Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Alles
Nervensache?
Wie unser Nervensystem funktioniert – oder auch nicht
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Oliver Schöffski
Roland Depner
Alles Nervensache?
This page intentionally left blank
Roland Depner
Alles Nervensache?
Wie unser Nervensystem funktioniert – oder auch nicht
Besonderer Hinweis:
Die Medizin unterliegt einem fortwährenden Entwicklungsprozess, sodass alle Angaben, insbe-
sondere zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren, immer nur dem Wissensstand zum
Zeitpunkt der Drucklegung des Buches entsprechen können. Hinsichtlich der angegebenen Emp-
fehlungen zur Therapie und der Auswahl sowie Dosierung von Medikamenten wurde die größt-
mögliche Sorgfalt beachtet. Gleichwohl werden die Benutzer aufgefordert, die Beipackzettel und
Fachinformationen der Hersteller zur Kontrolle heranzuziehen und im Zweifelsfall einen Spezia-
listen zu konsultieren. Fragliche Unstimmigkeiten sollten bitte im allgemeinen Interesse dem
Verlag mitgeteilt werden. Der Benutzer selbst bleibt verantwortlich für jede diagnostische oder
therapeutische Applikation, Medikation und Dosierung.
In diesem Buch sind eingetragene Warenzeichen (geschützte Warennamen) nicht besonders
kenntlich gemacht. Es kann also aus dem Fehlen eines entsprechenden Hinweises nicht geschlos-
sen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.
Das Werk mit allen seinen Teilen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der
Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlages unzu-
lässig und strafbar. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmi-
gung des Verlages reproduziert werden.
ISBN 978-3-7945-2887-5
V
Geleitwort
Nürnberg, im Januar 2012 Prof. Dr. rer. pol. Oliver Schöffski, MPH
Leiter des Lehrstuhls für Gesundheitsmanagement
der Universität Erlangen-Nürnberg
VI
Vorwort
Ohne Nerven hätten wir kein Bewusstsein, könnten weder denken, fühlen, wahr-
nehmen noch agieren oder reagieren. Wie sehr wir auf unser Nervensystem an-
gewiesen sind, wird häufig erst dann in vollem Umfang realisiert, wenn es nicht
mehr richtig funktioniert. Doch wie gut kennen Sie sich aus mit dem Aufbau und
der Funktionsweise des Nervensystems sowie seinen Erkrankungen und Störun-
gen? Ich lade Sie herzlich ein zu einer literarischen Reise durch das bedeutsame
wie spannende Gebiet der neurologischen und psychiatrischen Krankheitsbilder.
Jeder kann mitkommen, denn es sind keine besonderen Vorkenntnisse notwen-
dig. Ziel dieser Unternehmung ist es, einen Überblick über die zur Nervenheil-
kunde gehörenden Krankheiten zu geben, um das diesbezügliche Bewusstsein,
Verständnis und Wissen zu schärfen bzw. zu vermehren.
Wie eine Nervenzelle, die über zahlreiche Verbindungen mit anderen Neuro-
nen verfügt, habe ich von vielen Seiten Unterstützung für dieses Werk erhalten:
Nach seinem, gewissermaßen in Nervenleitgeschwindigkeit erfolgten Entschluss,
mein Manuskript zu verlegen, stand mir der Schattauer-Verlag mit Rat und Tat
zur Seite und gewährleistete die inhaltlich und optisch attraktive Umsetzung des
Projektes. Eine Reihe von Abbildungen, auf denen vor allem anatomische Lage-
beziehungen dargestellt sind, durften anderen Büchern des Verlages entnommen
werden. Dank der freundlichen Genehmigung von Herrn PD Dr. Wolfgang
Krings, Chefarzt der Radiologischen Klinik am St. Vincenz Krankenhaus Pader-
born, können in diesem Werk einige aufschlussreiche Computer- und Kernspin-
tomografiebilder gezeigt werden. Entsprechendes gilt für Herrn PD Dr. Thomas
Postert, Chefarzt der Neurologischen Klinik im selben Haus, bezüglich des wie-
dergegebenen Ultraschallbildes und einer Elektroenzephalografie-Kurve. Ohne
das Einverständnis der Patienten, die in diesem Buch abgebildet sind, wäre es
auch um manche anschauliche Fotografie ärmer gewesen. Daher danke ich allen
genannten und allen nicht ausdrücklich erwähnten Personen ganz herzlich für
ihren Beitrag zum Gelingen dieses Buches.
Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
A Grundlagen 3
1 Aufbau und Funktionsweise des Nervensystems . . . . . . . . . . . . . . 5
1.1 Nervenzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.2 Gliederung des Nervensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Zentrales Nervensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Peripheres Nervensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
2 Apparative Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.1 Computertomografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.2 Kernspintomografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.3 Ultraschalluntersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
2.4 Elektroenzephalografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
2.5 Evozierte Potenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
2.6 Elektroneurografie und Elektromyografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
2.7 Polysomnografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
B Neurologische Krankheitsbilder 25
3 Schlaganfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
3.1 Hirninfarkt (ischämischer Schlaganfall) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
Symptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
Infarktkern und Penumbra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Erste diagnostische Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Stroke Unit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Thrombolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Dekompressive Hemikraniektomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
Ursachenabklärung und weitere Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
Vorbeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
3.2 Hirnblutung (hämorrhagischer Schlaganfall) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
Intrazerebrale Blutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
Subarachnoidalblutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
3.3 Hirnvenen- und Sinusthrombose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
4 Verletzungen des zentralen Nervensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
4.1 Schädel-Hirn-Trauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
4.2 Wirbelsäulen- und Rückenmarksverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
VIII Inhalt
12 Schwindel-Syndrome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
12.1 Neuropathia vestibularis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
12.2 Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
12.3 Menièresche Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
13 Parkinson-Syndrome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
13.1 Idiopathisches Parkinson-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
13.2 Atypische Parkinson-Syndrome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
13.3 Symptomatische Parkinson-Syndrome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
14 Weitere Bewegungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
14.1 Tremor (Zittern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
14.2 Dystonien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
14.3 Chorea Huntington (erblicher Veitstanz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
14.4 Wilson-Krankheit (hepatolentikuläre Degeneration) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
14.5 Ticstörungen und Tourette-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
14.6 Hemifazialer Spasmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
14.7 Restless-Legs-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
15 Demenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
15.1 Alzheimerkrankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
15.2 Gefäßbedingte Demenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
15.3 Weitere neurodegenerative Gehirnerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
15.4 Normaldruckhydrozephalus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
15.5 Creutzfeldt-Jakob-Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
15.6 Demenzen durch Vergiftungen und Stoffwechselstörungen . . . . . . . . . . . . . 121
16 Delir (akuter Verwirrtheitszustand) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
17 Erkrankungen des peripheren Nervensystems . . . . . . . . . . . . . . . . 123
17.1 Schädigung von Nervenwurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Bandscheibenvorfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Gürtelrose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
17.2 Schädigung von Nervengeflechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
17.3 Schädigung einzelner Nerven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
17.4 Polyneuropathien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
17.5 Guillain-Barré-Syndrom (akute Polyneuritis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
18 Komplexes regionales Schmerz-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
19 Amyotrophe Lateralsklerose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
20 Störungen der neuromuskulären Erregungsübertragung . . . . . 138
20.1 Myasthenia gravis (Myasthenie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
20.2 Lambert-Eaton-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
20.3 Botulismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
21 Tetanus (Wundstarrkrampf) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
X Inhalt
22 Muskelerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
22.1 Muskeldystrophien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
22.2 Myotone Dystrophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
22.3 Metabolische Myopathien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
22.4 Myotonien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
22.5 Dyskaliämische periodische Lähmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
22.6 Muskelentzündungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Anhang 177
Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
Ökonomische Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
1
Einleitung
A Grundlagen
This page intentionally left blank
5
Das Nervensystem des Menschen besteht aus einer unvorstellbar großen Anzahl
von Nervenzellen (schätzungsweise 100 Mrd. bis zu 1 Billion), die gemeinsam
vielfältige Steuerungs- und Kommunikationsfunktionen erfüllen. Dazu gehört
insbesondere die Aufgabe, Informationen aus der Umwelt aufzunehmen, diese
zu verarbeiten und adäquate Reaktionen zu veranlassen.
1.1 Nervenzellen
Eine Nervenzelle (Neuron) ist eine Zelle, die sich auf die Aufnahme, Verarbei-
tung und Weiterleitung von Reizen spezialisiert hat. Typische Nervenzellen
(Abb. 1-1) bestehen aus mehreren Dendriten, einem Zellkörper und einem
Axon. Über fein verzweigte Fortsätze, die Dendriten (grch. dendron = Baum),
erhält eine Nervenzelle von bis zu 200.000 anderen Nervenzellen Informations-
zuflüsse. Der Zellkörper ist die lebenswichtige Zentrale einer Nervenzelle und
dient der Informationsverarbeitung. Über das Axon (grch. axon = Achse) leitet
die Nervenzelle Impulse an andere Nervenzellen bzw. diverse Erfolgsorgane wei-
ter. Dieser Nervenzellfortsatz ist weniger stark verzweigt und kann je nach Zell-
typ bis über einen Meter lang sein.
Markscheide
Schnürring
Zellkörper
Axon
Dendrit
Synapse
Zentrales Nervensystem
Gehirn und Rückenmark sind zu ihrem Schutz vom Schädelknochen bzw. von
der Wirbelsäule umgeben. Innerhalb dieser knöchernen Hüllen ist das zentrale
Nervensystem in die Hirn- bzw. Rückenmarkshäute (Meningen, grch. me-
ninx = Hirnhaut) eingehüllt und von Nervenwasser umspült, welches eine Pols-
terwirkung gegenüber Stößen und Erschütterungen hat.
Das Nervenwasser (Liquor cerebrospinalis, lat. liquor = Flüssigkeit) wird im
Gehirn gebildet und zirkuliert ausgehend von den Hirnventrikeln – einem Sys-
tem aus Flüssigkeitskammern im Inneren des Gehirns – an die Gehirnoberfläche,
wo es über spezielle Strukturen wieder resorbiert wird (lat. resorbere = aufsau-
gen). Die Abbildung 1-3 zeigt ein anatomisches Gehirnpräparat, bei dem obere
Abschnitte des Gehirns entfernt wurden, so dass man einen Einblick in die beiden
symmetrisch angelegten Seitenventrikel erhält. Zu dem Hohlraumsystem gehö-
ren außerdem noch der dritte und vierte Ventrikel, die darunter liegen und nicht
mit abgebildet sind. In jeder der vier Flüssigkeitskammern befindet sich ein zot-
tenreiches Adergeflecht (Plexus choroideus), welches täglich insgesamt ca. 500–
600 Milliliter Nervenwasser produziert, so dass die vorhandene Liquormenge von
rund 150–170 Millilitern etwa drei- bis viermal pro Tag ausgetauscht wird.
Neben den Nervenzellen gibt es im Gehirn auch Stütz- und Hüllzellen
(Gliazellen, grch. glia = Leim), die der Ernährung, dem Stoffaustausch und der
8 A Grundlagen
Schädelknochen
Gehirn
Hirnnerven
Armnervengeflecht
7
1
Radialis-Nerv
Medianus-Nerv
Wirbelsäule
Ulnaris-Nerv
Rückenmark
12
1
Cauda equina
(Pferdeschweif) Femoralis-Nerv
Tibialis-Nerv
Ischias-Nerv
Peroneus-Nerv
Beinnervengeflecht
Abb. 1-2: Übersicht über das zentrale (gelb) und periphere (rot) Nervensystem
1 Aufbau und Funktionsweise des Nervensystems 9
Bildung der Markscheiden dienen. Zwischen dem Blutkreislauf und dem zentra-
len Nervensystem existiert eine Barriere, die Blut-Hirn-Schranke, welche das
Gehirn gegen zirkulierende Krankheitserreger, Gifte und Botenstoffe abschottet.
Anteile des zentralen Nervensystems, die vorwiegend aus den Zellkörpern
der Nervenzellen bestehen, werden (entsprechend ihrem Färbeverhalten im For-
malin-fixierten Präparat) als graue Substanz bezeichnet. Hiervon leitet sich
auch der umgangssprachliche Begriff „graue Zellen“ für Nervenzellen des Ge-
hirns ab. Die Gesamtheit der Nervenzellfortsätze (insbesondere Axone) ergibt
die weiße Substanz, wobei das Weiß durch die fetthaltigen Markscheiden der
Axone entsteht. Beim Gehirn liegt die graue Substanz überwiegend außen und
umhüllt als Rinde die innen befindliche weiße Substanz (Abb. 1-3). Darüber hi-
naus befinden sich auch in der Tiefe der weißen Substanz Ansammlungen von
Stirnlappen des
Großhirns
Seitenventrikel
Adergeflecht
(Plexus choroideus)
weiße Substanz
(Marklager)
graue Substanz
(Hirnrinde)
Hinterhauptslappen
des Großhirns
Abb. 1-3: Seitenventrikel des Gehirns (anatomisches Präparat, Einblick von oben) (aus: Rohen
JW, Yokochi C, Lütjen-Drecoll E. Anatomie des Menschen. Fotografischer Atlas der systemati-
schen und topografischen Anatomie. 7. Aufl. Stuttgart: Schattauer 2011)
10 A Grundlagen
uuDas Großhirn ist der größte und entwicklungsgeschichtlich jüngste Teil des
Gehirns. Das aus zwei miteinander verbundenen Hälften (Hemisphären, grch.
hemi = halb + sfaira = Kugel) bestehende Großhirn erhält durch zahlreiche
Hirnwindungen mit dazwischen liegenden Furchen eine walnussartig geformte
Oberfläche. Das Großhirn wird in verschiedene Lappen untergliedert, und zwar
in Stirn-, Scheitel-, Schläfen- und Hinterhauptslappen. In ihnen sind höhere
Funktionen repräsentiert, wie z. B. Bewusstsein, Denken, Gedächtnis, Emotio-
nen, Antrieb, Verarbeitung von Sinneseindrücken und Initiierung von Willkür-
bewegungen. In der Tiefe der Großhirnhemisphären liegen die Stammganglien,
die in verschiedene neuronale Regelkreise eingebunden und insbesondere an der
Steuerung von Bewegungen beteiligt sind. Diese symmetrisch gruppierten An-
Stammganglien*
Scheitellappen* Stirnlappen*
Hinterhauptslappen*
Schläfenlappen*
*des Großhirns
Zwischenhirn Nerven-
wasser
Kleinhirn harte
Hirnhaut
Schädelknochen
Substantia nigra Hirnstamm
uuDas Kleinhirn hat nur etwa ein Achtel der Größe des Großhirns und liegt
unter dessen Hinterhauptslappen. Wesentliche Aufgabe des Kleinhirns ist die
Koordination und Feinabstimmung von Bewegungen. Bei einer Funktionsstö-
rung dieses Hirnteils können Bewegungen über das Ziel hinausgehen oder zu
kurz geraten.
uuDas Rückenmark ist der Teil des zentralen Nervensystems, der innerhalb des
von der Wirbelsäule gebildeten Kanals (Spinalkanal, lat. spina = Rückgrat, Dorn)
verläuft. Es beinhaltet neben Nervenzellkörpern zahlreiche auf- und absteigende
Nervenbahnen. Die Wirbelsäule besteht aus sieben Hals-, zwölf Brust- und
fünf Lendenwirbelkörpern sowie dem Kreuz- und Steißbein. Weil die Wirbel-
säule ein stärkeres Längenwachstum als das Rückenmark aufweist, endet das Rü-
ckenmark bei erwachsenen Menschen bereits auf Höhe des ersten bis zweiten
Lendenwirbelkörpers.
12 A Grundlagen
Peripheres Nervensystem
Der als peripheres Nervensystem von Gehirn und Rückenmark abgegrenzte Be-
standteil des Nervensystems stellt die Verbindung zu Sinnesorganen, inneren
Organen, Muskeln und Hautbezirken her. Aus dem Gehirn entspringen zwölf,
entsprechend ihrer Lage durchnummerierte Hirnnervenpaare, die durch diverse
Löcher in der Schädelbasis nach außen ziehen:
uuBei den ersten beiden Hirnnervenpaaren, den Riech- und Sehnerven, han-
delt es sich eigentlich nicht um periphere Nerven, sondern um Leitungsbahnen
des Gehirns.
uuDie Hirnnerven mit den Nummern drei, vier und sechs dienen der Steue-
rung von Augenmuskeln.
uuNach seinem Verlauf durch einen engen knöchernen Kanal in der Schädelba-
sis versorgt der siebente Hirnnerv, der Fazialis- bzw. Gesichtsnerv, die gesamte
Gesichtsmuskulatur und den überwiegenden Teil der Geschmackswahrneh-
mung.
uuDer achte Hirnnerv, der Gleichgewichts- und Hörnerv, besteht aus zwei An-
teilen, welche dem Gehirn Informationen aus dem Gleichgewichts- bzw. Höror-
gan des Innenohrs zukommen lassen.
uuDie Hirnnerven neun, elf und zwölf versorgen u. a. die Zungen- und Schlund-
muskulatur sowie große Nacken- und Kopfdrehermuskeln.
uuDer zehnte Hirnnerv, der Vagus-Nerv, ist ein wesentlicher Bestandteil des
vegetativen Nervensystems. Im Unterschied zu den anderen Hirnnerven steigt
der „vagabundierende“ Nerv mit seinen Ästen weit in den Brust- und Bauch-
raum hinab, um die dort gelegenen Organe zu steuern.
löchern. Diese dichte Ansammlung von Nervenwurzeln wird als Cauda equina
(Pferdeschweif) bezeichnet. Im Bereich der Gliedmaßen bilden die austretenden
Nervenwurzeln zunächst noch Arm- und Beinnervengeflechte (Plexus), in de-
nen Nervenfasern ausgetauscht und durchmischt werden, bevor sich schließlich
die einzelnen Arm- bzw. Beinnerven herausbilden.
Wichtige Armnerven sind der im Bereich der Elle verlaufende Ulnaris-Nerv,
der speichenseitig liegende Radialis-Nerv und der zwischen diesen beiden Ner-
ven gelegene Medianus-Nerv. Der größte Beinnerv, der Ischiasnerv, verläuft
rückseitig am Oberschenkel und teilt sich im Bereich der Kniekehle in den Pero-
neus- und den Tibialis-Nerv auf, die beide weiter bis zum Fuß hinabziehen.
Stärkster Nerv auf der Oberschenkelvorderseite ist der Femoralis-Nerv.
14 A Grundlagen
2 Apparative Untersuchungen
2.1 Computertomografie
Die Computertomografie (CT, grch. tomus = Stück, Schnitte + graphein = schrei-
ben) ist ein Schnittbildverfahren, bei dem ein System aus Röntgenröhre und
Detektoren um den liegenden Patienten rotiert (Abb. 2-1). Die Röntgenröhre
erzeugt einen schmalen fächerförmigen Röntgenstrahl, der vom Körpergewebe
unterschiedlich stark abgeschwächt wird und anschließend auf das gegenüber-
liegende Bildaufnahmesystem, den Detektorenkranz trifft. Aus der Vielzahl von
Röntgenabbildungen, die aus unterschiedlichen Projektionsrichtungen auf
genommenen werden, lassen sich computergestützt überlagerungsfreie Bilder
einzelner Körperschichten berechnen. Vorteilhaft sind die meist rasche Verfüg-
barkeit und kurze Untersuchungszeiten. Nachteile entstehen durch die Strahlen-
belastung des Patienten und, bei der Untersuchung des Schädels, durch die
eingeschränkte Bildauflösung insbesondere in der hinteren Schädelgrube (Hirn-
stamm und Kleinhirn).
Die computertomografischen Schnittbilder geben die jeweilige Abschwä-
chung der Röntgenstrahlen als unterschiedliche Graustufen wider (Abb. 2-2).
Luft, welche die Strahlung nahezu ungehindert durchlässt, erscheint im Bild
schwarz. Strukturen mit hoher Dichte (z. B. Knochen oder metallische Fremd-
körper), an denen die Strahlung durch Absorption (lat. absorbere = aufsaugen)
bzw. Streuung stark abgeschwächt wird, werden weiß dargestellt. Gewebe von
inneren Organen, Wasser und Blut haben mittlere Schwächungswerte, denen
entsprechende Grautöne zugeordnet sind. Zur Darstellung von Weichteilgewe-
ben bzw. des Gehirns wird nur ein relativ eng begrenzter Grauwertebereich her-
ausgegriffen (sog. Fensterung), um den Bildkontrast anzuheben. In einem derar-
tigen „Gehirnfenster“ sehen Wasser und Fettgewebe dann dunkel aus, während
beispielsweise Verkalkungen und frische Einblutungen als helle Bezirke hervor-
treten.
2 Apparative Untersuchungen 15
Schädelknochen
Großhirn
Seitenventrikel
dritter Ventrikel
Verkalkung
am Plexus choroideus
Kleinhirn
Unterhautfettgewebe
Abb. 2-2: Computertomografie des Schädels. Von unten betrachteter Querschnitt. Altersent-
sprechender Befund bei einem 78-jährigen Patienten.
2.2 Kernspintomografie
Bei der Kernspintomografie – synonym auch als Magnetresonanztomografie
(MRT) bezeichnet – handelt es sich ebenfalls um ein Schnittbildverfahren, das
jedoch im Unterschied zur Computertomografie keine Röntgenstrahlung ver-
wendet. Vielmehr beruht dieses technisch komplexe Verfahren auf dem Prinzip
der Magnetresonanz von Kernspins.
Bestimmte Atomkerne wie z. B. Wasserstoffkerne besitzen nämlich einen als
Kernspin (engl. spin = schnelle Drehung, Drall) bezeichneten Eigendrehimpuls;
d. h. sie haben die Eigenschaft, sich wie die Erde um ihre eigene Achse zu drehen.
Dadurch erzeugen sie ein magnetisches Feld, gleich dem eines winzigen Stabma-
gneten. Unter dem Einfluss eines starken, von außen angelegten Magnetfelds
werden die zuvor ungeordneten Spins etwa je zur Hälfte parallel bzw. antiparallel
(also gewissermaßen aufrecht bzw. auf dem Kopf stehend) zu den Feldlinien aus-
gerichtet, um deren Achse sie dann zusätzlich eine kreiselförmige Bewegung
vollführen. Der Anteil der parallel orientierten Spins überwiegt dabei etwas und
nimmt, wie auch die Drehzahl der Spins, mit steigender Magnetfeldstärke zu.
Wenn nun zusätzlich für kurze Zeit ein rotierendes Magnetfeld (Hochfrequenz-
impuls) einwirkt, und zwar senkrecht zum statischen Hauptmagnetfeld und mit
derselben Frequenz wie die Kreiselbewegung der Kernspins, wird Energie vom
Magnetfeld auf die Kernspins übertragen (Magnetresonanz). Dieser als Anre-
gung von Spins bezeichnete Vorgang führt zu einer à Phasensynchronisation
der Kreiselbewegungen und bewirkt, dass die „überschüssigen“ parallel ausge-
richteten Spins in die antiparallele Orientierung übergehen. Nach dem Abschal-
ten des Hochfrequenzimpulses fallen diese angeregten Spins wieder in den par-
allelen Zustand zurück und die Kreiselbewegungen desynchronisieren wieder.
Die dabei auftretenden Änderungen der Magnetisierung in Längs- bzw. Quer-
richtung werden erfasst und aufgezeichnet. Die Zeitdauer, welche diese Relaxa-
tionsvorgänge (lat. relaxare = lockern, lösen) jeweils in Anspruch nehmen,
hängt vom umgebenden Milieu (z. B. Art und Wassergehalt des Gewebes) ab.
Folglich lassen sich verschiedene Körpergewebe durch die zugehörigen Relaxati-
onszeiten charakterisieren und voneinander unterscheiden. Indem durch Varia-
tion des statischen Magnetfeldes eine Ortskodierung erreicht wird, können
schließlich aus den empfangenen Signalen Schnittbilder berechnet werden. Je
nach Art und Abfolge der einwirkenden Hochfrequenzimpulse (Pulssequenzen)
lassen sich dabei unterschiedlich gewichtete Bilder erzeugen.
Bei der Darstellung von Weichteilgeweben, wie z. B. Gehirn und Rücken-
mark, ist das Verfahren der Computertomografie bezüglich Auflösung und Kon-
trast überlegen. Lediglich Gewebe mit geringem Gehalt an Wasser (und folglich
auch Wasserstoffkernen), wie beispielsweise Knochen lässt sich kernspintomo-
grafisch schlechter darstellen. Kontrastmittelverstärkte Untersuchungen sind
18 A Grundlagen
ähnlich wie bei der Computertomografie durchführbar, wobei jedoch ein spezi-
elles, Gadolinium-haltiges Kontrastmittel zu verwenden ist. Für den Einsatz in
Notfallsituationen ist die Kernspintomografie vielfach (noch) nicht ausreichend
schnell verfügbar. Außerdem sind die Untersuchungszeiten hier etwas länger als
bei der Computertomografie, so dass das Verfahren bei bewegungsunruhigen
Patienten größere Schwierigkeiten bereitet. Aus Sicherheitsgründen werden
Personen, bei denen sich Metallsplitter oder andere nicht fest verankerte magne-
tische Partikel im Gehirn bzw. Rückenmark befinden, sowie Träger eines her-
kömmlichen Herzschrittmachers grundsätzlich von der Untersuchung ausge
schlossen.
2.3 Ultraschalluntersuchung
Als Ultraschall (lat. ultra = darüber hinaus, jenseits) bezeichnet man Schallwel-
len mit Frequenzen, die oberhalb des menschlichen Hörbereichs liegen. Fleder-
mäuse und Delfine benutzen beispielsweise Ultraschallwellen zur Echoortung,
indem sie aus der Laufzeit von ausgesendeten und wieder reflektierten Wellen
auf die Entfernung von Objekten in ihrer Umgebung schließen. Die Anwendung
von Ultraschall zur Bildgebung in der Medizin wird auch Echografie (grch.
echo = Schall, Widerhall + graphein = schreiben) oder Sonografie (lat. so-
nus = Schall, Klang) genannt.
Bei der Schnittbild-Sonografie werden von einer Sonde Ultraschallwellen
ausgesendet, die im Gewebe unterschiedlich stark gestreut bzw. an dessen Grenz-
flächen mehr oder weniger stark reflektiert werden. Die Detektion (lat. detege-
re = aufdecken, enthüllen) der reflektierten Wellen erfolgt ebenfalls durch die
Ultraschallsonde, wobei in raschem Wechsel zwischen Senden und Empfangen
hin- und hergeschaltet wird. Während sich die Tiefe der reflektierenden Gewe-
bestrukturen aus den jeweiligen Laufzeiten der zurückgeworfenen Ultraschall-
wellen rekonstruieren lässt, wird die Stärke der Reflexionen bildlich in Form
unterschiedlicher Grauwerte dargestellt.
Zur Messung von Blutflussgeschwindigkeiten wird die Doppler-Sonografie
eingesetzt. Diese beruht auf dem 1842 vom österreichischen Physiker und Ma-
thematiker Christian Doppler entdeckten Doppler-Effekt, der beobachtet wird,
wenn sich Sender und Empfänger einer Welle relativ zueinander bewegen. Im
alltäglichen Leben begegnet uns beispielsweise ein derartiges Phänomen, wenn
ein Krankenwagen mit eingeschaltetem Martinshorn (als eine bewegte Schall-
quelle) an uns vorbeifährt: Wenn sich der Wagen auf den Beobachter zu bewegt,
nehmen wir den Ton höher wahr, weil die Schallwellen zusammengedrückt wer-
den. Beim Wegfahren werden die Wellen hingegen ausgedünnt, so dass wir ei-
2 Apparative Untersuchungen 19
nen tieferen Ton hören. Entsprechend lassen sich bei der dopplersonografischen
Untersuchung von Blutgefäßen aus der Frequenzverschiebung des Signals die
Strömungsrichtung und -geschwindigkeit des Blutes ableiten.
Unter Duplex-Sonografie wird die Kombination von Schnittbild- und
Doppler-Sonografie verstanden. Bei der sogenannten farbkodierten Duplex-So-
nografie wird die Blutströmung im Schnittbild farbig dargestellt, wobei die bei-
den verschiedenen Flussrichtungen in Rot bzw. Blau und die Strömungsge-
schwindigkeiten als unterschiedliche Helligkeitswerte kodiert werden (vgl.
Kap. 3, Abb. 3-3).
2.4 Elektroenzephalografie
Die Elektroenzephalografie (grch. encephalon = Gehirn + graphein = schrei-
ben), abgekürzt EEG, misst die elektrische Aktivität des Gehirns, die an der
Kopfhaut als schwache Spannungsschwankungen abgeleitet werden kann. Dazu
werden entsprechend einem international üblichen Schema Ableitelektroden auf
dem Kopf platziert (Abb. 2-3). Das EEG-Gerät verstärkt die schwachen Span-
nungssignale dann hochgradig, um sie schließlich als Kurven auf Papier oder in
elektronischer Form auszugeben. Im Unterschied zu den bildgebenden Verfah-
ren spiegelt das Elektroenzephalogramm den momentanen Funktionszustand
des Gehirns wider. Besondere Bedeutung hat das EEG daher bei der Untersu-
chung von epileptischen Anfallserkrankungen und in der Hirntoddiagnostik.
