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Zaznobin – Ein Gespräch über Musik

Ein Gespräch über Musik


Ein Gespräch mit Wladimir M. Zaznobin
vom 31. Mai 2014

Wladimir Zaznobin: Die Musik nimmt natürlich einen ganz besonderen Platz ein, weil sie
nicht in eine andere Sprache übersetzt werden muss. Musik und Malerei. Jeder, der … im Leben
generell gibt es Musik, irgendjemand hat sogar die Musik der himmlischen Sphären aufgenommen.
Das Problem besteht darin, um welche Musik es sich handelt. Heute gibt es die sogenannte
moderne Musik … aber man sollte immer den Ursprung suchen – woher diese kommt.

Bei allem, was Rock-Musik betrifft und besonders die englischen «Beatles», muss man immer
die Vorstellung von der zweiten (der informationsalgorithmischen) Priorität einschalten. Was heißt
das? Schauen wir uns doch rein chronologisch mal an, wann der Rock entstanden ist, wann die
«Beatles» entstanden sind. Sind sie von selbst entstanden? Oder hat das jemand stimuliert? Es fällt
mir leicht, darüber zu sprechen, denn ich erinnere mich gut daran, dass irgendwann in den späten
1960er Jahren (also 1956 oder 1957) an der Suworow-Militärschule … Wir wurden in Tänzen
unterrichtet. Und plötzlich tauchte diese Musik auf.

Aber das Problem ist, wie ich verstanden habe, Folgendes. Diese Musik ist sehr rhythmisch, es
gibt sie in allen Kulturen, sagen wir, in Afrika (auch bei uns gibt es solche Kulturen), wo es
Schamanen gibt. Womit beschäftigen sich Schamanen? Diese Rhythmen … Probieren Sie es mal
selbst … Ich höre manchmal auf meiner Datsche irgendwo in der Ferne, am anderen Flussufer (etwa
5 Kilometer entfernt), wie Musik auf einer Tanzfläche gespielt wird. Die Melodie ist nicht zu
hören, aber über die Vibrationen der Luft … Wenn man nach draußen geht, kann man es nicht
hören, aber wenn ich auf der Veranda sitze und arbeite – bumm-bumm-bumm. Ich will sagen,
niederfrequente Rhythmen haben eine sehr starke Wirkung auf die Psyche. Keine gute Wirkung.

Warum erzähle ich das? Ich habe mich mit diesem Problem beschäftigt. Ich habe mich mein
ganzes Leben lang mit Akustik, Schwingungstheorie und der akustischen Projektierung von
Atom-U-Booten beschäftigt.1 Und wir wissen, dass die niederfrequente Komponente auf
U-Booten (irgendwo zwischen 3-5 Hz) absolut den ganzen Ozean umrunden kann.

Warum ist diese Frequenz gefährlich? Jedes Ding, jede Struktur hat ihre eigene
Schwingungsfrequenz. Resonanzen sind ein universelles Phänomen. Nach unseren Vorstellungen
ist die Tatsache, dass die manifestierte Welt existiert, eine Folge von Resonanzphänomenen im
Vakuum (manifestiertes Vakuum – nicht manifestiertes Vakuum). Die natürliche Frequenz der
Blutlymphe liegt also, glaube ich, bei 7-7,2 Hz. Musik mit solchen Frequenzen ist unter dem
Gesichtspunkt der allgemeinen Zerstörung des Organismus sehr gefährlich. Es gibt Frequenzen, die
einen Menschen töten können. Und Frequenzen, die nahe (nicht gleichlaufend, aber nahe genug)
an diesem Frequenzwert liegen, sind auch sehr gefährlich, und der Organismus selbst spürt das, er

1
Anmerkung: Wladimir Michailowitsch Zaznobin galt in der UdSSR eine zeitlang als wichtigster Akustiker für
U-Boote.

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reagiert darauf.

Aber sie wirken gleichzeitig auch erregend. Im Allgemeinen ist die Musik eine Art Alkohol.
Natürlich kann das am Alter liegen, denn ich erinnere mich, dass ich, als diese Musik ihren Anfang
nahm, nie eine besondere Vorliebe dafür hatte. Allerdings erinnere ich mich daran, dass einige
unserer Suworow-Schüler nachts in den Raum für englische Sprache kletterten (d.h. wach
blieben), um diesen Rock im Radio zu hören. Ich dachte, die wären verrückt. Sie haben alle ein
schlechtes Ende genommen: einer wurde drogenabhängig, ein anderer starb bei einem
Bandenkampf. Das heißt, der Hang zu solcher Musik … Bisher sprechen wir nur über Musik, Rap
ist etwas anderes.

