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Levin Schaible
„Die Ausnahmesituation ist die Stunde der Exekutive, weil in diesem Au-
genblick gehandelt werden muß und in diesem Augenblick nicht mehr die
Möglichkeit besteht, etwa — wie dieser Wunsch vorgetragen worden ist—
das ganze Verordnungswerk, das unter Umständen binnen weniger Stun-
den erlassen werden muß, erst komplizierten Beratungen in wenn auch
noch so verkleinerten Ausschüssen zu unterbreiten. "3
Als „politische Vokabel"4 wird dieses Verständnis zugleich als eine Zeit des Re-
gierens mit intransparent beschlossenen Rechtsverordnungen und Maßnahmen
und einer damit einhergehenden „Entparlamentarisierung" und „Entnormativie-
rung" kritisiert.5
nachrichten.idw-online.de/2020/04/15/die-corona-krise-als-stunde-der-exekutive/ (zu-
letzt abgerufen am 9.4.2021); Der Tagesspiegel, Wie die Corona-Krise die Herrschenden
stärkt, 30.03.2020, www.tagesspiegel.de/politik/die-stunde-der-exekutive-wie-die-
coronakrise-die-herrschenden-staerkt/25697164.html (zuletzt abgerufen am 9.4.2021).
2 KAS, Gerhard Schröder, o.D., www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/bio-
gramm-detail/-/content/gerhard-schroeder-v1 (zuletzt abgerufen am 9.4.2021).
3 Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode, 124. Sitzung, 28.9.1960, S. 7177.
4 Barczak, RuP 2020, S. 458 (460).
5 Barczak, RuP 2020, S. 458 (460 ff.); auch durch die nach Barczak verfassungsrechtlich
eher bedenkliche Ministerpräsidentenkonferenz: Barczak, RuP 2020, S. 458.
6 Mehring, Carl Schmitt zur Einführung, 2011, S. 59 ff.
7 Schmitt, Politische Theologie, 2021, S. 13; Mehring, Carl Schmitt zur Einführung, 2011,
S. 26.
8 Volkmann, Der Ausnahmezustand, Verfassungsblog. de, 20.3.2020, verfassungsblog.de/
der-ausnahmezustand/ (zuletzt abgerufen am 23.1.2022).
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Die Stunde der Exekutive?
r darunter zu sich so als Souverän zu erkennen gibt.9 Solange keine Ordnung geschaffen ist,
können keine Rechtsnormen gelten, denn „[e]s gibt keine Norm, die auf ein Chaos
anwendbar wäre. Die Ordnung muss hergestellt sein, damit die Rechtsordnung ei-
esem Au- nen Sinn hat."1° Die politische Entscheidung über den Ausnahmezustand hat eine
mehr die ordnungs- und d.h. rechtsstiftende Funktion; die Verbindlichkeit einer rechtlichen
den ist — Norm wird aus der Autorität des Souveräns hergeleitet.11 So lässt sich sagen: „In
ger Stun- seiner absoluten Gestalt ist der Ausnahmefall dann eingetreten, wenn erst die Si-
nn auch tuation geschaffen werden muss, in der Rechtssätze gelten können."12
Während bei Schmitt die Ausnahme „das nicht Subsumierbare"13 und damit recht-
lich nicht fassbare ist, ist der Normalzustand der Zustand des Rechts, in dem auf
Zeit des Re-
alle laufenden Angelegenheiten mit den vorhandenen Mitteln und innerhalb der
Maßnahmen
rechtlichen Grenzen reagiert wird.14 Die Normallage muss aber erst „dezisionis-
Inormativie-
tisch" herbeigeführt werden: „Es muss eine normale Situation geschaffen werden,
und souverän ist derjenige, der definitiv darüber entscheidet, ob dieser normale
Zustand wirklich herrscht."15
Wichtig zu verstehen ist, dass Schmitts Definition vom Ausnahmezustand zu-
; Ausnahme- nächst nicht auf „irgendeine Notverordnung oder jede [n] Belagerungszustand"16
und Begriff anwendbar ist, sondern nach seinem Verständnis vom Ausnahmezustand „viel-
des Ausnah- mehr eine prinzipiell unbegrenzte Befugnis, das heißt die Suspendierung der ge-
mus umstrit- samten bestehenden Ordnung"17 gehört. Mehring ordnet Schmitts Definition als
d im Zusam- politisch und nicht juristisch-institutionell, verfassungsrechtlich ein.18
a seiner sehr Eine weitere Definition des Ausnahmezustands stammt von Gerhard Schröder
achte: „Sou- (CDU):
en sich Aus- „Mit Ausnahmezustand ist eine Lage bezeichnet, in der so schwere Gefahren für
,usnahmezu- den Bestand eines Staates, seiner Sicherheit und (Rechts-)Ordnung bestehen, daß
schafft und deren Bewältigung mit den im Normalfall zu Gebote stehenden Mitteln als nicht
mehr möglich erscheint."19
:ekutive/ (zu- 9 Mehring, Carl Schmitt zur Einführung, 2011, S. 26 f.; Volkmann, Der Ausnahmezustand,
Herrschenden Verfassungsblog.de, 20.3.2020, verfassungsblog.de/der-ausnahmezustand/ (zuletzt ab-
:utive-wie-die- gerufen am 23.1.2022).