Bei der Befundung elektroenzephalografischer Kurven werden neben dem
Grundrhythmus etwaig vorhandene Herdbefunde oder epilepsietypische Poten-
ziale bzw. auch andere besondere Muster beschrieben: Der Grundrhythmus
kennzeichnet die Frequenz der rhythmischen Spannungsschwankungen, welche
durch Gehirnaktivität im entspannten Wachzustand bei geschlossenen Augen
hervorgerufen werden. Während ein vermehrter Aktivierungsgrad (z. B. durch
geistige Konzentration oder Augenöffnen) den Rhythmus beschleunigt, wird er
beim Übergang zum Schlaf und vor allem in tieferen Schlafstadien langsamer.
Beim wachen Patienten hingegen zeigen generalisierte Verlangsamungen des
Grundrhythmus (sog. Allgemeinveränderung) eine diffuse Funktionsstörung
des Gehirns an. Ein Herdbefund liegt vor, wenn verlangsamte Wellen als Hin-
weis auf eine umschriebene Funktionsstörung regional begrenzt, z. B. nur auf
einer Seite vorhanden sind. Epilepsietypische Potenziale, wie scharfe Wellen
oder Spitzen, deuten auf eine erhöhte Erregbarkeit bzw. Anfallsbereitschaft des
Gehirns hin (vgl. Kap. 9.3).
20 A Grundlagen
Abb. 2-3: Ableitung eines Elektroenzephalogramms (EEG). Die EEG-Elektroden werden mit-
tels einer Haube an ihren Positionen auf dem Kopf fixiert. Jede der Elektroden ist über ein
Kabel mit der jeweils korrespondierenden Buchse an einer sogenannten Elektrodenbrause ver-
bunden. Nachdem die EEG-Signale hier vorverstärkt wurden, erfolgt die Weiterleitung an den
Computer, wo sie schließlich gespeichert und auf einem Bildschirm dargestellt werden.
Abb. 2-4: Registrierung von visuell evozierten Potenzialen (VEP). Während die Patientin einen
roten Punkt in der Bildschirmmitte fixiert, erfolgt ein periodischer Musterwechsel des einge-
blendeten Schachbrettmusters. Die mittels zweier Elektroden von der Kopfhaut abgeleiteten
Antwortpotenziale werden an einen Computer weitergeleitet, der pro Durchlauf eine Mittel-
wertbildung durchführt.
nerv und die Sehstrahlung bis zur Sehrinde im Hinterhauptslappen des Groß-
hirns. Die Stimulation des betreffenden Auges erfolgt üblicherweise durch
Musterreize, während das andere Auge abzudecken ist. Dazu fixiert der Patient
die Mitte eines Bildschirms, auf dem ein Schachbrettmuster eingeblendet wird,
dessen Felder fortlaufend in kurzen periodischen Abständen zeitgleich von
Schwarz nach Weiß sowie umgekehrt wechseln (Abb. 2-4). Alternativ kann auch
mit Helligkeitsreizen, d. h. mit Lichtblitzen stimuliert werden. Die in der Sehrin-
de eingehenden Impulse können als schwache Potenziale zwischen einer am
Hinterkopf befestigten Elektrode und einer weiter vorn platzierten Bezugselek
trode registriert werden. Wie bereits oben erwähnt, ist zur Abgrenzung von der
Hintergrundaktivität eine Mittelwertbildung der Potenziale bei wiederholter
Reizung (z. B. etwa 100 Musterwechsel) erforderlich. Zur Auswertung werden
22 A Grundlagen
die Potenziallatenz (lat. latere = verborgen sein), d. h. die Dauer zwischen dem
Zeitpunkt der Reizung und dem Antwortpotenzial, sowie die Amplitude (Aus-
schlagshöhe) des Potenzials herangezogen. Während eine verlängerte Latenz für
eine verminderte Nervenleitgeschwindigkeit bei Schädigung von Markscheiden
spricht, deutet eine Amplitudenminderung auf den Verlust von Nervenfasern
hin.
Abgesehen davon, dass andere Sinnesorgane stimuliert werden, verläuft die
Ableitung akustisch bzw. sensibel evozierter Potenziale vom Prinzip her ähnlich
wie bei den visuell evozierten Potenzialen. Mittels akustisch evozierter Potenzi-
ale lässt sich die Funktion der durch den Hirnstamm verlaufenden Hörbahn
überprüfen. Hierbei erfolgt die seitengetrennte Reizung des Hörorgans durch
eine große Anzahl rasch aufeinanderfolgender Klicklaute, die von einem Kopf-
hörer erzeugt werden. Zur Testung von Nervenbahnen, die Berührungs-, Vibra-
tions- und Bewegungsreize aus der Peripherie zum Gehirn weiterleiten, werden
sensibel evozierte Potenziale angewandt. Unter Einsatz eines elektrischen Reiz-
blocks lassen sich einzelne Nerven (im Routinefall der Medianus- und der Tibi-
alis-Nerv am Handgelenk bzw. Fußknöchel) stimulieren. Die Antwortpotenziale
können bei dieser Untersuchung nicht nur an der Kopfhaut, sondern auch schon
im Bereich der Gliedmaßen und der Wirbelsäule registriert werden.
Motorisch evozierte Potenziale dienen der Untersuchung von motorischen
Nervenbahnen, die Bewegungsimpulse aus dem Gehirn über das Rückenmark
an die Muskulatur weiterleiten. Durch eine Magnetspule, die über die entspre-
chenden Regionen gehalten wird, lassen sich Areale der Großhirnrinde sowie
austretende Nervenwurzeln im Bereich der Hals- bzw. Lendenwirbelsäule stimu-
lieren. Als Reizantwort kommt es zu einer kurzen unwillkürlichen Muskelzu-
ckung, welche mittels Oberflächenelektroden an den Händen bzw. Unterschen-
keln aufgezeichnet wird, so dass sich entsprechende Leitungszeiten bestimmen
lassen. Im Unterschied zu den übrigen evozierten Potenzialen reichen wenige
Reizwiederholungen aus, weil bei dieser Untersuchung keine Mittelwertbildung
der Potenziale erforderlich ist.
Elektroden registriert, die im Bereich des vom Nerv versorgten Muskels bzw. des
Nervenverlaufs positioniert werden, je nachdem, ob motorische oder sensible
Nervenfasern getestet werden. Aus zurückgelegter Wegstrecke und Laufzeit des
elektrischen Impulses lässt sich die Leitgeschwindigkeit im entsprechenden Ner-
venabschnitt berechnen. Neben der Nervenleitgeschwindigkeit werden auch an-
dere Parameter wie Form und Amplitude der Reizantworten erfasst. Häufig wird
zusätzlich zu einer Elektroneurografie auch eine Elektromyografie durchgeführt.
Bei einer Elektromyografie (grch. myos = Muskel + graphein = schreiben)
wird über eine dünne Nadelelektrode, welche durch die Haut in den Muskel ein-
gestochen wird, die elektrische Muskelaktivität gemessen. Die Untersuchung er-
folgt sowohl im ruhenden als auch willkürlich angespannten Muskel und ermög-
licht die Unterscheidung zwischen Erkrankungen peripherer Nerven und
Muskelerkrankungen.
2.7 Polysomnografie
Die Polysomnografie (grch. poly = viel, zahlreich + lat. somnus = Schlaf + grch.
graphein = schreiben) ist eine umfassende schlafmedizinische Untersuchung,
bei der kontinuierlich während des gesamten Nachtschlafs eine ganze Reihe von
verschiedenen Körperfunktionen überwacht und aufgezeichnet werden. Die
Auswertung der gesammelten Daten ergibt ein individuelles Schlafmuster bzw.
-profil, wobei anhand von charakteristischen Auffälligkeiten eine präzise Unter-
scheidung verschiedener Schlafstörungen ermöglicht wird. Zu den erfassten
Messgrößen gehören die im Elektroenzephalogramm (EEG) sichtbare elektri-
sche Hirnaktivität, die mittels Elektrokardiogramm (EKG) dargestellte Herzakti-
on sowie die während des Schlafens vorkommenden Augenbewegungen,
Anspannungen der Kinnmuskulatur und Beinbewegungen, wozu Oberflächen-
elektroden an den entsprechenden Körperstellen angebracht werden. Der Sauer-
stoffgehalt des Blutes, die Körpertemperatur, die Atembewegungen von Brust-
korb und Bauch sowie der Atemfluss vor Nase und Mund werden mit geeigneten
Fühlern registriert. Ein kleines Mikrofon am Hals kann etwaig auftretende
Schnarchgeräusche aufnehmen und eine Infrarot-Videokamera ermöglicht die
Beobachtung des Schlafverhaltens auch im Dunkeln.
This page intentionally left blank
25
B Neurologische
Krankheitsbilder
This page intentionally left blank
27
3 Schlaganfall
Symptome
Welche Symptome eine Durchblutungsstörung verursacht, hängt davon ab, wel-
che Blutgefäße bzw. welche Gehirnregionen davon betroffen sind. Die Blutversor-
gung des Gehirns erfolgt über ein vorderes und ein hinteres Stromgebiet, welche
über verschiedene à Kollateralen miteinander in Verbindung stehen (Abb. 3-1):
vordere Hirnarterie
mittlere Hirnarterie
hintere Hirnarterie
Basilarisarterie
Vertebralarterie
innere Halsschlagader
äußere Halsschlagader
gemeinsame Halsschlagader
Abb. 3-1: Hirnversorgende Arterien mit ihren Stromgebieten: vorderes Stromgebiet (Gefäße
hellrot), hinteres Stromgebiet (Gefäße dunkelrot) (aus: Rohen JW, Lütjen-Drecoll E. Anatomie
des Menschen. Die Lerntafeln. 7. Aufl. Stuttgart: Schattauer 2011)
3 Schlaganfall 29
a
Am Folgetag hat sich der Hirninfarkt
bereits flau als ein unscharf begrenzter
dichtegeminderter Bezirk demarkiert.
Auf den nicht mit abgebildeten,
darüberliegenden Schnittebenen
zeichnet sich ein ausgedehnteres
Infarktareal im Versorgungsgebiet
der mittleren Hirnarterie ab.
b
Etwa ein halbes Jahr später wurde der
Patient wegen eines epileptischen
Anfalls erneut stationär aufgenommen.
Die Hirninfarkt-Zone hat sich in-
zwischen scharf demarkiert und das
untergegangene Hirngewebe wurde
durch Flüssigkeit ersetzt.
Abb. 3-2 a–c: Frischer Hirninfarkt inklusive Verlauf (Computertomografie des Schädels, von
unten betrachtete Querschnitte, d. h. die linke Patientenseite befindet sich rechts im Bild)
32 B Neurologische Krankheitsbilder
Stroke Unit
Auf einer Stroke Unit können Patienten mit einem frischen Schlaganfall engma-
schig, ähnlich wie auf einer Intensivstation überwacht werden. Dazu werden in
regelmäßigen Abständen Bewusstseinszustand und neurologischer Befund
überprüft sowie mittels apparativer Unterstützung Blutdruck, Herzfrequenz,
EKG, Atmung, Sauerstoffsättigung im Blut und die Körpertemperatur über-
wacht; ggf. wird auch der Blutzucker wiederholt kontrolliert. Dieses Monitoring
(lat. monitor = Aufseher, Mahner) ist deshalb bedeutsam, weil sich ein viel zu
hoher oder zu niedriger Blutdruck, zu niedriger Sauerstoffgehalt im Blut, Fieber
oder entgleister Blutzucker ungünstig auf die Hirninfarktgröße auswirken.
Gleichfalls können etwaige Komplikationen, wie z. B. eine Ausweitung des
Schlaganfalls oder die Entwicklung einer Lungenentzündung frühzeitiger er-
kannt werden. Je nach klinischen Erfordernissen wird die Überwachung auf
einer solchen Schlaganfall-Spezialeinheit für einen oder mehrere Tage durchge-
führt. Weil die Patientenbetreuung auf einer Stroke Unit mit einem erhöhten
personellen und apparativen Aufwand sowie entsprechenden Mehrkosten ver-
bunden ist, kann bei über 24-stündiger Überwachung hierfür eine „Neurolo
gische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls“ (OPS-Ziffer 8-981.-)
verschlüsselt werden, was zu einer Höhergruppierung in der Fallpauschalen-
Abrechnung führt. Dabei differenziert der à Operationen- und Prozeduren-
schlüssel (OPS) zwischen einer Zeitdauer von über 24 bis höchstens 72 Stunden
(OPS-Ziffer 8-981.0) oder mehr als 72 Stunden (OPS-Ziffer 8-981.1). Für die
Anerkennung dieser OPS-Ziffer müssen neben der geforderten Zeitdauer eine
Reihe weiterer Bedingungen erfüllt sein, die sich u. a. auch auf die personelle
und apparative Ausstattung der Klinik beziehen. Zur Dokumentation entspre-
chender Qualitätsstandards nach außen lassen sich viele neurologische Kliniken
ihre Schlaganfall-Spezialeinheit auch als sogenannte regionale oder überregio-
nale Stroke Unit von der Deutschen Schlaganfall Gesellschaft (DSG) zertifizie-
ren.
Thrombolyse
Bei einem frischen Verschluss von arteriellen Blutgefäßen im Gehirn wird das
Ziel verfolgt, die Blutgerinnsel (Thromben) in den betroffenen Blutgefäßen
möglichst rasch wieder aufzulösen (zu lysieren), um die Durchblutung – insbe-
sondere in der oben erwähnten Penumbra – zu verbessern. Hierzu kann der,
natürlicherweise in nahezu allen Körpergeweben vorkommende Gewebe-Plas-
minogenaktivator (t-PA = tissue plasminogen activator) eingesetzt werden; ein
Enzym, welches die Umwandlung von Plasminogen in Plasmin aktiviert. Das
3 Schlaganfall 33
Plasmin spaltet dann die Fibrinnetze in frischen Thromben auf und fördert da-
durch deren Auflösung.
Zur Behandlung des frischen Hirninfarktes wird der gentechnisch hergestell-
te, also rekombinante Gewebe-Plasminogenaktivator (rt-PA) unter der Be-
zeichnung Alteplase eingesetzt, welcher von der europäischen Arzneimittelbe-
hörde die diesbezügliche Zulassung im Jahre 2002 erhalten hat. Die Dosierung
erfolgt angepasst an das Körpergewicht, wobei 10 % der Gesamtdosis als initialer
Bolus intravenös und der Rest als Infusion über eine Stunde verabreicht werden.
Da in den ersten Stunden nach Eintritt des zerebralen Gefäßverschlusses der
unwiederbringlich verlorene Infarktkern anwächst und entsprechend das noch
rettbare Gewebe der Penumbra sukzessive abnimmt, ist eine Thrombolyse-Be-
handlung nur in den ersten Stunden erfolgversprechend. Gleichzeitig werden die
so behandelten Patienten jedoch einem etwas erhöhten Blutungsrisiko ausge-
setzt. Folglich hat Alteplase (rt-PA) unter Abwägung von Nutzen und Risiken die
Zulassung zunächst nur zur Anwendung innerhalb eines Zeitfensters von drei
Stunden nach Beginn der Schlaganfall-Symptome erhalten. Eine ergänzende
Studie hat schließlich gezeigt, dass die Anwendung auch noch in einem Zeitfens-
ter von bis zu 4,5 Stunden wirksam ist, so dass im November 2011 schließlich die
entsprechende Erweiterung der Zulassung erfolgte. In jedem Fall gilt aber, dass
die Thrombolyse-Behandlung umso wirksamer ist, je früher sie erfolgt! Obwohl
diese Therapie aufgrund der Zulassungsstudien bisher offiziell nur für Erwach-
sene bis zu einem Alter von 80 Jahren zugelassen ist, liegen mittlerweile auch
positive Erfahrungen bei über 80-Jährigen vor. Neben den erwähnten Punkten
existieren eine Reihe weiterer Einschluss- bzw. Ausschlusskriterien, die zu be-
achten sind. Etliche dieser Kriterien sind darauf gerichtet, Patienten mit einer
erhöhten Blutungsgefahr von einer Thrombolyse auszuschließen, wie beispiels-
weise kürzlich operierte oder unter Antikoagulantien (blutgerinnungshemmen-
de Medikamente, z. B. Phenprocoumon = Marcumar®) stehende Personen.
Ein akuter Verschluss der Basilarisarterie, eine Basilaristhrombose (ICD-10:
I65.1) hat unbehandelt eine sehr schlechte Prognose mit einer Sterblichkeit von
etwa 90 %, denn der von Ästen der Basilarisarterie versorgte Hirnstamm steuert
lebenswichtige Funktionen. Daher kann bei solchen Patienten abhängig von der
individuellen Konstellation, z. B. wenn der Verlauf fluktuierend ist und sich
bisher keine ausgedehnten Infarkte demarkiert haben, eine Thrombolyse auch
noch bis zu 12 Stunden nach Symptombeginn erwogen werden. Bei entspre-
chender Verfügbarkeit können à interventionell tätige Neuroradiologen unter
Röntgenkontrolle einen dünnen Katheter über die Leistenarterie bis vor das ver-
schlossene Gefäß vorschieben und das Lysemedikament dort lokal applizieren,
um höhere Wirkstoffspiegel am Blutgerinnsel zu erreichen. Alternativ wird das
Thrombolytikum wie oben beschrieben systemisch über einen venösen Zugang
(am Arm) verabreicht. In Studien hat die lokale Lyse zwar häufiger als die syste-
34 B Neurologische Krankheitsbilder
Dekompressive Hemikraniektomie
Ausgedehnte Infarkte einer Hirnhemisphäre können in den ersten Tagen durch
zunehmende Schwellung auf lebenswichtige Zentren im Hirnstamm drücken.
Wenn medikamentöse abschwellende Maßnahmen nicht ausreichen, kann bei
vergleichsweise jüngeren Patienten (Alter unter 60 Jahre) eine dekompressive
Hemikraniektomie (grch. hemi = halb + kranion = Schädel + ektome = heraus-
schneiden) erwogen werden. Dabei handelt es sich um eine neurochirurgische
Operation, bei der ein größerer Teil des Schädeldaches über der betroffenen
Hirnhälfte entfernt wird, so dass eine Druckentlastung des Gehirns erreicht
wird. Der herausgelöste Knochendeckel wird konserviert und kann zu einem
späteren Zeitpunkt wieder zurückverpflanzt werden. Bei älteren Betroffenen
(Alter über 60 Jahre) wird die Indikation zu einer solchen operativen Entlastung
nur sehr zurückhaltend gestellt, weil diese Patienten trotz Operation wesentlich
häufiger versterben oder im Falle eines Überlebens schwer beeinträchtigt blei-
ben.
3 Schlaganfall 35
äußere
Halsschlagader gemeinsame
Halsschlagader
innere
Halsschlagader
Abb. 3-3: Echoreicher Plaque im Abgangsbereich der inneren Halsschlagader. Die dort ge-
messene maximale Blutflussgeschwindigkeit ist mit ca. 120 cm/s mäßig erhöht und weist so-
mit darauf hin, dass die Ablagerung (durch Pfeilspitzen markiert) eine etwa 60 %ige Stenose
verursacht (farbkodierte Duplexsonografie der Halsschlagader).
Ballon aufgedehnt und anschließend eine, sich selbst expandierende, kleine git-
terförmige Gefäßstütze (ein Stent) eingebracht. Weil sowohl unter der Operation
als auch dem Stenting (in vergleichbarer Häufigkeit) Komplikationen – wie z. B.
die Verursachung eines embolischen Hirninfarktes – auftreten können, wird un-
ter Abwägung von Nutzen und Risiken bei einem Stenosegrad von unter 70 %
i. d. R. von derartigen Eingriffen Abstand genommen und nur medikamentös
behandelt. Sehr hochgradige Gefäßeinengungen können auch zu Infarkten im
Grenzbereich zwischen zwei verschiedenen Stromgebieten führen (sog. Grenz-
strom- oder Wasserscheideninfarkte), weil diese Bereiche gewissermaßen als
„letzte Wiesen“ minderversorgt werden.
Thrombembolien können nicht nur von vorgeschalteten großen Arterien
ausgehen, sondern haben ihre Ursache möglicherweise auch im Herzen. Als Fol-
ge einer Herzerkrankung, aber auch ohne erkennbare Ursache kann eine Stö-
rung des à kardialen Reizleitungssystems auftreten, die zu einer unkoordinier-
ten Kontraktion der Muskelzellen in den Herzvorhöfen führt. Dieses als
Vorhofflimmern (ICD-10: I48.1-) bezeichnete Phänomen beeinträchtigt die
Pumpfunktion des Herzens und reduziert die Fließgeschwindigkeit des Blutes in
den Herzvorhöfen. In einer kleinen Ausstülpung des Vorhofs, dem Herzohr ist
dies besonders ausgeprägt, so dass sich hier leicht Blutgerinnsel bilden können.
Dauerhaft vorhandenes Vorhofflimmern ist im routinemäßig abgeleiteten Elek-
trokardiogramm (EKG) problemlos erkennbar. Weil Vorhofflimmern jedoch
auch als eine nur anfallsweise (paroxysmale) Erscheinung in wiederholten Epi-
soden auftreten kann, wird danach mittels einer kontinuierlichen Ableitung des
Elektrokardiogramms über 24 Stunden oder länger (Langzeit-EKG) bzw. durch
wiederholte Routine-EKGs gefahndet. Mit zunehmendem Lebensalter steigt die
Häufigkeit des Vorhofflimmerns an, so dass bei über 80-Jährigen rund 10 % da-
von betroffen sind.
Jedoch auch ohne das Vorhandensein von Vorhofflimmern können sich im
Herzen Blutgerinnsel bilden. In einer Echokardiografie (Ultraschalluntersu-
chung des Herzens) – idealerweise transösophageal (lat. trans =
durch,
über + oesophagus = Speiseröhre), d. h. als „Schluckecho“ mit einem Schlauch
von der Speiseröhre aus – können Thromben im Herzen erkannt werden. Im
vorgeburtlichen Blutkreislauf existiert eine Kurzschlussverbindung zwischen
dem rechten und linken Herzvorhof, weil die Lunge des ungeborenen Kindes
noch nicht belüftet wird und daher auch noch keine relevante Durchblutung
benötigt. Diese Öffnung, das sogenannte Foramen ovale (lat. foramen = Öff-
nung, Loch + ovalis = eirund) verschließt sich dann normalerweise in den ers
ten Tagen oder Wochen nach der Geburt. Falls diese Verbindung zwischen den
beiden Herzvorhöfen jedoch bestehen bleibt (persistierendes Foramen ova-
le = PFO) und zusätzlich eine Aussackung der Vorhof-Scheidewand (Atrium-
Septum-Aneurysma = ASA) vorliegt, können hiervon Thrombembolien ausge-
38 B Neurologische Krankheitsbilder
Vorbeugung
Natürlich sollte bereits primärpräventiv gehandelt werden, bevor überhaupt
erst ein Schlaganfall auftritt. Eine konsequente Verminderung der wichtigsten
beeinflussbaren Risikofaktoren, wie Bluthochdruck, Zuckerkrankheit, Rauchen,
chronischer Alkoholmissbrauch, Bewegungsmangel und Fettstoffwechselstö-
rung, könnte viele Erkrankungsfälle verhindern. In einer großen Studie zum Ri-
sikowissen über den Schlaganfall zeigte sich jedoch in der deutschen Bevölke-
rung, dass etwa jeder Dritte keinen einzigen Risikofaktor benennen konnte
(Müller-Nordhorn et al. 2006). Dies verdeutlicht, dass noch ein hoher Aufklä-
rungsbedarf hinsichtlich der Schlaganfallvorbeugung besteht.
Die Sekundärprävention, d. h. die Vorbeugung weiterer Hirninfarkte be-
steht in der Vermeidung bzw. Behandlung der genannten Gefäß-Risikofaktoren
sowie einer medikamentösen Therapie; ggf. erfolgt auch die Beseitigung einer
hochgradigen Gefäßstenose. Welche Medikamente gegeben werden, hängt von
der (mutmaßlichen) Ursache des Hirninfarktes und weiteren individuellen Be-
gleitumständen ab.
3 Schlaganfall 39
Intrazerebrale Blutung
Die Symptome einer Blutung in das Hirngewebe (ICD-10: I61.-) hängen von ih-
rer Lokalisation sowie Ausdehnung ab und unterscheiden sich dabei nicht von
denen eines Hirninfarktes. Daher ist zur sicheren Differenzierung zwingend eine
Bildgebung des Gehirns erforderlich (Abb. 3-4). Häufigste Blutungsursache ist
das plötzliche Zerreißen einer Arterie im Gehirn durch einen stark erhöhten
Blutdruck bei arteriosklerotisch vorgeschädigten Gefäßwänden. Andere Ursa-
chen sind knäuelförmige Gefäßfehlbildungen, welche die à Kapillaren bzw.
kleinen Venen betreffen und z. T. zu Kurzschlussverbindungen zwischen Arteri-
en und Venen führen, oder die mit zunehmendem Alter häufiger auftretende
Amyloidangiopathie (ICD-10: E85.4†, I68.0*), bei der die Gefäßwände durch
Einlagerung von abnorm veränderten Eiweißen geschwächt werden. Diese Ab
lagerungen werden als à Amyloid (grch. amylo = Stärke) bezeichnet, weil sie bei
Zugabe von Jod ein ähnliches Färbeverhalten wie Stärke aufweisen. Des Weiteren
kann es auch sekundär in einen vorbestehenden Gehirntumor (vgl. Kap. 5) oder
einen Hirninfarkt einbluten. Die Gefahr einer Blutung wächst bei krankhaften
bzw. medikamentös herbeigeführten Beeinträchtigungen der Blutgerinnung.
Patienten mit Hirnblutungen werden wie die übrigen Schlaganfall-Betroffe-
nen auf einer Stroke Unit überwacht und behandelt. Größere Blutungen mit ei-
ner umgebenden Schwellung des Hirngewebes können eine medikamentöse
hirndrucksenkende Therapie erforderlich machen. In Abhängigkeit von der
individuellen Konstellation kann auch eine operative Ausräumung oder Absau-
gung der Blutung erwogen werden. Obwohl ein solches invasives Vorgehen (lat.
invadere = eindringen) im Einzelfall lebensrettend sein kann, ist es dennoch
nicht für alle Patienten von Vorteil. Insbesondere bei in der Tiefe liegenden Blu-
tungen ist nämlich zu bedenken, dass eine Operation eine zusätzliche Verletzung
des Gehirns verursacht. Auch ohne spezifische Maßnahmen wird die Blutung im
Verlauf von selbst wieder abgebaut und resorbiert.
Die auf einen erhöhten Blutdruck zurückzuführenden Blutungen liegen vor-
zugsweise im Bereich von Stammganglien, Kleinhirn oder Hirnstamm. Insbe-
3 Schlaganfall 41
Abb. 3-4: Stammganglien-
blutung mit Einbruch in das
Ventrikelsystem (Computer-
tomografie des Schädels,
von unten betrachteter
Querschnitt, Pfeil: Stamm-
ganglienblutung, Pfeilspit-
zen: Blut im Ventrikelsystem)
hierbei erst verzögert einsetzen und bis zum vollständigen Verschluss einige Jah-
re vergehen können.
Subarachnoidalblutung
Die großen hirnversorgenden Arterien verlaufen an der Schädelbasis durch das
Nervenwasser, welches das Gehirn umspült. Daher blutet es beim Einreißen die-
ser Gefäße in den spaltförmigen, mit Liquor gefüllten Raum hinein. Nach außen
hin wird dieser Zwischenraum von der Spinngewebshaut (Arachnoidea mater,
grch. arachne = Spinne) umgeben. Folglich liegt eine hier lokalisierte Blutung
sozusagen „unter“ der Spinngewebshaut, d. h. im Subarachnoidalraum. Das in
Abbildung 3-5 gezeigte anatomische Präparat verdeutlicht die Lagebeziehungen
der verschiedenen Hirnhäute und des Subarachnoidalraums. In den meisten Fäl-
len liegt einer solchen Subarachnoidalblutung (ICD-10: I60.-), abgekürzt SAB,
eine spindel- oder sackförmige Aufweitung der Gefäßwand zugrunde, die – ent-
sprechend verdünnt und geschwächt – leichter einreißen kann. Die als Aneurys-
men (grch. aneurysma = Erweiterung) bezeichneten Gefäßwandaussackungen
sind zwar vermutlich schon bei der Geburt angelegt, entwickeln und vergrößern
sich jedoch erst im Laufe des Lebens unter der permanenten Beanspruchung der
Gefäßwand. Seltenere Ursachen einer Subarachnoidalblutung können bestimm-
te Gefäßfehlbildungen oder die Dissektion (vgl. Kap. 3.1, „Ursachenabklärung
und weitere Behandlung“) von Hirnarterien sein.
Durch Reizung der schmerzempfindlichen Hirnhäute verursachen Sub-
arachnoidalblutungen charakteristischerweise einen plötzlich einsetzenden,
sehr heftigen Kopfschmerz von bisher nicht gekannter Intensität (Donnerschlag-
bzw. Vernichtungskopfschmerz). Das Ausmaß der resultierenden neurologi-
schen Ausfälle kann je nach Lage und Größe der Blutung stark differieren. Üb
licherweise wird der klinische Schweregrad nach Hunt und Hess in fünf
Kategorien eingeteilt und reicht von nur leichten Kopfschmerzen und/oder Na-
ckensteifigkeit (Grad I) bis hin zu Bewusstlosigkeit und Streckkrämpfen (Grad
V). Der schwerwiegende und bedrohliche Charakter des Krankheitsbildes
spiegelt sich auch darin wider, dass innerhalb des ersten Monats rund 40 % der
Betroffenen versterben.
