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Ludwig-Maximilians-Universität München

Institut für Deutsch als Fremdsprache


Hauptseminar: Poetische Sprachkulturen. Ingeborg Bachmann: Das Frühwerk (10402)
Dozent: Prof. Dr. Thomas Borgard
Wintersemester 2020/2021

Gustav Landauer zwischen Anarchismus und Sozialismus

Name: Iana Sazonova


Matrikelnummer: 12234074
Studiengang: Deutsch als Fremdsprache (Master)
Fachsemester: 1
Adresse: Friedrich-Loy-Str. 16, München
Tel.: +49 (0) 152 1705417
Email: Iana.Sazonova@campus.lmu.de
Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ...................................................................................................................... 3

2 Landauers Kritik an Marxismus ................................................................................ 4

3 Landauers Kritik an Kapitalismus ............................................................................. 6

4 Komponenten des Sozialismus .................................................................................... 9

5 Rolle des Geistes ......................................................................................................... 10

6 Rolle des Bundes ......................................................................................................... 12

Schluss ............................................................................................................................ 13

Literatur ......................................................................................................................... 14

2
1 Einleitung

Diese Arbeit ist dem „Ausruf zum Sozialismus“ einem der bedeutendsten Werken Gustav
Landauers gewidmet, dessen erste Ausgabe 1907 erschienen und zum zweiten Mal 1919,
das letzte Lebensjahr des Autors, ausgegeben wurde. Gustav Landauer war nicht nur
Schriftsteller, sondern auch Kritiker, Übersetzer, Herausgeber und Revolutionär. Seine
Schriften von vielen anderen Autoren und Täter der Geschichte beeinflusst, wie Fritz
Mauthner mit seiner „Sprachkritik“, Meister Eckhart mit seinen „Mystischen Schriften“,
Gedichte von Friedrich Hölderlin, Essays von Oskar Wilde zum Sozialismus, Werke von
Peter Kropotkin, dessen „Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschwelt“ Landauer
1904 übersetzte. Der letzte, Peter Alexeevich Kropotkin, neben Pierre Joseph Proudhon
und Mikhail Alexandrovich Bakunin waren eine der wichtigsten Vertreter des
Anarchismus im 19. Jahrhundert und diese Namen wird Landauer sehr oft in seinem
„Aufruf zum Sozialismus“ erwähnen. Es ist auch zu erwähnen, dass der Begriff
„Anarchismus“ erst seit der Französischen Februarrevolution 1848 aktuell geworden ist,
dessen Hauptidee Proudhon als «Abwesenheit jedes Herrschers, jedes Souveräns»
formulierte.1 Gustav Landauer ist dieser Gedanke den Leitfaden seines „Aufruf zum
Sozialismus“ geworden, warum es sich eine Lehre zwischen Anarchismus und
Sozialismus nennen lässt.

Allerdings ist der „Aufruf zum Sozialismus“ nicht der Analogie mit dem Anarchismus,
sondern der Kritik an Marxismus größtenteils gewidmet. Durch Leugnen der
marxistischen Dogmen erklärt Landauer die Notwendigkeit des Sozialismus und seine
sozialistischen Lösungen für Probleme in der kapitalistischen Gegenwart.

„Aufruf zum Sozialismus“ hat nicht nur eine politische, sondern auch eine dichterische
Bedeutung und kann „als Dokument der noch jungen expressionistischen Literatur
gelesen werden.“2

Im zweiten Kapitel wird auf die Kritikpunkte an Marxismus angegangen und gezeigt,
warum Marxismus einen falschen Sozialismus nach Landauers Meinung darstellt und
wohin er führen kann. Im dritten Kapitel wird es dargestellt, was Landauer in dem

1
HWP: Art. „Anarchie, Anarchismus“
2
Willems: Religiöser Gehalt des Anarchismus und anarchistischer Gehalt der Religion, S.151
3
Kapitalismus sah und welche wirtschaftliche Phänomene ihn zu einer „wirtschaftlichen
Sklaverei“ machen. Im vierten Kapitel wird Landauers Weg zum Sozialismus angedeutet
und darauf eingegangen, welche Komponente Sozialismus beinhaltet. Im fünften Kapitel
wird Rolle des Geistes für Sozialismus betrachtet, was Geist heißt, und wo er zu finden
ist. Im sechsten Kapitel wird Rolle des Bundes angesehen, was Landauer unter dem Bund
meinte. Im Schluss werden Ergebnisse dieser Arbeit vorgestellt.