Oft schreiben mir Leute und sagen: «Das gibt's doch nicht! Das ist russischer Rock …» Russische
Musik ist generell allumfassend.

Es gibt das «Terem-Quartett». Vielleicht haben Sie davon schon gehört? Das Quartett war auch
schon in Moskau. Ich habe sie in den späten 1990er Jahren kennengelernt, als ihre Beliebtheit
gerade sank. Obwohl sie die ganze Welt bereist haben (sie waren in Kanada, in Japan, in
Deutschland), fanden sie hier keinen Zuspruch. Was haben sie gemacht? Sie haben eine klassische
Melodie genommen, daraus das Orchesterarrangement entfernt und die Hauptmelodie
herausgefiltert. Hauptsächlich Bach und Beethoven. Und es gibt einen Balalaika-Bass (diesen
tollen), einen Domra-Alt, eine Domra und ein Bajan. Sie haben sich immer wieder bei mir
beschwert: «Warum kommen wir beim Publikum nicht an?» Und ich habe ihnen Folgendes
gesagt: «Seid ihr oft in Deutschland?» — «Ja.» Überhaupt haben sie sich zusammengefunden, als
sie in jungen Jahren in einer Gruppe der sowjetischen Truppen in Deutschland dienten, und dort
ist das Ensemble entstanden. Aber als ich das Quartett kennenlernte, haben sie sich in einer Krise
befunden und mich darum gebeten, ihrem Spiel zuzuhören.

Obwohl ich Flottenoffizier bin, gab es eine Zeit, in der ich, nachdem ich das Militär verlassen
hatte, gleichzeitig an der Universität und Direktor des Musikalischen Fonds von Sankt-Petersburg
(damals noch Leningrad) war. Damals gewann ich einen Einblick, wer diese Komponisten sind.
Von 160 (ich hatte eine Liste von den Komponisten) … und in jeder Republik gab es damals
Komponistenvereinigungen. Ich hatte ein schönes Büro am Newski-Prospekt, eine Datsche in
Repino und etwas Verpflegung. Aber ich war nicht lange da, ich habe "nein" gesagt. Rafalson (also
Petrow) hat mich gut aufgenommen. Und dort, namentlich in der Musik, sind von den 166
Komponisten über hundert Juden, und die, die Juden sind, sind auch noch Päderasten. So ist das.

Als sich das «Terem-Quartett» also an mich wandte, habe ich ihnen zugehört. Sie haben mich
zu Konzerten und zu ihren Proben eingeladen. Ich habe ihnen Folgendes gesagt: «Ihr drei – der
Bass, eine Domra und das Akkordeon – seid ein Ganzes. Aber dieser Igor …»

– Ja, wir haben ständig Probleme mit ihm.

– Und warum wisst ihr nicht?

– Was denken Sie? Er ist übrigens schwul.

– Da habt ihr es. Daher rührt auch der Konflikt. Terrorisiert er euch?

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– Ja. Wir haben niemanden, der hier eine leitende Rolle spielt, niemanden, aber er will die ganze
Zeit ... weil er die Musik bearbeitet.

Ich habe ihnen dann gesagt:

– Werft all das raus und nehmt einen jungen virtuosen Burschen aus dem dritten Jahr dazu, Ihr
müsst Euch ein paar Monate einspielen.

Wenn ich je mit einem ernsthaften Komponisten gesprochen habe, dann ist das Swiridow. Mit
ihm bekannt gemacht hat mich damals (weil sie Klassenkameraden auf dem Gymnasium waren)
Alexander Nestorowitsch Kuschmirjow. Georgij Wassiljewitsch hat mich beeindruckt … Leider
hatte er keine Kinder. Aber als er mit seiner Tour nach Sankt-Petersburg kam und in der Kapelle
auftrat … Er ist generell ein sehr interessanter Mensch. In der Musik gibt es viele verschiedene
Richtungen und Schulen. Swiridow war, meiner Meinung nach, der letzte, der die Linie verfolgte,
die von Mussorgski und Tschaikowski ausging. Und es gab noch eine zweite Linie – Rubenstein,
Prokofjew und Schostakowitsch. Und Swiridow hatte Probleme mit Schostakowitsch, auch wenn
der durchschnittliche Hörer das überhaupt nicht versteht.