Meistens kann eine subarachnoidal gelegene Blutung in der (notfallmäßig
durchgeführten) Computertomografie des Schädels diagnostiziert werden
(Abb. 3-6). Insbesondere bei kleinen oder schon zurückliegenden Blutungsereig-
nissen können diese jedoch auch dem bildgebenden Nachweis entgehen. In die-
sen Fällen wird, wenn weiterhin der klinische Verdacht auf eine Subarachnoidal-
blutung besteht, ergänzend eine Nervenwasserpunktion (lat. punctio = Stechen,
Einstich) durchgeführt, die im unteren Lendenwirbelsäulenbereich ohne Ge-
3 Schlaganfall 43
Kopfhaut
Schädelknochen
harte Hirnhaut
(Dura mater)
Spinngewebshaut
(Arachnoidea mater)
Subarachnoidalraum
Hirnrinde
(graue Substanz)
Abb. 3-5: Querschnitt durch Schädelknochen und Hirnhäute (anatomisches Präparat) (aus:
Rohen JW, Yokochi C, Lütjen-Drecoll E. Anatomie des Menschen. Fotografischer Atlas der sys-
tematischen und topografischen Anatomie. 7. Aufl. Stuttgart: Schattauer 2011)
Abb. 3-6: Ausgedehnte
Subarachnoidalblutung
(Computertomografie des
Schädels, von unten betrach-
teter Querschnitt, Blutung
mit Pfeilen markiert)
44 B Neurologische Krankheitsbilder
fährdung des Rückenmarks möglich ist. Ein blutiger Liquor bzw. seine gelbliche
Verfärbung durch Blutabbauprodukte weisen dann auf eine stattgehabte Blutung
hin. Etwaig vorhandene ursächliche Aneurysmen können mittels einer à An-
giografie (Gefäßdarstellung) entdeckt bzw. dargestellt werden.
Um eine erneute Blutung zu verhindern, wird beim Nachweis von Aneurys-
men deren möglichst frühzeitige Ausschaltung angestrebt. In einer neurochirur-
gischen Operation wird hierzu ein Clip (engl. clip = Klammer) auf den Hals des
Aneurysmas gesetzt („Clipping“). Alternativ können auch über einen, im Gefäß-
system vorgeschobenen Mikrokatheter kleine Platinspiralen, sogenannte Coils
(engl. coil = Spirale), im Aneurysmasack platziert werden („Coiling“). Dadurch
angestoßen bilden sich in der Aussackung Blutgerinnsel, die schließlich den An-
eurysmasack ganz ausfüllen und verschließen, während das betreffende Gefäß
offen bleibt und weiter durchblutet wird.
Das in den Subarachnoidalraum gelangte Blut bzw. dessen Abbauprodukte
führen zu einem Reizzustand von Gefäßwänden, so dass sich hier verlaufende
Arterien krampfartig zusammenziehen und kritisch einengen können. Mit die-
sem als Vasospasmus (lat. vas = Gefäß + grch. spasmos = Krampf) bezeichne-
ten Phänomen muss beginnend ab dem dritten Tag bis zwei Wochen nach dem
Blutungsereignis gerechnet werden. In den anschließenden 2–4 Wochen erfolgt
dann wieder eine allmähliche Rückbildung. Ausgeprägte Gefäßspasmen können
komplikativ zu Hirninfarkten in den nachgeschalteten Stromgebieten führen.
Während der Vasospasmus-Phase muss auf Aneurysma-Operationen verzichtet
werden, denn dies würde durch zusätzliche Reizung das beschriebene Kompli-
kationsrisiko weiter erhöhen.
Das in den Subarachnoidalraum gelangte Blut verursacht bei etwa 15–20 %
der Patienten durch Verklebungen von Abflusswegen eine Störung der Liquor-
zirkulation (vgl. Kap. 1.2, „Zentrales Nervensystem“). Der Aufstau von Nerven-
wasser in den Hirnventrikeln, ein Hydrozephalus (Wasserkopf), führt durch das
Zusammendrücken von Hirngewebe zu fortschreitenden neurologischen Be-
schwerden, u. a. Bewusstseinseintrübungen. Wird während der Akutphase eine
derartige Liquorabflussstörung bildgebend diagnostiziert, erfolgt zur Entlastung
die temporäre Ableitung von überschüssigem Nervenwasser aus den Hirnventri-
keln über einen dünnen Schlauch nach außen. Bei chronischen Formen wird
hingegen in den rechten Herzvorhof oder den Bauchfellraum abgeleitet (vgl.
Kap. 15.4).
3 Schlaganfall 45
venöse Blutleiter
(Sinus durae matris)
innere Hirnvenen
tiefe Halsvene
Abb. 3-7: Drainierende Hirnvenen und venöse Blutleiter (aus: Rohen JW, Lütjen-Drecoll E.
Anatomie des Menschen. Die Lerntafeln. 7. Aufl. Stuttgart: Schattauer 2011)
46 B Neurologische Krankheitsbilder
uuEine septisch-infektiöse Ursache (ICD-10: G08) beruht entweder auf der lo-
kalen Ausbreitung von eitrigen Prozessen im Kopfbereich (z. B. Nasenneben-
höhlen, Mittelohr) oder der Absiedlung von Entzündungserregern, die sich im
Rahmen einer Blutvergiftung (Sepsis, grch. sepsis = Fäulnis) über den Blutstrom
verbreiten.
Durch äußere Gewalteinwirkungen auf den Kopf oder die Wirbelsäule kann es
zu mehr oder weniger folgenreichen Verletzungen des zentralen Nervensystems
kommen. Im Folgenden wird nach dem Ort der Schädigung untergliedert in
Schädel-Hirn-Trauma und Wirbelsäulen-Rückenmarks-Trauma. Der Begriff
„Trauma“ steht dabei für eine, durch äußere Gewalt herbeigeführte Schädigung.
4.1 Schädel-Hirn-Trauma
Schädel-Hirn-Verletzungen entstehen durch Gewalteinwirkungen auf den Kopf,
wie z. B. durch Auf- bzw. Anprall oder Schlag. In Abhängigkeit von Art und Stär-
ke der äußeren Einwirkung können die Folgen von relativ harmlos bis lebensbe-
drohlich sein. Im günstigsten Fall liegt nur eine Schädelprellung ohne Schädi-
gung des Gehirns vor. Bei einem Schädel-Hirn-Trauma ist das Gehirn in mehr
oder weniger starkem Ausmaß mit beteiligt oder verletzt. Je nach Länge einer
Erinnerungslücke bzw. Bewusstlosigkeit und etwaig vorhandenen neurologi-
schen Ausfallsymptomen und Verletzungen im Schädelinneren wird das Schä-
del-Hirn-Trauma klassifiziert in leicht (1. Grades), mittelschwer (2. Grades) und
schwer (3. Grades).
Die Blutungen können zwischen dem Schädelknochen und dem Gehirn liegen.
Da der Knochen eine feste Hülle bildet, drückt die Blutung nach innen auf das
48 B Neurologische Krankheitsbilder
Gehirn, welches nicht ausweichen kann und folglich durch den Druck geschädigt
wird. Wenn die Drucksteigerung im Schädel so ausgeprägt ist, dass auch der
Hirnstamm mit seinen lebenswichtigen Zentren stärker komprimiert wird, kann
das Geschehen auch zum Tode führen.
Gemäß ihrer anatomischen Lage zur harten Hirnhaut (Dura mater, lat. du-
rus = hart; vgl. Kap. 3, Abb. 3-5) werden epidurale von subduralen Blutungen
unterschieden.
Brustmarks sind nur die Beine, nicht jedoch die Arme gelähmt. Eine Schädigung
des Halsmarks verursacht zusätzlich eine mehr oder weniger ausgeprägte Betei-
ligung der Arme. Oberhalb des vierten Halswirbelkörpers gelegene Rücken-
marksverletzungen können auch zu einer Lähmung des Zwerchfells führen, so
dass eine künstliche Beatmung erforderlich wird.
Leider sind die im Rückenmark geschädigten Strukturen nur sehr begrenzt
zur Regeneration fähig, so dass häufig Funktionsdefizite zurückbleiben. Im Rah-
men rehabilitativer Maßnahmen erlernen die Betroffenen, ihre verbliebenen Fä-
higkeiten so einzusetzen, dass wieder ein möglichst hoher Grad an Selbständig-
keit erreicht wird.
52 B Neurologische Krankheitsbilder
Wie von anderen Organen können auch vom Gehirn bzw. Rückenmark sowie
von den sie umgebenden Häuten Geschwülste ausgehen. Die Benennung der Tu-
morart erfolgt jeweils nach dem Zelltyp, von dem sie ausgehen. Es existiert eine
große Vielfalt unterschiedlicher Tumoren, von denen hier exemplarisch nur die
bedeutendsten behandelt werden, und zwar Medulloblastome, Astrozytome,
Glioblastome und Meningeome. Darüber hinaus werden die Tumoren noch
nach dem Ausmaß ihrer Entartung bzw. Entdifferenzierung klassifiziert. Hierzu
dient eine weltweit gebräuchliche Graduierung der Weltgesundheitsorganisa-
tion (WHO) über die Tumoren des zentralen Nervensystems:
●● WHO-Grad I: gutartig; durch operative Entfernung häufig heilbar
●● WHO-Grad II: gutartig; neigen jedoch zu Rezidiven
●● WHO-Grad III: bösartig
●● WHO-Grad IV: sehr bösartig; rasches Tumorwachstum
5.1 Medulloblastom
Das Medulloblastom (lat. medulla = Mark + grch. blastos = Keim, Spross) ist der
häufigste Hirntumor im Kindesalter. Diese rasch wachsenden, undifferenzier-
ten Geschwülste des Kleinhirns werden dem WHO-Grad IV zugeordnet und
5 Tumoren des zentralen Nervensystems und seiner Hüllen 53
leiten sich von à embryonalen Zellen ab. Die Tumorzellen neigen zur Aussaat
über das Nervenwasser (Liquor). Daher sollen ergänzend auch eine Kernspinto-
mografie des Rückenmarkskanals und eine Liquorpunktion erfolgen, die mit
einer dünnen Hohlnadel im unteren Lendenwirbelsäulenbereich durchgeführt
wird. Behandelt wird mit Operation, anschließender Bestrahlung und häufig
auch Chemotherapie. Medulloblastome haben eine sehr variable Prognose, je-
doch können mit dieser intensiven Behandlung Heilungsraten von über 50 %
erreicht werden.
Abb. 5-1 a-b: Glioblastom. Der bösartige Hirntumor liegt in der rechten Hirnhemisphäre
(Kernspintomografie des Schädels, von unten betrachtete Querschnitte, d h. die rechte Patien-
tenseite befindet sich links im Bild).
5 Tumoren des zentralen Nervensystems und seiner Hüllen 55
5.3 Meningeom
Meningeome (ICD-10: D32.-) sind keine Hirn- oder Rückenmarkstumoren im
engeren Sinne, sondern gehen von den Hirn- und Rückenmarkshäuten (Menin-
gen) aus. In der Mehrzahl der Fälle (rund 90 %) handelt es sich um gutartige
Tumoren mit WHO-Grad I. Diese überwiegend bei älteren Menschen auftre-
tenden Geschwülste wachsen meist sehr langsam, bleiben oft lange Zeit ohne
Symptome und sind daher häufiger auch Zufallsbefunde.
Bei einem kleinen gutartigen Meningeom, welches keine Beschwerden ver-
ursacht, reicht eine abwartende Haltung mit regelmäßigen Verlaufsuntersuchun-
gen aus. Wenn der Tumor im Laufe der Zeit größer wird, kann er durch Verdrän-
gung von Gehirn- bzw. Rückenmarksgewebe Krankheitserscheinungen
hervorrufen. Dann sollte die Geschwulst operativ vollständig aus seiner Kapsel
herausgeschält werden. Ungünstig gelegene oder nur teilweise entfernbare Me-
ningeome werden gezielt bestrahlt. Die Chemotherapie hat bei dieser Tumorart
keine Relevanz.
56 B Neurologische Krankheitsbilder
Gehirn und Rückenmark sowie die sie umgebenden Häute können von ganz ver-
schiedenen Infektionserregern befallen werden. Infektionen durch à Parasiten
und à Pilze werden in unseren Breiten seltener und hauptsächlich bei immun-
geschwächten Patienten gefunden. Häufiger sind die durch Bakterien und Viren
verursachten Entzündungen, auf die hier näher eingegangen werden soll.
Herpes-simplex-Enzephalitis
Von den verschiedenen viralen Enzephalitiserregern kommt dem Herpes-sim-
plex-Virus eine besondere Bedeutung zu. Typischerweise verursacht das Virus
juckende, gruppiert angeordnete Bläschen im Bereich der Lippen, welche viele
von uns aus eigener Erfahrung kennen; denn die Durchseuchung der erwachse-
nen Bevölkerung mit dem Herpes-simplex-Virus ist sehr hoch. Einmal mit dem
Virus infiziert, werden wir es nicht mehr los, weil das Virus vor Angriffen des
Immunsystems geschützt in Nervenzellen „überwintert“, um von dort ausge-
hend gelegentlich wieder reaktiviert zu werden. Im Regelfall wandert das Virus
dann entlang von Nervenfasern nach außen zur Haut und verursacht dort die
lästigen, im Grunde aber harmlosen Lippenbläschen.
Selten jedoch wandert das Virus entweder bei der Erstinfektion oder bei ei-
ner Reaktivierung tiefer in das Gehirn hinein und befällt dort bevorzugt die
Schläfenlappen. Die resultierende Herpes-simplex-Enzephalitis (ICD-10:
B00.4†, G05.1*) hat unbehandelt eine Sterblichkeit von 70–80 %. Durch die
frühzeitige Behandlung mit dem seit 1981 verfügbaren, (überhaupt ersten) spe-
zifischen Virostatikum Aciclovir kann heutzutage die Letalität auf unter 20 %
gesenkt werden. Bereits bei begründetem Verdacht soll daher die hoch dosierte
virostatische Therapie mit Aciclovir intravenös begonnen werden, ohne dass
langwierige Untersuchungen diese effektive Behandlung verzögern. Die Compu-
tertomografie des Schädels zeigt ohnehin in den ersten Erkrankungstagen noch
keine Auffälligkeiten. In der diesbezüglich empfindlicheren Kernspintomografie
können häufig bereits mit dem Einsetzen neurologischer Störungen entzündli-
che Veränderungen im Bereich der Schläfenlappen des Gehirns gesehen werden.
Im Nervenwasser findet man, wie bei anderen Virusenzephalitiden auch, eine
mäßige Erhöhung von Zellzahl und Eiweißgehalt. Die laborchemischen Analy-
severfahren auf Virus-Erbinformationen im Nervenwasser benötigen jedoch ei-
nige Tage Zeit. Zum anderen sind Antikörper gegen das Virus erst ab der zweiten
Erkrankungswoche im Nervenwasser erhöht, so dass diese Untersuchungen in
erster Linie der nachträglichen Diagnosesicherung dienen.
60 B Neurologische Krankheitsbilder
Tollwut
Die Tollwut (ICD-10: A82.-) ist eine hierzulande sehr seltene, in Entwicklungs-
ländern jedoch häufiger anzutreffende Viruserkrankung, die ohne rechtzeitige
Behandlung zu einer tödlich verlaufenden Enzephalitis führt. Übertragen wird
die Krankheit durch den Biss bzw. Speichel erkrankter, tollwütiger Tiere (z. B.
Füchse oder streunende Hunde). Nachdem sich die Tollwutviren zunächst lokal
im Bereich der Bissverletzung vermehren, befallen sie bereits nach wenigen Ta-
gen die in der Muskulatur gelegenen Nervenendigungen. Wird Letzteres nicht
durch eine sehr frühzeitige Behandlung unterbunden, wandern die Viren fata-
lerweise über die Nerven zum Rückenmark und von dort weiter ins Gehirn.
Dadurch wird eine schwere Enzephalitis hervorgerufen, die zu Unruhe, ab-
wechselnd aggressiven und depressiven Gemütszuständen, Muskelkrämpfen,
fortschreitenden Lähmungen, Koma und schließlich nahezu immer zum Tode
führt.
Wegen schmerzhafter Krämpfe der Schlundmuskulatur, die durch das Schlu-
cken oder bereits den Anblick von Wasser ausgelöst werden, können die Betrof-
fenen nicht mehr Schlucken und haben eine ausgeprägte Wasserscheu. Die typi-
sche Schaumbildung vor dem Mund entsteht durch den angesammelten, nicht
mehr abgeschluckten Speichel, über den die Viren in hoher Konzentration aus-
geschieden werden. Während die Verbreitung der Krankheit unter den Wild-
und Haustieren mittels Impfköder bekämpft wird, sollten sich Personen mit ei-
nem erhöhten beruflichen Infektionsrisiko oder einem Reiseziel, das in stark
tollwutgefährdeten Regionen liegt, vorbeugend impfen lassen.
6.3 Hirnabszess
Bei einer umschriebenen bakteriellen Infektion des Gehirns können durch ent-
zündliche Gewebseinschmelzung Hohlräume entstehen, die mit Eiter gefüllt
und von einer Kapsel umgeben sind (Abb. 6-1). Bei diesen als Abszess bezeich-
neten Eiteransammlungen sieht man häufig in der Umgebung ein ausgepräg-
tes entzündlich verursachtes Ödem (Flüssigkeitsansammlung, grch. oide-
ma = Schwellung). Hirnabszesse (ICD-10: G06.0) werden daher hauptsächlich
durch Verdrängung von Gehirngewebe und Druckanstieg im Schädel auffällig,
was typischerweise mit Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Schläfrigkeit
einhergeht. In Abhängigkeit von der Lage des Hirnabszesses können verschiede-
ne weitere neurologische Störungen hinzutreten.
Ähnlich wie bei der Hirnhautentzündung können auch Hirnabszesse auf ver-
schiedenen Wegen entstehen: Die meisten Hirnabszesse entstehen aus fortgelei-
6 Infektionen des zentralen Nervensystems und seiner Hüllen 61
teten Infektionen im Kopfbereich. Auch eine nicht rechtzeitig bzw. nicht wirk-
sam behandelte Meningitis kann u. a. einen Hirnabszess als Komplikation zur
Folge haben. Nach Verletzungen oder Operationen im Kopfbereich können so-
gar noch Jahre oder Jahrzehnte später Hirnabszesse auftreten. Wenn der ur-
sprüngliche Entzündungsherd in der Ferne liegt und die Bakterien über den
Blutstrom in das Gehirn gelangen, können dort mehrere Abszesse gleichzeitig
auftreten.
Bei der antibiotischen Behandlung von Hirnabszessen besteht das Problem,
dass einige Antibiotika nur schlecht in den Abszess gelangen, insbesondere wenn
dieser groß und von einer Abszesskapsel umgeben ist. Daher wird die mindes-
tens vier- bis sechswöchige antibiotische Therapie häufig entweder mit einer
Abszesspunktion und -absaugung oder aber mit einer operativen Abszessentfer-
nung kombiniert.
62 B Neurologische Krankheitsbilder
Bei der Poliomyelitis (ICD-10: A80.-) handelt es sich um eine durch Polioviren
hervorgerufene Infektionskrankheit, deren schwere Verlaufsform zu einer Entzün-
dung von motorischen Nervenzellkörpern in der grauen Substanz des Rücken-
marks führt (grch. polios = grau + myelos = Mark, vgl. Kap. 1.2, „Zentrales Ner-
vensystem“). Weil daraus schlaffe Lähmungen resultieren und überwiegend Kinder
betroffen sind, trägt die Erkrankung auch die Bezeichnung Kinderlähmung.
Nach der Aufnahme über den Mund vermehren sich die Viren im Darm und
werden mit dem Stuhlgang ausgeschieden. Entsprechend wird das Virus über-
wiegend durch Schmier- oder Kontaktinfektion verbreitet. Sehr viele, nämlich
über 90 % der Infizierten entwickeln gar keine Krankheitssymptome; unge-
achtet dessen fungieren auch diese Personen als Virusüberträger. Nach, auch
unbemerkt, durchgemachter Infektion bauen die Betroffenen eine Immunität
auf, die vor erneuter Ansteckung schützt. Aus diesem Grunde erkranken
Erwachsene seltener. Dafür steigt mit zunehmendem Lebensalter jedoch die
Wahrscheinlichkeit eines schweren Erkrankungsverlaufs mit neurologischen
Komplikationen.
In einer ersten Krankheitsphase kommt es bei einigen Betroffenen zu fieber-
haften grippeähnlichen Beschwerden sowie Durchfall und Erbrechen. Nach
dem Befall von Lymphknoten im Darm können sich die Polioviren über die
Blutbahn weiter im Körper ausbreiten. Während dieser zweiten Krankheitsphase
kommt es lediglich bei einem geringen Prozentsatz der Betroffenen zu einer Be-
teiligung des zentralen Nervensystems, was sich als Hirnhautentzündung mit
entsprechenden Beschwerden äußert. Bei weniger als 1 % der Infizierten werden
darüber hinaus hauptsächlich die im Rückenmark gelegenen motorischen Ner-
venzellkörper befallen und geschädigt, so dass asymmetrische schlaffe Läh-
mungen vornehmlich im Schulter- und Beckengürtelbereich auftreten. An den
betroffenen Gliedmaßen resultieren verschmächtigte Muskeln und es kann hier
zu Wachstumsstörungen sowie Deformierungen kommen (Abb. 6-2). Sehr sel-
ten werden auch Hirnnervenkerne erfasst, was Störungen des Schluckens sowie
der Atmung und Kreislaufregulation verursacht.
Durch die ab Mitte des letzten Jahrhunderts entwickelte und kurze Zeit spä-
ter eingeführte Polioimpfung wurde die Zahl der Neuerkrankungen weltweit
von jährlich mehreren 100.000 auf nur noch rund 1.500 gesenkt. Dank der Imp-
fung, für die mit dem Slogan „Schluckimpfung ist süß – Kinderlähmung ist
grausam“ geworben wurde, sind in Deutschland seit 1992 keine neuen Erkran-
kungsfälle mehr registriert worden.
6 Infektionen des zentralen Nervensystems und seiner Hüllen 63
Abb. 6-2: Defektzustand
nach Poliomyelitis im Kindes-
alter. Das linke Bein des
erwachsenen Patienten weist
bei hochgradiger schlaffer
Lähmung eine deutlich ver-
schmächtigte Muskulatur auf
und ist infolge einer Wachs-
tumsstörung verkürzt. Der
Patient benötigt Gehstützen,
um im Stehen das Gleichge-
wicht zu halten und sich
fortzubewegen.
Bei der Multiplen Sklerose (MS) handelt es sich um ein häufiges und bedeut
sames sowie hinsichtlich Erkennung und Behandlung vielschichtiges Krank-
heitsbild, dessen Entstehungsmechanismen bisher nur unvollständig bekannt
sind.
7.3 Diagnosestellung
Die Diagnosestellung einer Multiplen Sklerose kann schwierig sein, denn es gibt
wegen der sehr variablen Symptome keine krankheitsspezifischen Beschwerden.
Die entscheidenden Diagnosekriterien sind daher der Nachweis einer sowohl
räumlichen als auch zeitlichen Streuung des Krankheitsprozesses.
66 B Neurologische Krankheitsbilder
Die dargelegten Kriterien sind typisch, jedoch nicht spezifisch für eine Multiple
Sklerose. Neben der klinischen Beurteilung sind daher diverse technische Unter-
suchungen sinnvoll; u. a. auch, um die Diagnose schon früher stellen zu können.
In der Nervenwasseruntersuchung zeigen sich Zellzahl und Eiweißgehalt
nicht oder nur leicht erhöht; als Ausdruck des chronisch entzündlichen Gesche-
hens lassen sich im Nervenwasser jedoch erhöhte Konzentrationen von Antikör-
pern nachweisen, die im Blut nicht vorhanden sind. Diese lokale Produktion von
Antikörpern im zentralen Nervensystem ist – zumindest im Verlauf – bei 98 %
der MS-Patienten nachweisbar. Weil ein solcher Befund aber auch bei anderen,
z. B. durch Infektionserreger verursachten chronischen Entzündungen vor-
kommt, ist er nicht spezifisch für eine Multiple Sklerose.
Mittels Kernspintomografie können die Entmarkungsherde im Gehirn und
Rückenmark mit einer hohen Empfindlichkeit dargestellt werden. Das Verfahren
ist sehr gut zur frühen Diagnose einer Multiplen Sklerose geeignet. Eine räumliche
Streuung der Herde kann im Bild einfach nachgewiesen werden (Abb. 7-1). Wenn
sich neben frischen, Kontrastmittel aufnehmenden Herden auch ältere Herde ohne
Kontrastmittelaufnahme zeigen, ist auch eine zeitliche Streuung des Krankheits-
prozesses belegt. So wird die Diagnosestellung einer Multiplen Sklerose ermög-
licht, auch wenn neurologische Symptome und klinischer Verlauf dies noch nicht
erlauben würden. Die entzündliche Ursache der Herde lässt sich bildgebend je-
doch nicht beweisen; hierzu ist ergänzend die Nervenwasseruntersuchung erfor-
derlich. Eine isolierte Sehnervenentzündung (ICD-10: H46), die Erstsymptom ei-
ner Multiplen Sklerose sein kann, ist kernspintomografisch häufig nicht darstellbar.
Während in der Kernspintomografie die Morphologie untersucht wird, ge-
ben à elektrophysiologische Untersuchungen Auskunft über die Funktion des
Nervensystems. Bei den evozierten Potenzialen (vgl. Kap. 2.5) wird die elektri-
sche Leitungsfähigkeit verschiedener Bahnsysteme (visuell, akustisch, sensibel,
motorisch) getestet. Wenn verschiedene Bahnsysteme betroffen sind, kann auch
hieraus auf eine räumliche Streuung geschlossen werden. Die visuell evozierten
Potenziale, welche die Funktion der Sehbahn messen, sind von besonderer
Bedeutung, weil ja Entzündungen des Sehnervs dem bildgebenden Nachweis
relativ häufig entgehen.
7 Multiple Sklerose (MS) 67
Abb. 7-1: Disseminierte
Entmarkungsherde bei MS.
Die Pfeilspitzen weisen auf
zahlreiche, um die Seitenven-
trikel herum gelegene Herde.
(Kernspintomografie des
Schädels, von unten betrach-
teter Querschnitt)
Wenn die Befunde bei einer erstmaligen Symptomatik eine beginnende Mul-
tiple Sklerose vermuten lassen, jedoch die MS-Diagnosekriterien (noch) nicht
erfüllt sind, wird von einem klinisch isolierten Syndrom gesprochen. Auch in
einem solchen frühen Stadium kann bereits eine vorbeugende Behandlung mit
Immunmodulatoren (s. u.) im Anschluss an die Akuttherapie erwogen werden.
7.4 Therapie
Die Behandlungsmöglichkeiten der Multiplen Sklerose hängen davon ab, ob es
sich um einen schubförmigen oder einen chronisch-progredienten Verlaufstyp
handelt. Beim schubförmigen Verlauf ist zu unterscheiden, ob zur Abkürzung
eines akuten Schubes oder zur Vorbeugung von Schüben therapiert wird.
Wegen der zugrunde liegenden entzündlichen Veränderungen wird der
akute Schub mit entzündungshemmenden, vom körpereigenen à Kortisol ab-
geleiteten Medikamenten, sogenannten Kortikosteroiden behandelt; und zwar
intravenös und sehr hoch dosiert als Stoßtherapie über 3–5 Tage, ggf. mit an-
schließender kurzer Ausschleichphase. Wenn bei sehr schwer betroffenen Pati-
68 B Neurologische Krankheitsbilder
In den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Therapie der
Multiplen Sklerose (2008) ist angegeben, welche Substanzen primär empfohlen
werden und mit welchen Medikamenten jeweils als nächstes behandelt werden
sollte, falls die vorangegangene Therapie nicht bzw. nur schlecht wirksam ist.
Aufgrund einer intensiven Forschungs- und Entwicklungstätigkeit in diesem
Bereich ist eine zunehmende Anzahl von hoch wirksamen Immunmodulatoren
verfügbar bzw. noch in der Zukunft zu erwarten. Immer wieder werden die ho-
hen Kosten dieser innovativen vorbeugenden Medikamente beklagt. Langfristig
gesehen rechnet sich jedoch eine solche Investition; denn dadurch sind in der
Zukunft weniger Schübe zu behandeln und es entstehen weniger Folgekosten
durch Behinderungen. Da die Multiple Sklerose gerade Personen im erwerbsfä-
higen Alter betrifft, bleiben Betroffene durch eine effektive Verzögerung des
Fortschreitens der Erkrankung länger erwerbstätig, zahlen länger Sozialversi-
cherungsbeiträge und werden weniger früh zu Rentenempfängern. Die jährli-
chen volkswirtschaftlichen direkten und indirekten Kosten durch die Multiple
Sklerose werden in Deutschland auf insgesamt 4 Mrd. € geschätzt. Dabei ergibt
sich ein nahezu exponentieller Anstieg der Kosten mit zunehmendem Behinde-
rungsgrad (Kobelt et al. 2006).
7 Multiple Sklerose (MS) 69
Die akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM, ICD-10: G37.8) ist eine selte-
ne, akut entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, welche vorwie-
gend Kinder betrifft. Es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung, die typi-
scherweise einige Wochen nach einer Virusinfektion, sehr selten auch nach einer
Impfung auftritt. Wenn nämlich die Oberfläche der abgewehrten Viren zufälliger-
weise Ähnlichkeiten mit den individuell variablen Bestandteilen der Markschei-
8 Andere Entzündungen des zentralen Nervensystems 71
den im zentralen Nervensystem aufweist, kann es durch eine gegen die Markschei-
den gerichtete Immunreaktion zu MS-ähnlichen Entmarkungsherden kommen.