2 Landauers Kritik an Marxismus

Landauer stellt zwei wichtigsten Kritikpunkte an Marxisten vor: sie seien geistlos und sie
glauben, dass Sozialismus aus dem Kapitalismus herauswachse. Im „Aufruf zum
Sozialismus“ nennt Landauer mehrfach Marxismus „die Pest unserer Zeit und der Fluch
der sozialistischen Bewegung!“3 J. Willens betonte dazu: „Landauer sieht auch im
Marxismus einen Ausdruck der Geistlosigkeit seiner Zeit.“4 Im Weiteren wird darauf in
diesem Kapitel noch eingegangen.

Was aber Landauer direkt an dem Marxismus kritisiert, ist seine wissenschaftliche
Benennung, Landauer schreibt, dass Marxismus keine Wissenschaft nennen darf in
folgenden aggressiven Zeilen:

Und wohl ist Wissenschaft Geist, Ordnung, Einheit und Bund: wo sie Wissenschaft ist. Wo
sie aber Schwindel und Affenbetrug ist, wo der angebliche Mann der Wissenschaft nur ein
verkleideter Journalist und ein nur schlecht sich verstellender Leitartikelschreiber ist, wo
statistisch formulierte Tatsachenhaufen und dialektisch maskierte Philistermeinungen [sic]
für eine Art höhere Mathematik der Geschichte und untrügliche Anweisung fürs künftige
Leben gelten wollen: da ist diese sogenannte Wissenschaft Ungeist, Hemmung des Geistes;
ein Hindernis das endlich gesprengt, mit Gründen und Lachen, mit Feuer und Wut vertilgt
werden muß [sic].5

Dieser Wut gegen Karl Marx und Marxismus ist sehr charakterlich für diese Schrift, was
eine expressionistische Richtung dieses Werkes beweist.

Außerdem Objekte des Marxismus sind für Landauer keinesfalls wissenschaftliche


Kategorien: „Geschichte und Nationalökonomie sind keine Wissenschaft;“ ihre

3
Landauer: Aufruf z.S., S.5
4
Willems: Religiöser Gehalt des Anarchismus und anarchistischer Gehalt der Religion, S.169
5
Landauer: Aufruf z.S., S.33
4
Beurteilung wird immer eine Schätzung sein, die man „Prophetie“ oder
„Professorengeschwätz“ nennen kann, so schreibt Landauer.6

Des Weiteren kritisiert Landauer die „materialistische Geschichtsauffassung“, die nach


seiner Meinung gar nicht materialistisch heißen darf. Dagegen machen Marxisten den
Versuch

das Ganze der Menschengeschichte bloß in der Form von psychischen Vorgängen, von
körperlich-dringlichen Prozessen, von einem unendlichen Wechselverkehr zwischen den
materiellen Vorgängen der übrigen Welt und den physiologischen Prozessen der
Menschenleiber darzustellen.7

Für Landauer ist Materialismus eine andere Seite des Idealismus, und „der wirkliche
Materialist kann nur aus der Schule Spinoza kommen.“8

Auch den Versuch, die Zukunft zu prophezeien, findet Landauer sinnlos: „Wozu denn
noch leben, wäre denn das eine Möglichkeit zu leben, wenn wir wüssten, aber auch
wirklich wüßten [sic], alles wüßten [sic], was kommt?“9 Er ruft Marxisten aus: „wenn ihr
eine Wissenschaft habt […] sagt uns endlich die genauen Daten der weiteren Geschichte,
der Zukunft!“10

Warum Landauer Marxismus als Fluch der sozialistischen Bewegung proklamiert, ist ein
falsches Verständnis vom Sozialismus, das nicht auf dem Gemeingeist beruht, sondern
auf dem „Kapital“:

Denn verhöhnt und verjagt müssen sie werden, die Kaltsinnigen aus Nifelheim11, die den
Sozialismus usurpiert haben, die das „kapital“ bewachen wie eine Zwerge den
Nibelungenhort: der Sozialismus muß [sic] zu seinen rechten Erben kommen, damit er
werde, was er ist: eine Freude, und ein Jauchzen, ein Bauen und ein schaffen, ein schön zu
Ende geträumter Traum, der nun im Tun und für alle Sinne und alles urvolle [sic] Leben
eine Erfüllung werden soll.

