10±40


z Amitriptylinoxid 30 60±90 10±40
z Clomipramin 25 50±100 17±35
z Doxepin 25 50±100 11±24
z Imipramin 25 50±75 9±22
z Maprotilin 50 100 27±90

keine abschlieûenden Daten vor. Insgesamt sind die Therapie-


erfolge eher måûig, sodass sich nicht selten ein chronischer Anal-
getika-Abusus entwickelt, der den Kopfschmerz langfristig noch
verschlimmert und dann im Rahmen einer Entzugstherapie
weiterbehandelt werden muss.

z Nichtmedikamentæse und unwirksame Therapien


Insbesondere beim chronischen Spannungskopfschmerz haben
sich nicht medikamentæse Therapieverfahren bewåhrt und soll-
ten ± soweit mæglich ± als Ergånzung der medikamentæsen
Therapie angeboten werden. Durchgesetzt hat sich hauptsåch-
lich das muskulåre Relaxationsverfahren nach Jacobson. Studi-
en zur Akupunktur sind widersprçchlich und scheinen v. a. Pla-
zeboeffkte zu dokumentieren. Unwirksam sind lokale Injektio-
nen in den Nacken oder die Kopfhaut und chiropraktische oder
manualtherapeutische Maûnahmen an der HWS.

1.3 Clusterkopfschmerzen [ICD 10: G 44.0]

1.3.1 Definition und Epidemiologie


Der Clusterkopfschmerz (frçher Bing-Horton-Syndrom, Ery-
throprosopalgie oder Histaminkopfschmerz) ist ein nicht symp-
a 1.3 Clusterkopfschmerzen z 17

tomatischer anfallsartig auftretender streng einseitiger Kopf-


schmerz mit peripher autonomen Begleiterscheinungen. Clus-
terkopfschmerzen sind wesentlich seltener als Migråne oder
Spannungskopfschmerzen (1 pro 1000). Bei 90% der Betroffe-
nen treten die Kopfschmerzen im Frçhjahr und Herbst gehåuft
in sog. ¹Clusternª auf, bei 10% besteht ein chronischer Cluster-
kopfschmerz (keine beschwerdefreien Intervalle mehr). Månner
sind im Verhåltnis 5:1 bis 8:1 çberrepråsentiert.

1.3.2 Klinik und Diagnostik

Charakteristisch fçr den Clusterkopfschmerz sind streng einsei-


tig auftretende heftigste Schmerzattacken mit Punctum maxi-
mum periorbital, retroorbital und temporal sowie ipsilaterale
peripher vegetative Begleitsymptome wie konjunktivale Injek-
tion, Lakrimation, Schwellung der Nasenschleimhaut, Rhinorrhæ,
Miosis, Ptosis und Údem des ipsilateralen Augenlids. Die hefti-
gen Schmerzattacken beim Clusterkopfschmerz dauern zwischen
15 und 60 min (selten långer), treten meist einmal pro Nacht,
aber auch bis zu dreimal pro Tag auf. Die einzelnen Attacken
kænnen durch Alkohol, Nitroglyzerin oder Histamin provoziert
werden. Wåhrend Patienten mit Migråne eher ein abgedunkeltes
Zimmer und Ruhe suchen, sind Patienten wåhrend der Cluster-
kopfschmerzattacke motorisch unruhig und kænnen weder ruhig
sitzen noch ruhig liegen bleiben. Die Phase der Clusterattacken
kann von 1 Woche bis zu 3 Monate dauern.
Differenzialdiagnostisch mçssen maligne Tumoren, die den
Sinus cavernosus infiltrieren, abgegrenzt werden. Seltenere Dif-
ferenzialdiagnosen sind das Tolosa-Hunt-Syndrom (aseptische
Entzçndung des Sinus cavernosus mit Hypåsthesie im ersten
Trigeminusast) und die Sinus-cavernosus-Fistel (permanente
Augenrætung). Auch wenn die Diagnose hier gut anhand der
Anamnese gestellt werden kann, ist eine kraniale Bildgebung
zum Ausschluss symptomatischer Ursachen bei der initialen
Diagnose des Krankheitsbildes indiziert. In seltenen Fållen gibt
es flieûende Ûbergånge zur Migråne (sog. Clustermigråne).
18 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

1.3.3 Pathophysiologie

Die Pathophysiologie des Clusterkopfschmerzes ist noch weit-


gehend unklar. Eine wichtige Rolle scheint eine aseptische
Entzçndung und Vasodilatation im Sinus cavernosus durch eine
Fehlsteuerung im Hypothalamus zu spielen. Wåhrend der Atta-
cke konnte ein deutlicher Anstieg des calcitonin gene related
peptide (CGRP) und des vasoactive intestinal peptide (VIP) im
venæsen Blut nachgewiesen werden, sodass ± åhnlich der Mig-
råne ± der plætzlichen Freisetzung von vasoaktiven Neuropep-
tiden eine Schlçsselrolle zukommt.

1.3.4 Therapie

Die Behandlung der akuten Clusterattacke ist schwierig, da die


meisten zentral oder peripher angreifenden Analgetika unwirk-
sam sind oder 20±30 min benætigen, um ihre volle Wirkung zu
entfalten, und die Attacke zu diesem Zeitpunkt bereits wieder
abklingt. Bei Attacken bis zu 20 min sind orale Medikamente
daher sinnlos. Nur wenige Substanzen und Maûnahmen haben
sich als wirksam bzw. sinnvoll erwiesen:
z die Inhalation von 100%igem Sauerstoff (7 l/min, Gesichts-
maske, sitzende Haltung),
z die nasale Instillation von 4%iger Lidocainlæsung bei um 45 8
rekliniertem und ca. 30 8 zur betroffenen Seite rotiertem
Kopf, hilft gelegentlich,
z die subkutane Gabe von Sumatriptan 6 mg,
z Zolmitriptan Nasenspray 5 mg.

Die Prophylaxe des Clusterkopfschmerzes ist indiziert, wenn die


çberwiegend nåchtlichen Attacken durch eine Akutmedikation
nicht beherrscht werden kænnen und der Cluster çber 2 Wochen
anhålt. Mittel der ersten Wahl zur Unterbrechung der Clusterpha-
se ist Prednison in einer Dosis von 100 mg/Tag çber 3±5 Tage und
ausschleichender Dosierung in den folgenden Tagen. Låsst sich
die Clusterphase hiermit nicht beherrschen, sollte eine Therapie
mit dem Kalziumantagonisten Verapamil begonnen werden, der
langsam bis zu einer Dosis von bis zu 720 mg/Tag aufdosiert wer-
a 1.3 Clusterkopfschmerzen z 19

den kann. Wirkt auch diese Therapie nicht, kann eine prophylak-
tische Behandlung mit Methysergid (Deseril retard, 1±6 mg/Tag,
zu Nebenwirkungen siehe Tabelle 1.6) begonnen werden, das al-
lerdings in Deutschland nicht mehr erhåltlich ist. Die Therapie
sollte aber nicht långer als maximal 6 Monate durchgefçhrt wer-
den (Gefahr der Lungen- und Retroperitonealfibrose). Bei einigen
Patienten ist auch die prophylaktische Gabe von Lithiumcarbonat
mit Plasmaspiegeln zwischen 0,3 und 1,2 mmol/l hilfreich. Hier
sind allerdings die Nebenwirkungen wie Polyurie, abdominelle
Beschwerden, Tremor, Schlafstærungen und Erbrechen limitie-
rend. Die Substanz sollte nur von Kollegen verwendet werden,
die hiermit Erfahrung besitzen. In wenigen Studien zeigte auch
Valproinsåure in einer Dosierung von bis zu 2000 mg eine pro-
phylaktische Wirkung. In Einzelfållen ist auch çber die positive
Wirkung von Topiramat (Topamax) in Dosierungen bis 300 mg/
Tag berichtet worden. Bei Versagen einer Monotherapie kann ins-
besondere Verapamil mit anderen Substanzen kombiniert wer-
den. Bei Patienten mit çberwiegend nåchtlichen Attacken kann

Tabelle 1.8. Medikamente zur Behandlung des Clusterkopfschmerzes


Akutbehandlung:
Substanz Dosierung

1. Sauerstoff 8 l/min
2. Lidocain 4% in ipsil. Nase
3. Sumatriptan s. c. 6 mg
4. Zolmitriptan nasal 5 mg
Dauerbehandlung/Intervall:
Substanz Dosierung

1. Verpamil 240±720 mg
2. Methysergid 1±6 mg
3. Lithium
4. Valproinsåure 1600±2400 mg
5. Topiramat 100±300 mg
6. Prednison 100 mg/3 Tage
20 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

ferner die Gabe eines Triptans mit langer Halbwertzeit (z. B. Fro-
vatriptan (Allegro¾) oder Naratriptan (Naramig)) versucht wer-
den. In verzweifelten Fållen, bei denen alle medikamentæsen
Therapieversuche gescheitert sind oder Suizidalitåt besteht, kann
eine Elektrodenimplantation in den Hypothalamus versucht wer-
den, die bisher bei ca. 25 Patienten erfolgreich erprobt worden
ist. Die Indikationsstellung und Vorbereitung sollte çber ein spe-
zialisiertes Kopfschmerzzentrum erfolgen.

z Unwirksame Therapie
Unwirksam sind peripher oder zentral angreifende Analgetika,
Antikonvulsiva, Thymoleptika oder Neuroleptika und Antihis-
taminika. Ebenfalls unwirksam sind alle psychologischen The-
rapieverfahren. Kontraindiziert ist die Akupunktur (læst Atta-
cken aus).

1.4 Medikamenteninduzierte Kopfschmerzen


[ICD 10: G 44.4]

1.4.1 Definition und Epidemiologie


Dies sind Kopfschmerzen, die nach långerer Einnahme von Me-
dikamenten (mindestens 3 Monate), insbesondere Kopfschmerz-
mitteln, auftreten. Epidemiologische Untersuchungen zeigen,
dass diese Kopfschmerzen bei bis zu 1% der Gesamtbevælkerung
vorliegen und damit wesentlich håufiger auftreten, als bisher an-
genommen. Frauen sind deutlich håufiger betroffen als Månner.

1.4.2 Klinik und Diagnostik


Klassischerweise pråsentieren sich medikamenteninduzierte
Schmerzen, åhnlich dem Spannungskopfschmerz, mit dumpf-
drçckendem Charakter, gelegentlich aber auch pulsierend. Bei
Patienten mit vorbestehender Migråne kann es jedoch auch zu-
nåchst ausschlieûlich zu einer Frequenzzunahme der Migråne-
attacken kommen. Medikamenteninduzierte Dauerkopfschmer-
a 1.4 Medikamenteninduzierte Kopfschmerzen z 21

zen kommen bei Patienten mit vorbestehender Migråne oder


Spannungskopfschmerzen durch chronische Einnahme von
Analgetika, die Zusåtze enthalten (sog. Mischpråparate mit Kof-
fein, Kodein etc.) und/oder Mutterkornalkaloiden (Ergotamin-
pråparaten) vor. Jçngere Studien konnten belegen, dass auch
die Gruppe der sog. 5-HT1B/D-Agonisten (Triptane) medika-
menteninduzierte Kopfschmerzen verursachen kann. Ferner
kænnen Dauerkopfschmerzen bei der regelmåûigen Einnahme
folgender Medikamentengruppen entstehen: Antihistaminika,
Antirheumatika, Barbiturate, Benzodiazepine, Glukokortikoide
(beim Absetzen) und Herzglykoside.
Die Diagnose erfolgt durch eine ausfçhrliche Medikamenten-
Anamnese und kann gestellt werden, wenn der Kopfschmerz
seit mindestens 3 Monaten besteht, an mindestens 15 Tagen pro
Monat auftritt und der Patient an mindestens 15 Tagen pro Mo-
nat Schmerzmedikamente einnimmt (bei Triptanen reichen 10
Tage pro Monat), und der Patient nach einer erfolgten Entzugs-
behandlung deutlich weniger Schmerzen hat. Neben den sich
entwickelnden Dauerkopfschmerzen sollte bei der Diagnose ei-
nes medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzes auch an
weitere mæglicherweise vorliegende organische Schåden gedacht
werden (15±20% aller dialysepflichtigen Niereninsuffizienzen
sind auf der Basis eines Analgetika-Abusus entstanden).

1.4.3 Pathophysiologie

Die genauen pathophysiologischen Mechanismen sind unklar.


Neben einer Ønderung der nozizeptiven Reizschwellen bzw.
Schwellenånderung des schmerzleitenden Systems wird das feh-
lende bzw. gestærte Hochregulieren der betroffenen Rezeptoren-
gruppen diskutiert, die durch die chronische Exposition der
Analgetika zunåchst drastisch herunterreguliert werden. Interes-
santerweise entwickeln Patienten, die aufgrund anderen Indika-
tionen regelmåûig Schmerzmittel einnehmen mçssen (z. B. Clus-
terpatienten oder Rheumatiker) diese Kopfschmerzform nicht.
Demnach besteht mæglicherweise eine spezifische genetische
Disposition bzw. gestærte Rezeptorphysiologie bei Patienten, die
unter bestimmten idiopathischen Kopfschmerzformen leiden.
22 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

1.4.4 Therapie

Die einzig sinnvolle Therapie der medikamenteninduzierten


Dauerkopfschmerzen ist der komplette Entzug von allen Sub-
stanzen, die eingenommen werden. Dieser Entzug sollte vorzug-
weise unter stationåren Bedingungen erfolgen, insbesondere
dann, wenn ein langjåhriger medikamenteninduzierter Dauer-
kopfschmerz mit Einnahme psychotroper Substanzen (Schlaf-
mittel, Tranquilizer, Anxiolytika) oder regelmåûiger Einnahme
von Migrånemitteln, die Kodein enthalten, besteht. Der Entzug
dauert ca. 7±10 Tage, die auftretenden Entzugsschmerzen
kænnen mit nichtsteroidalen Antirheumatika behandelt werden,
wobei vegetative Symptome durch die Gabe von Betarezepto-
renblockern oder Clonidin gemildert werden kænnen. Eine wei-
tere Methode, die Entzugssymptome zu reduzieren, ist die Gabe
von Prednison 100 mg fçr 5 Tage. Der Ablauf ist in Tabelle 1.9
dargestellt. Ein ambulanter Medikamentenentzug kann versucht
werden, wenn die Einnahme von analgetischen Mischpråpara-
ten ohne gleichzeitige Einnahme von Barbituraten oder Tran-
quilizern erfolgte, der Patient motiviert und eine enge Anbin-
dung an den behandelnden Arzt gewåhrleistet ist. Die Prophy-
laxe des analgetikainduzierten Dauerkopfschmerzes beginnt be-

Tabelle 1.9. Pragmatisches Vorgehen bei stationårem Medikamentenentzug

z Parenterale Gabe eines Antiemetikums 3 ´ tgl. z. B. 3 ´ 1 Amp. Metoclopramid.


Flçssigkeitssubstitution per infusionem (das heftige Erbrechen fçhrt
zur Exsikkose, die ihrerseits den Kopfschmerz verstårkt)
z Wåhrend der ersten 10 Tage der Entzugsphase bei mittelschweren
Entzugskopfschmerzen Naproxen (2 ´ 500 mg)
z Bei starken Entzugskopfschmerzen maximal alle 8 h 500±1000 mg
Acetylsalicylsåure i.v. (Aspisol)
z Bei ausgeprågten vegetativen Symptomen begleitende Gabe von Betarezepto-
renblockern (z. B. Metoprolol bis 150 mg/Tag) oder a2-Agonisten (Paracefan bis
0,6 mg/Tag)
z Bei erforderlicher Sedierung niedrig potente Neuroleptika wie Thioridazin
(30±60 mg)
z Alternativ: Gabe von Prednison 100 mg fçr 5 Tage, beginnend am 1. Tag des
Entzuges
a 1.5 Posttraumatischer Kopfschmerz z 23

reits mit der kritischen Verschreibung der Schmerzmittel. Mo-


nosubstanzen und Medikamente ohne psychotrope Zusåtze
(Koffein, Kodein) sind vorzuziehen.

z Verhaltenstherapeutische Begleittherapie
Die enge Betreuung des Patienten durch Arzt und Psychothera-
peuten verbessert die Compliance. An Tagen, an denen die Ent-
zugssymptomatik nicht zu ausgeprågt ist, kænnen spezifische
verhaltenstherapeutische Behandlungsstrategien (z. B. Stress-
bewåltigungstraining, progressive Muskelrelaxation) eingeleitet
werden. Nach dem Medikamentenentzug auftretende Migråne-
attacken oder Spannungskopfschmerzen werden wie oben dar-
gestellt behandelt.

1.5 Posttraumatischer Kopfschmerz [ICD 10: G 44.3]

1.5.1 Definition und Epidemiologie

Posttraumatische Kopfschmerzen entstehen nicht akut, sondern


innerhalb von 8 Tagen nach einem leichten oder mittelgradigen
Schådel-Hirn-Trauma (frçher: Commotio cerebri; Bewusstseins-
verlust < 60 min, amnestische Lçcke > 8 h, evtl. fokal neurologi-
sche Ausfålle) auftraten. Besteht der Kopfschmerz långer als 8
Wochen, wird von einem chronischen posttraumatischen Kopf-
schmerz gesprochen. Genaue Daten zur Epidemiologie dieses
Kopfschmerzes liegen nicht vor.

1.5.2 Klinik und Diagnostik

Meist handelt es sich um dumpf drçckende Kopfschmerzen, die


sich çber den gesamten Kopf ausbreiten, den ganzen Tag anhal-
ten und durch Lageånderung oder kærperliche Aktivitåt ver-
stårkt werden. Vegetative Begleitsymptome fehlen meist. Vor-
bestehende andere idiopathische Kopfschmerzformen wie Mig-
24 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

råne oder Spannungskopfschmerz machen das Auftreten eines


posttraumatischen Kopfschmerzes wahrscheinlicher. Långere
Immobilisation, Tragen einer Halskrawatte und andauernde Ga-
be von Analgetika verlångern den Zeitraum der Beschwerden.
Kopfschmerzen im Rahmen eines akuten epiduralen oder sub-
duralen Håmatoms mit rascher (epidural) oder langsamer (sub-
dural) Zunahme der Kopfschmerzen, Entwicklung einer Halb-
seitensymptomatik, Pupillendifferenz und rascher Bewusst-
seinstrçbung bis zum Koma dçrfen nicht çbersehen werden.
Der chronische posttraumatische Kopfschmerz darf nur dann
diagnostiziert werden, wenn nach klinischen Kriterien und mit
Hilfe des CCT ein chronisches subdurales Håmatom ausge-
schlossen ist.

1.5.3 Pathophysiologie

Die genaue Pathophysiologie ist unklar. Da Kopfschmerzcharak-


teristika auftreten kænnen, die ganz unterschiedlichen primåren
Kopfschmerzformen entsprechen, sind die pathophysiologischen
Mechanismen je nach Art des vorangehenden Traumas mægli-
cherweise unterschiedlich. Grundsåtzlich kann davon ausgegan-
gen werden, dass es zu einer temporåren Sensibilisierung bzw.
Reizschwellenerniedrigung der nozizeptiven Afferenzen kommt,
insbesondere bei Patienten mit entsprechender Disposition.

1.5.4 Therapie

Bei Kopfschmerzen, die nur einige Tage anhalten, erfolgt die


Behandlung mit Paracetamol (keine Mischpråparate) oder Ibu-
profen. Långer anhaltende Kopfschmerzen werden analog dem
chronischen Spannungskopfschmerz mit trizyklischen Antide-
pressiva wie Amitriptylin (Tagesdosis 25±75 mg) behandelt.
Grundsåtzlich kænnen analog zur Behandlung des chronischen
Spannungskopfschmerzes aber auch andere Substanzen gegeben
werden (s. Tabelle 1.7).
a 1.6 Seltene nicht symptomatische Kopfschmerzarten z 25

1.5.5 Das Neueste


z Die geklagten Beschwerden wie Konzentrations- und Merkfå-
higkeitsstærungen nach Schleudertrauma der Halswirbelsåule
(HWS) lassen sich neuropsychologisch verifizieren.
z Immoblisation im Bett nach Schådel-Hirn-Trauma færdert die
Entstehung chronischer posttraumatischer Kopfschmerzen.
z Intensitåt und Dauer des Kopfschmerzes korrelieren nicht
mit der Schwere des Schådel-Hirn-Traumas.

1.6 Seltene nicht symptomatische Kopfschmerzarten

z Das SUNCT-Syndrom [ICD10: 44.08] (= short lasting uniform neu-


ralgiform headache with conjunctiral injection and tearing) ist
ein seltener kurzer (5±60 s) sehr intensiver, streng einseitiger,
retroorbitaler Kopfschmerz, der mit konjunctivaler Injektion
sowie Trånen des Auges einhergeht. Die Attacken åhnlich der
Trigeminusneuralgie, sind jedoch etwas långer. Anders als die
Trigemiusneuralgie låsst sich dieser Kopfschmerz jedoch kaum
triggern und ist schwer therapierbar. Versuchsweise wird der-
zeit Lamotrigen (150±200 mg/Tag) empfohlen.

z Paroxysmale Hemikranie [ICD 10: G 44.03]. Dieser sehr seltene


Kopfschmerz (Pråvalenz etwa 0,5±1/100 000) ist von intensiv
stechendem Charakter, streng halbseitig und zumeist retroorbi-
tal sowie in Bereich von Stirn und Ohrregion lokalisiert. Øhn-
lich dem Clusterkopfschmerz kann es als Begleiterscheinung zu
Lakrimation, Rhinorrhæ, Miosis und konjunktivaler Injektion
auf der Schmerzseite kommen. Anders als beim Clusterkopf-
schmerz sind die Attacken jedoch mit einer Dauer von 5±20
min kçrzer und mit einer Frequenz von 5±20 Anfållen pro Tag
wesentlich håufiger. Im Gegensatz zum Clusterkopfschmerz
sind ferner Frauen wesentlich håufiger betroffen als Månner.
Einzige therapeutisch çberzeugende Substanz ist Indometacin,
wåhrend andere nicht-steroidale Antirheumatika interessanter-
weise nicht wirken. Therapeutisch ist Indometazin derart effek-
tiv, dass dessen Wirkung als diagnostisches Kriterium einge-
setzt werden kann.
26 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

z Hemicrania continua [ICD 10: G 44.8] ist ein streng einseitiger


Kopfschmerz und tritt plætzlich auf und bleibt çber Monate bis
Jahre bestehen. Øhnlich dem Clusterkopfschmerz sowie der pa-
roxysmalen Hemikranie kænnen ipsilateral autonome Begleit-
erscheinungen wie Lakrimation oder Rhinorrhæ hinzutreten.
Auch dieser Kopfschmerz spricht geradezu diagnostisch nutz-
bar auf die Behandlung mit Indometazin an (3 ´ 50±100 mg/
Tag).

z Hypnic headache [ICD 10: 44.8] tritt ausschlieûlich nachts bei


Patienten çber 60 im Alter auf. Der Patient erwacht durch den
Kopfschmerz, der dann ca. 60 min anhålt. Eine erfolgreiche
Therapie kann mit Lithium (400±800 mg) Tag erfolgen.
Beim ¹Ice-pickª-Kopfschmerz kommt es zu fçr Sekunden an-
haltenden heftigsten stechenden Schmerzen, ausschlieûlich im
Versorgungsgebiet des 1. Trigeminusastes, wobei die Schmerz-
region selten græûer als eine Mçnze ist. Der Schmerz spricht
zuverlåssig auf nicht-steroidale-Antirheumatika an. Der Genuss
von Speiseeis, Gewçrzen oder Geschmacksverstårkern (Gluta-
mat) oder Applikation von Kålte (Eiswasser, Eisbeutel) kann
ebenfalls diesen Kopfschmerz auslæsen.
Weiterhin gehæren zu dieser Kopfschmerzart der benigne
Hustenkopfschmerz, Kopfschmerzen bei schwerer kærperlicher
Anstrengung (Gewichtheben) und der koitale Kopfschmerz (Dif-
ferenzialdiagnose Subarachnoidalblutung). Typisch ist auch das
Auftreten von Kopfschmerzen bei Aufenthalt in Hæhen çber
3000 m.

1.7 Trigeminusneuralgie [ICD 10: G 50.0] G 44.847

1.7.1 Definition und Epidemiologie


Unter Trigeminusneuralgie versteht man attackenartige Schmer-
zen von sehr kurzer Dauer (Sekunden) im Ausbreitungsgebiet
eines Trigeminusastes. Dabei wird zwischen idiopathischen (am
håufigsten) und nicht idiopathischen Neuralgien unterschieden,
die auf dem Boden von strukturellen Låsionen (z. B. immunolo-
a 1.7 Trigeminusneuralgie z 27

gischen Prozessen wie multipler Sklerose) oder Tumoren entste-


hen kænnen. Die Trigeminusneuralgie kommt mit einer Pråva-
lenz von ca. 1 pro 3000 relativ håufig vor und ist eine Erkran-
kung des hæheren Lebensalters.

1.7.2 Klinik und Diagnostik

Typischerweise kommt es zu blitzartig, fçr Sekunden oder fçr Se-


kundenbruchteile einschieûenden heftigsten Schmerzen im Be-
reich eines oder mehrerer Trigeminusåste, seltener im Bereich
des N. glossopharyngeus, des N. intermedius, des N. laryngeus
superior und des N. occipitalis major. Die Schmerzen werden
als stechend, scharf oder ¹wie ein Blitzª beschrieben. Typische
Triggermechanismen sind Essen, Kauen, Schlucken, Sprechen
oder Zåhneputzen. Zwischen den einzelnen Schmerzattacken ist
der Patient meist schmerzfrei. Im Gegensatz zum Clusterkopf-
schmerz hålt sich die Schmerzausstrahlung streng an die Versor-
gungsgebiete der 3 Trigeminusåste, wobei der 3. Ast am håufigsten
und der erste nur selten betroffen sind. Das typische Erkrankungs-
alter liegt in der 5.±7. Lebensdekade, kann in seltenen Fållen je-
doch auch im frçhen Erwachsenenalter einsetzen. Die Schmerzen
werden von vielen Patienten als derart unangenehm empfunden,
dass sie versuchen, alle mæglichen Triggerfaktoren ± insbesonde-
re Kaubewegungen ± zu vermeiden. Dies fçhrt nicht selten zu ei-
nem deutlichen Gewichtsverlust. Bei inadåquater Behandlung
sind viele dieser Patienten suizidgefåhrdet.
Grundsåtzlich kann die Diagnose nach klinischen Kriterien
gestellt werden (blitzartiges Einschieûen der Schmerzen, ge-
naues Verteilungsgebiet eines Trigeminusastes, Triggerbarkeit).
Bei Erstdiagnose einer Trigeminusneuralgie sollte jedoch eine
Bildgebung erfolgen, um symptomatische Ursachen auszuschlie-
ûen. Bei Patienten unter 45 Jahren oder bei beidseitigen Trige-
minusneuralgien ist eine idiopathische Trigeminusneuralgie un-
wahrscheinlich (wichtigste symptomatische Ursache: multiple
Sklerose). Hier ist die weitergehende Diagnostik mit Kernspin-
tomographie obligat. Die wichtigsten Differenzialdiagnosen
sind in Tabelle 1.10 aufgefçhrt.
28 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

Tabelle 1.10. Differenzialdiagnosen der Trigeminusneuralgie

z SUNCT-Syndrom
z Paroxysmale Hemikranie
z Clusterkopfschmerz (Bing-Horton-Syndrom)
z Postherpetische Neuralgie
z Atypischer Gesichtsschmerz
z Sinusitis maxillaris
z Engwinkelglaukom
z Tolosa-Hunt-Syndrom
z Deafferentierungsschmerz nach Zahnextraktion
Bei Patienten unter 45:
z Multiple Sklerose

1.7.3 Pathophysiologie

Bei der idiopathischen Trigeminusneuralgie wird ein trigemino-


vaskulårer Mechanismus mit enger råumlicher Assoziation ei-
ner kleinen Gefåûschlinge, meist der A. cerebelli inferior poste-
rior, mit dem Nervenstamm des N. trigeminus in der hinteren
Schådelgrube vermutet. Hier kommt es durch die jahrelange
Reizung des Nervs und den Abbau von schçtzenden Myelin-
scheiden zu einer Art Kurzschluss zwischen parallel laufenden
C-Fasern und Ad-Fasern, sodass einzelne Berçhrungen oder
sensible Reize als Schmerzen wahrgenommen werden. Sympto-
matische Trigeminusneuralgien, aber auch Dauerschmerzen im
Bereich des N. trigeminus kænnen bei Demyelinisierung im
Rahmen einer multiplen Sklerose, eines Herpes zoster (posther-
petische Neuralgie) und eines Tolosa-Hunt-Syndroms (entzçnd-
liche Erkrankung des Sinus cavernosus) zustande kommen.
Neurinome des N. trigeminus sind eine Raritåt und gehen ne-
ben den Schmerzen mit Sensibilitåtsstærungen und einer Atro-
phie der Kaumuskulatur einher.
a 1.7 Trigeminusneuralgie z 29

1.7.4 Therapie

Die akute Attacke dauert nur Sekunden und ist daher einer direk-
ten Therapie nicht zugånglich. Medikamentæse Prophylaxe der
Wahl ist der Einsatz der Antikonvulsiva Carbamazepin und das
etwas weniger wirksame Phenytoin. Neuerdings kann auch Ox-
carbazepin eingesetzt werden, das etwas besser vertråglich ist
als Carbamazepin, aber auch wesentlich teurer. Die Dosierungen
entsprechen denen der antikonvulsiven Behandlung (Tagesdosis
400±800 mg Carbamazepin und 300 mg Phenytoin, Serumspiegel
bestimmen, Tabelle 1.11). Håufig sind jedoch niedrigere Dosie-
rungen ausreichend. Bei Nichtansprechen der Substanzen
kænnen auûerdem noch Lamotrigin (150±200 mg), Gabapentin
(1200 mg±2400 mg), Topiramat (50±200 mg) oder eine Kombina-
tion von Carbamazepin und Amitriptylin versucht werden (cave:
Nebenwirkungen). Diese Kombinationsbehandlungen sollte je-
doch nur durch Kollegen erfolgen, die im Umgang mit diesen
Substanzen Erfahrung haben, ansonsten ist die Weiterbehand-
lung durch den Spezialisten angebracht. Eine weitere Therapie-

Tabelle 1.11. Medikamentæse Prophylaxe der Trigeminusneuralgie und anderer


Neuralgien

Substanz Mittlere Dosis Nebenwirkungen

z Carbamazepin 600±1500 mg Mçdigkeit, Hautausschlag, Schwindel,


Ataxie, Ûbelkeit, Kopfschmerz,
Leukopenie, Erhæhung
von Leberenzymen, Doppelbilder
z Phenytoin 300±400 mg Hautausschlag, Ûbelkeit, Ataxie,
Mçdigkeit, Erhæhung von Leber-
enzymen, Gingivahyperplasie,
Hirsutismus
z Oxcarbazepin 600±2400 mg Wie bei Carbamazepin, nur milder
(Trileptal)
z Gabapentin 1200±2400 mg Mçdigkeit
z Lamotrigin 50±200 mg Hautausschlag
z Topiramat 50±200 mg Mçdigkeit, Paråsthesien, Gewichtsabnahme
z Pregabalin 150±600 mg Mçdigkeit
30 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

optron ist Pregabalin, ebenfalls ein Antikonvulsivum, çber des-


sen Wirkung jedoch nur Fallberichte vorliegen.
Wichtig ist eine regelmåûige Medikamenteneinnahme mit
mæglichst gleichmåûigen Serumspiegeln. Andere peripher oder
zentral wirksame Analgetika sind bei der typischen Neuralgie
nicht wirksam.
Bei medikamentæser Therapieresistenz kænnen operative Ver-
fahren zum Einsatz kommen. Bei jçngeren Menschen ist die
mikrovaskulåre Dekompression nach Janetta kausal wirksam,
bei der çber eine subokzipitale Trepanation der N. trigeminus
unter dem Mikroskop von kleinen assoziierten Arterien freiprå-
pariert wird. Die Letalitåt des Eingriffs betrågt etwa 1%, die
Morbiditåt bis zu 5% (am håufigsten Hærverlust und periphere
Fazialisparese). Rezidive sind mæglich. Bei ålteren Menschen
empfiehlt sich ggf. die perkutane Thermokoagulation oder
Kryokoagulation des Ganglion Gasseri in Kurznarkose. Bei sehr
ausgeprågten Låsionen kann es allerdings zu einem Deafferen-
tierungsschmerz kommen, dessen Behandlung wiederum
schwierig ist. Die Rezidivrate betrågt 15±25% innerhalb von 7
Jahren. Bei vielen Patienten werden leider immer noch Zåhne
gezogen oder vermeintliche Sinusitiden operativ saniert.

1.7.5 Das Neueste

z Im Schnitt dauert es 3±5 Jahre, bis die richtige Diagnose


gestellt wird. Die meisten Patienten haben bis zur richtigen
Diagnose Zahnextraktionen, Operationen an den Kieferhæh-
len oder Nervenexhairesen hinter sich.
z Der Langzeiterfolg der Operation nach Janetta nach 5 Jahren
betrågt 80%.
a 1.8 Atypische Gesichtsschmerzen z 31

1.8 Atypische Gesichtsschmerzen [ICD 10: G 50.1]

1.8.1 Definition und Epidemiologie


Der atypische Gesichtsschmerz ist ein dumpf drçckender
Schmerz mit Punctum maximum im Bereich der Wange, der in
seiner Ausbreitung nicht dem Verteilungsgebiet des N. trigemi-
nus und seiner Øste entspricht (Tabelle 1.12). Daten zur Pråva-
lenz liegen nicht vor.

1.8.2 Klinik und Diagnostik

Der atypische Gesichtsschmerz wird håufig mit der Trigemi-


nusneuralgie verwechselt. Der Schmerz ist hauptsåchlich in der
Wange lokalisiert, kann aber in die Orbitaregion, bis in den
Unterkiefer und bis ins Ohr ausstrahlen und ist meist den gan-
zen Tag vorhanden. Typische Provokationsfaktoren oder vegeta-
tive Begleitsymptome fehlen. Hiervon unterschieden werden
muss der sog. Deafferentierungsschmerz nach operativen Ein-
griffen an Østen des N. trigeminus oder nach Injektionen (Al-
koholinjektionen) sowie nach Schådigung von Trigeminusåsten
im Rahmen zahnårztlicher Eingriffe. Bei dem Deafferentie-
rungsschmerz handelt es sich um einen Dauerschmerz von
brennendem Charakter, z. T. mit kribbelnden Paråsthesien, der
auf die Behandlung mit Analgetika nicht anspricht. Im Laufe
der Zeit kann sich das Ausbreitungsgebiet des Schmerzes ån-

Tabelle 1.12. Klinische und diagnostische Kriterien des atypischen Gesichtsschmerzes

z Schmerz ist tåglich çber den græûten Teil des Tages vorhanden
z Er ist anfangs auf ein begrenztes Gebiet einer Gesichtshålfte beschrånkt,
kann sich dann auf die Ober- und Unterkiefer und weitere Bereiche
von Gesicht und Hals ausbreiten
z Er ist dumpf und schlecht lokalisierbar
z Es finden sich weder sensible Defizite noch andere pathologische Befunde
z Alle apparativen Untersuchungen einschlieûlich Ræntgendiagnostik oder MRT
des Gesichts und des Kiefers bleiben ohne Befund
32 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

dern bzw. auch vergræûern. Die Diagnose wird klinisch gestellt,


wenn alle anderen symptomatischen Ursachen ausgeschlossen
sind. Die Kriterien in Tabelle 1.12 aufgelistet.

1.8.3 Pathophysiologie

Wahrscheinlich handelt es sich um eine im Gesichtsbereich


wahrgenommene Variation des Spannungskopfschmerzes mit
einer Verstellung der zentralen Schmerzschwelle.

1.8.4 Therapie

Die Therapie ist weitgehend unbefriedigend, Therapieversuche


werden mit trizyklischen Antidepressiva wie Amitriptylin oder
Imipramin wie beim Spannungskopfschmerz durchgefçhrt
(Dosierungen s. Tabelle 1.7). Die çblichen zentral oder peripher
wirksamen Analgetika sind bei dieser Erkrankung unwirksam.
Kontraindiziert ist der Einsatz von Morphinderivaten.

1.9 Kopfschmerzen bei intrakranieller Druckerhæhung


und Ønderung des Liquordrucks [ICD 10: G 93.2]
Typischerweise ist diese Gruppe von Kopfschmerzen lageabhån-
gig. Das heiût, der Kopfschmerz nimmt im Liegen zu bzw. ab.
Bei lageabhångigen Kopfschmerzen sollte daher immer zu-
nåchst an diese Gruppe von Erkrankung gedacht werden.
Ganz im Gegensatz zu den Erwartungsångsten der Patienten
kommt es nur bei 1% aller Hirntumoren ohne zusåtzliche neuro-
logische oder psychopathologische Auffålligkeiten zu isolierten
Kopfschmerzen. Allerdings befçrchten 70% aller Menschen mit
idiopathischen Kopfschmerzen, an einem Hirntumor zu leiden.

z Pseudotumor cerebri (benigne intrakranielle Hypertension) [ICD


10: G 93.2]. Von diesem Krankeitsbild sind çberwiegend junge
çbergewichtige Frauen betroffen. Die Beschwerden entwickeln
a 1.9 Kopfschmerzen bei intrakranieller Druckerhæhung z 33

sich langsam fortschreitend. Typischerweise sind die Schmerzen


im Liegen (!) stårker als im Stehen. Neben dem retroorbital ge-
legenen, teilweise aber auch holozephalen Kopfschmerzen findet
sich eine bilaterale Stauungspapille, in fortgeschrittenen Fållen
ein progredienter Visusverlust und gelegentlich eine Abduzens-
parese. Mittels CCT und/oder NMR bzw. Angio-NMR muss eine
zerebrale Raumforderung sowie eine Sinusvenenthrombose aus-
geschlossen werden. Bei der Liquorpunktion ist der Liquor-
druck meist erhæht (çber 20 mm Wassersåule). Therapeutisch
ist die Entnahme von 30±40 ml Liquor bereits nach eingen
Minuten bis wenigen Stunden wirksam. Auch Kortisonstæûe
(100 mg i.v.) kænnen schmerzlindernd wirken. Darçber hinaus
kann die Drucksteigerung durch Acetazolamid (Diamox,
750 mg/Tag) und Gewichtsreduktion vermindert, teilweise sogar
verhindert werden. Letzte Alternative sind regelmåûige Punk-
tionen und die Anlage eine lumbalen Shunts.

z Hydrozephalus [ICD 10: G 91]. Beim Verschlusshydrozephalus


oder beim Hydrocephalus aresorptivus nehmen die Kopf-
schmerzen innerhalb kurzer Zeit an Intensitåt und Dauer deut-
lich zu. Auûerdem kommt es zu Hirndruckzeichen wie Nçch-
ternerbrechen, zu Stauungspapillen und zunehmender Bewusst-
seinstrçbung.

z Liquorunterdrucksyndrome [ICD 10: G 96]. Das typische sympto-


matischen Liquorunterdrucksyndrom ist das postpunktionelle
Syndrom mit den typischen postpunktionellen Kopfschmerzen.
Diese treten ca. 24±48 h nach einer Liquorpunktion (auch Mye-
lographie oder Spinalanåsthesie) auf. Typischerweise sind die
Kopfschmerzen streng lageabhångig, sie nehmen im Sitzen und
Stehen deutlich zu und klingen im Liegen ab. Håufige Begleit-
erscheinungen sind Hærstærungen, Tinnitus, Schwindel und ge-
legentlich Abduzensparesen. Besonders betroffen sind schlanke
junge Frauen. Mit zunehmenden Alter und/oder Gewicht neh-
men Håufigkeit und Intensitåt ab. Die çblicherweise empfoh-
lenen Therapiemaûnahmen wie vermehrtes Trinken, auf dem
Bauch liegen, i.v. Flçssigkeitssubstitution und Analgetika sind
unwirksam. Die einzig wirksame Therapie ist ein lokaler Eigen-
blutpatch an der Punktionsstelle. Hierzu wird dem Patienten
34 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

5 ml venæses Blut entnommen, das dann an der Punktionsstelle


auûerhalb der Dura injeziert wird und so çber den entstehen-
den kçnstlichen Bluterguss das Liquorleck abdichtet. Auch der
Gebrauch sog. ¹atraumatischer Nadelnª (nach Sprotte) redu-
ziert das Auftreten dieses Kopfschmerzes deutlich.
Gelegentlich kænnen diese Kopfschmerzen auch ohne åuûeren
Anlass als idiopathisches Liquorunterdrucksyndrom auftreten.
Der Liquorverlust tritt hierbei durch Risse im Bereich der spina-
len ± meist lumbalen ± Wurzeln auf. Typisch ist auch hier die La-
geabhångigkeit der Kopfschmerzen. In der Kernspintomographie
des Kopfes sind håufig eine vermehrte Kontrastmittelaufnahme
und Verdickung der Meningen oder auch bilaterale Hygrome
sichtbar. Mittels einer Indium-Szintigraphie des Liquorraums
kann die Austrittsstelle nachgewiesen werden. Therapeutisch
kann die Gabe von Theophyllin versucht werden (Steigerung
der Liquorsynthese) oder ein Steroidstoû. Bei bekannter Lokali-
sation der Austrittsstelle kann auch hier ein Blutpatch erfolgen.

1.10 Kopfschmerzen bei zerebralen Zirkulationsstærungen

z Subarachnoidalblutungen [I 60.0±I 60.7] und intrazerebrale Blutun-


gen [ICD 10: I 61.0±I 61.2]. Die Subarachnoidalblutung ist durch hef-
tigste, nie gekannte, okzipital betonte bilaterale Kopfschmerzen
gekennzeichnet. Typischerweise treten sie bei kærperlicher An-
strengung akut auf und werden von Nackensteifigkeit, ggf. auch
von neurologischen Ausfållen, begleitet. Subaranoidalblutungen
treten håufig bei bereits bestehenden Aneurysmen auf. Angiogra-
phisch muss daher nach der Øtiologie geforscht werden. Die The-
rapie der Kopfschmerzen erfolgt hierbei mit Opioiden (zur wei-
teren Therapie siehe Kap. 4). Bei intrazerebralen Blutungen sind
håufig Risikopatienten im Rahmen einer hyperensiven Krise
betroffen. Græûere intrazerebrale Blutungen imponieren ferner
durch weitere neurologische Ausfålle (siehe Kap. 4). Auch bei Pa-
tienten mit bekannter Kopfschmerzanamnese muss differenzial-
diagnostisch an eine Blutung gedacht werden, wenn çber Kopf-
schmerzen nicht gekannter Art oder Intensitåt berichtet wird.
a 1.11 Infektions- und entzçndungsbedingte Kopfschmerzen z 35

z Ischåmien [ICD 10: I 63]. Beim ischåmischen Insult kommt es v. a.


bei Durchblutungsstærungen in der hinteren Schådelgrube und
im Versorgungsgebiet der A. cerebri posterior zu ausgeprågten,
vorwiegend okzipitalen Kopfschmerzen. Hirndruck bei jçngeren
Menschen im Rahmen des sich entwickelnden Hirnædems fçhrt
ab dem 2. Tag nach Insult zu diffusen Kopfschmerzen. Sonst sind
Schlaganfålle allerdings çberwiegen schmerzfrei.

z Sinusvenenthrombosen [ICD 10: I 67.6/I 63.6]. Typisch sind lang-


sam, çber Tage bis Wochen zunehmende Kopfschmerzen mit teils
fokalen, teils generalisierten Anfållen, Stauungspapillen und
fokalneurologischen Zeichen, Mçdigkeit, Bewusstseinstærungen
oder Krampfanfållen. Typischerweise sind die Kopfschmerzen
therapierefraktår und reagieren auf keines der çblichen Kopf-
schmerzmittel. Betroffen sind håufig junge Frauen mit Risikofak-
toren fçr das Gerinnungssystem (Pille, Rauchen, Ûbergewicht,
Schwangerschaft, Protein-S- oder Protein-C-Mangel).

z Arteriovenæse Malformationen [ICD 10: M 912±M 916]. Sie fçhren


selten und nur dann zu Kopfschmerzen, wenn sie ein hohes
Shunt-Volumen aufweisen. Typischerweise sind sie ebenfalls
therapierefraktår.

z Akute Blutdruckerhæhungen. Sei es im Rahmen eines Phåo-


chromozytoms oder einer akuten hypertensiven Enzephalo-
pathie, akute Blutdruckerhæhungen gehen mit pulsierenden
Kopfschmerzen einher. Der diastolische Blutdruck ist in diesen
Fållen auf çber 120 mmHg erhæht. Entgegen eines weitverbrei-
teten Irrtums fçhrt die unkomplizierte Hypertonie nicht zu
Kopfschmerzen.

1.11 Infektions- und entzçndungsbedingte Kopfschmerzen


[ICD 10: G 00.0±G 05.8]
Kopfschmerzen sind håufigstes Leitsymptom bei intrakraniellen
Infektionen bzw. Entzçndungen (Details siehe Kap. Infek-
tionserkrankungen).
36 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

z Meningitiden [ICD 10: G 00.0±G 03.9]. Meningitiden sind Entzçn-


dungen der Hirnhåute. Pro Jahr erkranken ca. 5±10 Personen
pro 100 000 an Meningitiden. Die Ausprågung des Kopfschmer-
zes und die Begleitsymptomatik variieren dabei nicht unerheb-
lich je nach Art der Entzçndung bzw. des Erregers. Die klini-
schen Symptome einer Meningitis kænnen sich innerhalb von
wenigen Stunden ausbilden. Der Kopfschmerz ist typischer-
weise unscharf frontal und okzipital lokalisiert und intensiv
dumpf drçckenden Charakters. Klinisch sind die Kopfschmer-
zen ± åhnlich der Migråne ± meist mit Phono- und Photopho-
bie oder Ûbelkeit und Erbrechen verbunden. Entscheidende
differenzialdiagnostische Hinweise liefert das Vorhandensein
von Fieber und der typischen Nackensteifigkeit sowie die
Analyse des Liquors. Darçber hinaus ist bei den meisten
bakteriellen Formen im weiteren Verlauf eine deutliche Verån-
derung der Bewusstseinslage oder ausgeprågte Mçdigkeit zu
beobachten, in schweren Fållen auûerdem fokal neurologische
Ausfålle oder Krampfanfålle (zu Diagnostik und Therapie siehe
Kap. 9). Virale Meningitiden sind insgesamt weniger stark aus-
geprågt, entwickelt sich langsamer und bereiten u. U. græûere
diagnostische Probleme.

z Enzephalitiden [ICD 10: G 04.0±G 05.8]. Sie sind seltener, entwi-


ckeln sich langsamer als Meningitiden und imponieren regelmå-
ûig mit weiteren allgemeinen Symptomen wie Mçdigkeit, Mus-
kelschmerzen, Persænlichkeitsverånderungen, aber auch Hirn-
nervenzeichen, Ataxien oder Dysarthrien. Der isolierte Kopf-
schmerz als Erst- oder Kardinalsymptom ist hier eher selten. Di-
agnostische Maûnahme der ersten Wahl ist die Lumbalpunktion
mit Untersuchung des Liquors. Hier findet sich je nach Erreger
eine typische Pleozytose (Details siehe Kap. 9) mit unterschiedli-
chen Leukozytentypen (Granulozyten bei bakterieller ±, Lympho-
zyten bei viraler Meningitis). Entscheidend ist die Erregerdiag-
nostik (z. B. durch PCR im Liquor, auch zum Nachweis seltener
Erreger wie Tuberkulosebakterien, Pilzen, oder Parasiten) um
die Medikation zu spezifizieren. Bei Enzephalitiden finden sich
meist auch typische Verånderungen in der Kernspintomographie
mit temporalen Herdbefunden. Therapie der Wahl von Meningi-
tis wie Enzephalitis ist Gabe von erregerspezifischen Antibiotika,
a 1.12 Dissekate der A. carotis und A. vertebralis z 37

Antimyktotika, Virustatika usw. Die bakteriellen Meningitiden


werden mit i. v. verabreichten (Breitband-)Antibiotika behandelt.
Die (einfache) virale Meningitis wird ausschlieûlich symptoma-
tisch, Herpes-simplex-Meningitiden und Enzephalitiden werden
mit Acyclovir behandelt. Kopfschmerzen kænnen mit ASS, Para-
cetamol oder Metamizol in den çblichen Dosierungen behandelt
werden.

z Tolosa-Hunt-Syndrom [ICD 10: G 52.7]. Dies ist ein seltenes


Krankheitsbild, das mit heftigsten orbital und retroorbital gele-
genen Kopfschmerzen einhergeht. Typischerweise kænnen ein
oder alle Augenmuskelnerven (N. III, IV und VI) mitbeteiligt
sein. Die Schmerzen kænnen mehrere Wochen anhalten. Auch
wenn die Pathophysiologie nicht genau bekannt ist, wird von
einer temporåren granulomatæsen Entzçndung des Sinus caver-
nosus ausgegangen. Klassischerweise sollte die MRT-Bildgebung
des Kopfes Auffålligkeiten im Sinus cavernosus zeigen. Typisch
und diagnosebeståtigend ist das gute Ansprechen des Krank-
heitsbildes auf Kortison. Unter dieser Behandlung mçssen die
Schmerzen innhalb von 72 h sistieren.

1.12 Dissekate der A. carotis und A. vertebralis


[ICD 10: I 65.2/I 65.0] G 44.810
1.12.1 Definition und Epidemiologie

Genaue Daten zur Epidemiologie der Dissekate liegen nicht vor.


Dissekate werden jedoch bei jeder Art von Schådel-Hirn-Verlet-
zungen, auch Bagatelltraumata gesehen, wobei die Dissekate
der A. carotis håufger sind als die der A. vertebralis. In wenigen
Fållen kommen Dissekate auch idiopathisch ohne jegliche Trau-
mata vor.

1.12.2 Klinik und Diagnostik


Als Erstsymptom berichten Patienten in der Regel çber einen
plætzlich aufgetretenen, dann dauerhaft bestehenden einseitigen
38 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

Schmerz im Bereich des Halses, der in den Kopf, insbesondere


nach frontal, retroorbital aber auch ins Ohr ausstrahlt. Bei den
Vertebralisdissekaten strahlt der Schmerz eher nach nuchal und
okzipital. Anamnestisch låsst sich håufig ein kurzfristig zu-
rçckliegendes Trauma erfragen. Dennoch gibt es Fålle ohne jeg-
liches Trauma in der Vorgeschichte. In schweren Fållen fçhrt
die an der Dissektionsstelle einsetzende Thrombenbildung zu
weiteren Symptomen im zerebralen Kreislauf: neben Amaurosis
fugax, transienten ischåmischen Attacken oder manifesten
Schlaganfållen. Bei Schådigungen des Halssympathikus kann
ferner ein inkomplettes Horner-Syndrom hinzutreten. Die Diag-
nostik kann inzwischen aussagekråfig mit einem Doppler und
insbesondere mit Duplexscan gewonnen werden. In unklaren
Fållen sollte eine Kernspintomographie und/oder eine Kern-
spinangiographie folgen, in der das perivaskulåre Údem im
Bindegewebe sehr gut dargestellt werden kann.

1.12.3 Øtiopathogenese

Hauptursachen sind Schådel-Hirn-Traumata, Schleudertrauma-


ta, chiropraktische Manipulationen an der Halswirbelsåule oder
eine fibromuskulåre Dysplasie. Der Schmerz entsteht durch die
Affektion von Nozizeptoren in der Gefåûwand nach Ruptur
oder Ablæsen des Endothels und sekundåres Einbluten in die
Gefåûwand. Bei den nicht traumatisch bedingten Dissekaten
liegen mæglicherweise anlagebedingte lokale Gefåûschådigun-
gen z. B. im Rahmen einer fibromuskulåren Dysplasie vor. Pa-
thophysiologisch besteht dann die Gefahr der lokalen Throm-
benbildung, die in hæhere Stromgebiete geschwemmt werden
und ischåmische Ereignisse verursachen.

1.12.4 Therapie

Einzig sinnvolle Therapie ist eine sofortige Vollheparinisierung


des Patienten (z. B. 5000 i.E. Heparin im Bolus, dann PTT-wirk-
sam, ca. 24 000 i.E./Tag). Unter Vollheparinisiering sollte sich
das Dissekat langsam zurçckbilden, was duplexsonsgraphisch
a 1.13 Arteriitis temporalis (Riesenzellarteriitis) z 39

kontrolliert werden kann. Bei sofortiger Therapie ist der Verlauf


meist gutartig. Die Schmerzen kænnen jedoch noch mehrere Ta-
gen anhalten. Unbehandelt ist mit weiteren Ischåmien zu rechnen.
Nach Absetzen des Heparins ist eine Markumarisierung des Pa-
tienten fçr weitere 6 Monate, dann ein Umsetzen auf ASS zu emp-
fehlen. Kontaindiziert ist die Vollheparinisierung jedoch bei ei-
nem intrakraniellen Dissekat der A. vertebralis, da hier die Gefahr
einer sekundår hinzutretenden Subarachnoidalblutung besteht.

1.13 Arteriitis temporalis (Riesenzellarteriitis)


[ICD 10: M 31,5, G 44.812]
1.13.1 Definition und Epidemiologie

Die Riesenzellarteriitis ist eine segmentale granulomatæse


Entzçndung mittlerer und græûerer Arterien und wird den Er-
krankungen des rheumatoiden Formenkreises zugerechnet. Mit
einer Inzidenz von ca. 18 pro 100 000 jåhrlich ist sie keine selte-
ne Erkrankung. Sie betrifft fast ausschlieûlich åltere Patienten
und tritt nur selten vor dem 50. Lebensjahr auf. Frauen sind et-
wa doppelt so håufig betroffen wie Månner.

1.13.2 Klinik und Diagnostik

Typisch ist das Auftreten eines einseitigen Kopfschmerzes von


brennendem, stechendem Charakter. Die Lokalisation des Kopf-
schmerzes muss nicht streng lateral sein, sondern kann sein Ma-
ximum auch frontal, retroorbital oder okzipital haben. In einzel-
nen Fållen kann der Kopfschmerz auch beidseitg ausgeprågt sein.
Die Schmerzen kænnen plætzlich intensiv çber wenige Tage, aber
auch langsam rezidivierend çber wenige Wochen entstehen.
Ferner klagen ca. 60% der Patienten çber belastungsabhångige
Schmerzen im Bereich der ipsilateralen (!) Kaumuskulatur. Klas-
sischerweise ± aber nicht immer ± ist inspektorisch eine verdick-
te A. temporalis im Schlåfenbereich zu sehen, die druckdolent ist.
In fortgeschritteneren Fållen treten auch Sehstærungen (ins-
40 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

besondere Amarosis fugax) als Zeichen der Mitbeteiligung oph-


talmischer Øste, Doppelbilder bei Beteiligung der Augenmuskeln
oder trophische Stærungen der Kopfhaut, Missempfindungen der
Zunge oder Schluckbeschwerden auf. Auch allgemeine Symptome
werden håufig berichtet: Abgeschlagenheit, Fieber oder Ge-
wichtsverlust. Ein gutes Drittel der Patienten klagt ferner çber
die typischen Zeichen der Polymyalgia rheumatica: Morgenstei-
figkeit, Schmerzen im Schulter-Arm-Bereich oder auch Be-
ckengçrtelbereich sowie Druckdolenz der groûen Muskeln.
Typischerweise ist die BSG deutlich (> 60 mm in der 1. Stunde)
erhæht, wobei ca 10% der Patienten keine Verånderung der BSG
aufweisen. Labordiagnostisch ist ferner eine Leukozytose, ein
erhæhtes C-reaktives-Protein oder auch eine Anåmie nachweis-
bar. Die typischen Vaskulitis-Autoantikærper (ANA, ANCA)
und die Kreatinkinase (CK) sind hingegen immer normal. Auch
EMG oder Muskelbiopsien sind unauffållig. Die Diagnose kann
klinisch oder durch eine Gefåûbiopsie mit histologischer Unter-
suchung gestellt werden. Bei der Biopsie ist jedoch zu beachten,
dass auch tatsåchlich ein entzçndetes Segment entnommen wird.
Hier kommt es u. U. zu falsch-negativen Ergebnissen, da nicht alle
Abschnitte der Arterie betroffen sein mçssen. Es sollten daher
mindestens 2 græûere (1±2 cm) Biopsate entnommen werden.
Ein negatives Biopsieergebnis schlieût die Diagnose nicht aus. Di-
agnostisch wegweisend kann jedoch auch das gute Ansprechen
der Kortisontherapie innerhalb von 1±2 Tage sein (Sistieren der
Kopfschmerzen, Besserung des Allgemeinbefindens).

1.13.3 Pathophysiologie
Die Riesenzellarteriitis ist eine Vaskulitis unklarer Øtiologie, die
nicht nur die Øste der A. carotis, sondern auch die Vertebralarte-
rien, Abschnitte der Aorta oder Koronargefåûe betreffen kann.
Da die Hålfte aller Patienten auch die pathologischen und klini-
schen Kriterien der Polymyalgia rheumatica aufweisen, werden
beide Erkrankungen von einigen Autoren als unterschiedlicher
klinischer Ausdruck der gleichen Entitåt diskutiert. Polymyalgia
rheumatica ist mit einer Inzidenz von ca. 80/100 000 wesentlich
håufiger, doch zeigen bis zu 50% dieser Patienten die gleichen
histologischen Verånderungen in einzelnen Arterien wie bei der
a Akute Kopfschmerzen bei Erkrankungen des Auges z 41

Riesenzellarteriitis, wenn auch klinisch inapperent. Histologisch


kommt es zu einer deulichen Verengung oder zum Verschluss
des Gefåûlumens durch das Anschwellen von Endothel und Ad-
ventitia sowie das Einwandern von Lymphozyten, Plasma- und
Riesenzellen in die einzelnen Gefåûschichten.

1.13.4 Therapie
Aufgrund der mæglichen Folgen einer nicht eingeleitenen The-
rapie ist bei eindeutigem klinischen Verdacht die sofortige
hoch dosierte Steroidgabe, auch vor der Biopsie, notwendig. Da-
bei sollten in den ersten 5 Tagen 1 g Prednison i.v. mit der ent-
sprechenden Begleitmedikation (Kalium-, Kalziumsubstitution,
Magenschutz) verabreicht werden. Danach kann die Dosis auf
1±2 mg/kg KG reduziert werden und bei klinischer Besserung
nach 4 Wochen in 5- bis 10-mg-Schritten auf eine Erhaltungs-
dosis von 5±10 mg Prednison/Tag weiter gesenkt werden. Diese
Erhaltungsdosis muss jedoch fçr mindestens 12 Monate, u. U.
sogar fçr 24 Monate beibehalten werden. Unbehandelt ist die
Lebenserwartung reduziert. In 30±50% der Fålle kommt es in-
nerhalb weniger Wochen zur Erblindung, spåter zu trophischen
Stærungen der Haut, zerebralen Ischåmien und Embolien. Unter
sofortiger Therapie ist die Lebenserwartung nicht einge-
schrånkt. Typischerweise sistieren insbesondere die Kopf-
schmerzen bereits 24±48 h nach Einleitung der Therapie.

1.14 Akute Kopfschmerzen bei Erkrankungen des Auges ±


akuter Glaukomanfall (Engwinkelglaukom)
[ICD 10: H 40.2 + G 44.843]

1.14.1 Definition und Epidemiologie

Ein Glaukom (grauer Star) ist eine akute Erhæhung des Augen-
innendrucks durch Abflussbehinderung des Kammerwassers.
Nach dem 40. Lebensjahr leiden bis zu 1,5% und nach dem 70.
Lebensjahr bis zu 7% aller Menschen unter einem pathologisch
42 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

erhæhten Augeninnendruck. Frauen sind etwa doppelt so håufig


betroffen wie Månner. Bei akuten Glaukomanfållen, die mit aus-
geprågten Kopfschmerzen einhergehen, handelt es sich um Eng-
winkelglaukome (Winkelblockglaukome), die durch die akute
Verlegung des Kammerwinkels entstehen. Obwohl Engwinkel-
glaukome nur etwa 5% aller Glaukome ausmachen, sind sie ins-
gesamt ± insbesondere bei ålteren Patienten ± relativ håufig.

1.14.2 Klinik und Diagnostik


Neben heftigsten intraorbital und retroorbital gelegenen
Schmerzen, die nach temporal und parietal, aber auch in die
Ohren ausstrahlen kænnen, wird meist çber Verschwommense-
hen und Sehen von Regenbogenfarben auf dem betreffenden
Auge berichtet. Durch Vagusreizung kænnen die Schmerzen mit
Ûbelkeit und Erbrechen einhergehen und sogar ins Epigastrium
ausstrahlen. Das Vorliegen verschiedener klinischer Befunde ist
wegweisend: Das Auge ist gerætet, die Pupille dilatiert bei auf-
gehobener Lichtreaktion. Durch die Dilatation der Gefåûe liegt
meist eine ziliåre Injektion vor. Als einfaches diagnostisches
Mittel kænnen beide Bulbi vorsichtig palpiert werden. Der
erhæhte okulåre Innendruck des betroffenen Auges zeigt sich in
einer erhæhten Druckdolenz und einer deutlichen Resistenz im
Seitenvergleich (oder eigenes Auge palpieren), die auch fçr Un-
geçbte zu erkennen ist. In ausgeprågten Fållen ist der betroffe-
ne Bulbus steinhart. Der akute Glaukomanfall ist ein Notfall
und erfordert die sofortige Vorstellung bei einem Augenarzt.
Bei sofortiger Therapie ist der Verlauf gutartig. Die Schmerzen
sistieren zçgig nach der Druckentlastung. Unbehandelt ist mit
einer Schådigung des N. opticus, der Augenkammern und an-
schlieûend mit Erblindung zu rechnen.

1.14.3 Øtiopathogenese
Der Schmerz entsteht durch die Verlegung des Abflusses des
Kammerwassers und der damit verbundenen Erhæhung des Au-
geninnendrucks. Ursache der Verlegung ist håufig ein anlage-
bedingter flacher Kammerwinkel bei einer relativ zu groûen Lin-
a Akute Kopfschmerzen bei Erkrankungen des Hals-Nasen-Ohren-Bereichs z 43

se, sodass eine unphysiologisch breite Berçhrungsflåche zwi-


schen Iris und Linse entsteht, die den Kammerwasserabfluss be-
hindert. Patienten, die bereits ein Glaukom erlitten haben, unter
Diabetes mellitus leiden oder sich einer långeren Kortisonbe-
handlung unterziehen mussten, sind besonders håufig betroffen.

1.14.4 Therapie
Ûberweisung zum Augenarzt. Hier erfolgt entweder eine medi-
kamentæse Behandlung mit Miotika und Carboanhydrasehem-
mern (Acetazolamid 500 mg i.v.) oder operativ durch Einbrin-
gen einer Druckentlastungsæffnung in die Iris mittels Laseriri-
dotomie. Ist die Ûberweisung oder das sofortige Hinzuziehen
eines Augenarztes nicht mæglich, kann zunåchst versucht wer-
den, 0,5%ige und danach 1%ige Pilocarpinlæsung in den Binde-
hautsack zu tropfen. Danach kænnen 500 mg Acetazolamid
(Diamox) injeziert und es kann versucht werden, dem Auge
durch 20%ige Mannitolinfusionen (1,5 g/kg) Wasser zu entzie-
hen. Auch hæherprozentiger Alkohol (z. B. Weinbrand) kann
den Druck kurzfristig mindern. Zur Schmerzbehandlung
kænnen normale Analgetika benutzt werden. Es sollte jedoch
daran gedacht werden, dass in diesem Fall eine vollståndige
Analgesie den tatsåchlichen Krankheitsverlauf verschleiert.

1.15 Akute Kopfschmerzen bei Erkrankungen


des Hals-Nasen-Ohren-Bereichs ±
Sinusitiden der Kiefer-, Stirn- und Keilbeinhæhle
[ICD 10: J01, G 44.845]

1.15.1 Definition und Epidemiologie

Eine groûe Anzahl von Erkrankungen aus dem HNO-Bereich


kænnen Kopf oder Gesichtsschmerzen verursachen. Meist fçhrt
die umschriebene Schmerzlokalisation (z. B. Otitis, Tonsilitis)
schnell zur richtigen Diagnose. Die håufigste Ursache dumpfer,
schlecht lokalisierbarer Kopfschmerzen aus dem HNO-Bereich
sind jedoch Sinusitiden.
44 z 1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

Die Håufigkeit von Sinusitiden ist nicht bekannt. Unter den


Sinusitiden sind jedoch die der Kieferhæhle und des Siebbeins
am håufigsten, die des Keilbeins am seltensten.

1.15.2 Klinik und Diagnostik

Bei Sinusitiden der Kieferhæhle klagt der Patient v. a. çber gleich-


seitige Schmerzen çber der Kieferhæhle sowie hinter dem ipsila-
teralen Auge oder in den Zåhnen des Oberkiefers. Håufig sind die
Schmerzen an Vormittag und Mittag intensiver als im weiteren
Verlauf des Tages. Typisch ist ferner die klopfschmerzhafte Kie-
ferhæhlenwand und ein Druckschmerz am Austrittspunkt des
N. infraorbitalis. Nicht selten sind auch Nasenatmung und Se-
kretabfluss behindert. Das erstmalige Auftreten der Kopfschmer-
zen sollte mit dem Auftreten der Sinusitis zeitlich çbereinstim-
men. Ferner sollten die Kopfschmerzen nach erfolgreicher Be-
handlung der Sinusitis ebenfalls sistieren. Diagnostisch kann ne-
ben den klinischen Zeichen (Druckdolenz an typischer Stelle
etc.) bei einseitigen Sinusitiden der Kieferhæhlen die schlechtere
Lichtdurchlåssigkeit (Diaphanoskopie) der betroffenen Seite hilf-
reich sein. Die weitere Diagnostik erfolgt durch Rhinoskopien,
Sonographie oder Ræntgendiagnostik mit jeweils typischen Be-
funden. Die Sinusitis der Stirnhæhle imponiert durch einen star-
ken, çber der Stirn und im inneren mittleren Augenwinkel gele-
genen Schmerz, der sich beim Bçcken deutlich verstårkt. Die Au-
ûenseite der Stirnhæhle ist meist druckdolent. Die sehr seltenen

Tabelle 1.13. Differenzialdiagnosen von Gesichts- und Kopfschmerzen aus dem HNO-
Bereich

z Frontale und holokranielle Kopfschmerzen


± Sinusitis maxillaris
± Sinusitis ethmoidalis
z Einseitige und seitliche Gesichtsschmerzen
± Otitiden
± Gradenigo-Syndrom (Felsenbeinspitzeneiterung)
± Mastoiditis, Cholesteatom
± Otalgien (N. intermedius, N. facialis)
± Sluder-Syndrom (Neuralgie des Gl. pterygopalatinum)
a Akute Kopfschmerzen bei Erkrankungen des Hals-Nasen-Ohren-Bereichs z 45

Sinusitiden der Keilbeinhæhle werden als dumpfe, nach okzipital


in den Hinterkopf ausstrahlende Schmerzen empfunden.
Die akute Sinusitis ist unkompliziert und sollte bei richtiger
Therapie nach spåtestens 2 Wochen ausgeheilt sein. In wenigen
Fållen kann es, insbesondere bei Schleimhautpolypenbildung,
zu einer chronischen Sinusitis kommen, die nicht selten die
operative Ausråumung der Nebenhæhle notwendig macht. Da
die Nasennebenhæhlen nur durch dçnne Knochenlamellen be-
grenzt sind, kann es bei ausgedehnten Prozessen zu Knochen-
durchbrçchen mit Gefahr von Osteomyelitiden kommen. Auf-
grund der engen anatomischen Verhåltnisse breiten sich
Entzçndungen dann schnell in die benachbarte Regionen aus
und kænnen zu Orbitalphlegmonen, Bulbusprotrusionen, Abs-
zessen, Meningitiden oder Sinusthrombosen fçhren. Typische
Risikofaktoren sind Allergien, håufige Entzçndungen des Na-
sen-Rachen-Raums, Nasenpolypen, håufige und ausgeprågte
Druckunterschiede (Tauchen, Fliegen).

1.15.3 Pathophysiologie
Alle Nasennebenhæhlen sind çber Ostien mit der Nasenhaupt-
hæhle verbunden. Pathologisch-anatomisch kommt es bei den
mit dçnnem Flimmerepithel ausgekleideten Hæhlen meist im
Rahmen einer allgemeinen Entzçndung des Nasen-Rachen-
Raums oder einer anderweitig bedingten Verlegung der Ostien
zu einer Schwellung der Schleimhaut mit Absonderung flçssi-
ger, bei bakterieller Entzçndung auch eitriger Sekrete. Bei Ver-
legung der physiologischerweise dem Sekretabfluss dienenden
Ostien kommt es zu Sektretstau innerhalb der Hæhlen.

1.15.4 Therapie
Die akute Sinusitis wird mit abschwellenden Nasentropfen und
Wårme (trocken mit Bestrahlung etc. oder feucht mit Kamillen-
dampf) behandelt. Bei eitrigen Sinusitiden sind Antibiotika indi-
ziert. In therapieresistenten Fållen, insbesondere bei Verlegung
der Abflusswege kann die Kieferhæhle durch den unteren Nasen-
gang punktiert und gespçlt werden. Die Stirnhæhle kann bei Sek-
retstau ebenfalls punktiert und gespçlt werden (Beck-Bohrung).
46

Anhang 1.1 Behandlung der akuten Migråneattacke


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten pro Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [mg] Attacke 2 Attacken/Monat
[1 ] [1 ] [1 ]

Metoclopramid
z Trpf. MCP-Isis Puren Trpf., 20 ml, N1, 10,24 10±20 2,56 5,12
1 ml = 15 Trpf = 4 mg, (bei 20 mg)
Alpharme Isis GmbH & Co.
z Supp. MCP 10 V Ct, 5 St., N1 10,92/2,18 10 2,18 4,368
1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

Ct-Arzneimittel GmbH,
1 Supp. = 10 mg
z i.v., i.m. MCP Hexal Injekt, 5 St., 10,87/2,17 10 2,17 4,348
N1, Hexal AG, 1 Amp. = 10 mg
Domperidon
z Trpf. Motilium, 30 ml, N2, 22,68 20±30 1,52 3,024
Atlanta Pharme DTL GmbH, (bei 20 mg)
1 ml = 10 mg
z Tbl. Domperidon TEVA, 20 St., N1, 15,80/0,79 20±30 1,58 3,16
Alinol Pharme, (bei 20 mg)
1 Tbl. = 10 mg
a

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten pro Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [mg] Attacke 2 Attacken/Monat
[1 ] [1 ] [1 ]

Acetylsalicylsåure
z Brausetbl. ASS 500 V Ct Brause, 1,01/0,10 1000 0,20 0,40
10 St., N1, Ct-Arzneimittel
GmbH, 1 Brausetbl.= 500 mg
z i.v. Aspisol, 5 St., N1, Bayer 17,12/3,42 1000 6,85 13,7
Vital GmbH, eine
Inj.-Amp. enthålt 500 mg ASS
Ibuprofen
z Tbl. Ibu 400 mg Abz, 10 St., 2,04/0,2 400±800 0,2 0,4
N1, Dexcel Pharma GmbH (bei 400 mg)
Paracetamol
z Tbl. Julphar Dol, 500 mg, 10 St., N1 0,92/0,09 1000 0,18 0,36
1 Tbl.= 500 mg,
Julphar Pharma GmbH
z Supp. Paracetamol 1000 mg 1,91,/0,19 1000 0,19 0,32
ab 14 Jahre; 10 St.,; N1
Anhang 1.1 Behandlung der akuten Migråneattacke

1 D Pharma GmbH
z
47
48

Anhang 1.1 (Fortsetzung)


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten pro Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [mg] Attacke 2 Attacken/Monat
[1 ] [1 ] [1 ]

Ergotamin
z Tbl. Ergo-Kranit 2 mg akut 6 St.; N1 26,02/4,33 1,5±3,0 4,33 8,66
Krewel Menselbach GmbH, (bei 2 mg)
1 Tbl.= 2 mg Ergotamintartrat
Dihydroergotamin
1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

z i.v. Dihydergot, 5 ´ 1 ml, N2, 3,98/0,80 1±2 0,80 1,60


Novartis Pharma GmbH, (bei 1 mg)
1 ml = 1 mg
Sumatriptan
z Tbl. Imigran 50 mg, 6 St., N1, 52,47/8,75 25±100 8,75 17,5
Glaxo (bei 50 mg)
z Supp. Imigran Zåpfchen, 6 St., 50,74/8,46 25 8,46 16,92
N1, Glaxo,
1 Supp.= 25 mg
a

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten pro Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [mg] Attacke 2 Attacken/Monat
[1 ] [1 ] [1 ]

z s.c. Imigran Inject, 2 St., N1, 78,64/39,32 6 39,32 78,64


Glaxo, Pen+2 Kartuschen,
1 Spritze = 6 mg
z Nasenspray Imigran Nasal 20 mg, 25,79/12,9 20 12,9 25,79
2 St., N1, Glaxo
z Sumatriptan T
Zolmitriptan
z Filmtbl. AscoTop 2,5 mg; 32,43/10,31 2,5±5 10,31 21,62
3 St., N1,
AstraZeneca 33,30/11,1 2,5±5 11,1 22,2
AscoTop 5 mg;
3 St., N1
AstraZeneca
z Schmelztbl. AscoTop 2,5 mg, 24,48/12,24 2,5±5 12,24 24,48
2 St., N1,
AstraZeneca
Anhang 1.1 Behandlung der akuten Migråneattacke

z Nasenspray 5 mg
z
49
50

Anhang 1.1 (Fortsetzung)


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten pro Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [mg] Attacke 2 Attacken/Monat
[1 ] [1 ] [1 ]

Rizatriptan
z Tbl. Maxalt 10 mg, 3 St., N1, 32,24/10,75 10 10,75 21,5
MSD Sharp u. Dohme
z Schmelztbl. Maxalt lingua 10 mg, 3 St., N1, 32,24/10,75 10 10,75 21,5
MSD Sharp u. Dohme
1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

Naratriptan
z Tbl. Naramig Filmtbl., 2 St., 24,62/12,31 2,5 12,31 24,62
N1, Schwarz Pharma,
1 Tbl.= 2,5 mg
Almotriptan
Almogran Tbl., 3 St., 32,14/10,71 12,5 10,71 21,42
N1, Bayer
1 Tbl.= 12,5 mg
a

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten pro Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [mg] Attacke 2 Attacken/Monat
[1 ] [1 ] [1 ]

Eletriptan
Relpax Tabl. ? ? ? ?
N1, Pfizer
1 Tbl.= 20 oder 40 mg
Relpax 20 mg, 30,94/10,31 20±40 mg 10,31 20,62
3 St., N1, Pfizer
Relpax 40 mg, 30,94/10,31 20±40 mg 10,31 20,62
3 St., N1, Pfizer
Anhang 1.2 Medikamentæse Migråneprophylaxe
z
51
52

Anhang 1.2 Medikamentæse Migråneprophylaxe


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten [1 ]


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg]

Metoprolol
z Tbl. Metoprolol 200 retard 19,80/0,2 50±200 3
100 St., N3, (bei 100 mg/Tag)
Abt Pharma GmbH
1 Tbl.= 200 mg
Propranolol
1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

z Tbl. Propranolol Al 80, 100 St., N3, 20,49/0,21 80±240 12,6


Aliud Pharma (bei 160 mg/Tag)
Flunarizin
z Tbl. Flunarizin Acis 5, 100 St., 33,18/0,33 Frauen: 5 9,9 (bei 5 mg/Tag)
N3, Acis Arzneimittel Månner: 10 19,8 (bei 10 mg/Tag)
Vertriebs. GmbH, 1 Tbl.= 5 mg
Naproxen
z Tbl. Naproxen Al, 100 St., 32,55/0,33 500±1000 19,80
Aliud Pharma (bei 500 mg)
1 Tbl.= 250 mg
a

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten [1 ]


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg]

Valproinsåure
z Tbl. Valprolept 300 mg 36,18/0,18 600±1200 16,2
200 St., N3 (bei 900 mg)
Hexal AG 10,8
(bei 600 mg)
Mutterkornalkaloide
z Tbl. DET MS Tbl. zu 1 mg nicht erhåltlich
DET MS Kps. zu 2,5 mg und 5 mg lediglich erhåltlich
Topiramat siehe Anhang 4.1 (S. 147)
z Tbl. Topamax 100 mg, N3 497,66/2,49 100±200 mg 149,4
200 St., Janssen-Cilag (bei 200 mg/Tag)
Acetylsalicylsåure
z Tbl. Alka Seltzer Classic, 30 St., N3, 9,96/0,33 324 9,96
(nur Brausetbl.) Pharma Gerke, 1 Tbl.= 324 mg
Magnesium
Anhang 1.2 Medikamentæse Migråneprophylaxe

z Tbl. Magium Kautbl., 100 St., 12,95/0,13 300±600 11,7


N3, Ratiopharm 1 Tbl.= 122 mg (3 Tbl./Tag)
z
53
54

Anhang 1.3 Therapie des chronischen Spannungskopfschmerzes


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten [1 ]


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg]

Amitriptylin
z Tbl. Amitriptylin ret. 25 mg, 16,11/0,16 25±100 14,5
100 St., N3, Hexal AG (bei 75 mg/Tag)
Amitriptylinoxid
z Tbl. Amioxid Neuraxpharm 30, 19,26/0,19 30±90 17,34
100 St., N3, Neuraxpharm (bei 90 mg/Tag)
1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

Arzneimittel, 1 Tbl.= 30 mg
Clomipramin
z Tbl. Clomipramin 25 VCT, 22,72/0,23 25±100 20,7
100 St., N3, CT-Arznei- (bei 75 mg/Tag)
mittel GmbH, 1 Tbl.= 25 mg
Doxepin
z Tbl. Doxepin Beta 25, 100 St., N3, 19,7/0,2 25±100 18,0
Betapharm Arzneimittel, (bei 75 mg/Tag)
1 Tbl.= 25 mg
a

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten [1 ]


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg]

Imipramin
z Tbl. Imipramin Neuraxpharm 25, 22,76/0,23 25±75 20,7
100 St., N3, Neuraxpharm Arzn., (bei 75 mg/Tag)
1 Tbl.= 25 mg
Maprotilin
z Tbl. Deprilept 50, 23,28/0,23 50±100 13,8
100 St., N3, (bei 100 mg/Tag)
Lundbeck GmbH
1 Tbl.= 50 mg
Anhang 1.3 Therapie des chronischen Spannungskopfschmerzes
z
55
56

Anhang 1.4 Attackenkupierung beim Clusterkopfschmerz


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten pro monatliche Kosten


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [mg] Attacke bei 2 Attacken pro Tag
[1 ] [1 ] [1 ]

Sauerstoffflasche mit Inhalationsschlauch


z Inhal. Medizinischer Sauerstoff ca. 12,00 (Preis fçr 2 l, 100%ig Je nach Je nach
von Messer Griesheim, Sauerstoff) Anwendung Anwendung
12-l-Flasche ca. 150,00 (Preis
fçr Flasche)
ca. 15,00 (Preis fçr
1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

Inhalations-
schlauch)
Sumatriptan
z s.c. Imigran inject, 2 St., N1, 78,64/39,32 6 mg 39,32 2359,2
Glaxo,
1 Spritze = 6 mg
Lidocain
z Spray Xylocain 4%, 30 ml Læsung, 6,23 2±4 Hçbe ca. 0,45 ca. 27,00
N1 Astra, 1 ml/2 Hçbe
in 3 Nasensprayflaschen
(10 ml) umfçllen
a

Anhang 1.5 Medikamentæse Prophylaxe beim Clusterkopfschmerz

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten [1 ]


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg/Tag]

Prednisolon
z Tbl. Prednisolon 50 mg Galen- 29,73/0,59 100 5,9
pharma GmbH, 50 St., N2 (fçr 5 Tage)
Verapamil
z Tbl. Vera 80 mg ABZ, 100 St., 15,18/0,15 bis zu 320 13,5
N3, PBZ-Pharma (bei 240 mg/Tag)
Lithiumcarbonat
z Tbl. Lithium Apogepha, 100 St., N3, 22,46/0,22 590 13,2
Apogepha Arzneimittel,
1 Tbl.= 295 mg
Anhang 1.5 Medikamentæse Prophylaxe beim Clusterkopfschmerz
z
57
58

Anhang 1.6 Therapie des posttraumatischen Kopfschmerzes


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten [1 ]


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg]

Siehe Therapie des chronischen Spannungskopfschmerzes (S. 54, 55)


1 Kopf- und Gesichtsschmerzen
Anhang 1.7 Prophylaxe der Trigeminusneuralgie a

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten [1 ]


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg]

Carbamazepin
z Tbl. Carbamazepin 600 Retard, 200 St., 71,29/0,36 600±1500 21,6 (bei 1200 mg/Tag)
N3, Biomo Pharma, 1 Tbl.= 600 mg
Phenytoin
z Tbl. Phenytoin AWD, 100 mg, 17,45/0,09 300±400 8,1
200 St., N3, AWD Pharma, (bei 300 mg/Tag)
1 Tbl.= 100 mg
Oxcarbazepin
z Filmtbl. Trileptal 600 mg, 200 St., 219,02/1,1 600±2400 66,0
N3, Novartis Pharma (bei 1200 mg)
Gabapentin
z Kps. Gabapentin ABZ, 400 mg, 153,22/0,77 800±2400 69,3
200 St., N3, ABZ-Pharma (bei 1200 mg)
Lamotrigin
z Tab. Lamictal 50±200 mg
Topiramat
Anhang 1.7 Prophylaxe der Trigeminusneuralgie

z Tab. Topamax 50±200 mg 149,4 (bei 200 mg/Tag)


100 mg N3, 200 St. Janssen-Cilag
z

Pregabbalin
59

z Tab. Lyrica
60

Anhang 1.8 Therapie des atypischen Gesichtsschmerz


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten [1 ]


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg]

Amitriptylin
z Tbl. Amitriptylin ret., 16,11/0,16 50±100 14,5
25 mg, 100 St., N3, (bei 75 mg/Tag)
Hexal AG
Amitriptylinoxid
z Tbl. Amioxid Neuraxpharm 30, 19,26/0,19 60±90 17,34
1 Kopf- und Gesichtsschmerzen

100 St., N3, Neuraxpharm (bei 90 mg/Tag)


Arzneimittel, 1 Tbl.= 30 mg
Clomipramin
z Tbl. Clomipramin 25 V CT, 22,72/0,23 50±100 20,7
100 St., N3, CT-Arznei- (bei 75 mg/Tag)
mittel GmbH, 1 Tbl.= 25 mg
Carbamazepin
z Tbl. Carbamazepin 600 Retard, 71,29/0,36 300±1200 21,6
200 St., N3, Biomo Pharma, (bei 900 mg/Tag)
1 Tbl.= 600 mg
a

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten [1 ]


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg]

Gabapentin
z Filmtbl. Gabapentin ABZ, 400 mg, 153,22/0,77 800±2400 69,3
200 St., N3, ABZ-Pharma (bei 1200 mg)
Oxcarbazepin
z Filmtbl. Trileptal 600 mg, 200 St., 219,02/1,1 600±2400 66,0
N3, Novartis Pharma (bei 1200 mg)
Anhang 1.8 Therapie des atypischen Gesichtsschmerz
z
61
62

Anhang 1.9 Therapie des Pseudotumor cerebri


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten [1 ]


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg/Tag]

Acetazolamid
z Tbl. Diuramid, 100 St., N3, 40,34/0,40 500±1000 36,0
Medphano Arzneimittel GmbH (bei 750 mg/Tag)
1 Tbl.= 250 mg
Furosemid
z Tabl. Furo 40 mg Abz, 100 St., 14,08/0,14 40 4,2
N3, Abz-Pharma (bei 40 mg/Tag)
1 Kopf- und Gesichtsschmerzen
2 Schwindel
Volker Limmroth
64 z 2 Schwindel

Schwindel ist Ausdruck einer Orientierungsstærung des Men-


schen im Raum. Das Gehirn erhålt zur Orientierung im Raum
Impulse von 3 Systemen: dem vestibulårem System, dem soma-
tosensorischen System (Golgi-Apparate, Muskel- und Sehnen-
spindeln) sowie dem visuellen System. Schwindel tritt immer
dann auf, wenn eines dieser Systeme Impulse generiert, die
nicht zu den Impulsen der anderen ¹Orientierungsorganeª pas-
sen. In der Umgangssprache wird der Begriff Schwindel jedoch
zur Beschreibung vielfåltiger Symptome benutzt, sodass Patien-
ten håufig Gangunsicherheit, Schwarzwerden vor den Augen
oder auch Unwohlsein als ¹Schwindelª beschreiben. Schwindel
im neurologischen Sinne umfasst jedoch klar definierte Krank-
heitsbilder sowie Leitsymptome und -befunde. Danach handelt
es sich um ein Eigen- bzw. Umweltbewegungsgefçhl oder ein
Kippgefçhl. Meistens ist Schwindel von vegetativen Begleit-
erscheinungen wie Ûbelkeit, Erbrechen, Herzklopfen, Schwitzen
und Angst begleitet.
Schwindel, der durch Stærungen oder Låsionen des periphe-
ren oder zentralen vestibulåren Systems hervorgerufen wird,
geht mit einer Fallneigung im Stehen und Unsicherheit im Ge-
hen einher. Klinisch kann man die Schwindelformen in akuten
und chronischen Schwindel, neuroanatomisch in peripheren (Lå-
sionsort: Bogengånge des Vestibularapparats, N. vestibularis)
und zentralen Schwindel (vestibulårer Kortex, Kleinhirn, Hirn-
stamm) unterteilen. Im Folgenden sind die Schwindelformen
aufgrund der græûeren klinischen Relevanz und des besseren
Verståndnisses in akute und chronische Formen unterteilt. Die
meisten Fålle kænnen ausschlieûlich anhand von Anamnese
und grçndlicher neurologischer Untersuchung ohne umfangrei-
che Zusatzdiagnostik eingeordnet werden. Die klinischen Merk-
male, die eine Unterscheidung in periphere/ zentrale Formen
bzw. Låsionsorte erlauben, und die hilfreichen und sinnvollen
Untersuchungen sind daher zusåtzlich tabellarisch dargestellt
(Tabelle 2.1 und 2.2).
a 2 Schwindel z 65

Tabelle 2.1. Spezielle Anamnese und hilfreiche Untersuchungen bei Schwindel

Allgemeine Untersuchungen

Anamnese z Akuter Drehschwindel/chronischer Schwindel ±


Schwankschwindel?
z Seit wann: plætzlich/langsam zunehmend?
z Dauer des Schwindels: s, min, h, Tage, Wochen?
z Mit Begleiterscheinungen: Ûbelkeit, Erbrechen?
z Mit anderen neurologischen Symptomen:
Doppelbilder, Taubheitsgefçhle?
z Mit anderen nichtneurologischen Symptomen:
Fieber, Ohrenschmerzen
z Spezifische Auslæser (Schneuzen, Druck auf
Ohrmuschel)
Neurologische z Visus, Okulomotorik, ggf. unter Frenzel-Brille
Untersuchung und Lageproben
z Nystagmus? (wenn ja: peripher/zentral/kongenital)
z Andere Hirnnervenausfålle?
z Hirnstammzeichen?
z Zerebellåre Zeichen?
z Hinterstrangzeichen, Lagesinn,
Vibrationsempfinden?
z Orientierender Blick ins Ohr
(Entzçndungszeichen, ggf. HNO-Konsil)
Blutdruckmessung z Hypotonie
z Hypertone Krise
EKG z Herzrhythmusstærungen

Spezielle Untersuchungen

Elektronystagmographie z Erregbarkeit des Vestibularapparats


z Unterscheidung peripher-zentral-vestibulårer
Schwindel
Evozierte Potenziale z Akustisch evozierte Potenziale:
Beurteilung von retrocholeåren Strukturen
und Hirnstamm
z Sensibel evozierte Potenziale:
Beurteilung zentraler Strukturen von
Kortex und Rçckenmark
66 z 2 Schwindel

Tabelle 2.1 (Fortsetzung)

Spezielle Untersuchungen

Posturographie z Beurteilung und Differenzierung von


vestibulåren, zerebellåren und spinalen
Låsionen
Doppler-Sonographie/ z Diagnose/Ausschluss håmodynamisch
Duplexsonographie/ relevanter Stenosen der hirnversorgenden
Transkranieller Doppler Gefåûe
Nervenleit- z Bei klinischem Hinweis auf proprio-
geschwindigkeit zeptiven Schwindel oder Unsicherheit
bei Gehen
Labor z Bei V. a. Anåmie, Vitaminmangel
Liquordiagnostik z Nur bei entzçndlichen Prozessen des
zentralen Nervensystems
Bildgebende Verfahren z Nur bei klinischen Hinweisen auf
Computer-/Kernspin- zerebrale Raumforderungen oder
tomographie Ischåmien und Infarkte

Akuter Schwindel

Akuter Schwindel ist gekennzeichnet durch ein plætzlich auftre-


tendes Dreh- oder Kippgefçhl, kurze Anamnese. Der Patient ist
extrem beeintråchtigt.

2.1 Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel


[ICD 10: H 81.1]

2.1.1 Definition und Epidemiologie

Unter benignem paroxysmalem Lagerungsschwindel versteht


man plætzliche, durch schnelle Kopfbewegungen oder Lageån-
derung ausgelæste, inkonstant auftretende und fçr Sekunden
bis Minuten dauernde Drehschwindelattacken. Der benigne par-
a 2.1 Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel z 67

Tabelle 2.2. Klinische Differenzierung zwischen peripher- und zentral-vestibulårem


Schwindel

Peripherer Schwindel Zentraler Schwindel

Dauer des Schwindels Eher kurz Eher långer


Erbrechen Bei fast allen Formen Bei einigen Formen
Nystagmus Horizontal, rasche Kompo- U. U. rotatorisch, vertikal
nente zur Gegenseite und dissoziert
Nystagmus-Auslenkung Unabhångig von Blickrich- Blickrichtungsnystagmus,
tung immer zur gleichen Amplitude verstårkt sich
Seite (richtungsbestimmt) in Richtung der Låsionsseite
Nystagmus-Dauer Oft ermçdlich, (bei Provo- Nicht ermçdlich bei Provo-
kation durch Lageånderung kation durch Lageånderung
des Kopfes nur wenige des Kopfes långer als 30 s
Sekunden)
Gehær Håufig mitbeteiligt, damit Nicht mitbeteiligt
Hærminderung/Tinnitus
Vestibularisprçfung Untererregbarkeit, Ausfall Erregbar
Sonstige Zeichen Keine weiteren neurologi- Håufig Hirnstammsymptome
schen Ausfålle
Typische Erkrankungen z Paroxysmaler z Vertebrobasilåre
Lagerungsschwindel Durchblutungsstærungen
z Morbus Meni re (Hirnstamm,
z Neuritis vestibularis Kleinhirn)
z Labyrinthitis z Schwindel bei multipler
Sklerose
z Tumoren der hinteren
Schådelgrube

oxysmale Lagerungsschwindel ist der håufigste Schwindel. Etwa


5% aller Menschen leiden einmal im Leben an dieser Schwin-
delform. Obwohl die Erkrankung in allen Altersgruppen be-
obachtet wird, sind åltere Menschen in der 6. und 7. Lebens-
dekade am håufigsten betroffen. Frauen erkranken im Verhålt-
nis 2 : 1 etwas håufiger als Månner.
68 z 2 Schwindel

2.1.2 Klinik und Diagnostik

Der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel tritt bei vælliger


Gesundheit meist frçhmorgens nach dem Aufwachen wåhrend
der ersten Lageånderung im Bett oder beim Versuch aufzuste-
hen auf. Der heftige Drehschwindel ist von Ûbelkeit und Erbre-
chen begleitet und klingt innerhalb einiger Sekunden, spåtes-
tens wenigen Minuten, wieder ab. Der Schwindel (Attackenfre-
quenz und -intensitåt) wird meist im Laufe des Tages etwas
besser. Bei der neurologischen Untersuchung findet sich unter
der Frenzel-Brille ein rotatorischer Nystagmus bei Seitenlage
(Lagerungsmanæver nach Hallpike = schnelle Seitlagerung), der
zum nach unten liegenden Ohr schlågt und rasch adaptiert.
Der neurologische Status ist unauffållig und bei der kalorischen
Vestibularistestung sind die Labyrinthe normal erregbar. Meist
reicht aber die Schilderung des Patienten aus, um die Diagnose
zu stellen.

2.1.3 Pathophysiologie

Pathophysiologisch handelt es sich um eine Cupulolithiasis, ei-


ne pathologische Ablagerung von Otolithenmaterial im Bogen-
gang, das durch Kopfbewegungen in der Endolymphe der Bo-
gengången bewegt wird. Wåhrend der Groûteil der Patienten
¹idiopathischª, also ohne erkennbaren Grund, diesen Schwindel
entwickelt, steht bei ca. 15% der Patienten das Auftreten dieser
Schwindelform in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit
einem Schådeltrauma oder einer anderen Erkrankung, die zu
långerer Bettruhe gezwungen hat.

2.1.4 Therapie

Etablierte Therapie des benignen paroxysmalen Lagerungs-


schwindels ist: Lagetraining nach Brandt oder Epley (Sitzen auf
der Bettkante, rasche Seitenlagerung fçr 30 s bis 1 min, 10-mal
wiederholen). Das Lagetraining ist fçr den Patienten zunåchst
unangenehm, da der Schwindel damit ausgelæst wird. Es wird
a 2.2 Morbus Meni re z 69

jedoch erreicht, dass sich das System schneller adaptiert. Eine


medikamentæse Behandlung ist nicht notwendig, sondern ver-
zægert die Adaption.

2.2 Morbus Meni re [ICD 10: H 81.0]

2.2.1 Definition und Epidemiologie

Als Morbus Meni re wird plætzlicher, attackenartig auftretender


Drehschwindel als Teil einer klinischen Trias bezeichnet:
Schwindel in Verbindung mit einseitiger Hærminderung und
Tinnitus. Mit einer Pråvalenz von ca. 50 pro 100 000 ist der
Morbus Meni re nicht selten.

2.2.2 Klinik und Diagnostik

Bei der Meni re-Erkrankung tritt der Schwindel attackenweise


auf, wobei die einzelnen Attacken Stunden, selten auch Tage, dau-
ern kænnen und einen Abstand von Wochen bis Monaten haben.
Klassischerweise wird beim Morbus Meni re die Trias Schwindel,
Tinnitus und Hærminderung beobachtet. Die einzelnen Kom-
ponenten kænnen jedoch unterschiedlich stark ausgeprågt sein
und in wenigen Fållen auch dissoziiert auftreten, also zeitlich ge-
trennt, was die Diagnose erschwert. Zur Diagnosesicherung sollte
daher die Minderung des Hærvermægens durch ein Tonaudio-
gramm objektiviert werden, das typischerweise eine Hærmin-
derung fçr mittlere und tiefe Frequenzen zeigt. Wie auch der be-
nigne paroxysmale Lagerungsschwindel geht der Morbus Meni -
re auûerdem mit Ûbelkeit, Erbrechen, zusåtzlich auûerdem mit
Schwitzen, Herzklopfen und Blåsse sowie einem Druckgefçhl
auf dem Ohr einher. Bei einer Sonderform des Morbus Meni re,
dem Lermoyez-Syndrom, kommt es wåhrend oder direkt nach
der Schwindelattacke zu einer Hærverbesserung.
70 z 2 Schwindel

2.2.3 Pathophysiologie

Die Pathophysiologie ist ungeklårt. Frçher wurde ein Lymph-


hydrops im Innenohr angenommen. Derzeit wird eher eine Elek-
trolytstærung bzw. -verschiebung in der Endolymphe diskutiert.

2.2.4 Therapie
Zur Therapie gehært Bettruhe. Anders als der paroxysmale Lage-
rungsschwindel wird der Morbus Meni re kurzzeitig auch medi-
kamentæs behandelt: parenterale Gabe von Antiemetika wie Dom-
peridon (Motilium), Metoclopramid, danach Antihistaminika
(Dimenhydrinat, 1±2 Supp. pro Tag), Kalziumantagonisten (Flu-
narizin, 10 mg, Cinnarizin, 3 ´ 25 mg) oder Neuroleptika (Sulpirid,
3 ´ 50 mg). Bei nicht zubeherrschendem Erbrechen kann auch die
Gabe des Serotoninantagonisten (5-HT3) wie Odansetron (Zofran
2±4 ´ 4 mg i.v.) versucht werden. Zur Vorbeugung weiterer Meni -
re-Attacken wird Betahistin (Betahistin 3 ´ 6±12 mg) verabreicht.
Bei vollståndig therapieresistenten Formen kann eine Neurekto-
mie des N. vestibularis diskutiert werden.

2.3 Akuter Labyrinthausfall (Neuritis vestibularis)


[ICD 10: H 81.2]

2.3.1 Definition und Epidemiologie


Akuter Labyrinthausfall ist durch heftigsten Drehschwindel
çber mehrere Tage mit nur langsamer Besserung gekennzeich-
net. Im Vergleich zum paroxysmalen Lagerungsschwindel und
Morbus Meni re ist er wesentlich seltener.

2.3.2 Klinik und Diagnostik


Beim akuten Labyrinthausfall besteht ein heftiger, çber Tage,
teilweise einige Wochen, anhaltender Drehschwindel mit Fall-
neigung im Stehen und Sitzen (Stand- und Rumpfataxie) zur
a 2.3 Akuter Labyrinthausfall (Neuritis vestibularis) z 71

Seite des betroffenen Ohrs, jedoch keine Zeigeataxie. Typischer-


weise finden sich hier weder Tinnitus noch Hærminderung
(wichtig Differenzialdiagnose Morbus Meni re). Bei der neuro-
logischen Untersuchung zeigt sich ein ausgeprågter Spontan-
nystagmus mit rotierender Komponente (initial) zur gesunden
Seite. Im Allgemeinen verstårkt sich die Amplitude des Nystag-
mus bei fehlender Fixierung unter der Frenzel-Brille oder bei
Augenschluss. Die kalorische Prçfung zeigt ein nicht- oder un-
tererregbares ipsilaterales Labyrinth. Ein Vestibularisausfall ist
extrem beeintråchtigend, sodass die Genesung mehrere Wochen
in Anspruch nehmen kann.

2.3.3 Pathophysiologie

Es liegt eine Teilschådigung bzw. der komplette Ausfall des La-


byrinths vor. Die Øtiologie bleibt meist ungeklårt. Einige Auto-
ren gehen von einer Virusinfektion aus, andere von Durchblu-
tungsstærungen der A. labyrinthi.

2.3.4 Therapie

Die Therapie des akuten Labyrinthausfalls besteht aus einer


medikamentæsen Behandlung mit Steroiden (Prednisolon
100 mg) çber die ersten 3±4 Tage in schweren Fållen, dann u. U.
analog der Meni re-Attacke (siehe Abschn. 2.2.4), danach Ab-
setzen der Medikamente (Rekompensation wird durch Medika-
mente behindert und verzægert das Ausheilen) und spezifische
krankengymnastische Ûbungsbehandlung mit Gleichgewichts-
training. Die Gabe von niedermolekularen Dextranen zur Ver-
besserung der Håmodynamik wird unterschiedlich beurteilt
und nicht von allen Autoren empfohlen.
72 z 2 Schwindel

2.4 Vestibularisparoxysmien [ICD 10: H 81.9]

2.4.1 Definition und Epidemiologie

Vestibularisparoxysmien sind heftige, aber kurze Attacken eines


Dreh- oder Schwankschwindels çber Sekunden bis wenige Mi-
nuten durch oder infolge Lageånderung des Kopfes. Die Pråva-
lenz ist unklar, das Krankheitsbild ist wahrscheinlich deutlich
unterdiagnostiziert.

2.4.2 Klinik und Diagnostik

Øhnlich dem benignem paroxysmalen Lagerungsschwindel


(BPLS, siehe 2.1) kommt es hier zu einem plætzlich auftreten-
den Schwindelgefçhl, das jedoch deutlich kçrzer sein kann als
beim BPLS. Die Anfålle kænnen durch eine spezifische Kopfhal-
tung oder Bewegung ausgelæst werden. Anders als bei BPLS
werden auch Hærminderungen und Tinnitus beschrieben. Die
Anfålle sind auch wesentlich kçrzer als beim Morbus Meni re.
Sie kænnen mehrmals am Tag auftreten und so gut vom Mor-
bus Meni re abgegrenzt werden. Die typischen Lagerungsçbun-
gen, die zur Sicherung des BPLS mit der Frenzel-Brille durch-
gefçhrt werden, ergeben hier keine Besonderheiten. Die kalori-
sche Prçfung zeigt jedoch meist ein untererregbares Labyrinth.
Klinisch beståtigend ist die gute Therapierbarkeit mit Carbama-
zepin.

2.4.3 Pathophysiologie

Die Pathophysiologie ist nicht abschlieûend geklårt. Analog zur


Trigeminusneuralgie wird jedoch eine mæglicherweise mecha-
nische Reizung von hirnstammnahen anatomischen Strukturen
(Austrittswinkel des N. vestibularis?) infolge neurovaskulårer
Kompression angenommen.
a 2.5 Durchblutungsstærungen im vertebrobasilåren Bereich z 73

2.4.4 Therapie

Die Therapie erfolgt ebenfalls analog zur Trigeminusneuralgie


mit Carbamazepin in niedriger Dosierung (200±600 mg/Tag)
und ist in den meisten Fållen erfolgreich.

2.5 Durchblutungsstærungen im vertebrobasilåren Bereich


[ICD 10: G 46.3]

2.5.1 Definition und Epidemiologie

Durchblutungsstærungen im vertebrobasiliåren Bereich kænnen


heftige Drehschwindelattacken aufgrund der Schådigung der
vestibulåren Hirnstammkerne oder des Kleinhirns verursachen.
Als isoliertes Symptom ohne weitere Hirnstamm- oder Klein-
hirnsymptomatik (entgegen der håufig falsch gestellten Diagno-
se ¹vertebrobasilåre Insuffizienzª) sind sie jedoch extrem selten.

2.5.2 Klinik und Diagnostik

Plætzlich setzt ein heftiger Drehschwindel mit pathologischem


(zentralem) Nystagmus (nicht erschæpflicher Spontannystagmus
oder Blickrichtungsnystagmus) in Kombination mit anderen
Hirnstammsymptomen wie Doppelbilder, Schluckstærungen,
Dysarthrie, periorale Pelzigkeit, Hemihypåsthesie im Gesicht,
Ataxie oder Tetraparese ein. Die klinische Untersuchung ergibt
die typischen Zeichen eines zentral vestibulåren Schwindels
(Tabellen 2.1, 2.2). Auch Durchblutungsstærungen und Ischå-
mien des Kleinhirns werden als Schwindel empfunden. Typisch
ist hierbei die ausgeprågte zerebellåre Ataxie (Rumpf-, Stand-
und Gangataxie, pathologische Zeigeversuche) sowie ein auffal-
lend grobschlågiger zentraler Nystagmus. Diese Form tritt be-
vorzugt bei Personen mit vaskulåren Risikofaktoren wie Hyper-
tonie, Rauchen, Diabetes, Ûbergewicht, Herzrhythmusstærun-
gen, vorausgegangenen transitorischen ischåmischen Attacken
(TIA) bzw. Hirn- oder Myokardinfarkten auf. Die Diagnose er-
74 z 2 Schwindel

folgt klinisch (Anamnese und grçndliche neurologische Unter-


suchung), gefolgt von Doppler-Sonographie und Duplexsono-
graphie sowie transkraniellem Doppler (Vertebralisstenose, Ba-
silarisverschluss) und CT (Ausschluss einer Blutung in der hin-
teren Schådelgrube) und ggf. MRT zur besseren Darstellung
von Ischåmie des Hirnstamms.

2.5.3 Pathophysiologie

Es handelt sich um eine Durchblutungs- bzw. Perfusionsstærung


des Hirnstamms, dabei im Besonderen der vestibulåren Kerne
als Folge einer Vertebralis- bzw. Basilarisstenose, einer kardial
bedingten Embolie oder ± sehr viel håufiger ± Verschluss eines
kleineren nachgeschalteten Gefåûes (PICA, AICA etc.). Auf-
grund der nahen antomischen Lage anderer Hirnnervenkerne
und Strukturen gibt es eine isolierte Durchblutungsstærung der
vestibulåren Kerne fast nie. Bei genauer neurologischer Unter-
suchung finden sich meist weitere Hirnstammzeichen, sodass
die Schwindelform dann als TIA des Hirnstamms (¹Hirn-
stamm-TIAª) einzuordnen ist, bei einer Dauer çber 24 h defini-
tionsgemåû als Hirnstamminfarkt (siehe auch Kap. 4). Das
Konzept der ¹vertebrobasilåren Insuffizienzª als Ursache dieser
Schwindelform ist daher aus pathophysiologischer Sicht falsch.
Typisches Hirnstammsyndrom unter Einbeziehung der Vestibu-
lariskerne ist das Wallenberg-Syndrom (dorsolaterales Oblonga-
tasyndrom nach Verschluss der A. cerebelli inferior posterior),
das mit plætzlich einsetzendem heftigen Drehschwindel und Er-
brechen beginnt sowie ferner homolaterale Gaumensegelpare-
sen, Stimmbandparesen, kontralaterale Sensibilitåtsstærungen,
eine Hemiataxie und ein ipsilaterales Horner-Syndrom zeigt.

2.5.4 Therapie

Sie erfolgt entsprechend der eigentlichen Ursache, die die Durch-


blutungsstærung verursacht hat (siehe auch Kap. 3): Gabe von
Acetylsalicylsåure. Anschlieûend Markumarisierung bei kardialen
Embolien, sonst Gabe von Thrombozyten-Aggregationshemmern.
a 2.6 Andere Erkrankungen des Labyrinths z 75

2.6 Andere Erkrankungen des Labyrinths

2.6.1 Definition und Epidemiologie


Zu akut auftretendem Drehschwindel kann es auch durch Ischå-
mie (Verschluss der A. labyrinthi), Entzçndung des Labyrinths
(akute Labyrinthitis, z. B. bei Otitis media) oder eine Labyrinth-
fistel kommen. Genaue epidemiologische Daten liegen nicht vor.
Diese Formen sind jedoch relativ selten, wobei die infektions-
bedingte Labyrinthitis durch den frçhen Einsatz von Antibiotika
insbesondere bei der Otitis media immer seltener wird.

2.6.2 Klinik und Diagnostik


Typisch ist der plætzlich einsetzende, heftige Drehschwindel mit
Erbrechen. Bei der Ischåmie und der Labyrinthitis ist der Spon-
tannystagmus zur gesunden Seite (Ausfallsnystagmus) auffållig.
Wåhrend es bei der akuten Labyrinthitis immer zu einem Hær-
verlust kommt, bleibt das Hærvermægen bei der akuten Ischåmie
des Labyrinths håufig erhalten. Da die Labyrinthitis Folge einer
vorangegangen Infektion ist, sollten in der Anamnese wenige
Tage vorher Symptome wie starke Ohrenschmerzen, Klopfen im
Ohr, Kopfschmerzen, Fieber und herabgesetztes Allgemeinbefin-
den zu finden sein. Das Trommelfell zeigt ferner einen typischen
Befund (Vorwælbung, Rætung, radiåre Gefåûzeichnung). Selten
heilt eine Labyrinthitis wieder komplett aus. Meist bleiben
Hærminderung oder auch Taubheit zurçck. Die Diagnose eines
Verschlusses der A. labyrinthi ist schwierig, da es sich um eine
Endarterie handelt, die sich nicht darstellen låsst. Die Diagnose
kann nur als Ausschlussdiagnose im weiteren Verlauf der Erkran-
kung gestellt werden. Hier nimmt der Schwindel durch die zen-
trale Kompensation bald ab. Bei einer Labyrinthfistel, die im Rah-
men einer chronischen Otitis media oder eines Cholesteatoms
entstehen kann, tritt der Schwindel typischerweise bei Druck-
erhæhung im åuûeren Gehærgang oder im Nasenrachenraum auf:
beim Nasenputzen, Drçcken auf die Ohrmuschel oder bei schnel-
len Kopfbewegungen. Der hierbei entstehende Nystagmus zeigt ±
anders als bei Ischåmie und Labyrinthitis ± zur erkrankten Seite.
76 z 2 Schwindel

2.6.3 Pathophysiologie

Pathophysiologisch handelt es sich um eine akute Irritation des


N. vestibularis durch Ischåmie oder eine Entzçndung. Die A. la-
byrinthi (A. auditiva interna) ist eine Endarterie und geht entwe-
der aus der A. cerebelli inferior anterior ab oder direkt aus der A.
basilaris. Der isolierte Verschluss der Arterie ist selten, kann aber
im Rahmen artheriosklerotischer Prozesse vorkommen. Die aku-
te (bakterielle) Labyrinthitis ist immer eine sekundåre Folge ei-
ner anderen Entzçndung, meist einer Otitis media, selten aber
auch Folge einer Mastoiditis, Lues oder Tuberkulose. Eine diffuse
Labyrinthitis kann auch bei Durchtritt von Toxinen durch die
Fenster zu Beginn einer Otitis media (Frçhlabyrinthitis) entste-
hen. Das Cholesteatom (Perlgeschwulst) kann die knæchernen
Strukturen des Labyrinths arodieren, in die Bogengånge einbre-
chen und damit eine Labyrinthitis verursachen. Bei einer Laby-
rinthfistel kommt es bei åuûeren Druckanstiegen zu einer
¹Druckwelleª auf Endolymphe und Perilymphe und damit zu ei-
ner Flçssigkeitsstræmung in den horizontalen Bogengången.

2.6.4 Therapie

Eine spezifische Behandlung des Verschlusses der A. labyrinthi


gibt es nicht. Die akute Labyrinthitis muss antibiotisch hoch-
dosiert mit Penizillin und ggf. zusåtzlich durch Parazentese
oder Labyrinthektomie behandelt werden.

Dauer- oder chronischer Schwindel

Die Beschwerdeschilderung beim Dauer- oder chronischen


Schwindel ist sehr viel ungenauer: Schwankschwindel, Unsi-
cherheit beim Gehen, Orientierungsstærung im Raum, die
Anamnese ist långer, Patient ist beeintråchtigt, im tåglichen Le-
ben jedoch nicht stark eingeschrånkt.
a 2.7 Schwindel durch intrakranielle Raumforderungen z 77

2.7 Schwindel durch intrakranielle Raumforderungen,


insbesondere Tumoren des N. vestibulocochlearis
(VIII. Hirnnerv, Tumor des Kleinhirnbrçckenwinkels,
Akustikusneurinom) [ICD 10: C 72.4]
2.7.1 Definition und Epidemiologie

Grundsåtzlich kænnen alle intrakraniellen Raumforderungen


durch Erhæhung des intrakraniellen Drucks zu schwindelarti-
gen Symptomen bzw. Gangunsicherheit fçhren, doch treten in
den allermeisten Fållen andere fokal neurologische Symptome,
Ausfålle oder Krampfanfålle zuerst auf oder in den Vorder-
grund. Eine Ausnahme stellen die Tumoren den VIII. Hirnner-
ven dar, die sich initial håufig mit einem unsystematischen/un-
gerichteten Schwindel pråsentieren. Akustikusneurinome treten
im Alter zwischen 30 und 50 mit einer Inzidenz von ca. 1 pro
100 000 pro Jahr auf (ca. 1000 neue Fålle pro Jahr in Deutsch-
land).

2.7.2 Klinik und Diagnostik

Anders als es bei einer Låsion des (peripheren) N. vestibularis


anzunehmen ist, entwickelt sich kein plætzlich einsetzender At-
tackenschwindel, sondern ein intermittierend wiederkehrender
(Schwank-)Schwindel sowie Stand- und Gangunsicherheit. Wei-
tere typische Symptome sind eine progrediente Innenohr-
schwerhærigkeit, Tinnitus, Fazialisparesen und Trigeminusaus-
fålle. In spåteren Stadien treten auch Hirnstamm-, Pyramiden-
bahn- und/oder Kleinhirnzeichen hinzu (siehe auch Kap. 14,
Erkrankungen der Hirnnerven).
Apparative Diagnostik: Labyrinthausfall im Elektronystag-
mogramm, ausgefallener Peak I in den akustisch evozierten
Hirnstammpotenzialen (AEHP), Erweiterung des Meatus acusti-
cus internus im Knochenfenster des CT, Darstellung des Tu-
mors im CT mit Kontrastmittel oder im Kernspintomogramm.
78 z 2 Schwindel

2.7.3 Pathophysiologie

Bei den Raumforderungen des Kleinhirnbrçckenwinkels handelt


es sich vorwiegend um Neurinome des N. vestibulocochlearis.
Es kann sich jedoch ± wenn auch seltener ± um Meningeome,
Arachnoidalzysten, Metastasen, Lymphome oder Dermoide
handeln. Gelegentlich kann ein Kleinhirnbrçckenwinkeltumor
auch im Rahmen einer Neurofibromatose entstehen, dann auch
beidseitig. Da die Zunahme der Vestibularisreizung nur lang-
sam und graduell erfolgt, kænnen sich zentrale Kompensations-
mechanismen ausbilden, sodass der Schwindel nicht als akuter
Drehschwindel, sondern lediglich als Schwankschwindel oder
als ungerichtet empfunden wird.

2.7.4 Therapie

Mikrochirurgische Operation. Bei frçhzeitiger Diagnose kann


die Exstirpation des Tumors unter Verschonung des N. facialis
und des N. trigeminus erfolgen.

2.8 Schwindel durch chronische Entzçndungen des ZNS ±


akute Schçbe einer multiplen Sklerose [ICD 10: G 35]
2.8.1 Definition und Epidemiologie

Hierbei handelt es sich um Schwindelanfålle durch akut


entzçndliche Vorgånge an Strukturen des ZNS, insbesondere
im Bereich des Rçckenmarks, des Kleinhirns oder der vestibu-
låren Hirnstammkerne im Rahmen einer multiplen Sklerose
(MS) (siehe auch Kap. 7). Etwa 20±30% der MS-Patienten kla-
gen çber Schwindelsymptome.
a 2.8 Schwindel durch chronische Entzçndungen des ZNS z 79

2.8.2 Klinik und Diagnostik

Durch die disseminierte Verteilung der MS-Herde kænnen un-


terschiedliche Strukturen des ZNS betroffen sein, sodass auch
unterschiedliche Schwindelformen auftreten kænnen. Håufig
werden Lage- und Gleichgewichtsstærungen (auch Schwank-
schwindel) beklagt, die durch Låsionen im Kleinhirns oder an
sensiblen Afferenzen im Rçckenmark verursacht werden. Bei
Entzçndungsherden im Hirnstamm kænnen jedoch auch Dreh-
schwindelattacken mit den Zeichen eines zentral-vestibulåren
Schwindels vorkommen. Die Diagnose stçtzt sich auf die
Anamnese bei bekannter MS. In den Fållen einer bisher leeren
Anamnese muss insbesondere bei jçngeren Patienten ohne vas-
kulåre Risikofaktoren an eine entzçndliche Erkrankung des
ZNS gedacht werden. Dann muss eine weiterfçhrende Diagnos-
tik mit Untersuchung des Liquors (typische Banden), neuro-
physiologischen Untersuchungen (evozierte Potenziale) und
Kernspintomographie des Kopfes erfolgen.

2.8.3 Pathophysiologie

Siehe Kap. 7 und 9, MS und Entzçndungen des Nervensystems.

2.8.4 Therapie

Sie erfolgt nach dem gleichen Schema wie die Behandlung


eines akuten MS-Schubs mittels einer hochdosierten Kortison-
stoûtherapie (1000 mg MP fçr 5 Tage, Details s. Kap. 7, MS).
80 z 2 Schwindel

2.9 Schwindel durch Stærungen des propriozeptiven


oder visuellen Systems
2.9.1 Definition und Epidemiologie

Schwindel durch Stærungen des propriozeptiven oder visuellen


Systems beruhen auf spezifischen Stærungen dieser Systeme (pro-
priozeptiv: Polyneuropathie und andere Neuropathien, Diabetes
mellitus, Alkoholmissbrauch, HWS-Schleudertrauma, Prozesse
im Rçckenmark ± Hinterstrånge ± wie funikulåre Myelose, Tabes
dorsalis, Friedreich-Ataxie; visuell: Schådigung des Auges oder
Sehnervs ± metabolisch wie bei Diabetes, entzçndlich ± Brillen-
wechsel, Zustand nach Linsenentfernung oder Unfall, Doppelbil-
der. Viele dieser Ursachen sind degenerativer Genese und neh-
men im Alter deutlich zu. Genaue epidemiologische Studien exis-
tieren nicht. Es kann davon ausgegangen werden, dass bis zu 20%
der Patienten çber 65 Jahre phasenweise unter einer Form von
chronischem Schwindel leiden, die auf Stærungen des proprio-
zeptiven oder visuellen Systems beruhen, sodass diese Schwin-
delformen wahrscheinlich die håufigsten çberhaupt sind.

2.9.2 Klinik und Diagnostik

Die Beschwerdeschilderung der Patienten ist wesentlich unprå-


ziser als beim akuten Schwindel und die Anamnese meist we-
sentlich långer. Im Falle des propriozeptiven Schwindels wird
håufig Unsicherheit beim Gehen empfunden (im Liegen beste-
hen keine Symptome und im Sitzen nur in weit fortgeschritte-
nen Fållen). Die Symptomatik verstårkt sich bei Dunkelheit
oder wenn die visuelle Kontrolle aufgehoben ist (Augenschlie-
ûen). Die Diagnostik kann schwierig sein, meist bringt jedoch
bereits die grçndliche neurologische Untersuchung eindeutige
Hinweise: Schwanken im Romberg-Stehversuch, Unsicherheit
bei der Lagesinntestung an den Extremitåten, vermindertes Vi-
brationsempfinden, abgeschwåchte Muskeleigenreflexe der unte-
ren Extremitåt. Anders als bei akuten Schwindelformen besteht
kein Nystagmus, die Untersuchung unter der Frenzel-Brille
sollte unauffållig sein. Die Diagnostik muss neuro- bzw. elekt-
a 2.9 Schwindel z 81

rophysiologisch durch Messung der peripheren Nervenleitung-


Geschwindigkeit (NLG) und der zentralen Leitung (evozierte
Potenziale) ergånzt bzw. abgesichert werden. Stærungen des vi-
suellen Systems sind meist durch die Spezifitåt der Beeintråch-
tigung mit typischer Anamnese (Brillenwechsel, Wechsel Brille
zu Kontaktlinse, Doppelbilder) und typischen Befunden in der
neurologischen Untersuchung (Visus, Okulomotorik, Perime-
trie, Hirnnerven) erkennbar. Diagnosesicherung und Therapie
erfolgen durch den Augenarzt.

