Sie sind auf Seite 1von 8

h i r n fo rs c h u n g n e u ro p h i lo s o p h i e

Einmal Moral forte, bitte!


Eine Pille zur Stärkung von Mitgefühl und Hilfsbereitschaft? Klingt abwegig.
Doch schon heute können Forscher mit Hilfe verschiedener Botenstoffe
im Gehirn unser Urteil in ethischen Fragen manipulieren. Neurophilosophen
diskutieren das Für und Wider eines Moraldopings für Jedermann.

Von Vo lka rt Wi lder muth


FÜ H L

ANZ
M I TG E

EIT
TO L E R

TREU E

KEIT
DLICH K

ZÜGIG
FREUN

GROSS
CHAFT
EREITS

ESS
dreamstime / sergey Lavrentev [m]

AU E N
FA I R N

H KEIT
H I LFSB

V E RT R

I TÄT
EH RLIC

L OYA L

Moral auf rezept


Bequemlichkeit und unbewusste Vorurteile
machen es uns manchmal schwer, unseren
eigenen ethischen Maßstäben gerecht zu wer-
den. Könnten Tabletten für mehr Mitgefühl
dabei behilflich sein?

72 GuG 10_2013
S
tellen Sie sich vor, Sie stehen auf einer immer besser, welche Stoffe sich auf unser Mo- Au f e i n e n B li c k

Brücke. Unter Ihnen rast eine führer- ralempfinden auswirken – und wie es sich so in Das gute
lose Straßenbahn auf fünf nichtsah- die eine oder andere Richtung beeinflussen lässt. Hirndoping?
nende Gleisarbeiter zu. Neben Ihnen Am besten erforscht ist dieser Zusammen-
Mittels Botenstoffen
steht ein sehr dicker Mann, schwer ge-
nug, um die Bahn zu stoppen. Würden Sie ihn hi-
hang wohl bei dem Hormon Oxytozin. Dessen
Wirkung zeigt sich besonders deutlich bei Men-
1 wie Oxytozin oder
Serotonin können
nunterstoßen, um die Arbeiter zu retten? Anders schen mit angeborenem Williams-Syndrom, die Neurowissenschaftler in
Experimenten das
gefragt: Würden Sie einen Menschen opfern, da- unter anderem einen deutlich erhöhten Oxyto- Mitgefühl von Proban-
mit fünf andere überleben? zinspiegel aufweisen. »Sie sind sehr an anderen den stärken.
Dies ist ein klassisches Dilemma, für das es Menschen interessiert und besonders empa- Diese Mittel könnten
keine ethisch einwandfreie Lösung gibt. Um zu thisch«, erklärt Andreas Meyer-Lindenberg, Di- 2 helfen, das tatsächli-
che Handeln in Einklang
ergründen, wie wir moralische Entscheidungen rektor am Zentralinstitut für Seelische Gesund-
mit den eigenen mora-
treffen, hat es Forschern auf der ganzen Welt heit in Mannheim. Das Williams-Syndrom ist lischen Vorstellungen zu
gute Dienste geleistet. Als die Psychobiologin sehr selten, aber auch bei Gesunden beeinflusst bringen, zum Beispiel
Molly Crockett von der University of Cambridge Oxytozin messbar das Sozialverhalten. indem sie unbewusste
Vorurteile mildern.
das Gedankenexperiment mit Probanden in ih- Im Labor lässt sich das zum Beispiel mit Hilfe
Philosophen warnen
rem Labor durchspielte, stellte sie fest, dass etwa
vier von zehn den dicken Mann im Zweifelsfall
des so genannten Ultimatum-Spiels zeigen. Da-
bei sitzt die Versuchsperson einem Fremden ge-
3 jedoch vor den Ne-
benwirkungen einer
von der Brücke stoßen würden, die übrigen ent- genüber, der von einem Forscher zehn Euro- Moralpille: So ließen sich
schieden sich dagegen. münzen bekommt. Er darf behalten, soviel er damit wohl ebenfalls
ethische Hemmschwel-
In einem zweiten Versuchsdurchgang sah das will, den Rest bietet er dem Probanden an – bei- len abbauen.
Ergebnis allerdings ganz anders aus: Die Teilneh- spielsweise drei Euro. Dieser kann nun das Geld
mer schreckten eher davor zurück, dem unbetei- annehmen und seinem Gegenüber den größe-
ligten Mann zu schaden – der Anteil derer, die ren Gewinn überlassen – oder aber ablehnen. In
ihn auf die Gleise schubsen würden, sank deut- diesem Fall gehen jedoch beide leer aus.
lich. Was war passiert? Crockett hatte die mora-
lische Grundeinstellung ihrer Probanden che-
Eine Extradosis Vertrauen
misch manipuliert – mit Hilfe des Neurotrans- Die meisten Menschen lehnen ein Angebot von
mitters Serotonin. nur drei Euro ab, bestrafen also unfaires Verhal-
Der Botenstoff fördert verschiedenen Studien ten, selbst wenn sie dafür auf Geld verzichten
zufolge das soziale Miteinander, bei Tieren wie müssen. »Menschen, denen man etwa über ein
beim Menschen. Mit Hilfe eines Antidepressi- Nasenspray eine Extradosis Oxytozin verab-
vums erhöhte die Forscherin über drei Wochen reicht, zeigen weniger dieser negativen Emoti-
hinweg den Serotoninspiegel im Gehirn ihrer onen«, so Meyer-Lindenberg. »Sie reagieren in
Versuchsteilnehmer. Das genügte, damit sie den vielen Studien vertrauensvoller.«
dicken Mann schonen und die Gleisarbeiter ih- Auch Molly Crockett hat das Ultimatum-Spiel
rem Schicksal überlassen würden. »Die Leute genutzt, allerdings um den Einfluss von Seroto-
fanden es moralisch weniger akzeptabel, selbst nin auf die menschliche Kooperationsbereit-
jemanden zu verletzen, um anderen zu helfen«, schaft zu untersuchen. Mit ganz ähnlichem Er-
fasste Crockett das Ergebnis zusammen. »Seroto- gebnis: Die Versuchspersonen sind eher bereit,
nin beeinflusst also moralisches Urteilen und anderen zu verzeihen. Interessant ist, dass so-
Verhalten.« wohl Serotonin als auch Oxytozin moralisches
Die Betonung liegt hier auf »beeinflusst«. Der Verhalten auf der emotionalen Ebene beeinflus-
Neurotransmitter dreht den moralischen Kom- sen. Eine medikamentöse Stärkung des Denkver-
pass nicht zwangsläufig Richtung Mitgefühl, mögens hat dagegen keinen Effekt im Ultima-
aber er erhöht messbar den Anteil der Personen, tum-Spiel. Im Alltag wird unsere Moral offenbar
die davor zurückschrecken, den dicken Mann zu mehr durch Gefühle gesteuert.
opfern. Mit ihrer Forschung steht Crockett kei- Die Forschungen von Crockett und Meyer-Lin-
neswegs allein. Neurowissenschaftler verstehen denberg verfolgen nicht nur ihre Fachkollegen