un 9.4.2021). 10 Schmitt, Politische Theologie, 2021, S. 19; Mehring, Carl Schmitt zur Einführung, 2011,
/personen/bio- S. 26 f.
,021). 11 Mehring, Carl Schmitt zur Einführung, 2011, S. 27.
12 Schmitt, Politische Theologie, 2021, S. 19.
13 Schmitt, Politische Theologie, 2021, S. 19.
sungsrechtlich 14 Volkmann, Der Ausnahmezustand, Verfassungsblog.de. 20.3.2020, verfassungsblog.de/
58. der-ausnahmezustand/ (zuletzt abgerufen am 23.1.2022).
15 Schmitt, Politische Theologie, 2021, S. 19.
führung, 2011, 16 Schmitt, Politische Theologie, 2021, S. 13.
17 Schmitt, Politische Theologie, 2021, S. 18.
3sungsblog.de/ 18 Mehring, Carl Schmitt zur Einführung, 2011, S. 27.
19 Klein, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. XII, 2014, § 280 Rn. 1.
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on auf eine Aufgrund dieses Dilemmas und den Erfahrungen mit dem Art. 48 WRV,
fnahme von wurde auf eine Kodifikation des Ausnahmezustands im Grundgesetz zu-
nächst verzichtet. 28
eilweise in-
Am 24. Juni 1968 wurden aber schließlich unter massiven Studentenprotesten29
Normallage
zurückge- die sog. „Notstandsgesetze"3° verabschiedet. Sie regeln detailliert das Vorgehen
beim inneren Notstand (Art. 35 Abs. 2, Abs. 3, Art. 91 GG) und äußeren Notstand
,rden sind.21
(Art. 80a, 115a ff. GG), wie z.B. im Katastrophen- und Verteidigungsfall. 31 Letz-
mehr in das
sinnvoll er- terer wird gem. Art. 115a Abs. 1 GG vom Bundestag mit Zustimmung des Bun-
desrates festgestellt.
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Levin Schaible
kennt das Grundgesetz gerade nicht.' Eine Notstandsverfassung, welche die Be-
fugnisse der Exekutive ausweitet und gleichzeitig die Geltung des Grundgesetzes
auch im Krisenfall sicherstellt, findet sich, wie man beispielhaft am Katastrophen-
notstand sehen kann, hingegen schon.'
„Nein, diese Pandemie ist kein Krieg. Nationen stehen nicht gegen Natio-
nen, Soldaten nicht gegen Soldaten. Sondern sie ist eine Prüfung unserer
Menschlichkeit.'
Als Staatsoberhaupt wollte er also die Corona-Pandemie nicht in die Kategorie des
Krieges — als äußersten Notstand, den das Grundgesetz kennt, — einordnen. An-
gela Merkel bezeichnete im November 2020 Corona hingegen als eine „Naturka-
tastrophe"", womit man einen Rückgriff auf den im Grundgesetz angelegten Ka-
tastrophennotstand gem. Art. 35 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG kommunikativ vorbereiten
könnte. Bislang geschah dies allerdings nicht. Stattdessen wurde bisher nur Amts-
hilfe gem. Art. 35 Abs. 1 GG geleistet.'