In Abhängigkeit von der Lage der Herde können die Symptome sehr unter-
schiedlich sein, umfassen im Unterschied zur Multiplen Sklerose jedoch auch häu-
fig Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit und eine allgemeine Verlangsamung bzw.
eine Bewusstseinsstörung. Die kernspintomografisch darstellbaren Entmarkungs-
herde sind im Vergleich zur Multiplen Sklerose größer und reichern mehr Kon
trastmittel an. Der Verlauf ist monophasisch (grch. monos = allein, einzig), d. h. es
treten keine weiteren Schübe wie bei der schubförmigen Multiplen Sklerose auf.
Wenn keine vorangegangene Infektion erinnerlich ist, bleibt jedoch vorerst unklar,
ob es sich nicht um den ersten Schub einer Multiplen Sklerose handelt. Unter einer
hoch dosierten Kortikosteroid-Gabe über einige Tage klingen die Beschwerden
meist rasch ab. Beim Versagen dieser Therapie werden Immunglobuline (d. h. An-
tikörper, die aus dem Blut fremder Menschen gewonnen wurden), Plasmapherese
oder Zytostatika eingesetzt. Bis auf seltene, sehr schwere Verläufe, die tödlich en-
den können, ist die Prognose insgesamt gut; denn mehrheitlich bilden sich die
Symptome vollständig zurück und nur gelegentlich bleiben Defizite zurück.
Hirnstamm
Nervenwasser
Entmarkungsherd
im Rückenmark
der Halswirbelsäule
Wirbelkörper
Schubereignisse werden wie bei der Multiplen Sklerose mit einer sehr hoch
dosierten Kortikosteroid-Stoßtherapie behandelt. Bei fehlendem Effekt, was hier
häufiger vorkommt als bei der Multiplen Sklerose, erfolgt die Behandlung mit-
tels Plasmapherese, um krankheitsauslösende Antikörper aus dem Blut zu ent-
fernen. Vorbeugend werden im Unterschied zur Multiplen Sklerose nicht in ers-
ter Linie Immunmodulatoren, sondern Medikamente, die das Immunsystem
unterdrücken, eingesetzt.
8.3 Behçet-Krankheit
Die Behçet-Erkrankung (ICD-10: M35.2), welche nach dem türkischen Hautarzt
Hulusi Behçet benannt ist, beruht auf einer schubförmig verlaufenden Gefäß-
entzündung in zahlreichen Organen, vor allem im Bereich von Schleimhäuten,
Haut und Augen. Neben einer genetischen Veranlagung führen wahrscheinlich
bestimmte Infektionen oder andere Umweltfaktoren zu einer Fehlregulation des
8 Andere Entzündungen des zentralen Nervensystems 73
8.4 Sarkoidose
Bei der Sarkoidose (ICD-10: D86.-) handelt es sich um eine entzündliche Er-
krankung des Bindegewebes (grch. sarkodes = fleischig, die Weichteile betref-
fend) unbekannter Ursache, die vorwiegend im jungen Erwachsenenalter auf-
tritt. Im erkrankten Gewebe finden sich mikroskopisch kleine Knötchen (sog.
Granulome, lat. granulum = Körnchen) sowie Hinweise auf eine vermehrte Ak-
tivierung des Immunsystems. Am häufigsten sind Lymphknoten, Lunge und
Haut betroffen; prinzipiell können jedoch alle Organe davon erfasst werden. Das
Röntgenbild bzw. die Computertomografie der Lunge zeigt oftmals beidseits ver-
größerte Lymphknoten im Aufzeigungsbereich der Bronchien und/oder einen
Befall des Lungengewebes.
Die Erkrankung kann ganz unterschiedliche Verläufe nehmen und sich auch
spontan wieder zurückbilden. Bei etwa 5 % der Patienten kommt es zu einer Be-
teiligung des Nervensystems mit einem relativ großen Spektrum an möglichen
Veränderungen und Symptomen. Die Behandlung einer Sarkoidose orientiert
sich an der Beschwerdeintensität und etwaigen Organbeteiligungen. Bei einer
Neurosarkoidose wird mehrheitlich die frühzeitige und durchgreifende Thera-
pie vornehmlich mit Kortikosteroiden und ggf. Immunsuppressiva bzw. Zytosta-
tika empfohlen.
74 B Neurologische Krankheitsbilder
8.5 Lyme-Borreliose
Eine Borreliose ist eine Infektionskrankheit, die durch Borrelien verursacht
wird. Hierbei handelt es sich um längliche Bakterien, die sich schraubenförmig
um ihre eigene Längsachse bewegen und nach dem französischen Bakteriologen
Amédée Borrel benannt wurden. Unterschiedliche Borrelien-Spezies sind für die
Auslösung verschiedener Infektionskrankheiten verantwortlich. Im Folgenden
wird ausschließlich die Lyme-Borreliose besprochen, während die durch Rück-
fallfieber-Borrelien ausgelösten Erkrankungen hier nicht betrachtet werden.
Die nach dem kleinen Ort Lyme im nordamerikanischen Bundesstaat Con-
necticut benannte Lyme-Borreliose (ICD-10: A69.2) wird durch das Bakterium
Borrelia burgdorferi ausgelöst. Die Borrelien werden durch den Biss infizierter
Zecken übertragen; dabei muss die Blutmahlzeit der Zecke etliche Stunden an-
dauern, bevor die Bakterien aus dem Zeckendarm in den menschlichen bzw.
tierischen Wirtsorganismus gelangen. Daher sollten die Zecken möglichst bald
mit einer feinen Pinzette oder Zeckenzange am Kopf gefasst und aus der Haut
gezogen werden, ohne ihren Körper zu quetschen. Borrelien sind nahezu welt-
weit verbreitet. In Deutschland sind 5–35 % (regional bis zu 50 %) der Zecken
mit Borrelien infiziert, wobei ein Nord-Südanstieg besteht. Zecken bevorzugen
ein mildes und feuchtes Klima, sind bei Temperaturen über 10 ºC aktiv und hal-
ten sich in Erdbodennähe auf, so dass sie von Gräsern und Sträuchern unbe-
merkt abgestreift werden.
In Deutschland treten jährlich etwa 50.000–70.000 Neuerkrankungen der
Lyme-Borreliose auf. Bei etwa der Hälfte der infizierten Personen kommt es in
einem ersten, frühen lokalisierten Stadium wenige Tage bis Wochen nach dem
Zeckenbiss zu einer sich ringförmig um die Bissstelle ausbreitenden Hautrötung,
der sogenannten Wanderröte (Erythema migrans). Gelegentlich treten grippe-
ähnliche Allgemeinsymptome auf.
Wenn keine antibiotische Behandlung erfolgt, weil z. B. die Wanderröte nicht
auftritt oder übersehen wird, kann die Infektionskrankheit weiter voranschrei-
ten und nach Wochen bis Monaten in ein zweites, disseminiertes bzw. genera-
lisiertes Stadium übergehen. Dabei werden insbesondere das Nervensystem, die
Gelenke und Muskeln sowie das Herz befallen.
Die als Neuroborreliose bezeichnete Beteiligung des Nervensystems mani-
festiert sich als Entzündung von Hirnhäuten, Nervenwurzeln und peripheren
Nerven. Die Krankheitssymptome können sehr vielfältig sein. Typisch sind z. B.
wechselnd lokalisierte, ziehende oder brennende Schmerzen in einem Arm oder
einem Bein, gefolgt von Lähmungen und Gefühlsstörungen. Mitunter können
die Beschwerden einen Bandscheibenvorfall imitieren. Hirnnerven können
ebenfalls befallen sein, wobei überwiegend der Fazialis-Nerv betroffen ist mit
der Folge einer Gesichtsmuskulatur-Lähmung (vgl. Kap. 17.3).
8 Andere Entzündungen des zentralen Nervensystems 75
9 Epilepsien (Anfallsleiden)
„[Der Kranke] verliert die Sprache und wird gewürgt. Schaum fließt aus seinem
Mund, er beißt die Zähne aufeinander, die Hände krampfen sich zusammen, die
Augen verdrehen sich, und die Kranken sind nicht bei Besinnung. Bei manchen
geht auch Kot ab. Diese Erscheinungen treten bald auf der linken Seite auf, bald
auf der rechten, bisweilen auf beiden zugleich.“
Diese historische Beschreibung von epileptischen Anfällen stammt aus dem
siebenten Kapitel der hippokratischen Schrift „Über die Heilige Krankheit“
(Schneble 2003, S.25). Jahrhundertelang glaubte man an eine zugrunde liegende
Besessenheit durch den Geist eines Verstorbenen bzw. Dämonen und schloss
Epileptiker daher vom gesellschaftlichen Leben aus. Im Gegensatz dazu hatte der
griechische Arzt Hippokrates von Kos (460 bis ca. 375 vor Christus) die zu seiner
Zeit revolutionäre Theorie vertreten, dass die sogenannte „Heilige Krankheit“
eine natürliche Ursache habe, die im Gehirn zu finden sei.
9.3 Diagnostik
Die Elektroenzephalografie (EEG) hat in der Epilepsiediagnostik einen beson-
deren Stellenwert, weil mit ihr elektrische Spannungsschwankungen des Gehirns
erfasst werden können. Die mittels Elektroden von der Kopfhaut abgeleiteten
sehr schwachen Spannungssignale müssen allerdings deutlich verstärkt werden.
In der Hirnstromkurve zeigen sich epilepsietypische Potenziale als auffällig
steile Kurvenabläufe (scharfe Wellen oder Spitzen, Abb. 9-1), was auf die anfalls-
Abb. 9-1: Epilepsietypische Potenziale im EEG eines Patienten mit idiopathischer Epilepsie.
Zunächst (im Bild links außen) ist das EEG noch unauffällig, dann jedoch generalisiertes Auf-
treten von Komplexen aus jeweils einer Spitze und einer nachfolgenden langsamen Welle.
9 Epilepsien (Anfallsleiden) 79
9.4 Therapie
Nicht immer ist eine medikamentöse Behandlung von Epilepsien erforderlich;
z. B., wenn nur sehr selten Anfälle auftreten oder ihr Auftreten bereits durch das
Meiden von Provokationsfaktoren (z. B. Schlafentzug) verhindert werden kann.
Die Verordnung anfallsblockierender Medikamente (à Antikonvulsiva) ist
grundsätzlich nicht angezeigt, wenn ihre regelmäßige Einnahme nicht gewähr-
leistet ist oder ein chronischer Alkoholmissbrauch besteht.
Mittlerweile stehen über 25 verschiedene Substanzen zur medikamentösen
Langzeitbehandlung zur Verfügung. Für sämtliche Antikonvulsiva gilt dabei,
dass sie – indem die Durchlässigkeit von Kanälen in Zellmembranen beeinflusst
wird – epileptische Anfälle lediglich unterdrücken, ohne auf die der Epilepsie
zugrunde liegenden Veränderungen einzuwirken. Bei fortbestehender Ursache
muss daher eine medikamentöse antikonvulsive Therapie oftmals lebenslang
durchgeführt werden, da sonst nach ihrem Absetzen mit erneuten Anfällen zu
80 B Neurologische Krankheitsbilder
rechnen ist. Wegen dieses langfristigen zeitlichen Horizonts kommt der Auswahl
des „richtigen“ Medikaments eine besondere Bedeutung zu. Neben der Art der
Epilepsie beeinflussen Alter, Geschlecht, Nebenwirkungen, weitere Erkrankun-
gen, Begleitmedikation, Kinderwunsch und Präferenzen des Patienten die Ent-
scheidung für oder gegen das eine oder andere Präparat.
Vorausgesetzt, es wird eine für das vorliegende Epilepsie-Syndrom geeignete
Substanz eingesetzt, unterscheidet sich die Wirksamkeit der verschiedenen Me-
dikamente nicht signifikant, wohingegen bezüglich Nebenwirkungen und Wech-
selwirkungen deutliche Unterschiede bestehen. Gerade die neueren Antikonvul-
siva bieten hier Vorteile, was sich auch günstig auf die Einnahmetreue der
Patienten auswirkt. Bei in diesem Patientenkollektiv vergleichsweise schlechter
Therapietreue ließe sich schätzungsweise jede zweite Krankenhauseinweisung
vermeiden, wenn anfallsblockierende Medikamente nicht eigenmächtig abge-
setzt würden.
Neben den klassischen Substanzen werden sukzessive auch die ehemals neu-
eren Antikonvulsiva als deutlich kostengünstigere Generika (Nachahmerpräpa-
rate) auf den Markt gebracht, nachdem der Patentschutz des Originals abgelau-
fen ist. Generika sind mit dem Originalpräparat wirkstoffgleich, können aber
andere Begleitstoffe und Hüllstrukturen beinhalten. Weil dadurch die in den
Körper aufgenommene Wirkstoffmenge verändert werden kann, muss für die
Zulassung eines Generikums die biologische Verfügbarkeit im Körper bezogen
auf das Originalpräparat zwischen 80 und 125 % liegen. Vielfach stellen Nachah-
merpräparate eine wirtschaftlichere und medizinisch gleichwertige Lösung dar;
insbesondere bei der Ersteinstellung auf eine entsprechende Substanz. Bei unter
Therapie langjährig anfallsfreien Patienten müssen jedoch individuell Nutzen
und Risiken eines Wechsels vom Originalpräparat auf ein Generikum gegenein-
ander abgewogen werden. Wenn nämlich durch den Austausch der Wirkstoff-
spiegel im Blut absinkt, kann dies bei einzelnen „empfindlichen“ Patienten zum
Wiederauftreten von Anfällen führen. Der Wechsel zwischen verschiedenen Ge-
nerika kann diesbezüglich noch problematischer sein, da hierbei Wirkstoffspie-
gelschwankungen von bis zu 45 % möglich sind. Mitunter müssen Versicherte
sogar wiederholt von einem auf ein anderes Generikum umsteigen, wenn ihre
jeweilige Krankenkasse bei nur ein- bis zweijährigen Laufzeiten mit wechseln-
den Arzneimittelherstellern Rabattverträge (gemäß § 130a Abs. 8 SGB V) ab-
schließt.
Bei gut der Hälfte der Epilepsiepatienten ist die erste medikamentöse Thera-
pie erfolgreich. Bei den Therapieversagern hat das Umsetzen auf ein anderes An-
tikonvulsivum eine Erfolgschance von ca. 10–15 %. Für das noch verbleibende
Drittel werden mit begrenztem Erfolg Kombinationsbehandlungen von zwei
oder mehr Wirkstoffen eingesetzt. Wenn die medikamentöse Behandlung nicht
bzw. nicht ausreichend wirksam ist, sollte schon relativ frühzeitig überprüft wer-
9 Epilepsien (Anfallsleiden) 81
den, ob sich der Befund für einen epilepsiechirurgischen Eingriff eignet. Bei
fokalen Epilepsien, die von einer umschriebenen morphologischen Verände-
rung des Gehirns ausgehen, kann eine chirurgische Entfernung dieses veränder-
ten Gehirngewebes einen deutlichen Rückgang der Anfälle bis hin zur Heilung
der Epilepsie bewirken. Der Epilepsiechirurgie sind Grenzen gesetzt, wenn die
ursächliche Veränderung in einer Hirnregion mit sehr wichtigen Funktionen
(z. B. Sprache) liegt oder aber die epileptischen Anfälle ihren Ursprung in meh-
reren verschiedenen Regionen haben. In solchen Fällen, in denen die medika-
mentöse Behandlung versagt und epilepsiechirurgische Eingriffe nicht möglich
sind, kann die Anfallshäufigkeit durch eine Vagusnervstimulation gesenkt wer-
den. In einer vergleichsweise einfachen Operation werden links im Halsbereich
am zehnten Hirnnerv (N. vagus, N. = Nervus) Stimulationselektroden befestigt
und der dazugehörende Pulsgenerator wird unterhalb des Schlüsselbeins im-
plantiert. Durch die Abgabe von schwachen Stromimpulsen in regelmäßigen
Abständen (z. B. alle fünf Minuten) wird der Vagus-Nerv gereizt und leitet die
Impulse an das Gehirn weiter, so dass dort die Entwicklung epileptischer Anfälle
unterdrückt wird.
82 B Neurologische Krankheitsbilder
10 Schlafstörungen
10.1 Schlafwandeln
Schlafwandeln (ICD-10: F51.3) ist ein vorzugsweise im ersten Drittel der Nacht
aus Tiefschlafphasen heraus auftretender Zustand, bei dem die Betroffenen
komplexe Handlungen durchführen, ohne sich daran zu erinnern. Möglicher-
weise werden die Schlafwandler nach einem, von außen oder innen kommenden
Weckreiz nicht richtig wach und zeigen gewissermaßen im „Halbschlaf “ Verhal-
tensweisen wie Aufrichten und Umherschauen im Bett, Sprechen bzw. Rufen
sowie Aufstehen bis hin zum Umherwandern mit einem leeren, starren Blick.
Die Betroffenen sind dabei nur schwer erweckbar und reagieren oft abwehrend
oder aggressiv. Bis zu 30 % aller Kinder zwischen vier und sechs Jahren sind
Schlafwandler, wobei sich die Störung meist in der Pubertät verliert.
Neben einer genetischen Veranlagung wird das Schlafwandeln durch Ein-
flüsse begünstigt, die den Schlaf vertiefen (z. B. Schlafmangel, stärkerer Alkohol-
konsum) oder einen Weckreiz darstellen (z. B. Schmerzen, volle Harnblase, laute
Geräusche). Mit der sprichwörtlichen „schlafwandlerischen Sicherheit“ ist es
jedoch nicht weit her; denn wegen des eingeschränkten Bewusstseins sowie der
verminderten Reaktionsfähigkeit und Orientierung kommt es bei etwa einem
Fünftel der Betroffenen zu Verletzungen.
Zur Vorbeugung sollen die oben genannten auslösenden Faktoren möglichst
vermieden werden. Das vorsorgliche Erwecken der Betroffenen eine bis wenige
Stunden nach dem Einschlafen bzw. kurze Zeit vor dem individuell erwarteten
Beginn des Schlafwandelns kann ebenfalls hilfreich sein. Wenn die nicht-medi-
kamentösen Maßnahmen nicht ausreichen, wird meistens die vorübergehende
Einnahme eines kurzwirkenden Benzodiazepins (schlafförderndes Beruhi-
gungsmittel) vor dem Schlafengehen empfohlen. Benzodiazepine verändern die
Schlafarchitektur und verkürzen dabei die Tiefschlafphasen, aus denen heraus
sich ja die Zustände des Schlafwandelns entwickeln. In der Anwendung als ganz
gewöhnliches Schlafmittel sollten Benzodiazepine jedoch sehr zurückhaltend
eingesetzt werden, da sie ein Abhängigkeitspotenzial besitzen und der Schlaf
durch den verkürzten Tiefschlaf weniger erholsam sein kann.
Während des Schlafwandelns sollten die Betroffenen nicht geweckt werden,
weil sie darauf mitunter panisch erschreckt, abwehrend oder aggressiv rea-
84 B Neurologische Krankheitsbilder
10.2 REM-Schlaf-Verhaltensstörung
Die REM-Schlaf-Verhaltensstörung (ICD-10: G47.8) tritt ausschließlich gebun-
den an die REM-Schlafphasen auf und äußert sich in Form komplexer heftiger
Körperbewegungen oder als Schreien. Ursächlich für diese Störung ist, dass die
während der REM-Phase normalerweise vorhandene Erschlaffung der Skelett-
muskulatur ausbleibt. Vorwiegend bedrohliche Trauminhalte, in denen die Be-
troffenen versuchen, sich zu verteidigen oder zu fliehen, werden daher als unge-
stüme, um sich schlagende und tretende Bewegungen ausgelebt. Dies kann zu
Eigengefährdungen und insbesondere auch zu Verletzungen eines daneben
schlafenden Bettpartners führen.
Aufgrund der Assoziation mit den REM-Schlafphasen, deren Dauer gegen
Morgen zunimmt, kommt die Verhaltensstörung meist erst in der zweiten Nacht-
hälfte vor. Bei bis zu 0,5 % der Bevölkerung besteht eine mehr oder weniger aus-
geprägte REM-Schlaf-Verhaltensstörung, wobei die weit überwiegende Mehr-
heit der Betroffenen männlich und über 60 Jahre alt ist. In etwa der Hälfte der
Fälle ist die Störung auf eine andere Krankheit zurückzuführen, wie z. B. eine
Parkinsonkrankheit oder eine Lewy-Körperchen-Demenz (vgl. Kap. 13.1 bzw.
15.3).
Von den Episoden einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung sind differenzialdia-
gnostisch epileptische Anfälle abzugrenzen, insbesondere die mitunter ähnlich
aussehenden Frontallappenanfälle. Epileptische Anfälle gehen mit entsprechend
auffälligen Kurvenabläufen im EEG einher (vgl. Kap. 9.3). Die REM-Schlaf-
Verhaltensstörung hingegen zeichnet sich durch eine erhöhte Muskelaktivität
während der REM-Phasen aus, was in einer schlafmedizinischen Untersuchung
(Polysomnografie, vgl. Kap. 2.7) erfasst werden kann. Abgesehen von der Be-
handlung einer etwaig vorhandenen Grunderkrankung wird auch hier mit ei-
nem Benzodiazepin therapiert, welches nämlich u. a. muskelentspannend wirkt
und die störungsbedingt in REM-Phasen abnorm gesteigerte Muskelaktivität
drosselt.
10 Schlafstörungen 85
10.3 Narkolepsie
Die Narkolepsie (ICD-10: G47.4) ist eine vielgestaltige Krankheit, bei der die
zentralnervöse Steuerung des Schlaf-Wach-Rhythmus gestört ist. Losgelöst
vom eigentlichen Nachtschlaf treten dabei unkoordiniert und unvermittelt kurze
Schlafepisoden bzw. normalerweise an den REM-Schlaf gebundene Phänomene
(Muskelerschlaffung, Traumaktivität) zu vollkommen unpassenden Zeiten auf.
Das Krankheitsbild wird nur selten diagnostiziert, wobei jedoch angesichts der
variablen Symptomausprägung und eines relativ geringen Bekanntheitsgrads
eine hohe Dunkelziffer anzunehmen ist.
Namensgebendes Symptom der Narkolepsie (grch. narkosis = Betäubung,
Schlaf + lepsis = nehmen, ergreifen, empfangen) ist eine übermäßige Tages-
schläfrigkeit mit daraus hervorgehenden unwiderstehlichen Schlafattacken,
die einige Sekunden bis mehrere Minuten, manchmal sogar Stunden andauern
und mehrfach am Tag auftreten können. Diese Schlafanfälle treten vor allem bei
eintönigen Tätigkeiten oder Langeweile auf, können aber auch jederzeit plötzlich
und ohne Vorwarnung vorkommen. Weil dies auch in gänzlich unpassenden Si-
tuationen passieren kann, ergibt sich daraus eine erhöhte Unfall- und Verlet-
zungsgefahr. Im Anschluss an eine Tagschlafepisode fühlen sich die Betroffenen
vorübergehend wieder munter und leistungsfähig.
Die Narkolepsie beginnt überwiegend im Jugendalter, und zwar meist mit
einer langsam zunehmenden Tagesschläfrigkeit und Einschlafattacken. Häufig
entwickeln sich im Verlauf von Monaten bis Jahren weitere Symptome der Er-
krankung, die aber auch schon bei Erkrankungsbeginn vorhanden sein können.
Zu diesen Symptomen gehört insbesondere die Kataplexie (grch. kata = hinun-
ter, völlig + plege = Schlag, Lähmung), bei der es zu einem attackenartig auftre-
tenden, kurzzeitigen Verlust der Muskelspannung kommt, so dass die Betrof-
fenen bei vollem Bewusstsein zu Boden stürzen oder bei leichteren Formen
zumindest vorübergehend eine mehr oder weniger deutliche Muskelschwäche
verspüren (z. B. Herabsinken des Unterkiefers oder Gefühl von „weichen“ Kni-
en). Typischerweise werden diese Attacken durch emotionale Empfindungen
ausgelöst, wie beispielsweise Angst, Überraschung, Ärger, Aufregung, Freude
und insbesondere auch Lachen; daher werden die kataplektischen Sturzanfälle
auch als „Lachschlag“ bezeichnet. Gedeutet wird die Kataplexie als das losgelöste
Auftreten von einzelnen Merkmalen des REM-Schlafs, so dass eine entsprechen-
de Muskelerschlaffung erfolgt, obwohl die Betroffenen wach sind.
Bei etwa der Hälfte der Betroffenen zeigen sich im Krankheitsverlauf noch
weitere Symptome, und zwar Schlaflähmungen und à hypnagoge Halluzinatio-
nen, welche sich ebenfalls auf eine ungenügende Unterdrückung des REM-
Schlafs bzw. seiner Attribute zurückführen lassen. Während der Schlaflähmun-
gen, die meist beim Einschlafen oder Aufwachen auftreten, sind die Betroffenen
86 B Neurologische Krankheitsbilder
trotz wachen Bewusstseins sekunden- bis minutenlang nicht in der Lage, sich zu
bewegen, weil eine Erschlaffung der Skelettmuskulatur (ähnlich wie bei der Ka-
taplexie) vorliegt. Im schläfrigen Zustand – nicht selten in Verbindung mit den
Schlaflähmungen – können zumeist bedrohlich wirkende, komplexe traumähn-
liche Trugbilder vorkommen, die hypnagoge Halluzinationen genannt werden.
Dabei handelt es sich im eigentlichen Sinne nicht um Halluzinationen (vgl.
Kap. 23), sondern um vorzeitige Traumaktivität, die bereits im Wachzustand
bzw. in der Übergangsphase zum Schlaf abläuft.
Bei Ermüdung bzw. Schläfrigkeit laufen Narkolepsie-Patienten Gefahr, begon-
nene Handlungen in einer Art Halbschlaf als automatisches Verhalten fortzu-
führen. Die vornehmlich monotonen Tätigkeiten werden dann allerdings wegen
des eingeschränkten Bewusstseins nicht mehr korrekt vollendet, und die damit
einhergehenden Fehlleistungen können mehr oder weniger folgenschwer sein.
Viele Narkolepsie-Patienten leiden zugleich unter einem krankhaft verän-
derten Nachtschlaf, was die ohnehin schon vorhandene vermehrte Tagesschläf-
rigkeit noch verstärkt. Der Schlaf ist zwar durch rasches Einschlafen und vorzei-
tigen REM-Schlaf gekennzeichnet, wird aber dafür in der Nacht durch das
vermehrte Wechseln von Schlafstadien und wiederholtes, häufiges Aufwachen
mit anschließenden, teilweise längeren Wachliegezeiten spürbar gestört. Zur Ab-
sicherung der Diagnose werden daher eine Polysomnografie und ein multipler
Schlaflatenztest empfohlen, mit denen die beschriebenen Auffälligkeiten des
Schlafs erfasst werden. Beim multiplen Schlaflatenztest werden ähnliche Mess-
größen wie bei der Polysomnografie aufgezeichnet, jedoch während des Tages
anstatt nachts. Der Test misst tagsüber in einem abgedunkelten Raum wiederholt
die bis zum Einschlafen benötigte Zeit, die im Falle einer vermehrten Einschlaf-
neigung unter acht Minuten liegt. Außerdem werden verfrüht (d. h. vor Ablauf
von 20 Minuten) auftretende REM-Schlafphasen registriert, welche typisch für
eine Narkolepsie sind. Nur bei wenigen Betroffenen lässt sich das Krankheitsbild
auf Schädigungen in bestimmten Hirnregionen (insbesondere im Hirnstamm
oder Zwischenhirn) zurückführen. Im Übrigen werden eine erbliche Veranla-
gung sowie veränderte Überträgerstoff-Konzentrationen in einzelnen Hirnberei-
chen vermutet, ohne dass die genaueren Ursachen dafür bekannt wären.
Die Symptome der Narkolepsie stellen für viele Erkrankte eine erhebliche
psychosoziale Belastung dar, welche zudem durch irritierte oder amüsierte Re-
aktionen von Mitmenschen noch verstärkt wird. Häufig entwickeln die Betroffe-
nen eine Vermeidungsstrategie, die zu sozialem Rückzug und Problemen in Fa-
milie, Freundeskreis, Beruf und Schule führt. Daher sollte das soziale Umfeld
über die Erkrankung aufgeklärt werden. Zur Behandlung werden verhaltensthe-
rapeutische Maßnahmen, wie regelmäßiger Schlaf-/Wachrhythmus und indivi-
duell angepasste Schlafepisoden am Tag (z. B. vor dem Verrichten wichtiger Tä-
tigkeiten), sowie eine individuell an die vorliegenden Symptome angepasste
10 Schlafstörungen 87
10.4 Schlafapnoe-Syndrom
Beim Schlafapnoe-Syndrom (ICD-10: G47.3-) kommt es während des Schlafens
wiederholt zu vorübergehenden, jeweils mindestens zehn Sekunden anhalten-
den Atemstillständen (Apnoen, grch. a = ohne, nicht + pnoe = Atmung) bzw.
deutlich abgeschwächten Atemzügen (Hypopnoen, grch. hypo = unter). In den
Atempausen sinkt die Sauerstoffsättigung im Blut zusehends, so dass zum Schutz
vor dem Ersticken reflektorische, vom Betroffenen meist unbemerkte Weckreak-
tionen erfolgen. Diese wiederum stören und unterbrechen den Tiefschlaf mit der
Folge eines wenig erholsamen Schlafs und vermehrter Tagesschläfrigkeit, wel-
che zu Leistungsbeeinträchtigungen, Konzentrationsstörungen und einer erhöh-
ten Unfallgefahr im Straßenverkehr führt.
