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Malte E. Kornhuber z Stephan Zierz (Hrsg.

)
Die neurologische Untersuchung
M. E. Kornhuber z S. Zierz (Hrsg.)

Die neurologische
Untersuchung
Mit 77 zum Teil farbigen Abbildungen
und 10 Tabellen
Dr. Malte E. Kornhuber
Prof. Dr. Stephan Zierz
Universitåtsklinik und Poliklinik fçr Neurologie
Klinikum der Martin-Luther-Universitåt Halle-Wittenberg
Ernst-Grube-Straûe 40
06120 Halle (Saale)

ISBN 3-7985-1444-5 Steinkopff Verlag Darmstadt

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Vorwort

Ein wesentliches Ziel der Ausbildung in der Neurologie ist das


Beherrschen der klinisch-neurologischen Untersuchung. Die Få-
higkeit, eine neurologische Untersuchung durchfçhren und die
erhobenen Befunde interpretieren zu kænnen, ermæglicht die
Beurteilung der Funktion des zentralen und peripheren Nerven-
systems und der Muskulatur und damit die Entscheidung, ob
Gehirn, Rçckenmark, periphere Nerven und Muskulatur intakt
oder gestært sind. Der Medizinstudent muss die neurologische
Untersuchungstechnik beherrschen, weil er bei zahlreichen Er-
krankungen und Notfållen, mit denen er in der Allgemeinmedi-
zin konfrontiert wird (Kopfschmerzen, Schwindel, Schlaganfall,
Morbus Parkinson, multiple Sklerose, Epilepsie, periphere Neu-
ropathien etc.), nur mit Hilfe einer neurologischen Unter-
suchung zu einer richtigen diagnostischen und therapeutischen
Entscheidung kommen bzw. die erforderliche Zuweisung an
den betreffenden Facharzt oder die betreffende Klinik vorneh-
men kann.
Untersuchungsgang und Diagnosestellung erfordern, sich
çber die pråzise Unterscheidung von Symptomen, Zeichen
(englisch: signs), Syndrom und Diagnose klar zu werden. Wåh-
rend Symptome im strengen Sinne vom Patienten subjektiv
wahrgenommene Stærungen (z. B. Schmerzen, Kraftlosigkeit,
Bewusstseinsverlust) darstellen, versteht man unter Zeichen
Auffålligkeiten, die håufig erst in der Untersuchung zu Tage tre-
ten und vom Patienten nicht notwendigerweise wahrgenommen
werden (z. B. Babinski-Phånomen, Mydriasis, Courvoisier-Zei-
chen der vergræûerten Gallenblase). Wie in kaum einer anderen
medizinischen Disziplin ist es in der Neurologie mæglich, allein
durch eine pråzise Anamnese und sorgfåltige klinische Unter-
suchung Symptome und Zeichen zu erfassen, die dann auf-
grund der neuroanatomischen Kenntnisse und dem klinischen
Wissen zu Syndromen zusammengefasst werden kænnen. Dies
erfordert auch die Fåhigkeit, gezielt nach nicht spontan geåu-
ûerten Symptomen zu fragen und nach nicht offensichtlichen
Zeichen zu suchen. Anders als vielfach angenommen, beschrån-
ken sich Syndrome keineswegs auf åtiologisch unverstandene
VI z Vorwort

Krankheitsbilder, die håufig eponymisch benannt werden und


zur Examensvorbereitung lexikalisch gelernt werden. Ein neu-
rologisches Syndrom beschreibt vielmehr ein Krankheitsbild,
dessen Symptome und Zeichen in einem kausalen oder patho-
genetischen Zusammenhang stehen. Die Kunst besteht vielfach
darin, koinzidentelle andere Symptome und Zeichen als solche
zu identifizieren. Bei der Formulierung einer Syndromdiagnose
muss man sich jedoch stets vor Augen halten, dass dies erst die
Grundlage fçr eine differenzialdiagnostische Abwågung der
åtiopathogenetischen Diagnose darstellt. Die Verwendung von
unbestimmten Begriffen wie ¹HWS-Syndromª oder ¹Schulter-
Arm-Syndromª fçhrt nahezu zwangslåufig zu Behandlungsfeh-
lern. Wåhrend die Syndromdiagnose meist allein durch Anam-
nese und klinische Untersuchung zu stellen ist, erfordert die
åtiopathogenetische Diagnose vielfach den Einsatz technischer
Zusatzuntersuchungen wie z. B. Elektrophysiologie, bildgebende
Verfahren und klinisch-chemische sowie molekulargenetische
Untersuchungen. Es ist sicherlich keine Schande, wenn der
Praktiker nicht in jedem Fall zu einer pråzisen Diagnose
kommt, die auch aktuelle Subklassifikationen berçcksichtigt.
Dies ist in vielen Fållen sicherlich den Spezialisten auf den ver-
schiedenen Gebieten innerhalb der Neurologie vorbehalten. Es
ist jedoch immer zu fordern, dass der Neurologe eine nachvoll-
ziehbare Diagnose des Syndroms stellt, die dann den Ausgangs-
punkt fçr weitere Spezialuntersuchungen darstellen kann.
In der seinerzeit von Prof. Dr. Felix Jerusalem geleiteten Neu-
rologischen Universitåtsklinik in Bonn (1981±1996) war es
çblich, den Medizinstudenten fçr den neurologischen Unter-
suchungskurs ein Skriptum zur Verfçgung zu stellen, in dem
die wesentlichen Grundzçge der klinisch-neurologischen Unter-
suchung zusammengefasst waren. Dieses Skript sollte keines-
wegs ein neurologisches Lehrbuch ersetzen, sondern dem An-
fånger eine Richtschnur zur klinisch-neurologischen Unter-
suchung bieten, die in dieser Ausfçhrlichkeit in den Lehrbç-
chern nur schwer zu finden war. Anlåsslich meines Wechsels
von Bonn nach Halle/Saale hatte Felix Jerusalem die Idee, die-
ses Skript zu çberarbeiten und zu erweitern und es als ein ge-
meinsames Werk der Bonner und Hallenser Kliniken zu publi-
zieren. Der frçhe Tod von Felix Jerusalem (Zierz 2003) * lieû
diese Idee dann zunåchst in Vergessenheit geraten. Seitdem
sind zehn Jahre vergangen und es ist mir jetzt eine besondere
Freude, dass sich Mitarbeiter der Neurologischen Universitåts-
klinik Halle/Saale unter Federfçhrung von Dr. Malte Kornhuber
bereitgefunden haben, dieses Vorhaben wieder aufzugreifen.

* Zierz S (2003) Felix Jerusalem (1932±1996). Nervenarzt 74:394


Vorwort z VII

Ziel des vorliegenden Buches, das sich in erster Linie an Me-


dizinstudenten der frçhen klinischen Semester wendet, ist es,
dem spåteren Arzt zu vermitteln, wie er allein durch seine Be-
obachtungsgabe und die wenigen Instrumente, die er çberall
leicht mit sich fçhren kann, die Diagnose eines neurologischen
Syndroms stellen kann.

Halle a. d. Saale, im April 2005 Stephan Zierz


Inhaltsverzeichnis

1 Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
M. E. Kornhuber

2 Werkzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
S. Sommer

3 Hirnnerven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
K. Traufeller

4 Das motorische System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48


M. E. Kornhuber

5 Das sensible System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93


M. E. Kornhuber

6 Koordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
M. Deschauer

7 Die Untersuchung der hæheren Hirnleistungen . . . . 121


G. Leonhardt

8 Das muskuloskelettale System . . . . . . . . . . . . . . . . 132


V. Hackel

9 Autonome Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142


V. Hackel

10 Herz, Blutgefåûe, Atemfunktion . . . . . . . . . . . . . . . 154


V. Hackel
X z Inhaltsverzeichnis

11 Neurologische Untersuchung von Såuglingen


und Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
K. Traufeller

12 Die Untersuchung des bewusstlosen Patienten . . . . 174


S. Sommer

13 Spezielle standardisierte Kurzuntersuchungen . . . . 182


V. Hackel

14 Befunddokumentation und Arztbrief . . . . . . . . . . . . 188


S. Zierz

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
Autorenverzeichnis

Priv.-Doz. Dr. Marcus Deschauer


Dr. Malte E. Kornhuber
Dr. Georg Leonhardt
Dr. Sandra Sommer
Dr. Kathrin Traufeller
Prof. Dr. Stephan Zierz
Universitåtsklinik und Poliklinik fçr Neurologie
Klinikum der Martin-Luther-Universitåt Halle-Wittenberg
Ernst-Grube-Straûe 40
06120 Halle (Saale)

Dr. Veronika Hackel


Universitåtsklinik und Poliklinik fçr Psychiatrie
und Psychotherapie
Martin-Luther-Universitåt Halle-Wittenberg
Julius-Kçhn-Straûe 7
06097 Halle (Saale)
1 Anamnese
M. E. Kornhuber

Das sorgfåltige Aufnehmen der Anamnese ist fçr die richtige Diagnose von
ebenso groûer Bedeutung wie die exakte Untersuchung. Nicht selten sind
die anamnestischen Daten ausschlaggebend fçr die Diagnose. Mit zuneh-
mender Kenntnis der verschiedenen Krankheitsbilder und ihrer Verlaufs-
form wird auch das Aufnehmen der Vorgeschichte leichter, gezielter und
ertragreicher. Die Syndromdiagnose fçhrt, gestçtzt auf gezielt ausgewåhlte
Zusatzuntersuchungen (z. B. bildgebende Verfahren, Doppler-Sonographie,
elektrophysiologische Untersuchungen, Diagnostik aus Kærperflçssigkeiten
oder -geweben etc.), zur definitiven Diagnose. Die grçndliche klinische Un-
tersuchung bewahrt den guten Arzt vor einer undisziplinierten Polyprag-
masie und den Kranken vor unnætigen Belastungen und Kosten.
Zweifellos færdert eine kompetent aufgenommene Anamnese das Ver-
trauen des Kranken zum Arzt, ein wichtiger Faktor mit psychotherapeuti-
scher Wirkung.
Es erfordert besondere Aufmerksamkeit und Erfahrung, Tendenzen zur
Suggestibilitåt, Dissimulation, Phobie, Hypochondrie oder zur Aggravation
rechtzeitig zu erkennen und die Art der Befragung und Untersuchung auf
diese Besonderheiten auszurichten. Dabei ist ein Hineinfragen von Sympto-
men zu vermeiden.
Die kærperliche Untersuchung ergibt im besten Falle eine Momentauf-
nahme aller objektiv erfassbaren Symptome. Eine Reihe neurologischer Di-
agnosen ist çberhaupt nur çber die Anamnese bzw. Fremdanamnese zu
stellen, weil der neurologische Untersuchungsbefund immer oder zwi-
schenzeitlich unauffållig ist (episodische Kopfschmerzen, Bewegungs-
stærungen, Låhmungen, Anfallserkrankungen). Wenn die Erkrankung mit
einer Amnesie verbunden ist oder gar mit einer Bewusstseinstrçbung, kann
man die Diagnose eventuell auf eine Fremdbeobachtung stçtzen.
Die subjektive Wahrnehmung fçr Reiz- oder Enthemmungssymptome ist
håufig empfindlicher als jede objektive Untersuchung. Ausfallsymptome
(negative Symptome; Hyposmie, Skotom, Hærminderung, Hypåsthesie etc.)
werden demgegençber håufig nicht unmittelbar wahrgenommen. Manch-
mal fallen sie nur zufållig auf und die Dauer des Bestehens ist nicht exakt
einzugrenzen. Reizsymptome (positive Symptome; Parosmie, Lichtblitze,
Tinnitus, Paråsthesien, Schmerz, Myoklonien etc.) werden dagegen als ein-
schneidend empfunden, sie kænnen zeitlich besser eingeordnet werden und
sie veranlassen den Patienten eher, zum Arzt zu gehen.
2 z M. E. Kornhuber

Die Anamnese gliedert sich in


z die Beschreibung der gegenwårtigen Beschwerden,
z der zurçckliegenden und evtl. andauernden Erkrankungen einschlieûlich
der Pharmaka-Anamnese,
z der Familienanamnese und
z der sozialen Situation.
Nicht selten sind zusåtzliche fremdanamnestische Angaben erforderlich. Am
Anfang steht eine offene Frage, die dem Patienten die Gelegenheit gibt, die
Krankengeschichte selbst zu entwickeln. Dabei wird ersichtlich, was dem Pa-
tienten am wichtigsten ist. Anschlieûend werden die Angaben durch Nachfra-
gen pråzisiert, da vom Laien z. B. unter Schwindel, Schmerz, Schwåche und
Sehstærung sehr unterschiedliche Phånomene verstanden werden kænnen.

Charakterisierung von Symptomen

z Ausprågung von Symptomen


Die Ausprågung eines Symptoms zu erfassen ist ein wesentlicher Teil der
kærperlichen Untersuchung, etwa das Ausmaû einer Parese zu erfassen
oder die Herabsetzung des Vibrationsempfindens zu quantifizieren. Gerade
bei den subjektiven Symptomen empfiehlt es sich in der Anamnese eben-
falls, eine Quantifizierung zu versuchen, da hierbei die Beeintråchtigung
fçr den Patienten besser abgeschåtzt und ein Ausgangsbefund fçr eine The-
rapie zur Verfçgung gestellt werden kann. Gerade die Schmerzwahrneh-
mung sollte quantifiziert werden. In der Regel wird die visuelle Analog-
skala (VAS) mit einer Einteilung von 0 (kein Schmerz) bis 10 (unertrågli-
cher Maximalschmerz) herangezogen. Es ist sinnvoll hinzuzufçgen, dass
man bei Schmerzgrad 5 gerade noch ein Buch lesen kann. Manche Be-
schwerden, etwa die Trigeminusneuralgie, kænnen so quålend sein, dass
Suizidgedanken entstehen. Gibt ein Patient Schmerzgrade zwischen 8 und
10 an, sollte unbedingt nach Suizidgedanken gefragt werden.
Andere subjektiv quålende Beschwerden sollten in åhnlicher Weise grob
quantifiziert werden, etwa ein Tinnitus.

z Zeitliche Dynamik
Die zeitliche Dynamik von Symptomen ist eines der wichtigsten anamnes-
tischen Kriterien. Ein abrupter Beginn von einer Sekunde auf die andere
tritt z. B. auf bei Ischåmien, zerebralen Anfållen, neuralgiformen Schmer-
zen, Lagerungsschwindel und Ermçdungsrupturen (etwa Diskusprolaps,
Håmorrhagien, Sehnenruptur, Ermçdungsfraktur, Abszessruptur). Die sub-
akute Entwicklung der Symptome ohne abrupten Beginn çber Stunden, Ta-
ge oder Wochen spricht dagegen u. a. fçr einen entzçndlichen, toxischen,
metabolischen, tumoræsen oder reparativen Prozess. Die zeitliche Dynamik
1 Anamnese z 3

wird ferner gekennzeichnet durch die Dauer vom Beginn bis zur maxima-
len Ausprågung der Symptome sowie durch die Dauer bis zum vælligen Ab-
klingen. Diese Zeitråume sollten mæglichst genau erfragt werden. Der Pa-
tient gibt sie nicht von sich aus exakt an. Håufig ist es hilfreich, dem Pa-
tienten vor Augen zu fçhren, dass der Untersucher die Beschwerden des
Patienten nicht selbst erleben kann und dass die Beschwerdeschilderung
fçr die Beurteilung der Erkrankung oft entscheidend ist.
Beispiele: Bei Trigeminusneuralgie tritt heftigster Schmerz fçr den
Bruchteil einer Sekunde auf (z. T. in Salven) und kann fçr einige Sekunden
nachwirken (unmyelinisierte Fasern!). Beim benignen paroxysmalen Lage-
rungsschwindel tritt nach Lageånderung abrupt ein heftiger Drehschwindel
auf, der binnen einer halben Minute abklingt. Danach kann noch ein Un-
wohlsein bestehen, jedoch kein Drehschwindel. Zerebrale Anfålle dauern
Sekunden bis wenige Minuten. Je långer der Bewusstseinsverlust ist, desto
långer ist auch die anschlieûende Reorientierungsphase. Nach einer Syn-
kope ist der Patient sofort wieder ¹ganz daª.
Eine chronische Entwicklung der Symptome ohne zwischenzeitliche Bes-
serung findet man z. B. bei hereditåren Erkrankungen (z. B. hereditåre Poly-
neuropathien, Muskeldystrophien, Leukodystrophien etc.), bei so genannten
neurodegenerativen Krankheiten (motorische Systemerkrankungen, Multi-
systematrophie, M. Parkinson, M. Wilson, M. Huntington), Slow-Virus-
Krankheiten (subakute sklerosierende Panenzephalitis, HIV-Enzephalo-
pathie), Post-Polio-Syndrom, Prionen-Krankheiten (Jakob-Creutzfeldt-
Krankheit), bei Strahlenfolgekrankheiten (wachsende Strahlennekrose, Ple-
xusneuropathie), gutartigen Tumoren (Meningeom, Akustikusneurinom,
Neurofibromatose) sowie selten bei entzçndlich-autoimmunen Erkrankungen
(multifokale motorische Neuropathie, primår chronische multiple Sklerose).

z Pulsation und Undulation


Undulationen von Symptomen wåhrend einer Symptomatik kænnen patho-
physiologische Hinweise geben. Pulssynchrone Symptome sind ein wichtiger
Hinweis fçr eine vaskulåre Genese. Beispiele sind der Migråne-Kopfschmerz,
der pulssynchrone Tinnitus (Carotisstenose, Carotisdissektion, Glomus-ju-
gulare-Tumor, Pseudotumor cerebri). Kolikartig an- und abschwellende
Schmerzen sind Ausdruck eines gestauten Hohlraums mit Ventilmechanis-
mus. Sie finden sich z. B. bei einer Sinusitis, bei gestauten Harnwegen oder
z. B. bei der seltenen Kolloidzyste des zerebralen Ventrikelsystems.

z Wiederkehrende Symptome
Wiederkehr von Symptomen bedeutet, dass ein krankmachendes Agens la-
tent vorhanden ist und nur unter bestimmten Umstånden symptomatisch
wird (z. B. bei so genannten Ionenkanalerkrankungen). Die Ursachen sind
vielfåltig und reichen von Reizerscheinungen (visuell, sensibel, motorisch
etc.) bis zu persistierenden Symptomen im Rahmen von Erkrankungen des
peripheren oder zentralen Nervensystems. Wiederkehrende Symptome tre-
4 z M. E. Kornhuber

ten z. B. bei Kopfschmerzerkrankungen (z. B. Migråne, Cluster-Kopf-


schmerz), Anfallserkrankungen, entzçndlichen Krankheiten (Herpes labia-
lis, Herpes zoster, Lues, Borreliose, MS-Schçbe) und bei kardialen und ar-
terioarteriellen zerebralen Embolien auf.

z Abhångigkeit von kærperlicher Belastung


Belastungsabhångigkeit von Symptomen kennen wir von vielen Erkrankun-
gen. Die Mechanismen sind vielfåltig und kænnen håmodynamisch, musku-
lår, synaptisch, nozizeptiv, nerval oder zentral bedingt sein. Belastungsabhån-
gigkeit ist ein Kardinalsymptom der Myasthenia gravis. Durch mehrmalige
Anspannung nimmt die Kraft ab. Bei Dauerbelastung kommt es zum allmåh-
lichen Nachlassen. Diese Eigenschaft der Erkrankung macht man sich in der
kærperlichen Untersuchung diagnostisch zunutze im Simpson-Test (Blick
nach oben fçr zwei Minuten). Es kann zur charakteristischen Zunahme der
Ptose kommen. Øhnlich verhålt es sich beim Kopf-, Arm- und Beinhalten.
Gehstreckenabhångige Symptome findet man auûer bei der arteriellen
Verschlusskrankheit auch bei der lumbalen Spinalstenose mit intermittie-
render Kaudakompression. Typischerweise nehmen die Beschwerden bei
Kyphosierung ab, also beim Vorbeugen und Hinsetzen. Der Patient schlåft
meist mit angezogenen Beinen. Beim Bergabgehen oder beim Hinabsteigen
einer Treppe nehmen die Beschwerden zu. Bei spastischen Syndromen
kommt es regelmåûig zur Zunahme der Spastik unter Belastung. Die Ursa-
che dieses Phånomens ist nicht vællig klar. Offensichtlich kann die Impuls-
fortleitung in demyelinisierten Axonen nicht gut repetitiv çber långere Zeit
aufrechterhalten werden. Øhnliche Ermçdungserscheinungen kennen wir
von hæhergradigen peripheren Låhmungen, von der spinalen Muskelatro-
phie oder vom Post-Polio-Syndrom.
Charakteristischerweise kommt es auch beim M. Parkinson zu einem
Nachlassen der Funktion unter Belastung. So wird das Sprechen, das bei
den ersten Wærtern noch artikuliert ist, zunehmend verwaschen. Die Ampli-
tude des Daumen-Zeigefinger-Abstands beim Finger-Tapping wird zusehens
geringer, der Gang kleinschrittiger und die Schrift kleiner und unleserlicher.
Diese Belastungsabhångigkeit spielt fçr die Anamnese des M. Parkinson ge-
gençber der klinischen Pråsentation eine untergeordnete Rolle.
Myalgien nach kurzer Belastung treten bei einer Reihe von metabolischen
Myopathien auf. Teilweise bessern sich die Beschwerden nach gedrosselter
fortgesetzter Belastung (¹second windª) durch Kompensation çber den Fett-
såurestoffwechsel, z. B. bei Glykogenose Typ V (McArdle). Muskelbeschwer-
den, die verzægert bei långer dauernder Belastung auftreten (bis hin zur Rhab-
domyolyse mit Myoglobinurie; colafarbener Urin!) kænnen Ausdruck einer ge-
stærten Fettsåureutilisation sein wie beim Carnitin-Palmityltransferaseman-
gel.
Bei der Myotonia congenita (Typ Thomsen, Typ Becker) kommt es nicht
selten zu verbesserter Funktion (Abnahme der Steifigkeit) im Verlauf einer
Belastung. Dieses Phånomen ist auch als ¹warm upª bekannt.
1 Anamnese z 5

Beim myasthenen Syndrom Lambert-Eaton kommt es unter Belastung


initial innerhalb von Sekunden zu einer Besserung, im Verlauf aber zu ei-
ner belastungsabhångigen Zunahme der Parese. Bei einem Teil der Patien-
ten låsst sich dieser Effekt bei festem Håndedruck erfassen.
Es gibt auch Symptome, die sich verzægert unter oder auch nach Belas-
tung einstellen. Dazu gehært z. B. die durch Belastung induzierten Kom-
partmentsyndrome am Unterschenkel (insbesondere das Tibialis-anterior-
Syndrom), die durch sportliche Belastung oder Mårsche induziert werden.
Beschwerden beim Karpaltunnelsyndrom treten nicht selten in den Nåchten
nach vermehrter manueller Belastung auf (intensive Kçchenarbeit oder
handwerkliche Arbeit, z. B. Anstreichen von Wånden).

z Abhångigkeit von psychischer Belastung


Seelische Belastungen spielen nicht nur in der Psychiatrie eine Rolle. Viele
¹Plusª-Symptome bei Bewegungsstærungen nehmen unter emotionaler An-
spannung zu. Dazu gehæren essenzieller Tremor, Parkinson-Tremor, dys-
tone Syndrome, Tic-Syndrome und andere. Migråneattacken werden nicht
selten durch psychische Belastung ausgelæst. Gleiches trifft fçr die Auslæ-
sung epileptischer Anfålle bei manchen Patienten zu. Bei der Narkolepsie
ist die Kataplexie (affektiver Tonusverlust) ein wesentliches Symptom. Psy-
chische Faktoren spielen fçr die Schmerzwahrnehmung und eventuell auch
fçr die Chronifizierung von Schmerz eine Rolle. Durch die Wechselwirkun-
gen zwischen psychischen Belastungen und Immunsystem ist mæglicher-
weise ein Teil der Exazerbationen bei einer Reihe von so genannten Auto-
immunerkrankungen bedingt (multiple Sklerose, Myasthenia gravis und
andere).

z Positionsabhångigkeit
Positionale Symptome sind in der Regel diagnostisch wertvoll. Recht håufig
ist die orthostatische Hypotension, die in der Regel eine autonome Funk-
tionsstærung anzeigt. Der Patient berichtet çber Benommenheit oder
Schwarzwerden vor den Augen bei raschem Aufstehen.
z Beim benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel ist die Positions-
abhångigkeit der Symptome wegweisend.
z Kopfschmerz, der im Liegen verschwindet und reproduzierbar in Ortho-
stase auftritt, ist pathognomonisch fçr ein Liquorunterdrucksyndrom
(meist iatrogen nach Lumbalpunktion).
z Kopfschmerzen, die im Liegen zunehmen, treten z. B. bei erhæhtem in-
trakraniellen Druck auf, so z. B. in einem Teil der Fålle mit Sinusvenen-
thrombose sowie beim Pseudotumor cerebri.
z Kopfschmerzen, die beim Vorbeugen des Oberkærpers deutlich zuneh-
men, sind ganz charakteristisch fçr die Sinusitis.
6 z M. E. Kornhuber

z Recht håufig ist der essenzielle Tremor, der sich in der Regel als positio-
naler (Halte-)Tremor zu erkennen gibt.

z Temperaturabhångigkeit
Temperaturabhångige Symptome kænnen in einigen Fållen wertvolle Hin-
weise geben. Bei MS-Patienten låsst die Sehkraft håufig nach einem heiûen
Bad nach (Uhthoff-Zeichen). Øhnlich nimmt die Spastik bei Erhæhung der
Kærpertemperatur zu (nach heiûem Bad oder bei Fieber).
z Bei etlichen Patienten mit neurogenen Paresen nimmt die Parese in der
Kålte zu.
z Myotonien nehmen in der Regel mit Kålte zu. Besonders ausgeprågt ist
dies bei der Paramyotonie (Eulenburg).
z Bei besonderer Veranlagung kann Fieber bei Såuglingen oder kleinen
Kindern Krampfanfålle auslæsen.

z Tageszeitliche Symptome
Es gibt Symptome, ¹nach denen man die Uhr stellen kannª. Dazu gehært
etwa der intensive abendliche oder nåchtliche Schmerz bei einer Lyme-Po-
lyneuritis. Es gibt aber darçber hinaus eine Vielzahl von Symptomen, die
mehr oder weniger stark an die Tageszeit bzw. den Schlaf-Wach-Rhythmus
gebunden sind.
z Ganz charakteristisch ist das Auftreten der nicht so seltenen juvenilen
myoklonischen Epilepsie etwa eine halbe bis gut eine Stunde nach dem
Aufstehen.
z Bei Patienten mit generalisierter idiopathischer Epilepsie mit Grand-mal-
Anfållen treten mehr als ein Drittel dieser Anfålle im Schlaf auf und et-
wa ein Drittel beim Aufwachen. Weniger als ein Drittel der Anfålle hat
keine tageszeitliche Bindung.
z Patienten mit Cluster-Kopfschmerz wachen nicht selten nachts mit einer
Kopfschmerzattacke auf.
z Das Karpaltunnelsyndrom verursacht vor allem nachts Beschwerden
(Brachialgia paraesthetica nocturna).
z Auch beim Restless-legs-Syndrom tritt das charakteristische Unruhe-
gefçhl in den Beinen vor allem nachts auf.

z Zyklusabhångige Symptome
Hormonelle Einflçsse finden sich z. B. zyklusabhångig und in der Schwan-
gerschaft. Recht håufig treten Migråneattacken perimenstruell auf. In der
Schwangerschaft treten nicht selten Aura-Symptome bzw. Migråneåquiva-
lente bei Individuen auf, die nie zuvor eine Migråneattacke hatten.
Bei der multiplen Sklerose treten kontrastaufnehmende Låsionen und
Schçbe gehåuft perimenstruell auf. Schçbe sind in der Schwangerschaft sel-
1 Anamnese z 7

tener, im Wochenbett aber håufiger als im çbrigen Krankheitsverlauf. Zy-


klusabhångige Schmerzen kænnen Ausdruck einer Endometriose sein. Es
gibt zyklusabhångige epileptische Anfålle, die so genannte katameniale Epi-
lepsie. Schlieûlich spielen hormonelle Einflçsse fçr die affektive Situation
eine erhebliche Rolle.

z Abfolge von Symptomen


Die zeitliche Abfolge beim Auftreten verschiedener Symptome ist zusåtzlich
zur Entwicklung des einzelnen Symptoms diagnostisch wertvoll. Treten z. B.
Aphasie, Apraxie, Akalkulie und brachiofazial betonte Hemiparese rechts
gleichzeitig auf, so liegt eine Låsion linkshemisphåral im Stromgebiet der
A. cerebri media vor. Tritt erst ein çber Minuten zunehmendes halbseitiges
Flimmerskotom auf, dem sich nach einem Intervall von etlichen Minuten
håmmernde Kopfschmerzen anschlieûen, so ist von einer Migråne auszuge-
hen. Folgt auf einen periaurikulåren, ziehenden Kopfschmerz nach Stunden
oder einem Tag eine halbseitige Låhmung der mimischen Muskulatur in-
klusive M. frontalis, so liegt eine periphere Fazialisparese (entzçndlicher
Genese) vor. Tritt im Rahmen einer neu aufgetretenen Kopfschmerzepisode
ein Visusverlust ein, so ist an eine Arteriitis temporalis zu denken. Folgt
die Visusminderung einem Bulbusbewegungsschmerz, liegt eher eine Re-
trobulbårneuritis vor. Man kænnte diese Aufzåhlung beliebig fortsetzen.
Umgekehrt ist es so, dass bei Kenntnis der typischen Abfolge von Sympto-
men eines Syndroms wåhrend der Anamnese gezielt nachgefragt werden
sollte, um zusåtzliche Mosaiksteine fçr die Verdachtsdiagnose zu gewinnen.

Spezielle Symptome

z Schmerz
Schmerz ist ein håufiges Begleitsymptom ganz verschiedener Krankheiten.
Schmerz ist selten ¹objektivierbarª wie beim Tic douloureux (Trigeminus-
neuralgie) oder bei Druck- oder Klopfdolenz. Die Anamnese kann oft ganz
wesentlich zur Aufdeckung der Schmerzursache beitragen. Peripherer
Schmerz kann durch Entzçndungsmediatoren an Nozizeptoren ausgelæst
werden (z. B. Zahnschmerz) oder mechanisch, z. B. durch Druck (z. B. Deh-
nung eines Hohlraumes). Die Schmerzqualitåt ist in der Regel stechend oder
ziehend, bei Hohlraumschmerz auch drçckend. Nozizeptorschmerz kann in
der Regel klar lokalisiert werden.
Neuropathischer Schmerz ist vielgestaltig und hat meist mehrere Quali-
tåten: kribbelnd, bohrend, reiûend, brennend, juckend. Bei abruptem, hef-
tigstem elektrisierendem Schmerz fçr den Bruchteil einer Sekunde handelt
es sich um eine Neuralgie (ephaptische Pathogenese).
Verzægerten Schmerzbeginn kennen wir auch von postoperativen Neural-
gien, bei denen ein oberflåchlicher Nerv in den Bereich einer Narbe geråt,
8 z M. E. Kornhuber

sodass mechanisch Schmerzattacken getriggert werden kænnen. Typischer-


weise tritt dieser Schmerz nach Herniotomien in der Leiste auf (Ilioingui-
nalisneuralgie, Genitofemoralisneuralgie). Viszeraler Nozizeptorschmerz
wird nicht selten in entfernten Hautarealen (Head-Zonen) wahrgenommen,
z. B. am Rçcken bei einem Prozess im Pankreas und retroperitonåal. Tumo-
ren kænnen vællig schmerzlos wachsen. Sie kænnen andererseits alle Arten
von Schmerz verursachen. Besonders unangenehme, reiûende Schmerzen
entstehen dann, wenn Tumoren in Nerven oder Nervengeflechte hinein-
wachsen.
Der Ischåmieschmerz ist vermutlich nozizeptiv und neuropathisch. Es
ist ein akuter, gleichbleibend stechender bzw. bohrender Schmerz. Ischå-
mieschmerz aufgrund einer Arterienstenose ist belastungsabhångig (Angi-
na pectoris, Darmischåmie, pAVK). Ischåmie bzw. Hypoxåmie soll neben
zentralen Anteilen auch bei der Entstehung des sympathisch unterhaltenen
Schmerzes eine Rolle spielen, vor allem dann, wenn sich nach der Gewe-
beschådigung erst mit Verzægerung der unangenehm bohrende Schmerz in
der Tiefe in Verbindung mit trophischen Stærungen einstellt. Bei Kapsel-
dehnung mit Ventilmechanismen gibt es den typischen an- und abschwel-
lenden Kolikschmerz.
Von unangenehm brennendem oder brennend-bohrendem Charakter ist
in der Regel der zentral vermittelte Deafferenzierungsschmerz. Prototyp ist
der Schmerz bei Wurzelausriss aus dem Hinterhorn des Rçckenmarks
(Anaesthesia dolorosa). Einen åhnlich unangenehmen Deafferenzierungs-
schmerz gibt es aber auch beim Spinalis-anterior-Syndrom, beim Wallen-
berg-Syndrom und beim Thalamus-Schmerz-Syndrom. Es muss abschlie-
ûend nochmals darauf hingewiesen werden, dass das Vorhandensein von
Schmerz kein verlåssliches Symptom ist. Bei Myositis, Okulomotoriusparese
und Fazialisparese fehlt der Schmerz z. B. in etwa der Hålfte der Fålle.
Selbst ein Herzinfarkt kann vællig schmerzlos ablaufen, etwa bei diabeti-
scher Polyneuropathie.

z Schwindel
Handelt es sich um einen Drehschwindel, das heiût, der Patient hat das
Gefçhl, Karussell zu fahren oder dass die Umgebung sich dreht, geht der
Schwindel fast immer mit Ûbelkeit und Erbrechen einher. Dies ist ein peri-
pherer vestibulårer Schwindel. Die Vestibulariskerne gehæren funktionell
zur Peripherie, sodass auch beim Wallenberg-Syndrom Drehschwindel,
Ûbelkeit und Erbrechen beobachtet werden (zusåtzliche Symptome: Heiser-
keit, Gefçhlsstærung im Gesicht, evtl. Schluckstærung, Lateropulsion u. a.).
Handelt es sich um Attacken, die im Anschluss an eine Ønderung der
Kopf- bzw. Kærperposition auftreten und 20 s bis 1 min anhalten, so kann
man von einem benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel ausgehen.
Handelt es sich um einen Dauerschwindel mit abruptem Beginn und An-
halten çber Stunden und Tage, so wird man von einer Neuropathia vestibu-
laris oder einem M. Meni re ausgehen. Beim M. Meni re sind meist zusåtz-
1 Anamnese z 9

lich Tinnitus, Hærminderung und ¹Druckgefçhlª im betroffenen Ohr vor-


handen. Tritt der Drehschwindel vorwiegend vorçbergehend beim Valsalva
auf (Schneuzen, Husten), so wird man von einer Labyrinthfistel ausgehen.
Treten salvenartig ganz kurze, heftige Drehschwindelattacken auf, so han-
delt es sich um Vestibularisparoxysmien.
Bei einem ungerichteten Schwindel wird eine Pråzisierung sowie Eruie-
rung der Begleitumstånde weiterhelfen. Handelt es sich um ein Benom-
menheitsgefçhl, das mæglicherweise noch mit Sehstærungen (¹Sternchenª,
Grauschleier) verbunden ist, so kommt eine kardiale oder vaskulåre Genese
in Betracht. Am håufigsten ist der orthostatische Schwindel (z. B. Varikose,
autonome Neuropathie, Kardiomyopathie, hochgradige Vertebralis- oder
Carotisstenose). Manchmal kommt es auch erst bei långerem Stehen zu ei-
nem Ohnmachtsgefçhl, das rasch von einer Synkope gefolgt ist. Dies wird
man unter einer vagovasalen oder neuerdings unter einer neurokardiovas-
kulåren Synkope einordnen.
Ist der Schwindel mehr ein Benommenheitsgefçhl, das mit Beklem-
mungsgefçhlen verbunden ist und situationsabhångig auftritt, z. B. im
Fahrstuhl, beim Ûberqueren von Plåtzen, in der Seilbahn, bei Auseinander-
setzungen mit dem Partner etc., so wçrden wir von einem phobischen
Schwindel ausgehen. Schwindel wird nicht selten auch bei Panikattacken
als Symptom angegeben (s.o.). Hæhenschwindel ist physiologisch und
dçrfte einem Schutzmechanismus entsprechen.
Ungerichteter Schwindel ist ein håufiges Symptom bei Prozessen der
hinteren Schådelgrube, zahlenmåûig wohl am håufigsten bei multipler
Sklerose. Der Schwindel entspricht einem Schwank- oder Liftgefçhl, teils
auch einem Benommenheitsgefçhl oder leichter Ûbelkeit. Es kommt prak-
tisch nie zu deutlicher Ûbelkeit oder Erbrechen wie beim peripheren vesti-
bulåren Schwindel. In der kærperlichen Untersuchung werden zusåtzliche
Symptome objektiviert, die meist eine eindeutige zentrale Zuordnung der
Låsion gestatten.
Ein uncharakteristisches Benommenheitsgefçhl kann ein Symptom einer
Temporallappenepilepsie sein. Meist lassen sich weitere Symptome fassen
(ggf. auch fremdanamnestisch), die die Diagnose anamnestisch wahr-
scheinlich machen. Dazu gehæren vor allem Attacken, in denen der Patient
einen starren Blick bekommt, Schmatzbewegungen durchfçhrt und mit den
Håndeln nestelt oder mit dem Handrçcken wiederholt zur Nase fåhrt.
Schwindel ist oft toxisch bedingt. Die håufigste Ursache dçrfte der Alko-
holexzess sein. Es wird aber nur wenige Menschen geben, die aus diesem
Grunde einen Arzt aufsuchen. Medikamente, die nephro- und ototoxisch
sind, werden in der Regel auch das Gleichgewichtsorgan schådigen. Da die
Schådigung bilateral ist, kommt es meist nicht zum Tonusungleichgewicht
der Vestibularorgane und daher auch nicht zum Nystagmus. Allerdings
kommt es meist zu einem vermehrten Blickrichtungsnystagmus, den wir in
der klinischen Untersuchung nutzen, um nach einer Antikonvulsivaçberdo-
sierung zu fahnden (z. B. Phenytoin, Carbamazepin). Beim bilateralen Ves-
tibularisausfall wird nicht so sehr çber Schwindel geklagt, sondern çber ei-
10 z M. E. Kornhuber

ne ungerichtete Fallneigung mit geschlossenen Augen und çber Oszillopsi-


en. Die Patienten sind nicht in der Lage, bei bewegtem Kopf (im Gehen)
scharf zu sehen (z. B. zu lesen oder die Uhr abzulesen), weil die reflektori-
sche vestibulåre Blickstabilisierung ausgefallen ist.

z Vegetative Symptome
Benommenheitsgefçhl, Pulsfrequenzverånderungen, Schweiûausbruch,
Ûbelkeit und Erbrechen sind neben dem Schmerz håufige Begleitsympto-
me. Die Symptome zeugen von einer Stressreaktion oder von einer endo-
krinen Fehlregulation. Auslæser ist håufig Schmerz, Drehschwindel, vagova-
sale Dysregulation oder psychogenes Panikerleben. Er ist seltener Ausdruck
einer autonomen Neuropathie, einer Epilepsie oder einer zentralen auto-
nomen Regulationsstærung, etwa bei Multisystematrophie, M. Parkinson
oder beim Wallenberg-Syndrom. Hormonelle Ursachen wie Schilddrçsen-
erkrankungen und diabetische Entgleisungen sind zu berçcksichtigen, fer-
ner pharmakogene Ursachen, insbesondere Alkoholentzug. Autonome
Stærungen sind nicht selten Teil einer Zyklothymie (Depression, Manie)
oder einer posttraumatischen Stressreaktion. Dazu zåhlen insbesondere
auch Stærungen des Appetits, der Verdauung und des Schlafverhaltens.
Verminderter Trånen- und Speichelfluss kann Ausdruck eines Sjægren-
Syndroms sein oder auf anticholinerge Pharmaka zurçckgehen. Vermehrter
Speichelfluss kommt regelmåûig bei Parkinson-Syndromen und bei mya-
trophischer Lateralsklerose vor.
Blasen- und Mastdarmstærungen sind ein wichtiges Symptom bei Låsion
der Nervenwurzeln S2 bis S4 (z. B. Bandscheibenvorfall, Caudakompressi-
on), bei Myelopathien (entzçndlich, mechanisch, ischåmisch), bei Multisys-
tematrophie und bei demenziellen Prozessen.

z Bewusstseinsstærung
Bewusstseinsstærung ist ein vieldeutiger Ausdruck einer Fehlfunktion des
Gehirns, insbesondere der Formatio reticularis des Hirnstamms. Håufig ist
es die zerebrale Hypoxåmie, die akut bei vagovasaler Synkope (oder selten
bei der Basilaristhrombose) einsetzt. Ebenfalls håufig ist die Funktions-
stærung Ausdruck der abnorm erhæhten Erregbarkeit von Neuronenverbån-
den bei der Epilepsie. Seltener sind Schock und metabolische Bewusstseins-
stærung etwa bei Hypo- oder Hyperglykåmie, Leber- und Niereninsuffizienz
sowie bei Intoxikationen anderer Genese. In der Fremdanamnese sind ne-
ben der genauen Schilderung von Prodromi und dem Ablauf der Erkran-
kung die verschiedenen Mæglichkeiten kardialer, metabolischer oder poly-
neuropathischer Vorerkrankungen zu eruieren sowie der mægliche Einfluss
von Pharmaka.
1 Anamnese z 11

z Psychogene Symptome
Nicht selten sind die geschilderten Beschwerden diffus und kænnen auch auf
Nachfrage nicht pråzisiert werden. Es kann sein, dass dem Patienten die
sprachlichen Mittel fehlen, um das Erlebte zu schildern. Håufig fallen aber
in der neurologischen Untersuchung bizarre Symptome auf, die in kein Sche-
ma fçr eine organische Genese passen. Dann ist an eine funktionelle (psycho-
gene) Stærung zu denken. Es ist sinnvoll, die genauen Umstånde zu eruieren,
unter denen solche mutmaûlich psychogenen Symptome erstmals aufgetreten
sind. Ferner ist in der Lebensgeschichte nach traumatisierenden Ereignissen
zu fahnden (Arbeitsplatzverlust, Tod einer nahe stehenden Person, Tren-
nungssituation etc.). Der Patient wird diese Ereignisse in der Regel nicht
von sich aus ansprechen. Es gehært etwas Feinfçhligkeit und Empathie dazu,
diese diagnostisch relevanten Tatsachen zu eruieren.
Eine der håufigsten funktionellen Stærungen ist die so genannte Panikat-
tacke. Der Patient kommt mit Schmerzen oder Palpitationen in der Brust,
Benommenheitsgefçhl, Hitze- oder Kåltewellen, Schweiûausbruch, Kribbeln
in Hånden oder Fçûen, Zittern, z. T. in Kombination mit weiteren Be-
schwerden. In der Attacke verspçrt der Patient nicht selten Todesangst.

Auslæsende Faktoren

z Vorerkrankungen
In der Neurologie spielen insbesondere vorausgegangene Infekte, metabo-
lische Erkrankungen, Kollagenosen, Tumorerkrankungen, Arzneitherapie,
physikalische Noxen etc. eine groûe Rolle. Als Beispiele mægen die folgenden
Gegençberstellungen dienen: Blutdrucksenkung ± Hirninfarkt (arterielle Ste-
nose, håmodynamischer Infarkt), Durchfallerkrankung ± Guillain-Barr-
Syndrom, Erythema chronicum migrans ± Fazialisparese (Borreliose), Nar-
kose ± Auslæsung einer Myasthenia gravis, Radiatio ± Plexusparese (nach
Jahren), Ablatio mammae ± subakute Kleinhirndegeneration (Paraneoplasie),
Herniotomie ± Genitofemoralisneuralgie (Nervenreizung durch Narbenzug).

z Medikamente
Arzneimittel sind unter zwei verschiedenen Blickwinkeln anamnestisch be-
deutsam: als Ursache fçr Symptome sowie als Mittel zur Rçckbildung von
Symptomen. Es fçhrt zu weit, an dieser Stelle auf die vielfåltigen Arznei-
mittelneben- und -wechselwirkungen einzugehen. Der andere Aspekt ist je-
doch ebenfalls wichtig. Arzneimittel kænnen helfen, eine Diagnose ¹ex ju-
vantibusª zu stellen. Wenn z. B. nach Absetzen eines Betablockers Kopf-
schmerzattacken nach jahrelanger Pause wieder auftreten, so ist eine Mi-
gråne die wahrscheinliche Diagnose.
12 z M. E. Kornhuber

z Toxine
Es gibt eine Reihe von Intoxikationen, die mit akuten Polyneuropathien
einhergehen. Dazu gehæren z. B. Organophosphate und Thallium. Die Into-
xikationen wird man in diesen Fållen aufgrund der Schwere der Erkran-
kung z. T. nicht eigenanamnestisch klåren kænnen.
Alkohol ist ein weit verbreitetes Toxin. Wenn Alkohol als pathogeneti-
scher Faktor vermutet wird (Polyneuropathie, Kleinhirnzeichen in Kom-
bination mit internistischen Symptomen und Stigmata wie z. B. Palmarery-
them), ist es wichtig, gegebenenfalls auch çber mehrere Personen fremdan-
amnestisch behutsam die tatsåchliche Situation zu erfragen. Alkohol sollte
vor allem dann in die Ûberlegungen einbezogen werden, wenn eine abdo-
minelle Adipositas (¹Bierbauchª) vorliegt. Es ist daran zu denken, dass die
abdominelle Adipositas schwåcher ausgeprågt ist oder fehlt, wenn ein
gleichzeitiger Nikotinabusus besteht. Trinker von hochprozentigen Alkoho-
lika kænnen demgegençber auch ohne Nikotinabusus auffallend schlank
sein. Entzug oder Spiegelschwankungen verursachen leicht Gelegenheits-
anfålle, die z. T. mehr als gelegentlich zu stationåren Aufnahmen Anlass ge-
ben. Relativ håufig sind die Druckparesen, die im Tiefschlaf nach Alkohol-
exzess auftreten. Meist handelt es sich um Radialis- oder Peronåusparesen.
Ferner gibt es chronische (axonal betonte) und akute Polyneuropathien,
die Kleinhirndegeneration und die Alkoholhalluzinose. Nicht so håufig sind
das Wernicke-Korsakow-Syndrom und die pontine oder extrapontine Mye-
linolyse, u. a. das Marchiafava-Bignami-Syndrom. Bei Unfållen ist an Alko-
hol als Teilursache zu denken.
Rauschgifte (Cannabis, Amphetamine, Designerdrogen, Morphine u. a.)
spielen vor allem in den Groûstådten bei Adoleszenten und im frçhen Er-
wachsenenalter eine Rolle. Kokain wird auch von ålteren Personen kon-
sumiert. Wie bei Alkoholexzessen kann es im Rausch zu Paresen kommen,
nicht selten auch Plexusparesen durch Liegen mit çber den Kopf gestreck-
tem Arm. Håufiger als beim Alkoholismus kann es zu chronischen, sub-
akuten oder akuten Myopathien bis hin zur Rhabdomyolyse kommen. Bei
Patienten, die sich Drogen injizieren, sollte an eine HIV-Infektion gedacht
werden. Alkoholismus und Drogenabhångigkeit gehen teilweise mit einer
erhæhten Infektanfålligkeit einher.

z Ernåhrung
Die Ernåhrung kann vielfåltige, kurz-, mittel- und langfristige Auswirkun-
gen auf die Gesundheit haben, abhångig von individuellen Prådispositio-
nen. Kurzfristig ist z. B. die Auslæsung einer Migråneattacke durch nitrit-
haltige Nahrungsmittel oder durch schwefelhaltige Stoffe im Wein. Intoxi-
kationen sind meist auch kurzfristig wirksam. Långerfristig wirksam ist ei-
ne ¹westlicheª Fehlernåhrung mit der Folge eines metabolischen Syndroms,
das zu Schlaganfall prådisponiert. Bei abdomineller Adipositas tritt gehåuft
eine Meralgia paraesthetica auf. Eine eher seltene Erkrankung, die durch
Adipositas begçnstigt wird, ist der Pseudotumor cerebri.
1 Anamnese z 13

Vegetarische Ernåhrung ist relativ verbreitet. Bei vegetarischer Ernåh-


rung ist es nicht leicht, gençgend Spurenelemente einschlieûlich Eisen auf-
zunehmen. Dies wird allenfalls zu Anåmie und gegebenenfalls zur Schwå-
chung der Abwehrlage fçhren. Vegetarier nehmen z. T. nicht gençgend Vi-
tamine auf. Zumindest tritt ein Vitamin-B12-Mangel bei Vegetariern ge-
håuft auf. Dieser Mangel kann zu Polyneuropathie bzw. zu einer funikulå-
ren Myelose fçhren.

z Auslandsaufenthalte
Bei unklaren Symptomen sollte die Frage nach einem zurçckliegenden
Auslandsaufenthalt nicht fehlen. Bei einer fieberhaften Erkrankung und
entsprechender Exposition ist an eine Malaria oder andere fieberhafte Tro-
penkrankheiten zu denken. Auch Tuberkulose, Diphtherie, Echinokokkose
und andere Krankheiten werden vereinzelt von Auslandsaufenthalten mit-
gebracht.

z Manifestationsalter
Eine Vielzahl von Erkrankungen tritt altersgebunden auf. Dies soll am
Symptom der externen Ophthalmoparese erlåutert werden. Bei einer here-
ditåren bilateralen kongenitalen Ptose und Ophthalmoplegie ist an die
Aplasie im Okulomotoriuskerngebiet zu denken. Treten hereditåre Ptose
und Ophthalmoparese erst im mittleren Lebensalter auf, so ist u. a. eine mi-
tochondriale, chronisch-progressive externe Ophthalmoplegie in Erwågung
zu ziehen. Tritt die Ptose erst im hæheren Lebensalter auf, so ist z. B. eine
okulopharyngeale Muskeldystrophie mæglich.
Einen relativ engen Zusammenhang mit dem Manifestationsalter gibt es
fçr die primår generalisierten Epilepsien. In der Erwachsenenneurologie
handelt es sich oft um eine juvenile myoklonische Epilepsie, die sich bis zu
einem Alter von etwa 25 Jahren, selten evtl. auch noch spåter, erstmals ma-
nifestieren kann.
Man wird bei einem 75 Jahre alten Mann eher an einen Hirninfarkt den-
ken als bei einer 30 Jahre alten Frau, bei der evtl. eher an eine multiple
Sklerose gedacht werden kann. Die Altersverteilungen sind aber nicht so
starr, dass man sich im Einzelfall fest darauf stçtzen kænnte. Z.B. kommt
es im Rahmen des Sneddon-Syndroms zu gehåuften Hirninfarkten bereits
bei jçngeren Frauen. Das Manifestationsalter wird daher bei den Ûberle-
gungen eher eine untergeordnete Rolle spielen.

z Familienanamnese
Bei einer Vielzahl hereditårer Erkrankungen kann die Familienanamnese
diagnostisch wegweisend sein: hereditåre Polyneuropathien, Myopathien,
spinale Muskelatrophie, Migråne, essenzieller Tremor, M. Huntington, ver-
schiedene Epilepsie-Syndrome etc.
14 z M. E. Kornhuber: 1 Anamnese

Der genetische Hintergrund kann eine wichtige Information sein fçr sel-
tene Erb- oder Autoimmunkrankheiten. Z.B. kommt M. Behœet bevorzugt
im Mittleren und Fernen Osten vor. Die Moyamoya-Erkrankung gibt es
håufiger im Fernen Osten. Multiple Sklerose ist bei Ostasiaten selten und
hat zum Teil einen anderen Krankheitsverlauf als bei uns.

z Soziale Situation
Die soziale Situation gibt eine Vorstellung von mæglichen privaten Stresso-
ren. Wenn ein junger Erwachsener arbeitslos ist und im Haushalt der El-
tern lebt, sind Konflikte vorprogrammiert. Nicht selten sind dann Abusus
von Alkohol oder Pharmaka im Spiel. Eine Fremdanamnese ± mit Wissen
des Patienten! ± ist hilfreich. Bei einer jungen Frau mit mehreren kleinen
Kindern ist ebenfalls eine vermehrte psychophysische Belastung zu unter-
stellen, einschlieûlich Schlafentzug. So gibt es vielfåltige Auslæsefaktoren
sowohl fçr organische als auch fçr psychische Erkrankungen, die durch die
soziale Anamnese rasch aufgedeckt werden.

z Beruf
Berufliche Einflçsse sind vielfåltig. Beispiele sind Nervenengpasssyndrome
bei besonderer mechanischer Beanspruchung (Karpaltunnelsyndrom, Sul-
cus-ulnaris-Syndrom), Dystonien bei stark beçbten Tåtigkeiten (Geiger-
Dystonie, Golfer-Dystonie etc.). Forstleute haben mæglicherweise ein hæhe-
res Risiko, sich eine Borreliose zuzuziehen. Polyneuropathien durch beruf-
liche Exposition mit organischen Læsungsmitteln oder mit Schwermetallen
sind durch verbesserte Arbeitsschutzmaûnahmen selten geworden.
2 Werkzeuge
S. Sommer

Untersuchung von Hirnnerven

z Geruchsstoffe benætigt man zur genauen Untersuchung des ersten Hirn-


nervs (N. olfactorius). Gut geeignet sind beispielsweise Kaffeepulver,
Vanille und Zimt. Trigeminusreizstoffe wie Essigsåure und Salmiakgeist
kænnen auch bei Anosmie wahrgenommen werden.
z Mit der Taschenlampe wird die direkte sowie die konsensuelle Pupillen-
reaktion çberprçft. Bei sehr stark eingeschrånktem Sehvermægen kann
mit Hilfe der Taschenlampe festgestellt werden, ob zumindest der Unter-
schied zwischen hell und dunkel noch wahrgenommen werden kann.
z Der Augenspiegel ermæglicht dem Untersucher die Beurteilung des Au-
genhintergrundes. Fçr die neurologische Untersuchung ist die Betrach-
tung der Papille von besonderer Bedeutung (Stauungspapille? Papillen-
atrophie? Temporale Abblassung?). Durch Vorschaltung weiterer Linsen
kann die Prominenz oder die Retraktion der Papille in Dioptrien gemes-
sen werden. Die Betrachtung des Augenhintergrundes ermæglicht des
Weiteren die Beurteilung des Gefåûstatus.
z Mit Hilfe von Sehtafeln, die dem Patient in einem definierten Abstand vor-
gehalten werden, erfolgt die Prçfung der Sehschårfe (Nahvisus). Dabei wird
das Auflæsungsvermægen der Makula bestimmt. Auf den Sehtafeln sind
standardisierte Formen (z. B. Landoltringe, E-Haken), Zahlen oder Buch-
staben abgebildet. Die Sehschårfe betrågt 1,0, wenn der Abstand zwischen
zwei Punkten, der gerade noch erkannt wurde, eine Bogenminute betrågt.
z Die Frenzel-Brille ist eine Brille mit +20 Dioptrien, die zusåtzlich be-
leuchtet werden kann. Dadurch wird die Fixation verhindert und ein zu-
vor unterdrçckter Nystagmus sichtbar. Es kann festgestellt werden, ob
ein Spontannystagmus vorliegt oder ob der Nystagmus durch Lagerungs-
proben, Kopfschçtteln etc. provoziert werden kann.
z Mit einer Streifen- oder Bildertrommel kann der optokinetische Nystag-
mus çberprçft werden. Die Trommel wird vor den Augen des Patienten
gedreht und die Augenbewegungen werden beobachtet. Man untersucht
bei horizontaler und bei vertikaler Reizung in beide Richtungen. Physio-
logischerweise tritt dabei ein Nystagmus entgegen der Bewegungsrich-
tung der Trommel auf.
16 z S. Sommer

z Ein Otoskop ermæglicht die Inspektion des Trommelfells und des åuûe-
ren Gehærgangs. Sie kann wichtige Hinweise auf otogene Ursachen von
neurologischen Erkrankungen geben, beispielsweise ein otogener Fokus
bei Meningitis oder Blåschen am Trommelfell bei einer peripheren Fa-
zialisparese als Hinweis auf eine Herpes-Zoster-Infektion (Ramsay-Hunt-
Syndrom).
z Geschmacksstoffe dienen der Prçfung der Geschmacksempfindung. Da-
zu werden Læsungen mit den verschiedenen Geschmacksqualitåten sçû,
sauer, bitter, salzig verwendet. Diese kænnen mit einem Watteståbchen
auf verschiedene Bereiche der Zunge aufgetragen werden.
z Der Zungenspatel ist ein wichtiges Werkzeug zur Einsicht und Sensibili-
tåtsprçfung des Gaumensegels. Durch Berçhrung der Rachenhinterwand
mit dem Zungenspatel wird der Wçrgreflex ausgelæst.

Untersuchung des sensiblen Systems

z Ein Watteståbchen wird zur Prçfung der Oberflåchensensibilitåt verwen-


det. Diese wird durch den Tractus spinothalamicus anterior weitergelei-
tet. Alternativ kann auch ein Pinsel verwendet werden.
z Von-Frey-Haare wurden von dem Wçrzburger Physiologen Max von Frey
1896 eingefçhrt. Es handelt sich um feine Haare/Borsten, die einen rech-
ten Winkel bilden und mit der Spitze auf die Haut aufgesetzt werden. Sie
unterscheiden sich durch den Grad der Steifheit und sind nummeriert
nach der erforderlichen Kraftanwendung N81 (0,98 mN) bis N87
(221 mN). Auf diese Weise kann die Schwelle der Berçhrungsempfin-
dung an einzelnen Druckpunkten ermittelt werden.
z Der Zahnstocher wird zur Untersuchung der Schmerzempfindung, wel-
che çber den Tractus spinothalamicus lateralis weitergeleitet wird, einge-
setzt. Es kænnen aber auch Pin-points, das abgebrochene Ende eines
Watteståbchens oder jedes andere spitze Werkzeug zu diesem Zweck ein-
gesetzt werden. Im Zeitalter von HIV sollte das Nadelrad nach Warten-
berg nur nach entsprechender Desinfizierung verwendet werden. Mit
ihm kænnen besonders gut Grenzen zwischen Zonen verschiedener
Schmerzempfindung festgelegt werden.
z Die neurologische Stimmgabel C64/c128 nach Rydel-Seiffer wird zur
Ûberprçfung der Vibrationsempfindung eingesetzt. Eine Skala ermæg-
licht das Ablesen der Vibration zu einem bestimmten Zeitpunkt. Die
Skala ist in Achtel eingeteilt, sodass die Angaben von 0/8 bis 8/8 reichen.
Ferner benætigt man eine neurologische Stimmgabel zur Durchfçhrung
des Weber- und des Rinne-Versuches zur Aufdeckung und Einordnung
von Hærstærungen.
z Geråte zur Bestimmung des Temperaturempfindens. Zum einen werden
zur Prçfung der Temperaturempfindung, welche durch den Tractus spi-
nothalamicus lateralis geleitet wird, Reagenzglåser mit Flçssigkeiten ver-
2 Werkzeuge z 17

schiedener Temperaturen verwendet. Heutzutage sind jedoch auch hand-


liche kleine Geråte erhåltlich, deren Enden jeweils Materialien mit deut-
lich verschiedener Wårmeleitfåhigkeit enthalten, die bei Raumtemperatur
Warm- bzw. Kaltempfindungen auslæsen.
z Mit dem Weber-Tastzirkel kann die Zwei-Punkte-Diskriminierung çber-
prçft werden. Dabei wird der minimale Abstand der beiden Zirkelenden
gemessen, bei dem der Patient die beiden getrennten Reize wahrnimmt.
Der Abstand variiert zwischen unterschiedlichen Kærperregionen. Die
hæchste Diskriminierungsfåhigkeit ist im Bereich der Fingerbeere gege-
ben. Steht dem Untersucher kein Tastzirkel zur Verfçgung, kann die
Ûberprçfung auch beispielsweise mit einer aufgebogenen Bçroklammer
durchgefçhrt werden.

Untersuchung des motorischen Systems

z Der Reflexhammer dient zur Auslæsung von Muskeleigenreflexen. Stan-


dardmodelle sind der Reflexhammer nach Træmner sowie der Reflex-
hammer nach Babinski (Abb. 2.1). Generell ist die Auslæsung von Mus-
keleigenreflexen bei Modellen mit schwerem Kopf einfacher, da bei glei-
cher Beschleunigung und Kontaktflåche ein græûerer Impuls auf die Seh-
ne çbertragen wird, sodass eine stårkere Dehnung der Muskelspindeln
entsteht.

Abb. 2.1. Reflexhammer nach Babinski (links)


und Træmner (rechts)
3 Hirnnerven
K. Traufeller

Die differenzierte Untersuchung der Hirnnerven erfordert ein erhebliches


Maû an Sorgfalt und zeitlichem Aufwand, da einerseits neurologische
Stærungen einzelne Hirnnerven isoliert betreffen kænnen und andererseits
die Hirnnerven aufgrund ihrer speziellen anatomischen Besonderheiten bei
zusåtzlicher Stærung der kontralateralen langen Bahnen Hinweise auf ver-
schiedene Hirnstammsyndrome geben kænnen.