www.gehirn-und-geist.de 73
h i r n Fo rs C h u n G n eu ro p h i lo s o p h i e

gespannt, sondern auch Philosophen wie Julian


Savulescu. Der Direktor des Oxford Uehiro Cen- G
UN
tre for Practical Ethics befürchtet, die Mensch- IG
SS
heit könnte sich durch Klimawandel oder Mas- MÄ
H KEIT
senvernichtungswaffen irgendwann einmal HÖFLIC
selbst auslöschen. »Erziehung, Justiz und unsere
angeborene Moralität reichen nicht aus, um mit
der Globalisierung fertig zu werden«, glaubt Sa- RE
DL

dreamstime / sergey Lavrentev [m]


vulescu. »Wir müssen all unser Wissen, auch das IC
HK
der Neurowissenschaften, nutzen, um den Leu- EI
T
ten zu helfen, moralischer zu handeln.« »Moral
Enhancement« – eine Stärkung des Moralsinns –
nennt Savulescu solche Verfahren. Wird man
dereinst mit pharmazeutischen Mitteln das Mit-
gefühl oder die Hilfsbereitschaft der Menschen der praktischen Vernunft« allerdings genau die
fördern können? gegenteilige Position: Handle so, dass du Per-
Noch ist das nur eine Zukunftsvision, trotz- sonen »jederzeit als Zweck, niemals bloß als Mit-
dem diskutieren Philosophen bereits heute hef- tel brauchst«. Einen Menschen zu opfern – aus
tig das Für und Wider der Ergebnisse von Crockett welchen Gründen auch immer – erscheint damit
und Meyer-Lindenberg. Ist größeres Mitgefühl unvereinbar.
immer positiv, oder wäre es im Ultimatum-Spiel Utilitarismus, Pflichtethik und religiös be-
nicht eigentlich moralischer, den anderen Mit- gründete Positionen prägen bis heute die ethi-
spieler zu bestrafen, um die soziale Norm der sche Debatte und eine Einigung ist nicht in Sicht.
Fairness durchzusetzen? Über viele konkrete Aspekte der Moral ist man
sich in der Philosophie allerdings durchaus ei-
Serotonin – Was ist Moral überhaupt? nig, meint Savulescus Kollege Guy Kahane. Ras-
der soziale »Die größte Herausforderung«, meint die Psy- sismus wird beispielsweise nicht nur von Philo-
Botenstoff chobiologin Crockett, »ist erst einmal Einigkeit sophen, sondern ebenfalls von breiten Teilen
darüber zu erzielen, was Moral überhaupt ist.« der Gesellschaft abgelehnt. Trotzdem sind Vor-
Der Neurotransmitter
Serotonin erleichtert Diese Frage wurde in der Geistesgeschichte im- urteile nach wie vor weit verbreitet.
zahlreichen Tierstudien mer wieder neu beantwortet. So riet etwa der »Selbst Menschen, die sich liberal und tole-
zufolge das Zusammen- griechische Philosoph Aristoteles im 4. Jahrhun- rant geben«, fasst Kahane den Kenntnisstand der
leben in der Gruppe.
Beim Menschen stärkt dert v. Chr. im Rahmen seiner Tugend-Ethik, Psychologie zusammen, »werden unbewusst
ein hoher Serotonin- stets das Mittlere zwischen extremen Charakter- von Hautfarbe, Geschlecht oder Religionszuge-
spiegel im Gehirn das eigenschaften zu suchen – also etwa Großzügig- hörigkeit anderer Personen beeinflusst.« Diesen
Wohlbefinden. Deshalb
keit zwischen Verschwendung und Geiz. Im Mit- Effekt abzumildern wäre eine Form des Moral-
wird der Botenstoff oft