Man kann die Bedeutung des Kapitalismus für Marxismus nicht überschätzen, und
Landauer nennt den Sozialismus, zu dem Marxisten kommen wollen, den
„Kapitalsozialismus". Landauer benennt den Marxismus wie eine Person und schreibt

6
vgl. Landauer: Aufruf z.S., S.29-30
7
Landauer: Aufruf z.S., S.35
8
Landauer: Aufruf z.S., S.36
9
Landauer: Aufruf z.S., S.30
10
Landauer: Aufruf z.S., S.32
11
„(altnordisch Niflheimr „dunkle Welt“) ist in der nordischen Mythologie ein eisiges Gebiet im Norden,
im Gegensatz zum heißen Muspellsheim, das im Süden steht.“; Simek: Lexikon der germanischen
Mythologie, S.301
5
über ihn „der Philister“, der nichts Wichtigeres kennt als die Technik und ihre
Fortschritte.12 Deswegen haben Marxisten eine „philiströse“ Erwartung vom jedem
weiteren Jahr einen größeren Fortschritt.13

Der wahre Sozialismus ist für Landauer eine Verbindung von Anarchismus und
Föderation, Marxismus ist für ihn Zentralstaat. Kapitalismus und Staat sind das Ideal der
Marxisten, denn sie mögen Organisationsformen des Kapitalismus, aber ihnen fehlt die
Ordnung, das Regiment, die straffe Zentralisation.14 Diese „staatliche Ordnung“ brauchen
Marxisten, denn ihnen „Geist“ fehle, die die Gesellschaft zusammenhalten könnte. „Die
Obrigkeit“ müsse immer mehr Aufgaben an die Gesellschaft ziehen und dadurch wird
den „Geist“ und „Gemeinschaft“ nur weiter zerstören.15 Denn:

wo der Geist nicht ist, da ist die Gewalt: der Staat und die ihm zugehörigen Formen der
Obrigkeit und des Centralismus [sic] […].16

Außerdem die Stagnation des Marxismus im Sinne der Verzögerung der Revolution ist
für Landauer ihre implizite Verweigerung.17 Er glaubt, dass Proletarier sich im
Kapitalismus wie im Kreis drehen werden, bis Kapitalismus sich zu einer Form
entwickelt, wo er erträglich wird.18 Und so ist Marxismus

ein negierender, zersetzender und lähmender Appell an die Ohnmacht, die Willenlosigkeit,
die Ergebung und das Geschehenlassen [sic].19

3 Landauers Kritik an Kapitalismus

Es wurde im letzten Kapitel festgestellt, dass Kapitalismus die Grundlage des


kommenden Sozialismus sein soll, so meinten Marxisten. Dass Kapitalismus sich nie zum
Sozialismus entwickeln wird, behauptet Landauer aus mehreren Gründen. Der wichtigste

12
Landauer: Aufruf z.S., S.47
13
Landauer: Aufruf z.S., S.42-43
14
vgl. Landauer: Aufruf z.S., S.55-56
15
Willems: Religiöser Gehalt., S.163
16
Landauer, Revolution, S. 52
17
vgl. Landauer: Aufruf z.S., S.72-73
18
vgl. Landauer: Aufruf z.S., S.95-110
19
Landauer: Aufruf z.S., S.109
6
davon ist, dass Kapitalisten gegen Arbeiter immer gewinnen werden. Bevor es näher
analysiert wird, wird es darauf eingegangen, warum Kapitalismus unerträglich sei.

In seinem Essay „Einkehr“ schreibt Landauer, dass

„die kapitalistische Gesellschaft […], wenn sie […] immer greller auftretende Zeichen von
Schwäche, Verderbnis und Untergang aufweist, diese Erscheinungen überall, in allen ihren
Formen und Gliedern an sich trägt.“20