N. olfactorius (N. I)

z Anatomische Grundlagen
Das olfaktorische System setzt sich zusammen aus der Riechschleimhaut
der Nase, den Fila olfactoria, dem Bulbus und Tractus olfactorius sowie ei-
nem Rindengebiet, das sich vom Uncus des Temporallappens çber die Sub-
stantia perforata anterior zur medialen Flåche des Stirnhirns unterhalb des
Balkenknies erstreckt. Im Bereich der Riechschleimhaut lokalisierte Sinnes-
zellen sind die so genannten Riechzellen. Die zentralen Fortsåtze dieser
Zellen vereinigen sich zu Bçndeln (Fila olfactoria), die durch die Lamina
cribrosa der Schådelbasis ziehen und dort den Bulbus olfactorius bilden.
Der Bulbus olfactorius wird çber den Tractus olfactorius mit dem Trigo-
num olfactorium verbunden. Hier spalten sich die Fasern und bilden die
Striae olfactoriae. Afferenzen çber die Stria olfactoria lateralis erreichen
Bereiche im lateralen Abschnitt der Substantia perforata rostralis, im Gyrus
ambiens, im Gyrus semilunaris und im Corpus amygdaloideum. Diese Re-
gionen werden als primåre Riechrinde bezeichnet. Die Area entorhinalis,
als sekundåres Riechfeld (Erinnerungsfeld) angesprochen, empfångt eine
Vielzahl von Afferenzen aus der primåren Riechrinde. Weitere, der Regula-
tion dienende Verbindungen çber die Stria olfactoria medialis und vom
primåren Riechfeld erreichen benachbarte Hirnzentren wie Thalamus, Hy-
pothalamus und Hippokampus.
3 Hirnnerven z 19

z Klinische Untersuchung
Bei der klinischen Geruchsprçfung låsst man den Patienten an Gefåûen
mit Riechsubstanzen schnçffeln. Der Patient soll bei geschlossenen Augen
einen aromatischen Geruchsstoff (z. B. Kaffee, Zimt, Anis, Vanille, Seife)
identifizieren. Dazu erfolgt die Prçfung jedes Nasenlochs gesondert, wåh-
rend das andere zugehalten wird. Die Identifikation kann dem Patienten er-
leichtert werden, in dem man eine græûere Auswahl aromatischer Geruchs-
stoffe nennt, unter denen sich der geprçfte befindet.
Patienten mit einer quantitativen Riechstærung klagen oft çber eine Ge-
schmacksstærung, da die aromatische Geruchskomponente fehlt. Bei einer
isolierten Låsion des N. olfactorius ist immer die Funktion der sensiblen
Nervenendigungen des N. trigeminus intakt, die mittels Trigeminusreizstof-
fen (Ammoniak, Essig) geprçft werden kann. Werden Trigeminusreizstoffe
auch nicht wahrgenommen, muss nicht sofort an eine bewusste Tåuschung
(Rentenbegehren) gedacht werden, da z. B. auch Verånderungen der Nasen-
schleimhaut und eine gestærte Nasenbelçftung (z. B. bei Rhinorrhoe) vorlie-
gen kænnen.

z Riechstærungen
Unter einer Hyposmie versteht man eine Herabsetzung und unter einer
Anosmie einen totalen Verlust des Riechvermægens. Stærungen des Ge-
ruchsempfindens kænnen ausgelæst werden durch Erkrankungen der Riech-
schleimhaut (z. B. grippale Infekte), durch einen Abriss der Fila olfactoria
(z. B. durch eine Fraktur im Bereich der frontalen Schådelbasis oder bei
Sturz auf den Hinterkopf durch eine Contrecoupwirkung), eine Meningitis,
durch Tumoren (insbesondere durch das Olfaktoriusmeningeom). Riechstæ-
rungen treten ferner auch bei starken Rauchern auf. Bei jedem Schådel-
Hirn-Trauma ist der Geruch zu prçfen (Anamnese gençgt nicht!).
Qualitative Ønderungen des Geruchssinns werden als Parosmien be-
zeichnet. Kakosmien (ekelerregende Geruchshalluzinationen) sind nicht
selten Symptom einer zentralen Låsion (im Bereich des Temporallappens,
Uncus gyri hippocampi oder des Ammonshorns). Temporallappenanfålle
beginnen gelegentlich mit einer olfaktorischen Aura.
Beim Kallmann-Syndrom (hypogonadotroper Hypogonadismus mit eu-
nuchoidem Hochwuchs) ist die Anosmie bei Aplasie des Bulbus olfactorius
genetisch bedingt. Ein vermindertes Geruchsempfinden bzw. ein Geruchs-
verlust bei M. Parkinson sowie anderen neurodegenerativen Erkrankungen
wie der Chorea Huntington oder der Demenz vom Alzheimer-Typ wird
nicht selten beschrieben.
20 z K. Traufeller

N. opticus (N. II)

z Anatomische Grundlagen und pathologische Befunde


Die Retina ist der Rezeptor fçr visuelle Eindrçcke. Sie ist, wie auch der
Sehnerv, ein vorgeschobener Anteil des Gehirns. Die bipolaren Zellen sen-
den ihre Dendriten zentralwårts zu den Ganglienzellen, deren lange Axone
durch die Papilla nervi optici ziehen und den Sehnerv bilden. Die Axone
enden im Corpus geniculatum laterale des Thalamus. Die Ståbchen sind in
der Peripherie der Retina konzentriert und aufgrund ihrer hohen Licht-
empfindlichkeit fçr das Dåmmerungssehen verantwortlich. Die Zapfen be-
finden sich in der Fovea centralis, bieten hohe Sehschårfe und gewåhrleis-
ten durch verschiedene Photopigmente das Farbsehen. Bei den Farbsinn-
stærungen sind angeborene und erworbene zu unterscheiden. Eine erwor-
bene, oft einseitige Rot-Grçn-Schwåche tritt z. B. im Zusammenhang mit
einer Retrobulbårneuritis oder einer Kompression des N. opticus auf.
Die Sehnervenfasern im N. opticus kreuzen zu 50% im Chiasma opti-
cum derart, dass die Fasern, die von den temporalen Retinahålften kom-
men, ungekreuzt bleiben, jene der nasalen Hålfte aber auf die Gegenseite
kreuzen. Hinter dem Chiasma opticum sind somit die Fasern von der ipsi-
lateralen Retinahålfte und die von der kontralateralen nasalen Hålfte der
Retina im Tractus opticus vereint. Durch die Anordnung der zentralen Fa-
sern des Sehnervs, die von der Makula kommen, temporal in der Papilla
nervi optici, kommt es bei ihrer Schådigung zu einer Atrophie im tempora-
len Bereich der Papille, der so genannten temporalen Abblassung. Die ma-
kulåren Fasern ordnen sich im Sehnerv zentral an; somit leidet bei einer
Schådigung derselben, z. B. bei einer retrobulbåren Neuritis, die Sehschårfe,
und ein Zentralskotom ist die Folge. Wird ein Sehnerv insgesamt geschå-
digt, kommt es zu einer Optikusatrophie mit Abblassung der gesamten Pa-
pille. Man unterscheidet eine primåre Optikusatrophie infolge direkter
Schådigung, z. B. durch Tumordruck, von einer sekundåren Optikusatro-
phie nach Stauungspapille. Bei einer Kompression des Chiasma opticum
(z. B. bei Hypophysentumor) werden die kreuzenden Fasern in der Mitte
des Chiasmas unterbrochen, und es resultiert eine heteronyme bitemporale
Hemianopsie. Die vom Tractus opticus kommenden Impulse werden çber
das gleichseitige Corpus geniculatum laterale zur Sehrinde im Okzipitallap-
pen geleitet. Die Bilder der Auûenwelt werden also auf beiden Retinae ab-
gebildet, zur Sehrinde beider Okzipitallappen projiziert und zu einem Ge-
samteindruck verarbeitet. Eine Schådigung im Verlauf des Tractus opticus
(z. B. bei Tumor oder basaler Meningitis), des Corpus geniculatum laterale
oder der Radiatio optica fçhrt zu einer homonymen Hemianopsie zur Ge-
genseite, d. h. bei einer Unterbrechung der Fasern im rechten Tractus opti-
cus fallen alle von den rechten Retinahålften kommenden Impulse aus. Die
Folge ist eine Blindheit in der linken Gesichtshålfte (Abb. 3.1). Låsionen
des Temporallappens kænnen zu Wahrnehmungsstærungen im Sinne einer
3 Hirnnerven z 21

Abb. 3.1. a Schema der Sehbahn im Gehirn des Menschen. CGL Corpus geniculatum laterale; H
Hypothalamus; PT Pråtektum. b Gesichtsfelddefekte bei verschieden lokalisierten Låsionen. 1
Amaurose links; 2 bitemporale Hemianopsie; 3 homonyme Hemianopsie nach rechts; 4 obere
homonyme Quadrantenanopsie nach rechts; 5 homonyme Hemianopsie nach rechts; 6 zentrale
homonyme Hemianopsie nach rechts (1±6) (nach Schmidt et al. 2000)

Teleopsie (Verlagerung betrachteter Objekte in die Ferne) oder einer Mi-


kropsie (Verkleinerung betrachteter Objekte) bzw. Makropsie (Vergræûe-
rung betrachteter Objekte) fçhren.

z Stærungen der Pupillomotorik. Der Ausfall der parasympathischen Inner-


vation des M. sphincter pupillae fçhrt zur Mydriasis (weite Pupillen), der
Ausfall der sympathischen Innervation zur Miosis (enge Pupillen). Ursa-
chen fçr eine Mydriasis kænnen lokal (Augentropfen, z. B. Atropin, Intoxi-
kationen mit Kokain oder Amphetaminen oder auch ein Glaukomanfall),
afferent (Låsion des N. opticus, z. B. Retrobulbårneuritis) oder efferent
(Okulomotoriusparese, Ganglionitis ciliaris) bedingt sein. Miotische Pupil-
len werden beobachtet bei einem Horner-Syndrom, bei Opiatintoxikation
oder nach Anwendung von Augentropfen wie z. B. Pilocarpin, Neostigmin
etc.
Eine Entrundung der Pupillen spricht fçr eine Verånderung der Iris oder
fçr eine rostrale Mittelhirnlåsion.
22 z K. Traufeller

Bei Låsionen von N. opticus oder Tractus opticus (afferente oder amau-
rotische Pupillenstærung) ist die direkte Reaktion auf dem betroffenen Au-
ge ausgefallen, wåhrend bei Belichtung des kontralateralen Auges die direk-
te und die konsensuelle Reaktion normal ist.
Efferente Pupillenstærungen (Låsion der mit dem N. oculomotorius zie-
henden parasympathischen Fasern) sind durch eine Stærung der Konver-
genzreaktion der Pupille und der Lichtreaktion gekennzeichnet (absolute
Pupillenstarre).
Eine reflektorische Pupillenstarre liegt vor bei meist beidseitig erlosche-
ner direkter und konsensueller Lichtreaktion. Die Konvergenzreaktion der
Pupille ist intakt. Bei zusåtzlich beidseitiger, håufig asymmetrischer Miosis
wird von einer Argyll-Robertson-Pupille gesprochen, die bei Neurolues
und auch bei anderen entzçndlichen ZNS-Erkrankungen beobachtet wird.
Im Unterschied zur Argyll-Robertson-Pupille, bei der im Dunkeln keine
Pupillenerweiterung ausgelæst werden kann, kommt es bei der Pupillotonie
zu einer allmåhlichen Mydriasis in einem dunklen Raum. Bezeichnend fçr
die Pupillotonie ist eine sehr verzægerte Reaktion auf Licht und eine sehr
verlangsamte Konvergenzreaktion. Die Pupillen sind so tråge, dass erst
nach långerem Aufenthalt im Dunklen eine Pupillenerweiterung und nach
dauerhafter Belichtung eine Verengung erzielt wird. Die Pupillotonie, die
meist einseitig beginnt und spåter auch das zweite Auge betrifft, hat keinen
Krankheitswert. Sie tritt håufig nach einer Windpockeninfektion auf und
wird auch bei autonomer Neuropathie beim Diabetes mellitus beobachtet.
Bei zusåtzlich zur Pupillotonie bestehender Areflexie an den Beinen besteht
ein Adie-Syndrom.

z Klinische Untersuchung
Die Untersuchung dieses Hirnnervs umfasst die Prçfung von Sehkraft (Vi-
sus), Gesichtsfeld, Pupillenreaktion und Augenhintergrund (Fundus). Der
afferente Schenkel der Lichtreaktion der Pupille låuft çber den N. opticus.

z Visus. Die Testung der Sehschårfe erfolgt monokulår (ohne Druck auf
den Bulbus) mit Sehprobentafeln. Im Abstand von fçnf Metern wird der
Fernvisus und/oder mit Schrifttafeln der Nahvisus im Leseabstand von 25
cm geprçft. Refraktionsanomalien des Patienten sollen dabei durch eine
bereits vorhandene Brille ausgeglichen werden. Bei ausgeprågtem Visusver-
lust mçssen einfache Untersuchungen wie Fingerzåhlen bzw. die Wahrneh-
mung von Lichtschein angewandt werden.

z Gesichtsfeld. Der so genannte Konfrontationstest ist zur Untersuchung


des Gesichtsfeldes nur in den seltensten Fållen geeignet, da die hierbei not-
wendige groûe Spannweite der Arme håufig nicht gegeben ist, sodass Posi-
tionen im Bereich der Auûengrenzen des Gesichtsfeldes nicht untersucht
werden kænnen. Wesentlich besser gelingt die Gesichtsfeldbestimmung,
wenn sich der Finger des Untersuchers aus der Region seitlich des Patien-
3 Hirnnerven z 23

tenkopfes in das Gesichtsfeld hineinbewegt (Fingerperimetrie). Das Ge-


sichtsfeld eines Auges reicht etwa 908 nach temporal und 608 nach nasal.
Eine differenzierte Gesichtsfeldprçfung wird mittels Perimetrie (z. B. Halb-
kugelperimeter nach Goldmann) durch den Ophthalmologen durchgefçhrt.

z Pupillen. Die Pupillen sind bei mittlerer Beleuchtung normalerweise sei-


tengleich, rund und mittelweit. Seitendifferenzen werden als Anisokorie be-
zeichnet. Bis zu einem Millimeter Seitendifferenz kann auch bei Gesunden
vorkommen.
Die Reaktion der Pupillen auf einen Lichteinfall und wåhrend einer Kon-
vergenzbewegung sind normalerweise durch eine prompte und ergiebige
Pupillenverengung charakterisiert. Man prçft die direkte Lichtreaktion bei
Belichtung jeder Pupille und die konsensuelle Lichtreaktion bei Belichtung
der gegenseitigen Pupille.
Bei Untersuchung der Konvergenzreaktion (Naheinstellungsreaktion der
Pupillen) soll der Patient den Zeigefinger des Untersuchers fixieren, der
sich aus ungefåhr einem Meter Abstand bis auf 10 cm nåhert. Beim Be-
trachten des Fingers wird neben der Pupillenverengung auch eine Akkom-
modation der Augenlinse erreicht und eine Konvergenz der Bulbi (gleich-
zeitige Innervation beider Mm. recti mediales) beobachtet. Stårkster Kon-
vergenzreiz ist der eigene Finger des Patienten.

z Fundus. Zur Beurteilung des Augenhintergrundes betrachtet der Arzt das


rechte Auge des Patienten mit seinem eigenen rechten Auge und umge-
kehrt. Der Untersucher blickt durch das Ophthalmoskop und nåhert sich
etwas von lateral kommend dem Patientenauge so nah wie mæglich, bis Ge-
fåûstrukturen sichtbar werden. Zur Beurteilung der aus neurologischer
Sicht besonders wichtigen Papille soll der Patient das Ohr des Untersuchers
fixieren. Physiologisch erscheint die Papille scharf begrenzt, nicht erhaben
und rætlich-gelb gefårbt. Bei Feststellung einer Stauungspapille (unscharf
begrenzte, ædematæs verbreiterte Papille, gestaute, geschlångelte und bo-
genfærmig abgeknickte Venen am Papillenrand) wird das Ausmaû der Pro-
minenz durch Verånderung mittels des am Ophthalmoskop befindlichen
¹Linsenradesª in Dioptrien angegeben. Des Weiteren wird auf eine Papil-
lenatrophie (weiûe Papillenfarbe), Papillenabblassung (z. B. temporal bei
Neuritis nervi optici) und auf seitengleiche Befunde geachtet.
Bei Kompression, demyelinisierenden oder toxischen Låsionen im Be-
reich des N. opticus oder des Chiasma treten neben zentralen Visus- und
Gesichtsfeldausfållen auch Farbsinnstærungen auf. Gelegentlich çberwiegt
sogar die Farbempfindungsstærung.

z Farbsinn. Die Prçfung des Farbsinns erfolgt im Rahmen der neurologi-


schen Untersuchung mittels Ishihara-Tafeln.
24 z K. Traufeller

N. oculomotorius (N. III)/N. trochlearis (N. IV) / N. abducens (N. VI)

z Okulomotorisches System
Die Funktion des okulomotorischen Systems besteht darin, durch entspre-
chende Augenbewegungen einen ungestærten Sehvorgang zu ermæglichen.
Die Augen werden von drei Paaren quergestreifter Augenmuskeln horizon-
tal, vertikal und rotierend bewegt. Bei allen Augenbewegungen wirken alle
Augenmuskeln mit, zum Teil durch Anspannung und zum Teil durch Ent-
spannung. Es handelt sich immer um konjugierte, fein abgestufte Augen-
bewegungen, sodass das Objekt exakt beidseits auf der Fovea abgebildet
wird. Dieses feine Zusammenspiel der verschiedenen Augenmuskelnerven
und Augenmuskeln wird durch einen komplizierten zentralen Mechanismus
gewåhrleistet. Fçr die klinische Untersuchung ist bedeutsam, dass es eine
enge Beziehung zwischen Vestibulariskernen und Augenmuskeln gibt. Beide
Vestibularorgane çben einen tonischen Einfluss auf die Augenmuskeln aus.
Der Tonus der beiden Vestibularorgane ist gegenlåufig. Dies ist die Grund-
lage fçr den vestibulookulåren Reflex (VOR), der dafçr sorgt, dass ein Ziel
bei bewegtem Kopf fixiert werden kann. Fållt ein Vestibularorgan aus, so
entsteht durch den Tonus des intakten Vestibularorgans eine langsame Drift
des Auges zur Gegenseite. Diese wird reflektorisch mit einer ruckartigen
Augenbewegung (Sakkade) zurçckgestellt. Es resultiert ein spontaner Ruck-
nystagmus mit langsamer und schneller Komponente (s. u.). Ferner unter-
liegt die Blickmotorik einer Feinsteuerung durch das Zerebellum.
Durch Lichteinfall auf die Retina veråndert sich die Pupillenweite. Hel-
ligkeit bewirkt Pupillenverengung, Abdunkelung Pupillenerweiterung.

z Klinische Untersuchung
Die Prçfung der drei Nerven fçr die åuûeren und inneren Augenmuskeln
erfolgt gemeinsam. Die Untersuchung beginnt mit der Inspektion bei pri-
mårer Kopfhaltung des Patienten. Es wird auf eine Primårabweichung des
Bulbus, auf Blickdeviationen, Spontannystagmus, Pupillen- und Lidspalten-
weite und eine eventuell kompensatorisch bestehende Kopffehlhaltung ge-
achtet. Im Rahmen der Untersuchung muss die Fehlhaltung durch strenges
Geradehalten des Kopfes korrigiert werden, um Doppelbilder bei Augen-
muskelparesen nicht zu verschleiern. Der Ausfall eines oder mehrerer Au-
genmuskelnerven fçhrt zu Fehlstellungen (Strabismus paralyticus) und
Fehlbewegungen des betroffenen Auges. Subjektiv bestehen Doppelbilder.

z Bulbusstand. Die Bulbi stehen in Ruhe parallel und geradeaus gerichtet.


Als pathologische Abweichungen wåren zu erwåhnen die Deviation conju-
ge (Abweichen beider Augen zu einer Seite), der Strabismus divergens
(Auswårtsschielen) bzw. der Strabismus convergens (Einwårtsschielen).
3 Hirnnerven z 25

z Bulbusbewegungen. Man prçft die Folgebewegungen, indem der Patient


aufgefordert wird, dem etwa einen Meter entfernten Zeigefinger des Unter-
suchers bei fixiertem Kopf in den Hauptblickrichtungen (oben, unten,
rechts, links, schråg oben, schråg unten) zu folgen. Bei kognitiven Stærun-
gen soll der Patient dem Kopf des Untersuchers folgen. Es kann hierbei
geprçft werden, ob die Exkursionen in allen Blickrichtungen gleich gut
ausgefçhrt und ob die Augen in den jeweiligen Endpositionen gehalten
werden kænnen. Physiologischerweise erreicht der Hornhautrand bei allen
horizontalen Bewegungen den inneren bzw. åuûeren Winkel der Lidspalte.
Zusåtzlich sollten immer auch die Blickzielbewegungen (sakkadische Funk-
tionen) in den verschiedenen Blickrichtungen untersucht werden. Dies ge-
schieht, indem man den Patienten bittet, jeweils zwischen zwei vorgehalte-
nen Fingern in den jeweiligen Blickrichtungen hin und her zu blicken. Fer-
ner prçft man die Augenmotilitåt, die bei passiver Kopfbewegung durch
den vestibulookulåren Reflex (s. u.) hervorgerufen wird.
Bei einer Augenmuskellåhmung åndern sich Schielwinkel und Abstand
der Doppelbilder in Abhångigkeit von der Blickrichtung, d. h. sie nehmen
in Wirkungsrichtung des paretischen Muskels zu. Dabei wird das peripher
(auûen) gesehene Bild des Doppelbildes immer mit dem gelåhmten Auge
gesehen. Es verschwindet, wenn das paretische Auge abgedeckt wird.
Durch Vorhalten eines farbigen Glases (z. B. Rotglas) vor ein Auge kann
dem Arzt die Differenzierung des vom Patienten beschriebenen Doppelbil-
des erleichtert werden.
Einseitige Stellungsanomalien der Bulbi ohne Diplopie kommen beim
Strabismus divergens und convergens vor. Latentes Schielen (Heterophorie)
liegt vor, wenn eines der beiden Augen, nachdem man es abgedeckt hatte,
eine Einstellbewegung macht, sobald es freigegeben wird (Cover-Test).

z Lidspalten. Sie sind normalerweise seitengleich und mittelweit. Eine Ver-


engung einer oder beider Lidspalten findet sich bei einer Ptose (durch Parese
des M. levator palpebrae ± N. oculomotorius oder des M. tarsalis ± Sympathi-
cus) oder bei einer Kontraktur des M. orbicularis oculi (nach peripherer Fa-
zialisparese). Das Horner-Syndrom besteht aus Ptose, Enophthalmus und
Miosis, evtl. Schweiûsekretionsstærungen. Die Unterscheidung des zentralen
(Hypothalamus bis Centrum ciliospinale) von einem peripheren (Centrum
ciliospinale, Ganglion cervicale superior bis zum M. dilatator pupillae) Hor-
ner-Syndrom ist im Kapitel ¹Autonome Funktionenª ausgefçhrt.

z Stærungen der Okulomotorik


Augenbewegungsstærungen kænnen verschiedene Ursachen haben. Neben
Beeintråchtigungen der Augenmuskeln bzw. der sie versorgenden Hirnner-
ven (infranukleår, nukleår) fçhren Stærungen im Bereich der Zentren, die
die Blickmotorik koordinieren (supranukleår) zu einer gestærten Okulo-
motorik. Ferner kommen raumfordernde Prozesse im Bereich der Orbita
als Ursache in Betracht.
26 z K. Traufeller

Eine Schådigung der gesamten Fasern des N. oculomotorius fçhrt zu ei-


ner Låhmung nahezu aller extraokulåren Muskeln mit Ausnahme des M.
rectus lateralis (N. abducens) und des M. obliquus superior (N. trochlea-
ris). Weitere Folgen sind eine Låhmung des parasympathisch innervierten
M. sphincter pupillae und des M. ciliaris. Eine komplette Okulomotorius-
låhmung hat folgendes Syndrom: Ptose, Stellung des Bulbus mit Blick nach
unten und auûen, Mydriasis, Ausfall von Lichtreflex und Konvergenzreak-
tion der Pupille sowie der Akkommodation. Bei Okulomotoriuslåhmung
ohne Pupillenstærung spricht man von einer Ophthalmoplegia externa, bei
Pupillenstærungen ohne Okulomotoriuslåhmung von einer Ophthalmo-
plegia interna. Die Kombination von beiden charakterisiert eine totale
Ophthalmoplegie. Eine externe Ophthalmoplegie kann auch muskulår (z. B.
mitochondriale Enzephalomyopathien) oder kongenital durch eine Oku-
lomotoriuskernaplasie bedingt sein. Eine okulåre Myasthenie bietet er-
mçdungsabhångig eine Ptose und gelegentlich weitere Augenmuskelstæ-
rungen.
Eine Parese des vom N. trochlearis innervierten M. obliquus superior
bewirkt eine Abweichung des betroffenen Auges nach oben und etwas nach
innen. Es bestehen schråg stehende Doppelbilder, die beim Blick nach un-
ten zunehmen. In der Regel liegt bei einer einseitigen Parese eine kompen-
satorische Kopfhaltung vor mit einer Wendung und Neigung zur gesunden
Schulter und einer Senkung des Kinns (Abb. 3.2). Klinisch charakteristisch
fçr eine Trochlearisparese ist das håufig nachweisbare Bielschowsky-Phåno-
men. Bei abrupter passiver Neigung des Kopfes zur Seite des paretischen
Auges weicht das paretische Auge nach innen oben ab. So fçhrt zum Bei-
spiel bei einer rechtsseitigen Trochlearisparese die Rechtsneigung des Kop-
fes zur Innervation der Einwårtsroller des rechten Auges (M. rectus supe-
rior und M. obliquus superior). Wåhrend sich die gegensinnige vertikale
Wirkung beider Muskeln normalerweise aufhebt, çberwiegt bei einer Obli-
quus-superior-Parese die hebende Wirkung des M. rectus superior und es
kommt zu einer Zunahme des Hæhenschielens beim rechten Auge. Da der
statische Kopfneigetest çber die Gravizeptoren des Otolithenreflexes ab-
låuft, ist er in Rçckenlage nicht ausfçhrbar.

Abb. 3.2. Kompensatorische Kopfhaltung bei Trochlearislåsion


(aus Berlit 1998)
3 Hirnnerven z 27

Eine Schådigung des N. abducens hat zur Folge, dass der Patient das Au-
ge nicht nach lateral auûen bewegen kann. Es kommt daher zum Einwårts-
schielen.
Bei jeder Schådigung eines der Augenmuskelnerven treten Doppelbilder
auf. Horizontal nebeneinander bzw. vertikal çbereinander stehende Doppel-
bilder entstehen bei Parese der geraden Augenmuskeln, wåhrend es bei
Miteinbeziehung der schrågen Augenmuskeln zu schråg versetzten Doppel-
bildern kommt.
Im Unterschied zu peripheren Blickparesen treten bei supranukleåren
Blickparesen keine Doppelbilder auf, da beide Augen im selben Ausmaû
von der Einschrånkung der konjugierten Augenbewegungen (z. B. Deviation
conjuge) betroffen sind. Die Patienten bemerken die Beeintråchtigung
håufig zunåchst nicht. Die klinische Differenzierung zwischen supranukleå-
rer und peripherer Blickparese gelingt durch die Beurteilung von Puppen-
kopfphånomen und Bell-Phånomen, die bei supranukleåren Stærungen po-
sitiv sind. Zur Prçfung des Puppenkopfphånomens fixiert der Patient ein
feststehendes Objekt, wåhrend der Untersucher dabei passiv den Kopf des
Patienten nach vorn neigt. Dabei kommt es zur Hebung der Bulbi. Durch
passives Anheben des geschlossenen Lides kann nachgewiesen werden,
dass die Bulbushebung bei Augenschluss nicht paretisch ist (Bell-Phåno-
men). Supranukleåre Blickparesen im Sinne vertikaler Blickparesen treten
z. B. im Rahmen des Parinaud-Syndroms oder des Steele-Richardson-
Olszewski-Syndroms auf.
Bei der internukleåren Ophthalmoplegie (INO) liegt eine Parese des ad-
duzierenden Auges bei gleichzeitigem dissoziierten Nystagmus des abdu-
zierenden Auges vor (Abb. 3.3). Der Ort der Låsion ist der Fasciculus longi-
tudinalis medialis ipsilateral. Die Bezeichnung internukleår steht fçr die
Låsionslokalisation zwischen dem III. und dem VI. Hirnnervenkern. Die
INO tritt bei raschem Blickwechsel zwischen seitlichen Extrempositionen
noch stårker zutage. Wenn beide medialen Långsbçndel betroffen sind,
kænnen beide Augen nicht adduziert werden.
Das Eineinhalb-Syndrom ist charakterisiert durch eine konjugierte hori-
zontale Blickparese in einer Richtung (infolge Låsion der parapontinen

Abb. 3.3. Internukleåre Ophthalmoplegie (aus Berlit 1998)


28 z K. Traufeller

Formatio reticularis) und eine Låhmung der Adduktion eines Auges beim
Blick in die andere horizontale Richtung aufgrund einer zusåtzlichen INO.
Ein Auge kann also çberhaupt nicht aus der Mittellinie gefçhrt werden,
wåhrend das andere Auge nur abduziert werden kann.

N. trigeminus (N. V)

z Anatomische Grundlagen
Der N. trigeminus ist ein gemischter Nerv, bestehend aus einem græûeren
sensiblen Anteil (Portio major) fçr das Gesicht sowie aus einem kleineren
motorischen Teil (Portio minor) fçr die Kaumuskulatur. Die sensiblen Fa-
sern entstammen den pseudounipolaren Zellen des Ganglion trigeminale,
deren zentrale Fortsåtze in den sensiblen Trigeminuskernen enden. Die
motorischen Fasern stammen von groûen multipolaren Nervenzellen des
Nucleus motorius nervi trigemini. Der N. trigeminus tritt als dicker Stamm
aus der Pons mit einer dickeren Radix sensoria, einer dçnneren Radix mo-
toria und der dazwischen liegenden Portio intermedia.
Vom Ganglion trigeminale, das sich an der Schådelbasis çber der Spitze
des Os petrosum auûerhalb des Sinus cavernosus befindet, gehen die drei
Hauptåste ± der N. ophtalmicus, der N. maxillaris und der N. mandibularis
± ab.
Der N. ophthalmicus (V1) verlåsst den Schådel durch die Fissura orbita-
lis, und noch vor dem Eintritt in die Augenhæhle teilt er sich in seine drei
Øste (N. lacrimalis, N. frontalis, N. nasociliaris). Der rein sensible N. ma-
xillaris (V2) gelangt durch das Foramen rotundum in die Fossa pterygopa-
latina, wo er seine drei Hauptåste (N. pterygopalatinus, N. zygomaticus, N.
infraorbitalis) abgibt. Der N. mandibularis (V3) ist der stårkste Trigemi-
nusast und zieht vom Ganglion trigeminale durch das Foramen ovale an
die åuûere Schådelbasis. Dicht unterhalb des Foramen ovale ist dem 3. Ast
des N. trigeminus das parasympathische Ganglion oticum aus dem N. glos-
sopharyngeus angegliedert. Im Verlauf entspringen vier Øste: N. auriculo-
temporalis, N. alveolaris inferior, N. lingualis, N. masticatorius.

z Klinische Untersuchung
Klinisch kann die motorische und die sensible Funktion des N. trigeminus
sowie seine Beteiligung am Geschmack geprçft werden. Der sensible Anteil
des Nervs versorgt die Gesichtshaut bis zum Scheitel hinauf, die Schleim-
haut von Mund, Nase, Gaumen und Nebenhæhlen, die Zåhne sowie supra-
tentoriell die Dura mater des Gehirns. Die Beurteilung der Gesichtssensibi-
litåt erfolgt durch Prçfung der Schmerz-, Temperatur- und Berçhrungs-
empfindung im Seitenvergleich. Dabei ist ein peripherer von einem zentra-
len sensiblen Innervationstyp zu unterscheiden (Abb. 3.4). Periphere Låsio-
3 Hirnnerven z 29

Abb. 3.4. Periphere und zentrale Trigeminusinnervation (aus Berlit 1998)

nen des N. trigeminus bedingen bandfærmige Sensibilitåtsstærungen im


Versorgungsgebiet des betroffenen Astes, wåhrend zentrale Trigeminuslå-
sionen zu zwiebelschalenfærmig um den Mund angeordneten Gefçhls-
stærungen fçhren (Sælder-Linien). Die Mitte des Gesichtes mit Mund und
Nase wird vom oberen Anteil des Nucleus principalis und Nucleus spinalis
trigemini versorgt, die mittlere Wangenregion vom mittleren Anteil und
die Randregionen der Wange vom unteren Anteil (s. Abb. 3.4).
Eine dissoziierte Empfindungsstærung (gestærtes Schmerz- und Tempera-
turempfinden bei regelrechtem Berçhrungsempfinden) weist auf eine intra-
zerebrale Låsion hin.
Die motorischen Anteile des N. trigeminus verlaufen im 3. Trigeminusast
und innervieren die Kaumuskeln. Die motorische Funktion wird durch Pal-
30 z K. Traufeller

pation des M. masseter und temporalis bei kråftigem Aufeinanderbeiûen


der Zåhne geprçft. Eine einseitige Parese ist zu fçhlen. Die Mm. pterygoi-
dei æffnen den Kiefer; bei einseitiger Låhmung weicht der Mund beim Úff-
nen zur paretischen Seite ab.
Es stehen verschiedene Fremd- und Eigenreflexe zur Prçfung der Intakt-
heit der afferenten Verbindungen des Nervs zur Verfçgung.

z Kornealreflex. Durch Berçhren der Kornea mit einem feinen Wattetupfer


wird der Lidschluss ausgelæst (Afferenz çber N. trigeminus, Efferenz çber
N. facialis). Bedeutsam ist, dass der Wattetråger seitlich herangefçhrt wird,
da sonst optisch der Blinkreflex ausgelæst wird. Es ist auch darauf zu ach-
ten, dass die Kornea und nicht die Konjunktiva berçhrt wird (siehe auch
Kapitel ¹Untersuchung des bewusstlosen Patientenª). Der Patient wird be-
fragt, ob er die Berçhrung seitengleich empfindet, da der Lidschluss bei ei-
ner Fazialisparese trotz intakter Sensibilitåt gestært sein kann. Die beidseits
fehlende Reflexantwort spricht fçr eine Låsion des N. trigeminus auf der
geprçften Seite. Das Fehlen oder die Verzægerung der Antwort konstant auf
einer Seite, unabhångig von der geprçften Seite, deutet auf eine N.-facialis-
Låsion hin.

z Orbicularis-oculi-Reflex. Dieser Fremdreflex besteht in einer beidseitigen


Kontraktion des M. orbicularis oculi nach Beklopfen der Stirn. Da der Or-
bicularis-oculi-Reflex (Glabellareflex) ein Fremdreflex ist, habituiert er nor-
malerweise recht schnell. Bei diffusen zerebralen Prozessen (Hypoxie, neu-
rodegenerative Erkrankungen etc.) habituiert der Reflex verzægert oder gar
nicht. Bei ausgeprågtem Befund låsst sich der Reflex auch mit zunehmen-
dem Abstand von der Glabella noch auslæsen.

z Orbicularis-oris-Reflex (Schnauzreflex). Ein leichter Schlag auf den Mund-


winkel fçhrt ebenfalls bei Patienten mit diffusen hirnorganischen Verån-
derungen zu einer Vorstçlpung der Lippen.

z Saugreflex. Ein weiteres Zeichen fçr eine generalisierte fortgeschrittene


organische Hirnschådigung ist ein positiver Saugreflex. Durch periorales
Berçhren bzw. Bestreichen der Mundspalte mit einem Spatel kommt es zu
einer Mundæffnung, Saugen oder Hinwendung zum Mundspatel.

z Masseterreflex (Eigenreflex). Bei leicht geæffnetem Mund und Schlag mit


dem Reflexhammer auf den quer çber dem Kinn des Patienten liegenden
Zeigefinger des Untersuchers kommt es zum Kieferschluss durch Kontrakti-
on von M. masseter und M. temporalis. Bei supranukleåren Låsionen wie
der Pseudobulbårparalyse ist der Reflex lebhafter.
3 Hirnnerven z 31

z Sensible Reizerscheinungen im Versorgungsgebiet des N. trigeminus

z Trigeminusneuralgie. Blitzartig rezidivierend, unilateral einschieûende,


sehr intensive und nur Sekunden andauernde Schmerzen im Versorgungs-
gebiet eines oder mehrerer Trigeminusåste sind die klinischen Charakteris-
tika einer Trigeminusneuralgie. Die Symptomatik kann spontan auftreten,
wird aber håufig durch Gesichtsbewegungen bzw. Berçhrung ausgelæst. Im
Gegensatz zur Trigeminusneuropathie sind die Funktionen des V. Hirn-
nervs im Intervall nicht gestært. Nach lange bestehender Trigeminusneural-
gie kann allerdings auch eine Neuropathie klinisch manifest werden.

z Trigeminusneuropathie. Isoliert auftretende Erkrankungen des N. trigemi-


nus, die mit einem pathologischen Untersuchungsbefund einhergehen, wer-
den als Trigeminusneuropathie bezeichnet. Klinisch kænnen sich derartige
Krankheiten durch Sensibilitåtsstærungen (Hypåsthesie, Hypalgesie) mit
oder ohne Dauerschmerzen im Ausbreitungsgebiet des Nervs, mit oder oh-
ne herabgesetzten Kornealreflex sowie durch eine Geschmacksstærung oder
eine Kaumuskelschwåche åuûern.

z Atypischer Gesichtsschmerz. Als atypischer Gesichtsschmerz wird ein


Schmerzsyndrom benannt, das sich nicht einer der bekannten Gesichts-
neuralgien zuordnen låsst und bei dem auch keine organische Ursache
gefunden werden kann (Ausschlussdiagnose). Es handelt sich um einen
çberwiegend einseitigen orofazialen Dauerschmerz dumpfen Charakters.
Anamnestisch werden håufig HNO- und zahnårztliche Eingriffe angegeben.

N. facialis (N. VII)

z Anatomische Grundlagen
Das Kerngebiet des N. facialis liegt in der Formatio reticularis im rostralen
Anteil des Rautenhirns. Im Kerngebiet des Nervs låsst sich eine Pars me-
dialis, eine Pars lateralis und eine Pars intermedia unterscheiden. Die ver-
schiedenen Kerngebiete des N. facialis lassen sich einzelnen Abschnitten
der Gesichtsmuskulatur zuordnen. Diese somatotopische Gliederung ist fçr
die klinische Diagnostik von Bedeutung. Man unterscheidet ein ¹oberes
Kerngebietª, aus dem die Fasern fçr den oberen Fazialisast stammen, von
einem ¹unteren Kerngebietª. Das ¹obere Kerngebietª enthålt Fasern aus
dem motorischen Rindenzentrum beider Hemisphåren, das ¹untereª hin-
gegen nur aus der kontralateralen Hemisphåre. Aus diesen anatomischen
Gegebenheiten erklårt sich das unterschiedliche Bild der zentralen und der
peripheren Fazialisparese.
Nach seinem Austritt aus dem Gehirn zieht der N. facialis zusammen
mit dem N. vestibulocochlearis durch den Porus acusticus internus in den
32 z K. Traufeller

inneren Gehærgang hinein und betritt an dessen Grund den im Schlåfen-


bein gelegenen Canalis facialis. An der åuûeren Schådelbasis verlåsst der
N. facialis am Foramen stylomastoideum seinen Knochenkanal. Wåhrend
seines Verlaufs im Knochenkanal gibt der N. facialis den N. petrosus major,
den N. stapedius und die Chorda tympani ab. Der Nerv durchsetzt dann
die Glandula parotis, bildet dort den Plexus parotideus, aus dem am vor-
deren und oberen Rand der Ohrspeicheldrçse die Gesichtsåste des Nervs
fåcherfærmig ausstrahlen. Die Anatomie der Fazialisåste ist relativ variabel:
Rr. temporales, Rr. zygomatici und Rr. buccales, R. marginalis mandibulae
sowie R. colli.

z Klinische Untersuchung
Die Funktion der mimischen Muskulatur wird zunåchst durch Inspektion
der Stirnheber (Asymmetrie in der Stirnfurchung), des forcierten Augen-
schlusses (¹signe des cilesª bei latenter Fazialisparese oder Lagophthalmus
mit ¹Bell-Phånomenª bei manifester Parese), der Nasolabialfalte (Asym-
metrie) sowie der Stellung des Mundes (Schiefstellung, ¹hångender Mund-
winkelª) beurteilt. Beim so genannten ¹signe des cilesª gelingt dem Betrof-
fenen das Befolgen der Aufforderung, die Augen mæglichst fest zuzuknei-
fen, auf der paretischen Seite nicht so gut. Die Wimpern auf dieser Seite
sind im Vergleich zur gesunden Seite deutlicher sichtbar. Die Bewegung
des Bulbus nach oben wird bei unvollståndigem Lidschluss bei einer Fazia-
lisparese wahrnehmbar und wird als ¹Bell-Phånomenª bezeichnet (Abb.
3.5). Im weiteren Untersuchungsgang låsst man den Patienten bestimmte
Bewegungen ausfçhren: Stirn runzeln, Augen fest schlieûen, Nase rçmpfen,

Abb. 3.5. Periphere faziale Parese mit Bell-Phånomen (aus Berlit 1998)
3 Hirnnerven z 33

Zåhne zeigen, Mund spitzen, vorstçlpen, weit æffnen und fest schlieûen,
Wangen aufblasen und pfeifen. Bei einer diskreten Fazialisparese kommen
die genannten Gesichtsbewegungen zustande, sie sind aber bei der Ausf-
çhrung gegen einen Widerstand im Seitenvergleich çberwindbar.
Symptom einer latenten fazialen Parese ist neben dem ¹signe des cilesª
auch der verminderte Lidschlag auf der betroffenen Seite (abgeschwåchter
Orbicularis-oculi-Reflex). Das feine, mit dem Finger fçhlbare Vibrieren
çber dem M. orbicularis oculi bei festem Zukneifen der Augen verschwin-
det ebenfalls bei einer latenten Parese (Lidvibrationstest nach Wartenberg).
Bei zentralen (supranukleåren) Fazialisparesen ist meistens die periorale
Muskulatur, bei peripheren (nukleåren und infranukleåren) Paresen die ge-
samte faziale Muskulatur gelåhmt, was auf der bereits oben erwåhnten bila-
teralen zentralen Repråsentation beruht.
Die Funktion des M. stapedius kann im Rahmen der Hærprçfung mit-
beurteilt werden. Bei einer Parese des Muskels besteht initial eine Hyper-
akusis (abnorme Empfindlichkeit des Gehærs).

Abb. 3.6. N. facialis und mit ihm verlaufende Nerven sowie lokalisatorische Zuordnung der Låsi-
on (aus Berlit 1999)
34 z K. Traufeller

Der Verlauf des peripheren N. facialis erlaubt in Abhångigkeit von den je-
weils vorhandenen Symptomen eine genaue lokalisatorische Zuordnung der
Låsion (Abb. 3.6). Bei einer Schådigung distal vom Foramen stylomastoideum
liegt eine isolierte Låhmung der Gesichtsmuskulatur vor. Bei einer Låsion
oberhalb der Abzweigung der Chorda tympani und vor Abgang des N. stape-
dius treten zusåtzlich Geschmacksstærungen und Stærungen der Speichel-
sekretion auf. Im Rahmen einer Stærung proximal des Abgangs des N. stape-
dius, aber noch distal des Abzweigs des N. petrosus superficialis major kommt
es auûerdem initial noch zu Hærstærungen. Eine Låsion proximal des Abgangs
des Ganglion geniculi und des N. petrosus superficialis major fçhrt neben
allen bisher genannten Symptomen auch noch zu einer gestærten bzw. fehlen-
den Trånen- und Speicheldrçsensekretion (u. a. trockenes Auge).

z Erkrankungen
Neben verschiedenen Ursachen kann eine periphere Fazialisparese auch
idiopathisch, das heiût ohne erkennbare Ursache, auftreten. Symptomatisch
kommen periphere Fazialislåhmungen bei Otitis media, Zoster oticus,
durch Borrelien, Tumoren, traumatisch oder auch iatrogen im Rahmen von
Operationen vor. Rezidivierend auftretende periphere faziale Paresen wer-
den z. B. beim Melkersson-Rosenthal-Syndrom beobachtet. Die Ursache ei-
ner zentral bedingten Fazialislåhmung kann z. B. eine zerebrale Ischåmie
oder eine multiple Sklerose sein. Weitere das Gesicht betreffende Bewe-
gungsstærungen sind u.a. Hypomimie (z. B. beim M. Parkinson), Tic, Cho-
rea, Meige-Syndrom sowie der Spasmus hemifacialis (Abb. 3.7), bei dem es
zu anfånglich nur den M. orbicularis oculi betreffenden, kurz dauernden
Bewegungen kommt, die spåter auf die çbrigen Muskeln çbergreifen und
an Intensitåt zunehmen.
Bei Tetanie im Rahmen einer Hypokalziåmie låsst sich als mechanischer
Reiz bei pråaurikulårem Beklopfen des Fazialisstammes eine Kontraktion
der gesamten ipsilateralen mimischen Muskulatur auslæsen (Chvostek-Zei-
chen).

Abb. 3.7. Hemispasmus facialis (aus Berlit 1998)


3 Hirnnerven z 35

N. vestibulocochlearis (N. VIII)

z Anatomische Grundlagen
Der Nerv ist der Sinnesnerv fçr die beiden im Innenohr oder Labyrinth
lokalisierten Sinnesorgane, das Gleichgewichtsorgan und das Hærorgan.
Demnach besteht der N. vestibulocochlearis aus zwei Anteilen. Die Pars
vestibularis leitet die Sinneserregung vom Vestibulum und den Bogengån-
gen zum Gehirn. Die peripheren Fasern vereinigen sich zu dem am Grund
des inneren Gehærgangs liegenden Ganglion vestibulare. Dessen zentrale
Fortsåtze bilden die Pars vestibularis, die, mit der Pars cochlearis zum N.
vestibulocochlearis vereint, den inneren Gehærgang durch den Porus acus-
ticus internus verlåsst und im Kleinhirnbrçckenwinkel das Gehirn erreicht.
Innerhalb des Gehirns verlaufen sie zu den im Rautenhirn liegenden Nuclei
vestibulares und zum Teil direkt zum Kleinhirn.
Die Pars cochlearis leitet die Erregung von der Cochlea hirnwårts. Die Ner-
venfasern ziehen zunåchst zum Ganglion spirale. Die zentralen Fortsåtze
der Ganglienzellen treten am Grund des inneren Gehærgangs zur Pars
cochlearis zusammen, die bis zum Eintritt in das Gehirn den gleichen Ver-
lauf wie die Pars vestibularis aufweist. Im Gehirn begeben sich die Fasern
der Pars cochlearis zu den Nuclei cochleares ventralis und dorsalis, die
seitlich dem Pedunculus cerebellaris inferior anliegen. Das zweite Neuron
der Hærbahn beginnt an beiden Cochleariskernen. Die Efferenzen vom dor-
salen Cochleariskern bilden offenbar die Hauptstrecke der Hærbahn. Als
Striae acustici dorsales kreuzen sie vollståndig und bilden auf der Gegen-
seite den Lemniscus lateralis, der zum ipsilateralen Colliculus caudalis des
Mittelhirndaches zieht.

z Klinische Untersuchung des Gehærs


Anamnestisch wird der Patient nach Hærminderung, Ohrgeråuschen und
gerichtetem Schwindel befragt. Die klinisch-neurologische Untersuchung
des Gehærs, die nicht quantitativ und frequenzspezifisch durchgefçhrt
wird, beschrånkt sich meist auf die Prçfung leiser Reibegeråusche durch
Reiben von Daumen und Zeigefinger vor dem Ohr bzw. von Flçstersprache
bei zugehaltenem kontralateralem Ohr. Mit der a1-Stimmgabel (435 Hz)
kann durch den Rinne- und den Weber-Versuch (Abb. 3.8) festgestellt wer-
den, ob eine Innen- oder Mittelohrschwerhærigkeit vorliegt. Beim Weber-
Versuch wird die schwingende Stimmgabel auf die Schådelmitte aufgesetzt.
Bei normalem Hærvermægen wird der Ton in der Kopfmitte wahrgenom-
men. Eine Lateralisierung zum schlechter hærenden Ohr spricht fçr eine
Schallleitungsschwerhærigkeit (Weber negativ), wåhrend bei einer Innen-
ohrschwerhærigkeit die Lateralisation zum besser hærenden Ohr erfolgt
(Weber positiv). Bei einer symmetrischen Schallleitungsschwerhærigkeit
und bei einer symmetrischen Schallempfindungsschwerhærigkeit wird der
36 z K. Traufeller

Abb. 3.8. Stimmgabelversuche nach Weber und Rinne (aus Berlit 1998)

Stimmgabelton mittig gehært. Die weitere Differenzierung einer Schwerhæ-


rigkeit erfolgt mit dem Stimmgabelversuch nach Rinne. Beim Rinne-Ver-
such wird die schwingende Stimmgabel zunåchst auf das Mastoid auf-
gesetzt (Knochenleitung), bis der Ton ausklingt. Zur Prçfung der Luftlei-
tung wird die Stimmgabel gleich im Anschluss vor das Ohr gehalten. Im
Falle einer Mittelohrschwerhærigkeit wird der Ton weiterhin nicht mehr
gehært (Knochenleitung besser als Luftleitung: Rinne negativ). Bei einer In-
nenohrschwerhærigkeit ist der Ton wieder hærbar (Luftleitung besser als
Knochenleitung: Rinne positiv). Auch bei normalem Gehær wird der Ton
çber Luftleitung långer und lauter als çber Knochenleitung gehært (Rinne
positiv).
Bei einer kombinierten Schallleitungs- und Schallempfindungsschwerhæ-
rigkeit sind die Stimmgabeluntersuchungen nicht oder nur bedingt aus-
sagekråftig, da sich die Befunde çberlappen.
3 Hirnnerven z 37

z Hærstærungen
Die Mittelohr- oder Schallleitungsschwerhærigkeit wird durch Prozesse im
åuûeren Gehærgang und noch håufiger im Bereich des Mittelohres (z. B.
Otitis media, Defekte des Trommelfells, Otosklerose) bedingt.
Eine Innenohr- oder Schallempfindungsschwerhærigkeit wird durch eine
Schådigung des Innenohres, des N. cochlearis bzw. seiner zentralen Verbin-
dungen hervorgerufen. Ursachen sind neben dem Akustikusneurinom Me-
ningitiden, toxische Substanzen (z. B. Aminoglykoside, Salizylsåure, Strepto-
mycin, Cisplatin, Schleifendiuretika etc.), Traumata oder Lårmschådigung.
Reizerscheinungen im Sinne eines Tinnitus kænnen vaskulår bedingt
sein, z. B. bei einer Stenose der Arteria carotis interna oder bei einer AV-
Malformation (pulsatiler Tinnitus). Als Begleitsymptom von Hærstærungen
treten sie håufig im Rahmen von Innenohrerkrankungen auf.

z Klinische Untersuchung des Gleichgewichtssinns


Funktionsstærungen des N. vestibularis bzw. des Vestibularorgans åuûern
sich subjektiv durch gerichteten Schwindel (Dreh-, Schwank-, Liftschwin-
del) mit Ûbelkeit (und Erbrechen). Es kann sich um einen Dauerschwindel,
einen anfallsartig spontan auftretenden Schwindel oder um einen lageab-
hångigen Schwindel handeln. Bei der Gleichgewichtsuntersuchung wird
u. a. nach einem Nystagmus gesucht. Ein Nystagmus stellt eine rhythmi-
sche, unwillkçrliche Bewegung der Bulbi dar. Je nach Richtung dieser Be-
wegung sind ein horizontaler, vertikaler, rotatorischer Nystagmus und ein
Nystagmus obliquus zu unterscheiden. Der alternierende Nystagmus wech-
selt von Zeit zu Zeit seine Richtung. Bei einem dissoziierten Nystagmus
vollziehen sich die rhythmischen Bewegungen an beiden Augen unter-
schiedlich oder nur ein Auge ist betroffen. Aufgrund der Art der aufeinan-
der folgenden Bewegungsausschlåge ist ein Pendelnystagmus von einem
Rucknystagmus zu differenzieren. Bei einem stets horizontalen Pendelnys-
tagmus schwingen die Bulbi in jede Richtung mit gleicher Geschwindigkeit
um die Mittellage, wåhrend ein Rucknystagmus eine langsame und eine
schnelle Komponente, nach der er beschrieben wird, erkennen låsst. Zur
Nystagmusprçfung ist die Verwendung einer Frenzel-Brille unerlåsslich. Sie
verhindert ein Unterdrçcken des Nystagmus durch Fixation.
Bei der Untersuchung ist zunåchst darauf zu achten, ob ein Spontannystag-
mus (bei Blick in die Ferne sowie beim Fixieren von Gegenstånden) bzw. ein
Provokationsnystagmus (s. u.) vorliegt. Der Blickrichtungsnystagmus ist wåh-
rend spontaner Blickbewegung oder Folgebewegungen in die Hauptrichtun-
gen zu beurteilen. Von dieser pathologischen Nystagmusform ist der bei ex-
tremer seitlicher Blickwendung bei vielen Gesunden auftretende horizontale
Endstellnystagmus zu unterscheiden. Ein muskelparetischer Nystagmus, be-
dingt durch Augenmuskelparesen, entsteht bei dem Versuch, in die Richtung
zu blicken, in die der gelåhmte Muskel den Bulbus bewegen sollte.
38 z K. Traufeller

Als Provokationsnystagmus werden alle jene Formen bezeichnet, die durch


Schçtteln, besondere Lagerung des Kopfes, durch Drehbewegungen oder
durch thermische Reize des Labyrinths auszulæsen sind. Ein pathologischer
Lagerungsnystagmus kann provoziert werden durch rasches Hinlegen und
Aufrichten, ein Lagenystagmus durch eine bestimmte Lage, die langsam ein-
genommen wird. Die Untersuchung des physiologischen optokinetischen
Nystagmus erfolgt mittels einer schwarz-weiû-gestreiften Drehtrommel. Der
Patient soll seine Aufmerksamkeit auf die Streifen richten. Dabei ist zu beob-
achten, wie die Bulbi mit der langsamen Phase des Nystagmus dem jeweils
vorbeiziehenden Objekt folgen und dann mit der schnellen Phase zum nåch-
sten Objekt zurçckspringen.

z Gleichgewichtsstærungen
Irritationen des Vestibularapparats mit seinen zentralen Verbindungen be-
dingen vor allem einen Drehschwindel, wodurch Unsicherheit im Gehen
und Stehen mit Fallneigung entsteht. Es kænnen Ûbelkeit, Brechreiz, Erbre-
chen und evtl. Schweiûausbruch und Blåsse hinzukommen. Objektiv findet
sich meist ein Nystagmus.
Im Rahmen von Intoxikationen (z. B. Carbamazepin-Ûberdosierung, Al-
koholintoxikation) ist klinisch der Nystagmus neben anderen Symptomen
einer zerebellåren Ataxie zu beobachten. Zu den Kardinalsymptomen einer
Wernicke-Enzephalopathie zåhlt ein horizontaler, seltener ein vertikaler
Blickrichtungsnystagmus.
Ein reproduzierbarer erschæpflicher seitenkonstanter Nystagmus nach
Kopfschçtteln oder Aufrichten nach Kopftieflage entspricht in der Regel ei-
nem gelockerten Spontannystagmus nach långer zurçckliegender periphe-
rer vestibulårer Schådigung. Im Rahmen der zentralen Kompensationsvor-
gånge wird der Nystagmus zunehmend unterdrçckt. Beim benignen peri-
pheren paroxysmalen Lagerungsnystagmus tritt nach dem Hinlegen vom
Sitzen zur Seitenlage (mit leicht nach hinten geneigtem Kopf) mit wenigen
Sekunden Latenz nach Lageånderung ein rotatorischer Nystagmus zum un-
ten liegenden Ohr auf, der von heftigem Schwindel begleitet ist. Der Nys-
tagmus erlischt meistens nach ca. 10 bis 30 Sekunden. Beim Aufrichten
zum Sitzen folgt ein gegenlåufiger schwåcherer Nystagmus.
Patienten mit einem akuten Vestibularisausfall (Neuropathia vestibularis)
klagen çber Drehschwindel, der von Fallneigung zur betroffenen Seite so-
wie Ûbelkeit und Erbrechen begleitet ist. Die Patienten sind meistens nicht
in der Lage zu stehen oder zu gehen. Klinisch bieten sie unter anderem ei-
nen lebhaften horizontalen und rotierenden Spontannystagmus zur Gegen-
seite sowie eine konstante Seitenabweichung im Unterberger-Tretversuch.
Beim M. Meni re bestehen wåhrend des anfallsweise auftretenden
Schwindels neben einem lebhaften horizontalen Spontannystagmus, meist
mit rotierender Komponente, Ûbelkeit, Erbrechen, einhergehend mit Hær-
minderung, Tinnitus und Druckgefçhl im betroffenen Ohr.
3 Hirnnerven z 39

Eine Labyrinthfistel bei chronischer Otitis media oder bei Cholesteatom


fçhrt zu Drehschwindelattacken, charakteristischerweise bei schnellen Kopf-
bewegungen, beim Schneuzen sowie bei Druck auf den Gehærgang. Klinisch
bestehen ein Spontannystagmus wechselnder Richtung, ein Nystagmus bei
Lagerung auf das erkrankte Ohr, ein positives ¹Fistelsymptomª oder ein Tul-
lio-Phånomen. Das ¹Fistelsymptomª kann durch Ausçbung von Druck und
Sog im åuûeren Gehærgang mit einem Politzer-Ball ausgelæst werden. Bei
Druck entsteht ein Nystagmus zur kranken Seite und bei Sog zur Gegenseite.
Geråuschinduziert kann bei den Betroffenen eine Auslenkung beider Augen
unterschiedlichen Ausmaûes nach oben auftreten (Tullio-Phånomen).
Ein horizontaler oder vertikaler Nystagmus, meist zum oben liegenden
Ohr, tritt beim zentralen Lagenystagmus ohne Latenz auf mit einer Dauer
von mehr als einer Minute.

N. glossopharyngeus (N. IX) / N. vagus (N. X)

z Anatomische Grundlagen
Der N. glossopharyngeus verlåsst zusammen mit dem N. vagus und dem
N. accessorius den Schådel durch das Foramen jugulare. Er enthålt neben
motorischen auch sensible, sekretorische und sensorische Fasern. Nach
dem Durchtritt durch die Schådelbasis zieht der Nerv zwischen A. carotis
interna und V. jugularis interna zum M. stylopharyngeus. Auf seinem Weg
zur Zungenwurzel, zur Schleimhaut des Schlundes, den Tonsillen sowie
dem hinteren Drittel der Zunge gibt er den N. tympanicus, den R. stylo-
pharyngeus, die Rr. pharyngei, den R. sinus caroticus sowie die Rr. lingua-
les ab. Der N. glossopharyngeus fçhrt parasympathische Fasern fçr die
Glandula parotis, die Drçsen der Wangenschleimhaut, die Zungendrçsen
sowie fçr die Schleimhautdrçsen des Schlundes und der Paukenhæhle.
Der N. vagus kann aus anatomischer Sicht in einen intrazerebralen und
einen extrazerebralen Abschnitt unterteilt werden. Extrazerebral gibt der
Nerv auf seinem Weg zur Bauchhæhle mehrere Øste ab (R. meningeus, R.
auricularis, N. laryngeus superior, N. laryngeus recurrens, Rr. cardiaci cer-
vicales superiores, Rr. cardiaci thoracici, Rr. bronchiales, Rr. gastrici ante-
riores et posteriores, Rr. hepatici, Rr. coeliaci und Rr. renales).

z Klinische Untersuchung und pathologische Befunde


Der Wçrgreflex wird durch Berçhren der Rachenhinterwand beidseits oder
der Tonsillengegend mit einem Wattetupfer geprçft. Auûerdem wird die In-
nervation des Pharynx, der Gaumensegel und der Uvula beim Phonieren
(¹aª) beurteilt. Bei einer einseitigen Låsion des N. vagus hångt das Gau-
mensegel gelåhmt auf der erkrankten Seite herab und hebt sich nicht beim
Phonieren, sondern wird beim Schlucken, Wçrgen oder Phonieren zur ge-
sunden Seite verzogen (¹Kulissenphånomenª).
40 z K. Traufeller

Ferner ist auf Sprechstærungen (Heiserkeit), Regurgitation von Flçssig-


keit durch die Nase und Schluckstærungen zu achten. Ûber eine Regurgita-
tion berichtet der Patient bei doppelseitiger Gaumensegellåhmung. Die
Stimme ist dabei nasal und das Husten erschwert. Bei einseitiger Låhmung
des N. recurrens (Endast des N. vagus) besteht Heiserkeit, bei doppelseiti-
ger Parese Aphonie mit obstruktiver Dyspnoe.
Intrakranielle Ursachen einer Vagusschådigung kænnen z. B. Tumoren,
Blutungen, Meningitiden oder eine multiple Sklerose sein. Peripher fçhren
Traumen, Tumoren, spondylogener Abszess oder ein Aortenaneurysma
zum Syndrom einer Vaguslåsion.

N. accessorius (N. XI)

z Anatomische Grundlagen
Der N. accessorius ist kein typischer Hirnnerv, da er zwei Wurzeln (Radi-
ces craniales und Radices spinales) hat und die meisten seiner Wurzelfa-
sern aus dem Halsmark entspringen. Da sein Kerngebiet nicht im Vorder-
horn des Rçckenmarks liegt, ist er auch kein typischer Spinalnerv. Der
Nerv bildet eine kraniale und eine spinale Fasergruppe. Den oberen Anteil,
der seinen Ursprung im gleichen Kerngebiet wie der N. vagus nimmt,
wçrde man besser als Bestandteil des N. vagus ansehen (Accessorius vagi).
Die spinale Fasergruppe besteht aus sechs bis sieben Wurzelbçndeln, die
aus dem Halsmark austreten und sich im Wirbelkanal zu einem Stamm
(Accessorius spinalis) vereinigen, der durch das Foramen occipitale mag-
num in den Schådel eintritt, mit dem Accessorius vagi vereint durch das
Foramen jugulare wieder austritt und sich nach seinem Austritt aus der
Schådelhæhle in seine zwei Endåste, R. internus und R. externus, teilt.

z Klinische Untersuchung und pathologische Befunde


Bei der klinischen Prçfung des N. accessorius ist zu berçcksichtigen, dass
der M. trapezius zusåtzlich aus dem 3. und 4. Zervikalnerv innerviert wird.
Bei einer isolierten Akzessoriuslåsion bleibt der obere Anteil des Muskels
intakt. Infolge individueller Variationen kann gelegentlich auch der obere
Trapeziusanteil betroffen sein.
Klinisch wird die Funktion des M. sternocleidomastoideus und des M.
trapezius çberprçft, indem der zu Untersuchende gegen den Widerstand
des Untersuchers die Schulter hebt; gleichzeitig wird der obere Trapezius-
rand palpiert und die Trophik sowie der Tonus werden beurteilt. Ferner
wird gegen den Widerstand des Untersuchers der Kopf horizontal zur Seite
gedreht, dabei werden Tonus und Trophik des M. sternocleidomastoideus
auf der Gegenseite der Bewegungsrichtung palpiert.
3 Hirnnerven z 41

Ein Atrophie des M. sternocleidomastoideus ist klinisch einfach zu er-


kennen. Die Kontur des Muskels am Hals tritt zurçck. Der Patient kann
den Kopf nur mçhsam zur Gegenseite drehen. Die Parese des M. trapezius
fçhrt zum Absinken und zur Seitwårtsverlagerung der Schulter auf der be-
troffenen Seite, wobei die Scapula nach auûen und unten sinkt und der
mediale Rand absteht. Die Betroffenen klagen meist çber ein Schweregefçhl
im Arm und çber Schwierigkeiten beim Heben des Armes çber die Hori-
zontale. Sensible Ausfålle treten nicht auf, da der spinale Anteil des Nervs
rein motorisch ist.
Håufigste Ursachen peripherer extrakranieller Låsionen des N. accessori-
us sind Låsionen im Rahmen operativer Eingriffe (z. B. Lymphknotenexstir-
pationen) im Bereich des seitlichen Halsdreiecks. Drucklåhmungen bei in-
traoperativer Lagerung des Patienten sowie Bestrahlungen des seitlichen
Halsdreiecks kommen ebenfalls als Ursache in Betracht.

N. hypoglossus (N. XII)

z Anatomische Grundlagen
Das Kerngebiet des N. hypoglossus befindet sich im unteren Drittel der
Medulla oblongata. Der Nerv tritt mit 10±15 Wurzelfåden aus der Medulla
aus, verlåsst die Schådelhæhle durch den Canalis hypoglossi und verlåuft
zunåchst hinter dem N. vagus und der A. carotis interna. Er kreuzt dann
in einem Bogen die A. carotis externa. Ûber die Auûenflåche des M. hy-
oglossus dahinziehend, verschwindet der Nerv am hinteren Rand des M.
mylohyoideus aus der Halsregion, um die Mundhæhle zu erreichen und få-
cherfærmig in die Zungenmuskulatur einzustrahlen.

z Klinische Untersuchung und pathologische Befunde


Die Untersuchung des N. hypoglossus erfolgt, in dem der Patient aufgefor-
dert wird, die Zunge gerade herauszustrecken und sie rasch hin und her
zu bewegen. Bei einseitiger Låhmung weicht die Zunge beim Herausstre-
cken zur kranken Seite ab, da der intakte M. genioglossus der Gegenseite
die Zunge nach vorn schiebt (Abb. 3.9). Seitwårtsbewegungen der Zunge
nach der gelåhmten Seite sind nicht bzw. nur unvollståndig mæglich. Die
Sprache ist kaum beeintråchtigt. Das Kauen bereitet Schwierigkeiten, da
die Speisen nur mit Mçhe von einer Seite zur anderen transportiert werden
kænnen. Bei nukleåren und infranukleåren Stærungen bestehen eine Zun-
genatrophie (auf der betroffenen Seite ist die Zungenhålfte schmaler und
gefåltelter als auf der Gegenseite) und Faszikulationen. Nach Faszikulatio-
nen wird geschaut, wenn die Zunge entspannt in der Mundhæhle liegt. Bei
doppelseitiger Parese besteht eine schwere Behinderung, da die Zunge
42 z K. Traufeller

Abb. 3.9. Hypoglossuslåsion links (aus Berlit 1998)

beim Essen nicht oder nur geringfçgig nach vorn geschoben werden kann
und erhebliche Artikulationsstærungen bestehen.
Eine periphere Schådigung des N. hypoglossus hat eine einseitige Låh-
mung zur Folge. Ursachen kænnen z. B. eine Schådelbasisfraktur, ein Aneu-
rysma oder ein Tumor sein. Der Nerv ist ferner in seinem Verlauf im Be-
reich des Halses z. B. durch eine Dissektion der A. carotis interna sowie bei
einer Thrombendarteriektomie gefåhrdet. Eine Låsion im Kerngebiet des
Nervs fçhrt zumeist zu einer bilateralen Parese, da die Kerngebiete dicht
beieinander liegen. Die amyotrophe Lateralsklerose, die Syringobulbie oder
vaskulåre Prozesse kommen als Ursache in Betracht.
Die Geschmacksqualitåten sçû, sauer, salzig und bitter werden çber ver-
schiedene Typen von Geschmacksknospen vermittelt. Die Verteilung der
Geschmacksknospen auf der Zunge ist in Abbildung 3.10 dargestellt. Die
Geschmackswahrnehmung im Bereich der beiden vorderen Drittel der Zun-
ge erfolgt çber die Chorda tympani, die zunåchst mit dem N. lingualis (N.
trigeminus) und nachfolgend mit dem Intermediusanteil des N. facialis ver-
låuft. Die afferente Leitung von Geschmacksreizen vom hinteren Zungen-
drittel wird çber den N. glossopharyngeus vermittelt.
Klinisch wird der Geschmack seitengetrennt mit Læsungen, z. B. aus Zu-
cker, Salz, Chinin und Zitronensåure, geprçft. Dazu wird mit einem mit
der jeweiligen Læsung angefeuchteten Wattetupfer der Rand der weit he-
rausgestreckten Zunge bestrichen und der Patient zeigt auf einem vor ihm
liegenden Blatt auf die dort niedergeschriebenen Qualitåten ¹sçûª, ¹salzigª,

Abb. 3.10. Geschmacksinnervation


(aus Berlit 1998)
3 Hirnnerven z 43

¹bitterª oder ¹sauerª. Es ist zu beachten, dass die einzelnen Qualitåten un-
terschiedlich lokalisiert sind, z. B. ¹sçûª eher im vorderen Zungenbereich
(Abb. 3.10). Ob dies die Grundlage dafçr ist, dass Kçsse sçû schmecken,
muss offen bleiben. Zwischen den verschiedenen Testlæsungen wird der
Mund ausgespçlt.
Ursachen von Geschmacksstærungen (Ageusie bzw. Hypogeusie) kænnen
starkes Rauchen, Mundtrockenheit ± im Rahmen eines Sjægren-Syndroms
oder bedingt durch trizyklische Antidepressiva ± Speichelhyperviskositåt,
Virusinfektionen, Medikamente (z. B. Penicillin, Vincristin etc.), entspre-
chende Hirnnervenlåsionen, Vitamin-A- oder -B-Mangel und oropharyn-
geale Karzinome sein.