2.9.3 Pathophysiologie

Unsere Orientierung im Raum beruht auf Sinnesinformationen


von den Gleichgewichtsorganen, dem visuellen System und den
Rezeptoren in Haut, Muskeln und Gelenken. Mit Hilfe der visu-
ellen Wahrnehmung kann die Position des Kopfes und Kærpers
zum Erdboden wahrgenommen werden. Ferner werden durch
das visuelle System auch Bewegungen mit konstanter Geschwin-
digkeit wahrgenommen, die von den Gleichgewichtsorganen
nicht erfasst werden. Rezeptoren in der Haut, in der Fuûsohle
und in den Beinmuskeln sowie in den Gelenken vermitteln dem
Hirnstamm Informationen çber die Stellung der Gelenke im
Raum und çber die Verteilung des Kærpergewichts auf der Fuû-
sohle. In diesem Zusammenhang sind auch Sinnesmeldungen
aus der Nackenmuskulatur und den Gelenken der Halswirbel-
såule wichtig. Alle 3 Systeme sind eng miteinander verknçpft
und durch Reflexe aneinander gekoppelt.
Einige neurologische Erkrankungen wie Polyneuropathien
stæren die afferente Information aus den Fçûen und Beinen, so-
dass es beim Diabetes mellitus, bei der alkoholischen Polyneu-
ropathie, aber auch bei anderen Neuropathien zu Gangunsi-
cherheit und Schwindel kommt. Øhniches gilt fçr nutritiv be-
dingte Erkrankungen des Rçckenmarks, die insbesondere die
Hinterstrånge betreffen, wie der funikulåren Myelose oder
entzçndlichen Erkrankungen (wie z. B. dem inzwischen selten
gewordenen Tabes dorsales, wo insbesondere Hinterstrånge und
hintere Wurzel betroffen sind). Auch nach dem sog. Schleuder-
trauma der Halswirbelsåule kommt es zu teilweise lang anhal-
82 z 2 Schwindel

tendem Schwindel, der typischerweise als unsystematischer


Schwindel mit Gangunsicherheit, nicht jedoch als Drehschwin-
del imponiert. Dieser Schwindel wird am ehesten durch eine
Schådigung der Sensoren in den Nackenmuskeln und den Ge-
lenken der HWS hervorgerufen. Die çblichen degenerativen
Verånderungen der HWS fçhren ± anders als vielfach angenom-
men und diagnostiziert ± nicht zu Schwindel.
Visueller Schwindel entsteht durch plætzliche Ønderungen in
den Abbildungsverhåltnissen der Auûenwelt auf der Netzhaut,
z. B. durch eine neue Brille oder den Wechsel von Brillenglåsern
auf Kontaktlinsen. Auch der Zustand nach Operation eines Ka-
tarakts fçhrt zu einer verånderten Bewegungswahrnehmung
und damit zu Schwindel. Bei bestehenden Doppelbildern im
Rahmen des Schielens oder im Rahmen von Entzçndungen
oder traumatischen Låsionen der Hirnnerven III, IV und VI
kommt es ebenfalls zu einem visuell ausgelæsten Schwindel.

2.9.4 Therapie

Therapeutisch steht die Behandlung der eigentlichen Grund-


erkrankung im Vordergrund. Der sensorische Schwindel ist
einer medikamentæsen Therapie nicht zugånglich. Bei einer be-
kannten visuellen Stærung muss diese behandelt werden. Bei
Doppelbildern kann ein Auge abgedeckt werden. Schwindel im
Rahmen des Schleudertraumas ist ebenfalls einer medika-
mentæsen Therapie nicht zugånglich.

2.10 Schwindel als Nebenwirkung von Medikamenten

Schwindel ist eine der am håufigsten geklagten Nebenwirkung ei-


ner medikamentæsen Behandlung. Hierbei wird allerdings selten
çber Drehschwindel, sondern çber Unsicherheits- und Benom-
menheitsgefçhl geklagt. Schwindel als Nebenwirkung von Medi-
kamenten kommt entweder durch einen raschen Anstieg der Me-
dikamentendosis (z. B. bei Antikonvulsiva oder Betarezeptoren-
blocker) oder durch eine Ûberdosierung zustande. Einige wenige
a 2.11 Håufige nichtneurologische Schwindelformen z 83

Medikamente wie Aminoglykoside kænnen auch das Innenohr


und das Gleichgewichtsorgan unmittelbar schådigen. Folgende
Medikamentengruppen fçhren håufig zu Schwindel:
z Antiallergika,
z Antidepressiva,
z Antihypertensiva,
z Antikonvulsiva,
z Antirheumatika,
z Hypnotika,
z L-Dopa und Dopaminagonisten,
z Muskelrelaxanzien, Antispastika,
z Positiv inotrope Substanzen wie Digitalis,
z Sedativa und Hypnotika.

2.11 Håufige nichtneurologische Schwindelformen

Viele Menschen, die unter einer arteriellen Hypotonie oder einer


orthostatischen Dysregulation leiden, klagen çber ¹Schwindelª.
Es handelt sich dabei nie um einen Drehschwindel, sondern
um ein Benommenheits- und Unsicherheitsgefçhl, insbesondere
beim Wechsel vom Liegen zum Stehen und beim Aufrichten nach
dem Bçcken. Der Schwindel tritt im Liegen nicht auf. Die neuro-
logische Untersuchung ist unauffållig, Elektronystagmographie
und Vestibularisprçfung sind normal. Eine Therapie erfolgt hier
durch sportliche Betåtigung und nicht mit Medikamenten. Auch
hypertone Phasen kænnen Schwindelgefçhle erzeugen, die am
ehesten als Schwankschwindel beschrieben werden. Herzrhyth-
musstærungen kænnen ebenfalls als ¹attackenartigª auftretender
Schwindel empfunden werden, wobei jedoch nie Drehschwindel
beklagt wird. Vereinzelt kann auch bei anderen internistischen
Erkrankungen (Anåmien, Blutbildverånderungen) Schwindel
auftreten. Nicht selten ist Schwindel auch ein Symptom bei De-
pressionen. Typisch ist hierbei, dass der Patient groûe Schwierig-
keiten hat, den ¹Schwindelª beim Arzt genau zu beschreiben. Be-
gleitsymptome sind Leistungsminderung, Antriebsschwåche, Ge-
dåchtnisstærungen, Stimmungstief und Schlafstærungen. Der
84 z 2 Schwindel

Schwindel wird in diesen Fållen durch die thymoleptische Be-


handlung gebessert, wobei Thymoleptika selbst zu Beginn den
Schwindel sogar noch verstårken kænnen.

2.12 Phobischer Schwindel [ICD 10: F 45.8, F 44.8]

Schwindel tritt auch håufig im Rahmen von Phobien auf. Typi-


sche Beispiele hierfçr sind die Platzangst (Agoraphobie) und
sog. Panikattacken, die mit Herzklopfen, Schweiûausbrçchen,
Globusgefçhl im Hals, Engegefçhl im Bereich der Brust und
unsystematischem Schwindel einhergehen. Die Behandlung er-
folgt hier verhaltenstherapeutisch. Bei starken Angstzustånden
kænnen kurzfristig Anxiolytika eingesetzt werden. Ist eine me-
dikamentæse Langzeittherapie erforderlich, sollte diese mit tri-
zyklischen Antidepressiva oder Betablockern erfolgen.

2.13 Physiologische Schwindelformen

z Hæhenschwindel
Hæhenschwindel tritt bei manchen Personen auf, wenn sie von
hohen Gebåuden oder einer steil abfallenden natçrlichen Struk-
tur wie einer steilen Wand in den Bergen hinunterschauen. Die-
ser Hæhenschwindel ist von Standunsicherheit, Angstgefçhl und
Herzklopfen begleitet. Er hat çblicherweise eine natçrliche
Funktion, da er den Menschen vor gefåhrlichen Positionen war-
nen soll. Der Schwindel kommt zustande, da die minimalen
Kærperschwankungen durch den weit entfernten Horizont vom
visuellen System nicht wahrgenommen werden, das propriozep-
tive und vestibulåre System dies allerdings kann. Aus dem sen-
sorischen Konflikt (mismatch) resultiert ¹Schwindelª. Personen,
die zum Hæhenschwindel neigen, sollten sich in den beschrie-
benen Situationen an einem Gelånder oder an einer anderen
Person festhalten. Eine medikamentæse Therapie gibt es nicht.
a 2.13 Physiologische Schwindelformen z 85

z Bewegungskrankheit
Die Bewegungskrankheit tritt i. Allg. dann auf, wenn der Mensch
passiv fortbewegt wird, sei es im Auto, Omnibus, auf einem Schiff
oder im Flugzeug. Ursache ist ein Wahrnehmungskonflikt zwi-
schen den 3 Sinnessystemen Auge, Gleichgewichtsorgan und La-
gesinn. Ein typisches Beispiel ist das Lesen in einem Kraftfahr-
zeug. Hier melden die Augen Ruhe und die Gleichgewichtsorgane
Bewegung. Typische Symptome der Bewegungskrankheit (Kine-
tose) sind Gåhnen, Mçdigkeit und leichter Schwindel, spåter
Schweiûausbrçche, Herzklopfen, Blåsse, Ûbelkeit und Erbrechen.

2.13.1 Therapie

Der Bewegungskrankheit vorbeugen kann man durch einen op-


timalen visuellen Eindruck wåhrend der Bewegung (z. B. beim
Schiff auf Deck bleiben). Die medikamentæse Vorbeugung kann
mit einem Antihistaminikum z. B. Dimenhydrinat (Vomex) er-
folgen. Wirksam ist auch 0,5 mg Scopolamin (Scopoderm TTS-
Membranpflaster).
86

Anhang 2.1 Medikamentæse Akutbehandlung des Morbus Meni re und der Neuritis vestibularis
z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [mg] 1 Attacke/Monat 2 Attacken/Monat
[1 ] [1 ] [1 ]
2 Schwindel

Akuttherapie
Metoclopramid
z Trpf. MCP-Isis Trpf., 20 ml, N1, 10,24 10±20 2,56 5,12
1 ml = 15 Trpf.= 4 mg, (bei 20 mg)
Alpharma Isis GmbH & Co
z Supp. MCP 10 V Ct, 5 St., N1 10,92/2,18 10 2,18 4,368
Ct-Arzneimittel GmbH,
1 Supp.= 10 mg
z i.v., i.m. MCP Hexal Injekt, 5 St., 10,87/2,17 10 2,17 4,348
N1, Hexal AG,
1 Amp.= 10 mg
Domperidon
z Trpf. Motilium, 30 ml, N2, 22,68 20±30 1,52 3,024
Atlanta Pharma (bei 20 mg)
DTL GmbH, 1 ml = 10 mg
z Tbl. Domperidon TEVA, 15,80/0,79 20±30 1,58 3,16
20 St., N1, Alind Pharma, (bei 20 mg)
1 Tbl.= 10 mg
a

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [mg] 1 Attacke/Monat
[1 ] [1 ]

Antihistaminika
Dimenhydrinat
z Tbl. Reisetabletten, 10 St., 1,95/0,16 50/4±6 h 1,95
N1, Luenopharm GmbH, (bei 10 Tbl. in 2 Tagen)
50 mg
z Supp. Vomex A 150 mg 8,25/0,83 1±2 ´ 150/Tag 1,66
10 St., N1
Yamanouchi Pharma GmbH (bei 2 Supp. in 2 Tagen)
Anhang 2.1 Medikamentæse Akutbehandlung des Morbus Meni re
z
87
88

Anhang 2.2 Prophylaktische Behandlung des Morbus Meni re


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei tgl.


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] Einnahme/Monat [1 ]

Prophylaxe
2 Schwindel

Kalziumantagonisten
Flunarizin und Cinnarizin
z Kps. Flunarizin Acis 5, 100 St., 33,18/0,33 10 mg/Tag 23,40
N3, Acis Arzneim. GmbH
z Tbl. Cinnarizin forte von RAN 18,19/0,18 2 ´ 75 mg/Tag 10,8
75 mg, 100 St., N3
PE-Arzneim. Pharma GmbH
Neuroleptika, Serotoninantagonisten, Antihistaminika
Sulpirid
z Kps. Sulpirit 50 mg, 100 St., N3, 21,81/0,22 75±300 mg 19,8
1A Pharma GmbH (bei 150 mg)
Ondansetron
z Tbl. Zofran 4 mg Zydis Lingual, 123,52/12,35 3 ´ 4 mg/Tag 1111,5
10 St., N1, Glaxo Smithkline
Betahistin
z Tbl. Betahistin AL 6 mg, 15,34/0,15 3 ´ 6 mg/Tag 13,5
100 St., N3, Alind-Pharma
a

Anhang 2.3 Medikamentæse Behandlung eines Schwindels im Rahmen eines MS-Schubs

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [mg] 5 Tagen Einnahme
[1 ] [1 ]

Methylprednison
z Trockensubstanz Metypred 1000 mg, forte 52,80 1000 mg 264
1 Inj.-Fl., Galen Pharma fçr 5 Tage
Ranitidin
z Tbl. Junizac 150 mg, 20 St., 11,11/0,56 150±300 2,8
N1, Jula Pharm/Q-Pharm (bei 150 mg/Tag)
Kalium
z Brausetbl. Kalinor, 15 St., N1, 7,40/0,49 40 mM/Tag 2,45
Abbott GmbH & Co. KG (1 Brausetbl./Tag)
1 Brausetbl.= 40 mM
Kalzium
z Brausetbl. Calcivit 600, N1, 6,36/0,32 600 1,6
20 St., Hexal AG
Anhang 2.3 Medikamentæse Behandlung eines Schwindels

Enoxaparin
z s. c. Clexane 40 mg, 10 St., 89,73/8,97 40 44,85
z

N1, Aventis Pharma


89
90

Anhang 2.4 Medikamentæse Behandlung der Bewegungskrankheit (Kinetose)


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [mg] tåglicher Einnahme/
[1 ] Monat [1 ]
2 Schwindel

Dimenhydrinat
z Tbl. Apovital Reisetabletten 30 mg, 3,7/0,37 50/4±6 h 3,7
10 St. N1 (bei 10 Tbl.
Apovital GmbH in 2 Tagen)
Scopolamin
z Pflaster Scopoderm TTS Membranpfl., 25,62 1 Pflaster/ 51,24
5 St., N2, 1,5 mg/72 h 3 Tage (bei 2 Pflastern)
Novartis CH, VL NCH
a

Anhang 2.5 Medikamentæse Behandlung einer vertebrobasilåren Ischåmie

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [mg] tåglicher Einnahme/
[1 ] Monat [1 ]

Phenprocoumon
z Filmtbl. Falithrom, 100 St., N3, 121,82/0,22 nach INR-Zielwert 6,6
Hexal AG (bei 1 ´ tgl. Einnahme)
Warfarin
z Tbl. Coumadin, 100 St., N3, 22,36/0,22 nach INR-Zielwert 6,6
Bristol-Meyers Squibb (bei 1 ´ tgl. Einnahme)

Thrombozytenaggregationshemmer
Acetylsalicylsåure
z Tbl. ASS 100-1A Pharma, 2,8/0,03 50±300/Tag 0,9
100 St., N3, 1A Pharm. (bei 100 mg/Tag)
Clopidogrel
z Filmtbl. Plavix 100 St., N3 250,49/2,5 75 75
Sanofi-Synthelabo GmbH
Anhang 2.5 Medikamentæse Behandlung
z
91
3 Zerebrale Durchblutungsstærungen
(Schlaganfålle)
Hans-Christoph Diener

3.1 Zerebrale Ischåmien [ICD 10: I 63]

3.1.1 Definition und Epidemiologie


Ischåmien beruhen auf einer plætzlichen Minderversorgung der
Neurone mit Sauerstoff, die in der Regel durch eine Mangel-
durchblutung bedingt ist. Diese sinkt unter den kritischen
Wert, den die Autoregulation des zerebralen Gefåûbettes noch
kompensieren kann. Der håufig verwendete Begriff ¹Schlag-
anfallª umfasst neben den reinen Ischåmien auch intrazerebrale
94 z 3 Zerebrale Durchblutungsstærungen (Schlaganfålle)

Blutungen, die åhnliche Symptome verursachen, aber andere


Ursachen und andere therapeutische Konsequenzen haben.
Schlaganfålle sind die dritthåufigste Todesursache nach Herz-
erkrankungen und malignen Tumoren. 80% aller Schlaganfålle
beruhen auf Durchblutungsstærungen (ischåmische Insulte), et-
wa 10±15% auf intrazerebralen Blutungen und etwa 2±5% auf
Subarachnoidalblutungen.

3.1.2 Klinik und Diagnostik

Im Hinblick auf die derzeit mæglichen therapeutischen Kon-


sequenzen werden zerebrale Durchblutungsstærungen wie folgt
eingeteilt:

z 1. Asymptomatische Personen. Hierbei handelt es sich um


durch Ultraschall (Doppler-Sonographie, Duplexsonographie)
oder angiographisch gesicherte (zufållig erkannte) Stenosen
oder Verschlçsse der hirnversorgenden Arterien ohne neurolo-
gische Ausfålle. Bei genauer Untersuchung haben bis zu 20%
dieser Patienten klinisch stumme Ischåmieareale im CCT und
30% in der Kernspintomographie.

z 2. Fokale Ischåmien. Hier liegen umschriebene Durchblutungs-


stærungen in einem spezifischen Gefåûabschnitt vor. Klinisch
wird dabei die transiente ischåmische Attacke (TIA) abge-
grenzt, bei der es zu temporåren neurologischen Ausfållen
kommt, die meist nur wenige Minuten anhalten und spåtestens
nach 24 h vollståndig abklingen. Håufig handelt es sich um
flçchtige Sehstærungen (Amaurosis fugax), Hemihypåsthesien,
Låhmungen und Sprach- oder Sprechstærungen. Differenzial-
diagnostisch muss bei flçchtigen Symptomen auch an eine Mi-
gråne mit Aura oder fokale epileptische Anfålle mit einer Todd-
Parese gedacht werden.
Dauern die Symptome långer als 24 h, besteht ein Insult oder
ein ¹kompletter Schlaganfallª , dessen Klinik und Prognose von
Lokalisation und Ausmaû des ischåmischen Areals determiniert
wird. Bezçglich der Prognose unterscheidet man einen leichten
Schlaganfall mit geringer Behinderung (engl. minor stroke) von
a 3.1 Zerebrale Ischåmien z 95

einem schweren Schlaganfall mit Pflegebedçrftigkeit (major


stroke). Ist die gesamte A. cerebri media verschlossen, ent-
wickelt sich u. U. ein sog. maligner Mediainfarkt, der mit einer
Mortalitåt von bis zu 85% einhergeht. In speziellen Zentren
kann diese durch eine rechtzeitige Kraniektomie deutlich redu-
ziert werden.
Morphologisch lassen sich Durchblutungsstærungen ferner
einteilen in:
z Territorialinfarkte (embolischer Verschluss der A. cerebri
media oder einer ihrer Øste durch kardiale oder arterioarte-
rielle Embolien),
z håmodynamische Infarkte (subkortikal gelegene Infarkte in
der Grenzzone zwischen Versorgungsgebieten durch Ver-
schluss proximaler Gefåûabschnitte),
z lakunåre Infarkte (mikroangiopathisch durch den Verschluss
kleiner bis kleinster arterieller Endabschnitte).

z 3. Hypertensive Enzephalopathie. Diese Form der Erkrankung


ist eine akut auftretende neurologische Folgeerscheinung einer
exzessiven Blutdruckerhæhung, beispielsweise nach Absetzen
von Antihypertensiva. Im Vordergrund stehen heftige Kopf-
schmerzen, rasche Bewusstseinstrçbung und epileptische Anfål-
le.

z 4. Vaskulåre Demenz (siehe auch Kap. 5). Sie zeichnet sich


durch den progredienten Verlust hæherer Hirnfunktionen wie
Kurzzeitgedåchtnis, Konzentrationsfåhigkeit und Orientierungs-
vermægen aus und ist durch chronische Durchblutungsstærun-
gen bedingt. Das çberholte Konzept der Multi-Infarkt-Demenz
(MID) ging davon aus, dass wiederholte Schlaganfålle zu einer
so ausgedehnten Gewebsschådigung im Gehirn fçhren, dass ei-
ne Demenz resultiert. Im deutschen Sprachraum wird dagegen
von einer subkortikalen arteriosklerotischen Enzephalopathie
(SAE) oder einer Binswanger-Erkrankung gesprochen. Hier
geht man von einer Hyalinose kleiner Hirnarterien im Mark-
lager aus, die langsam zunehmend zu einer Demenz, zu Ganga-
praxie und zu Blasenstærungen fçhrt. Darçber hinaus kommt
es håufig zu lakunåren Infarkten mit guter Rçckbildungsten-
denz.
96 z 3 Zerebrale Durchblutungsstærungen (Schlaganfålle)

z 5. Intrazerebrale Blutungen (siehe Abschn. 3.2). Die meisten


intrazerebralen Blutungen treten im Rahmen einer hypertonen
Krise im Bereich der Stammganglien auf. Subarachnoidalblu-
tungen hingegen entstehen meist als Folge rupturierter Aneu-
rysmen, v. a. im Abschnitt der A. cerebri anterior communicans.
Neben den typischen auch motorischen Ausfållen stehen hier ±
insbesondere bei der Subarachnoidalblutung ± heftige bis hef-
tigste Kopfschmerzen im Vordergrund (siehe auch Kap. 1). Da-
neben zeigen Patienten mit Blutungen meist ausgeprågtere Zei-
chen vegetativer Unruhe, gefolgt von einer Bewusstseinstrç-
bung.

z Diagnostik. Aufgrund der heute mæglichen Einsetzbarkeit von


systemischer wie lokaler Lyse, aber auch neurochirurgischer
Maûnahmen wie Hemikraniektomie bei malignen Mediainfarkten
oder Ventrikeldrainage bei Infarkten in der hinteren Schådelgru-
be hat sich die Diagnostik entscheidend geåndert und erweitert.
Folgende diagnostische Maûnahmen sind daher obligatorisch:
z Computertomographie/MRT: Ausschluss Blutung, durch In-
farktmorphologie mæglichst bereits Hinweis auf Øtiologie
(siehe oben), Lokalisation und Græûe (> 1/3 einer Hemisphå-
re keine Lyse, groûe Mediainfarkte enges Monitoring bei
eventueller Indikation zur Hemikraniektomie); bei Hirn-
stamminfarkten ist die MRT der kranialen Computertomo-
graphie (CCT) aufgrund der besseren lokalen Darstellbarkeit
çberlegen. Sofern mæglich, ist die MRT der CCT inzwischen
grundsåtzlich vorzuziehen, da sie durch diffusions- und per-
fusionsgewichtete Aufnahmen eine wesentlich bessere zeitli-
che Auflæsung ermæglicht und andere differenzialdiagnosti-
sche Erwågungen erleichtert (z. B. Frçhphase eines Infarktes,
Abgrenzung zu Vaskulitis, Dissekaten, Mikroangiopathien).
Die CT- bzw. MR-Angiographie zeigt auch Gefåûstenosen
und -verschlçsse.
z Doppler/Duplex/transkranieller Duplex: Ausschluss bzw.
Nachweis und ggf. Lokalisation des Gefåûverschlusses zur
Lyseindikation; Nachweis von Dissekaten (insbesondere bei
Schlaganfållen junger Patienten); bei Hirnstamminfarkten
Ausschluss/Nachweis von Basilarisverschlçssen (græûeres Ly-
se-Fenster).
a 3.1 Zerebrale Ischåmien z 97

z EKG: Rhythmusstærungen als Ursache kardioembolischer Ge-


schehen.
z Transæsophageales Herzecho (TEE): bei v. a. kardioemboli-
scher Genese, bei jungen Patienten zum Ausschluss/Nachweis
offenes Foramen ovale, Endokarditis, Klappenvitien.
z Labor: allgemeine Parameter (Ausschluss Polyglobulie), Dia-
betes (Therapieoptimierung), insbesondere bei jçngeren Pa-
tienten Vaskulitisdiagnostik (ANA, ANCA, Phospholipidanti-
kærper, Komplementfaktoren, Lues, HIV), Gerinnungsstærun-
gen (Protein S und C, ATIII, APC-Resistenz, Faktor II±V-
Mutation, Fibrinogen); ggf. Drogenscreening (Gefåûspasmen
bei Kokain).
z Angiographie: wenn v. a. andere primåre Gefåûerkrankungen
wie Moya-Moya, vaskulåre Malformationen oder Angiome
bestehen.

3.1.3 Pathophysiologie

Durchblutungsstærungen kænnen verschiedene Ursachen haben,


z. B. Makroangiopathien, kardiale Embolien, Mikroangiopathi-
en, und andere seltene Ursachen (Entzçndung, Trauma, Gerin-
nungsstærungen):

z Makroangiopathien. Auf dem Boden arteriosklerotischer Gefåû-


wandverånderungen, bevorzugt bei håmodynamisch relevanten
Stenosen hirnversorgender Arterien, kommt es zur Anlagerung
von Blutplåttchen und zur Bildung eines Blutgerinnsels aus Blut-
plåttchen (Plåttchenthrombus). Dieser kann sich ablæsen und zu
einem Verschluss einer der intrazerebralen Arterien fçhren. Es
kann aber auch zu einer lokalen Thrombose eines hirnversorgen-
den Gefåûes kommen. Hier setzt die Prophylaxe mit Thrombozy-
tenfunktionshemmern an, die die Anlagerung von Thrombozyten
an die geschådigte Gefåûwand verhindern soll. Operationen
hochgradiger Stenosen sollen arterioarterielle Embolien oder
den vollståndigen Gefåûverschluss verhindern.

z Kardiale Embolie. Hier kommt es zur Bildung eines Gerin-


nungsthrombus im Vorhof des Herzens bei Herzrhythmusstæ-
98 z 3 Zerebrale Durchblutungsstærungen (Schlaganfålle)

rungen (absolute Arrhythmie), an den Herzklappen bei einer


Herzklappeninsuffizienz oder -stenose, bei einer Endokarditis
oder nach Herzinfarkt und bei ausgeprågter Herzinsuffizienz.
Zur Vorbeugung des Schlaganfalls kommen hier Antikoagulan-
zien zum Einsatz.

z Mikroangiopathie. Im Rahmen einer Hyalinose kleiner penetrie-


render Arterien und Arteriolen im Marklager kann es zu lakunå-
ren Infarkten kommen. Die Låsionen sind hier nur einige Milli-
meter groû und fçhren beispielsweise zu einer reinen Hemipare-
se, einer Hemihypåsthesie oder einer Hemiataxie. Lakunen
kænnen auch im Hirnstamm und im Kleinhirn auftreten. Haupt-
risikofaktoren sind die Hypertonie und der Diabetes mellitus.

z Gerinnungsstærungen. Ursachen sind ein genetisch bedingter


ATIII-Mangel, Protein-S- und Protein-C-Mangel, APC-Resistenz
(Faktor-V-Mutation) und Faktor-II-Mutationen. Diese Øtiolo-
gien sind insbesondere bei jçngeren Patienten differenzialdiag-
nostisch zu beachten.

z Seltene Ursachen. Hierzu gehæren Autoimmunerkrankungen


mit Vaskulitis, Arteriitis temporalis, Dissektionen hirnversor-
gender Arterien, erhæhte Gerinnungsneigung (Polyglobulie,
starker Alkoholgenuss und starke kærperliche Anstrengung
ohne Flçssigkeitsersatz), Konsum von Kokain, Schlaganfålle im
Rahmen von diagnostischen Angiographien, Komplikationen
chirurgischer Eingriffe an den Blutgefåûen oder am Herzen.

3.1.4 Therapie und Prognose

z Primårpråvention. Trotz der in den letzten Jahren verbesserten


Behandlungsmæglichkeiten nimmt die Primårpråvention sowie
die Behandlung der wichtigsten Risikofaktoren einen entschei-
denden Platz ein. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen
in den letzten 20 Jahren haben eindeutig zeigen kænnen, dass
die Behandlung einer Hypertonie das Schlaganfallrisiko um bis
zu 40% senkt. In Endpunktstudien ist der pråventive Nutzen
von Diuretika, Betarezeptorenblockern, Kalziumantagonisten,
a 3.1 Zerebrale Ischåmien z 99

ACE-Hemmern und Sartanen belegt worden. Der pråventive


Nutzen ist umso græûer, je stårker der Blutdruck gesenkt wird.
Auch åltere Menschen mit Hypertonie profitieren von der Blut-
drucksenkung. Des Weiteren kann die Behandlung anderer Ri-
sikofaktoren wie Diabetes mellitus, Hypercholesterinåmie, Rau-
chen und Ûbergewicht das Schlaganfallrisiko senken, allerdings
nicht im selben Ausmaû wie die Behandlung des erhæhten Blut-
drucks. Regelmåûiges Ausdauertraining mindestens dreimal
pro Woche senkt das Schlaganfallrisiko um 20%. Auch kleine
Mengen von Alkohol sind pråventiv wirksam.

z Medikamentæse Primårpråvention. Groûe Primårpråventions-


studien zeigten einen prophylaktischen Nutzen einer tåglichen
Einnahme von Acetylsalicylsåure nur fçr Frauen mit vaskulåren
Risikofaktoren. Patienten, die einen Myokardinfarkt erlitten ha-
ben, senken durch die Anwendung von Simvastatin (Denan, Zo-
cor), Pravastatin (Liprevil, Mevalotin, Pravasin) oder Atorvasta-
tin (Sortis) ihr Schlaganfallrisiko um 20±30%.
Bei absoluter Arrhythmie besteht ein Schlaganfallrisiko von
5% pro Jahr. Das Risiko ist umso hæher, je mehr vaskulåre Risi-
kofaktoren vorhanden sind. Mit Hilfe einer Antikoagulation mit
Phenprocoumon (Marcumar) (INR 2,0±3,0) kann das Risiko ei-
nes Schlaganfalls um 60±80% verringert werden. Diese Form
der Schlaganfallvorbeugung muss bei Menschen çber 75 Jahre
unter sorgfåltiger Abwågung von Nutzen (Verhinderung eines
ischåmischen Insults) und Risiko (zerebrale Blutung) erfolgen
(Tabelle 3.1). Bei Kontraindikationen fçr eine Antikoagulation
wird die Prophylaxe mit 300 mg Acetylsalicylsåure durchgefçhrt.

z Karotisoperation. Die Operation einer asymptomatischen Ste-


nose der A. carotis interna von çber 60% verringert das Schlag-
anfallrisiko um relativ 40%. Ein pråventiver Nutzen besteht nur,
wenn die Komplikationsrate der Operation im jeweilgen Zent-
rum unter 3% liegt. Sind diese Voraussetzungen nicht gewåhr-
leistet ist das Risiko der Operation hæher als der mægliche Nut-
zen. Fçr symptomatische Patienten mit Stenosen çber 70% gel-
ten jedoch andere Empfehlungen (siehe S. 105). Der langfristige
pråventive Nutzen des Karotisstenting ist noch nicht belegt.
100 z 3 Zerebrale Durchblutungsstærungen (Schlaganfålle)

Tabelle 3.1. Primårpråvention des ischåmischen Insults


(ASS: Acetylsalicylsåure, INR: international normalized ratio)

Patienten Empfohlene Pråvention

z Primårpråvention (asymptomatisch) Behandlung der Risikofaktoren


z Idiopathisches Vorhofflimmern ohne Keine
vaskulåre Risikofaktoren, Alter < 65 Jahre
z Idiopathisches Vorhofflimmern, keine ASS 300 mg
vaskulåren Risikofaktoren, Alter > 65 Jahre
z Absolute Arrhythmie, vaskulåre Risikofaktoren Antikoagulation mit einer
(Hypertonie, Diabetes mellitus, INR 2±3, Alter > 75 Jahre INR 2
Herzinsuffizienz, Rauchen)
z Absolute Arrhythmie, Kontraindikationen ASS 300 mg
fçr Antikoagulation
z Absolute Arrhythmie, Alter çber 75 Jahre, ASS 300 mg
Risikofaktoren, die gegen eine Antikoagulation
sprechen (z. B. vaskulåre Enzephalopathie)

z Therapie des akuten ischåmischen Infarkts


z Allgemeine Empfehlungen. Beim akuten Schlaganfall ent-
wickeln sich die klinischen Ausfålle innerhalb weniger Minuten.
20% der Patienten mit einem akuten ischåmischen Insult ster-
ben innerhalb der ersten Woche, meist durch Sekundårkompli-
kationen wie Hirnædem, Aspirationspneumonie, Lungenembolie
und Sepsis. Prognostisch ungçnstige Faktoren sind initiale Be-
wusstseinsstærung, Alter çber 70 Jahre, komplette Hemiplegie
mit Blickwendung, vorausgegangene Schlaganfålle und sympto-
matische koronare Herzerkrankung.
Bei Schlaganfållen sollte die Dringlichkeit einer stationåren
Einweisung mit der gleichen Prioritåt betrachtet werden wie
bei einem Herzinfarkt. Entscheidend ist die mæglichst frçhzei-
tige Intervention. Folgendes Vorgehen empfiehlt sich bei einem
akuten Schlaganfall:
z Atemwege freihalten, im Falle respiratorischer Insuffizienz
Sauerstoff-Gabe, venæser Zugang;
z Blutdruck messen und Dokumentation fçr die nachbehan-
delnden Ørzte im Krankenhaus, erhæhte Blutdruckwerte
a 3.1 Zerebrale Ischåmien z 101

mçssen fçr den Transport ins Krankenhaus nicht gesenkt


werden; eine Blutdrucksenkung ist nur bei einer manifesten
hypertensiven Krise mit systolischen Blutdruckwerten çber
250 mmHg notwendig;
z durch Sticks Ausschluss einer Hypoglykåmie; Hypoglykåmi-
en fçhren aber in der Regel zu diffusen neurologischen Aus-
fållen wie epileptischen Anfållen oder Bewusstseinstrçbun-
gen und nur selten zu einer Halbseitensymptomatik;
z schneller Transport in ein kompetentes Krankenhaus (Lyse-
Fenster 3 h!), das çber eine entsprechende Infrastruktur zur
Diagnostik und Therapie des Schlaganfalls verfçgt (Stroke-
Unit);
z soweit mæglich, sollten dem Patienten die Medikamente, die
er bisher eingenommen hat, mitgegeben werden; da etwa ein
Drittel aller Patienten unter Sprachstærungen leidet, kænnen
sie selbst dem nachbehandelnden Arzt diese Auskçnfte nicht
geben;
z der Patient sollte in jedem Fall auf der empfangenden Stroke-
Unit telefonisch angekçndigt werden, sodass die notwendige
diagnostische Infrastruktur bei Ankunft bereit steht (Bereit-
stellung von CT, Doppler, Monitoring und Bett auf der
Schlaganfallstation).

Schwerpunkt des therapeutischen Bemçhens im Krankenhaus ist


in der Frçhphase des ischåmischen Infarkts die Stabilisierung
physiologischer Parameter. Prospektive Studien zeigen, dass eine
langsame Senkung des Blutdrucks, Behandlung erhæhter Blut-
zuckerspiegel, Senkung erhæhter Kærpertemperatur und Vermei-
dung einer Hypoxie die Prognosen deutlich verbessern.
Kurz nach einem Schlaganfall steigt håufig der Blutdruck an,
fållt aber nach einigen Stunden ohne weitere Therapie spontan
wieder ab. Daher sollte zunåchst keine Blutdrucksenkung erfol-
gen. Eine antihypertensive Therapie ist nur notwendig, wenn
çber mehrere Stunden systolische Blutdruckwerte von çber
220 mmHg und diastolische Blutdruckwerte von çber
120 mmHg bestehen. Wenn eine Senkung erhæhter Blutdruck-
werte notwendig wird, erfolgt die Therapie mit peripher wirk-
samen antiadrenergen Substanzen, die, wie Uradipil, in oraler
und parenteraler Applikationsform zur Verfçgung stehen (z. B.
102 z 3 Zerebrale Durchblutungsstærungen (Schlaganfålle)

Ebrantil). Bei systolischen Blutdruckwerten unter 120 mmHg


erfolgt eine Blutdruckanhebung durch Volumengabe und ggf.
Dopamin oder Sympathomimetika. Die folgenden therapeuti-
schen Maûnahmen sind sehr wahrscheinlich wirksam:
z Beibehaltung des systolischen Blutdrucks in einem Intervall
zwischen 120 und 220 mmHg,
z rasche Senkung erhæhter Blutzuckerspiegel (> 150 mg/dl),
ggf. durch vorçbergehenden Einsatz von Insulin,
z aggressive Senkung erhæhter Temperaturen durch Kçhlung,
Paracetamol und ggf. Antibiotika bei nachgewiesener Infek-
tion,
z Ûberwachung der Sauerstoffsåttigung (Pulsoxymetrie), bei
Hypoxie Gabe von Sauerstoff, ggf. Intubation und Beatmung,
z Monitoring der Herzfunktion und Behandlung von Herz-
rhythmusstærungen,
z Thromboseprophylaxe mit niedrig dosiertem Heparin oder
niedermolekularem Heparin, Gummistrçmpfe, passive
Durchbewegung der paretischen Extremitåten,
z optimale Lagerung, håufiges Umlagern zur Dekubitusprophy-
laxe, frçhzeitiges Einsetzen von Krankengymnastik, Logopå-
die und Ergotherapie.

z Differenzialtherapie. In einem Zeitfenster von 3 h nach Beginn


der klinischen Symptomatik kann eine systemische Thromboly-
se mit rekombinantem Gewebeplasminogenaktivator (rtPA, Al-
teplase 0,9 mg/kg KG i.v., davon 10% als Bolus, den Rest çber
1 h) erfolgen wenn folgende Kriterien erfçllt sind:
z computertomographischer Ausschluss einer Blutung,
z die Ischåmie betrågt nicht mehr als ein Drittel des Mediater-
ritoriums,
z der Patient hat sich in den vorangegangenen 3 Monaten kei-
ner Operation unterzogen,
z der Blutdruck betrågt <160/90 mmHg.

Die Behandlung sollte nur durch Ørzte mit Erfahrung in der


neurologischen Intensivmedizin erfolgen. Hauptkomplikation
ist hier die intrazerebrale Blutung (5±10%). Im Zeitfenster zwi-
schen 3 und 6 h kann bei Verschluss der A. cerebri media eine
lokale Lyse durch einen Neuroradiologen erfolgen. Die Lyse
a 3.1 Zerebrale Ischåmien z 103

kommt aber nur bei 5±7% der Patienten mit akutem Schlag-
anfall in Betracht. Bei Verschlçssen der A. basilaris ist das Zeit-
fenster zur lokalen Lyse långer und betrågt bis zu 12 oder sogar
24 h. Bei nachgewiesenem kardialen Thrombus oder Karotis-
bzw. Vertebralisdissekaten erfolgt eine PTT-wirksame Heparini-
sierung. Die çbrigen Patienten werden mit ASS (100 mg/Tag)
behandelt (Tabelle 3.2).
Beim ischåmischen Insult in der hinteren Schådelgrube kann
es durch das Údem zu einem Verschlusshydrozephalus kom-
men, der das Anlegen einer externen Ventrikeldrainage durch
den Neurochirurgen erforderlich macht. Bei groûen Infarkten
muss eine operative Entlastung der hinteren Schådelgrube vor-
genommen werden.

Tabelle 3.2. Differenzialtherapie des akuten ischåmischen Insults

Therapie Indikation

z rt-PA systemisch Ischåmischer Insult, Zeitfenster 0±3 h,


nachgewiesener Verschluss
der A. cerebri media oder eines Asts
z rt-PA lokal Ischåmischer Insult, Verschluss der A. cerebri
media (Zeitfenster 3±6 h), Verschluss
der A. basilaris (Zeitfenster bis zu 24 h)
z Heparin in PTT-wirksamer Dosis Nachgewiesene kardiale Emboliequelle
mit hohem Risiko (z. B. Vorhofthrombus),
evtl. bei Dissektionen der A. carotis interna
oder A. vertebralis
z Heparin oder niedermolekulares Zur Prophylaxe tiefer Beinvenenthrombosen
Heparin s.c. und Lungenembolien
z ASS 100 mg Alle anderen Patienten, bei Ausschluss
einer Blutung, auûerhalb des Lyse-Fensters
oder der Lyse-Kontraindikationen

z Ventrikeldrainage Ischåmie im Bereich der hinteren


Schådelgrube, insbesondere des Kleinhirns
z Hemikraniektomie Kompletter Verschluss der A. cerebri media
mit konsekutivem malignen Hirnædem
104 z 3 Zerebrale Durchblutungsstærungen (Schlaganfålle)

Bei groûen raumfordernden Mediainfarkten erfolgt eine anti-


ædematæse Therapie mit Mannit, Intubation und leichter Hy-
perventilation sowie Hochlagerung des Oberkærpers um 308.
Bei jçngeren Patienten kann in dafçr spezialisierten Zentren
mit Intensivstationen eine groûzçgige Schådeltrepanation mit
Duraplastik durchgefçhrt werden. Die entnommene Kalotte
wird nach ca. 3 Monaten wieder eingesetzt. Unwirksam sind:
z Behandlung des Hirnædems mit Kortison,
z Gabe von Vasodilatatoren und Vasokonstriktoren,
z systemische Gabe von Streptokinase,
z Håmodilution mit Dextran oder Hydroxyethylstårke,
z systemische Gabe von Heparin in PTT-wirksamer Dosis.

z Sekundårprophylaxe nach TIA oder leichten Schlaganfållen


Das Risiko, nach einer TIA einen Schlaganfall zu erleiden, be-
trågt 5±10% pro Jahr. Das Risiko, einen schweren Schlaganfall
nach einem leichten Schlaganfall zu erleiden, betrågt 10±15%
pro Jahr. Das Risiko, nach einem schweren Schlaganfall einen
weiteren, dann meist tædlichen, Schlaganfall zu erleiden, be-
trågt 10% pro Jahr. Dies verdeutlicht, warum die Sekundårprå-
vention nach flçchtigen Durchblutungsstærungen des Gehirns
und nach einem bereits eingetretenen Schlaganfall wichtig ist.

z Behandlung von Risikofaktoren. Wie schon bei der allgemeinen


Vorbeugung gilt, dass eine Behandlung der Risikofaktoren Hy-
pertonie, Rauchen, Diabetes mellitus, erhæhte Blutfette und Cho-
lesterin, Ûbergewicht sowie zu starker Alkoholkonsum auch
nach einer flçchtigen oder bleibenden Durchblutungsstærung
des Gehirns ganz im Vordergrund stehen.

z Medikamentæse Prophylaxe mit Thrombozytenfunktionshemmern.


Die Kombination von 25 mg ASS und 200 mg retardiertem Di-
pyridamol, 2-mal tåglich (Aggrenox), ist wirksamer als ASS al-
leine. Patienten mit Kontraindikationen fçr ASS werden mit
Clopidogrel, 1 ´ 75 mg/Tag, behandelt (Plavix, Iscover). Clopido-
grel ist auch wirksamer als ASS bei Patienten mit vaskulåren
Begleiterkrankungen (pAVK, Angina pectoris, Z. n. Myokard-
infarkt). Nach einer TIA oder einem leichten Schlaganfall kæn-
a 3.1 Zerebrale Ischåmien z 105

Tabelle 3.3. Medikamentæse Sekundårpråvention des Schlaganfalls

Substanz Indikation

z ASS 50±100 mg/Tag Standardtherapie bei Patienten nach TIA


oder ischåmischem Insult
z ASS 300 mg/Tag Patienten mit Vorhofflimmern und
Kontraindikationen fçr eine Antikoagulation
z Clopidogrel 75 mg/Tag Patienten mit Kontraindikationen oder
Unvertråglichkeit von ASS, besser wirksamer
als ASS-Monotherapie
z ASS 25 mg plus Dipyridamol Patienten nach TIA oder ischåmischem Insult
200 mg 2-mal tgl. mit hohem Rezidivrisiko. Besser wirksam als
ASS allein
z Antikoagulation Patienten mit kardialer Emboliequelle,
INR 2,5±3,5

nen Plåttchenfunktionshemmer das Schlaganfallrisiko in der


Folgezeit um 18±38% reduzieren. Sie vermindern auch das Risi-
ko, in der Folgezeit einen Herzinfarkt zu erleiden, um durch-
schnittlich 35%. Ursprçnglich wurden zur Schlaganfallvorbeu-
gung hæhere Dosierungen von ASS eingesetzt (1000±1300 mg/
Tag), die jedoch nicht wirksamer sind, als die niedrigen Dosie-
rungen, die heute eingesetzt werden (100 mg/Tag). ASS-Dosie-
rungen > 300 mg haben ein erhæhtes Blutungsrisiko.
Waren die TIA oder der Schlaganfall durch eine kardiale Em-
bolie bedingt, erfolgt die Vorbeugung dieser Ereignisse durch
Antikoagulation mit Marcumar (INR 2,5±3,5).
Zwei groûe internationale Studien konnten zeigen, dass Pa-
tienten, die an einer hochgradigen, çber 70%igen Stenose der
A. carotis interna leiden und flçchtige Durchblutungsstærungen
oder einen leichten Schlaganfall erlitten hatten, von einer Karo-
tisendarterektomie profitieren. Die Mortalitåt des Eingriffs be-
trågt 0,5%, die Morbiditåt bezçglich eines Schlaganfalls 2±3%.
106 z 3 Zerebrale Durchblutungsstærungen (Schlaganfålle)

3.2 Intrazerebrale Blutungen [ICD 10: I 61]


und Subarachnoidalblutungen [ICD 10: I 60]

3.2.1 Definition und Epidemiologie

Intrazerebrale Blutungen und Subarachnoidalblutungen sind


Blutungen in das Hirngewebe oder den Subarachnoidalraum
durch Gefåûeinrisse oder Aneurysmen. Intrazerebrale Blutun-
gen machen ca. 10±15% aller Schlaganfålle mit einer Inzidenz
von ca. 15 pro 100 000 Einwohner pro Jahr aus. Subarachnoidal-
blutungen sind seltener und haben einen Anteil von ca. 2±5%
an der Gesamtzahl der Schlaganfålle, mit einer Inzidenz von ca.
5 pro 100 000 Einwohner pro Jahr.

3.2.2 Klinik und Diagnostik

Die Symptome intrazerebraler Blutungen entsprechen etwa de-


nen der Ischåmien, da ein Groûteil der Blutungen im Rahmen
hypertensiver Krisen erfolgt und den Stammganglienbereich
betrifft. Typischerweise treten jedoch Kopfschmerzen und vege-
tative Begleiterscheinungen auf. Typisch sind ferner epileptische
Anfålle und ggf. auch Hirndrucksymptome. Bei Subarachnoi-
dalblutungen stehen die plætzlich auftretenden, bisher nicht ge-
kannten Kopfschmerzen im Vordergrund, vereinzelt treten Na-
ckensteifigkeit, Ûbelkeit, Erbrechen und Hirndruckzeichen hin-
zu (siehe auch Kap. 1). Bei Verdacht auf eine Blutung, unklaren,
bisher unbekannten Kopfschmerzen oder fçr einen Schlaganfall
åhnlichen Symptomen muss sofort eine CCT, idealerweise in
einem Zentrum, das in der Behandlung dieser Krankheitsbilder
erfahren ist, erfolgen. Bei kleineren Subarachnoidalblutungen
kann die Diagnose durch eine CT nicht ausreichend zu sichern
sein. Ergånzend kænnen dann Liquoranalytik (Siderophagen,
xanthochromer Liquor) oder FLAIR-Sequenzen im MRT weiter-
helfen.
a 3.2 Intrazerebrale Blutungen und Subarachnoidalblutungen z 107

3.2.3 Pathophysiologie

Bei ålteren Menschen entstehen intrazerebrale Blutungen meist


im Rahmen eines bereits långer bestehenden Bluthochdrucks
durch das Einreiûen der Gefåûwand eines kleinen Gefåûes oder
durch eine Ausbuchtung eines Gefåûes. Die meisten Blutungen
liegen in der Tiefe der Hirnhemisphåren im Bereich der
Stammganglien. Bei jçngeren Menschen kann es aber auch zu
Blutungen aus angeborenen Gefåûmissbildungen, sog. Angio-
men, kommen. Seltenere Ursachen fçr Hirnblutungen sind
Stærungen der Blutgerinnung bei einer Thrombozytopenie, Fak-
tor-VIII-Mangel (Bluterkrankheit) oder Funktionsstærungen der
Leber, wie z. B. eine Leberzirrhose. Auch unter einer Therapie
mit Phenprocoumon kann es zu folgenschweren intrazerebralen
Blutungen kommen, die dann nur schwer behandelbar sind.
Bei Subarachnoidalblutungen rupturiert in den meisten Fål-
len ein vorbestehendes Aneurysma, das håufig angiographisch
gesichert werden muss. Nur in etwa 10% aller Subarachnoidal-
blutungen låsst sich kein Aneurysma finden. Hier handelt es
sich meist um kleinere Blutungen mit guter Prognose. Das Auf-
treten von zerebralen Spasmen ist jedoch ein starker Hinweis
auf das Vorliegen eines Aneurysmas.

3.2.4 Therapie und Prognose

Behandlungen von zerebralen Blutungen sollten ausschlieûlich


in erfahrenen Zentren erfolgen.

z Intrazerebrale Blutungen. Ausmaû und Lokalisation (anhand


einer Computertomographie) entscheiden çber das weitere Vor-
gehen mit einer konservativen Therapie oder einer operativen
Ausråumung der Blutung. Da in mehreren Studien die Ergeb-
nisse einer operativen Ausråumung einer konservativen Be-
handlung nicht çberlegen waren, wird die Indikation zur Aus-
råumung heute eher zurçckhaltend gestellt. Als Indikation gel-
ten groûe Blutungen bei Aneurysmablutungen, Angiomblutun-
gen und ausgeprågte Bewusstseinstrçbungen. Wesentlich ist das
Durchstehen der kritischen Phase innerhalb der ersten Tage:
108 z 3 Zerebrale Durchblutungsstærungen (Schlaganfålle)

z Blutdrucksenkung: auf hochnormale Werte (160 mmHg sys-


tolisch) durch peripher wirksame antiadrenerge Substanzen,
die in oraler und parenteraler Applikationsform zur Verfç-
gung stehen, z. B. Uradipil (Ebrantil),
z leichte Sedierung und Analgesie (Tramadol oder Buprenor-
phin),
z Laxanzien-Gabe (weicher Stuhl), Ulkusprophylaxe,
z falls notwendig, Anfallsschutz (Schnellaufsåttigung mit Phen-
hydan 750 mg in 500 ml çber 60 min),
z Oberkærperhochlagerung 30 8,
z engmaschiges Monitoring (Údementwicklung mit Indikation
zur Osmotherapie, Zeichen des Hirndrucks, Intubationsbe-
reitschaft bei Aspirationsgefahr).

Die Prognose richtet sich nach der Græûe der Blutung. Bei Blu-
tungen von mehr als 50 ml und Ventrikeleinbruch betrågt die
Mortalitåt çber 50% in den 4 Wochen nach Auftreten des Er-
eignisses. Dennoch ist die Prognose auch bei groûen Blutungen
ohne Ventrikeleinbruch nach Durchstehen der kritischen Phase
relativ gut.

z Subarachnoidalblutungen. Nach Diagnosesicherung muss hier


die Ursachenklårung durch eine Angiographie erfolgen (Aneu-
rysma, Græûe, Lokalisation?). Danach entscheidet sich das wei-
tere Vorgehen im Sinne einer Operation, eines mæglichen Coi-
lings oder einer konservativen Behandlung. Hauptkomplikation
ca. 3 Tage nach dem Ereignis ist das Auftreten intrazerebraler
Gefåûspasmen, die sekundår wiederum græûere Ischåmien ver-
ursachen kænnen. Das Monitoring muss hier durch eine eng-
maschige transkranielle Doppler-Untersuchung erfolgen. Bei
der konservativen Therapie gelten die gleichen Therapiemaû-
nahmen wie bei den intrazerebralen Blutungen. Spasmen
kænnen versuchsweise mit Nimodipin çber Perfusor (360 mg/
Tag, cave: Blutdruckabfall) behandelt werden (Studienergebnis-
se nicht immer einheitlich). Die Prognose richtet sich auch hier
nach der Græûe der Blutung. Ein knappes Viertel der Patienten
verstirbt bereits auf dem Weg ins Krankenhaus.
a 3.4 Weiterfçhrende Literatur z 109

3.3 Vaskulåre Demenz [ICD 10: I 6]

Leider wird dieses Krankheitsbild in Deutschland noch immer


unter dem unglçcklichen Begriff der ¹chronischen zerebrovas-
kulåren Insuffizienzª subsummiert. In diese Gruppe werden
auch viele Patienten eingeordnet, die lediglich unter Schwindel
leiden. Unter dem Oberbegriff ¹chronisch zerebrovaskulåre In-
suffizienzª werden aber auch eine Vielzahl degenerativer und
anderer vaskulårer Erkrankungen des hæheren Lebensalters zu-
sammengefasst. Sehr viele Patienten leiden unter der Alzhei-
mer-Erkrankung. Fçr die subkortikale arteriosklerotische Enze-
phalopathie gibt es noch keine Therapie. Im Widerspruch zum
Verschreibungsverhalten vieler Ørzte und der Erwartungshal-
tung vieler Patienten sind die meisten bisher eingesetzten Sub-
stanzen zur Therapie unwirksam. Die detaillierte Besprechung
des Krankheitsbilds erfolgt in Kap. 5.

3.3.1 Das Neuste

z Die Kombination von Clopidogrel und ASS ist in der sekun-


dårpråvention des Schlaganfalls nicht wirksamer als eine Mo-
notherapie mit Clopidogrel.
z Die Karotisoperation ist nur pråventiv wirksam wenn sie in-
nerhalb von 2 Wochen nach dem ischåmischen Ereignis
durchgefçhrt wird.

3.4 Weiterfçhrende Literatur

Diener HC (Hrsg) (2003) Schlaganfall. Thieme, Stuttgart


Hartmann A, Heiss W-D (Hrsg) (2001) Der Schlaganfall-Pathogenese,
Klinik, Diagnostik und Therapie. Springer, Heidelberg
110

Anhang 3.1 Sekundårprophylaxe eines Schlaganfalls


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [mg] bei tåglicher Einnah-
[1 ] me
[1 ]

Thrombozytenfunktionshemmer
Acetylsalicylsåure
z Tbl. ASS 100-1A Pharma, 2,34/0,02 50±300 0,60
100 St., N3, 1A Pharma (bei 100 mg)
Acetylsalicylsåure 25 mg +
Dipyridamol 200 mg retard
z Tbl. Aggrenox, 50 St., N2 39,64/0,79 Acetylsalicylsåure 50 mg, 47,40 1
BI Pharma GmbH & Co. Dipyridamol 400 mg (bei 2 Kapseln/Tag)
Clopidogrel ˆ
b 2 Kapseln
z Filmtbl. Plavix 100 St., N3, 250,49/2,5 75 75
3 Zerebrale Durchblutungsstærungen (Schlaganfålle)
a

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [mg] bei tåglicher Einnah-
[1 ] me [1 ]

Antikoagulation
Phenprocoumon
z Filmtbl. Falithrom, 100 St., N3, 121,82/0,22 nach INR-Zielwert 6,6
Hexal AG (bei 1 ´ tgl. Einnahme)
Warfarin
z Tbl. Coumadin, 100 St., N3, 20,43/0,20 nach INR-Zielwert 6,00
Du Pont Pharma GmbH (bei 1 ´ tgl. Einnahme)
Anhang 3.1 Sekundårprophylaxe eines Schlaganfalls
z
111
4 Epilepsien
und andere Anfallserkrankungen
Irini Savidou, Volker Limmroth
114 z 4 Epilepsien und andere Anfallserkrankungen

4.1 Definition und Epidemiologie

Epileptische Anfålle sind umschriebene (fokale) oder generali-


sierte synchronisierte Entladungen (paroxysmale Depolarisation
des Membranpotenzials) zerebraler, in der Regel kortikaler
Neuronen, die sich in Form von motorischen, sensiblen, senso-
rischen, psychischen Symptomen oder als Bewusstseinsstærun-
gen åuûern kænnen. Mit einer Pråvalenz von 0,5±1% in der all-
gemeinen Bevælkerung stellen die Epilepsien eine der håufigs-
ten neurologischen Erkrankungen dar. Das Manifestationsalter
hångt im Wesentlichen vom Epilepsiesyndrom ab. Generell ma-
nifestieren sich jedoch bis zu 75% aller epileptischen Erkran-
kungen bis zum 20. Lebensjahr. Bis zu 5% der Bevælkerung er-
lebt jedoch im Laufe des Lebens einen (einmaligen) epilepti-
schen Anfall.

4.2 Klinik und Diagnostik

Unterschieden wird eine Klassifikation der epileptischen Anfålle


(klinische Beschreibung = Anfallsemiologie) von der der Epilep-
siesyndrome. Fçr die Praxis hat sich eine Einteilung bewåhrt,
die von der Internationalen Liga gegen die Epilepsie 1981 erar-
beitet worden ist (Tabelle 4.1). Die Klassifikation der Epilepsie-
Syndrome berçcksichtigt auch pathogenetische Kriterien und
das Prådilektionsalter.

4.2.1 Fokale oder partielle Anfålle

Diese Anfålle sind auf eine Hemisphåre begrenzt, kortikalen


Ursprungs und repråsentieren durch ihre spezifische klinische
Symptomatik in der Regel auch ihre zerebrale Lokalisation. Ein-
fach fokale Anfålle gehen ± im Gegensatz zu komplex fokalen
Anfållen ± nicht mit einer Beeintråchtigung des Bewusstseins
einher.
a 4.2 Klinik und Diagnostik z 115

Tabelle 4.1. Einteilung der Epilepsien nach der Commission on Classification and
Terminology of the International League against Epilepsy (1981)

Fokale (partielle) Anfålle


z Einfach-fokale Anfålle 1. Mit motorischen Symptomen
(Bewusstsein erhalten) 2. Mit somatosensorischen oder spezi-
fisch sensorischen Symptomen
(einfache Halluzinationen,
wie Kribbeln, Klingeln, Blitzen)
3. Mit autonomen Symptomen
(Erbrechen, Schwitzen, Blåsse, etc.)
4. Mit psychischen Symptomen (dyspha-
sische, dysmnestische, kognitive, affek-
tive Symptome)
z Komplex-fokale Anfålle 1. Einfach fokaler Anfall gefolgt
(Bewusstsein veråndert) von einer Bewusstseinsstærung
Synonyme (nicht immer richtig): 2. Mit einer Bewusstseinsstærung
± ¹psychomotorische Anfålleª zu Beginn
± ¹Temporallappenanfålleª
± ¹Dåmmerattackenª
z Fokale Anfålle mit
sekundårer Generalisierung

Generalisierte Anfålle
z Absencen 1. Typische Absencen
(Petit Mal) 2. Atypische Absencen
z Myoklonische Anfålle Auch ¹Impulsiv-Petit-Malª, West-Syndrom
z Klonische Anfålle
z Tonische Anfålle
z Tonisch-klonische Anfålle Klassischer Grand Mal
z Atonische Anfålle

Unklassifizierbare Anfålle

Einfach-fokale Anfålle kænnen motorische, sensibel-sensori-


sche, vegetative oder psychische Symptome aufweisen. Prototyp
eines einfach fokalen Anfalls mit rein motorischer Beteiligung
ist der sog. Jackson-Anfall, bei dem die klonischen Zuckungen
116 z 4 Epilepsien und andere Anfallserkrankungen

auf der betroffenen Seite wåhrend des Anfalls von einer Mus-
kelgruppe zu einer anderen wandern (sog. march).
Einfach fokale Anfålle sind im Erwachsenenalter håufiger als
im Kindesalter und sind dort ± anders als bei Kindern ± çberwie-
gend symptomatischer Genese. Etwa einem Drittel dieser Anfålle
liegt eine Raumforderung im Sinne eines Hirntumors oder einer
Metastase zugrunde. Im Kindesalter hingegen sind Hirntumoren
als Ursache einfach fokaler Anfålle von untergeordneter Bedeu-
tung. Hier stehen v. a. Geburtstraumata im Vordergrund. Der
Håufigkeit nach folgen beim Erwachsenen nach den Raumforde-
rungen Strukturverånderungen aufgrund von Schådel-Hirn-
Traumata, entzçndlichen und degenerativen Erkrankungen sowie
Blutungen und Ischåmien im hæheren Lebensalter.
Das håufigste Epilepsie-Syndrom fokalen Ursprungs im Kin-
desalter ist die benigne Partialepilepsie mit zentrotemporalen
Spikes (BECT oder Rolando-Epilepsie). Hierbei stehen hemifa-
ziale Kloni im Vordergrund, die in drei Viertel der Fålle schlaf-
gebunden sind. Die Anfålle sistieren in der Regel noch vor der
Pubertåt. Eine zwingende Therapieindikation besteht daher
nicht. Weitere, allerdings wesentlich seltenere Formen dieser
Gruppe sind die benigne Epilepsie mit okzipitalen Paroxysmen
(BEOP) und die primåre Leseepilepsie.
Komplex-fokale Anfålle sind grundsåtzlich mit einer Ønderung
des Bewusstseins verbunden und zeigen sich håufiger als andere
Formen therapierefraktår. Vereinzelt findet sich in der ålteren Li-
teratur sowie im Sprachgebrauch mancher Kollegen der Begriff
des ¹psychomotorischen Anfallsª als Synonym fçr komplex-foka-
le Anfålle. Dieser Begriff sollte jedoch nur in den Fållen Verwen-
dung finden, in denen tatsåchlich psychisch veråndertes Verhal-
ten mit motorischen Entåuûerungen (z. B. oralen Automatismen)
verbunden ist. Bis vor einigen Jahren wurde davon ausgegangen,
dass alle komplex-fokalen Anfålle ihren Ursprung im Temporal-
lappen haben, sodass auch der Begriff der Temporallappenanfålle
als Synonym fçr komplex-partielle Anfålle verwendet wurde. Da
aber ca. 20% dieser Anfålle im Frontallappen entstehen, ist die
Gleichstellung als Synonym nicht richtig. Beide Anfallsformen
mçssen daher als Unterformen der komplex-fokalen Anfålle be-
trachtet werden. Temporallappenanfålle beginnen håufig mit ei-
nem motorischen Erstarren, zeigen dann oroalimentåre Auto-
a 4.2 Klinik und Diagnostik z 117

matismen und postiktale Verwirrtheit. Frontallappenanfålle be-


ginnen dagegen håufig mit gestischen Automatismen, zeigen teil-
weise hysterisch anmutende Bewegungen oder Haltungsschab-
lonen bei fehlender oder geringer postiktaler Verwirrtheit. Fokale
Anfålle kænnen sich u.U. auch auf das gesamte Gehirn ausdehnen
und damit ¹generalisierenª. Man spricht dann von fokalen Anfål-
len mit sekundårer Generalisierung.

4.2.2 Generalisierte Anfålle

Generalisierte Anfålle sind bilaterale, symmetrische Ereignisse,


die auch mit einer verånderten Bewusstseinslage einhergehen.
Die zwei wichtigsten Formen sind der tonisch-klonische Krampf
(klassischer Grand Mal) und Absencen (frçher: Petit Mal, v. a. im
Kindes- und Jugendalter). Daneben gibt es myoklonische, klo-
nische, tonische und atonische Anfålle sowie atypische Absen-
cen-Formen. Beim klassischen Grand Mal kommt es bereits vor
dem Hinstçrzen zunåchst zu einer meist nur Sekunden andau-
ernden tonischen Phase. Dieser folgt eine Phase klonischer Zu-
ckungen fçr wenige Minuten, die wiederum in die Phase des Ter-
minalschlafs çbergeht. Dem Anfall kænnen verschiedenartige Er-
scheinungen wie optische Phånomene, Schwindel oder aus dem
Magen aufsteigende Gefçhle (epigastrische Aura) vorausgehen.
Die tonische Phase kann von einem Initialschrei eingeleitet wer-
den. Als Begleiterscheinungen kænnen Einnåssen, Einkoten, Zun-
genbiss, subkonjunktivale Einblutungen sowie Prellungen oder
Platzwunden durch Sturz hinzutreten.
Absencen sind idiopathischer Genese und åuûern sich als ab-
rupt einsetzende und endende, sekundenlange Bewusstseins-
stærungen, die im Kindesalter und im frçhen Jugendalter auf-
treten. Der Blick wird dabei starr und ausdruckslos (Erschlaf-
fung der Fazialismuskulatur). Statische Funktionen sind in der
Regel erhalten. Vereinzelt kænnen diese Phasen von Automatis-
men (Schlucken, Schmatzen, Nesteln etc.), klonischen oder to-
nischen Symptomen begleitet sein.
Weitere generalisierte Anfålle des Kindesalters sind die
¹Blitz-, Nick- und Salaam-Kråmpfeª (BNS-Kråmpfe oder West-
Syndrom), die immer symptomatischer Genese sind sowie das
118 z 4 Epilepsien und andere Anfallserkrankungen

Lennox-Gastaut-Syndrom (myoklonisch-astatische Anfålle in


Kombination mit tonischen Anfållen und/oder Grand-Mal-An-
fållen), dem in der Regel ebenfalls organische Strukturstærun-
gen zugrunde liegen.

Differenzialdiagnosen

Die Diagnose eines Anfallsleidens kann fçr den betroffenen Pa-


tienten weitreichende Folgen haben. Neben der Gefahr der so-
zialen Stigmatisierung, umfangreichen Ønderungen in der Le-
bensfçhrung (Verlust der Fahrerlaubnis etc.) fçhrt die Diagnose
mæglicherweise zu einer lebenslangen medikamentæsen Thera-
pie. Die Abgrenzung von Gelegenheitskråmpfen und der Aus-
schluss mæglicher Differenzialdiagnosen ist daher von besonde-
rer Bedeutung. Entsprechend der klinischen Symptomatik sind
die folgenden Differenzialdiagnosen zu berçcksichtigen:
z Gelegenheitskråmpfe,
z Synkopen, orthostatische Dysregulation,
z psychogene Anfålle,
z Narkolepsie, Kataplexie,
z Drop Attacks (Sturzanfålle),
z Migråne mit Aura und/oder verlångerten neurologischen
Defiziten, Basilarismigråne,
z Transitorisch ischåmische Attacken im vertebrobasilåren und
seltener im Karotisstromgebiet,
z im Kindesalter: respiratorische Affektkråmpfe, Pavor nocturnus.

z Gelegenheitskråmpfe (Okkasionsanfålle)
Gelegenheitskråmpfe entstehen durch temporåre Umstånde, die
die Krampfschwelle des Gehirns vorçbergehend herabsetzen
und nach Herstellung physiologischer Konditionen wieder sis-
tieren. Zu den Provokationsfaktoren gehæren verånderte bzw.
entgleiste Stoffwechsellagen wie Hypoglykåmien, Hyponatriå-
mien, Hypo- oder Hyperkalziåmien, Hypoxie, Fieber aber auch
Schlafentzug, Alkoholexzesse oder -entzug, Drogenkonsum oder
-entzug, Medikamentennebenwirkungen, Exposition gegençber
toxischen Substanzen, Computerspiele.
a 4.2 Klinik und Diagnostik z 119

z Synkopen [ICD 10: R 55]


Die Synkope ist eine håufige und wichtige Differenzialdiagnose.
Klinisch imponieren Synkopen durch einen kurzzeitigen Be-
wusstseinsverlust, der mit kaltem Schweiû, Schwindel und Tin-
nitus einhergehen kann und vom Patienten v. a. als ¹Schwarz-
werdenª vor den Augen empfunden wird. Pathophysiologisch
liegt eine kurzzeitige Mangeldurchblutung des Gehirns meist
im Rahmen eines Blutdruckabfalls vor. Es kann dabei zu
plætzlichem Hinstçrzen und bei långerem Bewusstseinsverlust
sogar zu kurzen tonischen Entåuûerungen kommen. Zungen-
biss, Urinabgang oder postiktaler Muskelkater werden hingegen
nur selten vorgefunden. Auch die Reorientierungsphase betrågt
bei Synkopen in der Regel nur Sekunden, wåhrend die postik-
tale Reorientierung nach epileptischen Anfållen wesentlich lån-
ger dauert. Der Håufigkeit nach sind Synkopen vegetativer, kar-
dialer, zerebrovaskulårer oder metabolischer Genese.
Vegetative Synkopen kommen durch eine vorçbergehende
Dysbalance von Sympathikus und Parasympathikus zustande
und werden orthostatisch (Fehlen der sympathischen Gegen-
regulation bei schnellem Aufstehen etc.), reflektorisch (Karotis-
sinussyndrom, Miktions-, Schreck-, Schmerz-, Schlucksyn-
kopen) oder pressorisch (Husten-, Lach-, Nies- oder Defåkati-
onssynkopen) ausgelæst. Vegetative Synkopen kænnen jedoch
auch sekundår als Folge einer Erkrankung des vegetativen Sys-
tems (z. B. Polyneuropathien mit vegetativer Beteiligung etc.)
auftreten. Kardiale Synkopen hingegen sind in der Regel Folge
von Herzrhythmusstærungen oder mechanischen Behinderun-
gen wie AV-Blæcken, Bradykardien, ventrikulåren und supra-
ventrikulåren Tachykardien bzw. Aorten- und Mitralklappen-
stenosen oder Kardiomyopathien. Zerebrovaskulåre Synkopen
kænnen selten als Folge transienter ischåmischer Attacken im
vertebrobasilåren Stræmungsbereich oder ± noch seltener ± in-
folge von hochgradigen Karotisstenosen auftreten. Metabolisch
bedingte Synkopen kommen v. a. bei Hypoglykåmien oder auf-
grund von Hyperventilation vor.
120 z 4 Epilepsien und andere Anfallserkrankungen

z Narkolepsien [ICD 10: G 47.4]


Narkolepsien (Narkolepsie-Kataplexie-Syndrom) sind per Defini-
tion durch 4 Symptome gekennzeichnet:
z Schlafattacken mit imperativem Schlafdrang,
z hypnagoge Halluzinationen,
z affektinduzierte Tonusverluste (kataplektische Anfålle),
z Schlaflåhmungen.

Fast 60% der Patienten leiden ferner unter einer Kataplexie,


wobei es zu einem plætzlichen Tonusverlust mit einem Sturz in
einer Affektsituation kommt. Das Bewusstsein bleibt erhalten.
Die çberwiegende Zahl der Narkolepsien sind idiopathischer
Genese. Eine Øtiologie ist nicht bekannt, ein autosomal-domi-
nanter Erbgang jedoch beschrieben. Therapeutisch empfiehlt
sich die Gabe von Amphetaminen oder trizyklischen Antide-
pressiva (bei Kataplexien). Als besonders wirksam in der Be-
handlung der Narkolepsien hat sich das jçngst zugelassene Mo-
dafinil (Vigil) in einer Dosierung zwischen 100±400 mg/Tag er-
wiesen (BTM-pflichtig).

z Drop Attacks [ICD 10: G 45]


Drop Attacks kommen insbesondere bei ålteren Patienten vor
und sind durch einen plætzlichen Tonusverlust mit Sturz ge-
kennzeichnet. Das Bewusstsein bleibt auch hier erhalten. Die
Øtiologie ist nicht eindeutig geklårt, am ehesten handelt es sich
um Perfusionsdefizite des Hirnstamms.

z Psychogene Anfålle [ICD 10: G 40.9]


Psychogene (frçher auch hysterische) Anfålle kænnen u. U. dif-
ferenzialdiagnostische Probleme bereiten. Typischerweise zei-
gen sich hierbei dramatisch anmutende Bewegungsablåufe mit
umfangreichen Arm- und Beinbewegungen. Rhythmische Ent-
åuûerungen der Extremitåten mit ¹Crescendo-decrescendoª-
Charakter, Urinabgang, Zungenbiss, insbesondere Sturzverlet-
zungen etc. kommen dagegen kaum vor.
a 4.3 Pathophysiologie z 121

z Migråne [ICD 10: G 43]


Auch seltene Migråneformen mçssen differenzialdiagnostisch
berçcksichtigt werden. Wåhrend die Abgrenzung der ¹ein-
fachenª Migråne bereits anamnestisch mæglich ist, sind Formen
der Migråne mit Aura, die mit Skotomen, Hemianopsien, Sensi-
bilitåtsstærungen, Aphasien etc. einhergehen, u. U. schwer von
einfach- bzw. komplex-fokalen Anfållen zu unterscheiden. Ins-
besondere wenn der Kopfschmerz subjektiv fçr den Patienten
nicht im Vordergrund steht, kann es flieûende Ûbergånge zwi-
schen beiden Erkrankungen geben.

4.2.3 Diagnostik

Bei der erstmaligen Abklårung bzw. Diagnose eines epileptischen


Anfalls kommen Anamnese, Klårung der Begleitumstånde, ins-
besondere aber einer Fremdanamnese eine entscheidende Bedeu-
tung zu, da der Patient selber håufig keine vollståndigen Angaben
zum Ablauf des Anfalls machen kann. Neben der Differenzialdiag-
nose eines mæglichen nichtkonvulsiven Geschehens (Synkope etc.,
siehe oben) mçssen insbesondere symptomatische Anfålle aus-
geschlossen werden, die mæglicherweise einer kausalen Therapie
zugånglich sind. Tabelle 4.2 gibt einen Ûberblick çber notwendige
Untersuchungen zur Abklårung eines konvulsiven Geschehens.
Im weiteren Verlauf ist das EEG das wichtigste diagnostische
Hilfsmittel, insbesondere zur Beurteilung des Anfallstyps und ±
neben der Zahl weiter erlittener Anfålle ± zur Therapiekontrolle.
In Fållen einer schwierigen Abgrenzung zu nichtepileptischen
Anfållen kænnen auch Provokationsmaûnahmen wie Hyperventi-
lation, Photostimulation oder Schlafentzug eingesetzt werden.

4.3 Pathophysiologie

Unter dem Begriff Epilepsie werden verschiedene Syndrome mit


unterschiedlichen Øtiopathologien zusammengefasst. Das ge-
meinsame pathophysiologische Korrelat ist die paroxysmale
122 z 4 Epilepsien und andere Anfallserkrankungen

Tabelle 4.2. Diagnostisches Prozedere zur Abklårung eines konvulsiven Geschehens

z Anamnese: Begleitumstånde (Aura, Urin-/Stuhlabgang, Zungenbiss), Schlafent-


zug, sonstige Ønderungen der Lebensumstånde, vorhergehende Erkrankungen/In-
fektionen, Familienanamnese, Alkoholgenuss/-entzug, erstmalige Einnahme
konvulsiver Medikamente
z Fremdanamnese: Hergang, Art und Dauer des Anfalls, initialer Schrei, fokale
Entåuûerungen, Zyanose wåhrend des Anfalls, Dauer der Reorientierung
z Kærperlich-neurologische Untersuchung: RR, HF, Herzrhythmusstærungen,
Fieber, fokale neurologische Defizite, Aphasien, Todd'sche Låhmungen
z Groûes Labor: CK oder Prolaktin erhæht? Ausschluss metabolischer Entgleisun-
gen (Elektrolyte, insbesondere Hypokalziåmie, Hypoglykåmie, Hypoxie, Alkalose,
Infektionen)
z Kraniale Bildgebung: CCT, besser NMR mit Kontrastmittel (Ausschluss Tumor,
Degeneration, Blutung, Ischåmie, Hippocampussklerosen, Gyrierungs- oder
Migrationsstærungen)
z EEG, Langzeit-EEG, Video-EEG: epilepsietypische Potenziale, Herdzeichen,
Anfallstyp, Abgrenzung gegençber nichtepileptischen Anfållen
z Doppler-Sonographie, Duplexsonographie und transkraniale Dopplersono-
graphie: Ausschluss Stenosen, Malformationen der hirnversorgenden Gefåûe
z Lumbalpunktion: Ausschluss Meningitiden, Enzephalitiden, andere spezifische
Infektionen des ZNS

Entladung zerebraler Neurone aufgrund einer verringerten Ak-


tivitåt des inhibitorischen Neurotransmitters c-Aminobuttersåu-
re (GABA) und/oder einer vermehrten Aktivitåt exzitatorischer
Neurotransmitter wie Glutamat. Grundsåtzlich kann die Øtio-
pathologie symptomatischer und nichtsymptomatischer (idio-
pathischer) Genese sein. Als symptomatisch werden erkennbare
bzw. nachweisbare Ursachen wie angeborene Strukturverånde-
rungen (Gefåûmissbildungen, Zysten, etc.), Traumata (Geburt,
Unfall, neurochirurgischer Eingriff), Infektionen (Meningitis,
Enzephalitis), raumfordernde Prozesse (primåre Hirntumoren,
Metastasen, Abzesse etc.), aber auch ein verånderter bzw. ent-
gleister Metabolismus (Hypoglykåmie, Hyponatriåmie, Hypo-
und Hyperkalziåmie, Fieber) oder toxische Einflçsse (Alkohol-
entzug, Drogen, Medikamente mit konvulsiven Nebenwirkun-
gen) bezeichnet.
a 4.3 Pathophysiologie z 123

Tabelle 4.3. Medikamente und Substanzen, die konvulsive Effekte haben kænnen

z In therapeutischen Dosen Amantadin Hexachlorophen


Aminophyllin Indometacin
Amphetamin Insulin
Anticholinergika Koffein
Antihistaminika Kortikosteroide
Baclofen Lidocain
Cefazolin Metronidazol
Chloramphenicol Nalixidinsåure
Chloroquin Penizillin
Chlorpromazin Pentazocin
Cyclosporin A Pethidin
Dantrolen Phenylbutazon
Digitalis Piperazine
Disopyramid Piracetam
Disulfiram Prostaglandine
Ephidrin Trizyklische Antidepressiva
Fentanyl Theophyllin
z Ûberdosierung Acetylsalicylsåure
Clozapin
Isoniazid
Phenytoin
z Drogen Kokain
Heroin
LSD
z Entzug von Antikonvulsiva, insbesondere
Barbituraten
Benzodiazepinen
Clomethiazol
Drogen
Alkohol

Nichtsymptomatische oder idiopathische Anfålle haben z. T.


eine genetische Genese. Ein einzelner Anfall begrçndet jedoch
nicht die Diagnose einer Epilepsie. Vereinzelte Anfålle aufgrund
metabolischer Entgleisungen oder aufgrund von toxischen oder
medikamentæsen Einflçssen werden als Gelegenheitsanfålle be-
zeichnet. Tabelle 4.3 gibt einen Ûberblick çber Substanzen und
Medikamente mit konvulsiven Effekten.
124 z 4 Epilepsien und andere Anfallserkrankungen

4.4 Therapie

4.4.1 Akute Therapie


Die medikamentæse Anfallsunterbrechung ist beim klassischen
Grand Mal nicht grundsåtzlich indiziert, da Anfålle in der Regel
von selbst sistieren und die Gabe von Benzodiazepinen mit
dem Risiko der Ateminsuffizienz einhergeht. Darçber hinaus
wird durch die Gabe von Benzodiazepinen die postiktale Situa-
tion verschleiert, sodass der spåter behandelnde Arzt nicht zwi-
schen einer verlångerten postiktalen Phase oder reinen Benzo-
diazepinwirkungen unterscheiden kann. Die akute Therapie
sollte daher zunåchst nur allgemeine Maûnahmen wie Kragen
æffnen, Umgebung freiråumen, stabile Seitenlage (soweit mæg-
lich) etc. umfassen. Medikamentæs sollte jedoch in dem Mo-
ment eingegriffen werden, wenn der Anfall långer als 10 min
dauert und in einen sog. ¹Status epilepticusª zu gleiten droht.
Von einem Status ist auszugehen, wenn der Anfall nicht von
selbst innerhalb von 15±25 min sistiert. Eine Therapieindikati-
on besteht ferner bei fokalen Anfållen, die regelmåûig sekundår
generalisieren. Die Therapie der Wahl ist hierbei die Gabe eines
Benzodiazepins mit einer kçrzeren Halbwertszeit: Clonazepam
(Rivotril) 1±2 mg (1±2 Amp.) i.v., Lorazepam (Tavor) 2±4 mg
(1±2 Amp.) i.v. oder falls nicht verfçgbar Diazepam (Valium)
5±10 mg (1±2 Amp.) i.v. Ist eine i.v.-Gabe nicht mæglich, kann
alternativ eine sog. Rektiole verwendet werden, mit der Dia-
zepam rektal appliziert wird. Grundsåtzlich ist das Clonazepam
aufgrund seiner kçrzeren Halbwertszeit und etwas ausgeprågte-
ren antikonvulsiven Wirkung dem Diazepam vorzuziehen.
Der Status epilepticus (Grand-Mal-Status) ist ein akut lebens-
bedrohlicher Zustand, in dem eine sofortige medikamentæse In-
tervention indiziert ist. Idealerweise sollte der Patient stationår
aufgenommen und ± wenn mæglich ± unter Intensivbedingun-
gen behandelt bzw. çberwacht werden. In der Behandlung des
Status hat sich folgendes Behandlungsschema bewåhrt:
1. Gabe eines Benzodiazepins (z. B. Lorazepam (Tavor) 2±4 mg
i.v. oder Clonazepam (Rivotril) 1±2 mg i.v.). Falls ohne Er-
folg:
a 4.4 Therapie z 125

2. Phenytoin (Phenhydan) mit bis zu 750 mg i.v. langsam auf-


såttigen, dann weiter mit 300 mg/Tag (cave: groûlumige Vene
oder zentralen Zugang benutzen, da Phenhydan Gewebs-
nekrosen verursacht). Falls ohne Erfolg:
3. Valproat 10±20 mg/kg KG i.v. als Bolus bzw. 1200 mg in der
1. Stunde, dann 6 mg/kg/h (cave: markanter Anstieg des Phe-
nobarbitalspiegels mæglich) oder
4. Phenobarbital mit initial 2 ´ 200 mg bis zu 2 g i.v. (cave: Intu-
bationspflichtigkeit). Falls ohne Erfolg:
5. Thiopental-Narkose mit 4±7 mg/kg KG i.v. als Bolus, dann
Erhaltungsdosis 500 mg/h oder
6. Propofol 1±2 mg/kg KG i.v. als Bolus, dann 2±10 mg/kg/h.
7. Midazolam 0,2 mg/kg i.v. als Bolus, dann 0,8±1 mg/kg/min.

4.4.2 Prophylaktische Anfallstherapie


Da jeder Anfall eine potenzielle Schådigung der Neuronen dar-
stellt und eine Akuttherapie håufig nicht notwendig bzw. nicht
indiziert ist, kommt der prophylaktischen Therapie die Schlçs-
selrolle in der Behandlung der Epilepsien zu. Die prophylakti-
sche Therapie beinhaltet:
1. Die Beratung,
2. die Indikationsstellung zur medikamentæsen antiepilepti-
schen Therapie und deren Einleitung und Durchfçhrung,
3. operative Behandlung.

z Beratung
Die Beratung beinhaltet die Aufklårung çber das Anfallsereig-
nis, die mæglicherweise zugrunde liegende Erkrankung und die
zu erwartende Prognose.
Es sollte auch eine ausfçhrliche Beratung çber allgemeine
Maûnahmen zur Pråvention epileptischer Anfålle erfolgen. Die-
se Maûnahmen beinhalten:
z Ausgeglichenen Lebensrhythmus, Vermeidung von Schlafentzug,
z keine Alkoholexzesse,
z Vermeidung von Elektrolytverschiebungen infolge von Ex-
trembelastungen,
z Vermeidung spezifischer Auslæser bei Reflexepilepsien,
126 z 4 Epilepsien und andere Anfallserkrankungen

z regelmåûige Einnahme der antikonvulsiven Medikation,


z Vermeiden von Medikamenten, die die Krampfschwelle sen-
ken kænnen,
z Vermeiden von Flickerlicht oder Computerspielen (insbeson-
dere bei idiopathisch-generalisierten Epilepsien),
z Vermeiden anderer anamnestisch identifizierter anfallsauslæ-
sender Situationen.

Der Patient muss auch çber die Vermeidung potenziell gefåhr-


dender Situationen wie alleine Schwimmen, Baden, Rauchen im
Bett usw. aufgeklårt werden.
Ein wichtiger Punkt der Beratung ist auch die Fahrtauglich-
keit. Ob nach einem epileptischen Anfall oder bei einer Epilep-
sie eine Fahrerlaubnis besteht, hångt von vielen Faktoren ab.
Am bedeutsamsten ist, ob es sich um einen einmaligen Anfall,
eine neu aufgetretene behandelbare Epilepsie oder eine langjåh-
rige therapieresistente Epilepsie handelt. Des Weiteren spielen
der Anfallstyp (mit oder ohne Bewusstseinstærung), die tages-
zeitliche Verteilung und die medikamentæse Behandlung eine
Rolle. Wichtig ist auch die Unterscheidung zwischen den 2
Fçhrerscheingruppen. Der Fçhrerschein der Gruppe 1 beinhal-
tet PKW und Motorrad, der Fçhrerschein der Gruppe 2 bein-
haltet Lastkraftwagen und Fahrgastbefærderung. Fçr eine Fahr-
erlaubnis der Gruppe 2 bestehen schårfere Bestimmungen als
fçr eine Fahrerlaubnis der Fçhrerscheingruppe 1.

z Fahrerlaubnis fçr die Fçhrerscheingruppe 1. Nach einem ein-


maligen Gelegenheitsanfall oder Anfållen wåhrend einer akuten
Gehirnerkrankung (z. B. Trauma, Schlaganfall, Meningitis) oder
einen einmaligen Anfall ohne Provokation und ohne Hinweise
auf strukturelle Gehirnverånderungen bzw. Hinweise auf eine
beginnende Epilepsie (normaler neurologischer und psychiatri-
scher Befund, unauffålliges EEG und Schådel-MRT) besteht eine
Fahrerlaubnis nach einer 3±6-monatiger anfallsfreien Beobach-
tungszeit. Bei Anfållen im Rahmen einer Gehirnoperation (aku-
te Heilungsphase bis etwa 2 Wochen nach der Operation) ist
die Fahrerlaubnis nach einer 6-monatigen anfallfreien Beobach-
tungszeit gegeben. Bei einer neu aufgetretenen Epilepsie besteht
eine Fahrerlaubnis nach einer 1-jåhrigen Anfallsfreiheit; bei ei-
a 4.4 Therapie z 127

ner langjåhrigen therapieresistenten Epilepsie nach einer 2-jåh-


rigen anfallsfreien Beobachtungszeit. Falls ausschlieûlich schlaf-
gebundene Anfålle auftreten, ist die Fahrerlaubnis nach einer
3-jåhrigen Beobachtungszeit gegeben. Falls einfach fokale Anfål-
le ohne Bewusstseinsstærung, ohne Beeintråchtigung der
Kærperbeweglichkeit oder der Denkfåhigkeit und ohne Ûberg-
ang zu komplex-fokalen oder generalisierten Anfållen, besteht
eine Fahrerlaubnis nach einer mindestens 1-jåhrigen Verlaufs-
beobachtung. Wenn der Anfall bei Absetzen der antiepilepti-
schen Medikation auftritt, wird eine Fahrunterbrechung von 6
Monaten empfohlen. Falls die Beendigung einer antikonvulsiven
Behandung geplant ist, wird eine Fahrunterbrechung wåhrend
der Herabsetzung der Medikation und bis zu 3 Monaten nach
deren vollståndigen Absetzen empfohlen.

z Fahrerlaubnis fçr die Fçhrerscheingruppe 2. Nach einem Gelegen-


heitsanfall besteht wieder eine Fahrerlaubnis nach einer 6-mona-
tigen Beobachtungszeit und gleichzeitigem Vermeiden der
anfallsauslæsenden Bedingungen. Nach einem einmaligen Anfall
ohne Hinweise auf eine beginnende Epilepsie oder hirnorgani-
sche Erkrankung wird die Fahrerlaubnis nach einer mindestens
2-jåhrigen Beobachtungszeit wiedererlangt. Nach mehr als 2 epi-
leptischen Anfållen besteht keine Fahrerlaubnis, allenfalls nach
einer 5-jåhrigen Anfallsfreiheit ohne antiepileptische Medikation.

z Medikamentæse Therapie
z Indikation. Eine Dauerbehandlung des Anfallsleidens ist dann
indiziert, wenn die Mæglichkeit eines Gelegenheitskrampfes und
andere Differenzialdiagnosen ausgeschlossen sind und inner-
halb von 12 Monaten mindestens 2 Anfålle aufgetreten sind.
Grçnde fçr den Beginn einer antikonvulsiven Behandlung be-
reits nach dem ersten Anfall sind folgende:
z Diagnose eines epileptischen Syndroms mit hoher Rezidiv-
wahrscheinlichkeit,
z erster Anfall bei identifizierter mutmaûlich epileptogener Lå-
sion im Gehirn (Z. n. SHT, Z. n. Enzephalitis, Hirntumor, Ge-
fåûmalformation),
z hohe Frequenz epileptiformer Potenziale im EEG,
128 z 4 Epilepsien und andere Anfallserkrankungen

z positive Familienanamnese fçr Epilepsie,


z erkennbare gravierende psychosoziale Konsequenzen bei
Auftreten weiterer Anfålle und subjektives Sicherheitsbedçrf-
nis des Patienten.

z Wahl der Substanz. Die Erstbehandlung der Epilepsie erfolgt


mit einer Monotherapie. Die Wahl des Pråparats muss sich pri-
mår nach der Art des Anfallstyps richten, sollte jedoch auch
Alter, Nebenerkrankungen, weitere Medikation, Geschlecht,
Kinderwunsch, Kontrazeptiva, Schwangerschaft, Patienten-
wunsch etc. berçcksichtigen.

Mittel der ersten Wahl zur Ersteinstellung fokaler Epilepsien


sind (Reihenfolge alphabetisch):
z Carbamazepin (200±1200 mg/Tag),
z Gabapentin (900±2400 mg/Tag),
z Lamotrigin (100±300 mg/Tag),
z Oxcarbazepin (300±2400 mg/Tag),
z Topiramat (50±200 mg/Tag),
z Valproinsåure (600±1500 mg/Tag).

Mittel der ersten Wahl zu Ersteinstellung idiopatisch-generali-


sierter Epilepsien sind:
z Lamotrigin (100±300 mg/Tag),
z Topiramat (50±200 mg/Tag),
z Valproinsåure (600±1500 mg/Tag).

Bei Unvertråglichkeiten oder Kontraindikationen kann hier


Phenobarbital (50±200 mg/Tag) verwendet werden.

Andere Medikamente, die zur Monotherapie zugelassen sind,


sind:
z Phenytoin,
z Primidon,
z Ethosuximid (zur Behandlung von Absencen).

Die Monotherapie sollte vollståndig ¹ausgereiztª werden, bevor


zu einem anderen Pråparat oder einer Kombinationstherapie
çbergegangen wird, da die individuell notwendige Dosierung
a 4.4 Therapie z 129

im Hinblick auf Alter und bestehende Begleitmedikation sehr


unterschiedlich sein kann. Eine Monotherapie mit einer Dosie-
rung, die çber den empfohlenen Werten liegt, aber ohne we-
sentliche Nebenwirkungen zur Anfallsfreiheit fçhrt, kann daher
die Therapie der Wahl sein. Mit Hilfe von Serumspiegel-Bestim-
mungen kann çberprçft werden, ob die gewåhlte Dosis ausrei-
chend ist, um im Blut einen therapeutisch wirksamen Spiegel
zu erzielen oder um die Compliance zu çberprçfen.
Bei Versagen der Ersttherapie kann zu einer alternativen Mo-
notherapie mit einer anderen der o. g. Substanzen oder zu einer
Kombinationstherapie gewechselt werden. Zur Kombinations-
therapie stehen dann zusåtzlich in erster Linie Levetiracetam,
Pregabalin und Tiagabin zur Verfçgung.
Grundsåtzlich sollten nur Substanzen kombiniert werden, die
unterschiedliche pharmakologische Angriffspunkte haben
(Kombinationen wie z. B. Carbamazepin und Phenytoin sollten
also vermieden werden).
Nach Versagen der Zweittherapie ist eine alternative Mono-
therapie, eine alternative Zweifachtherapie oder auch eine Poly-
therapie aus 3 und ± in Ausnahmefålle ± mehr Wirkstoffen
mæglich. In diesem Fall sollte jedoch zusåtzlich eine Diagno-
seçberprçfung und eine Ûberprçfung der therapeutischen al-
ternativen erfolgen. Zur Diagnoseçberprçfung gehært der Aus-
schluss zusåtzlicher oder ausschlieûlich auftretender psycho-
gener Anfålle oder der anderen mæglichen Differenzialdiagno-
sen. Zu diesem Zeitpunkt sollte auch die Indikation zu einem
operativen Vorgehen çberprçft werden. Bei medikamentæs the-
rapieresistenten und inoperablen Epilepsien besteht auch die
Mæglichkeit der Implantation eines Vagusnervstimulators.
Die meisten Antikonvulsiva werden çber hepatische Stoff-
wechselwege metabolisiert und beeinflussen damit Enzymsyste-
me, die auch die Metabolisierung anderer Medikamente oder
kærpereigener Substanzen regulieren. Insbesondere bei der
Kombination verschiedener Antikonvulsiva mçssen diese Inter-
aktionen Berçcksichtigung finden, da es sonst zu Ûber- oder
Unterdosierungen kommen kann. Von besonderer Bedeutung
ist dies bei der Einnahme von hormonellen Kontrazeptiva, die
bei gleichzeitiger Gabe der sog. Enzyminduktoren schneller ab-
gebaut werden und ihre Wirkung verlieren. Aber auch umge-
130 z 4 Epilepsien und andere Anfallserkrankungen

kehrt kænnen Kontrazeptiva die Wirkung der Antikonvulsiva


beeinflussen. Unter einer Kontrazeption mit Ethinylestradiol/Le-
vonorgestrel kann es zu einer Erhæhung der Clearance von La-
motrigin bis auf das Zweifache kommen, sodass ein reduzierter
antikonvulsiver Schutz angenommen werden kann (Sakers et al.
2003). Nebenwirkungen, pharmakologische Eigenschaften und
mægliche Interaktionen der Antikonvulsiva sind in Tabelle 4.4
und 4.5 zusammengefasst.
Frauen mit Kinderwunsch sollte nicht von einer Schwanger-
schaft abgeraten werden. Eine teratogene Potenz ist fçr Valproin-
såure, Carbamazepin, Phenytoin und Phenobarbital nachgewie-
sen. Bei Topiramat fand sich bereits eine teratogene Potenz in
tierexperimentellen Untersuchungen. Eine Lamotrigin-Monothe-
rapie hingegen fçhrt nicht zu einer Håufung von groûen Missbil-
dungen gegençber der Normalbevælkerung (Cunnington et al.
2005). Das Missbildungsrisiko bei Kombination von 2 oder mehr
Antikonvulsiva ist additiv. Grundsåtzlich sollte daher versucht
werden, bereits vor der Schwangerschaft eine Monotherapie in
retardierter Form in niedrigst wirksamer Dosis anzustreben.
Zusåtzlich sollte geprçft werden, ob bei mehr als 2-jåhriger
Anfallsfreiheit die Medikation nicht vollståndig abgesetzt wer-
den kann. Da ein Teil der Missbildungen mæglicherweise im
Zusammenhang mit einem relativen Folsåuremangel steht, soll-
te mæglichst vor Beginn der Schwangerschaft Folsåure 2±5 mg/
Tag gegeben werden. Obligatorisch sind engmaschige gynåkolo-
gische und neurologische Untersuchungen, da diese Schwanger-
schaften aufgrund des erhæhten Fehlbildungsrisikos und der et-

Tabelle 4.4. Nebenwirkungen der Antiepileptika

z Carbamazepin: Mçdigkeit, Schwindel, Ûbelkeit, Sehstærungen, Kopfschmerzen,


Myoklonien, Hyponatriåmie, Exanthem, Mçdigkeit, Ataxie, Nystagmus
Seltene schwerwiegende: aplastische Anåmie, Hepatitiden, Steven-Johnson-
Syndrom, Lyell-Syndrom, teratogene Effekte
z Clonazepam: Mçdigkeit, Verlangsamung, Kopfschmerzen, Schlafstærungen,
Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme, Nystagmus, Ataxie, Gereiztheit, vermehrter
Speichelfluss, Toleranzentwicklung
Seltene schwerwiegende: Entzugssyndrome, Abhångigkeit
a 4.4 Therapie z 131

Tabelle 4.4 (Fortetzung)

z Ethosuximid: Mçdigkeit, Ûbelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen,


Singultus, Schlafstærungen,
Seltene schwerwiegende: psychotische Symptome, Aplastische Anåmie
z Gabapentin: Mçdigkeit, Schwindel, Ataxie, gastrointestinale Stærungen
z Lamotrigin: Mçdigkeit, Verlangsamung, Kopfschmerzen, allergisches Hautexan-
them, Sehstærungen, Schwindel, Ataxie
z Levetiracetam: Asthenie, Somnolenz, Kopfschmerzen, Anorexie, Diarrhæ, Nau-
sea, Amnesie, Depression, emotionale Labilitåt, Insomnie, Nervositåt, Tremor, Ex-
antheme
z Oxcarbazepin: Øhnlich denen des Carbamazepins, allerdings weniger ausgeprågt:
Allergien, Hyponatriåmie, Schwindel, Ûbelkeit, Erbrechen, Ataxie, Dysarthrie
z Phenobarbital: Mçdigkeit, Verlangsamung, Schwindel, Schlaflosigkeit, Nystag-
mus, Ataxie, Dupuytren-Kontraktur, Schulter-Arm-Syndrom
z Phenytoin: Mçdigkeit, Gingivahyperplasie, Hypertrichose, Tremor, Nystagmus,
Ataxie, Verschwommensehen, PNP
Seltene schwerwiegende: aplastische Anåmie, Hepatitiden, Steven-Johnson-
Syndrom, Lyell-Syndrom, teratogene Effekte, Kleinhirnatrophie
z Pregabalin: Benommenheit, Schlåfrigkeit, gesteigerter Appetit, Euphorie, Ver-
wirrtheit, verringerte Libido, Reizbarkeit, Ataxie, Tremor, Dysarthrie, Aufmerksam-
keits-, Gedåchtnis- und Koordinationsstærungen, Paråsthesie, Verschwommen-
sehen, Diplopie, Schwindel, Mundtrockenheit, Obstipation, Potenzstærung, Ge-
wichtszunahme, Údeme
z Primidon: s. Phenobarbital
z Tiagabin: Mçdigkeit, Tremor, Kopfschmerzen, Schwindel, Nervositåt, gastro-
intestinale Stærungen
z Topiramat: Mçdigkeit, kognitive Einschrånkungen, Somnolenz, Ataxie, Nystag-
mus, Kopfschmerzen, Paråstesien
Schwerwiegende: Lebertoxizitåt, Nephrolithiasis
z Valproat: Mçdigkeit, Tremor, Gewichtszunahme, Haarausfall, Schwindel
Seltene, schwerwiegende: Hepatitiden, bei Kleinkinder in selten Fållen bis
zum tædlichen Leberkoma, teratogene Effekte (Neuralrohrdefekte), Koagulopathie,
Thrombozytopenie
z Vigabatrin: Mçdigkeit, Gewichtszunahme, Depression
Seltene schwerwiegende: Psychosen, irreversible Gesichtsfeldeinschrånkungen
z Zonisamid: Anorexie, Gewichtsabnahme, Agitiertheit, Schwindel, Ataxie, Schlåf-
rigkeit, Diplopie, kognitive Stærungen in hæheren Dosierungen und gelegentlich
Nierensteine
Tabelle 4.5 Antikonvulsiva: Indikationen, Darreichungsformen, Halbwertszeiten, Dosierungen und Interaktionen
132
z

Substanz Hauptindikation Darreich- Halbwerts- Dosierung Bemerkungen


(Nebenindikation) ungsform zeit

z Carbamazepin Fokale Anfålle Oral 20±40 h 600±2400 mg Enzyminduktor; reduziert


z. B. Tegratal, Timonil, (Generalisierte Anfålle) den Spiegel von: PHT, VPA,
Sirtal LAM, TPM (Spiegelkontrolle,
ggf. Dosis erhæhen). Cave: auch
Kontrazeptiva werden schneller
abgebaut!
z Valproinsåure Generalisierte Oral, i.v. 10±15 h 600±3000 mg Verdrångt andere Substanzen
z. B. Ergenyl, Orfiril, Anfålle aus der Plasma-Proteinbindung,
Leptilan, Convulex (Fokale Anfålle) erhæht den Spiegel von LAM
und PHT, senkt aber den CBZ-
Spiegel (Grund?)
z Phenytoin Fokale und Oral, i.v. 10±40 h 200±500 mg Enzyminduktor; reduziert
4 Epilepsien und andere Anfallserkrankungen

z. B. Zentropil, generalisierte i.v. Aufsåttigung den Spiegel von: CBZ, VPA,


Phenhydan, Epanutin Anfålle bis zu 2 ´ 750 mg LAM, TPM (Spiegelkontrolle,
Status epilepticus ggf. Dosis erhæhen).
und symptomatische Cave: auch Kontrazeptiva werden
Anfålle (wenn schnelle schneller abgebaut!
Aufsåttigung i.v. not-
wendig ist)
a

Substanz Hauptindikation Darreich- Halbwerts- Dosierung Bemerkungen


(Nebenindikation) ungsform zeit

z Phenobarbital Fokale und generali- Oral, i.v. 50±120 h 50±200 mg Enzyminduktor; reduziert
z. B. Luminal, sierte Anfålle (inzwi- Konzentration von: PHT, VPA,
Phenaemal schen Mittel der 2. LAM (Spiegelkontrolle,
und 3. Wahl) Status ggf. Dosis erhæhen).
epilepticus, wenn Cave: auch Kontrazeptiva
Benzodiazepine und werden schneller abgebaut!
Phenytoin unwirksam
sind
z Primidon Fokale und generali- Oral 10±12 h 500±1500 mg Enzyminduktor; reduziert
z. B. Mylepsinum, sierte Anfålle Konzentration von: PHT, VPA,
Liskantin, Resimatil (Mittel der 2. und LAM (Spiegelkontrolle,
3. Wahl) ggf. Dosis erhæhen).
Cave: auch Kontrazeptiva werden
schneller abgebaut!
z Ethosuximid Absencen Oral 30±40 h 500±2000 mg Keine sicheren Interaktionen
z. B. Petnidan, Suxilep, (ausschlieûlich) mit anderen Substanzen
Pyknolepsinum
z Vigabatrin Nur noch bei West- Oral 4±8 h 1000±3000 mg Kann den Spiegel von PHT
4.4 Therapie

Sabril Syndrom senken


z
133
Tabelle 4.5 (Fortsetzung) 134

Substanz Hauptindikation Darreich- Halbwerts- Dosierung Bemerkungen


(Nebenindikation) ungsform zeit
z

z Lamotrigin Therapie fokaler Oral 24±30 h 100±800 mg Verdrångt andere Substanzen


Lamictal Anfålle aus der Plasmaeiweiûbindung:
erhæht den Spiegel von CBZ
und VPA (Spiegelkontrolle,
ggf. Dosis reduzieren)
z Gabapentin Therapie fokaler Oral 6h 1200±4800 mg Keine relevanten Interaktionen
Neurontin Anfålle mit anderen Substanzen
z Tiagabin Add-on-Therapie Oral 7±9 h 15±70 mg Keine bekannten Interaktionen
Gabitril fokaler Anfålle mit anderen Substanzen
z Oxcarbamazepin Therapie fokaler Oral 8±24 h 600±2400 mg Keine relevanten Interaktionen
z. B. Trileptal Anfålle mit anderen Substanzen
z Topiramat Therapie fokaler Oral 20±22 h 100±800 mg Kann den Spiegel von PHT
Topamax und generalisierter erhæhen und den Spiegel
4 Epilepsien und andere Anfallserkrankungen

Anfålle von Ústrogenen senken


z Levetiracetam Add-on-Therapie Oral 7h 1000±3000 mg Keine bekannten Interaktionen
Keppra fokaler Anfålle mit anderen Substanzen
z Pregabalin Add-on-Therapie Oral 6h 150±600 mg Keine bekannten pharmakokine-
Lyrica fokaler Anfålle tische Interaktionen mit anderen
Antikonvulsiva.
Die Wirkung von Benzodiazepi-
nen und Alkohol wird verstårkt
z Zonisamid Add-on-Therapie Oral bis 60 300±500 mg Keine bekannten oder relevan-
Zonegran totaler Anfålle ten Interaktionen mit anderen
Medikamenten
a 4.4 Therapie z 135

wa doppelt so hohen Neugeborenensterblichkeit als Risiko-


schwangerschaften zu betrachten sind. Ûber die Vertråglichkeit
der neueren Antikonvulsiva in der Schwangerschaft liegen noch
keine ausreichenden Daten vor.

z Carbamazepin (z. B. Tegretal, Timonil, Sirtal, Finlepsin u. a.) ist


eng verwandt mit der Gruppe der trizyklischen Antidepressiva,
ist fçr die Behandlung von fokalen und generalisierten Anfållen
zugelassen. Es ist derzeit das weltweit am håufigsten verwendete
Antikonvulsivum. Der Wirkungsmechanismus ist åhnlich dem
des Phenytoins und erfolgt durch eine Inhibition der Natrium-
kanåle. Zunåchst nur bei der Behandlung fokaler Anfålle einge-
setzt, zeigte Carbamazepin auch gute Effekte in der Behandlung
generalisierter tonisch-klonischer Anfålle. Aufgrund seiner guten
Wirkung und Vertråglichkeit ist es derzeit Mittel der ersten Wahl
zur Behandlung einfach- und komplex-fokaler Anfålle mit und
ohne sekundårer Generalisierung. Carbamazepin wirkt enzymin-
duzierend und kann damit den Abbau anderer Medikamente
deutlich beschleunigen. Dies betrifft v. a. Phenytoin, Valproat,
Phenobarbital, Theophyllin und Steroide wie orale Kontrazeptiva
(cave: verminderter Schutz!). Es zeigt ferner eine Kreuzreaktion
mit Phenytoin und darf daher bei allergischer Unvertråglichkeit
nicht durch Phenytoin ersetzt werden. Wichtigste Nebenwirkun-
gen sind Mçdigkeit, Schwindel, Erbrechen, Nystagmus, Ataxie.
Dosierung: mittlere Dosis: 900±1200 mg/Tag, Anfangsdosis
2 ´ 100 mg/Tag, jeden 2. Tag um 100±200 mg erhæhen (auf 2±3
Tagesdosen verteilt). In der Retard-Form auch Reduktion auf
1±2 Tagesdosen mæglich.

z Sodium-Valproat (Valproinsåure) (z. B. Ergenyl, Orfiril, Leptilan,


Convulex, Convulsofin, Mylproin u. a.), hemmt die GABA-
Transaminase und aktiviert die GABA-Decarboxylase (ein
Hauptenzym zur GABA-Synthese), sodass GABA im synapti-
schen Spalt zum einen durch die Hemmung des Abbauenzyms
sowie die verstårkte Aktivitåt des synthetisierenden Enzyms
erhæht wird. Valproat ist insbesondere zur Behandlung genera-
lisierter Anfålle und Absencen geeignet. Es ist derzeit das Medi-
kament der ersten Wahl zur Behandlung generalisierter Anfålle
und Medikament der zweiten Wahl bei der Therapie fokaler
136 z 4 Epilepsien und andere Anfallserkrankungen

Anfålle. Valproat verdrångt andere Substanzen aus der Plasma-


eiweiûbindung und wirkt enzyminhibierend. Es kann daher zu
einer Erhæhung der Serumkonzentration von Phenobarbital
und Lamotrigin kommen. Das Spektrum der Nebenwirkungen
umfasst v. a. Tremor, Haarausfall, Gewichtszunahme und Mç-
digkeit. Valproat kann bei Patienten mit vorgeschådigter Leber
sowie bei Kindern zu nicht selten letal verlaufenden Leberko-
mata fçhren und sollte dieser Patientengruppe nur unter
strengster Indikationsstellung verschrieben werden. Seit kurzem
ist ferner eine parenterale Darreichungsform verfçgbar, die bei
guter Vertråglichkeit eine schnelle Aufsåttigung ermæglicht.
Dosierung: mittlere Dosis: 900±1200 mg/Tag, Anfangsdosis
2 ´ 100 mg/Tag, dann alle 3±6 Tage um 100±200 mg steigern
(verteilt auf 1±3 Tagesdosen). Parenterale Gabe: 600±900 mg i.v.
als Kurzinfusion çber 5 min, dann ggf. Wiederholung der Kurz-
infusion oder Dauerinfusion 900±1500 mg çber 60 min (maxi-
mal 3000 mg i.v. /Tag).

z Phenytoin (z. B. Zentropil, Phenhydan, Epanutin, Citrullamon


u. a.). Seine antikonvulsive Wirkung ist bereits seit 1938 bekannt,
sodass es bereits seit Ende der 30er Jahre verwendet wird (seine
antiarrhythmische Wirkung ist erst 12 Jahre spåter entdeckt wor-
den). Als eines der ersten Antikonvulsiva, das in therapeutischen
Dosen nicht sonderlich sedativ wirkt, war es bis vor kurzem (in
den angelsåchsischen Låndern noch heute) ein Mittel der ersten
Wahl. Der Wirkungsmechanismus beruht wahrscheinlich auf der
Stabilisierung des Membranpotenzials durch Hemmung der Na-
triumkanåle. Es kann grundsåtzlich bei allen Epilepsieformen
mit Ausnahme von Absencen eingesetzt werden, gilt jedoch als
besonders geeignet zur Therapie von fokalen Epilepsieformen.
Aufgrund seines besseren Nebenwirkungsspektrums ist Carba-
mazepin jedoch an die Stelle von Phenytoin als Medikament
der ersten Wahl in der Behandlung fokaler Anfålle getreten. Phe-
nytoin ist auch in einer parenteralen Form erhåltlich und daher
immer noch von besonderer Bedeutung in Situationen, in denen
eine schnelle Aufsåttigung erwçnscht ist, wie symptomatischen
Anfållen nach Schådel-Hirn-Traumata oder Raumforderungen.
Aufgrund der langen Halbwertszeit ist eine einmalige tågliche
Dosis ausreichend, doch wird aufgrund der besseren Vertråglich-
a 4.4 Therapie z 137

keit eine Aufteilung der Dosis bevorzugt. Typische Nebenwirkun-


gen bei Langzeitgabe sind Gingivahyperplasie, Hypertrichose,
das Auftreten brauner Pigmentierungen sowie dosisabhångig
Tremor, Schwindel, Ataxie.
Orale Dosierung: mittlere Dosis: 3±5 mg/kg KG (ca. 300 mg/
Tag), mit einer initialen Dosis von 50±100 mg, dann jede Woche
um 50 mg erhæhen. Bei der parenteralen Gabe (bis zu 2 ´ 750 mg
i.v. /Tag) sollte eine Dosierung von 50 mg/min bei Erwachsenen
nicht çberschritten werden.

z Phenobarbital (z. B. Luminal, Phenaemal u. a.) besitzt unter


den Barbituraten die besten antikonvulsiven Eigenschaften.
Phenobarbital wurde bereits 1912 als Antikonvulsivum ein-
gefçhrt und ist grundsåtzlich bei generalisierten sowie fokalen
Anfållen einsetzbar. Bei Absencen, myoklonisch-astatischen und
BNS-Kråmpfen ist es wirkungslos. Aufgrund seiner starken se-
dativen Nebenwirkungen hat es jedoch an Bedeutung in der
tåglichen Anfallsprophylaxe verloren und ist Mittel der zweiten
Wahl. Es ist stark enzyminduzierend und kann daher zu einem
starken Wirkungsverlust anderer Medikamente fçhren (andere
Antikonvulsiva, Antikonzeptiva und Antikoagulanzien). In der
Kombinationsbehandlung mit Valproat kann der Serumspiegel
von Phenobarbital stark ansteigen, wåhrend Valproat selbst bei
hoher Dosierung nicht in den therapeutischen Bereich gelangt.
Typische Nebenwirkungen neben den sedierenden Effekten sind
Obstipation, Schulterschmerzen infolge von Polyfibromatose
und Entzugssymptome bei schnellem Absetzen.
Dosierung: mittlere Dosis 200 mg/Tag; initiale Dosis 50 mg/
Tag, dann alle 2 Wochen um 50 mg erhæhen.

z Primidon (z. B. Mylepsinum, Liskantin, Resimatil) wird zu


Phenobarbital verstoffwechselt und besitzt im Wesentlichen das
gleiche Indikationsspektrum. Bei komplex-fokalen Anfållen soll
die Wirkung etwas besser sein. Hauptunterschied ist eine we-
sentlich kçrzere Halbwertszeit. Eine sichere antikonvulsive Wir-
kung von Primidon ist nicht belegt. Die Nebenwirkungen ent-
sprechen ebenfalls denen des Phenobarbitals.
Dosierung: mittlere Dosis 1000 mg/Tag; initiale Dosis 50±
100 mg/Tag, dann alle 3±4 Tage um 25±50 mg steigern.
138 z 4 Epilepsien und andere Anfallserkrankungen

z Ethosuximid (z. B. Petnidan, Pyknolepsinum, Suxinutin, Suxi-


lep) ist Anfang der 50er Jahre als Mittel der Wahl bei Absencen
eingefçhrt worden. Bei sonstigen generalisierten sowie fokalen
Anfållen ist es wirkungslos. Es ist heute als Mittel der zweiten
Wahl hinter Valproat zurçckgetreten. Als Nebenwirkungen ste-
hen Kopfschmerzen, Ûbelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit sowie
Schlafstærungen im Vordergrund.
Dosierung: mittlere Dosis 1000 mg/Tag mit initialer Dosis
von 100 mg, dann alle 1±2 Wochen um 100 mg erhæhen.

z Vigabatrin (Sabril), seit 1991 in Deutschland zugelassen, hemmt


die GABA-Transaminase irreversibel und fçhrt so zu einem An-
stieg von GABA im synaptischen Spalt. Es ist bisher als Add-on-
Medikation bei der erfolglosen Behandlung einfach- und kom-
plex-fokaler Anfålle mit und ohne sekundårer Generalisierung
zugelassen. Es kann ferner zur Behandlung des Lennox-Gastaut-
Syndroms sowie des West-Syndroms (Blitz-Nick-Salaam = BNS-
Kråmpfe) im Kindesalter eingesetzt werden. Vigabatrin kann
jedoch idiopathische generalisierte Anfålle verstårken, sodass es
nicht als Add-on-Medikation bei Patienten mit generalisierten
Anfållen geeignet ist. Vigabatrin wird angesichts immer neuer
therapeutischer Optionen und der Gefahr von irreversiblen Ge-
sichtsfeldeinschrånkungen zunehmend ein Reserve-Medikament.
Die Kontrolle des Serumspiegels ist nicht notwendig.
Dosierung: Erwachsene: 2±4 g/Tag, 1 g/Tag als Anfangsdosis
in der ersten Woche (in 1±2 Tagesdosen). Kinder: 10±15 kg:
0,5±1,0 g/Tag; 15±30 kg: 1,0±1,5 g/Tag; 30±50 kg: 1,5±3,0 g/Tag.

z Lamotrigin (Lamictal) ist seit Mitte 1993 in Deutschland zuge-


lassen und hat im Gegensatz zu Vigabatrin ± soweit bisher be-
kannt ± keine Wirkung auf GABAerge Mechanismen, sondern
blockiert die Freisetzung von Glutamat und Aspartat, indem es
die Inaktivierung von Natriumkanålen verlångert. Es ist sowohl
fçr die Monotherapie als auch fçr die Add-on-Therapie fokaler
Anfålle mit und ohne sekundårer Generalisierung zugelassen.
In der Monotherapie scheint Lamotrigin eine åhnlich gute Wir-
kung wie Carbamazepin zu haben. Erste Studien berichten fer-
ner çber signifikante Therapieerfolge in der Behandlung primår
generalisierter Anfålle. Bei der Therapie muss die gleichzeitige
a 4.4 Therapie z 139

Gabe von enzyminduzierenden Medikamenten (Carbamazepin,


Phenytoin, Phenobarbital) berçcksichtigt werden, die die Halb-
wertszeit halbieren (Dosis nach oben anpassen!). Anders bei
der Kombination Valproat: Hier verdoppelt bis verdreifacht sich
die Halbwertszeit, sodass die Dosis reduziert und der Plasma-
spiegel kontrolliert werden muss.
Dosierung: mit enzyminduzierenden Medikamenten: 25 mg/
Tag in der 1. und 2. Woche, um weitere 25 mg/Tag ab 3. Woche
steigern alle 2 Wochen bis auf 100 mg/Tag, dann um 50 mg/Wo-
che steigern bis maximal 600 mg/Tag. Mit Valproat: 12,5 mg/Tag
alle 2 Wochen bis 50 mg/Tag, danach Aufdosierung um 25 mg/
Tag alle 2 Wochen.

z Gabapentin (Neurontin) ist der GABA strukturell eng verwandt


und gelangt ± anders als GABA ± einfach durch die Blut-Hirn-
Schranke. Der Mechanismus ist jedoch nicht abschlieûend ge-
klårt. Gabapentin ist zur Therapie fokaler Anfålle mit und ohne
sekundårer Generalisierung zugelassen. Vorteil der Substanz ist
die Mæglichkeit der raschen Aufdosierung und ein relativ gçnsti-
ges Nebenwirkungsspektrum. Anders als die meisten Antiepilep-
tika beeinflusst Gabapentin den Leberstoffwechsel nicht, sodass
es zu keinen Interaktionen mit anderen Antikonvulsiva oder An-
tikonzeptiva kommt. Schwerwiegende Nebenwirkungen sind mit
Gabapentin bisher nicht beobachtet worden. Nachteil hingegen
ist die kurze Halbwertszeit von 6 h, die zu einer 3- bis 4-maligen
Gabe tåglich zwingt. Obwohl Dosisfindungsstudien auf eine Do-
sierung zwischen 900 und 1800 mg/Tag hinweisen und die meis-
ten Untersuchungen in diesem Dosisbereich durchgefçhrt wur-
den, haben vereinzelte Studien mit wesentlich hæheren Dosierun-
gen (bis 4800 mg/Tag) eine verbesserte Wirksamkeit ohne signifi-
kante Verstårkung der Nebenwirkung nachweisen kænnen.
Dosierung: initial 300±400 mg/Tag, dann um jeweils die glei-
che Dosis alle 2 Tage steigern. Spiegelkontrollen nicht notwendig.

z Felbamat (Taloxa) çbt die antikonvulsiven Wirkungen çber 2


unterschiedliche Mechanismen aus: als Antagonist an NMDA-
Rezeptoren sowie durch agonistische Effekte auf GABAA-Rezep-
toren. Obwohl anfånglich aufgrund des breiten Wirkspektrums
und guten therapeutischen Erfolgs in verschiedenen Studien
140 z 4 Epilepsien und andere Anfallserkrankungen

mit viel Hoffnung eingefçhrt, ist Felbamat in Deutschland und


vielen anderen Låndern derzeit nur zur Behandlung des selte-
nen und anderweitig therapieresistenten Lennox-Gastaut-Syn-
droms bei Kindern ab 4 Jahren zugelassen. Seit Mitte 1994
waren mehrere Fålle (bei 100 000 behandelten Patienten) von
aplastischen Anåmien (davon 10 tædlich) sowie schweren hepa-
totoxischen Nebenwirkungen (5 tædlich) bekannt geworden, die
mit Einnahme von Felbamat in Verbindung gebracht wurden.
Die Zulassungsbehærden haben daher die Indikation fçr die
Substanz drastisch eingeengt. Die Substanz sollte ausschlieûlich
von spezialisierten Zentren verwendet werden.

z Tiagabin (Gabitril) ist ein GABA-Wiederaufnahmehemmer und


erhæht damit die Konzentration von GABA im synaptischen
Spalt. In der Add-on-Therapie von bisher therapieresistenten fo-
kalen Anfållen fçhrt es bei 20±40% der Patienten zu einer Halbie-
rung der Anfallsfrequenz. Es ist daher gegenwårtig zur Add-on-
Behandlung von fokalen Anfållen mit und ohne sekundårer Ge-
neralisierung zugelassen. Auch Tiagabin muss langsam einge-
schlichen werden. Die Tagesdosis liegt zwischen 30 und 70 mg,
wobei die Initialdosis 5 mg betragen und pro Woche um 5±10 mg
gesteigert werden sollte. Nachteil ist auch hier die kurze Halb-
wertszeit von ca. 6±8 h, die ggf. eine dreimalige tågliche Gabe
notwendig macht. Spiegelkontrollen nicht notwendig.

z Topiramat (Topamax) wirkt mæglicherweise auf 4 verschiede-


nen Ebenen: Neben der Inhibition von spannungsabhångigen
Natrium- und Kalziumkanålen wirkt die Substanz ferner akti-
vierend auf die GABAerge und inhibierend auf die glutamaterge
(AMPA) Transmission. Topiramat ist inzwischen sowohl fçr die
Monotherapie wie auch fçr die Add-on-Therapie fokaler und
generalisierter Anfålle ab dem zweiten Lebensjahr zugelassen
(einschlieûlich Lennox-Gastaut-Syndrom, einzige Ausnahme:
Absencen) und verfçgt damit çber ein sehr breites Indikations-
spektrum. Die Substanz kann die Konzentration von Phenytoin
und Ústrogenen im Blut deutlich erhæhen. Neben verschiede-
nen Nebenwirkungen (Tabelle 4.4) empfinden viele Patienten
jedoch v. a. die Mçdigkeit und kognitive Einschrånkung als stæ-
rend. Die Substanz kann ferner zu Nierensteinen fçhren und ist
a 4.4 Therapie z 141

daher bei Patienten mit einschlågiger Anamnese kontraindi-


ziert. Die Substanz muss langsam eingeschlichen werden.
Dosierung: initial 2 ´ 25 mg/Tag, dann pro Woche um 25 mg
bis zu einer Zieldosis von 200±400 mg erhæhen. Spiegelkontrol-
len nicht notwendig.

z Oxacarbazepin (Trileptal) ist das 10-Ketoanalogon des Carbama-


zepins und einer vergleichbaren Wirksamkeit. Es ist derzeit fçr
die Behandlung von fokalen Anfållen mit und ohne sekundåre Ge-
neralisierung und in der Monotherapie zugelassen. Auch die Ne-
benwirkungen entsprechen denen des Carbamazepins, sind je-
doch deutlich geringer ausgeprågt. Allerdings fçhrt Oxacarbaze-
pin signifikant håufiger zu Hyponatriåmien, die insbesondere bei
ålteren Menschen zu Bewusstseinstrçbungen fçhren kænnen. Da
auch die Enzyminduktion wesentlich geringer ist, werden unter
Oxacarbazepin weniger Unvertråglichkeiten mit anderen Substan-
zen beobachtet. Oxacarbazepin ist bereits in einigen europåischen
Låndern zugelassen. Langzeitstudien werden nun zeigen mçssen,
ob die Substanz aufgrund der guten Vertråglichkeit einen Platz als
Mittel der ersten Wahl verdient. Die Dosierung entspricht etwa
dem 1,5fachen der Carbamazepin-Dosierung und kann aufgrund
der besseren Vertråglichkeit auch etwas schneller aufdosiert wer-
den. Die mittlere Dosierung betrågt zwischen 1200±2400 mg. Die
initiale Dosis betrågt 2 ´ 300 mg/Tag und kann je nach individuel-
ler Vertråglichkeit jeweils um 600 mg pro Woche erhæht werden.

z Levetiracetam (Keppra). Levetiracetam ist ein erst seit 2001 zu-


gelassenes Piracetam-Analogon mit einem noch unklaren Wirk-
mechanismus. Interessanterweise war die Substanz in vielen gån-
gigen generalisierten Epilepsie-Modellen unwirksam, jedoch sehr
potent in spezifischen Modellen, die fokale Anfålle simulieren.
Levetiracetam zeichnet sich durch gute pharmakokinetische Ei-
genschaften aus. Es besitzt eine hohe Bioverfçgbarkeit, wird
schnell resorbiert und erreicht bereits nach 2 Tagen einen gleich-
måûigen Wirkspiegel. Es wird fast ausschlieûlich çber den Urin
ausgeschieden, wird nur geringfçgig çber die Leber metabolisiert
und hat nur minimale Interaktionen mit anderen Antikonvulsiva.
Sofern aus den zulassungsrelevanten Studien erkennbar, ist die
Substanz vergleichsweise gut vertråglich. Das Indikationsgebiet
142 z 4 Epilepsien und andere Anfallserkrankungen

ist die Add-on-Therapie bei therapierefraktåren fokalen Anfållen


und photosensiblen Epilepsien. Die Dosierung betrågt zwischen
500 und 4000 mg/Tag. Die Startdosierung betrågt 2 ´ 500 mg
und kann in 1000-mg-Schritten alle 2±3 Tage bis auf die Enddosis
gesteigert werden. Spiegelkontrollen entfallen.

z Pregabalin (Lyrica) ist chemisch mit Gabapentin verwandt. Es


hat wie Gabapentin eine strukturelle Øhnlichkeit mit GABA.
Pregabalin bindet sich an eine Untereinheit von spannungs-
abhångigen Kalziumkanålen im ZNS und vermindert dadurch
die Freisetzung stimulierender Neurotransmitter und reduziert
so negative Entladungen an diesen Kanålen. Pregabalin ist in
Deutschland seit 2004 zur Zusatzbehandlung fokaler Epilepsien
im Erwachsenenalter zugelassen. Es sind keine pharmakokineti-
schen Interaktionen mit anderen Antikonvulsiva bekannt. Die
Wirkung von Alkohol und Benzodiazepine wird verstårkt. Es
wird çber die Niere ausgeschieden. Die håufigsten Nebenwir-
kungen sind Mçdigkeit und Gewichtszunahme.
Dosis: 150±600 mg/Tag.
Aufdosierung: zunåchst 150 mg/Tag. Nach 1 Woche Steige-
rung auf 300 mg (2 ´150 mg) mæglich, nach einer weiteren Wo-
che auf 600 mg/Tag (2 ´ 300 mg).

z Zonisamid (Zonegran) ist ein Benzisoxazol mit Sulfonamid-


gruppe. Sein wahrscheinlicher Wirkmechanismus ist eine Nat-
riumblockade åhnlich wie bei Phenytoin, aber zusåtzlich auch ei-
ne Carboanhydrasehemmung. Zonisamid wurde in Deutschland
im Mai 2005 zur add-on-Therapie fokaler Epilepsien zugelassen.
In Japan wird es bereits seit 1989 und in den USA seit 2000 ver-
wendet. Es gibt keine relevanten Interaktionen mit anderen Me-
dikamenten. Die håufigsten Nebenwirkungen sind Anorexie, Ge-
wichtsabnahme, Reizbarkeit, Schwindel und Ataxie.
Dosis: 300±500 mg.
Aufdosierung: In der ersten Woche 50 mg/Tag, in der zweiten
Woche 100 mg/Tag. Danach kann in 100-mg-Schritten/Woche
weiter erhæht werden.