Die wichtigsten Regelungen zum Umgang mit der Corona-Pandemie finden sich
im Infektionsschutzgesetz. Es ist eine einfachgesetzliche Grundlage und wurde
bisher mehrfach überarbeitet, um es an die Erfordernisse der Zeit anzupassen. 41
Gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 IfSG kann der Bundestag unter bestimmten Voraussetzun-
gen eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite" feststellen, welche der
36 März, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. XII, 2014, § 281 Rn. 3; Lemke, Notstandsgesetze
wegen Corona? — Eine Einordnung, Hypothese, 13.3.2020, emergency.hypotheses.org/
6529_(zuletzt abgerufen am 9.4.2021); Schrenk, Deutschland und der Ausnahmezustand,
bpb.de, 30.7.2017, www.bpb.de/dialog/netzdebatte/246570/deutschland-und-der-aus-
nahmezustand (zuletzt abgerufen am 31.3.21).
37 März, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. XII, 2014, § 281 Rn. 3; Klein, in: Isensee/Kirch-
hof, HStR, Bd. XII, 2014, § 280 Rn. 8.
38 Der Bundespräsident, Fernsehansprache zur aktuellen Lage in der Corona-Pandemie,
11.4.2020, www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Stein-
meier/Reden/2020/04/200411-TV-Ansprache-Corona-Ostern.html (zuletzt abgerufen
am 31.3.2021).
39 Tagesschau, „So etwas wie eine Naturkatastrophe", 2.11.2020, www.tagesschau.de/
inland/coronavirus-regeln-lockdown-103.html (zuletzt abgerufen am 1.4.2021).
40 Kersten, ZRP 2020, S. 65.
41 Shirvani, JZ 2021, S. 109.
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Die Stunde der Exekutive?
;lche die Be- Exekutive weitreichendere Befugnisse verleiht.' Eine solche Lage liegt nach § 5
-undges etze s Abs. 1 S. 6 IfSG vor, wenn eine „ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit
.atastrophen- in der gesamten Bundesrepublik Deutschland" besteht. Mit deren Feststellung im
Rahmen der Corona-Krise durch den Bundestag am 25.03.2020 wurde die Exe-
kutive in vielerlei Hinsicht, wie im Folgenden noch genauer dargestellt, zur Er-
greifung von Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus ermächtigt, so-
etz dass — unter dem gedanklichen Rückgriff auf die Definition Lemkes — von der
insprache, in Feststellung eines Gesundheitsnotstands gesprochen werden kann.' Von einem
en dabei fol- die Rechtsordnung suspendieren, dezisionistischen Ausnahmezustand im Sinne
Schmitts ist man hingegen weit entfernt. Die „epidemische Lage von nationaler
Tragweite" wurde durch den Deutschen Bundestag zuletzt nicht verlängert und
?n Natio- endete mit Ablauf des 25.11.21.45
; unserer Neben der Feststellung des Gesundheitsnotstands auf Grundlage des Infektions-
schutzgesetzes, wurde im Zuge der Corona-Pandemie auch auf landesrechtlich
verfasste Notstände zurückgegriffen. So wurde beispielsweise nach bayerischem
:ategorie des Landesrecht der Katastrophenfall festgestellt. 46 Grundlage hierfür war das Baye-
[ordnen. An- rischen Katastrophenschutzgesetz (Art. 4 Abs. 1 S. 1 BayKSG) mit dem im Falle
ie „Naturka- einer Katastrophe, wie sie für die Ausbreitung des Coronavirus angenommen
gelegten Ka- wurde, die mitwirkenden Behörden, Dienststellen und Organisationen besser ko-
vorbereiten ordiniert werden können (vgl. Art. 7 BayKSG).
er nur Amts-
finden sich
2 und wurde
nzupassen.41
oraussetzun-
, welche der
etandsgesetze
Lypothes es . org/
nahmezustand, 42 Siehe dazu vor allem §§ 5 Abs. 2,28 IfSG, § 32 i.V.m. Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG sowie die
d-und-der-aus- Ausführungen später zum IfSG.
43 Deutscher Bundestag, Ja zu Gesetzen zum Bevölkerungs- und Sozialschutz und zu
Is ens ee/Kirch- Krankenhäusern, 25.3.2020, www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw13-de-
corona-infektionsschutz-688952 (zuletzt abgerufen am 1.4.2021).
ona-Pandemie, 44 Shirvani, JZ 2021, S.109; Rixen, RuP 2020, S. 109 (113); Sangs, NVwZ 2020, S. 1780.