Alternierende Hirnstammsyndrome

Die wichtigste anatomische und physiologische Besonderheit des Hirn-


stamms besteht darin, dass in diesem Teil des Gehirns sehr viele funktional
wichtige Strukturen auf engstem Raum beieinander liegen. Dies fçhrt dazu,
dass bei lediglich wenige Millimeter voneinander entfernten Låsionen kli-
nisch unterschiedliche Symptomkomplexe entstehen kænnen.
Pathognomonisch fçr Hirnstammlåsionen sind alternierende Syndrome.
Diese åuûern sich in Form ipsilateraler Ausfålle der im Hirnstamm lokali-
sierten Kerne der Hirnnerven III±XII in Kombination mit einer durch Lå-
sionen der unterhalb der Hirnnervenkerne kreuzenden Pyramidenbahn
und/oder Sensibilitåtsbahnen entstehenden kontralateralen Hemiparese
und/oder Hemihypåsthesie. Der Terminus ¹alternierendes Syndromª ist seit
Mitte des neunzehnten Jahrhunderts bekannt. In einer im Jahr 1856 er-
schienenen Arbeit des franzæsischen Neurologen Adolphe Gubler
(1821±1897) wurden insgesamt sechs Patienten mit einer identischen, spå-
ter Millard-Gubler-Syndrom genannten gekreuzten Symptomatik in Form
einer ipsilateral zum Herd lokalisierten peripheren Fazialisparese und kon-
tralateralen Hemiparese beschrieben. Gubler bezeichnete diese Parese als
¹hemiplegie alterneª.
Die Bedeutung dieser im neunzehnten und frçhen zwanzigsten Jahrhun-
dert erstmals beschriebenen und nach ihren Erstbeschreibern genannten
alternierenden Hirnstammsyndrome besteht darin, dass sie dem Kliniker
die Mæglichkeit geben, aufgrund der genauen Kenntnis der anatomischen
Lage der Hirnnervenkerne die Hirnstammlåsionen exakt zu lokalisieren.
Trotz hochdifferenzierter technischer Untersuchungsmethoden sind auch
fçr die auf bildgebende Verfahren orientierten modernen Neurologen
Kenntnisse der klassischen Hirnstammsyndrome und die Bestimmung der
genauen Lokalisation der Hirnstammlåsionen nach klinischen Kriterien
nicht weniger wichtig als fçr unsere ¹neurologischen Vorfahrenª. Dieses
Wissen wird auch gebraucht, um dem Neuroradiologen mitteilen zu kæn-
nen, wo das Gehirn mit dçnnen Schnitten kernspintomographisch unter-
44 z K. Traufeller

Tabelle 3.1. Alternierende Medulla-oblongata-Syndrome


Syndrom Symptomatik Lokalisation
ipsilateral kontralateral
z Wallenberg Horner-Syndrom, Gau- dissoziierte kaudal dorsolateral
mensegel-, Larynx- Sensibilitåtsstærung
und Pharynxparese,
Trigeminusausfall
(Sensibilitåt), zerebellå-
res Hemisyndrom
z Babinski-Nageotte Horner-Sydrom, Gau- Hemiparese, lateral und intermedio-
mensegel-, Larynx- dissoziierte lateral
und Pharynxparese, Sensibilitåtsstærung
Trigeminusausfall (Sen-
sibilitåt), zerebellåres
Hemisyndrom
z Cestan-Chenais Horner-Syndrom, Hemiparese, lateral und intermedio-
Gaumensegel-, Hemihypåsthesie lateral
Larynx- und
Pharynxparese,
Trigeminusausfall
(Sensibilitåt)
z Jackson Zungenparese Hemiparese medial
z Avellis Larynx- und Hemiparese, lateral und intermedio-
Pharynxparese Hemihypåsthesie lateral
z Spiller-Dejerine Zungenlåhmung Hemiparese, medial
Hemihypåsthesie
z Tapia Larynx- und Hemiparese lateral und intermedio-
Pharynxparese, lateral
Zungenlåhmung
z Reinhold Horner-Syndrom, Hemiparese, hemimedullår
Gaumensegel-, Larynx- Hemihypåsthesie
und Pharynxparese,
Zungenlåhmung,
Trigeminusausfall
(Sensibilitåt),
zerebellåres
Hemisyndrom

sucht werden sollte. Weiterhin ist dieses Wissen notwendig, um die tatsåch-
lich fçr die klinische Symptomatik verantwortliche, mit der bildgebenden
Diagnostik nicht immer darstellbare Hirnstammlåsion von anderen kern-
spintomographisch dargestellten, klinisch jedoch stummen Herden zu dif-
ferenzieren.
3 Hirnnerven z 45

Tabelle 3.2. Alternierende Pons-Syndrome


Syndrom Symptomatik Lokalisation
ipsilateral kontralateral
z Millard-Gubler periphere Hemiparese, laterales Tegmentum,
Fazialisparese evtl. Hemihypåsthesie Basis pontis
z Foville horizontale Blickparese Hemiparese intermediolaterales
zur Seite der Låsion, Tegmentum, Basis
periphere Fazialisparese pontis
z Brissaud-Sicard fazialer Hemispasmus, Hemiparese laterobasale Pons-
evtl. periphere Fazia- abschnitte in der Nå-
lisparese he der Fazialiswurzel
und die Pyramiden-
bahn in der Basis
pontis
z Raymond Abduzensparese Hemiparese basale Ponsabschnitte
im Bereich der Abdu-
zenswurzel und die
Pyramidenbahn in der
Basis pontis
z Raymond-Cestan internukleåre Ophthal- Hemiparese, mediales Tegmentum
moplegie, evtl. Ataxie, Hemihypåsthesie und Basis pontis, bei
Asynergie, Dysmetrie evtl. zerebellårer
und athetoseartige Symptomatik und
Bewegungen Athetose auch laterale
Tegmentum-Abschnit-
te (Tractus spinocere-
bellaris anterior und
rubrospinalis)
z Gasperini Sensibilitåtsausfall im Hemiparese und/oder mediales und laterales
Gesicht, Abduzens- Hemihypåsthesie Tegmentum, Basis
parese, periphere Fazia- pontis
lisparese, Hypakusis
z Grenet Sensibilitåtsausfall im Hypåsthesie laterales (Tractus spi-
Gesicht der Kærperseite nalis N. trigemini)
und mediales (Lem-
niscus medialis) Teg-
mentum, Basis pontis

Eine genaue Ûberprçfung der klinischen und anatomischen Grundlagen


von insgesamt mehr als 20 in der Literatur erwåhnten mutmaûlichen alter-
nierenden Hirnstammsyndromen beståtigt die Existenz mancher dieser
Syndrome (wie z. B. die ¹alternierendenª Varianten der Syndrome von
Schmidt und Vernet) nicht. In den Tabellen 3.1±3.3 werden die gesicherten
46 z K. Traufeller

Tabelle 3.3. Alternierende Mesenzephalon-Syndrome


Syndrom Symptomatik Lokalisation
ipsilateral kontralateral
z Weber Okulomotoriusparese Hemiparese Okulomotoriusfasern
und Pyramidenbahn
im Crus-cerebri-
Bereich
z Benedikt Okulomotoriusparese extrapyramidale Okulomotoriusfaszikel,
Hemihyperkinese vorwiegend kaudale
(Choreoathetose, und obere Anteile des
Tremor) Nucleus ruber und
Tractus rubrospinalis
z Claude Okulomotoriusparese Hemiataxie Okulomotoriusfaszikel
(zerebellåres und medialer Nucleus
Hemisyndrom) ruber im paramedia-
nen Mesenzephalon
sowie Pedunculus
cerebellaris superior

alternierenden Hirnstammsyndrome dargestellt, wie sie aufgrund der his-


torischen Erstbeschreibungen und der spåteren Fallanalysen definiert wer-
den konnten.

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4 Das motorische System
M. E. Kornhuber

Die Untersuchung des motorischen Systems umfasst die Inspektion des


Muskelreliefs, die Palpation der Muskelkonsistenz, die Abschåtzung der
Muskelkraft, die Untersuchung des Muskeltonus, die Untersuchung von Ei-
gen- und Fremdreflexen sowie die Beobachtung motorischer Reiz- bzw.
Enthemmungssymptome.

Muskeltrophik

Bei Inspektion der Muskulatur am (teil)entkleideten Patienten ist auf die


Ausprågung des Muskelreliefs zu achten, insbesondere im Seitenvergleich.
Håufige Konstellationen sind distal betonte Atrophien der kleinen Hand-
muskulatur und der Fuûbinnenmuskulatur (Hohlfçûe) bei Polyneuro-
pathien (seltener bei distalen Myopathien). Davon abzugrenzen sind Mono-
neuropathien, etwa die Druckparese des N. ulnaris in seinem Sulcus am El-
lenbogen (Abb. 4.1). Sind die Unterschenkelmuskeln ebenfalls atrophisch
bei normal ausgeprågter Oberschenkelmuskulatur, erinnert das Muster an
eine ¹umgekehrte Sektflascheª oder an ¹Storchenbeineª. Proximale Myatro-
phien (¹Gliedergçrtelsyndromª) finden sich in der Regel bei Myopathien
oder spinalen Muskelatrophien: Schultergçrtelatrophie mit Scapula alata,
vermehrte Lendenlordose, beidseitiges Trendelenburg-Hinken (Abb. 4.2),
Aufrichten aus Rçckenlage ohne Arme erschwert oder unmæglich, Unfåhig-
keit, sich aus der Hocke aufzurichten. Eine Muskelatrophie muss nicht un-
bedingt mit einer Parese (s.u.) einhergehen. Wie bei den meisten Organsys-
temen gibt es Kompensationsmæglichkeiten. So kann z. B. eine neurogene
oder myogene Abnahme der Muskelmasse von z. B. 30% meist voll kom-
pensiert werden, etwa çber eine vermehrte Entladungsrate der motorischen
Einheiten bei einer Neuropathie (motorische Einheit bedeutet die funktio-
nelle Einheit einer motorischen Vorderhornzelle mit ihrem Neuriten und
den zugehærigen Muskelfasern) oder çber eine vermehrte (vorzeitige) Re-
krutierung motorischer Einheiten bei einer Myopathie. Sowohl bei neuro-
genen als auch bei myogenen Prozessen kann es zur vorzeitigen Er-
schæpfbarkeit kommen.
Die Palpation der Muskulatur gibt Aufschluss çber die Muskelkonsistenz.
Weiche, schlaffe Muskulatur kann z. B. bei akuter neurogener Parese oder
4 Das motorische System z 49

Abb. 4.1. Ulnarisparese. a Bei Parese der Daumenadduktion wird kompensatorisch çber den M.
flexor pollicis longus das Daumenendglied vermehrt gebeugt (Froment-Zeichen). b Das spatium
interosseum I/II fållt als Folge der Atrophie der Daumenadduktoren ein. Ferner kommt es zu ei-
ner leichten Flexionsstellung der Finger V und IV (¹Krallenhandª). c Bei entsprechender Beweg-
lichkeit des Daumengrundgelenks kommt es zur Extensionsstellung des Daumens (Jeanne-Zei-
chen) (aus Berlit 1998)

auch bei långer bestehender fettiger Degeneration (Myopathie und Neuro-


pathie) beobachtet werden, feste Muskulatur eher bei Myotonien. Pseudo-
hypertrophien findet man bei Myopathien (z. B. Pseudohypertrophie der
Waden bei verschiedenen Muskeldystrophien) und gelegentlich bei Neuro-
pathien (z. B. Pseudohypertrophie der Waden nach S1-Wurzellåsion). Mus-
kelatrophie kann auch durch eine verminderte Beanspruchung bedingt sein
(Inaktivitåtsatrophie). Wenn ein akut plegischer Muskel derb oder prall
elastisch palpabel ist, so ist z. B. an ein Kompartmentsyndrom zu denken
(z. B. M.-tibialis-anterior-Loge). Fçr objektive Verlaufsuntersuchungen ist es
50 z M. E. Kornhuber

Abb. 4.2. Trendelenburg-Zeichen. Links: Normalbefund. Mitte: Bei Parese der Hçftabduktoren re-
sultiert beim Einbeinstand auf dem ipsilateralen Bein ein Absinken der Hçfte nach kontralateral
(Trendelenburg-Zeichen). Rechts: Wird kompensatorisch die Kærperachse (schwungvoll) zur Seite
der Parese verlagert, so spricht man von Duchenne-Hinken (aus Berlit 1998)

unerlåsslich, die Umfånge von Wade, Oberschenkel (z. B. 15 cm oberhalb


des medialen Gelenkspaltes), Unterarm und Oberarm (jeweils maximale
Zirkumferenz bei entspannter Muskulatur) zu dokumentieren.
Die Muskelperkussion dient vor allem der Beobachtung der Muskelrela-
xation nach reflektorischer Kontraktion. Die Relaxation kann bei Myoto-
nien abnorm verzægert sein (myotone Reaktion). Es werden Stellen mit
dçnner Subcutis untersucht, z. B. Thenar, Unterarmstrecker und Zunge (via
Spatel).

Kraft

Einbuûen an Kraft kænnen lokalisatorisch von groûer Bedeutung sein. Da-


her ist es wichtig, auch auf latente, dem Patienten meist nicht bewusste Pa-
resen zu achten. So macht es einen Unterschied, ob eine Parese nur am lin-
ken Arm besteht ± und dann, je nach betroffenen Muskelgruppen bzw. Ver-
teilung eventuell zusåtzlich vorhandener sensibler Symptome, peripher
oder zentral bedingt sein kann ± oder ob z. B. zusåtzlich eine latente faziale
Parese auf derselben Seite vorliegt, was eher auf eine zentrale Låsion im
Mediastromgebiet hindeutet.
4 Das motorische System z 51

Abb. 4.3. Halteversuche. a Armhalteversuch mit vorgehaltenen, gestreckten Armen und supi-
nierten Hånden (Augen geschlossen). Bei einer latenten Armparese kommt es meist zu Pronati-
on der Hand, Flexion im Ellenbogen und geringem Absinken im Schultergelenk. Zusåtzlich kann
der Versuch mit pronierten, leicht gestreckten Hånden und Fingern durchgefçhrt werden. Im
pathologischen Fall kommt es zum Absinken von Hand und Fingern. Ferner ist auf Tremor so-
wie positive und negative Myoklonien (Asterixis) zu achten. b Eine von drei çblichen Varianten
des Beinhalteversuchs. In Rçckenlage werden die Beine in Knie- und Hçftgelenk um 908 ge-
beugt (Mingazzini-Stellung), ohne dass sie sich berçhren (Augen geschlossen). Auf der pareti-
schen Seite sinkt die Ferse ab. Alternativ kann der Versuch mit im Hçftgelenk etwa 458 ge-
beugten, im Kniegelenk gestreckten Beinen durchgefçhrt werden. Dies erfordert eine græûere
Kraft der Hçftbeuger, die gerade bei ålteren Personen oft nicht gegeben ist. Alternativ werden
in Bauchlage die Knie in stumpfem Winkel gebeugt (Barr-Stellung) (aus Berlit 1998)

z Latente Paresen
Im Gesichtsbereich spielen die Ausprågung der Nasolabialfalte im Seiten-
vergleich und das Zilienzeichen die græûte Rolle (vgl. Kapitel 3). Eine la-
tente Armparese kann sich unterschiedlich åuûern. Der Armvorhaltever-
such mit geschlossenen Augen und maximal supinierten Hånden (sowie
auch mit pronierten, gestreckten Hånden und Fingern) ist ein empfindli-
cher Test auf eine latente Armparese. Sie zeigt sich bei supinierten Hånden
in Form einer vermehrten Pronationsbewegung der Hand (Abb. 4.3), ver-
bunden mit einem Einknicken im Ellenbogengelenk oder dem Absinkens
des Armes. Seltener ist ein Anheben des Armes im Ellenbogengelenk zu
beobachten. Beim Armvorhalten mit den Handflåchen nach unten und mit
leicht gestreckten Hånden und Fingern zeigt sich z.T. ein Absinken der
paretischen Hand, teils auch ein Einknicken des Unterarms nach medial
im Ellenbogengelenk. Deutliches Absinken im Schultergelenk kommt bei
zentralen Prozessen selten vor, einerseits weil die Schultermuskulatur åhn-
52 z M. E. Kornhuber

lich wie die Stirnmuskulatur meist eine bilaterale Innervation aufweist, an-
dererseits wohl auch, weil der Schulterbereich kortikal bereits am Ûberg-
ang vom Media- zum Anteriorstromgebiet repråsentiert ist. Absinken im
Schultergelenk kommt bei einer kranialen zervikalen Myelopathie vor, auch
bei Kleinhirnlåsionen, håufiger aber im Rahmen von Myopathien (bilate-
ral), bei peripheren Låsionen (radikulår, Plexus zervicobrachialis) und bei
funktionellen Stærungen.
Latente Beinparesen zeigen sich relativ zuverlåssig im Beinhalteversuch
(Abb. 4.3). Der Patient liegt auf dem Rçcken und beugt die gestreckten Bei-
ne um 458 von der Unterlage. Die Beine bzw. Fçûe dçrfen sich nicht
berçhren und die Augen sollen geschlossen sein. Oft låsst sich der Beinhal-
teversuch in dieser Form nicht durchfçhren, z. B. bei ålteren Personen oder
nach chirurgischen Eingriffen im Bauchbereich. Alternativ ist es mæglich,
die Beine jeweils um 908 im Hçft- und im Kniegelenk beugen zu lassen
(Mingazzini-Stellung), sodass die Unterschenkel parallel zur Liege stehen.
Das latent paretische Bein sinkt leicht ab. Der Beinhalteversuch kann auch
in Bauchlage durchgefçhrt werden mit im stumpfen Winkel gebeugtem
Knie (Barr-Stellung). Das latent paretische Bein sinkt ebenfalls ab.

z Manifeste Paresen
Alle Muskelgruppen werden separat und im Seitenvergleich untersucht. Die
Aufforderungen erfolgen in einer klar verståndlichen Sprache, also z. B.
¹die Ferse zum Po ziehenª statt ¹das Knie beugenª. Es zåhlt die jeweils ma-
ximal erzielte Kraft. Dabei werden nach dem British Medical Research
Counsil 5 Kraftgrade unterschieden (BMRC-Score): 5/5 ist volle Kraft, 4/5
Kraft gegen Widerstand, 3/5 Bewegung gegen die Schwerkraft, 2/5 Bewe-
gung unter Aufhebung der Schwerkraft, 1/5 Muskelkontraktion ohne Bewe-
gungseffekt, 0/5 entspricht einer kompletten Parese (Plegie). Kraftgrad 4
wird noch unterteilt in 4+, 4 und 4±, weil das Spektrum im Bereich der
Kraftentfaltung gegen Widerstand besonders groû ist. Der BMRC-Score ist
nicht linear. Bei Kraftgraden von 0/5 bis 3/5 ist die Funktionsfåhigkeit we-
niger motorischer Einheiten (s. o.) entscheidend; demgegençber macht der
Unterschied zwischen 4±/5 und 5/5 eine erhebliche Zahl von motorischen
Einheiten aus. Selbst bei voller Kraft kann bereits eine noch kompensierte
Einbuûe an Muskelmasse vorliegen (s.o.). Ferner ist zu bedenken, dass z. B.
eine Bewegung gegen die Schwerkraft im Schulter- und Hçftbereich eine
ganz andere Kraftentfaltung erfordert als im Bereich der Finger oder Ze-
hen. Bestehen lokale Schmerzen, wird die Kraft aus diesem Grund mægli-
cherweise nicht voll entfaltet. Oft kann der Patient dann aber kurzzeitig
maximale Kraft aufbauen. Ebenso kommt es vor, dass der Patient aus nicht
organisch bedingten Grçnden die Kraft nicht voll entfaltet (s. u.).
Fçr die Situation des Patienten im Alltag ist entscheidend, wie sehr der
Patient durch seine Paresen behindert ist. Kann er allein Treppen steigen,
Einkåufe erledigen, zur Toilette gehen, sich waschen, kåmmen etc.? Es emp-
fiehlt sich daher, sich diese Situationen zu vergegenwårtigen und gegebe-
4 Das motorische System z 53

Abbildungen 4.4 bis 4.42


und Legenden aus:
Zierz u. Jerusalem 2003

Abb. 4.4. M. sternocleidomastoideus, N. accessorius. Flexion und Wendung des Kopfes nach
kontralateral. Der Patient fçhrt eine horizontale Drehbewegung des Kopfes aus. Eine Hand des
Untersuchers liegt auf der Wange des Patienten und drçckt gegen die intendierte Drehbewe-
gung. Mit den Fingern der anderen Hand werden Tonus und Græûe des Muskels getastet

Abb. 4.5. M. trapezius, N. accessorius, C2±C4. Der Patient hebt die Schultern gegen den Wider-
stand des Untersuchers nach oben. Die oberen Muskelpartien sind dabei tastbar und gut zu
sehen. Die Abduktion und Elevation des Arms çber die Horizontale ist bei einer Låhmung des
M. trapezius behindert, der obere Skapulawinkel entfernt sich weiter von der Mittellinie des
Rçckens als der untere
54 z M. E. Kornhuber

Abb. 4.6. Kopf- und Halsflexoren: Mm. longi


capitis et colli, rectus capitis ant., zusåtzlich
Unterstçtzung der Beugung durch die Mm.
sternocleidomastoideus, scalenus ant., supra-
und infrahyoidei und Platysma. Der Patient
versucht den Kopf gegen den Widerstand des
Untersuchers zu beugen

Abb. 4.7. Kopf- und Nackenextensoren: Mm. splenius capitis et cervicis, semispinalis capitis et
cervicis und erector spinae (Mm. iliocostalis cervicis und longissimus cervicis). Der Patient ver-
sucht, den Kopf gegen den Widerstand des Untersuchers nach hinten zu extendieren. Die Ex-
tensoren und die Flexoren lassen sich am besten in Bauch- bzw. Rçckenlage prçfen

nenfalls die konkrete Situation in und auûerhalb der Wohnung des Patien-
ten zu dokumentieren. Die Untersuchung der verschiedenen Muskelgrup-
pen ist in den Abbildungen 4.4 bis 4.42 und den Legenden beschrieben
(aus Zierz u. Jerusalem 2003). Tabelle 4.1 enthålt eine Zuordnung der un-
tersuchten Funktionen zu Nerven und Nervenwurzeln.
4 Das motorische System z 55

Abb. 4.8. M. rhomboideus, N. dorsalis scapulae, C4±C5. Adduziert und eleviert die Skapula. Der
Patient klemmt den Unterarm des Untersuchers mæglichst fest zwischen seine nach hinten abge-
winkelten Ellenbogen ein. Mit der freien Hand tastet der Untersucher den Muskel zwischen den
Schulterblåttern. Die Kraft der Mm. rhomboidei låsst sich auch prçfen, indem der Patient seine
Hand in die Hçfte legt und den Arm gegen den Widerstand des Untersuchers nach hinten bewegt

Abb. 4.9. M. serratus ant., N. thoracicus longus,


C5±C7. Abduziert das Schulterblatt und fixiert sei-
nen medialen Rand an den Thorax. Der Patient
stemmt mit gestreckten Armen beide Hånde in
Schulterhæhe gegen eine Wand. Bei einer Serratus-
låhmung hebt sich der mediale Skapularand vom
Thorax deutlich ab (Scapula alata). Das Schulter-
blatt bewegt sich dabei nach oben und lateral,
der untere Schulterblattwinkel entfernt sich weiter
von der Mitte des Rçckens als der obere
56 z M. E. Kornhuber

Abb. 4.10. M. supraspinatus, N. suprascapularis, C4±C6. Der Patient versucht den Arm gegen
Widerstand zu abduzieren, dabei kann der Muskel palpiert werden, wenn der M. trapezius ent-
spannt ist, deshalb soll der Patient Kopf und Hals extendieren, zur prçfenden Seite neigen und
den Kopf zur Gegenseite drehen

Abb. 4.11. M. infraspinatus, N. suprascapularis, (C4), C5±C6. Auûenrotation des Oberarms. Bei
adduziertem Oberarm und rechtwinklig gebeugtem Ellenbogengelenk wird der Unterarm gegen
Widerstand nach auûen bewegt (Auûenrotation des Oberarms), gleichzeitig kann der Muskel
getastet werden. Die Mm. subscapularis und teres major (N. subscapularis, C5±C7) werden in
der gleichen Armstellung geprçft, die Bewegung des Unterarms erfolgt nach innen (Innenrotati-
on des Oberarms)
4 Das motorische System z 57

Abb. 4.12. M. latissimus dorsi, N. thoracodorsalis, C6±C8. Der Patient versucht, den bis zur Ho-
rizontalen abduzierten Oberarm gegen Widerstand zu adduzieren, der Muskel kann gleichzeitig
in der Achselhæhle getastet werden. Eine andere Testmæglichkeit besteht in Bauchlage mit ge-
strecktem, innenrotierten und zum Rçcken extendierten Arm. Der M. latissimus dorsi hat in die-
ser Stellung ebenfalls eine adduzierende Wirkung

Abb. 4.13 a, b. M. pectoralis major, Nn. pectorales med. et lat., C5±C8. a Der Patient hebt den
Oberarm çber die Horizontale und adduziert gegen Widerstand. Die klavikulåren und sternalen
Anteile des Muskels kænnen getastet werden. b Beide Arme werden nur leicht angehoben (un-
terhalb der der Horizontalen) und gegen Widerstand adduziert. Der untere, sternokostale Teil
des Muskels wird sichtbar
58 z M. E. Kornhuber

Abb. 4.14. M. deltoideus, N. axillaris, C5±C6. Der Patient hebt den seitwårts um 15±308 abdu-
zierten Arm gegen Widerstand

Abb. 4.15. M. biceps brachii, N. musculocutaneus, C5±C7. Der Patient beugt den supinierten
Unterarm gegen Widerstand. An der Beugung des Unterarms ist u. a. auch der M. brachialis
(N. musculocutaneus, C5±C6) beteiligt
4 Das motorische System z 59

Abb. 4.16 a, b. M. pronator teres, N. medianus, C6±C7, M. supinator, N. radialis, C5±C6. Bei ge-
strecktem und adduziertem Arm proniert (a) bzw. supiniert (b) der Patient gegen Widerstand
des Untersuchers, dieser fixiert mit der freien Hand den Oberarm. Der Pronator quadratus
(N. medianus, C7±Th1) wird bei komplett gebeugtem Unterarm geprçft

Abb. 4.17. M. extensor carpi radialis longus, N. radialis, (C5), C6±C7, (C8). Mit ausgestreckten
Fingern extendiert der Patient das Handgelenk gegen Widerstand. Der Muskel unterstçtzt auch
die Beugung im Ellenbogengelenk und abduziert im Handgelenk nach radial. Der M. extensor
carpi radialis brevis (N. radialis, [C5], C6±C7, [C8]) extendiert und abduziert, der M. extensor
carpi ulnaris (N. radialis, C6±C8) extendiert und abduziert nach ulnar
60 z M. E. Kornhuber

Abb. 4.18. M. extensor digitorum, N. radialis, C6±C8. Der Untersucher versucht, die Metakarpo-
phalangealgelenke II±V gegen den Widerstand des Patienten zu beugen. Der Muskel hat auch
eine leichte adduzierende Wirkung auf Zeige-, Ring- und Kleinfinger und unterstçtzt die Hand-
gelenkextension

Abb. 4.19. M. extensor pollicis brevis, N. radialis, C6±C8. Der Patient versucht, das Metakarpophal-
angealgelenk des Daumens (Grundglied) gegen den Widerstand des Untersuchers zu extendieren

Abb. 4.20. M. extensor pollicis longus, N. radialis, C6±C8. Der Untersucher versucht, das Dau-
menendglied gegen den Widerstand des Patienten zu beugen
4 Das motorische System z 61

Abb. 4.21. M. abductor pollicis longus, N. radialis, C6±C8. Der Patient versucht, den Daumen
im rechten Winkel zur Handflåche zu abduzieren. Der Muskel hat zudem eine abduzierende
und beugende Wirkung auf das Handgelenk

Abb. 4.22. M. abductor pollicis brevis, N. medianus, (C6±C7), C8±Th1. Der Patient abduziert
den Daumen im rechten Winkel zur Handflåche gegen Widerstand

Abb. 4.23. M. opponens pollicis, N. medianus, (C6±C7), C8±Th1. Der Patient legt das Daumen-
endglied auf die Kleinfingerkuppe. Der Untersucher versucht, diesen Kontakt gegen den Wider-
stand des Patienten zu læsen. Die Aktion des M. opponens pollicis ist immer begleitet von einer
Kontraktion des M. palmaris longus, seine Sehne wird am Handgelenk sichtbar
62 z M. E. Kornhuber

Abb. 4.24. M. flexor pollicis lon-


gus, N. medianus, (C6±C7),
C8±Th1. Der Untersucher versucht,
das gebeugte Daumenendglied des
Patienten gegen seinen Widerstand
zu strecken

Abb. 4.25. Mm. lumbricales I und II, N. medianus, (C6±C7), C8±Th1. Mm. lumbricales III und IV,
N. ulnaris, (C7), C8±Th1. Diese Muskeln beugen die Metakarpophalangealgelenke und strecken
die Interphalangealgelenke der Finger II±V. Bei gestrecktem Metakarpophalangealgelenk ver-
sucht der Patient, das gebeugte erste Interphalangealgelenk gegen den Widerstand des Unter-
suchers zu strecken. Der M. flexor digiti V (N. ulnaris, [C7], C8±Th1) beugt ebenfalls im Grund-
gelenk (Metakarpophalangealgelenk)

Abb. 4.26. M. flexor digitorum superficialis, N. medianus, C7±Th1. Beugt die Finger II±V in den
Mittelphalangen. Der Untersucher versucht, die gebeugten Mittelphalangen gegen den Wider-
stand des Patienten zu strecken
4 Das motorische System z 63

Abb. 4.27. M. flexor digitorum profundus I und II, N. medianus, C7±Th1; M. flexor digitorum pro-
fundus III und IV, N. ulnaris, C7±Th1. Diese Muskeln beugen die Endglieder der Finger II±V. Der
Untersucher versucht, die gebeugten Endglieder gegen den Widerstand des Patienten zu strecken

Abb. 4.28. M. flexor carpi ulnaris,


C7±Th1; M. flexor carpi radialis,
N. medianus, C6±C8. Beugen das
Handgelenk mit leichter Abdukti-
on nach ulnar bzw. nach radial.
Der Untersucher versucht, die ge-
beugte Hand gegen den Wider-
stand des Patienten zu strecken

Abb. 4.29. Mm. interossei dorsales I±IV, N. ulnaris, C8±Th1. Abduzieren die Finger II nach radial
und die Finger III und IV nach ulnar und die Mittelfinger nach beiden Seiten. Der Patient spreizt
die gestreckten Finger und der Untersucher versucht, gegen Widerstand die Finger zu adduzieren.
Abgebildet ist die Kraftprçfung fçr den M. interosseus dorsalis I, der bei Innervation im ersten In-
terphalangealraum deutlich sichtbar wird. Die Kraft der Mm. interossei dorsales kann auch gut
geprçft werden, wenn der Untersucher mit seinem Daumen und Zeigefinger die gespreizten Finger
II und III des Patienten umfasst und gegen dessen Widerstand zusammenpresst
64 z M. E. Kornhuber

Abb. 4.30. Mm. interossei palma-


res, N. ulnaris, C8±Th1. Adduzie-
ren die Finger I, II, IV und V zum
Mittelfinger. Der Patient adduziert
seine Finger II, IV und V kråftig
gegen die in seinen Interdigital-
råumen liegenden Finger des Un-
tersuchers

Abb. 4.31. M. abductor digiti V,


N. ulnaris, (C7), C8±Th1. Der Un-
tersucher versucht, den abduzier-
ten Kleinfinger gegen Widerstand
des Patienten zu adduzieren

Abb. 4.32. M. opponens digiti V,


N. ulnaris, (C7), C8±Th1. Der Pa-
tient opponiert den Kleinfinger
gegen den Widerstand des Unter-
suchers
4 Das motorische System z 65

Abb. 4.33. M. gluteus maximus, N. gluteus inf., L5±S1, S2. Hçftstrecker. In Bauchlage versucht
der Patient, das gestreckte Bein gegen den Widerstand des Untersuchers anzuheben. Die Mus-
kelkontraktion kann palpiert werden

Abb. 4.34. Mm. glutei medius und minimus, M. tensor fasciae latae, N. gluteus sup., L4±S1.
Hçftabduktion. In Rçckenlage versucht der Patient, die gestreckten Beine gegen den Widerstand
des Untersuchers zu spreizen. In Bauchlage und bei gebeugten Kniegelenken kann die auûenro-
tierende Funktion geprçft werden
66 z M. E. Kornhuber

Abb. 4.35. Kniebeuger, M. biceps femoris, M. semitendinosus, M. semimembranosus, N. ischia-


dicus, L5±S1, S2. In Bauchlage versucht der Patient, den Unterschenkel gegen den Widerstand
des Untersuchers zu beugen. Die Bizepssehne kann lateral und die des M. semitendinosus me-
dial in der Kniekehle getastet werden

Abb. 4.36. M. gastrocnemius, N. tibialis, S1±S2. Plantarflexion des Fuûes. Der Patient flektiert
den Fuû gegen den Widerstand des Untersuchers nach plantar. Der Muskel und seine Sehne
kænnen palpiert werden. Eine zuverlåssige Prçfung ist der Zehenstand
4 Das motorische System z 67

Abb. 4.37. M. tibialis post., N. tibialis, (L4),


L5±S1. Inversion (Supination) des Fuûes. Der Pa-
tient versucht, den plantarflektierten Fuû gegen
Widerstand zu invertieren (supinieren)

Abb. 4.38. M. tibialis ant., N. fibularis, L4, L5±S1.


Dorsalflexion des Fuûes im Fuûgelenk und Unter-
stçtzung der Inversion. Der Patient dorsiflektiert
den Fuû gegen den Widerstand des Unter-
suchers. Der Muskelbauch und seine distale Seh-
ne kænnen gesehen und palpiert werden
68 z M. E. Kornhuber

Abb. 4.39. Mm. peronei, N. fibularis, L4, L5±S1.


Eversion des Fuûes und Unterstçtzung der Plan-
tarflexion. Der Patient evertiert (proniert) den
plantarflektierten Fuû gegen den Widerstand des
Untersuchers

Abb. 4.40. M. extensor hallucis


longus und brevis, N. fibularis,
L4, L5±S1. Der Patient extendiert
die Groûzehe gegen den Wider-
stand des Untersuchers
4 Das motorische System z 69

Abb. 4.41. M. extensor digitorum longus, N. fibularis, L4, L5±S1. Der Patient extendiert die
Zehen gegen den Widerstand des Untersuchers

Abb. 4.42. M. extensor digitorum brevis, N. fibularis, L4, L5±S1. Der Patient extendiert die
Zehen gegen den Widerstand des Untersuchers. Der Muskelbauch kann auf dem lateralen Fuû-
rçcken gesehen und palpiert werden
70 z M. E. Kornhuber

Tabelle 4.1. Motorische Funktionen: beteiligte Muskeln und Nerven


Funktion Muskeln Nerven Nervenwurzeln
z Kieferschluss Mm. masseter, pterigoidei, temporalis N. trigeminus Radix motoria
z Kieferæffnung Mm. digastricus, mylohyoideus, N. mylohyoideus Radix motoria
sternohyoideus, sternothyroideus, (N. trigeminus)
omohyoideus, (stylohyoideus)
z Kopfbeugen M. sternocleidomastoideus bds. N. accessorius, C1 bis C4
(Zungenbeinmuskulatur) N. mylohyoideus,
Ansa cervicalis
z Kopfstrecken Mm. trapezius, splenius cervicis, N. accessorius, C1 bis C4
splenius capitis, semispinalis capitis, N. suboccipitalis,
longissimus capitis, rectus capitis Rami dorsales
major et minor 1 bis 4
z Kopfwenden Mm. sternocleidomastoideus, longis- Nn. accessorius, C1 bis C4
u. -neigen simus capitis, obliquus capitis suboccipitalis,
inferior, splenius capitis (Scaleni, thoracodorsalis
Levator scapulae: Halsneigung) (N. dorsalis
scapulae)
z Inspiration Diaphragma (Mm. scaleni, levator N. phrenicus C4
scapulae, trapezius u. a.)
z Exspiration (çberwiegend passiv) Mm. inter- Th1 bis Th12
costales, transversi thoracis,
(latissimus dorsi), Bauchmuskeln
z Schulterelevation M. levator scapulae (M. trapezius) N. dorsalis C3 bis C5
scapulae
(N. accessorius)
z Schulter- M. serratus anterior N. thoracicus C5 bis C7
anteversion longus
z Schulter- Mm. infraspinatus, teres minor, Nn. suprascapu- C4 bis C7
retroversion rhomboidei, trapezius, deltoideus laris, axillaris,
dorsalis scapulae,
accessorius
z Armauûen- Mm. infraspinatus, teres minor Nn. suprascapu- C4 bis C6
rotation laris, axillaris
z Arminnen- Mm. latissimus dorsi, teres major, Nn. thoraco- C5 bis C8
rotation subscapularis, pectoralis minor dorsalis,
(M. pectoralis major) subscapulares,
Nn. pectorales
z Armadduktion Koaktivierung der Auûen- und C4 bis C8
Innenrotation
z Armabduktion Mm. deltoideus, supraspinatus Nn. axillaris, su- C4 bis C6
(bei >908 Abduktion) prascapularis
z Armanteversion M. biceps brachii, M. deltoideus, Nn. musculo- C5, C6
M. coracobrachialis cutaneus, axillaris
z Armretroversion Mm. teres major et minor, triceps, Nn. subscapulares, C5 bis C8
latissimus dorsi, deltoideus axillaris, radialis,
thoracodorsalis
4 Das motorische System z 71

Tabelle 4.1 (Fortsetzung)


Funktion Muskeln Nerven Nervenwurzeln
z Armbeugung Mm. biceps, brachialis, Nn. musculo- C5, C6
brachioradialis, coracobrachialis cutaneus, radialis
z Armstreckung M. triceps brachi N. radialis C7 (C8)
z Handbeugung Unterarmflexoren, insbesondere Nn. medianus C7, C8
Mm. flexor carpi ulnaris et radialis, et ulnaris
flexor dig. sup. et prof.
z Handbeugung M. flexor carpi ulnaris N. ulnaris C7, C8
(ulnarwårts)
z Handpronation Mm. pronator teres, pronator N. medianus C6 bis C8
quadratus
z Handstreckung Unterarmextensoren, insbesondere N. radialis C7, C8
Mm. extensor carpi ulnaris et radialis
z Handsupination Mm. bizeps brachii, supinator Nn. musculo- C5 bis C7
cutaneus, radialis
z Fingerstreckung M. extensor digitorum manus N. radialis C7, C8
z Fingerbeugung M. flexor digitorum superficialis Nn. medianus, C7, C8
im Grundgelenk ulnaris
z Fingerbeugung M. flexor digitorum superficialis Nn. medianus, C7 bis Th1
im Mittel- Mm. lumbricales ulnaris
u. Endgelenk
z Zeigefinger- M. flexor indicis proprius N. inteross. ant. C7, C8
beugung (N. medianus)
z Daumen- Mm. extensor pollicis brevis et longus N. radialis C7, C8
streckung
z Daumen- Mm. abductor poll. brevis et longus N. medianus, C7 bis Th1
abduktion N. radialis
z Daumen- Mm. adductor pollicis, interosseus N. medianus, C7 bis Th1
adduktion dorsalis I N. ulnaris
z Daumen- Mm. opponens pollicis, abductor N. medianus C7 bis Th1
opposition pollicis brevis
z Daumenbeugung M. flexor pollicis brevis Nn. medianus, C7 bis Th1
im Mittelgelenk (caput superficiale et profundum ulnaris
z Daumenbeugung M. flexor pollicis longus N. interosseus C8, Th1
im Endgelenk anterior
(N. medianus)
z Fingerspreizen Mm. abductor digiti V, interosseus Nn. medianus, C7 bis Th1
dorsalis I, abductor pollicis brevis ulnaris, radialis
et longus, extensor digitorum,
interossei palmares
z Fingeradduktion Mm. interossei dorsales N. ulnaris C8, Th1
z Kleinfinger- M. abductor digiti V N. ulnaris C8, Th1
abduktion
z Kleinfinger- Mm. interossei dorsales IV/V N. ulnaris C8, Th1
adduktion
72 z M. E. Kornhuber

Tabelle 4.1. Motorische Funktionen: beteiligte Muskeln und Nerven


Funktion Muskeln Nerven Nervenwurzeln
z Kleinfinger- M. flexor digitorum sup. N. ulnaris C8, Th1
beugung (ulnarer Anteil)
z Kleinfinger- M. opponens digiti V N. ulnaris C8, Th1
opposition
z Rumpfbeugung Bauchmuskulatur Nn. intercostales, Th7 bis Th12
N. iliohypogastricus
z Rumpfstreckung Mm. erector spinae Rami dorsales Th1 bis S 1
z Hçftbeugung Mm. iliopsoas, sartorius, Nn. femoralis, L2 bis L4
rectus Femoris, pectineus, obturatorius
Adduktoren
z Hçftstreckung M. glutaeus maximus N. glutaeus L5 bis S2
inferior
z Beinauûen- Mm. glutaeus maximus, quadratus N. glutaeus L5 bis S1
rotation Femoris, obturatorius internus, inferior
obturatorius externus, gemelli
z Beininnen- Anteile von prox. Adduktoren Nn. obturatorius, L2 bis L5
rotation u. glutaeus medius glutaeus superior
z Beinabduktion Mm. gemelli, obturatorius internus, Nn. glutaeus L4 bis S1
piriformis, glutaeus minimus, superior et inferior
glutaeus medius, tensor fasciae latae
z Beinadduktion Adduktoren N. obturatorius L2 bis L4
z Kniebeugung Mm. biceps femoris, N. ischiadicus L5 bis S2
semimembranosus, semitendinosus
z Kniestreckung M. quadriceps femoris N. femoralis L2 bis S4
z Fuûhebung Mm. tibialis anterior, extensor N. peronaeus (L4), L5
digitorum longus, extensor hallucis
longus
z Fuûpronation Mm. peronaeus brevis et longus N. peronaeus (L4), L5
z Fuûsupination Mm. tibialis posterior, flexor N. tibialis L5
digitorum longus
z Fuûsenkung M. triceps surae N. tibialis S1, S2
z Zehenhebung, Mm. extensor dig. brevis, N. peronaeus L5 (S1)
Groûzehen- hallucis brevis, hallucis longus
hebung
z Zehenbeugung, Mm. flexor dig. brevis, flexor hall. N. tibialis S1, S2
Groûzehen- brevis, flexor hall. longus
beugung
z Groûzehen- M. abductor hallucis N. tibialis S1, S2
abduktion
z Kleinzehen- M. abductor dig. minimi N. tibialis S1, S2
abduktion
z Groûzehen- M. adductor hallucis (2 Kæpfe) N. tibialis S1, S2
adduktion
z Kleinzehen- M. inteross. dors. IV N. tibialis S1, S2
adduktion
4 Das motorische System z 73

z Belastungsabhångige Paresen
Belastungsabhångige Paresen sind ein Kardinalsymptom der Myasthenia
gravis.
Proximale Muskeln sind meist mehr betroffen als distale. Die åuûeren
Augenmuskeln sind am håufigsten und z.T. isoliert betroffen (okulåre My-
asthenie). Bei konstantem Blick nach oben und Fixation eines vorgehalte-
nen Gegenstandes (z. B. Bleistiftspitze) fçr zwei Minuten (Simpson-Test)
entwickelt sich bei okulårer Myasthenie eine Ptose (oft einseitig betont),
teils auch eine Bulbusdeviation mit Doppelbildern. In einem långeren Ge-
språch kann das Sprechen zunehmend schwerfållig und nåselnd werden,
ein Hinweis fçr die Parese der Pharynx- bzw. Zungenmuskulatur. Auf
Nachfrage wird håufig angegeben, dass Probleme beim Kauen fester Spei-
sen auftreten sowie Schluckstærungen (vitale Gefåhrdung!). Eine Betei-
ligung der Rumpf- und Extremitåtenmuskulatur ist mit der Haltezeit von
Kopf, Arm und Bein zu erfassen. Nicht so håufig sind Beinmuskeln isoliert
betroffen. Dann kann es zur belastungsabhångigen Peronåusparese kom-
men. Wenn der Patient im Fersengang, also mit extendierten Fçûen, durch
das Untersuchungszimmer geht, sinkt der paretische Fuû zunehmend ab.
Bei Verdacht auf Myasthenie sollte die Vitalkapazitåt mit einem Handspiro-
meter erfasst werden. Normwerte liegen fçr die Frau bei 2 bis 4 Litern, fçr
den Mann bei 3 bis 5 Litern. Unter einem Liter ist von einer vitalen Ge-
fåhrdung auszugehen (s. auch Besinger-Score in Kapitel 13).

z Funktionelle Paresen
Patienten mit funktionellen (somatoformen) Særungen machen einen nicht
unerheblichen Anteil der Patienten aus, sei es im Sinne der Aggravation ei-
ner organischen Krankheit, sei es im Sinne einer Fehlverarbeitung einer
abgelaufenen organischen Erkrankung oder aber im Sinne einer vollståndig
psychogenen Symptomatik. Bei den funktionellen Stærungen haben Paresen
neben Schwindel und Sensibilitåtsstærungen einen groûen Anteil. Die emp-
findlichste Untersuchung zur Aufdeckung funktioneller Paresen oder von
Gleichgewichtsstærungen ist der Gang (einschlieûlich Zehengang und Fer-
sengang), der in der Regel mit erhæhtem Kraftaufwand ein bizarres Einkni-
cken im Kniegelenk, Gehen mit supiniertem Fuû auf dem lateralen Fuûrand
oder andere Auffålligkeiten zeigt, die in kein Schema einer organischen Ge-
nese passen (siehe Kapitel 6). Bei der funktionellen Parese kann die ver-
minderte Kraft nicht gleichmåûig aufrechterhalten werden. Es resultiert ei-
ne fluktuierende Kraftentfaltung mit Nachlassen der Kraft. ¹Nachlassenª
wird daher im Befund synonym verwendet mit einer nichtorganischen Pa-
rese. Darçber hinaus werden funktionelle Låhmungen in aller Regel auch
deshalb richtig gedeutet, weil selbst der Patient, der sich medizinisches
Wissen angeeignet hat, ¹Fehlerª macht, die nicht mit der pråsentierten Pa-
rese vereinbar sind. Funktionelle Paresen sind in der Regel schlaff (¹peri-
pherª), halten sich nicht an die periphere Innervation durch Nerven, Ple-
74 z M. E. Kornhuber

xusanteile oder Wurzeln. Bei einer Beinparese hebt der Patient das Bein
mit den Hånden am Oberschenkel ins Bett, hålt aber z. B. den Unterschen-
kel und den Fuû aktiv angespannt. Bei Einzelkraftprçfung tritt dann wie-
der eine ¹schlaffeª Parese oder ein Nachlassen im zuvor angespannten Be-
reich auf. Bei einer funktionellen Armparese fållt der vom Untersucher ge-
haltene Arm nach Loslassen, mæglicherweise mit Verzægerung, herunter.
Bei organisch bedingten Paresen existiert diese Verzægerung nicht. Die Kopf-
wendung zur Seite erfordert eine Aktivierung des M. sternocleidomastoideus
der Gegenseite. Dies weiû der Patient mit funktioneller Parese in der Regel
nicht. Låsst man bei funktioneller Beinparese in Rçckenlage das gesunde
Bein heben, so spçrt man mit der Hand unter der Ferse des ¹gelåhmtenª Bei-
nes einen Druck, was bei einer organisch bedingten Parese kaum der Fall ist.
Manchmal kann es schwierig sein, z. B. zwischen schmerzbedingtem
Schonverhalten, Verdeutlichungstendenzen (Aggravation) und darçber hi-
nausgehenden psychischen Reaktionen zu unterscheiden. In dieser Situati-
on sollten Krånkungen des Patienten vermieden werden, weil sie zur Ver-
festigung psychoreaktiver Symptome beitragen kænnen.

z Fehlregeneration. Nach peripheren Nervenlåsionen, aber auch nach Låsio-


nen des zentralen Nervensystems, treten Reinnervationsphånomene bzw.
plastische Reorganisationsphånomene auf, die naturgemåû nicht immer to-
pisch exakt sein kænnen. Es treten z. B. nach Fazialisparese relativ håufig
kosmetisch und funktionell stærende Mitbewegungen (Synkinesien) auf.
Fehlaussprossung fçhrt dazu, dass z. B. beim Lidschluss die Oberlippe nach
oben oder zur Seite gezogen wird. Eine fehlerhafte kortikale Reorganisation
zentraler Låsionen ist eventuell verantwortlich fçr das Auftreten von so ge-
nannten Spiegelbewegungen nach hemisphåralen Låsionen. Dabei werden
die entsprechenden Muskelgruppen des kontralateralen Arms bei Bewegung
ipsilateral unwillkçrlich mitaktiviert.

Muskeltonus

Der Muskeltonus (Muskelwiderstand gegen passive Bewegung bzw. Dehnung)


unterliegt einer steten zentralen Kontrolle. Bei der Untersuchung des Arms
nimmt man die Finger des Patienten in die Hand und fçhrt z. B. abwechseln-
de Beuge- bzw. Streckbewegungen mit unterschiedlicher Beschleunigung im
Ellenbogengelenk aus, bei gleichzeitiger Streck- bzw. Beugebewegung im
Handgelenk. Bei der Untersuchung des Beins nimmt man den distalen Unter-
schenkel in die Hand und fçhrt abwechselnd Beuge- und Streckbewegungen
gleichzeitig in Knie- und Hçftgelenk durch. Bei peripheren Låsionen an Nerv
und Muskel nimmt der Muskeltonus ab. Bei zentralen Låsionen nimmt er teils
zu, vor allem bei retikulospinalen Låsionen, teils ab, vor allem bei Kleinhirn-
låsionen. Bei erhæhtem Muskeltonus ist zwischen Spastik, Rigor und so ge-
nanntem ¹Gegenhaltenª zu unterscheiden.
4 Das motorische System z 75

z Spastik
Die Pathophysiologie der Spastik ist bis heute nicht vollståndig verstanden,
auch wenn die Bedingungen der Entstehung im zentralen Nervensystem
evident sind. Spastik ist eine geschwindigkeitsabhångige tonische Re-
flexçberaktivitåt des Skelettmuskels auf eine passive Bewegung (Abb. 4.43).
Neben der kombinierten Låsion pyramidaler und extrapyramidaler Bahnen
werden auch reaktive Verånderungen im Muskel als Teilursache der Spastik
angesehen. Eine Spastik benætigt nach einer akuten Låsion im zentralen
Nervensysem i. d. R. Tage bis Wochen, um sich zu entwickeln. Isolierte Py-
ramidenbahnlåsionen (sehr seltenes Ereignis) kænnen eine Hyperreflexie
ohne begleitende Spastik verursachen (z. B. Sherman et al. 2000). Eine
Spastik ist also nicht in jedem Fall einer Pyramidenbahnlåsion vorhanden.
Latente Spastik an den Beinen kann man erfassen, wenn man am Patien-
ten in Rçckenlage das ausgestreckte, entspannte Bein unter dem Kniegelenk
ruckartig anhebt. Die Spastik fçhrt dazu, dass das Bein einen Streckimpuls
erfåhrt, sodass die Ferse von der Unterlage abgehoben wird. Ein sehr emp-
findliches (aber nicht spezifisches) Zeichen fçr eine latente Spastik ist ver-
mindertes Abfedern beim Einbeinhçpfen. Latente Spastik (aber auch Rigor)
kann man mit dem Armpendeltest erfassen. Die Schultern des entspannten,
stehenden Patienten werden mit den Hånden des Untersuchers durch
gleichzeitige alternierende Impulse nach vorne und hinten bewegt. Norma-
lerweise resultiert ein lockeres seitengleiches Pendeln der Arme. Bei laten-
ter Spastik tritt eine ellipsoide Pendelbewegung auf. Entsprechend låsst
sich eine latente Spastik der Beine auch im Beinpendeltest erfassen. Der

Abb. 4.43. Muskeltonus: Spastik, Rigor, Zahnradphånomen. Es ist der Widerstand aufgetragen,
den die Muskelgruppen einer Gliedmaûe bei passiver Bewegung im zeitlichen Verlauf entgegen-
setzen, also z. B. die Oberarmbeuger bei passiver Beugung im Ellenbogengelenk. Bei Vorliegen
einer Spastik (durchgezogene Linie) nimmt der Widerstand zunåchst zu, um danach nachzulas-
sen (Taschenmesserphånomen). Die Amplitude des Widerstands ist umso hæher, je schneller die
passive Bewegung erfolgt (¹einschieûende Spastikª). Beim Rigor (gepunktete Linie) findet sich
ein ¹wåchsernerª Widerstand, der çber die gesamte passive Bewegung etwa gleich stark ist,
und zwar relativ unabhångig von der Bewegungsgeschwindigkeit. Zahnradphånomen (gestri-
chelte Linie) nennt man eine rigorartige Muskeltonuserhæhung, bei der der erhæhte Muskelto-
nus sakkadenartig unterbrochen ist
76 z M. E. Kornhuber

Patient sitzt entspannt auf einer Untersuchungsliege. Die Beine hången lo-
cker und mit einem Abstand von etwa 25 bis 30 cm herab, ohne dass die
Fçûe den Boden berçhren. Die Beine werden mit den distalen Unterschen-
keln im Knie in lockere Flexions- und Extensionsschwingung versetzt. Bei
einseitiger Spastik resultiert auf der betroffenen Seite ein stårkerer Kreis-
impuls als auf der nicht betroffenen Seite.
Manifeste Spastik erfasst man durch passives Bewegen einer mæglichst
entspannten Extremitåt mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten (s. o.). Bei
rascher Bewegung kommt es abrupt zu einem federnden Widerstand, der
sich nach kurzer Zeit wieder læst (Taschenmesserphånomen). Nicht selten
lassen sich durch abrupte und dann fortdauernde Muskeldehnungen er-
schæpfliche oder auch unerschæpfliche rhythmische Myoklonien auslæsen
(unerschæpflicher Patella- bzw. Fuûklonus), die rhythmischen Wiedererre-
gungen im Bereich der spinalen Reflexschleife entsprechen. Die Spastik
kann so ausgeprågt sein, dass sie schwer zu çberwinden ist. Eine deutliche
Spastik kann çber einen Zeitraum von Wochen oder Monaten zu Beuge-
kontrakturen in Ellenbogen-, Hand- und Fingergelenken sowie Hçft- und
Kniegelenken fçhren bzw. zu Kontrakturen in Supinations- und Spitzfuû-
stellung in den Sprunggelenken. Halbseitige Spastik nach hemisphåralen
Låsionen åuûert sich in der Regel in Form einer Beugespastik des kontrala-
teralen Arms und einer Streckspastik des kontralateralen Beins, das beim
Gehen zirkumduziert wird (sog. Wernicke-Mann-Gang). Bei einer Para-
spastik, also der Spastik in beiden Beinen (z. B. nach Rçckenmarkslåsion),
resultiert in der Regel ein Ûberwiegen des Adduktionstonus bei gestreck-
tem Bein. Beim Gehen imponiert als Folge der Adduktionsspastik ein
¹Scherengangª. Die Fçûe (und Schuhsohlen) werden çberwiegend vorne
und seitlich belastet.

z Rigor
Rigor geht demgegençber auf eine gleichzeitige Anspannung von Agonisten
und Antagonisten zurçck und entspricht einer ¹wåchsernenª, kaum von
der Geschwindigkeit einer passiven Bewegung abhångenden Form der
Muskeltonuserhæhung (Abb. 4.43). Sie ist charakteristisch fçr einige Basal-
ganglienerkrankungen (M. Parkinson, Multisystematrophie, progressive su-
pranukleåre Blickparese; s. Kapitel 6). Pathophysiologisch kommt es nicht
zur Enthemmung auf der spinalen Ebene, sondern zu einer Funktions-
stærung im Bereich der Basalganglienschleife, die u.a. die Erregbarkeit des
motorischen Kortex reguliert. Daraus wird verståndlich, dass der Muskelto-
nus relativ unabhångig von der Bewegungsgeschwindigkeit çber die ganze
Dauer der Bewegung erhæht ist. Dem Rigor kann, muss aber nicht ein sak-
kadisches Nachgeben des Muskeltonus çberlagert sein. Dieses Zusammen-
spiel von Rigor und sakkadischem Nachgeben wird als Zahnradphånomen
bezeichnet.
Klinisch relativ håufig anzutreffen ist ein ¹Gegenhaltenª, das einem
mangelnden Entspannungsvermægen entspricht. Es nimmt in der Regel mit
4 Das motorische System z 77

dem Alter zu und ist bei Demenzpatienten die Regel. Beim Gegenhalten
fållt es schwer, die Muskeleigenreflexe zu beurteilen.

z Muskelhypotonie
Sie kommt auûer bei peripheren Nervenverletzungen z.T bei akuten spina-
len und auch bei supraspinalen Låsionen vor. Bei den zentralen Låsionen
bleibt eine Muskelhypotonie nur bei Kleinhirnlåsionen auf Dauer bestehen.
Tatsåchlich çben Neurone tiefer Kleinhirnkerne (u. a. Ncl. interpositus)
çber die Erregung rubrospinaler und kortikospinaler Neurone einen star-
ken aktivierenden Einfluss auf den Muskeltonus aus. Umgekehrt fçhrt der
Ausfall dieser Neurone zu einer verminderten Erregung dieser Neurone
mit der Folge eines reduzierten Muskeltonus. Dieser verminderte Muskel-
tonus macht sich z. B. im Armvorhalteversuch in einem Absinken des ge-
streckten Arms im Schultergelenk bemerkbar. Beim Durchbewegen von
Arm oder Bein (s.o.) setzt die Muskulatur einen verminderten Widerstand
entgegen, sodass passive Bewegungen abnorm ¹leichtª mæglich sind.