Daneben gibt es noch eine Reihe von Substanzen der zweiten


Wahl oder Reservesubstanzen fçr spezifische Indikationen:
a 4.4 Therapie z 143

z Mesuximid (Petinutin). Es ist Mittel der zweiten Wahl bei Be-


handlung von Absencen.
z Sultiam (Ospolot). Es wird zur Behandlung benigner Partial-
epilepsien des Kindesalters eingesetzt.
z Acetazolamid (Diamox). Es dient als Zusatzpråparat bei der
Behandlung des therapieresistenten Status.

z Neue Substanzen in klinischen Studien


z Remacemid: NMDA-Kanalblocker (v. a. Blockade neuronaler
Natriumkanåle),
z Losigamon: Natriumkanalblocker und GABAA-Rezeptor-Sti-
mulator,
z Ganaxolon: Neurosteroid, Aktivierung von GABAA-Rezeptoren,
z Stiripentol: Wirkmechanismus noch unklar, mæglicherweise
åhnlich wie Valproat,
z Rufinamid: Mechanismus unbekannt.

4.4.3 Operative Behandlung der Epilepsie

z Epilepsiechirurgie
Grundvoraussetzung fçr eine chirurgische Behandlung der Epi-
lepsie ist eine gesicherte Epilepsiediagnose. Darçber hinaus
muss eine Pharmakoresistenz bestehen. Das heiût, dass bei
hoch dosierter, hinreichend langer Therapie (bei relativ nied-
riger Anfallsfrequenz: mindestens Fçnffaches des Durch-
schnittsintervalls zwischen zwei Anfållen) mit nacheinander
mindestens zwei Antikonvulsiva 1. Wahl oder einem Antikon-
vulsivum 1. Wahl und einer Kombinationstherapie 1. Wahl den-
noch intolerable Anfallsfrequenz und/oder intolerable Neben-
wirkungen und/oder intolerable Einschrånkung der Lebensqua-
litåt bestehen. Eine weitere Voraussetzung ist ein definierter, re-
sezierbarer Fokus. Eine Ausnahme sind die Patienten, die auf-
grund von Sturzanfållen oder schweren Grand-mal-Anfallsseri-
en fçr eine palliative Callosotomie in Frage kommen.
Insgesamt sind 2±3% aller Epilepsiepatienten epilepsiechirur-
gische Kandidaten.
144 z 4 Epilepsien und andere Anfallserkrankungen

z Vagusnervstimulation
Der Vagusnervstimulator ist ein im Brustbereich implantiertes
Stimulationsgeråt, das çber eine Reizelektrode in der Regel mit
dem linken N. vagus verknçpft ist. Er stimuliert im Regelfall
alle 5 min fçr 30 s. Die Indikation zu dieser Behandlung besteht
bei Patienten mit einer Pharmakoresistenz, die nicht fçr einen
resektiven epilepsiechirurgischen Eingriff in Frage kommen.
Hauptproblem der Vagusnervstimulation ist, dass sich die
Wirksamkeit meist erst nach 6 Monaten entwickelt. Oft kann
die Wirksamkeit erst 1 Jahr nach Implantation beurteilt wer-
den. In kontrollierten Studien (Handforth et al. 1990) wurde ei-
ne Anfallsreduktion um 50% bei ca. einem Drittel bis der Hålf-
te der Patienten gezeigt. Nebenwirkungen der Vagusnervsti-
mulation sind Heiserkeit und Kribbelparåsthesien im Hals-
bereich. Gelegentlich werden positive psychotrope Effekte be-
obachtet.

z Das Neuste
z Auch fçr einige Epilepsiesyndrome konnten jetzt genetische
Defekte bestimmt werden:
± benigne familiåre Neugeborenenkråmpfe: 8q, 20q,
± juvenile myoklonische Epilepsie: 6p, 10q,
2S
± nåchtliche Frontallappenepilepsie: 20q, 1q
± generalisierte Epilepsie und Fieberkråmpfe: 2q, 5q,9q
± Fieberkråmpfe/Absence-Epilepsie des Kindes-
alters: 5q
± periventrikulåre Heterotopie: Xq 28
± Das SCN1A-Gen auf Chromsom 2q24 codiert fçr eine
a-Untereinheit des spannungsabhångigen Natriumkanals.
Mutationen in diesem Gen finden sich in verschiedenen
Epilepsien wie z. B. dem Dravet-Syndrom, der therapiere-
sistenten kindlichen Epilepsie mit generalisierten tonisch-
klonischen Anfållen und den febrilen Anfållen plus (Mul-
ley et al. 2005). Es wurden bisher çber 100 Mutationen in
diesem Gen beschrieben.
a

Anhang 4.1 Medikamentæse Behandlung einer Epilepsie

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tgl. Einnahme [1 ]

Carbamazepin
z Tbl. Carbabeta retard 600, N3, 71,29/0,36 600±2400 21,6
200 St., Biopharma (bei 1200 mg)
Valproinsåure
z Tbl. Valproat Hexal 600, 200 St., 55,07/0,28 600±3000 16,8
N3, Hexal AG (bei 1200 mg)
Phenytoin
z Tbl. Phenytoin AWD 100 mg, 17,45/0,09 200±500 8,1
200 St., N3, (bei 300 mg)
AWD-Pharma
Phenobarbital
z Tbl. Luminal 100 mg, 100 St., 25,10/0,25 50±200 15
N3, Desitin (bei 200 mg)
Primidon
Anhang 4.1 Medikamentæse Behandlung einer Epilepsie

z Tbl. Primidon Holsten, N3, 29,71/0,15 500±1500 12,6


z

Holsten Pharm., (bei 750 mg)


250 mg, 200 St.
145
146

Anhang 4.1 (Fortsetzung)


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tgl. Einnahme [1 ]

Ethosuximid
z Kps. Suxilep 250 mg, N3, 58,12/0,29 500±2000 26,1
200 St., Mibe Vertriebsges. mbH (bei 750 mg)
Vigabatrin
z Filmtbl. Sabril 500 mg, N3, 199,86/1,0 1000±3000 60
200 St., Aventis Pharma GmbH (bei 1000 mg)
Lamotrigin
z Tbl. Lamotrigin ATID 100 mg, N3, 241,21/1,21 100±800 72,6
200 St., Dexcel Pharma GmbH (bei 200 mg)
Gabapentin
4 Epilepsien und andere Anfallserkrankungen

z Kps. Gabapentin ABZ 400 mg, N3, 153,22/0,77 1200±4800 92,4


200 St., ABZ-Pharma (bei 1600 mg)
Tiagabin
z Tbl. Gabitril 15 mg, N3, 440/2,2 15±70 132
200 St., Cephalon GmbH (bei 30 mg)
a

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tgl. Einnahme [1 ]

Topiramat
z Tbl. Topamax 100 mg, N3, 497,66/2,49 100±800 149,4
200 St., Janssen-Cilag (bei 200 mg/Tag)
Oxcarbazepin
z Tbl. Trileptal 600 mg, N3, 219,02/1,1 600±2400 66
200 St., Novartis Pharm. (bei 1200 mg/Tag)
Levetiracetam
z Tbl. Keppra 500 mg, N3, 337,92/1,69 1000±3000 101,4
200 St., UCB (bei 1000 mg/Tag)
Sultiam
z Tbl. Ospolot 200 mg, 200 St., 162,70/0,81 400±1000 97,2
N3, Desitin (bei 800 mg/Tag)
Acetazolamid
z Tbl. Diuramid 250 mg, 100 St., 40,34/0,40 750±1500 48
N3, Medphano Arzneim. (bei 1000 mg/Tag)
Anhang 4.1 Medikamentæse Behandlung einer Epilepsie
z
147
148

Anhang 4.2 Parenterale Darreichungsformen zur Akutbehandlung


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten pro


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] Anfall [1 ]

Benzodiazepine
Lorazepam
z i.v. Tavor pro injectionem 2 mg, 25,24/2,51 2±8 2,51
10 St., N2, Wyeth Pharma GmbH (bei 2 mg)
Clonazepam
z i.v. Rivotril 1 mg, 5 St., N1, 17,20/3,44 2±8 6,88
Hofmann La Roche AG (bei 2 mg)
Diazepam
z Rektiole Stesolid Rectal Tube 5 mg, 17,40/3,48 5±30 3,48
5 St., N1, Alpharma-Isis (bei 5 mg)
4 Epilepsien und andere Anfallserkrankungen

GmbH & Co KG
z i.v. Diazep 10 mg AbZ, N1, 11,05/2,21 10±40 2,21
5 St., N1, ABZ-Pharma GmbH (bei 10 mg)
Midazolam
z i.v. Midazolam 5 mg/5 ml Curamed 14,85/2,97 2,5±7,5 2,97
5 St., N1, Deltaselect GmbH (bei 5 mg)
a

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten pro


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] Status [1 ]

Phenytoin
z i.v. Phenhydan Infusionskonzentrat, 150,00/30,00 2 ´ 750 60,00
750 mg, Desitin, 5 Amp.
Valproinsåure
z i.v. Orfiril 100 mg/ml, Inj.-Lsg., 39,13/7,83 900±4200 31,32
5 ´ 3 ml, N1,1 Amp.= 300 mg, (bei 1200 mg)
Desitin
Phenobarbital
z i.v. Luminal Inj.-Lsg., 200 mg, 16,75/3,35 400±2000 16,75
5 Amp., N1, Desitin (bei 1000 mg)
Thiopental
z Trockensubstanz Thiopental Nycomed, 0,5 g, 37,20/1,45 500±1500 2,9
25 ´ 20 ml TSS, Inresa Arzneim. GmbH (bei 1000 mg)
Anhang 4.2 Parenterale Darreichungsformen zur Akutbehandlung
z
149
5 Demenzen
Hans-Christoph Diener

Demenzen sind erworbene, organisch bedingte, in der Regel


chronisch-progrediente Beeintråchtigungen der intellektuellen
Leistungsfåhigkeit. Demenzielle Symptome kænnen aufgrund
unterschiedlicher morphologischer Verånderungen entstehen.
Da die Øtiologie håufig ungeklårt ist und klinisch verschie-
denste neuropsychologische Stærungen vorherrschen kænnen,
ist eine befriedigende Einteilung der Demenzen schwierig. In
den zurzeit allgemein akzeptierten DSM-IV- und ICD-10-Klassi-
fikationen werden die Demenzen nach åtiologischen Gesichts-
punkten eingeteilt:
z Primår degenerative Demenzen (Alzheimer-Erkrankung, fron-
totemporale Demenz),
z vaskulåre Demenzen (Morbus Binswanger),
z Demenzen als Syndrom anderer Systemdegenerationen (Mor-
bus Parkinson, Chorea Huntington, Hallervorden-Spatz-Syn-
drom, spinozerebellåre Degenerationen),
z Demenzen als sekundåre Folge anderer Erkrankungen (Ta-
belle 5.1).
152 z 5 Demenzen

Alle demenziellen Entwicklungen bedçrfen einer ausfçhrlichen


internistischen, neurologischen und psychiatrischen Diagnostik.
In jedem Fall mçssen mægliche symptomatische Ursachen aus-
geschlossen werden. Es sei bedacht, dass die Diagnose einer
Demenz in der Regel nicht mehr çberprçft wird, wenn sie ein-
mal gestellt ist. Tabelle 5.1 listet die wichtigsten symptomati-
schen Differenzialdiagnosen auf. In Tabelle 5.2 sind die wich-
tigsten durchzufçhrenden Untersuchungen mit den entspre-
chenden Differenzialdiagnosen zusammengefasst:
Bei Patienten, die bereits in mittleren Lebensdekaden demen-
zielle Symptome aufweisen, ist v. a. an internistische Grund-
erkrankungen wie chronische Leberentzçndungen (v. a. Leber-
zirrhosen) und metabolisch-endokrinologische Stærungen zu
denken. Bei ålteren Patienten sind hingegen ernåhrungsbeding-
te Mangelsyndrome und insbesondere chronische Dehydratatio-
nen håufiger.
Wåhrend noch in der ersten Hålfte dieses Jahrhunderts de-
menzielle Entwicklungen als Tertiårstadium der Lues (Syphilis)
eine relativ håufige neurologische Erkrankung darstellten, ist
die luetische Demenz, seit der Einfçhrung des Penizillins, zur
Raritåt geworden. Durch die wachsende Zahl der Aids-Patien-
ten gewinnen jedoch demenzielle Entwicklungen als Folge in-
fektiæs-entzçndlicher Erkrankungen wieder stetig an Bedeu-

Tabelle 5.1. Erkrankungen und Stærungen, die sekundår zu demenziellen Syndromen


fçhren kænnen

z Ernåhrungsbedingte Enzephalopathien (chronische Dehydratation, Eiweiû- und


Vitamin-Mangel-Syndrome)
z Metabolische und endokrine Enzephalopathien (Morbus Wilson, hepatische und
uråmische Enzephalopathien, Schilddrçsenerkrankungen)
z Infektiæs-entzçndliche Erkrankungen (Meningoenzephalitiden, Lues, Aids, chroni-
sche Entzçndungen)
z Liquorzirkulationsstærungen (Normaldruckhydrozephalus)
z Raumforderungen (chronische Subduralhåmatome, intrakranielle Tumoren)
z Chronische Intoxikationen (Medikamente, Drogen, Metalle, Chemikalien)
z Andere Øtiologien (Zustand nach Schådel-Hirn-Traumata, Epilepsien, andere
Stoffwechselstærungen)
a 5 Demenzen z 153

Tabelle 5.2. Notwendige Untersuchungen und Differenzialdiagnosen einer Demenz

Untersuchung Differenzialdiagnose

Bildgebung
Kraniales CT oder NMR z Normaldruckhydrozephalus
(bei Alzheimer: aufgeweitete Ventrikel, z Tumor
kortikale Atrophie; bei vaskulårer z Ischåmie
Demenz: zahlreiche lakunåre Infarkte und z Håmatom (insbesondere subdural)
periventrikulåre Dichteminderungen) z Atrophien (insbesondere infratentoriell
bei C2-Abusus)
EEG
(fakultativ, wenn sonst umfangreiche z Allgemeinverånderungen, richtungs-
Diagnostik mæglich) weisend, aber unspezifisch (DD: Pseudo-
demenz bei Depression normal)
z Enzephalitis
z Herde (Tumoren etc.)
z Intoxikationen (Medikamente)
z Nonkonvulsiver Status
Schilddrçsenhormone
TSH, fT4, T4, T3 (im Serum) z Hypothyreose
z Thyreotoxikose
Vitamine
B1, B6, B12, Folsåure z Hypovitaminose bei Mangelernåhrung
(im Serum) oder Resorptionsstærungen
z Funikulåre Myelose
z Korsakow-Syndrom
Leberwerte
z GOT, GPT, c-GT z Hepatische Enzephalopathie, C2-Abusus
z Zeruloplasmin, 24-h-Kupfer- z Morbus Wilson
Ausscheidung im Urin
Weitere Laborwerte
z BKS, Blutbild z Dehydratation
z Elektrolyte z Hyponatriåmie, Hyperparathyreose
z Kreatinin und Harnstoff z Chronische Niereninsuffizienz
z CK, LDH z Myoenzephalopathien
z Laktat, Lipidelektrophorese z Mitochondropathien
z BKS, Elektrophorese, z (Lupus, bei weiteren klinischen
Rheumaserologie Hinweisen)
z Drogenscreening im Urin z Medikamenten-/Drogenintoxikation
154 z 5 Demenzen

Tabelle 5.2 (Fortsetzung)

Untersuchung Differenzialdiagnose

Mikrobiologie/Virologie
z TPHA z Lues, tertiåres Stadium
z HIV z Aids (HIV-Enzephalopathie)
Liquor z Enzephalitiden und andere
Entzçndungszustånde

Tabelle 5.3. Medikamente und Substanzen, die bei Ûberdosierung demenzielle


Symptome hervorrufen kænnen

z Alkohol
z Anticholinergika
z Antidepressiva (trizyklische)
z Barbiturate, Benzodiazepine
z Digitalisglykoside
z Lithiumsalze
z Neuroleptika
z Orale Antidiabetika
z Schlafmittel/Sedativa

tung. Bei bis zu 30% der HIV-Infizierten kommen Gedåchtnis-


stærungen als initiale Symptomatik vor und bis zu 70% aller
HIV-infizierten Patienten entwickeln im Laufe ihrer Erkrankung
ein Demenzsyndrom. Der Aids-Demenz-Komplex wird damit in
wenigen Jahren nach der Alzheimer-Erkrankung und den vas-
kulåren Demenzen die håufigste Demenzform darstellen. Nicht
unbedeutend sind ferner Demenzen aufgrund von chronischen
Medikamenten- und Drogenintoxikationen. Insbesondere bei ål-
teren Patienten kænnen chronische Ûberdosierungen selbst bei
çblicherweise empfohlenen Medikamenten-Dosen aufgrund ver-
minderter renaler Clearanceraten entstehen. Tabelle 5.3 enthålt
die Medikamente, die bei chronischer Ûberdosierung demen-
zielle Symptome hervorrufen kænnen.
a 5.1 Morbus Alzheimer z 155

Demenzielle Symptome kænnen ferner im Rahmen von De-


pressionen auftreten, bilden sich jedoch bei erfolgreicher Be-
handlung der Depression wieder zurçck. Diese Symptomatik
wird daher als Pseudodemenz bei Depression bezeichnet und
muss insbesondere bei bekannter Anamnese differenzialdiag-
nostisch berçcksichtigt werden.

Primår degenerative Demenzen

5.1 Morbus Alzheimer [ICD 10: G 30, F 00]

5.1.1 Definition und Epidemiologie


Morbus Alzheimer ist die wichtigste Form der primår degene-
rativen Demenzen (kortikale Demenz) mit chronisch-progre-
dientem Abbau aller kognitiven Funktionen bis zur kompletten
Hilflosigkeit. Mit einer Pråvalenz von rund 5% in der Alters-
gruppe ab 65 Jahren und bis zu 30% in der Altersgruppe ab 85
Jahren ist der Morbus Alzheimer die håufigste Demenzform
(ca. 60±70% aller Demenzen) çberhaupt. Zurzeit gibt es in der
Bundesrepublik etwa 1 Mio. Menschen, die an der Alzheimer-
Erkrankung leiden.

5.1.2 Klinik und Diagnostik

Die Erkrankung verlåuft nach schleichendem Beginn chronisch-


progredient mit einer durchschnittlichen Dauer von ca. 8±15 Jah-
ren nach ¹gesicherterª Diagnose. Erste Symptome zeigen sich in
Form von langsam einsetzenden neuropsychologischen Defiziten
wie Merkfåhigkeitsstærungen, Beeintråchtigung des abstrakten
Denkens, gestærtem Urteilsvermægen, Stærungen des Schlaf-
Wach-Rhythmus und Persænlichkeitsverånderungen (Affektin-
kontinenz, depressive Verstimmungen). Die åuûere Fassade kann
156 z 5 Demenzen

dabei erstaunlich lange erhalten bleiben. Auch der klinisch-neu-


rologische Untersuchungsbefund bleibt zunåchst unauffållig. Im
weiteren Verlauf der Erkrankung treten Sprachdefizite, Orientie-
rungsprobleme, Stærungen des Gangbilds und selbst einfacher
Handlungsablåufe sowie Kontinenzprobleme hinzu. Im termina-
len Stadium sind die Patienten nicht mehr in der Lage einfachste
Verrichtungen durchzufçhren und vollståndig pflegebedçrftig.
Infolge der Immobilitåt treten in der Regel chronische Infektio-
nen hinzu (Pneumonien und Infektionen des Urogenitaltrakts),
die nicht selten letal enden. Da es derzeit (noch) keinen diagnos-
tischen Marker gibt, darf die Diagnose einer Alzheimer-Erkran-
kung nur nach Ausschluss anderer Differenzialdiagnosen, ins-
besondere symptomatisch entstandener Demenzen und psychi-
atrischer Erkrankungen gestellt werden.
Die klinischen Zeichen einer Demenz (Desorientiertheit,
Konzentrations-, Auffassungs-, Merkfåhigkeitsstærungen sowie
Stærungen des Kurz- und Neuzeitgedåchtnisses) werden am
sichersten durch neuropsychologische Testung verifiziert (am
einfachsten in der klinischen Praxis mit dem Mini-Mental-Test
oder dem Uhrentest). Ergånzende Bild gebende Verfahren sind
richtungsweisend, aber nicht beweisend.

5.1.3 Pathophysiologie

Die Øtiologie ist (noch) nicht geklårt. Makroskopisch kommt es


zu einer globalen Atrophie des Gehirns mit deutlicher Aufwei-
tung des Ventrikelsystems. Histopathologisch sind v. a. zwei
Aspekte auffållig: knåulartige Verånderungen der Neurofibrillen
durch eine vermehrte Aggregation des tau-Proteins, das physio-
logischerweise mit dem Zytoskelett verbunden ist, und eine ver-
stårkte extrazellulåre Ablagerung von b-(A4)-Amyloid-Plaques.
Ein Funktionsverlust wird zunåchst insbesondere in cholinergen
Neuronen beobachtet, der sich v. a. in einem Mangel an Cholina-
cetyltransferase manifestiert. Dadurch entstand die ¹cholinerge
Hypotheseª mit dem Konzept, Cholinesterasehemmer (Inhibition
des Acetylcholinabbaus) therapeutisch zu verwenden. Es mehren
sich jedoch die Hinweise, dass der eigentliche Ausgangspunkt der
Erkrankung ein genetisch determinierter Defekt des Proteinme-
a 5.1 Morbus Alzheimer z 157

tabolismus ist. In den letzten Jahren ist verstårkt versucht wor-


den, die verantwortlichen Gene nachzuweisen. Dabei konnte ins-
besondere das Gen APO-E, das Apolipoprotein E kodiert, auf
Chromosom 19 mit der familiår und sporadisch auftretenden
Spåtform und das Gen S182 auf Chromosom 14 mit einer auto-
somal-dominant vererbten Frçhform in Verbindung gebracht
werden. Hier darf in den kommenden Jahren mit einer weit-
gehenden Klårung der genetischen Ursachen gerechnet werden.

5.1.4 Therapie

z Medikamentæse Behandlungsstrategien
In den letzten 20 Jahren sind umfangreiche Therapiestudien
mit verschiedensten Substanzgruppen durchgefçhrt worden,
ohne dass ein nennenswerter Durchbruch in der kausalen Be-
handlung der Demenzen håtte erzielt werden kænnen. Vielmehr
erweisen sich auch heute noch umfangreich verschriebene Prå-
parate als unwirksam, wenn nicht in manchen Fållen als kon-
traindiziert. Eine insbesondere in Deutschland gern und håufig
verschriebene Gruppe von Substanzen ist die Gruppe der Noo-
tropika, deren Wirksamkeit bis heute in keiner groûen wissen-
schaftlichen Studie nachgewiesen werden konnte.
Aufgrund neuerer Daten zur Pathophysiologie lag ein beson-
derer Schwerpunkt auf der Erprobung von Acetylcholinesterase-
hemmern (Donepezil: Aricept; Rivastigmin: Exelon; Galanta-
min: Reminyl). In mehreren Multizenterstudien zeigten diese
Substanzen eine signifikante Besserung verschiedener Kriterien
bei Patienten mit leichter und mittelschwerer Symptomatik, so-
dass diese Substanzen als Mittel der ersten Wahl in der Thera-
pie des Morbus Alzheimer gelten dçrfen. Bei Patienten in fort-
geschrittenen Stadien waren die Effekte dagegen marginal. Pro-
blematisch jedoch ist teilweise die geringe therapeutische Brei-
te. Auch der NMDA-Antagonist Memantine zeigte in mehreren
Studien eine signifikante Verlangsamung der demenziellen Ent-
wicklung unabhångig von der Demenz-Form, auch in fort-
geschrittenen Fållen. Ein ± wenn auch geringer ± therapeuti-
scher Effekt konnte ferner unter der Therapie mit zerebral
158 z 5 Demenzen

wirksamen Kalziumkanalblockern wie Nimodipin beobachtet


werden. Auch hier weisen die bisher wenigen Studien auf eine
begrenzte Wirksamkeit bei Patienten mit leichter bis mittlerer
Symptomatik hin und bedçrfen der weiteren Beståtigung. Die
Studienergebnisse zu Gingko-biloba sind bisher uneinheitlich.
Eine Ûbersicht çber die einzelnen Substanzgruppen, Dosierun-
gen und Nebenwirkungen gibt Tabelle 5.4.

z Symptomatische Therapie. Medikamentæs kænnen jedoch ver-


einzelt Teilsymptome behandelt werden, die einer Medikation
zugånglich sind. Hierdurch låsst sich u. U. die Lebensqualitåt
von Patienten und Angehærigen bessern. Bei depressiven Kom-
ponenten in der Symptomatik kann je nach Ausprågung eine
begleitende Therapie mit Desipramin (Pertofran) oder Fluoxe-
tin (Fluctin) versucht werden, wenn der Patient unter Apathie
und Hypersomie leidet. Bei Patienten mit ausgeprågter Unruhe
sollten Pråparate mit dåmpfenden Effekten wie Nortriptylen
(Nortrilen) oder Trazodon (Thombran) zum Einsatz kommen.
Antidepressiva mit anticholinergen Effekten wie Amitriptylin
(z. B. Saroten) sollten jedoch vermieden werden. Schlafstærun-
gen kænnen mit Clomethiazol (Distraneurin) behandelt werden.
In paranoid-halluzinatorischen Phasen kann Haloperidol (z. B.
Haldol), Pipamperon (Dipiperon) oder Melperon (Eunerpan) in
niedriger Dosierung gegeben werden.

z Nichtmedikamentæse Behandlung
Auch wenn sich seit wenigen Jahren erste wirksame medika-
mentæse Therapien auftun, bleiben die nichtmedikamentæsen
Behandlungsstrategien von besonderer Bedeutung. Hier stehen
v. a. Maûnahmen im Vordergrund, die geeignet sind, dem Pa-
tienten solange wie mæglich die gewohnte Umgebung zu erhal-
ten und verbliebene Leistungsreserven zu færdern. Neben vor-
strukturierten Plånen zum Tagesablauf, tåglichen Besorgungen,
Orientierungshilfen und intensiver Unterstçtzung der Angehæri-
gen, muss besondere Sorgfalt auf die Vermeidung bzw. Behand-
lung von Begleiterkrankungen (z. B. chronische Harnwegsinfek-
tionen) gelegt werden, die den Status des Patienten weiter ver-
schlechtern kænnen.
a
Tabelle 5.4. Substanzen zur Behandlung von Demenzen: Indikation, Studienlage, Dosierung, Nebenwirkungen, Interaktionen

Acetylcholin- Memantine Nimodipin Gingko-biloba Piracetam


esterasehemmer

z Indikation
± Alzheimer ++ + (+) +/± +/±
± Vaskulåre Demenz (+) + (+) +/± +/±
z Qualitåt der ++ + (+) +/± +/±
wissenschaftlichen
Studienlage fçr
Hauptindikation
z Dosierung (pro Tag) Rivastigmin:
6±12 mg 10±30 mg 90 mg 120±240 mg 2400±4800 mg
Donepezil:
5±10 mg
Galantanin:
8±24 mg
z Eindosierung Rivastigmin: 1. Woche tgl. bis Nicht Nicht 800 mg 3 ´ tgl. fçr
6±12 mg 5 mg, 2. Wo. notwendig notwendig 3 Tage dann auf
1,5 mg 2 ´ tgl., tgl. bis 10 mg, (3 ´ 1 Tabl. ™ maximal 1600 mg
nach 14 Tagen 3. Wochen tgl. 30 mg tgl.) 3 ´ tgl. steigern, je-
5.1 Morbus Alzheimer

3 mg 2 ´ tgl. 15±20 mg weils nach den


z

nach 14 Tagen (Regeldosis). Mahlzeiten


ggf. Steigerungen
bis 6 mg 2 ´ tgl.
159

alle 14 Tage
Tabelle 5.4 (Fortsetzung)
160
z

Acetylcholin- Memantine Nimodipin Gingko-biloba Piracetam


esterasehemmer

z Eindosierung Donepezil: Inj.-Lsg.: 3- maxi-


5±10 mg mal 4 ´ tgl. 1 Amp.
5 mg 1 ´ tgl. abends i.m. oder i.v. lang-
5 Demenzen

nach sam injizieren


4 Wochen 10 mg
1 ´ tgl. erhæhen
Galantanin:
8 ±24 mg
4 mg 2 ´ tgl. morgens
und abends nach
Mahlzeit. Nach 4 Wo-
chen auf 2 ´ tgl. 8 mg,
morgens und abends
erhæhen. Ggf. nach
4 Wo. weiter auf
maximal 2 ´ tgl. 12 mg
erhæhen

++ eindeutig wirksam, Studienlage gut; + wirksam, wenige oder zweitrangige Studien; (+) mæglicherweise wirksam, bedarf weiterer
Studien, +/± Wirksamkeit unklar, Studienlage widersprçchlich, Studien nicht verwertbar
a

Acetylcholin- Memantine Nimodipin Gingko-biloba Piracetam


esterasehemmer

z Nebenwirkungen Ûbelkeit, Erbrechen, Unruhe, Schwindel, Herzfrequenzzu- Magen- Psychomotorische


Diarrhæ, Gewichts- Kopfschmerzen, nahme, Blutdruck- beschwerden, Unruhe,
abnahme, Bradykar- erniedrigte Krampf- senkung, Schwindel, Kopfschmerzen Aggressivitåt,
die, Ûberleitungsstæ- schwelle Kopfschmerzen, sexuelle Stimula-
rungen, Blasenent- periphere Údeme tion, gastrointes-
leerungsstærungen, tinale Beschwer-
Schlaflosigkeit, den
Erregungszustånde
z Kontraindikationen Schwere Leber- Verwirrtheitszu- Schwere Leberfunk- ? Schwere Leber-
und Nierenfunk- stånde, Epilepsie, tionsstærungen und Nierenfunk-
tionsstærungen, schwere Nieren- tionsstærungen
kein Therapiebe- funktionsstærungen
ginn bei abseh-
barer Vollnarkose
5.1 Morbus Alzheimer
z
161
Tabelle 5.4 (Fortsetzung)
162
z

Acetylcholin- Memantine Nimodipin Gingko-biloba Piracetam


esterasehemmer

z Interaktionen Verstårkung cholin- Wirkungsverstårkung Andere Anti- Infusionen ent- Verstårkung


erger Mechanismen von Barbituraten, hypertensiva, halten Alkohol anderer Psycho-
(cave: Glaukommittel, Neuroleptika, Anti- Antikonvulsiva (bis zu 41%). stimulanzien
5 Demenzen

Muskelrelaxan- cholinergika, (Phenytoin, Wirkungsverstår-


tien v. Succinyl- L-Dopa, Dopamina- Phenobarbital, kung von Throm-
typ), Verstårkung gonisten Carbamazepin) bozytenaggrega-
der Betablocker- tionshemmern?
effekte, Alkohol,
Antikonvulsiva
a 5.2 Frontotemporale Demenz (Morbus Pick) z 163

5.2 Frontotemporale Demenz (Morbus Pick)


[ICD 10: G 31.0, F 02.0]

5.2.1 Definition und Epidemiologie

Bei Morbus Pick handelt es sich um eine demenzielle Entwick-


lung durch Degeneration çberwiegend frontaler Hirnstrukturen,
wobei klinisch Symptome eines Frontalhirnsyndroms im Vor-
dergrund stehen. Der Morbus Pick ist wesentlich seltener als
der Morbus Alzheimer.

5.2.2 Klinik und Diagnostik

Hier stehen bereits zu Beginn der Erkrankung typische Verån-


derungen der Persænlichkeit (anders als beim Morbus Alzhei-
mer) und des Sozialverhaltens im Vordergrund. Des Weiteren
imponieren Antriebsmangel, Sprachverarmung und Indifferenz.
Ferner kænnen Inkontinenz, parkinsonoide Symptome und Py-
ramidenbahnzeichen hinzutreten. Der weitere Verlauf åhnelt
dem chronisch-progredienten Verlauf der Alzheimer-Demenz,
wobei hier die Fassade wesentlich frçher einbricht. In der Bild-
gebung zeigen sich typischerweise ausgeprågte frontale und
frontotemporale Atrophien, die als pathognomonisch gelten
und die Abgrenzung zu anderen Demenzformen erleichtern.

5.2.3 Pathophysiologie

Auch hier ist die Pathophysiologie weitgehend unklar. Fçr etwa


ein Drittel der Patienten wird ein dominanter Erbgang ver-
mutet. Makroskopisch besteht eine noch ausgeprågtere Hirn-
atrophie ± v. a. im Bereich des Stirn- und Schlåfenlappens ± als
bei der Alzheimer-Erkrankung. Histopathologisch wird ein Un-
tergang von glutaminergen Neuronen und eine Anreicherung
von Zink im Hippocampus beobachtet.
164 z 5 Demenzen

5.2.4 Therapie

Eine effektive Therapie ist leider nicht bekannt, es bleibt ver-


suchsweise eine rein symptomatische Therapie (siehe S. 158).

Vaskulåre Demenzen

Vaskulåre Demenzen stellen nach der Alzheimer-Erkrankung die


zweithåufigste Demenzform dar (15±20% aller Demenzen). Auch
hier ist die Pathogenese im Wesentlichen unklar. Pathophysiolo-
gisch kommt es zu arteriosklerotischen Verånderungen kleiner
Arterien und Arteriolen. Da histopathologisch bei bis zu 15% al-
ler Demenzen Mischformen mit vaskulåren und alzheimertypi-
schen Verånderungen vorliegen, ist eine Abgrenzung zwischen
vaskulåren und primår degenerativen Demenzformen nicht im-
mer mæglich (siehe auch Kap. 3). Der klinische Verlauf kann
dem der primår degenerativen Demenzen entsprechen, zeigt je-
doch wesentlich håufiger schon von Beginn an fokale neurologi-
sche Ausfålle wie Pyramidenbahnsymptome, parkinsonåhnliche
Symptome oder Zeichen einer Pseudobulbårparalyse mit dys-
arthrischer Sprache, Schluckstærungen und gesteigerten Eigenre-
flexen der Gesichtsmuskulatur. Im Gegensatz zur Demenz vom
Alzheimer-Typ bleibt die åuûere Form weniger gut erhalten. Håu-
figste und gut charakterisierte Unterform der vaskulåren Demen-
zen ist die Binswanger-Erkrankung.

5.3 Morbus Binswanger [ICD 10: I 67.3]


(subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie, SAE)
5.3.1 Definition und Epidemiologie

Beim Morbus Binswanger kommt es typischerweise zu Verån-


derungen in subkortikalen Arealen, die sich als periventrikulåre
Dichteminderungen in den Bild gebenden Verfahren (CT, NMR)
a 5.3 Morbus Binswanger z 165

darstellen. Zusåtzlich kænnen sich kleine lakunåre Infarkte im


Marklager und/oder Pons finden. Inzidenz und Pråvalenz wer-
den eher unterschåtzt, in der Altersgruppe çber 85 Jahren
dçrfte der Anteil ca. 15±25% betragen.

5.3.2 Klinik und Diagnostik


Die SAE tritt fast ausschlieûlich bei Patienten auf, die jahrelang
unter Hypertonie litten. Typischerweise zeigt sich eine Trias in
Form von intellektueller Leistungsminderung, Harninkontinenz
und apraktischer Gangstærung (Gang åhnlich wie beim Morbus
Parkinson). Der Verlauf ist ferner eher schubartig als chronisch-
schleichend. Diagnostisch wegweisend sind die typischen neuro-
radiologischen Verånderungen mit periventrikulåren Dichtemin-
derungen als Ausdruck eines jahrelangen Hypertonus. Demenzen
im Rahmen anderer Systemerkrankungen wie beim Morbus Par-
kinson oder der Chorea Huntington werden in den einzelnen Ka-
piteln besprochen (siehe Kap. 6). Diagnostisch gelten auch hier die
Prinzipien, die in der Einleitung des Kapitels dargelegt wurden.

5.3.3 Pathophysiologie
Anders als bei den primår degenerativen Demenzen gehen hier
die strukturellen Verånderungen vom Gefåûsystem aus. Neben In-
timaverhårtungen kommt es zu einer Hyalinose des perivaskulå-
ren Gewebes. Die genauen Mechanismen sind jedoch noch unklar.

5.3.4 Therapie

z Medikamentæse Behandlungsstrategien
Eine spezifische medikamentæse Therapie ist nicht bekannt. Fçr
die Wirkung der håufig verschriebenen Nootropika fehlt auch
der wissenschaftliche Nachweis. Eine begrenzte Wirkung konn-
ten jedoch zerebral wirksame Kalziumkanalblocker zeigen, die
den Kalziumload der Zelle reduzieren. Wichtigste therapeuti-
sche Maûnahme bleibt die rechtzeitige Behandlung der vaskulå-
166 z 5 Demenzen

ren Risikofaktoren, insbesondere die Einstellung des Hyper-


tonus und Gabe von Thrombozytenaggregationshemmern zur
Reduktion ischåmischer Ereignisse. Mehrere Studien zeigten
ferner eine Verlangsamung der demenziellen Entwicklung unter
Memantine (wie auch bei der Alzheimer-Demenz). Die Anwen-
dung von Acetylcholinesterasehemmern bei vaskulåren Demen-
zen wird derzeit in mehreren Studien çberprçft. Erste Ergeb-
nisse deuten auf eine begrenzte Wirkung dieser Substanzen
auch auf vaskulåre Demenzen. Zu Dosierung und Nebenwir-
kungen siehe Tabelle 5.4.

z Nichtmedikamentæse Behandlung
Wie auf S. 158 im Detail ausgefçhrt, stehen v. a. Maûnahmen im
Vordergrund, die geeignet sind, dem Patienten solange wie
mæglich die gewohnte Umgebung zu erhalten und verbliebene
Leistungsreserven zu færdern (vorstrukturierten Plånen zum
Tagesablauf, tåglichen Besorgungen, Orientierungshilfen, Ver-
meidung bzw. Behandlung von Begleiterkrankungen wie chro-
nische Harnwegsinfektionen).

5.3.5 Das Neuste

Die neusten Genanalysen bei Alzheimer-Patienten haben zur fol-


genden (vorlåufigen) genetischen Einteilung gefçhrt:

Tabelle 5.5. Assoziation einzelner Gene mit Formen der Alzheimer-Demenz

Typ Alter der Chromosom Gen


Erstmanife-
station

z Spåtform, familiår >55 19 APO-E (4) und sporadisch


z Spåtform, familiår >75 ? ? und sporadisch
z Frçhform, autosomal Ô45 14 S182 dominant vererbt
z Frçhform, autosomal Ô55 21 APP dominant vererbt
z Frçhform, autosomal Ô55 1 STM2 dominant vererbt
a

Anhang 5.1 Medikamentæse Behandlung des Morbus Alzheimer

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] bei tgl. Einnahme [1 ]

Cholinesterasehemmer
Donezepil
z Filmtbl. Aricept 5 mg, 98 St., 332,44/3,39 5 (initial) 203,4
N3, Eisai Pfizer GmbH nach 4 Wo. (bei 10 mg/Tag)
auf 10 mg zu steigern
Galantamin
z Filmtbl. Reminyl 8 mg, 112 St., N3 217,92/1,95 initial 2 ´ 4 mg nach 117
Janssen-Cilag 4 Wochen auf 2 ´ 8 mg (bei 16 mg/Tag)
erhæhen
Rivastigmin
z Kps. Exelon 6 mg, 112 St., 197,68/1,77 initial 2 ´ 1,5, 106,2
N1, Novartis alle 14 Tage um (bei 2 ´ 6 mg/Tag)
Pharma Knoll je 2 ´ 1,5 bis auf
2 ´ 6 mg/Tag steigerbar
Anhang 5.1 Medikamentæse Behandlung des Morbus Alzheimer
z
167
168

Anhang 5.1 (Fortsetzung)


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] bei tgl. Einnahme [1 ]

Gingko-biloba
5 Demenzen

z Filmtbl. Ginkodilat Sandoz 40 mg 24,65/0,25 3 ´ 40 22,5


N3, 100 St.,
Sandoz Pharmaceut. GmbH
Vitamin E
z Kaps. Vitamin E 1000 IE, 49,85/0,55 2000 IE/Tag 33,00
90 St., Supplementa
Holland BV
Memantin
z Filmtbl. Axura, 100 St., 186,70/1,87 10 56,1
N3, Merz Pharma,
1 Tbl.= 10 mg
6 Extrapyramidal-motorische
Erkrankungen und andere
Bewegungsstærungen
Mathias Maschke, Volker Limmroth
170 z 6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

Extrapyramidale Stærungen

6.1 Morbus Parkinson (Idiopathisches Parkinson-Syndrom)


[ICD 10: G 20]

6.1.1 Definition und Epidemiologie


Die Parkinson-Erkrankung ist eine Bewegungsstærung aufgrund
einer Degeneration dopaminerger Neurone im nigrostriatalen
System, wobei 80% der Parkinson-Syndrome als Systemdegenera-
tion anzusehen sind. Parkinson-Syndrome kænnen auch sekundår
auftreten: medikamenten- und drogeninduziert (Neuroleptika),
infektiæs oder postinfektiæs (Enzephalitis) und im Rahmen an-
derer neurodegenerativer Erkrankungen (Multisystematrophien,
progressive supranukleåre Blickparese, kortikobasale Degnerati-
on, spinozerebellåre Atrophien). Die Pråvalenz nimmt mit dem
Alter deutlich zu und liegt insgesamt bei çber 100 pro 100 000,
womit allein in Deutschland ca. 100 000±150 000 betroffene Pa-
tienten zu finden sind. Die Mehrzahl aller primår auftretenden
Parkinson-Syndrome ist idiopathisch, d. h. ohne erkennbare ge-
netische Disposition. Nur etwa 5% der Patienten haben eine er-
kennbare familiåre Disposition. Allerdings lassen sich genetische
Defekte als Ursache eines Parkinson-Syndroms bei Patienten mit
einem frçhen Erkrankungsbeginn unter 40 Jahren weitaus håufi-
ger nachweisen.

6.1.2 Klinik und Diagnostik


Leitsymptome der Parkinson-Erkrankung sind:
z Stærungen der vorwiegend axialen, willkçrlichen und unwill-
kçrlichen Motorik mit Bradykinese (Reduktion der Bewe-
gungen), Hypokinese (Reduktion des Bewegungsausmaûes)
oder Akinese; dadurch kleinschrittiger Gang und Stærungen
der Ganginitiierung (¹Freezingª, ¹Festklebenª) mit Propul-
sions- und Sturzneigung; Verlangsamung der Stellreflexe.
z Zusåtzlich Rigor, der zu Beginn der Erkrankung zu Rçcken-
oder Schulterschmerzen fçhrt (håufige Fehldiagnose: degene-
a 6.1 Morbus Parkinson (Idiopathisches Parkinson-Syndrom) z 171

rative Verånderung der Lendenwirbelsåule) oder subjektiv als


generelle Steifigkeit empfunden wird, teilweise mit Zahn-
radphånomen; positiver Wartenberg-Test (Rigor erstreckt
sich auch auf die Nackenmuskulatur, sodass im Liegen der
Kopf bei plætzlichem Loslassen nicht absinkt).
z Tremor: typischer Ruhetremor (grobschlågig, Frequenz
3±7/s) der Hånde (¹Mçnzzåhltremor, Pillendrehertremorª),
seltener der Beine und noch seltener des Kopfes, der bei ge-
zielten Bewegungen abnimmt, bei Anspannung und emotio-
naler Belastung wieder zunimmt; im Schlaf kein Tremor.
z Stærungen des vegetativen Bereichs: vermehrter Speichelfluss,
Stærungen der Schweiûsekretion, Salbengesicht, vermehrte
Schuppenbildung der Kopfhaut, Dranginkontinenz, orthosta-
tische Hypotension.
z Stærungen des psychisch-mentalen Bereichs im weiteren Ver-
lauf der Erkrankung: håufig depressive Verstimmung, Ver-
langsamung der Denk- und Wahrnehmungsvorgånge (Bra-
dyphrenie) und bei weiterem Fortschreiten der Erkrankung
bei einem nicht geringen Teil der Patienten (ca. 20±25%) de-
menzieller Abbau, der mit dem Alter der Patienten an Håu-
figkeit zunimmt.

Nicht alle Patienten weisen alle Symptome gleichzeitig auf. Es


werden daher je nach klinischer Ausbildung der Symptome
3 verschiedene Typen unterschieden:
z Tremor-Dominanz-Typ: håufigster Typ, Beginn des Tremors
nicht selten einseitig, Langzeitprognose etwas besser als die
beiden anderen Typen,
z akinetisch-rigider Typ: klinisch dominierend sind Tonuser-
hæhung, Bewegungseinschrånkung und zunehmende Schwie-
rigkeiten bei der Initiierung einer Bewegung, kaum Tremor,
z Øquivalenz-Typ: die 3 Symptomhauptgruppen, Tremor, Hy-
pokinese und Rigor liegen gleichermaûen vor.

Die Erkrankung beginnt schleichend, teilweise mit unspezifi-


schen Symptomen wie Rçckenschmerzen, Problemen beim
Schreiben (Mikrographie) oder vermehrtem Stçrzen, sodass die
Diagnose zu Beginn Schwierigkeiten bereiten kann. Sie wird im
Wesentlichen anhand der Klinik, u.U. erst im weiteren Verlauf
172 z 6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

(Jahre spåter) gestellt. Einen verlåsslichen diagnostischen Test


gibt es nicht. Auch NMR- und Computertomographie zeigen
keine spezifischen Ønderungen, sollten jedoch zum Ausschluss
anderer Øtiologien (subkortikale arteriosklerotische Enzephalo-
pathie, Normaldruckhydrozephalus, siehe unten) und Erkran-
kungen einmal durchgefçhrt werden. Bei jungen Patienten (<55
Jahre) sollte ferner ein Morbus Wilson labordiagnostisch und
augenårztlich (Spaltlampenuntersuchung) ausgeschlossen wer-
den. In der Positronenemissionstomographie (PET) kann im
Verlauf ein erniedrigter Glukosemetabolismus im Bereich der
Basalganglien gesehen werden. Mittels FP-CIT Single-Photonen-
Emissions-Computer-Tomographie (SPECT) kann die reduzierte
Dichte des pråsynaptischen Dopamintransporters bereits in der
Frçhphase der Erkrankung dargestellt werden. IBZM-SPECT
stellt dagegen die Dichte der postsynaptischen D2-Rezeptoren
im Striatum dar. Diagnostisch hilfreich kann der Apomorphin-
test (Apomorphin) sein: Apomorphin ist ein starker D1- und
D2-Agonist und steht zur subkutanen Injektion zur Verfçgung,
wodurch ein schnelles Anfluten bei einer 100%igen Bioverfçg-
barkeit erreicht wird. Die potenzielle Besserung der Symptoma-
tik sollte daher bereits nach einigen Minuten einsetzen. Apo-
morphin ist jedoch stark emetisch, sodass der Patient in jedem
Fall (wenn mæglich bereits 1±2 Tage vorher) mit einem Antie-
metikum (z. B. Domperidon 3 ´ 20 mg) pråmediziert werden
muss. Aber auch hierbei sind Besserungen nicht immer eindeu-
tig. Håufig wird heute jedoch nach Vorbehandlung mit Dom-
peridon die Gabe der 1,5fachen Morgendosis L-Dopa (100±
200 mg, L-Dopa + Dopa-Decarboxylase-Inhibitor) als diagnosti-
scher Test verwandt. Ein positives Ansprechen wird bei Bes-
serung der motorischen Symptome im UPDRS Motor Score um
mindestens 30% angesehen.

z Differenzialdiagnostik. Wichtig ± da therapeutisch anders zu


behandeln ± sind folgende Abgrenzungen:
z Essenzieller Tremor (siehe unten), eine familiår gehåufte Er-
krankung, die nur mit Tremor, aber nicht mit Rigor und
Akinese einhergeht (siehe Abschn. 6.4);
z Subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie (SAE), die
vom Gangbild åhnlich aussieht, aber weder Tremor noch
a 6.1 Morbus Parkinson (Idiopathisches Parkinson-Syndrom) z 173

Rigor aufweist und therapeutisch durch die Parkinson-Medi-


kation nicht zu beeinflussen ist (siehe Kap. 3 und 5);
z Normaldruckhydrozephalus (NPH), der durch mangelnde
Liquorzirkulation bzw. -resorption mit zunehmendem Alter
håufiger beobachtet wird und vergleichbare Gangstærungen
verursacht, hier sind Hånde und Arme jedoch initial nicht
betroffen;
z Andere degenerative Erkrankungen des ZNS, die akinetisch-
rigide Syndrome als klinische Symptomatik zeigen kænnen
(progressive supranukleåre Blickparese, Multisystematro-
phien, kortikobasale Atrophie, Morbus Fahr, Morbus Wilson,
siehe unten).

6.1.3 Øtiopathogenese

z Idiopathisches Parkinson-Syndrom. Es liegt eine fortschreitende


Depigmentierung und ein Untergang dopaminhaltiger Neurone
im ventrolateralen Anteil der Substantia nigra vor, deren Ursa-
che weiterhin unklar ist. Der Untergang betrifft v. a. Fasern, die
zum Striatum ziehen. Durch den Untergang dopaminerger Neu-
rone, die eine hemmende Funktion auf die striatalen Interneu-
rone ausçben, kommt es zu einem Ûberhang von Acetylcholin
und damit zur gesteigerten neuronalen Aktivitåt der strialen
Projektionsbahnen. Im Verlauf der Erkrankung sind auch sym-
pathische Neurone, Kernareale des Hirnstamms (Nucleus raphe,
Locus coeruleus), aber auch kortikale Abschnitte betroffen, was
die Variation der Symptomatik erklårt. Das Parkinson-Syndrom
wird klinisch apparent, wenn ca. 50% der Neurone untergegan-
gen sind. Disponierende Faktoren wie Lebensumstånde, Nah-
rung etc. konnten bisher nicht ermittelt werden. Mutationen im
a-Synuklein-Gen (PARK 1) und Parkin-Gen (PARK 2) sind je-
doch eindeutig mit der Erkrankung assoziiert. Ene ganze Reihe
weiterer Gene (PARK 3±9) scheinen ebenfalls an der Erkran-
kungsentstehung beteiligt zu sein.

z Sekundåre oder symptomatische Parkinson-Syndrome. Die fol-


genden Erkrankungen kænnen parkinsonartige Erkrankungen
verursachen:
174 z 6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

z Medikamenteninduzierte Syndrome: Dies ist die wichtigste


Gruppe der sekundåren Parkinson-Syndrome (bis zu 10% aller
Parkinson-Syndrome); håufigste Substanzgruppe: Neurolepti-
ka, selten Lithium und Kalziumantagonisten Flunarizin und
Cinnarizin sowie Metoclopramid und a-Methyldopa; Therapie:
Absetzen der Substanz; Erhohlung kann Monate dauern; Be-
handlungsversuche mit Anticholinergia oder Amantadin kæn-
nen erfolgreich sein.
z Toxininduzierte Parkinson-Syndrome:
± MPTP (Methyl-phenyl-tetrahydropyridin), fållt bei der
Synthese des Heroinersatzstoffs Meperidin an und fçhrte
bei vielen Drogenabhångigen in den 80er Jahren zu Par-
kinson-Syndromen, die jedoch gut auf Dopamin anspre-
chen.
± Kohlenmonoxid: sofern CO-Vergiftungen çberlebt wur-
den, werden nicht selten Parkinson-Syndrome als Vergif-
tungsfolgen beobachtet.
± Mangan: bei Arbeitern in Manganbergwerken werden
nach mehrjåhriger Exposition signifikant erhæhte Er-
krankungsraten beobachtet.
z Postenzephalitisches Parkinson-Syndrom (nach Encephalitis
lethargica): postinfektiæs v. a. in den 20er Jahren mit und oh-
ne Latenz aufgetretener somnolent-ophthalmoplegischer Zu-
stand (berçhmt geworden durch die Therapieversuche von
Oliver Sacks mit Dopamin, die zunåchst erfolgreich waren).

6.1.4 Therapie

Grundlage der Therapie ist der Ersatz des fehlenden Transmit-


ters Dopamin. Da dieser jedoch nicht unendlich lange gegeben
werden kann und in hæheren Dosierungen zu nicht unerhebli-
chen Nebenwirkungen fçhrt, hat sich heute die bereits frçhzei-
tige Kombination verschiedener Substanzgruppen (siehe unten)
in jeweils relativ niedriger Dosierung durchgesetzt, um Neben-
wirkungen und Spåteffekte der Dopaminbehandlung (Hyper-
kinesen und Wirkungsschwankungen bei L-Dopa) zu vermei-
den. Je nach Alter des Patienten und Schwere der Symptomatik
werden dabei unterschiedliche Substanzgruppen kombiniert.
a 6.1 Morbus Parkinson (Idiopathisches Parkinson-Syndrom) z 175

Wichtiger Grundsatz fçr alle Parkinson-Therapeutika ist je-


doch, dass Therapiebeginn und Steigerung der Medikamente je-
weils nur sehr langsam und in kleinen Schritten erfolgen
dçrfen. Die Nebenwirkungen der einzelnen Substanzen sind
sehr åhnlich, ausgeprågte Therapieprobleme ergeben sich meis-
tens durch gastrointestinale Nebenwirkungen, Obstipation,
orthostatische Hypotension, Schlafstærungen, Halluzinationen
oder paranoid-halluzinatorische Syndrome. Fortgeschrittene
Parkinson-Syndrome sollten ausschlieûlich vom Neurologen be-
handelt werden. Tabelle 6.1 fasst die Prinzipien zur Behandlung
des Parkinson-Syndroms unter Berçcksichtigung von Alter,
Ausprågung und Symptomkonstellation zusammen. In Tabelle
6.2 sind die verschiedenen Substanzgruppen mit den jeweils
typischen Nebenwirkungen aufgelistet.

z L-Dopa
Da Dopamin die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren kann, wird
seine Vorstufe, L-Dopamin verwendet. Um eine Verstoffwechse-
lung in Dopamin zu verhindern, wird L-Dopa heute nur noch
in Kombination mit dem Decarboxylasehemmer Benserazid (z. B.
Madopar) oder Carbidopa (z. B. Nacom) gegeben. Da weder Ben-
serazid noch Carbidopa die Blut-Hirn-Schranke passieren, ist die
Verstoffwechselung zu Dopamin nur peripher, nicht aber im ZNS
blockiert. Die Initialdosis betrågt 62,5 mg/Tag zunåchst morgens,
eine Dosissteigerung sollte dann alle 3 Tage pro Woche um
62,5 mg bis zu einer maximalen Tagesdosis zwischen 450 und
600 mg erfolgen, L-Dopa erreicht seine volle Wirkung bei oraler
Einnahme nach etwa 1 h. Da die Resorption durch andere Nah-
rungsmittel beeinflusst werden kann, sollte L-Dopa entweder
vor dem Essen oder ca. 1,5±2 h spåter eingenommen werden.
Im Laufe der Behandlung nimmt die Wirksamkeit von L-Dopa
ab. Wesentlichste Nebenwirkungen sind gastrointestinale Be-
schwerden und orthostatische Hypotension. Græûtes Problem
der L-Dopa-Behandlung sind die bei Langzeitbehandlung mæg-
lichen Wirkungsschwankungen (sog. On/Off-Phånomene), ins-
besondere aber das Auftreten von Dystonien und Dyskinesien.
Darçber hinaus wird eine neurotoxische Wirkung des Dopamins
bei Langzeitgabe diskutiert. Inzwischen liegt L-Dopa in einer
176 z 6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

Tabelle 6.1. Therapeutische Prinzipien unter Berçcksichtigung von Alter, Ausprågung


und Symptomkonstellation

Patient und Ausprågung Therapie


der Symptomatik

z Patienten < 55 Jahre Versuch der Monotherapie mit einem Dopamina-


mit leichter Symptomatik gonisten oder Amantadin. Die Monotherapie mit
einem Dopaminagonisten muss aufgrund der gas-
trointestinalen Nebenwirkungen (Ûbelkeit) in eini-
gen Fållen zu Beginn mit einem Antiemetikum
kombiniert werden
z Patienten > 55 Jahre L-Dopa (Dosierung so niedrig wie mæglich, min-
destens aber 300±400 mg) + Dopaminagonist,
dabei in Abhångigkeit zum klinischen Erfolg zu-
nåchst den Agonisten bis zur maximalen Dosie-
rung hochtitrieren. Bei Tremor Kombination mit
einem Anticholinergikum (langsam aufdosieren),
oder Budipin
z Patienten > 70 Jahre L-Dopa-Monotherapie gerechtfertigt, ggf. mit
Dopaminagonisten ergånzen. Bei Tremor Kombi-
nation mit Anticholinergika oder Budipin
z Symptomatik ausgeprågt, Neben L-Dopa + Agonist Kombination mit COMT-
Kombination aus L-Dopa Inhibitoren (cave: initiale Dopa-Einsparung vor-
und Agonist reicht nicht nehmen). Bei Tremor Kombination mit Anticho-
mehr aus linergika, Budipin oder Clozapin
z Patient leidet insbesondere Therapieergånzung mit COMT-Hemmern und
unter On/Off-Phånomenen Amantadin, kçrzere Dosierintervalle, vermehrte
und akinetischen Phasen Gabe von Retardpråparaten, Eiweiûreduktion in
der Nahrung
z Akinetische Krise Amantadin intravenæs

schnell anflutenden Form (Madopar LT), die bereits nach 25 min


wirkt (gut geeignet fçr morgendlichen Start) und in einer retar-
dierten Form (z. B. Nacom retard) vor, die sich besonders zur
abendlichen Einnahme bei Patienten eignet, bei denen die nåcht-
liche Akinese ein Umdrehen im Bett erschwert.
a
Tabelle 6.2. Substanzgruppen zur Therapie des Morbus Parkinson mit Halbwertszeit, Dosierung und typischen Nebenwirkungen

Substanz, Markenpråparat t1/2 Dosierung Typische Nebenwirkungen

L-Dopa
z Standard (Madopar, Nacom, Isicom) 0,5±2 h Individuell in 3±6 Einzeldosen Akut: Ûbelkeit, Brechreiz, Hypotonie,
z Dispersibel (zur schnellen Anflutung 0,5±2 h nicht mehr als 1000 mg/Tag Tachykardie, Halluzinationen, Psycho-
Madopar LT) sen
z Retardiert (Madopar Depot, Nacom retard) 0,5±2 h Einnahme grundsåtzlich vor Langfristig: Dyskinesien, Dystonien
oder 1 h nach Mahlzeiten
Ergotartige Dopaminagonisten
z Bromocriptin (Pravidel, Kirim) 6h Initial: 1,25 mg abends, Grundsåtzlich wie L-Dopamin, die
wæchentlich 1,25 mg steigern, neueren und insbesondere die nicht-
maximal 3 ´ 5±10 mg/Tag ergotartigen Agonisten mit weniger
Ûbelkeit. Relative Kontraindikationen
z Lisurid (Dopergin) 2h Einnahme zu oder direkt bei KHK, bekannten Psychosen.
nach Mahlzeiten Nicht indiziert bei Demenz
Initial: 0,1 mg,
wæchentlich 0,2 mg steigern,
maximal 3 ´ 0,4±1 mg/Tag
z a-Dihydroergocryptin (Almirid, Cripar) 15 h Einnahme zu oder direkt
nach Mahlzeiten
Initial: 2 ´ 5 mg, wæchentlich 2 ´ 5 mg
6.1 Morbus Parkinson (Idiopathisches Parkinson-Syndrom)

steigern, maximal 2 ´ 30 mg/Tag


z

z Pergolid (Parkotil) 7±14 h Initial: 0,05 mg, jeden 3. Tag um


0,1 mg steigern, nach 2 Wochen
jeden Tag um 0,25 mg steigern,
177

maximal 2 ´ 1,5 mg/Tag


Tabelle 6.2 (Fortsetzung) 178

Substanz, Markenpråparat t1/2 Dosierung Typische Nebenwirkungen


z

z Cabergolin (Cabarseril) 65 h Initial: 1,0 mg/Tag, wæchentlich


0,5 mg steigern, maximal 12 mg/Tag
(Gabe nur einmal tåglich!)
Nichtergotartige Dopaminagonisten
z Ropinirol (Requip) 6h Initial: 3 ´ 0,25 mg,
wæchentlich 0,75 mg steigern,
maximal 3 ´ 8 mg/Tag
z Pramipexol (Sifrol, Mirapex) 8±12 h Einnahme mit den Mahlzeiten
Initial: 3 ´ 0,125 mg, 2. Woche
3 ´ 0,25 mg, 3. Woche 3 ´ 0,5 mg,
maximal 3 ´1,5 mg/Tag
z Apomorphin 20 min Initial: 2±10 mg s.c. Dauerinfusion Ûbelkeit, Schwindel, Diarrhæ,
COMT-Inhibitoren 1±2 mg/h, Maximale Rate 10 mg/h Hypotonie
z Tolcapon (Tasmar) 6±8 h Ûbelkeit, Schwindel, Diarrhæ, Urinver-
fårbung. Bei Talcapon cave: Leberen-
zyme kontrollieren (selten, aber mehrere
Fålle von fulminantem Leberversagen)
z Entacapon (Comtess) ca. 1±2 h Einnahme von 1 Tbl. (200 mg)
mit jeder L-Dopa-Gabe.
Maximal 2000 mg/Tag
cave: Dopa reduzieren!
Kombinationspråparate
z Levodopa + Carbidopa + Entracapon 1±2 h Einnahme von 1 Tbl. individuell Nebenwirkungen wie bei L-Dopa und
6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

(Stalevo 50 mg/12,5 mg/200 mg; 3±6-mal tåglich Entacapon


Stalevo 100 mg/25 mg/200 mg;
Stalevo 150 mg/37,5 mg/200 mg)
a

Substanz, Markenpråparat t1/2 Dosierung Typische Nebenwirkungen

Monoaminooxidase-B-Hemmer
z Selegelin (Movergan, Deprenyl, Antiparkin, Tage 5±10 mg/Tag Einmalgabe Verstårkung der Dopa-Nebenwirkun-
Selegam) nach dem Frçhstçck gen, Halluzinationen, Verwirrtheit,
Angst, Schlaflosigkeit
z Rasagilin (Azilect) 0,3±3,5 h 1 mg/Tag Kopfschmerzen, Schwindel
Anticholinergika und andere
z Benzatropin (Cogentinol) ca. 20 h Initial: 1 ´ 0,5 mg/Tag, tgl. um Sehr åhnlich als Gruppe: Verwirrtheit,
0,5 mg steigern, max: 2±6 mg/Tag Schwindel, Mçdigkeit, Schlaflosigkeit,
z Biperiden (Akineton) ca. 20 h Initial: 1 ´ 2 mg/Tag, 3-mal tgl. Euphorie, Obstipation, cave: Glaukom
2 mg steigern, max: 6±12 mg/Tag und Harnretention und Harnverhalt.
z Bornaprin (Sormodren) ca. 30 h Initial: 1 ´ 2 mg/Tag, 2-mal tgl. Antidot bei Harnverhalt: Carbachol
2 mg steigern, max. 6±12 mg/Tag, (Doryl)
z Metixen (Tremarit) ca. 8±12 h Initial: 3 ´ 2,5 mg/Tag, wæchentlich
0,5 mg steigern, maximal
20±30 mg/Tag
z Procyclidin (Osnervan) 10±14 h Initial: 3 ´ 2,5 mg/Tag, alle 2±3
Tage um 2,5±5 mg steigern,
maximal 20±30 mg/Tag
6.1 Morbus Parkinson (Idiopathisches Parkinson-Syndrom)
z
179
Tabelle 6.2 (Fortsetzung)
180
z

Substanz, Markenpråparat t1/2 Dosierung Typische Nebenwirkungen

z Trihexyphenidyl (Artane, Parkopan) 13 h Initial: 1 ´ 1 mg/Tag, tgl. 1±2 mg Clozapin: kein typisches Anticholiner-
steigern, maximal 3 ´ 5 mg/Tag gikum, sondern ein atypisches Neu-
z Clozapin (Leponex) 16 h Einnahme zu den Mahlzeiten roleptikum mit anticholinergen
Initial: 12,5 mg abends, dann Effekten. Nebenwirkungsspektrum
langsam aufdosieren um 12,5 mg daher anders: Krampfanfålle, Agranu-
alle 3 Tage unter wæchentlich lozytose, Mçdigkeit
Blutbildkontrolle! Maximal
ca. 75 mg/Tag
NMDA-Antagonisten
z Amantadin (z. B. PK Merz) 9±15 h Initial: 100 mg, maximal: Visuelle Halluzinationen, Livedo reticu-
ca. 25 h 300±600 mg/Tag in 2±3 Dosen laris, Ûbelkeit, Knæchelædeme, Schwin-
del, Mundtrockenheit, Harnretention,
innere Unruhe
z Budipin (Parkisan) Initial: 3 ´ 10 mg, Mundtrockenheit, Ûbelkeit, Erbre-
(Verwendung wegen mæglicher Herz- wæchentlich 3 ´ 10 mg steigern, chen, Harnverhalt, Schwindel, Mçdig-
rhythmusstærungen derzeit eingeschrånkt) maximal: 60 mg/Tag, keit, Verwirrtheit, innere Unruhe,
falls gut vertragen Halluzinationen, Herzrhythmusstærun-
Einmalgabe mæglich gen, Kammertachykardien
6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen
a 6.1 Morbus Parkinson (Idiopathisches Parkinson-Syndrom) z 181

z Dopaminagonisten
Die Substanzen dieser Gruppe wirken çber mehrere Mechanis-
men:
z durch Aktivierung postsynaptischer Dopaminrezeptoren und
verstårkte Dopaminwirkung,
z durch Aktivierung von pråsynaptischen Dopaminrezeptoren
und Reduktion der Dopaminfreisetzung, damit Dopaminein-
sparung und Reduktion des Dopamin-Turnovers,
z durch Reduktion der Konzentration potenziell neurotoxischer
Metaboliten aus dem ¹eigentlichenª Dopaminabbau.
Da die Dopaminagonisten insgesamt weniger wirksam als Do-
pamin sind, kænnen sie in der Monotherapie nur bei leichter
bis mittelgradiger Symptomatik eingesetzt, allerdings mit L-Do-
pa gut kombiniert werden. Die initial typischen Nebenwirkun-
gen, insbesondere Ûbelkeit und Erbrechen, sind etwas stårker
als bei Dopamin ausgeprågt, kænnen aber durch die gleichzeiti-
ge Gabe von Domperidon (Motilium, 10±20 mg vor Gabe des
Dopaminagonisten) gemildert werden und sistieren nach weni-
gen Wochen. Grundsåtzlich kann zwischen ålteren ergotartigen
Agonisten (Bromocriptin, Lisurid, Pergolid), neueren ergotarti-
gen Agonisten (a-Dihydroergocryptin, kurz DHEC, Cabergolin)
und neueren nichtergotartigen Agonisten (Ropinirol, Pramipe-
xol) unterschieden werden. Wirkspektrum und Nebenwirkungs-
profil der ålteren Ergot-Derivate sind ohne gravierende Unter-
schiede. Typische Nebenwirkungen sind Ûbelkeit, Erbrechen,
Dyskinesien, Blutdruckabfall, Mçdigkeit, Somnolenz, Halluzina-
tionen u.a. Diese insbesondere bei ålteren Patienten nicht un-
problematischen Nebenwirkungen waren mit die Hauptgrçnde,
weitere Dopaminagonisten zu entwickeln. Ob das Nebenwir-
kungsspektrum bei den neueren Ergot-Derivaten verbessert
werden konnte, kann noch nicht abschlieûend beurteilt werden,
doch bieten die neueren Substanzen den Vorteil, dass die Halb-
wertszeit deutlich verlångert und die Bioverfçgbarkeit erhæht
werden konnte und damit eine 1- bis 2-malige Gabe tåglich
ausreicht. Pleuraergçsse und Fibrosen werden allerdings auch
unter den neueren Ergot-Derivaten beobachtet. Die neueren
Nicht-Ergot-Derivate zeigen zwar ein åhnliches Nebenwirkungs-
spektrum, scheinen insgesamt jedoch besser vertråglich und
182 z 6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

damit besonders fçr eine frçhe Monotherapie geeignet zu sein.


Darçber hinaus scheinen einige der neuen Dopaminagonisten
auch die Tremorkomponente positiv zu beeinflussen.

z Monoaminooxidase-B-Hemmer (MAO-Hemmer)
Selegilin (z. B. Deprenyl) ist in Dosen von 5±10 mg ein irrever-
sibler Hemmer der MAO-B und vermindert dadurch den Abbau
von Dopamin sowie die Bildung von Wasserstoffsuperoxid, ei-
nem freien Radikal, das im Rahmen des Dopaminabbaus ent-
steht und potenziell neurotoxisch ist. Die Substanz selbst ver-
bessert die Parkinson-Symptomatik wenig, doch kann die Do-
pamin-Dosis unter Selegilin etwas gesenkt werden. Auch wenn
die Substanz theoretisch und in vitro neuroprotektiv wirkt und
Selegilin seit Jahren ein fester Bestandteil der Parkinson-Thera-
pie darstellt, blieben die klinischen Studien widersprçchlich,
sodass einige Autoren den generellen Einsatz empfehlen, andere
ihn wiederum ablehnen. Die Nebenwirkungen entsprechen de-
nen von L-Dopa, es kann Dyskinesien, Halluzinationen und
Psychosen verstårken. Selegilin darf nicht mit anderen MAO-
Hemmern oder Serotoninwiederaufnahmehemmern kombiniert
werden und muss aufgrund der irreversiblen MAO-Hemmung 6
Wochen vor der Gabe anderer MAO-Hemmer abgesetzt werden.
Aufgrund der unklaren Datenlage, den ± wenn çberhaupt ±
relativ geringfçgigen Effekten sowie den pharmakologischen In-
teraktionen wird die Substanz allenfalls in der Frçhphase der
Erkrankung eingesetzt.
Rasagilin (Azilect), ein weiterer MAO-B-Hemmer, wurde
2005 in Deutschland zugelassen. Durch dieses Pråparat sollen
off-Phasen verkçrzt werden. Es wird oral in einer Dosis von
1±2 mg verabreicht. Håufige Nebenwirkungen sind Kopfschmer-
zen, grippeåhnliche Symptome, Sodbrennen, Ûbelkeit und Ar-
thralgien.

z COMT-Inhibitoren
Diese neue Substanzgruppe hemmt reversibel die Catechol-O-
Methyltransferase (COMT), das wichtigste Enzym, das Dopamin
weiterverstoffwechselt (es verstoffwechselt Dopamin zu 3-O-Me-
a 6.1 Morbus Parkinson (Idiopathisches Parkinson-Syndrom) z 183

thyldopa, das unwirksam ist, jedoch eine långere Halbwertszeit


als Dopamin hat und an der Blut-Hirn-Schranke kompetitiv
L-Dopa verdrången kann). Dabei wird das Enzym peripher, aber
auch zentral gehemmt. Bioverfçgbarkeit und Plasmakonzentrati-
on von L-Dopa werden dadurch deutlich gesteigert. Bisher stan-
den 2 COMT-Inhibitoren zur Verfçgung: Talcapon und Entacpon.
Wåhrend Talcapon die COMT peripher und zentral hemmt, inhi-
biert Entacapon nur die periphere COMT. Inwieweit die periphere
oder zentrale Hemmung der COMT therapeutisch bzw. pathophy-
siologisch von Relevanz ist, wird noch diskutiert. Der Einsatz
kommt v. a. Patienten im fortgeschrittenen Stadium mit Fluktua-
tionen zugute, da durch die Inhibition der COMT Fluktuationen
reduziert, On-Zeiten verlångert und Off-Zeiten verkçrzt werden
und Dopamin deutlich eingespart werden kann. Bei beiden Medi-
kamenten kann eine Reduktion der L-Dosis um ca. 25±40% er-
wartet werden. Wichtig ist ± auch bei initialem Einsatz der Sub-
stanzen (also bereits am ersten Behandlungstag!) ± die Reduktion
der L-Dopa-Dosis, da es sonst zu schweren Ûberdosierungen
kommen kann. Zudem gibt es Entacapon seit kurzer Zeit in Kom-
bination mit Levodopa und Carbidopa als Stalevo¾ in unter-
schiedlicher Dosierung, was die Einnahme des Pråparates deut-
lich vereinfacht.

z Anticholinergika
Die Anticholinergika sind die åltesten Parkinson-Medikamente
und waren in der Zeit, bevor L-Dopa zur Verfçgung stand, Mit-
tel der ersten Wahl. Anticholinergika wirken vorwiegend auf
Tremor und Rigor und nur wenig auf die Akinese. Heute wer-
den sie insbesondere bei der tremordominanten Form einge-
setzt. Typische Nebenwirkungen sind Obstipation, Harnverhalt,
Akkommodationsstærungen und Erhæhung des Augeninnen-
drucks. Bei Langzeiteinnahme kann es zu einer reversiblen de-
menziellen Entwicklung kommen. Die Wirksamkeit der einzel-
nen Anticholinergika Biperiden (z. B. Akineton), Bornaprin
(Sormodren), Metixen (z. B. Tremarit) und Trihexyphenidyl
(z. B. Artane/retard) unterscheidet sich nicht. Retardpråparate
haben den Vorteil eines besseren Nebenwirkungsspektrums.
184 z 6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

z N-Methyl-D-Aspartat-(NMDA-)Antagonisten
Amantadin (z. B. PK Merz), eigentlich ein Virustatikum, wirkt
wahrscheinlich als Antagonist exzitatorischer Neurotransmitter
(Glutamat). Es wird insbesondere in der Frçhphase der Parkin-
son-Erkrankung in Kombination mit L-Dopa, aber auch als
Monotherapeutikum eingesetzt. Die initiale Dosis liegt bei
100 mg, die Maximaldosis bei 3 ´ 200 mg/Tag. Amantadin liegt
auch in einer i. v.-Formulierung vor und kann insbesondere bei
der Behandlung akinetischer Krisen verwendet werden (Dosie-
rung: bis zu 3 ´ 500 ml ™ 200 mg/Tag i.v.). Ein weiterer nicht
kompetitiver NMDA-Antagonist ist Budipin. Bisher liegen zu
dieser Substanz nur wenige Studien vor. Hier zeigte die Sub-
stanz jedoch wirksame Effekte sowohl in der Monotherapie als
auch in der Kombination mit L-Dopa.

z Spezifische Therapieprobleme
z Tremor. Neben den bekannten Anticholinergika kann auch
Budipin zur Behandlung des Tremor eingesetzt werden. Budipin
scheint in seiner Wirksamkeit bezçglich Tremor den Anticho-
linergika vergleichbar zu sein. Sollte sich dies in weiteren Stu-
dien beståtigen, kænnte die Substanz aufgrund des besseren Ne-
benwirkungsprofils die Anticholinergika in der Tremorbehand-
lung verdrången. Als weitere tremorwirksame Substanz steht
das atypische Neuroleptikum Clozapin zur Verfçgung (cave:
langsames Einschleichen und Blutbildkontrollen). Sind die me-
dikamentæsen Verfahren nicht ausreichend, kann eine Thalamo-
tomie oder Elektrodenimplantation zur chronischen Hochfre-
quenzstimulation des Thalamus erwogen werden.

z Behandlung der akinetischen Krise. Eine akinetische Krise ist


ein lebensbedrohlicher Zustand. Die Patienten liegen unbeweg-
lich im Bett, kænnen nicht schlucken und entwickeln relativ
rasch Stærungen der Temperaturregulation (Fieber) sowie Herz-
Kreislauf- und Lungenprobleme. Håufige Ursachen sind Resorp-
tionsstærungen der Medikamente und ungewolltes Absetzen der
Medikation nach Unfållen und bei akuten Krankenhauseinwei-
sungen (håufige Fehldiagnose: Schlaganfall). Eine wichtige Dif-
a 6.2 Progressive supranukleåre Blickparese z 185

ferenzialdiagnose ist das maligne Neuroleptikasyndrom, das


klinisch sehr åhnlich aussieht. Die Therapie besteht in stationå-
rer Aufnahme auf einer Intensivstation, sofortiger Infusion von
Amantadin (PK Merz) bis zu 3 Infusionen ™ 200 mg pro Tag
Flçssigkeitsersatz, Gabe von L-Dopa çber eine Magensonde und
Maûnahmen zur Temperatursenkung.
z Behandlung der Depression. Depressionen finden sich bei bis
zu 90% der Patienten. Als Ursache gilt hier eine Reduktion von
Serotonin. Amitriptylin und Doxepin kommen als Antidepressi-
va in Frage, kænnen jedoch kognitive Defizite verstårken. Alter-
nativ und gerade bei ålteren Patienten kænnten selektive Seroto-
nin-Reuptake-Inhibitoren wie Paroxetin oder Sertralin verwandt
werden.
z Allgemeine Maûnahmen. Wesentlicher Bestandteil der Therapie
ist auûerdem die krankengymnastische Ûbungsbehandlung. Bei
Patienten mit ausgeprågten Wirkungsschwankungen der Thera-
pie ist eine eiweiûarme Diåt håufig hilfreich. Begleitende De-
pressionen kænnen mit Thymoleptika (cave bei der Gabe ande-
rer MAO-B-Hemmer) behandelt werden, dies kann jedoch das
Auftreten von Halluzinationen oder paranoiden Vorstellungen
u. U. verstårken.

6.2 Progressive supranukleåre Blickparese


(Steele-Richardson-Olszewski-Syndrom) [ICD 10: G 23.1]
6.2.1 Definition und Epidemiologie
Bei dieser Erkrankung liegt eine chronisch-progrediente Dege-
neration mesenzephal-dienzephaler Neuronen mit einer Stærung
der willkçrlichen konjugierten Augenbewegungen, pseudobul-
båren sowie akinetisch-rigiden Symptomkomplexen vor. Mit
einer Pråvalenz von 5±6 pro 100 000 ist sie wesentlich seltener
als das idiopathische Parkinson-Syndrom.
186 z 6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

6.2.2 Klinik und Diagnostik


Die Erkrankung beginnt mit einer insbesondere vertikalen (unten
nach oben) Bewegungsstærung der Augen, bis dem Patienten ein
nur noch geringer Bewegungsspielraum verbleibt. Ferner folgen
schnell zunehmende L-Dopa refraktåre Akinese sowie Rigor
mit Stand- und Gangunsicherheit und frçhzeitigen Stçrzen. Im
weiteren Verlauf tritt eine Entwicklung von Schluck- und
Sprechstærungen als Ausdruck einer zunehmenden Pseudobul-
bårparalyse und demenzieller Abbau auf. Die Erkrankung ver-
låuft wesentlich schneller als das idiopathische Parkinson-Syn-
drom. Bereits 2±4 Jahre nach Diagnosestellung sind die meisten
Patienten pflegebedçrftig. Die mittlere Ûberlebenszeit betrågt
5±6 Jahre. Neben der typischen Klinik stçtzt sich die Diagnose
auf das relativ schlechte therapeutische Ansprechen von L-Dopa.
Differenzialdiagnostisch abzugrenzen sind:
z das idiopathische Parkinson-Syndrom (Prognose deutlich bes-
ser): langsamerer Verlauf, Ansprechen auf L-Dopa, Augen-
motilitåt kann etwas eingeschrånkt sein, aber nicht ausge-
prågt nach vertikal unten;
z die kortikobasale Degeneration [ICD 10: 23.8]: kann sehr åhn-
liche Augenbewegungsstærungen zeigen, zusåtzlich jedoch
kortikal-sensorische Defizite und Pyramidenbahnzeichen;
z der Morbus Whipple [ICD 10: K 90.8] (systemische Infektion mit
Tropheryma Whippelli, mit Antibiotika behandelbar): zusåtz-
lich Fieber, Durchfålle, Gewichtsverlust, Lymphknotenschwel-
lungen, psychiatrische Auffålligkeiten.

6.2.3 Øtiopathogenese

Es handelt sich um eine chronisch-progrediente Tauopathie mit


Ablagerung von neurofibrillåren Tangles (neuropathologisch
åhnlich dem Morbus Alzheimer) in den Basalganglien und in
Teilen des Hirnstamms. Øtiologie bzw. genetische Defekte sind
noch unklar.
a 6.3 Multisystematrophien (MSA) z 187

6.2.4 Therapie

Die Erkrankung spricht relativ schlecht auf die beim idiopathi-


schen Parkinson-Syndrom verwendeten Substanzen an. So er-
zielt L-Dopa auch in hohen Dosen (bis 1500 mg) einen nur må-
ûigen Erfolg. Als weiterer Therapieversuch erfolgen in Anleh-
nung an die Therapieempfehlungen zum Parkinson-Syndrom
bei Abschwåchung des L-Dopa-Effekts der Versuch einer Kom-
bination mit einem Dopaminagonisten und/oder Amantadin.

6.3 Multisystematrophien (MSA) [ICD 10: G 23.1]

6.3.1 Definition und Epidemiologie

Unter Multisystematrophien versteht man eine heterogene


Gruppe neurodegenerativer Erkrankungen, die durch den chro-
nisch-progredienten Untergang von Neuronen spezifischer Sys-
teme im zentralen Nervensystem unter Beteiligung autonomer
Strukturen gekennzeichnet sind und extrapyramidal-motorische
Symptome als Frçhzeichen zeigen. Die Erkrankung tritt mit ei-
ner Pråvalenz von 4±5 pro 100 000 Einwohnern auf.

6.3.2 Klinik und Diagnostik

Je nach Lokalisation und Ausprågung variiert die klinische Prå-


sentation. Das mittlere Erkrankungsalter liegt in der 5. Dekade
(Ô15 Jahre). Frauen und Månner scheinen gleich håufig betrof-
fen zu sein. Der Verlauf ist im Vergleich zum Parkinson-Syn-
drom schneller, im Vergleich zur supranukleåren Blickparese
jedoch langsamer. Im Durchschnitt besteht nach 5 Jahren Pfle-
gebedçrftigkeit. Die Lebenserwartung betrågt nach Diagnose-
stellung 7±10 Jahre und wird im Wesentlichen durch sekundåre
Erkrankungen (Pneumonien, Urogenitalinfekte) limitiert. Die
folgenden klinischen Symptomkomplexe sind den Erkrankun-
gen gemein:
188 z 6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

z Parkinson-Syndrom mit chronischer, z. T. rascher Progredi-


enz, symmetrischer Beginn, selten Tremor;
z zerebellåre Ataxie mit vorherrschender Gangataxie, aber auch
Extremitåtenataxie und zerebellårer Blickmotorikstærung;
z autonome Begleitstærungen (Månner Impotenz, Frauen In-
kontinenz, orthostatische Hypotonie);
z schlechtes bis fehlendes Ansprechen auf L-Dopa;
z im weiteren Verlauf Pyramidenbahnzeichen, Myoklonien,
Blepharospasmen, jedoch keine sensiblen Ausfålle, keine aus-
geprågte demenzielle Entwicklung.

Folgende Formen werden neuropathologisch unterschieden:


z striatonigrale Degeneration (SND) [ICD 10: G 23.2]: sym-
metrische parkinsontypische akinetisch-rigide Symptome,
medikamentæs schlecht behandelbar, rasche Entwicklung au-
tonomer Funktionsverluste. Die autonomen Stærungen kæn-
nen auch als erste Symptome auftreten. Klinisch als MSA-P
bezeichnet.
z Olivopontozerebellåre Degeneration (OPCA): im Vorder-
grund stehen zerebellåre Zeichen und ausgeprågte autonome
Funktionsverluste. Die Abgrenzung zu anderen degenerativen
Kleinhirnerkrankungen, insbesondere autosomal-dominanten
zerebellåren Ataxien (ADCA, Familienanamnese) oder der
idiopathischen zerebellåren Ataxie (IDCA) kann schwierig
sein (Ûberlappung der Krankheitsbilder?, siehe Kap. 12); kli-
nisch derzeit als MSA-C bezeichnet.
z Shy-Drager-Syndrom (wahrscheinlich nur eine klinische Va-
riante der SND): symmetrische parkinsontypische akine-
tisch-rigide Symptome, medikamentæs schlecht behandelbar,
mit ausgeprågter orthostatischer Hypotonie und anderen au-
tonomen Funktionsverlusten.
z Mischformen.

Diagnostisch kænnen insbesondere neurophysiologische Unter-


suchungen, erst im weiteren Verlauf der Erkrankung auch die
kraniale Bildgebung, hilfreich sein. Serologische oder liquor-
diagnostische Marker existieren nicht. Folgende Befundkonstel-
lationen sind typischerweise anzutreffen:
a 6.3 Multisystematrophien (MSA) z 189

z EMG: Nachweis von Denervierungszeichen in der glatten


Muskulatur als Ausdruck der Degeneration zentral-autono-
mer Strukturen (z. B. EMG aus M. sphincter ani);
z MEP: im Verlauf der Erkrankung pathologisch als Nachweis
der Pyramidenbahnbeteiligung;
z SEP: sollte unauffållig sein;
z MRT: im Verlauf Hypointensitåt im Bereich des Putamens
(T2-Gewichtung), bei OPCA Atrophie von Pons und Klein-
hirn;
z vegetative Diagnostik: Kipptisch, Schellong-Test etc.: patholo-
gisch;
z zusåtzlich urologische Untersuchungen (pathologisch: Zysto-
manometrie, Restharnbestimmung).

6.3.3 Øtiopathogenese

Die Øtiologie ist weiterhin unklar. Pathohistologisch kommt es


zu einer chronisch-progredienten Aggregation von a-Synuklein
in der Oligodendroglia und grauen Substanz.

6.3.4 Therapie

Eine kausale Therapie ist nicht mæglich, sodass lediglich eine


symptomatische Behandlung erfolgen kann.
z Parkinson-Symptomatik: erfolgt wie beim idiopathischen
Parkinson-Syndrom, wobei aufgrund des schlechten Anspre-
chens auf L-Dopa auch ± soweit vertråglich ± hæhere Dosie-
rungen versucht werden sollten, daneben allgemeine Maû-
nahmen wie Krankengymnastik, Ergotherapie etc.;
z orthostatische Hypotension: allgemeine Maûnahmen wie
salzreiche Kost, Stçtzstrçmpfe, Vermeiden von schnellem
Aufstehen etc., medikamentæs: Fludrocortison (Astonin H
0,1±0,3 mg/Tag);
z Dranginkontinenz: Therapieversuch mit Oxybutinin (z. B.
Dridase bis 20 mg/Tag, cave: Restharn);
z nåchtliche Polyurie: Desmopronin (z. b. Minirin 100±400 lg/
Nacht).
190 z 6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

6.4 Kortikobasale Degeneration [ICD 10: G 23.8]

6.4.1 Definition und Epidemiologie

Die kortikobasale Degeneration ist eine chronisch-progrediente


gliæse Atrophie kortikaler Strukturen, frontaler und parietaler
Areale sowie der Substantia nigra. Sie ist sehr selten, epidemio-
logische Daten liegen nicht vor.

6.4.2 Klinik und Diagnostik

Typischerweise beginnt diese Erkrankung mit einer Feinmoto-


rikstærung eines Arms, die dann in ein zunåchst asymmetrisch
akinetisch-rigides Syndrom çbergeht. Typisch sind ferner korti-
kal-sensorische Symptome mit einseitiger Apraxie und ¹Alien-
handª-Gefçhl (Fremdheitsgefçhl) und Gefçhl des Kontrollver-
lusts çber die betroffene Extremitåt. Im weiteren Verlauf folgen
Flexionsdystonie des Arms, Pyramidenbahnzeichen, parkinson-
typisches Gangbild, Myoklonien und schlechtes Ansprechen auf
L-Dopa. Progredienz und Prognose entsprechen der Multisys-
tematrophie.
Die neurophysiologische Diagnostik ist zu Beginn unauffål-
lig. Lediglich im EEG kann sich ein Herdbefund zeigen. Auch
die kraniale Bildgebung ist zu Beginn normal, jedoch sind im
MRT in fortgeschrittenen Phasen signalauffållige Strukturen
und spåter auch Atrophien zu erkennen. Allgemeines Labor
und Liquor bleiben normal.

6.4.3 Øtiopathogenese

Die Øtiologie ist unklar. Pathohistologisch kommt es zu einer


chronisch-progredienten Gliose mit der Ausbildung hierfçr
typischer achromatischer geschwollener Neurone. Es findet sich
eine Ablagerung von argyrophilen zytoplasmatischen Ein-
schlusskærperchen in der weiûen wie grauen Substanz.
a 6.5 Chorea Huntington z 191

6.4.4 Therapie
Eine kausale Therapie ist nicht mæglich, sodass lediglich eine
symptomatische Behandlung versucht werden kann. Da bei ei-
nigen Patienten die Gabe von L-Dopa eine (wenn auch geringe)
Symptomverbesserung (Feinmotorik, Gangbild) bewirkt, ist ein
Therapieversuch gerechtfertigt. Myoklonien werden mit Clona-
zepam (z. B. Rivotril bis 3 ´ 1 mg/Tag) behandelt. Daneben gelten
allgemeine Maûnahmen: Krankengymnastik, Physiotherapie etc.

6.5 Chorea Huntington [ICD 10: G 10]

6.5.1 Definition und Epidemiologie


Frçhere Bezeichnungen dieser Erkrankung waren Veitstanz
oder Chorea major. Sie entsteht durch eine autosomal-dominant
vererbte chronisch-progrediente Degeneration von Neuronen
des Striatums aufgrund einer genetisch determinierten patholo-
gischen repetitiven Verlångerung des CAG-Triplets in einem
Genabschnitt, der ein Protein (genannt Huntingtin) noch unbe-
kannter Funktion kodiert. Der selektive Untergang der striata-
len Neuronen fçhrt zu dem Symptomkomplex mit choreifor-
men Bewegungsstærungen, Wesensånderung und Demenz. Die
Pråvalenz betrågt ca. 5 pro 100 000, wobei Månner und Frauen
gleichermaûen betroffen sind.

6.5.2 Klinik und Diagnostik


Der Erkrankungsbeginn ist sehr variabel, kann zwischen dem
12. und 65. Lebensjahr liegen, wobei im Mittel erste Symptome
in der 3. Lebensdekade auftreten. Klinisch imponiert eine Trias.
z Choreiforme Bewegungsstærungen: unwillkçrliche, rasche,
unregelmåûige, z. T. ruckartige Bewegungen des Gesichts, der
Zunge, der Lippen, des Rumpfs und der Extremitåten, die
der Patient zunåchst versucht in einen scheinbar gewollten
Bewegungsablauf einzubringen. Spåter sind die Bewegungen,
192 z 6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

insbesondere auch die willkçrlichen nicht mehr kontrollier-


bar. Die Bewegungsstærungen beginnen distal, greifen spåter
auch nach proximal çber und betreffen dann auch den
Rumpf. Daneben entwickelt sich im Verlauf ein eher akine-
tisch-rigides Bild.
z Organische Wesensånderung: vermehrte Reizbarkeit, Depres-
sivitåt, Distanzlosigkeit, auch psychotische Episoden kænnen
auftreten.
z Demenzielle Entwicklung: zunåchst reduzierte Aufmerksam-
keit und Auffassung, dann Einbuûe weiterer kognitiver/men-
taler Fåhigkeiten.

Die Diagnostik erfolgt neben der Klinik und positiver Familien-


anamnese durch eine genetische Testung. Die Prognose hångt
von der Anzahl der CAG-Repeats ab. Die durchschnittliche Le-
benserwartung nach Diagnosestellung betrågt ca. 15±20 Jahre.

6.5.3 Øtiopathogenese

Chorea Huntington ist eine der bisher bekannten sog. Triplett-


repeat-Erkrankungen. Durch Ûberexpression einer spezifischen
Aminosåuresequenz ± in diesem Fall CAG (pathologisch viele
Wiederholungen dieser Sequenz) ± wird ein spezifisches Protein
vermehrt exprimiert. Dabei steht die Zahl der fehlerhaften Wie-
derholungen in einem direkten Verhåltnis zu Krankheitsbeginn,
Progredienz und klinischem Ausmaû. Klinisch apparent wird
die Erkrankung, wenn mehr als 38 CAG-Wiederholungen deter-
miniert sind. Je hæher die Zahl der Wiederholungen ist, desto
frçher beginnt die Erkrankung, desto schneller schreitet sie vo-
ran und desto schwerer ist die klinische Symptomatik. Dieser
Mechanismus erklårt die breite klinische Varianz sowie das un-
terschiedliche Manifestationsalter der Erkrankung.
Mehrere Gruppen konnten inzwischen nachweisen, dass der
Erkrankung ein Defekt auf dem kurzen Arm von Chromosom 4
zugrunde liegt. Das Genprodukt des defekten Bereichs kodiert
ein Protein noch unbekannter Funktion, das in vielen verschiede-
nen Geweben exprimiert wird. Mæglicherweise spielt das Protein
ein wichtige Rolle beim Schutz vor apoptotischen Mechanismen.
a 6.6 Chorea minor z 193

6.5.4 Therapie

Eine kausale Therapie existiert bisher nicht. Symptomatisch


kænnen jedoch einige Symptome behandelt werden.
z Hyperkinesen: Tiaprid (Tiapridex, 3 ´ 200 mg) oder Sulpirid
(Dogmatil 400±600 mg/Tag) oder Haloperidol (Haldol 5±10
mg/Tag);
z depressive Stimmungslagen: Fluoxetin (Fluctin, 20 mg/Tag)
oder Sulpirid (Dogmatil 400±600 mg/Tag);
z Psychosen oder impulsive Verhaltensdurchbrçche: Clozapin
(Leponex 25±150 mg, cave: Einschleichen und Blutbildkon-
trollen wegen Gefahr der Agranulozytose).

6.6 Chorea minor [ICD 10: I 02.9]

6.6.1 Definition und Epidemiologie

Chorea minor ist die Spåtkomplikation einer bakteriellen Infek-


tion mit Streptokokken im Kindesalter, am ehesten im Rahmen
eines autoimmunologischen Prozesses. Es gibt keine genauen
epidemiologischen Zahlen, insgesamt ist sie in westlichen Lån-
dern jedoch rçcklåufig.

6.6.2 Klinik und Diagnostik

Betroffen sind vorwiegend Kinder im Alter von 5±15 Jahren,


die Wochen bis wenige Monate nach einem erlittenen Strepto-
kokkeninfekt plætzlich eine generalisierte Chorea, seltener auch
nur eine fokale Chorea und neuropsychologische Symptome
entwickeln. In der Regel ist der Verlauf gçnstig mit guter
Rçckbildung innerhalb von 2±5 Monaten. In seltenen Fållen
kommt es zu Rezidiven. Die Diagnose erfolgt anhand des klini-
schen Bilds im Zusammenhang mit der Anamnese. Eine spezi-
fische Zusatzuntersuchung ist nicht bekannt. Ein normaler An-
tistreptolysintiter (AST) schlieût die Diagnose nicht aus. Eine
194 z 6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

komplette Abklårung ist dennoch geboten, um andere Erkran-


kungen, insbesondere einen Morbus Wilson auszuschlieûen,
der andere therapeutische Konsequenzen håtte.

6.6.3 Øtiopathogenese

Die genaue Øtiopathogenese ist unklar. Da klinisch meistens


ein rheumatisches Fieber, Polyarthritis rheumatica, eine Endo-
karditis oder eine Angina vorausgehen, wird eine spezifische
autoimmunologische Reaktion auf die Streptokokkeninfektion
vermutet, mæglicherweise aufgrund einer genetischen Disposi-
tion.

6.6.4 Therapie

Es erfolgt kausale Therapie mit Penizillin (z. B. Penicillin V


100 000 I.E./kg KG oral çber 10 Tage), dann monatliche Prophy-
laxe (z. B. Penicillin G 1 200 000 I.E. i.m.) fçr 5 Jahre. Die Wirk-
samkeit von Kortison bei der Chorea minor ist umstritten. Bei
sehr ausgeprågten choreiformen Bewegungsstærungen kænnen
çber kurze Zeit Neuroleptika wie Pimozide (Orap) oder Halo-
peridol (Haldol) gegeben werden.

6.7 Tremor [ICD 10: G 25.0±25.2]

Tremor åuûert sich in unwillkçrlichen, rhythmischen Bewegun-


gen der oberen und unteren Extremitåten, gelegentlich auch des
Kopfes oder des Kærpers. Tremor kann physiologisch, medika-
menten- oder stoffwechselbedingt, aber auch Symptom einer
degenerativen Erkrankung sein. Als eigenståndiges Tremor-
Krankheitsbild mit therapeutischen Konsequenzen existiert je-
doch nur der essenzielle Tremor, der im Folgenden besprochen
wird.
a 6.7 Tremor z 195

Essenzieller Tremor [ICD 10: G 25.0]

6.7.1 Definition und Epidemiologie

Essenzieller Tremor ist ein unwillkçrlicher symmetrischer


rhythmischer Haltetremor und Aktionstremor. Insgesamt mit
einer Pråvalenz von 0,5±4% in der Bevælkerung ist er ein sehr
håufiges neurologisches Krankheitsbild. Bei der Hålfte der Pa-
tienten ist die Krankheit dominant vererbt, d. h. sie tritt mit
50%iger Wahrscheinlichkeit bei den Kindern und Enkeln auf.

6.7.2 Klinik und Diagnostik

Die einzelnen Tremorarten unterscheiden sich in Frequenz,


Amplitude und danach, ob sie in Ruhe oder im Rahmen einer
Bewegung auftreten. Der essenzielle Tremor zeigt folgende Cha-
rakteristika:
z typischer symmetrischer Haltetremor der oberen Extremitåt,
seltener der Beine, des Kopfes (¹Jaª- bzw. ¹Neinª-Tremor)
oder des Rumpfes,
z Frequenz von 6±7 Hz, bei ålteren Patienten auch niedriger
(4±5 Hz),
z Verstårkung bei Aufregung,
z Besserung der Symptomatik bei kleinen Mengen von Alko-
hol.

Tritt die Erkrankung bereits im Jugendalter auf, merken die Be-


troffenen z. B. in der Schule beim Schreiben an der Tafel das Zit-
tern. Bei etwa der Hålfte der Betroffenen verstårken sich die
Symptome im Alter und kænnen dann auch auf den Kopf und
die Lippen, gelegentlich auch auf die Stimme çbergreifen. Wich-
tig ist die richtige differenzialdiagnostische Abgrenzung zum
physiologischen Tremor und anderen pathologischen Tremorfor-
men. Mit Hilfe eines Oberflåchen-EMGs der antagonistischen
Muskeln kænnen Tremorfrequenz und -amplitude nåher charak-
terisiert und objektiviert werden. In Tabelle 6.3 sind die unter-
schiedlichen Tremorformen aufgelistet.
196 z 6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

Tabelle 6.3. Formen des Tremors

Tremorform Frequenz Erkrankung

z Ruhetremor 4±6 Hz Parkinson-Syndrome


z Aktionstremor 3±4 Hz Kleinhirnerkrankungen
(Intentionstremor)
z Haltetremor 6±7 Hz z Essenzieller Tremor
8±12 Hz z Verstårkter physiologischer Tremor bei
± Anstrengung, Erregung, Angst
± Hyperthyreose
± Hypoglykåmie
± Alkoholentzug
± Medikamentæs
± Lithium
± Valproinsåure
± trizyklische Antidepressiva
± Kaffee
z Intoxikationen mit Blei, Arsen,
Quecksilber, Kohlenmonoxid
z Morbus Wilson

Die Diagnose eines essenziellen Tremors ist in der Regel un-


problematisch. Dennoch sollte insbesondere bei jçngeren Pa-
tienten (<40 Jahre) ein Morbus Wilson ausgeschlossen werden.
Ein Auftreten weiterer klinischer Symptome wie Dystonien
muss ebenfalls zum Anlass einer ausfçhrlichen Diagnostik ge-
nommen werden.

z Physiologischer Tremor. Jeder gesunde Mensch verspçrt beim


Halten der ausgestreckten Arme nach långerer Zeit ein leichtes
Zittern. Es handelt sich hierbei um ein physiologisches Phåno-
men. Diese Form des Tremors wird verstårkt durch lang anhal-
tende kærperliche Anstrengung, Ermçdung und Hunger. Auch
Aufregung (Lampenfieber) und Angst (die Knie zittern vor
Angst) verstårken diese Tremorform. Diese Art des Zitterns ist
nicht als krankhaft zu betrachten und bedarf daher keiner Be-
handlung.
a 6.7 Tremor z 197

z Haltetremor. Dieses Zittern kann beobachtet werden, wenn die


Extremitåten gegen die Schwerkraft gehalten werden mçssen.
Der Tremor wird sichtbar, wenn die Patienten gebeten werden,
die Arme ausgestreckt nach vorne zu halten. Zusåtzlich fållt
den Patienten auf, dass der Tremor verstårkt ist, wenn sie
schwerer Gegenstånde anheben (z. B. eine volle Kaffeekanne).
Diese Tremorform ist typisch fçr den sog. essenziellen Tremor
(siehe unten).

z Ruhetremor. Beim Ruhetremor tritt das Zittern in entspannter,


ruhiger Haltung auf. Das Zittern wird besonders im Bereich
der Hånde und Beine gut sichtbar. Wåhrend der Ausfçhrung
von Bewegungen ist das Zittern weniger stark ausgeprågt.
Ruhetremor ist typisch fçr die Parkinson-Erkrankung.

z Aktions- oder Intentionstremor. Diese Form des Tremors tritt


bei langsamen zielgerichteten Bewegungen auf. Der Begriff In-
tentionstremor, der frçher v. a. benutzt wurde, ist allerdings
missverståndlich, da das Zittern wåhrend der Bewegung zu-
nimmt und bei Annåherung an den Zielpunkt sein Maximum
erreicht. Die Beschreibung Aktionstremor oder Zieltremor ist
passender. Diese Form des Zitterns tritt insbesondere bei
Kleinhirnerkrankungen auf und ist langsamer als Halte- und
Ruhetremor.

z Zerebellårer Tremor. Erkrankungen des Kleinhirns, sei es im


Rahmen degenerativer Erkrankungen oder im Rahmen einer
multiplen Sklerose, ebenso wie Tumoren oder Durchblutungs-
stærungen in diesem Bereich, fçhren zu einem ausgeprågten
Tremor, der Bewegungen aufgepropft ist (Aktionstremor) und
der bei Annåherung der Bewegung ans Ziel deutlich zunimmt.
Die betroffenen Patienten sind dann meist nicht mehr in der
Lage, sich anzuziehen oder zu essen. Der Kleinhirntremor ist
einer medikamentæsen Therapie fast nicht zugånglich. Einige
Autoren empfehlen eine Behandlung mit Isoniazid in einer Do-
sis von 600±1200 mg/Tag. Bei dieser Therapie muss Vitamin B6
substituiert werden. Die therapeutischen Erfolge sind beschei-
den. Nebenwirkungen der Behandlung sind Leberschåden,
Kopfschmerzen, allergische Hauterscheinungen und Schwindel.
198 z 6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

z Toxischer Tremor. Ursache dieser Tremorvariante, bei der es vor-


wiegend zu einem Halte-, aber auch zu einem Aktionstremor
kommt, sind entweder ein Ûberschuss endogener Hormone wie
bei der Schilddrçsençberfunktion (Hyperthyreose), chronischer
Alkoholmissbrauch (sog. alkoholischer Tremor), chronische oder
akute Vergiftung mit Schwermetallen wie Quecksilber und Brom
sowie Nebenwirkungen bestimmter Medikamente. Ein medika-
mentæser Tremor kann durch die Gabe von Lithium, bei der Be-
handlung der Zyklothymie oder des Clusterkopfschmerzes, unter
der Gabe trizyklischer Antidepressiva, bei der Gabe von Neuro-
leptika, bei der Behandlung von Psychosen und chronischer
Schmerzzustånde, bei långer anhaltender Gabe von Kortikoste-
roiden, bei Gabe von Valproinsåure in der Epilepsietherapie
und bei der Substitution von Schilddrçsenhormonen mit Thyro-
xin entstehen. Die Therapie der Wahl ist hier das rasche Absetzen
des Medikaments bzw. die Substitution durch andere Substanzen
mit åhnlicher Wirksamkeit, die nicht zu Tremor fçhren. Ist es aus
therapeutischen Grçnden unumgånglich, diese Substanz weiter
zu applizieren, kann der Tremor mit Propranolol oder Primidon
behandelt werden.

6.7.3 Øtiopathologie
Der verstårkte physiologische Tremor ist als peripherer Tremor
am ehesten auf eine vermehrte Rekrutierung und Synchronisati-
on von Motoneuronen im Rçckenmark zurçckzufçhren. Die Pa-
thogenese des essenziellen Tremors ist dagegen weitgehend un-
klar. Als eine mægliche Erklårung werden synchrone Entladun-
gen von Neuronenkreisen im olivozerebellåren System, aber auch
kortikothalamischer Bahnen diskutiert, die aufgrund einer ver-
minderten Inhibition verstårkt sichtbar werden. Ob es tatsåchlich
ein einheitliches ¹Generatorzentrumª gibt, ist unklar.

6.7.4 Therapie
Therapeutika der Wahl zur Behandlung des essenziellen Tremors
sind Betarezeptorenblocker oder Primidon. Der effektivste Beta-
rezeptorenblocker ist Propranolol. Bei leicht ausgeprågtem Tre-
a 6.7 Tremor z 199

mor kann die Behandlung intermittierend bei Belastungssituatio-


nen (z. B. Prçfungen) erfolgen. Beim ausgeprågteren Syndrom
beginnt die Behandlung langsam einschleichend mit z. B. 20 mg
Propranolol, wobei die Enddosis dann in der Regel zwischen 60
und 240 mg pro Tag betrågt. Hæhere Dosen als 320 mg/Tag be-
wirken keinen zusåtzlichen therapeutischen Effekt. Sollte die
Substanz nicht wirksam sein, darf sie nach långerer Behandlung
nicht abrupt abgesetzt werden, da es sonst zu ausgeprågten Herz-
Rhythmus-Stærungen oder hypertonen Krisen kommen kann. Et-
wa zwei Drittel der mit Propranolol behandelten Patienten be-
richten çber eine signifikante Abnahme des Zitterns. Am besten
ist der Effekt im Bereich der Hånde, weniger gut ausgeprågt im
Bereich des Kopfes. Bei Patienten, bei denen Propranolol nicht
wirksam ist oder Kontraindikationen bestehen, kann eine Thera-
pie mit dem Antikonvulsivum Primidon (z. B. Mylepsinum) ver-
sucht werden. Auch hier muss die Dosierung langsam einschlei-
chend erfolgen, da sonst wegen Mçdigkeit ein Therapieabbruch

Tabelle 6.4. Therapie der Tremorformen

Tremorart Therapie

z Essenzieller Tremor ± Propranolol (z. B. Dociton):


Initial: 20±40 mg/Tag
Hæchstdosis 160±320 mg/Tag
± Primidon (z. B. Mylepsinum, Liskantin):
Initial: 62,5 mg, maximal 3 ´ 250 mg/Tag
± Clozapin (Leponex): Initial: 12,5 mg, jeweils um
12,5 mg/Wo. steigern, Zieldosis 3 ´ 25 mg.
Cave: wæchentliche Blutbildkontrollen
(Gefahr der Agranulozytose)
z Zerebellårer Tremor Keine wirksame Therapie bekannt
z Parkinson Tremor ± Anticholinergika, s. Abschn. 6.1.4
± Budipin (Parkinsan), s. Abschn. 6.1.4
± Clozapin (Leponex), s. Abschn. 6.1.4
± Tremor beeinflussende Dopaminagonisten
z Verstårkter Keine Therapie notwendig, mægliche Ursachen aus-
physiologischer schlieûen (Schilddrçsenerkrankungen, weniger Kaffee
Tremor trinken), ggf. Betarezeptorenblocker
200 z 6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

erfolgt. Manche Patienten haben bereits mit einer halben Tablette


Mylepsinum einen guten Therapieeffekt. Die Maximaldosis sollte
3 ´ 250 mg/Tag nicht çberschreiten. Bei therapieresistenten Fållen
kann ferner die Gabe von Clozapin (Leponex, langsam einschlei-
chen 12,5 mg/Woche, Zieldosis 75 mg/Tag) erfolgen. Alternativ
kåme noch Gabapentin (z. B. Neurontin) in einer Dosis von
900±2400 mg/Tag in Frage. Unwirksam beim essenziellen Tremor
sind Neuroleptika, Anticholinergika, L-Dopa und Amantadin. Al-
kohol in kleinen Dosen dåmpft den Tremor, kann aber aus ver-
ståndlichen Grçnden nicht als Therapeutikum empfohlen werden
(Tabelle 6.4).

6.8 Restless-Legs-Syndrom [ICD 10: G 25.8]

6.8.1 Definition und Epidemiologie

Das Restless-Legs-Syndrom ist eine spontan auftretende Unruhe


der Beine, insbesondere in Ruhe und nachts. Mit einer Pråva-
lenz von etwa 3±5000 pro 100 000 Einwohner ist das Restless-
Legs-Syndrom wahrscheinlich die håufigste Bewegungsstærung
çberhaupt.

6.8.2 Klinik und Diagnostik

Typischerweise låsst sich folgende Symptomkonstellation finden:


z Bewegungsdrang der Beine, der mit Kribbeln und Missemp-
findungen verbunden ist,
z Symptomatik tritt ausschlieûlich in Ruhe auf, verbessert sich
durch Bewegung,
z Schlaf ist durch håufiges Erwachen meist beeintråchtigt.

Andere Erkrankungen, insbesondere medikamenteninduzierte


(Neuroleptika) Dyskinesien und Stoffwechselerkrankungen
mçssen ausgeschlossen sein. Die Diagnostik umfasst daher ins-
besondere den Ausschluss folgender Stoffwechselerkrankungen:
a 6.8 Restless-Legs-Syndrom z 201

Diabetes, Uråmie, Hypovitaminosen, Anåmien und Elektrolyt-


stærungen.

6.8.3 Pathophysiologie

Die Pathophysiologie ist weiterhin unklar. Etwa 30% der Fålle


gehen klinisch mit einer Polyneuropathie einher oder entstehen
im Rahmen der oben aufgefçhrten Stoffwechselstærungen. Alle
anderen Fålle bleiben åtiologisch unklar. Die Tatsache, dass
L-Dopa håufig zu einer Besserung fçhrt, låsst vermuten, dass
die nicht durch Stoffwechselstærungen verursachten Fålle durch
eine noch unbekannte Stærung des extrapyramidalen Systems
hervorgerufen werden.

6.8.4 Therapie und Prognose

Mittel der ersten Wahl ist L-Dopa als Retardpråparat in einer


niedrigen Dosierung (z. B. Restex 200±400 mg/Tag). Aber auch
Dopaminagonisten wie Bromocriptin (Pravidel 2,5±7,5 mg)
oder Pergolid (Parkotil 0,5±1,0 mg) haben in einigen Studien
Wirksamkeit dokumentieren kænnen. Nach neueren Studien
sind jedoch auch Cabergolin (Cabaseril 0,5±2 mg/Tag), Ropi-
nirol (Requip 0,75±1,5 mg/Tag) und Pramipexol (Sifrol
0,125±0,75 mg/Tag) wirksam. Cabergolin kommt dabei v. a. in
der Behandlung des augmentierten Restless-Legs-Syndroms
(Symptome auch am Tag) aufgrund der langen Halbwertszeit
eine Sonderrolle zu. Zur gut vertråglichen Eindosierung von
L-Dopa siehe Abschn. 6.1.4 (S. 172).

Dyskinesien und Dystonien [ICD 10: 24.0±24.9]

Dyskinesien sind unwillkçrliche Bewegungen und Muskelakti-


vierungen. Phasische Phånomene mit einer verlångerten Kon-
traktion der betroffenen Muskulatur werden als Dystonien, Hal-
202 z 6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

tungsanomalien oder Athetosen bezeichnet. Bei den fokalen Dys-


tonien betreffen die Hyperkinesen nur eine umschriebene
Kærperregion, beispielsweise die Augenlider beim Blepharospas-
mus oder die Nacken- und Halsmuskulatur beim Tortikollis. Bei
den segmentalen Dystonien kænnen hingegen beide Arme oder
Gesicht und Halsmuskulatur betroffen sein. Die generalisierten
Dystonien erstrecken sich auf den ganzen Kærper. Fokale Dys-
tonien sind wesentlich håufiger als generalisierte Dystonien, tre-
ten in den çberwiegenden Fållen sporadisch, also ohne geneti-
sche Determination auf und betreffen fast ausschlieûlich Patien-
ten im Erwachsenenalter. Generalisierte Dystonien hingegen sind
meist autosomal dominant vererbt und treten bereits im Kindes-
oder Jugendalter erstmalig auf. Anders als beim Morbus Parkin-
son oder der ALS sind Dystonien nicht als chronisch progredien-
te degenerative Erkrankungen zu betrachten. Treten neben der
Bewegungsstærung noch weitere Symptome auf (kognitive Defizi-
te, Paresen, sensible Ausfålle) muss die Diagnose einer Dystonie
in Frage gestellt werden.
Erst in letzten Jahren gelang eine bessere Differenzierung
dieser Erkrankungen in einzelne Krankheitsbilder, insbesondere
durch den Nachweis spezifischer genetischer Defekte, die z. T.
gut medikamentæs beeinflussbar sind, womit auch die Einord-
nung als psychiatrische Stærung endgçltig widerlegt ist. Neben
den primåren Formen gibt es jedoch auch sekundåre Formen,
die Dystonie als Leitsymptom eines metabolischen Defekts, als
Folge einer Intoxikation oder als Spåtfolge einer medikamen-
tæsen Therapie zeigen. Die Pråvalenz aller Dystonien wird auf
etwa 20 pro 100 000 geschåtzt.

6.9 L-Dopa-sensitive Dystonie [ICD 10: G 24.8]

6.9.1 Definition und Epidemiologie


Die L-Dopa-sensitive Dystonie ist eine autosomal-rezessiv ver-
erbte Dopaminsynthese-Schwåche aufgrund einer Punktmuta-
tion der GTP-Cyclohydrolase (Chromosom 14). Bisher gibt es
a L-Dopa-sensitive Dystonie z 203

keine genauen epidemiologischen Zahlen; der Anteil an allen


primåren Dystonieformen wird auf ca. 10% geschåtzt.

6.9.2 Klinik und Diagnostik

z Beginn der Erkrankung meist in der 1. Lebensdekade, verein-


zelt aber auch im Erwachsenenalter. Zunåchst treten Gang-
stærungen und dystone Flexions-Inversionsstellungen der Fçûe
auf.
z Im weiteren Verlauf erfolgt die Ausbildung eines akinetisch-
rigiden Syndroms mit fixierten Dystonien.
z Typisch sind die tageszeitlichen Schwankungen. Die Be-
schwerden sind am Abend oder nach kærperlicher Anstren-
gung am stårksten ausgeprågt.
z Mådchen und Jungen sind zwar gleich håufig betroffen, doch
scheinen Mådchen schneller/håufiger symptomatisch zu wer-
den.