Landauer behauptet, dass das Potenzial der Menschen, ihre „Kraft und Energie“ werden
in seiner Zeit zugunsten Kapitalismus benutzt, anstatt zum Sozialismus zu führen.21
Obwohl im Kapitalismus auch „Gemeinschaften“ gebildet werden und viele
„Lebenskräfte“ zirkulieren, wird dies zum Zwecke der Ausbeutung der Menschen führen
und nicht zu einem geistvollen Leben. „Konkurrenzkampf“ führt zur „Vertrustung und
Syndikalisierung [sic]“ von kleinen Betrieben, damit sie mit den Großunternehmern
konkurrieren können. „Die Kleinen“ bilden Vereine und Genossenschaften, „um sich
behaupten zu können“. Landauer schreibt dazu, dass Kapitalismus benutzte

die echt sozialistische Form der Genossenschaft, der Gegenseitigkeit für seine Zwecke der
Ausbeutung der Konsumenten und des Marktmonopols.22

Landauer verweist darauf, dass Arbeiter, um ihre Lebenshaltung zu verbessern, sich


egoistisch, „als Kapitalisten“ agieren sollten und einen höheren Lohn erfordern.
Egoismus muss mit dem Egoismus kämpfen23. In diesem Kampf werden aber sicherlich
Kapitalisten gewinnen, weil Arbeiter „durch ihren Produzentenkampf eine Verteuerung
der Herstellung aller Artikel hervorrufen“24, was zu einer unverhältnismäßigen Erhöhung
der Preise vor allem in Artikeln des notwendigen Massenbedarfs folgt, und zwar

Bei steigenden Löhnen steigen die Preise unverhältnismäßig hoch; bei sinkenden Löhnen
dagegen sinken die Preise unverhältnismäßig langsam und wenig.
Es ergibt sich: auf die Dauer und im Ganzen muß [sic] der Kampf der Arbeiter in ihrer
Rolle als Produzenten die Arbeiter in ihrer Wirklichkeit als Konsumenten schädigen.25

20
Landauer: Einkehr.
21
vgl. Landauer: Aufruf z.S., S.59
22
Landauer: Aufruf z.S., S.69-70
23
vgl. Landauer: Aufruf z.S., S.75
24
Landauer: Aufruf z.S., S.76
25
ebd.
7
So werden Arbeit in diesem Kampf der Preis- und Lohnerhöhung „Räuber an sich
selbst“.26
Des Weiteren wird analysiert, welchen Lohn sollten Arbeiter bekommen. Für Landauer
seien Stück-, Akkord- und Stundenlohn unzureichend, „da dort besteht nicht Tausch
gegen Tausch; es besteht die Notdurft, die nach Unterhalt begehrt.“27 Landauers Lösung
wäre ein Tageslohn, denn so kann der Arbeiter in der Zukunft nicht um die
Lohnerhöhung, sondern um die Verkürzung des Arbeitstages kämpfen. Darum müssen
Arbeiter kämpfen, denn es eine „Ausnutzung der Menschenkräfte durch Vergleich mit
Maschinen“ gibt.28 Technik ist der Herr der Menschen geworden und alle Arbeiter
merken können, dass „Maschine, Werkzeuge und Tiere mit mehr Schonung behandelt
werden als die arbeitenden Menschen.“29 Weiter schreibt Landauer, dass sogar „wirkliche
Sklaven“ besser behandelt wurden, als Arbeiter, dessen Tod im Gegensatz zu Sklaven
den Herren absolut gleichgültig sei. Da Kapitalisten immer eine neue Arbeitskraft
einstellen können, müssen sie nicht um einen Arbeiter kümmern, den sie auch „umsonst“
bekommen.30
Außerdem führt das immer zunehmende Produzieren von Luxusprodukten dazu, dass sie
immer billiger werden, und die soliden Produkte fürs wirkliche Bedürfnis werden immer
teurer.31 Das ist noch ein Merkmal, warum Kapitalismus gemein sei und immer gegen
Menschen funktionieren wird. So fehlt im Kapitalismus die Verbindung aller Menschen,
der Gemeingeist, denn es herrscht die Vereinzelung und Individualismus und Individuen
in sich tragen „keinerlei ethischen Zwang, keinerlei Verbindung für die Wirtshaft und
Gesellschaft.“32
Landauer formuliert also „drei Angelpunkte der der wirtschaftlichen Sklaverei“, was das
Eigentum, das Geld und der Mehrwert sind.33 Durch diese drei Gegner der Arbeiter
formuliert Landauer im Weiteren den Weg zum Sozialismus. Das Bedürfnis zum
Sozialismus zu gehen, erklärt Landauer durch folgende Worten:

Anstatt, daß [sic] zwischen uns Leben war, haben wir den Tod zwischen uns gesetzt; alles
ist zum Ding und zum Sachgötzen geworden […].34

26
ebd.
27
Landauer: Aufruf z.S., S.83
28
Landauer: Aufruf z.S., S.90
29
ebd.
30
vgl. Landauer: Aufruf z.S., S.91
31
vgl. Landauer: Aufruf z.S., S.95
32
Landauer: Aufruf z.S., S.99
33
vgl. Landauer: Aufruf z.S., S.120-128
34
Landauer: Aufruf z.S., S.137
8
4 Komponenten des Sozialismus

Landauer hat im „Aufruf“ die Proudhons Idee mehrmals vertreten, dass Sozialismus zu
allen Zeiten möglich ist, „wenn eine genügende Zahl Menschen ihn will“.35 Landauer
betonte mehrmals im „Aufruf“, dass es „hier keine Schilderung eines Ideals, keine
Beschreibung einer Utopie gegeben“36 wird. Sozialismus sei eine neue Wirklichkeit, die
bestimmt anders, aber auch besser als ein Traum sein werde. Allerdings der erste Schritt
zu dieser neuen Wirklichkeit ein Ideal ist, das eine Not hervorruft und durch Taten von
Menschen geschafft wird. So schreibt Landauer:

Aber der Sozialismus kann kommen und soll kommen – wenn wir ihn wollen, wenn wir
ihn schaffen – das soll auch gezeigt werden.37

Wie schon oben erwähnt wurde, das Modell einer sozialistischen Gesellschaft von
Proudhon war das wahrliche Vorbild für Landauer und Proudhons Tauschbank war das
Prototyp für die Tauschwirtschaft des Sozialismus, die die Geldwirtschaft des
Kapitalismus ersetzen sollte. So sollte die Überproduktion an Waren, die nicht nötig sind,
durch Aufträge und Kundschaft erlöst werden. Die Tauschwirtschaft sollte nach mit
Kredit, Vertrauen, Gegenseitigkeit funktionieren und das folgende Schema haben:
Auftrag – Kredit oder Geld – Konsum – Arbeit – Produkt.38

Folgende drei Komponenten des Sozialismus formuliert Landauer in einem Satz, der er
vielfach in seinem Werk wiederholt: „Hunger, Hände und Erde sind da, alle drei von
Natur aus da.“39 Später erklärt Landauer, dass unter Hunger wird „jeglicher echten
Bedarf“ gemeint, „um den zu genügen „suchen wir in unsern Behältnissen nach Geld“.40
Die „Hände“ bezeichnen Arbeit, besonders Arbeit auf dem Boden. Dazu behauptet
Landauer, dass man den Bauern noch mehr Boden geben muss,41 und dass Menschen aus
Großstädten eine Not, auf das Land umzuziehen, erfühlen müssen: „Der Landhunger muß
[sic] über euch kommen, Großstadtmenschen!“42

35
Landauer: Aufruf z.S., S.61
36
ebd.
37
Landauer: Aufruf z.S., S.62
38
Landauer: Aufruf z.S., S.105
39
Landauer: Aufruf z.S., S.132
40
Landauer: Aufruf z.S., S.133
41
vgl. Landauer: Aufruf z.S., S.149
42
Landauer: Aufruf z.S., S.151
9
So kommt Landauer zur Idee, dass Bodeneigentums muss aufgehoben werden, weil
Eigentum „Diebstahl“ und „Sklavenhaltung“ sei.43 Unter „Erde“ meint Landauer die
echte Erde und andere Ressourcen der Natur, „die Rohprodukte“, die „herrenlos“ sein
müssen, denn nur dann „sind die Menschen frei“.44

Daneben ist Freiheit signifikant für den zukünftigen Sozialismus Landauers, denn jeder
muss für sich selbst arbeiten muss.45

Im letzten Kapitel des „Aufrufs“ kommt Landauer zu dem folgenden Schluss: „Land und
Geist also – das ist die Losung des Sozialismus.“46 Allerdings gibt Landauer kein
abgeschlossenes Bild oder Rezept des Sozialismus, denn der echte Sozialismus nur durch
das Tun kommen kann, und „der Sozialismus ist wie jedes leben ein Versuch.“47