Muskeleigenreflexe

Der Muskeleigenreflex ist eine ¹monosynaptischeª, çber die Dehnung von


Muskelspindelafferenzen getriggerte Muskelkontraktion. Er ist Ausdruck
einer unmittelbaren Modulation des Muskeltonus auf spinaler bzw. Hirn-
stammebene. Ein Bewegungseffekt ist nicht notwendigerweise vorhanden.
Es ist daher sinnvoll, die untersuchte Muskelgruppe wåhrend der erwarte-
ten Reflexantwort im Auge zu behalten. Die Auslæsung nimmt bei leichter
Muskelanspannung (Bahnung) zu und ist vom geeigneten Dehnungs-
zustand des Muskels abhångig, ferner vom Stimulus (Impulsçbertragung
vom Reflexhammer auf die Sehne), von der Dehnungsmæglichkeit der Seh-
ne bzw. des Muskelansatzes sowie vom Aktivierungszustand des a-Moto-
neuronpools und der aktivierbaren Muskelmasse. Die Reflexantwort kann
individuell sehr verschiedene Ausprågung haben und soll fçr jeden unter-
suchten Reflex dokumentiert werden. Die Reflexantwort kann fehlend,
schwach, mittel, lebhaft oder brçsk sein. Der Untersucher hat wesentlichen
Einfluss auf die Ergebnisse, indem er zu einer entspannten Situation ver-
hilft, durch passive Vordehnung der entsprechenden Muskelgruppe und
durch die Art des Muskeldehnungsimpulses. All dies erfordert einige
Ûbung. Tabelle 4.2 ist zu entnehmen, welche Nerven, Plexusanteile und
Wurzeln am jeweiligen Reflex beteiligt sind.
Reflexe kænnen in unterschiedlichen Kærperpositionen ausgelæst werden.
Die folgende Beschreibung klinisch wichtiger Muskeleigenreflexe ist fçr
den liegenden Patienten gedacht.
78
z

Tabelle 4.2. Klinisch wichtige Muskeleigenreflexe und beteiligte Nerven bzw. Nervenwurzeln
Muskeleigenreflex Auslæsemodus Erfolgsmuskel(n) Nerv Nervenwurzeln
z Masseterreflex Schlag auf Kinn kaudalwårts M. masseter, M. temp., Trigeminus Radix motoria
Mm. pterigoidei
z Pektoralisreflex Schlag auf vorgedehnte Sehne des M. pectoralis M. pectoralis Nn. pectorales C5 bis C8
M. E. Kornhuber

z Bizepssehnenreflex Schlag auf vorgedehnte Bizepssehne M. biceps brachii (M. brachialis) N. musculocutaneus C5, C6
z Radiusperiostreflex Schlag auf distales Radiusende (gebeugter Arm) M. brachioradialis (M. biceps, N. radialis C5, C6
M. brachialis) (N. musculocutaneus)
z Trizepssehnenreflex Schlag auf Trizepssehne bei gebeugtem Arm M. triceps brachii N. radialis C7 (C8)
z Fingerbeugereflex Schlag von volar auf Kuppe des 3. Fingers bei M. flexor dig. profundus, M. flexor N. medianus, N. ulnaris C8, Th1
(Træmner) gestreckter Hand dig. superficialis
z Bauchmuskelreflex Schlag auf vorgedehnte Bauchmuskeln çber Bauchmuskeln Nn. intercostales Th6 bis L1
Symphyse oder unter Rippenbogen
z Adduktorenreflex Schlag auf vorgedehnte Adduktorensehnen Adduktoren N. obturatorius L2 bis L4
oberhalb des Condylus med.
z Patellarsehnenreflex Schlag auf die Patellarsehne bei leicht gebeugtem M. quadriceps femoris N. femoralis L2 bis L4
Knie oder Schlag auf den oberen Patellarand nach
kaudal
z Tibialis-posterior- Schlag auf die Sehne des M. tib. post çber oder M. tibialis posterior N. tibialis (L4) L5
Reflex unter dem Innenknæchel bei leicht proniertem (M. flex. dig. longus)
Fuû
z Achillessehnenreflex Schlag auf die Achillessehne bei gebeugtem Knie M. triceps surae N. tibialis S1 bis S2
und leicht gestrecktem Fuû; alternativ Schlag auf
den Zehenballen
z Rossolimo Schlag von plantar gegen die Zehenkuppen bei Zehenbeuger N. tibialis S1 bis S2
leicht gestrecktem Fuû
4 Das motorische System z 79

z Masseterreflex (pons). Auslæsung durch leichten Schlag nach kaudal auf


den ± bei etwas geæffnetem Unterkiefer ± auf das Kinn aufgelegten Zeige-
finger. Es resultiert eine Kieferschlussbewegung.

z Pektoralisreflex (C5±C8). Die Finger einer Hand dehnen die Sehne des M.
pectoralis major, indem der Muskel zum Brustkorb gedrçckt wird. Der Re-
flex wird durch einen Schlag auf die Fingerrçcken ausgelæst. Es folgt eine
reflektorische Adduktion des Oberarms im Schultergelenk.

z Bizepssehnenreflex (BSR; C5±C6). Die Sehne des Bizeps wird bei måûig in
Richtung Unterbauch gebeugtem Unterarm mit dem Daumen palpiert und
in die Tiefe der fossa cubitalis gedrçckt. Dem Schlag auf den Daumenrç-
cken folgt eine Beugung des Unterarms.

z Radiusperiostreflex (RPR; C5±C6). Bei måûig in Richtung Unterbauch ge-


beugtem Unterarm wird ein Schlag auf den distalen medialen Radius (also
etwas proximal der Tabatiere) gefçhrt (alternativ auf die dort aufgelegten
Finger). Es folgt wie beim BSR eine Beugung des Unterarms.

z Trizepssehnenreflex (TSR; C7(±C8)). Der entspannte Unterarm wird ober-


halb des Handgelenks umfasst und so çber den Bauch gelegt, dass das
Handgelenk des Patienten etwa in der Mittellinie ruht. Auf den Schlag drei
Querfinger oberhalb des Olekranons auf den distalen dorsalen Oberarm
folgt eine Streckung des Unterarms. Der TSR ist nicht selten schwåcher
ausgeprågt als die anderen Armeigenreflexe.

z Fingerflexorenreflex (Træmner; C8±Th1). Der Mittelfinger des Patienten


wird mit dem Zeigefinger oder zwischen Zeigefinger und Daumen so ange-
hoben, dass die Hand måûig gestreckt wird (um die Fingerbeugersehnen
vorzudehnen). Mit der Kuppe des Mittelfingers des Untersuchers erfolgt
von unten ein abrupter Schlag gegen die Kuppe des gehaltenen (entspann-
ten) Mittelfingers des Patienten. Es resultiert eine Beugebewegung aller
Finger. Entgegen frçheren Beschreibungen handelt es sich um einen phy-
siologischen Muskeleigenreflex. Bei gesunden Personen ist der Reflex sei-
tengleich nicht oder schwach auslæsbar.

z Bauchdeckenreflex (Th6±L1). Der Reflex låsst sich bei schlanken Personen


meist gut auslæsen. Die Bauchmuskulatur wird z. B. unmittelbar am Rip-
penbogen (oder çber der Symphyse) mit 1 oder 2 Fingern in die Tiefe
gedrçckt. Der Schlag mit dem Reflexhammer auf den Fingerrçcken læst ei-
ne Kontraktion der ipsilateralen Bauchmuskulatur aus. Dieser Muskeleigen-
reflex darf nicht mit den Bauchhautreflexen (s. u.) verwechselt werden, die
Fremdreflexe darstellen.
80 z M. E. Kornhuber

z Adduktorenreflex (ADR; L2±L4). Die Sehnen des M. adductor magnus und


des pes anserinus werden oberhalb des medialen Femurkondylus mit den
Fingern palpiert und Richtung Femur gedrçckt. Der Schlag auf die Fin-
gerrçcken læst eine Adduktorenkontraktion aus. Die Auslæsung des Refle-
xes gelingt leichter bei leicht auûenrotiertem Oberschenkel.

z Patellarsehnenreflex (PSR; L2±L4). Das Bein ruht im leicht gebeugten Knie


auf der Hand oder dem Unterarm des Untersuchers. Der Schlag auf die Pa-
tellarsehne im Bereich der gut tastbaren Vertiefung zwischen Patella und
tuberositas tibiae fçhrt zu einer Kontraktion des M. quadrizeps femoris,
håufig mit Streckbewegung des Unterschenkels. Nach operativen Eingriffen
(z. B. nach Einsatz einer Endoprothese) ist der PSR an dieser Stelle in der
Regel nicht mehr zu beurteilen. Es gibt eine andere sichere Mæglichkeit,
den PSR auszulæsen. Am entspannten, gestreckten Bein wird mit dem Zei-
gefinger die Patella von oben her nach kaudal gespannt. Der Schlag mit
dem Reflexhammer auf den Fingerrçcken nach kaudal fçhrt zu einer Kon-
traktion des M. quadrizeps. Bei Auslæsung oberhalb der Patella lassen sich
bei spastischen Syndromen z. T. unerschæpfliche Kloni hervorrufen.

z Tibialis-posterior-Reflex (TPR; (L4±)L5). Die Sehnen der Mm. tibialis poste-


rior, flexor digitorum longus und flexor hallucis longus ziehen im Bogen
unter dem Innenknæchel herum und ziehen weiter zur tuberositas ossis
navicularis bzw. Richtung Zehen. Um den TPR auszulæsen wird der ent-
spannte Fuû måûig gehoben und proniert. Der Schlag erfolgt nicht ganz
tangential von dorsal zwei Querfinger unterhalb des Innenknæchels. Man
kann den TPR auch oberhalb des Innenknæchels unmittelbar medial der
Achillessehne auslæsen. An beiden Stellen erfordert die Auslæsung des Re-
flexes viel Ûbung.

z Achillessehnenreflex (ASR; (L5±)S1±S2). Der Untersucher nimmt den Fuû


im Bereich der Zehenballen und beugt das Bein im Hçft- und Kniegelenk
um jeweils 908. Es ist dabei zweckmåûig, die laterale Seite des Knies des
Patienten gegen die Hçfte des Untersuchers zu lehnen. Der Fuû wird måûig
gestreckt. Der Reflex kann durch Schlag auf die Achillessehne von unten
oder durch Schlag auf die Finger in der Mitte çber den Zehenballen aus-
gelæst werden. Alternativ kann der Fuû des Patienten çber die Tibia des
kontralateralen Beines gelagert werden. Wenn der Reflex schwer auslæsbar
ist, låsst man den Patienten so auf der Liege knieen, dass die Fçûe çber
den Rand hinausragen. Der Fuû wird wie oben angegeben gestreckt und
der Reflex çber einen Schlag auf Achillessehne oder Zehenballen ausgelæst.

z Rossolimo (S1±S2). Der Fuû wird leicht passiv gestreckt. Die Zehen erhal-
ten durch einen Schlag der Fingerkuppen von ventral her einen Streck-
impuls. Es resultiert eine reflektorische Zehenbeugung. Der Reflex ist nur
in etwa 10% physiologischerweise auslæsbar. Vermehrte Auslæsbarkeit zeigt
eine Pyramidenbahnschådigung an.
4 Das motorische System z 81

Das allgemeine Reflexniveau ist zwischen gesunden Individuen aus-


gesprochen unterschiedlich, abhångig von der individuellen Erregbarkeit
der Vorderhornzelle çber Muskelspindelafferenzen. Fçr dieselbe Person ist
das Reflexniveau çber lange Zeitråume relativ gleich. Es gibt allerdings ei-
ne Reihe von Einflussfaktoren. So kann das Reflexniveau z. B. bei Elektro-
lytstærungen (nach Erbrechen), bei Hyperthyreose und bei Alkoholentzug
recht lebhaft sein. Tatsåchlich kann aber nicht von einem allgemein schwa-
chen oder lebhaften Reflexniveau grundsåtzlich auf einen pathologischen
Befund im Nervensystem geschlossen werden. Manchmal ist das allgemeine
Reflexniveau so niedrig, dass es nætig ist, die Reflexe zu bahnen. Am Bein
nutzt man in der Regel den sog. Jendrassik-Handgriff. Die Finger der Hån-
de greifen ineinander und wåhrend der Reflexauslæsung wird kråftig mit
beiden Hånden gezogen. An den Armen kænnen die Reflexe in åhnlicher
Weise gebahnt werden, indem man den Patienten die Zåhne zusammenbei-
ûen låsst. Kopfrechnen hat denselben Effekt. Die Bahnung erfolgt eventuell
çber eine transkortikale Aktivierung efferenter Bahnsysteme. Unter Bah-
nung fehlende Muskeleigenreflexe sind pathologisch. Handelt es sich um ei-
nen symmetrischen Reflexverlust distaler Reflexe, so kann z. B. eine Poly-
neuropathie vorliegen (akute Polyneuroradikulitis, toxisch, metabolisch
u. a.).
In die Beurteilung flieûen insbesondere ein
z das allgemeine Reflexniveau,
z der Seitenvergleich,
z das Verhalten proximaler Reflexe im Vergleich zu distalen Reflexen (am
Arm z. B. Pektoralisreflex versus Radius-Periost-Reflex, am Bein Patellar-
sehnenreflex versus Achillessehnenreflex),
z das Reflexverhalten in kraniokaudaler Richtung,
z das Reflexniveau relativ zur Maximalkraft der untersuchten Muskelgrup-
pe und
z die Konstanz des Reflexniveaus.
Fçr die Beurteilung eines einzelnen Muskeleigenreflexes ist wichtig, ob er
im Vergleich mit dem allgemeinen Reflexniveau und insbesondere im Sei-
tenvergleich eher vermindert oder vermehrt auslæsbar ist, was als patholo-
gisch zu werten ist. Ein Hinweis fçr eine pathologische Reflexsteigerung er-
gibt sich aus der Verbreiterung der Reflexzone (Bereich, von dem aus der
Reflex auszulæsen ist). Im klinischen Alltag spielt eine verbreiterte Reflex-
zone lediglich fçr den Patellarsehnenreflex (PSR) eine Rolle. Tatsåchlich
wird eine pathologische Verbreiterung der Reflexzone des PSR dann ange-
nommen, wenn der Reflex auch çber die Mitte der Tibiakante hinaus nach
distal auslæsbar ist. Einen weiteren Hinweis fçr die Tatsache, dass es sich
um eine pathologische Reflexsteigerung handelt, gibt die Ausbreitung der
Reflexantwort auf weitere Muskelgruppen. Es handelt sich um ein Phåno-
men, bei dem vermutlich die Hemmung durch çbergeordnete Zentren ver-
mindert ist. Fremdreflexmechanismen gewinnen Bedeutung fçr die Aus-
læsung. Beispiele sind die ± seitendifferente ± Ausbreitung des Adduktoren-
82 z M. E. Kornhuber

reflexes auf die Gegenseite, die Ausbreitung des Radiusperiostreflexes (oder


Bizepssehnenreflexes) auf die Hand- und Fingerflexoren oder die Irradia-
tion des Pektoralisreflexes auf den Bizepssehnenreflex. Fçr den Vergleich
der Reflexe in kraniokaudaler Richtung ist zu beachten, dass auch bei ge-
sunden Individuen das Reflexniveau an den Armen hæher oder niedriger
sein kann als an den Beinen. In der Regel ist das Reflexniveau gut repro-
duzierbar. Eine Ausnahme bilden Patienten mit choreatiformen Syndromen,
bei denen mit der wechselnden Muskelanspannung auch die Reflexantwort
variiert. Sind die Extremitåtenreflexe ubiquitår lebhaft, so kommt dem
Masseterreflex eine groûe Bedeutung zu. Ist dieser normal (schwach) aus-
læsbar, so kommt z. B. eine hohe Halsmarklåsion in Betracht. Ist der Masse-
terreflex ebenfalls lebhaft, so ist demgegençber von einer diffusen zerebra-
len Schådigung auszugehen.

Fremdreflexe

Im Gegensatz zu den monosynaptischen Muskeleigenreflexen werden


Fremdreflexe nicht durch Stimulation von Muskelspindelafferenzen aus-
gelæst. In der Regel handelt es sich um Stimuli von Hautafferenzen. Es gibt
aber auch andere Auslæsungsmodalitåten, z. B. visuell, akustisch oder vesti-
bulår. Physiologische und pathologische Fremdreflexe werden unterschie-
den. Dabei treten zum Teil Ûbergånge auf, die diagnostisch bedeutsam sein
kænnen. Eine besondere Gruppe von Fremdreflexen sind die so genannten
¹Primitivreflexeª oder ¹Primitivschablonenª, Reflexe, die bei Såuglingen
zunåchst vorhanden sind und normalerweise bald sistieren, sodass sie bei
spåterem Wiederauftreten pathologisch sind.

z Physiologische Fremdreflexe
Physiologische Fremdreflexe sind z.T. Schutzreflexe. Dazu zåhlen im Hirn-
nervenbereich bzw. im vegetativen Nervensystem (siehe jeweils dort) der
Kornealreflex, die Pupillenreaktion, der Spinoziliarreflex (SCR), der vesti-
bulookulåre Reflex (VOR), der Lidschluss auf taktile (Glabellareflex, Blink-
reflex, taktiles Blinzeln), visuelle und akustische Stimuli, der Nies-, der
Wçrg- und der Hustenreflex, der Schwitzreflex, vasale Reflexe (etwa der
Karotissinusreflex) und kardiale Reflexe (z. B. der okulokardiale Reflex).
Schmunzelreflex, Saugreflex, Palmomentalreflex und Greifreflex sind ledig-
lich im Såuglingsalter physiologisch. Im Bereich des çbrigen Kærpers sind
folgende Fremdreflexe diagnostisch wichtig: Bauchhautreflexe, Kremaster-
reflex, Analreflex, Bulbocavernosusreflex und Plantarreflex. Ein Charakte-
ristikum aller physiologischen Fremdreflexe ist, dass sie schnell habituie-
ren. Das bedeutet, dass sie bei mehrfacher Auslæsung in rascher Folge erlæ-
schen. Daher sollte man, wenn die Reflexantwort und nicht das Habituati-
onsverhalten im Vordergrund steht, zwischen zwei Stimuli jeweils einige
Sekunden Zeit verstreichen lassen. Wenn es um die Frage geht, ob der Re-
4 Das motorische System z 83

flex pathologisch vermehrt auslæsbar ist, sollte in rascherer Folge stimuliert


werden. Ein enthemmter Glabellareflex z. B. persistiert auch bei rasch wie-
derholtem Beklopfen oberhalb der Nasenwurzel.
Im Bereich der Hand spielt historisch der Mayer-Fingergrundreflex eine
gewisse Rolle. Kråftige passive Beugung der Phalangen von Zeige-, Mittel-
oder Ringfinger bei supinierter Hand læst in 80 bis 90% der Fålle eine Ad-
duktion, Opposition, teils eine Extension des Daumens an der Handwurzel
aus. Der Reflex ist aber nur in 60% seitengleich ausgeprågt. Eine Seitendif-
ferenz wird demgegençber von einigen Autoren als Hinweis fçr eine Pyra-
midenbahnlåsion aufgefasst.
Die Untersuchung der Bauchhautreflexe erfordert einen entspannten Pa-
tienten. Am besten in Rçckenlage, die Beine leicht angezogen, die Arme
neben dem Rumpf und die Augen geschlossen. Die Auslæsbarkeit ist atem-
abhångig. Die Auslæsung erfolgt am besten vor Ende der Ausatmungs-
exkursion (physiologische Bahnung des Reflexes durch Ausatmungstonus).
Fçr die Beurteilung der Bauchhautreflexe ist es wichtig zu wissen, dass sie
bei etwa 20% der Bevælkerung nicht erhåltlich sind, insbesondere bei
adipæsen und bei schlaffen Bauchdecken (Pluripara) fehlen sie æfters. In
der Regel werden drei Etagen unterschieden: epigastrischer (Th6 bis 9),
mittlerer (Th9 bis 11) und unterer Bereich (Th12 bis L1). Wertvoll sind die
Bauchhautreflexe vor allem bei jungen Erwachsenen, bei denen sie im Nor-
malfall in aller Regel gut auslæsbar sind. Das Fehlen bzw. reproduzierbare
Seitendifferenzen der Bauchhautreflexe kænnen in diesem Fall u. a. ein In-
diz fçr das Vorliegen einer multiplen Sklerose sein, insbesondere wenn die
Muskeleigenreflexe eher lebhaft auslæsbar sind. Im Unterschied zu Bauch-
hautreflexen sind Bauchdeckenreflexe Muskeleigenreflexe, die durch Deh-
nung der Bauchmuskeln ausgelæst werden kænnen (s. o.).
Die Untersuchung des Analreflexes (S2 bis 4) und (bei månnlichen Indi-
viduen) des Kremasterreflexes (L1 bis 2) hat einen groûen Stellenwert bei
der Diagnostik von Sphinkterstærungen und sollte bei diesem Symptom
stets erfolgen. Bei Caudalåsionen bleibt der Kremasterreflex in der Regel
erhalten, bei Låsionen der Nervenwurzel L1 kann der Kremasterreflex iso-
liert abgeschwåcht sein oder fehlen. Bei Pyramidenbahnlåsionen oberhalb
des Lumbalmarks fållt der Kremasterreflex aus. Pyramidenbahnlåsionen in
diesem Bereich beschrånken sich in der Regel nicht auf die Blasen-/Mast-
darmstærung.
Der Analreflex ist ein Reflex des M. sphincter ani externus, also des
willkçrlicher Kontrolle unterliegenden Schlieûmuskels. Er ist physiologi-
scherweise in 100% auslæsbar. Ein- oder beidseitiger Verlust ist daher im-
mer pathologisch. Die Auslæsung erfolgt mit einem spitzen Gegenstand
(z. B. einem abgebrochenen Stieltupfer oder einem Zahnstocher) perianal
und fçr jede Seite gesondert an mehreren unterschiedlichen Stellen und in
unterschiedlichen Distanzen zum Anus. Die Reflexantwort wird meist visu-
ell erfasst. Natçrlich låsst sich die Reflexantwort zusåtzlich çber einen mit
Handschuh, Fingerling und Vaseline versehenen und in den Anus gesetzten
Finger ertasten.
84 z M. E. Kornhuber

Der Bulbokavernosusreflex spielt klinisch eine untergeordnete Rolle. Ein


mechanischer Stimulus am Penis, z. B. mit dem spitzen Ende eines gebro-
chenen Wattetrågers im Bereich der Corona glandis oder eine rasche Kom-
pression der Corona glandis zwischen Daumen und Zeigefinger, læst eine
Muskelkontraktion im Bereich des Beckenbodens aus, die unter anderem
den M. sphincter ani und die unter dem Skrotum tastbare Peniswurzel ein-
bezieht. Eine vergleichbare sicht- und tastbare reflektorische Muskelkon-
traktion im Bereich der perinealen Peniswurzel und des Sphinkter ani er-
folgt bei forciertem Valsalva-Manæver (z. B. einem Hustenstoû).

z Pathologische Fremdreflexe
Pathologische Fremdreflexe oder im klinischen Jargon kurz ¹pathologische
Reflexeª sind çberwiegend Phånomene und Reflexe, die bei unvollkom-
mener Myelinisierung im Såuglingsalter physiologisch sind, mit der Ge-
hirnreifung rasch sistieren und deren Wiederauftreten daher Krankheits-
wert besitzt. Dazu zåhlen Schnauz- bzw. Schmunzelreflex, Beiûreflex,
Palmomentalreflex (Abb. 4.44), Greifreflex und die Babinski-Reflexgruppe
(Abb. 4.45). Der vermindert habituierende Glabellareflex stellt einen ent-
hemmten physiologischen Reflex dar, er wird meist gemeinsam mit den
Primitivreflexen im Gesichtsbereich angetroffen.
Die Primitivreflexe im Gesicht stellen ein pathologisches Enthemmungs-
phånomen dar, das bei allen diffus-generalisierten oder ausgedehnten mul-
tifokalen zerebralen Prozessen wirksam wird. Diese Reflexe werden regel-
måûig beobachtet nach zerebraler Hypoxie, bei Enzephalitis, Multiinfarkt-
syndrom, bihemisphårischen Hirntumoren, z. B. Schmetterlings-Glioblas-

Abb. 4.44. Palmomentalreflex. Beim Bestreichen des Hypothenars oder Thenars von der Hand-
wurzel in Richtung auf die Fingergrundgelenke kommt es im pathologischen Fall zu einer toni-
schen Abwårtsbewegung der ipsilateralen Unterlippe bzw. des Mundwinkels. Neben dem M.
mentalis sind die Mm. depressor labii inferioris und depressor anguli oris daran beteiligt. Der
Palmomentalreflex gehært zu den sog. Primitivreflexen des Gesichtsbereichs. Sie zeigen unspezi-
fisch eine diffuse zerebrale Schådigung an (zerebrale Hypoxie, neurodegenerative Erkrankungen,
vaskulåre Enzephalopathie, hirneigene Tumoren etc.) (aus Berlit 1998)
4 Das motorische System z 85

tom, sowie bei allen neurodegenerativen Erkrankungen: M. Parkinson, M.


Alzheimer, myatrophische Lateralsklerose etc. Primitivreflexe im Gesicht
stellen daher wichtige klinische Symptome dar, die auf eine das Gehirn als
Ganzes betreffende Erkrankung hindeuten. Manchmal sind es die einzigen
objektiven Symptome. Fehlen Primitivreflexe im Gesicht, ist die Annahme
einer neurodegenerativen Erkrankung fragwçrdig. Diese Reflexe sollten da-
her bei der Erhebung des neurologischen Untersuchungsbefundes nicht
çbergangen werden.
Bereits die Anhebung der Reflexantwort çber das sonst vorhandene Ni-
veau, die Verbreiterung von Reflexzonen sowie die Irradiation von Muskel-
eigenreflexen auf benachbarte Muskelgruppen (s. o.) kænnen prinzipiell als
¹Pyramidenbahnzeichenª aufgefasst werden. Eindrçcklich wird diese Tatsa-
che bei Muskeleigenreflexen, die im Normalfall nur selten auszulæsen sind,
wie z. B. beim Zehenbeugereflex (Rossolimo, s. o.). Die Zehenbeugung kann

Abb. 4.45. Babinski-Reflex. a Folgt dem kråftigen Bestreichen des lateralen Fuûrandes in einem
Bogen çber den Kleinzehenballen bis zum Groûzehenballen mit einem festen Gegenstand
(Schlçssel o.å.) eine tonische Extension der Groûzehe und ggf. ein Abspreizen der çbrigen Ze-
hen, so ist der Babinski-Reflex ¹positivª und somit als Pyramidenbahnzeichen zu werten.
Flçchtige Zehenextension entspricht demgegençber i.d.R. einer sog. Fluchtreaktion und ist nicht
als pathologisch zu bewerten. b Die Groûzehenextension als Reaktion auf sensorische Stimuli
entspricht einem pathologischen Fremdreflex, der je nach Ausmaû der Pyramidenbahnschådi-
gung auch an anderen Stellen des Fuûes und auch des Unterschenkels ausgelæst werden kann.
Stellvertretend ist hier die Auslæsung nach Oppenheim durch druckvolles Bestreichen der Tibia-
kante von proximal nach distal dargestellt (aus Berlit 1998)
86 z M. E. Kornhuber

bei Pyramidenbahnlåsionen durch sehr verschiedene Stimuli ausgelæst wer-


den, die teils mit Eigennamen verknçpft sind: Beklopfen der Fuûsohle
(Shukowski), Beklopfen der Ferse, Beklopfen (oder Bestreichen) des Fuûrç-
ckens (Mendel-Bechterew).
Das wichtigste Pyramidenbahnzeichen ist der Babinski-Reflex. Der Fuû
wird so gehalten, dass der Groûzehenballen am Ûbergang der Fuûsohle
komprimiert wird. Kråftiges Bestreichen der lateralen Fuûsohle mit einem
festen Gegenstand vom Fersenballen çber den Kleinzehenballen in einem
Bogen bis zum Groûzehenballen fçhrt im pathologischen Fall zur tonischen
Extension der groûen Zehe und zum Abspreizen (und ggf. Beugung) der
çbrigen Zehen (Abb. 4.45). Eine Seitendifferenz mit erhaltener Groûzehen-
beugeantwort auf der einen und fehlender auf der anderen Seite (¹stumme
Sohleª) kann im klinischen Kontext mit anderen Symptomen bereits als
Pyramidenbahnzeichen zu werten sein. Ein ruckartiges Zurçckziehen der
groûen Zehe, meist in Kombination mit den anderen Zehen und evtl.
Extension des Fuûes, ist als Fluchtreaktion anzusehen. Manchmal ist es
schwierig, die Reaktion auf den plantaren Reiz zu bewerten. Dann sollte im
Verlauf erneut untersucht werden.
Bei sehr ausgeprågt positivem Babinski-Reflex kann es zusåtzlich zur re-
flektorischen Auslæsung von Mitbewegungen im Sinne so genannter Mas-
senreflexe kommen. Håufig treten z. B. Hçftbeugung, Kniebeugung und Ex-
tension im Sprunggelenk gemeinsam auf. Es ist manchmal nicht ganz ein-
fach, diese als Spasmus ablaufende Reaktion von einer Willkçrreaktion zu
unterscheiden. Wichtig sind die Reproduzierbarkeit und die Begleitsympto-
me.
Es gibt eine Vielzahl beschriebener Arten, die Dorsalextension der Groû-
zehe zur Auslæsung zu bringen (Babinski-Gruppe), z. B. Bestreichen des
Fuûrçckens unterhalb des Auûenknæchels (Chaddock), Kneifen der Wade
(Gordon), Kneifen der Achillessehne (Schaefer), Bestreichen der Tibiakante
(Oppenheim, Abb. 4.45 b), abruptes Loslassen einer stark gebeugten Zehe 2,
3, 4 oder 5 (Gonda), Loslassen der fçr wenige Sekunden maximal ab-
duzierten Zehe 5 (Stranski); Supination und Dorsalextension des Fuûes
(und ggf. Groûzehe) nach Beugen von Hçfte und Knie (Strçmpell). Das
Strçmpell-Phånomen kann bei weniger ausgeprågter Parese auch folgender-
maûen ausgelæst werden: Der Untersucher legt die Hand direkt auf das
Knie oder unter dem Knie auf die ventrale Tibia des gestreckt liegenden
Beins. Der Patient soll gegen den Widerstand des Untersuchers das Bein in
Hçfte und Knie beugen. Die Beurteilung der Reflexantwort setzt die Intakt-
heit des Groûzehenhebers voraus.
Ganz åhnlich wie die Auslæsung einer Zehenbeugung durch verschiedene
Stimuli am Fuû låsst sich eine Fingerbeugung reflektorisch durch verschie-
dene Manæver an der Hand auslæsen, von denen der so genannte Knips-
reflex das bekannteste ist: Druckvolles Streichen mit dem Daumennagel
çber die auf dem Zeigefinger ruhende Nagelspitze des gebeugten Mittelfin-
gers des Patienten hinweg, bis der Finger freikommt und ¹knipstª, læst eine
Beugung aller Finger aus. Es gibt eine Reihe weiterer Pyramidenbahnzei-
4 Das motorische System z 87

chen am Bein und an der Hand, die aber nur eine untergeordnete Bedeu-
tung haben.
Wir fçhren hier einige davon auf, weil sie neuerdings in Untersuchungs-
befunden wieder gelegentlich zu lesen sind. Am Bein: Adduktion und In-
nenrotation des Fuûes nach Bestreichen der medialen Fuûsohle (Hirsch-
berg; eher keine pathologische Bedeutung); in Rçckenlage kann der Patient
jedes Bein einzeln heben, aber nicht beide gleichzeitig ± wenn der Unter-
sucher das gesunde Bein hebt, fållt das aktiv gehaltene paretische Bein
zurçck (Grasset und Gaussel); Hçftbeugung, Kniestreckung mit Beinhe-
bung nach abruptem Valsalva-Manæver (Huntington; entspricht vermutlich
einer einschieûenden Spastik), Hçft- und Kniebeugung nach forcierter Ze-
hen- bzw. Vorfuûbeugung (Marie und Foix; entspricht einem Massenbeuge-
reflex); in Rçckenlage bei gebeugten Beinen verursacht Stimulation der
Fuûsohle Streckung des kontralateralen Beins (gekreuzter Streckreflex);
wird am gebeugten Bein der Fuû gestreckt, so folgt eine Streckreaktion.
Am Arm: Der Patient soll die Finger 2 bis 5 gegen den Widerstand des Un-
tersuchers beugen. Das Zeichen ist positiv, wenn der Daumen deutlich op-
poniert und flektiert wird (Wartenberg); Fingerbeugung nach Beugen und
abruptem Loslassen des Zeigefingerendglieds (Hoffmann); Fingerbeugung
nach Druck auf die volarseitigen Fingerkuppen (Kleist); Finger- bzw. Dau-
menstreckung nach Druck auf das Handgelenk çber dem Os pisiforme
(Gordon-Fingerzeichen); Handbeugung mit gestreckten Fingern nach Be-
streichen des distalen ulnaren Unterarms (Chaddock-Handgelenkzeichen);
Daumenflexion und -adduktion nach abruptem Strecken der gebeugten
Finger (Klippel und Weil); bei Armbeugung berçhrt der Handrçcken (und
nicht die Handflåche) die Schulter (Strçmpells Pronationszeichen); prolon-
gierte Fingerstreckung beim Versuch, den gelåhmten Arm zu heben (Sou-
ques). Eine kritische Wertung dieser und anderer echter und vermeintli-
cher Pyramidenbahnzeichen findet sich bei Hiller sowie bei Laubenthal
(1953).
Darçber hinaus gibt es den pathologischen Greifreflex (Zwangsgreifen),
der bei schwerer diffuser Hirnschådigung manifest werden kann. Berçhren
oder Bestreichen der Finger oder der volaren Handflåche in seitlicher Rich-
tung fçhren zum Greifen. Der Patient fçhrt bisweilen die Hand in alle
Richtungen, die der Untersucher vorgibt (Magnetreaktion). Das Zwangs-
greifen kann so ausgeprågt sein, dass es schwierig ist, die Finger des Pa-
tienten wieder zu æffnen.

Einfache motorische ¹Plusª-Symptome

Motorische ¹Plusª-Symptome sind unspezifisch und kænnen ihren Ausgang


vom Muskel, vom Axon und vom zentralen Nervensystem nehmen. Sie
kænnen spontan auftreten oder durch Stimuli getriggert werden. Abnorme
Muskelkontraktion auf mechanische Stimuli kann als myotone Reaktion im
88 z M. E. Kornhuber

Rahmen von Myotonien auftreten. Primår muskulåren Ursprungs kænnen


ferner schmerzhafte Muskelkontrakturen sein, die klinisch nicht von neuro-
genen Krampi zu unterscheiden sind. Die Unterscheidung erfolgt mittels
Nadelelektromyographie. Krampi treten bei chronischen neurogenen Pro-
zessen auf. Die Pathogenese ist nicht zweifelsfrei geklårt. Es ist eine Reihe
begçnstigender Faktoren bekannt: Muskelbelastung, Elektrolytstærungen,
Kaffee, Alkohol und Schlafentzug. Auslæsung erfordert eine Muskelverkçr-
zung. Durch Muskeldehnung låsst sich der Krampus læsen. Faszikulationen
sind einzelne, sporadische Muskelzuckungen ohne Bewegungseffekt. Es
handelt sich um spontan in den axonalen Endaufzweigungen in der Regel
groûer motorischer Einheiten entstehende Aktionspotenziale, die retrograd
zu einer Erregung der ganzen motorischen Einheit fçhren. Faszikulationen
werden auch in Muskeln gesunder Individuen beobachtet, z. B. in Waden-
muskeln oder in der periorbikulåren Muskulatur (benigne Faszikulatio-
nen). Faszikulationen mit Betonung in distalen Muskelgruppen werden bei
chronischen Polyneuropathien gesehen. Ubiquitåre Faszikulationen deuten
auf eine motorische Systemerkrankung hin (spinale Muskelatrophie, mya-
trophische Lateralsklerose). Fibrillationen stellen spontane Kontraktionen
einzelner Muskelfasern dar und sind klinisch nicht zu erfassen. Wir wçr-
den daher empfehlen, den Begriff der Fibrillation nicht fçr klinische Be-
funde zu verwenden, auch nicht fçr Faszikulationen im Bereich der Zunge.
Faszikulationen sind klinisch nicht sicher von Myokymien zu unter-
scheiden. Letztere dauern etwas långer, weil es sich um Mehrfachentladun-
gen (Dupletten, Tripletten, Multipletten) handelt. Die Unterscheidung erfor-
dert eine Nadel-Elektromyographie. Der Begriff der Myokymie sollte daher
im klinischen Befund vermieden werden. Myokymien treten spontan oder
durch Reize getriggert auf. Myokymien kænnen so ausgeprågt sein, dass sie
eine schmerzhafte Muskelsteifigkeit verursachen (Neuromyotonie). My-
orhythmien sind spontan auftretende, rhythmische Kontraktionen eines
Muskels oder einer Muskelgruppe mit einer Frequenz von in der Regel eins
bis drei pro Sekunde. Meist handelt es sich um ein Ûbererregbarkeitsphå-
nomen im Bereich motorischer Hirnstammneurone. Myorhythmien treten
u. a. gehåuft an Gaumensegel, Platysma, periorbikulår und am Zwerchfell
auf.
Myoklonien sind kurze (phasische) gleichzeitige Zuckungen in einem
Muskel oder einer oder mehreren Muskelgruppen. Myoklonien kænnen ih-
ren Ursprung vom peripheren Nerv nehmen, etwa beim Spasmus hemifa-
zialis, der eigentlich kein Spasmus (s. u.) ist, sondern sich vielmehr mit
einzelnen oder in Salven auftretenden Myoklonien im Bereich mimischer
Muskeln manifestiert. Myoklonien kænnen sowohl spontan auftreten als
auch reflektorisch ausgelæst werden. Spasmus ist in der Literatur unscharf
definiert und wird fçr ganz verschiedene Phånomene herangezogen. Wir
bezeichnen als Spasmus (in Abgrenzung zu Myoklonie, Myotonie, Dystonie
und Spastik) eine unwillkçrliche oder reflektorisch getriggerte tonische
Kontraktion ganzer Muskeln oder Muskelgruppen mit einer Dauer von Se-
kunden bis zu einer Minute und selten darçber. Spasmen kænnen ihren Ur-
4 Das motorische System z 89

sprung im peripheren oder im zentralen Nervensystem haben. Einen peri-


pheren Ursprung haben z. B. akrale Spasmen (¹Karpopedalspasmenª) und
laryngeale Spasmen im Rahmen der Tetanie. Hier lassen sich Myoklonien
oder Spasmen z.T. triggern durch mechanische Stimuli çber Nerven. Ein
Beispiel ist das Chvostek-Zeichen: Kontraktion mimischer Muskulatur nach
Beklopfen der Fazialishauptåste am Unterkiefer direkt unter dem Ohrlåpp-
chen am Kieferwinkel. Ein weiteres Beispiel ist das Trousseau-Phånomen:
Ein knapp suprasystolisch wirksamer Tourniquet am Oberarm kann binnen
drei Minuten zur Tetanie im Handbereich fçhren. Håufiger sind Spasmen
zentralen Ursprungs. Die tonische Phase bei Einleitung eines Krampfanfalls
ist ein håufiges Beispiel. So genannte pathologische Massenbeugereflexe
entsprechen einem getriggerten Spasmus (s. o.). Tetanus ist durch per-
manente (auch im Schlaf anhaltende) unwillkçrliche krampfartige Tonuser-
hæhung der quergestreiften Muskulatur gekennzeichnet. Øuûere Reize kæn-
nen zu einer starken Zunahme fçhren bis hin zu Knochenbrçchen. Ursache
ist eine Blockade der inhibitorischen Transmission im Rçckenmark. Bei-
spiele sind Intoxikationen (Tetanustoxin, Strychnin) und Autoimmunkrank-
heiten (insbesondere das Stiff-person-Syndrom). Weitere, teils komplexere
motorische ¹Plus-Symptomeª (Tic, Tremor, Dystonie, Ataxie, Chorea, Bal-
lismus) treten im Rahmen von Erkrankungen der Basalganglien und des
Kleinhirns auf, vgl. Kapitel 3.

Einfache motorische ¹Minusª-Symptome

Fokales Nachlassen des Muskeltonus fçr den Bruchteil einer Sekunde nennt
man negative Myoklonie oder Asterixis. Die Prçfung setzt eine aktive toni-
sche Muskelanspannung voraus, z. B. Armhalteversuch mit pronierten,
leicht extendierten Hånden und leicht abgespreizten Fingern. Bei geringer
Ausprågung in distalen Muskelgruppen spricht man auch von Mikroasteri-
xis. Eine deutliche Ausprågung, die die proximalen Muskelgruppen ein-
schlieût, nennt man Flçgelschlagen oder ¹flapping tremorª. Ursache sind
håufig diffuse Funktionsstærungen, z. B. hepatische Enzephalopathie oder
multiple zerebrale Metastasen. Ursache ist vermutlich die Inhibition des
Motorkortex çber Axonkollateralen von einem oder mehreren entfernten
Arealen. Erfolgt diese Inhibition im Bereich des bilateralen aufsteigenden
retikulåren Systems im Bereich des Hirnstamms, so resultiert ein generali-
sierter Tonusverlust, der bei kurzer Dauer ein kurzes Kopfnicken und Ein-
knicken im Knie zur Folge hat und bei geringfçgig långerer Dauer eine
Astasie mit Sturz bedingen kann.
90 z M. E. Kornhuber

Attackenfærmige Abfolge motorischer Reiz- oder Hemmphånomene

Einige der oben beschriebenen einfachen motorischen Reiz- oder Hemm-


symptome treten håufig in einer charakteristischen, zeitlich begrenzten Ab-
folge (meist bis zu wenigen Minuten) ohne oder mit Bewusstseinsstærung
auf. Die Beobachtung und Beschreibung durch den Untersucher (mæglichst
nach Videographie), håufiger aber eine durch gezielte Nachfrage gefærderte
Beschreibung der so genannten Semiologie durch Laienbeobachter hat ei-
nen groûen Stellenwert fçr die Diagnose und die Klassifikation zerebraler
oder spinaler Anfålle.
Ein Spasmus der Rumpfmuskulatur, håufig auch der Extremitåtenmus-
kulatur, ist bei gleichzeitigem Bewusstseinsverlust Ausdruck eines toni-
schen Anfalls. Im Rahmen der thorakoabdominalen Muskelkontraktion
entweicht Luft aus der Lunge, sodass Luft durch die tonisch kontrahierten
Stimmlippen gepresst wird und ein gestrecktes deutliches Stæhnen hærbar
wird (¹Initialschreiª). Im Rahmen des Spasmus der Kieferschlieûmuskeln
tritt nicht selten ein Zungenbiss auf. Bleibt das Bewusstsein bei einem fo-
kalen Spasmus z. B. im Bereich von Arm oder Nacken erhalten, handelt es
sich um einen so genannten tonischen Spasmus, der i. d. R. auf Rçcken-
marksebene entsteht. Geht eine Bewusstseinsstærung mit einer tonischen
Kopfwendung einher, spricht man von einem versiven Anfall. Nicht selten
tritt zusåtzlich eine Hebung des gestreckten Armes auf, zu dem der Kopf
gewendet wird (¹Fechterstellungª). Ein Spasmus konjugierter Bulbusbewe-
gungen nach oben, sodass die weiûen Skleren sichtbar werden, kommt bei
verschiedenen Anfallsformen vor, z. B. im Rahmen von Absence-Epilepsien
oder auch im Rahmen der tonischen Phase bei einem Grand-mal-Anfall.
Rhythmische Myoklonien mit einer Frequenz von mehreren pro Sekunde
sind håufig Ausdruck eines klonischen Anfalls. Wenn sich die Myoklonien
halbseitig ausbreiten und binnen Minuten sistieren (Jackson-Anfall), so ist
die Ursache im oder in der Umgebung des Motorkortex zu suchen. Es gibt
aber auch permanente rhythmische Myoklonien, die auf einen Bereich,
meist Hand oder einzelne Finger, beschrånkt bleiben, z. B. im Rahmen ei-
ner Epilepsia partialis continua (KozÏevnikow).
Læsen Myoklonien einen Spasmus ab, so spricht man von einem tonisch-
klonischen Anfall. Dies ist typisch fçr einen Grand-mal-Anfall, tritt aber
keineswegs immer auf. Myoklonien, die bilateral auftreten und auf einen
bestimmten Kærperbereich beschrånkt bleiben, sind charakteristische
Symptome der altersgebundenen primår generalisierten Epilepsien. Regio-
nen, in denen diese Myoklonien håufig auftreten, sind das Gesicht (bilate-
rale faziale Myoklonien, meist Lidmyoklonien) und die Oberarme. Je nach-
dem, ob die Oberarme mehr einen Impuls in Abduktion und Auûenrotati-
on (bei der juvenilen Myoklonusepilepsie) erhalten oder einen Impuls nach
innen (evtl. mit Armbeugung, z. B. bei Blitz-Nick-Salaam-Anfållen (BNS-
Kråmpfe, West-Syndrom)), sind verschiedene Diagnosen anzunehmen.
4 Das motorische System z 91

Neben motorischen Reiz- oder Enthemmungssymptomen spielen auch


inhibitorische Symptome eine groûe Rolle. Ein kurz dauernder, generali-
sierter Tonusverlust mit Hinstçrzen (teils mit vorangehenden Myoklonien
der Arme nach auûen) ist z. B. typisch fçr das Lennox-Syndrom. Ein To-
nusverlust der mimischen Muskulatur (¹blæder Blickª) kann bei Absence-
Epilepsien beobachtet werden.
Bei bilateral synchronen Entåuûerungen spricht man von einem genera-
lisierten Anfall, unabhångig von der Dauer oder der Ausprågung der Be-
wusstseinsstærung. Bei den generalisierten Anfållen sind Petit-mal-Anfålle
(kurze bilaterale Myoklonien, kurzer bilateraler Tonusverlust) von Grand-
mal-Anfållen (generalisiert-tonisch, klonisch oder tonisch-klonisch) zu un-
terscheiden.
Bei den fokalen Anfållen unterscheidet man einfach fokale Anfålle ohne
Bewusstseinsstærung (Versivanfålle etc.) und komplex-fokale Anfålle mit
Bewusstseinsverånderung. Bei den einfach fokalen Anfållen (Jackson)
kommt es meist zu einer zentripetalen Ausbreitung der motorischen Phå-
nomene, z. B. von der Hand bis zur Schulter. Seltener wird ein zentrifugales
Ausbreitungsmuster beobachtet. Bei den komplex-fokalen Anfållen treten
als motorische Symptome ein starrer Blick mit fehlender Mimik auf sowie
Bewegungsstereotypien, etwa Schmatzbewegungen, Nesteln der Hånde, Ent-
langstreichen des Zeigefingerrçckens unter der Nase, Gåhnen u.a. Fokale
Anfålle kænnen sekundår zu einem Grand-mal-Anfall generalisieren.
Nach Anfållen kænnen fçr Minuten, Stunden oder auch bis zu ein oder
zwei Tage lang Symptome auftreten, die als fokale Funktionseinbuûe auf-
gefasst werden kænnen. Mægliche Symptome sind Paresen (Todd), verån-
dertes Reflexverhalten (Hypo- oder Hyperreflexie), Pyramidenbahnzeichen,
Aphasie und andere.
Fçr eine ausfçhrliche Abhandlung der verschiedenen Erscheinungsfor-
men der zerebralen Anfålle wird auf entsprechende Lehrbçcher verwiesen.
An dieser Stelle soll lediglich noch darauf hingewiesen werden, dass es
auch Anfålle ohne motorische Entåuûerungen gibt, so genannte nonkon-
vulsive Anfålle.

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92 z M. E. Kornhuber: 4 Das motorische System

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Zierz S, Jerusalem F (2003) Muskelerkrankungen, 3. Aufl. Thieme, Stuttgart
5 Das sensible System
M. E. Kornhuber

Das sensible System setzt sich aus verschiedenen Sinnesmodalitåten zusam-


men, die recht unterschiedliche Funktionen und physiologische Eigenschaf-
ten haben. Die Herabsetzung oder das Fehlen sensibler Information (Hyp-
bzw. Anåsthesie) wird nicht immer sofort wahrgenommen. Demgegençber
fallen sensible Reizerscheinungen (von Paråsthesien bis zu Schmerzatta-
cken) unmittelbar auf. Zur topischen Diagnostik ist es wichtig herauszuar-
beiten, welches Areal betroffen ist und welche sensiblen Qualitåten verån-
dert sind. Bei Låsionen peripherer Nerven sind in der Regel alle Qualitåten
betroffen, wåhrend dies bei Låsionen im zentralen Nervensystem nicht im-
mer zutrifft.
Sensible Informationen erreichen das Rçckenmark çber die Hinterwur-
zeln. Topodiagnostisch bedeutsam ist die Unterscheidung zwischen dem so
genannten lemniskalen und dem spinothalamischem System. Die Fasern,
die Information fçr Berçhrungsempfinden, Vibration und Lageempfinden
transportieren, verlaufen ungekreuzt in den Hinterstrången des Rçcken-
marks und projizieren auf Neurone im Nucleus gracilis (Bein) bzw. cunea-
tus (Arm) im Rhombenzephalon. Oberhalb kreuzen die Axone und verlau-
fen im Lemniscus medialis zum Thalamus (Abb. 5.1). Fasern, die Tempera-
tur- und Schmerzempfinden leiten, projizieren direkt auf Segmenthæhe so-
wie bis zu zwei Segmente darunter bzw. darçber auf Neurone im Hinter-
horn (Lamina I bis III). Deren Axone kreuzen zur Gegenseite und verlau-
fen çber den Vorderseitenstrang (Tractus spinothalamicus) nach kranial.
Ein Teil der Fasern projiziert auf Neurone im zentralen Hæhlengrau. Der
andere Teil dieser Faserverbindung konvergiert im Hirnstamm mit dem
Lemniscus medialis auf den Nucleus ventroposterolateralis (Abb. 5.2). Ober-
halb des Thalamus verlåuft die sensible Information wieder gemeinsam
zum sensiblen Kortex. Die getrennte Fortleitung sensibler Information in
Rçckenmark und Hirnstamm ist die anatomische Grundlage fçr isolierte
Låsionen in diesem Bereich mit der Folge einer dissoziierten Sensibilitåts-
stærung.
94 z M. E. Kornhuber

Abb. 5.1. Die Hinterstrangbahnen


(aus Lang u. Wachsmuth 1982)
5 Das sensible System z 95

Abb. 5.2. Tractus spinotha-


lamicus lateralis
(aus Lang u. Wachsmuth 1982)
96 z M. E. Kornhuber

Untersuchung sensibler Qualitåten

Der Anfånger verliert sich angesichts der verschiedenen sensiblen Qualitå-


ten leicht in einer umfangreichen und zeitaufwåndigen Untersuchung am
gesamten Integument. Demgegençber gilt es in der klinischen Praxis, aus
gezielten, ærtlich umschriebenen Untersuchungsbefunden verschiedener
sensibler Qualitåten effektiv zu einer Topodiagnose zu kommen bzw. dazu
beizutragen. Bei den håufigen diffusen Polyneuropathien etwa summieren
sich Schåden çber die Strecke, sodass die långsten Neuriten am stårksten
betroffen sind. Die Untersuchung von Fçûen und Hånden kann also eher
eine Polyneuropathie aufdecken als z. B. die Untersuchung im Rumpf-
bereich. Die Sensibilitåt an Hånden oder Fçûen ist auch im Rahmen håufi-
ger Wurzelschåden (C6, C7, C8, L5, S1) sowie bei wesentlichen Nerveneng-
passsyndromen beeintråchtigt (z. B. Karpaltunnelsyndrom, Sulcus-Ulnaris-
Syndrom, lumbale Spinalkanalstenose, Peronåuslåsion am Fibulakæpfchen).
Auch eine Reihe zentraler Låsionen weist ein distales Verteilungsmuster an
Arm und Bein auf.

z Berçhrungsempfinden
Berçhrung setzt sich aus verschiedenartigen Stimuli zusammen, fçr die es
jeweils eigene Rezeptoren gibt. Bewegte Reize werden vor allem çber
schnell adaptierende Rezeptoren wahrgenommen (Meissner-Kærperchen
und Krause-Endkolben). Druck wird çber langsam adaptierende Rezep-
toren registriert (Merkel-Zellen, Ruffini-Kærperchen). Im Bereich der be-
haarten Haut tragen ferner verschieden schnell adaptierende Haarrezepto-
ren zum Berçhrungsempfinden bei. Das Berçhrungsempfinden der Haut
wird mit den Fingerkuppen oder mit einem Wattebausch untersucht.
Schleimhaut, etwa im Mundbereich, wird ebenfalls mit einem Wattetråger
untersucht. Einige Autoren bevorzugen die Untersuchung der Hautsensibili-
tåt mit den Fingern, weil der Untersucher eine unmittelbare Kontrolle çber
die Vergleichbarkeit des dargebotenen Reizes erhålt. Fçr wissenschaftliche
Zwecke werden ferner von-Frey-Reizhaare verwendet. Es wird vergleichend
untersucht zwischen den Seiten, proximal-distal, sowie zwischen Gesicht,
Rumpf, Armen und Beinen. Da die Dermatome der Nervenwurzeln und der
peripheren Nerven an den Extremitåten långs angeordnet sind, ist mindes-
tens eine zirkulåre Untersuchung in der Mitte von Ober- und Unterarm
bzw. Ober- und Unterschenkel vorzunehmen. Hånde und Fçûe werden ge-
nauer untersucht (s. o.). Am Rumpf verlaufen die Dermatome annåhernd
zirkulår, sodass die Untersuchung in kraniokaudaler Richtung sinnvoll ist.
Eine herabgesetzte Oberflåchensensibilitåt wird als Hypåsthesie bezeichnet,
eine vermehrte Oberflåchensensibilitåt als Hyperåsthesie. Nur reproduzier-
bare hyp- bzw. hyperåsthetische Areale sind diagnostisch verwertbar. Auf-
grund der çberlappenden Dermatome peripherer Nerven ist das hypåsthe-
tische Areal nach einer Nervenlåsion meist kleiner als erwartet. Aus dem
5 Das sensible System z 97

Abb. 5.3. Hautinnervation. Dermatome und Segmente (aus Lang u. Wachsmuth 1982)
98 z M. E. Kornhuber

gleichen Grund ist ein hyperåsthetisches Areal in der Regel græûer als er-
wartet. Wegen der Ûberlappung der Dermatome sind median begrenzte
Sensibilitåtsstærungen anatomisch nicht erklårbar und legen daher eine
psychogene Ursache nahe. Es gibt allerdings Fålle, bei denen es fçr eine ei-
genartig inkongruente Beteiligung von Dermatomen physiologische Erklå-
rungen gibt. Als Beispiel sei die inguinale Schmerzausstrahlung bei lumbo-
sakraler Wurzelkompression genannt. Diese geht auf die Innervation des
vorderen Teils des Foramen intervertebrale in diesem Bereich durch die
Wurzel L1 oder L2 zurçck (Morinaga et al. 1996) (Abb. 5.3).

z Vibrationsempfinden
Die Wahrnehmung der Vibration (Pallåsthesie) erfolgt çber extrem schnell
adaptierende Rezeptoren (Vater-Pacini-Kærperchen, Golgi-Mazzoni-Kærper-
chen). Das Rezeptorpotenzial wird in eine hochfrequente Abfolge afferenter
Aktionspotenziale umgesetzt. Die Generierung hochfrequenter Entladungen
ist besonders stæranfållig, sodass das Vibrationsempfinden ein recht emp-
findliches Maû fçr eine Nervenschådigung darstellt. Eine wichtige Eigen-
schaft ist ferner die Quantifizierbarkeit im ærtlichen und zeitlichen Ver-
gleich. Untersucht wird mit speziellen Aufsåtzen mit einer 8-teiligen Skala
auf den Armen der Stimmgabel. Die Stimmgabel wird z. B. an der Handflå-
che angeschlagen und mit ihrem Fuû auf einen Fingernagel oder Knochen-
vorsprung aufgesetzt. Der in Schwingung gesetzte Kærper (Knochen) çber-
trågt die Schwingung auf ein græûeres Hautareal. Die Untersuchung wird
bei geschlossenen Augen des Patienten durchgefçhrt. Zunåchst wird die
Stimmgabel an einer Stelle aufgesetzt, an der die Vibration sicher wahr-
genommen wird, also z. B. Akromion oder Clavicula, damit der Patient
weiû, worauf er zu achten hat. Die nicht in Schwingung gesetzte Stimm-
gabel wird als Referenz verwendet, um die Mitarbeit zu prçfen. Danach
werden distale Orte (Groûzehennagel, Kleinfingernagel) untersucht. Bei dis-
tal vermindertem Vibrationsempfinden sollten auch proximale Punkte, etwa
Patella, Spina iliaca anterior superior, Sakrum und Dornfortsåtze der Wir-
belkærper untersucht werden, um so den Ort der Låsion eingrenzen zu
kænnen. Da der Fuûbereich von den Wurzeln L5 und S1 versorgt wird,
muss ein reduziertes Vibrationsempfinden in diesem Bereich nicht unbe-
dingt auf eine Polyneuropathie hindeuten, selbst wenn Patella und spina
iliaca anterior superior einen normalen Befund zeigen. In diesem Fall ent-
scheidet der Befund im lumbosakralen Bereich, sofern nicht eine adipæse
Haut die Untersuchung in dieser Region beeintråchtigt. Bei Hinterstranglå-
sionen ist die Vibration unterhalb der Låsion (Dornfortsåtze) gleichblei-
bend reduziert, oberhalb normal. Die Låsion liegt, u. a. aufgrund des As-
census des Rçckenmarks, in der Regel kranial des sensiblen Niveaus.
An den Hånden sollte das Vibrationsempfinden 8/8 betragen. An den
Malleoli wçrden wir auch einen Wert von 6/8 noch als normal betrachten.
Mit zunehmendem Alter ist mit einer leichten Einbuûe an Pallåsthesie zu
rechnen. Bei fortgeschrittenen Polyneuropathien kann das Vibrationsemp-
5 Das sensible System z 99

finden so stark beeintråchtigt sein, dass mit aufgesetztem Fuû der Stimm-
gabel keine Differenzierung des Verteilungsmusters mæglich ist. In diesem
Fall låsst sich mit dem an verschiedenen Stellen auf die Haut aufgelegten
unteren Teil des schwingenden Stimmgabelarms meist eine Aussage zum
Verteilungstyp der Pallhypåsthesie machen. Auch bei Údemen oder schwe-
rer Adipositas kann man so zu einigermaûen verlåsslichen Befunden kom-
men.

z Lage-Empfinden
Propriozeptive Qualitåten, also Lage-, Kraft- und Gewichtsempfinden spie-
len eine wesentliche Rolle bei der Koordination, also bei Stand, Gang,
Unterberger-Tretversuch, Hçpfen, Fingerspiel, Finger-Nase-Versuch, Knie-
Hacke-Versuch etc. (s. Kapitel 6). Propriozeptive Wahrnehmung erfolgt vor
allem çber Muskelspindelafferenzen und Sehnenorgane. In der klinischen
Untersuchung wird das Lage-Empfinden insbesondere dann eingehend un-
tersucht, wenn die Koordinationsprçfung auffållige Befunde zeigt. In der
Regel untersucht man die Verånderung einer Gelenkstellung, z. B. am Zei-
gefinger oder am groûen Zeh. Finger oder Zeh werden seitlich zwischen
Daumen und Zeigefinger des Untersuchers gehalten. Auf diese Weise wird
die Stimulation von Druckrezeptoren im Bereich der Finger- bzw. Zehen-
kuppen vermieden. Die Bewegung nach oben bzw. unten erfolgt bei ge-
schlossenen Augen des Patienten. Der Patient soll dabei allein die Bewe-
gungsrichtung nach oben bzw. unten einschåtzen, nicht aber den Winkel-
grad. Die Lageånderung wird schrittweise reduziert. Der gesunde Proband
kann die Richtung kleinster Exkursionen richtig einschåtzen. Bei proprio-
zeptiver Deafferenzierung kann der Patient bei geschlossenen Augen nicht
mehr die Stellung von Hand und Fingern regeln. Es kommt zu charakteris-
tischen langsamen, teils athetoiden Bewegungen von Hand und Fingern.

z Schmerzwahrnehmung
Schmerz wird çber zwei unterschiedlich schnell leitende Rezeptoren wahr-
genommen: Die schwach myelinisierten Ad-Fasern leiten rascher (12±30 m/s)
und vermitteln einen gut lokalisierbaren, ¹hellenª Schmerz. Unmyelinisierte
C-Fasern leiten langsam (0,5±2 m/s) und vermitteln einen schlechter lokali-
sierbaren ¹dumpfenª Schmerz. Schmerzfasern befinden sich in allen periphe-
ren Nerven und in vegetativen Nerven. Die Untersuchung erfolgt vor allem
mit spitzen Gegenstånden (z. B. Zahnstocher). Die Haut wird an verschiede-
nen Stellen im Bereich von Gesicht, Armen, Beinen, Rumpf etc. stimuliert
und ggf. hypalgetische Areale markiert. Es kann auch ein spitzer Gegenstand
im Vergleich mit einem stumpfen getestet werden, z. B. mit einem Wattetråger
(Spitz-Stumpf-Diskrimination). Fçr wissenschaftliche Zwecke werden auch
standardisierte von-Frey-Borsten verwendet. Dermatome fçr die Algesie
çberlappen geringer als die fçr die Oberflåchensensiblitåt, sodass die Gren-
zen des betroffenen Dermatoms am besten mit einem spitzen Gegenstand
100 z M. E. Kornhuber

charakterisiert werden (Poletti 1991, Rocco et al. 1985). In der Vergangenheit


wurde vielfach das Wartenberg-Nadelrad zur Testung der Algesie eingesetzt.
Der Gebrauch ist aus hygienischen Grçnden aber obsolet. Vermindertes
Schmerzemfinden heiût Hypalgesie, vermehrtes Schmerzempfinden Hyper-
algesie. Weitere Begriffe: Hyperalgesie (s. o.): vermehrte Wahrnehmung eines
fçr sich bereits schmerzhaften Stimulus. Allodynie: Schmerzprovokation
durch einen fçr sich nicht schmerzhaften Stimulus. Hyperpathie bezeichnet
einen Schmerz, der nicht nur an zu erwartender Intensitåt çber den Stimulus
hinausgeht, sondern auch in ærtlicher und zeitlicher Hinsicht. Kausalgie ist
die Extremform einer Allodynie oder Hyperpathie mit kontinuierlichem
brennend-bohrenden Spontanschmerz, der durch taktile Stimuli deutlich zu-
nimmt. Allodynie und Hyperpathie sind wichtige Symptome sympathisch
unterhaltener Schmerzsyndrome (M. Sudeck, Sympathische Reflexdystro-
phie, Komplexes Regionales Schmerzsyndrom bzw. Complex Regional Pain
Syndrome (CRPS) Typ I). Kausalgie (CRPS Typ II) setzt eine traumatische
periphere Nervenlåsion (håufig Schussverletzung) voraus, wåhrend CRPS
Typ I auch nach Bagatellverletzungen oder Frakturen beobachtet wird.

z Thermåsthesie
Die Testung der Kalt-Warm-Diskrimination erfolgt mit Reagenz- bzw. Pro-
bengefåûen, die mit kaltem bzw. warmem Wasser gefçllt sind. Die Tem-
peraturdifferenz sollte zwar gut zu spçren, jedoch nicht zu groû sein. Als
Grenzwerte kænnen 10 8C und 30 8C gelten. Hat man keine Reagenzglåser
zur Verfçgung, kann man die Vibrationsstimmgabel ohne Aufsåtze verwen-
den, einen Stimmgabelarm in der Faust anwårmen und dann die Arme zur
Kalt-Warm-Testung nutzen. Ferner gibt es spezielle Geråte fçr die ther-
mische Testung. Øhnlich wie die Prçfung des Schmerzempfindens spielt
die thermische Untersuchung eine groûe Rolle zum Erkennen einer dissozi-
ierten Sensibilitåtsstærung. In der Routineuntersuchung kann man sich auf
wenige Stellen im Gesicht, am Rumpf und den Extremitåten beschrånken.
Bei bestimmten Verdachtsdiagnosen wird man jedoch gezielt nach einer
dissoziierten Sensibilitåtsstærung suchen. Dazu gehæren: Wallenberg-Syn-
drom, zentromedullåre Syndrome (Syringomyelie, A.-spinalis-anterior-Syn-
drom), Brown-Sequard-Syndrom.

z Juckreiz
Juckreizempfinden kann bislang nicht im Rahmen der Routineunter-
suchung geprçft werden. Kitzeln, Juckreiz und Schmerz werden z. T. als
Kontinuum aufgefasst. Alle Intensitåten an Juckreiz und Schmerz kænnen
aber unabhångig voneinander hervorgerufen werden. Aufgrund der Bezie-
hung zur Schmerzwahrnehmung ist eine Fortleitung im Tractus spinothala-
micus anzunehmen. Juckreiz ist als Symptom neurologischer Krankheiten
eher selten, er tritt z. B. im Rahmen einer Postzosterneuropathie auf. Seg-
mentaler Juckreiz ist das Hauptsymptom der Notalgia paraesthetica, die
5 Das sensible System z 101

eine sensible Neuropathie mit Beteiligung der Rami dorsales spinaler Ner-
venwurzeln darstellt (Savk et al. 2000). Juckreiz als Hauptsymptom neuro-
logischer Erkrankungen wurde bei verschiedenen Låsionen des peripheren
und zentralen Nervensystems in Einzelfållen beschrieben. Juckreiz in der
Peripherie geht z. B. auf die Freisetzung von Histamin bzw. Serotonin zu-
rçck.

Reflexe

Reflexe werden wegen der motorischen Reizantwort eher dem motorischen


System zugerechnet (siehe dort). Es soll daher an dieser Stelle lediglich er-
innert werden, dass Reflexe die Intaktheit der sensiblen (bzw. sensorischen)
Afferenzen erfordern. Das gilt fçr Fremdreflexe (Lichtreaktion, Cornealre-
flex, Glabellareflex, Schnauzreflex, Palmomentalreflex, Bauchhautreflex, su-
domotorische Reaktion, Kremasterreflex, Analreflex, Knipsreflex, Babinski-
Zeichen etc.) genauso wie fçr die Muskeleigenreflexe.

An hæhere Hirnfunktionen gebundene sensible Leistungen

Die Zweipunktdiskrimination setzt eine intakte Oberflåchensensibilitåt vo-


raus, erfordert jedoch zusåtzlich die Integritåt kortikaler (parietaler) sen-
sibler Assoziationsareale. Die Untersuchung erfolgt z. B. mit dem Weber-
Tastzirkel. Fçr die Routineuntersuchung sind der Gebrauch einer aufgebo-
genen Bçroklammer oder zweier Holzståbchen und die visuelle Abschåt-
zung des Abstandes ausreichend. Das Zweipunktdiskriminationsvermægen
ist fçr verschiedene Hautregionen je nach Erfordernissen fçr die taktile In-
formationsverarbeitung recht unterschiedlich.
Bei der Extinktion handelt es sich um den besonderen Fall eines ge-
stærten Zweipunktdiskriminationsvermægens. Halbseitige Extinktion (Aus-
læschung) eines simultan auf beiden Seiten dargebotenen Reizes ist ein
håufiger Befund bei Hemisyndromen. Reize kænnen mit Wattebausch, Fin-
gern sowie mit spitzem Gegenstand dargeboten werden, und zwar zufållig
mal unilateral, mal bilateral. Extinktion ist ein recht empfindliches Symp-
tom, manchmal das einzige fassbare sensible Symptom eines Hemisyn-
droms. Es ist dann als Minimalvariante eines Hemineglektes zu werten.
Dies ist insbesondere bei parietalen Låsionen der Fall (s. Kapitel 7).
Bei der Testung der Graphåsthesie werden bei geschlossenen Augen des
Patienten Zahlen oder Buchstaben auf dessen Haut geschrieben, also z. B.
auf die Fingerkuppen oder auf den Fuûrçcken. Der Patient soll die Zeichen
benennen. Alternativ kann man auch Linien auf der Haut ziehen und den
Patienten die Richtung benennen lassen, in der die jeweilige Linie gezogen
102 z M. E. Kornhuber

wird. Zur Untersuchung der Stereognosie wird dem Patienten bei geschlos-
senen Augen ein Gegenstand in die Hand gegeben, der durch Tasten er-
kannt werden soll. Geeignet sind Mçnzen, Bçroklammer, Bleistiftspitzer,
Schlçssel etc. Verlust der Diskriminationsfåhigkeit nennt man Astereogno-
sie. Bei graphåsthetischen und stereognostischen Tests ist das Zusammen-
spiel kortikaler Assoziationsgebiete fçr die Oberflåchensensibilitåt und z. B.
Zeichenerkennen bzw. råumliches Vorstellungsvermægen nætig.