Das gute Ansprechen auf L-Dopa ist in der Regel so çberzeu-


gend, dass die erfolgreiche Therapie als Diagnose sicherndes
Kriterium herangezogen werden kann. Auch die komplette
Rçckbildung bereits langjåhrig bestehender Symptome wird un-
ter der L-Dopa-Therapie beobachtet, kann jedoch Monate dau-
ern. Soweit bisher bekannt, ist eine Abnahme der L-Dopa-Wir-
kung im Verlauf der Therapie ± anders als beim Morbus Par-
kinson ± nicht zu beobachten.
Laborwerte, kraniale Bildgebung und Neurophysiologie sind
unauffållig. Im Liquor ist die Konzentration von Tetrahydro-
biopterin und Hydroxyvanillinsåure herabgesetzt. Differenzial-
diagnostisch sollten ein Morbus Wilson sowie andere Dystonie-
formen ausgeschlossen werden.

6.9.3 Øtiopathogenese

Ursåchlich ist eine Punktmutation des Gens, das die GTP-Cyc-


lohydrolase I kodiert (Chromosom 14q22.1±2). Dieses Enzym
katalysiert die Synthese von Tetrahydrobiopterin (THB), das
204 z 6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

wiederum ein wichtiger Kofaktor der Tyrosinhydrolase ist, dem


wichtigsten Enzym der Dopaminsynthese. Damit steht weniger
Dopamin zur Verfçgung; dies erklårt auch die Symptomzunah-
me gegen Abend und nach kærperlicher Anstrengung.

6.9.4 Therapie

L-Dopa in mittlerer Dosierung (300±400 mg/Tag, z. B. 3 ´ 125 mg)


wird eingesetzt. Das gute Ansprechen rechtfertigt einen Therapie-
versuch bei den meisten juvenilen Dystonieformen. Die Therapie
erfolgt einschleichend mit 62,5 mg morgens mit einer Dosisstei-
gerung um 62,5 mg alle 2±3 Tage bis zum Erreichen der Zieldosis.

6.10 Generalisierte Dystonieformen [ICD 10: G 24.1]

6.10.1 Definition und Epidemiologie

Generalisierte Dystonien sind sehr heterogene Gruppe von Tor-


sions- aber auch Extremitåten-Dystonien, die autosomal-domi-
nant autosomal-rezessiv oder auch x-chromosomal-rezessiv ver-
erbt, in seltenen Fållen auch sporadisch auftreten kænnen. Ge-
naue epidemiologische Daten liegen nicht vor, insgesamt jedoch
seltene Erkrankungen mit einer vermuteten Inzidenz von etwa
0,1±1 pro 100 000 und Jahr.

6.10.2 Klinik und Diagnostik

Die meisten Fålle der generalisierten Dystonien werden bereits


im Kindesalter apparent, wobei das Erkrankungsalter stark zwi-
schen dem 4. und 40. Lebensjahr variiert (mittleres Erkran-
kungsalter ca. 10). Das klinische Bild kann sehr facettenreich
sein und betrifft meist die untere Extremitåt und einen wei-
teren Kærperabschnitt. Die gesamte Diagnostik ist unauffållig,
insbesondere zeigen auch CCT und MRT des Schådels keine
a 6.10 Generalisierte Dystonieformen z 205

Auffålligkeiten (auch nicht im Bereich der Basalganglien).


Labortechnische Marker existieren nicht. Neuropsychologische
Defiziete sind hierbei nicht zu finden.
Hauptaufgabe der diagnostischen Abklårung ist daher der
Ausschluss metabolischer Erkrankungen, insbesondere eines M.
Wilson (siehe Abschn. 6.12 unten).

6.10.3 Øtiopathogenese

Die Pathomechanismen der generalisierten Dystonien sind nach


wie vor unklar. Fçr die Gruppe der frçh beginnenden auto-
somal-dominant vererbten Dystonien konnte eine Mutation auf
Chromosom 9q34 (DYT1) mit niedriger Penetranz ermittelt
werden. Dieser Abschnitt kodiert ein Protein noch unbekannter
Funktion. Interessant bleibt die Tatsache, dass auch post-
mortem keine strukturellen Verånderungen im Bereich der Ba-
salganglien zu finden sind; dies macht verståndlich, weshalb
die Bildgebung ebenfalls unauffållig bleibt. Klinische Pråsenta-
tion und die neueren Erkenntnisse zur L-Dopa-sensitiven Dys-
tonie stçtzen jedoch die Sicht, dass es sich auch hierbei um
eine Neurotransmitterstærung im Bereich der Basalganglien,
wahrscheinlich des Putamens handelt.

6.10.4 Therapie und Prognose

Die medikamentæse Therapie ist nicht selten frustan. Therapie-


versuche mit folgenden Substanzen kænnen versucht werden.
z Anticholinergika wie Trihexyphenidyl (Startdosis 2 mg, auf-
dosieren bis maximal 80 mg)
z Tetrabenazin (Tetrabenazine, derzeit in Deutschland nicht er-
håltlich, Startdosis 25 mg, aufdosieren bis maximal 150 mg)
z Baclofen (Startdosis 10 mg, aufdosieren bis maximal 120 mg)
z Neuroleptika z. B. Haloperidol (Startdosis 2 mg, aufdosieren
bis 20 mg) oder Clozapin (Startdosis 12,5 mg, aufdosieren
bis maximal 200 mg)
z Benzodiazepine wie Clonazepam (Startdosis 1 mg, aufdosie-
ren bis maximal 15 mg)
206 z 6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

Einige Autoren berichten çber gute Erfolge unter einer Kom-


binationstherapie mit Trihexyphenidyl, Tetrabenazin und Clon-
azepam.

6.11 Fokale und segmentale Dystonieformen [ICD 10: G 24.8]

6.11.1 Definition und Epidemiologie

Fokale und segmentale Dystonien sind Bewegungsstærungen


einzelner Muskeln oder Muskelgruppen, die sporadisch auftre-
ten ohne genetische Determination. Insgesamt sind sie wesent-
lich håufiger als generalisierte Dystonien.

6.11.2 Klinik und Diagnostik

z Torticollis: dies ist die håufigste Form der fokalen Dystonie,


bei der es zu unwillkçrlich drehenden, seitwårts neigenden
Kopfbewegungen kommt. Der noch håufig verwendete Be-
griff ¹Torticollis spasmodicusª ist falsch, da es sich nicht um
einen Spasmus der Muskulatur handelt und sollte deshalb
nicht mehr verwendet werden.
z Blepharospasmus: beidseitiges, unregelmåûiges, tonisches Zu-
sammenkneifen der Augenlider, das bei Stress, hellem Licht
und Aufregung zunimmt.
z Oromandibulåre Dystonie: hier kommt es zu unwillkçrlichen
Bewegungen der Mund-, Kiefer- und Zungenmuskulatur. Sind
Blepharospasmus und oromandibulåre Dystonien gleichzeitig
vorhanden, spricht man von Meige-Syndrom.
z Beim Schreibkrampf kommt es beim Versuch zu schreiben zu
einer pathologischen Verkrampfung von Hand und Unter-
armmuskeln. Interessanterweise kænnen andere feinmotori-
sche Tåtigkeiten, sogar Schreibmaschineschreiben, håufig aus-
gefçhrt werden.
a 6.12 Morbus Wilson z 207

6.11.3 Pathophysiologie

Sie ist wie bei den generalisierten Dystonien unklar, am ehesten


steht eine Neurotransmitterstærung im Putamen zur Debatte.
Sicher ist inzwischen, dass das Konzept einer psychogenen
oder hysterischen Stærung çberholt ist.

6.11.4 Therapie und Prognose

Die frçher eingesetzten medikamentæsen Therapien mit Anti-


cholinergika, Neuroleptika oder Benzodiazepinen sind fçr fo-
kale Dystonien çberholt. Hier hat sich die lokale Behandlung
mit Botulinum-Toxin Typ A (Dysport, Botox oder Xeomin)
oder Typ B (Neurobloc) durchgesetzt, das in den Muskelbauch
des jeweils betroffenen Muskels injiziert wird. Dabei werden je
nach Græûe und Durchmesser des Muskels sehr unterschiedli-
che Dosierungen eingesetzt. Bei sachgerechter Anwendung ist
die Behandlung fast nebenwirkungsfrei und sollte daher nur in
spezialisierten Zentren und Praxen vorgenommen werden. Der
Therapieeffekt hålt jeweils 3±4 Monate an, sodass dann eine er-
neute Injektion erfolgen muss.

6.12 Morbus Wilson [ICD 10: E 83.0]

6.12.1 Definition und Epidemiologie

Synonyme fçr diese Erkrankung sind hepatolentikulåre Degene-


ration und Pseudosklerose Westphal-Strçmpell. Es handelt sich
um eine autosomal-rezessiv vererbte Kupferstoffwechselstærung
mit vermehrter Ablagerung von Kupfer in verschiedenen inneren
Organen sowie im ZNS, dabei insbesondere in den Basalganglien
aufgrund einer verminderten Ausscheidung. Mit einer Pråvalenz
von 0,3±0,4 pro 100 000 ist der Morbus Wilson relativ selten.
208 z 6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

6.12.2 Klinik und Diagnostik

Morbus Wilson beginnt bereits in der 1. oder 2. Lebensdekade,


selten auch spåter, jedoch nicht nach dem 40. Lebensjahr. Kli-
nisch lassen sich zunåchst 2 Gruppen anhand des Beginns der
Erkrankung unterscheiden:
z Frçher Beginn der Erkrankung (<15. Lebensjahr): schneller
Verlauf, çberwiegend hepatische, biliåre und nephrogene Ma-
nifestation mit Gefahr der intravasalen Håmolyse, des akuten
Leber- und Nierenversagens, unbehandelt nach wenigen Jah-
ren letal. Die Diagnose wird anhand der internistischen
Symptome gestellt.
z Spåter Beginn (>15. Lebensjahr): langsamerer Verlauf mit
çberwiegend neurologisch-psychiatrischer Symptomatik (neu-
rologische Symptome: parkinsonartige Symptomatik mit Bra-
dykinese, Rigor, Tremor, demenzielle Entwicklung, aber auch
Ataxie und Dyskinesien; psychiatrische Symptome: Wesensån-
derung, Psychosen).

Diagnostisch ist Folgendes von Bedeutung:


z typische Laborparameter: Kupfer im Serum und 24-h-Urin
erhæht, Ceruloplasmin im Serum erniedrigt, håufig Throm-
bozytopenie, im Urin als Zeichen der Nierenfunktionsstæ-
rung: Proteinurie, Håmaturie;
z internistisch: Hepatosplenomegalie, teils mit Ikterus, Arthral-
gien;
z ophthalmologisch: typische Kupferablagerungen in der Kor-
nea: Kaiser-Fleischer-Ring, wenn nicht mit bloûem Auge,
dann unter der Spaltlampe zu sehen (empfindliche Unter-
suchung);
z kraniale Bildgebung: MRT, erst im Verlauf zeigen sich Kup-
ferablagerungen als Signalanhebungen in T2-gewichteten Bil-
dern im Putamen, Globus pallidus und Thalamus;
z Leberbiopsie: deutliche Erhæhung des Kupfergehalts (bei ein-
deutigen o.g. Parametern kann hierauf verzichtet werden);
z Gentest: bisher wurden ca. 20 verschiedene Mutationen des
Gens nachgewiesen, sodass eine Routinetestung noch nicht
mæglich ist.
a 6.13 Dyskinesien als Nebenwirkung medikamentæser Therapien z 209

6.12.3 Øtiopathogenese

Ursåchlich ist die Mutation eines Gens auf Chromosom 13


(13q14.3), das ein fçr den ATP-abhångigen Austausch von Kup-
fer aus der Zelle notwendiges Protein kodiert. Diese fçhrt zu-
nåchst zu einer vermehrten Ablagerung von Kupfer in Leber-
und Nierenzellen, aber auch im gesamten zentralen Nervensys-
tem. Die Ablagerungen betreffen zwar das gesamte ZNS, doch
werden die Symptome der Basalganglien håufig am ehesten kli-
nisch apparent. Da die verminderte Ausscheidung und die da-
mit verbundene Ablagerung von Kupfer Ursache der pathologi-
schen Mechanismen ist, muss die Therapie so frçh wie mæglich
eingeleitet werden.

6.12.4 Therapie und Prognose

Nach vollståndiger Ausbildung neurologisch-psychiatrischer


Symptome kann bei adåquater Therapie zwar bei 60±70% der
Patienten eine Rçckbildung der Symptome erwartet werden,
doch nur etwa bei 30% ein komplettes Sistieren. Entscheidend
ist der mæglichst frçhzeitige Behandlungsbeginn. Ziel der The-
rapie ist die Reduktion des Kupferumsatzes. Dies kann auf 3
Ebenen erreicht werden:
z Reduktion der Kupferaufnahme durch kupferarme bzw. kup-
ferfreie Diåt;
z vermehrte Ausscheidung von Kupfer durch die Gabe von
Chelatbildnern (D-Penicillamin oder Trientin-Hydrochlorid);
z Verminderung der gastrointestinalen Kupferresorption (Zink,
Kalium-Sulfid).

6.13 Dyskinesien als Nebenwirkung


medikamentæser Therapien

Dyskinesien kænnen auch im Rahmen medikamentæser Thera-


pien als akute Nebenwirkung oder auch als Folge einer langjåh-
rigen Therapie auftreten. Erstere sind meist gut, letztere håufig
210 z 6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

nur bedingt behandelbar, bilden sich jedoch in der Hålfte der


Fålle nach Monaten langsam zurçck.

6.13.1 Frçhdyskinesien

Diese treten meist kurz nach der Gabe von Neuroleptika in Form
von Muskelspasmen im Kopf- und Halsbereich auf. Typische
Symptome sind Zungen- und Schlundkråmpfe oder okulogyre
Krisen (Spasmen der Augenmuskeln). Sie kænnen sehr schmerz-
haft und beeintråchtigend sein. Selten kænnen jedoch auch
Rumpf- und Extremitåtenmuskeln involviert sein. Betroffen sind
v. a. junge Patienten bei der erstmaligen Gabe eines Neurolepti-
kums. Frçhdyskinesien kænnen bei prådisponierten Patienten
auch unter niedrigen Dosierungen auftreten. Zwar werden Frçh-
dyskinesien håufiger unter hochpotenten Neuroleptika beobach-
tet, doch kænnen diese auch unter niederpotenten Neuroleptika
wie Metoclopramid beobachtet werden, die als Antiemetika ein-
gesetzt werden. Die Therapie erfolgt durch die Gabe des Anticho-
linergikums Biperiden (Akineton, 5 mg langsam i. v.). Die Symp-
tome sistieren bereits nach wenigen Minuten.

6.13.2 Spåtdyskinesien (tardive Dyskinesien)

Diese Gruppe der Dyskinesien tritt typischerweise nach lang-


jåhrigen Neuroleptika-Gaben auf. Auch hier sind zunåchst
Kopf- und Schlundmuskeln mit orofazialen Bewegungen, Zun-
gen- und Kaubewegungen betroffen. Beobachtet werden jedoch
auch Kontraktionen der paravertebralen Muskulatur, die zu
ophistotonischen (retrograde Ûberstreckung der zervikalen
Wirbelsåule) Bewegungen fçhren. Eine weitere typische Form
einer Spåtdyskinesie ist die Akathesie (permanente Bewegungs-
unruhe, insbesondere der unteren Extremitåt), die es dem Pa-
tienten unmæglich macht, ruhig zu sitzen oder zu stehen.
Tardive Dyskinesien kænnen wahrscheinlich durch alle Neu-
roleptika verursacht werden und treten unter Hochdosisthera-
pien bei bis zu 20% aller Patienten auf, die 5 Jahre und långer
behandelt werden. In Einzelfållen kænnen diese Formen jedoch
a 6.13 Dyskinesien als Nebenwirkung medikamentæser Therapien z 211

auch schon nach wenigen Monaten auftreten. Einzige Ausnah-


me unter den Neuroleptika ist das ¹atypischeª Neuroleptikum
Clozapin (Leponex, wirkt nicht nur auf D2-, sondern auch D4-
und 5-HT-Rezeptoren), das nur in raren Einzelfållen zu Dys-
kinesien gefçhrt hat. Die medikamentæse Therapie der Spåtdys-
kinesien ist unbefriedigend, allerdings kann bei bis zu 50% der
Patienten nach Absetzen der Therapie eine langsame Reduktion
der Symptomatik beobachtet werden. Bei weiterer Indikation
zur Neuroleptika-Gabe sollte der Patient auf Clozapin umge-
stellt werden. Medikamentæse Therapieversuche kænnen mit Te-
trabenazin (Tetrabenazine, derzeit in Deutschland nicht erhålt-
lich, Startdosis 25 mg, aufdosieren bis maximal 150 mg) unter-
nommen werden. Einige Autoren favorisieren ferner die Gabe
von Vitamin E (1600 I.E./Tag).
212

Anhang 6.1 Medikamentæse Behandlung des Morbus Parkinson und der supranukleåren Blickparese
z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tåglicher Einnahme/
Monat [1 ]

L-Dopa
z Tbl. Levo C Al100/25, 100 St., 28,27/0,28 200±1000 42,00
N3, Aliud Pharma (bei 5 ´ 100 mg/Tag)

Ergotartige Dopaminagonisten
Bromocriptin
z Kps. Bromocriptin TEVA 5 mg, N3, 84,14/0,84 5±60 151,2
100 St., TEVA Generics GmbH (bei 3 ´ 10 mg/Tag)
Lisurid
z Tbl. Dopergin 0,5 mg, 60 St., N2, 77,78/1,27 0,8±2,0 114,3
Emra-Med. Arzneim. GmbH (bei 1,5 mg/Tag)
a-Dihydroergocryptin
z Tbl. Almirid 20 mg, 100 St., N3, 204,30/2,04 15±60 122,4
Desitin (bei 40 mg/Tag)
Pergolid
z Tbl. Pergolid ABZ 1 mg Tbl.,100 St., 248,88/2,49 1,5±5 149,4
N3, ABZ-Pharma GmbH (bei 2 mg/Tag)
6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen
a

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tåglicher Einnahme/
Monat [1 ]

Cabergolin
z Tbl. Cabaseril 2 mg, 60 St., N2, 303,83/5,06 2 151,8
Pfizer Pharma GmbH (nur 1-mal tåglich
einzunehmen)
Nichtergotartige Dopaminagonisten
Ropinirol
z Filmtbl. Requip 5 mg, 84 St., N3, 347,81/4,14 5±15 248,4
Glaxo-Smith Kline (bei 10 mg/Tag)
Pramipexol
z Tbl. Sifrol 0,7 mg, 100 St., N3, 347,12/3,47 0,7±3,15 208,2
BI Pharma (bei 1,4 mg/Tag)

Apomorphin siehe Tabelle 6.2


Anhang 6.1 Medikamentæse Behandlung des Morbus Parkinson
z
213
214

Anhang 6.1 (Fortsetzung)


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tåglicher Einnahme/
Monat [1 ]

COMT-Inhibitoren
Entacapon
z Filmtbl. Comtess 200 mg, 100 St., N3, 134,90/1,35 bis 2000 202,5
Orion Pharma GmbH (bei 1000 mg/Tag)

Monoaminooxidase-B-Hemmer
Selegilin
z Tbl. Jutagilin 10 mg, 100 St., N1, 95,60/0,96 10 28,8
Juta Pharm GmbH
Rasapilin siehe Tabelle 6.2

Anticholinergika
Biperiden
z Tbl. Biperiden Neuraxpharm, 21,90/0,22 6±12 13,2
4 mg, 100 St., N3, Neuraxph. (bei 8 mg/Tag)
Bornaprin
z Tbl. Sormodren, 100 St., N3, 32,42/0,32 6±12 19,2
6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen

4 mg, Abott GmbH & Co. (bei 8 mg/Tag)


a

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tåglicher Einnahme/
Monat [1 ]

Metixen
z Tbl. Tremarit 5 mg, 100 St., N3, 23,23/0,23 5±30 20,7
AWD Pharma (bei 15 mg/Tag)
Procyclidin
z Tbl. Osnervan 5 mg, 100 St., 27,98/0,27 5±30 24,30
N3, Glaxo Wellcome (bei 15 mg/Tag)
Trihexyphenidyl
z Tbl. Parkopan 5 mg, 100 St., N3, 28,42/0,28 5±10 16,8
Glaxo-Smith Kline (bei 10 mg/Tag)
Clozapin
z Tbl. Clozapin 50 1A Pharma 51,97/0,52 bis 75 mg/Tag 15,6
N3, 100 St., 1A Pharma GmbH (bei 50 mg/Tag)
Anhang 6.1 Medikamentæse Behandlung des Morbus Parkinson
z
215
216

Anhang 6.1 (Fortsetzung)


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tåglicher Einnahme/
Monat [1 ]

NMDA-Antagonisten
Amantadin
z Tbl. Tregor 200 mg, 100 St., 35,00/0,35 300±600 mg/Tag 21
N3, Hormosan Pharma (bei 400 mg/Tag)
Budipin
z Tbl. Parkinsan 20 mg, 100 St., N3, 156,48/1,56 bis 60 mg/Tag 93,6
Lundbeck GmbH u. Co (bei 40 mg/Tag)
6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen
a

Anhang 6.2 Medikamentæse Behandlung der Multisystematrophien

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tåglicher Einnahme/
Monat [1 ]

L-Dopa
z Kaps. Levopar 62,5 mg, 100 St., 22,27/0,22 bis 1500 33,0
N3, Hexal AG (bei 5 ´ 62,5 mg/Tag)
Fludrocortison
z Tbl. Astonin H 0,1 mg, 100 St., N3, 60,01/0,6 0,1±0,3 18,0
Merck Pharma (bei 0,1 mg/Tag)
Oxybutynin
z Tbl. Oxyb 5 mg, N3, 27,70/0,28 5±20 16,8
100 St., ABZ-Pharma (bei 10 mg/Tag)
Anhang 6.2 Medikamentæse Behandlung der Multisystematrophien
z
217
218

Anhang 6.3 Medikamentæse Behandlung der kortikobasalen Degeneration


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tåglicher Einnahme/
Monat [1 ]

L-Dopa
z Kaps. Levopar 62,5 Kps., 100 St., 22,27/0,22 bis 1500 33,0
N3, Hexal AG (bei 5 ´ 62,5 mg/Tag)
Clonazepam
z Tbl. Antelepsin 0,5 mg, 100 St., 20,14/0,2 1,5±3 36,0
N3, Desitin Arzneim. (bei 3 mg/Tag)
6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen
a

Anhang 6.4 Medikamentæse Behandlung der Chorea Huntington

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tåglicher Einnahme/
Monat [1 ]

Tiaprid
z Tbl. Tiaprid Neurax 100 mg, 60,51/0,61 3 ´ 200 109,8
100 St., N3,
Neuraxpharm Arzneim.
Fluoxetin
z Kps. Fluneurin 20 mg, Hartkapsel, 42,56/0,43 20 12,9
100 St., N3, Hexal AG
Clozapin
z Tbl. Clozapin 50 1A Pharma, 51,97/0,52 bis 75 15,6
N3, 100 St., 1A Pharma GmbH (bei 50 mg/Tag)
Anhang 6.4 Medikamentæse Behandlung der Chorea Huntington
z
219
220

Anhang 6.5 Medikamentæse Behandlung der Chorea minor


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tåglicher Einnahme/
Monat [1 ]

Penicillin V
z Filmtbl. Pen 1,5 Mega, 14,08/0,7 5 Tbl./Tag 35,0
20 St., N2, 1 A Pharma, fçr 10 Tage (bei 75 kg KG)
Pimozide
z Tbl. Orap 1 mg, 75 St., N3, 25,39/0,34 1±6 mg/Tag 20,4
Janssen-Cilag (fçr 4±5 Wochen) (bei 2 mg/Tag)
Haloperidol
z Tbl. Haloperidol Gry 1 mg, 100 St., 13,49/0,13 1±3 mg/Tag 7,8
N3, TEVA Generics GmbH (fçr 4±5 Wochen) (bei 2 mg/Tag)
6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen
Anhang 6.6 Medikamentæse Behandlung der L-Dopa-sensitiven Dystonie

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tåglicher Einnahme/
Monat [1 ]

L-Dopa
z Kaps. Levopar 62,5 mg, 100 St., 22,27/0,22 300±400 33,0
N3, Hexal AG (bei 5 ´ 62,5 mg/Tag)
aAnhang 6.6 Medikamentæse Behandlung der L-Dopa-sensitiven Dystonie
z
221
222

Anhang 6.7 Medikamentæse Behandlung der generalisierten und fokalen Dystonie


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tåglicher Einnahme/
Monat [1 ]

Trihexyphenidyl
z Tbl. Parkopan 5 mg, 100 St., N2, 24,16/0,24 5±15 14,4
Hexal AG (bei 10 mg/Tag)
Haloperidol
z Tbl. Haloperidol Gry 1 mg, 100 St., 13,49/0,13 3±10 23,4
N3, TEVA Generics GmbH (bei 6 mg/Tag)
Clonazepam
z Tbl. Antelepsin 0,5 mg, 100 St., N3, 20,14/0,2 1,5±9 36,0
Desitin Arzneim. (bei 3 mg/Tag)
L-Dopa
z Kps. Levopar 62,5 mg, 100 St., N3, 122,27/0,22 3 ´ 62,5 19,8
Hexal AG
Botulinus-Toxin A
z Trockensubstanz Dysport O Lsg., 1 ´ 1 Inj.-Fl., 361,5 individuell 361,5
zur Injektion N1, 500 E, Ipsen Pharma (Dosistitration)
z Trockensubstanz Botox 100 E, 1 St., N1, 284,8 individuell 284,8
zur Injektion Pharm-Allergan (Dosistitration)
6 Extrapyramidal-motorische Erkrankungen u. andere Bewegungsstærungen
a

Anhang 6.8 Medikamentæse Behandlung des Morbus Wilson

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tåglicher Einnahme/
Monat [1 ]

Chelatbildner
D-Penicillamin
z Filmtabl. Metalcaptase 300 mg, 17,77/0,89 4 ´ 300 106,8
20 St., N1, Heyl Chem.
Pharm. Fabrik
Dimercaprol
z Amp. Dimaval, 250 mg, N1, 40,95 1- bis 2-mal 100±200 163,8
Heyl-Pharma, 1 Amp.= 5 ml (i.m./ Woche) Keine Mehrfachentnahme
mæglich

Verhinderung der intestinalen Kupferresorption


Zink
z Filmtabl. Unizink 50 mg, 100 St., N3, 18,63/0,19 3 ´ 50 17,1
Kyp Koehler Vertrieb
Anhang 6.8 Medikamentæse Behandlung des Morbus Wilson

Kupferarme Diåt
z

Verzicht auf Leber, Krebse, Schellfisch, Hefe, Pilze, Nçsse, Kåse


223
7 Multiple Sklerose
(Encephalomyelitis disseminata)
Volker Limmroth

7.1 Klassische MS

7.1.1 Definition und Epidemiologie

Multiple Sklerose (MS) ist eine autoimmunologisch bedingte,


T-Zell-vermittelte Erkrankung mit langsam fortschreitender
Zerstærung von Myelinscheiden und Axonen des zentralen Ner-
vensystems. Sie kann schubfærmig, aber auch schleichend pro-
gredient verlaufen. Wåhrend MS frçher als rein demyelinisie-
rende Erkrankung betrachtet wurde, ist in den letzten Jahren
226 z 7 Multiple Sklerose (Encephalomyelitis disseminata)

klar geworden, dass auch axonale Schådigungen eine entschei-


dende Rolle spielen. Neben geographischen Schwerpunkten
(hæhere Inzidenz in nordischen Låndern mit weiûer Bevælke-
rung, niedrige Inzidenz in sçdlichen Låndern sowie unter far-
biger Bevælkerung) wird MS auch gehåuft in einzelnen Famili-
en angetroffen, sodass auch genetische Faktoren wichtig sein
mçssen. Mit 70±100 Erkrankungen pro 100 000 Einwohner
gehært Deutschland zu den Låndern mit hoher Pråvalenz.

7.1.2 Klinik und Diagnostik

Erste Symptome treten in der Regel zwischen dem 20. und 40.
Lebensjahr auf, selten vor der Pubertåt oder nach dem 60. Le-
bensjahr. Dennoch werden auch Fålle bei Kindern beobachtet.
Frauen sind etwa doppelt so håufig betroffen wie Månner. Bei
çber drei Viertel der Patienten, dabei insbesondere bei jçngeren
Patienten, verlåuft die Erkrankung schubfærmig und dann ± in
unterschiedlichem Ausmaû ± ¹sekundår chronisch-progredientª.
Nur bei etwa 10±20% ± hier çberwiegend bei Patienten, die bei
Erstmanifestation nicht selten çber 45 Jahre sind ± ist der Ver-
lauf von Anfang an ¹primår chronisch-progredientª. Da theore-
tisch jeder Abschnitt des ZNS betroffen sein kann, ist auch die
klinische Symptomatik åuûerst vielfåltig.
Eine der håufigsten Frçhmanifestationen ist ein plætzlich
auftretendes, in der Regel einseitiges Schleier- oder Milchglas-
sehen, teilweise auch ein kompletter Visusverlust, die als Folge
einer Entzçndung des Sehnervs entsteht und als Retrobulbår-
neuritis bezeichnet wird. Auch wenn die Entzçndung des Seh-
nervs ein singulåres Ereignis bleiben kann, zeigen prospektive
Studien, dass mehr als die Hålfte aller Patienten weitere Symp-
tome der MS entwickeln. Das erstmalige Auftreten einer Retro-
bulbårneuritis berechtigt daher noch nicht die Diagnose einer
MS. Håufige Formen der Erstmanifestation sind ferner sensible
Missempfindungen einzelner Extremitåten oder einer Kærper-
hålfte oder auch sensible Querschnitte bei spinalen Herden. Da-
neben kænnen aber auch motorische Stærungen wie Schwåche
einzelner Extremitåten oder Extremitåtenabschnitte, Doppelbil-
der oder Gangunsicherheit durch den Verlust des Lagesinns
a 7.1 Klassische MS z 227

auftreten. Je nach Ort der Låsion kænnen auûerdem Artikula-


tionsschwierigkeiten bzw. Probleme beim Sprechen, Krampf-
anfålle, Blasenstærungen sowie Persænlichkeitsverånderungen
und kognitive Stærungen beobachtet werden. Im weiteren Ver-
lauf kænnen sich auch sekundåre Symptome wie Kontrakturen
und Schmerzen als Folge der Spastik, Infektionen des Urogeni-
taltrakts bei Blasenstærungen, Dekalzifizierung der Knochen,
erhæhte Thrombose- und Dekubitusgefahr bei Immobilitåt und
vieles mehr zeigen. Schwerer betroffene Patienten sollten dann

Tabelle 7.1. Neue Diagnosekriterien fçr MS nach McDonald et al.

Klinik (Schçbe) Låsionen Zusåtzliche Anforderungen


fçr eine Diagnosestellung

³2 ³2 z keine; die klinische Evidenz reicht aus (zusåtz-


liche Evidenz wçnschenswert, muss jedoch mit
MS konsistent sein)
³2 1 z råumliche Dissemination der Låsionen im MRT
der positiver CSF-Befund und ³ 2 mit MS kon-
sistent Låsionen im MRT oder ein weiterer Schub
1 ³2 z zeitliche Dissemination der Låsionen im MRT
oder ein zweiter Schub
1 (mono- 1 z råumliche Dissemination der Låsionen im MRT
symptomatisch) oder positiver CSF-Befund und ³ 2 mit MS kon-
sistente Låsionen im MRT
und
z zeitliche Dissemination der Låsionen im MRT
oder ein zweiter Schub
0 (Progression ± z positiver CSF-Befund
von Beginn an) und
z råumliche Dissemination von ³ 9 zerebralen
T2-Låsionen im MRT
z oder ³ 2 Rçckenmarkslåsionen oder 4±8 zereb-
rale Låsionen + 1 Rçckenmarkslåsion
z oder positives VEP mit 4±8 Låsionen im MRT
z oder positives VEP mit < 4 zerebralen Låsio-
nen + 1 Rçckenmarkslåsion
und
z zeitliche Dissemination der Låsionen im MRT
oder anhaltende Progression çber 1 Jahr
228 z 7 Multiple Sklerose (Encephalomyelitis disseminata)

in erfahrene Zentren eingewiesen werden. Nach den im Jahre


2001 eingefçhrten McDonald-Kriterien zur Diagnose einer MS
ist bei einem monosymptomatischen Ereignis die ¹zeitlicheª
und ¹råumlicheª Dissoziation von weiteren Demyelinisierungs-
herden in der Kernspintomographie nachzuweisen, bevor die
Diagnose gestellt werden darf. Das heiût, treten 3 Monate nach
dem initialen Ereignis neue Herde auf, darf die Diagnose ge-
stellt werden. Nach einem zweiten Ereignis (Schub) oder typi-
schem Liquorbefund gilt die Diagnose als gesichert (Tabel-
le 7.1).
Jeder Verdacht auf eine MS erfordert mindestens eine kom-
plette Abklårung unter Einbeziehung aller diagnostischen
Mæglichkeiten in einer neurologischen Abteilung, um wichtige
behandelbare Differenzialdiagnosen auszuschlieûen, die Symp-
tomen einer MS entsprechen kænnen (insbesondere Neurobor-
reliose, Vaskulitiden u. a.) und um im Falle der Diagnosesiche-
rung mit einer spezifischen Therapie beginnen zu kænnen.

7.1.3 Pathophysiologie

Die Pathogenese der MS ist bis jetzt nicht vollståndig geklårt.


Gesichert ist, dass es sich um einen entzçndlichen Prozess han-
delt, der am ehesten erworbener autoimmunologischer Genese
ist. Der entzçndliche Prozess richtet sich dabei gegen die anato-
mische Einheit von Myelin und Oligodendrozyt und wird durch
¹autoaggressiveª T-Lymphozyten ausgelæst. Dieser Typ von
T-Lymphozyten, der auch bei Gesunden vorkommt, wird bei
MS-Patienten aus bisher nicht geklårten Grçnden ¹aktiviertª,
çberwindet die Blut-Hirn-Schranke und verursacht beim Zu-
sammentreffen mit der Antigen pråsentierenden Struktur eine
Entzçndungsreaktion mit Einwandern weiterer Entzçndungs-
komponenten wie Mastzellen, der Synthese von Zytokinen und
sekundår das Freisetzen gewebsschådigender Mediatoren. Ne-
ben einer frçhen peripheren Immunisierung im Kindesalter
scheinen auch genetische Faktoren eine Rolle zu spielen. So
zeigten Zwillingsstudien, dass ein eineiiger Zwilling bis zu
8-mal håufiger erkrankt als ein zweieiiger, wenn der andere
Zwilling ebenfalls erkrankt ist. Von Bedeutung scheint ferner
a 7.1 Klassische MS z 229

die Assoziation mit spezifischen HLA-Allelen. Dabei ist bereits


seit långerem bekannt, dass Tråger des HLA DR2-Allels (Chro-
mosom 6) ein deutlich erhæhtes Erkrankungsrisiko besitzen.
Viele Studien haben bisher erfolglos versucht, spezifische gene-
tische Marker zu finden, sodass angenommen werden muss,
dass nicht ein einzelnes Gen, sondern die Kombination ver-
schiedener Gene das Erkrankungsrisiko erhæhen.
Auch die bisherige Einordnung der MS als rein demyelinisie-
rende Erkrankung muss revidiert werden muss. Axonale Vor-
gånge spielen nicht nur als terminale Endstrecke und Korrelat
bleibender Symptome eine Rolle, sondern sind wahrscheinlich
bereits in einem frçhen Stadium der Erkrankung vorhanden.
Interessanterweise scheint bei Patienten mit primår chronisch-
progredienten Verlåufen die inflammatorische Komponente der
Erkrankung deutlich geringer ausgeprågt zu sein. Aus neuro-
pathologischer Sicht sind hier eher degenerative Prozesse mit
wenig entzçndlichen Mediatoren maûgebend. Die der MS zu-
grunde liegenden pathophysiologischen Mechanismen sind da-
her wesentlich heterogener als bisher angenommen. Diese Er-
kenntnisse werden mittelfristig nicht ohne Einfluss auf die
Therapie sein und neben antiinflammatorischen und immun-
modulierenden Pråparaten auch neuroprotektive Substanzen
Bestandteil der Therapie werden lassen.

7.1.4 Therapie

z Allgemeines
Eine kausale Therapie der MS ist (noch) nicht mæglich. Grund-
såtzlich wird zwischen einer Akuttherapie und einer Intervall-
therapie (oder Prophylaxe) unterschieden. Neben Immunsup-
pressiva wie Azathioprin stehen hier seit einigen Jahren im-
munmodulierende Substanzen wie Interferon b-Pråparate und
Glatirameracetat zur Verfçgung. Schwere Verlåufe und Schçbe
werden mit Chemotherapeutika wie Cyclophosphamid oder Mi-
toxantron behandelt. Die Injektion von Seren, Eiweiûkærpern,
Frischzellen etc. ist nicht nur unwirksam, sondern nach heuti-
gem Wissen auch als gefåhrlich zu werten, da die ausgelæsten im-
230 z 7 Multiple Sklerose (Encephalomyelitis disseminata)

munologischen Prozesse unçberschaubar sind und neue Schçbe


provozieren kænnen. Ergånzend kann die symptomatische Thera-
pie einzelner Symptomkomplexe nicht nur die Lebensqualitåt der
Patienten erhæhen, sondern auch die Entwicklung schwerwiegen-
der Sekundårerkrankungen verhindern. Gleiches gilt fçr alle
nichtmedikamentæse Verfahren wie Krankengymnastik, die obli-
gater Bestandteil jedes Therapiekonzepts sein sollten.

z Akuttherapie
Zur Behandlung der Retrobulbårneuritis und eines akuten
Schubs hat sich inzwischen das Therapiekonzept der kurzzeiti-
gen Stoûtherapie mit hochdosierten Kortikosteroiden nach fol-
gendem Schema durchgesetzt:
z Tag 1±5: 1000 mg Methylprednison i.v. in z. B. 250 ml NaCl,
z Tag 6±7: 80 mg Methylprednison oral,
z Tag 8±9: 60 mg Methylprednison oral,
z Tag 10±11: 40 mg Methylprednison oral,
z Tag 12±14: 20 mg Methylprednison oral, danach absetzen.
Interessanterweise zeigten prospektive Studien, dass eine kurz-
zeitig hoch dosierte Stoûtherapie nicht nur bessere Erfolge auf-
weist, sondern auch mit signifikant weniger Nebenwirkungen
verbunden ist. Zur Minimierung mæglicher Nebenwirkungen
sollte die Therapie erst nach Ausschluss aktuell bestehender In-
fekte (Harnwegsinfekte, reaktivierbare Tuberkulose) und unter
folgenden Begleitmaûnahmen durchgefçhrt werden:
z Magenschutz (z. B. H2-Blocker wie Ranitidin oder Famotidin,
Protonenpumpen-Hemmer, abends oral),
z Kalium- und Kalziumsubstitution (Brausetabletten morgens),
z zu Beginn (mindestens Tag 1 und 2) Blutzucker- und RR-
Kontrolle,
z bei bekannter Thromboseneigung und Bettlågrigkeit: Hepa-
rinschutz, low dose.
Der Effekt von Kortison auf die weitere Entwicklung der
Erkrankung ist nicht abschlieûend geklårt. Die Gabe von Im-
munglobulinen ist in der Akutbehandlung (anders als in der
Intervallbehandlung) ohne Effekt und war in Akutstudien den
Steroiden sogar unterlegen.
a 7.1 Klassische MS z 231

z Intervalltherapie der schubfærmigen Verlaufsform

Die Intervalltherapie der MS hat sich in den letzten 10 Jahren


stark gewandelt. Ziel ist, Anzahl und Intensitåt der Schçbe zu
reduzieren, um so dauerhaft entstehende neurologische Defizite
zu vermindern bzw. zu verhindern. Eine Behandlungsindikation
besteht bei einer Schubfrequenz von mindestens einem Schub
pro Jahr mit relevanten neurologischen Defiziten. Wichtige,
håufig nicht beachtete Regel bei einer Intervalltherapie ist, dass
alle Substanzen mindestens çber einen Zeitraum von 6 Mona-
ten gegeben werden mçssen, um ihre volle immunologische
Wirkung zu entfalten. Die Beurteilung, ob ein Pråparat wirkt
oder nicht, kann daher frçhestens nach 6 Monaten, sicher je-
doch erst nach 12±24 Monaten erfolgen. Auch die Frage, ob die
Kombination verschiedener Substanzgruppen einen Vorteil
bringt, ist nicht abschlieûend geklårt. Die Einteilung der Sub-
stanzen in Mittel der ersten und zweiten Wahl durch die Kon-
sensus-Gruppe richtet sich daher nach Kriterien wie Gçte des
Wirkungsnachweises (Anzahl, Umfang und Græûe der klini-
schen Studien) und Vertråglichkeit.
Seit Mitte der 90er Jahre sind die Interferon-b-Pråparate die
Mittel der ersten Wahl in der Intervalltherapie der MS (Details
siehe Literaturangaben). Als Richtlinie der Indikationsstellung
zur Interferontherapie waren zunåchst mindestens 2 Schçbe in
den letzten 2 Jahren gefordert worden. Dieses Kriterium tritt in
letzter Zeit jedoch zunehmend in den Hintergrund und wird
durch eine individuelle Beurteilung ersetzt (auch Patienten mit
wenigen, jedoch intensiven Schçben oder einer hohen Låsions-
last im MRT werden inzwischen einer Intervallbehandlung un-
terzogen). Mehrere Studien zur frçhen Therapie der MS mit In-
terferon-Pråparaten konnten ferner den Nutzen einer Frçhthe-
rapie çberzeugend nachweisen, sodass sich zunehmend die
Tendenz durchsetzt, mæglichst frçh mit einer Behandlung zu
beginnen. Als weiteres Medikament aus der Gruppe der Im-
munmodulatoren steht auch Glatirameracetat (Copaxone) als
Mittel der ersten Wahl neben den Interferonen. Mittel der zwei-
ten Wahl ist das Immunsuppressivum Azathioprin, das inzwi-
schen ebenfalls eine Zulassung fçr die Intervallbehandlung der
MS hat. Darçber hinaus stehen intravenæse Immunglobuline,
232 z 7 Multiple Sklerose (Encephalomyelitis disseminata)

die fçr diese Indikation noch nicht zugelassen und weniger gut
untersucht sind, aber in einigen Studien çberzeugende Effekte
zeigen konnten, zur Dauerbehandlung zur Verfçgung. Eine
Ûbersicht çber die wichtigsten Substanzen, die in der Intervall-
therapie der MS eingesetzt werden, gibt Tabelle 7.2.

z Interferone
Interferone mçssen parenteral verabreicht und je nach Pråparat
3-mal pro Woche subkutan oder 1-mal pro Woche intramusku-
lår injiziert werden. Grundsåtzlich kann, zwischen dem ålteren
nebenwirkungsreicheren Interferon-b-1b-(Betaferon) und den
neueren Interferon-b-1a-Pråparaten unterschieden werden (Avo-
nex und Rebif).
Hauptnebenwirkungen der Interferone sind grippeåhnliche
Symptome zu Beginn der Therapie, die jedoch nach wenigen Wo-
chen sistieren und/oder durch eine Pråmedikation mit Paraceta-
mol oder Ibuprofen in çblicher Dosierung (z. B. Paracetamol
1000 mg bei Injektion, weitere 1000 mg 4 h spåter) abgefangen
werden kænnen. Die Therapie sollte nicht wåhrend eines Schubs,
sondern erst nach Abklingen eines Schubs begonnen werden, da
es zu einer Aktivierung des Immunsystems kommen kann. Bei
Auftreten eines erneuten Schubs muss die bereits bestehende
Therapie allerdings nicht abgesetzt werden. In den Therapiestu-
dien des Interferons b- 1b wurde ferner die Ausbildung depressi-
ver Reaktionen beobachtet, sodass Patienten mit eindeutigen de-
pressiven Syndromen oder Suizidversuchen in der Vorgeschichte
nicht mit Interferon-b-Pråparaten oder nur unter engmaschiger
Betreuung behandelt werden sollten. Hautreaktionen sind eben-
falls beim Interferon b-1b håufiger als bei den beiden Interfe-
ron b-1a-Pråparaten zu beobachten. Kontraindiziert ist die Gabe
von Interferonen in der Schwangerschaft. Leider liegen bis heute
nur wenige Langzeitstudien vor. Gravierende Langzeiteffekte sind
bisher jedoch nicht berichtet worden. Wåhrend sich die kern-
spintomographisch erfassbare Krankheitsaktivitåt (Zahl und
Ausdehnung der white matter lesions) çber diesen Zeitraum je-
weils besserten oder stabilisierte, hångt eine signifikante Reduk-
tion der Schubrate çber einen Zeitraum von 3 und mehr Jahren
offensichtlich vom Auftreten neutralisierender Antikærper (NAB)
ab. Øhnlich den Diabetikern unter Insulintherapie und Patienten,
a
Tabelle 7.2. Substanzen zur Intervall- bzw. Dauerbehandlung der multiplen Sklerose: Dosierung, Applikationsweg und -frequenz, Neben-
wirkungen und Kontraindikationen

Interferon-b-1a Interferon-b-1a Interferon-b-1b Glatirameracetat Azathioprin Immunglobuline


(Avonex¾) (Rebif) (Betaferon) (Copaxone) (z. B. Imurek)

z Dosis und 6 MIU (30 lg) 6 oder 12 MIU (22 8 MIU (250 lg) 20 lg jeden Tag 100±200 mg Initial 0,2±0,4 g/
Applikations- 1 ´ pro Woche oder 44 lg) 3 ´ pro jeden 2. Tage jeden Tag kgKG pro Tag fçr
frequenz Woche 3 Tage, dann
0,2±0,4 g/kgKG
alle 4±6 Wochen
z Applikationsweg i.m. 0,5 ml s.c. 0,5 ml s.c. 1,0 ml s.c. 1,0 ml Oral 2±3 Tabl. i.v.-Menge je
und Menge tgl. nach Pråparat
unterschiedlich
z Eindosierung Meist nicht Nicht notwendig Halbe Dosis fçr Nicht notwendig Initial 25 mg Nicht notwendig
notwendig bei 22 lg, bei 4 Wochen, dann pro Tag,
Start mit 44 lg volle Dosis dann langsam stei-
sollte fçr 2 Wo- gern
chen zunåchst die
halbe Dosis ver-
wendet werden
7.1 Klassische MS
z
233
Tabelle 7.2 (Fortsetzung)
234
z

Interferon-b-1a Interferon-b-1a Interferon-b-1b Glatirameracetat Azathioprin Immunglobuline


(Avonex¾) (Rebif) (Betaferon) (Copaxone) (z. B. Imurek)

z Typische Grippe ± Grippe ± Grippe ± Hautreaktionen Leukozytopenie, Fieber, Kopf-


Nebenwirkungen åhnliche Symp- åhnliche Symp- åhnliche Symp- an der Einstich- Anstieg der schmerzen, Myal-
tome nach tome nach der tome nach stelle Leberenzyme, gien, selten
der Injektion Injektion, ver- der Injektion, gastrointestinale anaphylaktoide
einzelt Haut- Hautreaktionen Beschwerden, Reaktionen
reaktionen an und vereinzelt Anåmie,
der Einstichstelle Nekrosenbildung Thrombozytopenie,
an der Einstich- Auftreten eines
stelle, Verstårkung Herpes zoster
depressiver Ver-
stimmungen
z Kontra- Schwanger- Schwangerschaft Schwangerschaft (Schwangerschaft) Schwanger- Bekannte
indikationen schaft schaft Empfindlichkeit
gegen ivIG
z Cave bei: Depressionen Depressionen Depressionen und Leber- und Koronarer
7 Multiple Sklerose (Encephalomyelitis disseminata)

und Suizidge- und Suizidge- Suizidgedanken, Nierenfunktions- Herzerkrankung,


danken, Leber- danken, Leber- Leber- und Nie- stærungen, Thrombosenei-
und Nierenfunk- und Nieren- renfunktionsstæ- Thiopurinmethyl- gung
tionsstærungen, funktionsstærun- rungen, bekannte transferaseman-
bekannte gen, bekannte Epilepsie gel (schnelle
Epilepsie Epilepsie Myelonsuppression)
a 7.1 Klassische MS z 235

die im Rahmen der Hepatitistherapie a-Interferone erhalten,


konnte çberzeugend gezeigt werden, dass neutralisierende Anti-
kærper die Wirkung der Interferone auch in der MS-Therapie ein-
schrånken. Anders als in Dånemark, wo seit Jahren Patienten un-
ter einer Interferon-Therapie alle 6 Monate hinsichtlich ihres
NAB-Status getestet werden mçssen, stehen in Deutschland bis
heute keine einheitlichen Tests zur Verfçgung, die eine standardi-
sierte Messung der NAB erlauben. Klar ist allerdings, dass Patien-
ten, die NAB entwickelt hatten, in prospektiven Studien die glei-
che Progression und Schubrate wie die Plazebo-Gruppe aufwie-
sen. Die Entwicklung von NABs ist je nach Pråparat unterschied-
lich und unter Interferon-b-1b-Therapie am hæchsten (ca. 40% al-
ler Patienten nach 2±3 Jahren weisen unter diesem Pråparat NAB
auf). Ob diese Patienten dann ± analog zu den Diabetikern ± eine
hæhere Dosis erhalten sollten, ist bisher nicht geklårt. Sinnvoll ist
dann jedoch der Wechsel des Pråparates.

z Glatirameracetat (Copaxone) ist eine Substanz, die aus einem


festen Verhåltnis von 4 verschiedenen Aminosåuren besteht
und wahrscheinlich eine den Interferonen vergleichbare Wirk-
samkeit besitzt, allerdings jeden Tag subkutan injiziert werden
muss. Sie zeigte in allen Studien eine gute Vertråglichkeit. Ein-
zige wichtige Nebenwirkung sind Hautreaktionen an der Ein-
stichstelle, die allerdings Tage bis wenige Wochen persistieren
kænnen und bei tåglich notwendiger Injektion akkumulieren
kænnen. Der Wirkmechanismus ist weiterhin unklar. Die Rolle
von NAB konnte bisher nicht geklårt werden.

z Azathioprin ist der einzige Wirkstoff der MS-Intervalltherapie,


der oral eingenommen werden kann und wird bereits seit çber
20 Jahren fçr diese Indikation eingesetzt. In der Gruppe der
Immunsuppressiva gehært es zu den am besten vertråglichen
Substanzen. Typische Nebenwirkungen sind gastrointestinale
Beschwerden bei Therapiebeginn, Anstieg der Leberenzyme,
Leukopenie, selten auch Anåmie und Thrombozytopenien. In
seltenen Fållen kann ferner ein alter Herpes zoster reaktiviert
werden. Die therapeutisch richtige Dosierung sollte an den
Blutbildparametern orientiert werden (MCV > 100, Lymphozy-
tenanteil im Differenzialblutbild < 20%) und betrågt erfah-
236 z 7 Multiple Sklerose (Encephalomyelitis disseminata)

rungsgemåû zwischen 100±150 mg, in Einzelfållen aber bis zu


200 mg/Tag. Die meisten Studien, die mit Azathioprin in dieser
Indikation durchgefçhrt wurden, sind leider relativ alt und
gençgen nicht immer dem Anspruch eines modernen Studien-
designs. Ein direkter Studienvergleich zu den neuen Pråparaten
wåre daher notwendig.

z Intravenæse Immunglobuline (ivIG) sind erst in wenigen kon-


trollierten Studien zur Behandlung der MS eingesetzt worden,
kænnen jedoch jeweils eine signifikante Reduktion der Schub-
frequenz erreichen. Hier sind weitere Studien notwendig. ivIG
sind im Allgemeinen sehr gut vertråglich. Neben allgemeinen
Symptomen wie Fieber und Kopfschmerzen kænnen in seltenen
Fållen anaphylaktoide Reaktionen auftreten. Da die Gabe von
Immunglobulinen nur durch den Arzt erfolgen kann, eignen
sich ivIGs insbesondere fçr Patienten mit schlechter Complian-
ce, mit Spritzenphobie oder Unvertråglichkeit gegen Aza-
thioprin.

z Zytostatika. Die Intervallbehandlung mit Zytostatika sollte er-


fahrenen MS-Zentren vorbehalten sein und wird daher an die-
ser Stelle nicht im Detail diskutiert. Alle interessierten Kollegen
seien auf die nachstehenden Literaturhinweise am Ende des Ka-
pitels verwiesen.

z Aktuelle Entwicklungen
Als richtungsweisende therapeutische Neuerung ist in den letz-
ten Jahren insbesondere die Blockade der Lymphozyten-Migra-
tion durch die Blut-Hirn-Schranke gesehen worden und hat zur
Entwicklung zahlreicher Pråparate gefçhrt. Als besonders wirk-
sam konnte der monoklonale Antikærper gegen VLA-4-Rezep-
toren (Natalizumab; Tysabri¾ getestet werden. In den Zulas-
sungsstudien erreichte die Substanz eine Schubreduktion von
çber 60% und erscheint damit dem Interferon deutlich çberle-
gen. Auch orale Integrinantagonisten werden derzeit in mehre-
ren Studien getestet. Weitere Substanzgruppen in klinischen
Studien sind spezifische Hemmer der T-Zell-Differenzierung
bzw. selektive Immunsuppressiva.
a 7.1 Klassische MS z 237

z Therapie der chronisch-progredienten Verlaufsformen

z Interferone
Therapeutisch wenig befriedigend bleibt weiterhin die Behand-
lung der chronisch-progredienten MS-Formen. Die Ergebnisse
der Therapiestudien zum Einsatz von Interferonen beim sekun-
dår chronisch-progredienten Verlauf sind fçr alle Pråparate we-
niger erfolgreich als in der Behandlung der schubfærmigen Ver-
laufsform verlaufen. In einer europåischen Studie (European
Study Group on Interferon b-1b in Secondary Progressive MS)
konnte ein zwar geringer, aber signifikanter therapeutischen Ef-
fekt unter Interferon-b-1b-Gabe (8 Mio. I.E. s.c. alle 2 Tage)
çber einen Zeitraum von 3 Jahren hinsichtlich der Verzægerung
der Krankheitsprogression im Vergleich zu Placebo beobachtet
werden. Dieses Ergebnis konnte jedoch in einer kçrzlich vor-
gestellten nordamerikanischen Studie mit Interferon b-1b (Beta-
seron) nicht repliziert werden. Ein genauer Vergleich beider
Studien zeigte vielmehr, dass in der europåischen Studie v. a.
Patienten mit eingeschlossen wurden, die noch relativ hohe
Schubraten aufwiesen. Dies war in der nordamerikanischen
Studie nicht der Fall, sodass vermutet werden muss, dass der in
der europåischen Studie gezeigte (geringe) Benefit leider durch
die Behandlung der Schubfrequenz zustande kam. In einer wei-
teren klinischen Studie (SPECTRIMS) hatte auch Interfe-
ron b-1a (Rebif) ein schwer interpretierbares Ergebnis erbracht.
Hier zeigte sich eine Verzægerung der Krankheitsprogression le-
diglich fçr weibliche Patienten. Aufgrund der heutigen Daten-
lage kann eine Indikation zur IFN-Behandlung dann gestellt
werden, wenn der Patient neben seinem progredienten Verlauf
noch Schçbe erleidet.
Die geringere Wirksamkeit der IFN-b-Pråparate in der Be-
handlung der chronisch-progredienten Verlaufsformen erklårt
sich am ehesten durch die sich im Laufe der Erkrankung verån-
dernden pathophysiologischen Mechanismen. Offensichtlich
treten die çberwiegend entzçndlichen T-Zell-vermittelten Me-
chanismen in den Hintergrund. Ob das Fortschreiten der Er-
krankung dann eher von neurodegenerativen Prozessen geprågt
oder eher Antikærper- bzw. B-Zell-vermittelt ist noch nicht ab-
schlieûend geklårt.
238 z 7 Multiple Sklerose (Encephalomyelitis disseminata)

z Zytostatika
Zwei Studien zur Behandlung der sekundår-chronisch-progre-
dienten Form mit dem Chemotherapeutikum Mitoxantron (Ra-
lenova) konnten eine Reduktion der Erkrankungsprogression
zeigen. Die Mitoxantrontherapie hat sich daher in Deutschland
fçr diese Patientengruppe etabliert. Allerdings ist die Anwen-
dung trotz relativ guter Vertråglichkeit auf eine kumulative Ge-
samtdosis von 100 mg/m2 KO begrenzt, sodass die Therapie auf
wenige Jahre begrenzt ist.

z Weitere Therapien
Neben der akuten Schubbehandlung mit Glukokortikoidstæûen
kænnen auch Patienten mit einer chronisch-progredienten Ver-
laufsform von einer hoch dosierten Glukokortikoidgabe pro-
fitieren. Diese Beobachtung wird aber nur durch wenige Stu-
dien gestçtzt. Lediglich eine Studie untersuchte diesen Aspekt
bei Patienten mit primår chronisch-progredienter Verlaufsform,
doch auch hier zeigte sich ein besserer Verlauf als unter Plaze-
bo. Trotz der knappen Datenlage erscheint damit zumindest
der Versuch einer wiederholten Kortikoidapplikation im Falle
einer Progression gerechtfertigt, insbesondere im Hinblick auf
die vergleichsweise geringen Nebenwirkungen einer Kortikoid-
therapie. Diese kænnen auch mit Mitoxantron kombiniert wer-
den.
Die klinischen Effekte einer Dauerbehandlung mit Methotre-
xat konnten in einer græûeren Studie nicht beståtigt werden.
Auch Azathioprin erscheint bei diesen Verlaufsformen keinen
klinischen Effekt zu haben. Ûber die potenzielle Wirkung von
Immunglobulinen und Glatirameracetat liegen noch keine aus-
reichenden Daten vor.

z Symptomatische Therapie und nichtmedikamentæse Therapie


Die håufigsten Symptome, die MS-Patienten als subjektiv be-
sonders beeintråchtigend empfinden, sind
z chronische Schmerzen,
z chronische Energielosigkeit und Mçdigkeit (Fatigue-Syn-
drom),
a 7.1 Klassische MS z 239

z Spastik,
z Depressionen,
z Stærungen der Blasen- und Mastdarmfunktion.

z Behandlung chronischer Schmerzen


Rund 50% aller MS-Patienten klagen, im Verlauf ihrer Erkran-
kung unter chronischen Schmerzen zu leiden. Bei immerhin
11% der MS-Patienten ist ein Schmerzsyndrom sogar das initia-
le Symptom der Erkrankung. Charakteristisch ist ein brennen-
der, dysåsthetischer Schmerz, teilweise auch paroxysmal neural-
giform auftretend, der auch durch nichtnozizeptive Reizung
(Allodynie) ausgelæst werden kann. Ûber die spezifische Patho-
physiologie ist bisher wenig bekannt, normale Analgetika sind
meist wirkungslos. Wirksam sind hier insbesondere Natrium-
kanalblocker wie Carbamazepin, Oxcarbazepin und Antikonvul-
siva wie Gabapentin und Topiramat sowie neuerdings auch
Pregabalin. Das håufigste neuropathische Syndrom der MS-Pa-
tienten ist sicherlich die Trigeminusneuralgie, die nicht selten
als Erstsymptom auffållig wird. Da Trigeminusneuralgien typi-
scherweise ein Schmerzsyndrom des spåteren Lebensalters sind,
sollte bei allen Patienten unter 40 Jahren, die erstmalig unter
einer Trigeminusneuralgie leiden, an das Vorliegen einer MS
gedacht werden. Vereinzelt treten bei MS-Patienten Trigeminus-
neuralgien auch beidseitig auf. Nicht selten beklagen Patienten
ferner eine spçrbare Zunahme der Schmerzsyndrome gegen
Abend oder auch nachts in Verbindung mit Unruhezustånden,
dann insbesondere im Bereich der unteren Extremitåt. Eine
Ûbersicht çber die mæglichen Pråparate gibt Tabelle 7.3. Eine
ausfçhrliche Darstellung aller Nebenwirkungen findet sich in
Kap. 4 (Tabelle 4.5 und 4.6).

z Behandlung von Energielosigkeit, Leistungsabfall,


Fatigue-Syndrom
Chronische Mçdigkeit und Energielosigkeit im Sinne eines Fa-
tigue-Syndroms wird von bis zu 75% aller MS-Patienten beklagt
und stellt insbesondere fçr Patienten, die aufgrund einer sonst
geringgradigen kærperlichen Behinderung weiterhin beruflich
tåtig sind, subjektiv das Hauptproblem der eigentlichen Erkran-
kung dar. Pathophysiologisch ist dieser Symptomkomplex je-
240 z 7 Multiple Sklerose (Encephalomyelitis disseminata)

Tabelle 7.3. Therapie neuropathischer Schmerzen

Name der Substanz Startdosis Zieldosis Bemerkungen


[mg] [mg] (zur Darstellung der Neben-
wirkungen siehe Kap. 4,
Tab. 4.5)

z Carbamazepin 100±200 600±1200 Dosierung anhand von Serum-


(z. B. Tegretal) spiegeln kontrollieren
z Oxcarbazepin 200±400 900±1800 Dosis entspricht etwa der
(Trileptal) 1,5fachen Carbamazepinmenge
z Gabapentin 400±800 1200±3600 Zu Beginn Mçdigkeit, sonst
(Neurontin) gute Vertråglichkeit, gut zur
Kombination geeignet
z Lamotrigin 25 200±300 Langsam aufdosieren und 25 mg
(Lamictal) alle 2 Wochen steigern
z Topiramat 25 100±400 Cave: Mçdigkeit und
(Topamax) Verstårkung kognitiver Defizite
z Pregabalin 75 150±300 Mçdigkeit
(Lyrica)
z Amitriptylin 25 75±150 Cave: anticholinerge
(z. B. Saroten) Nebenwirkungen

doch wenig untersucht und unklar. Auch hier bestehen nur we-
nige klinische Studien, die klare Empfehlungen zur Behandlung
dieses Komplexes zulassen.

z Behandlungsstrategien im klinischen Alltag. Die Therapie dieses


Symptomenkomplexes sollte stufenweise erfolgen und medika-
mentæse wie nichtmedikamentæse Ansåtze umfassen. Vor Ein-
leitung einer spezifischen Therapie sollten jedoch andere symp-
tomatische Ursachen ausgeschlossen werden, sodass folgendes
zu prçfen ist:
z Steht die gegenwårtige Ermçdungssymptomatik im Zusam-
menhang mit einem (vor kurzem) stattgehabten oder sich
ankçndigenden Schub?
z Bestehen aktuell Infektionen oder andere Belastungen (z. B.
Erhæhung der Kærpertemperatur)?
a 7.1 Klassische MS z 241

z Ist die Symptomatik Nebenwirkung von neu eingesetzten


Substanzen wie Muskelrelaxanzien, Betarezeptorenblockern,
Benzodiazepinen, Antibiotika o. å.?
z Ist die Symptomatik mæglicherweise Ausdruck eines depres-
siven Zustandsbilds?
z Und letztlich: Sind andere symptomatische Ursachen aus-
geschlossen, wie z. B. Schilddrçsenunterfunktion, Anåmie,
Elektrolytentgleisungen, Leberfunktionsstærungen sowie an-
dere Stoffwechselerkrankungen (vor Initiierung einer spezifi-
schen Therapie sollten daher die wichtigsten Laborparameter
çberprçft werden).

z Therapiemæglichkeiten. In Deutschland sind die Therapieoptio-


nen bisher relativ begrenzt, da insbesondere die groûe Gruppe
der Psychostimulanzien anders als in den angelsåchsischen
Låndern schlechter untersucht und weniger etabliert sind. Kei-
nes der Pråparate besitzt im deutschsprachigen Raum fçr die
Therapie des Fatigue-Syndroms bei MS-Patienten eine Zulas-
sung:
z Amantadin: erhæht durch NMDA-modulierende Wirkung die
Aktivitåt der Formatio reticularis und damit den Wachheits-
grad. Aufgrund seiner guten Vertråglichkeit kænnen relativ
unproblematisch Dosierungen von 200±300 mg/Tag eingesetzt
werden. Nur in vereinzelten Fållen muss mit zentralnervæsen
Nebenwirkungen wie Schlafstærungen, psychischer Unruhe
oder optischen Halluzinationen gerechnet werden (nur bei
prådisponierten Personen, z. B. åltere Patienten, Parkinson-
Patienten).
z Gabe von antriebssteigernden trizyklischen Thymoleptika und
Serotoinwiederaufnahmehemmern, insbesondere Clomipra-
min, Desipramin, Fluoxitin, Sertalin und Nefazodon, in den
çblichen Dosierungen bewåhrt (s. Tabelle 7.4). Dabei sollten
jedoch die mæglichen anticholinergen Nebenwirkungen be-
achtet werden, die die Blasenfunktion beeintråchtigen kænnen.
z Pemolin (Tradon): in Deutschland insbesondere fçr die Be-
handlung des hyperkinetischen Syndroms im Kindesalter zu-
gelassen. Dosis: 20±40 mg/Tag.
z Modafinil (Vigil): Psychostimulans, sicher das wirksamste al-
ler Medikamente in dieser Gruppe, ist aber BTM-pflichtig.
242 z 7 Multiple Sklerose (Encephalomyelitis disseminata)

Tabelle 7.4. Antidepressiva zur Behandlung von MS-Patienten

Name Sedativer Anti- Startdosis Hauptdosis


der Substanz Effekt cholinerger [mg] [mg]
Effekt

z Amitriptylin Hoch Hoch 25±50 150±300


(z. B. Saroten)
z Clomipramin Niedrig Mittel 50±75 150±225
(z. B. Anafranil)
z Desipramin Niedrig Niedrig 25±50 75±200
(z. B. Pertofran)
z Dibenzepin Niedrig Niedrig 240 720
(Noveril)
z Doxepin Hoch Hoch 25±50 150±300
(z. B. Aponal)
z Imipramin Mittel Hoch 25±50 150±300
(z. B. Tofranil)
z Maprotilin Mittel Mittel 25±50 75±225
(z. B. Ludiomil)
z Mianserin Mittel Niedrig 30 180
(z. B. Tolvin)
z Mirtazapin Mittel Sehr niedrig 15 45
(Remergil)
z Nortriptylin Mittel Mittel 20±40 75±150
(Nortrilen)
z Trimipramin Hoch Hoch 25±50 75±300
(z. B. Stangyl)

z Citalopram Niedrig Sehr niedrig 20 60


(z. B. Cipramil)
z Fluoxetin Niedrig Sehr niedrig 20 20
(z. B. Fluctin)
z Fluvoxamin Niedrig Sehr niedrig 50 100±300
(Fevarin)
z Nefazodon Niedrig Sehr niedrig 100 200±600
(Nefadar)
z Paroxetin Niedrig Sehr niedrig 20 50
(z. B. Seroxat)
z Sertralin Mittel Sehr niedrig 25±50 50±250
(z. B. Gladem)
z Trazodon Hoch Sehr niedrig 50±100 150±600
(Thombran)
z Venlafaxin Niedrig Sehr niedrig 75 75±225
(Trevilor)
a 7.1 Klassische MS z 243

Ab einer Dosierung von 200 mg/Tag kann mit einer signifi-


kanten Verbesserung der gesamten Symptomatik bei guter
Vertråglichkeit und wenigen Nebenwirkungen gerechnet wer-
den, kann im Einzelfall bis 400 mg/Tag erhæht werden. Ein
Nachteil ist der Preis (Tagestherapiekosten ca. 10±15,± 1).
z Andere Stimulanzien: Studien oder Erfahrungen mit anderen
Psychoanaleptika wie Amphetaminil (AN 1), Phenetyllin
(Captagon), Methylphenydat (Ritalin) bestehen derzeit nicht.
Doch ist auch von diesen Substanzen eine positive Beeinflus-
sung des Symptomenkomplexes zu erwarten. Einschrånkend
muss hinzugefçgt werden, dass die gesamte Substanzgruppe
der Psychoanaleptika die Krampfbereitschaft erhæhen kann,
sodass diese Substanzen fçr Patienten mit zerebralen
Krampfanfållen in der Vorgeschichte ungeeignet sind.

z Weitere nichtmedikamentæse Hilfestellungen


z regelmåûige sportliche Betåtigung,
z gut strukturierte Planung des Alltags,
z ausgeglichene Lebensfçhrung mit ausreichend Schlaf.

z Behandlung der Spastik


Ursache der Spastik ist die Ûberaktivitåt der a-Motoneuronen
durch den Ausfall deszendierender inhibierender spinaler Bahn-
systeme. Klinisch bedeutet dies fçr den Patienten neben einer
verminderten Gebrauchsfåhigkeit der betroffenen Extremitåt
håufig auch ausgeprågte Schmerzen im Rahmen spontaner
Muskelkråmpfe. Darçber hinaus kann die Spastik durch externe
Triggerfaktoren weiter verstårkt werden. Auch hier sollte die
Therapie in einem ausgewogenen Zusammenspiel von medika-
mentæser und nichtmedikamentæser Behandlung bestehen.

z Medikamentæse Behandlung der Spastik


Inzwischen gibt es eine Vielfalt von unterschiedlichen Substan-
zen und Ansåtzen, die eine Therapie der Spastik zulassen. Im
Hinblick auf das Verhåltnis von Wirkung und Nebenwirkung
kænnen die derzeit zur Verfçgung stehenden Substanzen in
Mittel der ersten und zweiten Wahl eingeteilt werden. In der
jçngeren Vergangenheit hat sich ferner bei schmerzhaften Spas-
tiken die Injektion von Botulinum-Toxin in einzelne Muskel-
244 z 7 Multiple Sklerose (Encephalomyelitis disseminata)

gruppen bewåhrt. Als letzte Stufe der Spastikbehandlung steht


die intrathekale Gabe von Baclofen zur Wahl.

z Medikamente der ersten Wahl


z Baclofen (Lioresal): wirkt auf spinaler Ebene, kann in ein-
schleichender Dosierung von 2 ´ 5 mg/Tag verabreicht und in
10±20-mg-Schritten pro Woche auf eine maximale Dosis von
80±150 mg/Tag gesteigert werden. Typische Nebenwirkungen
sind Mçdigkeit, Sedierung, Schwindel, Ûbelkeit, Muskel-
schwåche, selten auch Verwirrtheitszustånde und Psychosen.
z Tizanidin (Sirdalud) und Clonidin (Catapresan): Beide Sub-
stanzen sind Agonisten an zentralen a2-adrenergen Rezep-
toren. Die Dosierung von Tizanidin beginnt mit 3 ´ 2 mg/Tag
und kann pro Woche um 8 mg gesteigert werden. Die maxi-
male Dosis sollte 24 mg/Tag nicht çberschreiten. Clonidin
wird mit 2 ´ 0,075 mg/Tag aufdosiert und kann pro Woche
um etwa die gleiche Dosis gesteigert werden. Die maximale
Dosis sollte 3 ´ 0,15 mg/Tag nicht çberschreiten. Typische Ne-
benwirkungen beider Substanzen sind neben Benommenheit
und Schwindel eine deutliche Senkung des Blutdrucks, sowie
Bradykardien (insbesondere Clonidin) Mundtrockenheit und
Magen-Darm-Beschwerden.

z Medikamente der zweiten Wahl


z Gabapentin (Neurontin): In ersten Studien ist diese Substanz,
die auf verschiedenen Ebenen auf den GABAergen Stoffwech-
sel einwirkt, in der Behandlung der Spastik bei MS-Patienten
untersucht worden. Dabei konnten mehrere Studien einen
positiven Effekt der Substanz nachweisen. Aufgrund des gu-
ten Nebenwirkungsprofils kann Gabapentin langsam bis zu
einer Dosis von 3600 mg aufdosiert werden.
z Dantrolen (Dantamacrin): Hydantoinderivat, wirkt direkt an
den kontraktilen Elementen der Muskelfaser und vermindert
die Freisetzung von Kalzium aus dem sarkoplasmatischen
Retikulum. Die initiale Dosierung beginnt mit 2 ´ 25 mg/Tag
und kann um die gleiche Dosis pro Woche auf maximal
400 mg/Tag gesteigert werden. Typische Nebenwirkungen
sind Sedierung und Benommenheit, Ûbelkeit, Erbrechen,
Durchfall und in seltenen Fållen schwere Leberschådigungen
a 7.1 Klassische MS z 245

auf. Schwere Verlåufe sind insbesondere bei Frauen im Alter


çber 35 bei gleichzeitiger Ústrogengabe beschrieben worden.
Der Einsatz von Dantrolen sollte daher zurçckhaltend unter
regelmåûiger Kontrolle der Leberparameter erfolgen. Frauen
unter Ústrogenbegleittherapie sollten nur unter engmaschi-
ger Kontrolle diese Substanz erhalten.
z Clonazepam (Rivotril): Benzodiazepin mit relativ kurzer
Halbwertszeit. Die initiale Dosierung betrågt 2 ´ 0,5 mg/Tag
und kann pro Woche um 2 mg gesteigert werden, sollte je-
doch 6 mg/Tag nicht çberschreiten. Typische Nebenwirkun-
gen sind auch hier Benommenheit, Sedierung, Schwindel,
verstårkter Appetit, wie bei allen Benzodiazepinen Toleranz-
entwicklung bei Langzeitbehandlung.
z Tetrazepam (z. B. Musaril): ist zur Beeinflussung der Spastik
weniger gut untersucht als die vorgenannten Benzodiazepine.
Die Toleranzentwicklung ist jedoch weniger stark ausgeprågt
als beim Diazepam. Die initiale Dosierung betrågt 25 mg/Tag
und kann langsam auf maximal 200 mg/Tag aufdosiert werden.
z Diazepam (z. B. Valium): Benzodiazepin mit langer Halb-
wertszeit fçhrt zwar zu einer deutlichen Reduktion der spas-
tischen Symptomatik, doch ist hier die Toleranzentwicklung
vergleichsweise schnell. Typische Nebenwirkungen sind Be-
nommenheit, Somnolenz, verstårkter Appetit, bei Langzeit-
anwendung neben der Toleranzentwicklung jedoch auch
Schlaflosigkeit und Angstzustånde.

z Weitere Therapieoptionen
Botulinum-Toxin (Botox, Dysport) ermæglicht eine nebenwir-
kungsarme Therapie mit dem groûen Vorteil, selektiv einzelne
Muskeln zu behandeln, sodass zentrale und systemische Neben-
wirkungen fast komplett vermieden werden kænnen. Die Dosie-
rung (zwischen 30±300 Einheiten pro Muskel) hångt dabei von
der Græûe des Muskels ab. Die Paralyse des Muskels beginnt
dabei nach ca. 24±72 h und erreicht ihren maximalen Effekt
nach 5±14 Tagen. Der Effekt hålt ca. 3±4 Monate an. Auswahl
der Dosierung und Injektion der Substanz sollte jedoch nur
durch geçbte Kollegen oder spezialisierte Zentren erfolgen.
246 z 7 Multiple Sklerose (Encephalomyelitis disseminata)

z Behandlung von Depressionen


und anderen affektiven Stærungen
Depressive Verstimmungen und Depressionen werden håufig
bei MS-Patienten beobachtet. Darçber hinaus finden sich auch
andere affektive Stærungen wie maniforme Zustandsbilder oder
Angststærungen.

z Therapeutische Ansåtze
Je nach Art der Stærung bietet sich in der Gruppe der MS-
Patienten eine Kombination aus pharmakologischer Therapie
und Psychotherapie an. Hier gelten grundsåtzlich die gleichen
Richtlinien und Empfehlungen, die auch bei anderen Patienten
gelten, die unter Depressionen, Angststærungen oder anderen
psychischen Symptomen leiden. Wichtig ist zu berçcksichtigen,
dass MS-Patienten wesentlich anfålliger fçr spezifische Neben-
wirkungen der typischen Antidepressiva bereits in wesentlich
geringeren Dosierungen sind. Insbesondere sind anticholinerge
Effekte vieler trizyklischer Antidepressiva wie Blasenretention,
Akkommodationsstærungen oder Mundtrockenheit problema-
tisch. Selektive Serotonin- bzw. Noradrenalinwiederaufnahme-
hemmer sind daher anders als die trizyklischen Antidepressiva
fçr MS-Patienten besser geeignet. Ferner sollte bedacht werden,
dass viele MS-Patienten bereits unter dem Gefçhl der Energie-
losigkeit und vermehrter Mçdigkeit leiden. Antidepressiva mit
sedierendem Effekt sind daher bei diesen Patienten wenig hilf-
reich. Auch MAO-Hemmer sind aufgrund ihrer potenziellen
Wechselwirkung mit anderen Substanzen, Nahrungsmittelein-
schrånkungen, aber auch der groûen Bandbreite ihrer poten-
ziellen Nebenwirkungen eher ungeeignet fçr die Behandlung
von MS-Patienten. In Tabelle 7.4 sind die wichtigsten Antide-
pressiva im Hinblick auf die o. g. Aspekte, die Startdosierung
sowie die therapeutische Dosierung aufgefçhrt.

z Behandlung von Stærungen des Urogenitaltrakts


Von den Patienten, die mehr als 10 Jahre unter einer multiplen
Sklerose leiden, sind mehr als 80% von Symptomen im Bereich
des Urogenitaltrakts betroffen. Durch den geschickten Einsatz
symptomatischer Therapien kann hier die bestehende Sympto-
matik gçnstig beeinflusst und die Lebensqualitåt des Patienten
a 7.1 Klassische MS z 247

deutlich verbessert werden. Besonders betroffen von urogenita-


len Symptomen sind Patienten mit Herden im Bereich des
Rçckenmarks. In den meisten Fållen besteht dabei eine Schådi-
gung des Tractus corticus spinalis lateralis oder reticulospinalis,
sodass die supraspinale Unterdrçckung autonomer Blasenkon-
traktionen gestært ist. Dadurch entsteht eine Hyperaktivitåt des
Detrusors und eine sog. Urge-Inkontinenz. Dies betrifft çber
60% der Patienten. Die Unterbrechung des Tractus reticulospi-
nalis im Bereich der Pons stært das synergistische Zusammen-
spiel zwischen Detrusoraktivitåt und urethralen Sphinktern.
Dadurch kænnen 3 weitere Problemkreise auftreten:
z eine Detrusor-Sphinkter-Dysenergie (Detrusorkontraktion
ohne Úffnung des Sphinkters oder umgekehrt),
z inkomplette Sphinktererschlaffung,
z Sphinkterparese.

Je nach Art der Schådigung leidet der Patient also unter einer
vermehrten Inkontinenz oder erhæhten Retentionswerten mit
Restharn. Problematisch dabei ist, dass nicht wenige Patienten,
die unter einer Harnretention mit Restharn leiden, davon nichts
merken. Darçber hinaus muss anamnestisch geprçft werden,
ob mæglicherweise eine Komedikation vorliegt, die die Blasen-
funktion unnætigerweise belastet. Neben Neuroleptika und tri-
zyklischen Antidepressiva mit anticholinergen Effekten sollte
v. a. an alphaadrenerge Substanzen gedacht werden, die håufig
im Rahmen von Erkåltungskrankheiten angewendet werden
und durch die Stimulation von Alpharezeptoren der Blase die
Blasenentleerung weiter vermindern. Ferner kænnen Alpha-
rezeptorenblocker wiederum, die als Antihypertensiva einge-
setzt werden, Stressinkontinenz deutlich verstårken.

z Behandlung der Inkontinenz


Neben der eigentlichen Inkontinenz treten auch Symptome wie
hochfrequentes Wasserlassen oder Nykturie auf. Pharmakolo-
gisch wirksam ist hier v. a. die Unterdrçckung der nicht inhi-
bierten bzw. unvollståndig inhibierten autonomen Blasenkon-
traktionen. Verschiedene Substanzen kænnen eingesetzt werden.
Sie sollten individuell hochtitriert werden, bis ein therapeuti-
scher Effekt erkennbar ist und anticholinerge Nebenwirkungen
248 z 7 Multiple Sklerose (Encephalomyelitis disseminata)

nicht mehr toleriert werden. Weit verbreitet ist auch die Gabe
von Substanzen, die eine direkte Entspannung der glatten Mus-
kulatur bewirken, etwa Oxybutynin oder Flavoxat. Fçr alle Sub-
stanzen, die çber diesen Mechanismus wirken, gilt jedoch: cave
bei Glaukom und Myasthenia gravis.
z Oxybutynin (z. B. Dridase) ist das am håufigsten verschriebe-
ne Medikament (5±30 mg/Tag) mit einem guten Wirkungs-
Nebenwirkungsverhåltnis. Bei çber 50% der Patienten mit
Inkontinenzproblemen verbessern sich die Beschwerden sig-
nifikant. Flavoxat (Spasuret) wird in einer Dosierung von
600±800 mg/Tag gegeben.
z Auch selektive Muskarinrezeptorenblocker wie Tolterodin
(Detrusitol, 2±4 mg/Tag) zeigen gute Effekte in der Behand-
lung der Inkontinenz bei relativ geringen anticholinergen
Nebenwirkungen.

Sofern eine Indikation zur Verwendung eines trizyklischen


Antidepressivums vorliegt, kann auch eine Substanz aus der
Gruppe der trizyklischen Antidepressiva mit hæherer anticho-
linerger Nebenwirkung gewåhlt werden. Auf diese Weise kæn-
nen die Nebenwirkungen des trizyklischen Antidepressivums
geschickt genutzt werden. In schweren Fållen kænnen Substan-
zen mit unterschiedlichem Wirkmechanismus auch kombiniert
werden. Darçber hinaus besteht die Mæglichkeit, bei Patienten
intermittierend Katheterisierung mit der intravesikalen Appli-
kation anticholinerger Substanzen zu kombinieren. Dies sollte
jedoch nur in Zentren mit ausreichender Erfahrung durch-
gefçhrt werden. Bei Patienten, die ausschlieûlich unter einer
verstårkten Nykturie und Enuresis leiden, kann auch die An-
wendung von Vasopressin bzw. Desmopressin (Minirin Dosier-
Nasenspray oder Tabletten 0,2±0,4 mg/Tag) hilfreich sein. Hier-
durch wird die Urinproduktion herabgesetzt und die Blasenfçl-
lung vermindert.

z Blasenentleerungsstærungen
Patienten mit Restharn bei Blasenentleerungsstærungen auf-
grund von Detrusor-Sphinkter-Dyssynergien (nicht jedoch bei
Detrusor-Kontraktionsschwåche) kænnen medikamentæs mit
a1-blockierenden Substanzen wie
a 7.2 Sonderformen z 249

z Terrazosin (Flotrin, Startdosis 1 mg abends, dann langsam


nach Wirkung auf maximal 7 mg/Tag steigern), Doxazosin
(Cardular, Startdosis 1 mg, dann langsam wochenweise (!)
nach Wirkung auf maximal 4 mg/Tag steigern) und
z Prazosin (z. B. Minipress, hierfçr gibt es in Deutschland kei-
ne Zulassung) behandelt werden. Aufgrund ihrer Blutdruck
senkenden Wirkung mçssen Alpharezeptorenblocker lang-
sam eingeschlichen werden. Daneben ist vor allem die auf-
tretende Mçdigkeit das Hauptproblem der Therapie.
z Auch Muskelrelaxanzien (z. B. Baclofen, Dantrolen oder Dia-
zepam kænnen zur Behandlung von Blasenentleerungsstærun-
gen dieser Art eingesetzt werden, Dosierungen s. oben bei
Behandlung der Spastik).
z a2-Agonisten wie Tizanidin (Sirdalud Startdosis 6 mg, dann
nach Wirkung auf maximal 24±36 mg/Tag steigern) hat
jçngst in kleinen Studien eine gçnstige Wirkung auf Entlee-
rungsstærungen gezeigt. Sollten sich diese Beobachtungen
beståtigen lassen, wåre dieser Substanzgruppe aufgrund der
guten Vertråglichkeit der Vorzug zu geben.

7.2 Sonderformen

7.2.1 ADEM: akute demyelinisierende Enzephalomyelitis

Die ADEM ist deutlich seltener als eine MS und verlåuft mono-
phasisch und nicht selten fulminant. Klassischerweise treten
1±4 Wochen nach einer Infektion oder nach Impfungen erste
Symptome auf, die sich schnell entwickeln. Auch Fålle ohne er-
kennbaren Auslæser sind beschrieben. Wie bei der MS richtet
sich auch hier eine autoimmun entstandene Entzçndungsreak-
tion gegen Myelin und Oligodendrozyten, histopathologisch
sind die Axone weniger oder gar nicht betroffen. Eine sichere
Abgrenzung zur MS ist nicht immer oder erst im weiteren Ver-
lauf mæglich. Klinisch kann das gleiche Symptomspektrum auf-
treten, das auch bei der MS beobachtet wird, insbesondere auch
250 z 7 Multiple Sklerose (Encephalomyelitis disseminata)

epileptische Anfålle. Anders als bei der MS sind hier beide Ge-
schlechter gleich håufig betroffen.
Die diagnostischen Schritte zur weiteren Abklårung entspre-
chen denen der MS-Diagnostik. Kernspintomographisch zeigen
sich die typischen Demyelinisierungsherde in der T2-Gewichtung
und in der FLAIR-Sequenz. Allerdings sollten keine disseminiert
verteilten Herde zu sehen sein, sondern nur ein Herd oder wenige
groûe Herde. Die Liquordiagnostik kann eine deutliche Pleozyto-
se, eine deutliche Eiweiûerhæhung sowie eine erhæhte intratheka-
le IgG- als auch oder in Kombination IgM- bzw. IgA-Synthesen
zeigen. Oligoklonale Banden fehlen jedoch oft. Die Akuttherapie
entspricht wiederum der der MS mit 1000 mg Methylprednisolon
çber 5 Tage. Auch wenn die Mortalitåt der ADEM mit ca. 10±15%
zunåchst relativ hoch ist, ist die Prognose sonst ± insbesondere,
wenn rechtzeitig erkannt ± relativ gut. Grund hierfçr mag die re-
lative Aussparung der Axone wåhrend der Entzçndungsphase
sein. Eine immunmodulatorische Dauertherapie ist aufgrund
des monophasischen Verlaufs nicht indiziert. Ûbergånge bzw.
Mischformen, die spåter im Sinne einer MS verlaufen, sind aller-
dings beschrieben worden. Bei schweren Fållen kann sich die
Indikation zur Behandlung mit Cyclophosphamid ergeben.
Schwerst verlaufene Fålle mit nekrotisierenden Arealen werden
als Hurst-Syndrom bezeichnet.

7.2.2 Devic's Syndrom: Neuromyelitis optica

Diese seltene Variante zeichnet sich durch die sehr spezielle


neuroanatomische Verteilung der Entzçndungensherde aus.
Hier sind ausschlieûlich der N. opticus im Sinne einer Neuritis
nervi optici (håufig auch beidseitig zur gleichen Zeit) sowie
das Myelon betroffen, wåhrend die restlichen supraspinalen
Strukturen intakt bleiben. Die meisten Fålle bleiben wie bei der
ADEM monophasisch. Typisch ist hierbei also eine unauffållige
kraniale Kernspintomographie, jedoch der Nachweis von Her-
den im Myelon, insbesondere in zervikalen Abschnitten. Die Li-
quordiagnostik ist in der Regel unergiebig. Oligoklonale Ban-
den fehlen meistens. Schwere Fålle verlaufen im Sinne einer
transversen Myelitis und kænnen in wenigen Tage zu einem
a 7.2 Sonderformen z 251

kompletten Querschnitt fçhren. Auch hier entspricht die Akut-


therapie wiederum der der MS mit 1000 mg Methylprednisolon
çber 5 Tage. Eine immunmodulatorische Dauertherapie ist bei
einem monophasischem Verlauf nicht indiziert. Kleine Studien
zeigten, dass diese Gruppe von Patienten offensichtlich gut bzw.
besser auf Plasmapheresen ansprechen, als Patienten mit ande-
ren MS-Formen.

7.2.3 Balo's Slerose

Balo's Sklerose (BS) ist ein weiteres Beispiel fçr einen autoimmu-
nologischen Prozess des ZNS, der in den meisten Fållen mono-
phasisch mit schneller Progredienz verlåuft. Die Beziehung zur
MS ist nicht eindeutig geklårt, BS wird aber als MS-Sonderform
betrachtet. Wåhrend die Erkrankung in Europa eine Raritåt ist,
wird sie in China und auf den Philippinen håufiger gefunden. Ty-
pische neuroanatomische Besonderheiten sind hier, dass wenige
groûe Låsionen in der weiûen Substanz unter Aussparung der
grauen Substanz zu finden sind. Auch eine Neuritis nervi optici,
spinale oder zerebellåre Beteiligungen kommen hier nicht vor.
Die Entzçndung respektiert die anatomische Struktur des gyra-
len Verlaufs und die Trennungslinien des Myelins, sodass bei
axialer Betrachtung bzw. Schnittfçhrung homogene konzentrisch
geformte Entzçndungsstrukturen und entsprechende KM-Anrei-
cherungen beobachtet werden kænnen. Die Liquordiagnostik
bleibt wie beim Devic's Syndrom oft unergiebig. Hier fehlen
meist oligoklonale Banden sowie eine intrathekale Immunglobu-
linsynthese, sodass die Diagnose anhand von Klinik und MRT ge-
stellt werden muss. Auch hier besteht die Therapie analog zur Be-
handlung eines MS-Schubs aus der Gabe von hoch dosiertem Me-
thylprednisolon çber mehrere Tage. Das es sich in der Regel um
ein monophasisches Geschehen handelt, besteht keine Indikation
zum Einsatz einer immunmodulatorischen Dauertherapie.
252 z 7 Multiple Sklerose (Encephalomyelitis disseminata)

7.2.4 Marburg Variante (Marburg's Disease)

Diese sehr seltene Sonderform der MS ist die mit dem schwers-
ten klinischen Verlauf. Betroffen sind meist junge Erwachsene,
die einen fulminanten ersten Schub ohne Remission erleben.
Auffållig sind die groûen z. T. konfluierenden Låsionen mit in-
tensiver lymphozytårer und monozytårer Invasion am Plaque-
rand. Gut die Hålfte aller Fålle verstirbt innerhalb eines Jahres.
Die Therapie besteht hier neben einer Kortisonstoûtherapie aus
der frçhen Gabe von Cyclophosphamid.

Weiterfçhrende Literatur

z Multiple Sclerosis Therapy consensus group: Escalating im-


munotherapy of multiple sclerosis. New aspects and practical
application. J Neurol 2004, 251:1329±1339
z McDonald et al. Recommended diagnostic criteria for MS.
Ann Neurol 2001, 50:121±127
z Limmroth, Kastrup; Therapieleitfaden: Multiple Sklerose.
Thieme-Verlag, 2. Aufl., Stuttgart 2003
a

Anhang 7.1 Medikamentæse Behandlung der Retrobulbårneuritis und des akuten Schubs

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] 5 Tagen Einnahme [1 ]

Methylprednison
z Trockensubstanz Metypred 1000 mg forte, 58,61 1000 mg 293,05
1 Inj.-Fl., Orion Pharma fçr 5 Tage
Ranitidin
z Tbl. Ranitidin 75 ± 1A Pharma, 3,98/0,39 150±300 4,00
10 St., N1,
Abz Pharm. (bei 150 mg/Tag)
Kalium
z Brausetbl. Kalinor, 15 St., N1, 7,42/0,49 40 mM/Tag 2,45
Knoll Deutschland, (Brausetbl./Tag)
1 Tbl.= 40 mM
Kalzium
z Brausetbl. Calcium-Dura 600, N1, 4,35/0,21 600 1,05
20 St., Merck Dura
Anhang 7.1 Medikamentæse Behandlung der Retrobulbårneuritis

Enoxaparin
z

z s.c. Clexane 40 mg, 10 St., N1, 89,73/8,97 40 44,85


1 Amp.= 0,4 ml = 4000 I.E.,
EURIM Pharm
253
254

Anhang 7.2 Intervalltherapie der schubfærmigen multiplen Sklerose


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei entsprechender


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] Einnahme/Monat [1 ]

Azathioprin
z Tbl. Azathiopin ± 1A Pharma, 81,10/0,81 100±150 mg 48,00
50 mg, N3, 100 St., 1A Pharma (bei 100 mg)
b-1a-Interferon
z s.c. Rebif 22 oder 44 lg Inj.-Lsg., 1233,63 6 oder 12 MIU 1335,00 (22 lg)
12 St., N2, Serono 1585,86 (3 Inj./Woche) 1718,16 (44 lg)
Pharma GmbH, 6 oder 12 MIU
z i.m. Avonex, 4 St., N2, 1269,30 6 MIU (30 lg) 1374,75
30 lg, 6 MIU, (1 Inj./Woche)
BiogenIdec GmbH
b-1b-Interferon
z s.c. Betaferon, 15 St., N2, 1324,00 8 MIU (250 lg) 1324,00
9,6 MIU, Schering (jeden 2. Tag)
7 Multiple Sklerose (Encephalomyelitis disseminata)

Deutschland GmbH
i.v.-Immunglobulin
z i.v. Sandoglobulin 10 g, 689,32 ca. 0,2 g/kg KG/ 993,00
Novartis Pharma GmbH Monat (bei 70 kg)
Glatirameracetat (Copolymer-1)
z s.c. Copaxone, 28 Amp., 1187,00 20 mg tgl. 1285,00
20 mg = 1 Amp., Aventis/TEVA
Anhang 7.3 Therapie der chronisch-progredienten multiplen Sklerose

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei entsprechender


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] Einnahme/Monat [1 ]

Methotrexat
z Tbl. Lantarel 7,5, 30 St., N2, 49,13 7,5 mg/Woche 7,35
Lederle GmbH
Cyclophosphamid (initial nur unter stationåren Bedingungen)
z DRG Cyclophosphamid, 100 St., 49,69 50±100 mg/m2 individuell
N3, Biosyn KOF (individuell)
z Mitoxantron Ralenova 10 mg, 209,53 12 mg/qmKO ca. 140,00 bei 1,6 qm/KO
Wyeth Pharma alle 3 Monate
a Anhang 7.3 Therapie der chronisch-progredienten multiplen Sklerose
z
255
256

Anhang 7.4 Symptomatische Therapie der multiplen Sklerose


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tåglicher Einnahme/Monat [1 ]

Baclofen
z Tbl. Baclofen-ratiopharm 23,06/0,23 10±60 20,30
10 mg, 100 St., N3 (bei 30 mg/Tag)
Dantrolen
z Tbl. Dantamacrin 25 mg, N3, 53,79 4 ´ 25 mg/Tag 64,00
100 St., P. u. G. Pharm.
Clonazepam
z Tbl. Rivotril 0,5 mg, 100 St., N3, 15,21/0,15 1,5±6 26,00
EURIM Pharm (bei 3 mg/Tag)
Botulinum-Toxin A
z Trockensubstanz Dysport O Lsg., 1 ´ 1 Inj.-Fl., 441,32 individuell 441,32
zur Injektion N1, 500 E, W. Krebs GmbH (Dosistitration)
7 Multiple Sklerose (Encephalomyelitis disseminata)

z Trockensubstanz Botox 100 E, 1 St., N1, 349,67 individuell 349,67


zur Injektion Merz-Pharma (Dosistitration)
8 Polyneuropathien (PNP)
Min-Suk Yoon, Volker Limmroth
258 z 8 Polyneuropathien (PNP)

Einfçhrung

Polyneuropathien (PNP) sind Erkrankungen des peripheren


Nervensystems. Beeintråchtigt kænnen motorische, sensible und
vegetative Fasern sein. Der Polyneuropathie kænnen åtiologisch
unterschiedliche Faktoren zugrunde liegen. Prinzipiell låsst sich
zwischen einer erworbenen und einer hereditåren Polyneuro-
pathie unterscheiden. Die sehr viel håufigeren erworbenen Po-
lyneuropathien werden weiter in metabolisch bedingte (Dia-
betes mellitus, Alkoholmissbrauch, Lebererkrankungen, Nieren-
erkrankungen u. a.) und entzçndliche (autoimmun, erregerbe-
dingt etc.) Polyneuropathien unterteilt. Die håufigsten Ursachen
einer metabolisch bedingten Polyneuropathie sind Diabetes
mellitus sowie Alkoholmissbrauch und deren Folgekrankheiten.
Auch Medikamente (z. B. Chemotherapeutika wie Cisplatin)
und toxische Substanzen wie z. B. Quecksilber, Benzol, Blei etc.
kænnen eine Polyneuropathie auslæsen. Dennoch kann bei bis
zu einem Drittel der Fålle die Øtiologie nicht eindeutig geklårt
werden, sodass dann von einer idiopathischen Polyneuropathie
gesprochen wird. Polyneuropathien sind unterschiedlich progre-
dient und entwickeln sich im Verlauf von Wochen, Monaten
oder Jahren. Charakteristisch fçr beginnende Schåden sensibler
Fasern sind sockenfærmige Hypåsthesien, aber auch bei kærper-
licher Ruhe auftretende Kribbelparåsthesien oder brennende
Schmerzen, beispielsweise der unteren Extremitåten, wie sie
z. B. bei Diabetes mellitus auftreten kænnen. Bei Beeintråchti-
gung motorischer Fasern kænnen in der Frçhphase Kråmpfe in
Waden- und Fuûmuskeln, bei schweren Verlåufen aber auch
schlaffe Paresen mit erloschenen Muskeleigenreflexen sowie
Muskelatrophie auftreten. Die Kompromittierung autonomer
Fasern kann ferner zu orthostatischen Regulationsstærungen
fçhren. Die beste Therapie der Polyneuropathie besteht meist
in der Behandlung einer mæglicherweise zugrunde liegenden
Erkrankung. Daher ist es fçr einen sinnvollen therapeutischen
Ansatz unerlåsslich, die Klårung der Øtiologie herbeizufçhren.
Tabelle 8.1. gibt einen kurzen Ûberblick çber die notwendige
Diagnostik wieder.
a Einfçhrung z 259

Tabelle 8.1. Allgemeine und weiterfçhrende Diagnostik zur Abklårung der Polyneuro-
pathien

z Allgemeine Untersuchungen ± Klinik, Anamnese, neurologische Unter-


zur Diagnosesicherung suchung (bekannte Grunderkrankun-
gen, Hypåsthesien, reduzierte
Muskeleigenreflexe)
± Neurophysiologie: Neurographie (Ner-
venleitgeschwindigkeit verlangsamt,
Amplituden reduziert), Elektromyo-
graphie (Denervierungszeichen und
neurogene Verånderungen)
bei v. a. autonome Beteiligung ± Herzfrequenzvariabilitåt, Schellong-Test
z Erworbene metabolische Polyneuropathien
± Diabetes ? HbA1, BTP, Glukosebelastungstest
± Alkoholinduzierte PNP ? Leberwerte, MCV, CDT
± Niereninsuffizienz, Uråmie ? Nierenwerte, Harnsåure, Anåmie
± Hypo-/Hyperthyreose ? TSH, Schilddrçsenhormone
± Hepatopathien ? Leberwerte, Hepatitisserologie
± Vitaminmangel bei Malab- ? Blutbild, MCV, MCH (ggf. Vitamine
sorption oder Intrinsic-Faktor- im Serum, teuer!), Schilling-Test
Mangel, funikulåre Myelose
± Gammopathien und Dysprotein- ? Immunelektrophorese, Immunfixierung
åmien bei multiplem Myelom, MAG (myelinassoziertes Glykoprotein)
Makroglobulinåmie
± Paraneoplastische Øtiologien ? Suche nach Primarius (insbesondere
Mamma- und Bronchialkarzinome)
± Amyloidose ? Leberwerte, Klinik, ggf. Rektum- und
Nervenbiopsien
± Porphyrie ? Klinik (Koliken, Krampfanfålle) plus all-
gemeine Porphyriediagnostik im Urin
(Nachweis erhæhter Aminolaevulin-
såure und Porphobilinogen
± Borreliose ? Klinik håufig mit starken Schmerzen
und Hirnnervenbeteiligung (N. VII)
Serologie, Liquordiagnostik
± Multifokale motorische ? GM1-Antikærper, Neurographie
Neuropathie (MMN)
260 z 8 Polyneuropathien (PNP)

Tabelle 8.1 (Fortsetzung)

z Polyneuropathien im Rahmen von Kollagenosen


und Autoimmunerkrankungen
± Panarteriitis nodosa ? Nerven- und Muskelbiopsie
± Rheumatoide Arthritis ? Nervenbiopsie, RF
± Lupus ? AK (ANA, als DDA)
± Sjægren-Syndrom ? ANA
? Anti-SS-A (ro), Anti-SS-B (la), RF
Kryoglobulinåmie ? Kryoglobuline i. Serum
z Erworbene entzçndliche ± Liquordiagnostik
Neuropathien (typische Proteinerhæhung
± Akute inflammatorische bei normaler Zellzahl)
demyelinisierende PNP (Neurophysiologie)
(AIDP = Guillian-Barr-Syndrom)/
chronisch-inflammatorische
demyelinisierende PNP (CIDP)
z Hereditåre Neuropathien ± Nervenbiopsie (N. suralis)
und Muskelbiopsie

Erworbene Polyneuropathien

8.1 Metabolisch und nutritiv bedingte Polyneuropathien

8.1.1 Polyneuropathie bei Diabetes mellitus [ICD10: G 63.2]

z Definition und Epidemiologie


Man versteht darunter eine Polyneuropathie, die im Rahmen
des Diabetes mellitus auftritt und auf keine andere Ursache
zurçckzufçhren ist. Die Pråvalenz der symptomatischen dia-
betischen Polyneuropathie betrågt 15±40% (Dyck et al. 1993).
Mit 66% ist die asymptomatische Polyneuropathie viel håufiger
(Dyck et al. 1993). Die Symptome der Polyneuropathie kænnen
vor Diagnosestellung des Diabetes mellitus klinisch apparent
werden. Im Laufe der Erkrankung leiden çber 50% der Diabeti-
ker unter den Symptomen einer Polyneuropathie.
a 8.1 Metabolisch und nutritiv bedingte Polyneuropathien z 261

z Klinik und Diagnostik

Von der diabetischen Polyneuropathie kænnen sowohl Typ-I- als


auch Typ-II-Diabetiker betroffen sein. Beeintråchtigt werden so-
wohl sensible, motorische, sensorische sowie autonome Fasern.
Dabei ist die vorwiegend sensible symmetrische distale Neuro-
pathie die håufigste Form. Sie beginnt schleichend und verlåuft
chronisch-progredient. Klinisch manifest wird die sensible sym-
metrische distale Polyneuropathie zunåchst in den distalen Ab-
schnitten der unteren Extremitåten. Seltener kænnen auch die
distalen Abschnitte der oberen Extremitåten betroffen sein. Dabei
stehen klinisch strumpf- bzw. handschuhfærmige Verteilung mit
Paråsthesien, Schmerzen, Hypåsthesien und Taubheitsgefçhlen
im Vordergrund. Motorische Beeintråchtigungen finden sich
nur in fortgeschrittenen Stadien. Diese Symptome entwickeln
sich von distal (Zehen und Fçûe) nach proximal. Die Schmerzen
an den Fçûen werden håufig als brennend (burning feet), boh-
rend, einschieûend, krampfartig oder stechend charakterisiert.
Charakteristischerweise kommt es zu nåchtlichen Exazerbatio-
nen der Beschwerden und zur Linderung beim Gehen. Klinisch-
neurologisch fallen i. Allg. folgende Symptome auf:
z abgeschwåchte oder erloschene Muskeleigenreflexe,
z Atrophie der kleinen Fuûmuskeln,
z Sensibilitåtsstærungen mit socken- oder handschuhfærmiger
Hypåsthesie ggf. mit Hyperpathie und Allodynie,
z reduziertes Vibrationsempfinden (Pallhypåsthesie),
z herabgesetztes Temperaturempfinden (Thermhypåsthesie),
z sensible Ataxie mit Gang- und Standunsicherheit (v. a. akzen-
tuiert im Dunkeln).

Elektrophysiologisch besteht typischerweise eine gemischte


(axonale und demyelinisierende) Polyneuropathie. Dabei ist je-
doch das gesamte Spektrum insgesamt sehr weit. Die sym-
metrische diabetische Polyneuropathie ist in aller Regel von
einer autonomen diabetischen Neuropathie begleitet. Håufig er-
fragbare Symptome sind hier erektile Dysfunktion, orthostati-
sche Dysregulation (insbesondere postprandiale Hypotension),
Blasenentleerungsstærung sowie Hyperhidrosis. Der bekannteste
elektrophysiologische Parameter ist eine reduzierte Herzfre-
262 z 8 Polyneuropathien (PNP)

quenzvariabilitåt. Diese autonome Neuropathie ist wichtig im


Hinblick auf eine stumme Myokardischåmie.
In seltenen Fållen kænnen Nervenschådigungen durch den
Diabetes mellitus auch als asymmetrische Neuropathie klinisch
apparent werden. Diese Mononeuropathien kænnen in jeder
Phase der Erkrankung auftreten. Folgende Symptome kænnen
dabei typisch sein:
z Ausfålle einzelner oder mehrer Hirnnerven (insbesondere N.
abducens, N. trochlearis, N. oculomotorius),
z Låsionen thorakoabdomineller Nervenwurzeln mit Bauch-
wandparese,
z schmerzhafte proximale motorische Neuropathie (Låsion ein-
zelner Extremitåtennerven, z. B. N. femoralis).

Diese Mononeuropathien besitzen jedoch eine gute Rçckbil-


dungstendenz.

z Pathophysiologie
Die genauen pathophysiologischen Zusammenhånge sind nach
wie vor nicht im Detail geklårt. Vor allem das rasche Auftreten
asymmetrischer Neuropathien ist derzeit noch unklar. Am
ehesten wird eine Mikroangiopathie der Vasa nervorum fçr das
Auftreten der diabetischen Polyneuropathie verantwortlich ge-
macht. Darçber hinaus werden Stærungen endogener Repara-
turmechanismen, etwa Effekte des Nervenwachstumsfaktors auf
seine Rezeptoren und die Wirkung freier Radikale diskutiert.

z Therapie
Die kausale Therapie basiert auf der Ausschaltung des åtiolo-
gisch zugrunde liegenden Faktors der Hyperglykåmie durch
mæglichst normale Blutzuckerwerte. Immanent wichtig kann
dabei die Reduktion des oft erhæhten Kærpergewichtes sein.
Eine Verbesserung der diabetogenen Stoffwechsellage kann
auch bei bereits ausgeprågten Symptomen zu einer deutlichen
Verbesserung der Symptomatik fçhren.
Weitere kausale Therapieoptionen ohne Diabeteseinstellun-
gen sind Ansåtze zur Aufhebung assoziierter metabolischer De-
a 8.1 Metabolisch und nutritiv bedingte Polyneuropathien z 263

fizite im peripheren Nervensystem. Die Datenlage dieser Sub-


stanzen (Liponsåure zur Reduktion freier Radikale, Aldolase,
Reduktaseinhibitoren zur Reduktion von angehåuften Polyolen
(Såurepitol) sowie dem nerve growth factor (NGF) zum Aus-
gleich eines Defizits der betroffenen sensiblen Nervenfasern) ist
ausgesprochen dçnn und nicht evidenzbasiert. So steht letzt-
endlich neben der kausalen Therapie in Form der Verbesserung
der diabetogenen Stoffwechsellage nur die symptomatische The-
rapie zur Verfçgung. In erster Linie zielt die symptomatische
Therapie auf die Schmerzreduktion ab, da Taubheitsgefçhle ei-
ner medikamentæsen Therapie kaum zugånglich sind. Zunåchst
sollte ein Therapieversuch mit retardiertem Amitriptylin bis
100 mg abends erfolgen. Bei Nichtansprechen, eher neuralgie-
formem Schmerzcharakter oder Auftreten von Medikamenten-
nebenwirkungen kann retardiertes Carbamazepin bis 1200 mg/
Tag versucht werden. Des Weiteren stehen retardiertes Trama-
dol bis zu 400 mg/Tag als Mono- oder als Kombinations-
therapie mit Gabapentin, welches seit Oktober 2000 auch in
Deutschland fçr diese Indikation (neben der postherpetischen
Neuralgie) zugelassen ist bis 3600 mg/Tag zur Verfçgung. Dane-
ben konnte das Antikonvulsivum Lamotrigin in einer Dosie-
rung bis zu 400 mg/Tag seine Wirksamkeit in kleinen Studien
zeigen (Eisenberg et al. 2001). Ferner scheint Pregabalin (Lyri-
ca) in einer Dosierung von 300±600 mg/Tag in der Therapie
der diabetischen Polyneuropathie ebenfalls wirkungsvoll zu
sein. (Lesser et al. 2004, Rosenstock et al. 2004). Tabelle 8.2
fasst die Mæglichkeiten der symptomatischen Therapie noch
einmal zusammen.

8.1.2 Polyneuropathien bei Alkoholismus [ICD10: G 62.1]

z Definition und Epidemiologie


Neben dem Diabetes mellitus gehært Alkoholmissbrauch zu den
håufigsten Ursachen einer Polyneuropathie in der westlichen
Welt. Von alkoholabhångigen Patienten haben ca. 16% Sympto-
me und 49% neurographische Zeichen einer Neuropathie (Vit-
tadini et al. 2001). Die alkoholabhångige Schådigung des peri-
264 z 8 Polyneuropathien (PNP)

pheren Nervensystems setzt einen jahrelangen Alkoholkonsum


voraus. Dabei spielt die Art des alkoholischen Getrånks keine
wesentliche Rolle. In vielen Fållen finden sich zusåtzliche Fak-
toren, wie Leberschådigung oder Malabsorption und Malnutri-
tion mit Vitaminmangel, die das Auftreten einer alkoholischen
Polyneuropathie begçnstigen.

z Klinik und Diagnostik


Kennzeichnend fçr die alkoholische PNP ist die distal- und
beinbetonte sensomotorische Beeintråchtigung mit vorwiegend
axonaler Schådigung der peripheren Nerven. Bei betroffenen
Patienten stehen auch hier Schmerzen, Paråsthesien und eine
muskulåre Schwåche im Vordergrund. Des Weiteren kænnen die
Patienten çber Wadenkråmpfe, Kåltegefçhl in den Beinen oder
aber auch Hitzegefçhl wie Brennen an den Fuûsohlen klagen.
Da darçber hinaus eine vermehrte Druckempfindlichkeit be-
steht, kænnen Engpasssyndrome wesentlich håufiger auftreten
(z. B. Karpaltunnelsyndrom). Typisch ist ferner die Beteiligung
vegetativer Fasern mit orthostatischer Dysregulation, Hyper-
hidrose, erektiler Dysfunktion und trophischer Ulzera der Haut.
Verglichen mit der diabetischen PNP zeigt die alkoholische Po-
lyneuropathie weniger Hirnnervenbeteiligung. Sollten Hirnner-
venausfålle klinisch in Erscheinung treten, sollte differenzial-
diagnostisch auch eine Wernicke-Enzephalopathie in Erwågung
gezogen werden.
Der Verlauf ist variabel. Die Bandbreite erstreckt sich vom
subklinischen Verlauf ± trotz fortgesetztem Alkoholmissbrauch,
der çber Jahre ein mehr oder weniger konstantes Bild zeigt ±
bis hin zu einer progredienten Verschlechterung. Bei Alkohol-
karenz besteht eine gute Rçckbildungstendenz.

z Pathophysiologie
Histopathologisch und elektroneurographisch fållt eine primåre
axonale Degeneration, selten dagegen eine segmentale Entmar-
kung auf. Das beim hepatischen Abbau aus dem Alkohol ent-
stehende Zwischenprodukt Acetaldehyd wird fçr die toxische
Schådigung der Neurone und Nervenfasern verantwortlich ge-
a 8.1 Metabolisch und nutritiv bedingte Polyneuropathien z 265

macht. Daneben scheinen jedoch mehrere Faktoren wie z. B.


primåre Fehlernåhrung und die mannigfaltigen Einflçsse des
Alkohols auf Digestion, Absorption oder Metabolismus (z. B.
Hemmungen der hepatischen Glukoneogenese, Hemmung von
Transportmechanismen fçr Thiamin, Aminosåuren, Glukose so-
wie Schleimhautverånderungen infolge des begleitenden Vita-
min- oder Eiweiûdefizits) fçr die Entstehung der alkoholischen
Polyneuropathie eine zentrale Rolle zu spielen.

z Therapie
An erster Stelle steht die strikte Alkoholkarenz. Des Weiteren
sollte auf eine ausreichende und ausgewogene Ernåhrung sowie
die Gabe von oralem Thiamin (Vitamin B1) oder Benfothiamin
(Benfogamma) erfolgen. Eine symptomatische Behandlung ist
aufgrund der guten Rçckbildungstendenz nicht erforderlich.

8.1.3 Polyneuropathie bei Lebererkrankungen und Uråmie


[ICD 10: G 63.8]

z Definition und Epidemiologie


z Lebererkrankungen. Die Pråvalenz von Polyneuropathien bei
Hepatitiden betrågt ca. 15±20%, bei Vorliegen einer Leberzir-
rhose 60±70% unabhångig vom Vorliegen einer alkoholtoxi-
schen Komponente. Daher sollte zur Abklårung einer Polyneu-
ropathie die Leber- und Hepatitisdiagnostik durchgefçhrt wer-
den.

z Uråmie. Bis zu 60% der Patienten mit chronischer Nierenin-


suffizienz zeigen elektrophysiologische Verånderungen einer
distalen, sensomotorischen Neuropathie.

z Klinik und Diagnostik


z Lebererkrankungen. Meist besteht eine symmetrische, çber-
wiegend demyelinisierende, sensible Polyneuropathie, die distal
betont ist. Motorische Ausfålle sind eher eine Seltenheit. Das
266 z 8 Polyneuropathien (PNP)

zusåtzliche Vorliegen einer autonomen Neuropathie ist mit ei-


ner schlechten Prognose verbunden.

z Uråmie. Klinisch im Vordergrund findet sich typischerweise


eine distal betonte, symmetrische, sensible Neuropathie mit
schmerzhaften Paråsthesien (z. T. als Restless-Legs-Symptoma-
tik), burning feet, Wadenkråmpfen und leichten Paresen. In ers-
ter Linie liegt dem eine primåre axonale Schådigung mit sekun-
dårer Demyelinisierung zugrunde. Neben der Beeintråchtigung
des peripheren Nervensystems kænnen zentral nervæse Stærun-
gen im Sinne einer uråmischen Enzephalopathie hinzutreten.

z Pathophysiologie
z Lebererkrankungen. Der hepatitisbedingten Polyneuropathie
(insbesondere Hepatitis-C-Infektion) liegt mæglicherweise eine
parainfektiæs bedingte Vaskulitits der Vasa nervorum zugrunde.
Im Rahmen dieser Erkrankung kommt es primår zu einer axo-
nalen Degeneration mit einer sekundåren Demyelinisierung.
Die Pathophysiologie der Begleitpolyneuropathien im Rahmen
anderer Hepatopathien ist derzeit weiterhin unklar.

z Uråmie. Die Pathogenese der uråmiebedingten Polyneuro-


pathie ist im Detail nicht geklårt. Die Ursache scheint multifak-
toriell zu sein. Es wird angenommen, dass die toxische Wir-
kung auf das periphere Nervensystem durch die Retention
harnpflichtiger Substanzen mit einer daraus resultierenden
Azotåmie (Azidose, Zunahme des Reststickstoffs und der Ent-
stehung einer katabolen Stoffwechsellage) die Entstehung einer
Polyneuropathie begçnstigt.

z Therapie
In beiden Fållen steht die Behandlung der Grunderkrankung im
Vordergrund. Sollte dies nicht mæglich sein, bleibt lediglich die
Mæglichkeit der meist unbefriedigenden symptomatischen The-
rapie wie bei der diabetischen Polyneuropathie. Bei dialysepflich-
tiger Niereninsuffizienz kann es nach einer Nierentransplantation
zu einer erheblichen Rçckbildung der Symptome kommen.
a 8.1 Metabolisch und nutritiv bedingte Polyneuropathien z 267

8.1.4 Polyneuropathien bei anderen Erkrankungen

Zahlreiche Erkrankungen kænnen ebenfalls mit einer Begleit-


polyneuropathie einhergehen und bedçrfen daher der Aufmerk-
samkeit in der diagnostischen Abklårung. Unter anderem kæn-
nen dies sein:
z Thyreopathien (Hypo-, Hyperthyreosen),
z Hypovitaminosen,
z Paraproteinåmien,
z Amyloidose, Borreliose, Porphyrie,
z paraneoplastische Erkrankungen,
z Kollagenosen und Vaskulitiden,

Tabelle 8.2. Symptomatische Therapie der diabetogenen Polyneuropathie

Substanz Dosis Nebenwirkungen

z a-Liponsåure i.v.: 600 mg/Tag fçr 3±5 Tage Selten: gastrointestinale Be-
Umstellung auf oral 2 ´ 300 mg/Tag schwerden, Hypoglykåmien
z Amitriptylin Amitriptylin i. v.: 25 mg langsam Herzrhythmusstærungen,
infundieren (abends) fçr 3 Tage, (daher vorher immer EKG),
z Doxepin, dann Umstellung auf oral, anticholinerge Effekte wie
Nortriptylin langsame Aufdosierung auf Mundtrockenheit, Akkomo-
und Desipra- ca. 50% der antidepressiven dationsstærungen etc.
min Dosierung
z Carbamazepin Langsame orale Aufdosierung Unvertråglichkeitsreaktionen
auf 300±1200 mg/Tag wie Exantheme, Schwindel,
Mçdigkeit
z Gabapentin Langsames Aufdosieren auf Mçdigkeit zu Beginn
1200±2400 mg/Tag, der Therapie, sonst gut ver-
max. 3600 mg/Tag tråglich und kombinierbar
z Lamotrigin Sehr langsame Aufdosierung Unvertråglichkeitsreaktionen
in 25-mg-Schritten alle 14 Tage wie Exantheme
auf 100±200 mg/Tag
z Tramadol ret. 200±400 mg/Tag
(Tramel long)
z Pregabalin 300±600 mg/Tag Schwindel, Mçdigkeit,
(Lyrica¾) Benommenheit (am
håufigsten)
268 z 8 Polyneuropathien (PNP)

z schwere Erkrankungen unter Intensivbedingungen (Critical-


Illness-Neuropathie).

Die zur Abklårung notwendigen Untersuchungen sind in Tabel-


le 8.1 aufgelistet. Die kausale Therapie ist die Behandlung der
zugrunde liegenden Erkrankung. Die notwendige symptomati-
sche Therapie erfolgt wie bei der diabetischen Polyneuropathie
(Tabelle 8.2).