5 Rolle des Geistes

Von den ersten Seiten bis zum Schluss wird Geist im „Aufruf zum Sozialismus“
angesprochen, was ziemlich typisch nicht nur für dieses Werk Landauers charakteristisch
ist, sondern auch für „Skepsis und Mystik“48 (1903) und „Die Revolution“ (1907). In der
„Revolution“ sieht Landauer „vom Geiste“ erfüllte Gesellschaft im christlichen
Mittelalter, was er auch im „Aufruf“ wiederholt.49 Diese Landauers „Mittelalter-
Würdigung“50, die Idee einer idealisierten mittelalterlichen Gesellschaft kam zu
Landauer durch wurde stark von Peter Kropotkins Buch „Gegenseitige Hilfe“ geprägt.51
Hinz akzentuiert die Rolle des „Gemeingeistes“ für Landauer im Mittelalter, denn in jener
Zeit, von 500 bis 1500, war keine Revolution nötig, und es war bereits eine „Blüte- und
Vorbildzeit“.52

43
vgl. Landauer: Aufruf z.S., S. 134
44
vgl. ebd.
45
vgl. Landauer: Aufruf z.S., S. 132
46
Landauer: Aufruf z.S., S.147
47
Landauer: Aufruf z.S., S.148
48
Landauer: Skepsis und Mystik.
49
vgl. Willems: Religiöser Gehalt, S. 166
50
Hinz: Mystik und Anarchie, S.185-187
51
vgl. Willems: Religiöser Gehalt., S.191
52
vgl. Hinz: Mystik und Anarchie, S.185
10
Aber im „Aufruf“ geht es mehr um eine „geistlose“ Gegenwart, „Ungeist“, und deren
kapitalistische Stützen. Was genau für Landauer „Geist“ ist, gibt es keine Definition im
„Aufruf“, sondern es gibt die Formulierung der Aufgabe des Geistes:

Sind wir wieder einmal bei dir angelangt, herrliches erlösendes Allgemeines und Eines, das
du dem wahren Denken so nötig bist wie dem wahren Leben, das Mitleben [sic] schafft
und Gemeinschafft und Einung und Innung, das im Kopf der Denkenden die Idee ist und
im Leben alles Lebenden durch alle Reiche der Natur hin der Bund der Bünde ist? Das du
mit Namen heißest: Geist!53

Warum es keine Definition des Geistes selbst gibt, lässt sich durch Erwähnung von
Sinnbildern und Unsagbarkeiten erklären, was an die Mauthners Sprachkritik und
„Skepsis und Mystik“ verweist. So schreibt Landauer:

wir wissen nichts den Vielfältigkeiten [sic] und Unsagbarkeiten des vergangenen und
kommenden Lebens der Menschen und Völker, ist einer, der stolz und hohen Mutes genug,
mehr als viele das Geschick der Jahrhunderttausende in sich zu wissen, in sich zu fühlen,
in sich zu leben.54

Die Idee „alles ist in uns“ ist sehr charakteristisch für das Landauers Verständnis des
Geistes. Menschen müssen zuerst in sich zurückkehren, um später ihren Willen zum Tun,
zur Veränderung, zum Schaffen der neuen Wirklichkeit zu finden. Landauer betont:
Wir stehen wie Urmenschen vor Unbeschriebenem und Unbeschreiblichem; wir haben
nichts vor uns und alles ist in uns: in uns die Wirklichkeit oder Wirksamkeit nicht der
kommenden, sondern der gewesenen und darum in uns wesenden und wesenhaften
Menschheit; in uns das Werk; in uns die untrügliche Pflicht, die uns auf unsern Weg
schickt; in uns das Bild dessen, was Erfüllung werden soll; in uns die Not, auszuscheiden
aus Jammer und Niedertracht; in uns Gerechtigkeit, die zweifellos und unbeirrt ist; in uns
Anstand, der die Gegenseitigkeit will; in uns Vernunft, die das Interesse aller erkennt.55

Diese „Abgeschiedenheit“ wurde von Landauer noch im „Skepsis und Mystik“


formuliert und im „Aufruf“ wiederholt er: „Aus allen Schichten werden jetzt die Männer
und Frauen aufgerufen, damit sie vom Volke fortgehen, um zum Volke zu kommen.“56
Für Landauer bedeutet der Geist auch „das dichterische Schauen“, den nur Menschen
„anderer Art“ als Marxisten haben können:

was alles noch Geist ist: […] wir haben unser Wissen zusammen mit unserm großen
Grundfühlen und unserm starken Weithinwollen: wir sind […] Dichter; und die
Wissenschaftsschwindler, die Marxisten […] wollen wir wegräumen, damit das