Sensible Reizerscheinungen

Da sensible Reizerscheinungen klinisch nicht objektiviert werden kænnen,


spielt die Anamnese eine wesentliche Rolle. Sensible Reizerscheinungen
sind vielfåltig. Sie kænnen vorçbergehend oder permanent sein und reichen
von Paråsthesien bis zu massiven Schmerzen. Sensible Reizerscheinungen
kænnen unprovoziert oder provoziert auftreten sowie peripher oder zentral
entstehen.

z Formen sensibler Reizerscheinungen

z Paråsthesien und Dysåsthesien. Paråsthesien und Dysåsthesien werden im


klinischen Jargon håufig nicht scharf getrennt. Tatsåchlich sind es auch pa-
thophysiologisch åhnliche Phånomene, die nebeneinander vorkommen
kænnen. Paråsthesien sind nicht spontan auftretende Missempfindungen,
die durch Reize getriggert werden kænnen. Daher spielen Paråsthesien vor
allem bei den verschiedenen unten beschriebenen Provokationsmanævern
eine bedeutende Rolle. Paråsthesien kænnen reflektorisch jedoch auch im
Rahmen einer Låsion des zentralen Nervensystems ausgelæst werden.
Dysåsthesien sind demgegençber spontan auftretende abnorme Sensatio-
nen, z. B. Kåltegefçhl, Brennen, Jucken, Kribbeln etc. Letztlich zeigen Parås-
thesien und Dysåsthesien in der Regel unterschiedliche Grade ektoper Er-
regbarkeit sensibler Axone bzw. Neurone an.

z Synåsthesien. Nach peripheren Nervenlåsionen kommt es gelegentlich da-


zu, dass bei taktilen Stimuli die Empfindung gleichzeitig an einer (meist
nicht weit entfernten) nicht stimulierten Stelle wahrgenommen wird. Ursache
dieser Synåsthesien sind vermutlich Fehlaussprossungen sensibler Axone.

z Schmerz. Schmerz hat fçr alle Bereiche der Medizin eine so çberragende
Bedeutung, dass ein eigener Abschnitt gerechtfertigt ist. Der ¹physiologi-
scheª Schmerz ist der Nozizeptorschmerz, etwa im Bereich einer Entzçn-
dungsreaktion oder einer mechanischen Ûberlastung (Kapseldehnung o. å.).
Diese Schmerzart zåhlt nicht zu den sensiblen Reizerscheinungen. Es han-
delt sich um meist oberflåchlich empfundene Schmerzen mit stechendem,
5 Das sensible System z 103

Abb. 5.4. Maximalpunkte der oberflåchlichen Hyperalgesie bei Erkrankung innerer Organe [nach
Head 1898 (schwarz); nach Hansen und Schliack 1962 (rot)] (aus Lang u. Wachsmuth 1982)

ziehendem, teils auch drçckendem Charakter (z. B. Zahnschmerz). Im Rah-


men einer Entzçndung kommt es oft zu zunehmenden pulssynchron po-
chenden Schmerzen, die eine vaskulåre (arterielle) Reaktion anzeigen.
Øhnliche pulssynchrone Schmerzen sind z. B. charakteristisch fçr die Mi-
gråne (¹neurogene Entzçndungª). Bei Schmerzentstehung im Bereich von
Weichteilen, Eingeweiden und Knochen kommt es zum Phånomen des
çbertragenen Schmerzes. D. h., der Schmerz wird aufgrund der Konvergenz
mit Hautafferenzen im zentralen Nervensystem in einem bestimmten Haut-
areal wahrgenommen, vgl. z. B. Head-Zonen (Abb. 5.4).
Neuropathischer Schmerz besteht aus verschiedenen Formen schmerz-
hafter sensibler Reizerscheinungen. Es handelt sich oft um dumpf bohren-
de, reiûende oder brennende Schmerzen. Meist besteht eine Hyperalgesie.
Nicht selten kommt es zur Chronifizierung mit gleichzeitigem Vorkommen
verschiedener Schmerzarten. Neuropathischer Schmerz tritt z. B. auf bei
Neuritiden (Herpes zoster, Borrelien-Polyradikulitis, Armplexusneuritis
u. a.), bei ischåmischen Neuropathien (z. B. diabetische Radikulopathie) so-
104 z M. E. Kornhuber

wie bei den vielen Spielarten von Nervenengpasssyndromen, also bei Kar-
paltunnelsyndrom (Brachialgia paraesthetica nocturna), Meralgia paraes-
thetica, Tarsaltunnelsyndrom, Sulcus-ulnaris-Syndrom, Wurzelkompression
durch Bandscheibenlåsion oder Ganglien. Nicht selten sind neuropathische
Schmerzen nach Nervenzerrung, etwa nach Hçftendoprotheseoperationen.
Attacken intensiver, krampfartiger, reiûend-bohrender Schmerzen fçr Mi-
nuten bis zu Stunden kennzeichnen die Infiltration maligner solider Tumo-
ren in periphere Nerven, z. B. in den Plexus lumbosacralis bei einem Rek-
tumkarzinom.
Neuralgiformer Schmerz ist ein Spezialfall eines neuropathischen
Schmerzes. Er tritt spontan auf oder auch triggerbar durch taktile Stimuli.
Charakteristisch sind ¹blitzartigeª, elektrisierend-stechende Schmerzen, die
meist nicht långer als fçr den Bruchteil einer Sekunde anhalten und in Sal-
ven auftreten kænnen. Typisches Beispiel ist die Trigeminusneuralgie. Ursa-
che ist die elektrische Koppelung (Ephapsen) z. B. taktiler und nozizeptiver
Afferenzen im Bereich einer fokalen Demyelinisierung. Diese liegt in der
Regel im Bereich eines abnormen Gefåû-Nerven-Kontakts oder im Bereich
einer Multiple-Sklerose-Plaque.
Ein anderer Sonderfall neuropathischer Schmerzen ist der Stumpf-
schmerz nach einer Gliedmaûenamputation. Im Bereich des durchtrennten
Nervenendes entwickelt sich ein Neurom, das Hyperåsthesie, kribbelnde
bzw. elektrisierende Dysåsthesien bzw. Paråsthesien, Hyperalgesie, Allody-
nie, Hyperpathie und auch Kausalgie verursachen kann. Ferner prådis-
poniert die Amputation zum Deafferenzierungsschmerz, z. B. in Form von
Phantomschmerzen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn bereits vor der
Amputation (chronische) Schmerzen bestanden. Es sei noch erwåhnt, dass
es nach Amputationen zu einem schmerzhaften ¹Stumpfschlagenª kommen
kann. Dies sind Myoklonien, die willkçrlich nicht zu beeinflussen sind und
zu Schmerzen fçhren, die durch das Schlagen selbst, teils aber auch durch
Stumpfschmerzen bedingt sind. Øhnliche schmerzhafte Myoklonien werden
selten auch nach komplizierten Hçftoperationen im Bereich des Oberschen-
kels beobachtet.
Der Deafferenzierungsschmerz ist gekennzeichnet durch Hypåsthesie in
Kombination mit permanentem Brennschmerz oder brennend-bohrendem
Schmerz. Oft sind auch Hyperalgesie und Allodynie vorhanden. Beweisend
fçr die zentrale Genese ist die Persistenz der Schmerzen unter Spinalanås-
thesie. Maximalvariante des Deafferenzierungsschmerzes ist die Anaesthe-
sia dolorosa, die nach Wurzelausriss aus dem Hinterhorn des Rçckenmarks
(z. B. nach einem Motorradunfall) auftritt oder auch iatrogen als Komplika-
tion der Thermokoagulation des Ganglion gasseri im Rahmen der Ultima-
ratio-Therapie der Trigeminusneuralgie.

z Attackenartige schmerzlose sensible Reizerscheinungen. Unprovozierte


nichtschmerzhafte attackenartige sensible Reizerscheinungen ohne weitere
Begleitsymptome sind meist zentraler Genese und kænnen z. B. Symptom
einer transitorischen Ischåmie (Dauer meist >1 Minute) oder eines epilep-
5 Das sensible System z 105

tischen Anfalls (Dauer meist <1 Minute) sein. Sie haben håufig eine bra-
chiofaziale Betonung. Weniger håufig handelt es sich um so genannte Mi-
gråneåquivalente (Auraphånomene ohne Kopfschmerzen, Migraine sans
Migraine), die u. a. in der frçhen Schwangerschaft auftreten kænnen. Selten
sind rein sensible Attacken bei Demyelinisierungsherden (z. B. als so ge-
nannte paroxysmale Phånomene bei multipler Sklerose).

z Auslæsung sensibler Reizerscheinungen

z Traktion, Nervendehnungszeichen, meningeale Reizzeichen. Die Schmerz-


provokation durch Dehnung der Hirn- und Rçckenmarkshåute heiût Me-
ningismus. Wegen der schmerzreflektorischen Verspannung der Nacken-
muskulatur kann das Kinn meist nicht bis zum Sternum gefçhrt werden.
Der Kinn-Sternum-Abstand kann daher als Verlaufsparameter eingesetzt
werden. Die seitliche Halsbeweglichkeit ist nicht oder deutlich weniger ein-
geschrånkt. Ist diese gleichermaûen betroffen, so liegt in der Regel kein
Meningismus vor, sondern eine Kopfzwangshaltung (Pseudomeningismus)
anderer Genese (parainfektiæser Muskelhartspann etc.). Das aussagekråf-
tigste meningeale Reizzeichen ist das Zeichen nach Brudzinski (Abb. 5.5).
Bei passiver Kopfbeugung werden schmerzreflektorisch die Beine im
Hçftgelenk gebeugt. Bei einer meningealen Reizung sind meist auch die
lumbalen meningealen Reizzeichen nach Las gue und Kernig positiv, die
gleichzeitig Nervendehnungszeichen sind (s. u.). Meningismus kann Symp-
tom einer Meningitis sein, tritt aber ebenso bei anderen Erkrankungen auf,

Abb. 5.5. Meningeale Reizsymptome. a Brudzinski-Zeichen, b Kernig-Zeichen (aus Berlit 1998)


106 z M. E. Kornhuber

Abb. 5.6. a Las gue-Zeichen, b umgekehrtes Las gue-Zeichen (aus Berlit 1998)

z. B. als meningeales Reizsymptom einer Subarachnoidalblutung, seltener


einer Meningeosis neoplastica (tumoræser Befall der Hirnhåute). Ferner
kann eine Raumforderung im Bereich der hinteren Schådelgrube oder im
Bereich des zervikalen Spinalkanals mit Meningismus einhergehen.
Werden bei aktiver oder passiver Nackenbeugung Paråsthesien angege-
ben, die den Rçcken hinunterziehen (Lhermitte-Zeichen), so ist dies ein
starker Hinweis fçr eine floride demyelinisierende Låsion in den Hinter-
strången des Halsmarks (nicht nur bei multipler Sklerose, sondern z. B.
auch bei Raumforderungen im zervikalen Wirbelkanal).
Nervendehnungszeichen spielen in der neurologischen Diagnostik eine
groûe Rolle. Das Dehnungszeichen nach Las gue wird durch Hçftbeugung
bei gestrecktem Kniegelenk getestet (Abb. 5.6). Asymptomatische Personen
geben oft ein Ziehen oder Spannungsgefçhl im Oberschenkel und in der
Kniekehle an. Wenn Lumbalgie (ohne oder mit radikulårer Ausstrahlung)
angegeben wird, unterstçtzt dies die Annahme einer Låsion im Bereich von
proximalem N. ischiadicus, der Nervenwurzeln L5 bis S2 oder der kaudalen
Meningen. Dieses Zeichen ist allerdings so gut in der Bevælkerung bekannt,
dass man im Zweifelsfall den Patienten aus Rçckenlage bei gestreckten Bei-
nen zum Sitzen bringen sollte, um die Reaktion zu kontrollieren. Bei me-
ningealer Reizung kann es bei Prçfung des Las gue zur Ûberstreckung des
Kopfes durch vermehrten Nackenmuskeltonus kommen (Opisthotonus).
Øhnliche Bedeutung wie das Las gue-Zeichen hat das Kernig-Zeichen
(Kniestreckung bei gebeugtem Hçftgelenk; Abb. 5.5). Das Bragard-Zeichen
stellt eine zusåtzliche Nervendehnung zum Las gue dar. Bei um 908 im
Hçftgelenk flektierten und im Knie gestreckten Bein wird der Fuû im
Sprunggelenk gestreckt. Beim umgekehrten Las gue wird in Seiten- oder
Bauchlage das im Kniegelenk um 908 gebeugte Bein im Hçftgelenk ge-
streckt. Dabei werden N. femoralis und die Wurzeln L2 bis L4 gedehnt.
5 Das sensible System z 107

z Das Phalen-Manæver, eigentlich eine Kompression des N. medianus durch


maximale Beugung im Handgelenk, und das umgekehrte Phalen-Maneuver
mit maximaler Extension im Handgelenk unterstçtzen die Diagnose des
Karpaltunnelsyndroms. Innerhalb von 20 bis 30 Sekunden treten Missemp-
findungen bzw. eine Hypåsthesie an den Kuppen vom Daumen bis zur ra-
dialen Seite des Ringfingers auf. Seitwårtsneigung (Abduktion) des Kopfes
bei adduziertem Arm fçhrt zur Dehnung des Armplexus. Dieses Manæver
fçhrt zu Schmerzprovokation bei einer Armplexusneuritis oder bei Wurzel-
låsionen im Halsbereich.
Beim ¹Piriformisª-Syndrom provoziert Anspannung im Bereich des trak-
tierten Muskels Schmerz. Der Patient liegt auf der nicht schmerzhaften Sei-
te. Das oben liegende Bein wird in der Hçfte gebeugt mit dem Knie auf
der Unterlage ruhend. Wird das Knie aktiv leicht von der Unterlage ange-
hoben, tritt Schmerz in der Tiefe der Clunes auf (Beatty 1994).

z Valsalva, Stauchung. Vor allem fçr die Abgrenzung von Bandscheibenlå-


sionen einschlieûlich Wurzelkompression von myofaszialen oder arthroge-
nen Rçckenschmerzsyndromen spielt die Schmerzprovokation durch ein
Valsalva-Manæver (Husten, Pressen, Niesen) oder durch Stauchung (z. B.
Hçpfen, Autofahrt çber Schwellen oder Schlaglæcher) eine Rolle (s. Kapitel
8). Bei ausgeprågtem Stauchungsschmerz ist jenseits degenerativer Band-
scheibenlåsionen u. a. auch an eine Spondylodiszitis zu denken.

z Palpation. Auslæsung sensibler Symptome (vor allem Schmerz) durch Pal-


pation gehært zum grundlegenden diagnostischen Repertoire in der Medi-
zin. Bei der Untersuchung von Bauchorganen, Weichteilen etc. kann Druck
(oder abrupt nachlassender Druck; Loslass-Schmerz) einen vorhandenen
oder latenten Schmerz verstårken (çbertragener Schmerz, s. u.).
Palpation peripherer Nerven spielt eine Rolle beim Sulcus-ulnaris-Syn-
drom. Der N. ulnaris låsst sich nicht selten verdickt im Bereich des Sulcus
tasten und luxiert bei Ellenbogenbeugung in einem Teil der Fålle aus sei-
nem Bett. Nervenpalpation hat ferner eine gewisse Bedeutung zur Erfas-
sung verdickter Nerven bei hypertrophischen Polyneuropathien, z. B. bei
Lepra. Druck auf Nerven im Bereich von Engpåssen kann ebenfalls
Schmerzen auslæsen: beim Karpaltunnelsyndrom çber dem volaren Hand-
gelenk sowie Paråsthesien in den radialen 3 bis 4 Fingern. Øhnliches gilt
fçr die Kompression des N. cutaneus femoris lateralis im Bereich des late-
ralen Leistenbandes bei der Meralgia paraesthetica. Druckschmerzhaftigkeit
im Bereich des N. ischiadicus unterhalb der Clunes (Valleix-Druckpunkt)
kann eine Kompression im Wurzelbereich anzeigen. Druckschmerzhaftig-
keit der Trigeminusnervenaustrittspunkte (Nn. supraorbitalis (V1), infraor-
bitalis (V2) und mentalis (V3)) kann einen Hinweis geben auf entzçndliche
Prozesse in der Nachbarschaft, also z. B. Sinusitis, Meningitis, Zahn- und
Kieferprozesse.
Fçr die Diagnostik neuromuskulårer Krankheiten spielt die Palpation
von Muskeln, Muskelansåtzen und Sehnen ebenfalls eine wesentliche Rolle.
108 z M. E. Kornhuber: 5 Das sensible System

Myofasziale Schmerzsyndrome werden von einigen Autoren çber die Zahl


an sog. Triggerpunkten definiert: Dies sind Bereiche mit palpabler um-
schriebener Muskelkontraktion, die vermutlich reflektorisch via Nozizep-
toren im Bereich neuromuskulårer Endplatten vermittelt ist (Simons et al.
2002). Demgegençber liegen bei so genannten Fibromyalgiesyndromen
druckdolente Bereiche am Ûbergang von Muskel, Sehne und Periost vor, so
genannte Tender-Points, z. B. am Beckenkamm oder am Ûbergang von Hin-
terhaupt zum Nacken. Pathogenese und diagnostische Kriterien dieser Er-
krankungen sind bislang nur unzureichend charakterisiert.

z Perkussion, Hoffmann-Tinel-Zeichen. Durch Perkussion sensibler Nerven


im Bereich einer Låsionsstelle låsst sich oft ein Hoffmann-Tinel-Zeichen
auslæsen. Es werden Paråsthesien mit Ausstrahlung in das abhångige Der-
matom wahrgenommen. Das Hoffmann-Tinel-Zeichen kann innerhalb von
Tagen nach einer Nervenlåsion positiv sein. Beispiele sind Nervenengpass-
syndrome (z. B. Karpaltunnelsyndrom, Sulcus-ulnaris-Syndrom, Peronåus-
låsion am Fibulakæpfchen, Låsion oder Narbentraktion des N. ilioinguinalis
oder N. genitofemoralis nach Herniotomie). Das Hoffmann-Tinel-Zeichen
låsst sich ferner im distalen Bereich axonaler Aussprossung nach Nervenlå-
sionen auslæsen, sodass der Regenerationsfortschritt im Verlauf beobachtet
werden kann.

Literatur

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Simons DG et al (2002) Endplate potentials are common to midfiber myofacial
trigger points. Am J Phys Med Rehabil 81:212±222
6 Koordination
M. Deschauer

Die Untersuchung der Koordination wird allgemein nach der Untersuchung


von Motorik und Sensibilitåt durchgefçhrt, da motorische oder sensible
Symptome bei der Interpretation der Koordinationsprçfungen berçcksich-
tigt werden mçssen. Koordination umfasst das Zusammenspiel von Klein-
hirn, Hirnstamm, Gleichgewichtsorgan, visuellem System, Basalganglien,
Tiefensensibilitåt und Frontalhirn, sodass Bewegungen geordnet begonnen,
durchgefçhrt und beendet werden kænnen.
Im Folgenden werden einzelne Koordinationstests im Detail beschrieben,
die bei der Suche nach der neuroanatomischen Lokalisation von Låsionen,
die zu Koordinationsstærungen fçhren, helfen. Die Untersuchungen sind ±
soweit mæglich ± nach Kærperregionen gegliedert.

Untersuchung der Hirnnerven

Im Bereich der Hirnnerven betrifft die Koordination Augenbewegungen,


Mimik, bulbåre Funktionen (Bewegungen im Bereich von Zunge, Rachen
und Kehlkopf) sowie Kopfbewegungen, die sowohl von basalen Hirnnerven
(N. accessorius) als auch von zervikalen Nervenwurzeln vermittelt werden.

z Okulomotorik. Bei Koordinationsstærungen, die durch Låsionen in Hirn-


stamm, Kleinhirn und Labyrinth bedingt sind, kann man håufig charakte-
ristische Stærungen der Augenbewegung beobachten. Der periphere Teil
des blickmotorischen Systems ist im Kapitel ¹Hirnnervenª beschrieben.
Willkçrbewegungen der Augen auf ein Ziel sind sakkadisch, d. h. es han-
delt sich um kurze ruckartige Augenbewegungen. In der Regel treten allen-
falls geringe Abweichungen vom Ziel auf, die durch feine Blickeinstellsak-
kaden kompensiert werden. Bei Stærungen (meist zerebellår) kann es zu
hyper- oder hypometrischen Sakkaden kommen. Man testet dieses System,
indem der Patient abwechselnd nach rechts und links blickt, z. B. auf die
vom Untersucher im Abstand von einem halben Meter vorgehaltenen Zei-
gefinger.
Glatte Blickbewegungen erfordern ein sich bewegendes Ziel, das fixiert
werden kann und dem die Augen folgen. In der Praxis kann man die Blick-
folge testen, indem man das Ende des Stethoskops, das der Patient fixieren
110 z M. Deschauer

soll, langsam pendeln låsst. Dies sollte mæglichst vor einem neutralen Hin-
tergrund (z. B. weiûe Wand) geschehen, damit der Patient nicht durch an-
dere Punkte, die er fixieren kænnte, abgelenkt wird. Die langsame Blickfol-
ge ist eine hæhere Leistung, die das Zusammenspiel von okulomotorischen
und vestibulåren Hirnnervenkernen sowie Teilen des Kleinhirns erfordert.
Stærungen im Bereich dieser Zentren fçhren zu einer ¹Ataxieª der lang-
samen Blickfolge, die in Sakkaden zerfållt. Bei peripheren vestibulåren Lå-
sionen tritt Sakkadierung der Blickfolge vor allem in Richtung des Spon-
tannystagmus auf und geht gelegentlich mit Doppelbildwahrnehmung in
dieser Richtung einher. Bei zerebellåren Låsionen ist die Sakkadierung in
der Regel ungerichtet.
Unwillkçrliche rhythmische Augenbewegungen werden als Nystagmus
bezeichnet und sind in der Regel pathologisch, wobei nur manche Patien-
ten Scheinbewegungen der Umgebung (z. B. Wackeln) wahrnehmen, die
man Oszillopsien nennt. Auf die Untersuchung und Interpretation der ver-
schiedenen Nystagmusformen wurde bereits im Kapitel ¹Hirnnervenª ein-
gegangen, insbesondere auf einen durch eine periphere Labyrinthlåsion be-
dingten Nystagmus. Durch zentrale Låsionen bedingte Nystagmen kænnen
sehr vielgestaltig sein. Ein horizontaler Nystagmus tritt bei Låsionen in
den Vestibulariskerngebieten oder den benachbarten Blickzentren fçr hori-
zontale Augenbewegungen auf (Ncl. praepositus hypoglossi). Ein vertikaler
Nystagmus mit rascher Komponente nach unten (Downbeat-Nystagmus) ist
ein Hinweis auf eine paramediane bilaterale pontomedullåre Låsion oder ei-
ne bilaterale Låsion des Kleinhirnflokkulus. Schlågt er nach oben (Upbeat-
Nystagmus), so weist dies auf eine mediane Låsion in der Brçckenhaube
oder der kaudalen Medulla oblongata hin. Es kann auch ein Auge aufwårts
und das andere Auge abwårts schlagen mit zusåtzlicher Rotation (Schaukel-
nystagmus, Seesaw-Nystagmus), dies kann u. a. Symptom einer posterolate-
ralen Thalamuslåsion sein.
Myoklonien (siehe Kapitel 4) kænnen auch die Augenmuskeln betreffen
und werden dann als Opsoklonien bezeichnet, bei denen man unregelmåûi-
ge Bewegungen der Bulbi in verschiedene Richtungen beobachtet und die
der Patient auch als Oszillopsien wahrnehmen kann.

z Vestibulookulårer Reflex (Halmagyi-Test). Der Kopf des Patienten wird


vom Untersucher passiv schnell zur Seite gedreht, wåhrend der Patient die
Nase des Untersuchers fixiert. Bei einer Labyrinthschådigung (lateraler =
horizontaler Bogengang) kann der Patient bei Kopfdrehung zum betroffe-
nen Labyrinth den Blick nicht stabil fixieren und direkt nach der Drehung
wird ein Blicksprung (Sakkade) sichtbar (positiver Halmagyi-Test).

z Mimik. Eine verminderte Mimik (Hypomimie) findet sich im Rahmen


des Parkinson-Syndroms. Ûberschieûende Bewegungen, die håufig auch
die Gesichtsmuskulatur betreffen, z. B. ¹Ticª, ¹Blepharospasmusª oder ¹oro-
mandibulåre Dyskinesieª, werden im spåter folgenden Abschnitt ¹Hyper-
kinesienª erlåutert.
6 Koordination z 111

z Zungenmotilitåt. Zur Beurteilung der Zungenmotilitåt wird der Patient


gebeten, die herausgestreckte Zunge mehrfach rasch seitlich hin und her
zu bewegen.

z Beurteilung der Sprache hinsichtlich einer Dysarthrie. Unter einer Dysarthrie


versteht man eine Sprechstærung (Artikulationsstærung), die im Unterschied
zur Aphasie nicht durch ein Umsetzen von Denkvorgången in Sprache bzw.
Verstehen von Sprache gekennzeichnet ist, sondern durch eine Stærung der
Sprachmotorik. Bei der Untersuchung des Sprechens ist zu berçcksichtigen,
ob es einfache Grçnde fçr eine Stærung gibt, etwa eine schlecht sitzende Pro-
these, oder ob der Patient einen Dialekt spricht, der zu Verwechslung mit ei-
ner Sprechstærung Anlass geben kann. In Abhångigkeit verschiedener Schå-
digungsorte gibt es unterschiedliche Formen einer Dysarthrie:
z Bulbåre bzw. pseudobulbåre Sprache. Bei Stærungen der kaudalen Hirn-
nerven bzw. supranuklåren Zentren kænnen Konsonanten nicht ohne Mçhe
gebildet werden. Es resultiert eine schlecht artikulierte und ¹kloûigeª Spra-
che. Bei Parese des Gaumensegels und der kranialen Pharynxmuskulatur
imponiert eine nåselnde Sprache. Bei der Myasthenia gravis tritt dieses
Phånomen belastungsabhångig auf, also mit zunehmender Gespråchsdauer.
z Zerebellåre bzw. skandierende Sprache. Der Patient spricht abgehackt,
seltener auch mit an- und abschwellender Lautstårke, teils durch fehlende
Koordination mit dem Atemstrom auch explosiv. Diese Sprechstærung ist
typisch fçr eine zerebellåre Schådigung und entspricht einer Sprachataxie,
teils auch Sprachdysmetrie bzw. -dyssynergie.
z Extrapyramidale Sprache. Der Patient spricht langsam, leise, monoton
mit wenig modulierter Sprachmelodie (Hypophonie). Manchmal werden
die ersten Wærter stockend gesprochen, danach spricht der Patient zuneh-
mend verwaschen.

Durch das Nachsprechen von sog. ¹Zungenbrechernª kann eine nicht of-
fensichtliche Dysarthrie erkannt werden, z. B.: ¹liebe Lilli Lehmannª oder
¹dritte reitende Artilleriebrigadeª.

Untersuchung der oberen Extremitåten

z Halteversuche. Bereits beim Arm-Halte-Versuch (s. Kapitel 4) kann eine


Extremitåtenataxie durch ein unregelmåûiges Schwanken der Arme auffal-
len. Zur Beurteilung eines Haltetremors sollte der Patient die Hånde mit
leicht abgespreizten Fingern besser in Pronationsstellung vorhalten.

z Finger-Nase-Versuch (FNV). Der Patient soll mit geschlossenen Augen den


Zeigefinger in weitem Bogen an die Nasenspitze fçhren. Man achtet darauf,
ob der Patient daneben trifft (Dysmetrie), einen Intentionstremor (s.u.) zeigt
oder die Bewegung nicht flçssig, unsicher oder ausfahrend (ataktisch) ist.
112 z M. Deschauer

z Diadochokineseprçfung. Der Patient wird aufgefordert, die Hånde wie


beim ¹Einschrauben einer Glçhbirneª zu drehen (Pronations- und Supina-
tionsbewegung). Alternativ kann man die Diadochokinese durch repetitives
palmares und dorsales Berçhren der Finger einer Hand auf die Handflåche
der anderen Hand prçfen. Wird die Bewegung flçssig, aber langsam aus-
gefçhrt, spricht man von Bradydiadochokinese, wird sie nicht flçssig aus-
gefçhrt, von Dysdiadochokinese. Man achtet auf Seitenunterschiede, wobei
die Diadochokinese mit der dominanten Hand physiologischerweise etwas
besser ausgefçhrt wird. Interpretation: Eine Stærung weist auf eine gleich-
seitige zerebellåre Låsion hin, aber auch bei einer Pyramidenbahnlåsion
kann sich eine Stærung der Diadochokinese zeigen (die Diadochokine-
seprçfung kann bei einer Schådigung der Pyramidenbahn sogar empfindli-
cher sein als die Untersuchung von Kraft oder Muskeltonus).

z Test der Fingerfeinmotorik. Der Patient soll mit dem Daumen nacheinan-
der die anderen Finger berçhren oder er soll wiederholt rasch Zeigefinger
und Daumen zusammenfçhren (Finger-Tapping). Interpretation: Eine Fein-
motorikstærung findet sich sowohl bei Pyramidenbahnlåsionen als auch
bei extrapyramidalen Låsionen oder bei Hinterstranglåsionen.

z Schriftprobe. Eine verwackelte, ausfahrende und vergræûerte Schrift (Me-


galographie) weist auf eine zerebellåre Ataxie hin, eine Mikrographie auf
ein Parkinson-Syndrom. Feine Stærungen kann man erkennen, wenn man
den Patienten eine Spirale zeichnen låsst.

z Finger-Finger-Versuch. Der Patient wird aufgefordert, mit dem Zeigefinger


auf den vorgehaltenen Zeigefinger des Untersuchers zu tippen, der seinen
Zeigefinger unregelmåûig an verschiedene Positionen bewegt. Eine Dys-
metrie wird durch Danebenzielen deutlich.

z Rebound (Rçckstoû)-Phånomen. Der Patient beugt den Unterarm mit aller


Kraft gegen den Widerstand des Untersuchers, der den Arm am Hand-
gelenk festhålt. Dann låsst der Untersucher plætzlich los. Der Gesunde fçhrt
dann nur eine weitere geringe Beugung aus, da die Antagonisten rasch in-
nerviert werden. Bei einer zerebellåren Låsion funktioniert dies durch Asy-
nergie nicht ausreichend und die Hand prallt an die Schulter. Der Unter-
sucher sollte dabei mit seiner zweiten Hand das Gesicht des Patienten
schçtzen.

z Barany-Zeigeversuch (benannt nach dem Wiener HNO-Arzt und Nobel-


preistråger Robert Barany, 1876±1936). Der Patient soll mit seinem Zeige-
finger zunåchst mit offenen Augen den vorgehaltenen Zeigefinger des Un-
tersuchers berçhren. Anschlieûend wird dieselbe Bewegung mit geschlosse-
nen Augen durchgefçhrt. Interpretation: Bei einseitiger labyrinthårer oder
Hirnstammschådigung kann eine reproduzierbare Abweichung zur betrof-
fenen Seite beobachtet werden. Es handelt sich um eine Stærung der ver-
6 Koordination z 113

tikalen Raumrepråsentation. Man kann genauso gut mit geschlossenen Au-


gen einen Stab senkrecht halten lassen. Bei schråg gehaltenem Stab liegt
meist eine zentrale vestibulåre Låsion im Bereich des Fasciculus longitudi-
nalis medialis vor.

z Schulterschçtteln. Der Untersucher versetzt den Oberkærper an den


Schultern in eine axiale Pendelbewegung. Bei reduziertem Muskeltonus
(z. B. durch Kleinhirnlåsion) sind auf der betroffenen Seite passive Armbe-
wegungen deutlicher, bei erhæhtem Muskeltonus (z. B. durch Rigor beim
Parkinson-Syndrom) sind die Bewegungen verringert.

Untersuchung der unteren Extremitåten

z Gangprçfungen. Zuerst wird der normale Gang ohne Schuhe geprçft. Da-
bei wird auf Folgendes geachtet: Fallneigung, Schrittlånge und Schrittregel-
måûigkeit, Beinfçhrung (schmal oder breitbasig) sowie Mitschwingen bei-
der Arme (vermindertes Mitschwingen kann nicht nur auf eine Låhmung,
sondern auch auf ein akinetisch-rigides Syndrom hinweisen). Bei einer ze-
rebellåren Gangataxie geht der Patient unsicher und breitbasig, leicht nach
vorne gebeugt mit unregelmåûiger Schrittfolge. Schwierigkeiten beim Um-
wenden kænnen auf ein Parkinson-Syndrom hinweisen (normalerweise
kann mit drei Schritten um 1808 gewendet werden), ebenso eine Starthem-
mung, die durch das Vorhalten eines Stockes, çber den der Patient steigen
muss, çberwunden werden kann. Ein ångstlich schlurfender Gang mit Kle-
ben der Fçûe am Boden kann durch Frontalhirnlåsionen bedingt sein. Dis-
krete Gangstærungen werden durch erschwerte Gangprçfungen erkannt wie
z. B. Blindgang und Seiltånzergang (d. h. Strichgang ± einen Fuû vor den
anderen setzen) oder durch Hçpfen auf einem Bein. Schwere Koordinati-
onsstærungen kænnen bis zur Gangunfåhigkeit (Abasie) fçhren, auch wenn
keine Paresen bestehen.

z Romberg-Stehversuch (benannt nach dem Berliner Neurologen Moritz


Heinrich Romberg, 1795±1873). Der Patient soll mit ausgestreckten Armen
und zunåchst noch mit geæffneten Augen die Beine maximal eng zusam-
menstellen. Dann soll er die Augen schlieûen. Der Untersucher stellt sich
vor den Patienten und hålt sich bereit, den Patienten bei einer Fallneigung
gegebenenfalls aufzufangen. Interpretation: Es wird beurteilt, ob der Patient
sicher oder unsicher steht, ob es zu einem Standverlust kommt und ob die
Fallneigung ungerichtet oder gerichtet ist. Eine ungerichtete Fallneigung
bei geschlossenen Augen weist auf eine sensible Ataxie oder bilaterale
Kleinhirnschådigung hin. Besonders die sensible Ataxie wird durch Augen-
schluss deutlich, da sie durch visuelle Kontrolle besser kompensiert werden
kann als eine zerebellåre Ataxie. Eine gerichtete Fallneigung zu einer Seite
ist Hinweis auf eine ipsilaterale Labyrinth-, Hirnstamm- oder Kleinhirn-
114 z M. Deschauer

schådigung. Bei psychogenen Stærungen kommt es håufig zu theatralischen


Bewegungen, jedoch selten zu Stçrzen. Durch Ablenkung, z. B. Substrak-
tionsaufgabe (100, 93, 86 . . .), kann sich eine psychogene Gleichgewichts-
stærung bessern.

z Unterberger-Tretversuch (benannt nach dem Wiener HNO-Arzt Siegfried


Unterberger): Man låsst den Patienten mit geschlossenen Augen und aus-
gestreckten Armen 40-mal auf der Stelle treten. Es muss dabei im Raum
ruhig sein, damit der Patient nicht durch akustische Kontrolle die Position
halten kann. Die Fçûe mçssen ganz vom Boden abgehoben werden. Inter-
pretation: Bei einseitiger labyrinthårer Schådigung kann eine Drehung zur
kranken Seite auftreten. Die Drehung muss reproduzierbar sein und min-
destens 458 betragen. Auch bei einer zerebellåren oder einer zentralen ves-
tibulåren Schådigung findet sich manchmal eine Drehung zur kranken Sei-
te, wobei der Unterberger-Tretversuch hier wenig verlåsslich ist.

z Knie-Hacke-Versuch (KHV). Der Patient soll im Liegen mit geschlossenen


Augen die Ferse zur kontralateralen Kniescheibe fçhren und dann die Ferse
an der Tibiavorderkante nach distal fçhren. Eine subtilere Prçfung kann
dadurch erreicht werden, dass man den Patienten bittet, die Tibiavorder-
kante nicht mit der Ferse zu berçhren, sondern wenige Zentimeter Abstand
zu halten. Man achtet auf die gleichen Abnormalitåten wie beim Finger-Na-
se-Versuch. Beide Tests werden auch im Seitenvergleich beurteilt und sollen
zur besseren Beurteilbarkeit mehrfach, mit unterschiedlicher Geschwindig-
keit, ausgefçhrt werden.

z Radfahren in der Luft. Der Patient fçhrt im Liegen in der Luft Bewegun-
gen wie beim Radfahren aus. Die Bewegungen mçssen flçssig sein und
decken im pathologischen Fall eine Asynergie auf.

Untersuchung von Rumpf und Kærperhaltung

Zunåchst wird beurteilt, ob der Patient frei sitzen kann und dabei nicht
schwankt oder ob eine Rumpfataxie besteht. Anschlieûend wird das Stehen
beurteilt, wenn mæglich fçhrt der Patient den oben beschriebenen Rom-
berg-Stehversuch aus. Eine Stehunfåhigkeit wird als Astasie bezeichnet.

z Test der gleichgewichtsregulierenden (posturalen) Stellreflexe. Eine patho-


logische Auslenkung nach vorne, hinten und zur Seite (Pro-, Retro-, Late-
ropulsion) kann durch plætzlichen Stoû bzw. Zug an den Schultern von
hinten (Zugtest) festgestellt werden (Vorsicht Sturzgefahr! Patienten vor-
warnen). Auch beim Gang stellt eine nach vorne gebeugte Haltung mit Ex-
kursion nach vorne beim plætzlichen Stehenbleiben eine Propulsion dar,
die man besonders beim Parkinson-Syndrom findet.
6 Koordination z 115

Spezielle Symptome

Ataxie, Asynergie und Dysmetrie sind die drei Hauptsymptome bei Klein-
hirnlåsionen. Von einer Ataxie spricht man, wenn Zielbewegungen nicht
geradlinig ausgefçhrt werden bzw. wenn eine Haltung nur verwackelt ein-
gehalten werden kann. Als Asynergie wird eine Stærung des Zusammen-
spiels antagonistischer Muskelgruppen bezeichnet, welches fçr Diadochoki-
nese und Feinmotorik wichtig ist. Unter einer Dysmetrie versteht man das
Verfehlen des Ziels bei gerichteter Bewegung. Kleinhirnlåsionen manifestie-
ren sich wegen der ungekreuzten Verbindungen mit dem Rçckenmark ipsi-
lateral. Ûber die drei beschriebenen Symptome hinaus kann bei einseitigen
Kleinhirnerkrankungen ein ipsilateral reduzierter Muskeltonus auffallen.
Kleinhirnsymptome zeigen sich nicht nur bei Schådigung des Kleinhirns
selbst, sondern auch bei Schådigung der afferenten und efferenten Bahnen
im Hirnstamm, sodass immer auf zusåtzliche Hirnstammzeichen geachtet
werden sollte. Eine zerebellåre Ataxie kann sich als Sprech-, Rumpf-,
Stand-, Gang- oder Extremitåtenataxie zeigen, abhångig davon, welche An-
teile des Kleinhirns bevorzugt betroffen sind.
Das Archizerebellum, wegen seiner Verbindung zum Vestibularorgan auch
Vestibulozerebellum genannt, besteht aus dem Lobulus flocculonodularis und
reguliert die Rumpfmotorik. Bei Stærungen des Archizerebellums findet sich
daher eine Rumpf- und Standataxie, jedoch keine Extremitåtenataxie.
Das Palåozerebellum, wegen seiner Verbindungen zum Rçckenmark auch
Spinozerebellum genannt, besteht aus dem Oberwurm und dem anterioren
Teil der Kleinhirnhemisphåren und reguliert besonders die Position der
Extremitåten. Bei Stærungen des Palåozerebellums steht eine Stand- und
Gangataxie im Vordergrund.
Das Neozerebellum, wegen seiner Verbindungen zum Groûhirn çber die
Brçcke auch Pontozerebellum genannt, besteht aus dem Rest der Kleinhirn-
hemisphåren und reguliert rasche Extremitåten- und Augenbewegungen.
Bei Stærungen des Neozerebellums findet man eine Extremitåtenataxie mit
deutlicher Dysmetrie.
Neben einer zerebellåren Ataxie gibt es eine spinale Ataxie, die durch ei-
ne Stærung der Tiefensensibilitåt bedingt ist und auch sensible Ataxie ge-
nannt werden kann. Selten findet man eine durch eine Frontalhirnschådi-
gung bedingte Ataxie, die sich meist als Gangataxie zeigt und auch als
Gangapraxie bezeichnet wird.
Stærungen der Basalganglien fçhren zu Bewegungsstærungen, die entwe-
der zu unwillkçrlichen çberschieûenden Bewegungen fçhren, die als Hyper-
kinesien bezeichnet werden, oder zu Minderbewegungen, die als Hypokine-
sien bezeichnet werden. Hyperkinesien kænnen sich sehr unterschiedlich
pråsentieren. Man unterscheidet verschiedene Symptome, die nachfolgend
beschrieben werden.
Eine håufige Hyperkinesie ist der Tremor, der sich durch unwillkçrliche
rhythmische oszillierende Bewegungen auszeichnet. Man unterscheidet zwi-
116 z M. Deschauer

schen niederfrequentem (< 4 Hz), mittelfrequentem (4±7 Hz) und hochfre-


quentem (> 7 Hz) Tremor, zwischen grob- bzw. feinschlågigem Tremor so-
wie zwischen Ruhe- und Aktionstremor (Halte-, Bewegungs- und Intenti-
onstremor).
Ein Ruhetremor wird am besten im Sitzen mit aufgelegten Armen be-
urteilt, er sistiert bei Willkçrbewegungen und kann durch kognitive Auf-
gaben verstårkt werden (z. B. lautes Rçckwårtszåhlen: 100, 99, 98 . . .).
Der Ruhetremor ist die typische Tremorform beim M. Parkinson. Er
nimmt bei psychischer Belastung zu und manifestiert sich besonders an
den Hånden (håufig durch Pro- und Supinationsbewegungen, im Gegensatz
zum zerebellåren Tremor mit mehr Extensions- und Flexionsbewegungen)
sowie an den Fingern durch Bewegungen wie beim Geldzåhlen bzw. Pillen-
drehen.
Beim Aktionstremor mçssen drei Formen unterschieden werden: Ein
Haltetremor tritt bei tonischer Aktivitåt gegen die Schwerkraft auf und
wird am besten durch Armvorhalten in Pronationsstellung untersucht. Der
Haltetremor ist typisch fçr das vegetative Entzugssyndrom und fçr Intoxi-
kationen (z. B. Lithium), er kommt aber auch als verstårkter physiologi-
scher Tremor und als essenzieller Tremor vor. Ein Bewegungstremor tritt
bei verschiedenen Bewegungen auf. Ein Intentionstremor, der bei einer ze-
rebellåren Schådigung im Vordergrund steht, weist eine Zunahme bei An-
nåherung an ein Ziel auf und wird am besten durch den Finger-Nase- oder
Finger-Finger-Versuch (s.u.) festgestellt. Eine tremorartige Stærung, die
beim Armvorhalten sichtbar wird, ist der sog. ¹flapping tremorª, der durch
einen negativen Myoklonus bedingt ist (Myoklonus vgl. Kapitel ¹Motorikª)
und auch als Asterixis bezeichnet wird. Es kommt zum plætzlichen Sistie-
ren der Motoneuronaktivitåt, was zu plætzlichen Tonusverlusten und nach-
folgenden Korrekturbewegungen fçhrt. Typischerweise findet man einen
¹flapping tremorª bei Leber- oder Niereninsuffizienz.
Unter Chorea versteht man unregelmåûige abrupt auftretende kurze, zu-
fållig verteilte Kontraktionen von Muskeln und Muskelgruppen mit deutli-
chem Bewegungseffekt nicht nur an den Extremitåten, sondern auch an
Rumpf, Hals und Kopf. Zu Beginn der Erkrankung fçhren Patienten diese
Bewegungen håufig im Sinne von Verlegenheits- oder Zielbewegungen fort,
sodass sie psychomotorisch unruhig erscheinen. Eine wichtige Chorea-
Form ist der M. Huntington, eine autosomal-dominant vererbte neurodege-
nerative Erkrankung, bei der sich zusåtzlich eine Demenz zeigt. Halbseitige
Chorea (Hemichorea) kann bei einer Basalganglienlåsion auftreten.
Betrifft eine Chorea besonders proximale Extremitåtenmuskeln, spricht
man von Ballismus, da hierbei besonders stark ausfahrende, schleudernde
Bewegungen auftreten. Der Ballismus tritt fast immer halbseitig auf, meist
bedingt durch eine akute Stammganglienlåsion, verursacht durch einen
Schlaganfall.
Bestehen langsamere ¹wurmartigeª unwillkçrliche Bewegungen an dis-
talen Muskelgruppen, bezeichnet man diese Bewegungsstærung als Athetose
(Abb. 6.1). Håufig ist eine Athetose mit einer choreatiformen Bewegungs-
6 Koordination z 117

Abb. 6.1. Athetose


(aus Patten 1998)

stærung kombiniert, man spricht dann von Choreoathetose. Andererseits


finden sich athetotische Symptome auch bei Dystonien.
Unter einer Dystonie versteht man anhaltende unwillkçrliche Muskelkon-
traktionen, die zu langsamen Bewegungen und abnormen Haltungen
fçhren. Es kænnen bestimmte Muskelgruppen betroffen sein, sodass cha-
rakteristische Erscheinungsbilder auftreten.
Die zervikale Dystonie ist die håufigste Dystonieform. Sie ist charakteri-
siert durch unwillkçrliche tonische oder tonisch-tremoriforme Kontraktio-
nen der Halsmuskeln. Diese kænnen zu drehenden (Tortikollis) (Abb. 6.2),
zur Seite neigenden (Laterokollis) oder nach vorne (Anterokollis) bzw.
nach hinten (Retrokollis) gerichteten Bewegungen des Kopfes fçhren.
Oft kænnen die Patienten die Kontraktionen durch bestimmte ¹Tricksª
im Sinne von gestischen Gegenbewegungen (¹geste antagonistiqueª) durch-
brechen, z. B. durch Berçhrung von Kinn oder Wange mit den Fingern.
Deshalb dachte man frçher, eine Dystonie sei eine psychogene Stærung.
Heute weiû man jedoch, dass vielen Dystonieformen genetische Ursachen
zugrunde liegen. Finden sich aber çber die Dystonie hinaus zusåtzliche
Symptome, so ist eine symptomatische Dystonie wahrscheinlicher.
Beim Blepharospasmus kommt es zu unwillkçrlichen tonischen oder klo-
nischen Kontraktionen des M. orbicularis oculi an beiden Augen (Abb.
6.3). Die Symptomatik kann durch bestimmte Situationen getriggert wer-
den (z. B. helles Licht, Luftzug, Lesen) und das Sehen erheblich beeintråch-
tigen. Auch einen Blepharospasmus kænnen manche Patienten durch
¹Tricksª durchbrechen, z. B. durch Gåhnen oder Anlegen eines Fingers an
die Stirn.
Eine oromandibulåre Dystonie umfasst Mund und Kiefermuskulatur. Es
fallen verschiedene Mundbewegungen auf, die Patienten schneiden Grimas-
118 z M. Deschauer

Abb. 6.2. Torticollis (aus Patten 1998)

Abb. 6.3. Blepharospasmus (aus Patten 1998)

sen und æffnen unwillkçrlich den Mund oder sind unfåhig ihn zu æffnen.
Nicht selten sind weitere Muskelgruppen einbezogen, etwa Zunge oder
Stimmlippen (spasmodische Dysphonie).
Unter aktionsinduzierten Dystonien (Beschåftigungskråmpfen) versteht
man Dystonien, die nur bei bestimmten komplexen erlernten Tåtigkeiten
auftreten. Am bekanntesten ist der Schreibkrampf. Andere spezielle Dys-
tonieformen findet man bei Musikern (z. B. Pianisten) und bei Sportlern
(z. B. Golfern).
Nach dem Verteilungsmuster kann man zwischen fokaler (nur eine
Kærperregion betroffen, z. B. Blepharospasmus), segmentaler (mehrere be-
nachbarte Kæperregionen betroffen, z. B. zervikale Dystonie), multifokaler
(mehrere nicht benachbarte Kærperregionen betroffen), halbseitiger und
generalisierter Dystonie unterscheiden.
6 Koordination z 119

Tics sind kurze periodische, jedoch nicht rhythmische stereotype un-


willkçrliche Bewegungen (motorische Tics) oder Lautåuûerungen (vokale
Tics), die fçr gewisse Zeit unterdrçckt werden kænnen, sich dann aber ent-
laden. Motorische Tics manifestieren sich meist im Gesicht, z. B. Blinzeln
oder Naserçmpfen, aber auch komplexere Bewegungen, z. B. Dinge berçh-
ren, kommen vor. Vokale Tics kænnen sich als Råuspern oder Ausstoûen
von Wærtern åuûern. Beim syndromalen Auftreten von motorischen und
vokalen Tics spricht man vom Tourette-Syndrom.
Bewegungsstærungen kænnen auch durch Medikamente induziert wer-
den. Håufig wird fçr solche Bewegungsstærungen der Begriff Dyskinesie ge-
wåhlt, der eigentlich Oberbegriff fçr alle Bewegungsstærungen ist. Beson-
ders Dopaminrezeptor-Antagonisten und L-Dopa kænnen Bewegungs-
stærungen hervorrufen. Vor allem Neuroleptika haben eine antagonistische
Wirkung am Dopaminrezeptor (dies trifft insbesondere auf Haloperidol zu,
weniger auf die neueren atypischen Neuroleptika), jedoch auch Antiemeti-
ka wie Metoclopramid haben diese Wirkung. Dyskinesien durch Dopamin-
rezeptorblocker beinhalten typischerweise dystone Stærungen im Kopf- und
Halsbereich (z. B. Schlundkråmpfe, Zungenwålzen, Kau- und Schmatzbewe-
gungen) sowie eine Akathisie. Darunter versteht man die Unfåhigkeit, still-
zusitzen. Die Patienten verspçren eine ¹innere Unruheª, laufen vermehrt
umher und trippeln im Sitzen mit den Fçûen.
Bei den Hypokinesien kann man zwischen Bradykinese (Bewegungsver-
langsamung), Hypokinese (Verminderung der Bewegungsamplitude) und
Akinese (ausgeprågter Bewegungsarmut) unterscheiden. Im klinischen All-
tag wird diese differenzierte Unterscheidung jedoch nicht immer pråzise
vorgenommen. Hypokinesien werden bei der Diadochokineseprçfung oder
beim Finger-Tapping deutlich, kænnen jedoch auch schon durch eine ver-
minderte Spontanmotorik mit wenig Gesten auffallen. Reduzierte Gesichts-
mimik wird als Hypomimie bezeichnet. Håufig kommt es beim M. Parkin-
son zu vermehrtem Speichelfluss (Hypersalivation). Die Schrift kann sich
verkleinern (Mikrographie) und es kann eine Starthemmung beim Laufen
eintreten. In fortgeschrittenen Stadien kann es zu Schwierigkeiten beim
Umdrehen im Bett kommen. Subjektiv beklagen die Patienten bei Beginn
der Symptomatik, dass Alltagståtigkeiten wie z. B. Schreiben (auch am PC)
oder Zåhneputzen nicht mehr flçssig funktionieren.
Der Rigor ist eine Muskeltonussteigerung, die vom Patienten selbst als
(manchmal schmerzhaftes) Steifigkeitsgefçhl empfunden wird (s. Kapitel 4).
120 z M. Deschauer: 6 Koordination

Weiterfçhrende Literatur

Brandt T, Dieterich M, Strupp M (2004) Vertigo, Leitsymptom Schwindel. Stein-


kopff, Darmstadt
Conrad B, Ceballos-Baumann AO (1996) Bewegungsstærungen in der Neurologie.
Thieme, Stuttgart
Klockgether T (2000) Handbook of ataxia disorders. Dekker, New York
Patten JP (1998) Neurologische Differentialdiagnose, 2. Aufl. Springer, Berlin Hei-
delberg
Stoll W, Most, Tegenthoff M (2004) Schwindel und Gleichgewichtsstærungen,
4. Aufl. Thieme, Stuttgart
7 Die Untersuchung
der hæheren Hirnleistungen
G. Leonhardt

Als hæhere Hirnleistungen werden Funktionen bezeichnet, die çber die pri-
måre Motorik, die Sensibilitåt und die Funktion der Hirnnerven hinaus-
gehen. Sie umfassen die Orientierung, die Aufmerksamkeit und Wahrneh-
mung, das Gedåchtnis, die Sprache, Rechnen, Lesen und Schreiben. Sie
werden auch als neuropsychologische Leistungen bezeichnet. Eindeutig
psychische Funktionen wie z. B. Affekt gehæren nicht dazu.
Im Folgenden werden im Wesentlichen einfache, das heiût wåhrend einer
klinischen Untersuchung durchfçhrbare Untersuchungen beschrieben. Die
zu untersuchenden Stærungen bzw. Funktionen werden kurz erlåutert, zur
eingehenderen Lektçre sei auf die ausfçhrlichen Monographien verwiesen
(Hartje u. Poeck 2002, Goldenberg 1998). Skalen und Scores findet man in
der Monographie von Masur (1995).

Orientierung

Wir unterscheiden die Orientierung zur Person, zum Ort, zur Zeit und zur
(aktuellen) Situation.
z Fragen Sie den Patienten nach seinem Vor- und Zunamen, seinem Ge-
burtsdatum und nach seiner Adresse.
z Fragen Sie den Patienten wo er (bzw. er und sie) sich im Moment befindet.
z Fragen Sie nach dem Jahr, dem Monat und dem Wochentag bzw. dem
aktuellen Datum. Cave: Wer keine aktuelle Information durch Kalender,
Zeitung oder Nachrichten hat (z. B. weil er bewusstlos ins Krankenhaus
eingeliefert wurde), kann oft das korrekte Datum nicht nennen. Dies ist
daher nichts Abnormales. Jahr und Monat oder Jahreszeit mçssen aber
benannt werden kænnen.
z Fragen Sie den Patienten, was ihm fehlt, was gerade mit ihm gemacht
werden soll (warum er bei Ihnen ist).
122 z G. Leonhardt

Aufmerksamkeit

z Beobachten Sie den Patienten: Wird er durch Reize in der Umgebung


leicht von Ihrer Untersuchung abgelenkt? Haben die Antworten eine zu
lange Latenz? Mçssen Sie håufiger nachfragen?
z Lassen Sie den Patienten fortlaufende Subtraktionen durchfçhren: ¹Bitte
ziehen Sie 3 von 100 ab, von diesem Ergebnis wieder 3 und so weiter
(97, 94, 91, 88, 85). Bei mehr als fçnf Ergebnissen ist die Aufmerksam-
keit noch im normalen Bereich.
z Lassen Sie das Wort RADIO rçckwårts buchstabieren (O-I-D-A-R).

Gedåchtnis

Amnesien sind Stærungen der Gedåchtnisfunktion, die nicht durch andere


Funktionsbeeintråchtigungen erklårt werden kænnen und zu deutlichen Be-
eintråchtigungen im Alltag fçhren. Man unterscheidet zwischen retrogra-
den Amnesien ± diese betreffen Gedåchtnisinhalte (das Altgedåchtnis) vor
dem Eintritt einer Låsion ± und anterograden ± diese betreffen Gedåchtnis-
inhalte nach dem Eintritt einer Låsion. Bei einer anterograden Amnesie
kænnen sowohl das Kurzzeitgedåchtnis als auch das (Einspeichern ins)
Langzeitgedåchtnis betroffen sein. Nach inhaltlichen und funktionellen Ge-
sichtspunkten wird noch zwischen episodischem, semantischem und pro-
zeduralem Gedåchtnis unterschieden. Ursache von Amnesien sind håufig
bilaterale Låsionen des limbischen Systems, vor allem der mediobasalen
Temporallappen, des Dienzephalons und des basalen Frontalhirns.
Bei der Untersuchung der Gedåchtnisfunktion muss zwischen dem Alt-
gedåchtnis einerseits und dem Erlernen neuer Inhalte andererseits unter-
schieden werden.

z Arbeitsgedåchtnis (Kurzzeitgedåchtnis)
z Sprechen Sie Zahlenreihen vor und lassen Sie diese wiederholen. Die
¹Zahlenspanneª entspricht der Anzahl der Ziffern, die zweimal korrekt
wiedergegeben werden:
653 ± 948 ± 8517 ± 5346 ± 69437 etc.
z Lassen Sie den Patienten die drei folgenden Wærter so lange wiederholen,
bis alle korrekt wiedergegeben werden: ¹Hundª ± ¹Apfelª ± ¹Schokoladeª.

z Langzeitgedåchtnis
z Prçfen Sie, wie viele der drei Wærter, die der Patient bei der Prçfung
des Arbeitsgedåchtnis gelernt hat, er nach ca. 30 min noch reproduzie-
ren kann.
7 Die Untersuchung der hæheren Hirnleistungen z 123

z Altgedåchtnis
z Fragen zur Ausgestaltung des letzten Geburtstages, aktueller politischer
oder sportlicher Ereignisse etc. (= episodisches Gedåchtnis).
z Fragen zu Schulwissen, allgemeiner Bildung (¹Wer ist der Bundeskanz-
ler? Wie heiût die Hauptstadt von .....ª) (semantisches Gedåchtnis).

Die Kombination von antero- und retrograden Gedåchtnisstærungen so-


wie die Kombination mit anderen Symptomen weist auf die zugrunde lie-
gende Låsion hin.
So ist das abrupte Auftreten von Merkfåhigkeitsstærungen, ångstlichem
Fragen nach der aktuellen Situation bei gut erhaltenem Altgedåchtnis ty-
pisch fçr eine transiente globale Amnesie. Typisch hierfçr und diagnosesi-
chernd ist die vællige Rçckbildung innerhalb von 24 bis maximal 48 Stun-
den.
Die Kombination von ausgeprågten anterograden mit leichten retrogra-
den Merkfåhigkeitsstærungen, die durch ausgeprågte Konfabulationen be-
gleitet werden und vom Patienten nicht als krankhaft empfunden werden,
sind typisch fçr das Korsakow-Syndrom. Dieses wird durch einen aus-
geprågten Vitamin-B1-Mangel hervorgerufen, wie er vor allem beim Alko-
holabusus entstehen kann.
Anterograde und leichte retrograde Gedåchtnisstærungen, die vom Pa-
tienten als solche erkannt werden, sind typisch fçr Patienten mit einer hy-
poxischen Hirnschådigung, z. B. nach einer kardiopulmonalen Reanimation.

Sprachstærungen

Sprachstærungen betreffen die Fåhigkeit, gesprochene Sprache zu verstehen


und selbst Sprache zu produzieren, die Menschen des gleichen Kulturkrei-
ses verstehen. Stærungen dieser Fåhigkeiten werden als Aphasie bezeichnet.
Stærungen der klaren Aussprache und der Stimmbildung werden dagegen
als Dysarthrophonien bezeichnet. Sie mçssen ihre Ursache nicht immer in
einer Schådigung des ZNS haben, sondern kænnen auch bei Erkrankungen
des HNO-Bereichs auftreten. Eine banale, aber håufig nicht beachtete Ursa-
che ist die fehlende Zahnprothese. Da Dysarthrophonien aber zum Teil mit
Aphasien gemeinsam vorkommen, werden sie kurz erwåhnt. Aphasien wer-
den durch Låsionen der so genannten dominanten Hirnhemisphåre ver-
ursacht. Die Sprachdominanz ist beim Rechtshånder fast immer links (Aus-
nahmen ¹gekreuzte Aphasienª), beim Linkshånder gibt es etwa gleich viele
linke, rechte und bilaterale Lokalisationen der Sprache. Die so genannten
Sprachzentren sind um die sylvische Fissur verteilt. Die håufigsten Ursa-
chen fçr Aphasien sind Hirninfarkte, Hirnblutungen, Tumoren (sowohl
hirneigene als auch Metastasen), Traumata und degenerative Hirnerkran-
kungen wie Morbus Alzheimer und die Creutzfeld-Jacob-Erkrankung. Da
124 z G. Leonhardt

die Sprachzentren nicht als isolierte Module arbeiten, sondern als Netzwer-
ke miteinander verbunden sind, ist es oft nicht mæglich, aufgrund des
Typs der Aphasie auf die genaue Lokalisation der Låsion zu schlieûen und
umgekehrt. Mit einiger Zurçckhaltung låsst sich sagen, dass Schådigungen
des frontalen Sprachfeldes (Broca-Areal) zu einer Aphasie mit deutlich ver-
minderter Sprachproduktion und -flçssigkeit, aber erhaltenem Sprachver-
ståndnis fçhren. Demgegençber bleibt die Sprachproduktion bei Schådi-
gungen des temporalen Sprachfeldes (Wernicke-Areal) oft gut erhalten.
P. Broca und C. Wernicke waren unter den Ersten, die bestimmte Typen
von Sprachstærungen beschrieben und bei den Patienten neuropathologi-
sche Schådigungen in den nach ihnen benannten Gebieten beobachteten.
Aphasien werden in verschiedene Typen eingeteilt. Im deutschsprachigen
Raum hat sich folgende Einteilung durchgesetzt.

z Globale Aphasie. Die Patienten sind nicht mehr in der Lage, sich differen-
ziert sprachlich zu åuûern. Die Spontansprache ist fast vollståndig erlo-
schen, gelegentlich werden noch Sprachautomatismen oder ein unverstånd-
licher Jargon geåuûert. Das Sprachverståndnis ist so stark beeintråchtigt,
dass die Patienten auch einfache verbale Aufforderungen nicht verstehen.

z Broca-Aphasie. Die Sprachproduktion ist beeintråchtigt. Die Patienten


sprechen in kurzen Såtzen ohne Grammatik (¹Telegrammstilª). Es kommen
viele phonematische Paraphasien (Buchstaben- und Silbenverwechslungen)
vor. Auch das Nachsprechen ist entsprechend veråndert. Das Sprachver-
ståndnis ist relativ gut erhalten.

z Wernicke-Aphasie. Das Sprachverståndnis ist deutlich gestært. Die Sprach-


produktion ist jedoch gut erhalten, manchmal gesteigert, und weist viele
semantische (falscher Sinn) und phonematische (s.o.) Paraphasien auf. In
der Grammatik werden viele Fehler gemacht.

z Leitungsaphasien (selten). Die Spontansprache und das Sprachverståndnis


sind gut erhalten, es werden vor allem phonematische Paraphasien be-
obachtet. Dadurch ist das Nachsprechen deutlich beeintråchtigt. Es wird
u. a. eine Låsion der Verbindung zwischen sensorischen und motorischen
Sprachzentren angenommen.
z Transkortikale Aphasien (selten). Die Sprachproduktion ist deutlich beein-
tråchtigt, das Nachsprechen und das Sprachverståndnis sind gut erhalten.

Bei dem Versuch der Einteilung darf nicht vergessen werden, dass sich die
typischen Syndrome oft erst nach bis zu sechs Monaten herausbilden und
sich das klinische Bild bis dahin noch åndern kann. Zur ausfçhrlichen
Darstellung der Aphasien sei auf die entsprechenden Monographien ver-
wiesen (Hartje u. Poeck 2002, Goldenberg 1998).
Bei der klinischen Untersuchung werden die folgenden Leistungen
geprçft.
7 Die Untersuchung der hæheren Hirnleistungen z 125

Spontansprache
z Stellen Sie eine offene Frage: ¹wie hat es mit Ihrer Krankheit angefan-
gen?ª. Achten Sie auf Flçssigkeit der Sprache, Wortfindungsstærungen,
Paraphasien, Grammatik und Artikulation.

Sprachverståndnis
z Geben Sie Aufforderungen: ¹Nehmen Sie ein Blatt Papier in die rechte
Handª, ¹falten Sie es in der Mitteª, ¹legen Sie es auf den Bodenª.

Nachsprechen
z Lassen Sie nachsprechen: ¹Ich bin im Krankenhausª, ¹heute ist [Wochen-
tag] [Datum]ª, ¹ohne Wenn und Aberª.

Benennen
z Zeigen Sie dem Patienten drei bis vier Gegenstånde des Alltagslebens
(Schlçsselbund, Taschentuch, Geldbærse, Brille) und lassen Sie ihn diese
benennen.

Lesen
z Der Patient soll einen Artikel aus der Tageszeitung oder einer Illustrier-
ten vorlesen. Fçnf bis sechs Såtze gençgen. Achten Sie auf die Flçssig-
keit, die Intonation und auf Paraphasien. Der Patient soll anschlieûend
den Inhalt des Gelesenen zusammenfassen.

Schreiben
z Lassen Sie den Patienten einen Satz seiner Wahl schreiben. Der Satz gilt
als korrekt, wenn er sinnvoll ist und Subjekt und Verb hat.
z Diktieren Sie einen Satz, der einen Nebensatz hat (z. B. ¹Die alten Leute
hatte man, um sie zu ehren, an einen Tisch gesetzt.ª)

Der Goldstandard im deutschsprachigen Raum fçr die Diagnose einer


Aphasie und vor allem die Einordnung in einen der oben genannten Typen
ist der Aachener Aphasie-Test (Huber et al. 1983) oder der Aachener Apha-
sie-Bedside-Test (Biniek et al. 1992). Beide Tests sind relativ zeitaufwåndig,
erfordern eine gute Kooperation des Patienten und eine Einarbeitung des
Untersuchers in die Materie. Da diese Voraussetzungen in vielen Kliniken
und Praxen nicht gegeben sind und die Nuancen einer Aphasie in der kli-
nischen Aufnahmeuntersuchung eine eher untergeordnete Rolle spielen, ist
es viel sinnvoller, die Diagnose einer ¹Aphasieª zu stellen und deskriptiv
zu beschreiben, welche Funktionen ausgefallen sind (Bsp.: ¹Aphasie mit
flçssiger Sprachproduktion, einigen semantischen Paraphasien und deut-
licher Sprachverståndnisstærung. ¹Der Patient versteht Aufforderungen und
einfache Fragen gut, er spricht jedoch kaum, nur in kurzen Såtzen, als ob
er ein Telegramm aufgegeben håtteª). Aufgrund solcher Beschreibungen
kann sich der weiterbehandelnde Arzt ein gutes Bild von den Stærungen
des Patienten machen.
126 z G. Leonhardt

Apraxie

Der Begriff Apraxie beschreibt Stærungen, die das willentliche Ausfçhren von
Bewegungen oder das zweckmåûige Benutzen von Gegenstånden betrifft.
Man kann die Apraxien in Gliedmaûenapraxien einerseits und bukkofaziale
Apraxien (Gesichtsapraxien) andererseits einteilen. Andere Untersucher un-
terscheiden zwischen den ideomotorischen Apraxien, die den Gebrauch der
Gliedmaûen bei imitierten oder willkçrlichen Bewegungen stæren, und den
selteneren ideatorischen Apraxien, die den sinnvollen Gebrauch von Werk-
zeugen des Alltags (z. B. Besteck) beschreiben. Dabei wird die Stærung der
Gesichtsmuskulatur bei den ideomotorischen Formen eingereiht. Eine Apra-
xie darf nur diagnostiziert werden, wenn der Patient nicht wegen einer Parese
die Bewegung nicht ausfçhren kann und wenn der Patient nicht durch eine
Aphasie daran gehindert wird zu verstehen, was von ihm erwartet wird.
Apraxien werden in der Regel durch Hirnlåsionen der dominanten He-
misphåre verursacht und betreffen beide Kærperseiten. Bedingt durch die
Lokalisation treten sie håufig zusammen mit einer Aphasie auf, allerdings
gibt es auch Fålle von Apraxie ohne Aphasie (selten) und von Aphasie
ohne Apraxie (håufiger).
Vor allem die ideatorische Apraxie fçhrt zu sozialen Beeintråchtigungen,
wenn z. B. ein Patient nach einem Schlaganfall und gut rçckgebildeter Pare-
se nicht in der Lage ist, sich ein Frçhstçcksbrætchen zuzubereiten. Die
bukkofaziale Apraxie kann zu Stærungen des Essens und Trinkens fçhren.

z Untersuchungsgang
Ideomotorische und bukkofaziale Apraxie
z Es werden bedeutungsvolle (¹Gestikª) und bedeutungslose Bewegungen
geprçft. Die Patienten sollen diese a) auf verbale Aufforderung hin aus-
fçhren und b) nach Vorgabe imitieren.
Gesicht:
¹Rçmpfen Sie die Naseª
¹Fletschen Sie die Zåhneª
¹Råuspern Sie sichª
¹Spitzen Sie den Mundª
Gliedmaûen:
¹Tun Sie, als ob Sie einen Schnaps trinkenª
¹Winken Sieª
¹Drohen Sie mit der Handª
¹Legen Sie den Handrçcken an die Stirnª

Es sollen ca. 10 Aufgaben pro Gebiet mit und ohne Bedeutung produziert
bzw. imitiert werden. Typische ¹Fehlerª wie sie bei einer Apraxie vorkom-
men, sind
7 Die Untersuchung der hæheren Hirnleistungen z 127

z Perseveration, der Patient wiederholt eine Bewegung auch noch wenn er


schon eine andere Aufgabe bewåltigen soll,
z Auslassung, der Patient fçhrt eine Aufgabe nur fragmentarisch aus,
z ¹Body-Part-as-Objectª, Teile des Kærpers werden als Werkzeug benutzt
(z. B. die Faust als Hammer, der Zeigefinger als Zahnbçrste), dieses Ver-
halten ist bei Kindern jedoch normal.