8.1.5 Pharmakogeninduzierte Polyneuropathien


[ICD 10: G62.0]

z Definition und Epidemiologie


Zahlreiche Medikamente verursachen durch neurotoxische Ef-
fekte Schådigungen des peripheren Nervensystems. Die Anzahl
von potenziellen Pråparaten ist sehr groû und im Rahmen die-
ses Kapitels nicht umfassend darzustellen. Bei den meisten Me-
dikamenten ist das Polyneuropathierisiko jedoch gering (The
collaborative group for the study of polyneuropathy 1994). Eine
Ausnahme bilden die Chemotherapeutika aus der Gruppe der
Vincaalkaloide, Paclitaxel und Cisplatin. Die Entstehung von
Polyneuropathien unter Zytostatikagabe, insbesondere unter
Cisplatin, wird leider bei bis zu 50% der behandelten Patienten
beobachtet. Weitere Substanzen, die Polyneuropathie auslæsen
kænnen sind antiretrovirale Substanzen bei HIV-Therapie und
Alphainterferon sowie Isoniazid. Daher sollte die Isoniazid-
therapie obligat mit der Gabe von Pyridoxin (Vitamin B6) mit
50 mg/Tag einhergehen.

z Klinik und Diagnostik


In aller Regel imponieren zunåchst distale, symmetrische, sen-
sible Stærungen. Rasch kænnen leichte Paresen distal hinzutre-
ten. Elektroneurographisch findet sich anfånglich eine deutliche
floride Denervierung; im Verlauf entwickelt sich dann meist die
çbliche axonale sensibel betonte Neuropathie.
a 8.2 Entzçndliche Poly(radikulo)neuropathien z 269

Die Polyneuropathie auf dem Boden einer Intoxikation mit


Blei verursacht typischerweise eine Beeintråchtigung der N. ra-
dialis mit einer Låhmung der Extensoren der Hand (Fallhand).

z Pathophysiologie
Fçr viele Medikamente ist der Mechanismus der Schådigung
nicht genau geklårt. Die Pathogenese der medikamentæsen und
toxischen Polyneuropathie scheint ebenfalls multifaktoriell zu
sein. Wesentliche Mechanismen sind die Stærung der Protein-
synthese, eine Behinderung des axonalen Transports durch Be-
eintråchtigung der Intermediårfilamente, eine Beeintråchtigung
der Erregungsleitung, eine Blockierung der synaptischen Sig-
nalçbertragung sowie eine Schådigung der Myelinscheide.

z Therapieempfehlung
Zunåchst sollte das entsprechende Medikament abgesetzt oder
aber die zur Auslæsung der Polyneuropathie fçhrende Noxe eli-
miniert werden. Ist im Falle einer antineoplastischen Therapie
bei einem Malignom eine Fortfçhrung der Chemotherapie er-
forderlich, sollte hinsichtlich der Wirkung und Nebenwirkung
eine Gçterabwågung erfolgen.

8.2 Entzçndliche Poly(radikulo)neuropathien

8.2.1 Akute inflammatorische demyelinisierende


Polyneuropathie (AIDP)
(Synonym: Guillain-Barr-Syndrom: GBS) [ICD10: G 61.0]

z Definition und Epidemiologie


Die AIDP ist eine erworbene, immunvermittelte Neuropathie.
Sie betrifft neben den Spinalwurzeln auch periphere Nerven-
abschnitte. Sie kann sowohl demyelinisierend als auch axonal
verlaufen. Die AIDP ist hierzulande die håufigste Ursache
(> 50%) fçr akute generalisierte Låhmungen. Die Inzidenz be-
270 z 8 Polyneuropathien (PNP)

trågt 1±2 pro 100 000 Einwohner in der ganzen Welt ohne
sichere geographische Schwerpunkte oder saisonale Håufung.
Insgesamt sind Månner etwas håufiger betroffen (1,25 : 1). Die
Altersverteilung ist bimodal mit einer Håufung in der 2. und 3.
sowie der 5. und 6. Lebensdekade. In bis zu 70% der Fålle geht
der Erkrankung eine harmlose Infektion voraus. In etwa 40%
dieser Fålle liegt ein oberer Atemsweginfekt, in etwa 20% der
Fålle der Erkrankung ein gastrointestinaler Infekt vor. Wird ein
Erreger identifiziert, so handelt es sich håufig um Campylo-
bacter jejuni, aber auch das Zytomegalie-, Epstein-Barr- oder
Varicella-Zoster-Virus. In sehr seltenen Fållen gibt es einen Zu-
sammenhang mit einer vorangegangenen Impfung, insbesonde-
re Influenza und Tollwut. Die Mortalitåt liegt bei etwa 5% der
Patienten. Bei beatmungspflichtigen Patienten liegt sie deutlich
hæher. In rund 50±60% der Fålle kænnen die betroffenen Pa-
tienten nach der akuten Krankheitsphase ohne kærperliche Ver-
ånderung wieder in ihren Beruf zurçckkehren.

z Klinik und Diagnostik


Anamnestisch lassen sich håufig vor Beginn der Erkrankung
abgelaufene obere Atemwegsinfekte oder gastrointestinale Infek-
te erfragen. Klassischerweise zeigen sich im Vollbild der AIDP
distal beginnende, symmetrisch ausgeprågte schlaffe Paresen
mit Reduktion, dann Ausfall der Muskeleigenreflexe, die ihr
Maximum nach Ablauf von etwa 3±4 Wochen erreichen kæn-
nen. Initial lassen sich håufig nåchtlich betonte Spontanschmer-
zen im Rçcken und/oder den Extremitåten eruieren. Vereinzelt
kænnen als Initialsymptome auch sensible Missempfindungen
und ein Taubheitsgefçhl der Akren im Vordergrund stehen. Die
Stærungen der Tiefensensibilitåt kænnen eine deutliche Stand-
und Gangataxie zur Folge haben. Eine Beteiligung der Hirnner-
ven tritt am håufigsten in Form einer ein- oder beidseitigen
fazialen Schwåche auf. Eine externe Ophthalmoplegie wird bei
etwa 15% aller Patienten beobachtet. Bis zu 20% der Patienten
entwickeln in Folge der Beteiligung des Zwerchfells und der re-
spiratorischen Hilfsmuskulatur eine respiratorische Insuffizienz,
sodass eine maschinelle Beatmung erforderlich ist. Daher sollte
zu Beginn der Erkrankung eine engmaschige Ûberwachung der
a 8.2 Entzçndliche Poly(radikulo)neuropathien z 271

Atemexkursion erfolgen. Durch Beeintråchtigung autonomer


Fasern kænnen lebensbedrohliche Funktionsstærungen, dabei
v. a. brady- und tachykarde Herzrhythmusstærungen, auftreten.
Diese sind nach wie vor fçr die meisten Todesfålle bei AIDP
verantwortlich. Daher ist eine kontinuierliche Monitorçber-
wachung notwendig, um rechtzeitig die Indikation fçr die Anla-
ge eines passageren Schrittmachers stellen zu kænnen.
Diagnostisch zeigt sich im Liquor ab etwa der 2. Krankheits-
woche eine zytoalbuminåre Dissoziation mit isolierter Erhæ-
hung des Liquoreiweiûes und einer normalen Zellzahl. Eine
leichte Zellvermehrung ist jedoch mit der Diagnose grundsåtz-
lich vereinbar. Elektrophysiologisch finden sich Zeichen der De-
myelinisierung, Verzægerung der F-Wellen-Latenzen bzw. -Ver-
lust. Die distal motorische Latenz ist håufig verlångert. Eine
ausgeprågte floride Denervierung im EMG deutet auf einen
axonalen Schaden hin und hat eine schlechtere Prognose fçr
den Zeitverlauf und das Ausmaû der Besserung.
Segmentale Blockbilder kænnen bei etwa 80% der Patienten
ebenfalls vorkommen. Histopathologisch findet sich ein Infiltrat
mit T-Lymphozyten und Makrophagen in den betroffenen Ner-
ven, Plexus und Nervenwurzeln sowie eine segmentale Myelin-
destruktion mit Immunglobulin- und Komplementablagerungen
an der Myelinscheide. Serologisch kænnen IgM-Antikærper ge-
gen Gangliosidsubgruppen (GM1±3) aufgrund der Antigenver-
wandtschaft des Lipopolysaccharids von Campylobacter jejuni
und dem GM1-Epitop gefunden werden.

Diagnostische Kriterien sind:


z progrediente symmetrische Muskelschwåche (von leichter Pa-
rese bis Tetraplegie) mit einem Maximum innerhalb von 4
Wochen,
z Fazialisparese beidseits in bis zu 50% der Fålle,
z autonome Funktionsstærungen,
z typische zytoalbuminåre Dissoziation im Liquor,
z elektroneurographische und -myographische Verånderungen.
272 z 8 Polyneuropathien (PNP)

z Pathophysiologie
Die Pathophysiologie der AIDP ist bis jetzt im Detail nicht ge-
klårt. Am ehesten sind an der Pathogenese humorale und zellu-
låre Immunreaktionen beteiligt, denen eine Antikærperreaktion
gegen Strukturproteine des peripheren Myelins folgt. Histopa-
thologisch finden sich Infiltrate des perineuralen Gewebes
durch T-Lymphozyten und Makrophagen. Im Serum sind ge-
håuft IgM-Antikærper gegen Myelin oder bestimmte Ganglio-
sidsubgruppen (GM1±3) nachweisbar. Der Nachweis dieser
myelinspezifischen Antikærper in Assoziation mit den zuvor
durchgemachten Infektionen fçhrte zur Hypothese eines mole-
kularen Mimikry von Erreger- und Wirtsstrukturen, gestçtzt
z. B. durch die Antigenverwandtschaft des Lipopolysaccharids
von Campylobacter jejuni und des GM1-Epitops.

z Therapie
Die Therapie sollte mæglichst einer neurologischen Abteilung
vorbehalten sein, die mit der Behandlung der AIDP gut vertraut
ist. Die Prognose hat sich durch Fortschritte in der intensivme-
dizinischen Betreuung deutlich gebessert. Wichtig ist die Ver-
meidung der oft schwerwiegenden Komplikationen durch inter-
kurrente Erkrankungen in der akuten Phase, wie z. B. der
Thromboembolie und Herzrhythmusstærungen.
Therapeutische und supportive Maûnahmen sind:
z die Gabe von Immunglobulinen (0,4 g/kg KG fçr mindestens
5 Tage),
z bei Versagen des iVIG Plasmapherese (bis zu 6 Sitzungen),
z regelmåûige Kontrolle der håmodynamischen und respirato-
rischen Parameter,
z Thromboseprophylaxe.

Die Therapieoption der Immunadsorption, in der zirkulierende


IgG-Antikærper gebunden werden, ist nicht evidenzbasiert. Fer-
ner scheint die Gabe von Glukokortikoiden nach der aktuellen
Datenlage nicht wirkungsvoll zu sein. Begleitend sollten physi-
kalische Maûnahmen erfolgen.
a 8.2 Entzçndliche Poly(radikulo)neuropathien z 273

8.2.2 Miller-Fisher-Syndrom [ICD 10: G 52.7]

z Definition und Epidemiologie


Als seltene Variante der AIDP wurde das Miller-Fisher-Syndrom
erstmals 1956 beschrieben. Ein flieûender Ûbergang in eine
AIDP kann vorliegen.

z Klinik und Diagnostik


Das Symptom-Trias, bestehend aus Ophthalmoplegie (inklusive
Pupillen), Ataxie und Areflexie, ist beim Miller-Fisher-Syndrom
charakteristisch. Signifikante Paresen liegen nicht vor. Es be-
steht jedoch eine generalisierte Areflexie. Auch beim Miller-
Fisher-Syndrom finden sich vorangegangene Infekte. Håufig las-
sen sich Gangliosidantikærper GQ1b finden. Das Gesamteiweiû
im Liquor kann erhæht sein. Neurographisch findet sich eine
axonale Schådigung vorwiegend sensibler Fasern.

z Pathophysiologie
Die Ataxie wird im Allgemeinen als Stærung der Muskelspindel-
affarenzen angesehen. Demyelinisierungen im ZNS lassen sich
nicht nachweisen.

z Therapie
Die Therapie erfolgt wie bei der AIDP durch die Gabe von Im-
munglobulinen.

8.2.3 Chronisch-inflammatorische demyelinisierende


Polyneuropathie (CIDP) [ICD 10: G 61.8]

z Definition und Epidemiologie


Die CIDP ist eine symmetrische, sensomotorische demyelinisie-
rende Neuropathie mit einer Symptomentwicklung çber min-
destens 8 Wochen. Sie betrifft Månner håufiger als Frauen
(2 : 1). Am håufigsten betroffen ist die Altersgruppe zwischen
274 z 8 Polyneuropathien (PNP)

dem 40. und dem 60. Lebensjahr. Die Inzidenz betrågt 1±2 pro
100 000 Einwohner. Klinisch ist die CIDP vom AIDP im Wesent-
lichen nur çber die Dauer der Progredienz zu unterscheiden.

z Klinik und Diagnostik


Verglichen mit der AIDP ist die CIDP håufig unilateral. In ei-
nem Groûteil der Fålle stellen sich innerhalb von mehreren Mo-
naten oder Jahren zunehmend symmetrische, motorische und
sensible Funktionsausfålle ein, wobei i. Allg. die motorische Be-
eintråchtigung im Vordergrund steht. Zumeist ist die motori-
sche Beeintråchtigung distal und beinbetont. Eine Hypo- bis
Areflexie ist obligat. Eine Hirnnervenbeteiligung oder autonome
Beteiligungen sind seltener als bei der AIDP. Ferner lassen sich
auch weniger håufig vorangegangene Infekte erfragen. Bei bis
zu 30% der Patienten stehen Schmerzen im Vordergrund.
Diagnostisch kann der Liquorbefund mit erhæhtem Eiweiû
wegweisend sein. Elektroneurographisch kænnen Zeichen der
segmentalen oder langstreckigen Demyelinisierung in verschie-
denen Nervenabschnitten, eine Verringerung der sensiblen Ner-
venleitgeschwindigkeit oder fehlende H-Reflexe die Diagnose
stçtzen. Die F-Wellen-Latenzen kænnen verzægert oder ausgefal-
len sein. Bioptisch sind entzçndliche Infiltrate selten. In rund
50% der Fålle sind Zeichen der chronischen De- und Remyeli-
nisierung nachweisbar.

Diagnostische Kriterien sind:


z Progression der Muskelschwåche çber Monate,
z Hypo- bis Areflexie,
z Sensibilitåtsstærungen,
z erhæhtes Eiweiû im Liquor ohne Pleozytose,
z elelektroneurographische Verånderungen mit einer verzæger-
ten Nervenleitgeschwindigkeit, mit Leitungsblæcken,
z distale Latenzverzægerung,
z fehlende oder verzægerte F-Wellen-Latenzen,
z Zeichen der De- und Remyelinisierung in der Nervenbiopsie.
a 8.2 Entzçndliche Poly(radikulo)neuropathien z 275

z Pathophysiologie
Anscheinend liegt der CIDP eine T-Zell-vermittelte Autoimmun-
reaktion zugrunde. Dabei scheinen aktivierte T-Lymphozyten ei-
ne Eræffnung der Blut- Nerven-Schranke zu verursachen, die das
Eindringen von Makrophagen mit einer konsekutiven Schådigung
der Myeline nach sich ziehen. Die Zytokine Interferon-c, TNF-a
und Interleukin-2 kænnen lokal erhæht sein. Bei bis zu 15% der
Erkrankten zirkulieren Antikærper gegen Ganglioside (z. B. GM1).

z Therapie
Anders als bei der AIDP stehen bei der CIDP aufgrund der ver-
muteten Pathophysiologie in erster Linie immunsuppressive The-
rapiestrategien im Vordergrund. Bei leichtem Krankheitsverlauf
kann eine Kortikosteroidtherapie in einer Dosierung von 1±1,5
mg/kg KG begonnen werden. Die Dauer betrågt bis zu 4 Wochen
mit einer Reduktion der Dosis von maximal 5 mg/14 Tage parallel
zur klinischen Besserung. In schweren Fållen kommen intravenæ-
se Applikationen von Immunglobulinen von 0,4 g/kg KG fçr 5 Ta-
ge zum Einsatz. Bei Nichtansprechen kann eine Plasmapherese
durchgefçhrt werden. Bei Erfordernis einer långerfristigen im-
munsuppressiven Therapie kann Azathioprin (2,5±3 mg/kg KG)
eingesetzt werden. Bei schweren Fållen kann Cyclophosphamid
in Form einer monatlichen Pulstherapie mit 1 g/m2 KOF (ggf.
1,25 g/m2 KOF, 1±10 Zyklen). Weitere Therapieoptionen mit un-
zureichend belegter Wirksamkeit sind Cyclosporin-A (1,5±5 mg/
kg KG), Interferon a-2a (3 000 000 I. E 3-mal pro Woche s.c.).

8.2.4 Multifokale motorische Neuropathie (MMN)


[ICD 10: G 61.8]

z Definition und Epidemiologie


Die Erstbeschreibung erfolgte 1985. Die multifokale motorische
Neuropathie ist mæglicherweise eine Sondervariante der AIDP.
Genaue epidemiologische Daten liegen nicht vor. In çberwie-
gender Anzahl (80%) sind Månner betroffen. Das Haupterkran-
kungsalter (ebenfalls 80%) liegt zwischen 20 und 50 Jahren.
276 z 8 Polyneuropathien (PNP)

z Klinik und Diagnostik


Die MMN ist eine Erkrankung mit schubweisem oder håufiger
langsam chronisch-progredientem Verlauf. Dabei pråsentiert
sich die MMN klinisch rein motorisch, unilateral mit muskulå-
rer Schwåche, Faszikulationen, Muskelkråmpfen und Reflexaus-
fållen. In 90% der Fålle ist die muskulåre Schwåche distal und
armbetont. Das Verteilungsmuster folgt dem Versorgungsgebiet
einzelner Nerven und ist nicht myotomal zuzuordnen. Charak-
teristisch ist zwar das Fehlen sensibler Defizite in der klini-
schen und elektrophysiologischen Testung, jedoch schlieût das
Vorliegen von Paråsthesien oder Verånderungen in den sensibel
evozierten Potenzialen die Diagnose nicht aus.
Elektrophysiologisch kænnen Leitungsblockierungen oder
Potenzialdispersionen an einzelnen Stellen im gesamten Verlauf
der peripheren motorischen Nerven nachgewiesen werden.
Elektromyographisch lassen sich in paretischen Muskeln Zei-
chen florider Denervierung bzw. Regenerationszeichen nachwei-
sen. Faszikulationen und Myokymien kommen ebenfalls vor.
Laborchemisch kann der Nachweis von IgM-Antikærper gegen
GM1 hilfreich sein. Anders als bei der AIDP und der CIDP fin-
det sich in den meisten Fållen ein unauffålliger Liquor.
Die håufigste Differenzialdiagnose ist eine beginnende Moto-
neuronerkrankung. Im Gegensatz zu MMN zeigt eine Motoneu-
ronerkrankung Zeichen einer Schådigung des 1. Motoneurons,
wåhrend Leitungsblæcke fehlen.

z Pathophysiologie
Auch bei der multifokalen motorischen Neuropathie ist die Pa-
thophysiologie nicht im Detail geklårt. Anscheinend liegt der
Erkrankung ebenfalls ein autoimmunologischer Prozess gegen-
çber Strukturproteinen des peripheren Nervensystems zugrun-
de. Den Leitungsblæcken soll eine Blockade der Natriumkanåle
an den Ranvier-Schnçrringen zugrunde liegen.
a 8.3 Hereditåre motorische und sensible Polyneuropathie z 277

z Therapie
Therapie der ersten Wahl bei der multifokalen motorischen
Neuropathie ist die intravenæse Applikation von Immunglobu-
linen mit 0,4±0,5 g/kg KG an 5 aufeinander folgenden Tagen.
Håufig kommt es nach Ablauf von Monaten oder 1±2 Jahren
zu einer behandlungsbedçrftigen Verschlechterung, sodass er-
neute Applikationen von Immunglobulinen erforderlich werden.
Alternativ kann intravenæs hoch dosiertes Cyclophosphamid
(0,6 g/m2 KOF pro Tag an 5 Tagen) gegeben werden. Danach
schlieût sich meist eine niedrig dosierte orale Erhaltungsthera-
pie von 100±150 mg/Tag an. Glukokortikoidtherapie und Plas-
mapherese sind gemåû den bisherigen Studienlagen wirkungs-
los.

Hereditåre Polyneuropathien

8.3 Hereditåre motorische und sensible Polyneuropathie


(HMSN) und hereditåre sensible
und autonome Neuropathie (HSAN)
[ICD 10: G 60.0 und G 60.8]

z Definition und Epidemiologie


Hereditåre Neuropathien sind im Vergleich zu den erworbenen
Polyneuropathien sehr viel seltener. Der Fortschritt in der mo-
lekulargenetischen Diagnostik ist bei hereditåren Neuropathien
sehr rasch, ohne dass sich daraus therapeutische Konsequenzen
ergeben. Beschrieben werden in der Literatur bis zu 7 verschie-
den Typen der HMSN. Dabei wird die Nomenklatur HMSN und
Charcot-Marie-Tooth(CMT-)Erkrankung synonym gebraucht. In
der Molekulargenetik hat sich CMT-Nomenklatur durchgesetzt.
Daraus resultiert, dass die Einteilung in die Untergruppen 1±3
fçr beide Nomenklaturen identisch ist. Die HMSN IV (Morbus
Refsum) wird von manchen Autoren auch den PNP bei Stoff-
wechselstærungen sowie den Ataxien zugeordnet.
278 z 8 Polyneuropathien (PNP)

z Klinik und Diagnostik


z HMSN I (Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung, CMT 1). Die CMT
1 ist die håufigste hereditåre Neuropathie. Die Angaben fçr die
Pråvalenz liegen zwischen 1 pro 2500 bis 1 pro 15 000. Dieses
Syndrom wird autosomal-dominant vererbt. Etwa 70% der
CMT-1-Patienten haben eine Verdopplung des Chromosomen-
abschnitts 17p11.2 (CMT 1 A), welches fçr das periphere Mye-
linprotein 22kT (PMP22) kodiert. Klinisch im Vordergrund ste-
hen atrophische Paresen der Unterschenkelmuskulatur, bevor-
zugt der Fuûheber. Fuûdeformitåt (Hohlfuû) und besonders
dçnne Unterschenkel (¹Storchenbeineª) sind håufig. Erste Aus-
fallserscheinungen setzen zwischen dem 6. und 13. Lebensjahr
ein. Der chronische Verlauf kann sich çber Jahrzehnte hinweg-
erstrecken und ist relativ gutartig. Die meisten Patienten blei-
ben weiterhin gehfåhig. Håufig treten dabei gleichzeitig sym-
metrische periphere Låhmungen mit faszikulåren Zuckungen,
sensiblen Reizerscheinungen mit nåchtlichen Schmerzen und
schmerzhaften Muskelkråmpfen, sensible Ausfallssymptome mit
strumpffærmig oder handschuhfærmig begrenzten Hypåsthesien
und Hypalgesien sowie ¹Stepper- und Bçgeleisengangª auf. Die
Muskeleigenreflexe kænnen reduziert oder auch erloschen sein.
Zum Teil kænnen tastbare Nervenverdickungen auffallen. Die
Elektroneurographie zeigt in den allermeisten Fållen eine de-
myelinisierende Neuropathie mit Nervenleitgeschwindigkeiten
unter 30 m/s. Elektromyographisch lassen sich Zeichen eines
chronisch-neurogenen Umbaus nachweisen.

z HMSN II (CMT 2). Diese Form der Neuropathie ist seltener als
der Typ I. Im Unterschied zur CMT 1 lassen sich tastbare Ner-
venverdickungen nicht nachweisen. Das Erkrankungsalter ist
spåter (2.±4. Lebensdekade) als bei Typ I. Ferner ist die kli-
nische Symptomatik in ihrem Ausprågungsgrad milder als bei
Typ I. Fuûdeformitåten sind viel seltener als bei CMT 1. Elekt-
roneurographisch ist die Nervenleitgeschwindigkeit nicht so
stark erniedrigt. Im Vordergrund steht hier eher eine axonale
Degeneration mit sekundårer Entmarkung.
a 8.3 Hereditåre motorische und sensible Polyneuropathie z 279

z HMSN III (CMT 3, frçher Djerine-Sottas). Die CMT 3 ist gene-


tisch mit der CMT 1 identisch. Der klinische Verlauf ist jedoch
viel schwerer. Das Ersterkrankungsalter liegt in der 1. Lebens-
dekade. Håufig sind die betroffenen Individuen bereits von Ge-
burt an beeintråchtigt. Daher ist die motorische Entwicklung
oftmals verzægert. In einigen Fållen kann entweder die bereits
erlernte Gehfåhigkeit im Kindesalter verloren gehen, oder aber
sie wird niemals erreicht. Die Paresen sind distal und an den
Beinen betont. Darçber hinaus imponiert ein generalisierter
Verlust der Muskeleigenreflexe. Ferner sind ausgeprågte Sensibi-
litåtsstærungen an den Extremitåten typisch. Typisch ist auch
die Hypertrophie der Nervenfasern (z. B. am Sulcus ulnaris und
am Fibulakæpfchen). Schmerzen kænnen oftmals hinzutreten.
Anders als bei CMT 1 und 2 ist das Gesamteiweiû im Liquor
meistens erhæht. Der Verlauf ist rascher progredient mit einer
verkçrzten Lebenserwartung. Die Elektroneurographie ist deut-
licher reduziert als bei CMT 1 und 2 und oft nicht messbar.

z HMSN IV (Morbus Refsum) [ICD 10: G 60.1]. Diese hereditåre Neu-


ropathie ist extrem selten und basiert auf einer autosomal-re-
zessiv vererbten Stærung des Fettsåurestoffwechsels. Die Ursa-
che liegt in der Anreicherung von Phytansåure im Serum und
Gewebe aufgrund des blockierten Abbaus. Die klinische Symp-
tom-Trias besteht in Retinitis pigmentosa, zerebellårer Ataxie
sowie Polyneuropathie, die sich chronisch, distal symmetrisch
manifestiert. Die Neuropathie ist demyelinisierend und beginnt
meist im 1.±3. Lebensjahrzehnt. Interkurrent kænnen zusåtzlich
Schwerhærigkeit oder eine Kardiomyopathie vorliegen. Der Ver-
lauf ist langsam-progredient mit deutlichen Exazerbationen und
Teilremissionen, sodass es zu einer Verwechselung mit der En-
zephalomyelitis disseminata kommen kann.

z HSAN. Nach Dyck werden 4 Typen der HSAN unterschieden.


Zugrunde liegt eine axonale Schådigung mit parallelem Vorlie-
gen der sensiblen Ausfålle mit deutlichen autonomen bzw. tro-
phischen Stærungen. Dabei ist der Typ I autosomal-dominant
vererbt und viel håufiger als die anderen Formen. Charakteris-
tisch sind dabei die Neigungen zu Ulzera an den Fçûen und
die verminderte Schmerzempfindlichkeit akrodistal.
280 z 8 Polyneuropathien (PNP)

z Pathophysiologie
Die Folgen der genetischen Defekte bei den HMSN sind noch
nicht in allen Fållen geklårt. Anscheinend kommt es dabei zu
Stoffwechseldefekten mit einer Entwicklung der Polyneuro-
pathie im Verlauf. Bei HMSN IV fçhrt der verånderte Abbau
von Phytansåure zur Akkumulation der Phytansåure im Gewe-
be und im Serum.

z Therapie
Eine Therapie der hereditåren Neuropathien ± bis auf die Un-
terform Typ IV ± ist bisher nicht mæglich. Supportive Maûnah-
men sind:
z Vermeidung einer zusåtzlichen Schådigung der peripheren
Nerven,
z krankengymnastische und physiotherapeutische Maûnahmen
zur Erhaltung der Motorik und der Vorbeugung sekundårer
Schåden.

Eine Versorgung mit Hilfsmitteln sollte frçhzeitig erfolgen.


Wichtig erscheint auch eine ausfçhrliche genetische Beratung.

8.4 Allgemeines zur symptomatischen Therapie


bei Polyneuropathien

Zu Beginn einer symptomatischen Therapie bei Polyneuro-


pathie steht die Beratung und Information der betroffenen Pa-
tienten. Der Hinweis des Nichterreichens einer vælligen Symp-
tomfreiheit durch die therapeutischen Maûnahmen ist wichtig.
Bei erworbenen metabolischen Neuropathien (Diabetes mellitus
und Alkohol-Abusus) sollten betroffene Patienten zur aktiven
Therapiegestaltung in Form einer guten Blutzuckereinstellung
und Alkoholkarrenz angeregt werden.
Die zur Verfçgung stehenden Pråparate der symptomati-
schen Therapie sind im Folgenden:
a 8.4 Allgemeines zur symptomatischen Therapie bei Polyneuropathien z 281

z trizyklische Antidepressiva mit einer langsamen, einschlei-


chenden Dosierung. Der wirksame therapeutische Bereich
betrågt etwa 50% der antidepressiv wirksamen Dosis. Selek-
tiven Serotoninwiederaufnahmehemmer sind schmerzthera-
peutisch wenig wirksam.
z Antikonvulsiva: brennende und neuralgieform einschieûende
Schmerzen sprechen in der Regel gut auf Antikonvulsiva an.
Am besten untersucht ist die Gabe von retardiertem Carbama-
zepin in einer Dosierung von 300±1200 mg/Tag. Die Eindosie-
rung sollte ebenfalls langsam erfolgen, um die typischen Ne-
benwirkungen (Mçdigkeit und Schwindel) so gering wie
mæglich zu halten. Die Therapie richtet sich nach der Klinik
und nicht nach dem erreichten Serumspiegel des Pråparats.
Dabei spielt die erreichte Schmerzlinderung und die Vertråg-
lichkeit des Pråparats die ausschlaggebende Rolle. In aller
Regel wird Oxcarbazepin besser vertragen als Carbamazepin,
fçhrt jedoch håufiger zu Hyponatriåmien und ist deutlich teu-
rer als die Therapie mit Carbamazepin. Gabapentin ist mittler-
weile ebenfalls gut untersucht. Die Anfangsdosis betrågt
300 mg mit einer tåglichen Dosissteigerung um 300 mg bis
zu einer Gesamttagesdosis von 1800 mg/Tag. Die Enddosis
liegt je nach Verlauf bei 2,4±3,6 g/Tag. Auch andere Antikon-
vulsiva wie Lamotrigin kænnen eingesetzt werden. Valpro-
insåure und Pregabalin sind bisher nicht gut untersucht.
z Opioide: Retardierte Opioide (retardiertes Tramadol) kænnen
bei schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie indiziert
sein. Daher steht Tramadol in retardierter Form bei Schei-
tern der o. g. Maûnahmen zur Verfçgung.

Literatur
Dyck PJ, Kretz TM, Karnes JL, Litchy WJ, Klein R, Pach JM et al (1993)
The prevalance by stage severity of various types of diabetic neuropa-
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Eisenberg E, Lurie Y, Braker C, Daoud D, Ishay A (2001) Lamotrigin
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282 z 8 Polyneuropathien (PNP)

Lesser H, Sharma U, LaMoreaux L, Poole RM (2004) Pregabalin relieves


symptoms of painful diabetic neuropathy: a randomized controlled
trial. Neurology (14)63:2104±2110
Rosenstock J, Tuchmann M, LaMoreaux L, Sharma U (2004) Pregabalin
for the treatment of painful diabetic peripheral neuropathy: a double-
blind, placebo-controlled trial. Pain 110:628±638
Vittadini G, Boonocore M, Colli G, Terzi M, Fonte R, Biscaldi G (2001)
Alcoholic Polyneuropathy: A clinical and epidemiological study. Alco-
hol Alcohol 36:393±400
9 Infektionen des Nervensystems
Volker Limmroth
284 z 9 Infektionen des Nervensystems

Meningitiden und Enzephalitiden

9.1 Meningitiden

9.1.1 Definition und Epidemiologie

Meningitiden sind Entzçndungen der Hirnhåute und kænnen


durch Erreger aller Gruppen verursacht werden. Die Inzidenz
der bakteriellen Meningitiden wird auf ca. 6±10 pro 100 000
Einwohner und Jahr in westlichen Låndern geschåtzt, liegt in
Entwicklungslåndern jedoch wesentlich hæher (bis 100 pro
100 000). Insbesondere die Meningitiden bei Kleinkindern sind
nach Einfçhrung des Impfstoffes gegen Haemophilus influenzae
deutlich zurçckgegangen.

9.1.2 Klinik und Diagnostik

Der klinische Verlauf ist im Wesentlichen von der Art des Erre-
gers abhångig. Typische Symptome sind Kopfschmerzen, Licht-
scheu, Nackensteife (Meningismus), Schlåfrigkeit, Erbrechen
und Fieber. Neben dem klinischen Bild ist die Untersuchung
des Liquors fçr die Diagnose entscheidend. Es findet sich eine
massive Erhæhung der Zellzahl (Pleozytose), Proteinkonzentra-
tion sowie ± je nach Erreger ± der einzelnen Immunglobulin-
fraktionen, eine Erniedrigung der Glukosekonzentration und/
oder Erhæhung der Laktatkonzentration. Ferner kann versucht
werden, die Antikærper gegen den Erreger oder den Erreger
selbst nachzuweisen.
Bakterielle Meningitiden, die durch Pneumokokken, Menin-
gokokken, Haemophilus oder Enterobakterien ausgelæst werden,
haben eine kurze Inkubationszeit (< 48 h), verlaufen mit einer
ausgeprågten klinischen Symptomatik und bedçrfen sofortiger
antibiotischer Therapie. Bei protrahierten Verlåufen kænnen
Komplikationen wie Hirnnerven-Ausfålle, Hirnædem, Sinusve-
nenthrombosen oder Krampfanfålle auftreten. Wåhrend die Le-
a 9.1 Meningitiden z 285

talitåt vor der Antibiotika-Øra je nach Erreger bis zu 90% be-


trug, heilen die meisten bakteriellen Meningitiden bei rechtzei-
tig einsetzender und erregerspezifischer Therapie heute folgen-
los aus. Dennoch liegt die Letalitåt, insbesondere bei verzæger-
tem oder unspezifischem Einsatz von Antibiotika auch heute
noch ± je nach Erreger ± zwischen 5±30%.
Die tuberkulæse Meningitis ist an die Pråvalenz der Tuberku-
lose und damit auch an sozioækonomische Faktoren gebunden.
Obwohl in den 80er Jahren eher rçcklåufig, ist insbesondere
durch HIV und Ferntourismus eine erneute Zunahme der Fålle
zu verzeichnen. Die tuberkulæse Meningitis hat mit 2±8 Wo-
chen eine relativ lange Inkubationszeit und zeigt zunåchst nur
unspezifische Symptome wie Mçdigkeit, verminderte Leistungs-
fåhigkeit, Appetitlosigkeit, allgemeines Krankheitsgefçhl, Ver-
wirrtheit und Myalgien. Fieber ist nur måûig hoch, es çber-
steigt selten 39 8C und fehlt bei rund 20% der Patienten. Auch
die Nackensteifigkeit ist zunåchst nur schwach ausgeprågt oder
kann fehlen. Håufiger sind jedoch fokale neurologische Ausfålle
zu beobachten, wie Hirnnerven-Paresen (Augenbewegungs-
stærungen, Gesichtsmuskellåhmungen, Sehstærungen), Halbsei-
tenlåhmungen oder Gleichgewichts- und Hærstærungen. Im wei-
teren Verlauf kænnen schwerwiegende Bewusstseinsstærungen
und ausgeprågte neurologische Ausfålle hinzutreten. Folgende
klinische Stadien der tuberkulæsen Meningitis werden unter-
schieden:
z Stadium 1: Prodromalstadium, unspezifische Symptomatik,
keine Bewusstseinsstærungen, keine neurologischen Ausfålle
z Stadium 2: meningeale Zeichen, geringe Bewusstseinsstærun-
gen ohne Koma, geringe neurologische Ausfålle
z Stadium 3: fortgeschrittenes Stadium, schwere Bewusstseins-
stærungen, schwere neurologische Ausfålle, Krampfanfålle.

Virale Meningitiden verlaufen klinisch weniger ausgeprågt.


Zwar treten auch hier typische Symptome wie Kopfschmerzen,
Nackensteife etc. auf, doch stehen eher Allgemeinsymptome wie
Mçdigkeit, Appetitlosigkeit u. a. im Vordergrund. In der Regel
kann mit einem spontanen Ausheilen nach 10±14 Tagen gerech-
net werden, sodass eine rein symptomatische Therapie aus-
reicht.
286 z 9 Infektionen des Nervensystems

Neben dem klinischen Bild steht diagnostisch die Unter-


suchung des Liquors im Vordergrund, um den Erreger zu iden-
tifizieren. Bereits Zellzahl, Differenzierung der Leukozyten,
Eiweiû- und Glukosegehalt sowie Analyse der Globulinsynthese
geben relativ sichere Hinweise auf die Erregergruppe oder den
einzelnen Erreger und erlauben eine zielgerichtete Therapie.
Ziel muss jedoch die mikrobiologische Identifikation des Erre-
gers mittels mikroskopischer Untersuchung, Spezialfårbungen,
Antikærperdiagnostik etc. sein, um die Therapie mæglichst spe-
zifisch durchfçhren zu kænnen. Soweit klinisch mæglich, sollte
der Liquor vor Einleitung einer antibiotischen Therapie gewon-
nen werden, um die mikrobiologische Diagnostik zu erleich-
tern. Tabelle 9.1 gibt einen Ûberblick çber typische Liquor-
verånderungen und die diagnostische Einordnung.
Neben der Liquoranalytik muss ferner eine kranielle Bild-
gebung (CCT mit Knochenfenster, NMR) erfolgen, um mægliche
prådisponierende Faktoren wie Sinusitiden oder Vereiterungen
des Mastoids zu erkennen.
Je fulminanter und långer der Verlauf, desto eher muss ne-
ben den typischen Symptomen auch mit weiteren z. T. lebens-
bedrohlichen Komplikationen intrakranieller wie extrakranieller
Art gerechnet werden:
z Hirnædem,
z Hydrozephalus mit Liquorabflussbehinderung,
z septische Sinusthrombosen,
z weitere Gefåûkomplikationen, Vasospasmen mit ischåmischen
Insulten, Autoregulationsstærungen,
z Hirnabszess,
z Sepsis und Verbrauchskoagulopathien.

9.1.3 Øtiopathogenese

Entzçndungen der Hirnhaut kænnen durch eine Vielzahl von


Erregern verursacht werden. Klinisch wird zwischen bakteriel-
len, tuberkulæsen, und viralen Meningitiden sowie Meningiti-
den anderer Erregergruppen unterschieden. Håufig entstehen
Meningitiden auf dem Boden bereits vorhandener Infektionen
oder anderer prådisponierender Faktoren. Dennoch bleibt bei
a
Tabelle 9.1. Ûbersicht zu typischen Liquorverånderungen bei erregerbedingten Infektionen des ZNS

Erregerart Farbe, Zellzahl Zellart Protein, Glukose, Laktat Lokale Ig-Synthese


Normal: wåssrig klar Normal: Normal: Albumin-Quotient
bis 9/3 Zellen Lymphozyt: 70±90% Protein: 0,15±0,45 g/l (= Marker fçr das
Monozyt: 10±30% Glukose: 60% Blutglu- Ausmaû der
Granulozyt: 0% kose Schrankenstærung)
Erythrozyt: 0% Laktat: 1,6 mval/l

z Bakteriell Trçbe, u. U. gelblich Ûberwiegend Granulozyten Protein erhæht Lokale IgA-Synthese


verfårbt Glukose vermindert im Verlauf mæglich
Zellzahl deutlich erhæht Laktat erhæht (insbesondere Meningo-
(çber 500/3 Zellen) kokken), Albumin-Quotient
deutlich erhæht
z Tuberkulæs Trçbe Ûberwiegend Lymphozyten Protein leicht erhæht Lokale IgA-Synthese
Nur måûig erhæht und Monozyten Glukose vermindert Albumin-Quotient
(30-300/3 Zellen) Laktat erhæht deutlich erhæht
z Viral Klar Ûberwiegend Lymphozyten Protein (erhæht) Keine Ig-Synthese, ggf.
Zellzahl nur moderat Glukose normal geringgradige IgG-Synthese
erhæht (bis 300/3) Laktat normal Albumin-Quotient måûig
erhæht
9.1 Meningitiden
z
287
Tabelle 9.1 (Fortsetzung)
288
z

Erregerart Farbe, Zellzahl Zellart Protein, Glukose, Laktat Lokale Ig-Synthese


Normal: wåssrig klar Normal: Normal: Albumin-Quotient
bis 9/3 Zellen Lymphozyt: 70±90% Protein: 0,15±0,45 g/l (= Marker fçr das
Monozyt: 10±30% Glukose: 60% Blutglu- Ausmaû der
Granulozyt: 0% kose Schrankenstærung)
Erythrozyt: 0% Laktat: 1,6 mval/l

Sonstige Differenzialdiagnosen
z Lues In der Regel klar, Lymphozyten Kann je nach Stadium Lokale IgG-Synthese
je nach Stadium und Monozyten normal, aber auch (oligoklonal), Albumin-
normal oder erhæht erhæht sein Quotient nicht oder
nur leicht erhæht
9 Infektionen des Nervensystems

z Parasitåre Måûig erhæht Eosinophile Zellen Erregerabhångig Erregerabhångig


Infektionen
z Herpesenzephalitis Klar Lymphozyten Normal Keine Ig-Synthese, ggf.
Måûig erhæht geringgradige IgG-/IgA-
(30±300/3) Synthese
Albumin-Quotient
u. U. leicht erhæht
z Subarachnoidal- U. U. stark erhæht Erythrozyten, Protein kann erhæht Keine Synthese,
blutung Siderophagen sein, sonst normal Albumin-Quotient kann
deutlich erhæht sein
a 9.1 Meningitiden z 289

Tabelle 9.2. Håufigkeit bakterieller Erreger nach Altersgruppen

Altersgruppe Erreger und Håufigkeit

z Neugeborene 1. Gramnegative Enterobakterien, E. coli (bis 70%)


(bis 4 Wochen pp) 2. Streptokokken, B-Gruppe (bis 40%)
3. Andere Enterobakterien (bis 15%)
4. Pseudomonas, Listerien (bis 5%)
z Såuglinge, 1. Haemophilus influenzae (bis 60%)
Kleinkinder 2. Meningokokken (bis 20%)
3. Pneumokokken, Streptokokken, Staphylokokken,
Listerien (bis 20%)
z Kinder, 1. Meningokokken (bis 60%)
Jugendliche 2. Pneumokokken (bis 20%)
3. Streptokokken, Haemophilus Influenzae,
Listerien, Enterobakterien (bis 30%)
z Erwachsene 1. Pneumokokken (bis 60%)
2. Meningokokken (bis 30%)
3. Streptokokken, Listerien, Enterobakterien,
Haemophilus influenzae (bis 20%)

bis zur Hålfte aller Meningitiden (insbesondere bei den viralen


Meningitiden) die Suche nach einem Erreger erfolglos.
Bakterielle (eitrige) Meningitiden treten wesentlich håufiger
im Kindesalter als im Erwachsenenalter auf. Wåhrend Meningi-
tiden bei Såuglingen im Wesentlichen durch gramnegative Ente-
robakterien (E. coli, Klebsiella, Proteus etc.) und Streptokokken
verursacht werden, erkranken Kleinkinder håufiger an Haemo-
philus influenzae und Meningokokken. Bei Kindern und Ju-
gendlichen hingegen stehen Meningokokken, bei Erwachsenen
Pneumokokken im Vordergrund (Tabelle 9.2). Als prådisponie-
rende Faktoren werden v. a. parameningeale Infektionen (Sinu-
sitiden, Entzçndungen des Mastoids und des Mittelohrs, Schå-
del-Hirn-Traumen, Abszesse, Durafisteln und Pneumonien) be-
obachtet, wobei die Erreger çberwiegend Pneumokokken und
Meningokokken sind. Auch Endokarditiden, Entfernungen der
Milz, immunsuppressive Therapien, sekundåre geschwåchte Ab-
wehrlage (Alkoholismus, Diabetes, Neoplasien, oder i.v.-Dro-
genabhångigkeit) zåhlen zu den prådisponierenden Faktoren.
290 z 9 Infektionen des Nervensystems

Neben Pneumokokken werden hier besonders Staphylokokken


und Enterobakterien beobachtet.
Bei bis zu 10% aller Tuberkulose-Patienten kommt es im
Verlauf der Erkrankung zu einer Beteiligung des ZNS. Tuber-
kulæse Meningitiden entstehen meist durch håmatogene Aussaat
in den Liquorraum, insbesondere im Rahmen der Miliartuber-
kulose oder chronischer Organtuberkulosen. Auch diese Form
der Meningitis ist wesentlich håufiger bei Kindern in der Al-
tersgruppe zwischen 6 Monaten und 6 Jahren. Wåhrend der
Anteil der tuberkulæsen Meningitiden heute unter 10% liegt,
machten in der ersten Hålfte dieses Jahrhunderts tuberkuæse
Meningitiden in Europa bis zu 30% aller Meningitiden aus und
haben auch heute noch in vielen Entwicklungslåndern einen
Anteil von bis zu 60% an allen kindlichen Meningitiden.
Durch die zunehmende Zahl der HIV-Infektionen werden tu-
berkulæse Meningitiden auch bei uns wieder håufiger und stel-
len aufgrund zunehmender Resistenzen ein wachsendes Prob-
lem dar.
Virale Meningitiden entstehen fast ausschlieûlich im Rahmen
von systemischen Virusinfektionen. Håufigste Erreger sind Cox-
sackie-Viren, Echo- und Mumpsviren, die als reine Meningiti-
den ohne Parenchymbeteiligung in der Regel auch unter rein
symptomatischer Therapie schnell ausheilen. Meningitiden als
Folge von Herpesinfektionen oder HIV-Infektionen kænnen hin-
gegen protrahierte Verlåufe zeigen und greifen håufig auch auf
das Hirnparenchym çber, sodass nicht selten intensivmedizini-
sche Betreuung notwendig wird (s. Abschn. 9.2).
Isolierte Meningitiden durch andere Erreger wie Parasiten
(Protozoen, Wçrmer) oder Pilze (zur Kryptokokkenmeningitis
s. Abschn. 9.6.2) sind vergleichsweise selten und kommen v. a.
im Rahmen generalisierter ZNS-Infektionen vor. Zunehmender
Ferntourismus, HIV-Infektionen und immunsuppressive Thera-
pien tragen jedoch dazu bei, dass diese ansonsten seltenen Er-
reger immer håufiger im klinischen Alltag gesehen werden.
a 9.1 Meningitiden z 291

9.1.4 Therapie

Bei bakteriellen Meningitiden steht die antibiotische Therapie


im Vordergrund, wobei sich die Wahl des Antibiotikums nach
dem verursachenden Erreger richten muss. Ist der Erreger un-
bekannt, kann das Erregerspektrum im Hinblick auf das Alter
und mit einer einfachen Gram-Fårbung weitgehend eingegrenzt
werden. Tabelle 9.3 gibt einen Ûberblick çber die pragmatische
Therapie bei unbekanntem Erreger, Tabelle 9.4 çber Erreger,
geeignete Antibiotika, Tagesdosen fçr Erwachsene sowie die
wichtigsten Nebenwirkungen (Nebenwirkungen beziehen sich
auf das Medikament der ersten Wahl).
Die Therapie tuberkulæser Meningitiden erfordert eine 6±9
Monate umfassende Therapiephase und sollte unverzçglich ein-
geleitet werden, wenn ein begrçndeter klinischer Verdacht be-
steht. Dies gilt auch dann, wenn der Erregernachweis zu diesem
Zeitpunkt nicht gefçhrt werden kann. Fçr die ersten 3 Monate
sollte eine Dreifachtherapie aus Isoniazid (Isozid, 10 mg/kg/
Tag), Rifampicin (Rifa, 10 mg/kg/Tag) und Pyrazinamid (Pyra-
fat, 35 mg/kg/Tag) angestrebt werden. Danach sollte fçr weitere
3±6 Monate eine Zweifach-Therapie mit Isoniazid und Rifampi-
cin erfolgen. Typische Spåtkomplikation der tuberkulæsen Me-
ningitis ist die Verklebung der arachnoidalen (Pacchioni)-Gra-
nulationen, die dem Liquoraustausch dienen. Die Folge ist ein
sich langsam entwickelnder Hydrozephalus. Diese Spåtfolge

Tabelle 9.3. Therapieschema der bakteriellen Meningitis bei unbekanntem Erreger

1. Patient ohne Begleiterkrankungen


Cephalosporin III, z. B. Ceftriaxon (Rocephin 2 ´ 2 g) + Ampicillin
(z. B. Binotal 4 ´ 3 g)
2. Patient mit HNO-Erkrankung oder Schådel-Hirn-Trauma
Cephalosporin III, z. B. Ceftriaxon (Rocephin 2 ´ 2 g) + Meropenem (6 g/8 h)
oder Vancomycin
3. Patient mit Hospitalinfektion
Cephalosporin III, z. B. plus Vancomycin und Meropenem (6 g/8 h)
4. Patient mit Immundepression
wie unter 2. + Ampizillin (z. B. Binotal 4 ´ 3 g)
292 z 9 Infektionen des Nervensystems

Tabelle 9.4. Erreger, indiziertes Antibiotikum und dessen Nebenwirkungen (alle Do-
sierungen sind als mittlere tågliche Dosierungen angegeben und kænnen bei Bedarf
erhæht werden)

Erreger Antibiotikum Nebenwirkungen

z Pneumokokken Penicillin G (4 ´ 5 Mega), ± Allergische Reaktionen


2. Wahl: Cephalosporin III ± Urtikaria, Fieber
z Meningokokken
z. B. Ceftriaxon (Rocephin, ± Krampfanfålle
z Streptokokken (B) 2 ´ 2 g)
z Haemophilus Cephalosporin III oder ± Kreuzallergie
Influenzae Cefepime (6 g/8 h), bei bekannter
Meropenem (6 g/8 h) Penizillin-Allergie
Fluoroquinolon (Cefotaxim)
± Allergisches Exanthem
± Pseudocholelithiasis
(Ceftriaxon)
± Leukopenie, Eosinophilie
± Lokale Thrombophlebitis
± GOT-Anstieg
± Diarrhæ
z Pseudomonas Ceftazidim (Fortum, 3 ´ 2 g) ± Kreuzallergie bei
aeruginosa 2. Wahl: Cefepime, Cipro- bekannter Penizillin-
floxacin (800±1200 mg/8±12 h), Allergie
Meropenem (6 g/8 h) ± Allergisches Exanthem
± Leukopenie, Eosinophilie
± Lokale Thrombophlebitis
± GOT-Anstieg
z Gramnegative Cephalosporin III, alternativ s. oben
Enterobakterien Cefepime (6 g/8 h),
Meropenem (6 g/8 h)
z Staphylokokken Vancomycin und nach ± Allergische Reaktionen
Serumspiegel Meropenem ± Erbrechen, Diarrhæ
(6 g/8 h) ± Erhæhung
(Vancomycin 4 ´ 0,5 g) der Leberenzyme
± Thrombophlebitis
a 9.1 Meningitiden z 293

Tabelle 9.4 (Fortsetzung)

Erreger Antibiotikum Nebenwirkungen

z Listerien Ampizillin ± Allergische Reaktionen,


(z. B. Binotal, 4 ´ 3 g), ± Urtikaria
2. Wahl: Trimethoprim- ± Diarrhæ
Sulfamethoxazol (Eusaprim, ± Nichtallergisches
3 ´ 480 mg TMP, 3 ´ 2,4 g SMX) Exanthem
oder Meropenem (6 g/8 h) ± Thrombopenie,
håmolytische Anåmie
± Thrombophlebitis

z Bacteroides Metronidazol ± Erbrechen, Diarrhæ


fragilis (Clont, 4 ´ 525 mg), 2. Wahl: ± Stomatitis, Glossitis
Chloramphenicol (Paraxin, ± Kopfschmerzen
4 ´ 1 g) ± Neurotoxizitåt
(Polyneuropathie,
Gleichgewichts-
stærungen)

kann durch die begleitende Gabe von Kortison wåhrend der tu-
berkulostatischen Therapie verhindert werden.
Dexamethason: mehrere randomisierte plazebokontrollierte
Studien konnten inzwischen den Nutzen von Dexamethason als
Begleittherapie zur Antibiotikagabe bei der bakteriellen Menin-
gitis (insbesondere bei der Pneumokokkenmeningitis) beståti-
gen. Die ersten Guidelines zur Therapie der bakteriellen Menin-
gitis empfehlen daher eine Dosis von 0,15 mg/kg Dexamethason
alle 6 h fçr die ersten 2±4 Tage.
Virale Meningitiden bedçrfen in der çberwiegenden Anzahl
der Fålle keiner spezifischen Therapie, sodass, wenn nætig, eine
symptomatische Therapie (Fiebersenkung, Kopfschmerzthera-
pie, etc.) ausreicht. Die Therapie ausgeprågter Virusinfektionen
unter Beteiligung des Hirnparenchyms (Meningoenzephaliti-
den) wird in Abschn. 9.2.4 besprochen.
294 z 9 Infektionen des Nervensystems

9.2 Enzephalitiden [ICD 10: G 05.1]

9.2.1 Definition und Epidemiologie

Enzephalitiden sind Entzçndungen des Gehirnparenchyms.


Spontan auftretende (nicht im Rahmen bereits vorhandener In-
fektionen oder Meningitiden entwickelnde) Enzephalitiden sind
wesentlich seltener als Meningitiden. Die Herpes-simplex-Enze-
phalitis (HSV 1 und 2) macht dabei den Groûteil aller spontan
auftretenden Enzephalitiden des Erwachsenenalters aus und ist
als Krankheitsbild klinisch am besten charakterisiert. Die Inzi-
denz wird auf ca. 0,3 Fålle pro 100 000 Einwohner und Jahr ge-
schåtzt. Grundsåtzlich kænnen auch andere Viren der Herpes-
Gruppe (HHV 6 und 7, Varizella-zoster-Virus, Zytomegalievirus)
Enzephalitiden verursachen. Diese Fålle sind jedoch noch selte-
ner oder treten vorwiegend bei immunsupprimierten Patienten
auf, sodass klinisch apparente Infektionen mit diesen Erregern
in die Gruppe der opportunistischen Infektionen eingeordnet
werden. Håufiger ist jedoch die HSV-Enzephalitis bei Neugebore-
nen (ca. 2±5 pro 10 000 Geburten), wo es zu einer Infektion wåh-
rend der Geburt kommt. Ein weiteres umschriebenes Krankheits-
bild ist die altersunabhångig auftretende Frçhsommer-Meningo-
enzephalitis (FSME), die durch Zecken çbertragen wird und spe-
ziell in Teilen Sçddeutschlands und Ústerreichs vorkommt. Pro
Jahr werden in Deutschland ca. 100±120 Fålle gemeldet.

9.2.2 Klinik und Diagnostik

Das klinische Bild variiert im Wesentlichen mit dem Erreger.


z Herpesenzephalitis [ICD 10: G 05.1]. Sie beginnt mit unspezifi-
schen Symptomen wie Kopfschmerzen oder Abgeschlagenheit,
nach wenigen Tagen folgen typische Frontalhirn- und Tempo-
rallappensymptome mit Persænlichkeitsverånderungen, Krampf-
anfållen, Sprachstærungen, spåter fokal neurologische Ausfålle,
Myoklonien, Hirndruckzeichen und zunehmender Bewusst-
seinsverlust bis zum tiefen Koma. Mit der Långe des Komas
a 9.2 Enzephalitiden z 295

verschlechtert sich die Prognose drastisch. Unbehandelt verlau-


fen çber 70% der Herpesenzephalitiden letal. Trotz der Ein-
fçhrung der Virustatika verbleiben bei bis zu 50% der Patien-
ten Heilungsdefekte. Diagnostisch ist die Liquoranalytik mit
spezifischer Erregersuche, insbesondere PCR auf HHV entschei-
dend (cave: spezifischer Antikærper-Antigen-Nachweis gelingt
frçhestens 6±7 Tage nach der Infektion). Charakteristische Ve-
rånderungen werden auch im MRT gesehen: Typischerweise
zeigen sich hier signalintense Zonen im Temporallappen. Mit
Verånderungen im MRT kann ca. 24±36 h nach Auftreten der
initialen Symptomatik gerechnet werden. Ein unauffålliges MRT
bzw. negative PCR schlieûen die Diagnose jedoch nicht aus und
sollten dann wiederholt werden.

z FMSE [ICD 10: A 84.1]. Die durch Arboviren verursachte Frçhsom-


mer-Meningoenzephalitis wird durch Zeckenbisse çbertragen.
Typischerweise ist hier ein biphasiger Verlauf zu beobachten:
Nach einer Inkubationszeit von bis zu mehreren Wochen (1±3!)
stehen zunåchst çberwiegend grippeåhnliche Symptome mit
Kopfschmerzen, leicht erhæhter Temperatur und/oder gastroin-
testinalen Beschwerden im Vordergrund, die nach wenigen Tagen
wieder abklingen. Kurz darauf (wenige Tage spåter) kommt es
zur zweiten Phase mit heftigem Fieber (> 40 8C) und Kopf-
schmerzen sowie typischen Zeichen einer Meningitis oder Enze-
phalitis (fokal neurologische Defizite, Hemiparesen, Hirnnerven-
ausfålle, Hirnstammzeichen). Auch begleitende Zeichen einer Ra-
dikulitis und/oder Myelitis treten in 10% der Fålle auf. Die Diag-
nostik erfolgt serologisch durch spezifische Antikærperdiag-
nostik und liquoranalytisch durch Ausschluss anderer Infektio-
nen. Dennoch sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen,
dass es sich trotz håufiger Berichte in der Boullevard-Presse um
eine relativ seltene Erkrankung handelt, die oft mit der ebenfalls
durch Zecken çbertragenen Neuroborreliose (Lyme-Erkrankung)
verwechselt wird.
z Bakteriell verursachte Enzephalitiden. Diese Enzephalitiden
sind sehr selten. Zwei umschriebene Krankheitsbilder kænnen
im Zusammenhang mit einer Endokarditis entstehen: die Mark-
lagerphlegmone verlåuft als hochakutes Krankheitsbild mit hef-
296 z 9 Infektionen des Nervensystems

tigsten Kopfschmerzen und schnell eintretenden Bewusstseins-


stærungen. Die Herdenzephalitis (Endokarditis lenta) zeigt hin-
gegen neben Kopfschmerzen v. a. fokale Symptome wie epilepti-
sche Anfålle und Persænlichkeitsverånderungen. Sie kann kli-
nisch als Schlaganfall erscheinen. Die Diagnose wird klinisch
im Zusammenhang mit der Grunderkrankung, Blutkulturbe-
fund Liquordiagnostik und kranialer Bildgebung gestellt.
z Listerien und Spirochåten. Durch Listerien verursachte Enzepha-
litiden sind klinisch durch ihre spezifische Klinik auffållig: håufig
ist der Hirnstamm beteiligt, sodass neben epileptischen Anfållen
und Persænlichkeitsverånderungen auch Hirnnervenausfålle ge-
sehen werden. Seit der Einfçhrung des Penizillins sind luesbe-
dingte Enzephalitiden selten geworden, dennoch ist in den letzten
Jahren u. a. aufgrund immunsuppressiver Erkrankungen wieder
ein leichter Anstieg zu beobachten. Luesbedingte Enzephalitiden
kænnen v. a. in der Sekundårperiode (wenige Monate nach der
Erstinfektion) auftreten (s. Abschn. 9.3, Neurolues). Neben Per-
sænlichkeitsverånderungen und epileptischen Anfållen ist die Er-
krankung besonders durch Hirnnervenausfålle (Pupillenfunk-
tionsstærungen) gekennzeichnet. Daneben sind in der Regel auch
andere Stærungen wie Rçckenmarkssymptome oder Polyneuriti-
den vorhanden.

9.2.3 Øtiopathologie
Entzçndungen des Gehirnparenchyms kænnen durch zahlreiche
Erreger aller Arten, aber auch durch immunologische Reaktionen
verusacht werden (sog. Bickershaft-Enzephalitis: autoimmunolo-
gische Enzephalitis des Hirnstamms). Håufig auf dem Boden ei-
ner systemischen Infektion entstehend, stellt hier das Hirnparen-
chym das eigentliche ¹Zielorganª fçr bestimmte Erreger dar bzw.
steht die zerebrale Symptomatik im Vordergrund der Gesamt-
symptomatik. Wåhrend viele Meningitiden nur zu einem gerin-
gen Teil mit einer Beteiligung des Parenchyms einhergehen und
erst in fortgeschrittenen Stadien auf das Hirnparenchym çber-
greifen, verlaufen die meisten Enzephalitiden unter gleichzeitiger
Beteiligung der Meningitiden. Sind Meningen und Parenchym
gleichermaûen betroffen, wird von Meningoenzephalitiden ge-
a 9.2 Enzephalitiden z 297

Tabelle 9.5. Håufige virale Enzephalitiserreger nach Altersgruppen

z Neugeborene ? HSVZ
z Kleinkinder ? Coxsackie-Viren
z Kinder ? Mumps, Masern, Rætelnviren
z Jugendliche ? EBV
z Erwachsene ? VZV
z Øltere ? Influenza
z Alle ? HSV-1, Adenoviren, HIV, ZMV, HHV6, B-Virus, Rabies

sprochen. Nahezu ein Drittel aller Fålle kann åtiologisch nicht


eingeordnet werden. Bei den Herpesenzephalitiden handelt es
sich bei ca. einem Drittel der Patienten um eine Erstinfektion
und bei ca. zwei Dritteln um eine Virusreaktivierung. Die Zu-
sammenhånge, die im Rahmen einer Erstinfektion oder einer Re-
aktivierung dann zur Ausprågung einer Enzephalitis fçhren, sind
unklar. Innerhalb der Enzephalitiden aus der Gruppe der Herpes-
viren spielt das Herpes-simplex-Virus 1 (HSV1, Herpes-labialis-
Virus) mit 90% aller Fålle die wichtigste Rolle. Neben der Her-
pesgruppe und den Arboviren (FSME) kænnen jedoch auch lym-
phozytåre Choriomeningitisviren, Masern- oder Echoviren Enze-
phalitiden verursachen. Die Verteilung der Erreger auf die unter-
schiedlichen Altersgruppen zeigt Tabelle 9.5.
Neben den zuvor besprochenen bakteriellen Erregern (Spiro-
chåten wie Erreger von Lues und Neuroborreliose, s. Abschn.
9.3, und Listerien) kænnen auch Protozoen (Toxoplasmen, s.
Abschn. 9.6, Echinokokken), Pilze (Kryptokokkus, Aspergillus)
und Rickettsien Enzephalitiden verursachen. Immunologisch
bedingte Endozephalitiden kænnen ± z. T. Jahre spåter ± im
Rahmen von immunologischen Reaktionen auf vorbestehende
Infektionskrankheiten (Masern, Windpocken, Herpes zoster,
Mumps) oder nach Schutzimpfungen auftreten.

9.2.4 Therapie
Die Therapie der Enzephalitiden hångt vom verursachenden Er-
reger ab. Bei der Herpesenzephalitis sollte bereits der Verdacht
ausreichen, um eine antivirale Therapie einzuleiten: Aciclovir
298 z 9 Infektionen des Nervensystems

(z. B. Zovirax) i.v. 3 ´ 10 mg/kg/Tag fçr 10±14 Tage. Bei ausgepråg-


ten oder protrahiert verlaufenden Bildern kann Aciclovir mit
b-Humaninterferon (Fiblaferon, 0,3 ´ 106 I.E./kg/Tag fçr 3±5 Tage)
kombiniert werden. Bis zur Sicherung der Diagnose sollte ferner
ein Breitbandantibiotikum hinzugegeben werden. Fçr die Frçh-
sommer-Meningoenzephalitis steht zurzeit kein Virustatikum
zur Verfçgung. Dennoch kann bis zu 96 h nach Zeckenbiss eine
passive Immunisierung mit einem Immunglobulin (FSME-Bulin,
0,1 ml/kg innerhalb der ersten 2 Tage nach dem Biss und 0,2 ml/
kg nach dem 3. und 4. Tag) erfolgen. Nach dem 4. Tag ist die Im-
munisierung wirkungslos. Zur Pråvention stehen zwei Vakzine
zur Verfçgung. Eine generelle Immunisierung kann jedoch nicht
grundsåtzlich empfohlen werden und sollte nur nach sorgfåltiger
Abwågung von Expositionsgefahr und mæglichen Impfkomplika-
tionen (z. B. Guillain-Barr-Syndrom) erfolgen.
Marklagerphlegmonen und Herdenzephalitiden kænnen mit
Penicillin G (4 ´ 10 Mega/Tag) in der Kombination mit einem
Aminoglykosid behandelt werden. Listerien werden dagegen
mit Ampizillin (6 ´ 2 g/Tag) behandelt. Luetische Enzephalitiden
bedçrfen einer parenteralen Behandlung von mindestens 4 Wo-
chen mit Penizillin (3±4 ´ 10 Mega/Tag).

Andere bakterielle Infektionen des Nervensystems

9.3 Neurolues (Neurosyphilis) [ICD 10: A 52.1]

9.3.1 Definition und Epidemiologie

Neurolues ist eine Infektion des Nervensystems mit Treponema


pallidum (Syphiliserreger). Es wird geschåtzt, dass etwa 5±10%
aller Patienten mit einer unbehandelten bzw. nicht rechtzeitig
behandelten Lues eine symptomatische Neurolues entwickeln.
Die Inzidenz der Lues bzw. Neurolues variiert stark von Land
zu Land, wobei Entwicklungslånder wiederum stårker betroffen
sind als westliche Lånder. Auch wenn die Zahl der Neurolues-
a 9.3 Neurolues (Neurosyphilis) z 299

Patienten seit der Einfçhrung des Penizillins deutlich zurçck


gegangen ist, wurde in den letzten Jahren wieder ein Anstieg
der Erkrankungen beobachtet. Konservativ geschåtzt liegt die
Inzidenz primårer und sekundårer Lues-Affektionen bei etwa
20 pro 100 000 Einwohner.

9.3.2 Klinik und Diagnostik

Das klinische Bild ist ausgesprochen vielfåltig. Grundsåtzlich


kænnen je nach Dauer der Erkrankung und Latenz verschiedene
Krankheitsbilder abgegrenzt werden. Der Verlauf kann jedoch
auch atypisch sein und in keines der folgenden Bilder passen:
z Frçhsyphilitische Meningoenzephalitis im Sekundårstadium:
Latenz 6 Wochen bis 2 Jahre. Klinik: Kopfschmerzen, Ûbel-
keit, allgemeines Krankheitsgefçhl, Verhaltensauffålligkeiten,
insbesondere Affektlabilitåt, Hirnnervenausfålle (N. vestibulo-
chlearis > N. facialis > N. oculomotorius), Krampfanfålle, sel-
ten Polyradikulitiden.
z Meningovaskulåre Syphilis: Latenz 0,5±12 Jahre. Proliferative
Vaskulitis der zerebralen Gefåûe, die im weiteren Verlauf
progressiv zum Verschluss zerebraler Gefåûe fçhrt. Klinik:
zunåchst Visusstærungen, Schwindel, fokal neurologische De-
fizite wie motorische Ausfålle (klinisch z. T. wie Schlaganfall),
auch Hirnnervenbeteiligung mit Sprach-, Sprech-, Hærstæ-
rungen.
z Progressive Paralyse: Latenz 15±20 Jahre. Klinik: Wesensån-
derung, kognitiver Abbau, Demenz, Krampfanfålle, zerebellå-
re Symptome, Psychosen. Unbehandelt ist die Lebenserwar-
tung nach initialem Auftreten auf 1±3 Jahre reduziert.
z Tabes dorsalis: Latenz 15±20 Jahre. Klinik: Pupillenstærungen
(Robertson-Phånomen), lanzinierende Schmerzen, Ataxie,
çberstreckbare Hçft- und Kniegelenke, Bulbårparalyse bei
Hirnnervenbeteiligung. Verlauf in der Regel relativ langsam
ohne Reduktion der Lebenserwartung.
z Nicht klassifizierbare Symptome: Optikusatrophien, Amyotro-
phie-Vorderhornuntergang, spastische Spinalparalyse- mit frçh-
zeitiger Blasenstærung, Pachymeningitis-cervicalis hyperplas-
tica-Myelopathie durch verdickte Meningen, Reflexanomalien.
300 z 9 Infektionen des Nervensystems

z Spezifische Diagnose der Neurolues


Die Klinik in Zusammenschau mit spezifischer Liquor- und La-
bordiagnostik ist Tabelle 9.6 zu entnehmen. Typischerweise wer-
den måûiggradige Pleozytose mit lymphozytår-monozytårem
Zellbild, måûig erhæhtem Proteingehalt und oligoklonalen IgG-
Banden nachgewiesen. Zur spezifischen Diagnostik stehen ver-
schiedene Testverfahren zur Verfçgung, die in Serum wie Liquor
durchgefçhrt werden kænnen, allerdings zu unterschiedlichen
Zeitpunkten der Erkrankung reaktiv und nicht immer einfach
einzuordnen sind. Grundsåtzlich werden nicht-treponemale-
Tests (VDLR, frçher auch der Wassermann-Test) und treponema-
le Tests [TPHA, FTA-ABS, 19S-(IgM)-FTA-ABS] verwendet. Wåh-
rend die erste Testart weniger sensitiv, aber bereits nach kurzer
Zeit nicht mehr reaktiv ist (damit als Verlaufsparameter und
Therapiekontrolle geeignet), ist die zweite Testart sensitiver
und bleibt u. U. lebenslang positiv (Ausnahme: der 19S-(IgM)-
FTA-ABS). Die serologische Diagnostik kann im Verlauf der Neu-
rolues bei bis zu einem Drittel der Patienten normal werden. Im
Liquor kann ein positiver VRDL-Test praktisch als Nachweis ei-
ner aktiven Neurolues angesehen werden, wobei ein negatives Er-
gebnis die Diagnose nicht ausschlieût. Bei einem negativen FTA-
ABS-Test im Liquor ist eine Neurolues hingegen fast ausgeschlos-
sen. Durch Kreuzreaktionen mit Neuroborreliose oder systemi-
schem Lupus kann der FTA-ABS auch falsch-positive Ergebnisse
erbringen, die jedoch immer nur niedrige Titer aufweisen. Hilf-
reich kann auch die Errechnung des ITpA-Index (intrathekaler
Treponema-pallidum-Antikærper-Index) sein, der eine Synthese
von Lues-Antikærpern im ZNS anzeigt. Der Index wird folgender-
maûen errechnet:

TPHA-Titer …Liquor†  Gesamt-IgG …Serum†


TPHA-Titer …Serum†  Gesamt-IgG …Liquor†

Ein Index græûer 2 zeigt die intrathekale Synthese von Anti-


kærpern an. Tabelle 9.6 gibt einen Ûberblick çber die einzelnen
Stadien der Lues sowie Neurolues und die typischen Testkon-
stellationen.
a 9.3 Neurolues (Neurosyphilis) z 301

Tabelle 9.6. Stadien der Lues und typische Konstellation der Testergebnisse
(TPHA = Treponema-pallidum-Håmagglutinations-Test, VRDL = Veneral Disease Research
Laboratory, FTA-ABS = Fluoreszenz-Treponema-Antikærper-Absorptionstest)

Stadien der Lues Ergebnisse der Testverfahren

z Akute Infektion TPHA, VLDR, FTA-ABS und 19S-(IgM)-FTA-ABS positiv


z Abgelaufene Infektion TPHA: positiv, VLDR: negativ,
(sog. Serumnarbe) FTA-ABS positiv (schwach positiv, u. U. auch negativ)
19S-(IgM)-FTA-ABS (abhångig vom Zeitpunkt:
positiv oder negativ)
z Frçhsyphilitische Serum: TPHA positiv, VLDR je nach Zeitpunkt
Meningitis negativ oder positiv,
FTA-ABS positiv, 19S-(IgM)-FTA-ABS
positiv oder negativ
Liquor: TPHA positiv, VDLR positiv, FTA-ABS positiv,
ITpA-Index > 2
z Meningovaskulitis Serum: TPHA positiv, VLDR je nach Zeitpunkt
negativ oder positiv,
FTA-ABS positiv, 19S-(IgM)-FTA-ABS positiv
oder negativ
Liquor: TPHA positiv, VDLR positiv oder negativ,
FTA-ABS positiv, ITpA-Index > 2
z Tabes dorsalis Serum: TPHA positiv, VLDR negativ, FTA-ABS positiv
oder negativ, 19S-(IgM)-FTA-ABS negativ
Liquor: TPHA positiv, VDLR positiv oder negativ,
FTA-ABS positiv, ITpA-Index > 2
z Progressive Paralyse Serum: TPHA positiv, VLDR negativ, FTA-ABS positiv
oder negativ, 19S-(IgM)-FTA-ABS negativ
Liquor: TPHA positiv, VDLR positiv oder negativ,
FTA-ABS positiv, ITpA-Index > 2

9.3.3 Øtiopathogenese

Neurolues entsteht durch die Ausbreitung des Lueserregers im


Gehirn und/oder anderen Regionen des Nervensystems. Der Er-
reger kann wåhrend der Primår- oder der Sekundårphase der
Infektion in das Nervensystem gelangen. Die pathophysiologi-
schen Zusammenhånge im Hinblick auf die Entwicklung der
302 z 9 Infektionen des Nervensystems

unterschiedlichen Symptomkomplexe sowie der teilweisen lan-


gen Latenzphasen ist weiterhin unklar. Wåhrend die Neurolues
vor der Einfçhrung des Penizillins ein håufiges Krankheitsbild
in der neurologischen Praxis war, ist sie heute relativ selten ge-
worden.

9.3.4 Therapie

Die Therapie der Wahl ist auch bei der Neurolues eine långer-
fristige Antibiotikabehandlung, die fçr alle Formen identisch
ist. Die Indikation zur Einleitung einer Behandlung wird (auch
bei unauffålliger Klinik) bei folgenden Befundkonstellationen
gesehen:
z Nachweis von positiven IgM-Antikærpern im Absorptionstest
[19S-(IgM)-FTA-ABS] im Serum (Patient bisher unbehan-
delt),
z positiver Luesserologie und Liquorpleozytose (auch ohne
spezifische Testreaktion),
z typische Befundkonstellation in der spezifischen Liquorun-
tersuchung (VLDR und/oder FTA-ABS im Liquor positiv),
z Anstieg des IgM-Titers oder des intrathekalen IgG im Liquor
bei Verlaufsuntersuchungen.

Die Prognose hångt im Wesentlichen von der Dauer der Er-


krankung ab und ist fçr die Lues cerebrospinalis besser als fçr
die progressive Paralyse oder die Tabes. Grundsåtzlich muss
jedoch mit bleibenden Defekten bei çber 50% der Erkrankten
gerechnet werden. Penicillin G ist auch weiterhin das Antibioti-
kum der Wahl. Entscheidend fçr die erfolgreiche Therapie der
Neurolues ist das Erreichen der notwendigen Konzentration im
Liquor (0,03 U/ml Liquor). Die frçhere Empfehlung der i.m.-
Einmalgabe wird daher inzwischen kritisch gesehen. Folgendes
Therapieschema sollte eingehalten werden:
z Mittel der ersten Wahl: i.v.: Penicillin G: 6 ´ 4 Mio. I.E. fçr 14
Tage.
z Mittel der zweiten Wahl: i.v.: Ceftriaxon (Rocephin, 1 ´ 2 g)
fçr 14 Tage.
a 9.4 Neuroborreliose (Lyme-Borreliose, Bannwarth-Syndrom) z 303

Alternativ kommen noch Cephalosporine III wie Ceftriaxon (Ro-


cephin) in Betracht. Die Gabe von Erythromycin wird nicht mehr
empfohlen. Der Therapieerfolg sollte durch eine Kontrollunter-
suchung von Serum und Liquor nach 6, 12 und 24 Monaten
çberprçft werden. Wird bei einer Kontrolluntersuchung im Li-
quor eine unverånderte Pleozytose mit Proteinerhæhung, ein un-
verånderter oder gestiegener VDRL-Titer oder IgM-Titer nach-
gewiesen, muss die Antibiotikatherapie wiederholt werden.
Cave bei Einleitung der Therapie: Es kann zu einer Jarisch-
Herxheimer-Reaktion in den ersten 24 h (durch Freisetzung
von Endotoxinen) mit folgenden Symptomen kommen: Fieber,
Schçttelfrost, Tachykardie, Schock, keine allergische Reaktion,
daher kein Ab- bzw. Umsetzen des gewåhlten Antibiotikums,
sondern Antipyretika, Bettruhe und ggf. Prednison.

9.4 Neuroborreliose
(Lyme-Borreliose, Bannwarth-Syndrom) [ICD 10: A 69.2]

9.4.1 Definition und Epidemiologie


Neuroborreliose ist eine Infektion des Nervensystems mit der
Spirochåte Borrelia burgdorferi, die durch Zecken (Ixodes rici-
nus, Holzbock) çbertragen wird. Die Borreliose ist weltweit ver-
breitet und zeigt in Deutschland eine Seropråvalenz von ca.
2±7% in der allgemeinen Bevælkerung und bis zu 30% bei ge-
fåhrdeten Personen (Waldarbeiter). Unklar ist jedoch, wie hoch
der Prozentsatz der Patienten ist, die nach einer Infektion tat-
såchlich erkranken. Von den erkrankten Patienten wiederum
entwickeln etwa 10±15% neurologische Symptome.

9.4.2 Klinik und Diagnostik


Klinisch werden bisher 3 Stadien unterschieden. Diese Eintei-
lung wird jedoch zunehmend wieder verlassen, da bei vielen
Patienten der Zeitpunkt der Infektion nicht bekannt ist.
304 z 9 Infektionen des Nervensystems

z Im 1. Stadium (Tage bis wenige Wochen) tritt typischerweise


(aber nicht immer) ein ringfærmiges Erythem, das Erythema
chronicum migrans, um die Bissstelle herum auf, das sich in
den darauffolgenden 3±4 Wochen wieder zurçckbildet. Diese
Phase wird von grippeåhnlichen Symptomen wie Fieber,
Kopf-, Gelenk- und Muskelschmerzen sowie Abgeschlagen-
heit, jedoch nicht von neurologischen Ausfållen begleitet.
z Im 2. Stadium (mehrere Wochen) kann es dann zu radikulå-
ren Schmerzen, peripheren Paresen mit Reflexabschwåchun-
gen und ± seltener ± sensiblen Ausfållen kommen. Bis zu
60% der Patienten entwickeln Hirnnervenausfålle, insbeson-
dere des N. facialis, die håufig bilateral vorkommen. In selte-
nen Fållen treten ferner Meningitiden, Enzephalitiden oder
Myelitiden auf. Borrelieninduzierte Meningitiden sind in Eu-
ropa wesentlich håufiger bei Kindern als bei Erwachsenen zu
beobachten.
z Das 3. Stadium (Monate bis Jahre), das nicht zwangslåufig
folgt, ist durch das Auftreten von chronischen Gelenkschmer-
zen (Lyme-Arthritis), chronischen Polyneuropathien, zereb-
ralen Vaskulitiden oder chronisch-progredienten Enzephalo-
myelitiden gekennzeichnet.

Die serologische Diagnostik ist aufgrund der hohen Seropråva-


lenz in der Bevælkerung sowie Kreuzreaktion zu anderen Spiro-
chåten (insbesondere Lues) nicht einfach zu interpretieren. IgM-
Titer sind nur bei etwa 50% der akuten Infektionen nachweisbar
oder kænnen, sofern vorhanden, çber bis zu 2 Jahre persistieren
und damit eine akute Infektion vortåuschen. Wesentlich aus-
sagekråftiger ist jedoch die Liquordiagnostik. Ein fehlender
Nachweis von spezifischen Antikærpern in Serum und Liquor
macht eine Neuroborreliose unwahrscheinlich. Folgende Liquor-
befunde deuten spezifisch auf eine aktive Neuroborreliose:
z lymphozytåre Pleozytose mit aktivierten B-Lymphozyten,
z deutlich erhæhter Albumin-Quotient als Ausdruck der Schran-
kenstærung,
z intrathekale IgM-Synthese bei der akuten Form,
z intrathekale IgG- und IgA-Synthese bei chronischem Verlauf,
z Borrelienspezifische Antikærpertiter im Liquor mindestens
2fach hæher als im Serumtiter.
a 9.5 Herpes zoster z 305

9.4.3 Øtiopathogenese

Obwohl Ûbertragungsweg und Art der Verbreitung inzwischen


bekannt sind, sind die pathophysiologischen Hintergrçnde der
spezifischen Organaffektionen weitgehend unklar.

9.4.4 Therapie

Auch wenn in den meisten Fållen (Stadium 1 und 2) mit einer


Spontanheilung gerechnet werden kann, ist eine antibiotische
Therapie dringend empfohlen. Wåhrend die Therapie des 1.
Stadiums mit oralem Doxycyclin (2 ´ 100 g/Tag) fçr 2±3 Wochen
erfolgt, sollten das 2. und 3. Stadium i.v. mit einem Cephalo-
sporin der 3. Generation behandelt werden: Ceftriaxon (Roce-
phin) 1 ´ 2 g/Tag oder Cefotaxim (z. B. Claforan) 3 ´ 2 g/Tag, fçr
jeweils 14 Tage. Die Prognose richtet sich auch hier nach der
vorangegangenen Dauer der Erkrankung und ist fçr die ersten
beiden Stadien gut.

Andere virale Infektionen des Nervensystems

9.5 Herpes zoster [ICD 10: G 05.1]

9.5.1 Definition und Epidemiologie

Zu einer Herpes-zoster-Infektion kommt es durch Reaktivie-


rung latenter, in Spinalganglien (Gçrtelrose) oder Ganglien der
Hirnnerven gelegener Varizella-zoster-Viren (Zoster ophthalmi-
cus, Zoster oticus). Der Zoster ist mit einer Inzidenz von 2±3
pro 1000 Einwohner und Jahr eine håufige Erkrankung.
306 z 9 Infektionen des Nervensystems

9.5.2 Klinik und Diagnostik

Neben den charakteristischen Hauteffloreszenzen mit typisch


gruppierten Papeln und Blåschen stellen die reiûenden und
stechenden Schmerzen das fçr den Patienten unangenehmste
Symptom dar. Bei mehr als der Hålfte aller Patienten sind tho-
rakale Dermatome betroffen, insbesondere Th 5 bis Th 10. Ne-
ben den Schmerzen kænnen Mono- oder Oligoneuropathien mit
begleitenden Paresen auftreten. Bei ålteren Patienten kænnen
sich ferner çber Monate bis Jahre anhaltende neuralgiforme
Schmerzen (postherpetische Neuralgie) entwickeln. Sind die
Ganglien der Hirnnerven betroffen, kann die Symptomatik we-
sentlich komplexer aussehen. Beim Befall des 1. Trigeminusas-
tes ist neben dem versorgenden Gesichtsdermatom håufig auch
das Auge mitbetroffen und kann neben Iritiden und Keratitiden
auch Stærungen der Augenmotorik zeigen. Fazialisparesen und
Schmerzen im Bereich des Ohrs lassen einen Befall des Gang-
lion geniculi vermuten und kænnen darçber hinaus mit Ge-
schmacks- und Gleichgewichtsstærungen einhergehen. Unter
bestimmten Voraussetzungen (z. B. Immunsuppression) kann es
auch zu einer systemischen Ausbreitung kommen, die lebens-
bedrohlich werden kann.

9.5.3 Øtiopathogenese

Die im Rahmen einer frçheren Infektion (Windpocken) erwor-


benen Varizella-zoster-Viren kænnen latent in den Spinalgang-
lien oder Ganglien der Hirnnerven persistieren. Durch endoge-
ne oder exogene Faktoren stimuliert werden die Viren durch
axonalen Transport in das von dem entsprechenden Ganglion
versorgte Hautareal transportiert, wo sie dermatologische und
neurologische Symptome, insbesondere Schmerzen verursa-
chen. Bei ålteren Patienten kann ein Zoster auch im Rahmen
oder als Frçhsymptom einer Neoplasie in Erscheinung treten.
a 9.6 Neurologische Erkrankungen bei HIV-Infektionen z 307

9.5.4 Therapie

Seit der Einfçhrung des Virustatikums Aciclovir (z. B. Zovirax)


ist der Einsatz anderer Substanzen ± von nachgewiesenen Unver-
tråglichkeiten gegen Aciclovir abgesehen ± nicht mehr gerecht-
fertigt. Neben der oralen (5 ´ 800 mg/Tag fçr 5±10 Tage) steht eine
parenterale Darreichungsform fçr schwere Verlåufe zur Verfç-
gung (5 mg/kg KG alle 8 h i.v. fçr 5±10 Tage). Zwar kann durch
den frçhzeitigen Einsatz von Aciclovir das Auftreten der
Schmerzsymptomatik vermindert, jedoch nicht immer verhin-
dert werden, sodass eine spezifische Schmerztherapie trotzdem
notwendig ist. In leichten Fållen sollten zunåchst herkæmmliche
Analgetika wie Aspirin oder Paracetamol zum Einsatz kommen.
Mittel der Wahl zur Behandlung starker oder hartnåckiger
Neuralgien ist Carbamazepin (z. B. Tegretal, Timonil, Sirtal),
das langsam einschleichend bis zu einer Dosis von 600±1200
mg/Tag gegeben werden sollte. Alternativ kann Phenytoin (z. B.
Zentropil, Phenhydan, Epanutin, Citrullamon) 300±400 mg/Tag,
Gabapentin (z. B. Neurontin 800±3600 mg) oder Topiramat (To-
pamax¾ 50±200 mg) eingesetzt werden. Schon frçh sollte eine
adjuvante Schmerztherapie mit trizyklischen Antidepressiva wie
Amitriptylin (z. B. Saroten) bis 75 mg/Tag, oder Clomipramin
(Anafranil) bis 75 mg/Tag begonnen werden.

9.6 Neurologische Erkrankungen bei HIV-Infektionen

9.6.1 Definition und Epidemiologie

Neurologische Syndrome treten im Rahmen einer HIV-Infekti-


on durch Erkrankungen des zentralen oder peripheren Nerven-
systems sowie der Muskulatur durch die Ausbreitung opportu-
nistischer Infektionen sowie die Entstehung intrazerebraler
Neoplasien auf. Fast jeder HIV-Patient erkrankt im Verlauf
seiner Infektion an einer neurologischen Erkrankung. Darçber
hinaus treten nicht selten neurologische Symptome als Neben-
wirkung antiretroviraler Medikamente auf.
308 z 9 Infektionen des Nervensystems

9.6.2 Klinik und Diagnostik

Klinisch-pragmatisch kann zwischen den HIV-assoziierten Er-


krankungen des zentralen und des peripheren Nervensystems,
opportunistischen Infektionen und Neoplasien des Nervensys-
tems unterschieden werden.

z Zentrales Nervensystem. Håufigste neurologische HIV-Kompli-


kation des zentralen Nervensystems ist die HIV-Enzephalopathie
(Aids-Demenz-Komplex) und bildet sich im Verlauf der Erkran-
kung bei çber der Hålfte aller Patienten aus. Klinisch treten zu-
nåchst Konzentrationsstærungen, Schwåche des Kurzzeitgedåcht-
nisses, Koordinationsstærungen oder Verhaltensauffålligkeiten
(Apathie, Affektlabilitåt) in den Vordergrund. Vereinzelt treten
demenzielle Symptome sogar als Erstsymptom der eigentlichen
HIV-Infektion auf. Auûerdem treten aseptische Meningitiden ty-
pischerweise im Anfangsstadium auf, die neben Kopfschmerzen,
leichter Nackensteifigkeit und allgemeinen Krankheitssympto-
men auch Hirnnervenparesen (Fazialis) zeigen, die sich jedoch
spontan nach einigen Wochen wieder zurçckbilden. Eine weitere
schwerwiegende Erkrankung ist die vakuolåre Myelopathie, die
zu einer spastischen Paraparese fçhren kann.

z Peripheres Nervensystem. Polyneuropathien (am ehesten distal


symmetrisch, axonal) sind die håufigsten peripher-neurologi-
schen Manifestationen der HIV-Infektion. Sie treten unabhångig
vom Stadium der Grunderkrankung in 15±35% der Infektionen
auf, kænnen jedoch nicht immer von medikamentæs verursachten
Polyneuropathien abgegrenzt werden. Die antiretroviralen Medi-
kamente DDI (Didanosin), DDC (Zalcitabin) und D4T (Stavudin)
fçhren ebenfalls in 15±20% der Fålle zu Polyneuropathien und
sollten daher bei sicheren Anzeichen einer Affektion des periphe-
ren Nervensystems abgesetzt bzw. ausgetauscht werden. Bei einer
Besserung der Symptomatik ist eine Medikamentennebenwir-
kung anzunehmen. Verschlechtern sich die Symptome jedoch
weiterhin, so ist eher von einer HIV-Polyneuritis auszugehen.
Bei erstmaligem Auftreten polyneuropathischer Symptome wie
Kribbelparåsthesien, Hyp- oder Dysåsthesien sollten neurophy-
siologische Ausgangswerte (insbesondere sensible und motori-
a 9.6 Neurologische Erkrankungen bei HIV-Infektionen z 309

sche Neurographie) erhoben werden, um die Defizite objektivie-


ren zu kænnen und Ausgangsdaten zur Verlaufsbeobachtung zu
haben. Ferner muss eine CMV-Infektion ausgeschlossen werden.
In bis zu 50% kænnen die Polyneuropathien auch mit schmerz-
haften Missempfindungen einhergehen. Als weitere Affektion
des peripheren Nervensystems werden Polyradikulitiden (Guil-
lain-Barr-Syndrom) zu Beginn der Infektion beobachtet. Verein-
zelt treten auch chronisch-inflammatorische demyelinisierende
Neuropathien (CIDP) auf. Auch Myopathien sind bei ca. 5%
der Patienten zu beobachten und kænnen in allen Phasen der Er-
krankung in Erscheinung treten. Diese kænnen ebenfalls medika-
menteninduziert sein. Tabelle 9.7 gibt eine Ûbersicht çber die
håufigsten HIV-assoziierten neurologischen Erkrankungen in
den einzelnen Erkrankungsphasen.

z Opportunistische Infektionen
Opportunistische Infektionen und Neoplasien des Nervensystems
sowie zerebrovaskulåre Stærungen sind als ¹indirekteª Komplika-
tionen meist Ausdruck eines fortgeschrittenen Krankheitsstadi-
ums. Die ZNS-Toxoplasmose, die Kryptokokkenmeningitis und
die Zytomegalievirus-Enzephalitis sind die håufigsten opportu-
nistischen ZNS-Infektionen und das ZNS-Lymphom die håufigste
Neoplasie. Die klinische Symptomatik ist vielfåltig, wobei zu Be-
ginn v. a. fokale neurologische Ausfålle oder auch fokale Krampf-
anfålle im Vordergrund stehen. Håufig bleibt die differenzialdiag-
nostische Einordnung jedoch trotz Neuroradiologie und Liquor-
diagnostik schwierig, sodass die Diagnose nur durch eine Hirn-
biopsie oder ± soweit mæglich ± ex juvantibus gestellt werden
kann. Grundsåtzlich gilt hier, dass bei rechtzeitiger Diagnose
zur Behandlung der meisten opportunistischen Erreger potente
Medikamente zur Verfçgung stehen, die in den meisten Fållen
eine Ausheilung erreichen (Tabelle 9.8).
Eine gefçrchtete opportunistische Infektion ist die progressi-
ve multifokale Leukencephalopathie, die durch das J-C-Virus
verursacht wird. Die Sicherung der Diagnose erfolgt dem Vi-
rus-Nachweis im Liquor in Verbindung mit MRI und ggf. Hirn-
biobsie. Ein wirksames Medikament ist nicht bekannt. Die PML
fçhrt håufig nach wenigen Monaten zum Tod.
310 z 9 Infektionen des Nervensystems

z Neoplasien des Nervensystems


Aus neurologischer Sicht sind 3 Neoplasien, die im Rahmen
der HIV-Infektion entstehen kænnen, relevant:
z Primåres ZNS-Lymphom (meist B-Zell-Lymphome): Klinisch
wird es håufig durch wiederholte neurologische Ausfålle und
fokale Krampfanfålle apparent. Die Anamnese ist zumeist
kurz (wenige Wochen), wobei die Diagnose auch in der kra-
nialen Bildgebung (CCT/NMR und KM) nicht immer eindeu-
tig bzw. nicht ausreichend darstellbar ist. Wenn mæglich soll-
te vor der Therapieeinleitung ± sofern die Diagnose unklar
ist ± eine stereotaktische Gewebeentnahme erfolgen, um die
Diagnose zu sichern.

Tabelle 9.7. HIV-assoziierte Erkrankungen des Nervensystems in den einzelnen


Phasen der HIV-Infektion (PNS = peripheres Nervensystem)

Phase Erkrankung

z Latenzphase ZNS
Aseptische Meningitis
(Enzephalopathien, Demenz-Komplex)
PNS
Polyradikulitis
Myopathien
z ARC ZNS
(Aids-related complex) Enzephalopathien (Demenz-Komplex)
(Vakuolåre Myelopathie)
PNS
Polyradikulitis
Myopathien
Mononeuritis multiplex
Polyneuropathien
z Vollbild ZNS
Enzephalopathien (Demenz-Komplex)
Vakuolåre Myelopathie (spastische Paraparese)
PNS
Myopathien
Mononeuritis multiplex
Polyneuropathien
a 9.6 Neurologische Erkrankungen bei HIV-Infektionen z 311

z Systemische Non-Hodgkin-Lymphome mit sekundårem Befall


des ZNS: Klinisch pråsentieren sich diese Lymphome auf
neurologischem Gebiet mit Polyradikulopathien oder Hirn-
nervenausfållen. Diagnostisch kann die Liquoruntersuchung
durch die Pråsenz atypischer Zellen hilfreich sein. Im CCT
und NMR zeigen sich ferner basale meningeale Anreicherun-
gen, periventrikulåre KM-aufnehmende Låsionen mit diffu-
sem periventrikulårem KM-Enhancement.
z Kaposi-Sarkome mit intrazerebraler Metastasierung oder Infil-
tration in den Armplexus; beide Komplikationen sind jedoch
relativ selten und kænnen nur durch Biopsien belegt werden.

9.6.3 Øtiopathogenese

Das Nervensystem ist im Rahmen einer HIV-Infektion in direk-


ter und indirekter Weise betroffen. Auch wenn bisher eine di-
rekte Schådigung von Neuronen durch das HIV nicht belegt
werden konnte, scheint die Freisetzung neurotoxischer Produkte
aus Makrophagen und Monozyten Nervenzellen schådigen zu
kænnen. Typisch neurologische Komplikationen der HIV-Infek-
tion wie aseptische Meningitiden, Meningoenzephalitiden, En-
zephalopathien, Myelopathien, Polyneuropathien und Myopa-
thien entstehen wahrscheinlich auf dem Boden derartiger Pro-
zesse. Indirekte Schådigungen des Nervensystems werden durch
opportunistische Erreger oder ZNS-Neoplasien verursacht. Op-
portunistische Infektionen des ZNS treten håufig erst bei nied-
rigen CD4-Zellzahlen unter 200/ll bzw. unter 50/ll auf.

9.6.4 Therapie

Die allgemeine (antivirale) Therapie der HIV-Infektion erfolgt


inzwischen durch eine Zweifach- bzw. Dreifach-Therapie. Wåh-
rend die therapeutischen Mæglichkeiten zur Behandlung der
neurologischen HIV-assoziierten Erkrankungen beschrånkt
sind, kænnen die meisten opportunistischen Infektionen gut be-
handelt werden. Grundsåtzlich kann hier gelten, dass die Indi-
kation zur medikamentæsen Therapie jeder Infektion sofort be-
Tabelle 9.8. Ûbersicht çber die håufigsten opportunistischen Erreger, die typische Symptomatik sowie die notwendige Diagnostik
312
z

Erreger Håufigkeit Symptome Notwendige Diagnostik bei Verdacht

z Zytomegalievirus Bis 30% ± Diffuse Enzephalitis oder ± Zu Lebzeiten schwer zu sichern


Meningoenzephalitis ± CMV-IgM- und IgG-Antikærper in Liquor
± In 1% auch als Polyradikuloneuritis, und Serum
dann mit charakteristischen Symptomen ± pp65-Antigen
wie subakuter Beginn mit aufsteigender ± IgG-Liquor-Serum-Quotient
Hypåsthesie, Muskelschwåche und ± Im CCT und NMR unspezifische
Rçckenschmerzen Verånderungen
± Liquorpleozytose mit neutrophilen
Granulozyten
z Toxoplasma gondii 5±20% ± Akute oder subakute fokale Enzephalitis ± CD4-Zellzahl < 200/ll?
9 Infektionen des Nervensystems

mit fokalen neurologischen Ausfållen ± CCT mit und ohne Kontrastmittel (KM):
± Kopfschmerzen typische multifokale ringfærmige KM-
± Fieber aufnehmende, zentrale hypodense Låsionen
± fokale Anfålle ± Toxoplasmose-Serologie nicht hilfreich,
da 80% der allgemeinen Bevælkerung positiv
± u. U. Liquoranalytik: Bestimmung spezifischer
IgM-Antikærper
± Diagnosestellung auch ex juvantibus nach
erfolgreicher Therapie (MR-Kontrolle!)
a

Erreger Håufigkeit Symptome Notwendige Diagnostik bei Verdacht

z Kryptokokken 2±13% ± Meningitis mit kurzer Anamnese von ± CCT, NMR, Liquor håufig unauffållig,
Fieber, Ûbelkeit, Erbrechen basales KM-Enhancement mæglich
± Typisch: rasche Bewusstseinstrçbung ± Nachweis der Kryptokokken durch
± Vereinzelt epileptische Anfålle und India-ink-Fårbung in 75%
Hirnnervenausfållen ± Kryptokokusantigen ist annåhernd zu 100%
± Cave: håufig fehlender Meningismus positiv in Serum und Liquor
± Kultur aus Liquor und Serum
z JC-Virus 2±5% ± Progressive multifokale Leukenzephalo- ± PCR-Nachweis des JC-Virus im Liquor
pathie (PML) ± Im NMR einzelne oder multifokale Låsionen
± Subakute Entwicklung fokaler neurolo- der weiûen Substanz ohne KM-Anreicherung,
gischer Defizite ohne Fieber Ausschluss anderer opportunistischer
± schnelle Progredienz mit infauster Prognose Infektionen
und letalem Ausgang innerhalb
von Wochen bis Monaten
z Herpes-zoster- 2±5% ± Zosterradikulopathie, v. a. thorakal ± IgG- und IgM- Konzentrationen und
und -simplex-Virus ± Zosterenzephalitis, -myelitis und Titeranstiege im Serum und Liquor
Optikusneuritis sind selten ± IgG-Liquor/-Serum-Quotient
± Herpesenzephalitis ± PCR auf Herpes zoster und simplex im Liquor
± Herpesmyelitis, Meningoradikulitis
9.6 Neurologische Erkrankungen bei HIV-Infektionen

und Optikusneuritis
z
313
Tabelle 9.8 (Fortsetzung)
314
z

Erreger Håufigkeit Symptome Notwendige Diagnostik bei Verdacht

z Neurolues 1,8±2,5% ± Meningitis, Hirnnervenparesen, Poly- ± TPHA und VRDL


radikulopathie, Spåtstadien sind selten ± Liquor/Serum-Quotient von TPHA und
unspezifischem IgG
± Liquor ist aber håufig unspezifisch veråndert
± positive frçhere Anamnese
z Mycobacterium 10% der HIV- ± Meningitis mit gleichen Symptomen ± Gesamteiweiû ist im Liquor in 60% erhæht
tuberculosis Patienten mit wie bei der tuberkulæsen Meningitis bis 100±500 mg/dl
Tuberkulose immunkompetenter Patienten ± Initial 25±50% granulozytåre, innerhalb von
(s. auch Abschn. 9.1) 1 Woche lymphozytåre Pleozytose
mit bis zu 500 Zellen/ll
9 Infektionen des Nervensystems
a 9.6 Neurologische Erkrankungen bei HIV-Infektionen z 315

Tabelle 9.9. Therapeutische Maûnahmen bei Auftreten HIV-assoziierter Erkrankungen

Erkrankung Therapie

z HIV-Enzephalopathie Zidovudine (AZT, Retrovir) 5 ´ 200 mg/Tag bis


4 ´ 500 mg/Tag, alternativ D4T (Stavudin, Zerit)
2 ´ 40 mg/Tag
z Vakuolåre Myelopathie Symptomatisch: Baclofen (Lioresal) 3 ´ 5 mg/Tag
bis 3 ´ 20 mg/Tag bei Spastik
z Distale, symmetrische, Absetzen mæglicherweise toxisch wirkender Sub-
sensomotorische stanzen. Symptomatisch, sofern Schmerzen bestehen:
Polyneuropathie Amitriptylin (z. B. Saroten retard) 1±4 ´ 25 mg/Tag,
alternativ Carbamazepin (z. B. Tegretal retard,
Timonil retard) 2 ´ 200 mg/Tag bis 3 ´ 200 mg/Tag
z Akute oder chronische Keine kontrollierten Studien, Mæglichkeiten
inflammatorische der Therapie mit Plasmapherese, Immunglobulinen
demyelinisierende (z. B. Sandoglobin 5 ´ 6 g/Tag i.v. çber 5 Tage),
Polyneuropathie Kortikosteroiden (z. B. 5 Tage 100 mg Prednison
(Decortin) oral in anschlieûender ausschleichender
Dosierung)
z Myopathie Zidovudine (AZT, Retrovir) absetzen, Prednison
20±40 mg/Tag oral bis zur Besserung

steht, da die meisten Infektionen bei rechtzeitiger und richtiger


Therapieeinleitung ausheilen. Tabelle 9.9 gibt einen Ûberblick
çber die Therapiemaûnahmen HIV-assoziierter Erkrankungen
im neurologischen Bereich, Tabelle 9.10 çber die Pharmakothe-
rapie der verschiedenen opportunistischen Infektionen.

z Spezielle Therapie der HIV-assoziierten


malignen Erkrankungen des Nervensystems
Das primåre ZNS-Lymphom wird zusåtzlich mit Dexamethason
(z. B. Fortecortin) in einer oralen Dosis von 12±24 mg/Tag be-
handelt. Nach Diagnosesicherung kann eine Ganzhirnbestrah-
lung mit einer Dosis von 40 Gy innerhalb von 3 Wochen folgen.
Als Erhaltungstherapie dienen dann 4±12 mg/Tag Dexametha-
son oral. Die Behandlung der neurologischen Manifestation
systemischer Non-Hodgkin-Lymphome sieht in Abstimmung
316 z 9 Infektionen des Nervensystems

Tabelle 9.10. Therapie der opportunistischen Infektionen

Opportunistische Infektion Medikamentæse Therapie

z Toxoplasmose- Therapie bereits bei Verdacht oder diagnostisch


enzephalitis nicht klårbarer Raumforderung:
Akute Phase: Pyrimethamin (Daraprim) 100 mg/Tag
oral fçr 3 Tage, dann 3 ´ 25 mg/Tag oral + Sulfadiazin
(Adiazine) 3 ´ 2 g/Tag oral + Folinsåure (Leucoverin)
15 mg/Tag oral;
alternativ: Pyrimethamin (Daraprim) + Clindamycin
(Sobelin) 4 ´ 300±600 mg/Tag oral fçr 6 Wochen
Erhaltungstherapie: Pyrimethamin (Daraprim)
25±50 mg/Tag oral + Sulfadiazin (Adiazine) 4 ´ 0,5 g/Tag
oral + Folinsåure (Leucoverin) 7,5 g/Tag oral,
alternativ: Pyrimethamin (Daraprim) + Clindamycin
(z. B. Sobelin) 4 ´ 600 mg/Tag oral + Folinsåure
(Leucoverin)
z Kryptokokken- Akute Phase: Amphotericin B (AmBisome) 0,4±1,0 mg/
meningitis kg/Tag i.v. + Flucytosin (Ancotil) 150 mg/kg/Tag oral in
4 Dosen fçr 6 Wochen
Erhaltungstherapie: Fluconazol (Diflucan) 200 mg/Tag
oral oder Amphotericin B (AmBisome)
100 mg/Woche i.v.
z Zytomegalievirus- Akute Phase: Ganciclovir (Cymeven) 10 mg/kg/Tag i.v.
enzephalitis und oder Foscarnet (Foscavir) 3 ´ 60 mg/kg/Tag i.v. oder Cido-
Polyradikulopathie fovir (Vistide) 5 mg/kg/1-mal/Woche i.v. + Probenecid
(Benemid) 2 g i.v. 3 h vor Cidofovir- und 1 g 2 h und
8 h nach Cidifovir-Gabe + 1 l NaCl-
Læsung unmittelbar vor Gabe von Cidofovir (cave:
Nephrotoxizitåt!)
Erhaltungstherapie: Ganciclovir (Cymeven) 5 mg/kg
5 Tage/Woche i.v. oder Foscarnet (Foscavir) 120 mg/kg/
Tag i.v.
z Herpes-simplex- Akute Phase: Aciclovir (z. B. Zovirax) 15±30 mg/kg/Tag
oder Herpes-zoster- i.v. fçr 10 Tage, bei Aciclovir-resistenten Ståmmen:
Infektionen Vidarabine 15 mg/kg/Tag i.v. oder Foscarnet (Foscavir)
3 ´ 60 mg/kg/Tag i.v. oder Cidofovir (Vistide) 5 mg/kg
1-mal/Woche i.v. (s. Zytomegalievirus-Infektionen)
Brivudin (Helpin) 4 ´ 125 mg/Tag gegen Herpes-simplex-
Virusinfektionen HSV Typ I (nicht bei Typ II!)
Famciclovir (Famvir) 3 ´ 250 mg/Tag oral gegen
Herpes zoster
a 9.6 Neurologische Erkrankungen bei HIV-Infektionen z 317

Tabelle 9.10 (Fortsetzung)

Opportunistische Infektion Medikamentæse Therapie

z Neurosyphilis Penicillin G 6.4 Mio.


I.E./Tag i.v. fçr 14±21 Tage,
Alternativen s. Abschn. 9.3
z Tuberkulæse Meningitis s. Abschn. 9.3
z Infektion Akute Behandlung: Clarithromycin (z. B. Mavid)
durch atypische 2±4 ´ 500 mg/Tag oral + Ethambutol (z. B. Myambutol)
Mykobakterien 3 ´ 400 mg/Tag oral, wenn darunter keine Besserung:
Clarithromycin (z. B. Mavid) 4 ´ 500 mg/Tag oral
+ Ethambutol (Myambutol) 3 ´ 400 mg/Tag oral
+ Rifabutin (z. B. Mycobutin) 1 ´ 300 mg/Tag oral,
wenn darunter keine Besserung: Amikacin (Biklin)
15 mg/kg/Tag oral + Ofloxacin (Tarivid)
3 ´ 200 mg/Tag oral + Ethambutol (Myambutol)
1 ´ 1200 mg/Tag oral + Clarithromycin (Mavid)
1 ´ 1200 mg/Tag oral
Erhaltungstherapie: Clarithromycin (Mavid)
2 ´ 500 mg/Tag oral + Ethambutol (Myambutol)
3 ´ 400 mg/Tag oral

mit der systemischen Behandlung eine kraniospinale Strahlen-


therapie und eine intrathekale Chemotherapie vor.

9.6.5 Das Neuste

Bei der bisher infaust verlaufenen PML sind erstmals Therapie-


erfolge unter einer Therapie mit Cytarabin berichtet worden.
Therapieresistente Schmerzen nach Zosterinfektionen kænnen
versuchsweise mit intrathekalem Kortison behandelt werden.

9.6.6 Weiterfçhrende Literatur


Schmutzhard E (2000) Entzçndliche Erkrankungen des Nervensystems.
Thieme, Stuttgart
Tunkel AR et al. (2004) Practice Guidelines for the management of bac-
terial meningitis. Clin Infect Dis 39:1267±1284
10 Stærungen
der neuromuskulåren Ûberleitung
Min-Suk Yoon, Volker Limmroth

10.1 Myasthenia gravis [ICD 10: G 70]

10.1.1 Definition und Epidemiologie

Myasthene Syndrome beruhen auf einer Stærung der neuromus-


kulåren Erregungsçbertragung. Grundsåtzlich kænnen åtiolo-
gisch autoimmune von kongenitalen und toxischen myasthenen
Syndromen unterschieden werden. Tabelle 10.1 gibt einen kurzen
Ûberblick çber die Erkrankungen der neuromuskulåren Ûberlei-
tungen. Die håufigste Form des myasthenen Syndroms ist die
autoimmunologische Myasthenia gravis, bei der Autoantikærper
gegen nikotinische Acetylcholinrezeptoren an der neuromuskulå-
ren Endplatte gebildet werden. Das Kardinalsymptom der Myas-
thenia gravis ist eine abnorme, belastungsabhångige Ermçdbar-
keit der Skelettmuskulatur, die im Tagesverlauf zunehmen und
sich nach Ruhepausen bessern kann. Grundsåtzlich kann die Er-
krankung in jedem Lebensalter auftreten. Håufig wird sie jedoch
in hæherem Alter diagnostiziert. Die Pråvalenz liegt zwischen
320 z 10 Stærungen der neuromuskulåren Ûberleitung

Tabelle 10.1. Stærungen der neuromuskulåren Ûberleitung

Øtiologie Erkrankung

Autoimmun z Myasthenia gravis pseudoparalytica


z ¹Seronegativeª Myasthenia gravis
z Myasthenes Lambert-Eaton-Syndrom
Kongenital z Stærung der Acetylcholinsynthese
z Mutationen der Acetylcholinesterase an der Endplatte
z Mutationen von Untereinheiten des Acetylcholinrezeptors
Toxisch z Botulismus
z Vergiftung mit z. B. irreversiblen Cholinesteraseinhibitoren
(Insektizide, z. B. E605)
z Medikamente

3±10 pro 100 000 Einwohner, wåhrend sich die Inzidenz zwischen
0,25 und 2,0 pro 100 000 Einwohner bewegt. In bis zu 14% der
Fålle sind Kinder unter 16 Jahren betroffen. Im Verhåltnis von
3 : 2 erkranken Frauen etwas håufiger als Månner.

10.1.2 Klinik und Diagnostik

Patienten mit Myasthenie klagen çber rasche Ermçdbarkeit


nach muskulårer Anstrengung. Die muskulåre Schwåche bessert
sich nach einer Ruhephase. Klinisch unterscheidet man eine
rein okulåre Myasthenie, bei der es zu einer Ptose oder zu
Doppelbildern kommen kann, von einer generalisierten Form
mit einer muskulåren Schwåche in allen Extremitåten, die typi-
scherweise im Verlauf des Tages zunimmt. Bei schweren Ver-
laufsformen, bis hin zur sog. myasthenen Krise, kann auch die
Atem-(Hilfs-)Muskulatur betroffen sein, sodass die Patienten
nicht mehr in der Lage sind, ihre respiratorischen Funktionen
aufrechtzuerhalten. Tabelle 10.2 gibt die klinische Einteilung
der Myasthenia gravis wieder.
In der klinischen Evaluation kænnen sich im Tagesverlauf zu-
nehmende Doppelbilder, abnorme Ermçdung proximaler Mus-
kelgruppen unter Belastung ± v. a. in der zweiten Tageshålfte ±,
Schluck- und Kaubeschwerden oder passagere Verschlechterung
a 10.1 Myasthenia gravis z 321

Tabelle 10.2. Klinische Einteilung der Myasthenia gravis

z Typ I: Okulåre Form: Ptose, Doppelbilder


z Typ II a: Okulåre Form mit leichter generalisierter Beteiligung
z Typ II b: Generalisierte Form ohne Beteiligung der Atemmuskulatur
z Typ III: Schwere generalisierte Form mit Ateminsuffizienz
z Typ IV: Schwere chronische Verlaufsform mit Therapieresistenz

der Symptome bei Infekten, Einnahme bestimmter Medikamente


oder zu Zeiten der Menstruation bei Frauen erfragen lassen. In
der neurologischen Untersuchung kann als Ausdruck einer belas-
tungsabhångigen Muskelschwåche eine Zunahme der Doppelbil-
der oder einer Ptose (Simpson-Test) auffallen. Auch bei repetiti-
ver Belastung låsst sich eine vorzeitige Ermçdbarkeit in der Mus-
kulatur feststellen. Ein hilfreicher Test bei unklarer klinischer
Symptomatik ist der Edrophoniumtest. Nach ausgiebiger Belas-
tung wird dem Patienten 1±2 mg Edrophoniumchlorid (Camsi-
lon) injiziert, worauf sich die Schwåche im Falle einer Myasthenia
gravis innerhalb 1 min deutlich bessert. Da unter der Gabe von
Edrophoniumchlorid muskarinartige Nebenwirkungen auftreten
kænnen, sollte wåhrend des Tests Atropin bereitliegen.
Laborchemisch kann der Nachweis von Acetylcholinrezeptor-
Antikærpern (positiv bei ca. 50% mit okulårer Myasthenie, bei
ca. 80% mit generalisierter Myasthenie), Autoantikærper gegen
Skelettmuskulatur (positiv bei etwa 20±30% aller Myasthenie-
patienten) oder des Anti-Titin-Antikærpers richtungweisend
sein. Jedoch schlieût ein negativer Antikærpertest eine Myasthe-
nia gravis nicht vællig aus.
Elektrophysiologisch kann durch supramaximale, repetitive
Nervenstimulation z. B. des M. trapezius ein sog. Dekrement
ausgelæst werden. Dabei ist ein Dekrement > 9% als patholo-
gisch zu werten.
Da rund 10±15% der Myastheniepatienten eine Verånderung
des Thymus zeigen kænnen (Hyperplasie, Tumor), sollte ein
Ræntgen-Thorax und ggf. ein Thorax-CT zur Abklårung eines
Thymoms durchgefçhrt werden. Bei ca. 80% der Myastheniepa-
tienten mit einem Thymom zeigen sich Autoantikærper gegen
322 z 10 Stærungen der neuromuskulåren Ûberleitung

die Skelettmuskulatur. Patienten unter 60 Jahren mit einem po-


sitiven Anti-Titin-Antikærper zeigen eine håufige Assoziation
mit einem Thymom, sodass nach diesem gesucht werden sollte.
Ferner kann die Myasthenia gravis mit anderen Erkrankungen
(Hypothyreose, perniziæse Anåmie, Lupus, Sarkoidose) assozi-
iert sein, daher sollten sie in der diagnostischen Abklårung der
Myasthenie ausgeschlossen werden.

10.1.3 Øtiopathologie

Die Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkrankung, bei der


Antikærper gegen eine Untereinheit des postsynaptischen Ace-
tylcholinrezeptors gebildet werden. Dies fçhrt zu einem funk-
tionellen Verlust verfçgbarer Acetylcholinrezeptoren an der mo-
torischen Endplatte. Wird ein kritisches Maû der Rezeptoren-
dichte unterschritten, kann die kritische Schwelle zur Depolari-
sation der Muskelmembran nicht mehr erreicht werden. Im
fortgeschrittenen Krankheitsstadium kænnen Antikærper und
Komplement Synapsen zerstæren. Grundsåtzlich muss daher be-
dacht werden, dass die Myasthenia gravis unbehandelt eine ±
in unterschiedlichem Ausmaû ± chronisch-progrediente Erkran-
kung ist. Dies erklårt, warum in fortgeschrittenen Fållen die
medikamentæse Therapie schlechter wirksam ist. Die Myasthe-
nie ist auffallend håufig mit anderen Erkrankungen assoziiert.
Bis zu 10±15% aller Myastheniepatienten weisen Schilddrçsen-
erkrankungen auf (Hyper- oder Hypothyreosen, inaktive Stru-
ma oder Thyreoditiden). Bei einem Teil der Patienten besteht
eine Hyperplasie des Thymus, bei bis zu 10±15% der Patienten
ein Thymustumor. Weitere Erkrankungen, die håufig im Zu-
sammenhang mit Myasthenie stehen, sind
z Lupus erythematodes,
z Polymyositis und Dermatomyositis,
z Polyarthritis,
z perniziæse Anåmie,
z Sarkoidose,
z Sjægren-Syndrom,
z Colitis ulcerosa,
z Sneddon-Syndrom.
a 10.1 Myasthenia gravis z 323

Tabelle 10.3. Medikamente, die zur Verschlechterung der Myasthenie fçhren kænnen

z Analgetika Flupirtin
Morphine
z Antibiotika Aminoglykoside
Makrolide
Lincomycine
Gyrasehemmer
Tetrazykline
Sulfonamide
z Antidepressiva Trizyklische Thymoleptika vom Amitriptylin-Typ
z Antikonvulsiva Tranquilizer
Carbamazepin
z Betablocker Pindolol
(auch bei topischer Propranolol
Anwendung) Timolol
z Kalziumantagonisten Verapamil
Diltiazem
Nifedipin
z Diuretika Azetazolamid
Schleifendiuretika
Benzothiadiazine
z Interferon Alphainterferon
z Psychopharmaka (Chlor-)Promazin
Benzodiazepine und Strukturanaloga wie Zolpidem und
Zopiclon

Bei kausaler Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung bil-


den sich håufig die myasthenen Symptome zurçck. Die patho-
physiologischen Zusammenhånge sind nach wie vor noch nicht
vollståndig geklårt. Ferner kann die Applikation von verschie-
denen Medikamenten ebenfalls zu myasthenen Symptomen
fçhren. Tabelle 10.3 gibt eine Liste von Medikamenten wieder,
die eine myasthene Symptomatik verschlechtern kænnen (Liste
ist nicht vollståndig).

10.1.4 Therapie
Nur wenige Pråparate, die in der Praxis seit vielen Jahren mit
Erfolg eingesetzt werden, sind tatsåchlich fçr die Therapie der
324 z 10 Stærungen der neuromuskulåren Ûberleitung

Myasthenia gravis zugelassen. Daher erfordert der Einsatz der


Pråparate im off-label-use eine besondere Aufmerksamkeit. Die
Situation sollte nicht dazu fçhren, den Patienten eine wirksame
und wissenschaftlich gesicherte Therapie vorzuenthalten. In
diesem Zusammenhang kann das Argument angefçhrt werden,
dass die Myasthenia gravis eine schwerwiegende chronische,
die Lebensqualitåt auf Dauer beeintråchtigende Erkrankung mit
potenziell lebensbedrohlichen Exazerbationen ist und dass auf-
grund der Datenlage die begrçndete Aussicht besteht, mit dem
eingesetzten Pråparat einen Behandlungserfolg zu erzielen (Die-
ner 2002).
In der Behandlung der Myasthenia gravis werden zwischen
der reinen symptomatischen Therapie zur Verbesserung der
Symptome und der kausalen Therapie, die immunsuppressiv
und/oder operativ sein kann, unterschieden. Die symptomati-
sche Therapie erfolgt mit Cholinesteraseinhibitoren. Diese Prå-
parate erhæhen die Konzentration von Acetylcholin im synapti-
schen Spalt. Therapie der ersten Wahl fçr die orale Langzeitbe-
handlung ist Pyridostigminbromid (Mestinon, Mestinon retard,
Kalymin), die Tagesdosen kænnen individuell zwischen 200 und
600 mg schwanken. Cholinåre Ûberdosierungserscheinungen
sind bei Dosierung unter 300 mg pro Tag in aller Regel nicht
zu erwarten. Fçr die Nacht kann Pyridostigmin in retardierter
Form gegeben werden. Die Wirkung von Pyridostigmin wird
durch die Substitution von Kalium (z. B. Kalinor Brause) ver-
bessert. Alternativ kann bei Bromunvertråglichkeit Ambeno-
niumchlorid (Mytelase) çber die Auslandsapotheke bezogen
werden. Diese Substanz hat bei uns keine groûe Verbreitung
gefunden. Das Pråparat zeigt zwar weniger muskarinåre Neben-
wirkungen als Pyridostigmin, besitzt jedoch håufiger zentral-
nervæse Nebenwirkungen. Neostigmin (Prostigmin) ist als orale
Applikationsform nicht mehr erhåltlich.
Die Kausaltherapie erfolgt immunsuppressiv initial mit Pred-
nison. In der Praxis finden sich unterschiedliche Dosierungs-
prinzipien. Entweder kann eine langsame Eindosierung mit ei-
ner Eingangsdosis von 10±20 mg Prednison-Øquivalent/Tag mit
einer wæchentlichen Steigerung um 5 mg bis zu einer Zieldosis
entsprechend 1 mg/kg KG erfolgen oder aber es kann sofort
mit der Zieldosis von 1 mg/kg KG (60±80 mg Prednison-Øqui-
a 10.1 Myasthenia gravis z 325

valent pro Tag 1-mal tåglich) begonnen werden. Unter einer


Steroidtherapie kann initial die myasthene Symptomatik ver-
stårkt werden, sodass die Pyridostigmindosis angehoben wer-
den muss. In seltenen Fållen kænnen Patienten unter Langzeit-
gabe von Steroiden eine Steroidmyopathie entwickeln, die das
klinische Bild der Myasthenie maskieren.
Die Langzeittherapie erfolgt mit Azathioprin (z. B. Imurek)
2±3 mg/kg KG. Wegen des langsamen Wirkungseintritts ist der
Therapieerfolg nicht vor Ablauf von 3±6 Monaten beurteilbar.
Das Azathioprin hilft, Steroide in der Langzeittherapie einzuspa-
ren. Die Kombinationstherapie von Azathioprin mit einem Glu-
kokortikoid ist in aller Regel effektiver. In 7±20% der Fålle stellt
sich trotz der Kombinationstherapie keine befriedigende Stabili-
sierung ein, sodass andere Immunsuppressiva eingesetzt werden
sollten. Cave: Beachtet werden muss die Medikamenteninterakti-
on von Allopurinol und Azathioprin (Hemmung des Abbauwegs
çber die Xanthinoxidase). Azathioprin darf dann nur mit 25%
der Standarddosierung (0,5±0,75 mg/kg KG) eingesetzt werden.
Bei myasthenen Krisen mit Ateminsuffizienz und Beat-
mungspflichtigkeit kann die Akuttherapie mit Plasmapherese
oder Immunadsorption ± mit geringem Erfolg auch durch die
Gabe von Immunglobulinen, beispielsweise 0,4 g/kg KG ± erfol-
gen. Symptomatisch kommt die intravenæse Applikation mit ei-
nem initialen Bolus von 1±3 mg Pyridostigmin oder 0,5 mg Neo-
stigmin und in der Folge weiter mit 0,5±1 mg Pyridostigmin/h
oder 0,15±0,3 mg Neostigmin/h als Dauerapplikation in Frage.