Man muss mit seiner eigenen Weltanschauung arbeiten. Musik wirkt direkt auf die
Weltanschauung. Wenn man bestrebt wäre, echte Musik zu erschaffen, die nicht nur irgendwelche
speziellen Gruppen, sondern alle Menschen berühren würde … Ist euch aufgefallen, dass seit
August 1991, als die Perestroika im Gange war, nicht ein musikalisches Werk geschrieben wurde,
nicht ein Lied, das vom ganzen Land gesungen worden wäre. Im Krieg, in schwierigen Zeiten … das
Leben war damals wirklich hart, aber was für Lieder dort entstanden sind! Heute noch werden
diese Lieder vom ganzen Land und sogar überall in der Welt gesungen.

Ich war erstaunt, als ich 2010 in Vietnam war ... Der Tag des Sieges ist bei ihnen am 30. April.
Ich war zu ihrer Feier eingeladen und sie haben alle unsere Kriegslieder gesungen. Ich habe sie
gefragt, was mit ihren vietnamesischen Liedern ist. Es gab dort einen Sänger, der unsere rein
militärischen Lieder auf Vietnamesisch gesungen hat. Ein vietnamesisches Mädchen hat sehr gut
gesungen und ich sagte zu ihr:

– Sing mir vietnamesische Lieder.

– Vietnamesische Musik ist für Sie, als würde man mit einem Messer auf Glas kratzen.

– Oh, ich verstehe.

Man muss also an seinem Weltbild arbeiten.2

Ich glaube, dass die sterbende biblische Konzeption die ganze Zeit ein Kaleidoskop erzeugt hat.
Und nun ist sie hier angelangt – beim Rock und all dem. Ich sehe das als eine Art Tobsuchtsanfall
an. Es gibt zwar Befürworter der Rockmusik, die sagen: «So ist das nicht.» Nun, vielleicht liegt es
am Alter ... obwohl ich mich gut an mich selbst mit siebzehn und achtzehn Jahren erinnere, ich

2
Anmerkung: Eine Kurzfassung, wie das geht, ist hier nachzulesen:
https://telegra.ph/Algorithmus-zur-Arbeit-an-der-Weltanschauung-07-26

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habe damals diese Musik gar nicht wahrgenommen. Aber das alles ist sehr individuell.

Und die Musik … Ich kann dazu nur eines sagen – wer klassische Musik gehört hat (und wir
hatten eine musikalische Ausbildung, ich bin an einen sehr besonderen Musiklehrer gekommen),
wird niemals zum Banditen oder Mörder werden. Niemals. Die Weltanschauung … Die Musik hat
grossen Einfluss auf die Weltanschauung, sie verändert das Weltbild.

Wenn ich mich zurückerinnere: Was gab es in meiner Nachkriegskindheit? Da war der schwarze
Teller des Plattenspielers, es gab sehr viel klassische Musik. Ich habe gelauscht – wann immer ich
krank oder allein zu Hause war. In der dritten Klasse wurde unsere ganze Klasse zu einem
Sinfoniekonzert mitgenommen, das war in der Stadt Gorki. Ich war dermaßen verblüfft. Worüber
war ich so verblüfft? «Wie funktioniert das? So unterschiedliche Instrumente und so phänomenal
beim zusammen spielen.»Ich wusste nicht, dass es das erste Klavierkonzert mit Orchester von
Tschaikowsky war. Und später, nach einer Weile, erschien ein seltsamer Mann in der Klasse. Wie er
auf die letzte Bank geklettert ist, weiß ich nicht, er saß einfach da und hörte sich die Antworten der
Schüler an. Nun, wir Jungs verdrehten die Köpfe nach ihm – wir waren eine reine Knabenklasse,
Jungen und Mädchen waren getrennt. Nach einer Weile rief mich die Lehrerin zu sich und sagte:

– Wolodja, möchtest Du Musik machen?

So feinfühlig waren die Lehrer damals, unaufdringlich.

– Ja, möchte ich.

– Hier ist eine Anmeldung für dich, geh zur Musikschule.

Ich komme dort an und gehe die Stufen hinauf (das Fundament des Gebäudes ist aus Stein, der
obere Teil ist aus Holz, die Umgebung ist ärmlich) und sehe diesen Mann dort sitzen. Was war so
besonders an ihm? Alle waren sehr ärmlich gekleidet, aber er trug immer einen schwarzen Anzug
(offenbar alt), ein weißes Hemd und eine Fliege. Das hat mich total begeistert. Und wir alle haben
in erster Linie über diese Fliege gestaunt: «Bourgeois, ein Bourgeois!» Er fing an, mit mir per «Sie»
zu reden, mit einem 10-jährigen Jungen.