:-Walter-Stein- 45 Bundesministerium far Gesundheit, Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes
.tzt abgerufen und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage
von nationaler Tragweite, www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/gesetze
.tagesschau.de/ -und-verordnungen/guv-20-1p/ifsg-aend.html (zuletzt abgerufen am 19.1.2021).
.2021). 46 Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration, Bayernweiter Ka-
tastrophenfall ab 11. November 2021, www.stmi.bayern.de/med/aktuell/archiv/2021/
211110-feststellung-des-katastrophenfalls/ (zuletzt abgerufen am 18.1.2021).
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C. Das Infektionsschutzgesetz
I. Gesetzeszweck und Einordnung
Das Infektionsschutzgesetz ist 2001 in Kraft getreten' und regelt die Meldepflich-
tigkeit, Verhütung und Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten (vgl. § 1 Abs.
1 IfSG).48 Die darin geregelten Befugnisse der Exekutive, insbesondere auch jene
der §§ 28 und 32 IfSG, galten also schon vor der Corona-Pandemie. Die Eigen-
verantwortung des Einzelnen soll dabei verdeutlicht und gefördert werden (§ 111
S. 2 a.E.).49
Im Rahmen der Covid-19-Pandemie sollen Infektionen auf Grundlage dieses Ge-
setzes durch Beschränkungen des sozialen Zusammenlebens eingedämmt wer-
den." Die Normen werden dem Gefahrabwehrrecht zugeordnet.51
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Die Stunde der Exekutive?
55 Barczak, RuP 2020, S. 458 (462); Katzenmeier, MedR 2020, S. 461 (462).
56 Barczak, RuP 2020, S. 458 (458 f.); Katzenmeier, MedR 2020, S. 461.
57 Kießling, Was verlangen Parlamentsvorbehalt und Bestimmtheitsgebot, Verfassungs-
blog. de, 4.11.2020, verfassungsblog.de/was-verlangen-parlamentsvorbehalt-und-
bestimmtheitsgebot/ (zuletzt abgerufen am 6.4.2021).
ehalt und Be- 58 Katzenmeier, MedR 2020, S. 461 (462); Klafki, NVwZ 2020, S. 1718.
vas-verlangen- 59 Rixen, NJW 2020, S. 1097.
2021). 60 Rixen, NJW 2020, S. 1097.
61 Kießling, Was verlangen Parlamentsvorbehalt und Bestimmtheitsgebot, Verfassungs-
biog. de, 4.11.2020, verfas sungsblog. de/was -verlangen-p arlamentsvorb ehalt-und-
bestimmtheitsgeb ot/ (zuletzt abgerufen am 6.4.2021).
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tere intensive Einschränkungen. Klafki meint hingegen, mit der Aufnahme der Re-
gelbeispielen in § 28a IfSG zur Konkretisierung der Generalklausel des § 28 IfSG
würde diese nun „verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen" genügen.62
Die Landesregierungen wurden bereits vor der Pandemie gem. § 32 S. 1 IfSG dazu
ermächtigt Rechtsverordnungen und Allgemeinverfügungen nach den §§ 28-31
IfSG zu erlassen oder gem. § 32 S. 2 IfSG die Verordnungsermächtigung an die
zuständigen Stellen zu übertragen.63 Pautsch und Haug' kritisieren, dass die Ge-
neralklausel des § 32 IfSG intensive Grundrechtseingriffe durch die Corona-Ver-
ordnungen der Länder für zahlreiche Lebensbereiche ermögliche. So sei das „ge-
setzgeberisch vorgezeichnete Programm" nicht hinreichend erkennbar und Maß-
nahmen nicht vorhersehbar genug. Auch sie kritisieren damit die Unbestimmtheit
der Ermächtigung. Bezogen auf § 28 IfSG meint Rixen65 dagegen, dass solche Ge-
neralklauseln im Infektionsschutzgesetz zulässig seien, um auf unterschiedliche
und nicht immer vorhersehbare Gefahrenlagen situationsadäquat reagieren zu kön-
nen. Er merkt jedoch auch an, dass sie desto präziser werden sollten, je länger die
Krise andauere.