10.1.5 Off-Label-Use

Folgende immunsuppressive Pråparate kænnen im Einzelfall


nach Prçfung der Indikation und der genauen Evaluation des
klinischen Verlaufs zum Einsatz kommen. Diese sollten jedoch
erfahrenen Zentren vorbehalten sein:

z Ciclosporin A (CSA, Sandimmun, Sandimmun Optoral). Im Ver-


gleich zu Azathioprin ist der klinische Wirkungseintritt inner-
halb von 4±6 Wochen erkennbar. Die Dosierung erfolgt initial
mit 3±4 mg/kg KG, nachfolgend 2±2,5 mg/kg KG.
326 z 10 Stærungen der neuromuskulåren Ûberleitung

z Mykophenolat Mofetil (MMF, CellCept). Beim Versagen der Aza-


thioprintherapie kann eine Behandlung mit CellCept diskutiert
werden. In mehreren Studien zeigte CellCept in Kombination
mit Prednisolon eine klinische Verbesserung mit steroidalem
Effekt. Der Zeitpunkt bis zum Wirkeintritt betrug 2±4 Monate.
Initiale Dosierung ist 2 ´ 500 mg/Tag, welche nach Ablauf von 2
Wochen auf 2 ´ 1000 mg gesteigert wird.

z Cyclophosphamid (Endoxan). Aufgrund der Datenlage von ver-


schiedenen Studien liegen positive Erfahrungen mit verschiede-
nen Therapieschemata vor. Der Einsatz ist bei schwer verlaufen-
der Form der Myasthenia gravis und/oder Versagen der Stan-
dardtherapie gerechtfertigt. Die orale Dauertherapie kann mit
einer initialen Dosierung von 2 mg/kg KG erfolgen. Alternativ
kann bei schweren Verlåufen eine Cyclophosphamid-Pulstherapie
mit 500 mg/m2 KO alle 4 Wochen bis zur Stabilisierung erfolgen.

10.2 Lambert-Eaton-Syndrom [ICD 10: C 80]

10.2.1 Definition und Epidemiologie

Das myasthene Lambert-Eaton-Syndrom tritt in 50±70% der


Fålle als paraneoplastisches Syndrom auf. Selten kann diesem
Syndrom auch eine autoimmunologische Ursache zugrunde lie-
gen. Verursacht wird die Erkrankung durch die IgG-Antikærper
gegen Kalziumionenkanåle der Muskelmembranen. Die epide-
miologischen Daten im Hinblick auf die Pråvalenz und Inzi-
denz liegen nicht vor. Månner sind im Verhåltnis 5 : 1 jedoch
wesentlich håufiger betroffen als Frauen.

10.2.2 Klinik und Diagnostik


Anders als die Myasthenia gravis tritt dieses Syndrom typi-
scherweise zwischen der 5. und 7. Lebensdekade auf. Es erkran-
ken meist Månner mit einer Raucheranamnese. Die myasthene
Symptomatik kann der eigentlichen Diagnose des zugrunde lie-
a 10.2 Lambert-Eaton-Syndrom z 327

genden Malignoms Jahre vorausgehen. Typischerweise tritt das


Lambert-Eaton-Syndrom als paraneoplastisches Syndrom bei
einem kleinzelligen Bronchialkarzinom auf. Sporadische Fålle
wurden bei Non-Hodgkin-Lymphomen, Leukåmien, Malignom
von Niere und Rektum, Basaliom und Thymom beobachtet. Da-
her sollte zunåchst gezielt wiederholt nach einem kleinzelligen
Bronchialkarzinom oder aber nach anderen Malignomen bei
der Diagnose des Lambert-Eaton-Syndroms gesucht werden.
Die Prognose des paraneoplastischen Lambert-Eaton-Syndroms
wird von der Tumorerkrankung bestimmt.
Klinisch steht das Leitsymptom der Muskelschwåche mit einer
abnormen Ermçdbarkeit der proximalen Extremitåtenmuskula-
tur (Oberschenkel und Beckengçrtel) mit Beteiligung der Hirn-
nerven (Ptose, Diplopie und Dysphagie) im Vordergrund. Wei-
tere Symptome sind Stærungen des autonomen Nervensystems
(Mçdigkeit, Mundtrockenheit, Hypohydrose, Impotenz) sowie
herabgesetzte bis erloschene Muskeleigenreflexe im Gegensatz
zu erhaltenen Muskeleigenreflexen bei der Myasthenia gravis.
Diagnostisch richtungsweisend ist der Nachweis von Anti-
kærpern gegen sog. voltage gated calcium channels (VGCC) bei
fehlenden Antikærpern gegen Acetylcholinrezeptoren. Die elekt-
rophysiologische Untersuchung zeigt anders als bei der Myas-
thenia gravis bei repetitiver Reizung ein primår niedriges Mus-
kelaktionspotenzial, das nach wenigen Sekunden deutlich zu-
nimmt (Inkrement). Bei einer Amplitudenzunahme um mehr
als 25% besteht Verdacht auf das Vorliegen eines Lambert-Ea-
ton-Syndroms.

10.2.3 Øtiopathologie

In bis zu 70% der Fålle entsteht ein Lambert-Eaton-Syndrom


auf der Basis eines Neoplasmas, wobei das kleinzellige Bronchi-
alkarzinom mit 80% am håufigsten ist. Dieses Syndrom beruht
auf einer pråsynaptischen Stærung der Transmitterfreisetzung
an cholinergen Synapsen motorischer und vegetativer Nerven.
Dabei spielen Autoantikærper gegen pråsynaptische, spannungs-
abhångige Kalziumkanåle vom P/Q-Typ eine tragende Rolle.
Dem Lambert-Eaton-Syndrom kann andererseits eine auto-
328 z 10 Stærungen der neuromuskulåren Ûberleitung

immunologische Ursache zugrunde liegen. Bei etwa 30% dieser


Patienten liegen weitere Autoimmunopathien (Hashimoto-Thy-
reoiditis, Vitiligo, perniziæse Anåmie) vor. Auch bei dieser Pa-
tientenpopulation wird bei 30% innerhalb von 5 Jahren noch
ein Tumor, meist ein kleinzelliges Bronchialkarzinom, entdeckt.

10.2.4 Therapie

Die Therapie des paraneoplastischen Lambert-Eaton-Syndroms


erfolgt gemåû dem onkologischen Standard chemotherapeutisch.
Bei erfolgreicher antineoplastischer Therapie kann meist eine
komplette Rçckbildung der myasthenen Symptomatik beobachtet
werden. Bei frustraner Suche nach der Grunderkrankung kann
die Gabe von Cholinesterasehemmern erfolgen, die im Falle des
Lambert-Eaton-Syndroms erfahrungsgemåû schlechter wirksam
sind als bei der Myasthenia gravis. Die meisten Patienten spre-
chen auf 3,4-Diamino-Pyridin (3,4-DAB) an. Dieses Pråparat ist
in Deutschland nicht mehr zugelassen und muss çber eine Aus-
landsapotheke bezogen werden. Diamino-Pyridin hemmt den
Kaliumausstrom und verlångert die Dauer des pråsynaptischen
Aktionspotenzials. Die Behandlung erfolgt zunåchst mit 3 ´ 10
mg pro Tag bis auf eine Gesamttagesdosis von 60±80 mg/Tag. Pa-
tienten mit sporadischen, autoimmunen Lambert-Eaton-Syndro-
men kænnen immunsuppressiv mit Glukokortikoiden (60±100
mg) mit einer langsamen Dosisreduktion bis zu einer Erhaltungs-
dosis oder aber mit Azathioprin (1,5±2,0 mg/kg KG) behandelt
werden. Bei refraktåren Verlaufsformen kann ein Behandlungs-
versuch mit einer Plasmapherese oder einer hoch dosierten Im-
munglobulingabe unternommen werden.

Literatur
Diener HC (2002) Off-Label Use in der Neurologie. Aktuelle Neurologie
29:379±383
Melms A, Hohlfeld R (2002) Myasthenia gravis und myasthene Syn-
drome. In: Brand/Dichgans, Diener (Hrsg) Therapie und Verlauf Neu-
rologischer Erkrankungen, 4. Aufl. Kohlhammer, Stuttgart, S. 1259±
1282
a

Anhang 10.1 Medikamentæse Behandlung der Myasthenia gravis

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [mg] bei tgl. Einnahme [1 ]
[1 ]

Cholinesterasehemmer
Pyridostigmin
z Tbl. Kalymin 60N, 100 St., 38,96/0,39 3±5 ´ 60 46,8
N3, Temmler Pharma (bei 4 ´ 60 mg)
z Ret. Mestinon retard, 100 St., 300,63/3 1±2 ´ 180 90,0
N3, Icn Pharmaceutic (bei 180 mg)
Germany,
1 Tbl.= 180 mg

Kortikosteroide
Methylprednisolon
z Tbl. Urbason 40 mg, 50 St., 139,76/2,8 80±100 je nach Dosierung
N2, Aventis Pharma (initial, nach Besserung
und Stabilisierung auf
Anhang 10.1 Medikamentæse Behandlung der Myasthenia gravis

Erhaltungsdosis reduzieren)
z Tbl. Methylprednisolon Acis 59,01/0,59 8±24 je nach Dosierung
z

8 mg, 100 St., N3,


ACIS Arzneim. Vert.
329
330

Anhang 10.1 (Fortsetzung)


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [mg] bei tgl. Einnahme [1 ]
[1 ]

Azathioprin
z Filmtbl. Aza-Q 50 mg, 80,85/0,81 100±200 72,9
100 St., N3, (bei 150 mg/Tag)
Juta Pharma/Q-Pharm

Ciclosporin A
z Kps. Sandimmun optoral 621,75/6,22 4±5 mg/kg KG 559,8
100 mg, 100 St., N3, (bei 75 kg KG: (bei 300 mg/Tag)
Novartis Pharma GmbH 300 mg/Tag)
Plasmaphorese, i.v.-Immunglobulin-Gabe, Thymektomie sowie Therapie der myasthenen Krise ± nur unter stationåren
10 Stærungen der neuromuskulåren Ûberleitung

Bedingungen
11 Muskelerkrankungen (Myopathien)
und Erkrankungen der muskulåren
Ionenkanåle (Myotonien)
Volker Limmroth
332 z 11 Muskelerkrankungen (Myopathien)

Einleitung und Ûberblick

Erkrankungen des Muskels kænnen vielfåltige Ursachen und kli-


nische Bilder haben. Øtiopathologisch wurden die Muskel-
erkrankungen in Dystrophien, Myotonien, paroxysmale Låh-
mungen, immunologisch, endokrinologisch, erreger-, metabo-
lisch und toxisch bedingte Myopathien eingeteilt. Einige dieser
Myopathieformen, wie die erregerbedingten Myopathien, sind
in der westlichen Welt extrem selten, oder beruhen auf seltens-
ten Stoffwechseldefekten, die nur wenige Male in der Weltlitera-
tur beschrieben wurden (z. B. Karnitinmangel, Karnitin-Palmi-
tyl-Transferase-Mangel). Auf eine Darstellung dieser Erkran-
kungen wurde hier im Hinblick auf die fehlende Relevanz im
klinischen Alltag verzichtet. Darçber hinaus sind die bisher gel-
tenden Klassifikationen und Einteilungen durch neueste mole-
kulargenetische Erkenntnisse im Fluss. Kçnftige Klassifikatio-
nen werden sich eher an den zugrunde liegenden pathophysio-
logischen Mechanismen, Gen- oder Proteindefekten orientieren
als an den klinischen Charakteristika oder dem Vererbungs-
gang. Die folgende Darstellung versucht daher, sich bereits ab-
zeichnende Entwicklungen zu berçcksichtigen.

11.1 Muskeldystrophien [ICD 10: G 70, G 71]

Muskeldystrophien sind eine Gruppe heterogener Erkrankungen,


denen der fortschreitende Abbau des Muskelgewebes gemein ist,
die jedoch klinisch unterschiedlich verlaufen und denen unter-
schiedliche genetisch bedingte Stærungen in der Bildung oder
dem Erhalt eines spezifischen Strukturproteins oder eines En-
zyms der Muskelzelle zugrunde liegen. Der Defekt kann am Sar-
kolemm (Dystrophin, Dysferlin, Sarkoglykane, Caveolin-3), in
der Basalmembran (Laminin-2, Kollagen), in der Kernmembran
(Emerin, Lamin A/C), am Zytoskelett (Desmin, Myotilin, Plektin,
Telethionin), im Zytosol (Calpain-3) oder intermyofibrillår (Ti-
tin) auftreten. Die Leitsymptome sind die (zumeist symmetrisch)
zunehmende Muskelschwåche und Muskelatrophie.
a 11.1 Muskeldystrophien z 333

11.1.1 Dystrophinopathien

Das Dystrophin ist ein Strukturprotein der Muskelfaser, das an


der zytoplasmatischen Seite der Plasmamembran liegt. Bei den
Dystrophinopathien kommt es entweder durch eine Deletion
des Dystrophingens zu einer Reduktion oder gar einem Fehlen
von Dystrophin in der Muskelzelle oder zu einer verminderten
Funktionsfåhigkeit des Proteins. Da das Dystrophin kodierende
Gen auf dem kurzen Arm des X-Chromosoms liegt, handelt es
sich bei den hieraus entstehenden Erkrankungen um X-chro-
mosomal-rezessiv vererbte Erkrankungen. Die Mçtter (= Kon-
duktorinnen) çbertragen die Erkrankung nur auf ihre månn-
lichen Nachkommen, ohne selber zu erkranken. Weibliche
Nachfahren bleiben (bis auf wenige Spezialfålle in Sondersitua-
tionen, z. B. Turner-X0-Syndrom) gesund, kænnen jedoch selber
Konduktorinnen werden. Die beiden Erkrankungen, die jetzt
als ¹klassischeª Dystrophinopathien gelten, sind die Muskeldys-
trophie vom Typ Duchenne und vom Typ Becker-Kiener.

z Definition und Epidemiologie


Bei den Dystrophinopathien kommt es zu unterschiedlich stark
fortschreitenden Abbauprozessen der quergestreiften Muskula-
tur, die genetisch determiniert sind und rezessiv-X-chromoso-
mal vererbt werden. Wåhrend der schwerer verlaufende Typ
(Duchenne) mit einer Inzidenz von 10±13 pro 100 000 der håu-
figste Dystrophie-Typ çberhaupt ist (1 Fall pro 3500±4000
månnliche Geburten), kommt der langsam verlaufende Typ (Be-
cker-Kiener) wesentlich seltener vor (1±3 pro 100 000).

z Klinik und Diagnostik


Diese Formen der Dystrophinopathien, von der ausschlieûlich
Månner betroffen sind, werden klinisch in einen schwerwie-
gend verlaufenden Typ (Duchenne) und einen gutartigen Typ
(Becker-Kiener) unterteilt. Beiden gemeinsam ist der Beginn der
Erkrankung in der Muskulatur der Beckenregion, so dass diese
Dystrophien auch als ¹aufsteigende Beckengçrtel-Formenª be-
schrieben werden. Die Schwåche der Glutealmuskulatur fçhrt
334 z 11 Muskelerkrankungen (Myopathien)

zum beidseitigen Trendelenburg-Zeichen (Watschelgang), die


Schwåche der M. iliopsoas dazu, dass sich die Patienten allein
aus dem Liegen nicht mehr aufrichten kænnen. Die Schwåche
der Rçckenstrecker hat die Hyperlordose zur Folge. Typisch ist
eine Hypertrophie der Unterschenkel, die auch als Pseudo-
hypertrophie bezeichnet wird, da das Muskelgewebe durch Fett-
gewebe ersetzt wird. Klinische Charakteristika und relevante
Unterschiede zwischen beiden Formen sind in Tabelle 11.1 auf-
gelistet.

Tabelle 11.1. Klinische Merkmale und Unterschiede zwischen den beiden wichtigsten
Dystrophinopathien

Duchenne-Typ (DMD) Becker-Kiener-Typ

Håufigster Dystrophie-Typ, Inzidenz: ca. 13±33 Inzidenz: ca. 3±6 pro 100 000
pro 100 000 månnliche Lebendgeborene månnliche Lebendgeborene
(weltweit gleich verteilt)
Beginn im frçhen Kindes- bzw. Kleinkinderalter, Beginn im Alter zwischen 5. und
Erstdiagnose zwischen 3.±6. Lebensjahr (Patien- 20. Lebensjahr, håufig spåtes
ten sind bereits als Jugendliche nicht mehr in Erlernen des Gehens, langsam
der Lage zu gehen). Typischerweise sind schleichender Verlauf, ab der
zunåchst proximale Muskeln betroffen (typisch 5. Lebensdekade nicht mehr
ferner: Hypertrophie der Wadenmuskulatur, in der Lage zu gehen
seltener auch von Kau- und Zungenmuskeln).
Bei gut 70% der Betroffenen treten zwischen
dem 6. und 10. Lebensjahr Kontrakturen der
Hçftbeuger und anderen proximalen Extre-
mitåtenmuskeln auf. Muskeleigenreflexe sind
abgeschwåcht oder ab dem 10. Lebensjahr
nicht mehr auslæsbar.
Beteiligung anderer Organe: dilatative Kardio- Beteiligung anderer Organe:
myopathien, Herzrhythmusstærungen, aber Kardiomyopathien (selten tædlich)
auch intellektuelle Defizite in vielen Fållen Intellektuelle Defizite bei ca.
(30% mit IQ < 75) 10±20% der Betroffenen
Håufig Kontrakturen
Lebenserwartung deutlich reduziert, Tod durch Lebenserwartung etwas reduziert,
respiratorische Insuffizienz, Infektionen des Todesursachen insbesondere In-
respiratorischen Systems oder Kardiomyopathien fektionen des respiratorischen
Systems
a 11.1 Muskeldystrophien z 335

Die X-chromosomalen Formen bereiten aufgrund ihres klini-


schen Erscheinungsbilds und ihrer Progredienz in der Regel
wenig diagnostische Probleme. Im Einzelnen kann die folgende
Diagnostik durchgefçhrt werden:
z Labor: CK-Erhæhung im Serum, zu Beginn drastisch erhæht,
kann bereits vor Auftreten der Symptome deutlich erhæht
sein, im Verlauf der Erkrankung abfallend,
z EMG: pathologische Spontanaktivitåt mit Fibrillationen, posi-
tiven Wellen und pseudomyotonen Entladungen, typisches
myopathisches Muster mit Amplitudenminderung, Verkçr-
zung der Potenzialdauer, erhæhter Polyphasie
z Muskelbiopsie: typische Verånderungen mit Fasernekrosen,
vakuoliger Degeneration, immunhistochemischer Nachweis
des verminderten oder fehlenden Dystrophins
z molekulargenetische Diagnostik: mittels PCR, in belasteten
Familien kænnen DNA-Analysen die Erkrankung bereits prå-
natal diagnostizieren.

z Pathogenese
Deletion oder Punktmutation eines Gens auf dem kurzen Arm
des X-Chromosoms (Xp21.3-p21.1), das das Dystrophin kodiert.
Bei der Duchenne-Form wird das Protein nicht exprimiert, so
dass es zu einem hochgradigen Mangel des Proteins kommt.
Dagegen ist bei der Becker-Kiener-Form die biologische Aktivi-
tåt des Proteins veråndert. Dystrophin ist ein membranståndi-
ges Protein, das wahrscheinlich eine Funktion bei der Regene-
ration der Muskelfasern hat. Die genaue Funktion des Proteins
ist jedoch nicht geklårt. Morphologisch kommt es zu intersti-
tiellen Umbauvorgången, Fibrosen und Fettgewebseinlagerun-
gen.

z Therapie und Prognose


Eine kausale Therapie existiert nicht. Symptomatische Therapie
(z. B. Kontrakturprophylaxe, Krankengymnastik) kann die Le-
bensqualitåt der Patienten etwas bessern. Bei der Duchenne-
Dystrophie ist die Lebenserwartung deutlich reduziert.
336 z 11 Muskelerkrankungen (Myopathien)

11.1.2 Gliedergçrteldystrophien

Diese sehr heterogene Gruppe von Dystrophien wird als Gruppe


auch weiterhin nach klinischen Gesichtspunkten zusammenge-
fasst, obwohl durch sehr unterschiedliche genetische Defekte
auch unterschiedliche Proteingruppen betroffen sind. Klinisch
åhneln sich diese Erkrankungen jedoch durch die Betroffenheit
der proximalen Muskulatur, insbesondere der Muskulatur des
Schulter- und Beckengçrtels. In der englischen Literatur wird
diese Gruppe von Muskeldystrophien als limb girdle muscular
dystrophies (LGMD) bezeichnet. Derzeit sind genetisch 6 auto-
somal-dominante Formen (LGMD 1 A±F) und 10 autosomal-re-
zessive Formen (LGMD 2 A±J) charakterisiert. Je nach Mutation
sind unterschiedliche Proteine und Enzyme wie Sarkoglykane,
Myotilin, Lamin A/C, Calpain-3, Dysferlin, Telethionin, Titin
oder die E3-Ubiquitin-Ligase betroffen.

z Definition und Epidemiologie


Es handelt sich um eine genetisch heterogene Gruppe von Mus-
keldystrophien mit sehr åhnlichem klinischen Bild von progre-
dienten Schulter- und Beckengçrtelparesen. Genaue epidemiolo-
gische Daten liegen nicht vor. Die Inzidenz aller LGMD wird
auf 2±4/100 000 geschåtzt, dabei scheinen die Pråvalenzen von
Region zu Region sehr zu schwanken. Etwa 70±90% aller LGMD
sind autosomal-rezessiv vererbt (also Typ LGMD 2). Unter allen
LGMD kommen die Typen LGMD 2A, 2B und 2C (Calpaino-
pathien, Dysferlinopathien und Sarkoglykanopathien) am håu-
figsten vor.

z Klinik und Diagnostik


Typischerweise klagen Patienten mit LGMD çber langsam zu-
nehmende Probleme beim Treppensteigen, Aufwårtsgehen, He-
ben der Arme çber die Schulter oder rasche Ermçdbarkeit. Bei-
de Geschlechter sind bei den LGMD gleich håufig betroffen.
Mit zunehmender Erkrankungsdauer fallen dann auch proxima-
le Atrophien auf, abgeschwåchte oder fehlende Muskeleigenre-
flexe, Wadenhypertrophien, die durch die Atrophie der Ober-
a 11.1 Muskeldystrophien z 337

schenkelmuskulatur aber auch vorgetåuscht sein kænnen. Im


weiteren Verlauf kann es auch hier letztlich zu einer Gehunfå-
higkeit kommen. Die Prognose ist je nach Typ der LGMD sehr
unterschiedlich, Gehunfåhigkeit kann bereits frçh auftreten, die
Lebenserwartung durch eine kardiale Beteiligung deutlich ein-

Tabelle 11.2. Ûbersicht çber die derzeit bekannten LGMD, betroffene Gene, Proteine,
Beginn der Erkrankung, CK-Erhæhung und mægliche kardiale Beteiligung

LGMD-Typ Ver- Gen Protein Beginn CK-Erhæ- Kardiale


er- hung Beteili-
bung gung

LGMD 1 A AD 5q31 Myotilin 2.±3. Dekade Leicht bis Nein


deutlich
LGMD 1 B AD 1q11-q21.2 Lamin A/C 1.±3. Dekade Leicht Ja
LGMD 1 C AD 3p25 Caveolin-3 1. Dekade Deutlich Ja
LGMD 1 D AD 7q ? 3.±6. Dekade Deutlich Ja
LGMD 1 E AD 6q23 ? 1.±5. Dekade Leicht Ja
LGMD 1 F AD 7q32.1-32.2 ? Jederzeit Leicht Nein
LGMD 2 A AR 15q15.1-21.1 Calpain-3 2.±3. Dekade Deutlich Nein
LGMD 2 B AR 2p13.3-13.1 Dysferlin 2.±3 Dekade Drastisch Nein
LGMD 2 C AR 13q12 c-Sarko- 1. Dekade Drastisch Ja
glykan
LGMD 2 D AR 17q12- a-Sarko- 1.±2. Dekade Drastisch Ja
q21.33 glykan
LGMD 2 E AR 4q12 b-Sarko- 1.±2. Dekade Drastisch Ja
glykan
LGMD 2 F AR 5q33-q34 d-Sarko- 1. Dekade Drastisch Ja
glykan
LGMD 2 G AR 17q11-q12 Telethionin 1.±2. Dekade Deutlich Ja
LGMD 2 H AR 9q31-q34.1 E3-Ubiquitin- 1.±3. Dekade Deutlich Nein
Ligase
LGMD 2 I AR 19q13.3 fukutin related 1.±3. Dekade Deutlich Ja
protein bis
drastisch
LGMD 2 J AR 2q31 Titin 1.±3. Dekade Deutlich Nein
338 z 11 Muskelerkrankungen (Myopathien)

geschrånkt sein. Intelligenzminderungen werden bei den LGMD


jedoch nicht beobachtet. Tabelle 11.2 listet die bisher bekannten
LGMD auf.

Diagnostik:
z Anamnese: insbesondere Familienanamnese,
z Labor: CK-Erhæhung im Serum, zu Beginn deutlich erhæht,
insbesondere bei den autosomal-rezessiv vererbten Formen,
im Verlauf der Erkrankung abfallend,
z EKG: Klårung einer mæglichen kardialen Beteiligung,
z EMG: typisches myopathisches Muster mit Amplitudenmin-
derung, Verkçrzung der Potenzialdauer, erhæhter Polyphasie),
z Muskelbiopsie: myopathische und dystrophe Verånderungen,
erhæhte Faserkalibervariabilitåt (fibre splitting), internalisierte
Kerne, spezifische immunhistochemische Fårbungen fçr die
betroffenen Proteine (fehlende Anfårbung),
z molekulargenetische Diagnostik: Nachweis des Gendefekts
mittels PCR oder ggf. Westernblott, die genetische Analyse ist
inzwischen so aussagekråftig, dass in vielen Fållen auf die
Muskelbiopsie verzichtet werden kann,
z Bildgebung: CT/MRT der betroffenen Muskulatur kann hilf-
reich sein, um die Strukturverånderungen und deren Vertei-
lung darzustellen, gleichzeitig kann durch Kontrastmittelgabe
die Abgrenzung zu entzçndlichen Muskelerkrankungen (Auf-
nahme von KM!) erfolgen.

Differenzialdiagnostisch wichtig sind entzçndliche Muskeler-


krankungen, Mitochondriopathien, seltene Glykogenosen, Lipid-
speicherkrankheiten, Formen der spinalen Muskelatrophien
(s. Kap. 13), sowie sekundåre Muskelerkrankungen wie paraneo-
plastische Syndrome, Steroidmyopathien, Vitaminmangelsyndro-
me, endokrine Myopathien etc.

z Pathogenese
Je nach zugrunde liegender genetischer Mutation wird die Ex-
pression eines Strukturproteins der Muskelzelle reduziert oder
blockiert oder dieses in seiner Funktionsfåhigkeit einge-
schrånkt. Bei einigen Mutationen, die z. B. zu einer Stærung der
a 11.1 Muskeldystrophien z 339

Sarkoglykane fçhren, ist die Funktionsfåhigkeit der Muskelzelle


bereits in den ersten Lebensjahren eingeschrånkt, so dass die
ersten Symptome bereits vor dem 10. Lebensjahr auftreten.

z Therapie und Prognose


Eine kausale Therapie existiert bisher nicht, die Prognose ist je
nach Typ der LGMD sehr unterschiedlich. Symptomatische
Therapie (z. B. Kontrakturprophylaxe, Krankengymnastik) kann
die Lebensqualitåt der Patienten etwas bessern. Wichtig ist fer-
ner die Differenzierung von LGMD, die mit einer kardialen Be-
teiligung einhergehen, hier sollte eine engmaschige kardiologi-
sche Betreuung erfolgen.

11.1.3 Fazioskapulohumerale Muskeldystrophie


(Typ Erb-Landouzy-Djrine)

z Definition und Epidemiologie


Es handelt sich um eine autosomal-dominant (4q35) vererbte
Muskeldystrophie, die typischerweise im Gesicht und im Schul-
tergçrtel beginnt. Genaue epidemiologische Daten liegen nicht
vor, die Pråvalenz wird auf ca. 5 pro 100 000, die Inzidenz auf
ca. 2±3 pro 100 000 geschåtzt. Damit wåre diese Form der Mus-
keldystrophie die zweithåufigste Dystrophieform (nach den
Dystrophinopathien).

z Klinik und Diagnostik


Klinisch tritt meist bereits in der Kindheit eine Facies myo-
pathica (ausdrucksloses Gesicht) als erstes Symptom auf. Be-
sonders betroffen sind der M. orbicularis oris (Patient hat
Probleme zu pfeifen oder aus einem Strohhalm zu trinken), der
M. orbicularis occuli sowie der M. zygomaticus. Eine Ptosis be-
steht nicht, auffållig ist bei Kindern jedoch, dass die Augen im
Schlaf nicht vollståndig geschlossen werden. Augen-, Kau- oder
Pharyngealmuskeln sind nicht betroffen. Im weiteren Verlauf
kommt es zu einer Beteiligung der Schultermuskulatur, die
ebenfalls in der Kindheit beginnen kann. Typisch sind hier eine
340 z 11 Muskelerkrankungen (Myopathien)

Scapula alata und Probleme bei der Elevation der Arme. Im


weiteren Verlauf ist die Beckenmuskulatur mitbetroffen. In eini-
gen Fållen kommt es auch zu Fuûheberschwåchen. Kardiale Be-
teiligungen gehæren hingegen nicht zum Krankheitsbild. Bei
gut zwei Drittel aller Patienten låsst sich jedoch eine Beteili-
gung der Augen (retinale Gefåûverånderungen mit Mikroaneu-
rysmen) und eine Innenohrschwerhærigkeit nachweisen. Intelli-
genzdefekte werden nicht beobachtet.

Diagnostik:
z Anamnese: insbesondere Familienanamnese,
z Labor: CK-Erhæhung im Serum nur leicht oder normal,
z EKG: Ausschluss kardiale Beteiligung (gehært nicht zum
Krankheitsbild!),
z augenårztliche Untersuchung: retinale Beteiligung (håufig erst
in der Fluoreszenzangiographie erkennbar),
z HNO-Untersuchung: Innenohrschwerhærigkeit oder Hochton-
verlust,
z EMG: typisches myopathisches Muster mit Amplitudenmin-
derung, Verkçrzung der Potenzialdauer, erhæhter Polyphasie,
z Muskelbiopsie: typische Verånderungen mit starker Faserhy-
pertrophie und atrophischen angulåren Fasern, die immun-
histochemischen Anfårbungen der einzelnen Strukturproteine
sind unauffållig,
z molekulargenetische Diagnostik: Nachweis des Gendefekts
mittels Southernblot.

z Pathogenese
Die Pathogenese dieser Dystrophie ist weiterhin unklar. Zwar
ist der zugrunde liegende Gendefekt auf Chromosom 4 lokali-
siert worden, doch ist das hierdurch betroffene Protein noch
nicht identifiziert.

z Therapie und Prognose


Eine kausale Therapie existiert nicht. Symptomatische Therapie
(z. B. Kontrakturprophylaxe, Krankengymnastik) kann die Le-
bensqualitåt der Patienten bessern. Die Prognose ist grundsåtz-
a 11.1 Muskeldystrophien z 341

lich jedoch gut, da die Erkrankung langsam verlåuft und auch


Phasen des Stillstands beobachtet werden. Die Lebenserwartung
ist nicht signifikant eingeschrånkt.

11.1.4 Emery-Dreifuss-Syndrom

z Definition und Epidemiologie


Eine weitere seltene Form einer X-chromosomal oder in einigen
Fållen auch autosomal-dominant (1q11-q23) vererbten Muskel-
dystrophie ist die Emery-Dreifuss-Dystrophie (auch progressive
Muskeldystrophie mit Frçhkontrakturen). Epidemiologische Da-
ten liegen nicht vor, die Inzidenz wird auf 1 pro 100 000 geschåtzt.

z Klinik und Diagnostik


Klinisch treten in der Kindheit, meist bis zum 10. Lebensjahr,
durch fibrotischen Umbau der Oberarmmuskulatur und der
Fuûheber Kontrakturen im Bereich von Ellenbogen und
Sprunggelenk auf. Typisch ist hier zunåchst isoliert erscheinen-
de Betroffenheit der Oberarme. Bei den autosomal-dominanten
Erkrankungen kænnen auch Kardiomyopathien und Rhyth-
musstærungen hinzutreten, die die Lebenserwartung u. U. ver-
kçrzen. Die meisten Patienten sind bis in die 5. Lebensdekade
in der Lage zu gehen, da sich die Paresen nur langsam ent-
wickeln. Eine Intelligenzminderung wird nicht beobachtet. Wie
bei den Dystrophinopathien sind im Fall der X-chromosomalen
Vererbung die Mçtter die sog. Konduktorinnen, erkranken sel-
ber nicht und geben die Erkrankung nur an ihre månnlichen
Nachkommen weiter. Weibliche Nachkommen werden mit einer
Wahrscheinlichkeit von 50% auch Konduktorinnen.

Diagnostik:
z Anamnese: insbesondere Familienanamnese,
z Labor: CK-Erhæhung im Serum, zu Beginn deutlich erhæht,
im Verlauf der Erkrankung abfallend,
z EKG: kardiale Beteiligung, kardiologische Mitbehandlung,
z EMG: typisches myopathisches Muster mit Amplitudenmin-
derung, Verkçrzung der Potenzialdauer, erhæhter Polyphasie,
342 z 11 Muskelerkrankungen (Myopathien)

z Muskelbiopsie: typische Verånderungen mit Fasernekrosen,


fettige Degeneration, vermehrtes Bindegewebe, immunhisto-
chemischer Nachweis des verminderten oder fehlenden Eme-
rins,
z molekulargenetische Diagnostik: Nachweis des Gendefekts
mittels PCR oder Westernblott.

z Pathogenese
Bei der Emery-Dreifuss-Dystrophie liegt der Gendefekt auf dem
langen Arm des X-Chromosoms (Xq27.3-q28) oder auf Chro-
mosom (1q11-q23). Das Genprodukt dieses Abschnitts ist ein
Protein, das Emerin, das an der Innenseite der Kernmembran
lokalisiert ist. Die Funktion des Emerins ist noch nicht genau
bekannt. Als Strukturprotein der Kernmembran spielt es aber
sicher eine entscheidende Rolle bei der Integritåt des Nukleus,
mæglicherweise auch bei der Zellteilung. Inzwischen sind çber
90 Mutationen des Emery-Gens beschrieben, die entweder als
Punktmutationen, Deletionen oder Insertionen vorkommen.

z Therapie und Prognose


Eine kausale Therapie existiert nicht. Symptomatische Therapie
(z. B. Kontrakturprophylaxe, Krankengymnastik) kann die Le-
bensqualitåt der Patienten bessern.

11.1.5 Okulopharyngeale Dystrophien

z Definition und Epidemiologie


Dies ist eine autosomal-dominant vererbte Dystrophieform, die
ausschlieûlich die okulopharyngeale Muskulatur betrifft. Epide-
miologische Daten liegen nicht vor, die Pråvalenz wird auf < 1
pro 100 000 geschåtzt.
a 11.1 Muskeldystrophien z 343

z Klinik und Diagnostik


Typisch ist die langsame, ab der 5. Lebensdekade einsetzende
beidseitige Ptose sowie das zunehmend deutlicher werdende
sog. Hutchinson-Trias zur Kompensation der Ptose:
z beidseitige Ptose,
z Dorsalflektion des Kopfes mit Ûberstreckung des Nackens,
z Anspannung der Stirnmuskulatur.

Die inneren Augenmuskeln sind nicht betroffen. Begleitend be-


steht håufig eine Dysphagie, die in nicht wenigen Fållen zur
Mangelernåhrung fçhrt. Im weiteren Verlauf der Erkrankung
kænnen dann langsam auch proximale Paresen hinzutreten.
Weitere Organbeteiligungen werden jedoch nicht beschrieben.

Diagnostik:
z Anamnese: insbesondere Familienanamnese,
z Labor: CK-Erhæhung im Serum niedrig oder nicht vorhan-
den,
z EMG: typisches myopathisches Muster mit Amplitudenmin-
derung, Verkçrzung der Potenzialdauer, erhæhter Polyphasie
in der betroffenen Muskulatur,
z Muskelbiopsie: typische dystrophische Verånderungen in der
betroffenen Muskulatur mit kleinen angulierten Fasern und
Einschlusskærperchen (sog. rimmed vacuoles); die Muskel-
biopsie ist hier jedoch schwierig und aufgrund der mægli-
chen molekulargenetischen Diagnostik meist nicht mehr not-
wendig,
z molekulargenetische Diagnostik: Nachweis der GCG-Repeat-
Expansion auf Chromosom 14 (14q11.2-14q13).

z Pathophysiologie
Dieser Dystrophieform liegt ein Gendefekt auf Chromosom 14
zugrunde. Dort wird ein Protein kodiert, das die Långe des Po-
lyalanintrakts der mRNA kontrolliert. Durch die Kompromittie-
rung dieses Proteins kommt es zu einer Expansion einer GCG-
Triplet-Repeat-Sequenz, die wiederum zu einer Akkumulation
von Polyalanin-Makromolekçlen in der Muskelzelle fçhrt. Die
344 z 11 Muskelerkrankungen (Myopathien)

Mechanismen, die letztlich zu einer Atrophie der okulopharyn-


gealen Muskulatur fçhren, sind noch unklar.

z Therapie
Eine kausale Therapie ist nicht bekannt. Die Prognose ist auf-
grund der spåten Manifestation und des langsamen Verlaufs je-
doch gut, die Lebenserwartung ist nicht oder durch mægliche
Komplikationen der Dysphagie nur gering eingeschrånkt.

11.1.6 Distale Dystrophieformen

z Definition und Epidemiologie


Hierbei handelt es sich um eine Dystrophiegruppe, die sich
durch åhnliche klinische Merkmale, çberwiegend distale Atro-
phien, auszeichnet und deshalb auch weiterhin nach klinischen
Kriterien zusammengefasst wird ± auch wenn es sich hier of-
fenbar åhnlich wie bei den Gliedergçrteldystrophien um eine
genetisch sehr heterogene Gruppe von Erkrankungen handelt.
Die Klassifikation ist daher nicht endgçltig. Distale Dystrophie-
formen kænnen autosomal-dominant oder rezessiv vererbt wer-
den. Als Genorte wurden bisher 2p13, 2p13.3, 2q31-33, 9p1-q1
und 14q identifiziert. Epidemiologische Daten liegen nicht vor,
diese Form gehært jedoch zu den seltenen Formen, geschåtzte
Pråvalenz < 1 pro 100 000.

z Klinik und Diagnostik


Typischerweise ist die Unterschenkelmuskulatur, insbesondere
der Unterschenkelstrecker betroffen. In seltenen Fållen kann die
Erstmanifestation auch an der oberen Extremitåt erfolgen, wo
zunåchst die kleinen Fingerstrecker, dann aber auch die Flexo-
ren betroffen sind. In diesen Fållen ist die differenzialdiagnosti-
sche Abgrenzung zu den spinalen Muskelatrophien sehr wich-
tig. Der Beginn ist sehr variabel: von Adoleszenz bis hæheres
Erwachsenenalter. Weitere Organbeteiligungen, insbesondere
kardiale Beteiligungen, werden nicht beobachtet.
a 11.1 Muskeldystrophien z 345

Diagnostik:
z Anamnese: insbesondere Familienanamnese,
z Labor: CK-Erhæhung im Serum nur leicht oder nicht vorhan-
den,
z EKG: kardiale Beteiligung ausschlieûen (nicht typisch fçr
diese Dystrophieformen),
z EMG: typisches myopathisches Muster mit Amplitudenmin-
derung, Verkçrzung der Potenzialdauer, erhæhter Polyphasie
in der betroffenen Muskulatur,
z Muskelbiopsie: dystrophische Verånderungen mit Vakuolen
(nicht immer) und vermehrtem Bindegewebe, immunhisto-
chemischer Nachweis der bekannten Strukturproteine unauf-
fållig, u. U. verminderte Anfårbung des Dysferlins,
z molekulargenetische Diagnostik: noch nicht standardisiert.

z Pathophysiologie
Die pathophysiologischen Zusammenhånge sind auch weiterhin
unklar. Kçrzlich konnten einige Genorte sowie einzelne Gen-
produkte charakterisiert werden. Bei einigen Formen scheint es
durch die Mutation auf 2p13.3 zu einer verminderten Expressi-
on von Dysferlin zu kommen. Da jedoch auch bei einigen For-
men der Gliedergçrteldystrophien (LGMD 2B) das Dysferlingen
betroffen ist und es hier zu keiner Beteiligung der distalen
Muskulatur kommt, sind die Zusammenhånge weiterhin unklar.

z Therapie
Eine kausale Therapie ist nicht bekannt. Die Prognose ist auf-
grund des langsamen Verlaufs jedoch gut, die Lebenserwartung
nicht eingeschrånkt.
346 z 11 Muskelerkrankungen (Myopathien)

11.2 Dystrophische Myotonie Curschmann-Steinert


(myotonic dystrophy) [ICD 10: G 71.1]

11.2.1 Definition und Epidemiologie

Die dystrophische Myotonie Curschmann-Steinert ist eine auto-


somal-dominante Erkrankung, die neben dem Muskel noch ei-
ne Reihe anderer Organe betrifft und mit einer Inzidenz von
ca. 10 pro 100 000 auftritt. Im englischen Sprachgebrauch wird
diese Erkrankung als myotonic dystrophy bezeichnet und wird
± wie die Wortstellung zu vermuten gibt ± als Dystrophie und
weniger als Myotonie angesehen. Da den Myotonien jedoch Io-
nenkanalerkrankungen zugrunde liegen und fçr diese Erkran-
kung die pathologische Wiederholung einer Trinukleotidse-
quenz ermittelt wurde, scheint es gerechtfertigt, diese Erkran-
kung in Anlehnung an die (pathophysiologisch richtige) eng-
lischsprachige Einteilung zukçnftig als Dystrophie zu bewerten.
Viele Lehrbçcher bezeichnen diese Erkrankung jedoch als Myo-
tonie.

11.2.2 Klinik und Diagnostik

Typisch ist die Kombination aus dystrophischen und myotoni-


schen Symptomen, aber auch die Beteiligung anderer Organsys-
teme mit Erstmanifestation im frçhen Erwachsenenalter:

Muskulatur:
z Dystrophie der Gesichts-, Hals- (v. a. M. sternocleidomastoi-
deus), Unterarm- (M. brachioradialis) und Peronaeus-ver-
sorgten Muskulatur,
z Dystrophie der Gesichtsmuskulatur mit dem typischen Ge-
sicht der ¹Jammergestaltª: Atrophie der Schlåfenmuskulatur,
Ptose, hångende Mundwinkel,
z typisch: myotone Reaktion der Thenarmuskulatur bei Be-
klopfen des Handballens (Kontraktion des Thenars mit ver-
langsamter Relaxation aus der Adduktionsstellung).
a11.2 Dystrophische Myotonie Curschmann-Steinert (myotonic dystrophy) z 347

Nervensystem und Psyche:


z håufig mit Oligophrenie,
z Innenohrschwerhærigkeit,
z im Affekt indifferent, verlangsamt.

Innere Organsysteme:
z Kardiomyopathien, Ûberleitungsstærungen, Arrhythmien,
z Hyperglykåmien, Gallensteine,
z Katarakt,
z Hodenatrophie, Ovarialinsuffizienz.

Diagnostik:
Durch die typische Konstellation des klinischen Bilds ist die Di-
agnose in der Regel weniger schwierig als bei anderen Muskel-
erkrankungen. Wichtigste beståtigende Hilfsuntersuchung ist
die Elektromyographie (EMG) mit typischerweise verlångerter
Muskelkontraktion (¹Sturzkampfbomberª-Geråusch). Die La-
borparameter sind meist unspezifisch veråndert und haben hier
keinen diagnostischen Wert.

11.2.3 Pathophysiologie

Der Erkrankung liegt ein Gendefekt auf Chromosom 19q13.3


zugrunde. Dieses Gen kodiert eine hoch variable CTG-Trinuk-
leotid-Sequenz innerhalb eines Abschnitts, der die Myotonin-
Protein-Kinase kodiert. Genetische Untersuchungen an Patien-
ten haben ergeben, dass die Ausprågung der Erkrankung posi-
tiv mit der Anzahl der Trinukleotidwiederholungen korreliert,
d. h. je håufiger die Wiederholung der Sequenz, desto augepråg-
ter die Erkrankung.

11.2.4 Therapie

Es ist keine kausale Therapie bekannt; daher ist eine sympto-


matische Therapie z. B. der Rhythmusstærungen sinnvoll.
348 z 11 Muskelerkrankungen (Myopathien)

11.3 Muskelerkrankungen aufgrund defekter Ionenkanåle


der Muskelfaser (frçher: Myotonien
und dyskaliåmische periodische Låhmungen)
[ICD 10: G 71.1, G 72.1]
11.3.1 Definition und Epidemiologie
Diese Gruppe von Erkrankungen wurde bis vor kurzem nach
klinischen Gesichtspunkten (Myotonien, periodische Låhmun-
gen) eingeteilt, wird daher in vielen Lehrbçchern getrennt be-
sprochen und ausschlieûlich nach klinischen Kriterien dar-
gestellt. In den letzten 5 Jahren zeigten molekulargenetische
Untersuchungen jedoch, dass diesen Erkrankungen defekte Io-
nenkanåle (Chlorid-, Natrium- und Kalziumkanåle) der Muskel-
faser zugrunde liegen, die sich spezifischen Gendefekten zuord-
nen lassen. Pathophysiologisch scheint es daher sinnvoll, diese
Erkrankungen neu einzuteilen. Einige Autoren folgen diesen Er-
kenntnissen und fassen diese Erkrankungen (Myotonien und
periodische Låhmungen) nun in einer Gruppe der ¹Kanal-
erkrankungenª zusammen. Die Pråvalenz der bekanntesten
Myotonien (Myotonia congenita Typ Thomsen und Typ Becker,
beides Kalziumkanalerkrankungen) liegt bei ca. 4 bzw. 2 pro
100 000. Die anderen Kanalerkrankungen sind teilweise wesent-
lich seltener (z. B. Paramyotonia congenita, eine Natriumkanal-
erkrankung: 0,5 pro 100 000). Die folgende Besprechung orien-
tiert sich an der zukçnftig sicher wegweisenden molekulargene-
tischen Einteilung.

11.3.2 Klinik und Diagnostik


Unter dem Begriff der Myotonien wurden bisher alle Erkran-
kungen zusammengefasst, die klinisch eine pathologische Ver-
långerung der willkçrlichen Muskelkontraktion mit verlang-
samter Erschlaffung zeigen (Dekontraktionshemmung). Tabelle
11.3 gibt einen Ûberblick çber die wichtigsten bisher bekann-
ten Kanalerkrankungen, den zugehærigen Kanal- und Gendefek-
ten. Im Folgenden werden jedoch nur die klinisch relevanten
Krankheitsbilder besprochen. Entscheidend fçr die Diagnostik
ist die genaue Anamnese:
Tabelle 11.3. Ûbersicht çber die wichtigsten ionenkanalbedingten Muskelerkrankungen

Kanal Chloridkanal Natriumkanal Kalziumkanal

z Erkrankung Myotonia Generalisierte Paramyotonia Myotonia Myotonia Hyperkaliåm. Hypokaliåm. Maligne


congenita Myotonie congenita permanens fluctuans Låhmung Låhmung Hypertonie
¹Thomsenª ¹Beckerª (Eulenberg)
z Vererbung Dominant Rezessiv Dominant Dominant Dominant Dominant Dominant Dominant
z Genlokus 7q32 7q32 17q23-25 17q23-25 17q23-25 17q23-25 1q31-32 1q13.1
CLCN1 CLCN1 SCN4A SCN4A SCN4A SCN4A CACNL1A3
z Beginn Kongenital Spåte Vor 10. Kongenital Vor 20. Kindheit, Variabel Jedes Alter
bis Kindheit Kindheit Lebensjahr bis frçhe Lebensjahr vor 10. 1.±3. Dekade
Kindheit Lebensjahr
z Klinik Mittelgradige Mittelgradige Leicht-/mittel- Schwerste Verstårkt Steigender
Myotonie, Myotonie, gradige Myotonie nach Muskeltonus,
Besserung bei Besserung bei Myotonie, Anstrengung steigendes
kærperlicher kærperlicher Verschlechte- Fieber, Kollaps
Aktivitåt Aktivitåt rung bei
kærperlicher
Aktivitåt
a11.3 Muskelerkrankungen aufgrund defekter Ionenkanåle der Muskelfaser
z
349
Tabelle 11.3 (Fortsetzung)
350
z

Kanal Chloridkanal Natriumkanal Kalziumkanal

z Sonstiges Muskel- Muskel- Zunahme bei Verstårkt Verstårkt


hypertrophie, hypertrophie, Anstrengung durch Kålte, nach kohlen-
keine Kålte- keine Kålte- und Kålte Stress, hydratreicher
empfindlich- empfindlich- K+-Gabe Nahrung
keit keit

z Labor Normal CK deutlich CK und CK kann CK deutlich


erhæht, K+ erhæht etwas er- erhæht, alles
Elektrolyte hæht sein, andere normal
normal Serum-K+
herabgesetzt
11 Muskelerkrankungen (Myopathien)

z Therapie Meist nicht Meist nicht Meist nicht Bereits ab Meist nich Wåhrend KCl wåhrend Abbruch der
notwendig notwendig notwendig Såuglings- notwendig. der Attacke: der Attacke, Narkose, i.v.-
ggf. Mexiletin ggf. Mexiletin ggf. Mexiletin alter: ggf. Mexiletin Thiazid- Pråvention: Gabe von
ret. 1±2 ´ ret. 1±2 ´ ret. 1±2 ´ Acetazolamid ret. 1±2 ´ diuretika kaliumarme, Dantrolen
360 mg/Tag 360 mg/Tag 360 mg/Tag plus 360 mg/Tag Salbutamol salzarme,
Kålte meiden Carbamazepin! oder kohlehydrat-
Glukose arme Kost
a11.3 Muskelerkrankungen aufgrund defekter Ionenkanåle der Muskelfaser z 351

z Zeitpunkt der Erstmanifestation,


z Art der Stærung (Myotonie oder Låhmung),
z Dauer der Attacken,
z Beeinflussbarkeit durch åuûere Umstånde (Bewegungsabhån-
gigkeit, Kålte, Nahrung, Kalium-Gaben etc.),
z Begleitsymptome (Muskelhypertrophie),
z familiåre Håufung.

Hilfreich, aber sekundår sind die zusåtzlichen Blutparameter


(insbesondere Serumspiegel von Kalium und CK) sowie elektro-
myographische Untersuchungen, bei denen im klassischen Fall
typische sog. myotone Entladungsmuster nachgewiesen werden
kænnen. Bei Verdacht auf eine ionenkanalbedingte periodische
Låhmung kann die Diagnose auch durch einen Provokations-
versuch (orale Glukose-Gabe zur Provokation der hypokaliåmi-
schen Låhmung bzw. orale Kalium-Gabe zur Provokation der
hyperkaliåmischen Låhmung) oder die Bestimmung der geneti-
schen Marker gesichert werden.

z Chloridkanalerkrankungen
z Myotonia congenita (kongenitale Myotonie Typ Thomsen). Dies
ist eine autosomal-dominant vererbte generalisierte Form, die
bereits in der frçhen Kindheit auftritt, den gesamten Kærper
und beide Geschlechter gleichermaûen betrifft. Klinisches Kar-
dinalsymptom sind tonische Kontraktionen der Muskulatur
nach einer starken Willkçranspannung. Diese Kontraktionen
sind umso ausgeprågter, je entspannter die Muskulatur vorher
war. Nach mehrfacher Wiederholung der Anspannung nehmen
die Kontraktionen wieder ab, so dass mit zunehmender Will-
kçraktivitåt auch die Funktionsfåhigkeit wieder hergestellt
wird. Die ståndigen Kontraktionen kænnen die Ausprågung von
hypertrophischen Muskelbåuchen (Unterschenkel, Oberarm)
verursachen, die den Patienten ein eher athletisches Kærperbild
verleiht. Anders als in vielen Lehrbçchern beschrieben sind die
Symptome nicht temperaturabhångig und verstårken sich auch
nicht in der Kålte. Die Herzmuskulatur und die glatte Muskula-
tur sind nie betroffen. Intelligenz und Lebenserwartung sind
normal. Im Verlauf des Lebens wird die Erkrankung etwas bes-
352 z 11 Muskelerkrankungen (Myopathien)

ser. Die typischen Zeichen der Facies myopathica (wie bei der
myotonen Dystrophie Curschmann-Steiner) treten hier nicht
auf. Die Patienten sind insgesamt in ihrem normalen Leben nur
unwesentlich eingeschrånkt.

z Myotonia congenita (kongenitale Myotonie Typ Becker). Die


zweite Form der Chloridkanalerkrankungen ist auch eine gene-
ralisierte Myotonie, wird jedoch als einzige aller Kanalerkran-
kungen autosomal-rezessiv vererbt. Die Erkrankung ist håufiger
als der Typ Thomsen (Pråvalenz ca. 2 pro 100 000) und beginnt
erst im spåteren Kindesalter (10.±14. Lebensjahr). Die klinische
Symptomatik entspricht der des Typ Thomson, doch ist der kli-
nische Verlauf ausgeprågter. Erste Symptome treten hier zu-
nåchst in der unteren Extremitåt auf, nehmen bis zur 3. Dekade
generalisiert (Arm, Rumpf, Gesicht) und progredient zu, um
dann zu stagnieren. Die Ausprågung von hypertrophischen
Muskelbåuchen ist ebenfalls stårker. Auch hier fehlt die Mit-
beteiligung anderer Organe. Intelligenz und Lebenserwartung
sind normal. Die Diagnostik orientiert sich im Wesentlichen an
Anamnese und typischer Klinik, da Muskelbiopsie und Serum-
parameter unauffållig oder unspezifisch sind. Beim Typ Becker
kann die CK etwas erhæht sein. Im EMG sind auch hier die
typischen pseudomyotonen Entladungen zu beobachten (sog.
¹Kampfbomber-Geråuschª). Wichtig ist der Ausschluss anderer
Erkrankungen (z. B. Hypothyreose), die eine åhnliche Sympto-
matik vortåuschen kænnen (s. Tabelle 11.3).

z Natriumkanalerkrankungen
Inzwischen sind 6 verschiedene Natriumkanalerkrankungen
entdeckt worden, die zu myotonen Symptomen oder periodi-
schen Låhmungen fçhren kænnen, z. T. jedoch sehr selten sind.
Alle Defekte liegen auf Chromosom 17, wobei inzwischen je-
weils mehrere Mutationen fçr jede Erkrankung nachgewiesen
werden konnten. Die wichtigsten natriumkanalbedingten Myo-
tonien sind die Paramyotonia congenita (Eulenburg), die Myoto-
nia permanens sowie die Myotonia fluctuans.
a11.3 Muskelerkrankungen aufgrund defekter Ionenkanåle der Muskelfaser z 353

z Paramyotonia congenita Eulenberg. Die Paramyotonie (Pråva-


lenz ca. 0,5 pro 100 000) unterscheidet sich von allen anderen
Myotonieformen dadurch, dass kærperliche Aktivitåt und Kålte
zu einer Verstårkung der Symptomatik fçhrt (daher Paramyoto-
nie). Sie tritt bereits im Såuglingsalter auf. Die Symptomatik
kann wie eine Låhmung erscheinen, diffus verteilt sein oder
sich nur auf einzelne Kærperteile erstrecken, die ausgekçhlt
sind. Die Symptome halten fçr wenige Stunden an.

z Myotonia permanens und Myotonia fluctuans. Diese Formen


wiederum åhneln klinisch der Myotonia congenita (Chlorid-
kanal), d. h. die myotonen Symptome (Dekontraktionshem-
mung) treten bereits bei der ersten Bewegung auf und bessern
sich nach weiteren Bewegungen (Aufwårmphånomen). Sie un-
terscheiden sich jedoch von den ¹Chloridkanalerkrankungenª
durch ihre ¹Kaliumempfindlichkeitª, d. h. sie zeigen eine Zu-
nahme der Symptomatik bei Kalium-Gabe. Die Myotonia per-
manens ist die schwerste Form der Myotonie, kann lebens-
bedrohliche Zustånde erreichen und erfordert bereits eine me-
dikamentæse Therapie ab dem Såuglingsalter (klinische Details
sind Tabelle 11.3 zu entnehmen). Die Myotonia fluctuans ist ei-
ne von der Symptomatik her leichte Variante der Myotonien,
tritt erst in der 2. Lebensdekade auf und erfordert in der Regel
keine Therapie. Diese Form ist jedoch sehr ¹kaliumsensitivª.
Eine weitere Form ist die sog. Acetazolamidsensitive Myotonie.
Auch diese Form tritt bereits im frçhen Kindesalter auf, åhnelt
klinisch der Myotonia permanens, ist sehr sensitiv auf Kalium-
Gaben, låsst sich aber ± wie der Name bereits andeutet ± sehr
gut mit Acetazolamid behandeln.

z Hyperkaliåmische periodische Låhmung und normokaliåmische


periodische Låhmung (die normokaliåmische Låhmung wird von
einigen Autoren als Unterform der hyperkaliåmischen Låhmung
betrachtet). Die periodische hyperkaliåmische Låhmung (Pråva-
lenz ca. 0,1±0,5 pro 100 000) ist seltener als die hypokaliåmische
periodische Låhmung (Kalziumkanalerkrankung!), beginnt be-
reits in der frçhen Kindheit. Die Attacken treten typischerweise
nach einer Anstrengung auf, beginnen in der unteren Extre-
mitåt und steigen dann langsam auf. Die Atemmuskulatur ist
354 z 11 Muskelerkrankungen (Myopathien)

nie betroffen. Die Attacken sind von kurzer Dauer (20±30 min),
kænnen vereinzelt jedoch 1 oder 2 Tage anhalten. Bei der hyper-
kaliåmischen Låhmung findet sich ± wie der Name bereits ver-
råt ± eine (nicht immer deutliche) Erhæhung des Plasma-Kali-
ums sowie ein erniedrigter Natriumwert wåhrend der Attacke.
Zwischen den Attacken sind die Plasmawerte unauffållig. Die
normokaliåmische Låhmung ist dagegen wesentlich seltener, ist
aber im Hinblick auf die Klinik der hyperkaliåmischen Låh-
mung sehr åhnlich (klinische Details in Tabelle 11.3, die nor-
mokaliåmische Låhmung ist aufgrund ihrer klinischen Ûber-
schneidung mit der hyperkaliåmischen Låhmung nicht geson-
dert aufgefçhrt).

z Kalziumkanalerkrankungen
z Paroxysmale oder periodische Låhmungen. Sie existieren auch
unabhångig von myotonen Zeichen, werden aber auch durch
reine Ionenkanaldefekte verursacht.

z Hypokaliåmische Låhmung. Sie ist das håufigste Krankheitsbild


unter den periodischen Låhmungen (Pråvalenz 1 pro 100 000),
das bereits in der spåten Kindheit oder in der Adoleszenz be-
ginnt und durch aus dem Schlaf heraus auftretende Låhmungs-
anfålle imponiert. Im Lauf des Lebens kænnen die Anfålle an
Intensitåt und Frequenz abnehmen. Die Anfålle werden durch
kohlenhydratreiche Mahlzeiten oder starke kærperliche Anstren-
gung begçnstigt. Sie entstehen relativ langsam und dauern eini-
ge Stunden, kænnen in schweren Fållen aber auch çber wenige
Tage persistieren. Die Verteilung der Låhmung betrifft die Bei-
ne, insbesondere symmetrisch die proximale Muskulatur, meist
stårker als die Arme wåhrend Augen, Gesichtsmuskulatur, Pha-
rynx und Diaphragma in der Regel nicht betroffen sind, in
schweren Fållen jedoch miteinbezogen sein kænnen. Myotone
Zeichen treten hier nicht auf, so dass myotonietypische EMG-
Verånderungen die Diagnose ausschlieûen.

z Sekundåre Formen und Differenzialdiagnosen. Sekundår oder


symptomatisch kann eine hypokaliåmische Låhmung auch im
Rahmen einer Thyreotoxikose auftreten. Obwohl diese bei Frauen
a11.3 Muskelerkrankungen aufgrund defekter Ionenkanåle der Muskelfaser z 355

Tabelle 11.4. Wichtige Differenzialdiagnosen bei Muskelschwåche

z Hyperthyreose (in çber 50% der Fålle kænnen Myopathien im Verlauf einer Hy-
perthyreose festgestellt werden, die klinisch durch proximal betonte Schwåchen
auffallen)
z Hypothyreose: ebenfalls proximalbetonte Schwåche, aber auch Myalgien und
Kråmpfe
z Morbus Cushing
z Primårer Aldosteronismus, Morbus Addison
z Hypoparathyreoidismus
z Chronischer Vitamin-D-Mangel

håufiger ist als bei Månnern, sind Letztere håufiger betroffen. Bei
Ausgleich des Schilddrçsenstoffwechsels sistieren die Symptome.
Auch im Rahmen des primåren Aldosteronismus kann es durch
renale Kaliumverluste zu hypokaliåmisch bedingten Schwåchen
kommen. Bei Ausgleich des Stoffwechsels sistiert auch hier die
Symptomatik. Weitere pathologische endokrinologische Stoff-
wechsellagen, die zu Muskelschwåche fçhren und als Myopathien
erscheinen kænnen, sind in Tabelle 11.4 aufgefçhrt.

11.3.3 Pathophysiologie

Die pathophysiologischen Zusammenhånge zwischen Entwick-


lung der klinischen Symptomatik und Art der Myotonieform
bzw. Ionenkanalerkrankung sind noch nicht abschlieûend ge-
klårt, jedoch in den letzten Jahren sehr viel besser verstanden
worden. Allen Erkrankungen gemein ist die Verånderung der
elektrischen Erregbarkeit der Skelettmuskelfaser.

z Chloridkanalerkrankungen. Hier fçhren die defekten Kanåle zu


einer Verminderung der Chloridleitfåhigkeit (70% der Ruheleit-
fåhigkeit) und damit nach einem Aktionspotenzial zu einer ver-
minderten Repolarisation, so dass die Zellmembran leicht de-
polarisiert bleibt. Das Membranpotenzial bleibt damit nahe am
Aktivierungspotenzial, und so kann es zu einzelnen Aktions-
potenzialen oder auch zu Serienentladungen kommen.
356 z 11 Muskelerkrankungen (Myopathien)

z Natriumkanalerkrankungen. Sie werden autosomal-dominant


vererbt und entstehen durch verschiedene Defekte der a1-Unter-
einheit des Na+-Kanals auf Chromosom 17q. Pathophysiolo-
gisch kommt es hier zu einer Stærung der Deaktivierung des
aktivierten Kanals. Alle natriumkanalbedingten Myotonien las-
sen sich daher gut mit Natriumkanalblockern behandeln. Nur
bei der hyperkaliåmischen Låhmung, die auch zu den Natrium-
kanalerkrankungen zåhlt, werden zwei Natriumkanaltypen ex-
primiert: ein intakter Typ und ein defekter Typ. Dies fçhrt zu
einem erhæhten Natriumeinstrom in die Muskelzelle (Ruhe-
potenzial), aber eben zu einer weiter verstårkten Depolarisation
bei Anwesenheit von Kalium, so dass bei hyperkaliåmischen Si-
tuationen die Muskelzelle bis zu einem Potenzial depolarisiert
ist und keine Aktionspotenziale mehr erreicht werden kænnen;
dies imponiert dann klinisch als Låhmung.
z Kalziumkanalerkrankungen. Die pathophysiologischen Zusam-
menhånge sind hier noch nicht besonders gut verstanden. Bei
der hypokaliåmischen Låhmung betrifft der Defekt die a-Unter-
einheit des Kaliumkanals vom L-Typ, der sowohl den Ein- wie
auch Ausstrom von Kalzium aus dem sarkoplasmatischen Reti-
kulum regelt. Mæglicherweise entsteht die hypokaliåmische Låh-
mung sowie das plætzliche Absinken des Kaliums im Serum
durch eine çbermåûige Speicherung in der Muskelzelle (Serum-
Kalium kann unter 2 mmol/ml sinken).

11.3.4 Therapie

z Chloridkanalerkrankungen
z Kongenitale Myotonien (Typ Thomsen) und die adoleszente Form
(Typ Becker). Eine Therapie ist in der Regel nicht notwendig. In
schweren Fållen kann das Antiarrhythmikum Mexiletin (Mexitil
Depot) in einer Dosierung von 1±2 ´ 360 mg/Tag hilfreich sein.

z Natriumkanalerkrankungen
Diese Kanalerkrankungen sind relativ gut durch die Gabe von
Natriumkanalblockern zu behandeln, doch ist eine medika-
a11.3 Muskelerkrankungen aufgrund defekter Ionenkanåle der Muskelfaser z 357

mentæse Therapie bei den meisten Erkrankungen nicht erfor-


derlich. Bei der Paramyotonia congenita Eulenberg sowie bei
der Myotonia fluctuans sind in der Regel spezifische Verhaltens-
maûnahmen ausreichend, insbesondere das Vermeiden von Kål-
teexpositionen (Schwimmen in kaltem Wasser, Wintersport,
s. Tabelle 17.4) und bedçrfen keiner Therapie. Die Myotonia
permanens hingegen ist bereits im Såuglingsalter derart stark
ausgeprågt, dass hier bereits frçhzeitig eine medikamentæse
Kombination aus Acetazolamid und Carbamazepin notwendig
ist, die im Erwachsenenalter auf Mexiletin umgesetzt wird. Die
Akuttherapie der hyperkaliåmischen periodischen Låhmung soll
eine Senkung des Serum-Kaliums bewirken. Bei leichteren Atta-
cken kann die Einnahme einer kohlehydratreichen Nahrung
ausreichend sein. Bei schweren Attacken kann die Senkung des
Kaliums durch Thiaziddiuretika (z. B. Hydrochlorothiazid: Esi-
drix 25±50 mg), Betamimetika wie Salbutamol (Sultanol 1±2
Hçbe) oder Glukoseinfusionen vorgenommen werden. Prophy-
laktisch kænnen die regelmåûige Einnahme kohlehydratreicher
kaliumarmer Nahrungsmittel, das Vermeiden von Fasten, star-
ker kærperlicher Anstrengung und Kålte hilfreich sein. Bei håu-
figen Anfållen kann auch die regelmåûige Einnahme von Thia-
ziddiuretika (Hydrochlorothiazid: Esidrix 25 mg/Tag oder jeden
2. Tag) erfolgen. Vereinzelte Studien berichten auch çber einen
therapeutischen Nutzen von Acetazolamid (Diamox 125 mg/Tag
oder jeden 2. Tag).

z Kalziumkanalerkrankungen
Die hypokaliåmische Låhmung kann wirksam durch die orale
Zufuhr von Kalium (2±10 g KCl) behandelt werden. Prophylak-
tisch sollte eine kohlehydrat- und salzarme Diåt durchgefçhrt
und alles vermieden werden, was den Kaliumspiegel senkt (z. B.
starke kærperliche Anstrengung). Sind diese Maûnahmen pro-
phylaktisch nicht ausreichend, erfolgt die Behandlung mit
einem Carboanhydrasehemmer wie Acetazolamid (Diamox, je
nach klinischer Wirkung zwischen 125 mg jeden 2. Tag und
500 mg/Tag). Auch Aldosteronantagonisten (z. B. Spironolacton)
sind wirksam. Eine tågliche Kalium-Gabe sollte çber långere
Zeit vermieden werden.
358 z 11 Muskelerkrankungen (Myopathien)

11.4 Entzçndliche Muskelerkrankungen


[ICD 10: M 60.9, M 33.1, M 33.2]

Entzçndliche Erkrankungen des Muskels kænnen autoimmunolo-


gisch bedingt sein oder im Rahmen von erregerbedingten Infek-
tionen entstehen. Wåhrend in den westlichen Industrielåndern er-
regerbedingte Myositiden (Staphylokokken, tuberkulæs, luetisch,
durch Borrelien, Coxsackie-Viren, HIV-bedingt, durch Pilze und
Protozoen) noch seltener sind als autoimmunologisch bedingte,
wird von den meisten Autoren unter dem Begriff Polymyositis
ausschlieûlich die autoimmunologisch bedingte Polymyositis be-
schrieben. Die angelsåchsische Literatur fasst unter diesem Be-
griff jedoch auch Myositiden anderer Øtiologien zusammen. Trotz
der in westlichen Låndern håufiger vorkommenden autoimmuno-
logisch bedingten Polymyositis sind weltweit erregerbedingte
Myositiden, insbesondere die tropische Myositis (durch Staphylo-
kokken) wesentlich håufiger und stellen ein tågliches Problem der
Tropenmedizin dar. Im Folgenden wird jedoch ausschlieûlich die
immunologisch bedingte Polymyositis besprochen.

11.4.1 Polymyositis/Dermatomyositis [ICD 10: M 33.1, M 33.2]

z Definition und Epidemiologie


Es handelt sich um eine akute oder chronische Muskelent-
zçndung unklarer, am ehesten autoimmunologischer Øtiologie
(Ausnahme: interstitielle Herdmyositis im Rahmen generalisier-
ter bakterieller oder parasitårer Infektionen). Die Erkrankun-
gen sind mit einer Inzidenz von ca. 0,1±1 pro 100 000 Einwoh-
ner relativ selten.

z Klinik und Diagnostik


Wåhrend die akute Myositis relativ einfach zu erkennen ist,
kann die Diagnose der chronischen Verlaufsform schwierig
sein, da Symptome nicht voll ausgeprågt sein mçssen. Folgende
klinischen Symptome finden sich im typischen Bild einer aku-
ten Form:
a 11.4 Entzçndliche Muskelerkrankungen z 359

z Beginn schwerpunktmåûig zwischen der 4. und 6. Lebens-


dekade, ist jedoch in allen Altersstufen mæglich, dabei Frau-
en doppelt so håufig betroffen wie Månner.
z Meist beginnend mit einer proximalen Schwåche der Becken-
und/oder Schultermuskulatur, die sich langsam weiter nach
kranial ausbreitet, so dass im Extremfall der Kopf durch die
Schwåche der Nackenmuskulatur nach vorne sinkt. Die Au-
genmuskeln sind nicht betroffen (Ausnahme: die ¹reineª
okulåre Myositis, bei der wiederum die Extremitåten nicht
betroffen sind).
z Bei weiterem Fortschreiten Ûbergreifen auf Sprechmuskula-
tur und Atemmuskulatur.
z Allgemeines Gefçhl der Abgeschlagenheit und Hinfålligkeit.
z Typischer Druckschmerz der betroffenen Muskulatur.
z Fieber und weitere Entzçndungszeichen (BSG-Erhæhung) so-
wie kardiale Beteiligung in Form von Rhythmusstærungen in
etwa 10±20% der Fålle.

Bei der Dermatomyositis findet sich ferner eine Beteiligung der


Haut (blåulich-violette Verfårbungen an Nase, Hals, Schulter).
Anders als die Polymyositis tritt diese håufiger im Kindesalter
auf. Beide Erkrankungen sind auffållig håufig mit anderen
Kollagenosen und nicht selten mit Neoplasmen vergesellschaftet
(Lupus erythematodes, rheumatoide Arthritis, Myasthenie,
Hashimoto-Thyreoiditis, Sklerodermie, Monoklonale Gammo-
pathie, Mamma-, Lungen- oder Ovarialkarzinom). Die Prognose
ist bei frçhzeitig eingeleiteter Behandlung relativ gut, so dass
etwa bei 50% der Patienten die Erkrankung symptomfrei aus-
heilt. Dennoch kænnen sich die Phasen, in denen eine Behand-
lung notwendig ist, bis auf einen Zeitraum von 2 Jahren erstre-
cken, bei der chronischen Form auch bis zu 10 Jahre.

Diagnostik:
In Labor- und neurophysiologischen Zusatzuntersuchungen zei-
gen sich in der Regel folgende typischen Verånderungen:
z Labor: Entzçndungsparameter, BSG beschleunigt, Eosinophi-
lie, IgG-Erhæhung im Serum, Erhæhung von GOT, CK und
Aldolase im Serum),
360 z 11 Muskelerkrankungen (Myopathien)

z EMG (kleine polyphasische Potenziale, Fibrillationspotenzia-


le, positive scharfe Wellen),
z Biopsie (perivenæse Infiltrate von Plasmazellen, Degeneration
von Muskelfasern),
z EKG: Diagnose und Monitoring mæglicher kardialer Beteili-
gungen.

z Pathophysiologie
Die Pathophysiologie ist nach wie vor unklar.

z Therapie
z Akute Behandlung: Glukokortikoide (z. B. 100 mg Prednison/
Tag). Je nach klinischer Besserung kann dann langsam eine
Dosisreduktion erfolgen, wobei håufig eine Langzeittherapie
mit 10±20 mg Prednison/Tag erforderlich ist. Die Besserung
ist håufig so deutlich, dass der Therapieerfolg diagnostisch
verwertet werden kann.
z Falls notwendig: Langzeittherapie mit Azathioprin (Imurek
100±150 mg/Tag).
z In schweren Fållen: Methotrexat oder Gabe von Immunglo-
bulinen.

11.4.2 Einschlusskærper-Myositis

z Definition und Epidemiologie


Chronisch-progrediente Muskelerkrankung, die histologisch
durch eosinophile zytoplasmatische Einschlçsse gekennzeichnet
ist. Epidemiologische Daten liegen nicht vor. Die Erkrankung
kommt wahrscheinlich seltener vor als die Polymyositis, wird
sicher aber unterdiagnostiziert.

z Klinik und Diagnostik


Typischerweise sind Månner (dreimal håufiger als Frauen) jen-
seits des 50. Lebensjahrs betroffen. Die Erkrankung beginnt
an distalen Muskelgruppen, håufig an den Fingerbeugern, den
a 11.4 Entzçndliche Muskelerkrankungen z 361

Fuûhebern, betrifft spåter jedoch auch die Oberschenkel- und


Oberarmmuskulatur. Vereinzelt klagen Patienten çber begleiten-
de Schluckstærungen.

Diagnostik:
In Labor- und neurophysiologischen Zusatzuntersuchungen zei-
gen sich in der Regel folgende typischen Verånderungen:
z Labor: nur måûige bis geringgradige CK-Erhæhung im Se-
rum,
z EMG: myopathische Muster, kleine polyphasische Potenziale,
Fibrillationspotenziale, positive scharfe Wellen,
z Muskelbiopsie: beweisend mit typischen sog. rimmed vacuoles
(eosinophile zytoplasmatische Einschlçsse), ferner lymphohis-
tozytåre Infiltrate von çberwiegend T8-Lymphozyten,
z EKG: Ausschluss einer mæglichen kardialen Beteiligung.

z Pathophysiologie
Wåhrend die Erkrankung frçher als entzçndliche Erkrankung
eingestuft wurde, mehren sich inzwischen die Hinweise, dass es
sich doch eher um eine degenerative Erkrankung handelt.
Hierfçr sprechen insbesondere eine vermehrte Akkumulation
des amyloid-b precursor proteins (AbetaPP) sowie seiner proteo-
lytischen Fragmente. Dies erinnert an die Stoffwechselverånde-
rungen beim Morbus Alzheimer. Auch die frustranen therapeu-
tischen Erfahrungen, die anders als bei der Polymyositis erfolg-
los blieben, deuten auf eine nichtentzçndliche Genese der Er-
krankung.

z Therapie
Eine kausale Behandlung ist nicht bekannt, verschiedene Thera-
piestrategien blieben unergiebig. Nach einer Therapie mit intra-
venæsen Immunglobulinen ist vereinzelt çber einen Stillstand
der Erkrankung berichtet worden, ist jedoch nicht etabliert. Die
Prognose ist aufgrund des langsamen Verlaufs nicht schlecht,
Gehunfåhigkeit oder Rollstuhlpflicht wird nur selten beobach-
tet.
362 z 11 Muskelerkrankungen (Myopathien)

11.5 Toxische Muskelerkrankungen

Subakut verlaufende Myopathien sind als Nebenwirkungen ver-


schiedener Medikamente gut bekannt. In Tabelle 11.5 sind Sub-
stanzen aufgefçhrt, die zu Muskelschådigungen fçhren kænnen.

Tabelle 11.5. Substanzen, die zu Muskelschådigungen fçhren kænnen

Substanzen, die zu Muskel- Substanzen mit besonders schweren


schådigungen fçhren kænnen Verlåufen (inkl. nekrotisierend mit
Rhabdomyolyse oder Myoglobinurie
und Nierenversagen)

z ACTH z Amphetamine
z Adriamycin z e-Aminocapronsåure
z Alkohol z Kokain
z Clofibrat z Lovastatin
z Kortikoide z Meprobamat
z Lovastatin
z Vincristin
z Zidovudin

Literatur
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Stuttgart
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3. Schara U, Mortier W (2005) Neuromuskulåre Erkrankungen, Teil II:
Muskeldystrophien. Nervenarzt 76:219±239
4. Askanas V, Engel WK (2004) Molecular pathology and pathogenesis of
inclusion-body myositis. Microsc Res Tech 15:67:114±120 (im Internet
frei erhåltlich)
12 Erkrankungen des Kleinhirns
(Ataxien)
Dagmar Timmann-Braun, Volker Limmroth
364 z 12 Erkrankungen des Kleinhirns (Ataxien)

Einfçhrung

Als Ataxien werden nichtfokale Erkrankungen des Kleinhirns und


seiner Verbindungen bezeichnet, deren Leitsymptom chronische
Ataxie ist. Fokale oder multifokale Erkrankungen des Kleinhirns
wie Schlaganfålle, Tumoren oder multiple Sklerose und Polyneu-
ropathien werden nicht zur Krankheitsgruppe der Ataxien ge-
zåhlt, auch wenn Ataxie das Hauptsymptom ist. Tabelle 12.1 gibt
einen Ûberblick çber die derzeitige Einteilung der Ataxien.
Die Ataxien werden in erbliche Ataxien, nichterbliche degenera-
tive Ataxien und erworbene symptomatische Ataxien unterteilt.
Differenzialdiagnostisch ist an die erblichen und sporadischen
Formen der Mitochondriopathien und Prionerkrankungen zu
denken. Bei den erblichen Ataxien werden rezessive und domi-
nante Ataxien unterschieden. Rezessive Ataxien beginnen in der
Regel vor dem 20. Lebensjahr und dominante Ataxien nach
dem 25. Lebensjahr. Bei ålteren månnlichen Patienten ist diffe-
renzialdiagnostisch an das Fragile X-Tremor-Ataxie-Syndrom zu
denken. Die håufigste rezessive Ataxie mit bekanntem Gendefekt
ist die Friedreich-Ataxie. Die zweithåufigsten rezessiven Ataxien
mit bekanntem Gendefekt sind mæglicherweise die erst kçrzlich
beschriebenen Ataxien mit okulomotorischer Apraxie (AOA).
Die Nomenklatur der dominanten Ataxien hat in den letzten 25
Jahren mehrfach gewechselt. Nach Harding werden 3 Formen der
autosomal-dominanten zerebellåren Ataxie (ADCA) unterschie-
den. Bei der ADCA I finden sich neben zerebellåren Symptomen
auch extrazerebellåre Zeichen und bei der ADCA II eine pigmen-
tåre Retinadegeneration. Die ADCA III ist bis auf mægliche, we-
nig ausgeprågte Polyneuropathie- und Pyramidenbahnzeichen
eine ¹rein-ª zerebellåre Ataxie. In den letzten Jahren hat sich
die Einteilung nach dem molekulargenetischem Befund durch-
gesetzt. Die dominanten Ataxien werden als spinozerebellåre Ata-
xien (SCA) bezeichnet und sind in der Reihenfolge der Ent-
deckung des Gendefekts nummeriert. Zu den dominanten Ata-
xien gehæren auch die episodischen Ataxien (EA1 und EA2).
Klinisch åuûern sich Ataxien als Koordinationsstærungen.
Man spricht von Stand-, Gang-, Rumpf- und Extremitåtenata-
xie. Der oft im Verlauf oder gegen Ende einer Zielbewegung
a Einfçhrung z 365

Tabelle 12.1. Einteilung der Ataxien

Erbliche Ataxien Nichterbliche Ataxien

z Autosomal-rezessiv z Nichterbliche degenerative Ataxien


Friedreich-Ataxie Idiopathische spåt beginnende Ataxie
Ataxien mit okulomotorischer (IDCA, ILOCA)
Apraxie (AOA) Multisystematrophie (MSA-C)
Frçh beginnende zerebellåre
Ataxien (EOCA)
z Rezessiv mit Ataxie als z Symptomatische Ataxien
fakultativem Symptom Alkoholische Kleinhirndegeneration
Ataxie-Telangiektasie Andere toxische Ursachen
Morbus Refsum (z. B. medikamentæs)
Ataxie mit isoliertem Vitamin-E-Defizit Paraneoplastische Kleinhirndegeneration
Abetalipoproteinåmie Erworbener Vitaminmangel oder
Zerebrotendinæse Xanthomatose metabolische Ursache
Zerebellåre Enzephalitis
Physikalische Ursache
z Autosomal-dominant
Spinozerebellåre Ataxien (SCA)
Episodische Ataxien (EA)
z Fragiles X-Tremor-Ataxie-Syndrom
z Prionerkrankungen
z Mitochondriopathien

verstårkt auftretende kinetische Tremor wird Intentionstremor


genannt. Bei der Gangataxie ist der Gang breitbeinig und der
Seiltånzergang erschwert, in fortgeschrittenen Fållen sind Stand
und Gang nicht mehr mæglich. Bei einer Rumpfataxie hat der
Patient Probleme, aufrecht zu sitzen. Die Sprechataxie, d. h.
langsames und verwaschenes Sprechen, wird als zerebellåre
Dysarthrie bezeichnet. Dazu kommt die zerebellår gestærte
Okulomotorik. Zu den håufigsten Symptomen gehæren ein
Blickrichtungsnystagmus und eine sakkadierte Blickfolge.
Die zerebellåre Ataxie kann klinisch von der spinalen Ataxie
bei Hinterstrangerkrankungen (Verminderung oder Ausfall der
Propriozeption) unterschieden werden: Wåhrend sich die spinal
bedingte Ataxie bei Augenschluss deutlich verstårkt bzw. unter
366 z 12 Erkrankungen des Kleinhirns (Ataxien)

optischer Kontrolle bessert, åndert sich die zerebellåre Ataxie


unter optische Kontrolle håufig nicht.
Diagnostisch ist der Ausschluss einer fokalen Erkrankung
des Kleinhirns und einer (hereditåren) Polyneuropathie wich-
tig. Eine Magnetresonanztomographie des Schådels, Liquor-
untersuchung und elektrophysiologische Untersuchungen (Neu-
rographie) sind notwendig. Zur weiteren Abklårung und Unter-
scheidung der einzelnen Formen von Ataxie ist ein nach Er-
krankungsalter und Familienanamnese differenziertes Vorgehen
sinnvoll, in dem Labordiagnostik mit molekulargenetischen
Tests eine wesentliche Rolle spielt. Bei den autosomal-rezessiven
und nichterblichen Formen ist wichtig, die wenigen behandel-
baren Ursachen sicher auszuschlieûen.

12.1 Autosomal-rezessive Ataxien

12.1.1 Friedreich-Ataxie [ICD-10: G11.1]

z Definition und Epidemiologie


Die Friedreich-Ataxie ist die håufigste erbliche Ataxie. Sie
macht ca. 75% aller Ataxien unter 25 Jahren und ca. 50% aller
Heredoataxien aus. Die Pråvalenz betrågt ca. 2 pro 100 000 Ein-
wohner. Jeder 100ste Einwohner ist Gentråger. Damit ergibt
sich eine Wahrscheinlichkeit, dass zwei Gentråger ein Kind be-
kommen von 1 : 10 000 (100 ´ 100). Da es eine autosomal-rezessiv
vererbte Erkrankung ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein
Kind mit Friedreich-Ataxie geboren wird 1 : 40 000 (4 ´ 10 000).
In Deutschland gibt es ca. 2000 Erkrankte mit Friedreich-Ataxie
(80 Mio. Einwohner/40 000).

z Klinik und Diagnostik


Zu den klassischen klinischen Zeichen der Friedreich-Ataxie
gehæren
z eine progressive, anders nicht erklårte Ataxie,
z ein Erkrankungsbeginn vor dem 25. Lebensjahr (meist in der
Pubertåt),
a 12.1 Autosomal-rezessive Ataxien z 367

z eine Areflexie der unteren Extremitåten,


z ein positiver Babinski-Reflex,
z eine axonale sensible Polyneuropathie,
z eine Dysarthrie innerhalb von 5 Jahren nach Erkrankungs-
beginn.

Mægliche zusåtzliche neurologische Erkrankungssymptome


sind
z distale atrophische Paresen,
z gestærte Tiefensensibilitåt,
z gestærte Okulomotorik,
z Optikusatrophie,
z Taubheit.

Weitere Begleitsymptome sind


z Skoliose,
z Hohlfuû,
z hypertrophische Kardiomyopathie,
z Diabetes mellitus.

Bei klinischem Verdacht wird die Diagnose molekulargenetisch


gestellt. Aufgrund atypischer Verlåufe der Friedreich-Ataxie
(spåter Beginn, Fehlen der Areflexie) ist auch eine Unter-
suchung bei spåt beginnender Ataxie sinnvoll. Wichtig sind
regelmåûige internistische Untersuchungen zum Ausschluss
einer begleitenden Kardiomyopathie und von Herzrhythmusstæ-
rungen (Echokardiographie und EKG), die insbesondere bei
frçhem Erkrankungsbeginn eine håufige Todesursache sind,
und eines Diabetes mellitus.
Neurophysiologische Untersuchungen sind wichtig zur Ab-
grenzung gegençber hereditåren Polyneuropathien (insbesonde-
re HMSN I/ CMT 1, siehe Kap. 8) und sinnvoll zur Verlaufskon-
trolle der axonalen sensiblen Polyneuropathie (Elektroneurogra-
phie), der Hinterstrangsaffektion (sensibel evozierte Potenziale),
der Okulomotorikstærung (Elektronystagmographie) und der
Optikusaffektion (VEP).
In der Kernspintomographie des Schådels und des oberen
Halsmarks steht die Atrophie des Halsmarks im Vordergrund.
Eine Atrophie des Kleinhirns zeigt sich håufig erst im Verlauf.
368 z 12 Erkrankungen des Kleinhirns (Ataxien)

Ist die Diagnose molekulargenetisch gesichert, ergibt sich


çber die Bestimmung des Blutzuckertagesprofils hinaus keine
Indikation fçr weitere Laboruntersuchungen.

z Øtiopathogenese
Die Friedreich-Ataxie betrifft insbesondere das Rçckenmark
(Hinterstrånge, spinozerebellåre und kortikospinale Bahnen,
Dorsalganglien), zusåtzlich das Kleinhirn (Nucleus dentatus)
und periphere Nerven.
Die Friedreich-Ataxie wird durch einen genetischen Defekt
auf Chromosom 9 verursacht. Es handelt sich um eine Tri-
nukleotid-Repeat-Erkrankung. Mehr als 95% aller Friedreich-
Patienten sind homozygot fçr eine GAA-Repeat-Expansion im
ersten Intron des Frataxin-Gens (bis 40 Repeats normal, patho-
logisch 70±> 1000), die çbrigen zeigen eine Repeat-Expansion
auf einem Allel und eine Punktmutation auf dem anderen.
Der genetische Defekt fçhrt zu einem Mangel des mitochon-
drialen Proteins Frataxin. Frataxin spielt eine wesentliche Rolle
bei der Regulation des mitochondrialen und zytoplasmatischen
Eisenstoffwechsels. Der mitochondriale Eisengehalt der Fried-
reich-Patienten liegt um etwa 40% hæher als bei Gesunden. Da-
durch kommt es mæglicherweise zu oxidativem Stress, der zu
einer mitochondrialen Dysfunktion und zum Zelltod fçhrt.

z Therapie und Prognose


Eine kausale Therapie ist derzeit nicht bekannt. Im Mittelpunkt
stehen die Physiotherapie, Versorgung mit Hilfsmitteln und die
symptomatisch-medikamentæse Therapie ± insbesondere auch
der internistischen Begleitsymptome.
Aus der Kenntnis der Pathogenese leiten sich folgende Ûber-
legungen fçr eine mægliche Therapie ab: Antioxidanzien (Coen-
zym Q10, Idebenone, Vitamin E) und Steigerung der oxidativen
Phosphorylierung (Kreatin, L-Carnitin). Die Indikation fçr Ide-
benone bei Friedreich-Ataxie ist umstritten. Keine Studie konn-
te bisher eine Besserung der neurologischen Symptomatik zei-
gen. Inwieweit die echokardiographisch messbare Reduktion
a 12.1 Autosomal-rezessive Ataxien z 369

der Myokardhypertrophie Einfluss auf den klinischen Verlauf


hat, ist bisher ungeklårt.
Die Erkrankung verlåuft langsam chronisch-progredient. Die
Patienten sind im Mittel nach 15 Jahren rollstuhlpflichtig und
die Lebensdauer ist håufig verkçrzt, wobei die Verlåufe variabel
sind.

12.1.2 Ataxie mit okulomotorischer Apraxie (AOA)


[ICD-10: G11.1]

z Definition und Epidemiologie


Die zweithåufigsten rezessiven Ataxien mit bekanntem Gende-
fekt sind mæglicherweise die erst kçrzlich beschriebenen Ata-
xien mit okulomotorischer Apraxie (AOA). Hier werden bisher
zwei Unterformen unterschieden. Fçr die AOA1 wird eine Håu-
figkeit von ca. 5% und fçr die AOA2 von ca. 8% der rezessiven
Ataxien angegeben.

z Klinik und Diagnostik


Der Beginn der Ataxien mit okulomotorischer Apraxie ist frçh,
im Kindes- und Jugendalter.
Neben der langsam-progredienten Ataxie finden sich typi-
sche Begleitsymptome. Die Ataxie mit okulomotorischer Apra-
xie Typ 1 ist gekennzeichnet durch eine axonale sensomotori-
sche Polyneuropathie, den Nachweis einer Kleinhirnatrophie in
der Bildgebung sowie einer okulomotorischen Apraxie (lang-
same Sakkaden, Hypometrie), choreatische Bewegungen beson-
ders am Krankheitsbeginn und den Nachweis einer Hypoalbu-
minåmie und Hypercholesterinåmie.
Fçr die Ataxie mit okulomotorischer Apraxie vom Typ 2 sind
ebenfalls Zeichen fçr eine sensomotorische Polyneuropathie,
choreatiforme oder dystone Bewegungen neben dem Nachweis
einer okulomotorischen Apraxie typisch. Alphafetoprotein ist
erhæht.
Bei klinischem Verdacht auf AOA1 oder AOA2 wird die Di-
agnose molekulargenetisch gesichert.
370 z 12 Erkrankungen des Kleinhirns (Ataxien)

z Øtiopathogenese
Bei der AOA1 fçhrt eine Mutation im Aprataxin-Gen mægli-
cherweise zu gestærten DNA-Reparaturmechanismen; bei der
AOA2 eine Mutation im Senataxin-Gen zu Verånderungen im
RNA-Stoffwechsel.

z Therapie und Prognose


Eine kausale Therapie ist derzeit nicht bekannt, daher ist nur
symptomatische Therapie mæglich.

12.1.3 Frçh beginnende zerebellåre Ataxien [ICD-10: G11.1]

z Definition und Epidemiologie


Als frçh beginnende zerebellåre Ataxien (EOCA, early onset
cerebellar ataxia) werden autosomal-rezessiv vererbte Ataxien
ohne bekannten genetischen und biochemischen Defekt zusam-
mengefasst.

z Klinik und Diagnostik


Bei den frçh beginnenden zerebellåren Ataxien werden abhån-
gig von Begleitsymptomen verschiedene Unterformen unter-
schieden. Die håufigste Unterform ist die EOCA mit erhaltenen
Muskeleigenreflexen. Selten gehen die EOCA mit pigmentårer
Retinadegeneration (Hallgren-Syndrom), mit Optikusatrophie
(Behr-Syndrom), mit Katarakt (Marinesco-Sjægren-Syndrom),
mit Hypogonadismus (Holmes-Syndrom) und mit Myoklonus
(Ramsay-Hunt-Syndrom) einher.
Es handelt sich um eine Ausschlussdiagnose. Als EOCA wer-
den die frçh beginnenden, autosomal-rezessiv vererbten Ata-
xien zusammengefasst, bei denen eine Friedreich-Ataxie, Ata-
xien mit okulomotorischer Apraxie, autosomal-rezessiv vererbte
Ataxien mit bekanntem Stoffwechseldefekt und symptomatische
Ataxien ausgeschlossen werden konnten.
a 12.2 Rezessive Erkrankungen mit Ataxie als fakultativem Symptom z 371

z Øtiopathogenese
Die Øtiopathogenese der unter EOCA zusammengefassten Er-
krankungen ist unklar.

z Therapie und Prognose


Eine kausale Therapie ist nicht bekannt, die Therapie daher
symptomatisch.

12.2 Rezessive Erkrankungen mit Ataxie


als fakultativem Symptom
12.2.1 Ataxie-Teleangiektasie (Louis-Bar-Syndrom)
[ICD-10: G11.3]

z Definition und Epidemiologie


Die Ataxie-Teleangiektasie ist eine seltene, meist in der frçhen
Kindheit beginnende Multisystemerkrankung mit bekanntem
Genlokus. Håufigste rezessiv-vererbte Ataxie bei Kindern unter
5 Jahren (1 pro 40 000±1 pro 100 000 Lebendgeburten).

z Klinik und Diagnostik


Typischerweise tritt die Erkrankung bereits in der frçhen Kind-
heit auf und zeigt neben der chronisch-progredienten Ataxie
nicht selten zusåtzliche Bewegungsstærungen (Choreoathetosen,
Dystonie) und typische Augenbewegungsstærungen (okulo-
motorische Apraxie). Zusåtzliche Krankheitsmanifestationen
sind die 2±4 Jahre spåter auftretenden typischen okulokutanen
Teleangiektasien, ein Immundefekt mit rezidivierenden sinu-
bronchialen Infekten und einer erhæhten Neigung zu malignen
Tumoren (v. a. Lymphome und Leukåmien). Diagnostisch weg-
weisend ist die Klinik in Verbindung mit einem erhæhten Al-
phafetoprotein-Spiegel im Serum sowie einem IgA- und IgE-
Mangel. Eine zusåtzliche molekulargenetische Diagnostik ist
372 z 12 Erkrankungen des Kleinhirns (Ataxien)

nur in Einzelfållen indiziert. Eine Ræntgendiagnostik sollte we-


gen erhæhter Strahlensensitivitåt unterbleiben. Kernspintomo-
graphisch fållt eine ausgeprågte Kleinhirnatrophie auf.

z Øtiopathogenese
Ursache sind Punktmutationen im ATM-Gen auf Chromosom
11. Ein fçr die Reparatur des Erbmaterials wichtiges Enzym ist
aufgrund dieser Mutation nicht voll funktionsfåhig.

z Therapie und Prognose


Eine kausale Therapie ist nicht bekannt, sodass auch hier aus-
schlieûlich symptomatisch behandelt wird. Wichtig ist die frçh-
zeitige Behandlung von Infekten. Bei der Behandlung von Tu-
moren ist Radiotherapie, aber nicht Chemotherapie kontraindi-
ziert. Die Lebenserwartung ist deutlich reduziert.

12.2.2 Morbus Refsum [ICD-10: G60.1]

z Definition und Epidemiologie


Morbus Refsum ist eine seltene Erkrankung des Lipidstoffwech-
sels mit Akkumulation von Phytansåure.

z Klinik und Diagnostik


Typischerweise treten zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr erste
Zeichen einer Retinitis pigmentosa mit Nachtblindheit auf. Anos-
mie ist håufig. Im Verlauf entwickelt sich eine zerebellåre Ataxie
und Polyneuropathie. Weitere Symptome sind Schwerhærigkeit,
Myopathie, Ichthyosis und Knochenanomalien (insbesondere
verkçrzte Endphalanx des Daumens). Auch eine Kardiomyo-
pathie und kardiale Arrhythmien kommen vor. Neben den kind-
lichen gibt es auch adulte Verlaufsformen. Die Diagnose erfolgt
durch die Bestimmung der Phytansåure im Serum, die um mehr
als das Dreifache des Normalen erhæht ist (> 100 lmol/l). Typisch
ist ein erhæhtes Liquoreiweiû bei normaler Zellzahl.
a 12.2 Rezessive Erkrankungen mit Ataxie als fakultativem Symptom z 373

z Øtiopathogenese
Mindestens zwei bekannte Gendefekte fçhren zum Mangel an
Phytanoyl-CoA-Hydroxylase. Der Enzymmangel bewirkt einen
verminderten Abbau von Phytansåure in den Peroxisomen, was
zur Anreicherung in verschiedenen Geweben fçhrt.

z Therapie und Prognose


Phytansåure gelangt ausschlieûlich durch die Nahrung in den
Kærper. Die Therapie besteht in der Ernåhrung durch phytansåu-
rearme Nahrungsmittel und ausreichende Kalorienzufuhr. Ataxie
und Polyneuropathie kænnen sich unter der Diåt bessern. Bei
akuter Exazerbation besteht eine Indikation zur Plasmapherese.

12.2.3 Ataxie mit isoliertem Vitamin-E-Defizit [ICD-10: E56.0]

z Definition und Epidemiologie


Es handelt sich um eine seltene autosomal-rezessiv vererbte Er-
krankung mit Vitamin-E-Mangel, die besonders im Mittelmeer-
raum auftritt.

z Klinik und Diagnostik


Die klinische Symptomatik åhnelt der Friedreich-Ataxie mit pro-
gressiver Ataxie, Areflexie, positivem Babinski-Reflex, Dysarthrie
und vermindertem Vibrationsempfinden (siehe 12.1.1). Im Un-
terschied zur Friedreich-Ataxie treten Kardiomyopathie und Dia-
betes mellitus nicht auf. Dafçr werden Wackeltremor (Titubati-
on) des Kopfes, Dystonie und eine Retinitis pigmentosa beobach-
tet. Polyneuropathien sind seltener. Die Diagnose wird durch die
Bestimmung von Vitamin E im Serum, das deutlich erniedrigt
ist, gestellt. Eine Malabsorption von Fetten ist auszuschlieûen.

z Øtiopathogenese
Vitamin E wird normal absorbiert. Die Plasmakonzentration ist
niedrig, weil der Transfer des Vitamins in Lipoproteine in der
Leber vermindert ist. Mutationen des a-Tocopherol-Transfer-
374 z 12 Erkrankungen des Kleinhirns (Ataxien)

Gens auf Chromosom 8 fçhren zu einem Mangel an a-Tocophe-


rol-Transfer-Protein in der Leber.

z Therapie und Prognose


Die Substitution mit Vitamin E (800±2000 mg/Tag p.o.) fçhrt
bei einem Teil der Patienten zu einem Stillstand oder leichter
Besserung der Symptome.

12.2.4 Abetalipoproteinåmie (Bassen-Kornzweig-Syndrom)


[ICD-10: E78.6]

z Definition und Epidemiologie


Abetalipoproteinåmie ist eine sehr seltene Fettstoffwechselstæ-
rung, die im Såuglingsalter beginnt.

z Klinik und Diagnostik


Im Såuglingsalter treten Erbrechen, Diarrhæ und mangelnde
Gewichtszunahme auf. Im Verlauf zeigen sich Symptome åhn-
lich wie bei der Friedreich-Ataxie (siehe 12.1.1) einschlieûlich
der Skelettdeformitåten mit zusåtzlichem Auftreten einer Reti-
nitis pigmentosa. Diagnostisch wegweisend ist die fehlende Be-
talipoprotein-Fraktion in der Elektrophorese, d. h. von Chylomi-
kronen, LDL und VLDL. In der Folge sind Cholesterin, Trigly-
zeride und Vitamine (E, A und K) vermindert. Im peripheren
Blut liegt eine Akanthozytose vor.

z Øtiopathogenese
Eine Mutation des mikrosomalen Triglyzerid-Transfer-Gens auf
Chromosom 4 fçhrt zu einer gestærten Sekretion von Betalipo-
proteinen im Dçnndarm und der Leber. Es kommt zur Degene-
ration bevorzugt von Dorsalganglien und -wurzeln mit kon-
sekutiver Atrophie der Hinterstrånge.
a 12.2 Rezessive Erkrankungen mit Ataxie als fakultativem Symptom z 375

z Therapie und Prognose


Die Behandlung besteht aus einer fettarmen Diåt (mit Substitu-
tion von mittellangkettigen Fettsåuren) und Substitution von
Vitamin E, A und K.

12.2.5 Zerebrotendinæse Xanthomatose [ICD-10: E75.5]

z Definition und Epidemiologie


Die zerebrotendinæse Xanthomatose ist eine sehr seltene Fett-
speichererkrankung.

z Klinik und Diagnostik


Obwohl sie oft frçh beginnt, erfolgt die Diagnosestellung håufig
erst im Erwachsenenalter. Typisch sind die frçhe Entwicklung
von Xanthomen, besonders an der Achillessehne, die frçhe Ent-
wicklung von Katarakten und Diarrhæ. Neurologische Sympto-
me entwickeln sich oft erst im Verlauf. Im Vordergrund stehen
spastische Zeichen neben einer Ataxie, Entwicklung einer De-
menz und Polyneuropathie. Cholestanol, ein Metabolit des Cho-
lesterins, ist im Serum erhæht.

z Øtiopathogenese
Mutationen im Gen der Sterol-27-Hydroxylase auf Chromosom
2 fçhren zu einem verminderten Abbau von Cholestanol. Es
kommt zur Anreicherung von Cholestanol und Cholesterin in
verschiedenen Geweben.

z Therapie
Therapeutisch erfolgt die Behandlung mit Chendesoxycholat
(750 mg/Tag p.o.) ergånzt durch ein Statin. Die Progession der
neurologischen Symptome kann so verhindert werden.
376 z 12 Erkrankungen des Kleinhirns (Ataxien)

12.3 Autosomal-dominante Ataxien

12.3.1 Spinozerebellåre Ataxien (SCA) [ICD-10: G11.2]

z Definition und Epidemiologie


Bisher sind mehr als 25 spinozerebellåre Ataxien (SCA) identifi-
ziert worden. Die håufigsten spinozerebellåren Ataxien sind die
SCA1, 2, 3 und 6. Alle anderen SCAs sind sehr selten und je-
weils nur fçr einzelne Familien beschrieben.
Die Einteilung nach Harding in autosomal-dominante Ata-
xien Typ I (ADCA I; mit extrazerebellåren Zeichen), ADCA II
(mit Retinadegeneration) und ADCA III (rein zerebellår) ist
aber weiterhin fçr die weltweit ca. 30% der Familien sinnvoll,
bei denen der Gendefekt bisher nicht bekannt ist.
Die Pråvalenz der SCAs wird auf 3 pro 100 000 Einwohnern
geschåtzt.

z Klinik und Diagnostik


Die SCAs beginnen typischerweise im Erwachsenenalter (> 25
Jahren). Neben zerebellåren Zeichen finden sich eine Reihe von
extrazerebellåren Symptomen. Grundsåtzlich gilt bei den SCAs,
dass es nicht sicher mæglich ist, vom Phånotyp auf den Geno-
typ zu schlieûen. Bestimmte Symptomkonstellationen sind je-
doch bei manchen SCAs håufiger als bei anderen. So sind fçr
die SCA1 neben der Ataxie Pyramidenbahnzeichen, eine Poly-
neuropathie und Dysphagie typisch und bei der SCA2 langsame
Sakkaden, Tremor und eine Polyneuropathie. Bei der SCA3 sind
Pyramidenbahnzeichen, eine Ophthalmoplegie, Polyneuropathie,
dystone Symptome und ein Restless-Legs-Syndrom håufig.
Die SCA6 ist eine nahezu rein zerebellåre Ataxie mit håufig
am Beginn gestærter Okulomotorik. Begleitende lebhafte Refle-
xe und eine verminderte Pallåsthesie sind nicht selten. Weil der
Genort der SCA6 der gleiche wie fçr die episodische Ataxie
Typ 2 (EA2) und die familiåre hemiplegische Migråne ist, fin-
den sich nicht selten eine Migråne oder neben der progredien-
ten Ataxie auch episodenhafte Verschlechterungen.
a 12.3 Autosomal-dominante Ataxien z 377

Bei der SCA7 kommt es durch die begleitende Retinadegene-


ration zu Visusminderungen bis zur Erblindung und Nacht-
blindheit.
Bei der SCA17 (Huntington-disease-look-a-like) sind neben
der Ataxie Chorea, Dystonie, Spastik, ein Parkinson-Syndrom
und eine Demenz typische Befunde.
Die Familienanamnese ist im Regelfall positiv. Ausnahmen
kommen bei der håufig erst spåt beginnenden SCA6 vor. Die
Diagnose wird durch eine molekulargenetische Untersuchung
gesichert. Diese ist zur Zeit fçr die SCA1, 2, 3, 6, 7, 8, 10, 12
und 17 sowie die DRPLA mæglich. Sinnvoll ist die Unter-
suchung auf SCA1, 2, 3 und 6. Bei gleichzeitiger Sehminderung
ist die Untersuchung auf SCA7 sinnvoll und bei zusåtzlichen
psychischen und/oder ausgeprågten extrapyramidal-motori-
schen Symptomen auf SCA17 und DRPLA. Grundsåtzlich ist ei-
ne pråsymptomatische Diagnostik mæglich; diese sollte jedoch
nur nach eingehender Beratung in speziellen Zentren erfolgen.

z Øtiopathogenese
Bei der çberwiegenden Mehrzahl der SCAs handelt es sich um
Trinukleotid-Repeat-Erkrankungen. Die Anzahl der (unphysio-
logischen) Trinukleotid-Wiederholungen (je mehr, desto aus-
geprågter) bestimmt das Erkrankungsalter sowie den Ausprå-
gungsgrad der Erkrankung mit.
Bei den håufigsten SCAs (SCA1, 2, 3 und 6) handelt es sich
um Wiederholungen von CAG, die auf Proteinebene zu einer
verlångerten Glutaminsåurekette fçhren. Bei SCA1, 2 und 3
fçhren die pathologisch langen Polyglutaminketten wahrschein-
lich ± åhnlich wie es fçr die Huntington-Erkrankung bekannt
ist ± zu einer pathologischen intranukleåren Proteinaggregati-
on, die den Zellstoffwechsel behindert und schlieûlich blo-
ckiert. Die Details dieser Stoffwechselmechanismen sind derzeit
Gegenstand intensiver Forschung. Bei der SCA6 ist die Gen-
funktion bekannt. Es liegt eine Kalziumkanalerkrankung vor.
378 z 12 Erkrankungen des Kleinhirns (Ataxien)

z Therapie und Prognose


Eine kausale Therapie ist bisher nicht bekannt. Bei SCA6-Pa-
tienten mit episodenhafter Verschlechterung der Ataxie ist Acet-
azolamid mæglicherweise wirksam. Im Vordergrund steht die
symptomatische Therapie (z. B. einer begleitenden Spastik oder
extrapyramidal-motorischen Symptomatik), die Verschreibung
von Krankengymnastik, Logopådie und Physiotherapie sowie
von Hilfsmitteln. Die Verlåufe sind unterschiedlich. Die Lebens-
dauer kann eingeschrånkt sein.

12.3.2 Episodische Ataxien [ICD-10: G11.8]

z Definition und Epidemiologie


Diese sehr seltenen Erkrankungen werden autosomal-dominant
vererbt, jedoch mit unterschiedlicher Penetranz. Ihre Kenntnis
ist wichtig, da die Erkrankung behandelbar ist.

z Klinik und Verlauf


Die Erkrankung beginnt håufig schon im Kindesalter. Die
episodischen Ataxien sind durch kurze Episoden von Ataxie
charakterisiert. Die episodische Ataxie Typ 1 (EA1) ist durch
Episoden mit einer Dauer von Sekunden bis Minuten gekenn-
zeichnet, die durch Schreck oder kærperliche Anstrengung pro-
vozierbar sind. Zwischen den Attacken kænnen Myokymien der
Gesichts- und Handmuskulatur auftreten.
Die episodische Ataxie Typ 2 (EA2) zeichnet sich durch lån-
gere ataktische Perioden von 15 Minuten bis zu mehreren Ta-
gen aus. Auslæser sind Stress und kærperliche Betåtigung. An
Begleitsymptomen treten in çber 50% der Fålle Schwindel,
Ûbelkeit und Erbrechen auf. Ungefåhr die Hålfte der Patienten
leidet zusåtzlich an Migråne. Zwischen den Attacken findet sich
eine zerebellår gestærte Okulomotorik und nach långerem Er-
krankungsverlauf entwickelt sich ein leichtes zerebellåres Syn-
drom.
Eine routinemåûige molekulargenetische Diagnostik wird
bisher nicht angeboten.
a 12.4 Nichterbliche degenerative Ataxien z 379

z Øtiopathogenese
Die EA1 ist eine Kaliumkanalerkrankung, die EA2 eine Kalzi-
umkanalerkrankung.

z Therapie und Prognose


Therapie der EA1 und EA2 erfolgt mit Acetazolamid (1 ´ 125 mg±
3 ´ 250 mg); alternative Behandlung der EA2 mit 4-Aminopyridin
(3 ´ 5 mg).

12.4 Nichterbliche degenerative Ataxien


[ICD-10: G31.9, G90.3]

z Definition und Epidemiologie


Unter den nichterblichen degenerativen Ataxien versteht man
sporadische degenerative Ataxien, die durch eine progressive
Ataxie mit Krankheitsbeginn im Erwachsenenalter und eine un-
klare Øtiologie gekennzeichnet sind. Sie werden auch als idio-
pathische degenerative Ataxien (IDCA), idiopathische spåt be-
ginnende zerebellåre Ataxien (idiopathic late onset cerebellar
ataxia; ILOCA) oder sporadische Ataxie unklarer Genese (spo-
radic adult-onset ataxia; SAOA) bezeichnet.
Einem Teil der sporadischen degenerativen Ataxien liegt eine
Multisystematrophie (MSA) zugrunde, bei der neben der Ataxie
schweres autonomes Versagen und/oder ein Parkinson-Syndrom
vorhanden sind. Die Unterform der MSA mit im Vordergrund
stehenden zerebellåren Zeichen wird auch als MSA-C bezeichnet.

z Klinik und Diagnostik


Unterschieden wird håufig eine rein zerebellåre idiopathische
Ataxie (IDCA-C) und eine idiopathische zerebellåre Ataxie mit
zusåtzlichen extrazerebellåren Zeichen, z. B. Pyramidenbahnzei-
chen und Parkinson-Symptomen (IDCA-P). Es ist unklar, ob
die IDCA-P eine eigenståndige Erkrankung ist oder immer der
Beginn einer Multisystematrophie (MSA-C). Bei der MSA-C
sind neben der Ataxie autonome Symptome (orthostatische
380 z 12 Erkrankungen des Kleinhirns (Ataxien)

Dysregulation, erektile Dysfunktion, Blasenstærungen) vorhan-


den. Im Verlauf kommen parkinsonåhnliche Symptome hinzu.
Die Diagnose einer sporadischen degenerativen Ataxie låsst
sich nur nach sorgfåltigem Ausschluss einer sporadischen Prio-
nerkrankung und einer symptomatischen oder hereditåren Ur-
sache der Ataxie stellen. Etwa 15% aller Patienten mit spora-
discher Ataxie mit Beginn im Erwachsenenalter und negativer
Familienanamnese haben SCA-Mutationen, am håufigsten
SCA6.

z Øtiopathogenese
Bei der MSA finden sich Zelluntergånge, Gliosen und zytoplas-
matische Einschlusskærperchen in verschiedenen Hirnstruktu-
ren, bei der MSA-C insbesondere im Bereich vom Hirnstamm
und dem Kleinhirn (OPCA = olivopontozerebellåre Atrophie)
und weniger im striatonigralen System. Entsprechend imponiert
die MSA-C in der Schådel-MRT als OPCA. Die MSA wird wie
Morbus Parkinson zu den Synukleinopathien gezåhlt.

z Therapie und Prognose


Eine kausale Therapie ist nicht bekannt. Symptomatische medi-
kamentæse Therapie von Begleitsymptomen, insbesondere auto-
nomer und extrapyramidaler Symptome kann hilfreich sein,
ebenso die Verschreibung von Krankengymnastik, Logopådie
und Ergotherapie sowie von Hilfsmitteln. Die Lebensdauer bei
MSA ist verkçrzt.

12.5 Symptomatische Ataxien

Zu den wichtigsten symptomatischen Ataxien gehæren die alko-


holische Kleinhirndegeneration und die paraneoplastische
Kleinhirndegeneration. Andere toxische Ursachen, ein erworbe-
ner Vitaminmangel, metabolische, entzçndliche und physika-
lische Ursachen sind selten. Wegen ihrer mæglichen Therapier-
a 12.5 Symptomatische Ataxien z 381

barkeit sind symptomatische Ataxien vor Diagnosestellung ei-


ner nichterblichen degenerativen Ataxie (IDCA oder MSA) im-
mer auszuschlieûen.

12.5.1 Alkoholische Kleinhirndegenerationen [ICD-10: G31.2]

Die alkoholische Kleinhirndegeneration ist eine håufige Folge


von chronischem Alkoholismus. Klinisch stehen die Stand- und
Gangataxie im Vordergrund. Es handelt sich um eine Degenera-
tion besonders der Kleinhirnrinde im Bereich des Kleinhirnvor-
derlappens. In der Computer- und Kernspintomographie des
Schådels sind insbesondere die oberen und mittleren Anteile
des Kleinhirns atrophisch. Die Kleinhirnsymptomatik ent-
wickelt sich typischerweise innerhalb weniger Wochen oder
Monate nach mehrjåhriger Alkoholabhångigkeit. Nach Alkohol-
abstinenz stabilisiert oder bessert sich das Krankheitsbild. Eine
Vitamin-B1-Substitution wird empfohlen.

12.5.2 Paraneoplastische Kleinhirndegeneration


[ICD-10: G13.1]

Die sich meist subakut entwickelnde paraneoplastische Klein-


hirndegeneration ist durch eine Stand-, Gang- und Extremitå-
tenataxie, håufig auch durch Dysarthrie und Okulomotorikstæ-
rungen gekennzeichnet. In etwa 60% der Fålle tritt die neurolo-
gische Symptomatik vor Entdeckung des Tumors auf. Eine
Kleinhirnatrophie entwickelt sich meist verzægert und ist bei
Auftreten der neurologischen Symptomatik noch nicht vorhan-
den. Die neurologische Symptomatik ist meist schwer und per-
sistierend, auch nach Tumortherapie.
Bei mehr als 50% aller Patienten mit paraneoplastischer
Kleinhirndegeneration kænnen im Serum und Liquor Anti-
kærper nachgewiesen werden. Besonders håufig sind Anti-Yo
(Ovarial-CA > Mamma-CA) und Anti-Hu (Bronchial-Ca). Bei
klinischem Verdacht, insbesondere, wenn er durch ein entzçnd-
liches Liquorsyndrom weiter untermauert wird, sollte nach
Ausschluss von Anti-Hu- und Anti-Yo-AK auch auf seltenere
382 z 12 Erkrankungen des Kleinhirns (Ataxien)

Antikærper untersucht werden (z. B. Anti-Ri-AK (Mamma- und


Ovarialca) und Anti-Tr-AK (Morbus Hodgkin)).
Wichtig ist die frçhe Diagnosestellung. Bei frçhzeitigem Be-
ginn sind vereinzelt Behandlungserfolge unter immunsuppressi-
ver Therapie beschrieben (Kortison, Immunglobuline, Plasma-
pherese).

12.5.3 Medikamentenbedingte Ataxien

Eine zerebellåre Ataxie ist eine typische, dosisabhångige Neben-


wirkung fçr Antiepileptika der alten und neuen (insbesondere
Oxcarbazepin) Generation. Eine bleibende zerebellåre Ataxie
mit Kleinhirnatrophie ist nach langjåhriger Einnahme des An-
tiepileptikums Phenytoin beschrieben.
Eine zerebellåre Ataxie als fçhrendes Symptom wird als Ne-
benwirkung fçr Cytarabin (Cytosinarabinosid, Ara-C) und 5-
Fluorouracil (5-FU) beschrieben, nach Hochdosistherapie von
Cytarabin auch als bleibende zerebellåre Ataxie.
Eine bleibende Kleinhirndegeneration wird nach akuter Into-
xikation von Lithium gesehen.
Das temporåre Auftreten von Tremor und Ataxie ist fçr meh-
rere Antiarrhythmika insbesondere Amiodaron bekannt.

12.5.4 Andere symptomatische Ataxien


Andere symptomatische Ursachen einer Ataxie sind:
z Ataxie aufgrund erworbenen Vitaminmangels (Vitamin E,
B12),
z Ataxie aufgrund metabolischer Ursachen (Hypothyreose, Hy-
poparathyroidismus),
z zerebellåre Enzephalitis (entzçndlich und/oder immunver-
mittelt):
± sprueassoziierte Ataxie (Antigliadin und -endomysiuman-
tikærper),
± Infektionskrankheiten (håufig bei Kindern: besonders Va-
rizella, Epstein-Barr; selten bei Erwachsenen: besonders
Epstein-Barr, Mykoplasmen),
± Miller-Fisher-Syndrom,
a 12.5 Symptomatische Ataxien z 383

z Ataxie mit Anti-GAD-Antikærpern (Glutamat-Decarboxylase)


und
z sehr selten: physikalische Ursachen (Hitzschlag, maligne neu-
roleptische Syndrom).
13 Degenerative Erkrankungen
des motorischen Systems
Volker Limmroth
386 z 13 Degenerative Erkrankungen

13.1 Amyotrophe Lateralsklerose [ICD 10: G 12.0]

13.1.1 Definition und Epidemiologie

Die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine degenerative Er-


krankung des motorischen Systems. Primår sind, neben dem
motorischen Kortex, die motorischen Hirnnervenkerne und die
motorischen Vorderhærner (1. und 2. motorisches Neuron) be-
troffen. Sekundår erfolgt eine Beteiligung von Pyramidenbahn,
spinalen Vorderwurzeln, motorischen Nerven sowie der Skelett-
muskulatur. Die Pråvalenz betrågt ca. 2 pro 100 000 Einwohner.
Månner sind etwas håufiger als Frauen betroffen (etwa 1,7:1).
Der Beginn der Erkrankung liegt im Durchschnitt bei 55 Jah-
ren. Die seltenere familiåre Form betrifft 5±10% aller Fålle und
wird autosomal-dominant vererbt. Hier sind beide Geschlechter
zu gleichen Teilen betroffen.