Ideatorische Apraxie
z Der Patient bekommt eine komplexe Aufgabe und soll diese mit den ent-
sprechenden Gegenstånden auch ausfçhren, z. B. einen Brief falten, in ei-
nen Umschlag stecken, den Umschlag zukleben und mit einer Briefmar-
ke frankieren.

Stærung der Raumauffassung

Stærungen der Raumauffassung (visuospatiale Stærungen) treten bei Schå-


digungen des Parietal- und des Temporallappens auf. Klinisch fallen die
Patienten dadurch auf, dass ihre persænlichen Dinge im Bett oder auf dem
Nachttisch wild durcheinander liegen, dass sie beim Ankleiden mit der An-
ordnung der Kleidungsstçcke Schwierigkeiten haben und bei komplexeren
Anforderungen des Alltags scheinbar ¹schlampigª arbeiten.
Visuospatiale Stærungen kænnen gut untersucht werden, indem man den
Patienten ein Objekt mit Perspektive zeichnen låsst. Dabei fållt auf, dass
die Perspektive vællig fehlt, Details aber fast vollståndig wiedergegeben
werden.

Neglect

Unter Neglect, besser Hemineglect, versteht man eine halbseitige Vernach-


låssigung des eigenen Kærpers und der kærpernahen Umgebung. Dies be-
trifft sowohl willkçrliche und spontane Bewegungen (motorischer Neglect)
als auch die Wahrnehmung sensibler Stimuli (sensibler Neglect) und die
Wahrnehmung optischer und akustischer Stimuli (visueller Neglect). Ein
Neglect darf nur diagnostiziert werden, wenn keine Parese, schwere Sensi-
bilitåtsstærung oder Hemianopsie die entsprechende Leistung primår beein-
tråchtigt. Dem Neglect liegen fast immer Låsionen in der nichtdominanten
Hirnhemisphåre zugrunde. Ob Låsionen in der sprachdominanten Hemi-
sphåre die Feststellung eines Neglects stæren oder ob die beiden neuropsy-
chologischen Defizite nicht miteinander vereinbar sind, ist unklar.
Einen Neglect diagnostiziert man am Krankenbett am einfachsten, wenn
man den Patienten auf beiden Seiten getrennt und dann auf beiden Seiten
simultan prçft.
128 z G. Leonhardt

Beispiele:
z Motorischer Neglect
¹Heben Sie den rechten Armª: Patient hebt den rechten Arm an.
¹Heben Sie den linken Armª: Patient hebt den linken Arm an.
¹Heben Sie beide Armeª Patient hebt nur den rechten Arm an.
z Sensibler Neglect
Sie berçhren den rechten Arm, der Patient beståtigt dies.
Sie berçhren den linken Arm, der Patient beståtigt dies.
Sie berçhren beide Arme, der Patient gibt an, Sie wçrden ihn auf der rech-
ten Seite berçhren (Extinktion).
z Visueller Neglect
Bei Stimulation im rechten und linken Gesichtsfeld erkennt dies der Pa-
tient, bei simultaner Stimulation nur im rechten Gesichtsfeld.
Man kann einen visuellen Neglect auch sehr eindrucksvoll durch Nach-
zeichnen einer Vorlage demonstrieren, auf der betroffenen Seite fehlen
(fast) alle Details, z. B. einer Blume.

Der Neglect betrifft auch die Vorstellung, die wir uns von unserer Umwelt
machen. Wenn man Patienten bittet, sich einen Raum vorzustellen und da-
von zu berichten oder diesen aufzuzeichnen, fehlt in der Schilderung oder
der Zeichnung die linke Seite dieses Raumes.
Patienten mit Neglect haben auch eine verånderte Wahrnehmung der
Kærperhaltung im Raum und der eigenen Kærpermitte. Dies kann u. a. zu
dem in der Akutphase eines Schlaganfalls auftretenden ¹Pushenª fçhren.
Der Patient drçckt sich mit der gesunden auf die betroffene Kærperseite
hinçber und sitzt daher vællig schief im Stuhl oder kann nicht frei sitzen.
Wenn man den Patienten die Mæglichkeit gibt, sich in einem frei drehbaren
und schwenkbaren Stuhl so zu positionieren, dass sie subjektiv eine gerade
Haltung einnehmen, drehen und kippen die betroffenen Patienten den
Stuhl um ca. 158 in Richtung der betroffenen Seite.

Visuelle Agnosien und Prosopagnosie

Visuelle Agnosien sind Stærungen des ¹Erkennensª von gesehenen Objek-


ten. Diese Stærung setzt voraus, dass keine Stærung des elementaren Sehens
vorliegt. Zum Erkennen eines Objekts sind mehrere Schritte notwendig:
Das Objekt muss anhand seiner Struktur gegençber dem Hintergrund ab-
gegrenzt werden, die charakteristischen Merkmale mçssen herausgefiltert
werden und das Ergebnis dieser ¹Vorverarbeitungª muss mit dem im se-
mantischen Gedåchtnis gespeicherten Wissen verglichen werden.
Eine Sonderform ist die Prosopagnosie, die Agnosie fçr das Erkennen
von Gesichtern. Patienten mit einer Prosopagnosie sind nicht in der Lage,
Gesichter als solche zu erkennen und ein besonderes Gesicht einer Person
7 Die Untersuchung der hæheren Hirnleistungen z 129

zuzuordnen. Vielen, auch medizinischen Laien, sind diese und åhnliche


Stærungen durch die Bçcher des englischen Neurologen Oliver Sacks be-
kannt, der einen Fall von Prosopagnosie in seinem Buch ¹Der Mann der
seine Frau mit einem Hut verwechselteª sehr anschaulich beschrieb.
Zur Diagnostik kann man dem Patienten eine Reihe gleichartiger Fotos
vorlegen, auf denen Gesichter bekannter Persænlichkeiten und andere Ob-
jekte abgebildet sind. Der Patient soll die Fotos mit den Gesichtern erken-
nen und angeben, wer auf den Fotos abgebildet ist.

Demenz

Der Begriff Demenz beschreibt keine Krankheit, sondern einen pathologi-


schen (d. h. çber das Altersmaû hinausgehenden) hirnorganischen Abbau-
prozess mit Beeintråchtigung der sozialen und beruflichen Leistungsfåhig-
keit. Die Kriterien fçr die Diagnose einer Demenz erfordern eine unge-
stærte Wachheit zum Untersuchungszeitpunkt, die Beeintråchtigung des Ge-
dåchtnisses und weiterer kognitiver Leistungen wie visuell-råumliche Ori-
entierung, Verstehen von Sprache, Konzentration, Planen von Aktionen so-
wie Kontrolle des Sozialverhaltens, des Affekts und des Antriebs.
Demenz ist kein einheitliches Syndrom, sondern wird nach den verursa-
chenden Krankheiten in degenerative Demenzen (diesen liegen primår
degenerative Krankheiten zugrunde), vaskulåre Demenzen (dieser Form
liegt die subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie, im Vollbild auch
M. Binswanger genannt, zugrunde) und in die sekundåren Formen (in der
Regel durch nichtzerebrale Krankheiten wie z. B. Hypothyreose oder De-
pressionen verursacht und håufig dadurch auch reversibel) eingeteilt.
Bei der Untersuchung eines Patienten mit fraglicher Demenz sollte der
Untersucher sein Vorgehen in vier Stufen einteilen.
1. Sorgfåltige Erhebung der Anamnese beim Patienen selbst und bei einem
nahen Angehærigen. Der Vergleich beider Schilderungen wird in der Re-
gel deutliche Diskrepanzen zeigen. Typischerweise schildern die Angehæ-
rigen die Symptome wesentlich deutlicher und berichten von mehr Er-
eignissen als die Patienten selbst. Die Patienten machen auf den Unter-
sucher oft den Eindruck, als nåhmen sie die Stærungen nicht ernst.
2. Klinische Untersuchung der kognitiven und mentalen Funktionen (s. un-
ten) und Erhebung des neurologischen Befundes.
3. Testpsychologische Untersuchungen der beeintråchtigten Teilleistungen,
soweit es mæglich ist; bei fortgeschrittener Symptomatik ist dies meist
nicht mæglich und auch nicht notwendig.
4. Apparative Diagnostik durch Bildgebung (MRT oder CT), Laborunter-
suchungen und Liquoruntersuchung, um die sekundåren Formen, die oft
durch die Behandlung der Grunderkrankung gebessert werden, nicht zu
çbersehen.
130 z G. Leonhardt

z Ad 2. Klinische Untersuchung der kognitiven und mentalen Funktionen,


Krankheitseinsicht
Fragen Sie den Patienten, ob er krank ist, was seine Hauptbeschwerden
sind, wann die Stærungen begonnen haben.

z Orientierung
z Prçfen Sie die Orientierung, wie bei ¹Stærung der Orientierungª beschrie-
ben.
z Gedåchtnis
z Langzeit-(Alt-)gedåchtnis. Fragen Sie den Patienten nach seiner Heirat,
den Namen und den Geburtstagen der Kinder, dem Mådchennamen der
Mutter. Sinnvoll ist es auch, den Patienten nach politisch wichtigen Per-
sonen und Ereignissen seiner frçhen Erwachsenenzeit (20. bis 40. Le-
bensjahr) zu fragen.
z Kurzzeitgedåchtnis. Fragen Sie nach anderen Krankheiten in der letzten
Zeit, ob der Patient Ihren Namen behalten hat, welche Untersuchungen
schon durchgefçhrt wurden.
z Arbeitsgedåchtnis. Nennen Sie eine Serie von drei bis acht einstelligen
Zahlen, die der Patient direkt im Anschluss daran rçckwårts wiederholen
muss.
z Merkfåhigkeit. Nennen Sie dem Patienten vier Begriffe, die sowohl konkre-
te als auch abstrakte Inhalte haben (¹Auto, Liebe, Schokolade, Wolkeª), die
er sich einprågen soll. Prçfen Sie, ob der Patient, nachdem er durch andere
Tåtigkeiten abgelenkt wurde, sich noch an diese Begriffe erinnern kann.

z Sprachvermægen
Bitten Sie den Patienten, so viele Begriffe zu einer Kategorie (Tiere, Obst-
sorten, Automarken etc.) zu nennen, wie ihm in den Sinn kommen. Auch
ein ålterer gesunder Mensch sollte auf ca. 12 Begriffe kommen.

z Rechenleistungen
Lassen Sie einfache Aufgaben der Grundrechenarten durchfçhren. Bei der
Aufgabe, jeweils fortlaufend 3 oder 7 von 100 abzuziehen, wird gleichzeitig
die Konzentration getestet.

z Visuokonstruktive Fåhigkeiten
Lassen Sie den Patienten eine Uhr zeichnen, bei der die Zeiger auf 22.10
Uhr stehen. Weitere Aufgaben kænnen das Anfertigen einer Karte von
Deutschland mit der Hauptstadt oder der Wohnung des Patienten sein
(allerdings låsst sich dies vom Untersucher nicht so gut kontrollieren).

z Abstraktionsvermægen
Prçfen Sie, ob der Patient Øhnlichkeiten und Gemeinsamkeiten von Be-
griffspaaren (¹Orange ± Apfel, Hund ± Pferd, Zeitung ± Radioª) erklåren
kann. Lassen Sie den Patienten die Bedeutung eines Sprichworts erklåren.
7 Die Untersuchung der hæheren Hirnleistungen z 131

Bei der neurologischen Untersuchung ist vor allem auf die so genannten
¹Primitivreflexeª wie pathologisches Greifen, enthemmter Palmoplantarre-
flex oder Schnauzreflex (s. Kap. ¹Hirnnervenª) zu achten.
Um den Patienten zu einer guten Mitarbeit zu bewegen, empfiehlt es
sich, çber die Art der Fragen aufzuklåren. Unvorbereitet empfinden einige
Patienten die o. a. Fragen als herabsetzend oder verletzend. Auch muss
dem Patienten erklårt werden, dass nicht eine psychische Krankheit diag-
nostiziert werden soll, sondern dass die gestellten Fragen geeignet sind,
Aspekte von Gedåchtnis und Merkfåhigkeit zu prçfen, die dem Patienten
von sich aus nicht zugånglich sind.
Die so genannten Demenztests haben den Vorteil, dass sie einfach und
in kurzer Zeit durchfçhrbar sind. Der Nachteil dieser Verfahren ist jedoch
die schlechte Validierung und die geringe Sensitivitåt und Spezifitåt. Gera-
de beim bekanntesten dieser Tests, der Mini Mental Status Examination
(MMS), kann man sagen, dass er bestenfalls das abbildet, was eine ausfçhr-
liche Erhebung der Fremdanamnese und eine gute klinische Untersuchung
am Krankenbett schon gefunden haben. Diese Demenztests sind nicht in
der Lage, die Stærung in einer frçhen, noch wenig symptomatischen Phase
zu erkennen und sie sind ebenfalls nicht in der Lage, die verschiedenen Ty-
pen einer Demenz voneinander zu differenzieren. Hierzu sind neuropsy-
chologische Leistungstests erforderlich, die gezielt die einzelnen Leistungen
prçfen (visuokonstruktive Fåhigkeiten, Aufmerksamkeit, Merkfåhigkeit,
Sprache, logisches Denken). Dies erfordert geschulte Untersucher und wird
heute vorwiegend von in Neuropsychologie spezialisierten Psychologen,
Psychiatern oder Neurologen geleistet. Hierzu sei auf die einschlågigen
Werke der Testpsychologie verwiesen.

Weiterfçhrende Literatur

Goldenberg G (1998) Neuropsychologie. Grundlagen, Klinik, Rehabilitation, 2. Aufl.


Gustav Fischer, Stuttgart
Hartje M, Poeck K (2002) Klinische Neuropsychologie, 5. Aufl. Thieme, Stuttgart
Huber W, Poeck K, Weniger D, Willmes K (1983) Der Aachener Aphasie-Test.
Hogrefe, Gættingen
Biniek R, Huber W, Glindemann R, Willmes K, Klumm H (1992) Der Aachener
Aphasie Bedside-Test ± Testpsychologische Gçtekriterien. Nervenarzt 63:473±479
Masur H (1995) Skalen und Scores in der Neurologie. Thieme, Stuttgart
8 Das muskuloskelettale System
V. Hackel

Untersuchungstechniken und ausgewåhlte Befunde

Die klinisch-neurologische Untersuchung schlieût die Beurteilung von


Kærperhaltung und Gangbild sowie die detaillierte Untersuchung von Wir-
belsåule, Becken und Extremitåten ein mit dem Ziel, orthopådische Verån-
derungen als Ursache der Beschwerden abzugrenzen.
Die Beurteilung des Gangbildes beginnt mit der Beobachtung der Gesamt-
kærperbewegungen des Patienten im Gehen (vgl. auch Kapitel Koordination).
Dabei konzentriert sich der Untersucher auf die Geschwindigkeit des Beginns
und des Ablaufs der Gangbewegung, die Position des Oberkærpers, die
Schrittlånge, die Schrittbreite, den Gangzyklus (bestehend aus Stand-,
Schwing- und Schrittphase), die Beweglichkeit der Beine in Hçft-, Knie-
und Sprunggelenken sowie die Mitbewegungen von Kopf, Kærper und Armen.
Kennzeichen der ataktischen Gangstærung (z. B. zerebellåre, sensorische
oder frontale Gangataxie) ist der breitbasige, unsichere Gang mit unregel-
måûigem Schrittzyklus. Die charakteristische Steifigkeit der spastischen
Gangstærung wird durch eine eingeschrånkte Flexionsbeweglichkeit in den
Hçft- und Kniegelenken verursacht. Patienten mit einem Parkinson-Syn-
drom zeigen typischerweise einen kleinschrittigen, schlçrfenden Gang mit
verminderter Mitbewegung der Arme sowie eine nach vorn çbergebeugte
Haltung von Oberkærper, Schulter und Nacken. Neben weiteren primår
neurologisch bedingten Ganganomalien mçssen u. a. orthopådische Erkran-
kungen (z. B. Beinlångendifferenz, Gelenkversteifung), Schmerzen bei Be-
lastung (Schmerzhinken) und die vielgestaltigen funktionellen Gangstærun-
gen in den differenzialdiagnostischen Ûberlegungen berçcksichtigt werden.
Rçcken und Wirbelsåule sollte man am stehenden Patienten beobachten.
Schonhaltungen, Bewegungsdefizite und Entlastungsbewegungen kænnen
diagnostisch richtungsweisend sein.
Die Abflachung der Lendenlordose und eine Skoliose liefern Hinweise auf
eine umschriebene radikulåre Stærung (z. B. Bandscheibenirritation). Eine
verstårkte Lendenlordose kann Paresen der Bauch- und Rçckenmuskulatur
bei Muskelatrophien und -dystrophien oder eine Beugekontraktur des
Hçftgelenks kompensieren.
Die Trophik von Rçcken- und Glutåalmuskulatur und die Stellung des
Schulterblatts (z. B. Scapula alata bei Parese des M. serratus anterior infolge
8 Das muskuloskelettale System z 133

einer Armplexusneuritis) mçssen beurteilt werden. Bauchmuskulatur und


Hçftbeuger erlauben normalerweise das Aufsitzen aus der Rçckenlage ohne
Zuhilfenahme der oberen Extremitåten. Bei einer Parese der Glutåalmusku-
latur (z. B. Muskeldystrophien mit Befall der Beckengçrtelmuskulatur oder
S1-Syndrom) sinkt das Becken beim Gehen oder Stehen jeweils auf die Sei-
te des Schwungbeines ab (Trendelenburg-Zeichen).
Der Bewegungsumfang von Hals-, Brust- und Lendenwirbelsåule wird
durch Flexion, Reklination, Seitwårtsneigen und Rotation bestimmt. Orien-
tierend kann davon ausgegangen werden, dass fçr die gesamte Wirbelsåule
Bewegungen von vorwårts um 90 Grad, rçckwårts um 30 Grad und seit-
wårts bei fixiertem Becken um bis zu 30 Grad mæglich sind. Der obere
Schober-Index, die Verschiebung einer Hautmarkierung zwischen C7 und
30 cm kaudal davon (normal 30/32 cm), reflektiert eine Bewegungsein-
schrånkung im Bereich der Brustwirbelsåule, z. B. infolge einer Spondylose.
Das Maû fçr die Beweglichkeit der Lendenwirbelsåule ist das untere Scho-
ber-Zeichen. Dabei werden der Dornfortsatz S1 und ein zweiter Punkt
10 cm kranial markiert. Die Zunahme dieses Abstands beim Rumpfbeugen
betrågt normalerweise 4 bis 5 cm und ist bei lumbosakralen Prozessen,
z. B. einer Bandscheibenluxation, vermindert. Der Finger-Boden-Abstand
beim Bçcken nach vorn sollte beim Jugendlichen 0 cm betragen; mit zu-
nehmenden Alter ist er physiologisch aufgrund der fortschreitenden Ein-
schrånkung der Wirbelsåulenbeweglichkeit vergræûert.
Einen Ûberblick çber die Motilitåt im Schultergelenk kann die Anwen-
dung des Schçrzengriffs (Innenrotationsfåhigkeit, bestmægliche Verschrån-
kung der Arme auf dem Rçcken) und des Nackengriffs (Auûenrotations-
fåhigkeit, Handinnenflåchen werden an den Hinterkopf gefçhrt) geben. Fçr
die differenzialdiagnostische Einordnung sind neben durch Gelenk, Knor-
pel oder Sehnen bedingte Funktionsstærungen vor allem den Schultergçrtel
und die Oberarmmuskulatur betreffende Paresen infolge primårer Muskel-
erkrankungen (z. B. Myositis) in Erwågung zu ziehen.
Den Bewegungsumfang im Hçftgelenk çberprçft man im Seitenver-
gleich, wenn der auf dem Rçcken liegende Patient Hçft- und Kniegelenk so
beugt, dass die Ferse des einen Fuûes neben dem Kniegelenk des anderen
Beines steht, und das gebeugte Knie nach innen und auûen dreht. Das Aus-
maû einer eventuell vorliegenden Beugekontraktur muss nach Ausgleich
der Lendenlordose durch den Thomas-Handgriff beurteilt werden. Dazu
wird ein Bein im Hçftgelenk maximal gebeugt; unter physiologischen Ver-
håltnissen muss das kontralaterale Bein im Hçftgelenk voll zu strecken
sein. Die passive Ûberprçfung von Abduktions-, Adduktions- und Rotati-
onsbewegungen im Hçftgelenk erfolgt in Streckposition des Patienten. Die
Angabe von Schmerzen in der Endphase der Bewegung kann auf eine be-
ginnende Koxarthrose hinweisen; im fortgeschrittenen Stadium sind alle
Bewegungsablåufe schmerzhaft. Beinverkçrzung, Auûenrotationsfehlstel-
lung und Unfåhigkeit, das Bein aktiv anzuheben und zu belasten, mçssen
insbesondere beim alten Menschen an eine Schenkelhalsfraktur denken las-
sen.
134 z V. Hackel

Differenzialdiagnostische Einordnung ausgewåhlter


muskuloskelettaler Symptome

z Schmerz
Schmerz im Bereich von Rçcken und Wirbelsåule ist ein håufiges Symp-
tom, das detailliert exploriert und klinisch untersucht werden muss, um ei-
ne korrekte diagnostische Zuordnung zu ermæglichen.
Nach umschriebenen oder diffusen Druck- und Klopfschmerzen wird ge-
sucht durch Beklopfen der Dornfortsåtze (z. B. lokaler entzçndlicher oder
neoplastischer Prozess, Fraktur) und Palpation der paravertebralen Musku-
latur (z. B. lokalisierte Myogelosen, groûflåchiger Muskelhartspann).
Kennzeichnend fçr Erkrankungen der unteren Wirbelsåule ist die Lumb-
algie, die von Bewegungseinschrånkung und Fehlhaltung begleitet sein
kann. Informationen çber Schmerzcharakter, Lokalisation und modifizie-
rende Faktoren der Lumbalgie erlauben artdiagnostische Rçckschlçsse.
Ein radikulårer Schmerz strahlt regelmåûig von einem zentralen wirbel-
såulennahen Punkt nach distal, d. h. in das Versorgungsgebiet der betroffe-
nen Wurzel, aus. Ursåchlicher Mechanismus ist eine Affektion der Nerven-
wurzel, z. B. infolge von Irritation oder Kompression innerhalb oder zentral
des Foramen intervertebrale. Husten, Niesen und Pressen sowie Dehnung
(meistens bei Reklination der Wirbelsåule) verstårken den Schmerz. Neuro-
logische Symptome wie Sensibilitåtsstærung, Reflexabschwåchung und Pa-
resen sind keineswegs obligat.
Charakteristisch fçr eine Claudicatio intermittens spinalis aufgrund ei-
ner lumbalen Spinalkanalstenose sind durch långeres Gehen (besonders
Bergabgehen) oder Stehen provozierte, zumeist in den dorsalen Oberschen-
keln und Waden lokalisierte krampfartige Schmerzen. Begleitend treten
passagere sensomotorische Defizite in den betroffenen Wurzelarealen auf.
Entlastende Bewegungen mit Verminderung der Lendenlordose (z. B. Hin-
setzen) lassen die Symptome remittieren.
Pseudoradikulåre Schmerzen kænnen typischerweise nicht einem anato-
misch definierten segmentalen Versorgungsgebiet zugeordnet werden. Aus
dem Lendenwirbelsåulenbereich fortgeleitete Schmerzen projizieren sich in
der Regel nicht distal der Kniegelenke und weisen keine objektivierbaren
neurologischen Defizite auf.
Håufige Differenzialdiagnosen eines pseudoradikulåren Schmerzsyn-
droms sind (degenerative) Prozesse der Iliosakralgelenke und der Gelenkfa-
cetten der kleinen Wirbelgelenke. Dem Iliosakralgelenksyndrom liegen Blo-
ckierungen und Arthrosen der Iliosakralgelenke und anderer Strukturen
der lumbosakralen Wirbelsåule zugrunde. Die Schmerzen werden sowohl
lokal im Bereich von Gesåû und Sakrum als auch in der Kreuzgegend und
in der dorsolateralen Oberschenkelregion angegeben. Auslæsende Mecha-
nismen sind das Aufrichten aus dem Bçcken und das Heben von Lasten.
Diagnostisch hilfreich ist die Anwendung des Mennell-Manævers, wobei der
8 Das muskuloskelettale System z 135

Patient auf der gesunden Seite liegend das eigene Knie umfasst (Hçfte ge-
beugt), der Untersucher das gestreckte Bein der betroffenen Seite stark ret-
roflektiert und dadurch einen lokalen Schmerz provoziert.
Irritationen freier Nervenendigungen an Periost, Synovia und Kapsel der
Intervertebralgelenke durch arthrotische Verånderungen bedingen das so
genannte Facettensyndrom mit einem oft paravertebralen, diffusen, in der
Tiefe empfundenen Schmerz von zumeist brennend-stechender Qualitåt.
Prinzipiell kann jeder Abschnitt der Wirbelsåule betroffen sein. Die
Schmerzen kænnen unabhångig von radikulåren Innervationsgebieten aus-
strahlen und durch Fehlbewegungen einschieûend verstårkt werden. Ûber
den betroffenen Segmenten lassen sich Klopfschmerzen und Blockierungen
nachweisen.
Der Spondylolisthesis liegt ein knæcherner Defekt der Pars interarticula-
ris ± zumeist Gleiten des LWK 5 gegençber SWK 1 ± zugrunde. Die
Stærung verlåuft in den meisten Fållen asymptomatisch, kann aber ± vor
allem nach långerem Sitzen oder Tragen von Lasten ± Ursache von Lumbal-
gien mit Ausstrahlung in die Oberschenkel sein. Palpatorisch findet sich
gelegentlich eine Stufe zwischen den Dornfortsåtzen; nur in schweren Fål-
len treten objektivierbare neurologische Defizite auf.
Gemeinsame Merkmale der Insertionstendopathien sind der lokalisierte
Schmerz am Sehnenansatz/-ursprung, verbunden mit dem Nachweis eines
umschriebenen Druckpunktes und anamnestisch eruierbarer Ûber- und
Fehlbelastung, z. B. durch sportliche Aktivitåt. Am håufigsten findet sich
die Insertionstendopathie des Ellenbogens, die Epicondylitis humeri latera-
lis (sog. Tennisellenbogen). Betroffen sind die langen Hand- und Finger-
strecker mit der Folge, dass die Extension der Hand und der Finger den
lokalen Druckschmerz verstårken.
Chronische Leistenschmerzen, insbesondere bei Fuûballspielern, aber
auch bei Fechtern, Tennisspielern und Schwimmern, kænnen Folge einer
Adduktorentendinose sein. Die Beschwerden werden durch rezidivierende
Mikrotraumen am Ansatz der Adduktorenmuskulatur verursacht.
Generalisierte bzw. polytope Schmerzen des gesamten Bewegungsappa-
rates, die von den Patienten als Myalgien und Arthralgien geschildert wer-
den, charakterisieren das Fibromyalgie-Syndrom (¹generalisierte Tendomyo-
pathieª). Die Diagnose erfordert den Nachweis von definierten Haupt-
schmerzpunkten, die periartikulår im Bereich der Sehnenansåtze lokalisiert
sind und eine intensive Druckdolenz zeigen. Die fçr die Diagnosestellung
geforderten Schmerzpunkte liegen u.a. in der Mitte des åuûeren oberen
Quadranten der Glutåalregion, in der distalen Region des Epicondylus hu-
meri lateralis, an den Ansåtzen der subokzipitalen Muskulatur und an der
Knorpel-Knochen-Grenze der 2. Rippe. Darçber hinaus finden sich auto-
nome Funktionsstærungen (Obstipation, Kreislaufdysregulation, kalte
Akren, Sicca-Symptomatik von Mund und Augen u. a.), Schlafstærungen
und psychische Verånderungen (v. a. depressive Stærungen).
Die Sehne des M. supraspinatus bildet den kranialen Anteil der Rotato-
renmanschette. Typisch fçr das Supraspinatus-Syndrom ist ein intensiver
136 z V. Hackel

Schmerz bei Armabduktion. Abduktion von 908 und Innenrotation fçhren


zu einer Einengung der Sehne im subakromialen Raum (Impingement-Syn-
drom) und wirken schmerzintensivierend (sog. painful arc).
Eine degenerativ bedingte, schmerzhafte Schwellung und Druckdolenz
am Knorpel-Knochen-Ûbergang im Bereich des Rippen-Sternum-Ansatz
der 2. oder 3. Rippe, seltener auch der 1. und 4. Rippe, wird als Tietze-Syn-
drom bezeichnet. Husten und tiefe Inspiration forcieren den Schmerz.
Beim Piriformis-Syndrom ist das Vorliegen intensiver lokaler Schmerzen
in der Glutåalregion typisch, die durch Bçcken und Heben verstårkt
werden. Es beruht auf einem Engpass-Syndrom des N. ischiadicus an der
Durchtrittsstelle zwischen M. piriformis und Foramen infrapiriforme.
Neben dem Palpationsschmerz wird die Diagnose durch verschiedene klini-
sche Manæver, deren Ziel eine Anspannung (durch Oberschenkelabduktion
und -auûenrotation) und Dehnung (durch Innenrotation) des M. piriformis
ist, gesichert.
Intensive neuralgiforme, brennende und belastungsinduzierte Schmerzen
am Vorfuû bzw. der Fuûsohle kennzeichnen die Morton-Metatarsalgie, die
durch ein Neurom eines N. digitalis, meist im 3. oder 4. Metatarsalraum,
verursacht wird. Druck auf die Fuûsohle triggert den Schmerz. Paråsthe-
sien im entsprechenden Versorgungsgebiet kænnen auftreten.

z Kontrakturen
Zu einer mehr oder weniger stark ausgeprågten Bewegungseinschrånkung
fçhren muskulåre Kontrakturen infolge eines zumeist degenerativ bedingten
Parenchymumbaus mit fixierter Muskelverkçrzung. In der Mehrzahl der
Erkrankungen handelt es sich um genetisch determinierte Syndrome, deren
Manifestationsalter von kongenital bis in das Erwachsenenalter reichen
kann.
Definitionsgemåû weisen Patienten mit Arthrogryposis-Syndromen (Ar-
throgryposis multiplex congenita) bereits zum Zeitpunkt der Geburt nicht
progrediente Kontrakturen von zwei oder mehr Gelenken auf. Oft sind alle
vier Extremitåten symmetrisch und mit distalem Schwerpunkt (Ellbogen >
Knie > Fuû > Hçfte > Hand > Schulter) betroffen. Der Verteilungstyp, das
Vorliegen zusåtzlicher somatischer Stigmata (z. B. Skelettanomalien, Haut-
verånderungen, renale, kardiale und pulmonale Stærungen), der Ort des
Gendefekts bzw. das mutierte Genprodukt erlauben eine subtile Klassifika-
tion.
Gemeinsames funktionelles Korrelat ist immer eine fetal einsetzende Im-
mobilisation mit konsekutiver Gelenkversteifung, die auf åtiologisch unein-
heitlichen Stærungen basiert. So kænnen Arthrogryposis-Syndrome mit Er-
krankungen des Gehirns (z. B. Lissenzephalie, Corpus-callosum-Agenesie),
des Rçckenmarks (z. B. Meningozele), der Vorderhornzellen (z. B. spinale
Muskelatrophie) und des peripheren Nervs (z. B. Hypomyelinisierung), aber
auch mit primåren Muskelerkrankungen (z. B. Myasthenia gravis, kongeni-
tale Muskeldystrophien, Mitochondriopathien) assoziiert sein. Darçber hi-
8 Das muskuloskelettale System z 137

naus kommen Haut- und Bindegewebserkrankungen (z. B. Bindegewebsdys-


trophie, kongenitale Ichthyosis) und uterine Anomalien, die die fetalen Be-
wegungen behindern, in Betracht (z. B. Oligohydramnie).
Eine unbehandelte maternale Myasthenia gravis kann zum assoziierten
Auftreten einer kongenitalen Myasthenia gravis mit einer Arthrogryposis
des Kindes fçhren. Neben der generalisierten kongenitalen Muskelschwåche
finden sich multiple Gelenkkontrakturen und Antikærper gegen mçtterliche
und fetale Acetylcholinrezeptoren. Eine suffiziente Myasthenie-Behandlung
der Mutter reduziert das Arthrogryposisrisiko des Feten.
Die kongenitalen Muskeldystrophien (CMD) werden initial zumeist durch
eine muskulåre Hypotonie symptomatisch. Einige pathogenetisch definierte
Subtypen wie die CMD mit primårem und sekundårem Merosinmangel
und die CMD mit ¹rigid spineª entwickeln im Verlauf regelmåûig Kontrak-
turen der paretischen Muskulatur. Letztgenannte ist neben der Rigiditåt
der Wirbelsåule durch prominente Paresen der Nacken- und Rumpfmusku-
latur sowie durch eine schwere thorakale Skoliose gekennzeichnet.
Die zu den Kernhçllenmyopathien gehærende Muskeldystrophie Emery-
Dreifuss (EDM1) und Muskeldystrophie Hauptmann-Thannhauser (EDM2)
sind durch ein humeroperonåales Verteilungsmuster charakterisiert, sie un-
terscheiden sich jedoch durch Erbmodus und Verlauf (EDM2 ggf. gutarti-
ger). Die Erkrankungen manifestieren sich zumeist in der 1. Dekade
(EDM2 ggf. variabler) mit bilateral symmetrischen Beugekontrakturen der
Arme. Im Verlauf treten regelmåûig auch Kontrakturen der unteren Extre-
mitåten (Sprung- und Kniegelenke) und der Rumpf- und Nackenmuskula-
tur (rigid spine) auf. Insgesamt wirken die Kontrakturen stårker funktio-
nell behindernd als die Paresen. Fast ausnahmslos kommt es zu einer Mit-
beteiligung des Myokards bzw. des kardialen Reizleitungssystems mit po-
tenziell lebensgefåhrlichen Konsequenzen.
Kontrakturen primår neuromuskulårer Genese mçssen von Kontraktur-
formen anderer Øtiologie differenziert werden. Erwåhnt werden sollen u. a.:
· arthrogene Prozesse, z. B. Ankylosen infolge einer posttraumatisch oder
postinfektiæs bedingten Zerstærung des Gelenkknorpels, rheumatische
Erkrankungen (chronische Polyarthritis)
· spastische Paresen, z. B. nach Hirninfarkt/-blutung
· Sehnenverkçrzung, Sehnenverklebung
· Narbenkontrakturen, z. B. nach Verbrennungen
· iatrogene Kontrakturen, z. B. nach fehlerhafter Ruhigstellung.

Orthopådische Ursachen neurologischer Befunde ±


neurologische Ursachen orthopådischer Befunde

z Sehnenrupturen setzen eine Degeneration des Gewebes, z. B. infolge rezi-


divierender Mikrotraumen, voraus. Die Ruptur selbst ist von einem plætz-
lichen fokalen Schmerz begleitet.
138 z V. Hackel

Die lange Bizepssehne wird im Sulcus intertubercularis gehåuft degene-


rativ geschådigt; daher kann die Sehne an dieser Stelle bereits nach einem
Bagatelltrauma reiûen. Der Muskelbauch verrutscht nach distal in die El-
lenbeuge. Der Funktionsverlust ist in der Regel gering.
Die Ruptur der Supraspinatussehne wird durch das sog. Drop-arm-sign
beståtigt: Der Patient kann den passiv auf 908 abduzierten Arm nicht hal-
ten, der Arm sinkt ab.
Komplette Sehnendurchtrennungen an der Hand sind am Funktionsver-
lust des betroffenen Fingers zu erkennen. Die differenzialdiagnostische Ab-
grenzung neuromuskulår bedingter Paresen sollte aufgrund der unphysio-
logischen Stellung des betroffenen Fingers keine Schwierigkeiten bereiten.
Die aktive Beugung der Endglieder bei fixiertem Mittelgelenk dient der
Funktionsprçfung der tiefen Beugesehnen (M. flexor digitorum profundus,
2. bis 5. Finger). Um die Funktion der oberflåchlichen Beugesehnen (M. fle-
xor digitorum superficialis, 2. bis 5. Finger) zu prçfen, mçssen die Nach-
barfinger in Streckstellung fixiert werden. Die aktive Beugung eines Fin-
gers im Mittelgelenk erfolgt durch die oberflåchliche Beugesehne. Durch
Druck auf die Muskelbåuche am Unterarm kænnen passiv die Intaktheit
der Beugesehnen verifiziert und ¹echteª Paresen abgegrenzt werden.
Ûberdehnung und Ruptur der Strecksehnen finden sich regelmåûig bei
der chronischen Polyarthritis; sie fçhren zu Knopfloch- und Schwanenhals-
deformitåt, ¹Ninety-Ninety-Deformityª des Daumens und ulnarer Fingerde-
viation.
Darçber hinaus kann diese rheumatoide Gelenkerkrankung eine ent-
zçndliche Destruktion des Bandapparats des Atlantoaxialgelenks und der
Verbindungen zum Schådel verursachen. Klinisch åuûert sich diese atlan-
toaxiale Dislokation in einer intermittierenden oder manifesten Para- oder
Tetraparese infolge einer Kompression des Zervikalmarks.

z Ganglien (¹Ûberbeineª) sind håufige, von Gelenken, Sehnenscheiden und


Bursen ausgehende, prallelastische Verånderungen wechselnder Græûe. Sie
kænnen durch chronische Druckeinwirkung zu einer Låsion peripherer
Nerven beitragen. Aus neurologischer Sicht bedeutsam sind Affektionen
des N. ulnaris und des N. peronaeus.
Im Bereich der Handwurzel stehen unter den nicht traumatischen Ursa-
chen einer Ulnarislåsion Ganglien an erster Stelle. Der sensible R. super-
ficialis bleibt zumeist intakt. Klinisch liegen Paresen und Atrophien der
kleinen Handmuskulatur mit Aussparung des Hypothenar vor, sensible De-
fizite sind selten (Loge-de-Guyon-Syndrom). Differenzialdiagnostisch muss
an eine spinale Muskelatrophie gedacht werden.
Die Nn. peronaei profundus et superficialis werden am håufigsten im Be-
reich des Fibulakæpfchens geschådigt. Es handelt sich çberwiegend um
exogene Kompressionsmechanismen, z. B. fehlerhafte Lagerung in der Nar-
kose, Ûbereinanderschlagen der Beine, Druck durch Verbånde. Aber auch
Ganglien und Zysten des Tibiofibulargelenks kænnen zu chronischen
Drucklåsionen fçhren. Das klinische Bild ist durch die Parese der Fuû-
8 Das muskuloskelettale System z 139

und Zehenheber mit Fallfuû und Steppergang sowie durch Sensibilitåts-


stærungen çber dem ersten Spatium interosseum (N.-peronaeus-profundus-
Anteil) gekennzeichnet. Sensibilitåtsstærungen am çbrigen Fuûrçcken ein-
schlieûlich des lateralen Fuûrandes gehen auf Låsionen des N.-peronaeus-
superficialis-Anteils zurçck.
Das håufigste Engpass-Syndrom çberhaupt ist das Karpaltunnelsyndrom
(CTS), das durch Kompression des N. medianus im Karpaltunnel entsteht.
Im Allgemeinen treten die Symptome ohne zusåtzliche lokale Faktoren auf.
Prådisponierend wirken systemische Erkrankungen wie chronische Poly-
arthritis, Hypothyreose, Kollagenosen und Akromegalie, die zu einer Ver-
dickung des Bindegewebes fçhren. Auch Graviditåt, Gewichtszunahme,
Dialyse, Diabetes mellitus und Amyloidinfiltration begçnstigen die Mani-
festation.
Charakteristischerweise liegt eine Brachialgia paraesthetica nocturna
vor: Die Patienten erwachen von nåchtlichen Schmerzen in den Fingern,
die oft bis in den Unterarm oder sogar den Oberarm ausstrahlen. Schçtteln
und Massieren der Hånde lindert die Beschwerden. Paråsthesien und Hy-
påsthesien betreffen die medianusversorgten 3Ý radialen Finger, im Verlauf
auch die Thenarseite der Hand. Durch forcierte Dorsalextension oder Vo-
larflexion im Handgelenk kænnen die Symptome provoziert werden (Pha-
len-Test). Beklopfen des N. medianus çber dem Karpaltunnel kann einen
elektrisierenden Schmerz triggern (Tinel-Zeichen). Motorische Ausfålle
(Abduktionsschwåche des Daumens mit positivem Flaschenzeichen) und
Thenaratrophie treten zumeist erst im fortgeschrittenen Stadium auf.
Im Zusammenhang mit einer hereditåren motorisch-sensiblen Neuro-
pathie (HMSN, Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung) sind Fuûdeformationen
mit konsekutiven Gangstærungen ± die durchaus primår zu einer ortho-
pådischen Konsultation fçhren kænnen ± nicht selten; typischerweise liegt
infolge einer Atrophie der kleinen Fuûmuskulatur eine Hohlfuûdeformie-
rung (Pes cavus) vor, die zumeist von einer Hammer- und Krallenzehenbil-
dung begleitet ist. Darçber hinaus finden sich weitere variable paresebe-
dingte Fuûfehlstellungen. Insbesondere kindliche Patienten scheinen nicht
selten initial eine ausgeprågte Platt-Knickfuûdeformation (Pes planovalgus)
zu entwickeln. Fortschreitende Paresen der Fuûheber (M. peronaeus lon-
gus, M. tibialis anterior) und im Verlauf auch der Mm. tibialis posterior et
peronaeus brevis fçhren zu einem Fallfuû, der mit schweren Plantarflexi-
ons- und Rotationsfehlstellungen assoziiert sein kann.
140 z V. Hackel

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9 Autonome Funktionen
V. Hackel

Anatomische und physiologische Grundlagen

Das autonome bzw. vegetative Nervensystem hat die Aufgabe, das innere
Milieu des Kærpers zu regulieren und die viszeralen und homæostatischen
Funktionen an die wechselnden Umweltbedingungen anzupassen. Es unter-
liegt nicht der willkçrlichen Steuerung. Somatisches (zentrales und peri-
pheres) Nervensystem und vegetatives Nervensystem sind untrennbar mit-
einander verflochten; sie verhalten sich komplementår.
Das autonome Nervensystem besteht aus einem zentralen und einem pe-
ripheren Anteil. Im Gegensatz zum somatischen System, wo die Verbin-
dung zwischen dem zentralen Nervensystem und dem Zielorgan durch ein
einziges Motoneuron realisiert wird, gibt es im autonomen Nervensystem
fçr den efferenten Weg immer mindestens zwei Neurone. Das erste (prå-
ganglionåre) Neuron geht aus einem Kern in Hirnstamm oder Rçckenmark
hervor, das zweite (postganglionåre) Neuron stellt die Verbindung zwischen
spezialisierten peripheren Ganglienzellen und dem Erfolgsorgan her.
Der Hypothalamus çbernimmt die zentrale Rolle in der Regulation auto-
nomer Funktionen. Er steht in wechselseitiger Verbindung mit weiteren
funktionell bedeutsamen anatomischen Strukturen des zentralen autono-
men Nervensystems wie dem limbischen System (insbesondere Amygdala
und angrenzende Kerngebiete) und dem pråfrontalen Kortex.
Efferente Verbindungen bestehen u. a. zu Kerngebieten von Pons und
Medulla oblongata sowie çber die Epiphyse zu endokrinen Drçsen.
Das periphere autonome Nervensystem gliedert sich in einen sympathi-
schen und einen parasympathischen Anteil sowie das enterische Nervensys-
tem (¹brain of the gutª). Acetylcholin ist der Neurotransmitter im prågang-
lionåren Abschnitt des gesamten vegetativen Nervensystems und im post-
ganglionåren Anteil des Parasympathikus. Als Transmitter der postganglio-
nåren sympathischen Neurone dient Noradrenalin.
Die Zellen der pråganglionåren Neurone des Sympathikus befinden sich
in den thorakalen und oberen lumbalen Segmenten des Myelons (C8 bis
L2/3). Ûber die Vorderwurzeln erreichen sie als Rr. communicantes albi die
paravertebral angeordneten Ganglien des Grenzstrangs. Die Fasern werden
z. T. umgeschaltet und verlaufen als Rr. communicantes grisei zurçck zu
den Spinalnerven, mit denen sie dann die Erfolgsorgane innervieren. Ein
9 Autonome Funktionen z 143

Tabelle 9.1. Funktionen des autonomen Nervensystems


Sympathikusaktivitåt færdert Parasympathikusaktivitåt færdert
z Mydriasis z Miosis
z Blutdruckerhæhung z Blutdrucksenkung
z Tachykardie z Bradykardie
z Bronchodilatation z Bronchokonstriktion
z Motilitåtsabnahme z Motilitåtszunahme im Gastrointestinaltrakt
im Gastrointestinaltrakt
z Sphinkterkontraktion z Sphinkterrelaxation
z Ejakulation z Erektion
z Piloarrektion und Hyperhidrosis
z Adrenalinsekretion der Nebenniere

anderer Teil der pråganglionåren sympathischen Neuriten zieht durch den


Grenzstrang und wird in so genannten pråvertebralen Ganglien in der Nå-
he der groûen Bauchgefåûe umgeschaltet.
Die Perikarya der pråganglionåren parasympathischen Neurone liegen
im Hirnstamm (Kerne des N. oculomotorius/III, des N. fazialis/VII, des N.
glossopharyngeus/IX und des N. vagus/V) und im Sakralmark S2 bis S4;
ihre Fasern ziehen zu den Erfolgsorganen in Brust- und Bauchraum (N. va-
gus) und im kleinen Becken (Nn. splanchnici pelvici, N. pudendus). Die
Ganglien, in denen eine cholinerg vermittelte Umschaltung von prå- auf
postganglionåre Fasern erfolgt, liegen in der Nåhe oder in der Wand des
jeweiligen Zielorgans.
Beide Anteile des autonomen Nervensystems verhalten sich in ihrer
Funktion prinzipiell gegensåtzlich; sie werden in Tabelle 9.1 gegençberge-
stellt.
Das enterische Nervensystem (Plexus myentericus, Plexus submucosus
externus et internus) als Teil des peripheren autonomen Nervensystems re-
guliert Motilitåt, Sekretion und Absorption im Gastrointestinaltrakt weit-
gehend unabhångig, wird jedoch durch die Aktivitåt von Sympathikus und
Parasympathikus moduliert.

Diagnostisches Vorgehen in der Beurteilung autonomer Funktionen

Es gibt lediglich eine kleine Zahl neurologischer Erkrankungen, die primår


und ausschlieûlich das autonome Nervensystem und dessen neuroendokri-
ne Verbindungen involvieren. Allerdings haben zahlreiche internistische Er-
krankungen wie kardiale Reizleitungsstærungen, Diabetes mellitus oder Hy-
pertonus Auswirkungen auf autonome Funktionen. Darçber hinaus wird
144 z V. Hackel

eine Reihe von Erkrankungen des zentralen Nervensystems (z. B. Parkin-


son-Syndrom, Hirninfarkte und Schådel-Hirn-Trauma) sowie Erkrankun-
gen des peripheren Nervensystems (z. B. Polyneuropathien) von Zeichen ei-
ner autonomen Dysfunktion begleitet. Derartige Symptome kænnen Blut-
druck- und Frequenzentgleisung, orthostatische Dysregulation und Syn-
kope, Blasenfunktionsstærung, Pupillenanomalien oder Stærungen von
Schweiûsekretion und Thermoregulation sein. Zusåtzlich beeinflussen eine
Vielzahl von pharmakologischen Wirkstoffen (z. B. Diuretika, Antihyperten-
siva, Antidepressiva) die Funktion des vegetativen Nervensystems.
Die Beurteilung autonomer Funktionen beginnt mit der exakten Anam-
neseerhebung unter Berçcksichtigung der aktuellen Medikation. So lassen
sich durch mæglichst pråzise Befragung des Patienten potenziell ursåchli-
che Erkrankungen (z. B. Parkinson-Syndrom) oder spezifische pathophysio-
logische Mechanismen eruieren (z. B. Volumenmangel, Einfluss von Nah-
rungsaufnahme, kærperlicher Aktivitåt und Ønderungen der Kærperhal-
tung). Es sollten Angaben çber Miktion und Defåkation sowie bei månn-
lichen Patienten Informationen zu Erektions- und Ejakulationsstærungen
ergånzt werden.
Zu den basalen Untersuchungen bei der Erfassung autonomer Funk-
tionsstærungen aus der Sicht des Neurologen gehært die Beurteilung der
Pupillenreaktion (vgl. Kapitel ¹Hirnnervenª) und des Hautzustands sowie
die Herzfrequenz- und Blutdruckbestimmung. Diese und darçber hinaus
gehende Methoden werden im Folgenden dargestellt.

z Stærungen der Schweiûsekretion


Die Inspektion der Haut erfasst Verånderungen der Hautfarbe, des Turgors
(z. B. Exsikkose) und der Schweiûsekretion. Fokale oder generalisierte Hy-
perhidrose, Hypohidrose oder Anhidrose sind Folge einer sympathischen
Efferenzstærung. Der sudomotorischen Funktionsstærung kænnen Låsionen
der zentralen Sympathikusfasern, des Grenzstrangs, des Plexus oder der
gemischten bzw. sensiblen peripheren Nerven zugrunde liegen. Funktionell
lassen sich ein thermoregulatorisches und ein affektiv-emotionales System
abgrenzen. Einflussfaktoren des thermoregulatorischen Systems sind z. B.
Temperatur und Feuchtigkeit der Umgebung sowie physische Aktivitåt.
Emotionales Schwitzen wird durch Arousal- bzw. Schreckreize provoziert.
Die efferenten sympathischen Bahnen und das Erfolgsorgan Schweiûdrçse
sind vermutlich identisch, unabhångig davon, ob es sich um einen thermo-
regulatorischen oder einen emotionalen Reiz handelt.
Eine subjektive Beeintråchtigung berichten Patienten in der Regel nur,
wenn eine Hyperhidrose vorliegt. Der Aspekt einer Hyp- oder Anhidrose
ist weniger offensichtlich, obwohl die Beeintråchtigung der Vasomotorik ei-
ne warme, trockene und gerætete Hautbeschaffenheit bedingt. Ebenfalls
Ausdruck der gestærten Sympathikusinnervation ist die fehlende Pilomoto-
renreaktion, das reflektorische Sichaufrichten der Kærperhaare (Piloarrekti-
on, ¹Gånsehautª) auf Kålte- oder Strichreiz der Haut.
9 Autonome Funktionen z 145

Stærungen der neurovegetativen Versorgung kænnen zu trophischen Ver-


ånderungen der Haut, des Unterhautfettgewebes, der Någel und Haare so-
wie der Knochen und Gelenke fçhren. Im entsprechenden Versorgungs-
gebiet wachsen Haare und Fingernågel langsamer; der Nagelaufbau ist
gestært. Das subkutane Fettgewebe atrophiert. Die Haut wird glatt, glånzen-
der und vulnerabler fçr Verletzungen. Die Wundheilung ist verzægert.
Ulzera kænnen entstehen (z. B. neuropathischer Fuû mit Ulkusbildung bei
Diabetes mellitus).
Objektivieren lassen sich Stærungen der sudomotorischen Aktivitåt
durch verschiedene qualitative und quantitative Verfahren, die z. T. aufwån-
dig sind und nur in spezialisierten Laboren angewendet werden.
Der Jod-Stårke-Test (nach Minor) untersucht das thermoregulatorische
Schwitzen; er ist eine qualitative Messung der regionalen Schweiûprodukti-
on auf Erhæhung der Kærpertemperatur. Die zu beurteilende Kærperregion
wird mit einer Jodlæsung eingepinselt und nach dem Trocknen mit Stårke-
puder bestreut. Zur Provokation der Schweiûsekretion eignet sich das Trin-
ken von heiûem Tee oder das Einwickeln des Patienten in Decken. Der
frçher verwendete Lichtkasten gilt heute als obsolet. Die Farbverånderung
des Indikatorpuders (rote bis schwarz-violette Verfårbung) dokumentiert
die lokale Schweiûproduktion und erlaubt Rçckschlçsse auf peripher und/
oder zentral (also proximal des Grenzstrangs) gelegene Ursachen (z. B.
Rçckenmarklåsionen mit Schådigung der zentralen Sympathikusbahn). An-
hidrotische Areale bleiben weiû, hypohidrotische Gebiete zeigen eine gerin-
ge Verfårbung.
Der Ninhydrin-Test bietet sich fçr die qualitative Bewertung der sponta-
nen Schweiûsekretion an den distalen Abschnitten der Extremitåten, aber
auch des Gesichts an. Die zu untersuchenden Hand- bzw. Fuûflåchen oder
die Stirn werden fçr ca. eine Minute auf ein Blatt weiûes Papier gedrçckt
und mit einem Stift umfahren, um die Konturen zu markieren. Das Papier
wird anschlieûend mit einer Læsung aus 1% Ninhydrin, Aceton und einigen
Tropfen Eisessig benetzt und in einem Wårmeschrank (z. B. Sterilisator)
çber 2 bis 3 Minuten bei 100 8C getrocknet. Ninhydrin reagiert mit be-
stimmten Aminosåuren des menschlichen Schweiûes.
Bei regelrechter Schweiûsekretion tritt eine violette Verfårbung auf, anhi-
drotische Areale bleiben unverfårbt. Mit dem Test kænnen Plexus- und
Grenzstranglåsionen von radikulåren Låsionen abgegrenzt werden; letzt-
genannte weisen eine intakte Schweiûproduktion auf.
Eine zu geringe thermoregulatorische oder spontane Schweiûbildung
kann pharmakologisch durch subkutane, also systemische Injektion von Pi-
locarpin (1 ml einer 1%igen Læsung) stimuliert werden. Pilocarpin ist eine
cholinerge Substanz, die direkt auf die postganglionåren Fasern wirkt, die
die Schweiûdrçsen innervieren. Die Schweiûsekretion am gesamten Kærper
wird angeregt.
Die qualitative Untersuchung der sympathischen Hautantwort (sym-
pathetic skin response, SSR) basiert auf der Spannungsånderung an der
Haut nach einem plætzlichen elektrischen oder akustischen Stimulus. Der
146 z V. Hackel

Test reflektiert somit die affektiv-emotionale Schweiûsekretion infolge einer


Sympathikusaktivierung. Der Patient befindet sich in einem mæglichst reiz-
armen Raum, da plætzliche unspezifische Ereignisse (z. B. Telefonklingeln)
die rasche physiologische Habituation des Reflexes zusåtzlich begçnstigen.
Die elektrische Stimulation erfolgt ± analog dem Blinkreflex ± im Bereich
des N. supraorbitalis. Nach Platzierung der Ableitelektroden zwischen
Hohlhand und Handrçcken bzw. Fuûsohle und Fuûrçcken wird das infolge
der Schweiûdrçsenaktivierung entstehende Potenzial gemessen.
Bereits die Untersuchung gesunder Probanden erbringt eine erhebliche
Variabilitåt der Amplituden; die diagnostische Glaubwçrdigkeit ermittelter
Latenzen muss vor dem Hintergrund der am Reflexbogen beteiligten Struk-
turen kritisch hinterfragt werden. Daher sollte in der Bewertung von Am-
plituden und Latenzen Zurçckhaltung geçbt werden. Als zuverlåssig patho-
logisch gilt einzig das reproduzierbare Fehlen des Potenzials (z. B. bei einer
diabetisch bedingten Polyneuropathie).
Mit Hilfe des quantitativen sudomotorischen Axonreflex-Tests (QSART) ±
einer hochspezialisierten Methode ± kann die Funktion (distaler) periphe-
rer postganglionårer cholinerger Axone çberprçft werden. Auf die zu un-
tersuchende Kærperregion wird eine luftdicht abgeschlossene Stimulations-
kammer platziert. Die Stimulation mit einer cholinergen Substanz, z. B. in
Form einer Acetylcholiniontophorese, fçhrt çber retrograde und kollaterale
Erregung sudomotorischer Axone zur Schweiûsekretion (Axonreflex). Diese
Schweiûproduktion wird mit einem Hydrometer gemessen; fehlende, redu-
zierte, persistierende und exzessive Reflexantworten gelten als patholo-
gisch. Der Test eignet sich beispielsweise fçr die Diagnostik einer so ge-
nannten ¹small fiber neuropathyª (z. B. Amyloidneuropathie) oder fçr wis-
senschaftliche Fragestellungen, ist aber fçr die Routineanwendung metho-
disch zu aufwåndig.

z Stærungen der kardiovaskulåren Innervation


Kardiovaskulåre Symptome wie Herzrhythmusstærungen, verminderte
Herzfrequenzvariabilitåt und orthostatische Dysregulation kænnen Aus-
druck von Funktionsstærungen des autonomen Nervensystems sein. Wichti-
ger Parameter der kardiovaskulåren Regulation ist der arterielle Blutdruck,
der çber Barorezeptoren im Sinus caroticus und im Aortenbogen in Ver-
bindung mit dem medullåren Kreislaufzentrum steht. Aktivitåtsånderungen
zentraler parasympathischer und sympathischer Strukturen bewirken çber
die Korrekturgræûe ¹Herzfrequenzª eine effektive Gegensteuerung mit dem
Ziel, den aktuellen Blutdruck-Istwert an den Sollwert anzupassen. Weitere
Reaktionen betreffen die Widerstands- und Kapazitåtsgefåûe, deren Funk-
tion synergistisch modifiziert wird.
Die Reaktionen von Blutdruck und Herzfrequenz auf Verånderungen der
Kærperposition und der Atmung zåhlen zu den einfachsten und klinisch
bedeutsamsten Untersuchungen. Die Herzrate låsst sich aus dem R-Zacken-
Abstand in der kontinuierlichen EKG-Aufzeichnung ableiten. Optimalerwei-
9 Autonome Funktionen z 147

se sollte auch der Blutdruck kontinuierlich erfasst werden (z. B. mittels Fin-
ger-Infrarot-Plethysmographie).
Verlåsslich und ohne græûeren Aufwand durchzufçhren ist der Schellong-
Test. Er erfordert die Kooperation des Patienten. Vereinfacht betrachtet,
reflektiert die Herzfrequenzånderung wåhrend des Tests die parasympathi-
sche, die Blutdruckånderung die sympathische Aktivitåt. Nach 10-minçti-
gem Liegen mit Blutdruck- und Herzfrequenzmessung steht der Patient auf.
Nun werden die Ønderungen von Blutdruck und Puls im Abstand von einer
Minute çber einen Zeitraum von zehn Minuten dokumentiert.
Physiologischerweise fçhrt Stehbelastung in den ersten drei Sekunden
zu einer plætzlichen leichten Herzfrequenzzunahme (um 5 bis 20 pro Minu-
te) bei anfangs stabilem oder passager leicht absinkendem systolischen
Blutdruck (um 5 bis 10 mmHg) und gleich bleibenden bzw. leicht anstei-
genden diastolischen Werten (wenige mmHg). Etwa 15 Herzschlåge nach
dem initialen Anstieg verlangsamt sich der Puls, um nach ca. 30 Schlågen
eine stabile Frequenz zu erreichen.
Als pathologisch nach orthostatischer Belastung werden ein Absinken
des systolischen (um mehr als 30 mmHg) und des diastolischen Drucks
(um mehr als 15 mmHg) sowie der Abfall der Herzfrequenz bewertet. Die-
ses Verhalten weist auf eine geringe oder fehlende Aktivierung des sym-
pathischen Systems hin und wird daher auch als hypo- bzw. asympathiko-
tone Form der Kreislaufregulationsstærung bezeichnet. Sie findet sich beim
Shy-Drager-Syndrom, einer seltenen Form einer Multisystematrophie.
Ein Herzfrequenzanstieg um mindestens 30 pro Minute bei gleichzeiti-
gem Absinken des systolischen Blutdrucks um mehr als 20 mmHg und des
diastolischen Wertes um mehr als 10 mmHg weist auf eine orthostatische
Intoleranz bzw. Hypotonie hin.
Die systolische bzw. diastolische Blutdruckdifferenz nach Orthostase
(Wert im Stehen minus Wert im Liegen) ca. eine Minute nach dem Aufste-
hen reflektiert den sympathischen Anteil der Blutdruckregulation. Eine pa-
thologische Gegenregulation ist ab einer systolischen Differenz von
±25 mmHg und einer diastolischen Differenz von ±5 mmHg anzunehmen;
je hæher die negativen Werte, desto insuffizienter ist die Gegensteuerung.
Die 30 : 15 Ratio (Ewing-Index), das Verhåltnis zwischen dem långsten
RR-Intervall um den 30. Herzschlag nach Orthostase und dem kçrzesten
Intervall um den 15. Herzschlag, ist ein sensitiver Parameter der parasym-
pathisch (N. vagus) vermittelten Inhibition des Sinusknotens. Die Norm-
werte sind alterskorreliert; Werte < 1,05 bei jungen Patienten sind als pa-
thologisch anzusehen.
Die Herzfrequenzanalyse bei tiefer Inspiration und Exspiration erlaubt
Rçckschlçsse auf die Funktion des Parasympathikus. Normalerweise
kommt es wåhrend der Inspiration zu einer Zunahme der Herzfrequenz,
wåhrend der Exspiration zu einer Abnahme der Herzfrequenz (respiratori-
sche Sinusarrhythmie). Die atemsynchrone Herzfrequenzvarianz wird mit-
tels EKG in Ruhe und bei tiefer Atmung (ca. 6 Atemzçge/min çber 3 Minu-
ten) gemessen. Die Normwerte sind altersabhångig: im Alter von 10 bis 40
148 z V. Hackel

Tabelle 9.2. Physiologische Verånderungen von Blutdruck und Herzfrequenz wåhrend des Val-
salva-Manævers
Phase Blutdruck Herzfrequenz Pathophysiologischer
Mechanismus
I (Beginn Anstieg Abnahme Zunahme des intra-
der Exspiration) thorakalen Drucks
II (Weitere Abfall mit Tachykardie Verminderter venæser
Exspiration) Normalisierung Rçckfluss zum Herzen,
auf Ausgangswerte reflektorische Vasokon-
striktion peripherer
Gefåûe
III (Ende Abfall maximale Tachykardie Abnahme des intra-
der Exspiration) thorakalen Drucks
IV (Erholungsphase, çberschieûender kompensatorische Vasokonstriktion,
ca. 10 s nach Anstieg (çber Bradykardie verstårkter venæser
Ende des Press- Ausgangsniveau) Rçckfluss zum Herzen
manævers)

Jahren çber 15 bis 20/min, bei Personen çber 60 Jahre zwischen 5 und
8/min. Die Methode eignet sich auch fçr die Abschåtzung des Risikos kar-
dialer Rhythmusstærungen bei Patienten mit einem akuten Guillain-Barr-
Syndrom.
Die normalen Verånderungen von Blutdruck und Herzfrequenz wåhrend
des Valsalva-Manævers unterliegen dem Einfluss der arteriellen Presso-
bzw. Barorezeptoren und der efferenten sympathischen Gefåûinnervation
(Tabelle 9.2). Innerhalb der vier Testphasen exspiriert der Patient çber 15
Sekunden gegen einen konstanten Widerstand, wobei idealerweise eine
kontinuierliche Registrierung von Blutdruck und Herzfrequenz erfolgt. Er-
krankungen des autonomen Nervensystems wirken sich nur auf die Phasen
II und IV des Valsalva-Manævers aus; die Phasen I und III bleiben unbeein-
flusst, da sie lediglich einer mechanischen Regulation unterliegen (Ønde-
rung des intrathorakalen Druckniveaus). Pathologisch zu bewerten sind:
z reduzierte Valsalva-Ratio, d. h. verminderter Quotient aus maximaler
Phase-II-Tachykardie und minimaler Phase-IV-Bradykardie (<1,1).
z Fehlen von Phase-II-Blutdruckabfall und çberschieûendem Phase-IV-
Blutdruckanstieg.