Gemäß unterschiedlicher Ursachen werden obstruktive von nicht-obstrukti-
ven bzw. zentralen Schlafapnoe-Syndromen differenziert:
11 Kopfschmerzerkrankungen
Kopfschmerzen sind so häufig, dass es kaum einen Menschen gibt, der sie nicht
kennt. Bei rund 70 % aller Deutschen sind diese Schmerzen im Laufe ihres Le-
bens zumindest zeitweise so gravierend, dass Leidensdruck besteht. Kopfschmer-
zen entstehen typischerweise durch Reizung von Schädelknochen, Hirnhäuten,
Blutgefäßen im Gehirn oder Hirnnerven. Das Gehirngewebe selbst ist nicht
schmerzempfindlich.
Nach ihrer Ursache werden Kopfschmerzen eingeteilt in die häufigeren pri-
mären und die selteneren sekundären Formen sowie Schmerzen, die durch Rei-
zung von Hirnnerven entstehen.
uuUnter den Kopf- bzw. Gesichtsschmerzen, die durch Reizung eines Hirn-
nervs verursacht werden, ist die Trigeminusneuralgie am häufigsten.
Nicht jeder Patient mit Kopfschmerzen benötigt eine Bildgebung des Gehirns.
Wenn jedoch begleitend neurologische Auffälligkeiten bestehen oder die Kopf-
schmerzen von unbekannter Art bzw. Heftigkeit sind, wird in der Regel eine
Computer- bzw. Kernspintomografie des Schädels durchgeführt, um eine etwai-
ge ursächliche Erkrankung zu erkennen.
90 B Neurologische Krankheitsbilder
11.1 Spannungskopfschmerz
Spannungskopfschmerzen (ICD-10: G44.2) sind der häufigste Kopfschmerztyp
überhaupt. Der Kopfschmerz ist beidseitig lokalisiert, von dumpf drückendem
Charakter (nicht pulsierend), wird durch körperliche Routineaktivität nur un-
wesentlich verstärkt und erreicht meist nur eine mittlere Schmerzintensität.
Häufig wird dieser Typ Kopfschmerzen so empfunden, als ob man einen zu en-
gen Hut trage oder der Kopf in eine Schraubzwinge gespannt sei. Übelkeit und
Erbrechen sind selten bzw. nur gering ausgeprägt. Gelegentlich auftretende
Spannungskopfschmerzen haben etwa 40–60 % der Bevölkerung, während bei
ca. 3 % eine chronische Form (mit täglichen oder sehr häufigen Kopfschmerz
episoden) vorliegt.
Gelegentliche Kopfschmerzen können bedarfsweise mit üblichen Schmerz-
medikamenten behandelt werden. Bei sehr häufigem Gebrauch von Schmerz-
mitteln können diese jedoch paradoxerweise selbst wieder Kopfschmerzen aus-
lösen, so dass der Betroffene in einen Teufelskreis hineingerät. Um solche
medikamenteninduzierten Kopfschmerzen zu vermeiden, werden chronische
Spannungskopfschmerzen vorbeugend mit Substanzen behandelt, welche das
körpereigene schmerzhemmende System aktivieren bzw. die Schmerzschwelle
im Gehirn heraufsetzen. Diese Medikamente beeinflussen den Stoffwechsel der
Überträgerstoffe Serotonin und Noradrenalin im Nervensystem und werden
auch zur Behandlung von Depressionen eingesetzt (Antidepressiva).
11.2 Migräne
Die Migräne (ICD-10: G43.-) hat als eine häufige, stark beeinträchtigende Kopf-
schmerzerkrankung große sozioökonomische Auswirkungen. Während wieder-
holte Migräneattacken bei Kindern weniger häufig vorkommen, sind über 6 %
der Männer und mehr als 12 % der Frauen davon betroffen. Die wiederkehren-
den, 4–72 Stunden anhaltenden Kopfschmerzattacken sind halbseitig lokalisiert,
haben pulsierenden Charakter, werden durch körperliche Routineaktivitäten
verstärkt und erreichen mittlere bis starke Intensität. Typisch sind auch beglei-
tende Übelkeit und Erbrechen sowie Lichtscheu und Lärmempfindlichkeit. Fa-
kultativ können dem Migränekopfschmerz auch vorübergehende fokale neuro-
logische Reiz- oder Ausfallerscheinungen unmittelbar vorangehen. Diese als
Migräneaura bezeichneten, langsam einsetzenden und wieder abklingenden
Symptome können sehr unterschiedlich sein; beispielsweise sind Sehstörungen,
Missempfindungen, Gleichgewichtsstörungen oder Sprachstörungen möglich.
Je nachdem, ob solche Erscheinungen auftreten oder nicht, wird von einer Mi
11 Kopfschmerzerkrankungen 91
gräne mit Aura (ICD-10: G43.1) bzw. ohne Aura (ICD-10: G43.0) gesprochen.
Trotz gleichartiger Bezeichnung bestehen zwischen den Auraphänomenen bei
Migräne und bei Epilepsie (vgl. Kap. 9.2) keine weiteren Zusammenhänge.
Die Akuttherapie des Migränekopfschmerzes erfolgt in erster Linie mit Se-
rotonin-Rezeptoragonisten (Triptane) oder hoch dosierter Acetylsalicylsäure in
Kombination mit Substanzen gegen Übelkeit bzw. Erbrechen. Zur Vorbeugung
von Attacken stehen andere Medikamente zur Verfügung, wobei vor allem be-
stimmte Betablocker, Kalziumkanalblocker oder Antikonvulsiva eingesetzt wer-
den. Eine medikamentöse Vorbeugung ist insbesondere dann angezeigt, wenn
die Lebensqualität durch häufige oder sehr schwere Migräneattacken stark be-
einträchtigt wird.
11.3 Clusterkopfschmerz
Der Clusterkopfschmerz (ICD-10: G44.0) ist wesentlich seltener als die beiden
anderen vorgenannten primären Kopfschmerzerkrankungen. Die Bezeichnung
dieser Kopfschmerzform beruht darauf, dass die Schmerzattacken periodisch
gehäuft in sogenannten Clustern („Büscheln“) mit dazwischen liegenden länge-
ren beschwerdefreien Intervallen auftreten. Charakteristisch sind einseitig loka-
lisierte, sehr heftige, etwa 15–180 Minuten anhaltende Kopfschmerzattacken.
Der Schmerz wird häufig als unerträglich reißend, bohrend und brennend be-
schrieben; dabei hauptsächlich um das Auge herum lokalisiert (als ob das Auge
herausgedrückt werde). Begleitend können typischerweise ein gerötetes und trä-
nendes Auge, eine laufende Nase und körperliche Unruhe auftreten.
Mittel der ersten Wahl zur akuten Behandlung des Clusterkopfschmerzes ist
die Inhalation von reinem Sauerstoff mittels Gesichtsmaske für höchstens
20 Minuten. Vorteile sind die hohe Wirksamkeit bei frühzeitiger Anwendung zu
Attackenbeginn und das Fehlen von Nebenwirkungen. Nachteilig ist, dass im-
mer, z. B. auch auf Reisen, Sauerstoffflaschen mitgeführt werden müssen. Als
Mittel der zweiten Wahl werden Serotonin-Rezeptoragonisten (Triptane) bzw.
Nasensprays mit einem örtlichen Betäubungsmittel (Lidocain) angewendet. Zur
vorbeugenden Behandlung werden neben weiteren Substanzen in erster Linie der
Kalziumkanalblocker Verapamil sowie überbrückend Kortikosteroide eingesetzt.
Die chronisch paroxysmale Hemikranie („chronischer, anfallsweise auftre-
tender Halbseitenkopfschmerz“) ist eine sehr seltene Variante, bei der die be-
schriebenen Kopfschmerzattacken kürzer als beim Clusterkopfschmerz anhal-
ten, dafür aber häufiger pro Tag auftreten. Charakteristisch ist außerdem das
gute Ansprechen auf das entzündungshemmende Schmerzmedikament Indo-
metacin.
92 B Neurologische Krankheitsbilder
11.7 Liquorunterdruck-Syndrom
Beim Liquorunterdruck-Syndrom ist der Druck des Nervenwassers infolge eines
Liquorlecks vermindert. Durch den Unterdruck kommt es in aufrechter Hal-
tung zu einem Zug an den Hirnhäuten und seltener auch an Hirnnerven, was zu
lageabhängigen Kopfschmerzen bzw. Funktionsstörungen der betroffenen
Hirnnerven führt. Typischerweise treten die beidseitig pochenden Kopfschmer-
zen im Sitzen und Stehen auf und lassen in liegender Position wieder nach.
Häufigste Ursache eines Liquorunterdruck-Syndroms ist eine vorangegange-
ne diagnostische Nervenwasserpunktion bzw. die versehentliche Punktion des
Liquorraums bei einer Rückenmarksbetäubung (ICD-10: G97.0). Dabei kann
nämlich die Rückenmarkshaut, welche das Nervenwasser umgibt, durch die
Punktionsnadel etwas verletzt werden, so dass ein kleines Liquorleck entsteht.
Die Dauer der Kopfschmerzen hängt davon ab, wie lange das Leck bestehen
bleibt. Dieses verschließt sich normalerweise im Verlauf einiger Tage wieder von
selbst, kann aber ausnahmsweise auch einmal länger persistieren. In seltenen
Fällen treten Liquorfisteln nach Unfällen, neurochirurgischen Operationen oder
spontan auf.
Die Kernspintomografie des Schädels ergibt bei Liquorunterdruck häufig
eine diffuse Kontrastmittelanreicherung in der Hirnhaut, was auf eine kompen-
satorische Weitstellung von Blutgefäßen zurückgeführt wird.
Zur medikamentösen Therapie werden vorübergehend Koffein oder Theo-
phyllin eingesetzt. Wenn sich das Liquorleck im Verlauf nicht wieder von selbst
11 Kopfschmerzerkrankungen 95
11.8 Trigeminusneuralgie
Wie bereits schon erwähnt, können Kopf- bzw. Gesichtsschmerzen durch die
Reizung von Hirnnerven verursacht werden. Eine Irritation des fünften Hirn-
nervs, d. h. des N. trigeminus („Drillingsnerv“) kann zu einseitigen Gesichts-
schmerzen führen; denn dieser paarig angelegte Nerv hat die Aufgabe, sensible
Empfindungen aus dem Gesichtsbereich zum Gehirn weiterzuleiten. Aus Abbil-
dung 11-1 ist die anatomische Lage der drei Hauptäste des Trigeminus-Nervs
ersichtlich.
Bei der klassischen Trigeminusneuralgie (ICD-10: G50.0) kommen wieder-
holt einseitige, blitzartig einschießende und elektrisierende Gesichtsschmerzat-
tacken vor, welche nur Sekunden bis höchstens zwei Minuten anhalten. Am häu-
figsten sind der zweite und dritte Ast des N. trigeminus betroffen, so dass die
Schmerzen im Oberkiefer- bzw. Unterkieferbereich lokalisiert sind. Die
Schmerzattacken können entweder spontan auftreten oder durch unterschiedli-
che Reize ausgelöst werden. Auslösende Triggerfaktoren können z. B. Kauen,
Sprechen, Berührung oder Luftzug sein. Die Ursache der Erkrankung bleibt in
einigen Fällen ungeklärt. Häufig wird die klassische Trigeminusneuralgie jedoch
durch den Druck eines vermehrt geschlängelt verlaufenden arteriellen Blutge-
fäßes auf die Austrittsstelle des Trigeminus-Nervs am Hirnstamm verursacht.
Da sich die Blutgefäße erst im Verlauf des Lebens – insbesondere unter dem
Einfluss eines erhöhten Blutdrucks – zunehmend verlängern und schlängeln,
wird diese Erkrankung typischerweise erst im höheren Lebensalter beobachtet.
Wenn eine Trigeminusneuralgie erstmalig vor dem 40. Lebensjahr auftritt,
liegt mit großer Wahrscheinlichkeit keine klassische, sondern eine symptomati-
sche Form vor. Eine symptomatische Trigeminusneuralgie beginnt häufiger
auch im ersten Ast des Nervs (Schmerzen im Stirnbereich) und kann zusätzlich
zu den einschießenden Schmerzattacken auch Dauerschmerzen und Gefühlsstö-
rungen im betroffenen Gesichtsbereich bewirken. Ursächlich können beispiels-
96 B Neurologische Krankheitsbilder
1. Ast
Trigeminus-Nerv
2. Ast
3. Ast
Abb. 11-1: Trigeminus-Nerv mit seinen drei Hauptästen. Die entsprechenden Versorgungsge-
biete sind unterschiedlich grau markiert. (aus: Rohen JW, Lütjen-Drecoll E. Anatomie des Men-
schen. Die Lerntafeln. 7. Aufl. Stuttgart: Schattauer 2011)
weise Entzündungen oder Tumoren sein, die zu einer Schädigung des Nervs be-
reits im Hirnstamm oder an seiner Austrittsstelle führen. Die häufigste Ursache
einer symptomatischen Trigeminusneuralgie ist die Multiple Sklerose (mit im
Hirnstamm gelegenen Entmarkungsherden).
Die Schmerzattacken einer Trigeminusneuralgie können eine sehr extreme,
unerträgliche Stärke und Häufigkeit erreichen. Sofern möglich, wird bei einer
symptomatischen Form die ursächliche Erkrankung therapeutisch angegangen.
Abgesehen davon erfolgt die Behandlung in erster Linie medikamentös mittels
Antikonvulsiva, welche die Erregbarkeit von Nerven herabsetzen (z. B. Carba-
mazepin). Wenn medikamentöse Therapien erfolglos bleiben, können in einem
zweiten Schritt operative Verfahren zum Einsatz kommen. Bei der klassischen
Trigeminusneuralgie wird über einen operativen Zugang ein Kunststoff-
schwämmchen zwischen das komprimierende arterielle Blutgefäß und den Tri-
geminus-Nerv eingelegt. Während die Erfolgsraten insbesondere anfangs sehr
11 Kopfschmerzerkrankungen 97
hoch sind, können im Verlauf nach Jahren Rückfälle auftreten, bei denen jedoch
Wiederholungsoperationen möglich sind. Für die symptomatischen Trigemi-
nusneuralgien hingegen kommen nach einer unbefriedigenden medikamentö-
sen Therapie nur die (minimal invasiven) destruktiven Eingriffe in Betracht, bei
denen durch Hitze, Druck, chemische Substanzen oder gezielte Bestrahlung die
Leitungsfähigkeit von Fasern des Trigeminus-Nervs unterbrochen wird.
Nicht jeder einseitige Schmerz im Gesicht ist eine Trigeminusneuralgie.
Wenn der halbseitige Gesichtsschmerz ohne Unterbrechung längere Zeit bzw.
dauerhaft anhält, wird von einem atypischen Gesichtsschmerz gesprochen.
Therapeutisch werden hierbei Medikamente, und zwar in erster Linie Antide-
pressiva eingesetzt.
98 B Neurologische Krankheitsbilder
12 Schwindel-Syndrome
Gehörknöchelchenkette
im Mittelohr
Bogengänge
(Gleichgewichtsorgan)
Gleichgewichts- und Hörnerv
(achter Hirnnerv)
Schnecke
(Hörorgan)
Ohrtrompete
Trommelfell
äußerer Gehörgang
Abb. 12-1: Lage des Hör- und Gleichgewichtsorgans im Felsenbein (aus: Lütjen-Drecoll E,
Rohen JW. Innenansichten des menschlichen Körpers. Faszinierende Einblicke mit einzigartigen
Fotos. Stuttgart: Schattauer 2010)
13 Parkinson-Syndrome
Abb. 13-1: Degeneration der Substantia nigra bei Parkinsonkrankheit (Querschnitt durch den
Hirnstamm, anatomisches Präparat eines Patienten mit mehrjähriger Parkinsonkrankheit und
eines gesunden Menschen zum Vergleich, Pfeil zeigt auf intakte Substantia nigra) (aus: Trenk-
walder C. Parkinson. Die Krankheit verstehen und bewältigen. Stuttgart: Schattauer 2011)
104 B Neurologische Krankheitsbilder
nachahmt. Wesentlich aufwändiger ist eine andere Methode, bei der mittels einer
kleinen tragbaren Pumpe kontinuierlich Levodopa-Gel direkt in den Dünndarm
abgegeben wird. Dazu wird in einem operativen Eingriff eine dauerhaft verblei-
bende Sonde von außen durch die Bauchdecke in den Dünndarm gelegt.
Wenn sich ausgeprägte Schwankungen der Beweglichkeit medikamentös
nicht mehr beherrschen lassen, kann unter bestimmten Voraussetzungen eine
tiefe Hirnstimulation erwogen werden. Hierzu wird im Rahmen einer neuro-
chirurgischen Operation eine Stimulationselektrode an eine definierte Stelle der
Stammganglien platziert. Durch hochfrequente, schwache elektrische Impulse
wird so das direkt an der Elektrodenspitze gelegene Gehirnareal in seiner Aktivi-
tät reversibel gehemmt, was bei richtiger Elektrodenlage zu einer Reduktion der
Parkinson-Symptome führt.
Idiopathisches Atypische
Parkinson-Syndrom Parkinson-Syndrome
Ort des Nervenzelluntergangs Substantia nigra (im zusätzlich auch
im Gehirn Hirnstamm gelegen) Stammganglien
Pathophysiologie Dopamin-Mangel auch Verlust von
Dopamin-Rezeptoren
Ansprechen auf Medikamente gut schlecht
Auftreten zusätzlicher Symptome erst in fortgeschrittenen schon in früheren
wie z. B. vegetative Störungen Krankheitsstadien Krankheitsstadien
oder Demenz
14 Weitere Bewegungsstörungen
Bei Weitem nicht jedes Zittern deutet auf ein Parkinson-Syndrom hin; daher
beschäftigt sich das folgende Kapitel mit den verschiedenen Tremorformen. In
den darauffolgenden vier Kapiteln werden die Erkrankungsbilder Dystonien,
Chorea Huntington, Wilson-Krankheit und Ticstörungen inklusive Tourette-
Syndrom erläutert. Bei diesen Krankheiten sind jeweils mehr oder weniger cha-
rakteristische Bewegungsstörungen vorhanden, die ebenfalls auf Funktionsstö-
rungen der Stammganglien zurückgeführt werden. Der hemifaziale Spasmus
und das Restless-Legs-Syndrom, die in den abschließenden beiden Kapitel erläu-
tert werden, beruhen hingegen auf anderen Ursachen.
trifft sehr häufig die Hände, was feinmotorische Tätigkeiten behindert, und viel-
fach auch den Kopf, welcher dann in Gestalt eines Ja- oder Nein-Tremors wa
ckelt. Manchmal sind die Stimmbänder betroffen, was zu einer zitternden
Stimme führt; selten auch Kinn, Zunge, Gesicht und andere Körperregionen.
Die Manifestation eines essenziellen Tremors ist in jedem Lebensalter mög-
lich, und ausgehend von einem milden Anfangsstadium nimmt die Intensität des
Zitterns im Regelfall langsam fortschreitend im Laufe des Lebens zu. Bei stärke-
rer Tremorausprägung kann es beispielsweise Schwierigkeiten bereiten bzw. so-
gar unmöglich werden, selbständig ein gefülltes Trinkglas zum Mund zu führen.
Etwa zwei Drittel der Betroffenen berichten über eine deutliche Besserung des
Tremors unter Alkoholeinfluss. Bei über der Hälfte der Fälle liegt eine familiäre
Häufung aufgrund einer erblichen Veranlagung vor. Nur wenn der Tremor eine
Beeinträchtigung im alltäglichen Leben darstellt, sollte eine medikamentöse Be-
handlung erfolgen. Hierzu eignen sich vor allem der Betablocker Propranolol
sowie verschiedene Antikonvulsiva (Primidon, Gabapentin und Topiramat). Ein
regelmäßiger Alkoholkonsum stellt keine Lösung dar, weil sich das Zittern nach
Abklingen der Wirkung wieder umso mehr verstärkt und die Gefahr einer Ab-
hängigkeitsentwicklung besteht.
Ein mit dem essenziellen Tremor verwandtes Beschwerdebild ist der ortho-
statische Tremor. Bei dieser Tremorform kommt es im Stehen (Orthostase,
grch. orthos = richtig, gerade, aufrecht + stasis = Stillstand, Stehen) zu einem
hochfrequenten Zittern der Beine, das sich auch auf den gesamten Körper aus-
breiten kann. Die meist über 60-jährigen Betroffenen klagen über eine Standun-
sicherheit; im Extremfall kommen auch Stürze vor. Zur medikamentösen Thera-
pie wird vorzugsweise Gabapentin in niedriger Dosis verordnet.
14.2 Dystonien
Dystonien (grch. dys = miss-, fehl- + tonus = Spannung) sind anhaltende un-
willkürliche Muskelanspannungen, die nicht alternierend wie beim Parkinson-
Tremor erfolgen. Durch die gleichzeitige Aktivierung von entgegengesetzt wir-
kenden Muskelgruppen treten langsam schraubende Bewegungen und
abnorme Haltungen auf. Als ursächlich gelten im Bereich der Stammganglien
liegende Funktionsstörungen, von denen einige erblich sind. Die Dystonien
(ICD-10: G24.-) können als generalisierte Dystonie den ganzen Körper betreffen
oder sich als fokale Dystonie nur auf eine bestimmte Körperregion beschränken.
Bei den generalisierten Dystonien werden mit nur mäßigem Effekt Medika-
mente eingesetzt. Ebenfalls mit begrenzter Erfolgsrate wird bei einzelnen Patien-
ten eine tiefe Hirnstimulation angewandt, ähnlich wie bei der fortgeschrittenen
14 Weitere Bewegungsstörungen 109
14.4 Wilson-Krankheit
(hepatolentikuläre Degeneration)
unklarer Ursache, die erstmals vor dem 50. Lebensjahr auftreten, immer auch an
die Möglichkeit einer Wilson-Krankheit gedacht werden.
Diagnostisch wegweisend sind ein vermehrtes ungebundenes, freies Kupfer
im Blut (bei Erniedrigung von Gesamtkupfer und kupferbindendem Transport-
protein) sowie eine kompensatorisch gesteigerte Kupferausscheidung im Urin. Bei
der Spaltlampenuntersuchung der vorderen Augenabschnitte finden sich in der
Hornhaut häufig ringförmige grünlich-gelbbräunliche Verfärbungen durch Kup-
ferablagerungen (sog. Kornealring, lat. corneus = aus Horn). Das Lebergewebe,
von dem eine kleine Probe mittels à Biopsie entnommen werden kann, hat meist
einen erhöhten Kupfergehalt. In einer humangenetischen Untersuchung lassen
sich die veränderten, krankheitsverursachenden Erbanlagen (Gene) nachweisen.
Behandelt wird mit einer kupferarmen Diät sowie medikamentös mittels
Zink, welches die Aufnahme von Kupfer im Darm vermindert, bzw. Komplex-
bildnern, die Kupfer binden, so dass es im Körper mobilisiert und vermehrt
ausgeschieden wird. Bei einem schweren Krankheitsverlauf mit ausgeprägter Le-
berschädigung kann eine Lebertransplantation erwogen werden, wodurch der
zugrunde liegende Stoffwechseldefekt behoben wird.
Tics sowie einem oder mehrerer vokaler Tics im Verlauf der Erkrankung. Die
Störung beginnt meist zwischen dem 2. und 15., jedoch immer vor dem 21. Le-
bensjahr. Nachdem die Tics im Kindes- und Jugendalter am stärksten ausgeprägt
sind, lassen sie danach im Erwachsenenalter häufig wieder nach.
Vermutlich liegt bei Tourette-Patienten ein Ungleichgewicht von Überträ-
gerstoffen mit einem Überschuss an Dopamin in den Stammganglien vor. Als
mögliche Ursache wurde neben einer gewissen erblichen Veranlagung auch dis-
kutiert, dass nach einer durch bestimmte Bakterien ausgelösten Infektion im
Hals-Nasen-Ohren-Bereich Antikörper gebildet werden, die gegen die Stamm-
ganglien gerichtet sind. Dies setzt jedoch voraus, dass eine zufällige Ähnlichkeit
zwischen den bakteriellen Oberflächenstrukturen und dem Stammganglienge-
webe des betroffenen Individuums besteht.
In vielen Fällen sind die Tics nur wenig beeinträchtigend, so dass außer einer
eingehenden Aufklärung und Beratung keine weitere Behandlung mehr erfor-
derlich ist. Bei sehr ausgeprägter Symptomatik sollte jedoch rechtzeitig behan-
delt werden, um psychische Belastungen durch verständnislose, ablehnende und
ausgrenzende Reaktionen des sozialen Umfelds zu vermeiden. Therapeutisch
wird neben Entspannungsverfahren und Verhaltenstherapie eine medikamentö-
se Behandlung mit Dopamin-Antagonisten (Neuroleptika) durchgeführt.
Bei nicht wenigen Tourette-Patienten besteht gleichzeitig auch ein Hang zu
Zwangsstörungen (vgl. Kap. 26.2) bzw. dem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperakti-
vitäts-Syndrom (vgl. Kap. 27). Das Tourette-Syndrom hat für zahlreiche Betrof-
fene aber auch Vorteile; denn bei verminderten hemmenden Einflüssen der
Stammganglien sind außerordentlich rasche und genaue motorische bzw. psy-
chische Reaktionen möglich. Dies äußert sich beispielsweise in raschem Auffas-
sungsvermögen, Schlagfertigkeit, ausgeprägter Merkfähigkeit oder hoher Kreati-
vität. Einem gesteigerten Bewegungsdrang folgend besteht die vermehrte
Neigung zu Sport und Musik. Zu den historischen Persönlichkeiten, bei denen
eine Tic-Erkrankung vermutet wird, gehören u. a. Napoleon, Molière, Peter der
Große und Mozart. Zeitgenossen des genialen Komponisten Wolfgang Amade-
us Mozart beobachteten nämlich bei ihm immer wieder Grimassieren, eine ge-
wisse Hyperaktivität und zwanghaftes Verhalten, was durchaus Tics gewesen
sein könnten. In seinen Briefen tauchen zudem vielfach unangemessene und
anstößige Kraftausdrücke auf, die als das zwanghafte Ausstoßen von schamver-
letzenden Wörtern gedeutet werden. Daneben finden sich auch sinnlose Anein-
anderreihungen von ähnlich klingenden Wörtern als Zeichen des Hangs zum
Wiederholen von eigenen Lautäußerungen. So schreibt Mozart beispielsweise in
einem Brief an seinen Mentor, den Musiklehrer und Chorleiter Anton Stoll:
„Liebster Stoll! bester Knoll! grosster Schroll! bist Sternvoll! gell das Moll thut dir
wohl? …Ich bin Ihr ächter freund franz Süssmayer Scheißdreck. Scheißhäusel
den 12. Juli“ (Hildesheimer 1977, S. 283).
114 B Neurologische Krankheitsbilder
Gesichtsmuskulatur
Fazialis-Nerv
Ohrspeicheldrüse
(Grenzen punktiert)
Abb. 14-1: Innervation der Gesichtsmuskulatur durch den Fazialis-Nerv (aus: Lütjen-Drecoll
E, Rohen JW. Innenansichten des menschlichen Körpers. Faszinierende Einblicke mit einzigarti-
gen Fotos. Stuttgart: Schattauer 2010)
14 Weitere Bewegungsstörungen 115
14.7 Restless-Legs-Syndrom
Die Diagnose eines Restless-Legs-Syndroms (ICD-10: G25.81), des Syndroms
der unruhigen Beine, kann gestellt werden, wenn die Betroffenen in Phasen der
Ruhe oder Entspannung einen unwiderstehlichen Bewegungsdrang der Beine
verspüren, der meist mit unangenehmen Empfindungen oder Schmerzen in den
Beinen einhergeht. Die überwiegend am Abend und in der Nacht auftretenden
Beschwerden bessern sich typischerweise vorübergehend bei Bewegung, z. B.
durch Umhergehen bzw. periodisches Anspannen oder Dehnen der Beinmus-
keln. Häufig führt das Syndrom auch zu einem gestörten Nachtschlaf.
Der Schweregrad der Symptome kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein;
auch werden nicht selten tage- bis monatelange beschwerdefreie Intervalle beob-
achtet. Unter Einbeziehung der zahlenmäßig deutlich dominierenden leichten
Formen gehört das Restless-Legs-Syndrom (RLS) zu den häufigsten neurologi-
schen Erkrankungen überhaupt, da schätzungsweise bis zu 10 % der Bevölke-
rung davon betroffen sind.
116 B Neurologische Krankheitsbilder
15 Demenzen
Eine Demenz (lat. de = weg + mens = Sinn, Geist, Verstand) ist die Folge einer
Krankheit des Gehirns, die meist chronisch und fortschreitend verläuft. Durch
den Verlust von geistigen, emotionalen und sozialen Fähigkeiten können die Be-
troffenen ihre alltäglichen Aufgaben und Tätigkeiten immer schlechter bewälti-
gen. Im Unterschied zu einer angeborenen Minderbegabung gehen bei einer
Demenz bereits erworbene Fähigkeiten verloren. Das Gedächtnis, vor allem das
Kurzzeitgedächtnis, ist gestört; jedoch ist eine Demenz mehr als eine alleinige
Gedächtnisstörung. Für die Diagnose einer Demenz muss mindestens eine wei-
tere Gehirnfunktion in Mitleidenschaft gezogen sein. Zu diesen Funktionen
gehören die Sprache, das Ausführen von Bewegungsabläufen, das Erkennen von
Gegenständen bzw. Personen sowie das Denkvermögen. Darüber hinaus werden
oft Veränderungen von Gefühlslage, emotionaler Kontrolle, Sozialverhalten und
Antrieb beobachtet. Zur Abgrenzung von nur vorübergehenden Störungen der
Hirnfunktion wird für eine Demenz-Diagnose gefordert, dass die Symptome
über mindestens sechs Monate bestanden haben. Mit zunehmendem Lebensal-
ter steigt das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, so dass bei den über 90-Jäh-
rigen schließlich rund ein Drittel davon betroffen ist. Gegenwärtig gibt es in
Deutschland weit über 1 Mio. Demenzkranke, wobei in der Zukunft aufgrund
der demografischen Entwicklung mit deutlich steigenden Zahlen zu rechnen ist.