Im Laufe der Corona-Krise haben sowohl die Bundesregierung als auch die Lan-
desregierungen von dem Recht, Rechtsverordnungen und Allgemeinverfügungen
zu erlassen, reichlich Gebrauch gemacht.66
62 Klafki, NVwZ 2020, S. 1718 (1719); vgl. auch Brocker, NVwZ 2020, S. 1485 (1487).
63 Kraus/Horn, in: Streinz/Kraus, Lebensmittelrechts-Handbuch, 2020, § 32 IfSG
Rn. 378c.
64 Pautsch/Haug, NJ 2020, S. 281 (282 f.).
65 Rixen, NJW 2020, S. 1097 (1099); siehe zur Generalklausel des § 28 S. 1 IfSG auch VG
München, M 26 S 20.1252 Rn. 26.
66 LexCorona, Rechtsakte der Bundesländer, o.D., lexcorona.de/doku.php?id=
rechtsakte_der_laender (zuletzt abgerufen am 5.4.21).
67 Remmert, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 80 Rn. 196.
68 Uhle, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Art. 80 Rn. 45.
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Die Stunde der Exekutive?
ahme der Re- Baden-Württemberg verabschiedet (s.u.) und stieß auch in vielen anderen Bundes-
les § 28 IfSG ländern auf Interesse.69
nügen.62
Kaffir° bezweifelt allerdings, dass verordnungsvertretende Landesgesetze gem.
. 1 IfSG dazu Art. 80 Abs. 4 GG der richtige Weg sind. Denn einerseits werde dadurch zwar die
len §§ 28-31 Diskussion über die richtigen Maßnahmen wieder zurück in die Parlamente verla-
tigung an die gert, andererseits stünde der Rechtsweg über die Oberverwaltungsgerichte gem.
dass die Ge- § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwG0 nicht mehr offen, auf dem man nur gegen Rechtsverord-
Corona-Ver- nungen und nicht gegen Landesgesetze vorgehen kann. Zudem sei das Infektions-
) sei das „ge- geschehen dynamisch und erfordere beständig neue Anpassungen, wofiir das eher
ar und Maß- langwierige Gesetzgebungsverfahren ungeeignet sei. Auch der Transparenz der
bestimmtheit Maßnahmen würde es nicht helfen, da neben Verordnungen nun auch Landesge-
ss solche Ge- setze im Blick zu behalten wären. Zuletzt würden Änderungen des IfSG auf Bun-
erschiedliche desebene zu Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Gültigkeit von verordnungsver-
;ieren zu kön- tretenden Landesgesetzen führen.
je länger die
Vielversprechender sei die Einführung von Zustimmungs-, Veto- und Aufhe-
bungsvorbehalten, die ebenfalls auf Grundlage des Art. 80 Abs. 4 GG zur effekti-
Rich die Lan- yen und effizienten Einflussnahme der Landesparlamente auf die Corona-Politik
tverfiigungen eingeführt werden könnten und auf Bundesebene anerkannt seien. Ein Gesetz, das
einen Kenntnisgabe- und Zustimmungsvorbehalt fir Corona-Verordnungen ent-
hält, wurde bereits in Baden-Württemberg verabschiedet.71 Doch auch in vielen
anderen Bundesländern wurde über Vorlagen fir eine höhere Parlamentsbeteili-
Art. 80 gung durch Vorbehaltsmechanismen diskutiert.
Wie zu sehen ist, stellt das Infektionsschutzgesetz eine breite Ermächtigungs-
messen Lan- grundlage in Bezug auf die Pandemiebekämpfung dar und gibt der Exekutive gro-
setz zum Er- ßen Spielraum im Erlass und der Umsetzung von Maßnahmen, welche fir notwen-
Landesparla- dig gehalten werden. Auf der anderen Seite ist das Infektionsschutzgesetz scharfer
;estärkt wer- Kritik bezüglich Wesentlichkeitstheorie bzw. Parlamentsvorbehalt und Be-
me konkrete stimmtheitsgrundsatz ausgesetzt, weshalb es unter anderem ständig angepasst
zu nehmen. wird, und die Landesparlamente haben über Art. 80 Abs. 4 GG großes Mitbestim-
.pielsweise in mungspotenzial, das allerdings in den letzten zwei Jahren weitgehend ungenutzt
geblieben ist.
1485 (1487).