53
Landauer: Aufruf z.S., S.33
54
Landauer: Aufruf z.S., S.31
55
Landauer: Aufruf z.S., S.119
56
Landauer: Aufruf z.S., S.147
11
dichterische Schauen, das künstlerisch konzentrierte Gestalten, der Enthusiasmus und die
Prophetie die Stätte finden, wo sie fortan zu tun, zu schaffen, zu bauen haben, im Leben,
mit Menschenleibern, für das Mitleben [sic], Arbeiten und Zusammensein der Gruppen,
der Gemeinden, der Völker.57

„Der Geist der Gerechtigkeit“ führt zur „Gegenseitigkeit“ und sie


ändert den Lauf der Dinge; die Gegenseitigkeit stellt die Ordnung der Natur wieder her;
die Gegenseitigkeit schafft das Königtum des Goldes ab; die Gegenseitigkeit ist das erste:
der Geist zwischen den Menschen, der alle, die arbeiten wollen, an die Befriedigung der
Bedürfnisse und an die Arbeit heranläßt [sic].58

Ein weiteres Merkmal des Geistes ist nach Landauer „Opfermut“, der Wille in Menschen
schaffen muss, „Hindernisse zu überwinden.59

6 Rolle des Bundes

Der Begriff „der Bund“ steht sehr zu dem „Geist“, denn der Geist eben die Not schaffen
muss, Gefährten zu suchen und Bünde zu bilden. Landauer meinte, dass nur in dem Bund
kann Sozialismus erbaut werden, und dass Bund ein Gegensatz zu dem Individualismus
sei, der in der kapitalistischen Gegenwart herrscht. Und so schreibt Landauer:

Der Geist, der uns trägt, ist eine Quintessenz des Lebens und schafft Wirklichkeit und
Wirksamkeit. Dieser Geist heißt mit anderm [sic] Namen: Bund; und was wir dichten,
schön machen wollen, ist Praktik, ist Sozialismus, ist Bund der arbeitenden Menschen.60

Diese arbeitenden Menschen sollen nach Landauer in die „Gemeinde“ zurücktreten und
dort zusammen alles herstellen, was sie brauchen.61 Die Wille drückt Landauer so aus:

So wollen wir uns denn aneinander schließen [sic] und wollen darauf ausgehen,
sozialistische Gehöfte, sozialistische Dörfer, sozialistische Gemeinden zu gründen.62

57
Landauer: Aufruf z.S., S.34
58
Landauer: Aufruf z.S., S.105
59
vgl. Landauer: Aufruf z.S., S.152
60
Landauer: Aufruf z.S., S.35
61
vgl. Landauer: Aufruf z.S., S.145
62
Landauer: Aufruf z.S., S.147
12
Landauer weist darauf hinzu, dass Menschen alles wieder lernen müssen: die Freude der
Arbeit, der Gemeinsamkeit, der gegenseitigen Schonung.63

Wenn „Erstlinge“ es schaffen, solche Siedlungen zu gründen, dann würden sie bei
anderen Menschen „Neid“ erregen und damit wird die Verbreitung des Sozialismus
gefördert:

Sie [Siedlungen] sollen hinausleuchten ins Land, damit über die volkslosen
Menschenhaufen der Neid komme, der Neid nicht auf Genußgüter [sic] oder Machtmittel,
sondern der Neid auf die neue uralte Seligkeit der Zufriedenheit mit sich selbst, der
Beglücktheit [sic] im Schoß der Gemeinde.64

Für sozialistische Gesellschaft ist auch Rolle der Familie sehr wichtig, was Landauer
durch seine Kritik an Promiskuität und „Lusthäuser“65 andeutet:

Unser Menschengedeihen, unsre Existenz hängt jetzt davon ab, daß [sic] die Einheit des
Einzelnen und die Einheit der Familie, die uns allein noch an natürlichen Verbänden
geblieben sind, sich wider steigert zur Einheit der Gemeinde, der Grundform jeder
Gesellschaft.66

Schluss

In dieser Arbeit wurde es gezeigt, dass Landauer an dem Marxismus eine Fälschung des
Begriffs „Sozialismus“ kritisierte, weil Marxisten, obwohl sie die Niedertracht des
Kapitalismus verstanden, trotzdem zu einem „Kapitalsozialismus“ führen würden, der an
sich alle Züge des Kapitalismus bewahren würde.