Auf die damit verbundenen gesundheitsökonomischen Folgen wird im Anhang
eingegangen.
Die Alzheimerkrankheit ist als klassische degenerative Demenzform mit
schätzungsweise 50–60 % die häufigste Ursache einer Demenz. Andere häufige-
re Ursachen sind Durchblutungsstörungen des Gehirns und weitere neurodege-
nerative Erkrankungen, wie frontotemporale Demenz, Parkinsonkrankheit,
Lewy-Körperchen-Demenz und progressive supranukleäre Blickparese. Die Dif-
ferenzierung zwischen degenerativer und gefäßbedingter Verursachung kann im
Einzelfall schwierig sein, da nicht selten Mischformen vorliegen. Vergleichsweise
seltenere Ursachen sind ein Normaldruckhydrozephalus und andere im Schädel
gelegene Raumforderungen, Entzündungen und Infektionen des Gehirns sowie
Vergiftungen und Stoffwechselstörungen. Zur Erkennung bzw. Differenzierung
der verschiedenen Demenzformen werden meist eine neuropsychologische Tes-
tung, eine Bildgebung des Gehirns sowie Untersuchungen des Nervenwassers
und bestimmter Blutwerte durchgeführt. Einige der oben erwähnten Demenzer-
krankungen werden im Folgenden näher betrachtet und erläutert.
118 B Neurologische Krankheitsbilder
15.1 Alzheimerkrankheit
Der deutsche Nervenarzt Alois Alzheimer dokumentierte erstmals im Jahr 1901
am Fall der Patientin Auguste D. detailliert das Bild einer degenerativen Hirner-
krankung, die einige Jahre später nach ihm benannt wurde. Aus noch ungeklärter
Ursache, mutmaßlich aber durch Ablagerung von verklumpten Stoffwechselpro-
dukten (v. a. b-Amyloid und hyperphosphoriliertes Tau-Protein) im Gehirn
kommt es bei der Alzheimerkrankheit (ICD-10: G30.-†, F00.-*) zu einem lang-
sam fortschreitenden Absterben von Nervenzellen. Die Erkrankung beginnt
schleichend mit Kurzzeitgedächtnisstörungen und nimmt einen langsam fort-
schreitenden Verlauf, in dem die Sprache zunehmend verarmt, das Denkvermö-
gen abnimmt und schließlich altbekannte Fertigkeiten verlernt sowie alltägliche
Gegenstände und Angehörige nicht mehr erkannt werden. Im Endstadium nimmt
die Mobilität so weit ab, dass die Betroffenen bettlägerig werden und schließlich an
Komplikationen, häufig in Gestalt einer Lungenentzündung versterben. Nach Di-
agnosestellung beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung etwa ein Jahrzehnt.
Durch die vornehmliche Zerstörung von Nervenzellen, die den Überträgerstoff
Acetylcholin produzieren, entwickelt sich ein Mangel gerade dieses Botenstoffs. Die
medikamentöse Behandlung zielt darauf ab, die verfügbare Menge an Acetylcholin
im Gehirn wieder anzuheben; und zwar durch Substanzen, die im Gehirn das Ace-
tylcholin-abbauende Enzym hemmen (sog. Acetylcholinesterase-Hemmer).
15.4 Normaldruckhydrozephalus
Der Normaldruckhydrozephalus (ICD-10: G91.2-) ist eine chronische Form ei-
ner Zirkulationsstörung des Nervenwassers, bei welcher der Abflusswiderstand
aus unterschiedlichen, teilweise unklaren Ursachen erhöht ist. Folge ist eine in
der Bildgebung erkennbare Aufweitung der mit Nervenwasser gefüllten Hohl-
räume im Gehirn, was als Hydrozephalus bzw. Wasserkopf bezeichnet wird. Der
Druck im Schädelinneren ist wiederholt jeweils nur in kurzen Phasen erhöht,
während über einen längeren Zeitraum betrachtet der durchschnittliche Druck
normal („Normaldruck“) oder allenfalls geringfügig gesteigert ist.
120 B Neurologische Krankheitsbilder
Klinisch beobachtet man bei den Patienten eine typische Trias aus Gangstö-
rung mit kleinschrittigem, wie am Boden klebendem Gangbild, meist nur mäßig
ausgeprägter Demenz und Harninkontinenz mit unbewusstem Urinabgang.
Die Diagnose gilt als bestätigt, wenn eine Nervenwasserpunktion mit Ablassen
einer vergleichsweise größeren Menge Nervenwassers zu einer eindeutigen (je-
doch nur vorübergehenden) Besserung der Beschwerden führt. Die Behandlung
erfolgt operativ, indem das Nervenwasser mittels eines dünnen Schlauchs aus
dem Gehirn entweder in den rechten Herzvorhof oder bevorzugt in den Bauch-
fellraum abgeleitet wird.
15.5 Creutzfeldt-Jakob-Krankheit
Die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (ICD-10: A81.0†, F02.1*) ist eine sehr seltene,
rasch fortschreitende, meist innerhalb weniger Monate tödlich verlaufende
Erkrankung, bei der neben einer progressiven Demenz weitere neurologische
Symptome auftreten. Als Ursache gelten atypische Eiweißpartikel, sogenannte
Prionen (engl. proteinaceous infectious particles). Krankmachende Prionen
entstehen mutmaßlich aus normalen, im Nervensystem gebildeten Eiweißen,
wenn diese ihre räumliche Gestalt durch eine abnorme Faltung ändern. Eine sol-
che Konformationsänderung entsteht in etwa 90 % der Fälle spontan, kann aber
auch familiär gehäuft durch eine genetische Veranlagung auftreten. Seltener
Grund ist eine Übertragung von Prionen, die eine lawinenartige Umwandlung
des normalen Eiweißes in das verändert gefaltete Prionprotein anstoßen können.
Derartige Erkrankungsfälle durch Übertragung sind in der Vergangenheit durch
Transplantationen von Hirnhaut oder Augenhornhaut sowie durch unzurei-
chend sterilisierte neurochirurgische Instrumente beschrieben worden.
Bei der erstmals 1984 in England beobachteten bovinen spongiformen En-
zephalopathie (BSE, grch. bous = Rind, Ochse) handelt es sich ebenfalls um eine
Prionenerkrankung. Ursache dieser auch als „Rinderwahn“ bezeichneten Krank-
heit war die Verfütterung von (unzureichend erhitztem) Tiermehl, wodurch die
schon lange bei Schafen und Ziegen bekannte Prionenerkrankung Scrapie (Tra-
berkrankheit) auf die Spezies Rind übergehen konnte. Durch den Verzehr von
Fleisch bzw. Hirn- oder Rückenmarksgewebe, welches von BSE-infizierten Rin-
dern stammte, erwarben hauptsächlich in England auch einige Menschen diese
tödlich verlaufende Prionenerkrankung, die beim Menschen neue Variante der
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit genannt wird.
15 Demenzen 121
Alkohol beeinträchtigt die Funktion des Nervensystems nicht nur bei akuter
Vergiftung, sondern kann bei chronischer Zufuhr größerer Mengen auch blei-
bende Nervenschäden verursachen, die in ein demenzielles Abbau-Syndrom
münden können. Vergiftungen durch Medikamente oder Umweltgifte spielen
eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Stoffwechselstörungen, die eine De-
menz verursachen können, sind insbesondere Störungen der Schilddrüsenfunk-
tion, Mangel an Vitamin B1 oder Vitamin B12 sowie schwere Leber- und Nie-
renerkrankungen. Einige der Stoffwechselstörungen sind behandelbar, so dass
sich die Demenz nach Ausgleich der Störung wieder zurückbilden kann.
122 B Neurologische Krankheitsbilder
Das periphere Nervensystem wird topografisch als der Teil des Nervensystems
abgegrenzt, der außerhalb von Gehirn und Rückenmark gelegen ist und die Ver-
bindung zur Peripherie herstellt. Abgesehen von den paarig angelegten Hirnner-
ven, die ihren Ursprung aus dem Gehirn nehmen, gibt das Rückenmark Spinal-
nervenpaare ab, die den Wirbelsäulenkanal seitlich durch entsprechende
Öffnungen verlassen (vgl. Kap. 1.2, „Peripheres Nervensystem“). Eine Schädi-
gung des peripheren Nervensystems kann entweder diffus sein oder aber um-
schrieben an Nervenwurzeln, Arm- bzw. Beinnervengeflechten oder einzelnen
Nerven vorliegen. Beeinträchtigungen der Nervenfunktion lassen sich mittels
Elektroneurografie (vgl. Kap. 2.6) lokalisieren bzw. objektivieren, beispielsweise
in Form verminderter Nervenleitgeschwindigkeiten.
Läsionen des peripheren Nervensystems können durch mechanische Schädi-
gungen, entzündliche Prozesse oder Stoffwechselstörungen hervorgerufen wer-
den. Komprimierende Strukturen, die auf Nervenfasern drücken, wie beispiels-
weise Bandscheibenvorfälle oder raumfordernde Gebilde, können computer- bzw.
kernspintomografisch sichtbar gemacht werden. Ein erhöhter Eiweißgehalt im
Nervenwasser wird bei Entzündungen von Nervenwurzeln oder Arm- bzw.
Beinnervengeflechten gefunden, da diese in der Nachbarschaft des Liquorraums
liegen. Stoffwechselstörungen werden durch entsprechende Blutuntersuchun-
gen erkannt.
Bandscheibenvorfälle
Mechanische Nervenwurzelschädigungen werden meist durch Bandscheiben-
vorfälle (ICD-10: M50.-, M51.-) verursacht. Die Bandscheiben liegen als elasti-
sche Puffer zwischen den Wirbelkörpern der Wirbelsäule. Bandscheibenvorwöl-
124 B Neurologische Krankheitsbilder
Gürtelrose
Die Gürtelrose (ICD-10: B02.-) ist eine durch das Varizella-Zoster-Virus ausge-
löste entzündliche Erkrankung von Nervenwurzeln. Das Virus ruft bei der Erst-
infektion, die meist im Kindesalter stattfindet, zunächst die Windpocken (Vari-
zellen, lat. varix = Knoten) hervor. Dabei wandern die Erreger u. a. in
Nervenwurzeln ein, wo sie auch nach Abheilung der Windpocken dauerhaft als
ruhende Viren verbleiben. Hauptsächlich bei einem im Alter oder aus anderen
Gründen geschwächten Immunsystem können die Viren reaktiviert werden, wel-
che sich dann ausgehend von einer Nervenwurzel über die dazugehörigen Ner-
ven ausbreiten und in den entsprechenden segmentalen Hautbezirken zunächst
Schmerzen und anschließend einen rötlichen Hautausschlag mit gruppiert
17 Erkrankungen des peripheren Nervensystems 125
Da der Fazialis-Nerv auch Äste für die Tränendrüse sowie einen winzigen
Muskel im Mittelohr (der die Schwingungsfähigkeit der Gehörknöchelchenkette
drosselt) abgibt und Geschmacksempfindungen aus den vorderen zwei Dritteln
der Zunge weiterleitet, können je nach Lage und Ausmaß der Schädigung zu-
sätzlich auf der betroffenen Seite eine beeinträchtigte Tränenbildung, ein laute-
res schepperndes Hören und eine Geschmacksstörung auftreten.
Etwa 80 % dieser sogenannten peripheren Fazialisparesen (ICD-10: G51.0)
sind idiopathisch, d. h. unbekannter Ursache; für die übrigen Fälle sind neben
Verletzungen und Tumoren auch Infektionen durch bestimmte Erreger verant-
wortlich. Ob solche Erreger, wie beispielsweise die durch einen Zeckenbiss über-
tragbaren Borrelien (vgl. Kap. 8.5) krankheitsauslösend sind, wird mittels einer
Nervenwasseruntersuchung festgestellt. Die Behandlung richtet sich nach der
Ursache; bei idiopathischer Form erfolgt eine abschwellend wirkende Kortiko
steroidtherapie über fünf Tage. Um die Regeneration des Nervs anzuregen, sol-
len mehrfach täglich mimische Bewegungsübungen durchgeführt werden. Bei
unvollständigem Augenschluss erhalten die Patienten insbesondere nachts eine
Augenklappe oder einen Uhrglasverband, d. h. eine in ein Pflaster eingefasste,
uhrglasförmig gewölbte Plexiglasscheibe, die vor dem Auge eine feuchte Kam-
mer bildet und so das Auge vor dem Austrocknen schützt.
Von den peripheren sind die zentralen Fazialisparesen abzugrenzen, die auf
krankhafte Prozesse im Gehirn (z. B. Schlaganfälle) zurückzuführen sind. Kli-
nisch besteht bei den zentralen Gesichtslähmungen lediglich eine Beeinträchti-
gung des Mundastes („schiefer Mund“), während Augenschluss und Funktion
des Stirnastes intakt bleiben. Eine umschriebene Läsion im Hirnstamm kann in
seltenen Fällen jedoch auch das Bild einer peripheren Gesichtslähmung verursa-
chen, wenn nämlich das Kerngebiet bzw. der Ursprung des Fazialis-Nervs be-
troffen ist.
Für jeden der drei bedeutenden Armnerven, den N. medianus, N. ulnaris
und N. radialis gibt es bevorzugte Schädigungsorte.
Der Medianus-Nerv (mittlerer Armnerv, lat. medianus = in der Mitte lie-
gend) verläuft an der Handwurzel beugeseitig durch einen knöchern und binde-
gewebig begrenzten Kanal, den sog. Karpaltunnel (lat. carpus = Handwurzel).
Das durch Nervenkompression in diesem Kanal hervorgerufene Karpaltunnel-
Syndrom (ICD-10: G56.0) manifestiert sich in Schmerzen und Gefühlsstörun-
gen der ersten drei Finger, nächtlich betonten Armschmerzen sowie Schwäche
und Verschmächtigung der Daumenballenmuskulatur.
Der Ulnaris-Nerv (lat. ulna = Elle) nimmt am Ellenbogen einen oberflächli-
chen Verlauf in einer Knochenrinne. Durch Einengung dieser Ulnarisrinne oder
chronischen Druck auf diesen Bereich (z. B. durch häufiges Aufstützen mit dem
Ellenbogen) kann ein Ulnarisrinnen-Syndrom (ICD-10: G56.2) entstehen. Die
dadurch verursachten Beschwerden sind Gefühlsstörungen des Ring- und Klein-
128 B Neurologische Krankheitsbilder
17.4 Polyneuropathien
Bei einer Polyneuropathie (ICD-10: G62.-) ist das periphere Nervensystem als
Ganzes diffus erkrankt. Die Bedeutung des Begriffs „Polyneuropathie“ geht so-
mit über seinen eigentlichen Wortsinn, nämlich eine „Erkrankung vieler Ner-
ven“, hinaus; denn die diffuse Schädigung betrifft mehr oder weniger ausge-
prägt alle peripheren Nerven. In der Mehrzahl der Fälle entwickeln sich die
Krankheitssymptome langsam fortschreitend, symmetrisch auf beiden Körper-
seiten und – weil die längsten Nervenfasern am ehesten Schaden nehmen – mit
Schwerpunkt in den körperfernen Gliedmaßenabschnitten. Häufig beginnt eine
Polyneuropathie mit kribbelnden Missempfindungen an den Zehen; im Verlauf
bilden sich socken- bzw. strumpf- sowie handschuhförmige Gefühlsstörungen
heraus. Die Schädigung von vegetativen Nervenfasern führt zu vermehrter
Hornhautbildung an den Fußsohlen, Ernährungsstörungen der Nägel sowie Stö-
rungen von Blasenentleerung und Potenz. Schließlich können auch mehr oder
weniger ausgeprägte schlaffe Lähmungen hinzukommen.
Die mit Abstand häufigsten Ursachen für eine Polyneuropathie sind in Euro-
pa die Zuckerkrankheit und der chronische Alkoholmissbrauch. Daneben gibt
es eine Vielzahl anderer möglicher Ursachen wie Stoffwechselstörungen (z. B.
Über- oder Unterfunktion der Schilddrüse), Mangel an bestimmten Vitaminen
(insbesondere Vitamin B1 und B12), Behandlung mit Krebsmedikamenten, Ver-
giftungen, Fehlsteuerungen des Immunsystems, Tumorerkrankungen und be-
stimmte Erbkrankheiten. Trotz umfangreicher Untersuchungen, die manchmal
sogar bis hin zur Biopsie eines Nervs gehen, bleibt die Ursache in einigen Fällen
auch ungeklärt. Nachfolgend wird exemplarisch auf einzelne spezielle Ursachen
näher eingegangen.
Ein Vitamin B12-Mangel kann nicht nur eine Polyneuropathie, sondern
auch eine funikuläre Myelose verursachen (lat. funiculus = dünner Strang + grch.
130 B Neurologische Krankheitsbilder
mer Rückbildung der Beschwerden. Bei rund 70 % der Patienten bilden sich die
Symptome schließlich so gut zurück, dass keine oder nur sehr geringfügige Aus-
fälle zurückbleiben.
Wenn das Guillain-Barré-Syndrom so ausgeprägte Lähmungen verursacht,
dass die Patienten ihre Gehfähigkeit verlieren, erfolgt eine Behandlung mittels
Plasmapherese oder intravenöser Gabe von Immunglobulinen. Die Plasmaphe-
rese zielt darauf ab, die Antikörper, welche das periphere Nervensystem attackie-
ren, aus dem Blut zu entfernen. Immunglobuline sind Antikörper (in diesem
Fall von fremden Menschen), die beim Empfänger überschießende Reaktionen
des Immunsystems blockieren bzw. modifizieren sollen.
Bei etwa 5 % der GBS-Patienten findet sich eine nach dem kanadischen Neu-
rologen Charles Miller-Fisher benannte Sonderform, bei der die Entzündung
vorwiegend Hirnnerven betrifft, welche die Augenmuskeln steuern. Daher führt
das Miller-Fisher-Syndrom zu einer Lähmung von Augenmuskeln mit resultie-
renden Doppelbildern; darüber hinaus besteht auch eine Störung der Bewe-
gungskoordination. Mitunter entwickelt sich auch bei dieser Form schließlich
eine deutliche Schwäche von Armen und Beinen.
Eine selten vorkommende chronische Variante des Guillain-Barré-Syndroms
stellt die chronisch entzündliche demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP)
dar, die durch einen meist schleichenden Beginn und einen schubförmig bzw.
kontinuierlich fortschreitenden Verlauf gekennzeichnet ist. Die Befunde der
Elektroneurografie und im Nervenwasser entsprechen denen der akuten Ver-
laufsform. Im Unterschied zur akuten Polyneuritis spricht die chronische Form
auch auf Kortikosteroide an.
133
18 Komplexes regionales
Schmerz-Syndrom
Abb. 18-1: Komplexes regionales Schmerz-Syndrom. Nach dem Bruch eines Mittelhandkno-
chens entwickelten sich im Bereich der rechten Hand starke, diffus brennende Schmerzen und
kribbelnde Missempfindungen bei ausgeprägter Schwellung v. a. des Handrückens sowie im
Verlauf massive Bewegungseinschränkungen. Die Hand wurde schließlich nahezu vollständig
gebrauchsunfähig.
Die oftmals langwierige Therapie konzentriert sich zunächst auf die Ruhe-
schmerzen und Schwellungen, wobei alle Maßnahmen, die eine Schmerzverstär-
kung auslösen, zu vermeiden sind. Erst danach werden Bewegungsschmerzen
und schließlich motorische und sensible Störungen behandelt. In Abhängigkeit
von der individuell unterschiedlichen Ausprägung und dem Stadium der Er-
krankung reichen die Behandlungsmaßnahmen von Krankengymnastik, Ergo-
therapie, Lymphdrainage und verschiedenen medikamentösen Therapien bis
hin zur Betäubung bzw. Blockade von Teilen des vegetativen Nervensystems und
Anwendung von elektrischen Nervenstimulatoren.
136 B Neurologische Krankheitsbilder
19 Amyotrophe Lateralsklerose
Bevorzugt erkranken Personen zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr. Die
durchschnittliche Krankheitsdauer beträgt etwa 3–5 Jahre – bei jedoch individu-
ell sehr großen Unterschieden im Krankheitsverlauf. Der wohl weltweit promi-
nenteste Patient mit einer amyotrophen Lateralsklerose ist der 1942 geborene
britische Mathematiker und Astrophysiker Stephen Hawking. Bei ihm ist die
Erkrankung durch einen ungewöhnlich frühen Beginn im Alter von 20 Jahren
und einen extrem langen Verlauf gekennzeichnet. Trotz der schließlich entstan-
denen Notwendigkeit einer künstlichen Beatmung, der Unfähigkeit zu sprechen
und einer nahezu vollständigen Bewegungsunfähigkeit ist es dem vielfach ausge-
zeichneten Wissenschaftler durch spezielle technische Hilfen möglich, mit der
Umwelt zu kommunizieren und sogar Bücher zu schreiben.
138 B Neurologische Krankheitsbilder
Die Erregungsübertragung vom Nerv auf den Muskel, d. h. von den Axonen der
motorischen Nervenfasern auf die Zellen der Muskulatur erfolgt an spezialisier-
ten Synapsen, den sogenannten neuromuskulären Endplatten. Hier bilden die
Endigungen der Axone Auftreibungen, in denen sich mit dem Überträgerstoff
Acetylcholin angefüllte Bläschen befinden. Wenn ein elektrischer Impuls (sog.
Aktionspotenzial) in den Nervenendigungen eintrifft, öffnen sich dort span-
nungsabhängige Kalziumkanäle, was die Bläschen dazu bringt, das Acetylcho-
lin in den synaptischen Spalt auszuschütten. Auf dessen gegenüberliegender Sei-
te bindet das freigesetzte Acetylcholin an spezielle Rezeptoren der Muskelzellen,
was dort zu einem Natriumeinstrom führt und dadurch die Muskelkontraktion
auslöst. Der nun im synaptischen Spalt nicht mehr benötigte Überträgerstoff
wird durch ein Enzym, die Acetylcholinesterase gespalten und dadurch inakti-
viert, um anschließend z. T. wieder in die Nervenendigungen aufgenommen zu
werden (vgl. Kap. 1.1 und Abb. 20-1).
Unterschiedliche Erkrankungen können zu einer beeinträchtigten synapti-
schen Reizübertragung vom Nerv auf den Muskel führen. Bei der Myasthenia
gravis wird die Funktion der Acetylcholin-Rezeptoren auf den Muskelzellen
durch Antikörper behindert. Das Lambert-Eaton-Syndrom und der Botulismus
beruhen hingegen auf einer gestörten Acetylcholin-Ausschüttung, was durch be-
stimmte Antikörper bzw. einen Giftstoff verursacht wird. Gemeinsames Symp-
tom der aufgeführten Erkrankungen ist eine abnorme Ermüdbarkeit und
Schwäche von Skelettmuskeln. Beim Lambert-Eaton-Syndrom und Botulismus
kommt es darüber hinaus auch zu Störungen des vegetativen Nervensystems
durch eine Mitbeteiligung entsprechender Synapsen.
Markscheide
Axon
synaptische Bläschen
(mit Überträgerstoff) 1
präsynaptische Membran 3 2
4 Ca++
synaptischer Spalt
postsynaptische Membran,
Natriumkanäle mit Rezeptoren
für den Überträgerstoff Na+
im Verlauf auf weitere Muskelgruppen am Kopf und schließlich auf die gesamte
Willkürmuskulatur des Körpers einschließlich der Atemmuskeln ausbreiten.
Bei vielen, jedoch nicht allen Myasthenie-Patienten lassen sich im Blut Anti-
körper gegen Acetylcholin-Rezeptoren nachweisen. Manchmal werden auch
andere Antikörper gefunden, die gegen ein für die Funktion der Acetylcholin-
Rezeptoren wichtiges Enzym (muskelspezifische Rezeptor-Tyrosinkinase) bzw.
gegen ein bestimmtes Eiweiß in Muskelfasern (Titin) gerichtet sind. Zu diagnos-
tischen Zwecken wird meist auch ein kurz wirkendes Testmedikament (Edro-
phonium) intravenös verabreicht, welches an der neuromuskulären Endplatte
das Acetylcholin-abbauende Enzym hemmt (Acetylcholinesterase-Hemmer).
Dadurch wird die Acetylcholin-Konzentration im synaptischen Spalt kurzzeitig
deutlich angehoben, so dass etwaig vorhandene Antikörper, die mit dem Acetyl-
cholin um die Bindungsstellen der Acetylcholin-Rezeptoren konkurrieren, ver-
drängt werden. Wenn das Testmedikament auf diesem Wege zu einer vorüberge-
henden Verbesserung der Symptome führt, spricht dies für eine Störung der
neuromuskulären Übertragung passend zur Myasthenie. Mittels einer kurzen
elektrischen Serienreizung, bei der geeignete Nerven repetitiv mit drei Reizen
pro Sekunde stimuliert werden, lässt sich gewissermaßen eine körperliche An-
strengung nachahmen. Als Ausdruck der beeinträchtigten Reizübertragung
zeigt sich im Verlauf einer solchen repetitiven Reizung an betroffenen Muskeln
eine Amplitudenabnahme der Antwortpotenziale um mehr als 10 % (sog. Dekre-
ment, lat. dekrementare = vermindern). Entsprechend kann damit auch nachge-
wiesen werden, ob abgesehen von den Augen- bzw. Lidmuskeln noch weitere
Muskeln am Körper beteiligt sind.
Durch die verfügbaren Therapiemöglichkeiten können die meisten Patienten
ein annähernd normales Leben führen und einen Beruf ausüben. Die Behand-
lung erfolgt symptomatisch mit länger wirkenden Acetylcholinesterase-Hem-
mern in Tablettenform sowie ursächlich mit Kortikosteroiden bzw. Immun-
suppressiva (Immunsystem-unterdrückende Medikamente, z. B. Azathioprin).
Da der hinter dem Brustbein gelegene à Thymus (Bries) bei der Entstehung der
krankheitserzeugenden Antikörper eine zentrale Rolle spielen kann, wird bei be-
stimmten Patienten dieses im Erwachsenenalter normalerweise stark zurückge-
bildete Organ operativ entfernt. Infektionen, deren Auftreten durch die medika-
mentöse Unterdrückung des Immunsystems begünstigt wird, lösen häufig eine
Zunahme der myasthenen Symptomatik aus und sollten daher frühzeitig behan-
delt werden. Bei krisenhaften Verschlechterungen mit Versagen der Atemmus-
kulatur wird häufig neben einer vorübergehend erforderlichen unterstützenden
Beatmung eine Plasmapherese durchgeführt, mit der die Antikörper aus dem
Blut entfernt werden. Intravenös verabreichte Immunglobuline, die sich in sol-
chen Situationen ebenfalls als wirksam erwiesen haben, können alternativ einge-
setzt werden.
20 Störungen der neuromuskulären Erregungsübertragung 141
20.2 Lambert-Eaton-Syndrom
Noch wesentlich seltener als die Myasthenia gravis ist das nach den amerikani-
schen Neurologen Edward Howard Lambert und Lealdes McKendree Eaton be-
nannte Lambert-Eaton-Syndrom (ICD-10: C80.-†, G73.1*), bei dem die neuro-
muskuläre Reizübertragung ebenfalls, jedoch aus anderem Grund gestört ist.
Ursächlich sind hierbei nämlich (in 85 % der Fälle nachweisbare) Antikörper,
welche gegen die spannungsabhängigen Kalziumkanäle an den Nervenendi-
gungen gerichtet sind, so dass aus den Bläschen weniger Acetylcholin in den
synaptischen Spalt ausgeschüttet wird.
Die daraus resultierende Muskelschwäche ist an der körperstammnahen
Muskulatur betont und betrifft vor allem die Beine. Im Unterschied zur Myas-
thenie bestehen keine ausgeprägten Beschwerden seitens der Lid-, Augen- und
Rachenmuskulatur. Bei wiederholter bzw. nach kurzzeitig anhaltender Mus-
kelanspannung wird mitunter eine Verbesserung der Muskelkraft beobachtet,
weil sich dabei das freigesetzte Acetylcholin etwas im synaptischen Spalt ansam-
melt. Korrespondierend dazu zeigt die elektrische Serienreizung während einer
kurzen hochfrequenten Stimulation (mit 30 Reizen pro Sekunde) bzw. nach un-
mittelbar vorangegangener Muskelanspannung eine charakteristische Amplitu-
denzunahme um mehr als 100 % (sog. Inkrement, lat. inkrementare = vergrö-
ßern). Davon abgesehen ergeben sich bei der mit der üblichen, geringeren
Frequenz durchgeführten Serienstimulation und beim Edrophonium-Test ähn-
liche Befunde wie bei der Myasthenie.
Neben der neuromuskulären Übertragung werden beim Lambert-Eaton-
Syndrom auch diejenigen Synapsen des vegetativen Nervensystems, welche
ebenfalls Acetylcholin als Überträgersubstanz benutzen, in ihrer Funktion be-
einträchtigt. Daher berichten die Betroffenen zusätzlich über vegetative Störun-
gen wie Mundtrockenheit, Blasenentleerungsstörung, Verstopfung und vermin-
dertes Schwitzen.