), § 32 IfSG
IfSG auch VG
e/doku.php?id=
69 Klafki, NVwZ 2020, S. 1718.
70 Klafki, NVwZ 2020, S. 1718 (1719-1721).
71 Gesetzblatt für Baden-Württemberg 2020, Nr. 27, S. 649 f.
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Levin Schaible
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Die Stunde der Exekutive?
„pouvoirs propres" (dt.: eigene Befugnisse), wie z.B. die Auflösung der National-
versammlung oder Ernennung und Entlassung des Premierministers.' Darüber
hinaus erlangt er bestimmte Sondervollmachten im Falle eines Notstands.'
einige Unter- Auch der Bundespräsident ernennt und entlässt den Bundeskanzler und kann den
Bundestag unter hohen Hürden auflösen, allerdings verfügt er über keine politi-
sche Entscheidungsgewalt." Er wird nicht direkt vom Volk, sondern von dem ei-
gierungssys-
gens dazu geschaffenen Organ der Bundesversammlung gewählt."
Bundeskanz-
deht die fran- Die Aufgabe und Stellung der Regierung wird in Art. 20 CF zusammengefasst:
, in dem der „Die Regierung bestimmt und leitet die Politik der Nation. Sie verfügt über die
tenzen hat.72 Verwaltung und die Streitkräfte. Sie ist gegenüber dem Parlament [...] verantwort-
man von ei- lich." Sie ist nur dem Parlament gegenüber verantwortlich, aber vom Vertrauen
7e"74 spricht. des Staatspräsidenten und des Parlaments abhängig, wobei ihre Zusammensetzung
der föderale erheblich vom Staatspräsidenten mitbestimmt wird." Der Premierminister, wel-
, mit starken cher der Regierung vorsteht, fungiert als Bindeglied zwischen Parlamentsmehrheit
und Präsident.87
tellung ein.77 In Deutschland ist die Regierung nur vom Vertrauen des Parlaments abhängig und
genüber ver- der Bundeskanzler dient als politischer Führer der Parlamentsmehrheit.88
te Repräsen-
zn die politi-
' (dt.: geteilte II. „L'&at d'urgence sanitaire" — der Gesundheitsnotstand in
Regierungs- Frankreich
m-erseits sog. Am 16.3.2020 wandte sich Macron in einer Fernsehansprache an die französische
Öffentlichkeit und sagte: „Nous sommes en guerre, en guerre sanitaire" (wörtlich
auf dt.: „Wir sind im Krieg, im Gesundheitskrieg").89 Er deutete damit bereits die
Erklärung eines Gesundheitsnotstands („1'&at d'urgence sanitaire") an, dessen
s Verfassungs- Ausrufung in der Corona-Pandemie durch das Notstandsgesetz n°2020-290 vom
s Verfassungs-
23.3.2020 auch möglich wurde.
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Levin Schaible
36
Die Stunde der Exekutive?
eitsnotstands Hinsicht nur eingeschränkt souverän, da das erstmalige Vorliegen vom Ministeri-
Demnach alrat und damit einem exekutiven Organ erklärt werden kann.
ier „catastro-
Vergleicht man den § 5 IfSG mit Art. L3131-15 CSP, so fällt auf, dass in Frank-
biet oder nur
reich in erster Linie der Premierminister zum Erlass von gesetzesvertretenden Ver-
,SP vom Mi-
1
ordnungen ermächtigt wird, die auch Quarantäne-Anordnungen (Art. L3131-15
CSP Abs. I. Nr. 3° CSP) und Einschränkungen der „libertd entreprendre" (dt.: Un-
i Staatspräsi- ternehmensfreiheit; Art. L3131-15 CSP Abs. I. Nr. 10° CSP) umfassen können,
'und den Mi- während in Deutschland auf Bundesebene das Bundesministerium für Gesund-
Nertretenden heit — nicht der Bundeskanzler — eingeschränkt Kompetenzen erhält, um z.B. die
Art. 38 CF Versorgung mit Arzneimitteln (§ 5 Abs. 2 Nr. 4 IfSG) sicherzustellen. Quarantä-
neanordnungen (§ 30 IfSG) oder berufliche Tätigkeitsverbote (§ 31 IfSG) werden
von den zuständigen Behörden und der Landesregierung erlassen (§ 32 S. 1 IfSG).