13.1.2 Klinik und Diagnostik

Die Klinik der sporadisch auftretenden und der vererbten ALS


unterscheidet sich nicht. Folgendes klinisches Bild zeigt sich:
z Faszikulationen, Paresen, Muskelatrophien der Extremitåten,
z håufig ist zunåchst nur die kleine Handmuskulatur betroffen,
um dann asymmetrisch fortzuschreiten,
z im Bereich der Zunge finden sich håufig Fibrillationen,
z typische Reflexsteigerungen sowie positive Pyramidenbahn-
zeichen (kænnen zu Beginn fehlen),
z keine sensiblen Ausfålle, oder nur sehr diskrete Ausprågung,
z keine Taubheitsgefçhle oder Kribbelparåsthesien,
z keine Blasen- und Mastdarmstærungen.

Nach dem Verteilungstyp der Paresen wird eine spinale Ver-


laufsform mit Paresen der Extremitåten und spåter der Atem-
muskulatur und eine bulbåre Verlaufsform unterschieden, die
mit Schluck- und Sprechstærungen im Sinne einer Dysarthrie
beginnt. Nach Diagnosestellung betrågt die durchschnittliche
Lebenserwartung 12±24 Monate, kann im Einzelfall jedoch auch
a 13.1 Amyotrophe Lateralsklerose z 387

noch mehrere Jahre betragen. Nach 6 Jahren sind çber 90% der
Patienten verstorben. Die Erkrankung verlåuft chronisch-pro-
gredient, sodass im Endstadium neben den Paresen der Extre-
mitåten auch Schluckstærungen und Atembeschwerden hin-
zutreten, die zu einer Mangelernåhrung fçhren und/oder Pneu-
monien begçnstigen. Viele Patienten leiden ferner unter einer
ausgeprågten Salivation, die das Pneumonierisiko weiter erhæht.
Nicht selten sind Pneumonien dann die Todesursache. Sind der
Patient und seine Familie einverstanden bzw. willig, alle lebens-
erhaltenden Maûnahmen durchzufçhren, kann in Einzelfållen
nach Tracheotomie auch eine Heimbeatmung durchgefçhrt wer-
den (siehe Atomphysiker Stephen Hawking).
Die Diagnosesicherung erfolgt neben dem Vorliegen der
typischen klinischen Symptomkonstellationen und dem Aus-
schluss anderer Erkrankungen (cave: zervikale Myelopathien)
durch elektrophysiologische Untersuchungen. Elektromyogra-
phisch werden Muskeln aller 4 Extremitåten (ggf. auch der
Zunge) untersucht, die Denervierungen in Form von Fibrillatio-
nen, positiv scharfen Wellen und Faszikulationen zeigen (sog.
Spontanaktivitåt). Bei Muskelanspannung sieht man spårliche,
aber sehr groûe Potenziale (sog. Riesenpotenziale > 10 mV), die
zu Beginn jedoch fehlen kænnen. Darçber hinaus mçssen beim
Vorliegen dieser elektromyographischen Befunde die neurogra-
phischen Befunde (Messung der Nervenleitgeschwindigkeit) ty-
pischerweise normal bleiben (es sei denn, es liegen unabhångig
von der ALS andere Erkrankungen wie z. B. Polyneuropathien
vor, Tabelle 13.1). Im weiteren Verlauf der Erkrankung sollte
durch die Beteiligung der Pyramidenbahn auch die transkra-
niale Magnetstimulation pathologisch verzægerte Latenzen zei-
gen. Leider gibt es weder Untersuchungen von Serum oder Li-

Tabelle 13.1. Wichtige Differenzialdiagnosen der ALS

z Spinale Muskelatrophien (Prognose meist besser)


z Spinale Raumforderungen
z Zervikale Myelopathien
z Chronisch-inflammatorische demyelinisierende Polyneuritis (CIDP)
z Multifokale motorische Neuropathie (MMN)
388 z 13 Degenerative Erkrankungen

quor noch Bild gebende Techniken (CCT, Schådel-NMR), die


die Diagnose der ALS eindeutig nachweisen kænnten. Die Si-
cherung der Diagnose ist somit nicht selten schwierig und
kann erst im Laufe der Erkrankung erfolgen. Aufgrund der
Tragweite der Diagnosestellung muss eine umfangreiche Abklå-
rung mit Labor- und Liquordiagnostik sowie kranialer und spi-
naler Bildgebung erfolgen, um andere Erkrankungen auszu-
schlieûen.

z Differenzialdiagnose
Grundsåtzlich mçssen alle mæglichen Affektionen des Rçcken-
marks wie zervikale Myelopathien (Hinterstrangsymptome, Bla-
senstærungen), Syringomyelien und spinale Raumforderungen
durch entsprechende Bildgebung ausgeschlossen werden. Labor-
und liquordiagnostisch sollten sich keine Hinweise auf eine
multifokale motorische Neuropathie (MMN, siehe Kap. 8: Lei-
tungsblæcke in der motorischen Neurographie) oder chronisch
inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathien (CIDP:
Eiweiûerhæhung im Liquor, deutliche Reduktion der Nervenleit-
geschwindigkeit) ergeben. Bei der Pseudobulbårparalyse durch
bilaterale Ischåmien im Hirnstamm bestehen ebenfalls Sprech-
und Schluckstærungen, aber keine Atrophie der Zunge.

13.1.3 Øtiopathogenese

Die Øtiopathogenese ist nach wie vor unklar. Genetische Studi-


en deuten auf eine Fehlfunktion der Kupfer-Zink-Superoxid-dis-
mutase, die fçr eine vermehrte Freisetzung exzitatorischer Ami-
nosåuren, u. a. von Glutamat, im Rçckenmark und im motori-
schen System verantwortlich sein soll. Die wenigen familiåren
Formen der ALS werden mit einem Gendefekt auf Chromosom
21 in Verbindung gebracht. Histologisch kommt es zu einem
Verlust groûer Pyramidenzellen im motorischen Kortex und ei-
ner reaktiven Gliose, die im fortgeschrittenen Stadium auch
makroskopisch erkennbar ist. Hierdurch kommt es sekundår zu
einer Degeneration der Myelinscheiden der Pyramidenbahn mit
einer reaktiven Astrozytenproliferation (insbesondere im Sei-
a 13.1 Amyotrophe Lateralsklerose z 389

tenstrang, daher Lateralsklerose). Anders als bei der spinalen


Muskelatrophie (betroffen ist nur das 2. Motoneuron) oder der
spastischen Spinalparalyse (betroffen ist nur das 1. Motoneu-
ron) sind bei der ALS neben dem 1. Motoneuron auch das 2.
Motoneuron, also Vorderhornzellen und motorische Hirnner-
venkerne betroffen. Die Kerne der Augenmuskeln (Hirnnerven
III, IV und VI) bleiben jedoch ausgespart. Durch den Unter-
gang der peripheren Motoneurone (2. Motoneuron) kommt es
zu einer neurogenen Muskelatrophie der nachgeschalteten Mus-
kelfasern. Sekundår folgt eine kollaterale Reinnervation benach-
barter intakter Muskelfasern zu dann græûeren Einheiten, die
in der elektromyographischen Untersuchung zu den charakte-
ristischen Riesenpotenzialen (> 10 mV) fçhren. Prospektive
Langzeitbeobachtungen bei beatmeten ALS-Patienten zeigen
jedoch, dass bei långeren Verlåufen auch eine Beteiligung der
Augenmuskelkerne und sensible Ausfålle beobachtet werden
kænnen.

13.1.4 Therapie

Eine kausale Therapie ist nicht bekannt. Unwirksam sind Korti-


son, Immunglobuline, Antilymphozytenserum, Selegelin und
Immunsuppressiva. Es gibt erste Hinweise darauf, dass Gluta-
matantagonisten wie Riluzol (Rilotek) den Krankheitsverlauf
verlangsamen kænnen, wobei die gewonnene Zeit in der Regel
nur wenige Monate betrågt. Es gilt daher, die Lebensqualitåt so-
lange und so gut wie mæglich zu erhalten. Die håufig unange-
nehme Salivation kann durch die Gabe von Amitriptylin
(10±150 mg/Tag) oder Atropin (0,5±1,5 mg/Tag oral oder s. c.)
gesenkt werden, Spastik mit Baclofen (10±80 mg/Tag) oder Me-
mantine (10±60 mg/Tag) behandelt werden. Wichtig ist, dass
nach Sicherung der Diagnose eine ausfçhrliche Aufklårung des
Patienten und seiner Angehærigen erfolgt, damit die Lebenspla-
nung entsprechend angepasst werden kann. Auch die Mæglich-
keit der Heimbeatmung sollte frçh angesprochen und entschie-
den werden.
390 z 13 Degenerative Erkrankungen

13.1.5 Das Neuste

z Bei der familiåren Form der ALS (10%) wurde bei einem Teil
der Patienten (15%) eine Mutation der Superoxiddismutase 1
gefunden. Dies kænnte zu einer Anhåufung von freien Radi-
kalen in Neuronen des Rçckenmarks fçhren.
z Therapiestudien mit Nervenwachstumsfaktoren waren bisher
bei der ALS und der spinalen Muskelatrophie nicht erfolg-
reich.

13.2 Spinale Muskelatrophie [ICD 10: G 12.1]

13.2.1 Definition und Epidemiologie

Die spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine hereditåre oder spo-


radisch auftretende Erkrankung der motorischen Vorderhorn-
zellen (nur das 2. Motoneuron ist betroffen), teilweise unter Be-
teiligung der motorischen Hirnnervenkerne mit Muskelatrophie
und Paresen. Bei den erblichen Formen liegt zumeist ein auto-
somal-rezessiver Erbgang vor. Die einzelnen Unterformen zei-
gen sehr unterschiedliche klinische Verlåufe mit sehr unter-
schiedlichen Prognosen. Die bisherige Einteilung erfolgt daher
zunåchst nach hereditår vs. sporadisch auftretenden Formen
sowie nach dem Manifestationsalter. Grundsåtzlich zeigen die
hereditåren infantilen Formen die schnellste Progredienz mit
der schlechtesten Prognose und sind mit einer Inzidenz von 1
pro 20 000 Lebendgeburten die zweithåufigste autosomal-rezes-
siv vererbte Erkrankung çberhaupt (nur zystische Fibrose ist
håufiger). Die anderen Formen sind z. T. wesentlich seltener.

13.2.2 Klinik und Diagnostik

Da bei diesen Erkrankungen ± anders als bei der ALS ± aus-


schlieûlich das 2. Motoneuron ohne Affektion der Pyramiden-
bahn beteiligt ist, zeigen sich klinisch folgende Kardinalsymp-
tome:
a 13.2 Spinale Muskelatrophie z 391

z schlaffe atrophische Paresen,


z herabgesetzte Muskeleigenreflexe (bei ALS gesteigert),
z Faszikulationen, Fibrillationen,
z intakte Sensibilitåt.

Klinisch wird zunåchst zwischen hereditåren und sporadischen


Formen unterschieden, die dann entsprechend ihres Manifesta-
tionsalters weiter unterteilt werden. Einige Autoren unterteilen
klinisch nach proximalen und distalen Formen. Aufgrund der
groûen individuellen Unterschiede und Verlåufe låsst diese Ein-
teilungsform jedoch keine komplette Integration aller beschrie-

Tabelle 13.2. Hereditåre Formen der spinalen Muskelatrophie (SMA I±IV)

z Werdnig-Hoffmann (SMA I)
Bereits bei der Geburt vorhanden (floppy baby), progrediente Paresen, Trink-
schwåche. Faszikulationen der Zunge sind sichtbar. Rasch progredienter Verlauf
mit Tod in den ersten Lebensjahren durch respiratorische Insuffizienz
z Intermediår-Typ (SMA II)
Klinische Manifestation in den ersten Lebensjahren. Prognose etwas besser als
SMA I, betroffen zunåchst Beckengçrtelbereich, dann Extremitåten, schwere Sko-
liose, Hirnnervenbeteiligung (N. facialis, N. hypoglossus), nicht oder leicht er-
hæhte CK, das Gehen wird in der Regel nie erlernt, Tod zwischen 4. und 8.
Lebensjahr durch Låhmung der Atemmuskulatur, rezidivierende Infekte. Verein-
zelt sind långere Verlåufe bis in das frçhe Erwachsenenalter beschrieben
z Kugelberg-Welander (SMA III)
Beginn im spåteren Kindes- oder frçhen Jugendlichenalter. Paresen und Atrophi-
en im Bereich der proximalen Beinmuskulatur, watschelnder Gang, verstårkte
lumbale Lordose, die auch mit einer kindlichen Muskeldystrophie verwechselt
werden kænnte. Dann auch Schultergçrtel und Beckenbereich betroffen.
CK nicht oder leicht erhæht. Lebenserwartung nicht wesentlich reduziert, verein-
zelt Verlåufe mit finaler Rollstuhlpflichtigkeit
z Erwachsenen-Verlaufsform (SMA Typ 4)
Erste Symptome treten typischerweise in der 2.±4. Lebensdekade auf. Hier sind
autosomal-rezessive sowie autosomal-dominante Verlåufe beschrieben, wobei die
rezessiv vererbten klinisch langsamer verlaufen und eine nicht beeintråchtigte
Lebenserwartung haben. Eine Gehhilfe ist meist erst 20 Jahre nach Erkrankungs-
beginn notwendig. Klinisch zeigen sich Pseudohypertrophien der Waden und
Skoliosen. Hirnnerven sind nicht betroffen. Die CK ist hier deutlich erhæht
392 z 13 Degenerative Erkrankungen

Tabelle 13.3. Sporadisch auftretende Formen der spinalen Muskelatrophie

z Typ Aran-Duchenne
Erste Symptome treten in der 2.±4. Lebensdekade auf. Typisch sind die begin-
nenden schlaffen Paresen und Atrophien der kleinen Handmuskeln beidseits, zu
Beginn nicht selten asymmetrisch. Erst spåter Beteiligung von Unterarm- und
Schultermuskulatur und erst zuletzt Unterschenkel- bzw. Oberschenkelmuskula-
tur. Der Verlauf ist langsam mit phasenweisen Stillstånden und fast normaler Le-
benserwartung. Abgrenzung zur ALS durch fehlende Pyramidenbahnzeichen und
langsamen klinischen Verlauf. Die Laborwerte sind unauffållig
z Typ Vulpian-Bernhard
Beginn etwas frçher als bei Aran-Duchenne (2.±3. Lebensdekade). Die schlaffen
Paresen und Atrophien betreffen çberwiegend die proximale rumpfgçrtelnahe
Muskulatur mit initialem Befall der humeroskapulåren Muskulatur, spåter auch
der lumbosakralen Muskulatur. Verlauf langsam, nur måûige Gehbehinderung,
Lebenserwartung nicht eingeschrånkt. Die Laborwerte sind unauffållig
z Peronealer Typ
Seltener als die ersten beiden Formen, Beginn in der 2. Lebensdekade. Zunåchst
sind nur die Mm. peroneii betroffen, vereinzelt kænnen im weiteren Verlauf je-
doch auch kleine Fuûmuskeln, Unterarme, Hånde oder Oberarme betroffen sein.
Der Verlauf ist langsam, ohne Einschrånkung der Lebenserwartung. Die Labor-
werte sind auch hier unauffållig
z Progressive Bulbårparalyse
Die Einordnung dieser Form ist umstritten. Einige Autoren sehen hier eine Son-
derform der ALS. Beginn etwa in der 3.±5. Lebensdekade. Betroffen sind die
kaudalen Hirnnervenkerne (XII, X, IX, VII, V). Initiales Symptom ist zunåchst eine
zunehmend schleppende Sprache, die die Patienten zu Beginn als schwere Zun-
ge bezeichnen. Es folgen Gaumensegelparesen und Stimmbandlåhmungen, die
ein Sprechen schlieûlich komplett unmæglich machen. Durch den mangelnden
Verschluss der Trachea im Rahmen der Gaumensegel- und Kehlkopfparese kann
die Nahrungsaufnahme nicht mehr oral erfolgen, Kachexie und Aspirations-
pneumonien sind typische Folgen. Die Patienten sind ferner nicht unerheblich
durch die fehlende Masseterinnervation belastet, da der Mund nicht mehr aus
eigener Kraft geschlossen werden kann. Der Verlauf ist deutlich schneller als bei
den erstgenannten Formen, was die Einordnung als Sonderform der ALS stçtzt.
Die Erkrankung ist nach wenigen Jahren letal
a 13.2 Spinale Muskelatrophie z 393

benen Krankheitsbilder zu und wird hier nicht mehr berçck-


sichtigt (Tabelle 13.2, 13.3).
Eine Sonderstellung unter den hereditåren Formen der spina-
len Muskelatrophien nimmt das sog. Kennedy-Syndrom ein, das
als einzige Form X-chromosomal vererbt wird. Hierbei handelt
es sich um eine CAG-repeat-Erkrankung, deren Defekt auf
Chromosom Xq13.21 liegt. Das klinische Bild ist relativ variabel
und hångt von der Långe der defekten CAG-Wiederholungen
ab. Die ersten Symptome treten in der Regel zu Beginn der 4.
Lebensdekade auf und betreffen v. a. die Gesichts- und Schlund-
muskulatur sowie die proximale Extremitåtenmuskulatur. Wie
bei allen anderen SMA auch, zeigen sich zunehmend Muskel-
atrophien mit Faszikulationen bei fehlenden Muskeleigenrefle-
xen und intaktem Sensorium.

13.2.3 Øtiopathogenese

Øtiologie und Pathophysiologie sind nach wie vor unklar. Gene-


tische Studien erhårten den Verdacht auf einen Gendefekt auf
Chromosom 5 (5q11.2±13.3). Pathophysiologisch werden analog
zur ALS glutaminerge Mechanismen, aber auch Formen eines
apoptotischen Zelluntergangs diskutiert.

13.2.4 Therapie

Eine kausale Therapie ist nicht bekannt. Bei den benignen Ver-
laufsformen ist Krankengymnastik sinnvoll. Bei der Bulbårpara-
lyse sollte frçhzeitig die Ernåhrung durch eine Fistel diskutiert
werden, um Aspiration und Kachexie in frçhen Stadien zu ver-
meiden.
394 z 13 Degenerative Erkrankungen

13.3 Spastische Spinalparalyse [ICD 10: G 11.8]

13.3.1 Definition und Epidemiologie

Synonyme dieser Erkrankung sind hereditåre spastische Para-


parese, Von-Strçmpell-Erkrankung, Strçmpell-Lorraine-Syn-
drom und Erb-Charcot-Krankheit.
Es ist eine seltene, heterogene Gruppe çberwiegend hereditå-
rer Erkrankungen, die sowohl autosomal-dominant (ca. 70%
der Fålle), autosomal-rezessiv, aber auch X-chromosomal-rezes-
siv vererbt werden kann und ausschlieûlich zu einer Degenera-
tion der Pyramidenbahn fçhrt. Durch neuere genetische Befun-
de ist die Einteilung auch hier in Bewegung, wobei bisher 14
verschiedene Genloci entdeckt wurden. Die Pråvalenz ist nicht
klar und wird zwischen 1±10 pro 100 000 Einwohner fçr Mittel-
europa angegeben. Månner sind im Verhåltnis 2 : 1 etwas håufi-
ger betroffen als Frauen.

13.3.2 Klinik und Diagnostik

Klinische Manifestation und Erkrankungsalter sind sehr varia-


bel. Schlçsselsymptom ist die langsam ± meist çber Jahre ±
progrediente Paraspastik bei positiver Familienanamnese. Die
immer umfangreicheren genetischen Befunde lassen jedoch ver-
muten, dass es asymptomatische Fålle gibt, sodass das Kriteri-
um der Familienanamnese wahrscheinlich weniger sinnvoll ist
als bisher angenommen. Auch wenn viele Fålle bereits im 1.
oder 2. Lebensjahrzehnt beginnen, sind auch Fålle im Senium
beschrieben. Die meisten Fålle beginnen typischerweise jedoch
vor dem 40. Lebensjahr. Da eine genetische Routineunter-
suchung noch nicht mæglich ist, bleibt nur eine mæglichst gute
klinische Identifizierung und der Ausschluss der wichtigsten
Differenzialdiagnosen. Folgende klinische Charakteristika lassen
sich typischerweise finden:
z zunåchst Beinsteifigkeit durch zunehmende Tonuserhæhung
der Muskulatur,
a 13.3 Spastische Spinalparalyse z 395

z spåter spastische Paresen der Beine, wobei Tonuserhæhung


oder Spastik stårker ausgeprågt sind als die Schwåche der
Muskulatur, im weiteren Verlauf spastische Kontrakturen,
z charakteristisch in vielen Fållen: Spastik der Adduktoren
(Patient bekommt die Knie nicht auseinander),
z gesteigerte Muskeleigenreflexe, Kloni und Pyramidenbahnzei-
chen,
z intakte Sensibilitåt, bei einigen Patienten jedoch diskrete
Mitbeteiligung,
z erst nach einigen Jahren u.U. Mitbeteiligung der Arme,
z håufig Blasenentleerungsstærungen, selten auch als initiales
Symptom,
z langsame Progredienz, 20±30 Jahre, kaum eingeschrånkte Le-
benserwartung.

Die bisherige klinische Einteilung in zwei Formen entsprechend


dem Eintrittsalter in eine langsam verlaufende Form, die vor
dem Erreichen des 35. Lebensjahres einsetzt, und eine schneller
verlaufende Form, die erst nach dem 35. Lebensjahr beginnt,
wird aufgrund der genetischen Erkenntnisse wieder aufgege-
ben. Die Formen werden in Zukunft am ehesten nach dem Lo-
cus der genetischen Schådigung eingeteilt. Daraus ergeben sich
derzeit folgende Unterscheidungen:
z 1. Autosomal dominante Formen:
± Bisher wurden 7 Genloci identifiziert: SPG3, SPG4, SPG6,
SPG8, SPG9, SPG10, SPG12.
± Håufigster Locus ist SPG4: 2p21±p24; es betrifft çber
50% aller Fålle und kodiert das Protein ¹Spastinª, das
verschiedene Funktionen im zellulåren Regulationszyklus
hat. Die meisten dieser Fålle beginnen im 3. oder 4. Le-
bensjahrzehnt und entwickeln sich relativ rasch. Doch
auch das klinische Bild ist nicht einheitlich, sondern sehr
variabel.
z 2. Autosomal-rezessive Formen: Bisher wurden 4 Genloci
identifiziert: SPG5, SPG7, SPG11, SPG14. Die meisten dieser
Fålle beginnen bereits im 1. oder 2. Lebensjahrzehnt und
zeigen relativ håufig auch Blasenstærungen, pseudobulbåre
Symptome, sensible Defizite sowie Optikus- oder zerebellåre
Atrophien.
396 z 13 Degenerative Erkrankungen

z 3. X-Chromosomal-rezessive Formen: Bisher wurden 2 Genlo-


ci identifiziert: SPG1 und 2, die insgesamt jedoch wahr-
scheinlich wesentlich seltener sind als die autosomalen For-
men. Interessanterweise scheinen sich diese Formen mit an-
deren Erkrankungen, wie dem vererbten Hydrozephalus
(HSAS) zu çberschneiden. Eine genaue klinische Charakteri-
sierung steht noch aus.

z Differenzialdiagnosen
Da es keinen diagnostischen Marker gibt, kommt dem Aus-
schluss mæglicher Differenzialdiagnosen die græûte Bedeutung
zu. Labor und Liquor sind unauffållig. Kernspintomographisch
kann in manchen Fållen eine Atrophie des Myelon beobachtet
werden. Folgende Erkrankungen sollten im Rahmen einer Ab-
klårung ausgeschlossen werden:
z andere degenerative Erkrankungen (spastische Ataxie SCA
(siehe Kap. 12), ALS, hierbei die seltene initial spastische
Form);
z mechanische Mylonlåsionen: zervikale Myelopathien und an-
dere spinale Raumforderungen, Fehlbildungen und Malfor-
mationen;
z entzçndliche Erkrankungen: MS, HTLV-1-assoziierte Myelitis,
HIV-induzierte Myelopathien, luetische Spåtmanifestationen;
z erworbene und hereditåre Stoffwechselerkrankungen: Hypo-
vitaminosen, funikulåre Myelitis, Adrenoleukodystrophien,
Mitochondriopathien.

13.3.3 Øtiopathogenese
Sie ist nach wie vor unklar. Histologisch kommt es zu einer
Degeneration der kortikospinalen Bahnen. Pathophysiologisch
werden analog zur ALS glutaminerge Mechanismen, aber auch
Formen eines apoptotischen Zelluntergangs diskutiert. Die Ana-
lyse der bekannten ± unterschiedlichen ± Gendefekte wird mæg-
licherweise in wenigen Jahren den zugrunde liegenden Patho-
mechanismus offenbaren. Mæglicherweise handelt es sich hier
jedoch um verschiedene Mechanismen mit åhnlichen klinischen
Symptomen.
a 13.4 Primåre Lateralsklerose z 397

13.3.4 Therapie und Prognose

Eine kausale Therapie ist nicht bekannt. Neben regelmåûiger


Krankengymnastik kann die Gabe von Baclofen (z. B. Lioresal,
Dosierung 15±75 mg/Tag) ± in letzter Konsequenz auch intrathe-
kal ± die spastische Symptomatik verbessern. Darçber hinaus
kænnen auch Agonisten an zentralen a2-adrenergen Rezeptoren
wie Tizanidin (Sirdalud) verabreicht werden, wobei der genaue
Wirkmechanismus im Zusammenhang mit der Reduktion der
Spastik nicht vollståndig geklårt ist. Am ehesten erfolgt die Wir-
kung çber eine Freisetzungshemmung exzitatorischer Aminosåu-
ren in spinalen Interneuronen. Die Dosierung des Tizanidins be-
ginnt mit 3 ´ 2 mg/Tag und kann pro Woche um 8 mg gesteigert
werden. Die maximale Dosis sollte 24 mg/Tag nicht çberschrei-
ten. Typische Nebenwirkungen sind Benommenheit und Schwin-
del. Auch Dantrolen (Dantamacrin), ein Hydantoinderivat, kann
versuchsweise gegeben werden. Es wirkt direkt an den kontrakti-
len Elementen der Muskelfaser und vermindert die Freisetzung
von Kalzium aus dem sarkoplasmatischen Retikulum. Die initiale
Dosierung beginnt mit 2 ´ 25 mg/Tag und kann um die gleiche
Dosis pro Woche auf maximal 400 mg/Tag gesteigert werden. Ne-
ben den typischen Nebenwirkungen wie Sedierung und Benom-
menheit treten hier v. a. Ûbelkeit, Erbrechen, Durchfall und in
seltenen Fållen schwere Leberschådigungen auf, da die Substanz
fast ausschlieûlich çber die Leber verstoffwechselt wird.

13.4 Primåre Lateralsklerose [ICD 10: G 12.2]

13.4.1 Definition und Epidemiologie

Die primåre Lateralsklerose ist eine isolierte Degeneration von


Neuronen des Motorkortex, der groûen Pyramidenbahnzellen
und der Pyramidenbahn. Epidemiologische Daten liegen nicht
vor, aber sie ist wesentlich seltener als die ALS.
398 z 13 Degenerative Erkrankungen

13.4.2 Klinik und Diagnostik

Das Erkrankungsalter liegt im 4. oder 5. Lebensjahrzehnt und


åhnelt sehr dem Bild der spastischen Spinalparalyse, sodass die
Abgrenzung problematisch sein kann. Die Familienanamnese
ist jedoch leer. Folgende Symptomkonstellationen sind typi-
scherweise zu beobachten:
z langsam chronisch-progrediente Paraspastik der unteren Ex-
tremitåt, im weiteren Verlauf (Jahre bis Jahrzehnte) Betei-
ligung der Arme mæglich,
z als Folge der Pyramidenbahnschådigung Pyramidenbahnzei-
chen, jedoch keine Muskelatrophien,
z bulbåre Beteiligung mit Dysarthrie,
z keine Blasenbeteiligung (anders als bei der SSP),
z selten auch Affektinkontinenz.

Auch hier handelt es sich um eine Ausschlussdiagnose, da ein


spezifischer Marker nicht zur Verfçgung steht. Laborwerte, ge-
netische SCA-Marker und Liquor sind unauffållig. Die Pyrami-
denbahnschådigung fçhrt zu pathologischen oder nicht auslæs-
baren motorischen evozierten Potenzialen. Die restliche Neuro-
physiologie mit Nervenleitgeschwindigkeit, EMG und sensibel
evozierten Potenzialen ist hingegen normal. Mit der Positronen-
emissionstomographie kann allerdings ein verminderter Gluko-
sestoffwechsel isoliert im Motorkortex nachgewiesen werden.
Auch hier mçssen im Rahmen der Abklårung die in Abschn.
13.3 aufgefçhrten Erkrankungen ausgeschlossen werden.

13.4.3 Øtiopathogenese

Die genauen Mechanismen sind unklar. Erst wenige Fålle konn-


ten post mortem untersucht werden. Klar ist jedoch die isolier-
te Degeneration der Schicht V im Motorkortex und die Affekti-
on der Pyramidenbahn.
a 13.4 Primåre Lateralsklerose z 399

13.4.4 Therapie und Prognose

Eine Therapie ist nicht bekannt. Die symptomatische Therapie


der Spastik steht im Vordergrund. Auswahl und Dosierung ent-
sprechen den unter Abschn. 13.3 aufgefçhrten Substanzen. Die
Prognose ist relativ gut. Durch den langsamen Verlauf ist die
Lebenserwartung nicht signifikant eingeschrånkt, wenn sekun-
dåre Erkrankungen wie Pneumonien der Dekubiti vermieden
bzw. rechtzeitig behandelt werden.
400

Anhang 13.1 Symptomatische Behandlung der amyotrophen Lateralsklerose


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] bei tgl. Einnahme [1 ]

Riluzol
z Filmtbl. Rilutek, 56 St., N2, 478,00/8,54 2 ´ 50/Tag 512,4
Aventis 50 mg
EURIM Pharm
13 Degenerative Erkrankungen
14 Erkrankungen der Hirnnerven
Volker Limmroth
402 z 14 Erkrankungen der Hirnnerven

14.1 N. olfactorius (I) [ICD 10: G 52.0]

Bei Ausfall oder Schådigung des N. olfactorius erfolgt vermin-


dertes oder Ausfallen des Geruchsempfindens (Hyposmie, Anos-
mie).

14.1.1 Klinik und Diagnostik

Eine Anosmie wird von Patienten immer als Geschmacksstæ-


rung interpretiert. Klinisch kænnen Geruchsstærungen durch
das nasale Einatmen von spezifischen Geruchsstoffen çberprçft
werden. Ursachen von Riechstærungen kænnen sein:
z akute oder chronische Meningitiden mit Låsion der olfakto-
rischen Filamente,
z Zustand nach Schådel-Hirn-Traumata,
z Zustand nach Virusinfekt,
z Tumoren in der vorderen Schådelgrube (z. B. Olfaktoriusme-
ningiome).

14.2 N. opticus (II) [ICD 10: H 46]

Erkrankungen der Retina wie eine Ablatio retinae fçhren zu


einer monokulåren Sehstærung mit der Wahrnehmung von
Lichtblitzen und parazentralen Gesichtsfelddefekten. Låsionen
des N. opticus kænnen bedingt sein durch (mit abnehmender
Håufigkeit):
z Retrobulbårneuritis (Neuritis Nn. optici) isoliert oder im
Rahmen einer multiplen Sklerose oder eines Devic-Syn-
droms; hier kommt es zu Milchglassehen, Farbentsåttigung
(v. a. rot und grçn), Visusverlust innerhalb kurzer Zeit, ver-
græûertem blindem Fleck oder Zentralskotom und Bewe-
gungsschmerz des Bulbus.
z Stauungspapille; innerhalb weniger Tage entwickelt sich ein
vergræûerter blinder Fleck, spåter eine konzentrische Ge-
a 14.3 N. okulomotorius (III), N. trochlearis (IV) und N. abducens (VI) z 403

sichtsfeldeinengung und Visusminderung. Håufigstes Begleit-


symptom: Kopfschmerzen und Nçchternerbrechen.
z Raumforderungen im Bereich der Orbita entwickeln sich
langsam und gehen mit einem Exophthalmus oder einer Pa-
pillenatrophie einher.

14.3 N. okulomotorius (III), N. trochlearis (IV)


und N. abducens (VI) [ICD 10: H 49.0-2]
Die Okulomotorik wird von 3 Hirnnerven gesteuert: dem N.
oculomotorius (III), dem N. trochlearis (IV) und dem N. abdu-
cens (VI). Alle 3 Nerven werden daher zusammen besprochen.
Insgesamt sind Ausfålle des N. abducens am håufigsten
(40±50% aller Ausfålle), wåhrend Okulomotorius- und Troch-
learisparesen etwa gleich håufig sind. Die wichtigsten Leit-
symptome bei Låsionen der okulomotorischen Hirnnerven sind
Doppelbilder und Ptose. Nicht selten sind die Ausfålle jedoch
inkomplett oder liegen in Kombination mit anderen Ausfållen
vor, sodass die Diagnose erschwert ist.

z Der N. oculomotorius innerviert alle Augenmuskeln bis auf den


M. obliquus superior, der vom N. trochlearis und den M. rectus
lateralis, der durch den N. abducens innerviert wird. Als einziger
der 3 Nerven fçhrt er auch parasympathische Fasern. Eine kom-
plette III-Parese fçhrt daher zu dem typischen Bild von
z Ptose (Tabelle 14.1),
z nach unten auûen abweichendem Bulbus (Ûberwiegen des
M. rectus lateralis und M. obliquus superior),
z mydriatischer, lichtstarrer Pupille, wobei die konsensuelle
Reaktion des Gegenauges erhalten bleibt.

In der Motilitåtsprçfung imponiert ferner, dass das paretische


Auge nicht nach nasal adduziert werden kann. Subjektiv gibt
der Patient schrågstehende Doppelbilder an (sofern die Ptose
das Sehen nicht verhindert), die sich beim Blick nach nasal
verstårken. Unter den inkompletten Formen der III-Parese wird
zunåchst folgendermaûen unterschieden:
404 z 14 Erkrankungen der Hirnnerven

Tabelle 14.1. Differenzialdiagnose der Ptose

Einseitig ohne Einseitig mit Beidseitig ohne Beidseitig mit


Doppelbilder Doppelbildern Doppelbilder Doppelbildern

z Horner-Syndrom z Okulo- z Chronisch- z Myasthenie


motoriuslåsion progrediente
externe
Ophthalmoplegie
z Kerns-Sayre- z Polyneuritis
Syndrom cranialis,
Miller-Fisher-
Syndrom
z Dystrophie der z Okulåre Myositis
Augenmuskeln (meist mit
im Rahmen der Schmerzen)
myotonen
Muskeldystrophie

z åuûere III-Parese (eingeschrånkte Bulbusmotilitåt bei erhalte-


ner autonomer Innervation),
z innere III-Parese (weite lichtstarre Pupille, unauffållige Bul-
busmotilitåt).

Allerdings treten je nach Ort und Umfang der Låsion auch Pa-
resen einzelner Muskeln oder Muskelgruppen (z. B. Parese des
Rectus medialis) auf. In der Anatomie des Nervs gibt es Beson-
derheiten, die klinisch relevant sind und fçr die topographische
Bestimmung des Låsionsorts genutzt werden kænnen:
z Das Kerngebiet des III ist relativ groû und nicht alle Kerne
sind paarig angelegt. So ist das Kerngebiet fçr den M. levator
palpebrae unpaar medial gelegen.
z Wåhrend alle Fasern ipsilateral verlaufen, kreuzen die Fasern
des M. rectus superior nach kontralateral.

Diese anatomischen Gegebenheiten haben zur Folge, dass bei


einer Låsion des III auûerhalb des Hirnstamms die Ptose das
meist fçhrende Symptom ist, bei einer Låsion im Hirnstamm
jedoch eher hinter den anderen Ausfållen zurçcktritt. Darçber
a 14.3 N. okulomotorius (III), N. trochlearis (IV) und N. abducens (VI) z 405

hinaus ist bei reinen Hirnstammlåsionen auch der M. rectus


superior der kontralateralen Seite mitbetroffen.
Die komplette Parese ist seltener als die inkomplette Parese
und fast ausschlieûlich peripherer Genese: Traumata, Aneurys-
men oder Neoplasmen der Schådelbasis. Inkomplette Paresen
kænnen peripherer wie zentraler Genese sein: nicht rupturierte
wie rupturierte Aneurysmen (insbesondere der A. carotis inter-
na am Abgang der A. communis posterior), Schådel-Hirn-Trau-
mata, Neoplasmen, aber auch vaskulåre bzw. ischåmische Låsio-
nen (insbesondere der Kerngebiete). Bei ålteren Patienten ist
ferner die (inkomplette, einseitige) diabetische Okulomotorius-
parese nicht selten, die von heftigen retroorbitalen Kopfschmer-
zen begleitet werden kann, aber eine gute Prognose hat. III-Pa-
resen kænnen auûerdem ± wenn auch seltener ± im Rahmen in-
fektiæs-entzçndlicher Prozesse (basale Meningitiden, Tuberku-
lose, Lues, Zoster ophthalmicus, Sinusitiden etc.) oder als Kom-
plikation neurochirurgischer Eingriffe vorkommen.

z Der N. trochlearis innerviert ausschlieûlich den M. obliquus


superior, der den Bulbus nach unten senkt und leicht nach in-
nen rotiert. Die Abweichung des Bulbus in Ausgangsstellung ist
daher nur gering. Typischerweise beklagt der Patient vertikale
Doppelbilder, die bei Adduktion zunehmen. Bei Abduktion des
Auges hingegen verringert sich der Abstand zwischen den Bil-
dern, die nun jedoch zunehmend schråg stehen (hier ist der
Muskel çberwiegend Einwårtsroller). Typisch ist somit eine
Fehlhaltung des Kopfs mit Neigung und Wendung zur Gegen-
seite.
Isolierte IV-Paresen sind selten. Sehr viel håufiger werden
sie in Kombination mit anderen Hirnnervenparesen gesehen.
Øtiologisch kommen neben Schådel-Hirn-Traumata (v. a. der
Orbita), insbesondere vaskulåre bedingte Paresen vor (meist bei
ålteren Diabetikern, hier allerdings schmerzlos). Neoplasmen
oder Aneurysmen sind im Vergleich zu Okulomotoriusparesen
(sehr) seltene Ursachen.

z Der N. abducens (VI) innerviert ausschlieûlich den M. rectus


lateralis. Die Parese des Nervs ist die håufigste isolierte Parese
der 3 Augenmuskelnerven. Das betroffene Auge weicht deutlich
406 z 14 Erkrankungen der Hirnnerven

sichtbar nach nasal und ist in schwerwiegenden Fållen nicht


einmal bis zur Mittellinie abduzierbar. Der Patient beklagt
nebeneinanderstehende Doppelbilder und wendet den Kopf in
Richtung des paretischen Auges mit Blick nach gegençber, um
Doppelbilder zu vermeiden. Øtiologisch sind vaskulåre und
neoplastische Ursachen am håufigsten. Unter den vaskulår be-
dingten Paresen tritt die Mehrheit im Rahmen eines Diabetes
auf. Tumorbedingte VI-Paresen kænnen durch direkte oder in-
direkte Einwirkung entstehen. Doch auch andere Ursachen in-
fektiæser (Meningitis, Lues, Zoster ophthalmicus), entzçndlicher
(multiple Sklerose, Guillain-Barr-Syndrom, Kollagenosen) oder
mechanischer (Håmatome, Pseudotumor cerebri, Lumbalpunk-
tion) Øtiologien kommen vor. Aufgrund der anatomischen Lage
des Abduzenskerns treten isolierte Paresen bei Hirnstammlåsio-
nen nur selten auf, sondern sind wesentlich håufiger mit ande-
ren Hirnnervenausfållen wie z. B. Fazialisparesen assoziiert. Es
sollte erwåhnt werden, dass sich die Øtiologie der VI-Paresen
bei Kindern von denen Erwachsener deutlich unterscheidet. Bei
Kindern stehen im Wesentlichen neoplastische Ursachen im
Vordergrund, wåhrend vaskulåre Ursachen unbedeutend sind.

Kombinierte Ausfålle optomotorischer Hirnnerven

Internukleåre Ophthalmoplegie

Die Internukleåre Ophthalmoplegie (INO) ist ein relativ håufi-


ges Syndrom, das insbesondere bei multipler Sklerose und der
Wernicke-Enzephalopathie auftritt. Klinisch imponiert, dass das
betroffene Auge bei erhaltener Konvergenz nicht çber die Mitte
adduziert werden kann. Ferner zeigt sich auf dem gesunden
Auge beim Blick nach seitwårts (nach nasal fçr das paretische
Auge) ein dissoziierter Nystagmus. Pathophysiologisch liegt
eine Schådigung des hinteren Långsbands (Fasciculus lateralis
medialis) zugrunde.
a 14.4 N. trigeminus (V) z 407

14.4 N. trigeminus (V) [ICD 10: G 50]

Der V. Hirnnerv besitzt alle Qualitåten und versorgt auch die


Hirnhåute mit ihren Gefåûen sensibel. Damit ist er auch der
wichtigste Nerv, der Schmerzen im Bereich Kopf und Gesicht
çbertrågt und u.U. auch verursacht. Im Ganglion Gasseri teilt
sich der Nerv in 3 Øste:
z den R. ophthalmicus (V1), der mit seinen Østen die Stirn,
obere Kopfhaut, die Augen und die Meningen sensibel ver-
sorgt;
z den R. maxillaris (V2), der sensibel Teile der Dura, den
Oberkiefer sowie sensibel und sekretorisch den Orbitaboden
sowie die Nasenschleimhåute versorgt;
z den R. mandibularis (V3), der sensibel den Unterkiefer, mo-
torisch die Kaumuskulatur, sekretorisch die Mundhæhle und
sensorisch den vorderen Anteil der Zunge versorgt.

Isolierte Ausfålle des N. trigeminus oder eines Astes sind aus-


gesprochen selten und kommen eigentlich nur im Rahmen von
Traumata oder ausgedehnten Tumoren vor. Vielmehr stehen
hier spezifische Krankheitsbilder wie die Trigeminusneuralgie
(wird in Kap. 1 besprochen) oder Herpes zoster (ophthalmicus)
im Vordergrund. Beim Zoster sind typischerweise scharf auf
das sensible Versorgungsgebiet begrenzt nur einzelne Øste des
Trigeminus befallen. Von den subjektiv fçr den Patienten ext-
rem unangenehmen Begleiterscheinungen (Schmerzen, Efflores-
zensen) abgesehen, ist insbesondere beim Zoster ophthalmicus
(Befall des V1) sofortiges Handeln geboten, um mægliche Af-
fektionen des Auges zu vermeiden, die innerhalb von wenigen
Tagen zu einem massiven Visusverlust fçhren kænnen. Sehr viel
seltener werden idiopathische oder symptomatische Trigemi-
nusneuropathien gesehen, die sich als schmerzlose Stærungen
der Sensibilitåt darstellen und v. a. nach Virusinfekten oder im
Rahmen von Diabetes mellitus, multipler Sklerose oder Kollage-
nosen vorkommen.
408 z 14 Erkrankungen der Hirnnerven

14.5 N. facialis (VII) [ICD 10: G 51]

Von allen Hirnnervenausfållen kommen die des N. facialis am


håufigsten vor und spielen im klinischen Alltag eine wichtige
Rolle. Der N. facialis besitzt alle Qualitåten, ist aber ein im We-
sentlichen motorischer Nerv fçr die gesamte Gesichtsmuskulatur,
mit einem sensiblen Anteil fçr Ohr und Trommelfell, sensori-
schen Fasern fçr die vorderen zwei Drittel der Zunge und para-
sympathischen Fasern fçr die Speicheldrçsen. Grundsåtzlich
kann die Låsion des Nervs an unterschiedlichen Lokalisationen
vorkommen, sodass man grob zwischen einer zentralen (supra-
nukleåren) und peripheren (infranukleåren) VII-Parese unter-
scheidet. Da der Nucleus facialis auch Fasern des kontralateralen
Kortex fçr die kranialen Abschnitte des Nervs erhålt, bleiben bei
einem Låsionsort oberhalb (zentral) des Nukleus insbesondere
der obere Abschnitt der Gesichtsinnervation (Stirnfalten) intakt.
Bei einer kompletten peripheren Fazialisschådigung findet
sich daher eine Parese aller Gesichtsmuskeln, eine Vermin-
derung der Trånen- und Speichelsekretion, eine Hyperakusis
sowie eine Geschmacksstærung der vorderen Zungenabschnitte.
Darçber hinaus fehlen bei einer zentralen Låsion Geschmacks-
stærungen, Speichelsekretionsstærungen und die Hyperakusis.
Øtiologisch werden die meisten der plætzlich auftretenden Fa-
zialisparesen nie geklårt. Man spricht daher von idiopathischen
Fazialisparesen, geht aber am ehesten von einer Entzçndung
durch neurotrophe Viren oder auch Spirochåten wie Borrelien
aus. Dabei soll das entzçndungsbedingte Anschwellen der Mye-
linscheiden an einer physiologischen Enge (z. B. Canalis N. fa-
cialis, Foramen stylomastoideum) zu einer kompressions-
bedingten Minderperfusion des Nervs fçhren. Seltener kommen
jedoch auch andere Ursachen in Betracht: Trauma wie Felsen-
beinfrakturen, Infektionen wie Zoster oticus oder Mastoiditi-
den, Tumoren des Kleinhirnbrçckenwinkels, des Glomus oder
der Parotis. Auch im Rahmen von Diabetes oder Schwanger-
schaft werden spontane Fazialisparesen ohne erkennbare Ursa-
che beobachtet. Bevor die Diagnose einer idiopathischen Fazia-
lisparese gestellt werden kann, mçssen andere Ursachen durch
genaue klinische Untersuchung (Ohrenspiegelung: Ausschluss
a 14.5 N. facialis (VII) z 409

Zoster oticus), Liquordiagnostik (Ausschluss behandelbare bak-


terielle Infektion) und Bildgebung (Ausschluss Raumforderun-
gen) ausgeschlossen werden.

Die idiopathische Fazialisparese (Bell-Parese)


[ICD 10: G 51.0]

z Definition und Epidemiologie


Die Bell-Parese ist eine isolierte, periphere, meist einseitige per-
akut auftretende Låhmung des VII ohne nachweisbare Ursache.
Sie ist die håufigste Form der Fazialisparesen mit einer Inzi-
denz von ca. 20 pro 100 000 Einwohner jåhrlich in allen Alters-
gruppen.

z Klinik und Diagnostik


Anatomisch handelt es sich um eine Schådigung des infra-
nukleåren Abschnitts des N. facialis, sodass alle Abschnitte des
Nervs (also auch die Projektionen von kontralateral) betroffen
sind. Typischerweise tritt die Parese akut (håufig çber Nacht)
auf und ist in der Hålfte der Fålle von Schmerzen im Bereich
von Mastoid und Ohr begleitet. Langsam entstehende Paresen
sind immer verdåchtig, eine andere Ursache (z. B. Klein-
hirnbrçckenwinkeltumor) zu haben und mçssen in jedem Fall
weiter abgeklårt werden (NMR, CCT, LP). Als Abgrenzung zu
einer zentralen Parese ist klinisch am auffålligsten, dass die
Stirn bei der peripheren Parese nicht mehr innerviert bzw.
nicht mehr in Falten gelegt werden kann. Auch der Lidschluss
ist auf der betroffenen Seite nicht mehr vollståndig, sodass
beim Augenschluss das physiologische Aufwårtsrollen des Bul-
bus beobachtet werden kann (Bell-Zeichen). Das klinische Bild
der peripheren VII-Parese kann jedoch je nach anatomischem
Låsionsort unterschiedlich ausgeprågt sein. Je distaler die Låsi-
410 z 14 Erkrankungen der Hirnnerven

on im peripheren Verlauf des Nervs liegt, desto geringer ist die


Gesamtsymptomatik:
z die Låsion liegt proximal des Abgangs des N. petrosus super-
ficialis mit seinen parasympathischen Fasern: neben motori-
scher Parese gestærte Sekretion der Trånen und Speichel-
drçsen (Beståtigung durch Schirmer-Test: Læschpapier unter-
halb der Drçsen befestigen, Seitenvergleich nach 10 min)
und Hyperakusis;
z die Låsion liegt distal des Abgangs des N. petrosus super-
ficialis, aber proximal des N. stapedius: Trånensekretion in-
takt, motorische Parese plus Hyperakusis plus gestærte Spei-
chelsekretion;
z die Låsion liegt distal des Abgangs des N. stapedius und
Chorda tympani (Foramen, besteht keine Hyperakusis); bei
einer Låsion distal des Foramen stylomastoideum liegen
schlieûlich nur noch rein motorische Ausfålle vor.

Die meisten Fålle der Fazialisparesen sind idiopathisch und


bedçrfen neben einer grçndlichen klinisch-neurologischen Un-
tersuchung sowie der allgemeinen Laborparameter keiner be-
sonderen Abklårung. In jedem Fall muss jedoch das Ohr inspi-
ziert werden, um einen mæglichen Zoster oticus, der in ca. 10%
aller Fazialisparesen vorkommt, auszuschlieûen. Bei Vorliegen
weiterer fokal-neurologischer Symptome (insbesondere weiterer
Hirnnervenbeteiligungen) muss die Diagnostik unter stationå-
ren Bedingungen weitergefçhrt werden (kraniale Bildgebung,
LP, spezifische Erregersuche: Borrelien, Lues, HIV). Auch beid-
seitige VII-Paresen bedçrfen der dringenden weiteren Abklå-
rung (Differenzialdiagnose: Neuroborreliose, Morbus Boeck).

z Prognose
Sie ist bei frçhzeitiger Behandlung relativ gut. Mit Hilfe einer
Fazialisneurographie kann die Prognose abgeschåtzt werden.
Betrågt die Amplitude auf der geschådigten Seite mindestens
30% der Gegenseite, ist die Progrnose gut.
a 14.5 N. facialis (VII) z 411

z Øtiopathogenese
Die Øtiopathogenese ist unklar, es wird eine virale Infektion
des peripheren Nervs mit konsekutiver Schwellung und Ab-
klemmung im Canalis facialis diskutiert.

z Therapie
z Medikamentæs: Ausgehend von einer entzçndlichen Genese,
die zu einer am ehesten mechanischen Komprimierung des
Nervs in einem knæchernen Kanal durch Schwellung gefçhrt
hat, erfolgt die Therapie der idiopathischen Fazialisparese
mit einer mindestens 7-tågigen Steroidbehandlung (z. B.
100 mg Methylprednison/Tag). Bei Hinweis auf eine abgelau-
fene Infektion mit einem spezifischen Erreger (z. B. Liquor-
befund mit Nachweis von Borrelienantikærpern) wird ferner
antibiotisch (Breitbandantibiotika wie Ceftriaxon, Rozephin
2 ´ 2 g) oder bei Hinweisen auf eine Herpesinfektion antiviral
(Acyclovir) behandelt. Bei eindeutiger Pleozytose im Liquor-
befund ohne Erregernachweis wird auch die probatorische
Gabe eines Antibiotikums diskutiert.
z Allgemeine Maûnahmen: Um eine Keratitis der Bindehaut zu
vermeiden, muss das Auge der betroffenen Seite insbesonde-
re nachts mit einem am besten feuchten Uhrglasverband ab-
gedeckt werden. Darçber hinaus sollte der Patient bereits
frçhzeitig mit Ûbungen zum Training der Gesichtsmuskula-
tur beginnen. Die Prognose ist bei initial inkompletten Pare-
sen gut. Bei initial kompletten Paresen heilen > 70% der Fålle
wieder komplett aus.
412 z 14 Erkrankungen der Hirnnerven

Hemispasmus facialis [ICD 10: G 51.3]

z Definition und Klinik


Hemispasmus facialis zeichnet sich durch stets einseitige un-
willkçrliche tonische Anspannung und klonische Zuckungen
der fazialisinnervierten Muskulatur aus. Initial beginnt das
Krankheitsbild am M. orbicularis oculi und breitet sich dann
im weiteren Verlauf auf das gesamte Gesicht aus. Øtiologisch
kommen Kompressionen des peripheren extrazerebralen Ner-
venstamms durch Gefåûanomalien, Aneurysmen oder Angiome
in Betracht.

z Therapie und Prognose


Die Behandlung besteht heute zunåchst in der Injektion von
Botulinumtoxin in die betroffenen Muskeln. Erst bei Versagen
dieser Therapie ist eine mikrovaskulåre Dekompression nach
Janetta zu erwågen.

Melkersson-Rosenthal-Syndrom [ICD 10: G 51.2]

z Definition und Klinik


Das Melkersson-Rosenthal-Syndrom ist eine rezidivierend auf-
tretende seitenwechselnde, aber auch bilaterale Fazialisparese,
die meist mit einer Schwellung des Gesichts einhergeht und auf
der Basis einer granulomatæsen Entzçndung entsteht. Betroffen
sind çberwiegend junge Erwachsene. Øtiologische Gemeinsam-
keiten zum Morbus Boeck werden diskutiert.

z Therapie und Prognose


Ausgehend von immunologischer Genese besteht die Therapie
in der Gabe von Kortikosteroiden und Immunsuppressiva.
a 14.6 N. vestibulocochlearis (VIII) z 413

14.6 N. vestibulocochlearis (VIII) [ICD 10: H 93.3]

Dieser rein sensorische Nerv besteht aus 2 Anteilen, die sich


im Meatus acusticus verbinden und von dort aus gemeinsam
verlaufen. Der Nerv repråsentiert jedoch 2 von einander unab-
hångige Sinnesorgane, deren Schådigung oder Ausfall zu ganz
unterschiedlichen Krankheitsbildern und Syndromen fçhrt und
sich mit dem Fachgebiet der HNO çberschneidet. Eine Schådi-
gung oder auch ein Ausfall des N. vestibularis oder des Vestibu-
larapparats åuûert sich im Wesentlichen in einem Ausfall des
Gleichgewichtssinns. Die dabei entstehenden Krankheitsbilder
werden çberwiegend an anderer Stelle abgehandelt (siehe
Kap. 2).
Der N. cochlearis ist der eigentliche Hærnerv, sodass sich der
Ausfall des Nervs immer in einer Verminderung des Hærvermæ-
gens åuûert. Dabei werden zwei Formen der Schwerhærigkeit
unterschieden: die Schallleitungsschwerhærigkeit und die In-

Tabelle 14.2. Ursachen und Symptome der Schallleitungs- und Innenohrschwerhærig-


keit

Ursache Symptome

z Schallleitungs- ± Zerumen ± Hærminderung, nie voll-


schwerhærigkeit ± Otosklerose ståndige Ertaubung
± Entzçndliche Prozesse ± Weber in das betroffene
± Traumen (Trommelfellruptur) Ohr lateralisiert
± Tumoren (Glomus jugulare) ± Rinne pathologisch
z Innenohr- ± Presbyakusis ± Hærminderung, auch voll-
schwerhærigkeit ± Tumoren (Akustikusneurinom) ståndige Ertaubung
± Entzçndliche Prozesse ± Weber in das normale Ohr
± Toxische Ursachen lateralisiert
± Ischåmie der A. labyrinthi ± Rinne normal
± Hirnstammprozesse
± Morbus Meni re
± Seltene Stoffwechsel- und
Systemerkrankungen
(Morbus Refsum, Friedreich-
Ataxie, Cogan-Syndrom)
414 z 14 Erkrankungen der Hirnnerven

nenohr oder Perzeptionsschwerhærigkeit. Ursachen und Symp-


tome sind in Tabelle 14.2 aufgelistet.
Wåhrend das akute Auftreten einer Hærminderung v. a. auf
infektiæse Prozesse, wie Zoster oticus (auch ohne sichtbare
Blåschen) oder Mumps, Traumen (Barotrauma, Trommelfellrup-
tur), aber auch vaskulåre Prozesse der A. labyrinthi zurçckzu-
fçhren ist, beruhen langsam progrediente Hærminderungen
eher auf Tumoren der Schådelbasis oder des Kleinhirnbrçcken-
winkels. Håufig treten hier auch Ohrgeråusche und weitere
Hirnnervenausfålle hinzu.
Neben der Prçfung der Hærschårfe durch Flçstern sind die
einfachen Hærprçfungen nach Weber und Rinne bereits weg-
weisend. Beim Versuch nach Weber wird die Stimmgabel auf
die Stirn des Patienten gesetzt. Beim Gesunden wird keine Late-
ralisation beobachtet. Bei einer Schallleitungsschwerhærigkeit
kann jedoch eine Lateralisation in das betroffene, bei einer In-
nenohrschwerhærigkeit in das gesunde Ohr beobachtet werden.
Der Versuch nach Rinne macht sich den Vergleich zwischen
Knochenleitung und Luftleitung des Schalls zu Nutze. Die
Stimmgabel wird zunåchst an das Mastoid gehalten, wird der
Ton dort nicht mehr wahrgenommen, wird sie direkt vor das
Ohr gehalten. Hier sollte der Ton aufgrund der besseren Luftlei-
tung noch hærbar sein (etwa doppelt solange: Rinne normal).
Bei Schallleitungsschwerhærigkeiten, nicht jedoch bei Innenohr-
schwerhærigkeit, ist die Stimmgabel nur noch kurz oder nicht
mehr vor dem Ohr hærbar (Luft leitet besser als Knochen).

14.7 N. glossopharyngeus (IX) [ICD 10: G 52.1]

Der 9. Hirnnerv hat motorische, sensible, sensorische und se-


kretorische Qualitåten. Er innerviert den oberen und mittleren
Schlundschnçrer, den Tubenmuskel und beteiligt sich an der
Innervation des M. uvulae. Sensibel versorgt er den weichen
Gaumen, die Paukenhæhle, die Eustachi-Ræhre, die Innenflåche
des Trommelfells, die Zungenwurzel und das hintere Zungen-
drittel. Sensorisch innerviert der Nerv das hintere Zungendrit-
a 14.8 N. vagus (X) z 415

tel. Die parasympathischen Anteile wirken sekretorisch auf die


Ohrspeicheldrçse sowie alle anderen Drçsen im Wangen-,
Lippen- und Mundbodenbereich. Klinisch pråsentiert sich eine
Låsion des IX daher mit Schluckbeschwerden, Geschmacks-
stærungen und einem abgeschwåchten Schluckreflex. Isolierte
Schådigungen sind selten und kommen v. a. iatrogen bei chirur-
gischen Eingriffen, im Rahmen entzçndlicher Prozesse (Diph-
therie) oder anderer Systemerkrankungen (Myasthenie) vor.
Ein seltenes Krankheitsbild ist die Glossopharyngeusneuralgie,
die sich analog zur Trigeminusneuralgie durch kurzzeitige,
blitzartig einschieûende, meist triggerbare Schmerzen im Be-
reich von Rachen und Schlund pråsentiert und extrem unange-
nehm fçr die Patienten ist. Die Behandlung entspricht der der
Trigeminusneuralgie mit Carbamazepin oder anderen Antikon-
vulsiva.

14.8 N. vagus (X) [ICD 10: G 52.2]

Auch der Vagus besitzt alle vier Qualitåten. Sein Versorgungs-


gebiet reicht vom Kopf bis ins Abdomen (Vagus: der Vagabundie-
rende). Motorisch innerviert er auûer dem M. cricothyreoideus
alle Kehlkopfmuskeln. Sensibel reichen Fasern bis in die hintere
Schådelgrube, wo er Anteile der Dura versorgt, in den gesamten
Larynx, Teile des Pharynx, zu Kehldeckel, Zungengrund,
Schilddrçse, Luft- und Speiseræhre sowie ins Mediastinum. Die
parasympathischen Anteile regeln wichtige Funktionen der Peris-
taltik von Speiseræhre, Intestinaltrakt und beeinflussen die Herz-
frequenz maûgeblich. Eine isolierte Schådigung des X ist relativ
selten und kommt im peripheren Verlauf am ehesten iatrogen
nach chirurgischen Eingriffen (v. a. Schilddrçsenoperation),
durch Tumoren oder Gefåûmissbildungen vor. Intramedulår gele-
gene Schådigungen werden bei Hirnstamminfarkten, Tumoren
oder anderen in der hinteren Schådelgrube gelegenen Prozessen
verursacht. Klinisch kommt es zu Sensibilitåtsstærungen im Ra-
chenbereich, zu einer fehlenden Innervation der Rachenhinter-
wand mit Verziehen des Gaumensegels zur gesunden Seite (sog.
416 z 14 Erkrankungen der Hirnnerven

Kulissenphånomen) und beeintråchtigtem Wçrgereflex. Das ein-


zige typische Krankheitsbild bei Schådigung eines Vagus-Endasts
(N. recurrens) ist die sog. Recurrensparese, die klinisch durch
Heiserkeit imponiert und nicht selten bei Raumforderungen im
Mediastinum, Aneurysmen des Aortenbogens (links) oder der
A. subclavia rechts beobachtet wird.

14.9 N. accessorius (XI) [ICD 10: G 52.8]

Der N. accessorius ist ein rein motorischer Nerv und innerviert


den M. trapezius und den M. sternocleidomastoideus. Isolierte
Schådigungen des Nervs sind selten:
z periphere Låsionen: Prozesse an der Schådelbasis, Anomalien
des kraniozervikalen Ûbergangs, Lymphadenopathien (Aids,
Tuberkulose) oder iatrogen (zervikale Lymphknotenbiopsien).
In seltenen Fållen kann der XI auch im Rahmen einer Poly-
neuritis cranialis (Sonderform des GBS, siehe dort) betroffen
sein.
z Nukleår: Låsion des Kerngebiets im Rahmen der progressi-
ven Bulbårparalyse.

Klinisch imponiert bei fehlender Innervation des Trapezius ein


Absinken der Schulter, die gegen Widerstand auch nicht geho-
ben werden kann. Ferner kann bei einem paretischen M. ster-
nocleidomastoideus der Kopf nicht gegen Widerstand gedreht
werden.

14.10 N. hypoglossus (XII) [ICD 10: G 53.3]

Eine isolierte Låsion des N. hypoglossus ist selten.


z Periphere Schådigungen: im Rahmen anderer Erkrankungen
wie Tumore, Karotisaneurysmen, Schådelfrakturen.
z Zentral: Låsion des Kerngebiets im Rahmen der progressiven
Bulbårparalyse.
a 14.10 N. hypoglossus (XII) z 417

Klinisch ist die einseitige Låsion nicht besonders auffållig. Der


Zungenballen der betroffenen Seite atrophiert im weiteren Ver-
lauf und weicht beim Herausstrecken zur erkrankten Seite ab,
doch sind Sprechen und Schlucken nicht wesentlich beeintråch-
tigt. Anders jedoch bei einer beidseitigen Låsion: Hier kommt
es zu schweren Sprech- und Schluckstærungen.
15 Periphere Nervenschåden,
Engpasssyndrome
und Bandscheibenvorfålle
Volker Limmroth
420 z 15 Periphere Nervenschåden, Engpasssyndrome und Bandscheibenvorfålle

Einleitung und Ûberblick

Periphere Nervenschådigungen, Engpasssyndrome und Band-


scheibenvorfålle gehæren mit zu den håufigsten neurologischen
Beschwerdebildern in der neurologischen Praxis. Je nach Ort
der Schådigung im Verlauf eines periphereren Nervs kann sich
ein anderes klinisches Bild und eine andere Symptomatik erge-
ben. Einige wenige Engpasssyndrome machen jedoch den
Groûteil aller peripheren Engpasssyndrome aus. Dem Grund-
konzept dieses Buches entsprechend erfolgt hier die Bespre-
chung der wichtigsten Engpasssyndrome sowie der klassischen
Bandscheibenvorfålle nach der Håufigkeit ihres Auftretens. Es
sei jedoch ausdrçcklich darauf hingewiesen, dass hier nur die
kleine Zahl der håufigsten Syndrome besprochen werden kann.

15.1 Karpaltunnelsyndrom (CTS) [ICD 10: G 56.0]

15.1.1 Definition und Epidemiologie

Unter Karpaltunnelsyndrom versteht man die Kompression des


N. medianus (Medianuskompressionssyndrom) im distalen Ab-
schnitt. Das CTS ist das mit Abstand håufigste Kompressions-
syndrom des peripheren Nervensystems.

15.1.2 Klinik und Diagnostik

Die frçhere Bezeichnung des Syndroms als ¹Brachialgia pares-


thetica nocturnaª beschreibt die am håufigsten auftretende
Symptomatik aus Kribbelparåsthesien, die v. a. nachts auftreten
und auch schmerzhaft sein kænnen. Bei der klinischen Unter-
suchung zeigen sich in unterschiedlichem Ausmaû Taubheits-
gefçhle in typischer Verteilung: Betroffen sind beim CTS Dau-
men, Zeigefinger, Mittelfinger und daumennahe Seite des Ring-
fingers. Der kleine Finger darf nicht betroffen sein (wird vom
a 15.1 Karpaltunnelsyndrom (CTS) z 421

N. ulnaris versorgt). Typisch ist ferner das sog. ¹Hoffmann-Ti-


nel-Klopfzeichenª (Schmerzen beim Beklopfen des Handgelenks
palmar). In spåteren Stadien kann es zu ausgeprågten Schmer-
zen kommen, die bis in den Arm ziehen. Differenzialdiagnos-
tisch mçssen spinale und radikulåre Prozesse sowie Plexuslå-
sionen in Erwågung gezogen werden. Frauen sind etwa 2±3-mal
håufiger betroffen. Karpaltunnelsyndrome kænnen auch beidsei-
tig auftreten, typischerweise ist jedoch zunåchst die primåre
Arbeitshand betroffen.
Die Diagnose ist bei typischen Beschwerden håufig bereits kli-
nisch mæglich. Die Sicherung muss aber durch eine neurophysio-
logische Untersuchung erfolgen. Bei leichten Fållen zeigt sich hier
eine Verlångerung der distalen sensiblen Latenz, bei schwereren
Fållen sind auch die motorischen Leitzeiten veråndert. Die neuro-
physiologische Untersuchung ermæglicht v. a. auch die differenzi-
aldiagnostische Abgrenzung zu spinalen und radikulåren Prozes-
sen (insbesondere die Abgrenzung zu C6-Syndromen kann kli-
nisch schwierig sein) und zu den selteneren Plexuslåsionen.

15.1.3 Øtiopathogenese

Ursåchlich ist die Kompression des N. medianus im ræhrenarti-


gen Karpaltunnel, der sich zwischen Daumenballenmuskulatur
und der Kleinfingerballenmuskulatur befindet und durch den
der N. medianus zieht. Die verstårkte Kompression des Nervens
kann sowohl durch Einengung des Kanals als auch durch die Vo-
lumenzunahme im Kanal entstehen. Neben dem Auftreten bei
spezifischer uniformer Belastung tritt ein CTS nicht selten auch
im Rahmen systemischer Verånderungen oder systemischer Er-
krankungen auf. Wichtige systemische Faktoren und Erkrankun-
gen, die die Entstehung eines CTS begçnstigen sind folgende:
z Schwangerschaft,
z Niereninsuffizienz,
z Schilddrçsenerkrankungen,
z rheumatoide Arthritis,
z Polyneuropathien,
z hereditåre Neuropathien, insbesondere Akromegalie,
z neoplastische Erkrankungen (z. B. multiples Myelom).
422 z 15 Periphere Nervenschåden, Engpasssyndrome und Bandscheibenvorfålle

15.1.4 Therapie

Die Therapie richtet sich im Wesentlichen nach der Øtiologie


des CTS. Bei nach Anamnese festgestellter Ûberbelastung er-
folgt zunåchst die Ruhigstellung und ggf. das Tragen einer Un-
terarmschiene zur Nacht. Bleibt das konservative Prozedere un-
wirksam, kann der Versuch einer Gabe von Methylprednisolon
(25 mg oral morgens fçr 1±2 Wochen) erfolgen. Bei Wirkungs-
losigkeit kann dann versucht werden, Prednison ± u. U. in Kom-
bination mit einem Lokalanåsthetikum ± in den Karpaltunnel
zu injizieren. Bei weiterer Beschwerdepersistenz kann schlieû-
lich eine operative Aufweitung des Ligaments durchgefçhrt wer-
den. In erfahrenen Zentren fçr Handchirurgie ist dieser Eingriff
inzwischen relativ komplikationslos durchfçhrbar. Bei Grund-
erkrankungen, die maûgeblich fçr die Erkrankung sein kænnen
(z. B. Schilddrçsenerkrankungen) sollte vor der Einleitung aller
invasiven Maûnahmen die Behandlung der Grunderkrankung
abgewartet werden.

15.2 Sulcus-ulnaris-Syndrom (SUS) [ICD 10: 56.2]

15.2.1 Definition und Epidemiologie

Das Sulcus-ulnaris-Syndrom entsteht durch die Schådigung des


N. ulnaris durch eine Kompression am distalen Oberarm (dor-
sal des Epicondylus humeri medialis). Das SUS ist nach dem
CTS wahrscheinlich das zweithåufigste periphere Nervenkom-
pressionssyndrom.

15.2.2 Klinik und Diagnostik

Das SUS beginnt håufig mit intermittierenden Paråsthesien,


Dys- oder Hypåsthesien im Versorgungsgebiet des N. ulnaris,
im weiteren Verlauf aber auch mit Gefçhlsstærungen, Schmer-
zen in der Hohlhand sowie Schmerzen am Unterarm bis zum
a 15.2 Sulcus-ulnaris-Syndrom (SUS) z 423

Ellenbogen. Unbehandelt folgen Schwåche beim Grob- und


Spitzgriff, zunehmende Ungeschicklichkeit und schlieûlich die
Athropie der ulnar versorgten Handmuskulatur (im Extremfall
mit Krallenstellung des Ring- und Kleinfingers)

15.2.3 Øtiopathogenese

Der entscheidende Mechanismus ist die Kompression des Ner-


vens im gleichnamigen Sulkus sowie der unterschiedlich star-
ken (gelegentlich muskulåren) Ûberdachung des Sulkus bis
zum Arcus tendineus des Flexor carpi ulnaris. Die Schådigung
des Nervs kann durch direkte Kompression des Ellenbogens
(Aufstçtzen, Prellung, Cubitus valgus), durch Subluxation oder
Luxation des Nervs çber den Epikondylus mit Abknickung an
einer der scharfrandigen Strukturen des Sulkusdaches oder
durch Vorwælbung am Sulkusboden (arthrotische Osteophyten,
Knochensporn oder Fraktur, Tumor) entstehen. Håufigste Ursa-
che ist eine Ûberbelastung durch einfærmige Belastung des
Arms und einer entsprechenden Disposition (z. B. Ûberge-
wicht). Eine vermehrte Druckanfålligkeit kann im Rahmen ei-
ner Polyneuropathie (Alkohol, Diabetes, Lepra) oder einer
Zweitkompression (double crush) vorliegen. Die Parese des N.
ulnaris durch Kompression am Ellenbogen nach Fraktur und
Luxation und bei Fehlstellung kann noch Jahre spåter auftreten
(Spåtparese).
Die Diagnosesicherung erfolgt neurophysiologisch durch die
Ermittelung der Nervenleitgeschwindigkeit, die direkt çber dem
Sulkus verlångert ist.
Wichtigste Differenzialdiagnosen sind (insbesondere bei
muskulåren Verånderungen am Hypothenar) die Muskeldystro-
phien, amyotrophe Lateralsklerose, Syringomyelie, Halsrippe,
Zervikalsyndrom, Skalenussyndrom, Thoracic-outlet-Syndrom.
Weitere Differenzialdiagnosen sind die Kompression des N. ul-
naris in der Loge de Guyon (Loge-de-Guyon-Syndrom) sowie
Låsion des unteren Plexus brachialis (C7-C8-Th1-Symptoma-
tik).
424 z 15 Periphere Nervenschåden, Engpasssyndrome und Bandscheibenvorfålle

15.2.4 Therapie

Auch hier erfolgt die Therapie zunåchst konservativ durch die


Vermeidung einer långeren Beugung des Ellenbogen und ggf.
auch Anlegen einer Oberarmschiene in Mittelstellung des Ellen-
bogengelenks (v. a. nachts). Klinische Effekte nach der Anwen-
dung einer antiphlogistischen Medikation, nach Steroid-Gaben
oder lokalen Steroid-Injektionen sind nicht belegt. Kann mit
einem konservativen Vorgehen eine Besserung nicht erreicht
oder ein Progress nicht verhindert werden, sollte eine operative
Erweiterung des Sulkus erwogen werden. Ein operatives Vor-
gehen sollte jedoch direkt erwogen werden, wenn Zeichen von
Schwåche bzw. Atrophie der vom N. ulnaris innervierten Mus-
kulatur deutlich werden und bei einer nachgewiesenen lokalen
Raumforderung. Auch wenn Operationen bei ausgeprågten
Muskelatrophien zu einer Besserung von Sensibilitåt und Tro-
phik fçhren kænnen, sollte die Entscheidung zum operativen
Eingriff nicht zu spåt getroffen werden.
Das Operationsprinzip besteht aus der Dekompression des
N. ulnaris vom distalen Oberarm bis proximalen Unterarm, ggf.
Verlagerung und Neueinbettung des Nervs. Als Zusatzmaûnah-
men kænnen eine epineurale Neurolyse (Epineurotomie oder in-
terfaszikulåre Neurolyse ± ist selten notwendig), eine langstre-
ckige Verlagerung des N. ulnaris mit Resektion des Septum in-
termusculare mediale oder gar eine Epikondylektomie durch-
gefçhrt werden. Bei rechtzeitiger Intervention ist die Prognose
gut, bei bereits vorhandener Atrophie der hypotenaren Musku-
latur eher dçrftig.

15.3 Seltene Kompressionssyndrome


der Nn. medianus und ulnaris [ICD 10: S 54.1, S 64.0]
Seltene Kompressionssyndrome des N. medianus sind das Pro-
nator-teres-Syndrom [ICD 10: S 54.1] und das Intesosseus-ante-
rior-Syndrom [ICD 10: S 54.1].
Ein seltenes Kompressionssyndrom des N. ulnaris ist das
Loge-de-Guyon-Syndrom [ICD 10: S 64.0].
a 15.3 Seltene Kompressionssyndrome der Nn. medianus und ulnaris z 425

15.3.1 Klinik und Diagnostik, Pathophysiologie und Therapie

Das Pronator-teres-Syndrom zeigt typischerweise Schmerzen an


der volaren Unterarmseite sowie Paråsthesien der medianusver-
sorgten Handflåchen und Finger, einen Druckschmerz im Be-
reich des M. pronator teres und eine schmerzhafte Pronations-
und Suppinationsbewegung. Das Syndrom entsteht durch eine
unphysiologisch håufig oder lang andauernd durchgefçhrte
Pronations- und Suppinationsbewegung der Hand. Eine eindeu-
tige neurophysiologische Methode des Nachweises gibt es, an-
ders als bei CTS oder SUS, nicht. Die Diagnosestellung erfolgt
daher im Wesentlichen klinisch. Bei fortschreitenden Sympto-
men sollte eine chirurgische Exploration erfolgen, sonst reicht
die Ruhigstellung des Unterarms.
Das Interosseus-anterior-Syndrom (Kiloh-Nevin-Syndrom)
entsteht durch eine Låsion des gleichnamigen Nervs (nur moto-
risch, keine sensiblen Defizite!). Da der Nerv den langen bzw.
tiefen Beuger von Daumen und Zeigefinger versorgt, kann das
Endglied der beiden Finger nicht gebeugt werden (Daumen
und Zeigefinger kænnen keinen Ring mehr darstellen). Das
Syndrom kann spontan auftreten ohne erkennbare Ursache und
hat meist eine gute Prognose. Chirurgische Interventionen sind
nur selten bei Låsionen durch Traumen etc. notwendig.
Das Loge-de-Guyon-Syndrom entsteht durch eine Schådigung
des Ulnaris-Endastes beim Durchtritt durch den Guyon-Kanal
(in der Anatomie ¹Ulnarkanalª genannt) in die Hand. Ursachen
sind håufig langes Radfahren oder ungewohnte manuelle Tåtig-
keiten. Die Klinik hångt vom Ort der Låsion und von der indi-
viduellen Anatomie ab. In den meisten Fållen ist der R. profun-
dus betroffen, dessen Schådigung zu einem rein motorischen
Ausfall (meist schmerzlos, keine sensiblen Ausfålle) der kleinen
ulnarisversorgten Handmuskeln (M. flexor digiti minimi, M.
abductor digiti minimi, M. opponens digiti minimi) fçhrt. Nur
wenn die Låsion vor der Abspaltung des R. profundus ist, kann
es auch zu sensiblen Ausfållen an Ringfinger und kleinem Fin-
ger kommen. Die Sensibilitåt bleibt auf der dorsalen Seite der
Finger jedoch intakt, da sich der R. dorsalis bereits vor dem
Guyon-Kanal abspaltet. Bei Ûberbelastung als Ursache ist die
426 z 15 Periphere Nervenschåden, Engpasssyndrome und Bandscheibenvorfålle

Prognose bei Ruhigstellung gut, nur selten ist eine chirurgische


Dekomprimierung des Kanals notwendig.

15.4 Engpasssyndrome des N. radialis [ICD 10: S 44.2, S 56.2]

Drei klinische Syndrome als Folge einer N.-radialis-Låsion


kommen in Abhångigkeit des Låsionsortes relativ håufig vor:
z Radialislåsion in der Axilla (Krçckenlåhmung) [ICD 10:
S 56.2],
z Radialislåsion am Oberarm (Parkbanklåhmung) [ICD 10:
S 44.2],
z Låsion am Radiuskæpfchen (Supinator-Logen-Syndrom) [ICD
10: S 56.2].

15.4.1 Klinik und Diagnostik, Pathophysiologie und Therapie

Die Radialislåsion in der Axilla fçhrt zu einem Ausfall der ge-


samten radialisversorgten Muskulatur (Mm. triceps, brachiora-
dialis, Arm- und Fingerstrecker) sowie zu Sensibilitåtsausfållen
an der Armrçckseite. Eine Låsion als Folge einer lokalen Kom-
pression (Krçckenlåhmung) hat eine gute Prognose und bedarf
nur selten einer Intervention (nur bei fehlender Rçckbildung
nach wenigen Monaten).
Die Radialislåsion am Oberarm (sog. Parkbanklåhmung)
zeigt einen Ausfall aller radialisversorgten Fingermuskeln (Fin-
gerstrecker) am Oberarm und entsteht håufig durch Humerus-
schaftfrakturen oder långere Kompressionen des Oberarms. Bei
Ausfållen infolge von Kompressionen ist auch hier die Prognose
meist gut, sodass die Rçckbildung einige Monate abgewartet
werden kann. Bei Frakturen muss die Frage des Låsions-
umfangs bzw. der Nervendurchtrennung geklårt werden, um
rechtzeitig zu intervenieren bzw. ein Interponat anzustreben.
Das Supinator-Logen-Syndrom zeigt durch eine Schådigung
des N. interosseus posterior ebenfalls einen Ausfall der Finger-
extensoren, allerdings bleibt die Funktion der des N. brachiora-
a 15.5 Engpasssyndrome der oberen Thorax-Apertur z 427

dialis und N. extensor carpi radialis longus erhalten. Damit ent-


steht eine Schwåche der Fingerstrecker, wåhrend die Dorsalflek-
tion und Abduktion der Hand erhalten bleibt. Sensible Ausfålle
bestehen nicht. Die Låsion entsteht meist durch Radiuskopf-
frakturen oder lokale Raumforderungen wie Lipome, Ganglien,
Neurinome, Schwanome etc., sodass eine chirurgische Interven-
tion mit Neurolyse notwendig ist.

15.5 Engpasssyndrome der oberen Thorax-Apertur:


Thoracic-outlet-Syndrom (TOS) [ICD 10: G 54.0]
15.5.1 Definition und Epidemiologie

Unter dem Begriff des TOS werden mehrere Erkrankungen zu-


sammengefasst, die aus unterschiedlichen anatomischen Gege-
benheiten zu einer Kompression des unteren Abschnitt des
Plexus brachialis fçhren. Hierbei kænnen sowohl vaskulåre als
auch neurogene Aspekte im Vordergrund stehen, die sowohl
durch åuûere Ursachen (Rucksacktragen, Lagerung bei Opera-
tionen etc.) als auch direkt durch verlångerte Halswirbelfortsåt-
ze, Håmatome, Tumoren, Lymphknoten, Neurinome etc. entste-
hen. Epidemiologische Daten sind nicht vorhanden, bei rund
0,5% der Bevælkerung bestehen jedoch anatomische Varianten
an den beteiligten Strukturen.

15.5.2 Klinik und Diagnostik, Pathophysiologie und Therapie

Beklagt werden v. a. Schmerzen, Paråsthesien in Schulter, Arm


und Hand, teilweise auch lage- oder bewegungsabhångig. Ste-
hen vaskulåre (arterielle) Kompressionen im Vordergrund,
kommt es auûerdem zu Kåltegefçhl, Zyanose von Finger und
Hand, Pulsverlust der A. radialis bei Elevation, u. U. sogar zur
Thromben- und Emboliebildung. Stehen venæse Kompressionen
im Vordergrund kænnen ferner Schwellung von Hand und Arm
beobachtet werden.
Tabelle 15.1. Kompressionssyndrome, die unter dem Begriff TOS zusammengefasst werden
428
z

Syndrom Kompressions- Diagnostik Therapie


ursache

z Skalenussyndrom Kompression des Gefåû-Nerven- Klinische Untersuchung: Adson- Konservatives Vorgehen, bei neu-
bçndels in der Lçcke zwischen Manæver und Doppler-Sonogra- rologischen Ausfållen und eindeu-
dem M. scalenus anterior und phie, Ræntgen-Thorax, ggf. tiger Diagnostik Resektion der
medius CT/MRT zum Ausschluss einer 1. Rippe oder des fibræsen Bands
Halsrippe und weiterer RF oder Skalenotomie
z Kostoklavikulår- Kompression des Klinische Untersuchung mit Rçck- Konservatives Vorgehen, bei neu-
syndrom Gefåû-Nervenbçndels zwischen wårtsbewegung der Schultern rologischen Ausfållen und eindeu-
1. Rippe und Klavikula und Arme mit ipsilateralem Zug tiger Diagnostik Resektion der
des Arms nach hinten unten, 1. Rippe oder des beteiligten
Ræntgen, ggf. CT/MRT zum Aus- fibræsen Bandes
schluss einer Halsrippe und wei-
terer RF
z Hyperabduktions- Kompression des Gefåû-Nerven- Klinische Untersuchung mit maxi- Konservatives Vorgehen, Scho-
syndrom bçndels am Korakoid gegen maler Elevation des Arms in nung, Haltungsverbesserung
den Ansatz des M. pectoralis Kombination mit Doppler-
minor Sonographie, Ræntgen, ggf.
CT/MRT zum Ausschluss
einer Halsrippe und weiterer RF
z Halsrippensyndrom Kompression des Gefåû-Nerven- Klinische Untersuchung Ræntgen, Entfernung der Halsrippe
bçndels zwischen Halsrippe und ggf. CT/MRT zum Ausschluss einer
M. scalenus anterior Halsrippe und weiterer RF
15 Periphere Nervenschåden, Engpasssyndrome und Bandscheibenvorfålle
a 15.6 Zervikale Wurzelsyndrome und Bandscheibenvorfålle (BSV) z 429

Die Diagnose des TOS ist nicht immer einfach. Neben der kli-
nischen Untersuchung mit Provokationsmanævern (z. B. Adson-
Manæver = Drehen des Kopfes nach ipsilateral, Reklination, tie-
fes Einatmen), auch in Kombination mit dopplersonographi-
schen Untersuchungen (Stenose der A. subclavia, Pulsverlust
der A. radialis), sind auch konventionelle Ræntgenaufnahmen
(Diagnose einer Halsrippe), ggf. auch eine Thorax-CT oder
-MRT zum Auschluss von Raumforderungen oder Angiogra-
phien mit Provokationbewegungen, notwendig. Bei långer be-
stehenden Plexusschådigungen kænnen auch elektrophysiologi-
sche Untersuchungen (Ulnaris-Neurographie/EMG) hilfreich
sein. Tabelle 15.1. gibt einen Ûberblick çber die wichtigsten
Engpasssyndrome des unteren Plexus brachialis.

15.5.3 Therapie

Beim Fehlen neurologischer Ausfålle sollte zunåchst konservativ


behandelt werden. Hier kænnen Schonung, Haltungsverbes-
serungen, Krankengymnastik mit gezielter Stårkung der Schul-
terheber Verbesserungen bringen. Bei neurologischen Ausfållen
und eindeutiger Diagnostik sollte der entsprechende operative
Eingriff mit Entfernung der Halsrippe, der 1. Rippe oder des
beteiligten Bandapparats erwogen werden. Bedacht werden soll-
te, dass diese Eingriffe, wenn die Indikation richtig gestellt
wird, zwar schnell zu einer Beschwerdefreiheit fçhren, aller-
dings auch das Risiko einer iatrogenen Nerven- und Plexus-
schådigung tragen.

15.6 Zervikale Wurzelsyndrome und Bandscheibenvorfålle


(BSV) [ICD 10: M 50.1; G 54.2]
15.6.1 Definition und Epidemiologie

Das am håufigsten betroffene Segment ist das Segment HWK


6/7, gefolgt von HWK 5/6, HWK 4/5 und seltener HWK7/
BWK1. Månner sind etwas håufiger betroffen als Frauen. Die
430 z 15 Periphere Nervenschåden, Engpasssyndrome und Bandscheibenvorfålle

Pråvalenz betrågt ca. 3 pro 1000. Das klassische Erkrankungs-


alter liegt zwischen 45 und 55 Jahren. Insgesamt sind zervikale
BSV seltener als lumbale BSV. Wurzelsyndrome wiederum sind
håufiger als mediale Bandscheibenvorfålle mit Kompression des
Myelons.

15.6.2 Klinik und Diagnostik

Typisch sind plætzlich auftretende Nacken- Schulter- und Arm-


schmerzen mit entsprechender Ausstrahlung in das Segment.
Neben Schmerzen kænnen auch Paråsthesien, Taubheitsgefçhle
und Låhmungen in den entsprechenden Segmenten auftreten.
Am schmerzhaftesten sind insbesondere die lateralen Vorfålle
mit Kompression der Wurzeln und des Ganglions. Die Stårke
der Schmerzen korreliert daher nicht immer mit dem Umfang
eines BSV. Mediale Vorfålle mit Kompression des zervikalen
Myelons kænnen zu einer Tetraparese, urogenitalen Stærungen,
Tonuserhæhung und Reflexsteigerung in der unteren Extremitåt

Tabelle 15.2. Geschådigtes Wurzelsegment, Klinik und Differenzialdiagnosen

Segment Ort der Sensibilitåtsstærungen Betroffene Muskulatur/


und Schmerzausstrahlung Differenzialdiagnosen (DD)

C4 Schulter Zwerchfell
C5 Schulterrçckseite, lateral oberes M. deltoideus, M. supra-/infraspina-
Drittel Oberarm tus, DD: obere Plexuslåsion
C6 Radial Ober- und Unterarm, in M. brachialis, biceps, brachioradialis,
den Daumen ziehend Bizepssehnenreflex reduziert,
DD: Plexuslåsion, Karpaltunnel-
syndrom
C7 Finger II±IV (volar), Handrçcken M. triceps, pronator teres, Finger-
von Handgelenk bis Fingerend- extensoren, Trizepssehnenreflex
glied II±IV reduziert
C8 Kleinfinger volar und dorsal bis Fingerflexoren, kleine Handmuskeln
Handgelenk DD: Sulcus-ulnaris-Syndrom
Th 1 Oberarminnenseite Kleine Handmuskeln,
Hypothenarmuskulatur
a 15.6 Zervikale Wurzelsyndrome und Bandscheibenvorfålle (BSV) z 431

fçhren (sog. zervikale Myelopathie). Schmerzen und radikulåre


Symptome stehen hier meist nicht im Vordergrund, insbeson-
dere wenn sich die Myelopathie langsam entwickelt. Tabelle
15.2. gibt einen Ûberblick çber die zervikalen Wurzelsyndrome
entsprechend des betroffenen Segments, Defizite und die be-
troffene Muskulatur.

15.6.3 Diagnostik und Øtiopathologie

Der Bildgebung (CT, MRT, ggf. Myelo-CT) kommt die entschei-


dende Bedeutung zu. Im MRT lassen sich die Bandscheiben
und die Wurzeln in den Foramina besonders gut darstellen. In
den sagittalen Schichten lassen sich bei kompressiven Vorfållen
zudem sog. Myelopathie-Signale erkennen, die als eindeutige
Zeichen einer Myelonkompression gewertet werden kænnen
(der aufgebrauchte Spinalkanal im sagittalen MRT-Bild ist noch
kein Beleg fçr eine Kompression des Myelons). Neurophysiolo-
gische Untersuchungen (Denervierungszeichen in der betroffe-
nen Muskulatur) kænnen hilfreich sein, um die Hæhe der Låsion
zu pråzisieren oder das Ausmaû der Schådigung besser zu
quantifizieren. Die elektromyographisch erkennbaren Verån-
derungen entstehen jedoch erst zu im Laufe von 1±2 Wochen
nach einem Ereignis, sodass die Elektrophysiologie nicht als
Akutdiagnostikum herangezogen werden kann.
Die meisten Wurzelsyndrome entstehen nicht durch einen
Bandscheibenvorfall, sondern durch eine zunehmende Ein-
engung der Foramina intervertebralia durch osteophytåre Ver-
ånderungen an den Processi uncinati und eine zunehmende
Verschmålerung der Intervertebralråume durch die Verdçnnung
der Bandscheiben.

15.6.4 Therapie

Bei reinen Wurzelsyndromen besteht in Regel keine Indikation


fçr einen operativen Eingriff. Rund 75% aller Wurzelsyndrome
und Bandscheibenvorfålle werden durch konservatives Vor-
gehen (Schmerztherapie, Muskelrelaxation, Physiotherapie) in-
432 z 15 Periphere Nervenschåden, Engpasssyndrome und Bandscheibenvorfålle

Tabelle 15.3. Medikation und Dosierung bei Wurzelreizsyndrom und nichtoperations-


bedçrftigen Bandscheibenvorfållen.

Medikament Dosierung, Bemerkungen

z Analgetikum Ibuprofen 3 ´ 600±800 mg


Ketoprofen 3 ´ 100 mg
Diclofenac 3 ´ 100 mg
Indometacin 3 ´ 100 mg, stårkster COX-1-Hemmer,
gut wirksam, allerdings mit stårkeren
gastrointestinalen NW
Flupirtin 3±4 ´ 150 mg/Tag
(Katadolon)
Celecoxib 2 ´ 200 mg/Tag
(Celebrex)
Valdecoxib 2 ´ 10±20 mg/Tag
(Bextra)
Etoricoxib Initial 120 mg, dann 2 ´ 60 mg/Tag
(Arcoxia)
z Muskelrelaxanz Cave: Mçdigkeit und Sedierung (Autofahren!)
Tetrazepam 3 ´ 50 mg
Tizanidin 3 ´ 8 mg

nerhalb von wenigen Wochen wieder deutlich gebessert. Bei


motorischen Ausfållen oder urogenitalen Symptomen besteht
jedoch eine relative Indikation zur Nukleotomie oder Hemila-
minektomie. Als medikamentæse Therapie empfiehlt sich die
Kombination eines nichtsteroidalen Antirheumatikums in aus-
reichender Dosierung in Kombination mit einem Muskelrela-
xans. Bei Patienten mit gastrointestinalen Problemen kann auf
Flupirtin oder die noch zugelassenen COX-2-Antagonisten aus-
gewichen werden (Tabelle 15.3).
a 15.7 Lumbale Wurzelsyndrome und Bandscheibenvorfålle z 433

15.7 Lumbale Wurzelsyndrome und Bandscheibenvorfålle


[ICD 10: M 51.1; G 54.4]

15.7.1 Definition und Epidemiologie

Schmerzsyndrome der lumbalen Wirbelsåule sind wahrscheinlich


die håufigsten Schmerzsyndrome çberhaupt. Sie stellen darçber
hinaus in Deutschland den håufigsten Frçhberentungsgrund dar.
Wurzelsyndrome sind auch hier wesentlich håufiger als tatsåch-
liche Bandscheibenvorfålle. Bei den lumbalen Bandscheibenvor-
fållen sind die Segmente L5/S1 am håufigsten betroffen.

15.7.2 Klinik und Diagnostik

Typisch sind plætzlich auftretende heftige Schmerzen, die in die


Leiste oder vom Rçcken in unterschiedliche Abschnitte des

Tabelle 15.4. Geschådigtes Wurzelsegment, Klinik und Differenzialdiagnosen

Segment Ort der Sensibilitåtsstærungen Betroffene Muskulatur/


und Schmerzausstrahlung Differenzialdiagnosen (DD)

z L2 Leistenband und kaudal M. ileopsoas


z L3 Oberschenkelinnenseite Adduktoren, Adduktorenreflex
bis Knie reduziert
z L4 Oberschenkelauûenseite M. quadriceps,
diagonal kaudal zur Unter- Patellasehnenreflex reduziert
schenkelinnenseite
z L5 Unterschenkelauûenseite M. glutaeus medius, tibialis posterior,
diagonal çber den Vorfuû Tibialis anterior, extensor und
zur Groûzehe hallucis
z S1 Auûenseite bis untere Mitte M. triceps surae
der Wade, diagonal von auûen M. biceps femoris
nach innen, çber den gesamten M. gluteus maximus
Hacken, Auûenseite der Fuû- Achillessehnenreflex reduziert
sohle und letzte 3 Zehen der
Fuûauûenseite
z S2 Innere Rçckseite des Oberschenkels
sowie åuûerer Analring
434 z 15 Periphere Nervenschåden, Engpasssyndrome und Bandscheibenvorfålle

Beins ziehen. Auslæser sind meist spezielle Bewegungen wie


Bçcken oder Heben einer schweren Last (Hexenschuss). Neben
Schmerzen kænnen auch hier Sensibilitåtsstærungen und moto-
rische Ausfålle auftreten. Ausmaû und Projektion des Schmer-
zes richten sich nach Umfang der Wurzelreizung bzw. der Loka-
lisation des Bandscheibenvorfalls. Tabelle 15.4 gibt einen Ûber-
blick çber die lumbalen Wurzelsyndrome entsprechend des be-
troffenen Segments, Defizite und die betroffene Muskulatur.

15.7.3 Diagnostik und Øtiopathologie

Der Bildgebung (CT, MRT, ggf. Myelographie mit nachfolgen-


dem Myelo-CT) kommt die entscheidende Bedeutung zu. Im
MRT lassen sich die Bandscheiben sowie die Wurzeln in den
Foramina besonders gut darstellen. Neurophysiologische Unter-
suchungen (Denervierungszeichen in der betroffenen Muskula-
tur) kænnen hilfreich sein, um die Hæhe der Låsion zu pråzisie-
ren oder das Ausmaû der Schådigung besser zu quantifizieren.
Die elektromyographisch erkennbaren Verånderungen entstehen
jedoch erst zu im Laufe von 1±2 Wochen nach einem Ereignis,
sodass die Elektrophysiologie nicht als Akutdiagnostikum he-
rangezogen werden kann. Auch im lumbalen Bereich entstehen
die meisten Wurzelsyndrome nicht durch einen Bandscheiben-
vorfall, sondern durch eine zunehmende Einengung der Fora-
mina intervertebralia durch osteophytåre Verånderungen und
eine zunehmende Verschmålerung der Intervertebralråume
durch die Verdçnnung der Bandscheiben.

15.7.4 Therapie

Bei reinen Wurzelsyndromen besteht auch im lumbalen Bereich


in der Regel keine Indikation fçr einen operativen Eingriff. Der
Prozentsatz der sich unter konservativer Therapie bessernden
Syndrome liegt bei çber 80%. Motorische Ausfålle, Blasen- und
Mastdarmstærungen sind hingegen eindeutige Indikationen fçr
eine operative Intervention. Die konservative Therapie sollte
auch hier Schmerztherapie, Muskelrelaxation, ggf. Stufenbett-
a 15.8 Engpass- und Kompartmentsyndrome der unteren Extremitåt z 435

lagerung und Physiotherapie beinhalten. Als medikamentæse


Therapie empfiehlt sich die Kombination eines nichtsteroidalen
Antirheumatikums in ausreichender Dosierung in Kombination
mit einem Muskelrelaxans. Bei Patienten mit gastrointestinalen
Problemen kann auf Flupirtin oder die noch zugelassenen COX-
2-Antagonisten ausgewichen werden (siehe Tabelle 15.3).

15.8 Engpass- und Kompartmentsyndrome


der unteren Extremitåt [ICD 10: G54.0, G57.5]
15.8.1 Definition und Epidemiologie

Engpasssyndrome der unteren Extremitåt sind seltener als die


der oberen Extremitåt. Sie werden wesentlich håufiger durch
Raumforderungen wie Tumoren, Metastasen oder Blutungen
versursacht als durch anatomische Varianten.

15.8.2 Klinik und Diagnostik, Øtiopathogenese, Therapie

Låsionen des Plexus lumbosacralis [ICD 10: G54.0]: Hier steht


die Schwåche des M. quadriceps femoris, des M. ileopsoas so-
wie der Adduktoren (v.a. Hçftbeugerschwåche, Kniestrecker-
schwåche, Adduktionsschwåche) im Vordergrund. Sensibel ist
die Vorderauûenseite des Oberschenkels betroffen. Im Gegen-
satz dazu ist bei einer Låsion des Plexus sacralis çberwiegend
die Unterschenkel- und Fuûmuskulatur sowie die Glutealmus-
kulatur betroffen.
Entsprechend der zugrunde liegenden Øtiologien (raumfor-
dernde Prozesse) entwickeln sich klinische Symptome als Folge
einer Plexus-lumbosacralis-Låsion meist langsam. Nur bei re-
troperitonealen Blutungen entstehen Symptome akut. Die Diag-
nostik erfordert eine ausgiebige Bildgebung mit CT/MRT der
LWS und des kleinen Beckens. Die Therapie besteht ± soweit
mæglich ± aus der operativen Entfernung der Raumforderung.
Das hintere Tarsaltunnelsyndrom (TTS) [ICD 10: G57.5] ist
durch schmerzhafte Paråsthesien und Gefçhlsstærungen an der
436 z 15 Periphere Nervenschåden, Engpasssyndrome und Bandscheibenvorfålle

Fuûsohle und eine Parese der kleinen Sohlenmuskeln gekenn-


zeichnet. Es entsteht durch eine Kompression der distalen Ab-
schnitte des N. tibialis am medialen maleolus durch Zysten,
postraumatische Fibrosen oder Sprunggelenksverletzungen.
Beim sog. vorderen Tarsaltunnelsyndrom kommt es zu schmerz-
haften Paråsthesien am Vorfuû und u.U. zu einer Atrophie des
M. extensor digitorum brevis durch die Schådigung des N. pe-
roneus superficialis (håufig durch das Tragen enger Schuhe).
Therapeutisch ist beim hinteren TTS meist eine operative Kom-
pression notwendig, beim vorderen TTS reichen zumeist Scho-
nung und Ausschaltung der komprimierenden Struktur.
Das Tibialis-anterior-Syndrom imponiert durch einen hefti-
gen pråtibialen Schmerz, meist einhergehend mit einer Schwel-
lung und der bereits nach wenigen Stunden folgenden Schwå-
che der Fuûextensoren. Øtiologisch ist die Symptomatik entwe-
der durch eine kompressive Verlegung der A. tibialis anterior
mit konsekutiver Ischåmie der Fuû- und Zehenstrecker ver-
ursacht oder durch eine Druckschådigung des N. peroneus pro-
fundus (sog. vorderes Kompartmentsyndrom). Einzige Therapie
ist die sofortige operative Entlastung durch Faszienspaltung.
16 Schmerztherapie
Hans-Christoph Diener

16.1 Definitionen

Schmerz ist nach der Definition der Internationalen Gesell-


schaft zum Studium des Schmerzes (IASP) ein unangenehmes
Sinnes- und Gefçhlserlebnis, das mit aktueller oder potenzieller
Gewebeschådigung verknçpft ist oder mit Begriffen einer sol-
chen Schådigung beschrieben wird. Im Folgenden werden eini-
ge fçr die Nomenklatur wichtige Begriffe erklårt.
438 z 16 Schmerztherapie

z Analgesie: fehlende Schmerzempfindung bei physiologisch


schmerzhaften Reizen,
z Dysåsthesie: unangenehme oder abnorme Empfindungen,
entweder spontan entstehend oder provozierbar, z. B. durch
Berçhrung,
z Hyperåsthesie: verstårkte Empfindung auf schmerzhafte und
nicht schmerzhafte Reize (Schwellenerniedrigung),
z Hyperalgesie: verstårkte Schmerzempfindung auf einen phy-
siologisch schmerzhaften Reiz,
z Hyperpathie: verstårkte Reaktion auf Reize, insbesondere
wiederholte Reize bei erhæhter Schwelle,
z Kausalgie: komplexes Syndrom, das durch einen brennenden
Dauerschmerz, Allodynie und Hyperpathie nach einer Ner-
venlåsion gekennzeichnet ist und mit vegetativen und trophi-
schen Verånderungen einhergeht,
z Neuralgie: Schmerz im Versorgungsgebiet eines oder mehre-
rer Nerven,
z Neuropathie: Funktionsstærung oder pathologische Verånde-
rung eines Nervs (Mononeuropathie), verschiedener Nerven
(Polyneuropathia multiplex) oder distal und bilateral (Poly-
neuropathie),

Akuter Schmerz tritt im Rahmen eines akuten Ereignisses, bei-


spielsweise eines Traumas, einer Operation, einer entzçndlichen
Nervenlåsion oder bei Migråne auf. Von einem chronischen
Schmerz spricht man je nach Definition bei einer ununterbro-
chenen Schmerzdauer von 3±6 Monaten und Beeintråchtigun-
gen auf kognitiv-emotionaler Ebene durch Stærungen von Be-
findlichkeit, Stimmung und Denken, auf der Verhaltensebene
durch schmerzbezogenes Verhalten, auf der sozialen Ebene
durch Stærung der sozialen Interaktion und Behinderung der
Arbeit und auf der physiologisch-organischen Ebene durch Mo-
bilitåtsverlust und Funktionseinschrånkungen.
a 16.2 Therapie z 439

16.2 Therapie

16.2.1 Grundlagen der konservativen Schmerztherapie

Akuter Schmerz wird mit Schmerzmitteln (Tabelle 16.1) oder


Opioiden in adåquater Dosis behandelt. Chronischer Tumor-
schmerz wird nach dem Stufenschema der WHO therapiert
(Tabelle 16.2). Bei neuropathischen Schmerzen stehen trizykli-
sche Antidepressiva und Antikonvulsiva im Vordergrund.

16.2.2 Medikamentæse Schmerztherapie

z Nichtopioidanalgetika

z Acetylsalicylsåure (ASS) ist ein gut wirksames Analgetikum,


Antiphlogistikum und Antipyretikum und kann als Lysin-
ASS (Aspisol) auch i.v. appliziert werden.
z Paracetamol ist ein gut wirksames Analgetikum mit çberwie-
gend peripherem Angriffspunkt. Es wirkt ebenfalls antipyre-
tisch, aber nicht antiphlogistisch. Es ist relativ gut vertråg-
lich und hat keine Toleranz- und Abhångigkeitsentwicklung.
z Metamizol hat eine hohe analgetische Potenz. Es ist zu Un-
recht wegen der extrem seltenen Agranulozytosen (1:20 000)
in Misskredit geraten. Es ist nicht nur analgetisch und anti-
inflammatorisch wirksam, sondern auch fiebersenkend und
spasmolytisch. Bei i.v.-Gabe kann bei zu rascher Applikation
ein Schock provoziert werden. Indikationsgebiete sind kolik-
artige Schmerzen und Schmerzen bei malignen Tumoren.
z Die nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) eignen sich be-
sonders gut zur Behandlung von Knochen-, Gelenk- und
Muskelschmerzen (Polyarthritis, Lumbago). Sie wirken peri-
pher und zentral (spinal und am Hirnstamm). Indomethacin,
Diclofenac, Naproxen und Ibuprofen sind in ihrer analgeti-
schen Wirkung vergleichbar. Das freiverkåufliche Ibuprofen
hat dasselbe Nebenwirkungsprofil (vorwiegend gastrointesti-
nal) wie die anderen verschreibungspflichtigen NSAR.
Tabelle 16.1. Nichtopioidanalgetika und zentral wirksame Analgetika ohne opioidåhnliche Wirkung
440
z

Arzneimittel Dosierung Dosierungs- Bemerkungen Nebenwirkungen (NW)/


(Beispiel) [mg] intervalle Kontraindikationen (K)

z Acetylsalicylsåure 500±1000 6±8 h Wirkt auch entzçndungs- Gastrointestinale (GI-)Schmerzen


(z. B. Aspirin) hemmend (NW), Ulkus, Asthma, Blutungs-
neigung (K)
z Paracetamol 500±1000 6±8 h Wirkt antipyretisch Leberschåden (K)
(z. B. ben-u-ron)
16 Schmerztherapie

z Metamizol 500 5±6 h Wirkt spasmolytisch Allergie, Schock (i.v.),


(z. B. Novalgin) Agranulozytose (NW)
z Ibuprofen 400±600 6±8 h Nichtsteroidales GI-Schmerzen (NW),
(z. B. Aktren) Antirheumatikum Ulkus (K)
z Diclofenac 50±100 8h Wie Ibuprofen siehe Ibuprofen
(z. B. Voltaren)
z Indometacin 25±50 8±12 h Wie Ibuprofen siehe Ibuprofen plus Kopfschmer-
(z. B. Amuno) zen, Údeme (NW)
z Meloxicam 7,5±15 24 h Pråferentieller COX-2- Dyspepsie, Údeme, Oberbauch-
(Mobec) Antagonist beschwerden
z Celecoxib 100±200 12±14 h COX-2-Hemmer siehe Meloxicam
(Celebrex) Osteoarthrose
Rheumatoide Arthritis
z Flupirtin 100 8h NMDA-Antagonist Mçdigkeit (NW)
(Katadolon) Muskelrelaxierend
a 16.2 Therapie z 441

Tabelle 16.2. Stufenschema der WHO

z Nichtopioidanalgetika Kausale Therapie


z Nichtopioidanalgetika Additive Therapie
+ schwache Opioide + Invasive Therapie
z Nichtopioidanalgetika je nach individueller Gegebenheit
+ starke Opioide

z Die Hemmer der Cyclooxygenase 2 (COX-2) haben bei glei-


cher analgetischer und antiphlogistischer Wirkung wie die
NSAR weniger unerwçnschte Wirkungen im Magen-Darm-
Trakt. Die Substanzen erhæhen den INR-Wert bei Patienten,
die antikoaguliert werden. COX-2-Hemmer sind bei Patien-
ten mit vaskulåren Erkrankungen kontraindiziert.
z Flupirtin ist ein zentral wirksames Analgetikum, das nicht
çber Opioidrezeptoren wirkt. Es ist wahrscheinlich ein
NMDA-Antagonist. Es findet zurzeit u. a. in der Behandlung
von Rçckenschmerzen, Nervenschmerzen und Schmerzen bei
Tumoren Anwendung.

Peripher wirksame Analgetika wirken nach oraler Applikation


vergleichbar oder sogar besser als nach i.m.-Injektion. Es gibt
daher keine Rechtfertigung fçr die håufig geçbte Praxis, NSAR
lokal zu injizieren (z. B. im Bereich der kleinen Wirbelgelenke
oder intraartikulår). Kombinationen verschiedener peripher
wirksamer Analgetika wie auch die Kombination mit zentral
wirksamen Analgetika (Kodein) oder Tranquilizern sind fçr die
Behandlung banaler oder chronisch-rezidivierender Schmerzen
nicht zu befçrworten, da ein nicht unerhebliches Abhångig-
keitspotenzial besteht.

z Opioid-Analgetika
Analgetika vom Opiat-Typ binden spezifisch an Opiatrezeptoren
zentraler schmerzleitender Strukturen. Nach neuesten Erkennt-
nissen wirken sie aber auch peripher. Einige Opioide wie Mor-
phin wirken am Rezeptor ausschlieûlich als Agonisten. Bupre-
norphin ist ein partieller Agonist mit zusåtzlichen opioidan-
442 z 16 Schmerztherapie

tagonistischen Eigenschaften. Opioide sollten fçr schwerste


Schmerzzustånde (nozizeptiver Schmerz) oder fçr chronische,
sonst nicht therapierbare Schmerzen reserviert bleiben. Wich-
tigste Indikation fçr Opioide ist die Behandlung des postopera-
tiven Schmerzes und des Tumor- und Deafferentierungsschmer-
zes. Die wichtigsten zentral wirksamen Analgetika kænnen der
Tabelle 16.3 entnommen werden. Abhångigkeit und Toleranz-
entwicklung werden offenbar bei einer ausschlieûlichen Be-
darfsmedikation bei Schmerzspitzen gefærdert. Es sollte daher
ein mæglichst gleichmåûiger Spiegel der Medikamente durch
Gabe in festen Zeitintervallen bzw. durch Gabe retardierter Prå-
parate erreicht werden. Bei Tumorpatienten wird die Abhångig-
keitsgefahr håufig çberschåtzt und diesen Patienten eine wirk-
same Schmerztherapie vorenthalten. Opioide haben keine or-
ganspezifische Toxizitåt. Bei gleichzeitiger Gabe von Benzodia-
zepinen kann sich eine bedrohliche Stærung des Atemantriebs
entwickeln. Zu Beginn der Opioidtherapie kann es zu Ûbelkeit
und Erbrechen kommen. Hier sind Metoclopramid (Paspertin)
oder Haloperidol (Haldol) hilfreich. Hauptproblem bei långerer
Anwendung von Opioiden ist die Obstipation.

z Schwach und mittelstark wirksame Opioide


z Kodein ist in vielen analgetischen Mischpråparaten enthal-
ten. Seine analgetische Potenz ist begrenzt. Bei Kopfschmerz-
patienten kann es medikamenteninduzierte Dauerkopf-
schmerzen hervorrufen.
z Dihydrokodein in retardierter Form hat eine vernçnftige
Halbwertszeit, fçhrt aber sehr håufig zu Obstipation.
z Tramadol in retardierter Form wird gut toleriert. Es kann
auch rektal und i.v. appliziert werden.
z Tilidin ist in der Kombination mit dem Opioidantagonisten
Naloxon nicht BtM-pflichtig. Es sollte bei chronischen
Schmerzen in der retardierten Form eingesetzt werden.
z Pentazocin und Pethidin spielen nur in der postoperativen
Analgesie eine Rolle. Beide haben eine zu kurze Wirkungs-
dauer und kænnen zu Halluzinationen fçhren (BtM-pflich-
tig).
a
Tabelle 16.3. Zentral wirksame Analgetika (Opioide)

Substanz Name (Auswahl) Applikationsform Dosis Bemerkung

Schwach wirksame Opioide


z Dihydrocodein DHC Oral retard 2±3 ´ 60±80 mg Schwaches Opioid, maximal 240 mg,
starke Obstipation
z Tramadol Tramal Oral 6 ´ 50±100 mg Schwaches Opioid, Obstipation sel-
Tramal long Oral retard ten, bei Beginn starke Emese und
Tramundin Oral retard Sedierung

z Tilidin Valoron, Valoron retard Oral 6 ´ 50±100 mg Schwaches Opioid, keine Spasmen
+Naloxon Oral retard: 2 ´ 50±300 mg der glatten Muskulatur
z Pentazocin Fortral Oral 6±8 ´ 180 mg Partialagonist, keine Dauertherapie,
i.m. 6±8 ´ 30 mg Psychosen, Orthostase
z Pethidin Dolantin Oral 6±8 ´ 300 mg Keine Spasmen der glatten Muskula-
i.v., s.c. tur, keine Dauertherapie, Partialago-
nist
16.2 Therapie
z
443
Tabelle 16.3 (Fortsetzung)
444
z

Substanz Name (Auswahl) Applikationsform Dosis Bemerkung

Stark wirksame Opioide (Btm-pflichtig)


z Morphin MST Mundipharm retard Oral retard 3 ´ 10±400 mg Standardopioid
M long Oral retard 2 ´ 10±800 mg
Capros Oral retard 2 ´ 800 mg
Sevredol Oral 10±60 mg
16 Schmerztherapie

MSR Mundipharm Rektal 4 ´ 10±400 mg


MSI Mundipharm i.v. 1/3 orale Dosis
s.c. 1/3 orale Dosis
Epidural, 1/10 orale Dosis
Intrathekal 1/30 orale Dosis
z Piritramid Dipidolor i.v., i.m., s.c., 3 ´ 15 mg Zur postoperativen Schmerztherapie,
kaum Orthostase
z Buprenorphin Temgesic Sublingual 3±4 ´ 0,2±1,5 mg Partialagonist
i.v., i.m., transdermal 3±4 ´ 0,3±1,5 mg Maximal 5 mg/Tag
z Fentanyl Fentanyl transdermal Ab 25 lg/h Anwendungsvorschriften beachten
z Oxycodon Oxygesic Oral retard 2 ´ 10±40 mg
a 16.2 Therapie z 445

z Stark wirksame Opioide


z Morphium liegt in Form oraler Retardpråparate vor. Mit die-
sen Medikamenten kann die Morphin-Gabe auf 2±3 Tages-
dosen verteilt gegeben werden. Bei Schmerzspitzen kann
Morphinlæsung zusåtzlich gegeben werden. Fçr Patienten mit
Schluckstærungen gibt es auch ein Granulat.
z Buprenorphin ist ein Partialantagonist mit Ceilingeffekt
(hæhere Dosen sind nicht besser wirksam). Es wird relativ
gut toleriert.
z Fentanyl steht zur transdermalen Applikation zur Verfçgung.
Umstellung von oralem Morphin auf Fentanyl gemåû Anwen-
dungsvorschriften.
z Oxycodon hat eine åhnlich gute analgetische Wirkung wie
Morphin.

Bei Patienten, bei denen mit einer oralen Opiat-Gabe keine aus-
reichende Schmerzlinderung erzielt werden kann, kommt eine
kontinuierliche intrathekale oder epidurale Morphin-Gabe in-
frage. Diese Art der Schmerztherapie soll aber nur bei Per-
sonen durchgefçhrt werden, bei denen Schmerzen durch Me-
tastasen im Abdomen und in den unteren Extremitåten (Syrin-
gomyelie, spinaler Tumor, traumatischer Querschnitt) bestehen.
Die Applikation erfolgt entweder çber ein subkutan liegendes
Reservoir oder bei Langzeittherapie çber eine computergesteu-
erte subkutane Pumpe.

16.2.3 Additive Schmerztherapie

z Antidepressiva
Eine Reihe von trizyklischen Antidepressiva sind auch analge-
tisch wirksam. Die Wirkung der Thymoleptika erfolgt çber die
Hemmung zentraler aszendierender Schmerzimpulse. Zusåtzlich
erfolgt zentral und im Rçckenmark eine Faszilitation schmerz-
hemmender absteigender Systeme, die Schmerzsignale abschwå-
chen. Thymoleptika werden als Monotherapie beim Spannungs-
kopfschmerz und beim chronischen posttraumatischen Kopf-
schmerz eingesetzt. Adjuvant oder als Monotherapie sind sie
446 z 16 Schmerztherapie

Tabelle 16.4. Additive Schmerztherapie mit trizyklischen Antidepressiva

Substanzen Dosis Nebenwirkungen a Kontraindikationen b


[mg] (gilt fçr alle) (gilt fçr alle)

z Amitriptylin 25±150 H: Mundtrockenheit, A: Glaukom, Prostata-


(z. B. Saroten) Gewichtszunahme adenom, Therapie mit
MAO-Hemmern
z Amitriptylinoxid 30±90 Mçdigkeit, Obstipation AV-Block III, Delir
(z. B. Equilibrin)
z Clomipramin 10±50 G: Akkommodations- R: Epilepsie, Stillzeit,
(z. B. Anafranil) stærungen, Tremor, Schwangerschaft, Blut-
Schwindel, Angst und bildverånderungen
Erregung
z Doxepin 10±100 S: Arrhythmien, Leber- oder Nierenin-
(z. B. Aponal) Blutbildverånderungen suffizienz
z Imipramin 25±150 Harnverhalt, Prostata-
(z. B. Tofranil) hyperplasie mit Rest-
harnbildung
a
Nebenwirkungen gegliedert in H: håufig; G: gelegentlich; S: selten
b
Kontraindikationen gegliedert in A: absolut; R: relativ

bei neuropathischen Schmerzen unterschiedlicher Genese


(Deafferentierungsschmerz, Polyneuropathie, postzosterischer
Brennschmerz) indiziert. Hierzu zåhlen auch Schmerzsyndro-
me, bei denen eine Schmerzkomponente einen neuropathischen
Charakter aufweist (z. B. Tumorschmerz, chronischer Rçcken-
schmerz mit Radikulopathie oder epidurale Fibrose).
Bei Patienten mit gleichzeitig bestehenden Schlafstærungen
(entweder durch die Schmerzen oder unabhångig hiervon) soll-
te man eher sedierende Thymoleptika wie Amitriptylin, Ami-
triptylinoxid und Doxepin mit Gabe vor dem Zubettgehen ein-
setzen (Tabelle 16.4). Bei Antriebsminderung und depressiver
Verstimmung kommen antriebssteigernde Thymoleptika wie
Imipramin oder Clomipramin in Dosierungen morgens und
mittags zum Einsatz. Bei gleichzeitig bestehender Depression
erfolgt Aufdosierung bis in antidepressiv wirksame Bereiche.
Beim Einsatz von Antidepressiva in der Schmerztherapie
sollten die folgenden Punkte beachtet werden:
a 16.2 Therapie z 447

z Den Betroffenen muss erklårt werden, dass die Antidepressi-


va zur Schmerztherapie und nicht primår zur antidepressi-
ven Behandlung eingesetzt werden.
z Die meisten Beipackzettel von Antidepressiva enthalten keine
Hinweise auf die schmerztherapeutische Wirkung.
z Die Dosierung sollte zu Beginn sehr niedrig erfolgen und ±
angepasst an die Nebenwirkungen ± sehr langsam gesteigert
werden. Ist ein ausreichender Effekt erzielt worden, sollte auf
ein retardiertes Pråparat umgestellt werden.
z Die schmerztherapeutische Dosis betrågt zwischen 10 und
50% der antidepressiv wirksamen Dosis.
z Die Patienten mçssen zu Beginn der Behandlung auf die zu-
nåchst sehr unangenehmen, meist anticholinergen Nebenwir-
kungen (siehe Tabelle 16.4) hingewiesen werden.
z Die Patienten mçssen darauf aufmerksam gemacht werden,
dass die schmerzlindernde Wirkung meist mit einer zeitli-
chen Verzægerung von einigen Tagen bis zu 2 Wochen ein-
tritt. In dieser Zeit werden die Nebenwirkungen geringer.
z Die modernen Serotoninwiederaufnahmehemmer sind
schmerztherapeutisch nicht wirksam (z. B. Fluoxetin, Sertra-
lin, Citalopram). Dies gilt auch fçr die modernen selektiven
MAO-Hemmer (Moclobemid, Aurorix).

z Neuroleptika
Neuroleptika selbst haben mit Ausnahme von Levomepromazin
(z. B. Neurocil) nur eine geringe analgetische Wirkung. Ihre
Hauptwirkung in der adjuvanten Schmerztherapie ist sedierend
und anxiolytisch. Benutzt werden Haloperidol (z. B. Haldol
3±6 mg) und zur Nacht Levomepromazin. Bei der Gabe von
Opioiden wirken sie antiemetisch. Neuroleptika werden in der
adjuvanten Schmerztherapie bei chronischen neurogenen
Schmerzen oder Tumorschmerzen eingesetzt. Sie eignen sich
besonders zur Behandlung von Schlafstærungen durch Schmer-
zen und zur Anxiolyse sowie zur Behandlung von Agitiertheit
und Verwirrtheit unter Opioiden. Nach långerem Einsatz kann
Haloperidol zu Spåtdyskinesien fçhren.
448 z 16 Schmerztherapie

z Antikonvulsiva
Die Antikonvulsiva Carbamazepin (z. B. Tegretal, 400±1000 mg/
Tag) und Phenytoin (z. B. Phenydan, 300±400 mg/Tag) sind bei
neuropathischen Schmerzen wirksam. Nach neuesten Erkennt-
nissen gilt dies auch fçr Gabapentin (Neurontin, 900±3600 mg/
Tag) und Pregabalin (Lyrica, 300±600 mg/Tag). Wichtig sind die
folgenden allgemeinen Behandlungsregeln:
z Bei Carbamazepin muss die Dosis langsam einschleichend
erhæht werden. Optimal ist ein Zeitraum von 4 Wochen bis
zum Erreichen der Enddosis.
z Bei Gabapentin und Phenytoin kann die Dosissteigerung ra-
scher erfolgen. Phenytoin kann bei unertråglichen Schmer-
zen auch infundiert werden.
z Unter Carbamazepin treten zu Beginn unangenehme Neben-
wirkungen auf, çber die der Patient aufgeklårt werden muss
(Schwindel, Mçdigkeit, Ataxie, Doppelbilder).
z Hauptproblem der Behandlung mit Carbamazepin und Phe-
nytoin sind die Nebenwirkungen der Haut im Sinne eines
Hautausschlags.
z Valproinsåure ist in der Schmerztherapie nur wenig wirksam.
z Clonazepam (Rivotril) ist zu stark sedierend und wird des-
wegen auf Dauer meist nicht toleriert.