Als weitere Methode fçr die Untersuchung der orthostatischen Kreislaufre-


aktion kann der Kipptisch eingesetzt werden. Nach ruhigem Liegen wird
der Kipptisch mit dem angeschnallten Patienten um 60 bis 808 aufgestellt
und Blutdruck und Herzfrequenz werden çber mindestens zehn Minuten
registriert. Die Differenzen der systolischen und diastolischen Werte sowie
der Herzfrequenz werden analog den Differenzen beim aktiven Stehen wåh-
9 Autonome Funktionen z 149

rend des Schellong-Tests ausgewertet. Långere Standphasen çber mindes-


tens 45 Minuten sind in der differenzialdiagnostischen Abgrenzung vasova-
galer Synkopen erforderlich.
Anhaltender Druck auf den Augenbulbus fçhrt zur Aktivierung des bul-
bokardialen Reflexes, dessen Afferenz çber die Ziliarnerven und den N.
ophthalmicus zum Trigeminuskerngebiet fçhrt und çber efferente vagale
Fasern eine Bradykardie bewirkt. Der Versuch eignet sich unter intensiv-
medizinischen Bedingungen fçr die orientierende Diagnostik einer redu-
zierten Sympathikusaktivitåt bei Patienten mit einem Guillain-Barr-Syn-
drom. Etwa eine halbe Minute wird mit zwei Fingern auf die geschlossenen
Augen des Patienten Druck mit einer Intensitåt ausgeçbt, die noch gerade
als nicht schmerzhaft empfunden wird. Eine Bradykardie von 40/min und
niedriger ist als pathologisch zu klassifizieren.

z Stærungen vasomotorischer Reaktionen


Die autonome Innervation der Blutgefåûe, d. h. die vasomotorische Steue-
rung, erfolgt çberwiegend durch sympathische (vasokonstriktorische) und
nur partiell durch parasympathische Nervenfasern. Thermoregulatorische
Umstellungen werden vorwiegend çber Verånderungen der Hautdurchblu-
tung realisiert, sodass sich die Hauttemperatur als Parameter fçr die Beur-
teilung vasomotorischer Funktionen anbietet. Vasodilatation der Hautgefå-
ûe bewirkt eine wirkungsvolle Wårmeableitung des Gewebes mit Wårme-
abgabe an die Haut; die Hauttemperatur erhæht sich. Kutane Vasokonstrik-
tion fçhrt zu einer verminderten Hauttemperatur. Daher lassen Abweichun-
gen der Hauttemperatur Rçckschlçsse auf eine vasomotorische Dysfunktion
und auf Erkrankungen des autonomen Nervensystems zu.
In behaglicher Umgebungstemperatur liegt die mittlere Hauttemperatur
im Bereich von ca. 33 bis 34 8C. Sie kann mit Hilfe eines Hautthermometers
in verschiedenen Hautarealen verglichen werden. Diagnostisch hilfreich ist
die Messung der Hauttemperatur z. B. bei Verdacht auf eine sympathische
Reflexdystrophie (Sudeck-Syndrom). In einem frçhen Krankheitsstadium
liegt die Hauttemperatur auf der betroffenen Seite oft deutlich hæher oder
niedriger als auf der nicht betroffenen Seite.
Nach Eintauchen von Hand oder Fuû in Eiswasser (1 bis 4 8C) erfolgt ei-
ne reflektorische und çber efferente sympathische Fasern vermittelte Vaso-
konstriktion der Hautgefåûe mit Zunahme von Blutdruck und Herzfre-
quenz. Diese physiologische Reaktion bildet die Grundlage des Kåltedruck-
tests. Etwa eine Minute nach Beginn der Kålteexposition tritt eine mess-
bare Reduktion des Blutflusses in den Hautgefåûen mit folgenden systemi-
schen Auswirkungen auf: Erhæhung des systolischen Drucks um 15 bis
20 mmHg und des diastolischen Drucks um 10 bis 15 mmHg sowie Zunah-
me der Herzfrequenz um 10 bis 15 Schlåge/min.
Kontinuierliche isometrische Kontraktion (Handgrifftest) verursacht
çber eine Sympathikusaktivierung normalerweise einen Anstieg des diasto-
lischen Blutdrucks um mindestens 15 mmHg. Der Patient çbt an einem
150 z V. Hackel

Vigorimeter einen Faustschluss mit ca. 30% seiner Maximalkraft aus. Der
diastolische Druckanstieg wird nach 3 bis 5 Minuten am kontralateralen
Arm gemessen.
Abschlieûend sei erwåhnt, dass mentaler Stress wie Kopfrechnen in ei-
ner reizçberfluteten, lauten Umgebung zu einem messbaren, Sympathikus-
vermittelten Anstieg der diastolischen Blutdruckwerte fçhrt.

z Stærungen der Blasen-, Mastdarm- und gastrointestinalen Funktion


sowie der Genitalfunktion
Miktion und Defåkation werden durch spinale parasympathische und sym-
pathische Zentren sowie periphere autonome Ganglien und Nerven gesteu-
ert. Die neuronale Kontrolle von Kontinenz und Blasen-/Mastdarmentlee-
rung ist ein weitgehend automatischer Prozess, der jedoch dem modulie-
renden Einfluss zentralnervæser ¹hæhererª Zentren (Hirnstamm, Hypotha-
lamus, Groûhirn) unterliegt.
Eine schnelle und einfache Methode ist die Bestimmung der Restharn-
menge unmittelbar nach spontaner Miktion durch Blasenkatheterisierung
oder Sonographie. Hohe Retentionsmengen gehæren zum Bild einer dener-
vierten, atonen Blase bei peripheren, d. h. im und unterhalb des sakralen
Miktionszentrums (S2 bis S4) gelegenen Låsionen. Je nach Fragestellung
kænnen weitere urodynamische Untersuchungen (z. B. Zystomanometrie)
vorgenommen werden.
Im Kontext von Miktions- und Defåkationsstærungen sind immer die
Sensibilitåt der lumbosakralen Dermatome (vgl. Kapitel 5), lokalisatorisch

Tabelle 9.3. Neurourologisch bedeutsame Fremdreflexe


Kremasterreflex Bulbokavernosus- Analreflex
reflex
z Auslæsung Bestreichen der Haut leichtes Kneifen des Bestreichen der peria-
an der Innenseite des Glans penis, Stechen nalen Region (Patient
proximalen Ober- der Haut an der in Seitenlage, Knie und
schenkels Dorsalseite des Penis Hçfte flektiert)
z Reflexantwort Aufsteigen des Kontraktion des Kontraktion des Anus
ipsilateralen Hodens M. bulbocavernosus
(an Peniswurzel und
rektaler Untersuchung
spçrbar)
z Muskel M. cremaster M. bulbocavernosus M. sphincter ani
externus
z Peripherer Nerv R. genitalis N. pudendus N. pudendus
des N. genitofemoralis
z Lokalisation L1 bis L2 S3 bis S4 S3 bis S5
9 Autonome Funktionen z 151

wichtige Fremdreflexe wie Kremaster-, Bulbokavernosus- und Analreflex


(Tabelle 9.3) und der Tonus des Analsphinkters zu untersuchen (vgl. Kapi-
tel 4).
Eine akute Blasenstærung ist ein urologisch-neurologischer Notfall.
Stærungen der Blasenfunktion haben die Tendenz, sich nur sehr unvollstån-
dig zurçckzubilden, wenn die Ursache nicht innerhalb kurzer Zeit behoben
wird. Die Ursachen kænnen im peripheren und im zentralen Nervensystem
liegen. Håufige periphere Ursachen sind ein medialer Diskusprolaps mit
Kaudalåsion oder seltener die Kompression des Conus medullaris. Zentrale
Ursachen sind z. B. die spondylogene Myelopathie, das A.-spinalis-anterior-
Syndrom und eine spinale Låsion im Rahmen der multiplen Sklerose.
Eine autonome Dysfunktion des gastrointestinalen Systems åuûert sich
im Allgemeinen als Motilitåtsstærung, typischerweise als schwere Obstipa-
tion. Neurogene Ursachen kænnen eine autonome Neuropathie bei Diabetes
mellitus und Guillain-Barr-Syndrom, Querschnittslåhmung oder multiple
Sklerose sein. In seltenen Fållen ist ein A.-spinalis-anterior-Syndrom von
autonomen gastrointestinalen Stærungen begleitet. Radiologisch (z. B. durch
Bariumschluckuntersuchung) gut darstellbar sind u. a. atone Dilatationen
von Úsophagus, Magen und Dçnndarm, verzægerte Magenentleerung oder
beschleunigte Passage des Darminhalts und abnorme peristaltische Muster.
Daneben gibt es verschiedene manometrische Methoden zur Beurteilung
der gastrointestinalen Motilitåt (z. B. mit durch Luft oder Flçssigkeit ent-
faltbaren Ballonsonden).
Stærungen der Sexualfunktion mçssen konsequent erfragt werden. Selten
ist die erektile Dysfunktion ein isoliertes Symptom neurologischer Erkran-
kungen; håufiger liegen kombinierte Syndrome mit Miktions- und Defåka-
tionsstærungen vor.

z Pharmakologische Untersuchungen der autonomen Pupilleninnervation


Die Pupillomotorik unterliegt einer Doppelinnervation durch sympathische
und parasympathische Fasern und låsst sich technisch sehr einfach mit
Hilfe der direkten und indirekten Lichtreaktion çberprçfen (vgl. Kapitel
Hirnnerven). Eine weitere Methode zum Nachweis einer pupillåren Dener-
vierung ist die lokale Gabe pharmakologischer Substanzen, die zusåtzlich
eine Differenzierung zwischen prå- und postganglionåren Låsionen erlaubt.
Die Grundlage pharmakologischer Untersuchungen ist die Denervierungs-
hypersensitivitåt, bei der die Pupille zwei bis drei Wochen nach Denervie-
rung çberempfindlich wird gegençber ihrem Neurotransmitter und che-
misch verwandten Substanzen.
Leitsymptom einer gestærten Pupilleninnervation ist die Anisokorie.

z Isolierte Mydriasis. Die parasympathische Denervierung kann durch


Applikation von Pilocarpin-0,1%-Augentropfen objektiviert werden. Diese
Konzentration håtte auf eine normale Pupille nur einen minimalen Effekt;
bei Vorliegen einer cholinergen Ûberempfindlichkeit wie z. B. einer Pupillo-
152 z V. Hackel

tonie (Adie-Syndrom) kontrahiert sich der betroffene M. sphincter pupillae


ungewæhnlich stark (deutliche Miosis).
Eine pharmakologisch fixierte weite Pupille, verursacht durch diagnosti-
sche, therapeutische oder akzidentelle Applikation von Parasympathikolyti-
ka oder Sympathikomimetika (sog. Atropin-Mydriasis), verengt sich auch
nicht nach Gabe von 1%igem Pilocarpin; es liegt eine anticholinerge Blo-
ckade vor.
Die Verengung der Pupille als Reaktion auf 1%iges Pilocarpin belegt eine
selektive Schådigung parasympathischer Fasern des N. oculomotorius/III
(Ophthalmoplegia interna).

z Isolierte Miosis. Die Kombination aus gering ausgeprågter Ptosis ± die da-
her auch çbersehen werden kann ± und Miosis bildet das Horner-Syndrom,
das in Abhångigkeit von der Lokalisation der Schådigung von einer fazia-
len Anhidrose begleitet sein kann. Ein zuverlåssiger Test zum Nachweis der
sympathischen Denervierung ist die schrittweise lokale Applikation von 4-
bis 10%igen Kokain-Augentropfen, die den Effekt des biologischen Neuro-
transmitters Noradrenalin verstårken. Beim peripheren Horner-Syndrom
fehlt die physiologische mydriatische Wirkung einer lokalen Kokaingabe,
da Noradrenalin nicht verfçgbar ist. Liegt eine zentrale sympathische Låsi-
on vor, kann eine geringe Dilatation der Pupille auftreten.
Die Applikation des Sympathikomimetikums Phenylephrin 1% bleibt bei
Schådigung zentraler und peripherer pråganglionårer sympathischer Fasern
ebenso wie am gesunden Auge ohne Effekt. Die durch peripher postganglio-
nåre Schådigung entstandene Horner-Pupille hingegen reagiert infolge ei-
ner Denervierungshypersensitivitåt mit einer ausgeprågten Mydriasis.

z Zusammenfassung. Der ideale autonome Funktionstest ist sensitiv und


spezifisch, einfach und nichtinvasiv auszufçhren und liefert reproduzier-
bare Ergebnisse. Die am weitesten verbreiteten Untersuchungen basieren
auf Verånderungen von Herzfrequenz, Blutdruck und Schweiûproduktion
in Situationen, die eine regulierende und adaptierende Funktion des auto-
nomen Nervensystems erfordern. Zahlreiche der beschriebenen Unter-
suchungen sind unmittelbar am Bett des Patienten durchfçhrbar. Darçber
hinaus wurden elektrophysiologische Methoden vorgestellt, die einen festen
Platz in der neurologischen Differenzialdiagnostik besitzen und ggf. durch
spezialisierte Verfahren und pharmakologische Untersuchungen ergånzt
werden kænnen.
9 Autonome Funktionen z 153

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10 Herz, Blutgefåûe, Atemfunktion
V. Hackel

Das komorbide Auftreten neurologischer Stærungen bei internistischen Er-


krankungen macht eine orientierende allgemein-kærperliche Untersuchung
erforderlich. An dieser Stelle kænnen die Grundlagen der internistischen
Befunderhebung nicht repetiert werden; selbstverståndlich gehæren die Be-
urteilung innerer Organe, insbesondere von Herz, Lunge und abdominellen
Organen, sowie die Erfassung des vaskulåren Status dazu. So soll im Fol-
genden lediglich die Bedeutung einiger Basisuntersuchungen in der neuro-
logischen Differenzialdiagnostik hervorgehoben werden.
Der Blutdruck sollte vergleichend an beiden Armen gemessen werden.
Die Arterienpulse sind an allen der Palpation zugånglichen Stellen zu
prçfen. Blutdruckdifferenzen von >25 mmHg und ein abgeschwåcht pal-
pabler A.-radialis-Puls am betroffenen Arm kænnen auf ein Subclavian-
Steal-Syndrom hinweisen, dem in der Regel eine arteriosklerotisch ver-
ursachte proximale Stenose bzw. ein Verschluss der A. subclavia vor Ab-
gang der A. vertebralis zugrunde liegt. Die Patienten klagen çber belas-
tungsinduzierte Muskelschmerzen und eine abnorme Ermçdbarkeit des be-
troffenen Armes sowie Schwindel als Zeichen einer Hirnstammischåmie
(Steal-Effekt).
Zentral-ischåmisch bedingte neurologische Manifestationen im mittleren
Erwachsenenalter (<40. Lebensjahr) im Kontext mit Puls- und Blutdruck-
differenzen und Symptomen einer Claudicatio an den oberen Extremitåten
kænnen im Rahmen eines Aortenbogensyndroms bei Takayasu-Arteriitis
auftreten; die entzçndlich-stenosierenden Verånderungen zeigen eine hohe
Prådilektion des Aortenbogens und seiner Abzweigungen (A. subclavia >
A. carotis). Zusåtzlich finden sich systemische Symptome wie Krankheits-
gefçhl, subfebrile Temperaturen, Gewichtsverlust usw.
Treten zerebrale Herdsymptome, Krampfanfålle oder Psychosyndrom ±
insbesondere bei jçngeren Patienten ± im Zusammenhang mit systemi-
schen Entzçndungszeichen, Anåmie und Hepatosplenomegalie auf, muss an
eine bakterielle Endokarditis mit embolischer Herdenzephalitis gedacht wer-
den. In dieser Situation ist die sorgfåltige Auskultation des Herzens auf
der Suche nach einem neu aufgetretenen oder einem sich veråndernden
Herzgeråusch wichtig.
Die Auskultation der Arterien konzentriert sich zunåchst auf die Aa. ca-
rotides communes et femorales und dient der Erfassung pulssynchroner
Stenosegeråusche.
10 Herz, Blutgefåûe, Atemfunktion z 155

Das Palpieren der peripheren arteriellen Pulse aller Extremitåten gehært


zu den Routineuntersuchungen in der Beurteilung des Gefåûstatus. Beim Ge-
hen in den Beinen auftretende Schmerzen, die unter Ruhebedingungen rasch
abklingen und von Crampi, Paråsthesien und Ermçdung begleitet sind, erge-
ben den Verdacht auf eine Claudicatio intermittens bei peripherer arterieller
Verschlusskrankheit (¹Schaufensterkrankheitª). Differenzialdiagnostisch
muss ± insbesondere beim ålteren Patienten ± eine ¹neurogeneª Claudicatio
intermittens infolge einer lumbalen Spinalkanalstenose abgegrenzt werden.
Nach långerem Gehen oder Stehen in Hyperlordose treten ischialgiforme
Schmerzen und sensomotorische Stærungen in zumeist beiden Beinen auf.
Das einfache Stehenbleiben reicht zur Schmerzlinderung nicht aus; der Be-
troffene muss die Kærperhaltung veråndern, z. B. durch Hinsetzen oder Nie-
derkauern, um die betroffenen Nervenwurzeln zu entlasten.
Eine einfache nichtinvasive Methode bei Verdacht auf eine periphere ar-
terielle Verschlusskrankheit ist die Lagerungsprobe nach Ratschow. Sie
gibt Hinweise auf die Funktionstçchtigkeit der Kollateralkreislåufe bei
hochgradig stenosierten oder verschlossenen Beinarterien. Die Beine des
liegenden Patienten werden fçr einige Minuten, maximal bis zum Auftreten
von Schmerzen, hoch gelagert. Die Hautfarbe der Fuûsohle åndert sich
normalerweise nicht; im Falle einer schlecht kompensierten arteriellen
Stræmungsbehinderung blasst die Fuûsohle ab. Nach Aufsetzen des Patien-
ten und Absenken der Beine beobachtet man eine reaktive Hyperåmie, die
beim Gesunden innerhalb von fçnf Sekunden auftritt, nach etwa sieben bis
zehn Sekunden fçllen sich die Venen wieder. Verzægerungen der reaktiven
Hyperåmie weisen auf eine Durchblutungsstærung hin. Je peripherer das
Stræmungshindernis bzw. der Verschluss lokalisiert ist, desto spåter setzt
die Rætung ein (nach 30 bis 60 Sekunden bei Verschluss der Unterschenkel-
arterien, nach 20 bis 30 Sekunden bei Femoralarterienverschluss).
Abschlieûend ist zu erwåhnen, dass ein Teil der Patienten mit peripherer
arterieller Verschlusskrankheit der Beine lokal begrenzte Sensibilitåts-
stærungen und abgeschwåchte Muskeleigenreflexe infolge einer ischå-
mischen Neuropathie aufweist.
Jeder Atemzyklus unterliegt der Regulation spezieller Neurone im
Zentralnervensystem und wird durch periphere Einflçsse modifiziert (Deh-
nungs- und Chemorezeptoren, unspezifische Reize wie Schmerz, Kærper-
temperatur, Hormone). Die klinische Untersuchung der Lunge umfasst die
Inspektion (Form des Thorax, Atmungstyp), die Palpation (Stimmfremi-
tus), die Perkussion (Klopfschall) und die Auskultation (Atemgeråusch, Ne-
bengeråusche).
Eine Vielzahl wichtiger neurologischer Erkrankungen wird von Respira-
tionsstærungen mit konsekutiver Hypoventilation und Anstieg des PaCO2 be-
gleitet. Den meisten Fållen liegt eine Schådigung des neuromuskulåren At-
mungssystems oder der respiratorischen Neurone im Hirnstamm zugrunde.
Leitsymptome einer neuromuskulår bedingten Ateminsuffizienz, die
Zwerchfell und Atemhilfsmuskulatur betrifft, sind paradoxe Zwerchfell-
bewegungen bei Inspiration, Orthopnoe, schwacher Hustenstoû, Tachypnoe
156 z V. Hackel

und Durchschlafstærungen mit nåchtlicher Dyspnoe. Diese Symptome


kænnen bereits mit Hilfe einer sorgfåltigen Anamnese und klinischen Un-
tersuchung erfasst werden. Ursåchlich bedeutsamste Erkrankungen sind die
Myasthenia gravis oder das Guillain-Barr-Syndrom, wo die respiratori-
schen Mechanismen akut dekompensieren kænnen. Patienten mit Moto-
neuronerkrankungen (z. B. amyotrophe Lateralsklerose) oder verschiedenen
Formen einer Muskeldystrophie entwickeln eine respiratorische Insuffizienz
zumeist ± aber nicht immer ± im fortgeschrittenen Krankheitsstadium. Die
Lungenfunktionsparameter sollten bereits kontrolliert werden, wenn der
Patient mit einer neuromuskulåren Erkrankung noch respiratorisch asymp-
tomatisch ist. Liegen klinische Zeichen einer ventilatorischen Insuffizienz
vor und sinkt die Vitalkapazitåt unter 70%, sollten ergånzend Blutgasana-
lysen vorgenommen und Beatmungsmæglichkeiten diskutiert werden.
Schådigungen zentraler Atemregulationszentren fçhren in der Regel zu
pathologischen Atemmustern und sind håufig beim komatæsen Patienten
zu finden. Ausgedehnte bilaterale supratentorielle oder dienzephale Låsio-
nen sowie diffuse metabolische Hirnfunktionsstærungen fçhren zu einer
Cheyne-Stokes-Atmung, bei der eine Phase mit Hyperpnoe (Hyperventila-
tion) regelmåûig mit einer kçrzeren Apnoephase wechselt. Im Zusammen-
hang mit primåren Hirnstammlåsionen (z. B. Infarkt, Blutung) und Hirn-
stammkompressionen kænnen weitere Atemmuster wie die anhaltende zent-
rale Hyperventilation mit Alkalose, die Apneusis (kurze, zwei bis drei Se-
kunden dauernde krampfartige Pause bei voller Inspiration) und die Biot-
Atmung (unregelmåûige Atmung mit wechselnder Frequenz und Atemzug-
tiefe) auftreten. Zu betonen ist, dass raumfordernde Prozesse der hinteren
Schådelgrube ohne abnorme respiratorische Prodromi einen akuten Atem-
stillstand verursachen kænnen.
Der Singultus (Schluckauf), ein durch rasche Kontraktion des Zwerchfells
und der Interkostalmuskulatur bedingtes und somit im weiteren Sinne auch
respiratorisches Symptom, kann Ausdruck schwerwiegender neurologischer
Erkrankungen sein. Ursåchlich kommen die Kompression der Medulla oblon-
gata infolge infratentorieller Raumforderungen aber auch eine allgemeine
Hirndruckerhæhung sowie metabolische Enzephalopathien in Betracht; aus
Sicht des Neurologen kann der Singultus daher ein kritisches Symptom sein.

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K. Traufeller

In Abhångigkeit vom Reifegrad des ZNS åndert sich der Untersuchungs-


befund mit dem Alter. Bei der Untersuchung von Schulkindern kænnen die
neurologischen Untersuchungsschritte aus der Erwachsenen-Neurologie mit
gewissen Abstrichen çbernommen werden. Kleinkinder begreifen meist
nicht den Sinn der Untersuchungsmaûnahmen und reagieren auûerdem
mit Angst und Fluchtreaktion auf die fremde Umgebung, den Arzt und die
Instrumente, sodass groûes Einfçhlungsvermægen notwendig ist. Neben
der generellen pådiatrischen Anamnese ist neurologisch die motorische
Entwicklung des Kindes von besonderer Bedeutung.

Neurologische Untersuchung des reifen Neugeborenen


(1.±28. Lebenstag)

Bei der Untersuchung von Neugeborenen besteht ein enger Zusammenhang


zwischen dem aktuellen Verhaltenszustand des Kindes, dem Reifegrad des
ZNS und der neurologischen Symptomatik, wobei abnorme Reaktionen fçr
eine gestærte Reifung sprechen. Das Kind sollte unbekleidet unter standar-
disierten Bedingungen (Umgebungstemperatur etwa 30 8C, Beleuchtung)
untersucht werden, um vergleichbare Befunde zu erheben. Die Untersu-
chung beginnt zunåchst mit der Beobachtung der Spontanhaltung sowie
spontaner Bewegungen. Das reife gesunde Neugeborene (Gestationsalter
von 40Ô2 Wochen) weist einen çberwiegenden Tonus der Flexoren auf, so-
dass alle vier Extremitåten gebeugt sind. Die mittlere Schlafdauer betrågt
16 bis 18 Stunden pro Tag. Im Schlaf hat das Kind eine regelmåûige At-
mung. Grimassierende Gesichtsbewegungen, wechselnde Bewegungen der
Finger und kurze tonische Bewegungen çber Extremitåten und Rumpf sind
zu verzeichnen. Im Wachzustand kommt es zu schnell wechselnden Bewe-
gungen, die im Bereich der Beine langsam alternierend strampelnd und im
Bereich der Arme wischend sind. Fçr die klinische Untersuchung des Neu-
geborenen werden Verhaltenszustånde angestrebt, in denen das Kind wach
ist, aber nicht weint. Dann zeigt das Kind bei optimalen Auslæsebedingun-
gen charakteristischerweise die nachfolgend dargestellten so genannten Pri-
mitivreflexe, die im Schlafzustand abgeschwåcht oder gar nicht erhåltlich
sind. Die Untersuchung am ersten Lebenstag hat mehr orientierenden Cha-
11 Neurologische Untersuchung von Såuglingen und Kindern z 159

rakter, da die Geburt nicht selten Auswirkungen auf das Neugeborene hat.
Aussagekråftiger wird die Untersuchung nach dem dritten Lebenstag. Bei
Auffålligkeiten sollte der Såugling wiederholt untersucht werden, um die
Zeitdauer der Stærungen festhalten zu kænnen. Nachfolgend sollen nur die
wesentlichen Untersuchungen dargestellt werden.

z Oraler Suchreflex (Synonyma: Rooting-Reflex, Brustsuchreflex, oraler Einstell-


automatismus). Eine zarte Berçhrung der Haut çber dem åuûeren Mund-
winkel fçhrt bei Såuglingen bis etwa zum zweiten Lebensmonat zum Ver-
ziehen des Mundwinkels und nachfolgend zur Kopfwendung in die Reiz-
richtung. Der Finger des Untersuchers wird mit den Lippen erfasst, der
Mund geæffnet und es kommt zu Saugbewegungen (Abb. 11.1 a).

z Saugreflex. Dieser Reflex ist etwa bis zum dritten Lebensmonat auslæsbar.
Der vom Untersucher in den Mund des Neugeborenen eingefçhrte Finger
læst rhythmische Zungenbewegungen aus (Abb. 11.1 b). Ein schwacher oder
fehlender Saugreflex kann Ausdruck herabgesetzter Vigilanz sein. Die In-
tensitåt der Saugbewegungen hångt auch vom Såttigungszustand des Kin-
des ab.

z Recoil. In der Neugeborenenperiode kommt es nach plætzlichem Loslas-


sen der zuvor passiv gestreckten Unterarme zum schnellen Zurçckfedern
in den ursprçnglichen Beugezustand. Eine asymmetrische Reaktion ist im
Rahmen einer Plexusparese oder eines Hemisyndroms zu beobachten.

z Moro-Reaktion (Abb. 11.2) (Synonyma: Moro-Reflex, Umklammerungsreflex,


Head-drop-Phånomen). Diese Reaktion ist bis zum dritten Lebensmonat
deutlich und etwa bis zum sechsten Lebensmonat in abgeschwåchter Form
nachweisbar. Der Untersucher schlågt neben dem Kind in Kopfhæhe mit
beiden Hånden auf die Unterlage, mit dem Ziel, eine plætzliche Lageån-
derung des Kopfes gegençber dem Rumpf zu erreichen. In der ersten Phase
werden die Arme im Schulter- und Ellenbogengelenk gestreckt. Die Hånde
sind geæffnet und die Finger gespreizt. Die Beine sind mehr oder weniger
deutlich gestreckt. Nachfolgend kommt es zur Adduktion der Arme mit
Beugung im Ellenbogengelenk und Faustschluss. Die Beine zeigen eine
Tendenz zur Beugung.

z Aufsetzreaktion (Synonyma: Placing reaction, Steigreaktion, Fuûstellreflex).


Die Reaktion ist etwa bis zum 2. Lebensmonat zu erwarten. Das Neugebo-
rene wird unter den Achselhæhlen aufrecht gehalten und der Fuûrçcken
entlang einer Tischkante gestrichen. Zunåchst wird eine Beugung des be-
troffenen Beines ausgelæst und anschlieûend der Fuû auf den Tisch auf-
gesetzt. Fehlende oder asymmetrische Reaktionen kænnen Ausdruck eines
Hemisyndroms, einer spinalen Schådigung oder von Paresen der Beinmus-
kulatur sein.
160 z K. Traufeller

Abb. 11.1. a Suchreflex, b Saugreflex (aus Anschçtz 1985)

Abb. 11.2. Moro-Reflex. a Haltung des Kindes, b Umklammerungsreflex (aus Anschçtz 1985)

z Schreitreaktion (Synonyma: Schreitreflex, Reflexschreiten). Das Reflexschrei-


ten låsst sich etwa bis zum zweiten Lebensmonat auslæsen. Das Neugebore-
ne wird unter den Achselhæhlen senkrecht gehalten und mit den Fuûsohlen
auf der Unterlage aufgesetzt. Der Oberkærper des Kindes wird gering nach
vorn geneigt gehalten. Es kommt zu Schreitbewegungen.

z Glabellareflex (Synonyma: Blinkreflex, Orbicularis-oculi-Reflex). Ein leichter


Schlag auf die Stirnhaargrenze fçhrt zu einem kurzen kråftigen Lidschluss
beidseits. Eine wesentliche Bedeutung hat der Reflex zur Diagnostik von
Fazialisparesen.
11 Neurologische Untersuchung von Såuglingen und Kindern z 161

Neurologische Untersuchung von Såuglingen

Die klinisch neurologische Untersuchung von Kindern unter einem Jahr


umfasst im Wesentlichen die drei Abschnitte Haltung und Muskeltonus,
Primitivreflexe und altersunabhångige Untersuchungen wie z. B. die Fun-
duskopie.

z Haltung und Muskeltonus


Die Beurteilung von Muskeltonus und Haltung des Såuglings stellt einen
grundlegenden Teil der neurologischen Untersuchung in dieser Altersgrup-
pe dar. Die Untersuchung umfasst die Feststellung der Ruhehaltung sowie
des passiven und aktiven Muskeltonus. Zunåchst wird die Haltung des ent-
kleideten Kindes, wenn es ungestært liegt, beobachtet (Abb. 11.3). In den
ersten Lebensmonaten ist eine Hypertonie der Ellenbogen-, Hçft- und
Knieflexoren physiologisch. Diese muskulåre Hypertonie nimmt im dritten
Lebensmonat deutlich ab und zur gleichen Zeit nimmt der Muskeltonus
von Nacken- und Rumpfmuskulatur zu. Zwischen dem 8. und dem 12. Le-
bensmonat kommt es zu einer weiteren Abnahme des Flexorentonus an
den Extremitåten, einhergehend mit einer Zunahme des Muskeltonus der
Extensoren.
Auch das Halten des Såuglings in Bauch- und Rçckenschwebelage gibt
wertvolle Hinweise auf Muskeltonus und Kraft (Abb. 11.4).
Die Prçfung des passiven Muskeltonus erfolgt durch Ermittlung des Wi-
derstands verschiedener Gelenke bei passiver Bewegung derselben am wa-
chen und nicht schreienden Kind. Da der Tonus der Extremitåten durch
den tonischen Nackenreflex beeinflusst ist, muss der kindliche Kopf wåh-
rend der Untersuchung gerade gehalten werden. Passives Bewegen der Hån-

Abb. 11.3. Muskeltonus des Såuglings in Rçckenlage (aus Zierz u. Jerusalem 2003)
162 z K. Traufeller

de und Fçûe sind einfache Tests, um den Muskeltonus zu prçfen. An der


oberen Extremitåt ist das ¹scarf signª ein gut beurteilbares Manæver. Das
Kind wird in halbreklinierter Position gehalten. Der Untersucher nimmt
die Hand des Kindes und fçhrt sie zur gegençberliegenden Schulter. Es
wird die Position des Ellenbogens in Relation zur Mittellinie beurteilt. Eine
Muskelhypotonie liegt vor, wenn der Ellenbogen die Mittellinie çberquert.
Der Traktionsversuch (Aufziehreaktion) ist ein wichtiger diagnostischer
Test zur Prçfung des aktiven Muskeltonus. Der Untersucher umfasst mit
seinen Hånden die Hånde des auf dem Rçcken liegenden Kindes (den Dau-
men in die Handflåche und die Finger um das Handgelenk des Kindes)
und zieht das Kind an den Hånden nach oben (Abb. 11.5). Bei gesunden
Kindern kommt es bis zum 3./4. Lebensmonat zum palmaren Greifreflex

Abb. 11.4. Muskeltonus des Såuglings in Schwebehaltung. a Gesunder Såugling, b hypotoner


Såugling (aus Zierz u. Jerusalem 2003)

Abb. 11.5. Muskeltonus des Såuglings beim Aufziehen. a Gesunder Såugling, b hypotoner
Såugling (aus Zierz u. Jerusalem 2003)
11 Neurologische Untersuchung von Såuglingen und Kindern z 163

Abb. 11.6. Handgreifreflex (aus Anschçtz 1985)

(Abb. 11.6), die Ellenbogengelenke neigen zur Flexion und die Kopfflexoren
sind stimuliert, den Kopf zu heben, sodass der Kopf kurzzeitig in der
Rumpfebene verbleibt. Der Test ist pathologisch, wenn der Kopf gehalten
werden muss und dann nach vorn fållt oder wenn der Kopf zurçck bleibt.
Ersteres spricht fçr eine Hypotonie der Hals- und Rumpfmuskeln, letzteres
fçr eine abnorme Hypertonie der Halsextensoren.

z Primitivreflexe
Die Untersuchung der verschiedenen primitiven Reflexe ist ein wesentlicher
Bestandteil der neurologischen Untersuchung von Kindern bis zum ersten
Lebensjahr.

z Symmetrischer tonischer Nackenreflex. Dieser Reflex ist von der Neugebo-


renenperiode bis etwa zum fçnften Lebensmonat auslæsbar. Zur Unter-
suchung liegt der Såugling in Rçckenlage. Der Untersucher fixiert mit einer
Hand den Kærper des Kindes auf der Unterlage und bewegt mit der ande-
ren den Kopf des Kindes leicht nach ventral. Dabei kommt es zur Beugung
der Arme im Ellenbogengelenk und zur Streckung der Beine.

z Asymmetrischer tonischer Nackenreflex (Synonyma: tonischer Nackenreflex,


tonischer Drehreflex, asymmetrischer tonischer Halsreflex, Magnus-Reflex). Der
Reflex låsst sich etwa bis zum sechsten Monat nachweisen, indem der Kopf
des auf dem Rçcken liegenden Kindes langsam nach rechts und links ge-
dreht wird. Der Rumpf wird dabei auf der Unterlage fixiert. Der Såugling
reagiert mit einer sogenannten Fechter-Stellung (Streckung von Arm und
Bein auf der Gesichtsseite und Beugung auf der kontralateralen Seite).

z Landau-Reflex (Abb. 11.7 und 11.8). Die Reflexantwort ist zwischen dem
4. und dem 18. Lebensmonat zu erwarten. Der vom Untersucher mit bei-
164 z K. Traufeller

Abb. 11.7. Landau-Reflex.


a Phase I, b Phase II
(aus Anschçtz 1985)

Abb. 11.8. Landau-Reflex.


Platzierreaktion der Arme
(aus Anschçtz 1985)

den Hånden im Thoraxbereich umfasste Såugling wird aus der Bauchlage


hochgehoben und es wird das spontane Reagieren geprçft (Phase I). Das
Kind çberstreckt zunåchst Rumpf und Kopf und nachfolgend die Beine. In
Phase II wird der Kopf des Kindes passiv vom Untersucher nach unten ge-
beugt, was ein Beugemuster der Extremitåten und des Rumpfes provoziert.
11 Neurologische Untersuchung von Såuglingen und Kindern z 165

z Sprungbereitschaft (Synonyma: Stehbereitschaft der Arme, Fallschirmreaktion).


Diese Reaktion entwickelt sich etwa im fçnften Lebensmonat und besteht
lebenslang. Der sich in Bauchlage befindende Såugling wird vom Unter-
sucher um die Taille gefasst, von der Unterlage abgehoben und rasch wie-
der auf die Unterlage zu bewegt. Dabei streckt das Kind beide Arme nach
unten und setzt die gespreizten Hånde auf der Unterlage auf.

z Gekreuzter Streckreflex. Bis etwa zum dritten Lebensmonat ist dieser Re-
flex als physiologisch anzusehen. Ein Bein des auf dem Rçcken liegenden
Kindes wird von einer Hand des Untersuchers an der oberen Schienbein-
kante fixiert. Mit der anderen Hand drçckt der Untersucher mit der Spitze
des Reflexhammers gegen die Mitte der Fuûsohle. Am kontralateralen Bein
ergibt sich folgendes Bewegungsmuster: Zunåchst wird das Bein in allen
Gelenken gebeugt, anschlieûend gestreckt und zuletzt tritt eine Adduktion
des Beines ein.

z Kubitalreflex (C5±C6). Die Reaktion besteht etwa bis zum 10. Lebens-
monat. Das Berçhren der Ellenbogeninnenseite beim Såugling fçhrt zu ei-
ner prompten Beugung im Ellenbogengelenk.

z Handgreifreflex (C7±C8) (Synonyma: Palmarer Greifreflex, tonischer Hand-


greifreflex). Der Reflex ist ca. bis zum vierten Lebensmonat auslæsbar. Der
Untersucher schiebt seinen Zeigefinger von ulnar nach radial in die Hand-
flåche des Kindes mit leichtem Druck auf die Hohlhand. Der Såugling um-
greift fest und anhaltend den Finger.

z Axillarreflex (C8±Th4). Der Reflex låsst sich bis etwa zum neunten Lebens-
monat auslæsen. Durch Bestreichen der Axillarregion tritt eine prompte
Adduktion des Armes mit Beugung im Ellenbogengelenk ein.

z Galant-Reflex (Th3±L1) (Synonyma: tonischer Rçckgratreflex, dorsolumbaler


Reflex). Diese Reaktion ist bis etwa zum vierten Lebensmonat zu erwarten.
Der Såugling liegt auf dem Bauch, wåhrend der Untersucher paravertebral
von Schulter- bis in Beckenhæhe entlang streicht. Das Kind reagiert darauf
mit einer zur Seite des Reizes gerichteten konkaven Krçmmung des Rump-
fes und Drehung des Kopfes zur Reizseite bei gleichzeitiger Streckung des
ipsilateralen Beines (Abb. 11.9).

z Inguinalreflex (Th12±L1). Der Reflex låsst sich ungefåhr bis zum sechsten
Lebensmonat auslæsen. Das Bestreichen der Leistengegend fçhrt zu einer
mehr oder weniger deutlich ausgeprågten Beugung in Hçft-, Knie- und
Sprunggelenk auf der gereizten Seite.

z Abduktionsreflex (L4±L5). Die Waltezeit des Reflexes ist bis etwa zum sechs-
ten Lebensmonat. Der Untersucher streicht çber die Auûenflåche des Ober-
schenkels und es kommt zu einer Abduktion im ipsilateralen Hçftgelenk.
166 z K. Traufeller

Abb. 11.9. Galant-Reflex. a Auslæsung. b Reaktion (aus Anschçtz 1985)

Abb. 11.10. Fuûgreifreflex (aus Anschçtz 1985)

z Fuûgreifreflex (L5±S2) (Synonyma: Zehengreifreflex, plantarer Greifreflex).


Bis etwa zum Ende des ersten Lebensjahres ist die Reaktion nachweisbar.
Der Untersucher çbt mit seinem Daumen einen Druck auf den vorderen
Teil der Fuûsohle aus, bis eine so genannte Greifreaktion durch tonische
Plantarflexion aller Zehen ausgelæst wird (Abb. 11.10).

z Poplitealreflex (S1±S2). Der Reflex låsst sich ca. bis zum neunten Lebens-
monat auslæsen. Das Bestreichen der Kniekehle des auf dem Bauch liegen-
den Såuglings fçhrt zu einer Beugung des betroffenen Beins.

z Babinski-Reflex. Wåhrend nach dem ersten Lebensjahr der Nachweis des


Babinski-Zeichens pathologische Bedeutung hat, ist der Reflex bis zu die-
sem Zeitpunkt aufgrund der noch unzureichenden Myelinisierung physio-
11 Neurologische Untersuchung von Såuglingen und Kindern z 167

logischerweise auslæsbar. Die Untersuchung unterscheidet sich nicht von


der bei Erwachsenen.

z Aufziehreaktion (Synonym: Traktionsversuch). Diese Reaktion fçhrt bei


Neugeborenen und Såuglingen verschiedenen Alters zu unterschiedlichen
Haltungsmustern. Entsprechend dem erreichten Entwicklungsstand des
Såuglings sind hinsichtlich der Visuomotorik, der Kopfhaltung, der Schul-
ter-Arm-Haltung, der Hand-, Rumpf-, Bein- und Fuûhaltung verschiedene
Bewegungsablåufe zu erwarten, die in Tabelle 11.1 dargestellt sind. Der sich
in Rçckenlage befindende Såugling wird nach Blickfixation und ermun-
terndem Ansprechen an den Hånden erfasst und der Oberkærper wird bis
zu einem Winkel von 458 zur Unterlage hochgezogen.

Neurologische Untersuchung von Kindern

Im Unterschied zur systematischen Untersuchung beim Erwachsenen kann


insbesondere bei Kleinkindern die Untersuchung aufgrund der fehlenden
Mitarbeit der kleinen Patienten håufig nur auf Verhaltensbeobachtungen
beruhen.
Grundsåtzlich unterscheiden sich die einzelnen Untersuchungsmethoden
nicht von denen bei Erwachsenen. Im Folgenden soll lediglich auf einige
Besonderheiten im Untersuchungsgang hingewiesen werden.
Bei kleineren Kindern lassen sich gewisse neurologische Auffålligkeiten
(z. B. zerebellåre Stærungen, Hemiparese oder Gesichtsfelddefekte) durch
Beobachtung der spielerischen Aktivitåten herausfinden. Ein kleines Spiel-
zeug oder ein Ball sind nçtzlich, um die Aufmerksamkeit des Kindes auf
sich zu lenken.

z Hirnnerven
Eine funduskopische Untersuchung mit Hilfe der Eltern oder einer Kran-
kenschwester, wenn notwendig nach Applikation eines Mydriatikums, ist
bedeutungsvoll zur Beurteilung des N. opticus. Bei Kindern ist die Papille
physiologischerweise blass und grau, åhnlich wie bei der Optikusatrophie
des Erwachsenen. Der makulåre Lichtreflex fehlt etwa bis zum vierten Le-
bensmonat. Die Auslæschung des Papillenrandes und fehlende Pulsationen
der Zentralvenen sind die ersten und wichtigsten Hinweise auf ein Papil-
lenædem. Die Sehschårfe kann bei ålteren Kindern mittels standardisierter
Tafeln geprçft werden. Bei Kleinkindern ist nur eine Abschåtzung des Vi-
sus durch benennen lassen von im Untersuchungszimmer aufgehångten Bil-
dern unterschiedlicher Græûe mæglich. Der optokinetische Nystagmus kann
durch Drehen einer gestreiften Trommel getestet werden. Das Auftreten
dieser physiologischen Nystagmusform beståtigt das Vorhandensein korti-
kaler Visionen. Das Gesichtsfeld bei ålteren Såuglingen und Kleinkindern
168 z K. Traufeller

Tabelle 11.1. Reaktionsmuster im Traktionsversuch in den verschiedenen Altersstufen (nach


Lietz 1993)
Neugeborene
z Visuomotorik çberwiegend kurze Folgebewegung nach gelungener Blickfeld-
fixation
z Kopfhaltung locker nach dorsal hångend
z Schulter-Arm-Haltung deutliche Beugung im Schulter- und Ellenbogengelenk und
Schulteradduktion
z Handhaltung wechselnd geæffnet und geschlossen
z Rumpfhaltung durchhångend
z Beinhaltung in Flexion und Hçftabduktion
z Fuûhaltung leichte Beugung und Adduktion
Såugling bis zum 3. Lebensmonat
z Visuomotorik Verfolgung von Gegenstånden bis 458 horizontal und bis 308
vertikal
z Kopfhaltung zunehmende Hebung und Erreichen der Rumpfebene
z Schulter-Arm-Haltung mittelgradige Beugung in Schulter- und Ellenbogengelenk
z Handhaltung anhaltendes und festes Umfassen der Finger des Untersuchers
z Rumpfhaltung zunehmende Tonisierung bis zur Streckung
z Beinhaltung nachlassende Beugung (Fersen liegen auf)
z Fuûhaltung deutliche Supination, Beugung in Sprung- und Zehengelenken
Såugling bis zum 6. Lebensmonat
z Visuomotorik Verfolgung von im Raum agierenden Personen
z Kopfhaltung weiteres Vorbeugen, Kinn erreicht den Thorax
z Schulter-Arm-Haltung Streckung der Arme und Tonisierung der Schultern
z Handhaltung aktives Ergreifen der Hand des Untersuchers nach Stimulation
und wechselnd ausgeprågter Faustschluss wåhrend des Aufzie-
hens
z Rumpfhaltung zunehmende Beugung des Rumpfes mit Beugung der Extre-
mitåten
z Beinhaltung wieder deutliche Beugung der Beine (Oberschenkel berçhren
Rumpf)
z Fuûhaltung Vorfuûadduktion ohne Supinationshaltung
Såugling bis zum 9. Lebensmonat
z Visuomotorik Unterscheidung bekannter und unbekannter Gesichter
(¹Fremdelnª)
z Kopfhaltung mittig und vor der Rumpfachse
z Schulter-Arm-Haltung Henkelstellung der Arme, Oberarme in Rumpfebene
z Beinhaltung geringe Beugung in Kniegelenken, deutliche Abduktion in
Hçftgelenken
z Fuûhaltung mittlere Streckhaltung
11 Neurologische Untersuchung von Såuglingen und Kindern z 169

Tabelle 11.1 (Fortsetzung)


Såugling bis zum 12. Lebensmonat
z Visuomotorik bewusstes Verfolgen von Handlungen in der Umgebung
z Kopfhaltung stabiles Halten in der Rumpfachse
z Schulter-Arm-Haltung aktives Aufziehen zum sicheren Sitzen
z Handhaltung aktives Ergreifen der Finger des Untersuchers, abgestuft aus-
geçbter Håndedruck bei der Aufrichtung zum Sitzen
z Rumpfhaltung Beugung im lumbosakralen Ûbergang und Streckung des
darçber gelegenen Rumpfabschnitts
z Beinhaltung Streckung und breite Abduktion, Fersen auf der Unterlage auf-
gesetzt
z Fuûhaltung deutliche Abduktion, mit den Fersen zum Stçtz auf der Unter-
lage, Zehen gebeugt oder gestreckt

låsst sich çberprçfen, indem man das Kind auf den mçtterlichen Schoû
setzt. Der Untersucher sitzt dem Kind mit einem interessanten Spielzeug
gegençber, um die Aufmerksamkeit des Kindes darauf zu lenken. Hinter
dem Rçcken des Kindes steht eine zweite Person und bringt ein anderes
Objekt in das kindliche Gesichtsfeld. Es wird der Punkt notiert, an dem
sich Augen bzw. Kopf des Kindes zum Objekt drehen. Der visuelle Blinkre-
flex, der ausgelæst wird, indem ein Objekt auf die Augen des Kindes zu-
gefçhrt wird und dieses die Augen schlieût, ist bei etwa 50% der Kinder
im fçnften Lebensmonat auslæsbar. Der Reflex sollte bei allen Kindern im
Alter von einem Jahr vorhanden sein.
Zur Beurteilung von N. oculomotorius, N. trochlearis und N. abducens
wird zunåchst die Position der Augen in Ruhe betrachtet. Die Græûe der
Pupillen und ihre Reaktion auf Licht und Konvergenz werden untersucht.
Bei Frçhgeborenen vor der 30. Schwangerschaftswoche sind die Pupillen
weit und nicht auf Licht reagibel. Nach der 32. Schwangerschaftswoche ist
eine fehlende Lichtreaktion pathologisch. Die Augenbewegungen sind un-
tersuchbar, indem ein interessantes Spielzeug vor den Augen des Kindes
bewegt wird und die Mutter den Kopf des Kindes dabei festhålt. Physiolo-
gischerweise sind die Augen kurz nach der Geburt konjugiert, und im Al-
ter von zwei Wochen bewegt das Neugeborene seine Augen zum Licht und
fixiert. Die Augenfolgebewegungen in alle Richtungen sind bei einem vier
Monate alten Såugling vollståndig erhåltlich.
Eine gestærte motorische Funktion des Gesichts (N. facialis) fållt bereits
durch seine Asymmetrie auf. Die Schwåche der Gesichtsmuskulatur kann
ferner beurteilt werden, wenn das Kind lacht oder schreit.
Das Hærvermægen bei kleinen Kindern wird çber ihre Reaktion auf ei-
nen Glockenton geprçft. Die Fåhigkeit, die Augen in Richtung des Glocken-
tons zu wenden, ist in der siebten bis achten Lebenswoche zu erwarten. Im
Alter von drei bis vier Monaten kænnen die Såuglinge Augen und Kopf in
170 z K. Traufeller

Richtung der Glocke wenden. Ein ålteres Kind kann aufgefordert werden,
ein ihm zugeflçstertes Wort oder eine Zahl zu wiederholen. Zur weiteren
differenzierten Diagnostik sind die Audiometrie oder akustisch evozierte
Potenziale notwendig.
Genaueren Aufschluss çber die Funktionsfåhigkeit der Vestibularorgane
erhålt man durch die Beobachtung des Nystagmusverhaltens. Die zu unter-
scheidenden Formen sind ausfçhrlich im Kapitel ¹Hirnnervenª dargestellt.

z Motorisches System
Zu Beginn der Untersuchung wird auf die Kærperhaltung des Kindes im
Stehen geachtet. Spielerisch, z. B. durch Aufforderung des Kindes, einen
Ball zu holen oder in ein anderes Zimmer zu laufen, kænnen weitere Infor-
mationen gewonnen werden. Charakteristisch z. B. fçr Patienten mit pro-
ximalen Paresen der unteren Extremitåten, wie sie im Rahmen einer Mus-
keldystrophie vom Gliedergçrteltyp auftreten kænnen, ist das so genannte
Gowers-Zeichen. Die Betroffenen helfen sich beim Aufstehen aus der Ho-
cke, indem sie sich an ihren Beinen abstçtzen und daran nach oben klet-
tern (Abb. 11.11). Kinder mit einer infantilen Zerebralparese zeigen typi-
scherweise eine Spitzfuûstellung und beim Gehversuch eine ¹Scherenstel-
lungª der Beine, bedingt durch die Muskeltonuserhæhung in den Addukto-
ren.
Die formale Testung der Muskelkraft ergånzt bei ålteren Kindern die in-
formative Untersuchung. Der Muskeltonus wird durch Manipulation an den
groûen Gelenken und Prçfung des Ausmaûes des Widerstands festgestellt.

z Koordination
Die Koordination von Kleinkindern låsst sich testen, indem die Kinder sich
nach ihrem Spielzeug strecken, dieses anfassen und damit spielen. Bei ålte-
ren Kindern kann eine Ataxie genau wie bei Erwachsenen durch den Fin-
ger-Nase-Versuch und den Knie-Hacke-Versuch nachgewiesen werden. Zur
Testung der Diadochokinese wird das Kind gebeten, wiederholt mit der ei-
genen Hand auf die des Untersuchers zu schlagen. Auffålligkeiten vor dem
achten Lebensjahr sind håufig und nur begrenzt verwertbar, da es sich bei
der Ausfçhrung rascher, harmonischer Bewegungen um komplexe zerebrale
Reaktionsmuster handelt.

z Sensibilitåt
Die Prçfung der Sensibilitåt erfordert ein vigilantes und kooperatives Kind,
weshalb diese Untersuchung bei Kindern meist nur eingeschrånkt durch-
fçhrbar ist, z. B. allseits gezielte Reaktion auf Berçhrung, Kalt- oder Warm-
reize etc.
11 Neurologische Untersuchung von Såuglingen und Kindern z 171

Abb. 11.11. Gowers-Manæver (aus Gowers 1886)


172 z K. Traufeller

Tabelle 11.2. Psychomotorische Entwicklungsphasen des Såuglings (nach Jerusalem u. Zierz


1991)
Alter in Monaten 1 2 3 4±6 7±12 13±15
z kråftiges Schreien + + + + + +
und lebhafte Extremitåten-
bewegungen
z tonischer Greifreflex + + Ô ± ± ±
der Hand
z tonischer Greifreflex + + + + (Ô) ±
des Fuûes
z Verfolgen mit den Augen ± (Ô) + + + +
z Kopfheben in Bauchlage ± ± (Ô) + + +
z Kopfkontrolle beim ± (Ô) (Ô) + + +
Aufziehen aus Rçckenlage
z palmares Greifen ± ± ± + (Ô) (Ô)
z Pinzettengriff (Daumen ± ± ± ± + +
und Zeigefinger)
z Sprungbereitschaft ± ± ± (Ô) + +
z Sitzen ohne Stçtze ± ± ± ± + +
z Stehen ± (+) (+) (+) + +
z Kriechen auf Hånden ± ± ± ± + +
und Knien
z Gehen ± ± ± ± ± +

Motorische und geistige Entwicklung von Kindern

Sowohl die motorische als auch die geistige Entwicklung von Kindern voll-
zieht sich in bestimmten Phasen, die eine gewisse Variabilitåt aufweisen
(Tab. 11.2). Im ersten Lebensmonat çberwiegt die Beugehaltung der Extre-
mitåten. Moro-Reflex, Greifreflexe und ziellose Impulsbewegungen beste-
hen. Intermittierendes Heben des Kopfes in Bauchlage ist im Alter von
zwei Monaten mæglich. Im dritten Lebensmonat sind willkçrliche Kopfbe-
wegungen auf Reize zu erwarten. Motorisch aktive Greifbewegungen, freie
Haltung des Kopfes und Rollen dominieren etwa im vierten und fçnften
Lebensmonat. Nach dem sechsten Lebensmonat bleibt das aufgerichtete
Kleinkind sitzen, um den 10. Monat richtet es sich selbst auf (Aufstehver-
suche am Gitter). Gehen lernt das Kind nach Abschluss des ersten Lebens-
jahres. Im zweiten Lebensjahr spielen die Kinder mit einem Ball und Bau-
klætzen und kænnen Treppen steigen.
Kurz nach der Geburt kann das Neugeborene nahe Objekte fixieren und
mit langsamen Kopfbewegungen verfolgen sowie sein Missbehagen åuûern.
Im zweiten Lebensmonat findet man das erste Kontaktlåcheln auf entspre-
11 Neurologische Untersuchung von Såuglingen und Kindern z 173

chende Reize, der Såugling reagiert auf optische und akustische Reize, be-
trachet die eigenen Hånde und verfolgt ihm hingehaltenes Spielzeug. Zwi-
schen dem dritten und dem sechsten Monat reagiert der Såugling auf Aus-
drucksbewegungen und kann auch eigene Ausdrucksbewegungen wider-
spiegeln (affektiver Kontakt). Vom dritten Lebensmonat an moduliert sich
das Schreien und die Lallsprache beginnt. Nach dem sechsten Monat wer-
den Laute nachgeahmt (Echolalie). Aus dem Lallen wird gegen Ende des
ersten Lebensjahres sinnvolle Lautbildung. Einfache Zusammenhånge (z. B.
winken) werden verstanden. Im zweiten Lebensjahr sind Dreiwortsåtze mit
Eigenschaftswærtern und Verben zu erwarten. In diesem Zeitraum besteht
auch teilweise Sauberkeit. Mit fortschreitender Bewusstwerdung und dem
Erleben des eigenen Willens setzt im Laufe des dritten Lebensjahres die
erste Trotzphase ein. In der Regel haben die Kinder mit etwa zweieinhalb
Jahren die Kontrolle çber Miktion und Defåkation. Im Alter von 6 bis 7
Jahren wird aus dem Kleinkind ein Schulkind. Die Extremitåten wachsen.
Das Kind lernt sich konsequent einer Sache zuzuwenden, sich an Regeln in
der Gemeinschaft zu halten und es schlieût Freundschaften. Um das 11. bis
13. Lebensjahr beginnt die Pubertåt, in der sich die kærperlichen Propor-
tionen veråndern und eine gewisse Eigenståndigkeit der Jugendlichen be-
ginnt.

Literatur

Anschçtz F (1985) Die kærperliche Untersuchung, 4. Aufl. Springer, Berlin Heidel-


berg
Dahner J (1994) Anamnese und Befund, 7. Aufl. Thieme, Stuttgart
Gowers WR (1886) A manual of diseases of the nervous system, vol 1. J & A Chur-
chill, London
Lietz R (1993) Klinisch-neurologische Untersuchung im Kindesalter. Deutscher
Ørzte-Verlag Kæln
Jerusalem F, Zierz S (1991) Untersuchung des Såuglings und Kleinkindes. In:
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Menkes JH (1995) Textbook of child neurology, 5th edn. Williams & Wilkins,
London
Zierz S, Jerusalem F (2003) Muskelerkrankungen, 3. Aufl. Thieme, Stuttgart
12 Die Untersuchung
des bewusstlosen Patienten
S. Sommer

Bewusstlosigkeit resultiert aus einer Dysfunktion der Formatio reticularis


des Hirnstamms oder ihrer bilateralen aszendierenden Verbindungen. Die
Funktionsstærung kann strukturell oder funktionell sein, z. B. bei Krampf-
anfållen, Hypoxie, metabolischen, toxischen oder entzçndlichen Prozessen.
Zusåtzlich vorhandene Symptome im Bereich der Hirnnerven sowie der
langen Bahnen lassen håufig Rçckschlçsse auf den Låsionsort zu. Akute
Bewusstlosigkeit ist ein Notfallsymptom und das weitere Schicksal des Pa-
tienten hångt meist von der Geschwindigkeit der getroffenen therapeuti-
schen und diagnostischen Maûnahmen ab.

Kontrolle der Vitalparameter

Bei bewusstlosen Patienten mçssen als erstes die Vitalparameter kontrol-


liert werden (Atmung, Herzfrequenz, Blutdruck) und die Vitalfunktionen
(Atmung und Kreislauf) sichergestellt werden.

Fremdanamnese

Eine Fremdanamnese kann entscheidende Hinweise auf die Ursache einer Be-
wusstlosigkeit geben. Wichtige Fragen an Familienangehærige, Freunde oder
Beobachter sind: Ist die Dauer der Bewusstlosigkeit bekannt? Wie wurde der
Patient aufgefunden? Wann wurde der Patient zuletzt gesehen? Bestanden
Auffålligkeiten in der Zeit vor Eintritt der Bewusstlosigkeit? Hat sich der
Patient verletzt? Sind bei dem Patient Vorerkrankungen bekannt? Nahm er
regelmåûig Medikamente ein? Welche Medikamente wurden gelegentlich ein-
genommen? Konsumierte der Patient Drogen und/oder Alkohol? Wenn ja,
wie stark war der Konsum in den letzten Tagen/Wochen/Monaten?
12 Die Untersuchung des bewusstlosen Patienten z 175

Beurteilung der Bewusstseinslage

Es werden vier Stadien der Wachheit (Vigilanz) unterschieden. Zunåchst


wird versucht, den Patienten anzusprechen. Antwortet der Patient auf Fra-
gen und fçhrt gezielt Bewegungen aus, ist der Patient wach. Wenn nicht,
sollte man zunåchst leichte und dann zunehmend stårkere Reize anwenden
(Berçhren des Arms, Schçtteln der Schulter, Reiben des Sternums mit den
Fingerknæcheln). Als Somnolenz wird ein Zustand bezeichnet, in dem der
Patient durch leichte Reize geweckt werden kann und die Wachheit z. B.
wåhrend des Gespråchs anhålt. Als Sopor wird ein Zustand bezeichnet, in
dem der Patient durch starke Reize geweckt werden muss und die Wach-
heit nur durch fortwåhrende Stimuli aufrechterhalten werden kann. Das
Koma ist gekennzeichnet durch das Fehlen von Wachheit auch nach massi-
ver Stimulation. Die Tiefe des Komas wird u.a. durch die Reaktion auf
Schmerzreize bestimmt (s. u.).

Inspektion

Eine genaue Inspektion gibt wertvolle Hinweise auf die Ursache einer Be-
wusstlosigkeit. Wichtig ist: Wie erscheint das Hautkolorit des Patienten,
wirkt er blass, rosig oder livide als Hinweis auf eine Zyanose? Hat der Pa-
tient åuûere Verletzungen, z. B. Prellmarken, Platzwunden oder Håmatome?
Bestehen diffuse petechiale Blutungen als Hinweis fçr eine Gerinnungs-
stærung? Gibt es Hinweise auf innere Verletzungen? Hat der Patient einge-
nåsst? Enurese kann auf einen Krampfanfall hindeuten (falls der Patient be-
reits entkleidet ist, unbedingt die abgelegte Kleidung inspizieren). Gibt es
Hinweise auf einen Zungenbiss? Auch dies låsst einen Krampfanfall ver-
muten. Wie ist der Allgemeinzustand des Patienten? Ist ein Fætor wahr-
nehmbar? Zeigt der Patient Spontanbewegungen? Wie ist das Atemmuster?
Die Cheyne-Stokes-Atmung etwa mit periodischer Zu- und Abnahme der
Atemtiefe deutet auf eine Schådigung des Zwischenhirns hin (z. B. bei Ein-
klemmung am Tentorium). Die Biot-Atmung, die durch unregelmåûige
Atempausen gekennzeichnet ist, zeigt sich bei Schådigung der Medulla
oblongata.