Kapitalismus selbst sei für Landauer eine geistlose Gesellschaftsordnung, die nur zur
Ausbeutung der Menschen führt. Dabei werden die Reichen, die Kapitalisten, immer
mehr Gewinn haben.

Sozialismus, an dem Landauer strebte, sei eine Gesellschaft der „geisterfüllten“


Menschen, die in den freien Siedlungen leben und frei für sich arbeiten würden. Das Ideal

63
vgl. Landauer: Aufruf z.S., S.147-148
64
Landauer: Aufruf z.S., S.148
65
vgl. Landauer: Aufruf z.S., S.18
66
Landauer: Aufruf z.S., S.148
13
eines Lebens in Freude und Liebe sollte dabei eine Not zum Tun und Schaffen eine neue
Wirklichkeit hervorrufen.

Der Geist ist ein der wichtigsten Begriffe für Landauer allgemein und kann von Menschen
durch ihre Abgeschiedenheit gefunden werden, die in sich gehen würden, um später sich
zu vereinigen und Bünde zu gründen.

Bund ist eine Einheit der zukünftigen sozialistischen Gesellschaft, dessen Lebensform
Siedlungen seien, wo Menschen mit „Gemeingeist“ und „Gegenseitigkeit“ leben und für
sich selbst arbeiten würden.

Literatur
Primärquellen

Landauer, Gustav (1919): Aufruf zum Sozialismus (2. Aufl.). Berlin: Paul Cassirer.

Landauer, Gustav (1909): Einkehr. In: Wolf/Siegbert (Hrg.), Auch die Vergangenheit
ist Zukunft. Frankfurt a.M.: Luchterhand Literaturverlag, S. 90-98.

Landauer, Gustav (1903): Skepsis und Mystik. Berlin: Egon Fleischel & Co.

Landauer, Gustav (1907): Die Revolution. Frankfurt a.M.: Literarische Anstalt: Rütten
& Loenig.

Sekundärquellen

Anarchie, Anarchismus (Art.). In: Historisches Wörterbuch der Philosophie im Internet.


https://www-schwabeonline-ch.emedien.ub.uni-muenchen.de/schwabe-
xaveropp/elibrary/start.xav#__elibrary__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27verw
.anarchie.anarchismus%27%5D__1621322211156. [Stand: 17.05.2021]

Hinz, Thorsten (2000): Mystik und Anarchie. Meister Eckhart und seine Bedeutung im
Denken Gustav Landauers. Berlin: Kramer

Willems, Joachim (2001): Religiöser Gehalt des Anarchismus und anarchistischer


Gehalt der Religion. Albeck bei Ulm: Ulmer Manuskripte.

Simek, Rudolf (2006): Lexikon der germanischen Mythologie (3. völlig überarb. Aufl.).
Stuttgart: Kröner, S. 301.

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Eidesstattliche Versicherung
Hiermit erkläre ich an Eides statt, dass ich das vorliegende schriftliche Portfolio

Gustav Landauer zwischen Anarchismus und Sozialismus

ausschließlich im Rahmen des Seminars „Poetische Sprachkulturen. Ingeborg Bachmann:


Das Frühwerk“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München im Wintersemester
2020/2021 selbstständig verfasst und keine anderen als die von mir im
Literaturverzeichnis angegebenen Werke/Hilfsmittel benutzt habe. Die Stellen der
Arbeit, die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach entnommen sind, wurden
in allen Fällen unter Angabe der Quellen (einschließlich des World Wide Web und
anderer elektronischer Text- und Datensammlungen) kenntlich gemacht. Dies gilt auch
für beigegebene Zeichnungen, bildliche Darstellungen und Skizzen).

Für die Erstellung der Arbeit habe ich die Beratung/Hilfe folgender Stellen in Anspruch
genommen (bitte ankreuzen und namentlich nennen):

□ Statistische Beratung (z.B. Stablab)

□ Professionelles Lektorat (z.B. Baumann, Meister)

□ Schreibberatung (z.B. des Instituts)

□ Sonstiges:

München, 17.05.2021

Iana Sazonova

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