Antikonvulsiva werden bei neuropathischem Schmerz mit atta-


ckenfærmiger Verstårkung oder triggerbarer Komponente, typi-
schen Neuralgien (Trigeminusneuralgie, postzosterische Neural-
gie, radikulåre Schmerzen mit attackenfærmiger Komponente)
eingesetzt. Carbamazepin sollte in retardierter Form gegeben
werden.

z Kortikosteroide
Kortison kann relativ groûzçgig bei Tumorerkrankungen mit
schlechter Prognose eingesetzt werden. Die Langzeitnebenwir-
kungen mçssen beim Einsatz im Rahmen von benignen
Schmerzen und Gelenkschmerzen besonders beachtet werden.
Hier ist eine sorgfåltige Nutzen-Risiko-Abwågung notwendig.
Die Wirkung ist multifaktoriell. Neben einer analgetischen Wir-
kung bei Knochenmetastasen haben Kortikosteroide einen posi-
a 16.2 Therapie z 449

tiven Effekt auf Stimmung und Appetit. Sie kænnen auch durch
ihre antiædematæse Wirkung die Kompression schmerzsensibler
Strukturen verringern. Weitere Einsatzgebiete sind zerebrale
Tumoren (durch die Reduktion des Hirnædems nimmt der
Kopfschmerz ab) und die Behandlung des Status migraenosus.

16.2.4 Nichtmedikamentæse Schmerztherapie


(Verhaltenstherapie und andere Verfahren)

z Krankengymnastik und Sporttherapie: Schmerzen fçhren


håufig zu Inaktivitåt und damit sekundår zu Fehlhaltung,
Muskelhypotrophie und Gelenkimmobilisation. Je nach In-
tensitåt der Schmerzen ist Krankengymnastik und Bewe-
gungstherapie bei fast allen Arten von chronischem Schmerz
sinnvoll. Ausdauersportarten wie Jogging, Rudern, Schwim-
men und Radfahren haben eine gçnstige Wirkung auf viele
chronische Schmerzen.
z Kognitive Verhaltenstherapie: Bei diesem Therapieverfahren
wird versucht, dass der Schmerzkranke wieder Kontrolle
çber seinen eigenen Schmerz erhålt. Der Patient soll lernen,
seine eigene wahrgenommene Hilflosigkeit und Hoffnungs-
losigkeit zu çberwinden.
z Stressbewåltigungstraining: Hier wird davon ausgegangen,
dass belastende Alltagssituationen, die mit Stress und Hektik
verbunden sind, bestehende Schmerzen verstårken oder z. B.
bei Kopfschmerzen Migråneanfålle auslæsen kænnen. Der Pa-
tient soll lernen, stressauslæsende Situationen zu erkennen
und zu vermeiden.
z Relaxationstraining (progressive Muskelrelaxation nach Ja-
cobsen): Bei dieser Entspannungstechnik werden nachein-
ander bestimmte Muskelgruppen isometrisch angespannt
und danach wieder aktiv entspannt. Zur Behandlung von
Schmerzzustånden (z. B. chronische Rçckenschmerzen) hat
sich die progressive Muskelrelaxation in vielen kontrollierten
Studien als wirksam erwiesen. Dies ist fçr das autogene Trai-
ning nicht der Fall.
z Biofeedbacktraining: Mit Hilfe von Biofeedback werden phy-
siologische Vorgånge, die çblicherweise nicht bewusst wahr-
450 z 16 Schmerztherapie

genommen werden, mit akustischen oder optischen Signalen


gekoppelt und so dem Bewusstsein zugånglich. Das Vasokon-
striktionstraining wird zur Therapie der Migråne angewandt.
Bei chronischen Rçckenschmerzen wird das EMG-Biofeed-
back eingesetzt.
z Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS): Bei der
TENS wird mit Hilfe kleiner Stimulatoren eine elektrische
Reizung afferenter, nicht schmerzleitender Fasern durchge-
fçhrt. Gereizt wird dabei entweder direkt çber dem Schmer-
zareal oder çber dem peripheren Nerv, der das Schmerzareal
innerviert. Schmerzlinderung wird von 30±50% aller Patien-
ten mit chronischen Schmerzen angegeben.
z Akupunktur: Prospektive kontrollierte Studien zur Akupunk-
tur zeigen in den meisten Fållen nur einen Effekt, der dem
Plazeboeffekt entspricht. Ein Therapieversuch ist bei rheu-
matischen Schmerzen, Lumbago und beim chronischen
Spannungskopfschmerz gerechtfertigt.
z Homæopathie: Alle bisher durchgefçhrten plazebokontrollier-
ten Studien zum Einsatz der Homæopathie bei akuten oder
chronischen Schmerzen haben keinen Beleg fçr die Wirk-
samkeit dieses Ansatzes zeigen kænnen.

16.2.5 Grundlagen der invasiven Schmerztherapie

z Diagnostische und therapeutische Blockaden. Diagnostische


Blockaden mit Lokalanåsthetika in unterschiedlicher Konzent-
ration sind besonders beim Ûbergang vom akuten zum chro-
nischen Schmerz hilfreich, um sympathisch unterhaltene
Schmerzen von Schmerzen, die çber myelinisierte Fasern ver-
mittelt werden, zu differenzieren. Therapeutische Blockaden
kommen beim akuten Herpes zoster und bei der sympathi-
schen Reflexdystrophie in Betracht. Neurolytische Blockaden
mit Alkohol oder Phenol werden fast ausschlieûlich bei durch
Opioide nicht beeinflussbaren Schmerzen im Rahmen maligner
Tumoren eingesetzt. Diese Methode kann verwendet werden
zur Destruktion peripherer Nerven, zur intrathekalen chemi-
schen Rhizotomie und bei der Blockade des Plexus coeliacus
im Rahmen maligner Tumoren des oberen abdominellen Ab-
a 16.2 Therapie z 451

schnitts (z. B. Pankreaskarzinom) sowie des Plexus hypogastri-


cus superior bei malignen Tumoren des kleinen Beckens. Des-
truierende Neurolysen mçssen nach Mæglichkeit bei benignen
Schmerzen vermieden werden, da als Spåtfolge eine Kausalgie
resultieren kann. Die ganglionåre lokale Opioidanalgesie
(GLOA) erfolgt mit 0,03 mg Buprenorphin in 2 ml NaCl 0,9%
am Ganglion cervicale superior beim Herpes zoster im Ge-
sichtsbereich und am Ganglion stellatum bei der sympathischen
Reflexdystrophie der oberen Extremitåt.

z Neurochirurgische Techniken. Neurochirurgische Techniken der


Schmerztherapie sollten nur zum Einsatz kommen, wenn alle
konservativen Therapieverfahren nicht ausreichend wirksam
sind, die Schmerzåtiologie objektiviert werden kann (maligner
Tumor, Metastasen etc.) und eine Schmerzakzentuierung durch
psychologische Faktoren oder eine Begleitdepression ausge-
schlossen ist. Die offene oder perkutane Chordotomie, die meh-
rere Segmente oberhalb der Schmerzregion durchgefçhrt wer-
den muss, kommt fast ausschlieûlich bei therapieresistenten
einseitigen Schmerzen im Rahmen von Malignomen zum Ein-
satz. Dies gilt auch fçr die dorsal root entry zone coagulation
(DREZ). Bei dieser Technik werden mehrere Låsionen im Be-
reich des Hinterhorns in Hæhe der betroffenen Segmente sowie
ober- und unterhalb gesetzt.

z Stimulationsverfahren. Vorçbergehend wurden in græûerem


Umfang elektrische Stimulatoren mit Einsatzpunkt im Bereich
der Hinterstrånge, des Hirnstamms und im Thalamus einge-
setzt. Da diese Verfahren meist nur vorçbergehend wirksam
sind, sollten sie nicht bei chronischen benignen Schmerzen an-
gewendet werden.
452

Anhang 16.1 Nichtopioidanalgetika und zentral wirksame Analgetika ohne opioidåhnliche Wirkung
z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tåglicher Einnahme [1 ]

Acetylsalicylsåure
z Kau-Tbl. Aspirin Direkt, 10 St., N1, 4,7/0,43 500±1000 25,8
Bayer Selbstmedikation (bei 1000 mg/Tag)
16 Schmerztherapie

Paracetamol
z Supp. Paracetamol AL500 1,61/0,16 500±1000 9,6
10 St., N1, Alinel-Pharma (bei 1000 mg/Tag)
Metamizol
z Trpf. Metamizol Hexal Trpf. 50 ml, 13,36 500±1000 16,03
N2, Hexal AG, 1 ml = 20 Trpf. (500: ca. 20 Trpf.) (bei 1000 mg/Tag)
Ibuprofen
z Filmtbl. Ibu Eu Rho 200, 50 St., N2, 5,3/0,11 400±600 6,6
Euro OTC Pharma (bei 400 mg/Tag)
Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten bei
Darreichungsform Zusammensetzung Packlung/Stçck [1 ] [mg] tåglicher Einnahme [1 ]

Diclofenac
z Tbl. Diclo 50 1A Pharma, 100 St., N3, 14,59/0,15 50±100 9,00
1A Pharma GmbH (bei 100 mg/Tag)
Indomethacin
z Drg. Indometacin AL50, 100 St., N3, 15,95/0,16 25±50 4,80
Alinel-Pharma (bei 50 mg/Tag)
Meloxicam
z Tbl. Mobec 7,5 mg Tabl., 100 St., N3, 79,47/0,79 7,5±15 23,70
BI Pharma (bei 7,5 mg/Tag)
Celecoxib
z Kps. Celebrex 100 mg Hartkapseln, 68,06/0,68 100±200 20,40
100 St., N3, Pfizer (bei 100 mg/Tag)
Flupirtin
z Kps. Katadolon 100 mg, 50 St., N3, 38,98/0,78 100 23,40
AND Pharma (bei 100 mg/Tag)
a Anhang 16.1 Nichtopioidanalgetika und zentral wirksame Analgetika
z
453
454

Anhang 16.2 Zentral wirksame Analgetika (Opioide)


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tåglicher Einnahme [1 ]

Dihydrocodein
z Ret. DHC 60 Mundipharma, 104,64/1,05 2±3 ´ 60 63,00
100 St., N3, (bei 2 ´ 60 mg/Tag)
Mundipharma GmbH
16 Schmerztherapie

Tramadol
z Tbl. Tramadol 50 Kps., 14,55/0,29 6 ´ 50±100 52,20
50 St., N3, (bei 300 mg/Tag)
1A Pharma GmbH
z Ret. Tramundin retard 100, 31,69/0,63 200±400 56,70
(ist teilbar) 50 St., N2, (bei 300 mg/Tag)
Mundipharma GmbH
Tilidin + Naloxon
z Kps. Tilidalor Kps., 50 St., N3, 24,79/0,5 200±600 90,00
Hexal AG (bei 300 mg/Tag)
z Ret. Valoron N Retard 50/4 mg, 82,89/0,83 100±600 99,60
100 St., N3, Pfizer GmbH (bei 200 mg/Tag)
a

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tåglicher Einnahme [1 ]

Pentazocin (Btm-pflichtig)
z Kps. Fortral, 100 St., N3, 61,46/0,61 150±400 109,80
Aventis Pharma, (bei 300 mg/Tag)
50 mg
z i.m. Fortral, 10 ´ 1 ml, N1, 26,75/2,68 4±8 ´ 30 482,40
Aventis Pharma, (bei 6 ´ 30 mg/Tag)
1 ml = 30 mg
Pethidin (Btm-pflichtig)
z Trpf. Dolantin, 20 ml, N1, 18,41/0,92 150±500 100,00
Aventis Pharma D GmbH, (bei 300 mg/Tag)
1 ml = 50 mg
Anhang 16.2 Zentral wirksame Analgetika (Opioide)
z
455
456

Anhang 16.3 Stark wirksame Analgetika (Btm-pflichtig)


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tåglicher Einnahme [1 ]

Morphin
z Ret. M Beta 100, 100 St., N3, 50,43/0,5 2 ´ 100±400 30,00
Betapharm Arzneimittel (bei 2 ´ 100 mg/Tag)
GmbH
16 Schmerztherapie

z Tbl. Sevredol, 50 St., N2, 51,56/1,03 10±60 123,60


Mundipharma GmbH, (bei 40 mg/Tag)
1 Tabl.= 10 mg
z Supp. MSR 20 Mundipharma, 64,45/2,15 10±40 64,50
30 St., N1, Mundipharma (bei 20 mg/Tag)
GmbH, 1 Supp.= 15 mg
Morphin ˆb 20 mg
M-Sulfat 5-Wasser
z i.v. Morphin Merck 10, N2, 20,52/2,05 10±40 123,00
10 St., Merck Pharma, (bei 20 mg/Tag)
1 ml = 10 mg
z s.c. Morphin Merck 10, 10 St., N2, 20,52/2,05 10±40 123,00
Merck Pharma, 1 ml = 10 mg der oralen Dosis (bei 20 mg/Tag)
a

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tåglicher Einnahme [1 ]

Piritramid
z i.v./i.m. Dipidolor, 5 ´ 2 ml, N1, 16,08/3,22 3 ´ 15 289,80
Janssen-Cilag GmbH,
2 ml = 15 mg
Buprenorphin
z s.l. Temgesic Forte sublingual, 85,46/1,71 0,8±1,6 153,90
50 St., N2, (bei 1,2 mg/Tag)
Essex Pharma GmbH,
1 Tbl.= 0,4 mg
Oxycodon
z Ret. Oxygesic 10 mg, 100 St., N3, 114,39/1,14 20±80 102,60
Mundipharma GmbH (bei 40 mg/Tag)
Anhang 16.3 Stark wirksame Analgetika (Btm-pflichtig)
z
457
458

Anhang 16.4 Additive Schmerztherapie mit trizyklischen Antidepressiva


z

Generikum/ Handelsname/Firma/ Kosten pro Dosierung Monatliche Kosten bei


Darreichungsform Zusammensetzung Packung/Stçck [1 ] [mg] tåglicher Einnahme [1 ]

Amitriptylin
z Filmtbl. Amitriptylin ret 25 mg, 16,11/0,16 25±150 19,20
100 St., N3, (bei 100 mg/Tag)
Hexal AG
16 Schmerztherapie

Amitriptylinoxid
z Tbl. Amioxid Neuraxpharm 30, 19,26/0,19 30±90 17,34
100 St., N3, (bei 90 mg/Tag)
Neuraxpharm Arzneimittel
Doxepin
z Kaps. Doxepin Beta 25, 100 St., N3, 19,70/0,2 10±100 18,00
Betapharm Arzneimittel GmbH (bei 75 mg/Tag)

Clomipramin
z Filmtbl. Clomipramin 25 VCT 22,72/0,23 25±100 20,70
100 St., N3, (bei 75 mg/Tag)
CT-Arzneimittel GmbH
Imipramin
z Drg. Tofranil 25, 100 St., N1, 22,76/0,23 25±150 20,70
EURIM Pharm (bei 75 mg/Tag)
17 Untersuchungsmethoden
in der Neurologie
Volker Limmroth
460 z 17 Untersuchungsmethoden in der Neurologie

17.1 Elektro- und neurophysiologische


Untersuchungstechniken
17.1.1 Elektroenzephalographie (EEG)

Mit Hilfe des EEG wird die spontane elektrische Aktivitåt des
Gehirns registriert. Im pathologischen Fall unterscheidet man
3 Arten von Abnormitåten:
z eine Ønderung des Grundrhythmus mit Verlangsamung des
sonst çblichen a-Rhythmus (8±12 Hz) in dem Bereich von
Zwischenwellen und Deltawellen (4±7 Hz, bzw. < 4 Hz),
z fokale Aktivitåt entweder in Form umschriebener Grund-
rhythmusverlangsamung oder erhæhter Krampfbereitschaft,
z Anzeichen erhæhter Krampfbereitschaft in Form einer foka-
len Dysrhythmie, 3/s-Spike-wave-Muster oder andere Formen
der Krampfaktivitåt.

Das EEG dient in erster Linie zur Diagnose und Differenzialdiag-


nose epileptischer Anfålle. Bei Patienten mit fokalen Hirnlåsio-
nen (beispielsweise Enzephalitis) dient es zum Monitoring des
Verlaufs, es ist unentbehrlich in der Diagnose des Hirntods (Null-
linien-EEG). Ein normales EEG schlieût ein zerebralorganisches
Anfallsleiden nicht aus. Zur Diagnose einer Epilepsie mçssen ggf.
spezifischere Techniken wie Stimulation mit Flickerlicht, verlån-
gerte Hyperventilation, Schlafentzugs-EEG oder 24-h-EEG mit
oder ohne Videomonitoring durchgefçhrt werden.

z Vorteile. Das EEG ist atraumatisch, fast çberall verfçgbar, be-


reitet geringe Kosten und ist beliebig oft wiederholbar.

z Nachteile. Das EEG ist nicht spezifisch fçr den Nachweis einer
Epilepsie oder anderer Erkrankungen und verliert mit zuneh-
mend besserer Bildgebung an Bedeutung.

z Hauptindikation. Hauptindikationen sind epileptische Anfålle,


metabolische Enzephalopathien, Meningoenzephalitiden, De-
menz und Hirntodbestimmung.
a 17.1 Elektro- und neurophysiologische Untersuchungstechniken z 461

17.1.2 Messung der Nervenleitgeschwindigkeit


(NLG, Neurographie)

Die Messung der maximalen motorischen oder sensiblen Ner-


venleitgeschwindigkeit (in m/s) gibt Aufschlçsse çber die Schå-
digung an peripheren Nerven. Mit Hilfe des sog. H-Reflexes
wird die Latenz der spinalen Eigenreflexe gemessen, mit Hilfe
der F-Wellen werden Leitungsverzægerungen in den Nervenwur-
zeln (z. B. beim Guillain-Barr-Syndrom) erfasst. Mit Hilfe der
Neurographie kænnen axonale von demyelinisierenden Låsionen
differenziert werden. Demyelinisierungen fçhren zu einer Ver-
langsamung der Nervenleitgeschwindigkeit, axonale Schådigun-
gen zu einer Reduktion der Amplitude.

z Vorteile. Die Messung der NLG ist ein diagnostisches Verfah-


ren, um das Vorliegen einer Polyneuropathie zu belegen, zur
Differenzierung zwischen Demyelinisierung und axonaler Neu-
ropathie, zur Diagnose von Engpasssyndromen (z. B. Karpal-
tunnelsyndrom) sowie zur Diagnose von fokalen Låsionen peri-
pherer Nerven bei traumatischen Nervenschåden. Sie ist fast
ubiquitår verfçgbar und relativ preiswert.

z Nachteile. Die Ableitung der NLG ist teilweise schmerzhaft,


temperatur- und untersucherabhångig.

z Hauptindikation. Hauptindikationen sind periphere Polyneuro-


pathien, traumatische Nervenverletzungen, Plexusverletzungen
sowie Nervenkompressionssyndrome.

17.1.3 Elektromyographie (EMG)

Mit Hilfe einer Nadel, die in den Muskel eingestochen wird,


wird die Muskelaktivitåt untersucht. Dabei werden 3 Arten von
Muskelaktivitåt registriert:
z Spontanaktivitåt, die im Falle einer Denervierung in Form
von Faszikulationen, Fibrillationen oder positiven scharfen
Wellen auftritt;
462 z 17 Untersuchungsmethoden in der Neurologie

z Registrierung des Aktivitåtsmusters bei Willkçraktivitåt;


z Registrierung der Potenziale motorischer Einheiten (insb.
Anzahl der rekrutierten motorischen Einheiten).

Pathologische Spontanaktivitåt findet sich bei Vorderhorner-


krankungen (ALS, spinale Muskelatrophie) und 2±4 Wochen
nach einer peripheren Nervenschådigung. Neurogene Schåden
manifestieren sich mit einem gelichteten Aktivitåtsmuster und
hohen Amplituden der Potenziale, myopathische Verånderun-
gen mit einem dichten Aktivitåtsmuster und niedrigen Ampli-
tuden der Potenziale. Bei einer neurogenen Schådigung kommt
es zu einem Ausfall motorischer Einheiten bei Maximalinnerva-
tion.

z Vorteile. Das EMG ist fast ubiquitår verfçgbar und in der


Lage, eine myopathische von einer neurogenen Schådigung zu
differenzieren.

z Nachteile. Die Methode ist schmerzhaft und eine sichere Dif-


ferenzierung zwischen myopathischen und neurogenen Schåden
ist insbesondere bei langem Krankheitsverlauf nicht immer
mæglich. Antikoagulierte Patienten kænnen nicht untersucht
werden.

z Hauptindikation. Hauptindikationen sind denervierende Er-


krankungen (ALS), Muskeldystrophien, Polymyositis, die Diffe-
renzierung einer axonalen von einer demyelinisierenden Schå-
digung bei Polyneuropathie.

z Repetitive Muskelstimulation. Zum Nachweis einer neuromus-


kulåren Ûberleitungsstærung kann die Registrierung von Mus-
kelaktionspotenzialen mit Oberflåchenelektroden bei repetitiver
maximaler Nervenstimulation erfolgen. Kommt es hier zu
einem Dekrement konsekutiver Muskelaktionspotenziale von
mehr als 10%, liegt mit groûer Wahrscheinlichkeit eine Myas-
thenia gravis vor.
a 17.1 Elektro- und neurophysiologische Untersuchungstechniken z 463

17.1.4 Evozierte Potenziale

z Visuell evozierte Potenziale


Visuell evozierte Potenziale (VEP) sind registrierte gemittelte
kortikale Potenziale im Bereich des Okzipitalpols bei repetiti-
vem Hell-Dunkel-Wechsel eines Schachbrettmusters. Registriert
werden die Latenz und Amplitude eines Potenzials nach durch-
schnittlich 100 ms (P 100). Bei einer Låsion des N. opticus
oder der Sehbahn, wie bei der multiplen Sklerose, kommt es zu
einer typischen Latenzverzægerung. Ein Verlust von Axonen
fçhrt zu einer Amplitudenminderung. VEPs bleiben auch nach
Abklingen der klinischen Symptome der Retrobulbårneuritis
håufig pathologisch verlångert.

z Vorteile. VEP sind atraumatisch und beliebig håufig wieder-


holbar.

z Nachteile. Es besteht ein hæherer finanzieller Aufwand fçr die


Anschaffung der Apparatur, sie ist nicht spezifisch fçr Retro-
bulbårneuritiden, da auch eine Kompression des Sehnervs im
Rahmen eines Tumors zu einer Latenzverzægerung fçhren kann.

z Hauptindikation. Hauptindikationen sind Retrobulbårneuriti-


den bei multipler Sklerose, Atrophien des N. opticus, Kompres-
sion des N. opticus, und der Ausschluss funktioneller Sehstæ-
rungen, Verlaufsuntersuchungen bei intrakranieller Druckstei-
gerung wie dem Pseudotumor cerebri.

z Akustisch evozierte Hirnstammpotenziale (AEHP)


Durch repetitive Klicktæne, die çber einen Kopfhærer appliziert
werden, kænnen Potenziale im Hærnerv und Hirnstamm sowie
im Mittelhirn erzeugt werden. Die Einzelpotenziale werden mit
ræmischen Zahlen von I±V gekennzeichnet. Die Welle I reflek-
tiert die Aktivitåt des Hærnervs selbst.

z Vorteile. Die Methode ist atraumatisch und beliebig håufig wie-


derholbar.
464 z 17 Untersuchungsmethoden in der Neurologie

z Nachteile. Die einzelnen Potenziale sind insbesondere im pa-


thologischen Fall nicht immer genau reproduzierbar.

z Indikation. Indikationen sind der Nachweis eines Tumors des N.


vestibulocochlearis (Akustikusneurinom), Tumoren des Hirn-
stamms, Infarkte im Hirnstamm, Hirnstammdiagnostik bei ko-
matæsen Patienten, multiple Sklerose und Hirntoddiagnostik.

z Sensibel evozierte spinale und kortikale Potenziale


Bei sensibel evozierten spinalen und kortikalen Potenzialen
(SEP), handelt es sich um elektrische Stimulation peripherer
Bein- (N. tibialis) oder Armnerven (N. medianus) und Regis-
trierung der gemittelten Potenziale in Hæhe der zervikalen Spi-
nalmarks oder des Kortex. Die Latenz von N 20 beim Media-
nus-SEP und P 40 beim Tibialis-SEP dokumentiert die Summe
der peripheren und zentralen Leitungsgeschwindigkeiten. Am-
plitudenminderungen sprechen fçr einen Untergang von Neuro-
nen, Latenzverzægerungen fçr eine Demyelinisierung meist im
Rçckenmark oder im Hirnstamm oder Groûhirn.

z Vorteile. Die Methode misst quantitativ die Leitungsgeschwin-


digkeiten in Rçckenmark und Groûhirn und ist zur Verlaufsun-
tersuchung beliebig wiederholbar. Durch sog. fraktionierte Ab-
leitungen kænnen auch Prozesse im Rçckenmark gut lokalisiert
bzw. ausgeschlossen werden.

z Nachteile. Die Stimulation ist schmerzhaft, Nadelelektroden


sind notwendig. Die Untersuchung erfordert einen entspannten
Patienten.

z Indikation. Leitungsverzægerungen bei der multiplen Sklerose,


auch klinisch stumme Leitungsverzægerungen, sind erfassbar.
Des Weiteren dient die Methode zur Diagnose von spinalen
Raumforderungen oder Tumoren und zur Erfassung der Myelo-
kompression bei zervikaler Myelopathie. Sie ist ferner sehr hilf-
reich bei komatæsen Patienten zur funktionellen Beurteilung
des Hirnstamms.
a 17.1 Elektro- und neurophysiologische Untersuchungstechniken z 465

z Magnetisch evozierte Potenziale


Magnetisch evozierte Potenziale (MEP) werden durch die Sti-
mulation des motorischen Kortex (daher auch ¹motorisch evo-
zierte Potenzialeª genannt) mit Hilfe einer Magnetspule, deren
Signal plætzlich umspringt und so die Hirnrinde erregt, er-
zeugt. Ableitungen erfolgen çber periphere Oberflåchenelektro-
den entweder an den Handmuskeln oder Beinmuskeln. Auf die-
se Art ist die efferente Leitungszeit vom Kortex bis zum Ziel-
muskel bestimmbar.

z Vorteile. Die Methode ist atraumatisch, nicht schmerzhaft


und fçr Verlaufsuntersuchungen wiederholbar.

z Nachteile. Eine Vorinnervation ist notwendig, sodass bei funk-


tionellen Paresen keine sichere Differenzierung mæglich ist.

z Indikation. Indikationen sind der Nachweis einer efferenten


spinalen Leitungsverzægerung bei multipler Sklerose, zervikaler
Myelopathie oder spinalen Tumoren.

17.1.5 Elektronystagmographie

Elektronystagmographie ist die Registrierung der Augenbewe-


gungen mit Oberflåchenelektroden, die um die Augen herum
angeklebt werden. Nacheinander kænnen auf diese Art unter-
schiedliche Motilitåtsfunktionen des Auges gemessen werden:
z Spontannystagmus bei offenen und geschlossenen Augen,
z Blickfolgestærungen,
z pathologischer Spontannystagmus,
z Blickrichtungsnystagmus,
z optokinetischer Nystagmus beim Folgen eines bewegten Bild-
musters,
z vestibulårer Nystagmus bei Kurz- und Langdrehung eines ro-
tierenden Stuhls,
z Dauer und Intensitåt des Nystagmus bei kalorischer Warm-
oder Kaltspçlung.
466 z 17 Untersuchungsmethoden in der Neurologie

z Vorteile. Die Registrierung von Augenbewegungen auch bei


geschlossenen Augen ist mæglich, Nystagmus-Unterschiede kæn-
nen quantifiziert werden. Die kalorische Antwort kann quantifi-
ziert werden.

z Nachteile. Patienten mit klinisch bestehendem Schwindel tole-


rieren håufig die Untersuchung nicht, eine kalorische Spçlung
kann nicht bei Trommelfelldefekten erfolgen.

z Indikation. Die Methode dient zur Differenzierung von patho-


logischem Spontannystagmus zum kongenitalen Nystagmus
(letzterer nimmt bei Augenæffnen und Fixation zu), dem Erfas-
sen eines peripher vestibulåren Ausfalls, zur Differenzierung ei-
ner peripheren von einer zentralen vestibulåren Låsion und zur
Quantifizierung zerebellårer Augenmotilitåtsstærungen.

17.1.6 Posturographie

Mit dieser Untersuchung kænnen Haltungs- und Stellreflexe an


verschiedenen Muskeln untersucht werden, die durch das Kip-
pen einer Platte ausgelæst werden, auf der der Patient steht. Das
Muster der ausgelæsten Reflexantwort gibt Hinweise auf spinale,
supraspinale, zerebellåre oder vestibulåre Låsionen. Insbeson-
dere bei MS- und Kleinhirn-Patienten hat sich die Methode als
hilfreiches diagnostisches Werkzeug etabliert und eignet sich
besonders zur Verlaufskontrolle.

z Vorteile. Die Methode ist kostengçnstig, beliebig oft wieder-


holbar und ohne groûe Belastungen fçr den Patienten.

z Nachteile. Die Lokalisation der Låsionen kann håufig nicht


eindeutig differenziert werden. Patienten mçssen çber långere
Zeit stehen kænnen.

z Indikation. Die Posturographie wird zur Differenzierung von


spinalen, supraspinalen, zerebellåren und vestibulåren Låsionen
sowie zur Verlaufskontrolle bei chronischen Erkrankungen an-
gewendet.
a 17.2 Ultraschall z 467

17.2 Ultraschall

17.2.1 Extrakranielle Doppler-Sonographie

Die extrakranielle Doppler-Sonographie ist eine Untersuchung


der extrakraniellen Arterien und der A. trochlearis am media-
len Augenwinkel mit einer bleistiftdicken 4- oder 8-MHz-Ultra-
schallsonde, die Stræmungsgeschwindigkeit und Stræmungsrich-
tung der Erythrozyten erfasst. Erfassung von Stenosen mit
einem Stenosegrad von çber 50%, Verschlçssen und Kollateral-
kreislåufen ist mæglich. Im Falle einer Stenose kommt es zu
einer messbaren Stræmungsbeschleunigung und Turbulenzen.

z Vorteile. Die Doppler-Sonographie ist vællig atraumatisch,


kann beliebig håufig wiederholt werden und als Verlaufskon-
trolle dienen; sie kann auch in Notfallsituationen auf der Inten-
sivstation durchgefçhrt werden.

z Nachteile. Die Methode erfordert hohen Trainingsaufwand fçr


den Untersucher. Stenosen unter 50% werden nicht erfasst.

z Indikation. Indikationen sind der Verdacht auf Stenose oder


Verschlçsse der hirnversorgenden Arterien, der Nachweis eines
Verschlusses der A. subclavia und des Subclavian-steal-Syn-
droms.

17.2.2 Duplexsonographie

Unter Duplexsonographie versteht man die Kombination eines


Bild gebenden Verfahrens (B-Bild mit Sichtbarmachung der Ge-
fåûe) und eines gepulsten Doppler-Systems. Mit diesem Verfah-
ren kænnen auch Stenosen mit einer Einengung unter 50%,
arteriosklerotische Plaques und Dissektionen erfasst werden.
Durch neue Softwareentwicklungen ist nun auch die 3D-Dar-
stellung von Gefåûen bzw. arteriosklerotischen Wandverånde-
rungen mæglich.
468 z 17 Untersuchungsmethoden in der Neurologie

z Vorteile. Die Methode ist atraumatisch, beliebig håufig


durchfçhrbar und gibt anatomische Verhåltnisse relativ gut
wieder. Plaqueablagerungen ab 10% Lumeneinengung kænnen
bereits erfasst werden.

z Nachteil. Die Duplexsonographie ist finanziell sehr aufwendig,


ausgedehntes Training ist erforderlich.

z Indikation. Die Duplexsonographie wird bei multiplen vaskulå-


ren Risikofaktoren, transienten ischåmischen Attacken, Schlag-
anfall, Normalbefund der Doppler-Sonographie und Verlaufskon-
trolle bei bekannten Stenosen und Plaqueablagerungen einge-
setzt.

17.2.3 Transkranielle Doppler-Sonographie

Die transkranielle Doppler-Sonographie ist ein gepulstes Dopp-


ler-System mit niedriger Frequenz (2 MHz), das in der Lage ist,
die Schådelkalotte zu durchdringen. Erfasst werden kænnen alle
groûen intrakraniellen Arterien sowie der intrakranielle Ab-
schnitt der A. carotis interna, der A. cerebri media, anterior,
posterior, der intrakranielle Abschnitt der A. vertebralis und
der A. basilaris. Detektiert werden kænnen auûerdem intrakra-
nielle Stenosen und Verschlçsse, Spasmen bei Subarachnoidal-
blutungen sowie intrakranielle Kollateralkreislåufe bei extra-
kraniellen Stenosen und Verschlçssen der hirnversorgenden
Arterien. In der Hand des Geçbten kann mit dieser Methode
çber kontinuierliche Messung der diastolischen Stræmungs-
geschwindigkeit auch der Hirndruck gemessen werden.

z Vorteile. Die transkranielle Doppler-Sonographie ist atrauma-


tisch und beliebig wiederholbar.

z Nachteile. Långeres Training erforderlich, bei ålteren Men-


schen ist håufig kein Knochenfenster nachweisbar.
a 17.3 Spezielle Labordiagnostik z 469

17.3 Spezielle Labordiagnostik

17.3.1 Liquordiagnostik

Die lumbale Liquorpunktion dient zum Nachweis entzçndlicher


und immunologischer Verånderungen im Liquor oder einer
Subarachnoidalblutung. Bei Verdacht auf Pseudotumor cerebri
erfolgt eine Messung des Liquordrucks.

z Untersuchungsmethoden
z Zellzahl: leicht erhæht bei chronisch-entzçndlichen Erkran-
kungen (multiple Sklerose, Lues, Aids), mittelgradig erhæht
bei viralen Infektionen, massiv erhæht bei eitrigen Infektio-
nen (Meningokokken, Pneumokokken, Håmophilus).
z Zelldifferenzierung: lymphozytåre Pleozytose bei Virusinfek-
tionen, granulozytåre Pleozytose bei bakteriellen Infektionen,
Tumorzellen bei Meningiosis.
z Eiweiûbestimmung: Eiweiûwerte çber 40 mg/l sprechen bei
normaler Zellzahl fçr ein Guillain-Barr-Syndrom. Liquorei-
weiû erhæht bei Meningitis, Polyneuritis, tuberkulæser Me-
ningitis und einer Reihe von Autoimmunerkrankungen.
z Bestimmung des Liquorzuckers: Liquorzucker erniedrigt im
Verhåltnis zum Serumzucker bei tuberkulæser Meningitis.
z Elektrophoretische Auftrennung der Liquorproteine, Bestim-
mung von Serum-/Liquor-Quotienten: Gibt Auskunft çber den
Zustand der Blut-Hirn-Schranke und immunologischer Reak-
tionen sowie autochthoner Immunglobulinsynthesen. Insbe-
sondere das Auftreten sog. oligoklonaler Banden spricht fçr
immunologische Reaktionen, die MS-typisch sind.
z Mikrobiologie, Virologie, PCR-Diagnostik: Versuch des Nach-
weises von Bakterien, Tuberkeln und in seltenen Fållen Vi-
ren. Wichtig zum Nachweis von Kryptokokken bei Aids-Pa-
tienten. Viele Erreger kænnen heute sehr sensitiv durch PCR-
Techniken bestimmt werden (z. B. Herpesviren).
z Bestimmung des Liquor-Laktats bei bakteriellen Infektionen
erhæht.
470 z 17 Untersuchungsmethoden in der Neurologie

z Kontraindikation. Kontraindikationen sind lokale Infektionen


an der Punktionsstelle, Verdacht auf erhæhten Hirndruck (dann
zunåchst CT durchfçhren).

z Folgen der Liquorpunktion. Bei 20±30% der Punktierten


kommt es zu postpunktionellen lageabhångigen Kopfschmer-
zen, die bei Flachlage rçcklåufig sind.

17.3.2 Biopsien

z Muskelbiopsie
Muskelbiopsien werden bei Verdacht auf eine Muskelkrankheit,
die anders nicht zugeordnet werden kann, durchgefçhrt. Sie
dient der Differenzierung zwischen Muskeldystrophien und
Myositiden, innerhalb der Myositiden zwischen behandelbaren
und nicht behandelbaren Myositiden.

z Nervenbiopsie
Selten notwendig, sie dient der diagnostischen Zuordnung einer
peripheren Neuropathie (fçhrt selten zu therapeutischen Kon-
sequenzen, nur wenn eine inflammatorische Neuritis diagnosti-
ziert wird).

z Hirnbiopsie
Die in der Regel stereotaktisch durchgefçhrte Hirnbiopsie wird
bei Tumoren, deren Artdiagnose nach CT und MR nicht gestellt
werden kann, durchgefçhrt, bevor eine Therapie eingeleitet
wird. Andere Indikationen sind Vorliegen von Abszessen oder
v. a. Slow-Virus oder Prioneninfektion.
a 17.4 Bildgebende Verfahren z 471

17.3.3 Genanalysen

Fçr viele neurologische Erkrankungen konnte inzwischen eine


genetische Determinierung nachgewiesen werden. Vereinzelt ge-
lang auch die Bestimmung und Charakterisierung des defekten
Gens und dessen genaue Lokalisation. Einige Erkrankungen mit
spezifischen Defekten (hereditåre Muskelerkrankungen, heredi-
tåre Kleinhirnerkrankungen, Chorea Huntington, sog. Triple-re-
peat-Erkrankungen) kænnen nun durch Genanalyse sicherer
und teilweise bereits Jahre vor Auftreten klinischer Symptome
diagnostiziert werden. In den nåchsten Jahren ist hier mit einer
deutlichen Erweiterung des diagnostischen Spektrums zu rech-
nen.

z Vorteil. Die Genanalyse gewåhrt weitere diagnostische Sicher-


heit, insbesondere bei schwer diagnostizierbaren Erkrankungen
mit langem Verlauf.

z Nachteil. Die Methode ist z. T. aufwendig und teuer, (bisher)


nur an wenigen Zentren etabliert. Es entstehen ethische Proble-
me, insbesondere bei Genanalysen vor Auftreten klinischer
Symptome.

17.4 Bildgebende Verfahren

17.4.1 Ræntgenleeraufnahmen

Ræntgenleeraufnahmen des Schådels und der Schådelbasis sind


heute nur noch nach Schådel-Hirn-Traumen zum Nachweis ei-
ner Fraktur oder bei Verdacht auf knæcherne Metastasen indi-
ziert. Ræntgenaufnahmen der HWS, BWS und LWS dienen dem
Nachweis degenerativer Verånderungen, zum Ausschluss von
Frakturen nach Traumen und bei Verdacht auf Metastasen so-
wie dem Ausschluss von knæchernen Filiae.
472 z 17 Untersuchungsmethoden in der Neurologie

17.4.2 Myelographie

Die Myelographie ist eine lumbale oder zervikale Liquorpunktion


mit Einbringen von wasserlæslichem Kontrastmittel zum Nach-
weis von Bandscheibenvorfållen oder Raumforderungen. Diese
Untersuchung wird angesichts von CT, Myelo-CT und Kernspin-
tomographie heute fast nur noch pråoperativ bei Spezialfragen
benætigt.

17.4.3 Computertomographie

Die Computertomographie (CT) ist ein Ræntgenschnittbildver-


fahren, mit dem Schichtaufnahmen des Gehirns und der
knæchernen Schådelbasis angefertigt werden kænnen. Mit Kon-
trastmittel gelingt der Nachweis von Angiomen, subduralen Hå-
matomen und isodensen Tumoren (z. B. Meningeome, Lympho-
me). Im sog. Spiral-CT ermæglicht moderne Software inzwi-
schen die 3D-Darstellung einzelner Hirnabschnitte, insbeson-
dere von Gefåûen.

z Vorteil. Eine rasche Differenzierung beim Schlaganfall zwi-


schen Ischåmie, Blutung und Subarachnoidalblutung ist mæg-
lich. Hirntumoren und andere Raumforderungen sowie Liquor-
zirkulationsstærungen werden mit hoher Treffsicherheit erfasst.
Ebenso werden Hirnatrophien bei Demenzen und Abszesse bei
entzçndlichen Erkrankungen nachgewiesen. Sie ist inzwischen
çberall verfçgbar und relativ gçnstig.

z Nachteil. Nachteilig fçr den Patienten sind Strahlenbelastung


und Allergien auf Kontrastmittel. Bei Ischåmie ist ferner die
Frçhdiagnostik oft nicht mæglich, da ischåmische Herde erst
nach einigen Stunden erkennbar werden (daher fçr diese Fra-
ge ? MRT ? Ischåmie bereits nach 20 min erkennbar). Die CT
schlieût entzçndliche Erkrankungen des ZNS nicht aus. Die
Trefferquote bei der Subarachnoidalblutung liegt bei 95%, in
den ersten 2±3 Tagen, nimmt dann jedoch rasch ab. Nach 6±7
Tagen werden nur noch 50% erfasst.
a 17.4 Bildgebende Verfahren z 473

z Indikation. Die CT ist bei allen Patienten mit einem akut auf-
getretenen neurologischen fokalen Defizit, mit akut aufgetrete-
nem schwerem Psychosyndrom, Zustand nach Schådel-Hirn-
Trauma, erstmals aufgetretenen epileptischen Anfållen, beim
ischåmischen Infarkt, Verdacht auf Subduralhåmatom und Ver-
dacht auf Hirndruck (Stauungspapille) angebracht. Wichtig ist
immer zu beachten, dass die im CT gefundenen Ønderungen
auch mit den klinischen Symptomen des Patienten korrelieren
(eine Arachnoidalzyste fçhrt nicht notwendigerweise immer zu
Kopfschmerzen).

17.4.4 Kernspintomographie (NMR, MRT),


Kernspinangiographie (Angio-NMR), Funktions-NMR

Mit Hilfe der Kernspintomographie, auch Magnetresonanz-


tomographie genannt, kænnen hervorragende anatomische
Schnittbilder von Gehirn und Rçckenmark angefertigt werden.
In den T1-Bildern ist Hirn grau und Liquor schwarz abgebildet,
in den T2-betonten Bildern, die v. a. Entzçndungsherde besser
darstellen lassen, ist der Liquor hell. Weitere spezielle Sequen-
zen wie FLAIR (fluit attenuated inverse recovery) DWI (diffu-
sion weighted imaging) erlauben auûerdem die Darstellung spe-
zieller Verånderungen (z. B. Diffusionsdefizite in der Frçhphase
des Schlaganfalls). Vorzçge der Kernspintomographie gegenç-
ber der CT liegen in der Diagnose von Låsionen in der hinteren
Schådelgrube (keine Knochenartefakte), dem Nachweis von
Entzçndungsherden (v. a. bei der MS) und dem Nachweis spina-
ler Låsionen (zervikale Myelopathie, spinaler Tumor, Entmar-
kungsherde). Fortschritte in der Softwareentwicklung ermæg-
lichen, sog. Flusssequenzen zu fahren. Dabei kann zwischen sta-
tischem (sich nicht bewegendem) und nicht statischem Gewebe
unterschieden werden. Damit gelingt die Darstellung von zere-
bralen Gefåûen und gibt Aufschluss çber das Vorliegen mægli-
cher intrazerebraler Stenosen oder Thrombosen (z. B. Sinusve-
nenthrombose). Darçber hinaus sind nun auch funktionelle
Studien mæglich, in dem durch spezielle Sequenzen die Aktivi-
tåt spezifischer Hirnareale wiedergegeben wird (Funktions-
NMR). Mit Hilfe der sog. MRT-Spektroskopie kænnen ferner
474 z 17 Untersuchungsmethoden in der Neurologie

einzelne Abschnitte auf ihre molekulare Zusammensetzung un-


tersucht werden (z. B. erhæhter Glutamat- oder Myelin-Anteil).

z Vorteile. Der Patient hat keine Strahlenbelastung. Die Metho-


den sind atraumatisch und beliebig wiederholbar auch bei Kin-
dern und Schwangeren.

z Nachteile. Die Methoden sind sehr teuer, 15% der Patienten


leiden unter Klaustrophobie, hyperdense Herde in T2-betonten
Bildern im Marklager mçssen nicht immer zerebralen Durch-
blutungsstærungen oder Entmarkungsherden entsprechen. Pa-
tienten mit metalischen Implantaten oder anderen magneti-
schen Gegenstånden im Kærper (Herzschrittmacher, Granat-
splitter) kænnen nicht untersucht werden.

17.4.5 Angiographie

Angiographie ist die Injektion von Kontrastmittel in hirnversor-


gende Arterien meist çber einen transfemoralen Zugang mittels
eines Katheters. Sie dient zum Nachweis von Karotisstenosen
vor geplanten Operationen, zum Nachweis intrakranieller arte-
riosklerotischer Verånderungen, zum Nachweis von arterio-
venæsen vaskulåren Malformationen, der Gefåûversorgung von
Tumoren vor Operationen und zum Nachweis von Aneurysmen
nach Subarachnoidalblutungen. Mit Hilfe der Angiographie
kænnen auch Spasmen nach Subarachnoidalblutungen und Ge-
fåûentzçndungen nachgewiesen werden. Zunehmend kænnen
im Rahmen einer zerebralen Angiographie auch interventionel-
le Maûnahmen erfolgen, wie das Einbringen von Stents bei Ste-
nosen oder das Coilen von Aneurysmata.

z Vorteile. Die Angiographie kann Gefåûverånderungen erfas-


sen, die mit der Kernspintomographie oder der Kernspinangio-
graphie nicht nachweisbar sind.

z Nachteile. Ræntgenbelastung, Allergien durch das Kontrast-


mittel, Insultrisiko bei Gefåûpatienten 0,5±1%, Auslæsung von
Gefåûspasmen bei Patienten mit Subarachnoidalblutung.
a 17.4 Bildgebende Verfahren z 475

17.4.6 Positronenemissionstomographie

Bei der Positronenemissionstomographie (PET) erfolgt eine Dar-


stellung des Hirnstoffwechsels mittels spezifischer radioaktiv
markierter Isotope (Glukose, H2O, Kohlenstoff). Durch Betrach-
tung der Stoffwechselaktivitåt kænnen ± anders als bei den sons-
tigen Bildgebenden Verfahren ± Rçckschlçsse auf die Funktion
und den Funktionszustand spezifischer Gehirnabschnitte gezo-
gen werden. Da nur wenige Zentren çber ein PET-Geråt verfçgen
und der Untersuchungsaufwand hoch ist, wird die Methode çber-
wiegend fçr wissenschaftliche Fragestellungen genutzt (funktio-
nelle Anatomie, kortikale Organisation oder Reorganisation nach
Låsionen). Vereinzelt dienen PET-Untersuchungen jedoch auch
der Klårung diagnostischer oer spezifischer klinischer Fragen
(diagnostisch bei Morbus Alzheimer oder Morbus Parkinson).
Durch die schnelle Entwicklung leistungsstarker Kernspintomo-
graphen und der rasanten Softwareentwicklung wird die Funk-
tionskernspintomographie aufgrund der fehlenden Strahlenbe-
lastung und beliebigen Wiederholbarkeit mæglicherweise in we-
nigen Jahren PET-Untersuchungen ersetzen.

z Vorteile. Die PET kann Funktion und Funktionszustånde spe-


zifischer Hirnareale erfassen.

z Nachteile. Die PET ist extrem aufwendig und teuer. Die Strah-
lenbelastung erlaubt nur 2 Untersuchungen pro Jahr.
Sachverzeichnis
Um den praktischen Nutzen dieses Buches zu erhæhen, sind die Seitenzah-
len der Seiten fettgedruckt, auf denen die Verschreibungsdetails der jeweili-
gen Substanz zu finden sind.

A Aciclovir 37, 297, 307, 316, 411


ACTH 362
A. auditiva interna 76
Adduktionsschwåche 435
A. basilaris 76, 103
Adenoviren 297
A. basilaris, Zeitfenster 103
Adiazine 316
A. carotis interna 468
Adrenoleukodystrophien 396
A. cerebelli inferior anterior
Adriamycin 362
(AICA) 74, 76
Adson-Manæver 429
A. cerebelli inferior posterior
Affektinkontinenz 155
(PICA) 28, 74
A. cerebri media 95 Affektkråmpfe, respira-
A. cerebri media, anterior, torische 118
posterior Affektlabilitåt 308
A. labyrinthi 71, 75, 413 Aggrenox 104, 110
A. labyrinthi, Verschluss 75 5-HT1B/D-Agonisten, Kontraindika-
A. vestibulocochlearis 413 tionen 9
Abduzensparese 33 Agoraphobie 84
Abetalipoproteinåmie 374 Agranulozytosen 439
Ablatio retinae 402 Aids 152, 416, 469
Absencen 113, 115, 117 Aids-Demenz-Komplex 154, 308
Abszesse 122, 289 Aids-related complex (ARC) 310
ACE-Hemmer 99 Akineton 210
Acetaldehyd 264 Akkomodationsstærungen 246
Acetazolamid 33, 43, 62, 143, 147, Akromegalie 421
350, 357, 379 Aktions- oder Intentions-
Acetylcholin 173 tremor 197
Acetylcholinesterase 320 Aktionstremor 196
Acetylcholinesterasehemmer 157 Akupunktur 13, 450
± Dosierung 159 Akustikusneurinom 63, 77, 413
± Interaktionen 162 akustisch evozierte Hirnstamm-
± Nebenwirkungen 161 potentiale (AEHP auch AEP)
Acetylcholinrezeptoren 319 siehe Hirnstammpotentiale,
Acetylcholinsynthese 320 akustisch evozierte (AEHP
Acetylsalicylsåure (ASS) 7, 8, 12, auch AEP)
47, 74, 105, 452
478 z Sachverzeichnis

akute demyelinisierende Enzephalo- Amyloidose 259, 267


myelitis (ADEM) siehe Enzepha- ANA 97
lomyelitis, akute demyelini- Analgesie 438
sierende (ADEM) Analgetika 440
akute inflammatorische demyelini- ± Dosierung 440
sierende Polyneuropathie (AIPP) ± Dosierungsintervalle 440
siehe Polyneuropathie, akute ± Kontraindikationen 440
inflammatorische demyelini- ± Nebenwirkungen 440
sierende (AIPP) Anåmie 201, 241
Albumin-Quotient 287, 304 ± perniziæse 322, 328
Aldolase 263, 359 ANCA 97
Aldosteronantagonisten 357 Aneurysmen 107, 412
Aldosteronismus, primårer 355 Anfålle
Alienhand 190 ± atonische 113, 115
Alkohol 362 ± einfach lokale 115
Alkoholentzug 196 ± epileptische 114
Alkoholmissbrauch 264 ± fokaler epileptischer 6
Allegro 9 ± kataplektische 120
Allodynie 261 ± klonische 113, 115
Allopurinol 325 ± komplex-fokale 115
Almogran 9 ± myoklonische 113, 115
Almotriptan 9, 50 ± myoklonisch-astatische 118
Alphafetoprotein 369, 371 ± psychogene 113, 118, 120
Alphainterferon 268 ± psychomotorischer 116
Alteplase 102 ± tonische 113
Amantadin 123, 176, 184, 216, 241 ± tonisch-klonische 113, 115
± Dosierung 180 Anfallsemiologie 114
± intravenæs 176 Angina pectoris 104
± Maximaldosis 184 Angiographie 108, 474
Amaurosis fugax 40, 94 Angiome 107, 412
Ambenoniumchlorid 324 Anorexie 131
AmBisome 316 Anosmie 372, 372, 402
c-Aninobuttersåure (GABA) 122 N-Methyl-D-Aspartat-(NMDA)-
e-Aminocapronsåure 362 Antagonisten 180, 184
Aminoglykoside 323 ± Memantine 157
Aminophyllin 123 Antiallergika 83
4-Aminopyridin 379 Anticholinergika 123, 154, 176,
Amiodaron 382 179, 183, 199
Amitriptylin 15, 16, 24, 29, 54, Antidepressiva 154
158, 185, 242, 263, 307 ± anticholinerger Effekt 242
Amitriptylinoxid 15, 16, 54 ± Hauptdosis 242
Amphetamine 120, 123, 362 ± Startdosis 242
Amphetaminil 243 ± trizyklische 15, 120, 123, 196
Amphotericin B 316 ± zur Behandlung von MS-
Ampizillin 291, 293 Patienten 242
b-(A4)-Amyloid-Plaques 156 Antidiabetika, orale 154
a Sachverzeichnis z 479
Antiepileptika, Neben- ± autosomal-rezessive 366
wirkungen 130 ± episodische 378
Anti-GAD 383 ± ± Typ 1 (EA1) 378
Antigliadin 382 ± ± Typ 2 (EA2) 378
Antihistaminika 123 ± Friedreich-Ataxie 80, 363, 366
Anti-Hu 381 ± frçh beginnende zerebellåre 370
Antikoagulantien 105 ± idiopathische degenerative
Antikonvulsiva 132 (IDCA) 379
± Darreichungsform 132 ± mit okulomotorischer Apraxie
± Dosierung 132 (AOA) 369
± Halbwertszeit 132 ± nichterbliche degenerative 379
± Indikationen 132 ± spinozerebellåre (SCA) 376
± Interaktion 132 ± sprueassoziierte 382
Antikærper, neutralisierende ± symptomatische 380
(NAB) 232 Ataxie-Teleangiektasie 371
Antilymphozytenserum 389 Athetosen 202
Anti-Ri 382 ATIII 97
Anti-SS-A 250 Atrophie
Anti-SS-B 260 ± kortikobasale 173
Antistreptolysintiter (AST) 193 ± olivopontozerebellåre
Anti-Titin-Antikærper 321 (OPCA) 380
Anti-Tr 382 ± spinozerebellåre 170
Anti-Yo 381 Attacke, transiente ischåmische
Apathie 308 (TIA) 6, 94
APC-Resistenz 97 Aufwårmphånomene 353
Apolipoprotein E 157 Ausfallsnystagmus 75
Apomorphin, Dosierung 178, 213 Automatismen, oroalimentåre 116
Apomorphintest 172 AV-Blæcke 119
Aprataxin 370 Avonex 254
Arachnoidalzysten 78 Azathioprin 231, 235, 254, 275,
Aran-Duchenne 392 325, 330, 360
Arcus tendineus 423 Azetazolamid 323
Areflexie 273, 274, 367 Azidose 266
Armplexus 311 Azotåmie 266
Arrhythmien, absolute 98, 99 AZT 315
Arsen 196
Arteriitis temporalis 5, 39, 98
B
Arthritis, rheumatoide 260, 359, 421
AscoTop 9 Babinski-Reflex 367
Aspergillus 297 Baclofen 123, 244, 249, 256, 397
Aspirationsgefahr 108 Bacteroides fragilis 293
Aspirin 307 Bahnen, kortikospinale 368
Aspisol 8 Balo's Sklerose 251
Ataxie 273, 363 Banden, oligoklonale 228, 250, 469
± autosomal-dominante Bandscheibenvorfålle 419
(ADCA) 376 Bannwarth-Syndrom 303
480 z Sachverzeichnis

Barbiturate 154 Blitz-Nick-Salaam-Kråmpfe


Barotrauma 414 (BNS-Kråmpfe) 117, 138
Basilarisstenose 74 Blockbilder 271
Basilarisverschluss 74 Blutdruckanfall 119
Bassen-Kornzweig-Syndrom 374 Blutung
Beatmung, maschinelle 270 ± intrazerebrale (ICB) 5, 34, 96, 106
Beck-Bohrung 45 ± ± Therapie 107
Bell-Parese 409 ± ± Ventrikeleinbruch 108
Benemid 316 ± subarachnoidale (SAB) 5, 288
Benfothiamin 265 Bogengang 64, 68
benigne Epilepsie mit okzipitalen Bornaprin 214
Paroxysmen (BEOP) siehe ± Dosierung 179
Epilepsie, benigne, mit okzipita- Borrelia burgdorferi 303
len Paroxysmen (BEOP) Borrelien 358, 408
benigne Partialepilepsie mit zentro- Borreliose 259, 267
temporalen Spikes (BECT) siehe Botulinum-Toxin 15, 222, 243,
Partialepilepsie, mit zentro- 245, 412
temporalen Spikes (BECT) Botulinum-Toxin A 207, 222, 256
Benserazid 175 Botulinum-Toxin B 207
Benzatropin, Dosierung 179 Brachialgia paresthetica
Benzodiazepine 154 nocturna 420
Benzol 258 Bradykardien 119
Betahistin 70, 88 Bradykinese 170
Betamimetika 357 Bradyphrenie 171
Betarezeptorenblocker 10, 98 Brivudin 316
Bewegung, choreatische 369 Bromocriptin 201, 212
Bewegungskrankheit 85 ± Dosierung 177
Bewegungsschwindel 63 Bronchialkarzinom 327
Bickerstaff-Enzephalitis 296 ± kleinzelliges 327, 328
Biklin 317 BTP 259
Bing-Horton-Syndrom 16 Budipin 176, 199, 216
Binotal 291 ± Dosierung 180
Binswanger-Erkrankung 95, 164 Bulbårparalyse, progressive 392,
Biofeedback-Training 13, 449 416
Biopsien 470 Bulbusprotrusionen 45
Biperiden 179, 210, 214 Buprenorphin 444, 445, 451, 457
± Dosierung 179 burning feet 261, 266
Bisoprolol 12
Blasenentleerungsstærung 261, 395
C
Blasenretention 246
Blei 196, 258, 269 Cabergolin 201, 213
Blepharospasmus 202, 206 ± Dosierung 178
Blickparese, progressive supra- CAG-repeat-Erkrankung 393
nukleåre 169, 173, 185 CAG-Triplets 191
± Klinik 186 calcitonin gene related peptide
Blickrichtungsnystagmus 73 (CGRP) 4, 18
a Sachverzeichnis z 481
Callosotomie, palliative 143 Chorea minor 169, 193
Calpain-3 336 ± Klinik 193
Campylobacter jejuni 271 Choreoathetosen 371
Camsilon 321 Choriomeningitisviren 297
Canalis facialis 408, 411 Chromosom
Carbamazepin 29, 59, 72, 128, 135, ± 1q11-q23 342
145, 263, 281, 307, 448 ± 4 192
± Dosierung 135 ± 5q11.2±13.3 393
Carbidopa 175 ± 6 229
Carboanhydrasehemmer 43, 142, ± 9q34 205
357 ± 13 209
L-Carnitin 368 ± 14 202
Caveolin-3 332 ± 14q22.1±2 203
CDT 259 ± X27.3-q28 342
Cefazolin 123 ± Xp21.3-p21.1 335
Cefeprime 292 ± Xq13.21 393
Cefotaxim 305 chronisch-inflammatorisch demyeli-
Cefriaxon 291 nisierende Polyneuropathie
Ceftazidim 292 (CIDP) siehe Polyneuropathie,
Ceftriaxon 293, 302, 303, 305, 411 chronisch-inflammatorisch
Celecoxib 432, 440, 453 demyelinisierende (CIDP)
Cephalosporin 291 Ciclosporin A 123, 325, 330
Cephalosporin III 292 Cidofovir 316
Cephalosporin III 303 Cinnarizin 70, 88, 174
Ceruloplasmin 208 Ciprofloxacin 292
Charcot-Marie-Tooth (CMT) 277 Cisplatin 258, 268
± Erkrankung (CMT 2) 278 Citalopram 242, 447
± Erkrankung (CMT 3) 279 CK-Erhæhung 341
Chelatbildner 209 Clarithromycin 317
Chendesoxycholat 375 Clindamycin 316
Chloramphenicol 123, 293 Clofibrat 362
Chloridkanalerkrankungen 351 Clomethiazol 123, 158
Chloroquin 123 Clomipramin 16, 54, 241, 242, 307
Chlorpromazin 323 Clonazepam 124, 148, 191, 218,
Cholesteatom 44, 75 245, 256, 448
Cholinacetyltransferase 156 Clonidin 22, 244
Cholinesterasehemmer 156 Clont 293
Cholinesteraseinhibitoren 324 Clopidogrel 91, 104, 109
Chorda tympani 410 ± Kombination mit ASS 109
Chordotomie, perkutane 451 Clozapin 123, 176, 184, 193, 199,
Chorea Huntington 151, 165, 169, 200, 205, 211, 215
191 ± Dosierung 180
± Diagnostik 192 Clusterkopfschmerzen 16, 28
± Klinik 191 ± Diagnostik 17
Chorea major siehe Chorea ± Klinik 17
Huntington ± Therapie 18
482 z Sachverzeichnis

Clustermigråne 17 Depression 83
CMV 309 Dermatomyositis 322
Coenzym Q10 368 Dermoide 78
Cogan-Syndrom 413 Desipramin 158, 241, 242
Coiling 108 Desmin 332
Colitis ulcerosa 322 Desmopressin 248
Commotio cerebri 23 Desmopronin 189
Computertomographie (CT) 472 Detrusoraktivitåt 247
± Spiral-CT 472 Detrusor-Sphinkter-
COMT-Inhibitoren 176, 182 Dysenergie 247
COX-2-Antagonisten 435 Devic's Syndrom 250, 225, 402
Coxsackie-Viren 290, 297, 358 Dexamethason 293, 315
Critical-Illness-Neuropathien 268 Dextrane 71
CSA 325 DHC 443
Cubitus valgus 423 Diabetes mellitus 99, 104, 260
Cupulolithiasis 68 3,4-Diamino-Pyridin
GTP-Cyclohydrolase 202 (3,4-DAB) 328
Cyclophosphamid 229, 250, 255, Diaphanoskopie 44
275, 277, 326 Diarrhæ 292, 375
Cyclosporin-A 275 Diåt, kupferarme 223
Cymeven 316 Diazepam 124, 148, 245, 248
Cytarabin 382 Dibenzepin 242
Dichteminderung, periventri-
kulåre 165
D
Diclofenac 432, 453
Dantrolen 123, 244, 245, 248, 256, Didanosin (DDI) 308
350, 397 diffusion weighted imaging
Daraprim 316 (DWI) 473
Deafferentierungsschmerz nach Digitalis 83, 123
Zahnextraktion 28, 31 Digitalisglykoside 154
Decarboxylasehemmer 175 Dihydrocodein 443, 454
Degeneration a-Dihydroergocryptin 212
± hepatolentikulåre 207 ± Dosierung 177
± kortikobasale 169, 186, 190 Dihydroergotamin 48
± ± Klinik 190 Dihydrokodein 442
± olivopontozerebellåre (OPCA) Diltiazem 323
188, 189 Dimenhydrinat 70, 85, 87
± spinozerebellåre 151 Dimercaprol 223
± striatonigrale (SND) 188 Diphtherie 415
Dehydratation 152, 153 Diplopie 327
Djerine-Sottas 279 Dipyridamol 104
Dekontraktionshemmung 348, 353 Disopyramid 123
Demenz 151 Dissekate 37
± frontotemporale 151, 163 ± A. carotis 37
± ± Klinik 163 ± A. vertebralis 37
± vaskulåre 95, 109, 164 Dissektion 98
a Sachverzeichnis z 483
Dissoziation, zytoalbuminåre 271 Dystonie
Disulfiram 123 ± L-Dopa-sensitive 169
Diuretika 98 ± oromandibulåre 206
Domperidon 46, 70, 172, 181 Dystonieformen
Donepezil 157, 167 ± fokale und segmentale 206
± Dosierung 160 ± ± Blepharospasmus 206
L-Dopa 174, 175, 201, 204, 212 ± ± oromandibulåre Dystonie 206
Dopa-Decarboxylase- ± ± Schreibkrampf 206
Inhibitor 172 ± ± Torticollis 206
Dopamin 102, 174 ± generalisierte 169, 204
Dopaminagonisten 83, 176, 181 ± ± Klinik 204
± Nebenwirkungen 181 Dystonien 201
Dopaminsynthese 204 ± generalisierte 202
Dopamintransporter 172 ± L-Dopa-sensitive 202
Doppelbilder 80, 403 Dystrophie 346
Doppler, transkranieller 66 ± distale 344
Doppler-Sonographie 66, 94 ± okulopharyngeale 331, 342
± extrakranielle 467 Dystrophin 332, 335
± transkranielle 468 Dystrophinopathien 331
dorsal root entry zone coagulation ± Typ Becker-Kiener 333
(DREZ) 451 ± Typ Duchenne 333
Dorsalganglien 368
Doxazosin 249
E
Doxepin 16, 54, 185, 242
Doxycyclin 305 E605 320
Dranginkontinenz, Therapie 189 early onset cerebellar ataxia
Dravet-Syndrom 144 (EOCA) 370
Drehschwindel 70, 75 EBV 297
Drop attacks 113, 118, 120 Edrophoniumchlorid 321
DRPLA 377 Edrophoniumtest 321
Duplexsonographie 66, 94, 467 Eigenblutpatch 33
Durafistel 289 Einschlusskærperchen 343
Durchblutungsstærungen, vertebro- ± zytoplasmatische 361, 380
basilåre 63 Einschlusskærper-Myositis 331, 360
Dysarthrie 73, 367, 381 Elektroenzephalographie
Dysåsthesie 438 (EEG) 121, 153, 460
Dysferlin 332, 336 ± 3/s-Spike-wave-Muster 460
Dysfunktion, erektile 261, 264, Elektrolytstærungen 201
380 Elektromyographie (EMG) 461
Dyskinesie 181, 200, 201 Elektronystagmogramm 77
± tardive 210 Elektronystagmographie 65, 83,
Dysphagie 327, 343, 376 367, 465
Dysplasie, fibromuskulåre 38 Eletriptan 8, 9, 51
Dysproteinåmien 259 Embolie, kardiale 93, 97
Dysregulation, orthostatische 118, Emerin 332
264, 379 Emery-Dreifuss-Syndrom 331, 341
484 z Sachverzeichnis

Encephalitis letargica 174 Erb-Charcot-Krankheit 394


Endokarditis 98 Erb-Landouzy-Djrine 339
Endokarditis lenta 296 Erblindung 377
Endolymphe 68, 76 Ergotamin 7, 48
Engpasssyndrome 419 Ergotamintartrat 7, 8
Engwinkelglaukom 28, 41 CK-Erhæhung 341
Enoxaparin 89, 253 Erkrankung
Entacapon 183, 214 ± extrapyramidalmotorische 169
± Dosierung 178 ± HIV-assoziierte 310
Enterobakterien 284 ± neoplastische 421
± gramnegative 289 Erythema chronicum migrans 304
Enuresis 248 Erytrhroprosopalgie 16
Enzephalitiden 36, 294 Ethambutol 317
± Klinik 294 Ethinylestradiol/Levonorgestrel 130
± luetische 298 Ethosuximid 128, 131, 138, 146
Enzephalitis 127, 153 ± Dosierung 138
Enzephalomyelitis Etoricoxib 432
± akute demyelinisierende Eustachi-Ræhre 414
(ADEM) 225, 249 Exophthalmus 403
± hepatische 153
± hypertensive 95
F
± subkortikale arteriosklerotische
(SAE) 95, 109, 164, 165, 172 Facies myopathica 339
± uråmische 152 Fahrerlaubnis 118
Eosinophilie 292, 359 Faktor II-V-Mutation 97
Ephidrin 123 Faktor-VIII-Mangel 107
Epicondylus humeri medialis 422 Fallneigung 70
Epilepsie Famciclovir 316
± akute Therapie 124 familiår hemiplegische Migråne
± Anamnese 122 (FHM) siehe Migråne, familiår
± benigne mit okzipitalen hemiplegische (FHM)
Paroxysmen (BEOP) 116 Famotidin 230
± Beratung 125 Famvir 316
± Fahrerlaubnis 118, 126 Fasciculus lateralis medialis 406
± Fremdanamnese 122 Fasernekrosen 342
± genetische Defekte 144 Faszikulationen 276, 461
± Missbildungen 130 Fatigue-Syndrom 238, 239
± prophylaktische Anfalls- Fazialisparese, idiopathische 408,
therapie 125 409
± Provokationsfaktoren 118 Felbamat 139
± Schwangerschaft 130 Fentanyl 123, 444, 445
± Wahl der Substanzen 128 Fiblaferon 298
Epilepsiechirurgie 143 fibre splitting 338
Epineurotomie 424 Fibrillationen 461
Epstein-Barr 382 Fibrose 181
Epstein-Barr-Virus 270 ± epidurale 446
a Sachverzeichnis z 485
± zystische 390 ± Dosierung 160
Fibularkæpfchen 279 Gammopathie 259
Fieber, rheumatisches 194 ± monoklonale 359
Flavoxat 248 Ganaxolon 143
Flexionsdystonie 190 Ganciclovir 316
Flexor carpi ulnaris 423 Gangataxie 73
Fludrocortison 217 Ganglien 427
fluid attenuated inverse recovery Ganglion geniculi 306
(FLAIR) 473 Ganglionåre lokale Opioidanalgesie
Flunarizin 10, 12, 52, 70, 174 (GLOA) siehe Opioidanalgesie,
Fluoroquinolon 292 ganglionåre lokale (GLOA)
5-Fluorouracil 382 Gangliosidantikærper 273
Fluoxetin 158, 193, 219, 241, 242, Gangliosidantikærper, GQ1b 273
447 Ganglioside 275
Flupirtin 323, 432, 440, 441, 453 ± GM1 275
Fluvoxamin 242 ± ± Antikærper 259
Folinsåure 316 Gangliosidsubgruppen
Folsåure 130 (GM1±3) 271
Foramen stylomastoideum 408 Gangunsicherheit 64
Foramina intervertebralia 431 Gaumensegelparesen 392
Fortecortin 315 GCG-Repeat 343
Forum 292 Gefåûmissbildungen 122
Foscarnet 316 Gelegenheitskråmpfe 118
Foscavir 316 Gelenkimmobilisation 449
Frataxin-Gen 368 Gen
Frenzel-Brille 72, 80 ± ATM-Gen 372
Friedreich-Ataxie 80, 363, 366 ± Parkin-Gen (PARK 2) 173
Frontalhirnsymptome 294 ± Parkin-Gen (Park 3±9) 173
Frontallappenanfålle 117 ± pp65-Antigen 312
Frovatriptan 8, 9, 20 ± SCN1A-Gen 144
Frçhdyskinesien 210 ± a-Synuklein-Gen (Park 1) 173
± Neuroleptika 210 Genanalyse 471
Frçhsommer-Meningoenzephalitis Generalisierung, sekundåre 117
(FSME) 294, 295 Genlokus
Furosemid 62 ± 1q11-q21.2 337
Fuûdeformitåt 278 ± 1q11-q23 341
± 1q13.1 349
± 1q31±32 349
G
± 2p13 344
GAA-Repeat 368 ± 2p13.3 344
GABAA-Rezeptoren 139 ± 2p13.3±13.1 337
GABA-Decarboxylase 135 ± 2q31 337
Gabapentin 29, 59, 128, 131, 139, ± 2q31±33 344
146, 200, 239, 244, 263, 448 ± 3p25 337
± Dosierung 139 ± 4q12 337
Galantamin 157, 167 ± 4q35 339
486 z Sachverzeichnis

± 5q31 337 Gçrtelrose 305


± 5q33-q34 337 Gyrasehemmer 323
± 6q23 337
± 7q 337
H
± 7q32 349
± 7q32.1±32.2 337 Haemophilus 284
± 9p1-q1 344 ± influenzae 192, 284, 289
± 9q31-q34.1 337 Hallervorden-Spatz-Syndrom 151
± 13q12 337 Hallgren-Syndrom 370
± 14q 344 Halluzinationen, hypnagoge 120
± 14q11.2±14q13 343 Haloperidol 158, 194, 205, 222,
± 15q15.1±21.1 337 442
± 17q11-q12 337 Halsrippensyndrom 428
± 17q12-q21.33 337 Halswirbelsåule-Schleuder-
± 17q23±25 349 trauma 80
± 19q13.3 347 Haltetremor 195, 196, 197
± 19q13.3 337 Haltungsschablonen 117
Gerinnungsstærungen 98 Håmaturie 208
Gesichtsfeldeinschrånkungen 131 Harnwegsinfektion 158
Gesichtsmuskellåhmung 285 Hashimoto-Thyreoiditis 328, 359
Gesichtsschmerz, atypischer 28, 31 HbA1 259
Gewebeplasminogenaktivator, Helpin 316
rekombinanter (rtPA) 102 Hemianopsien 121
Gingko-biloba 158, 168 Hemicrania continua 26
± Dosierung 159 Hemikranie, paroxysmale 25, 28
± Interaktionen 162 Hemikraniektomie 103
± Nebenwirkungen 161 Hemispasmus facialis 412
Glatirameracetat 229, 235, 254 Hepatitis-C-Infektion 266
Glaukom 248 Hepatosplenomegalie 208
Glaukomanfall 5, 41 Herdenenzephalitiden 298
Gliedergçrtel-Dystrophien 331, Herdenenzephalitis 296
336 Herdmyositis, interstitielle 358
Globus pallidus 208 hereditåre motorische und sensible
Glossopharyngeusneuralgie 415 Polyneuropathie (HMSN) siehe
Glukokortikoidstæûe 238 Polyneuropathie, hereditåre mo-
Glukoneogenese 265 torische und sensible (HMSN)
Glutamat 122 hereditåre sensible und autonome
Glykogenosen 338 Neuropathie (HSAN) siehe
Golgi-Apparate 64 Neuropathie, hereditåre sensible
Gradenigo-Syndrom 44 und autonome (HSAN)
Grandmal 113 Heroin 123
± Status 124 Herpes zoster 305
Granulationen 291 Herpesenzephalitis 288, 294, 297
GTP-Cyclohydrolase 202 ± Therapie 297
Guillain-Barr-Syndrom Herpes-labialis-Virus 297
(GBS) 260, 269, 298, 309, 406 Herpesmyelitis 313
a Sachverzeichnis z 487
Herpes-simplex-Enzephalitis 294 Hohlfuû 278, 367
Herpes-simplex-Infektionen 316 Holmes-Syndrom 370
Herpes-simplex-Viren (HSV) 297 Holzbock 303
± HSV1 297 Homæopathie 450
± HSV-Enzephalitiden 294 Hærminderung 69
Herpes-Virus, HHV 6 294, 297 Horner-Syndrom 38, 404
Herpes-zoster-Infektionen 316 Hærverlust 75
Herpes-zoster-simplex-Virus 313 Hçftbeugerschwåche 435
Herpes-zoster-Virus 313 b-Humaninterferon 298
Herzecho, transæsophageales Huntingtin 191
(TEE) 97 Huntington-disease-look-
Herzfrequenzstabilitåt 259 alike 377
Herzklappeninsuffizienz 98 Hustenkopfschmerz, benigner 26
Herzrhythmusstærungen 83, 102, Hutchinson-Trias 343
271 Hydrocephalus aresorptivus 33
Hexachlorophen 123 Hydrochlorothiazid 357
Hexenschuss 434 Hydrozephalus 33, 286, 291, 395
Hinterstrånge 368 Hyperabduktionssyndrom 428
Hinterstrangzeichen 65 Hyperakusis 408
Hippocampus 163 Hyperalgesie 438
Hirnabszess 286 Hyperåsthesie 438
Hirnbiopsie 470 Hypercholesterinåmie 99
Hirndruck 106 Hyperglykåmie 262
Hirndruckzeichen 294 Hyperhidrose 261, 264
Hirnædem 286 Hyperkinesen 193, 202
Hirnstammkerne, vestibulåre 73 Hyperlordose 334
Hirnstammpotenziale, akustisch Hyperparathyreose 153
evozierte (AEHP auch AEP) 77, Hyperpathie 261
463 Hypersomie 158
Hirnstamm-TIA 74 Hypertension, benigne intra-
Hirnstammzeichen 65 kranielle 32
Hirnstçrze 119 Hyperthyreose 196, 198, 259, 322
Hirntodbestimmung 460 Hypertonie
Histaminkopfschmerz 16 ± arterielle 5
HIV 154 ± maligne 349
± Enzephalopathie 154, 308 Hyperthyreose 355
± Infektion 307 Hyperventilation 119
± ± opportunistische 309 Hypnic headache 26
± Polyneuritis 308 Hypnotika 83
± Therapie 268 Hypoalbuminåmie 369
± Viren 290 Hypoglykåmie 118, 196
HLA DR2-Allel 229 Hypogonadismus 370
Hodenatrophie 347 Hypokinese 170
Hoffmann-Tinnel-Klopfzei- Hyponatriåmie 118, 130, 141, 153
chen 421 Hypoparathyreoidismus 355
Hæhenschwindel 63, 84 Hyposmie 402
488 z Sachverzeichnis

Hypotension ± typische Nebenwirkungen 234


± orthostatische 171, 175 ± b-Pråparat 229
± ± Therapie 189 ± b-1a-Interferon 254
± postprandiale 261 ± b-1b-Interferon 254
Hypothyreose 153, 259, 355 ± c-Interferon 275
Hypotonie, arterielle 5 Interleukin-2 275
Hypovitaminose 201, 267, 369 international normalized ratio
± bei Mangelernåhrung 153 (INR) 100
Hypoxie 118 Intervalltherapie der schubfærmigen
Verlaufsform 231
Intrinsic-Faktor-Mangel 259
I
Iritiden 306
Ibuprofen 7, 8, 432, 452 Ischåmie 35
Ice-pick-Kopfschmerz 26 ± fokale 94
Ichthyosis 372 ± hypertensive Krise 101
idiopathic late onset cerebellar ± zerebrale 93
ataxia (ILOCA) 379 ± ± Hemikraniektomie 103
Ikterus 208 ± ± Sekundårprophylaxe 104
Imigran 9, 48 ± ± Therapie des akuten
Imipramin 16, 55 ischåmischen Infarkts 100
Immunadsorption 272, 325 Iscover 104
Immunglobulin 231, 272, 360 Isoniazid 123, 197, 268, 291
± intravenæse 236, 254 Isozid 291
± IgA-Mangel 371 IVASPIRIN 8
± IgA-Synthese 287 Ixodes ricinus 303
± ± lokale 287
± IgE-Mangel 371
J
± IgG-Erhæhung 359
± IgG-Liquor-Serum-Quotient 312 Jackson-Anfall 115
± IgG-Synthese, intrathekale 228 Jammergestalt 346
± IgM-Antikærper 271 Jarisch-Herxheimer-
Immunisierung, passive 298 Reaktion 303
Indometacin 123, 432, 453
Infektion
K
± opportunistische 315
± parasitåre 288 Kaffee 196
Influenza 270 Kaiser-Fleischer-Ring 208
Injektion, konjunktivale 25 Kalium 89, 253
Innenohrschwerhærigkeit 347, 413 Kaliumkanalerkrankung 379
Insektizide 320 Kalium-Sulfid 209
Insulin 123 Kalzium 89, 253
Integrinantagonisten 236 Kalziumantagonisten 98
Interferon 232 Kalziumkanalerkrankung 354,
± Kontraindikationen 234 356, 377, 379
± Therapie der chronisch-progre- Kanalerkrankungen 348
dienten Verlaufsform 237 Kaposi-Sarkome 311
a Sachverzeichnis z 489
Kardiomyopathie 119, 347 Kopfschmerz 2
± hypertrophische 367 ± koitaler 26
Karnitin-Palmityl-Transferase- ± medikamenteninduzierte 20
Mangel 332 ± ± Diagnostik 20
Karotisaneurysmen 416 ± ± Klinik 20
Karotisendarterektomie 105 ± ± Therapie 21
Karotisoperation 99, 109 ± posttraumatischer 23
Karotisstenting 99 ± ± Diagnostik 23
Karpaltunnelsyndrom (CTS) 264, ± ± Klinik 23
420 ± ± Therapie 24
Kataplexie 118 Kopfschmerzerkrankungen,
Katarakte 82, 347, 375 Klassifikation 2
Kausalgie 438 Korakoid 428
Kennedy-Syndrom 393 Korsakow-Syndrom 153
Keratitiden 306 Kortex, vestibulårer 64
Kernspinangiographie (Angio- Kortikosteroide 123, 448
NMR) 473 Kortisonstoûtherapie 79
Kernspintomographie (NMR) 473 Kostoklavikulårsyndrom 428
Kerns-Sayre-Syndrom 404 Krise
Ketoprofen 432 ± akinetische 176, 184
Kiefergelenksmyarthropathie 5 ± ± Behandlung 184
Kiloh-Nevin-Syndrom 425 ± hypertensive 101
Kinetose 85 ± okulogyre 210
Klebsiella 289 Krçckenlåhmung 426
Kleinhirnbrçckenwinkel, Kryoglobuline 260
Tumor 77, 409 Kryptokokken 297, 313
Kleinhirndegeneration Kryptokokkenmeningitis 290, 309,
± alkoholische 381 316
± paraneoplastische 380 Kugelberg-Welander (SMA III) 391
Kleinhirnerkrankungen 196, 363 Kulissenphånomen 416
Kleinhirnrindendegeneration, Kupfer-Zink-Superoxid-
paraneoplastische 381 dismutase 388
Kniestreckerschwåche 435
Knochenanomalien 372
L
Kodein 441, 442
Koffein 123 L-Dopa 212
Kohlenmonoxid 174, 196 Labyrinth 71
Kokain 123, 362 ± Erkrankungen 63
Kollagenose 267, 406 Labyrinthausfall 70, 77
Koma 294 ± akuter 70
Kompartmentsyndrom, Labyrinthektomie 76
vorderes 436 Labyrinthfistel 75
Komplementablagerungen 271 Labyrinthitis 75
Konduktorinnen 333 ± akute 75
Kontrakturprophylaxe 335, 339 Lagerungsmanæver nach Hall-
Kontrazeptiva, hormonelle 129 pike 68
490 z Sachverzeichnis

Lagerungsschwindel, benigner Lincomycine 323


paroxysmaler 63, 66 Linsenentfernung 80
Lagesinn 65 Lioresal 315
Lagesinntestung 80 Lipome 427
Lagetraining nach Brandt oder Liponsåure 263
Epley 68 a-Liponsåure 267
Låhmung Liquor, xanthochromer 106
± dyskaliåmische periodische 331, Liquorabflussbehinderung 286
348 Liquoranalytik 106, 295
± hyperkaliåmische 349, 354 Liquoraustausch 291
± ± periodische 353 Liquordiagnostik 469
± normokaliåmische perio- Liquordruck 33
dische 353 Liquorpleozytose 312
± periodische 348 Liquorunterdrucksyndrom 33
Lakrimation 25, 26 Liquorzirkulationsstærungen 152
Laktat 287 Listerien 289, 293, 296, 297, 298
Lambert-Eaton-Syndrom 319, 326 Lisurid 212
± Klinik 326 ± Dosierung 177
Lamin A/C 332, 336 Lithium 19, 174, 198, 382
Lamotrigin 13, 25, 29, 59, 128, Lithiumcarbonat 19, 57
131, 138, 146, 263 ± Nebenwirkungen 19
± Dosierung 139 Lithiumsalze 154
Laseriridotomie 43 Locus coeruleus 173
Latenz, distal motorische 271 Loge-de-Guyon-Syndrom 423, 424,
Lateralsklerose 425
± amyotrophe 386 Lorazepam 124, 148
± primåre 397 Losigamon 143
Leberwerte 153 Lovastatin 362
Leberzirrhose 107, 152 LSD 123
Leitungsblockierungen 276 Lues 76, 152, 154, 288, 297, 406,
Lennox-Gastaut-Syndrom 118, 140 469
Lermoyez-Syndrom 69 Luis-Bar-Syndrom 371
Leseepilepsie, primåre 116 Lumbago 439
Leucoverin 316 Lungenkarzinom 359
Leukåmie 327, 371 Lupus 153, 260, 322
Leukencephalopathie, progressive Lupus erythematodes 322, 359
multifokale (PML) 309, 313 Lyell-Syndrom 130
Levetiracetam 129, 131, 141, 147 Lyme-Arthritis 304
± Dosierung 142 Lyme-Borreliose 303
Levodopa+Carbidopa+ Lyme-Erkrankung 295
Entracapon 178 Lymphom 78, 371
Levomepromazin 447 ± B-Zell-Lymphom 310
Lidocain 19, 56, 123 ± Non-Hodgkin-Lymphom 311,
Lidocainlæsung 18 315, 327
limb girdle muscular dystrophies ± ZNS-Lymphom 310, 315
(LGMD) 336 B-Lymphozyten, aktivierte 304
a Sachverzeichnis z 491
Lysin-Acetylsalicylsåure 8 Marcumar 105
Marinesco-Sjægren-Syndrom 370
Marklagerphlegmone 295
M
Markumarisierung 39, 74
M. abductor digiti minimi 425 Mastoid 289
M. biceps femoris 433 Mastoiditiden 408
M. flexor digiti minimi 425 Mastoiditis 44, 76
M. glutaeus maximus 433 Mavid 317
M. glutaeus medius, tibialis Maxalt 9
posterior 433 McDonald-Kriterien 227
M. ileopsoas 334, 433, 435 MCV 259
M. levator palpebrae 404 Meatus acusticus 413
M. olbiquus superior 403, 405 Mediainfarkt, maligner 93
M. opponens digiti minimi 425 Medianuskompressions-
M. orbicularis 339 syndrom 420
M. orbicularis oculi 339, 412 Melkersson-Rosenthal-
M. pectoralis minor 428 Syndrom 412
M. quadriceps 433 Meloxicam 440, 453
M. quadriceps femoris 435 Melperon 158
M. rectus lateralis 403, 405 Memantine 168
M. rectus superior 405 ± Dosierung 159
M. scalenus anterior 428 ± Interaktionen 162
M. sphincter ani 189 ± Nebenwirkungen 161
M. sternocleidomastoideus 416 Meningeome 78
M. triceps surae 433 Meningiosis 469
M. uvulae 414 Meningismus 284
M. zygomaticus 339 Meningitiden 36, 284
Madopar LT 176 ± aseptische 311
Magnesium 11 ± bakterielle 284
Magnetresonanztomographie ± virale 285
(MRT) 106, 473 Meningitis 5
± FLAIR-Sequenzen 106 ± aseptische 310
± MRT-Spektroskopie 473 ± Therapie 291
Makroangiopathie 93, 97 ± tuberkulæse 285, 317
Makroglobulinåmie 259 Meningoenzephalitiden 152, 293
Makrolide 323 Meningoenzephalitis, frçh-
Malabsorption 259, 264 syphilitische 299
Malformationen, arterio- Meningokokken 284
venæse 35 Meningoradikulitis 313
Malnutrition 264 Meningovaskulitis 301
Mammakarzinom 359 Meprobamat 362
Mangan 174 Meropenem 291, 292
Faktor-VIII-Mangel 107 Mesuximid 143
Mangelernåhrung 343 Metamizol 452
Maprotilin 16, 55, 242 Methotrexat 255, 350, 360
Marburg's Disease 252 a-Methyldopa 174
492 z Sachverzeichnis

Methylphenydat 243 ± Triggerfunktion 10


Methyl-phenyl-tetrahydropyridin Mikroangiopathie 93, 262
(MPTP) 174 Mikrographie 171
Methylprednison 89, 230, 253 Miller-Fisher-Syndrom 273, 382,
Methysergid 11, 12, 19 404
Metixen 215 Mimikry, molekulare 272
± Dosierung 179 Mini-Mental-Test 156
Metoclopramid 22, 46, 70, 174, minor stroke 94
210, 442 Mirtazapin 242
Metoprolol 10, 12, 52 Mitochondriopathien 153, 338,
Metronidazol 123, 293 364, 396
Mexiletin 350 Mitoxantron 238, 255
Mianserin 242 Mittelohr 289
Midazolam 125, 148 Mm. triceps, brachioradialis 426
Migråne 2 MMF 326
± Basilarismigråne 3 Moclobemid 447
± chronische 13 Modafinil 120, 241
± Diagnostik 3 Mofetil 326
± Differenzialdiagnose 5 Monoaminooxidase-B-Hemmer
± ± arterielle Hypertonie 5 (MAO-Hemmer) 15, 179, 447
± ± arterielle Hypotonie 5 Mononeuritis multiplex 310
± ± Arteriitis temporalis 5 Mononeuropathien 262, 438
± ± fokaler epileptischer Anfall 6 Morbus Addison 355
± ± Glaukomanfall 5 Morbus Alzheimer 151, 155, 166
± ± intrazerebrale Blutung 5 ± Genetik
± ± Kiefergelenksmyarthropathie 5 ± ± Frçhform 166
± ± Meningitis 5 ± ± Spåtform 166
± ± Sinusitis 5 ± Klinik 155
± ± Sinusvenenthrombose 5 ± Therapie 157
± ± subarachnoidale Blutung 5 Morbus Binswanger 151, 164
± ± transiente ischåmische ± Klinik 165
Attacke 6 Morbus Beck 410, 412
± ± zerebrale Vaskulitis 5 Morbus Cushing 355
± Epidemiologie 2 Morbus Fahr 173
± familiår hemiplegische Morbus Hodgkin 382
(FHM) 3, 6, 376 Morbus Meni re 63, 69
± Formen 3 Morbus Parkinson 151, 165, 169,
± Klinik 3 170
± mit Aura 3 ± akinetisch-rigider Typ 171
± ± prolongierter 3, 4 ± Øquivalenz-Typ 171
± ohne Aura 3 ± Depression 185
± Pathophysiologie 4 ± Ernåhrung 176
± Pråvalenz 2 ± Thalamotomie 184
± Prophylaxe 10 ± therapeutische Prinzipien 176
± retinale 3, 4 ± Tremor 184
± Therapie 7 ± Tremor-Dominanz-Typ 171
a Sachverzeichnis z 493
Morbus Pick 163 Muskeldystrophieformen,
± Klinik 163 distale 331
Morbus Refsum 277, 279, 372, 413 Muskeldystrophien 331, 332
Morbus Whipple 186 ± fazioskapulohumerale 331, 339
Morbus Wilson 152, 153, 169, 172, ± myotone 404
173, 196, 207 ± progressive, mit Frçhkontrak-
± Klinik 208 turen 431
Morphin 444, 456 Muskelerkrankung
UPDRS Motor Score 172 ± entzçndliche 358
multifokale motorische Neuropathie ± toxische 362
(MMN) siehe Neuropathie, multi- Muskelhypertrophie 350
fokale motorische (MMN) Muskelhypotrophie 449
Multi-Infarkt-Demenz 95 Muskelkontraktionsschmerz 14
Multiple Sklerose (MS) 225, 469 Muskelrelaxanzien 83, 248
± Akuttherapie 230 Muskelrelaxation, progressive, nach
± Glatirameracetat 229, 231 Jacobsen 13
± Immunmodulatoren 231 Muskelspindel 64
± Interferon b-Pråparat 229, 231 Muster, myopathisches 341
± Klinik 226 Faktor II-V-Mutation 97
± Liquorbefund 228 Mutterkornalkaloide 7
± McDonald-Kriterien 228 Myambutol 317
± neutralisierende Anti- Myasthenia gravis 248, 319
kærper 323 ± Einteilung 321
± Sonderformen 248 ± Klinik 320
± symptomatische Therapie 238 ± pseudoparalytica 320
± Therapie der chronisch pro- Myasthenie 359, 415
gredienten Verlaufsform 237 Mycobacterium tuberculosis 314
Multisystematrophien (MSA) 169, Mycobutin 317
173, 187, 369, 379 Myelinprotein, PMP22 278
± Formen 188 Myelitis
± Klinik 187 ± funikulåre 396
Mumps 414 ± HTLV-1-assoziierte 396
Mumpsviren 290 Myelographie 33, 472
Mundtrockenheit 246 Myelom, multiples 259, 421
Mçnzzåhltremor 171 Myelopathie
Muskelatrophie, spinale ± vakuolåre 308, 310, 315
(SMA) 387, 390 ± zervikale 387, 396
± Aran-Duchenne 392 Myelose, funikulåre 80, 81, 153
± intermediår-Typ (SMA II) 391 Mykobakterien, atypische 317
± Kugelberg-Welander Mykophenolat 326
(SMA II) 391 Mykoplasmen 382
± progressive Bulbårparalyse 392 Myoenzephalopathien 153
± Vulpian-Bernhard 392 Myoglobinurie 362
± Werdnig-Hoffmann Myokardinfarkt 104
(SMA I) 391 Myoklonien 294
Muskelbiopsie 260, 342, 470 Myokymien 276
494 z Sachverzeichnis

Myopathien 310, 331 Nachtblindheit 372


± endokrine 338 Nackensteife 284, 285
Myositis, okulåre 359, 404 Nadeln, atraumatische 34
Myotilin 332, 336 Nalixidinsåure 123
Myotonia congenita 348, 349, 351 Naloxon 454
± Typ Becker 348, 352 Naproxen 8, 12, 22, 52
± Typ Thomsen 348, 351 Naramig 9
Myotonia fluctuans 349, 352, 353 Naratriptan 8, 9, 20, 50
Myotonia permanens 349, 352, Narkolepsie 113, 118, 120
353 Natalizumab 236
myotonic dystrophy 346 Natriumkanalerkrankungen 352,
Myotonie 331, 348 356
± acetazolamidsensitive 353 Nefazodon 241, 242
± dystrophische, Curschmann- Nephrolithiasis 131
Steinert 331, 346 Nephrotoxizitåt 316
± generalisierte 349 nerve growth factor (NGF) 263
± kongenitale 351 Nervenbiopsie 260, 470
Myotonin-Protein-Kinase 347 Nervenkompressions-
Mytelase 342 syndrome 461
Nervenleitungsgeschwindigkeit
(NLG) 81
N
± Messung 461
N. abducens 262, 403, 405 Nervenstimulation, transkutane
N. accessorius 416 elektrische (TENS) 450
N. cochlearis 413 Nervenwachstumsfaktor 262
N. extensor carpi radialis longus Neugeborene 289
427 Neuralgie 438
N. facialis 408 ± postherpetische 28, 306
N. femoralis 262 Neuralrotdefekte 131
N. glossopharyngeus 414 Neurinome 427
N. hypoglossus 416 Neuritis nervi optici 250, 402
N. medianus 464 Neuritis vestibularis 70
N. oculomotorius 262, 403 Neuroborreliose 228, 295, 297,
N. olfactorius 402 303, 410
N. opticus 402 Neurocil 447
N. peroneus profundus 436 Neurofibrillen 156
N. petrosus superficialis 410 Neurofibromatose 78
N. recurrens 416 Neurographie 461
N. stapedius 410 Neuroleptika 154, 170, 210
N. suralis 260 Neuroleptikasyndrom,
N. tibialis 464 malignes 184
N. trigeminus 407 Neurolues 296, 298, 314
N. trochlearis 262, 403, 405 ± Klinik 299
N. vagus 415 Neurolyse 427
N. vestibularis 64, 413 Neuromyelitis optica 225, 250
N. vestibulocochlearis 77 Neuropathie 438
a Sachverzeichnis z 495
± hereditåre sensible und autonome Ondansetron 70, 88
(HSAN) 277, 279 Ophthalmoplegie 273, 376
± multifokale motorische ± chronisch-progrediente
(MMN) 257, 259, 275, 387 externe 404
Neurosyphilis 298, 317 ± internukleare (INO) 406
Niereninsuffizienz 259 Opioidanalgesie, ganglionåre lokale
± chronische 153 (GLOA) 451
Nierensteine 140 Opioide 441
Nierentransplantation 266 Optikusatrophien 299, 395
Nifedipin 323 Orbitalphlegmone 45
Nimodipin 108 Organtuberkulosen 290
± Dosierung 159 Osmotherapie 108
± Interaktionen 162 Otitis media 75
± Nebenwirkungen 161 Otolithen 68
N-Methyl-D-Aspartat-(NMDA) Otosklerose 413
± Antagonisten 184 Ovarialinsuffizienz 347
± Rezeptoren 139 Ovarialkarzinom 359
Non-Hodgkin-Lymphome 311, Oxcarbazepin 29, 59, 128, 131,
315, 327 141, 147, 281
Nootropika 157 ± Dosierung 141
Normaldruckhydrozephalus Oxybutinin 189, 217, 248
(NPH) 152, 172, 173 Oxycodon 444, 445, 457
Nortriptylen 158, 242
Nucleus raphe 173
P
Nykturie 247
Nystagmus 65, 67 Pacchioni-Granulationen 291
± Auslenkung 67 Pachymeningitis-cervicalis 299
± Dauer 67 Paclitaxel 268
± dissoziierte 406 Pallhypåsthesie 261
Panarteriitis nodosa 260
Panikattacke 84
O
Pankreaskarzinom 451
Oblongatasyndrom, dorso- Papillenatrophie 403
laterales 74 Paracefan 22
Obstipation 175 Paracetamol 8, 24, 307, 452
off-label-use 324 Paralyse, progressive 299, 301
Ofloxacin 317 Paramyotonia congenita 348, 349,
Ohrenschmerzen 75 352, 353
Ohrenspiegel 408 Paraproteinåmie 267
Ohrspeicheldrçse 415 Paråsthesien 131
Okkasionsanfålle 118 Parazentese 76
Okulomotorik 65 Parkbanklåhmung 426
Olfaktoriusmeningiome 402 Parkinson-Syndrom, postenzephali-
Oligodendrozyt 228 tisches 174
Oligophrenie 347 Parkinson Tremor 199
On/Off-Phånomene 175 Paroxetin 185, 242
496 z Sachverzeichnis

Partialepilepsie, benigne, mit Platzangst 84


zentrotemporalen Spikes Plavix 104
(BECT) 116 Plektin 332
Paukenhæhle 414 Pleozytose 284
Pavor nocturnus 118 Pleuraergçsse 181
Pemolin 241 Plexus brachialis 423
Penicillin 76, 123, 194, 292 Plexus coeliacus 450
Penicillin G 302, 317 Plexus hypogastricus
Penicillin V 194, 220 superior 451
D-Penicillamin 209, 223 Plexus lumbosacralis 435
Pentazocin 123, 443, 455 Plexus-lumbosacralis-Låsion 435
Pergolid 201, 212 Plexusverletzungen 461
± Dosierung 177 Pneumokokken 284, 289
Perilymphe 76 Pneumonien 156, 289
Persænlichkeitsverånderungen 155, Polyarthritis 322, 439
294 Polymyalgia rheumatica 40, 194
Pethidin 123, 443, 455 Polymyositis 322
Petit Mal 115, 117 Polymyositis/Dermato-
Phåochromozytom 35 myositis 331, 358
Phenetyllin 243 Polyneuritis 469
Phenhydan 108 ± cranialis 404
Phenobarbital 125, 128, 131, 137, ± chronisch-inflammatorische
145, 149 demyelinisierende 387
± Dosierung 137 Polyneuropathia multiplex 438
Phenoprocoumon 91, 107 Polyneuropathie (PNP) 80, 257,
Phenylbutazon 367
Phenytoin 29, 59, 123, 125, 131, ± akute inflammatorische demyeli-
136, 145, 149, 307, 382 nisierende (AIDP) 269
± Dosierung 137 ± Alkoholkonsum 263
± Gingivahyperplasie 137 ± chronisch-inflammatorische
± Hypertrichose 137 demyelinisierende (CIDP) 257,
Phospholipidantikærper 97 273, 309
Phytanoyl-CoA-Hydroxylase 373 ± Critical-Illness-Neuro-
Phytansåure 279, 280, 372 pathien 268
Pillendrehertremor 171 ± Diabetes mellitus 260
Pimozide 194, 220 ± Engpasssyndrome 264
Pindolol 323 ± hereditåre 367
Pipamperon 158 ± ± HMSN I/CMT1 367
Piperazine 123 ± motorische und sensible
Piracetam 123 (HMSN) 257, 277, 278, 279, 367
± Dosierung 159 ± Lebererkrankung 265
± Interaktionen 162 ± pharmakogeninduzierte 268
± Nebenwirkungen 161 ± Uråmie 265
Piritramid 444, 457 Polyphasie 341
Pizotifen 11, 12 Polyradikulitis 310
Plasmapherese 272, 275, 315, 325 Polyradikulopathie 316
a Sachverzeichnis z 497
Porphyrie 259, 267 Pseudobulbårparalyse 388
Positronenemissionstomographie Pseudocholithiasis 292
(PET) 172, 475 Pseudodemenz 155
Posturographie 66, 466 Pseudohypertrophie 334
Potenzialdauer 341 Pseudomonas 289
Potenzialdispersionen 276 Pseudomonas aeruginosa 292
Potenziale Pseudosklerose Westphal-
± evozierte 65, 463 Strçmpell 207
± magnetisch evozierte Pseudotumor cerebri 32, 406
(MEP) 465 Ptose 403
± sensibel evozierte spinale und ± beidseitige 343
kortikale (SEP) 464 ± Differenzialdiagnose 404
± visuell evozierte (VEP) 463 Pulsoxymetrie 102
Pramipexol 178, 201, 213 Pupillenfunktionsstærungen 296
Prazosin 249 Putamen 207, 208
Prednisolon 57, 71 Pyrafat 291
Prednison 18, 19, 22 Pyramidenbahnzeichen 376, 395
Pregabalin 29, 59, 129, 131, 142, Pyrazinamid 291
239, 263, 448 Pyridostigmin 329
± Dosis 142 Pyridostigminbromid 324
Presbyakusis 413 Pyridoxin 268
Primidon 128, 131, 137, 145, 198, Pyrimethamin 316
199
± Dosierung 137
Q
Prionerkrankung 364
Probenecid 316 Quecksilber 196, 258
Procyclidin 215
± Dosierung 179
R
progressive multifokale Leuken-
cephalopathie (PML) siehe Rabies 297
Leukenzephalopathie, progressive Radialislåsion 426
multifokale (PML) Radikulopathie 446
Promazin 323 Ramsay-Hunt-Syndrom 370
Pronator-teres-Syndrom 424, 425 Ranitidin 89, 230, 253
Propofol 125 Ranvier-Schnçrringe 276
Propranolol 10, 12, 52, 198, 199 Rasagilin 179, 182
Prostaglandine 123 Rauchen 104
Prostigmin 342 Reaktionen, allergische 292
Protein Rebif 254
± amyloid-b precursor protein Recurrensparese 416
(Abeta PP) 361 H-Reflexe 274, 461
± C 97 Relaxationstraining 449
± S 97 Relaxationsverfahren nach
Proteinurie 208 Jacobsen 16
Proteus 289 Relpax 9
Protonenpumpen-Hemmer 230 Remacemid 143
498 z Sachverzeichnis

Repeat S
± CAG-repeat-Erkrankung 393
± GAA-Repeat 368 Salbengesicht 171
± GCG-Repeat 343 Salbutamol 357
APC-Resistenz 97 Sandimmun 325
Restharnbestimmung 189 Sandoglobin 315
Restless-Legs-Symptomatik 266 Sarkoglykane 332
Restless-Legs-Syndrom 169, 200 Sarkoidose 322
± Klinik 200 Sartane 99
Retinadegeneration 377 Sauerstoff 19, 56
± pigmentåre 370 Såurepitol 263
Retinitis pigmentosa 279, 372, Scapula alata 340
374 Schådel-Hirn-Trauma (SHT) 23,
Retrobulbårneuritis 226, 402 127, 152, 289
Retrovir 315 Schallleitungsschwerhærigkeit 413
Rezeptor Schellong-Test 189
± VLA-4-Rezeptor 236 Schilddrçsenerkrankung 152, 421
± 5-HT1B/D-Rezeptoren 6, 9 Schilddrçsenhormone 153
± GABAA-Rezeptoren 139 Schilddrçsenunterfunktion 241
± NMDA-Rezeptoren 139 Schilling-Test 259
Rhabdomyolyse 362 Schirmer-Test 410
Rhinorrhæ 25, 26 Schlafattacken 120
Rhizotomie 450 Schlafdrang, imperativer 120
Riboflavin 11 Schlaflåhmung 120
Riesenpotenziale 387 Schlafmittel/Sedativa 154
Riesenzellarteriitis 39 Schlaf-Wach-Rhythmus 155
Rifabutin 317 Schlaganfall 93
Rigor 170 ± Primårpråvention 98
Riluzol 389, 400 ± Risikofaktoren 99
rimmed vacuoles 343, 361 ± Sekundårpråvention 105
Rinne-Test 413 ± Therapie 98
Rivastigmin 157, 167 Schleifendiuretika 323
± Dosierung 159 Schleudertrauma der Halswirbel-
Rizatriptan 8, 9, 50 såule 81
Robertson-Phånomen 299 Schluckstærung 73
Rocephin 291, 292 Schlundkråmpfe 210
Rolando-Epilepsie 116 Schmerz
Romberg-Stehversuch 80 ± postoperativer 442
Ropinirol 213 ± neuropathischer 240
± Dosierung 178 ± -Therapie 240, 437
Rufinamid 143 ± ± additive 445
Ruhetremor 171, 196, 197 ± ± invasive 450
Rumpfataxie 70 ± ± bei Knochenmetastasen 448
Schrankenstærung 287
Schreibkrampf 206
Schwannome 427
a Sachverzeichnis z 499
Schwarzwerden vor Augen 64 Spaltlampe 208
Schwerhærigkeit 372 Spaltlampenuntersuchung 172
Schwindel 63 Spannungskopfschmerzen 13
± akuter 66 ± chronische 14
± Anamnese 65 ± Diagnose 14
± chronischer 65 ± Klinik 14
± phobischer 63, 84 ± Therapie 15
± Schwankschwindel 65 Spastik 243
Scopoderm TTS-Membran- Spåtdyskinesien 210, 447
pflaster 85 Speichelsekretionsstærungen 408
Scopolamin 85, 90 Sphinkter, urethraler 247
Sedativa 83 Sphinkterparese 247
Sedierung 108 Spinalanåsthesie 33
Sehnenspindel 64 Spinalganglien 305
Sekundårpråvention 105 Spinalparalyse, spastische
Sekundårprophylaxe 104 (SPG) 299, 394
Selegelin 182, 214, 389 ± autosomal dominante Formen,
± Dosierung 179 Genlokus 2p21-p24 395
Senataxin 370 ± autosomal rezessive
Sepsis 286 Formen 395
Serotoninagonisten (5-HT1B/D- ± X-chromosomal-rezessive
Agonisten) 9, 70 Formen 395
Serotoninwiederaufnahmehemmer Spiral-CT 472
(SSRI) 15, 182, 447 Spirochåten 296, 304, 408
Sertralin 185, 241, 242, 447 Spironolacton 347
Shy-Drager-Syndrom 188 Spontannystagmus 71
Siderophagen 106 ± nicht erschæpflicher 73
Simpson-Test 321 sporadic adult-onset ataxia
Single-Photonen-Emissions- (SAOA) 379
Computer-Tomographie spreading depression 6
(SPECT) 172 Sprechstærungen 294
± IBZM-SPECT 172 Stammganglien 106
Sinus-cavernosus-Fistel 17 Staphylokokken 290, 292, 358
Sinusitiden 43 Status epilepticus 124
Sinusitis 5 Status, nonkonvulsiver 153
± akute 45 Stauungspapille 33, 402
Sinusitis maxillaris 28 Stavudin (D4T) 308, 315
Sinusvenenthrombose 5, 33, 35 Steele-Richardson-Olszewski-
Sjægren-Syndrom 260, 322 Syndrom 185
Skalenussyndrom 423, 428 Stepper- und Bçgeleisengang 278
Sklerodermie 359 Steroidmyopathien 338
Skotome 121 Sterol-27-Hydroxylase 375
Sluder-Syndrom 4 Steven-Johnson-Syndrom 130
Sneddon-Syndrom 322 Stimmbandlåhmung 392
Sodium-Valproat 135 Stiripentol 143
± Dosierung 136 Storchenbein 278
500 z Sachverzeichnis

Streptokokken 289 ± Hallgren-Syndrom 370


Streptokokkeninfekt 193 ± Halsrippensyndrom 428
Stressbewåltigungstraining 13, ± Holmes-Syndrom 370
449 ± Horner-Syndrom 38, 404
Striatum 172, 173, 191 ± Hyperabduktionssyndrom 428
Strçmpell-Lorraine-Syndrom 394 ± Karpaltunnelsyndrom 264
Stufenbettlagerung 435 ± Kennedy-Syndrom 393, 394
Sturzanfålle 118 ± Kerns-Sayre-Syndrom 404
Subarachnoidalblutungen 106, 345 ± Kiloh-Nevin-Syndrom 425
± Spasmen 108 ± Korsakow-Syndrom 153
subkortikale arteriosklerotische ± Kostoklavikulårsyndrom 428
Enzephalopathie (SAE) siehe ± Lambert-Eaton-Syndrom 319,
Enzephalopathie, subkortikale 326
arteriosklerotische (SAE) ± ± Klinik 326
Substantia nigra 173 ± Lennox-Gastau-Syndrom 118,
Sulcus ulnaris 279 140
Sulcus-ulnaris-Syndrom ± Lermoyez-Syndrom 69
(SUS) 422 ± Liquorunterdrucksyndrom 33
Sulfamethoxazol 293 ± Loge-de-Guyon-Syndrom 423,
Sulfonamide 323 424, 425
Sulpirid 88, 193 ± Luis-Bar-Syndrom 371
Sultiam 143, 147 ± lumbale Wurzelsyndrome 433
Sumatriptan 8, 9, 19, 48 ± Lyell-Syndrom 130
SUNCT-Syndrom 25, 28 ± malignes Neuroleptika-
Superoxiddismutase 1 390 syndrom 185
Suppinator-Logen-Syndrom 426 ± Marinesco-Sjægren-
Sympathomimetika 102 Syndrom 370
Syndrom ± Medianuskompressions-
± Bannwarth-Syndrom 303 syndrom 420
± Bassen-Kornzweig-Syndrom 374 ± Melkersson-Rosenthal-
± Bing-Horton-Syndrom 16 Syndrom 412
± Cogan-Syndrom 413 ± Miller-Fisher-Syndrom 382, 404
± Devic-Syndrom 225, 402 ± Nervenkompressions-
± dorsolaterales Oblongatasyn- syndrome 461
drom 74 ± paraneoplastisches
± Dravet-Syndrom 144 Syndrom 327
± Emery-Dreifuss-Syndrom 331 ± postenzephalitisches Parkinson-
± Engpasssyndrome 419 Syndrom 174
± Fatigue-Syndrom 238, 239 ± postpunktionelles 33
± fragiles X-Tremor-Ataxie-Syn- ± Pronator-teres-Syndrom 424,
drom 364 425
± Gradenigo-Syndrom 44 ± Ramsay-Hunt-Syndrom 370
± Guillain-Barr-Syndrom ± Restless-Legs-Syndrom 169
(GBS) 260, 269, 298, 406 ± Shy-Drager-Syndrom 188
± Hallervorden-Spatz- ± Sjægren-Syndrom 260, 322
Syndrom 151 ± Skalenussyndrom 423, 428
a Sachverzeichnis z 501
± Sluder-Syndrom 44 Telethionin 332, 336
± Sneddon-Syndrom 322 Temporallappenanfålle 116
± Steele-Richardson-Olszewski- Temporallappensymptome 294
Syndrom 185 Terrazosin 249
± Steven-Johnson-Syndrom 130 Test
± Strçmpell-Lorraine- ± nicht-treponemaler
Syndrom 394 ± ± VDLR 300, 314
± Sulcus-ulnaris-Syndrom ± ± Wassermann-Test 300
(SUS) 422 ± treponemaler
± SUNCT-Syndrom 25, 28 ± ± FTA-ABS 300
± Suppinator-Logen-Syndrom 426 ± ± TPHA 154, 300, 314
± Tarsaltunnelsyndrom (TTS) 435 Tetrabenazin 205, 211
± Thoracic-outlet-Syndrom Tetrahydrobiopterin (THB) 203
(TOS) 423, 427 Tetrazepam 245
± ± Klinik 427 Tetrazykline 323
± Tibialis-anterior-Syndrom 436 Thalamotomie 184
± Tolosa-Hunt-Syndrom 17, 28, Thalamus 208
37 Theophyllin 123
± Turner-XO-Syndrom 333 Thermhypåsthesie 261
± Vitamin-Mangel-Syndrom 152, Thermokoagulation, perkutane 30
338 Thiamin 265
± vorderes Kompartment- Thiaziddiuretika 350, 357
syndrom 436 Thiopental 125
± Wallenberg-Syndrom 74 Thioridazin 22
± West-Syndrom 117, 138 Thoracic-outlet-Syndrom
± zervikale Wurzelsyndrome 429 (TOS) 423, 427
Synkopen 113, 119 ± Klinik 427
± kardiale 119 Thrombolyse 102
± vegetative 119 Thrombophlebitis 292
± zerebrovaskulåre 119 Thromboseprophylaxe 272
a-Synuklein-Gen (Park 1) 173 Thrombozytopenie 107, 131, 208
Synukleinopathien 380 Thymoleptika 185
Syphilis 152 Thymus 321
± meningovaskulåre 299 Thyreoditiden 322
Syringomyelie 423 Thyreopathien 267
System, somatosensorisches 64 Thyreotoxikose 153, 354
Tiagabin 129, 131, 140, 146
± Tagesdosis 140
T
Tiaprid 193, 219
Tabes dorsalis 80, 81, 299, 301 Tibialis-anterior-Syndrom 436
Talcapon 183 Tiefensensibilitåt 270
Tarivid 317 Tilidin 442, 443, 454
Tarsaltunnelsyndrom (TTS) 435 Timolol 323
Taubheit 75, 367 Tinnitus 69
tau-Protein 156 Titin 332, 336
Teleangiektasien, okulokutane 371 Titubation 373, 244, 248, 397
502 z Sachverzeichnis

a-Tocopherol transferase 373, ± Dosierung 180


374 Trimethoprim 293
Tolcapon 178 Trimipramin 242
Tollwut 270 Trinukleotid, CTG-Trinukleo-
Tolosa-Hunt-Syndrom 17, 28, 37 tid 347
Tolterodin 248 Trinukleotid-Repeat-Erkran-
Topiramat 10, 12, 19, 29, 59, 128, kung 368, 377
131, 140, 147, 239, 307 Triple-repeat-Erkrankungen 471
± Dosierung 141 CAG-Triplets 191
Torticollis 206 Triplett-repeat-Erkrankung 192
Toxoplasmose 309 Triptane siehe auch 5-HT1B/D-
± Toxoplasmose-Serologie 312 Agonisten 9
Toxoplasmose gondii 312 Trommelfellruptur 413, 414
Tractus corticus spinalis Tropheryma Whippelli 186
lateralis 247 Tuberkulose 76, 416
Tractus corticus spinalis reticulo- Turner-XO-Syndrom 333
spiralis 247 Tyrosinhydrolase 204
Tramadol 281, 443, 454
Trazodon 158, 242
U
Tremor 169, 176, 194
± Aktions- oder Intentions- Ubiquitin, E3-Ubiquitin-
tremor 197 Ligase 336
± essentieller 172, 195, 199 Uhrentest 156
± ± Klinik 195 Uhrglasverband 411
± Formen 196 Ulnarkanal 425
± Haltetremor 197 Ultraschall 467
± medikamentæser 196 UPDRS Motor Score 172
± Parkinson Tremor 199 Urapidil 101, 108
± physiologischer 196 Uråmie 201
± Ruhetremor 197 Urge-Inkontinenz 247
± toxischer 198
± X-Tremor-Ataxie-Syndrom,
V
fragiles 364
± zerebellårer 197, 199 Vagusnervstimulation 144
Trendelenburg-Zeichen 334 Vagusnervstimulator 129
Treponema pallidum 298 Valdecoxib 423
Treponema-pallidum-Antikærper- Valproat 125, 131
Index, intrathekaler (ITpA- Valproinsåure 10, 12, 19, 128, 145,
Index) 300 149, 196, 448
Trientin-Hydrochlorid 209 Vancomycin 291, 292
Trigeminusneuralgie 25, 26 Varicella-Zoster-Virus 270, 305,
± beidseitige 27 306
± Diagnostik 27 Vasa nervorum 262
± Klinik 27 Vaskulitiden 228, 267, 304
Triglyzerid-Transfer-Gen 374 Vaskulitis 40, 98
Trihexyphenidyl 205, 215, 222 ± zerebrale 5
a Sachverzeichnis z 503
vasoactive intestinal peptide Vorderhornzellen 390
(VIP) 18 Vulpian-Bernhard 392
Vasopressin 248 VZV 297
VDRL-Titer 303
Veitstanz 191
W
Venlafaxin 242
Ventrikeldrainage 103 Wackeltremor 373
Verapamil 18, 323 Wadenhypertrophie 336
Verbrauchskoagulopathien 286 Wadenkråmpfe 266
Verhaltenstherapie, kognitive 449 Wallenberg-Syndrom 74
Verapamil 19, 57 Warfarin 91
Verschlusshydrozephalus 33, 103 Wartberg-Test 171
Vertebralisstenose 74 Wassermann-Test 300
Verwirrtheit, postiktale 117 Wasserstoffsuperoxid 182
Vestibularisausfall, akuter 63 Watschelgang 334
Vestibularisparoxysmien 63, 72 Weber-Rinne-Test 413
Vestibularisprçfung 67, 83 F-Wellen 271, 274, 461
Vestibularisreizung 78 Werdnig-Hoffmann (SMA I) 391
Vibrationsempfinden 65, 80 Wernicke-Enzephalopathie 264,
Vigabatrin 138, 146 406
± Dosierung 138 West-Syndrom 117, 138
Vincaalkaloide 268 WHO-Stufenschema 441
Vincristin 362 Wiederkehrkopfschmerzen 9
Virus Windpocken 306
± B-Virus 297 Wçrgereflex 416
± J-C-Virus 309, 313 Wurzelsyndrome
Virustatika 295 ± lumbale 433
Vistide 316 ± zervikale 429
Vitamine 153
Vitamin B1 265
X
± Substitution 381
Vitamin B6 197, 268 Xanthinoxidase 325
Vitamin-D-Mangel, chro- Xanthomatose, zerebroten-
nischer 355 dinæse 375
Vitamin E 168, 368, 374
Vitaminmangel 264, 380, 382
Z
± Intrinsic-Faktor-Mangel 259
± Malabsorption 259 Zahnradphånomen 171
Vitamin-Mangel-Syndrom 152, Zalcitabin (DDC) 308
338 Zecken 294
Vitiligo 328 Zeckenbisse 295
VLA-4-Rezeptor 236 B-Zell-Lymphom 310
Vollheparinisierung 38 Zellen, eosinophile 288
voltage gated calcium channels Zentralskotom 402
(VGCC) 327 Zerit 315
Von-Strçmpell-Erkrankung 394 Zidovudin 315, 362
504 z Sachverzeichnis

Zink 163, 209, 223 Zungenbiss 120


Zolmitriptan 8, 9, 49 Zwerchfell 270
± nasal 19 Zyklothymie 198
Zonisamid 131, 142 Zysten 122
± Dosis 142 Zystomanometrie 189
Zopiclon 323 Zytomegalie-Virus 270, 312
Zoster ophthalmicus 305, 406 Zytomegalie-Virus-
Zoster oticus 305, 408, 414 Enzephalitis 309, 316
Zosterradikulopathie 313 Zytostatika 236
Zovirax 298, 307, 316

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