t eine Dauer
Hieran wird die föderale Struktur Deutschlands im Gegensatz zum französischen
gert werden,
Einheitsstaat besonders deutlich. In beiden Ländern bestimmt aber in großen Tei-
ler Minister-
len die Exekutive, welche Maßnahmen zur Eindämmung des Covid-19-Virus er-
ees per Dek-
griffen werden.
amen Aufhe-
kt nicht den
chterhaltung
Le der Bürger E. Die Corona-Krise als „Stunde der Exekutive"?
e ergriffenen
Die Frage, ob nun von der Covid-19-Pandemie als einer „Stunde der Exekutive"
gesprochen werden kann, verdient fur Deutschland und Frankreich eine genauere
ür das ganze Untersuchung.
'id durch das
I. Deutschland
Erstens: Parlamente eignen sich aufgrund ihrer „deliberativen Anlage"92 und eher
langwierigen Gesetzgebungsverfahren nicht als maßgebende Staatsorgane in Kri-
le Lage von sen, die ein schnelles und entschlossenes Handeln erfordern.
de in Frank- Dem ist entgegenzuhalten, dass Gesetzgebungsprozesse erheblich beschleunigt
von der Na- werden können93 und Parlamente sich in der Vergangenheit auch dazu fähig er-
also ein un- Li wiesen haben.94
drastische
ermöglichte. Ob dies der Verfassungswirklichkeit entspricht, ist wieder eine andere Frage.
is Vorliegen Denn zwar haben Länder wie Baden-Württemberg ihre Einflussmöglichkeiten
[eh in dieser über Art. 80 Abs. 4 GG erweitert, andererseits ist es weiterhin die Exekutive, die
die Corona-Maßnahmen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes beschließt.
37
Levin Schaible
Zweitens: Das Grundgesetz kennt mit seinen Regelungen zum inneren und äuße-
ren Notstand die Notwendigkeit eines schlagkräftigen exekutiven Handelns in Kri-
senzeiten. Auch hier wird die Exekutive ermächtigt, auf schwierige Situationen
adäquat reagieren zu können. Das Infektionsschutzgesetz, auf dessen Basis der
Gesundheitsnotstand festgestellt werden kann, folgt der gleichen Logik und er-
mächtigt die Exekutive, auch durch generalklauselartige Formulierungen wie in
§ 28 und § 32 IfSG.
Das Grundgesetz steht unter keinem Krisenvorbehalt.95 Die Notstandsverfassung
des Grundgesetzes gibt der Exekutive nur eingeschränkt Sondervollmachten,
spielt aber in der Corona-Pandemie ohnehin keine Rolle. Wichtig ist vielmehr,
dass auch in Krisenzeiten Rechtsstaats- und Demokratieprinzip und damit der Par-
lamentsvorbehalt und Bestimmtheitsgrundsatz gelten.96 Das Infektionsschutzge-
setz, das auch generalklauselartige Ermächtigungen der Exekutivorgane von Bund
und Ländern enthält, wird nicht umsonst zum Teil heftig von der Staatsrechtslehre
in Bezug auf die Wesentlichkeitstheorie bzw. den Parlamentsvorbehalt und den
Bestimmtheitsgrundsatz kritisiert.
Drittens: Durch die Feststellung der „epidemischen Lage von nationaler Trag-
weite" gab der Bundestag im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes in nicht uner-
heblichen Maße Entscheidungsgewalt ab, um der Exekutive für den Zeitraum der
Pandemie Raum zur Bekämpfung des Coronavirus zu schaffen. Er schien damit
dem Diktum der Krise als der „Stunde der Exekutive" zu folgen. Dieser Zustand
wurde far einen langen Zeitraum in der Corona-Pandemie aufrechterhalten und
lief erst am 25.11.21 aus.
Gemessen an Schmitts berühmten Worten „Souverän ist, wer über den Ausnah-
mezustand entscheidet."97 und der Annahme, beim Gesundheitsnotstand handele
es sich um einen „echten" Ausnahmezustand, ist das deutsche Volk, vertreten
durch den Bundestag, der Souverän, da das Parlament den Gesundheitsnotstand
gem. § 5 Abs. 1 IfSG feststellt und wieder aufhebt und nicht die Exekutive.