– So, Sie haben sich also entschieden, sich der Musik zu widmen?

Ich schaue mich nach allen Seiten um und denke:


«Wer hat sich entschieden?»

– Jetzt werden wir prüfen, ob Sie ein Ohr dafür haben.

Ich [war] sicher:

– Ich habe ein Gehör, ich kann gut hören.

– Sprechen Sie mir nach. Schreien Sie nicht so laut. Sehr gut, ich glaube, wir haben ein Gehör.

Ich erinnere mich, dass mich seine Ausdrucksweise verwirrte. Wenn man ein Kind ist, nimmt
man alles wörtlich. Er hat gesagt «wir haben», und ich dachte mir: «Meint er sich selbst? Vielleicht
hat er kein Gehör? Dass ich eins habe, weiss ich ja.»

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– Welches Instrument würden Sie denn gerne spielen lernen?

Ich zeige auf das Klavier.

– Haben Sie zu Hause ein Instrument?

Nun, so wie ich aussehe, ist es klar, dass ich kein Instrument habe – mein Vater ist gestorben
und meine Mutter war mit mir und meinen zwei Schwestern alleine.

– Ahja, es gibt also kein Instrument zu Hause. Dann werden wir woanders eines finden.

Aber er war ein ausgezeichneter Mimikdeuter. Er stieg an der Wand hoch und nahm eine
Balalaika herunter. Meinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen ... Ich bin gekommen, um Musik
zu studieren, und nun gibt er mir eine Balalaika … Ich habe gesehen, wie sich nach dem Krieg ein
Invalide betrunken hat, sich mit einer Balalaika hingesetzt hat und alle um ihn herum standen ... Er
hat das alles verstanden, sich von mir abgewandt, sich ans Fenster gesetzt, fachmännisch das
Instrument zur Hand genommen – und hat angefangen zu spielen. Er schaute mich nicht an, aber
vielleicht hat er mich in der Spiegelung vom Fenster gesehen. Es war Herbst, die Blätter waren nass,
und ich schlief sofort ein. Und er spielte, wie ich später erfuhr, die Polonaise «Abschied vom
Vaterland» von Ogiński. Dann drehte er sich um:

– Ich dachte, du wärst schon weg und willst doch nicht lernen. Wollen wir die Balalaika lernen?

– Ja, machen wir.

– Dann müssen wir eine Balalaika kaufen.

Es gibt eine ganze Geschichte, wie wir die Balalaika gekauft haben. Ich lief herum – eine Tasche
mit Büchern, eine Balalaika und ... Und wie lief das Lernen? Ich kam als Einziger, es war niemand
im Klassenzimmer, ich spielte ihm einige Stücke vor – «Im Garten oder im Gemüsegarten» ... Und
er fing an, selbst auf dem Klavier zu spielen. Und so hat er mir etwa vier Stunden lang vorgespielt.
Er spielte Bach, Beethoven, Mussorgski, Schumann, Liszt, Mozart – er hat gespielt und mir zu
jedem gespielten Stück etwas erzählt. Und das alles auf eine Art und Weise, dass ich alles bildlich
vor Augen hatte. Das ist es, was ich mir unter Musikunterricht vorstelle. So ging es den ganzen
Herbst und Winter über. Im März bin ich in einen Spalt gestürzt (beim Sterne zählen) und wurde
krank. Als ich gesund war, rannte ich hin, aber er war weg. An seinen Nachnamen erinnere ich
mich nicht mehr ... aber sein Aussehen habe ich noch genau vor mir.

– Er ist fortgegangen. Hattest du bei ihm Unterricht?

– Ja.

– Willst du Musik studieren?

– Wenn er nicht da ist, will ich nicht.

Ich weiß nur eines – dass ich mich hundertprozentig verändert habe. Ich habe angefangen,
meine eigenen Entscheidungen zu treffen: wie ich meiner Mutter helfen kann, wie ich in die
Suworow-Schule komme – alles habe ich gemacht. Und ich war elf Jahre alt. Und wenn ich hier

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meinen elfjährigen Enkel anschaue, kann ich es nicht glauben, ich denke: «Nein, das war jemand
…» Ich glaube, diese Person ... Ich habe dann gemerkt ... Ich habe «Das Glasperlenspiel» von
Hermann Hesse gelesen, und ich habe gemerkt, dass er in besonderer Weise an meiner
musikalischen Erziehung beteiligt war, jedoch nicht so, wie überall sonst.

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