Bei etwa 60–70 % der Patienten liegt der Bildung der beschriebenen Kalzi-
umkanal-Antikörper ein bösartiger Tumor, und zwar meistens ein Lungen-
krebs (kleinzelliges Bronchialkarzinom) zugrunde. Interessanterweise tritt das
Lambert-Eaton-Syndrom bei einer derartigen, paraneoplastischen Ursache
(grch. para = neben, bei; grch. neo = neu + plastein = bilden) vielfach schon auf,
bevor der Tumor entdeckt wird. Daher muss eine gezielte Tumorsuche in den
ersten Jahren nach Diagnosestellung ggf. auch wiederholt durchgeführt werden.
Durch die erfolgreiche Behandlung einer ursächlichen Tumorerkrankung bes-
sert sich meist auch das Lambert-Eaton-Syndrom. In den übrigen Fällen wird
wie bei der Myasthenie mit Kortikosteroiden und Immunsuppressiva behandelt.
Bei ungünstigem Verlauf werden auch Immunglobuline oder Plasmapherese
eingesetzt. Symptomatisch kann mit einer speziellen Substanz (Amifampridin)
142 B Neurologische Krankheitsbilder
behandelt werden, die über eine Blockade von Kaliumkanälen indirekt zu einer
vermehrten Acetylcholin-Freisetzung führt.
20.3 Botulismus
Beim Botulismus (ICD-10: A05.1), einer lebensbedrohlichen Vergiftung mit
Botulinumtoxin, kommt es ähnlich wie beim Lambert-Eaton-Syndrom zu einer
Hemmung der Acetylcholin-Freisetzung an den neuromuskulären Endplatten
und anderen Synapsen.
Der krankheitsauslösende Giftstoff stammt von dem Bakterium Clostridi-
um botulinum. Diese ubiquitär verbreitete Bakterienart produziert nämlich un-
ter Luftabschluss in eiweißhaltigen Medien bzw. Nahrungsmitteln, vor allem in
unzureichend konservierten Wurst-, Fleisch-, Fisch- oder Gemüsewaren, das
Botulinumtoxin (Wurstgift, lat. botulus = Wurst + toxicum = Gift). Unter widri-
gen Umgebungsbedingungen bilden die Clostridien (grch. kloster = Spindel)
spindelförmig aufgetriebene Sporen, die als resistente Dauerformen mit prak-
tisch ruhendem Stoffwechsel fungieren und bei besseren Milieuverhältnissen
wieder auskeimen.
Das Bakteriengift gelangt im Regelfall durch den Verzehr entsprechend
kontaminierter und verdorbener Lebensmittel in den Körper, wo es dann über
den Darm resorbiert wird. Aufgrund von verbesserten Sterilisierungstechniken
sind Botulismuserkrankungen in Deutschland sehr selten geworden (jährlich ca.
20–40 Fälle). Für ihre Vermehrung und die Giftbildung sind die Clostridien auf
eine anaerobe (grch. an = ohne, nicht + aer = Luft), d. h. sauerstofffreie Umge-
bung angewiesen. Verdächtig auf eine Vergiftung ist bei Konservendosen eine
Vorwölbung des Deckels durch den entstandenen Überdruck im Inneren (sog.
Bombage, frz. bomber = wölben, ausbauchen) bzw. das Entweichen von meist
übel riechenden Gasen beim Öffnen. Im Zweifel kann das Botulinumtoxin durch
das einige Minuten lange Erhitzen auf über 100 ºC zerstört werden; zur Abtötung
der Sporen werden jedoch mindestens 120 ºC länger als eine halbe Stunde benö-
tigt. Nur selten, hauptsächlich bei Abwehrgeschwächten und Säuglingen kommt
es zu einem „infektiösen Botulismus“, bei dem sich die Bakterien in Wunden
bzw. im Darm vermehren und dort die Giftstoffe bilden.
Einige Stunden bis Tage nach Aufnahme des Toxins treten die ersten Vergif-
tungssymptome auf, welche auf Störungen der Reizübertragung an neuromus-
kulären Endplatten und vegetativen Synapsen zurückzuführen sind. Nach einem
Beginn mit Übelkeit, Bauchkrämpfen und Lähmungen von Lid- und Augenmus-
keln breitet sich die Muskelschwäche in absteigender Richtung weiter aus. Es
kommt zu Sprech- und Schluckstörungen, Mundtrockenheit und Verstopfung
20 Störungen der neuromuskulären Erregungsübertragung 143
21 Tetanus (Wundstarrkrampf)
Wie beim Botulismus liegt auch beim Tetanus (Wundstarrkrampf, grch. teta-
nos = Spannung, Starre, Starrkrampf) eine Vergiftung mit Bakterientoxinen
vor. Das für die Giftbildung verantwortliche Bakterium Clostridium tetani ge-
deiht wie fast alle Clostridienarten in sauerstofffreier Umgebung und bildet sehr
widerstandsfähige Sporen, die nahezu überall (z. B. in Straßenschmutz, Kot oder
Gartenerde) vorkommen. Die Sporen bzw. Bakterien gelangen meist durch eine
Verletzung in das Körpergewebe, wobei sie insbesondere in tiefen und ver-
schmutzten, aber auch schon in oberflächlichen, kaum sichtbaren Wunden ein
geeignetes, von der Umgebungsluft abgeschlossenes Milieu vorfinden können.
Das dort von den Bakterien gebildete Gift Tetanospasmin (grch. spas-
mos = Krampf) bindet an Nervenendigungen und wird über die Nerven in das
zentrale Nervensystem transportiert. Im Rückenmark blockiert das Toxin die
Ausschüttung der hemmend wirkenden Überträgersubstanzen γ-Amino
buttersäure und Glycin, welche dazu dienen, die Erregbarkeit von Nervenzellen
zu zügeln. Durch den toxinbedingten Wegfall von hemmenden Einflüssen
kommt es zu einer ungebremsten Aktivierung von motorischen und vegetativen
Nervenzellen, was zu fortschreitenden, sehr schmerzhaften Verkrampfungen
der Skelettmuskulatur und Funktionsstörungen des vegetativen Nervensystems
führt. Die Muskelspasmen beginnen im Bereich der Kau- und Gesichtsmuskula-
tur, wodurch eine Kieferklemme bzw. ein grinsend wirkender Gesichtsausdruck
entstehen, und breiten sich im Verlauf auf die Rückenmuskulatur aus, was mit
einer schmerzhaften Überstreckung des gesamten Körpers und manchmal sogar
Wirbelkörperbrüchen einhergeht. Unbehandelt kommt es durch Krämpfe der
Atemmuskulatur schließlich zum Erstickungstod. Der lokale Tetanus ist eine sel-
tene Variante, bei der die Symptome auf den Körperteil beschränkt sind, an dem
sich die infizierte Wunde befindet. Ein ebenfalls von den Tetanusbakterien pro-
duziertes Gift, das Tetanolysin (grch. lysis = Auflösung), ist für die beschriebe-
nen typischen Krankheitszeichen nicht von Bedeutung, zerstört jedoch rote
Blutkörperchen und schädigt das Herz.
Um eine weitere Toxinproduktion zu unterbinden, werden nach Identifikati-
on der Eintrittspforte die Wundränder komplett herausgeschnitten. Zirkulieren-
des, d. h. noch nicht an Nervenstrukturen gebundenes Gift lässt sich durch ent-
sprechende Antikörper neutralisieren. Die bereits ausgebrochene Erkrankung
kann im Übrigen nur symptomatisch, d. h. an den Krankheitszeichen orientiert
behandelt werden, und zwar in erster Linie mit muskelentspannenden Medika-
menten.
21 Tetanus (Wundstarrkrampf) 145
22 Muskelerkrankungen
uuDie erblichen Formen können durch ein fehlendes oder verändertes Muskel
eiweiß (Dystrophien), Störungen des Energiestoffwechsels der Muskulatur (me-
tabolische Myopathien) oder eine Über- bzw. Untererregbarkeit an den musku-
lären Zellmembranen (Myotonien bzw. periodische Lähmungen) bedingt sein.
22.1 Muskeldystrophien
22.4 Myotonien
Bei Myotonien (ICD-10: G71.1) ist die Erschlaffung der Skelettmuskulatur
nach Beendigung einer Muskelaktion verzögert. Die Betroffenen haben dadurch
das Gefühl einer Muskelsteifigkeit und können beispielsweise nach einem kraft-
vollen Händedruck nicht schnell loslassen (Faustschlussmyotonie). Durch Be-
klopfen lässt sich an einzelnen Arm- oder Beinmuskeln häufig eine umschriebe-
ne Wulstbildung auslösen (Perkussionsmyotonie, lat. percussio = Erschütterung,
Schlag). Ursächlich sind vererbbare Veränderungen von Chlorid- oder Natrium-
kanälen, die an der Regulation des à Membranpotenzials von Muskelzellen be-
teiligt sind und zu deren Übererregbarkeit führen.
Während sich bei den Chloridkanalmyotonien die Steifigkeit durch wieder-
holte Bewegungen bessert, kommt es bei bestimmten Natriumkanalmyotonien
durch Muskelarbeit und Abkühlung bzw. durch die Gabe von Kalium zu einer
Verstärkung der myotonen Symptomatik. Bei einer im Alltag beeinträchtigen-
den Myotonie kann medikamentös mit Substanzen behandelt werden, welche
die Durchlässigkeit von Membrankanälen beeinflussen. Hierbei kommen in ers-
ter Linie Medikamente, die ursprünglich zur Behandlung von Herzrhythmusstö-
rungen entwickelt worden waren (Antiarrhythmika, z. B. Mexiletin), zum Ein-
satz.
22 Muskelerkrankungen 149
uuBei der hypokaliämischen Form beginnen die Symptome meist in der zwei-
ten Nachthälfte, so dass dann am Morgen die Schwäche auffällt. Eine starke kör-
perliche Betätigung oder eine außerordentlich kohlenhydratreiche Mahlzeit am
Vortag wirken als Auslöser.
22.6 Muskelentzündungen
Eine Entzündung der Muskulatur (Myositis) tritt als Folge einer Infektion mit
Bakterien, Viren oder Parasiten (z. B. Trichinen) auf; kommt jedoch nicht selten
auch ohne erkennbare äußere Ursache vor. Hierbei verursacht ein fehlgesteuertes
körpereigenes Immunsystem entweder infolge der Einwanderung von Entzün-
dungszellen in das Muskelgewebe eine Polymyositis (grch. poly = viel, zahlreich)
oder durch die Zerstörung von Kapillaren in Haut und Muskulatur mit daraus
resultierenden Gewebeschäden eine Dermatomyositis (grch. derma = Haut). Die
häufigste erworbene Muskelerkrankung jenseits des 50. Lebensjahrs ist die soge-
nannte Einschlusskörperchenmyositis, bei der sich in den Muskelzellen durch
ein Nebeneinander von Entzündung und Degeneration charakteristische Ablage-
rungen in Gestalt von Einschlusskörperchen bilden. Die hierin angehäuften ab-
normen Stoffwechselprodukte haben interessanterweise eine große Ähnlichkeit
mit den Ablagerungen, welche im Gehirn von Alzheimer-Patienten (vgl. Kap. 15.1)
gefunden werden. Therapeutisch lässt sich diese, von manchen auch salopp als
„Muskel-Alzheimer“ bezeichnete Erkrankung nur schwer beeinflussen.
This page intentionally left blank
151
C Psychische Erkrankungen
und Störungen
Während die thematisch im Grenzgebiet zwischen Neurologie und Psy
chiatrie angesiedelten Kapitel „Demenzen“ und „Delir“ bereits bei den
neurologischen Krankheiten abgehandelt wurden, befassen sich die fol-
genden Kapitel mit rein psychiatrischen Krankheitsbildern.
153
23 Schizophrenie
uuBei den Ich-Erlebnisstörungen wird die Grenze zwischen dem „Ich“ und der
„Umwelt“ als durchlässig empfunden. Der Betroffene erlebt sich z. B. als von au-
ßen fremdgesteuert oder hat das Gefühl, dass ihm Gedanken eingegeben bzw.
entzogen werden.
kommt es bei dieser Form zu hohem Fieber, deutlich erhöhten Werten von Mus-
keleiweißen bzw. -enzymen im Blut sowie Störungen der à Elektrolyte und der
Kreislauffunktion. Das hohe Fieber ist nicht auf eine Infektion zurückzuführen,
sondern wird durch die anhaltende massive Muskelanspannung am gesamten
Körper erklärt, da hierbei wesentlich mehr Wärme als beim normalen Frieren
produziert wird. Die Anspannung ist dabei so enorm, dass Muskelzellen beschä-
digt werden und aus ihrem Inneren Eiweiße und Enzyme, insbesondere Myoglo-
bin und Kreatininkinase, freigesetzt werden. Diese Substanzen gelangen in gro-
ßen Mengen ins Blut und können die Nieren verstopfen, so dass dann ein
Nierenversagen droht.
Um die starke Erregung und Muskelanspannung zu reduzieren, wird hoch
dosiert mit Benzodiazepinen behandelt, die beruhigend, angstlösend und mus-
kelentspannend wirken. Die ansonsten bei schweren, therapieresistenten De-
pressionen angewandte Elektrokrampftherapie (vgl. Kap. 25.1) wird auch bei
derartig gravierenden Katatonien mit gutem Erfolg eingesetzt. Durch das hohe
Fieber entstandene Flüssigkeitsverluste sowie Elektrolytstörungen sind auszu-
gleichen, um Komplikationen wie Kreislaufstörungen oder ein Versagen der
Nieren bzw. anderer Organe zu vermeiden. Die erhöhte Körpertemperatur kann
beispielsweise physikalisch mittels Wadenwickeln gesenkt werden. Während
dieses auch als perniziöse (lat. perniciosus = verderblich) bzw. maligne (lat. ma-
lignus = bösartig) Katatonie bezeichnete Krankheitsbild früher zumeist tödlich
verlief, wird es heutzutage dank moderner Therapiemöglichkeiten meistens
überlebt.
24 Wahnhafte Störungen
uuBeim Verfolgungswahn bezieht sich der Wahninhalt darauf, dass der Betrof-
fene belästigt, ausspioniert, verfolgt oder sogar bedroht werde. An sich harmlose
Ereignisse in seiner Umgebung werden nicht selten als Überwachungs- oder Spi-
onageaktionen gedeutet.
uuDas zentrale Wahnthema des Liebeswahns besteht darin, von einer anderen
Person geliebt zu werden, ohne dass diese selbst davon Kenntnis habe. Probleme
können vor allem dann entstehen, wenn die Erkrankten versuchen, mit der be-
treffenden Person über Briefe, Anrufe, Besuche o. ä. in Kontakt zu treten.
uuEin Beziehungswahn liegt vor, wenn ein Patient immer wieder Dinge oder
Geschehnisse in seiner Umgebung auf sich selbst bezieht, obwohl diese objektiv
betrachtet gar nichts mit ihm zu tun haben können. So kann jemand die subjek-
158 C Psychische Erkrankungen und Störungen
25 Affektive Psychosen
25.1 Depression
Kernsymptome einer Depression (lat. deprimere = niederdrücken) sind inad-
äquate psychische Niedergeschlagenheit, Freudlosigkeit, Interesselosigkeit und
Antriebsminderung. Zu weiteren Symptomen zählen Ängste, Grübelzwang so-
wie Schlaf- und Konzentrationsstörungen.
Depressive Episoden können entweder nur einmalig (ICD-10: F32.-) oder in
wiederholten Phasen (ICD-10: F33.-) auftreten. In Abhängigkeit von Anzahl
und Ausprägung der Symptome wird eine depressive Episode als leicht, mittel-
gradig oder schwer charakterisiert. Bei schweren Depressionen sind Antriebs-
und Interesselosigkeit so ausgeprägt, dass die Betroffenen alltägliche Aufgaben
nicht mehr bewältigen können und in eine zunehmende soziale Isolation gera-
ten. Die Erkrankten berichten von einer quälenden emotionalen Leere („Gefühl
der Gefühllosigkeit“), welche sich auch durch Ablenkung oder Zuspruch nicht
beeinflussen lässt.
Als Dysthymie (grch. dys = miss- + thymos = Gemüt; ICD-10: F34.1) wird
eine chronisch anhaltende, weniger schwere depressive Verstimmung bezeichnet.
Ursächlich wird ein Zusammenspiel von erblichen Veranlagungen und Um-
weltfaktoren angenommen. Bei depressiv Erkrankten ist das System der Über-
trägerstoffe Serotonin und Noradrenalin im Gehirn gestört. Die medikamentöse
Therapie greift vor allem in den Stoffwechsel dieser beiden Überträgerstoffe ein,
wobei die Wirkung der Antidepressiva erst nach 2–3 Wochen eintritt. Bei
schweren, therapieresistenten Depressionen wird die Elektrokrampftherapie
eingesetzt, bei der in Narkose künstlich epileptische Anfälle herbeigeführt wer-
den. Der Einsatz dieses Verfahrens beruht auf der Beobachtung, dass bei Patien-
160 C Psychische Erkrankungen und Störungen
ten, die gleichzeitig an einer Depression und Epilepsie leiden, nach einem epilep-
tischen Anfall eine Stimmungsaufhellung auftritt.
Chronischer Stress begünstigt die Entstehung von Depressionen durch eine
andauernd vermehrte Ausschüttung des Stresshormons Kortisol. Bei vorliegen-
der Veranlagung können ungünstige Lebensumstände wie schwere körperliche
Erkrankungen, Verlust von nahen Angehörigen, Partnerschaftsprobleme, Ar-
beitslosigkeit oder Konflikte am Arbeitsplatz eine depressive Episode auslösen.
Erworbenen Denkmustern zufolge fühlen sich depressiv Veranlagte minderwer-
tig und suchen die Schuld für negative Ereignisse ausschließlich bei sich selbst.
Die psychotherapeutische Behandlung zielt darauf ab, negative Denkmuster
bzw. Verhaltensweisen abzubauen, eine aktivere Tagesstruktur zu entwickeln
und das Rückzugsverhalten zu vermindern, um wieder positive Erfahrungen
sammeln zu können.
25.2 Manie
Eine Manie (grch. mania = Raserei) ist gewissermaßen das Gegenstück zu einer
Depression. Während einer manischen Episode (ICD-10: F30.-) sind die Betrof-
fenen unermüdlich betriebsam, schlafen kaum noch und beschäftigen sich ex-
zessiv mit angenehmen Dingen (z. B. Kaufrausch, sexuelle Enthemmung oder
Größenideen), während andere Teilbereiche des Lebens völlig vernachlässigt
werden. Die Stimmungslage ist dabei unangemessen angehoben und sorglos
heiter; bei manchen Formen geht das übersteigerte Aktivitätsniveau jedoch mit
einer gereizten Stimmung einher. Bei einer Manie mit psychotischen Sympto-
men (ICD-10: F30.2) kommen zusätzlich Wahnsymptome (zumeist Größen-
wahn) oder Halluzinationen vor.
Zur akuten und vorbeugenden medikamentösen Behandlung werden vor-
rangig Lithiumsalze sowie bestimmte Antikonvulsiva (anfallsblockierende Subs-
tanzen, z. B. Valproinsäure oder Carbamazepin) eingesetzt. Wegen eines verzö-
gerten Wirkungseintritts dieser Medikamente kann die ergänzende Gabe von
beruhigend wirkenden Benzodiazepinen und Neuroleptika erforderlich sein. Da
manisch Erkrankte ihren Zustand häufig auch positiv erleben, ist mit einer redu-
zierten Behandlungswilligkeit und -treue zu rechnen.
viduell sehr unterschiedlich ist. Die Länge des beschwerdefreien Intervalls zwi-
schen zwei Phasen ist ebenfalls sehr variabel und kann einige Tage bis mehrere
Jahrzehnte betragen. Bei einem raschen Phasenwechsel mit mindestens vier
Phasen einer Depression oder Manie in einem Jahr wird von einem Rapid Cyc-
ling gesprochen. Eine andauernd instabile Stimmungslage mit zahlreichen Pha-
sen leicht depressiver bzw. gehobener Stimmung wird als Zyklothymie (grch.
zyklos = Kreis) bezeichnet und kann sich bei einigen Patienten schließlich zu
einer bipolaren affektiven Psychose entwickeln.
Die akute Behandlung erfolgt entsprechend der aktuellen Phase mit Medika-
menten, die bei Depressionen bzw. Manien eingesetzt werden. Insbesondere bei
häufigem Phasenwechsel werden vorbeugend Lithiumsalze und bestimmte An-
tikonvulsiva als stimmungsstabilisierende Substanzen eingesetzt.
163
26 Neurotische Störungsbilder
26.1 Angststörungen
Angst ist eine normale Reaktion unseres Körpers, die uns vor Gefahren schützen
soll. Bei Angststörungen zeigen die Betroffenen jedoch übermäßig heftige
Angstreaktionen, ohne dass eine nennenswerte Gefahrensituation vorliegt.
26.2 Zwangsstörungen
Bei Zwangsstörungen (ICD-10: F42.-) unterliegen die Betroffenen einem inne-
ren Drang, bestimmte Dinge zu denken oder zu tun. Zwangsgedanken sind zu-
meist angstvoll quälende Denkinhalte, die sich immer wieder aufdrängen, ob-
wohl sie als unsinnig erkannt werden. Zwangshandlungen beziehen sich
beispielsweise auf maßlos übertriebene Reinlichkeit (Waschzwang), ständiges
Überprüfen bestimmter Dinge (Kontrollzwang) oder das Zählen sämtlicher im
Alltag auftauchender Objekte (Zählzwang).
164 C Psychische Erkrankungen und Störungen
26.4 Anpassungsstörung
Posttraumatische Anpassungsstörung
Belastungsstörung
Betroffene auch psychisch zuvor gefestigte individuell veranlagte bzw.
Personen verwundbare Personen
Auslöser extrem belastende Erlebnisse mit belastende Ereignisse;
außergewöhnlicher Bedrohung z. B. private oder berufliche
oder katastrophenartigem Ausmaß Probleme, einschneidende
Lebensveränderungen
Symptome Wiederdurchleben des Traumas, depressive Stimmungslage, Angst,
Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, Sorge, Hilflosigkeit, Aggressivität,
Vermeidungsverhalten, gestörtes Sozialverhalten
Abstumpfung, Depressivität,
Ängstlichkeit
Dauer der individuell sehr unterschiedlich; maximal sechs Monate
Symptome häufig jedoch etliche Jahre
166 C Psychische Erkrankungen und Störungen
26.7 Ess-Störungen
Ess-Störungen (ICD-10: F50.-) beruhen auf einem gestörten Verhältnis zum Es-
sen und zum eigenen Körper. Die verschiedenen Formen von Ess-Störungen,
zwischen denen auch fließende Übergänge bestehen, haben meist gravierende
psychosoziale und gesundheitliche Folgen.
Bei einer Ess-Störung mit Essanfällen, dem sogenannten Binge-Eating
(engl. binge = Sauf- oder Fressgelage) treten wiederholt Heißhungerattacken auf,
bei denen in kurzer Zeit ungewöhnlich große Nahrungsmittelmengen ver-
schlungen werden. Da die Betroffenen keine Gegenmaßnahmen ergreifen, wer-
den sie übergewichtig und fettleibig.
Die Ess-Brech-Sucht (Bulimie, grch. boulimia = Ochsenhunger) ist ebenfalls
durch Ess-Attacken gekennzeichnet, jedoch ergreifen die zumeist weiblichen Be-
troffenen aus panischer Angst vor einer Gewichtszunahme drastische Gegen-
maßnahmen wie selbst herbeigeführtes Erbrechen, zeitweise Hungerperioden
sowie Missbrauch von Abführ- und Entwässerungsmitteln. Daher ist das Kör-
pergewicht meistens normal. Durch häufiges Erbrechen kommt es langfristig
zu Entzündungen der Speiseröhre und Schäden am Zahnschmelz. Weil dem
Körper zusammen mit dem Erbrochenen Elektrolyte verloren gehen, können bei
massiver Entgleisung des Elektrolythaushaltes lebensbedrohliche Herzrhyth-
musstörungen auftreten. In etwa der Hälfte der Fälle geht der Ess-Brech-Sucht
eine Magersucht voraus.
Bei einer Magersucht (Anorexia nervosa, grch. an = ohne, nicht + ore-
xis = Verlangen) führen die überwiegend weiblichen Betroffenen durch Hun-
gern und extensive sportliche Aktivitäten absichtlich einen Gewichtsverlust her-
168 C Psychische Erkrankungen und Störungen
bei. Ein Teil der Erkrankten beschleunigt die Gewichtsabnahme zusätzlich durch
Maßnahmen, die bereits bei der Bulimie beschrieben wurden. Aufgrund einer
Körperschemastörung empfinden sich die Patienten, obwohl sie untergewichtig
sind, als zu dick. Langfristige Schädigungen des Körpers äußern sich in Kno-
chenerweichung, Nierenfunktionsstörung und Unfruchtbarkeit. Die vergleichs-
weise hohe Sterberate von bis zu 15 % bei Magersüchtigen ist auf Infektionen des
ausgehungerten und abwehrgeschwächten Körpers, plötzlichen Herztod sowie
Suizide zurückzuführen.
26.8 Persönlichkeitsstörungen
Unter der Persönlichkeit eines Menschen versteht man seine typischen, zeitlich
und situativ relativ konstanten Verhaltens- und Interaktionsmuster, die sich be-
reits im Kindes- und Jugendalter herausbilden. Persönlichkeitsstörungen (ICD-
10: F60.-) liegen vor, wenn die Persönlichkeitszüge deutlich vom gesellschaftlich
und kulturell üblichen Durchschnitt abweichen und der Betroffene selbst oder
sein soziales Umfeld erheblich darunter leidet. Was als gestört gilt, ist daher stark
von der Wahrnehmung und Bewertung des sozialen Umfeldes abhängig, wobei
die Übergänge zwischen noch normalem und bereits gestörtem Verhalten flie-
ßend sind. Die verschiedenen Formen von Persönlichkeitsstörungen können
einer der drei Gruppen
●● sonderbar/exzentrisch,
●● dramatisch/emotional oder
●● ängstlich/vermeidend
zugeordnet werden, wobei nicht selten Überschneidungen vorkommen.
Aus der Gruppe der dramatisch/emotional gefärbten Formen hat die emo
tional instabile Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.3-), welche auch die
historische Bezeichnung Borderline-Störung trägt, eine besondere klinische
Bedeutung. Die Betroffenen haben häufig unvorhersehbare launenhafte Stim-
mungsschwankungen und neigen zu impulsiven Handlungen, ohne deren Kon-
sequenzen zu bedenken. Typisch ist dabei auch selbstverletzendes Verhalten,
z. B. durch oberflächliches Ritzen in der Haut. Aus einem unsicheren Selbstbild
und den kontrastierenden Ängsten vor Nähe bzw. vor dem Alleinsein resultieren
Störungen im Sozialverhalten und instabile Beziehungen.
169
27 Aufmerksamkeitsdefizit-
Hyperaktivitäts-Syndrom
28 Autismus
Die genauen Ursachen des Autismus sind bisher noch nicht aufgeklärt worden.
Genetische Faktoren scheinen eine wichtige Rolle zu spielen, da nahe Verwand-
te von Autisten häufiger betroffen sind. Daneben werden auch veränderte Über-
trägerstoffkonzentrationen im Gehirn und andere Faktoren als mögliche Auslö-
ser diskutiert. Frühkindliche Hirnschädigungen können Störungen verursachen,
die einem Autismus gleichen.
Die Behandlung zielt darauf ab, eine normale Entwicklung der Autisten zu
fördern, ihnen beim Beziehungsaufbau zu anderen Menschen zu helfen und ste-
tig wiederkehrende Verhaltensweisen abzubauen. Hierzu werden Verhaltens-
training, Sprachtherapie und auch kreative Verfahren wie Musik- und Kunst-
therapie eingesetzt. Zur Behandlung von begleitend auftretenden Störungen, wie
z. B. Depressionen, Angststörungen, starken inneren Spannungszuständen oder
172 C Psychische Erkrankungen und Störungen
28.2 Asperger-Syndrom
Das nach dem österreichischen Kinderarzt Hans Asperger benannte Asperger-
Syndrom stellt eine leichtere Autismusform dar, die erst im Kindergarten- oder
Grundschulalter beginnt und überwiegend bei Jungen vorkommt. Im Unter-
schied zum frühkindlichen Autismus weisen die Betroffenen meist keine Intel-
ligenzminderung auf und entwickeln eine stilistisch hochstehende Sprache. Ei-
nige Asperger-Autisten sind sogar überdurchschnittlich intelligent und entfalten
auf bestimmten Spezialgebieten besondere Fähigkeiten.
Die autistische, von der Norm abweichende Wahrnehmung und Informati-
onsverarbeitung erschwert den Aufbau von Beziehungen zu anderen Men-
schen. Hierbei ist u. a. das Verstehen bzw. Aussenden nonverbaler Botschaften
(beispielsweise durch Mimik und Gestik) beeinträchtigt. Durch ihre Andersar-
tigkeit in der zwischenmenschlichen Interaktion ecken die Betroffenen überall
an und geraten in eine soziale Isolation. Sie fühlen sich gewissermaßen wie in
eine falsche Welt hinein geboren, deren soziale Verhaltensregeln sie nicht begrei-
fen.