Allgemein-internistische Untersuchung

Die Untersuchung des Bewusstlosen umfasst auch immer eine ausfçhrliche


allgemeine kærperliche Untersuchung.
176 z S. Sommer

Neurologische Untersuchung

z Meningismus
Die Untersuchung auf Meningismus darf nur durchgefçhrt werden, wenn
anamnestisch keine Hinweise auf eine Verletzung der Halswirbelsåule vor-
liegen. Der Kopf des Patienten wird mit beiden Hånden umgriffen und
nach vorne gezogen. Spçrt man dabei einen Widerstand, zeigt dies eine
schmerzreflektorische Nackensteifigkeit an. Je nach Stårke des Widerstands
spricht man von leicht-, mittel- oder hochgradigem Meningismus. Wichtig
ist, die Gesichtszçge des Patienten zu beobachten. Grimassieren stçtzt die
Diagnose eines Meningismus. Jedoch kann es auch im Rahmen anderer
Zustånde zu einer Tonuserhæhung der Nackenmuskulatur kommen. Nicht
jede Tonuserhæhung der Nackenmuskulatur darf vorschnell als Meningis-
mus bezeichnet werden. Bei schmerzbedingten Nackenzwangshaltungen ist
die Beweglichkeit der Halswirbelsåule in alle Richtungen stark einge-
schrånkt. Zu bedenken sind ferner generalisierte axiale Tonuserhæhungen
beim Mittelhirnsyndrom. Bei Patienten mit hypoxischem Hirnschaden
kann man ebenfalls rigorartige Tonuserhæhungen der Nackenmuskulatur
finden. Andererseits muss stets daran gedacht werden, dass Meningitiden
im Alter je nach Erreger nicht notwendigerweise von einem Meningismus
begleitet sind. Auf keinen Fall darf das Symptom Meningismus mit der Di-
agnose Meningitis gleichgesetzt werden, da z. B. auch eine Subarachnoidal-
blutung zu einem Meningismus fçhren kann.
Als Brudzinski-Zeichen bezeichnet man die reflektorische Beugung der
Beine in Hçft- und Kniegelenk bei passiver Anhebung des Kopfes. Das Ker-
nig-Zeichen wird çberprçft, indem das Bein in Hçft- und Kniegelenk um
jeweils 908 gebeugt wird. Bei passivem Strecken des Beines kommt es bei
meningealer Reizung zu einer tonischen Beugung der Unterschenkelbeuger,
welche eine komplette Streckung des Beines verhindern. Bei Plegien ist das
Kernig-Zeichen trotz meningealer Reizung negativ und Seitendifferenzen
kænnen auf eine Halbseitensymptomatik hinweisen. Das Las gue-Zeichen
wird çberprçft, indem das gestreckte Bein passiv angehoben wird. Kommt
es dabei zu Schmerzen, ist der Test positiv. Beim Bewusstlosen kann dieser
Schmerz eventuell durch Grimassieren deutlich werden. Sind die Nervendeh-
nungszeichen nur einseitig auslæsbar, ist eine periphere Nervenlåsion ipsila-
teral oder eine Halbseitensymptomatik kontralateral in Erwågung zu ziehen.

z Hirnstammreflexe
z Pupillenreaktion. Die Augen des Patienten werden passiv geæffnet und die
Pupillen werden getrennt voneinander beleuchtet. Beobachtet wird die Re-
aktion beider Pupillen, der beleuchteten und der unbeleuchteten. Anschlie-
ûend wird das andere Auge beleuchtet und es werden wiederum beide Sei-
ten beurteilt. Im Normalfall sind die Pupillen seitengleich mittelweit, und
12 Die Untersuchung des bewusstlosen Patienten z 177

Lichtreiz fçhrt zu einer reflektorischen Verengung beider Pupillen. Wir


sprechen von der direkten und konsensuellen Pupillenreaktion. Die Licht-
reaktion erfolgt durch die Reflexschleife zwischen den afferenten Fasern
des N. opticus, der Verschaltung im Nucleus Edinger-Westphal und den ef-
ferenten parasympathischen Fasern, welche im Auûenbereich des N. oculo-
motorius verlaufen.
Bei Schådigung der afferenten Fasern ist bei Beleuchtung des betroffe-
nen Auges die Lichtreaktion auf beiden Seiten gestært. Bei Beleuchtung des
ungeschådigten Auges kommt es zu einer Verengung beider Pupillen, auch
des betroffenen Auges. Bei Schådigung der efferenten (parasympathischen)
Fasern ist die Reaktion der betroffenen Seite, gleich welche Seite beleuchtet
wird, gestært.
Bei Schådigung der parasympathischen Fasern des N. oculomotorius er-
weitert sich die Pupille (Mydriasis) auf diesem Auge durch Ûberwiegen des
sympathischen Tonus. Låsionen im Zwischenhirn kænnen durch Ausfall der
sympathischen Innervation zur Verengung der Pupillen (Miosis) beidseits
fçhren. Bei Låsionen im Mittelhirn wird ebenfalls die parasympathische In-
nervation der Pupillen geschådigt, weshalb die Pupillen mittelweit und
lichtstarr sind. Die Schådigung der Medulla oblongata fçhrt zu einer maxi-
malen Pupillenerweiterung. Eine beidseitige Pupillenverengung kommt au-
ûerdem z. B. bei Opiaten vor. Zu bedenken ist die medikamentæse Beein-
flussung, etwa durch die Gabe von Augentropfen.

z Okulozephaler Reflex (OCR). Dieses Phånomen beruht im Wesentlichen auf


dem vestibulookulåren Reflex. Bei vertikaler Kopfbewegung werden die Au-
genlider mitbewegt (Puppenkopfphånomen). Die Augen werden passiv
offen gehalten und der Kopf ruckartig hin und her bewegt (horizontal bzw.
vertikal). Es wird eine Drehbewegung der Bulbi in die entgegengesetzte
Richtung beobachtet (der OCR ist positiv). Bei Schådigung im Bereich
Pons bzw. Mittelhirn sowie bei tiefer Sedierung erlæscht der okulozephale
Reflex, d. h. die Bulbi veråndern ihre Stellung nicht (der OCR ist negativ).

z Vestibulookulårer Reflex (VOR). Die Funktion des vestibulookulåren Refle-


xes kann auch seitengetrennt durch eine kalorische Prçfung getestet wer-
den. Zuvor muss çberprçft werden, ob das Trommelfell intakt ist. Ist dies
der Fall, wird der Gehærgang mit kaltem Wasser (30 8C oder Eiswasser)
gespçlt. Dabei kommt es zu einer tonisch konjugierten Blickwendung zur
entsprechenden Seite (beim wachen Patienten durch Rçckstellsakkaden
unterbrochen; Nystagmus zum kontralateralen Ohr). Das Ausbleiben der
Blickwendung spricht fçr eine Schådigung im Bereich des Pons bzw. Mit-
telhirns. Der VOR deckt auch periphere Låsionen der Okulomotorik auf.

z Kornealreflex. Das Auge wird passiv geæffnet und die Kornea mit dem
ausgezogenen Wattefaden eines Watteståbchen berçhrt. Beobachtet wird
der Lidschlag des Auges. Geprçft wird der Reflexbogen, dessen Afferenz
çber den N. trigeminus und dessen Efferenz çber den N. facialis geleitet
178 z S. Sommer

wird. Ist eine Schådigung der Kornea vorhanden, so kann ein åhnlicher Re-
flex durch Bestreichen der Wimpern des Unterlides ausgelæst werden.

z Wçrgreflex. Auslæsung von Wçrgen durch Berçhrung der Rachenhinter-


wand mit dem Zungenspatel. Dieser Reflex ist bei etwa 10% der Bevælke-
rung nicht auslæsbar. Der Verlust des Wçrgreflexes spricht fçr eine Låsion
der Medulla oblongata, kann aber auch bei peripheren Prozessen wie etwa
beim Guillain-Barr-Syndrom vorkommen. Bei Ausfall des Reflexes besteht
Aspirationsgefahr.

z Hustenreflex. Der Hustenreflex wird durch endotracheale Berçhrung, wie


etwa bei der endotrachealen Absaugung, ausgelæst. Das Fehlen des Husten-
reflexes deutet auf eine Schådigung der Medulla oblongata hin.

z Grimassieren auf Schmerzreize. Kann durch Schmerzreize an der Wange


(z. B. Kneifen) kein Grimassieren bzw. andere Reaktionen ausgelæst werden,
setzt man Schmerzreize, indem man das Nasenseptum beispielsweise mit
einer Nadel ansticht. Seitendifferenzen in der motorischen Reaktion deuten
dabei auf eine faziale Parese hin.

z Akustischer Blinzelreflex. Durch lautes In-die-Hånde-Klatschen wird eine


Kontraktion des M. orbicularis oculi provoziert. Diese Reaktion erlischt
mit zunehmender Komatiefe.

z Visueller Blinzelreflex. Die Augen des Patienten werden durch leichten


Zug passiv offen gehalten und es wird die Reaktion des Patienten auf einen
rasch in Richtung Auge gefçhrten Finger beobachtet. Wichtig ist, dies nicht
zu nah vor den Augen des Patienten auszufçhren, da sonst durch den Luft-
strom ein Kornealreflex ausgelæst wird.

z Stærungen der Okulomotorik


z Bulbusstellung. Mit zunehmender Komatiefe erschlaffen die åuûeren Au-
genmuskeln. Es kommt zur Bulbusdivergenz, meist bis zu 158. Der Okulo-
zephalreflex ist daher schwer oder gar nicht auszulæsen. Bei der Hertwig-
Magendie-Schielstellung (skew deviation) besteht eine vertikale Divergenz-
stellung der Bulbi (ein Auge unten, eines oben). Oft besteht zusåtzlich eine
Rotationsfehlstellung (ocular tilt). Es kommen verschiedene Låsionsorte im
gesamten Hirnstamm in Betracht, meist auf der Seite des tiefer stehenden
Auges.

z Blickdeviation. Eine konjugierte Blickwendung (Dviation conjuge) zeigt


eine pontine (kontralaterale) oder kortikale (ipsilaterale) Låsion an. Eine
vertikale Blickdeviation nach unten kommt sowohl bei doppelseitigen Tha-
lamuslåsionen als auch bei hypoxischen bzw. metabolischen Enzephalo-
pathien vor sowie als Hirndruckzeichen (Sonnenuntergangsphånomen).
12 Die Untersuchung des bewusstlosen Patienten z 179

z Spontane Augenbewegungen. Langsame horizontal wandernde Augen-


bewegungen treten im Schlaf oder in weniger tiefen Komastadien auf. Die-
se spontanen Augenbewegungen sind durch den vestibulookulåren Reflex
nicht leicht zu çberwinden. Derartige glatte Augenbewegungen kænnen
nicht willkçrlich ausgefçhrt werden. Fast nur im Koma tritt das sogenann-
te ¹ocular bobbingª auf, eine konjungierte Abwårtssakkade mit tonischer
Aufwårtsbewegung im Intervall. Die Sakkaden treten selten auf, in der Re-
gel nur alle 5 bis 30 Sekunden. Ursache sind z. B. bilaterale pontine oder
pontozerebellåre Låsionen, in der Regel vergesellschaftet mit einer schlech-
ten Prognose.

z Reaktion auf Schmerzreiz


Sie erlaubt eine Abschåtzung der Komatiefe. Bei leichter Bewusstlosigkeit
beobachtet man gezielte Abwehrreaktionen, bei mittelgradiger Bewusst-
losigkeit lediglich ungezielte Abwehrbewegungen und in der tiefen Be-
wusstlosigkeit keinerlei Reaktion. Beim bewusstlosen Patienten setzt man
kråftige Schmerzreize an allen Extremitåten, indem man jeweils einen Fin-
ger- oder Fuûnagel mit dem Griff des Reflexhammers fest zusammen-
drçckt. Alternativ kann man eine Hautfalte in der Achsel kneifen. Damit
wird sowohl die sensible als auch die motorische Funktion çberprçft. Fokal
verminderte Reaktionen auf Schmerzreiz sind topodiagnostisch verwertbar.
Beobachtet man eine Reaktion auf Schmerzreize, jedoch keine Bewegung
der betroffenen Extremitåt, spricht dies fçr eine Parese bei erhaltener
Schmerzempfindung.

z Muskeleigenreflexe (MER)
Auch beim Bewusstlosen kænnen Muskeleigenreflexe durch Schlag auf die
Sehne eines Muskels mit dem Reflexhammer ausgelæst werden. Pathologi-
sche Reflexe erkennt man an Reflexdifferenzen, verbreiterten Reflexzonen
sowie çberspringenden Reflexen. Reflexdifferenzen sind dabei nicht nur im
Seitenvergleich zu bewerten, sondern auch in kraniokaudaler Richtung.
Wenn z. B. alle Extremitåtenreflexe lebhaft auslæsbar sind, der Masseterre-
flex aber nur schwach oder gar nicht, dann liegt eine Låsion am kraniozer-
vikalen Ûbergang nahe (hoher Querschnitt).

z Muskeltonus
Der Muskeltonus wird durch passives Bewegen der Extremitåten getestet.
Beim Bewusstlosen findet sich meist eine erniedrigter Muskeltonus. Die
Extremitåten wirken schlaff. Bei zentralen Paresen zeigt sich oft eine To-
nuserhæhung. Beim Mittelhirnsyndrom kommt es zu einer generalisierten
Tonuserhæhung mit Beugespastik der Arme und Streckspastik der Beine.
Bei beidseitigen Låsionen im oberen Ponsbereich oder darunter kommt es
zu einer Streckspastik von Armen und Beinen.
180 z S. Sommer

z Motorische Reizerscheinungen
Muskelzuckungen ohne Bewegungseffekt (Faszikulationen) treten generali-
siert z. B. bei cholinergen Krisen auf (Cholinesterasehemmer-Ûberdosie-
rung) sowie bei motorischen Systemerkrankungen mit Vorderhornbetei-
ligung. Muskelzuckungen mit Bewegungseffekt (Myoklonien) sind ein diag-
nostisch wichtiges Reizsymptom bei zerebralen Anfållen, Enzephalitis und
z. B. bei der Jakob-Creutzfeld-Erkrankung. Seltener treten Myoklonien nach
Intoxikationen auf. Negative Myoklonien (Asterixis) stellen kurzzeitige Un-
terbrechungen des Muskeltonus dar, wie etwa bei metabolischen Enzepha-
lopathien oder z. B. auch bei diffuser Metastasierung. Da mit zunehmender
Komatiefe der Muskeltonus nachlåsst oder erlischt, ist Asterixis dann in
der Regel nicht zu erfassen.

z Primitivreflexe
Primitivreflexe sind Reflexe, die im Neugeborenenalter physiologischerwei-
se vorkommen, im Verlauf der Entwicklung jedoch verschwinden. Durch
diffuse Hirnschådigungen kann es zum Wiederauftreten der Reflexe kom-
men.

z Pyramidenbahnzeichen. Gerade beim Bewusstlosen kænnen Paresen


schwer zu beurteilen sein. Das Vorhandensein von Pyramidenbahnzeichen
(Babinski, Oppenheimer, Gordon, Chaddock) gibt einen Hinweis auf eine
Schådigung der kortikospinalen Bahnen. Allerdings kænnen Pyramiden-
bahnzeichen auch durch bioelektrische Funktionseinbuûen, etwa nach
Grand-mal-Anfållen, vorçbergehend nachweisbar sein.

z Palmomentalreflex. Durch festes Bestreichen des Daumenballens kommt


es zu einer Kontraktion der ipsilateralen Kinnmuskulatur, meist des M. de-
pressor anguli oris.

z Schnauzreflex (Schmunzelreflex). Mit einer Fingerkuppe wird die Perioral-


region beklopft. Im positiven Fall kommt es zu einem Spitzen der Lippen.
Der Reflex zeigt eine diffuse zerebrale Funktionsstærung an (z. B. nach Hy-
poxie, multiplen Infarkten, Enzephalitis).

z Greifreflex. Bei Berçhrung der Handinnenflåche wird zugegriffen. Ver-


sucht man nun die Hand wegzuziehen, wird immer fester zugegriffen. Die-
ses Phånomen spricht fçr eine diffuse Hirnschådigung oder eine Låsion
des Frontallappens.

z Saugreflex. Periorale Berçhrungen fçhren zur Hinwendung des Kopfes


zum Reiz. Das Einfçhren des Fingers in den Mundraum fçhrt zu Saugbe-
wegungen.
12 Die Untersuchung des bewusstlosen Patienten z 181

z Autonomes Nervensystem
Wåhrend der Untersuchung ist des Weiteren auf Verånderungen von Blut-
druck und Herzfrequenz auf åuûere Reize zu achten. Bradykardien, ins-
besondere bei Kopftieflagerung, kænnen Ausdruck von erhæhtem Hirn-
druck sein. Bei hypothalamischen Låsionen finden sich gehåuft Stærungen
der Temperaturregulation, welche sich zum Beispiel als zentrale Hyperther-
mie manifestieren.

z Ziliospinaler Reflex. Appliziert werden Schmerzreize im Bereich des Tra-


peziusrandes oder im Gesicht. Beobachtet wird die beidseitige Erweiterung
der Pupillen. Dieser Fremdreflex wird durch den Sympathikus vermittelt.

Vorgehen bei Bewusstlosigkeit unklarer Genese

z Kontrolle und Sicherstellung der Vitalfunktionen


z Veranlassen von Blutzuckerkontrolle und Laboruntersuchungen
z Fremdanamnese
z Beurteilung der Bewusstseinslage
z Allgemein-internistische Untersuchung
z Neurologische Untersuchung
z Apparative Zusatzuntersuchungen
13 Spezielle standardisierte
Kurzuntersuchungen
V. Hackel

Myasthenie-Score nach Besinger und Toyka

Der Myasthenie-Score nach Besinger und Toyka (1983) erfasst generalisier-


te Symptome der Myasthenia gravis unter Berçcksichtigung der Extremitå-
tenmuskulatur, der faziopharyngealen und okulåren Muskulatur sowie der
Vitalkapazitåt und dient der Therapie- und Verlaufskontrolle.

Punkte 0 1 2 3
Ausprågung ohne gering måûig schwer
Symptome
Extremitåten- und Rumpfmuskulatur (Dauer in Sekunden)
z Armvorhalten >180 60±180 10±60 <10
(908, stehend)
z Beinvorhalten >45 30±45 5±30 <5
(458, Rçckenlage)
z Kopfheben >90 30±90 5±30 <5
(458, Rçckenlage)
Vitalkapazitåt (in Litern, max. Exspiration nach max. Inspiration)
z månnlich >3,5 2,5±3,5 1,5±2,5 <1,5
z weiblich >2,5 1,8±2,5 1,2±1,8 <1,2
Faziopharyngeale Muskulatur
z Mimik normal leichte Lidschluss- Lidschluss Amimie
schwåche inkomplett
z Kauen/Schlucken normal Kauschwåche Verschlucken Kieferhången,
(Ermçdung wåhrend Magensonde
des Essens)
Okulåre Symptome im Simpson-Test (Dauer in Sekunden)
z Doppelbilder >60 10±60 0±10 spontan
z Ptosis >60 10±60 0±10 spontan
13 Spezielle standardisierte Kurzuntersuchungen z 183

z Auswertung. Der Score ergibt sich aus der Gesamtpunktzahl dividiert


durch die Anzahl der durchgefçhrten Tests. 0 = keine myasthenen Sympto-
me; 3 = schwerste myasthene Symptome

Stadien des Parkinson-Syndroms nach Hoehn und Yahr

Die Stadieneinteilung nach Hoehn und Yahr (1967) differenziert prågnant


und mit geringem Zeitaufwand die Schweregrade der Parkinson-Erkrankung.

z Stadium 0 keine klinischen Anzeichen der Erkrankung


z Stadium 1 einseitige Symptomatik ohne oder mit allenfalls geringer
Beeintråchtigung
z Stadium 2 leichte beidseitige Symptomatik, keine Haltungsinstabilitåt
z Stadium 3 geringe bis måûige Behinderung mit leichter Haltungsinstabilitåt,
Arbeitsfåhigkeit (in Abhångigkeit vom Beruf) noch erhalten
z Stadium 4 Vollbild mit starker Behinderung, Patient kann aber noch ohne Hilfe
gehen und stehen
z Stadium 5 Patient ist an Rollstuhl oder Bett gebunden und auf Hilfe anderer
Personen angewiesen

Expanded Disability Status Scale (EDSS)


fçr Patienten mit multipler Sklerose

Die Expanded Disability Status Scale (EDSS) nach Kurtzke (1983) ist die
derzeit am weitesten verbreitete Skala fçr die Beurteilung des Defizits bei
der multiplen Sklerose. Der Score wird çberproportional stark von der
Gehfåhigkeit des Patienten beeinflusst, sodass ab einem Wert > 5 eine rela-
tive Ungenauigkeit insbesondere fçr Verånderungen der Funktionsfåhigkeit
der oberen Extremitåten besteht.

0 normale neurologische Untersuchung (in allen funktionellen Systemen, FS)


1,0 keine Behinderung, minimale Abnormitåt in einem FS
1,5 keine Behinderung, minimale Abnormitåt in mehr als einem FS
2,0 minimale Behinderung in einem FS
2,5 minimale Behinderung in zwei FS
3,0 måûiggradige Behinderung in einem FS oder leichte Behinderung in drei oder vier
FS, aber noch voll gehfåhig
3,5 voll gehfåhig, aber mit måûiger Behinderung in einem FS und ein oder zwei FS Grad
2 oder 2 FS Grad 3 oder 5 FS Grad 2
184 z V. Hackel

4,0 gehfåhig ohne Gehhilfe und Pause fçr mindestens 500 m, aktiv wåhrend ca. 12 Stun-
den pro Tag trotz relativ schwerer Behinderung
4,5 gehfåhig ohne Gehhilfe und Pause fçr mindestens 300 m, ganztågig arbeitsfåhig, ge-
wisse Einschrånkung der Aktivitåt, benætigt minimale Hilfe, relativ schwere Behin-
derung
5,0 gehfåhig ohne Gehhilfe und Pause fçr ca. 200 m, Behinderung schwer genug, um
tågliche Aktivitåt zu beeintråchtigen
5,5 gehfåhig ohne Gehhilfe und Pause fçr ca. 100 m, Behinderung schwer genug, um
normale tågliche Aktivitåt unmæglich zu machen
6,0 bedarf intermittierend oder auf einer Seite konstant Unterstçtzung durch Krçcke,
Stock oder Schiene, um ca. 100 m ohne Pause zu gehen
6,5 benætigt konstant beidseits Hilfsmittel, um ca. 20 m ohne Pause zu gehen
7,0 unfåhig, selbst mit Hilfe mehr als 5 m zu gehen, weitgehend an den Rollstuhl ge-
bunden, bewegt Rollstuhl selbst, transferiert ohne Hilfe
7,5 unfåhig, mehr als ein paar Schritte zu tun, an den Rollstuhl gebunden, benætigt Hilfe
fçr Transfer, bewegt Rollstuhl selbst, aber vermag nicht den ganzen Tag im Rollstuhl
zu verbringen
8,0 weitgehend an Bett oder Rollstuhl gebunden, pflegt sich weitgehend selbstståndig,
meist guter Gebrauch der Arme
8,5 weitgehend an Bett gebunden, auch wåhrend des Tages, teilweise nçtzlicher Ge-
brauch der Arme, einige Selbstpflege mæglich
9,0 hilfloser Patient im Bett, kann essen und kommunizieren
9,5 gånzlich hilfloser Patient, unfåhig zu essen, zu schlucken oder zu kommunizieren
10,0 Tod infolge multipler Sklerose

Funktionelle Systeme (FS), die in die Bewertung eingehen, sind: Pyrami-


denbahn, Kleinhirn, Hirnstamm, sensorisches System, Blasen- und Mast-
darmfunktionen, Sehfunktion, andere zerebrale Funktionen (z. B. Wesens-
verånderung) sowie Zusatzbefunde wie Spastizitåt, Kontrakturen, Dekubi-
tus und Harnwegsinfekt. Ein Normalbefund in der Untersuchung wird
durch Grad 0 ausgedrçckt, Abweichungen von der Norm werden in unter-
schiedlichen Graduierungen erfasst (Grad 1: abnormer Befund ohne Behin-
derung, Grad 2: minimale Behinderung, Grad 3: leichte Ausprågung, Grad
4: måûiggradige Ausprågung, Grad 5: schwere Ausprågung, Grad 6: Funk-
tionsverlust).

Der Mini-Mental-Status-Test

Der Mini-Mental-Status-Test nach Folstein et al. (1975) ist eine weit ver-
breitete Screening-Methode, um sich einen Eindruck çber die kognitiven
Fåhigkeiten eines Patienten zu verschaffen. Die exakte Durchfçhrung des
13 Spezielle standardisierte Kurzuntersuchungen z 185

Tests erfordert auf Seiten des Patienten Leistungen der Orientierung, der
Merkfåhigkeit, der Aufmerksamkeit und der Auffassung sowie sprachliche
Leistungen. Der Test ist zur Eingangsuntersuchung, vor allem aber zur Ver-
laufskontrolle geeignet.

Orientierung (max. Punktzahl 10)


1. Bitte nennen Sie mir: &
das aktuelle Datum &
den aktuellen Monat &
den aktuellen Wochentag &
die Jahreszeit &
2. Bitte sagen Sie mir, wo wir uns befinden:
Staat &
Bundesland &
Stadt &
Straûe/Stadtteil/Krankenhaus &
Stockwerk/Station &

Merkfåhigkeit (max. 3 Punkte)


3. Ich nenne Ihnen jetzt drei Gegenstånde. Bitte wiederholen Sie diese und
versuchen Sie, sich diese Begriffe einzuprågen! Z. B.
Ball &
Schlçssel &
Haus &

Aufmerksamkeit/Konzentration (max. 5 Punkte)


4. Buchstabieren Sie das Wort RADIO rçckwårts!
O &
I &
D &
A &
R &
Gedåchtnis/Erinnerungsfåhigkeit (max. 3 Punkte)
5. Bitte wiederholen Sie die vorhin genannten Gegenstånde!
Ball &
Schlçssel &
Haus &
186 z V. Hackel

Sprache und Benennen/Nachsprechen (max. 3 Punkte)


6. Zwei Gegenstånde zeigen und vom Patienten benennen lassen
Armbanduhr &
Bleistift/Kugelschreiber &
7. Bitte sprechen Sie Folgendes nach!
¹Kein Wenn und Aberª &

Mehrschrittige Aufforderung und Lesen (max. 4 Punkte)


8. Fçhren Sie folgende Anweisung durch!
Nehmen Sie ein Blatt Papier, &
falten es in der Mitte und &
legen es auf den Boden. &
9. Lesen Sie folgenden Satz und fçhren Sie ihn aus!
SCHLIESSEN SIE DIE AUGEN! &

Schreiben (max. 1 Punkt)


10. Schreiben Sie einen vollståndigen Satz auf!
(Der Satz muss Prådikat und Objekt enthalten.)

Råumlich-konstruktive Leistung (max. 1 Punkt)

11. Zeichnen Sie diese Figur ab!

Auswertung:
25±30 Punkte: keine Demenz
<22±24 Punkte: måûiggradige Demenz
<16 Punkte: schwere Demenz
13 Spezielle standardisierte Kurzuntersuchungen z 187

Literatur

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111:1435±1439
14 Befunddokumentation
und Arztbrief
S. Zierz

Befunddokumentation

So wie die Untersuchung selbst unabhångig von dem aktuellen und mægli-
cherweise lokalen Problem stets vollståndig durchgefçhrt werden sollte,
sollte sich auch die Befunddokumentation im Krankenblatt und im spåte-
ren Arztbrief nicht auf das aktuell vorliegende und auf den ersten Blick
mæglicherweise sehr begrenzte Symptom beziehen, sondern den gesamten
Neurostatus wiedergeben und damit auch unauffållige Befunde dokumen-
tieren. Die Ausfçhrlichkeit der Beschreibung auch der normalen Befunde
richtet sich vielfach nach der Differenzialdiagnose. So kann es durchaus
wichtig sein zu wissen, ob bei progredienten Atrophien und Paresen der
Beine und Arme vom Patienten subjektiv nicht wahrgenommene Atrophien
oder Faszikulationen der Zunge bestehen, wenn zur Frage einer mæglichen
amyotrophen Lateralsklerose Stellung genommen werden soll. Erst die Voll-
ståndigkeit des Untersuchungsbefundes ermæglicht es, in der weiteren Be-
schåftigung mit dem Fall mægliche relevante syndromale Zusammenhånge
zu erkennen und im weiteren Krankheitsverlauf neu auftretende Symptome
oder Befunde als solche zu identifizieren. Dies bedeutet, dass der gelegent-
lich zu findende Ausdruck ¹grob-neurologisch unauffålligª nicht nur
sprachlich, sondern auch intellektuell nicht zu akzeptieren ist.
Wie bei jeder technischen Untersuchung muss auch der klinische Befund
verbal-schriftlich fixiert werden. Vielerorts ist es çblich, sich hierzu tabella-
rischer Formulare zu bedienen, in denen die einzelnen Untersuchungspunkte
aufgelistet sind und vom Untersucher kommentiert werden sollten. Dies fçhrt
in der Praxis håufig dazu, dass ganze Absåtze oder sogar die ganze Seite vom
Arzt mit einer Klammer versehen werden, neben die dann als Ergebnis ¹o. B.ª
geschrieben wird. Als Leser einer solchen Dokumentation kann man nahezu
sicher sein, dass hier keinesfalls alle aufgefçhrten Untersuchungen durch-
gefçhrt worden sind. Ironischerweise entspricht dies genau der falschen, aber
weit verbreiteten Interpretation der Abkçrzung o. B. als ¹ohne Befundª.
¹Ohne Befundª bedeutet, dass etwas nicht untersucht worden ist, also kein
Befund erhoben werden konnte. Tatsåchlich steht die Abkçrzung ¹o. B.ª aber
fçr ¹orthograder Befundª, also fçr einen regelrechten Befund.
Trotz der Forderung nach Vollståndigkeit der Dokumentation ist es im
Einzelfall immer notwendig, eine Gewichtung in der detaillierten Ausfçhr-
14 Befunddokumentation und Arztbrief z 189

lichkeit der Beschreibung vorzunehmen, die auch die Aussagekraft eines Ein-
zelbefundes berçcksichtigt. So ist es beispielsweise wenig sinnvoll, bei einer
chronisch-peripheren Problematik die Beschreibung des Neurostatus mit der
Floskel ¹kein Meningismusª einzuleiten. Sinnvoller ist hier die sehr viel aus-
sagekråftigere Formulierung ¹Kopf aktiv (oder nur passiv) frei beweglichª.
Scheidt (1983) bemerkte in seinem klassischen Lehrbuch der Neurologie,
dass auch bei einer vællig unzureichenden Untersuchung die Druckschmerz-
haftigkeit der Austrittspunkte des N. trigeminus geprçft und erwåhnt wird,
obgleich mit diesem Befund recht wenig anzufangen sei.
Fçr das Einçben eines geordneten und standardisierten Untersuchungs-
ganges und der verbalen Dokumentation der Ergebnisse ist es didaktisch
hilfreich, einen normalen Neurostatus positiv zu formulieren:

z Normaler Neurostatus. Kopf frei beweglich, nicht klopfempfindlich. Hirn-


nerven: Geruchssinn ungestært (oder z. B. Kaffee spontan erkannt). Visus
bds. 1,0. Gesichtsfelder uneingeschrånkt. Pupillen seitengleich mittelweit,
reagieren prompt auf Licht und Konvergenz. Papille bds. scharf begrenzt,
nicht prominent. Okulomotorik koordiniert, keine Doppelbilder, kein Nys-
tagmus. Kornealreflex bds. auslæsbar. Østhesie und Algesie im Gesicht un-
gestært. M. masseter bds. kråftig. Mimische Muskulatur ungestært. Finger-
reiben (oder z. B. Flçsterzahlen, Uhrenticken) seitengleich wahrnehmbar.
Weber mittelståndig, Luftleitung långer als Knochenleitung (Rinne). Wçr-
gereflex auslæsbar, Gaumensegel symmetrisch angehoben. Kopfwendung
und Schulterhebung beidseits kråftig. Zunge gerade herausgestreckt, frei
beweglich (ggf. keine Atrophie, keine Faszikulationen). Motorik: Keine la-
tenten oder manifesten Paresen. Keine Atrophien, keine Tonusverånderun-
gen. Reflexe: Muskeleigenreflexe an Armen und Beinen seitengleich mittel-
lebhaft auslæsbar, keine Pyramidenbahnzeichen. Sensibilitåt: Østhesie, Alge-
sie, Pallåsthesie und Thermåsthesie allseits ungestært. Koordination: Rom-
berg-Versuch sicher. Keine Abweichung im Unterberger-Versuch. Seiltånzer-
gang sicher. Monopedales Hçpfen bds. gut mæglich. Zeigeversuche an Ar-
men und Beinen zielsicher. Eudiadochokinese der Hånde und Fçûe.

Arztbrief

Grundsåtzlich erfçllt der Arztbrief (Epikrise) mehrere Funktionen. Vor-


dergrçndig soll er den einweisenden und weiterbehandelnden Arzt çber
die bisherigen Untersuchungen, die Diagnose, den weiteren Verlauf sowie
die Therapie informieren. Aufgrund seines Dokumentcharakters çber Diag-
nose, durchgefçhrte Untersuchungen und Empfehlungen zum weiteren Pro-
zedere kommt dem Arztbrief auch erhebliche juristische Bedeutung zu, die
z. B. hinsichtlich der Transparenz der Kostenkalkulation und mæglicher haf-
tungsrechtlicher Fragen nicht unterschåtzt werden darf. Die zeitliche Latenz
zwischen Entlassung des Patienten und Schreiben des Arztbriefes sollte
190 z S. Zierz

mæglichst nur wenige Tage betragen. Wenn zeitaufwåndige Laborunter-


suchungen (z. B. molekularbiologische Untersuchungen) veranlasst wurden,
ist dies kein Grund, die Fertigstellung des Briefes zu verzægern. Fçr den
weiterbehandelnden Arzt ist es in diesen Fållen ausreichend zu erwåhnen,
dass die Ergebnisse dieser Untersuchungen noch ausstehen und nach-
gereicht werden. Neben der mæglichst unverzçglichen Erstellung des Brie-
fes sind Form, Stil und Pråzision der Beurteilung wesentliche Kriterien fçr
die Qualitåt der Tåtigkeit einer Klinik. Unabhångig davon besteht der Wert
einer schriftlich abgefassten Epikrise (Arztbrief) jedoch darin, dass sie den
Verfasser dazu zwingt, die aktuelle Problematik des Patienten intellektuell
zu durchdringen und eine eindeutige Stellungnahme dazu abzugeben. Dies
bedeutet nicht, dass jeder Fall immer abschlieûend geklårt werden kann.
Ein guter Arztbrief zeichnet sich gerade bei ungeklårten Problemen da-
durch aus, dass die Symptomatik zumindest im Sinne einer Syndromdiag-
nose pråzise benannt wird und dass die vielfåltigen mæglichen Differenzial-
diagnosen diskutiert werden. Aus unserer Sicht sprechen diese Ûberlegun-
gen zumindest fçr die Neurologie eindeutig gegen die Verwendung von
standardisierten Textbausteinen bei der Erstellung von Entlassungsbriefen.
Form, Stil und Inhalt eines Arztbriefes sind immer wieder Gegenstand
essayistischer Darstellungen, in denen fçr eine intellektuelle Klarheit der
Epikrise ohne Worthçlsen und Manierismen plådiert wird (Heckel 2002,
Semmler 1999). In einer Analyse von Arztbriefen neurologischer Kliniken
in der Sicht niedergelassener Neurologen wurden u. a. die Qualitåt und
Vollståndigkeit der Befunde sowie eine ungençgende differenzialdiagnosti-
sche Diskussion kritisiert (Niecke et al. 2004).
Hinsichtlich der Form und Gliederung eines Arztbriefes gibt es viele
Mæglichkeiten, die aus unterschiedlichen Schulen und Traditionen hervor-
gehen und ihre Berechtigung haben. Wesentlich ist dabei jedoch immer, dass
auf mæglichst wenig Platz (2±3 Seiten) eine pråzise Darstellung des Falles, ei-
ne logische Argumentation und die differenzialdiagnostische Diskussion er-
kennbar werden. Die hier beispielhaft dargestellten Richtlinien zur Abfassung
eines neurologischen Arztbriefes richten sich nach dem Stil, wie er an der
Bonner Klinik unter dem Direktorat von Felix Jerusalem çblich war.
Grundsåtzlich gibt es viele Analogien zwischen einem Arztbrief und einer
wissenschaftlichen Publikation. So entsprechen sich Diagnose und Titel einer
Arbeit, die Anamnese entspricht der Einleitung, die Darstellung der Befunde
dem Teil ¹Methoden und Ergebnisseª, die Beurteilung der Diskussion.

z Diagnose. Idealerweise ist hier die genaue Krankheitsdiagnose anzuge-


ben, was u. U. auch die Angabe der Øtiologie erfordert. Nicht selten ist eine
Krankheitsdiagnose nicht mæglich, wobei dann aber immer eine Syndrom-
diagnose gestellt werden muss. In der klassischen Sicht beschrånkt sich die
Auflistung der nicht neurologischen Nebendiagnosen auf die fçr das neu-
rologische Krankheitsbild relevanten Aspekte. In der Øra der DRG-Abrech-
nung mçssen jedoch Zwånge hingenommen werden, auf die hier nicht ein-
gegangen werden soll.
14 Befunddokumentation und Arztbrief z 191

z Anamnese: Wåhrend es in der Anamnesebeschreibung in der Kranken-


akte durchaus sinnvoll sein kann, fçr die Beschwerden die authentischen
Worte des Patienten (u. U. auch in grammatikalisch korrekter indirekter
Rede) zu dokumentieren, kænnen in der Anamnese im Arztbrief die Symp-
tome durchaus mit der Fachterminologie beschrieben werden (so z. B. Pare-
sen statt Gefçhl der Schwåche, Paråsthesien statt Kribbelgefçhl und belas-
tungsinduzierte Myalgien und Krampi statt Ziehen und Schmerzen sowie
Verkrampfungen der Muskulatur nach långerer Gartenarbeit). Die Regel, in
der Anamnese keine Verben zu verwenden, trågt erheblich zur Lesbarkeit
und Pråzision der Darstellung bei. Die håufige Unsitte, die Anamnese als
bekannt vorauszusetzen, widerspricht der Funktion des Arztbriefes als Do-
kument, das auch fçr spåter erstmals beteiligte Ørzte informativ sein muss.
z Befunde. Selbst bei einem topisch relativ eng begrenzten peripheren
Problem ist es beim klinischen Befund nicht ausreichend, den ¹çbrigen
Neurostatusª als unauffållig zu beschreiben. So sollten in angemessener
Ausfçhrlichkeit bzw. Kçrze auch die normalen Befunde der einzelnen Sys-
teme (Hirnnerven, Motorik, Reflexe, Sensibilitåt und Koordination) auf-
gefçhrt werden. Die Wiedergabe technischer Untersuchungsbefunde und
konsiliarischer Untersuchungen sollte sich auf die tatsåchlichen Befunde
beschrånken und nur eine methodenspezifische Beurteilung enthalten (z. B.
beim EMG neurogene Verånderungen). Das unreflektierte Ûbernehmen
weitergehender Interpretationen und Spekulationen aus den Zusatzbefun-
den sowie die Erwåhnung konsiliarisch geåuûerter Vorschlåge zum wei-
teren Vorgehen hat hier keinen Platz, zumal damit oft verwirrende Inkon-
sistenzen mit der Gesamtbeurteilung provoziert werden kænnen.
z Beurteilung. Idealerweise sollte hier zunåchst das Syndrom identifiziert
werden, dann die Krankeitsdiagnose und schlieûlich die Øtiologie. Dies sollte
durch die Erwåhnung der wesentlichen Befunde begrçndet werden, wobei
auch auf untypische Aspekte hingewiesen werden muss. Auf Befunde, die
mit der Diagnose unvereinbar sind, sollte in der anschlieûenden Diskussion
der mæglichen Differenzialdiagnosen eingegangen werden. Danach kænnen
sich Angaben zum weiteren Prozedere, zur Prognose und zur Therapie an-
schlieûen.

z Musterbeispiel eines Arztbriefes


Sehr geehrter Herr Kollege XY oder Sehr verehrte Frau Kollegin XY

vielen Dank fçr die freundliche Ûberweisung Ihrer Patientin Frau XY, geb.
am 1. 2. 1965, die sich vom 7.2. bis 12. 2. 2004 in unserer stationåren Be-
handlung befand.
z Diagnosen
z Sekundår chronisch-progrediente Multiple Sklerose
z Harnwegsinfekt
192 z S. Zierz

z Vorgeschichte. 1989 Nebelsehen rechtes Auge fçr 3 bis 4 Wochen. 1992


Missempfindungen und Taubheitsgefçhl an beiden Beinen fçr 5 Wochen
und 1997 am linken Arm fçr 3 Wochen. Seit 2 Jahren belastungsabhångige
Schwåche der Beine links mehr als rechts mit zunehmend eingeschrånkter
Gehstrecke von derzeit etwa 600 m. Nach Vollbad deutliche Zunahme der
Beinschwåche. Imperativer Harndrang seit einem halben Jahr.

z Neurostatus. Kopf frei beweglich. Lhermitte pos. Hirnnerven: Nahvisus


rechts 0,6, links 1,0. Temporale Papillenabblassung rechts. Bds. internukleå-
re Ophthalmoplegie. Glabellareflex vermindert habituierend. Schnauzreflex
schwach auslæsbar. Motorik: Pronation im Armhalteversuch links. Sonst
keine latenten oder manifesten Paresen. Armeigenreflexe rechts mittel leb-
haft, links lebhaft. Træmner rechts schwach, links mittellebhaft. Beineigen-
reflexe rechts lebhaft, links gesteigert (PSR mit verbreiterter Reflexzone,
ASR mit unerschæpflichem Kloni). Bauchhautreflexe bds. nicht erhåltlich.
Babinski: rechts stumme Sohle, links pos. Leichte linksbetonte Spastik der
Beine. Sensibilitåt: Von den Knien abwårts besteht eine nach distal zuneh-
mende Hypåsthesie fçr alle Qualitåten. Vibration am mall. med. rechts 2/8,
links 0/8, an der Patella rechts 4/8, links 2/8. Koordination: Zungenfolgebe-
wegungen etwas herabgesetzt. Leicht skandierendes Sprechen. Dysdia-
dochokinese links. Leichte Standataxie im Romberg. Ab 200 m Gehstrecke
Nachziehen des linken Beins. Einbeinhçpfen rechts plump, links nicht
mæglich.
Kognition regelrecht. Etwas gehobene Stimmungslage.

z Klinisch-chemische Laborparameter. Kleines Blutbild, Natrium, Kalium,


Kreatinin, Transaminasen, CRP im Normbereich. Antinukleåre Antikærper
nicht nachweisbar. Im Urin 106 Keime/ml und Leukozyturie. In der Kultur
Nachweis von E. coli, empfindlich u. a. auf Trimethoprim/Sulfamethoxazol.

z Liquor. 3 Leukozyten/ll. Normale Schrankenfunktion. Autochthone IgG-


Synthese. Nachweis von oligoklonalen Banden im Liquor in der IEF. Borre-
lien IgG und IgM in Liquor und Serum neg.

z Visuell evozierte Potenziale. P100 rechts mit 130 ms latenzverzægert


(Grenzwert: 122 ms), links 115 ms.

z Sensibel evozierte Potenziale vom N. tibialis: Latenz links 51 ms, rechts


49 ms (Grenzwert: 45 ms). Amplituden noch normal.

z Kernspintomogramm des Schådels. Multiple periventrikulår, im Balken


und teils auch im Hirnstamm und in den Kleinhirnstielen gelegene, teils
konfluierende, in T2- und FLAIR-Wichtung hyperintense Herde. Keine
Kontrastmittelaufnahme. Leichte innere und åuûere Hirnatrophie.

z Restharn (sonographisch): 150 ml (Grenzwert 50 ml).


14 Befunddokumentation und Arztbrief z 193

z Beurteilung. Zusammenfassend handelt es sich um eine sichere Multiple


Sklerose mit sekundår progredientem Verlauf. Die Diagnose stçtzt sich auf
die typische Anamnese mit Schçben und Remissionen, die Beteiligung ver-
schiedener Systeme klinisch und im Kernspintomogramm, fokale Demyeli-
nisierung in den evozierten Potenzialen und auf den Nachweis einer au-
tochthonen IgG-Synthese im Liquor (einschlieûlich IEF). Fçr eine differen-
zialdiagnostisch in Erwågung gezogene Neuroborreliose sowie fçr die ze-
rebrale Manifestation einer Kollagenose ergaben sich keine Hinweise. Frau
xx wurde vollståndig çber die Diagnose unterrichtet.
Es wurde eine symptomatische Therapie mit Krankengymnastik begon-
nen. Die Spastik ist derzeit nicht so ausgeprågt, dass ein Medikament nætig
wåre. Angesichts des sekundår progredienten Verlaufs und der relativ ge-
ringen Schubhåufigkeit besteht keine Indikation zur medikamentæsen
Schubprophylaxe. Eine regelmåûige Lebensfçhrung mit Vermeidung von
Extrembelastungen und Schlafentzug ist zu empfehlen.
Im Rahmen der Multiplen Sklerose besteht eine Blasenstærung mit impe-
rativem Harndrang und Restharnbildung. Frau xx hat in der Klinik die
Restharnmenge durch suprapubisches Beklopfen von 150 auf 70 ml redu-
zieren kænnen. Aktuell wurde ferner ein asymptomatischer Harnwegsinfekt
diagnostiziert und çber 4 Tage mit 2 ´ 1 Tbl. Bactrim forte pro Tag behan-
delt. Wir bitten, die Therapie fçr weitere 3 Tage fortzusetzen und den Urin-
befund im Verlauf zu beobachten. Es wurde eine Harnwegsinfektprophylaxe
mit Methionin (Acimethin 3 ´ 1) begonnen.
z Medikation bei Entlassung
z 2 ´ 1 Bactrim forte tgl.
z Krankengymnastik
Mit freundlichen Grçûen
Der Direktor der Klinik
i.V.
Priv.-Doz. Dr. S. Hammer Dr. P. Schwarz
Oberårztin Assistenzarzt

Literatur

Heckel RW (2002) Mit kollegialen Grçûen. Sprachdummheiten in der Medizin.


Steinkopff, Darmstadt
Niecke G, Abragam A, Beil C, Meier U, Reuther P, Sigel KO, Wendtlandt B, Wal-
lesch CW (2004) Arztbriefe neurologischer Kliniken in der Sicht niedergelasse-
ner Neurologen und Nervenårzte. Nervenarzt 75:558±563
Scheid W (1983) Lehrbuch der Neurologie, 5. Aufl. Thieme, Stuttgart
Semmler P (1999) Ende gut ± Epikrise gut. Deutsches Ørzteblatt 96:A-2885±2890
Sachverzeichnis

A Apraxie 126
±, bukkofaziale 126
Abasie 113 ±, ideatorische 126
Abduktionsreflex 165 ±, ideomotorische 126
Absence-Epilepsie 90 Argyll-Robertson-Pupille 22
Abstraktionsvermægen 130 Armhalteversuch 51
Achillessehnenreflex 80 Armpendeltest 75
Adduktorenreflex 79 arterielle Verschlusskrankheit 4, 155
Adduktorentendinose 135 Arteriitis temporalis 7
Adie-Snydrom 22, 152 Arthritis, rheumatoide 138
afferente Pupillenstærung 22 Arthrogryposis 136
Ageusie 43 Artikulationsstærung 111
Agnosie, visuelle 128 Astasie 89
Agrammatismus 124 Asterixis 89, 116, 180
Akathisie 119 Ataxie 113, 115, 170
Akinese 119 ±, spinale 115
Aktionstremor 115 Athetose 116
akustischer Blinzelreflex 178 Atropin 152
Alkohol 12 Aufmerksamkeit 121, 185
Allodynie 100 Aufsetzreaktion 159
Amnesie 122 Aufziehreaktion 162, 167
±, anterograde 122 Auge, trockenes 34
±, transiente globale 123 ±, wanderndes 179
amyotrophe Lateralsklerose 42, 156 Augenbewegung 24
Anaesthesia dolorosa 8, 104 Augenhintergrund 15
Analreflex 83, 150, 151 Auskultation 154, 155
Anamnese 1 Avellis-Syndrom 44
Anåsthesie 93 Axillarreflex 165
Anfall, fokaler 91
±, generalisierter 91
±, komplex fokaler 91 B
±, tonischer 90 Babinski-Nageotte-Syndrom 44
±, versiver 90 Babinski-Reflex 85, 86, 166
Anisokorie 23 Babinski-Reflexgruppe 84
Aortenbogensyndrom 154 Bahnung 77
Aphasie 123 Ballismus 116
±, globale 124 Barany-Zeigeversuch 112
±, transkortikale 124 Barr-Stellung 52
Aphonie 40 Bauchdeckenreflex 79
196 z Sachverzeichnis

Bauchhautreflex 83 D
Beinhalteversuch 51
Bell-Phånomen 32 Deafferenzierungsschmerz 7, 104
Benedikt-Syndrom 46 Defåkation 150
Beugespastik 179 Demenz 19, 129, 186
Bewegungsstærung, choreati- Dviation conjuge 24, 178
forme 116, 117 Diadochokinese 112
Bewusstlosigkeit 174 Diagnose ex juvantibus 11
Bielschowsky-Phånomen 26 Diplopie 25
Biot-Atmung 156, 175 Downbeat-Nystagmus 110
Bizepssehnenreflex 79 Drehschwindel 8
Blasenstærung 10, 150 Dreiwortsatz 173
Blepharospasmus 117 Dysarthrie 111
Blickbewegung, glatte 109 Dysarthrophonie 123
Blickeinstellsakkade 109 Dysåsthesie 102
Blickfolge, langsame 110 Dysdiadochokinese 112
Blickfolgebewegung 169 Dyskinesie 119
Blickparese, supranukleåre 27 Dysmetrie 111, 112, 115
Blickrichtungsnystagmus 9 Dysphonie, spasmodische 118
Blickzielbewegung 25 Dyspnoe, obstruktive 40
Blindgang 113 Dystonie 117
Blinkreflex 160 ±, oromandibulåre 117
±, visueller 169
Blinzelreflex, akustischer 178 E
±, visueller 178
Blutdruck 148, 154 Echolalie 173
Blutung, petechiale 175 EDSS s. Expanded Disability Status
BMRC-Score 52 Scale
Bradydiadochokinese 112 efferente Pupillenstærung 22
Bradykinese 119 Einbeinhçpfen 75
Bragard-Zeichen 106 Eineinhalb-Syndrom 27
Brissaud-Sicard-Syndrom 45 Empfindungsstærung, dissoziierte 29
Broca-Aphasie 124 Endokarditis, bakterielle 154
Brudzinski-Zeichen 105, 176 Endstellnystagmus 37
bulbokardialer Reflex 149 Enthemmungssymptom 1
Bulbokavernosusreflex 84, 150, 151 Enurese 175
Enzephalopathie, subkortikale arterio-
sklerotische 129
C Epikondylitis 135
Cestan-Chenais-Syndrom 44 Epilepsie, juvenile myoklonische 13
Chaddock 86 Ermçdbarkeit, abnorme,
Cheyne-Stokes-Atmung 156, 175 eines Armes 154
Chorea 116 Ewing-Index 147
Choreoathetose 117 Expanded Disability Status Scale
Chvostek-Zeichen 34, 89 (EDSS) 183
Claude-Syndrom 46 Exsikkose 144
Claudicatio intermittens 155 Extinktion 101, 128
± ± spinalis 134 Extremitåtenataxie 111
CMD s. Muskeldystrophie, kongenitale
Cover-Test 25
Sachverzeichnis z 197

F Gliedergçrtelsyndrom 48
Gliedmaûenapraxie 126
Facettensyndrom 135 Gordon 86
Fallneigung 113 Gowers-Manæver 171
Fallschirmreaktion 165 Gowers-Zeichen 170
Farbempfindungsstærung 23 Grand-mal-Anfall 90
Farbsehen 20 Graphåsthesie 101
Faszikulation 88, 180 Greifreflex 84, 87, 162, 165, 180
Fechterstellung 90 Grenet-Syndrom 45
Fibromyalgie-Syndrom 135 Guillain-Barr-Syndrom 148, 149, 156
Finger-Boden-Abstand 133
Fingerfeinmotorik 112
Finger-Finger-Versuch 112 H
Fingerflexorenreflex 79
Finger-Nase-Versuch (FNV) 111, 170 Habituationsverhalten 82
Fingerperimetrie 23 Halsflexor 54
Finger-Tapping 112 Haltetremor 111
Fistelsymptom 39 Haltung 161
flapping tremor 89, 116 Haltungsinstabilitåt 183
FNV s. Finger-Nase-Versuch Handgrifftest 149
Fætor 175 Hautantwort, sympathische 145
Foville-Syndrom 45 Hauttemperatur 149
Fremdanamnese 174 Head-Zone 103
Fremdreflex 82 Heiserkeit 40
Frenzel-Brille 15, 37 Hemianopsie, homonyme 20
Fundus 23 Hemiballismus 116
Fuûklonus 76 Hemichorea 116
Hemineglect 127
Hemiparese 7
G
Herdenzephalitis, embolische 154
Galant-Reflex 165 Hertwig-Magendie-Schielstellung 178
Gang 73 Heterophorie 25
Gangapraxie 115 Hinterstranglåsion 98
Gangataxie 132 Hirndruck 156, 181
Gangbild 132 Hirnleistungen, hæhere 121
Ganglion 138 Hirnstammsyndrome,
Gangprçfung 113 alternierende 43
Gånsehaut 144 Hoffmann-Tinel-Zeichen 108
Gasperini-Syndrom 45 Hohlfuû 48, 139
Gedåchtnis 121, 130 Horner-Syndrom 21, 25, 152
Gegenhalten 76 Hærstærung 37
geistige Entwicklung 172 Hærvermægen 35, 169
gekreuzter Streckreflex 165 Hustenreflex 178
Geruchsstoff 15, 19 Hypalgesie 100
Geschmack 42 Hypåsthesie 93, 96
Geschmacksstoff 16 Hyperakusis 33
Geschmacksstærung 34, 43 Hyperalgesie 100
Gesichtsschmerz, atypischer 31 Hyperåsthesie 96
geste antagonistique 117 Hyperkinesie 115
Glabellareflex 30, 84, 160 Hyperpathie 100
Gleichgewichtsstærung 38 Hyperreflexie 75
198 z Sachverzeichnis

Hyperthermie, zentrale 181 Koma 175


Hypoglossusparese 41 Komatiefe 179
Hypokinesie 115, 119 Kompartmentsyndrom 5, 49
Hypomimie 110 Kontaktlåcheln 172
Hypophonie 111 Kontraktur 76
Hyposmie 19 ±, muskulåre 136
Konvergenzreaktion 22, 23
I Koordination 109
Kopfextensor 54
Iliosakralgelenksyndrom 134 Kopfflexor 54
Impingement-Syndrom 136 Kornealreflex 30, 177
Inaktivitåtsatrophie 49 Kærperhaltung 132, 170
Inguinalreflex 165 Korsakow-Syndrom 123
Initialschrei 90 Koxarthrose 133
Innenohrschwerhærigkeit 35 Kraft, nachlassende 73
INO s. Ophthalmoplegie, internukleåre Kraftentfaltung, fluktuierende 73
Insertionstendopathie 135 Krampi 88
Inspektion 48 Kremasterreflex 83, 150, 151
Intentionstremor 111, 115 Kubitalreflex 165
Irradiation 82 Kulissenphånomen 39
Ischåmieschmerz 7 Kurzzeitgedåchtnis 122
Ishihara-Tafel 23
L
J
Lage-Empfinden 99
Jackson-Anfall 90
Lagerungsnystagmus 38
Jackson-Syndrom 44
Lagerungsprobe nach Ratschow 155
Jakob-Creutzfeld-Erkrankung 180
Lagerungsschwindel, benigner
Jendrassik-Handgriff 81
paroxysmaler 3
Jod-Stårke-Test 145
Lagophthalmus 32
Juckreiz 100
Lallsprache 173
Lambert-Eaton-Syndrom 5
K Landau-Reflex 163
Kakosmie 19 Langzeitgedåchtnis 122
Kallmann-Syndrom 19 Las gue-Zeichen 105, 106, 176
Kåltedrucktest 149 Lateralsklerose, amyotrophe 42, 156
Kalt-Warm-Diskrimination 100 Lateropulsion 114
Karpaltunnelsyndrom 6, 139 Leitungsaphasie 124
Karpopedalspasmus 89 Lhermitte-Zeichen 106
Kataplexie 5 Lichtreaktion 22, 169
Kaudasyndrom 151 Liquorunterdrucksyndrom 5
Kausalgie 100 Loge-de-Guyon-Syndrom 138
Kernig-Zeichen 105, 106 Lumbalgie 106, 134
KHV s. Knie-Hacke-Versuch Lyme-Polyneuritis 6
Kinn-Sternum-Abstand 105
Kipptisch 148 M
Knie-Hacke-Versuch (KHV) 114, 170
Knips-Reflex 86 M. abductor digiti V 64
Kognition 121 M. abductor pollicis brevis 61
Kokain 152 M. biceps brachii 588
Sachverzeichnis z 199

M. biceps femoris 66 Morbus Parkinson 4, 19, 116


M. deltoideus 58 Moro-Reflex 159
M. extensor carpi radialis 59 Morton-Metatarsalgie 136
M. extensor digitorum 60 motorische Entwicklung 172
M. extensor digitorum brevis 69 Moyamoya-Erkrankung 14
M. extensor hallucis longus 68 multiple Sklerose 6, 184
M. flexor carpi ulnaris 63 Multisystematrophie 147
M. flexor digitorum profundus 63 Muskelatrophie 49
M. flexor digitorum superficialis 62 Muskeldystrophie 137
M. flexor pollicis longus 62 ±, kongenitale (CMD) 137
M. gastrocnemius 66 ±, okulopharyngeale 13
M. gluteus maximus 65 Muskeleigenreflex 77, 179
M. opponens pollicis 61 Muskelhypertonie 161
M. serratus ant. 55 Muskelhypotonie 77, 162
M. sternocleidomastoideus 53 Muskelkonsistenz 48
M. supraspinatus 56 Muskelkontraktur 88
M. tibialis ant. 67 Muskelperkussion 50
M. tibialis post. 67 Muskelrelief, Inspektion 48
M. trapezius 53 Muskelschmerz, belastungs-
Magnetreaktion 87 induzierter 154
Makropsie 21 Muskeltonus 74, 161
Masseterreflex 30, 79 Muskeltonus 74
Mastdarmstærung 10 Myalgie 4
Mayer-Fingergrundreflex 83 Myasthenia gravis 4, 73, 137, 156
Megalographie 112 Myasthenie-Score 182
Melkersson-Rosenthal-Syndrom 34 Mydriasis 21, 151, 177
Meningeosis neoplastica 106 Myelose, funikulåre 13
Meningismus 105, 176 Myoklonie 51, 88, 180
Mennell-Manæver 134 Myorhythmie 88
Merkfåhigkeit 130, 185 myotone Reaktion 50
Migråne 7 Myotonie 6
Migråneåquivalent 105
Migråneattacke 6
N
Mikroasterixis 89
Mikrographie 112 N. accessorius 40
Mikropsie 21 N. facialis 31
Miktion 150, 173 N. glossopharyngeus 39
Millard-Gubler-Snydrom 43, 45 N. hypoglossus 41
Mingazzini-Stellung 52 N. olfactorius 15
Mini Mental Status Examination 131 N. trigeminus 28
Mini-Mental-Status-Test 184 N. vestibulocochlearis 35
Miosis 21, 25, 152, 177 Nackenextensor 54
Mittelhirnsyndrom 179 Nackengriff 133
Mm. glutei medius und minimus 65 Nackenreflex, tonischer 161, 163
Mm. interossei dorsales 63 Nackensteifigkeit 176
Mm. peronei 68 Nadelrad 16
Morbus Alzheimer 123 Neclect 127, 128
Morbus Behœet 14 Nervendehnungszeichen 105
Morbus Binswanger 129 neurodegenerative Erkrankung 85
Morbus Meni re 8, 38 Neuropathia vestibularis 8, 38
200 z Sachverzeichnis

Neuropathie, ischåmische 155 Pendelnystagmus 37


Ninhydrin-Test 145 Perkussion 155
Notalgia paraesthetica 100 Perseveration 127
Nozizeptorschmerz 102 Pes cavus 139
Nystagmus 15, 37 Phalen-Manæver 107
±, dissoziierter 27 Phalen-Test 139
±, optokinetischer 15, 167 Phantomschmerz 104
Phenylephrin 152
Piloarrektion 144
O
Pilocarpin 151
OCR s. okulozephaler Reflex Piriformis-Syndrom 136
ocular bobbing 179 Polyarthritis 138
ocular tilt 178 Polyneuropathie 98
Okulomotorik 25 Poplitealreflex 166
Okulomotoriusparese 26 Primitivreflex 82, 131, 158, 163, 180
okulozephaler Reflex (OCR) 177 Primitivschablone 82
Ophthalmoplegia externa 26 Pronation 51
Ophthalmoplegia interna 26 Propulsion 114
Ophthalmoplegie 13 Prosopagnosie 128
±, chronisch progressive externe 13 Provokationsnystagmus 37
±, internukleåre (INO) 27 Pseudobulbårparalyse 30
Ophthalmoskop 23 Pseudohyperatrophie 49
Opiat 177 Pseudomeningismus 105
Opiatintoxikation 21 pseudoradikulåres Schmerz-
Oppenheim 86 syndrom 134
Opsoklonie 110 Pseudotumor cerebri 5
Optikusatrophie 20, 23, 167 Ptose 13, 25, 26
Orbicularis-oculi-Reflex 30, 160 Pupillenreaktion 15, 176
Orientierung 121, 185 Pupillenstærung, afferente 22
Oszillopsie 10, 110 ±, efferente 22
Otoskop 16 Pupillomotorik 151
Pupillotonie 22
Puppenkopfphånomen 27
P
Pyramidenbahnzeichen 86, 180
Pallåsthesie 98
Palmomentalreflex 84, 180
R
Palpation 48, 107, 154
Panikattacke 9, 11 Radfahren in der Luft 114
Papillenatrophie 23 radikulåres Schmerzsyndrom 134
Papillenædem 167 Rauschgift 12
Paraphasie, phonematische 124 Raymond-Cestan-Syndrom 45
±, semantische 124 Raymond-Syndrom 45
Paraspastik 76 Rebound 112
Paråsthesie 102 Rechenleistung 130
Parasympathikus 142 Recoil 159
Parkinson-Syndrom 110, 112±114, Reflexdystrophie, sympathische 149
132, 144, 183 Reflexhammer 17
Parosmie 19 Reflexniveau 81
Patellarsehnenreflex 80 Reflexzone 81
Pektoralisreflex 79 Reinhold-Syndrom 44
Sachverzeichnis z 201

Reizsymptom 1 ±, ungerichteter 9
respiratorische Insuffizienz 156 second wind 4
Restharn 150 Seesaw-Nystagmus 110
Restless-legs-Syndrom 6 Sehschårfe 15, 22
Retrobulbårneuritis 7 Sehtafel 15
Retrokollis 117 Seiltånzergang 113
Rhabdomyolyse 4 Sensibilitåt 170
Riechstærung 19 Sensibilitåtsstærung, dissoziierte 93,
rigid spine 137 100
Rigor 76, 119 sensible Reizerscheinung 93, 105
Rinne-Versuch 35 Shy-Drager-Syndrom 147
Romberg-Stehversuch 113 signe des ciles 32
Rooting-Reflex 159 Simpson-Test 73
Rossolimo 80 Singultus 156
Rçckgratreflex, tonischer 165 Sinusitis 5
Rucknystagmus 24, 37 Sinusvenenthrombose 5
Ruhetremor 115 Sjægren-Syndrom 10
Rumpfataxie 114 skew deviation 178
Sklerose, multiple 184
small fiber neuropathy 146
S
Sneddon-Syndrom 13
Sakkade 24, 109 Sælder-Linien 29
Saugreflex 30, 159, 180 Somnolenz 175
Scapula alata 48, 132 Sonnenuntergangsphånomen 178
scarf sign 162 Sopor 175
Schådel-Hirn-Trauma 19 Spasmus 88
Schallleitungsschwerhærigkeit 35, 37 ± hemifacialis 34
Schellong-Test 147 Spastik 75, 132
Schenkelhalsfraktur 133 Speichelfluss 10
Scherengang 76, 170 Spiegelbewegung 74
Schmerz 102 Spiller-Dejerine-Syndrom 44
±, kolikartiger 3 Spinalkanalstenose, lumbale 4, 134,
±, neuralgiformer 104 155
±, neuropathischer 7, 103 Spitzfuûstellung 170
Deafferenzierungsschmerz 7 Spitz-Stumpf-Diskrimination 99
Ischåmieschmerz 7 Spondylolisthesis 135
Phantomschmerz 104 Spontannystagmus 110
Stumpfschmerz 104 ±, gelockerter 38
Schmerzreiz 178, 179 Spontansprache 124, 125
Schmerzsyndrom, pseudoradikulå- Sprache, bulbåre 111
res 134 ±, nåselnde 111
±, radikulåres 134 ±, pseudobulbåre 111
Schmerzwahrnehmung 99 ±, skandierende 111
Schnauzreflex 30, 180 Sprachproduktion 124
Schober-Index 133 Sprachstærung 123
Schreibkrampf 118 Sprachverståndnis 124, 125
Schreitreflex 160 Sprechstærung 111
Schulterschçtteln 113 Sprungbereitschaft 165
Schçrzengriff 133 Stauungspapille 23
Schwindel 37 Steal-Effekt 154
202 z Sachverzeichnis

Steigreaktion 159 Tourette-Syndrom 119


Stellreflex 114 Traktionsversuch 162, 168
Stenosegeråusch 154 Tremor 115
Stereognosie 102 ±, essenzieller 6
Storchenbein 48 Trendelenburg-Hinken 48
Stærung, visuospatiale 127 Trendelenburg-Zeichen 133
Strabismus 24 Trigeminusneuralgie 3, 31
Streckreflex, gekreuzter 165 Trigeminusneuropathie 31
Streckspastik 179 Trigeminusreizstoff 19
Strichgang 113 Triggerpunkt 108
Strçmpell-Phånomen 86 Trizepssehnenreflex 79
Stumpfschmerz 104 Trochlearisparese 26
Suchreflex, oraler 159 Træmner 79
Sudeck-Syndrom 149 trophische Stærung 145
Suidzidgedanken 2 Trotzphase 173
Supraspinatussehne 138 Tullio-Phånomen 39
Supraspinatus-Syndrom 135
Sympathikus 142
U
sympathische Reflexdystrophie 149
Symptome, bizarre 11 Ûbelkeit 37, 38
Synåsthesie 102 Uhthoff-Zeichen 6
Syndrom, metabolisches 12 umgekehrtes Las gue-Zeichen 106
Synkinesie 74 Unterberger-Tretversuch 114
Synkope 3 Upbeat-Nystagmus 110

T V
Takayasu-Arteriitis 154 Valleix-Druckpunkt 107
Tapia-Syndrom 44 Valsalva-Manæver 84, 107, 148
Taschenmesserphånomen 76 ±, Blutdruck 148
Teleopsie 21 ±, Herzfrequenz 148
Temperaturempfindung 16 VAS s. visuelle Analog-Skala
Temporallappenepilepsie 9 Verschlusskrankheit, arterielle 155
Tender-Points 108 Vestibularisausfall 38
Tennisellenbogen 135 Vestibularisparoxysmie 9
Tetanie 34, 89 vestibulookulårer Reflex (VOR) 24,
Tetanus 89 110, 177
Thermåsthesie 100 Vibrationsempfinden 16, 98
Thomas-Handgriff 133 Vigilanz 175
Tibialis-posterior-Reflex 80 visuelle Analogskala (VAS) 2
Tic 119 visueller Blinzelreflex 178
± douloureux 7 visuokonstruktive Fåhigkeiten 130
±, vokaler 119 visuospatiale Stærung 127
Tietze-Syndrom 136 Visus 22
Tinel-Zeichen 139 Vitalfunktion 174
Tinnitus 37, 38 Vitalkapazitåt 73, 156
±, pulsatiler 37 Vokalisation 118
±, pulssynchroner 3 von-Frey-Reizhaare 16, 96
tonischer Rçckgratreflex 165 VOR s. vestibulookulårer Reflex
Tortikollis 117
Sachverzeichnis z 203

W Z
Wachheit 175 Zahnradphånomen 76
Wallenberg-Syndrom 8, 44 zerebraler Anfall 3
warm up 4 Zilienzeichen 51
Wartenberg 87 ziliospinaler Reflex 181
Weber-Syndrom 46 Zungenbiss 90, 175
Weber-Tastzirkel 17 Zungenmotilitåt 111
Weber-Versuch 35 Zweipunktdiskrimination 101
Wernicke-Aphasie 124 Zwerchfellbewegung, paradoxe 155
Wernicke-Enzephalopathie 38 Zyanose 175
Wernicke-Mann-Gang 76
Wçrgreflex 39, 178

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