II. Frankreich
Für Frankreich ergibt sich ein anderes Bild. Der Ministerrat kann dort den Premi-
erminister auf Grundlage des „Code de la sante publique" per Dekret zum Erlass
von gesetzesvertretenden Verordnungen ermächtigen, sobald eine Gesund-
heitskrise wie die Covid-19-Pandemie vorliegt. Er erhält damit weitreichende Be-
fugnisse zur Bekämpfung der Corona-Pandemie.
38
Die Stunde der Exekutive?
-en und äuße- Trotz allem ist Frankreich ein Rechtsstaat und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
ndelns in Kri- (vgl. Art. L3131-15 Abs. 3 CSP) muss selbstverständlich beachtet werden. Auch
,e Situationen hier sind also dem Handeln der Exekutive Grenzen gesetzt.
3en Basis der
Als weiterer Punkt lässt sich anführen, dass in Frankreich nicht nur das Parlament,
.,ogik und er-
sondern auch der Ministerrat per Dekret den Gesundheitsnotstand erklären kann,
ungen wie in
wenn eine Gesundheitskrise vorliegt. Die Entscheidungsgewalt über den „Ausnah-
mezustand" in diesem Sinne liegt also bei der Regierung.
Ldsverfassung Allerdings kann dieser Ausnahmezustand vorerst nur für einen Monat per Dekret
-vollmachten,
erklärt werden. Danach ist wieder das Parlament gefragt. Darüber hinaus hat das
ist vielmehr,
Parlament jederzeit die Möglichkeit der Regierung das Vertrauen zu entziehen.
lamit der Par-
ionsschutzge-
me von Bund III. Stellungnahme
itsrechtslehre
‚halt und den In Deutschland hat das Parlament eine herausgehobene Stellung. Die Frage, ob
hier die „Stunde der Exekutive" schlägt, lässt sich deshalb nur differenziert beant-
worten. Denn einerseits erhielt die Exekutive beachtliche Möglichkeiten, mit
ionaler Trag- Rechtsverordnungen und Allgemeinverfügungen zu regieren und weitreichende
in nicht uner- Maßnahmen zu erlassen. Andererseits entscheidet einzig und allein der Bundestag
Zeitraum der darüber, inwieweit und wann es die Exekutive auf Grundlage des IfSG ermächti-
schien damit gen möchte. Außerdem haben vor allem die Parlamente in den Bundesländern ihre
ieser Zustand Einflussmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft. Die Stunde der Exekutive schlägt
terhalten und also nur teilweise.
In einer Gesamtschau lässt sich für Frankreich sagen, dass auf dieses Land der
den Ausnah- Begriff „Stunde der Exekutive" viel eher zutrifft. In einem Staat mit einem semi-
nand handele präsidentiellen Regierungssystem ist die Macht allerdings schon im Normalzu-
)1k, vertreten stand bei der Exekutive stärker konzentriert als in einem parlamentarischen Re-
heitsnotstand gierungssystem. In der Krise gilt dies umso mehr.
kutive.
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Levin Schaible
net wird. Die epidemische Notlage galt bis November 2021 und ermächtigte be-
stimmte Exekutivorgane zum Erlass von Rechtsverordnungen und Allgemeinver-
fügungen zur Eindämmung des Covid-19-Virus. Durch eine erneute Änderung des
IfSG wurden auch danach den Landesregierungen bestimmte Befugnisse zur Pan-
demiebekämpfung erhalten. Auch in Frankreich wurde der Gesundheitsnotstand
ausgerufen, welcher den Premierminister zum Erlass von gesetzesvertretenden
Verordnungen ermächtigt. Dabei ist zu bedenken, dass Frankreichs Modell dem
eines semipräsidentiellen Regierungssystems entspricht, während das Grundge-
setz für Deutschland ein parlamentarisches Regierungssystem vorsieht. Die Frage,
ob in der Corona-Krise die „Stunde der Exekutive" schlägt, kann far Frankreich
bejaht werden, während sich in Deutschland ein differenzierteres Bild ergibt. Ein
Rückblick nach Ende der Krise wird zeigen, ob die in Deutschland erlassenen
Rechtsverordnungen auf der einfachgesetzlichen Grundlage des Infektionsschutz-
gesetzes tatsächlich dem Parlamentsvorbehalt und den Anforderungen des Be-
stimmtheitsgrundsatzes entsprachen oder ob hier normativer Nachbesserungsbe-
darf besteht.
Ausgewählte Literatur
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