Die Sprache der betroffenen Kinder und Erwachsenen ist durch eine frührei-
fe, ernsthafte und übertrieben genaue Ausdrucksweise, langatmig detailreiche
Schilderungen sowie eine auffällige Sprachmelodie charakterisiert. Bei ihrer
selbstbezogenen Kommunikation gehen sie kaum auf die Interessen und Reakti-
onen der Zuhörer ein. Autisten tun sich schwer damit, ihre eigenen Gefühle aus-
zudrücken bzw. Stimmungen bei anderen abzulesen, was von den Mitmenschen
nicht selten als mangelndes persönliches Interesse fehlinterpretiert wird. Auch
haben sie große Schwierigkeiten dabei, nicht-wörtliche Bedeutungen von Aus-
drücken und Redewendungen zu erfassen oder zwischen den Zeilen zu lesen.
Viele Asperger-Autisten zeigen motorische Auffälligkeiten, die mit einer Unge-
schicklichkeit und Störungen der Grob- und Feinkoordination einhergehen.
Autistische, d. h. ständig wiederkehrende Verhaltensmuster bringen eine Le-
bensführung mit sich, die durch starre Gewohnheiten und eingespielte Routinen
geprägt ist. Die Interessen der Betroffenen sind begrenzt und teilweise auf nur
ein Spezialgebiet beschränkt, in welchem sie dann jedoch mehr oder weniger
ausgeprägte Fähigkeiten, sogenannte Inselbegabungen, entwickeln können.
Einzelne von ihnen, die autistischen Savants (engl. savant = Gelehrter), besitzen
in einem solchen isolierten Teilbereich ganz außergewöhnliche Begabungen,
die sich beispielsweise auf Merkfähigkeit, Kopfrechnen, Fremdsprachen oder
Zeichnen beziehen. Abgesehen davon haben jedoch viele Autisten Lernproble-
me, weil sie dazu neigen, sich von innen heraus durch eigene spontane Ideen
abzulenken.
174 C Psychische Erkrankungen und Störungen
29 Abhängigkeitserkrankungen
29.1 Alkoholabhängigkeit
Alkohol ist als eine überwiegend akzeptierte und legalisierte Droge in vielen ge-
sellschaftlichen Lebensbereichen ganz selbstverständlich anzutreffen. Die Alko-
holindustrie gibt in Deutschland jährlich etwa eine halbe Mrd. Euro für Wer-
bung aus, in der suggeriert wird, dass Alkohol zu geselligen Anlässen, Partys und
Festen einfach dazugehört. Vielfach wird Alkohol auch als Seelentröster miss-
braucht, um Frust, Stress oder Sorgen erträglicher zu machen. Tückisch am Al-
koholkonsum ist, dass ein fließender Übergang zwischen genussvollem,
missbräuchlichem und abhängigem Trinken besteht. Bei Vorliegen einer indivi-
duellen Veranlagung und entsprechender Umgebungsfaktoren kann sich lang-
sam schleichend eine Alkoholabhängigkeit entwickeln.
Die Alkoholkrankheit (ICD-10: F10.-) hat in Deutschland bei nicht zu unter-
schätzender Verbreitung gravierende negative gesundheitliche, soziale und
volkswirtschaftliche Folgen. In ihrem aktuellen Jahrbuch nennt die Deutsche
Hauptstelle für Suchtfragen e.V. hierzu teils alarmierende Zahlen (Gaertner et al.
2011): Bezüglich des Pro-Kopf-Verbrauchs an Alkohol gehört Deutschland im
internationalen Vergleich zu den führenden Nationen. Bei zuletzt leicht fallen-
der Tendenz liegt der jährliche Verbrauch für das Berichtsjahr 2009 bei durch-
schnittlich 9,7 Litern reinem Alkohol (entspricht ca. 300 Flaschen Bier) pro Per-
29 Abhängigkeitserkrankungen 175
scheiden, welche die Nervenfasern (Axone) umhüllen, führt dazu, dass die
Reizweiterleitung in den betroffenen Hirnstrukturen beeinträchtigt bzw. unter-
brochen wird. Daraus resultierende Krankheitssymptome reichen von nur leich-
ten Funktionsbeeinträchtigungen bis hin zu Bewusstseinsstörungen, Sprech-
und Schluckstörungen, einer kompletten Lähmung aller Gliedmaßen und dem
Versagen der Atmung. Typischerweise wird eine zentrale pontine Myelinolyse
durch den zu raschen Ausgleich einer Hyponatriämie (erniedrigter Natrium-
spiegel im Blut) ausgelöst. Damit einhergehende Elektrolyt- und Wasserver-
schiebungen zwischen Gewebe und Blut können über einen noch ungeklärten
Mechanismus zur Schädigung der Markscheiden führen. Während die Behand-
lungsmöglichkeiten der Erkrankung auf symptomatische Maßnahmen be-
schränkt sind, ist es für die Vorbeugung wesentlich, dass beim Vorliegen einer
ausgeprägteren Hyponatriämie deren Ausgleich nur langsam und unter engma-
schigen Laborkontrollen erfolgt.
Anhang
This page intentionally left blank
179
Glossar
Aktionspotenzial
elektrische Erregung von Zellmembranen, die mit einer charakteristischen
vorübergehenden Abweichung des à Membranpotenzials vom Ruhezustand
verbunden ist. Dabei spielen kurzzeitige Änderungen der Durchlässigkeit von
Kanälen in der Zellmembran eine wesentliche Rolle, so dass elektrisch geladene
Teilchen (Natrium-, Kalzium- und Kaliumionen) in einer raschen zeitlichen Ab-
folge in die Zelle hinein bzw. aus ihr heraus strömen. Aktionspotenziale
ermöglichen die Weiterleitung von Erregungen in Nervenfasern sowie die
Kontraktion von Muskeln.
Amyloid
(grch. amylo = Stärke); abnorm verändertes Eiweiß, das sich mit Jod anfärben
lässt und dabei ein ähnliches Verhalten wie Stärke zeigt. Ablagerungen von
Amyloid im Körper können durch Überproduktion, verminderten bzw. fehlen-
den Abbau oder gestörte Ausscheidung bestimmter Eiweiße entstehen. Wenn
diese Ablagerungen das Körpergewebe schädigen und zu einer Erkrankung
führen, wird von einer Amyloidose gesprochen.
Anatomie
(grch. ana = auf + tomus = Stück, Schnitte); Lehre vom Aufbau des menschlichen
Körpers und anderer Organismen. Dabei wird die Gestalt, Lage und Struktur
von Körperteilen, Organen, Geweben oder Zellen betrachtet.
Angiografie
(grch. aggeion = Gefäß + graphein = schreiben); bildgebendes Verfahren zur
Darstellung von Blut- oder Lymphgefäßen, bei dem häufig ein Kontrastmittel
in die Gefäße gespritzt wird, um den Bildkontrast zu verstärken. Für Röntgen-
aufnahmen wird jodhaltiges Kontrastmittel verwendet, während in der Kern-
spintomografie dafür Gadolinium-Verbindungen eingesetzt werden. Mittels
Kernspintomografie sind darüber hinaus auch Gefäßdarstellungen ohne die Ver-
wendung eines Kontrastmittels möglich.
Antikonvulsiva
(grch. anti = gegen + lat. convulsio = Krampfanfall); Arzneimittel zur Unterdrü-
ckung von epileptischen Anfällen. Die der Epilepsie zugrunde liegende Ursache
wird dadurch nicht behandelt; daher ist die synonym gebrauchte Bezeichnung
als Antiepileptika nicht ganz korrekt.
180 Anhang
Antikörper
(= Immunglobuline); spezifische Eiweiße, die der Körper bei Kontakt mit Infek-
tionserregern bildet, um diese abzuwehren. Bei Autoimmunerkrankungen sind
(infolge einer Fehlsteuerung des Immunsystems) Antikörper vorhanden, die ge-
gen körpereigenes Gewebe gerichtet sind.
Aphthen
(grch. hapto = entfachen, brennen); kleine rundliche Schleimhautgeschwüre mit
weißlichem Fibrinbelag und umgebendem entzündlichen Randsaum. Befallene
Schleimhäute können sich beispielsweise in der Mundhöhle, an der Zunge, an
den Gaumenmandeln oder im Genitalbereich befinden. Aphthen sind überwie-
gend harmlos, können jedoch sehr schmerzhaft sein.
Arterie
(= Schlagader); Blutgefäß, welches (sauerstoffreiches) Blut vom Herzen wegführt
Bestrahlung
(= Strahlentherapie); Anwendung ionisierender Strahlen. Die Strahlentherapie
wird eingesetzt zur Heilung oder Verzögerung des Fortschreitens von bösartigen
Neubildungen, aber auch bei verschiedenen gutartigen Erkrankungen.
Biopsie
(grch. bios = Leben + opsis = Sehen); Entnahme einer Gewebeprobe am leben-
den Organismus, die dann für spezielle Untersuchungen zur Verfügung steht
Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG)
Sedimentationsgeschwindigkeit von roten Blutkörperchen. Zu ihrer Messung
wird ungerinnbar gemachtes Blut in ein senkrecht stehendes Glas- oder Kunst-
stoffröhrchen aufgezogen. Unter dem Einfluss der Schwerkraft sinken dann die
zellulären Bestandteile des Blutes langsam ab und deren Senkungsgeschwindig-
keit – also die Höhe des zellfreien Überstands – wird nach einer Stunde (manch-
mal zusätzlich auch nach zwei Stunden) abgelesen. Eine erhöhte BSG findet
sich vor allem bei Entzündungen, Tumoren oder krankhaft veränderten Blut
eiweißen. Durch eine veränderte Zusammensetzung der Eiweiße im Blut kommt
es bei diesen Erkrankungen nämlich zu einer vermehrten Neigung der roten
Blutkörperchen, sich zusammenzuballen, so dass sie schneller absinken.
Chemotherapie
medikamentöse Behandlung zur Bekämpfung von Krankheitserregern oder
bösartigen Neubildungen. Chemotherapeutika blockieren den Stoffwechsel von
Mikroorganismen bzw. Tumorzellen und behindern die Zellteilung. Die zur
Glossar 181
Elektrolyte
(grch. lyein = lösen); chemische Stoffe, die in wässriger Lösung in der Lage sind,
den elektrischen Strom zu leiten. Die Verteilung dieser Stoffe, zu denen Säuren,
Basen und Salze zählen, bildet im Körper ein empfindliches Gleichgewicht
(Elektrolythaushalt), dessen Entgleisung zu lebensgefährlichen Funktionsstö-
rungen führen kann.
elektrophysiologisch
die Elektrophysiologie betreffend, welche sich mit der elektrischen und chemi-
schen Signalübertragung im Nervensystem befasst
Embolisation
(grch. emballein = hineinwerfen); Verschluss von Blutgefäßen durch einen
Embolus (Pfropf). Ein embolischer Gefäßverschluss kann einerseits aus thera-
peutischen Gründen absichtlich (mittels Spezialklebern oder Partikeln) herbei-
geführt werden, beispielsweise um Gefäßfehlbildungen zu verschließen, sich
andererseits aber auch ungewollt ereignen, wenn ein Blutgerinnsel vom Blut-
strom mitgerissen wird und ein Gefäß verstopft.
embryonal
(grch. embryon = ungeborene Leibesfrucht); abgeleitet vom Embryo, d. h. von
der Frucht in der Gebärmutter während der Organentwicklung
Enzyme
(= Biokatalysatoren); Eiweiße, die biochemische Reaktionen beschleunigen
essenziell
(lat. essentia = Wesen); zum Wesen einer Sache gehörend, immanent, innewoh-
nend, arteigen
Ferritin
(Speichereisen, lat. ferrum = Eisen); mit Eisenionen beladene Eiweißverbindun-
gen, die der Eisenspeicherung dienen und sich überwiegend im Zellinneren
befinden. Die Ferritin-Konzentration im Blut verhält sich proportional zu der
insgesamt im Körper gespeicherten Eisenmenge. Ein erniedrigter Ferritin-
Spiegel weist somit auf einen Eisenmangel hin, der beispielsweise durch chroni-
sche Blutungen, zu geringe Eisenaufnahme mit der Nahrung, Resorptionsstö-
182 Anhang
Heparin
(grch. hepar = Leber); körpereigene gerinnungshemmende Substanz, die erst-
mals aus Lebergewebe isoliert wurde, aber auch in Lungengewebe und Dünn-
darmschleimhaut vorkommt. Da Heparine nicht aus dem Magen-Darm-Trakt
resorbiert werden, müssen sie entweder in eine à Vene oder in das Unterhaut-
fettgewebe gespritzt werden.
Hormone
Botenstoffe, die von spezialisierten Körperzellen abgegeben werden und über
das Blut die Zellen der Erfolgsorgane erreichen
humangenetische Untersuchung
Analyse des menschlichen Erbguts, z. B. aus einer Blutprobe oder anderen
Körperzellen
hypnagog
(grch. hypnos = Schlaf + agein = herbeiführen); den entspannten Bewusst-
seinszustand während des Einschlafens im Grenzbereich zwischen Wachsein
und Schlafen betreffend
idiopathisch
(grch. idios = eigen, selbst + pathos = Leiden); als selbständiger Krankheitszu-
stand bzw. ohne erkennbare Ursache entstanden
interventionell
(lat. intervenire = dazwischenkommen); eingreifend, verändernd. Als interven-
tionell werden Untersuchungs- und Behandlungsverfahren bezeichnet, bei
denen gezielte Eingriffe (Interventionen) durchgeführt werden. Über die rein
diagnostische Röntgenheilkunde (Radiologie, lat. radius = Strahl) hinaus führen
beispielsweise interventionell tätige Radiologen unter bildgebender Kontrolle
Eingriffe am Gefäßsystem oder anderen Organen durch.
intrakraniell
(lat. intra = innerhalb + cranium = Schädel); innerhalb des Schädels
ischämisch
(grch. ischein = zurückhalten, hindern + haima = Blut); auf einer Minderdurch-
blutung oder einem Durchblutungsausfall beruhend (Ischämie = Blutleere)
Glossar 183
Kapillaren
(= Haargefäße, lat. capillus = Haar); kleinste Gefäße, die ein feines Netzwerk
bilden und dem Stoffaustausch dienen. Die Blutkapillaren erhalten ihre Zuflüsse
über kleine à Arterien und werden über kleine à Venen drainiert.
kardial
(lat. cor = Herz); das Herz betreffend, zu ihm gehörig, von ihm ausgehend
Knochenszintigrafie
(lat. scintilla = Funke + grch. graphein = schreiben); bildgebendes Verfahren, bei
dem spezielle, radioaktiv markierte Substanzen in den Körper eingebracht wer-
den, die sich an Stellen mit einem gesteigerten Knochenstoffwechsel anreichern.
Die von diesen Tracersubstanzen (engl. trace = Spur) abgegebene schwach ra-
dioaktive Strahlung wird dabei mit einer besonderen Kamera aufgezeichnet.
Herdförmige Anreicherungen in der Knochenszintigrafie kommen beispiels
weise vor bei bösartigen Tumoren im Knochen sowie Entzündungen oder In-
farkten des Knochens, aber auch in der Heilungsphase nach Knochenbrüchen.
Kollateralen
(lat. con = zusammen + latus = Seite); Blutgefäße, die bei Verschluss oder Einen-
gung eines Hauptgefäßes die Funktion eines Umgehungskreislaufs übernehmen
können
Kortisol
(= Hydrokortison); lebenswichtiges à Hormon, das in der Nebennierenrinde
(lat. cortex = Rinde) gebildet wird. Kortisol hat Wirkungen auf den Kohlen
hydrat-, Fett- sowie Eiweißstoffwechsel und ist ein wichtiges Stresshormon. In
höheren Dosen wirkt es entzündungshemmend und unterdrückt das Immun-
system.
Lysergsäurediethylamid (LSD)
eines der stärksten bekannten Halluzinogene; Abkömmling der im Mutterkorn
natürlich vorkommenden Lysergsäure
Melanin
(grch. melas = schwarz); rötliches, braunes oder schwarzes Pigment, welches z. B.
die Färbung von Haut, Haaren und Augen bewirkt
184 Anhang
Membranpotenzial
elektrische Spannung zwischen der Innen- und Außenseite einer Zellmembran
als Grundlage der Reizübertragung. Das Potenzial wird aktiv aufgebaut, indem
elektrisch geladene Teilchen (Natrium- und Kaliumionen) entgegen einem
Konzentrationsgefälle transportiert werden und gleichzeitig durch regulierbare
Ionenkanäle eine selektive Durchlässigkeit der Zellmembran geschaffen wird.
Meningokokken
(grch. meninx = Hirnhaut + kokkos = Kern, Beere); kugelförmige Bakterien, die
den Nasenrachenraum besiedeln, durch Tröpfcheninfektion übertragen werden
und Hirnhautentzündungen oder Blutvergiftungen auslösen können
Orphan drug
(engl. orphan = Waise, Waisenkind + drug = Arzneimittel); Arzneimittel, das zur
Behandlung seltener Krankheiten eingesetzt wird. Die Entwicklung derartiger
Medikamente ist für die pharmazeutische Industrie nicht gewinnversprechend;
denn während des gesetzlichen Patentschutzes können die hohen Entwicklungs-
kosten wegen des nur kleinen Absatzmarktes kaum wieder eingespielt werden.
Daher wurden gesetzliche Regelungen geschaffen, welche Entwicklung, Zulas-
sung und Vertrieb dieser Arzneimittel fördern bzw. erleichtern.
Parasiten
(grch. parasitos = Mitesser, Schmarotzer); Organismen, die ganz oder teilweise,
ständig oder zeitweise auf Kosten eines Wirtsorganismus leben; z. B. Urtierchen,
Würmer und Gliederfüßer
Phasensynchronisation
(grch. phasis = Erscheinung + syn = zusammen + chronos = Zeit). Als Phase
wird die momentane Position bei zeitlich periodisch wiederkehrenden Prozes-
sen bezeichnet. Eine Synchronisation derartiger Prozesse liegt vor, wenn ihre
Phasenlagen in Gleichtakt gebracht werden. Dies bedeutet, dass dann zu einem
beliebigen Zeitpunkt jeweils übereinstimmende Positionen vorliegen.
Glossar 185
Pilze
eigene Gruppe von Lebewesen, die als Geflecht von Pilzfäden oder in Form von
Einzellern als Hefe- bzw. Sprosspilze existieren
Plasmapherese
(grch. pherein = tragen); apparatives Verfahren zur Abtrennung des Blutplasmas
von den Blutkörperchen, wobei die Blutkörperchen sowie geeignete Substituti-
onslösungen wieder in den Blutkreislauf zurückgeführt werden. Bei Autoimmun
erkrankungen können so zusammen mit dem Blutplasma krankheitsverursa-
chende à Antikörper aus dem Blut entfernt werden.
Polymerase-Kettenreaktion
(PCR, engl. polymerase chain reaction); Labormethode, die einen hochempfind-
lichen Nachweis der Erbsubstanz Desoxyribonukleinsäure (DNS) ermöglicht.
Das Verfahren beruht auf dem wiederholten Durchlaufen von Zyklen, in denen
Abschnitte der Erbsubstanz jeweils dupliziert und so schließlich enorm verviel-
fältigt werden: Nach Auftrennung der doppelsträngigen DNS durch Erhitzen
werden die beiden Einzelstränge unter Einwirkung des à Enzyms DNS-Poly-
merase durch Anlagerung ergänzender Nukleotid-Bausteine wieder zu Doppel-
strängen vervollständigt, so dass am Ende des Kopier-Zyklus zwei identische
Doppelstränge entstanden sind. Die Produkte des jeweils vorangegangenen Zyk-
lus dienen dabei erneut als Ausgangspunkt des nächsten Zyklus und weiterer
Zyklen, wodurch eine exponentielle Vervielfältigung der DNS-Abschnitte er-
reicht wird (sog. Kettenreaktion).
Rezidivrate
relative Häufigkeit von Rezidiven. Als Rezidiv (Rückfall, lat. recidere = zurück-
fallen) wird das erneute Auftreten einer Erkrankung (nach ihrer Abheilung) be-
zeichnet.
Sehnervenpapille
(lat. papilla = Erhebung, Knospe, Warze); Stelle, an welcher der Sehnerv und die
Blutgefäße in das Auge ein- bzw. austreten
Symptom
(grch. symptoma = Zufall, Begebenheit, Begleiterscheinung; grch. syn = zusam-
men + ptoma = Fall); Zeichen, Anzeichen oder Kennzeichen (einer Krankheit)
186 Anhang
Syndrom
(grch. syn = zusammen + dromos = Lauf); gleichzeitiges Vorliegen verschiede-
ner à Symptome (Krankheitszeichen), die miteinander zusammenhängen und
gemeinsam ein charakteristisches Krankheitsbild ergeben
Thrombozytenaggregationshemmer
(= Thrombozytenfunktionshemmer); chemische Substanz, welche das Verklum-
pen (lat. aggregatio = Anhäufung) von Thrombozyten (= Blutplättchen) hemmt.
Thrombozyten (grch. thrombos = Klumpen, Pfropf + kytos = Zelle) befinden
sich als kleine (1–4 Mikrometer messende) scheibenförmige Plättchen im Blut
und sorgen dafür, dass bei einer Gefäßwandverletzung rasch ein Blutpfropf ge-
bildet wird, um die schadhafte Stelle vorläufig abzudichten.
Thymus
(grch. thymos = Brustdrüse); hinter dem Brustbein gelegenes Organ des lym-
phatischen Systems, welches wesentlich an der Ausbildung des körpereigenen
Immunsystems beteiligt ist. Nach der Pubertät wird das Thymusgewebe norma-
lerweise stark zurückgebildet und zunehmend durch funktionsloses Fettgewebe
ersetzt.
Vene
Blutgefäß, welches (sauerstoffarmes) Blut zum Herzen zurückführt. Der venöse
Blutdruck ist deutlich niedriger als der in den à Arterien.
Zytostatika
(grch. kytos = Zelle + statikos = stehend, zum Stillstand bringen); Substanzen,
welche die Teilung von Körperzellen durch einen Eingriff in den Zellstoffwech-
sel hemmen. Zytostatika schädigen daher vor allem Tumorzellen, die sich viel
schneller teilen und rascher wachsen als normale Körperzellen. Neben ihrem
Einsatz als Chemotherapeutika zur Behandlung bösartiger Neubildungen (z. B.
Krebs) eignen sich Zytostatika auch zur Unterdrückung des Immunsystems (Im-
munsuppression), da sie auch hier die Zellteilung behindern bzw. die Produktion
von à Antikörpern drosseln.
187
Ökonomische Betrachtungen
Die gesamten direkten Kosten aller Krankheiten beziffert das Statistische Bun-
desamt in Deutschland für das Jahr 2008 auf 254 Mrd. €. Davon entfallen auf
Krankheiten des Nervensystems (ICD-10: G00–G99) 12,5 Mrd. € und auf psy-
chische Erkrankungen (ICD-10: F00–F99) 28,6 Mrd. € (Gesundheitsberichtser-
stattung des Bundes). Insgesamt liegen neuropsychiatrische Erkrankungen mit
ca. 41 Mrd. € noch vor Herz-Kreislauf-Leiden (36,9 Mrd. €) und Krankheiten des
Bewegungsapparates (28,5 Mrd. €).
Rückschlüsse auf die volkswirtschaftliche Bedeutung von Krankheiten sind
anhand der Anzahl verlorener Erwerbstätigkeitsjahre möglich. Bei einer Ge-
samtzahl von gut 4,2 Mio. krankheitsbedingt verlorener Erwerbstätigkeitsjahre
für Deutschland im Jahr 2008 entfallen davon insgesamt über 20 % auf neurolo-
gische (0,17 Mio.) und psychische (0,76 Mio.) Krankheiten. Die Zeiten verlore-
ner Erwerbstätigkeit können durch Arbeitsunfähigkeit, Invalidität oder vorzeiti-
gen Tod bedingt sein. Charakteristisch für neurologische und psychische
Erkrankungen ist, dass bei ihnen mit knapp 60 % bzw. 70 % ein überproportional
großer Anteil der verlorenen Erwerbstätigkeitsjahre durch Invalidität verursacht
wird. Demgegenüber beläuft sich dieser Anteil im Durchschnitt aller Diagnosen
nur auf ca. 40 % (Gesundheitsberichtserstattung des Bundes).
In den letzten Jahren zeichnete sich eine zunehmende gesundheitsökonomi-
sche Bedeutung psychischer Krankheiten ab: Einem Gutachten des in Berlin an-
sässigen Instituts für Gesundheit und Sozialforschung (Albrecht et al. 2007) zu-
folge hat die Zahl der Krankenhausfälle zur Behandlung psychischer Erkrankungen
von 1994 bis 2005 um 36 % zugenommen, während der durchschnittliche Zu-
wachs über alle Diagnosen hinweg betrachtet nur bei 11 % lag. Eine Auswertung
der Arbeitsunfähigkeitstage im Zeitraum von 1997 bis 2006 ergab eine Zunahme
der Fehlzeiten wegen psychischer Krankheiten um 64 %, wohingegen der durch-
schnittliche Krankenstand über alle Diagnosen hinweg (nach einem zwischen-
zeitlich leichten Anstieg) schließlich im Jahre 2006 wieder auf dem Niveau von
1997 lag. Die gesetzliche Rentenversicherung verzeichnete von 1993 bis 2005 im
Bereich der Erwerbsminderungsrenten wegen psychischer Krankheiten eine Zu-
nahme der jährlichen Neuzugänge um 28 %. Für die Gesamtheit aller Diagnosen
zeigte sich hingegen im selben Zeitraum eine Abnahme der Zugänge um fast
40 %.
Einschränkend ist dabei jedoch zu berücksichtigen, dass die statistisch er-
fasste zunehmende Bedeutung von psychischen Erkrankungen zumindest teil-
weise auch auf einer höheren gesellschaftlichen Akzeptanz und häufigeren Dia-
188 Anhang
Literaturverzeichnis
Sachverzeichnis
A Anfälle B
– dissoziative 167
Abhängigkeit 122, 169, Bakterien 56
– epileptische 45, 59,
174ff. Bandscheibenvorfällle
76ff., 84, 122, 130, 159,
– körperliche 174 123f.
172, 175
– psychische 174 Basilarisarterie 28f., 33f.
Anfallsleiden s. Epilepsie
Abhängigkeitserkran Basilaristhrombose 33f.
Angststörungen 163f., 171
kungen 174ff. Behçet-Krankheit 72f.
Anorexia nervosa 167f.
Abszess, Hirn- 60f. Beine, unruhige s. Rest-
Anpassungsstörung 165
Acetylcholin 104, 118, less-Legs-Syndrom
Antagonist 6
138, 141f. Belastungsstörung, post-
Antiarrhythmika 148
Acetylcholinesterase 118, traumatische 164f.
Antidepressiva 87, 90, 97,
138, 140 Benzodiazepine 83, 155,
116, 125, 131, 159
– Hemmer 118, 140 161, 176
Antikoagulation 39, 46
Acetylsalicylsäure 39, 91 Beruhigungsmittel 174,
Antikonvulsiva 79f. ,91,
Aciclovir 59, 125 176
96, 108, 115, 125, 131,
ADEM 70f. Beschleunigungsverlet-
161f.
ADHS s. Aufmerksam- zung, Halswirbelsäule
Aphthen 73
keitsdefizit-Hyperakti- 49f.
Aquaporin 4 71
vitäts-Syndrom Betablocker 91, 108
Arteriitis temporalis 92
Agonist 6 Betahistin 101
Arteriosklerose 35
Aktionspotenzial 6, 138 Binge-Eating 167
Asperger-Syndrom 173
Alkohol 35, 88, 108, 121, Blickparese, progressive
Astrozyten 53, 71
128ff., 146, 174ff. supranukleäre 105, 119
Astrozytom 53
– Abhängigkeit 122, 169, Blutgerinnsel 32
Atomoxetin 170
174ff. Blutgerinnung
Attacke, transitorisch
– Korsakow-Psychose – Hemmung der 39, 46
ischämische 28
175 – Marcumar® 33, 39, 46
Aufmerksamkeitsdefizit-
– Wernicke-Enzephalo Blut-Hirn-Schranke 9, 16,
Hyperaktivitäts-Syn-
pathie 175 54, 104
drom 113, 169f.
ALS 136f. Blutungen
– Therapie 170
Alzheimerkrankheit 117f. – epidurale 48
Augenmuskeln, Lähmung
Amaurosis fugax 29 – intrazerebrale 40, 48
der 93, 119, 132, 142
Amnesie, dissoziative 166 – subarachnoidale 42ff.
Aura 77, 90f.
Amyloid 40, 118 – subdurale 48f.
Autismus 171ff.
– Angiopathie 40 Borderline-Störung 168
– Asperger-Syndrom 173
Amyotrophe Lateralskle Borrelien 74, 127
– atypischer 172
rose 136f. Borreliose
– frühkindlicher s. Kan-
Aneurysma 42 s. Lyme-Borreliose
ner-Syndrom
– Atrium-Septum- 37 Botenstoff 6
– Kanner-Syndrom 172
Botulinumtoxin 109, 115,
Axon 5f., 9, 138f.
142f.
192 Einleitung
Ein fesselnder Lesestoff für alle, die sich – sei es beruflich oder privat – für
Nervenheilkunde interessieren.
Roland Depner Dr. med., Facharzt für Neurologie mit den Zusatzbezeichnungen
»Geriatrie« und »Intensivmedizin«. Seit 2001 Oberarzt an der Neurologischen Klinik
des St. Vincenz-Krankenhauses Paderborn. 2010 Abschluss als Master of Health
Business Administration (MHBA) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-
Nürnberg. Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und
funktionelle Bildgebung (DGKN).
ISBN 978–3–7945–2887–5