als »Glückshormon« telalter setzten christliche Ethiker auf die Werte dopings, auf die sich vermutlich alle einigen
bezeichnet. Umgekehrt Glaube, Liebe und Hoffnung. Für konkrete Situa- könnten. Und genau hier bietet die Medizin
kann ein Mangel an Sero- tion lassen sich daraus allerdings häufig ganz un- möglicherweise einen Ansatzpunkt: den Beta-
tonin zu Aggressionen,
terschiedliche Folgerungen ziehen. blocker Propranolol.
Ängsten und Depressi-
onen führen. Aus diesem Eine quasi mathematische Richtschnur entwi- Seine Möglichkeiten haben die Philosophen
Grund wirken viele Anti- ckelte schließlich um 1776 der englische Philo- vom Oxford Uehiro Centre for Practical Ethics
depressiva über den Neu- soph Jeremy Bentham. Der Begründer des so gemeinsam mit Hirnforschern der University of
rotransmitter. Selektive
Serotonin-Wiederauf- genannten Utilitarismus argumentierte: »Das Oxford in einer Studie ausgelotet. Dabei zeigte
nahmehemmer etwa ver- größte Glück der größten Zahl ist das Maß für sich: Das Herzmedikament hatte zwar keinen
mindern den Abtrans- richtig und falsch.« Danach ist es moralisch ge- Einfluss auf die bewussten moralischen Einstel-
port des Botenstoffes aus
boten, einen Menschen von der Brücke zu sto- lungen ihrer Probanden, es konnte unbewusste
dem synaptischen Spalt
und erhöhen so seine ßen, um fünf andere zu retten. Nur zwölf Jahre Vorurteile jedoch deutlich abmildern. Sollten in
Konzentration. später vertrat Immanuel Kant in seiner »Kritik Zukunft also Personalchefs vor Einstellungs-

74 GuG 10_2013
gesprächen Propranolol nehmen, um die Bewer- Allerdings geht diese Vision weit über das hi- Oxytozin –
ber unvoreingenommen beurteilen zu können? naus, was ein praktisch umsetzbares Moraldo- das Bindungs-
Diese Vision löst keineswegs nur Begeisterung ping je leisten könnte. Guy Kahane ist davon
hormon
aus. »Die klassischen Methoden zur Stärkung der überzeugt, dass es viele Situationen gibt, in de-
Das Neuropeptid Oxyto-
Moral – also Erziehung und das Rechtssystem – nen man aus guten Gründen zu einer Moralpille zin wird im Hypothala-
wirken von außen, sie verändern nicht die eige- greifen könnte. So sind etwa die meisten Men- mus produziert und
nen Gedanken«, argumentiert Owen Schaefer, ei- schen verstört, wenn sie von ihren unbewussten fungiert als Neurotrans-
mitter und als Hormon.
ner der lautesten Kritiker des Moral Enhance- Vorurteilen erfahren. Wenn sich dagegen etwas
Es wird beim Stillen
ment am Uehiro Centre. »Diese biologischen tun ließe, »dann würde sie das nicht unfrei ma- ausgeschüttet, beim
Methoden greifen dagegen direkt in die Hirnche- chen, sondern ihnen helfen, so zu handeln, wie Kuscheln, beim Sex und
mie ein. Das ist fast eine Gehirnwäsche.« sie es ohnehin wollen«, meint der Philosoph. vermittelt Gefühle von
Nähe und Vertrauen. Ein
Im Grunde ist die Situation bei den unbewuss-
Unbewusste Vorurteile bekämpfen niedriger Oxytozinspie-
ten Vorurteilen ähnlich wie beim Abnehmen: Ein gel wurde etwa bei
Viele Philosophen teilen die Sorge, dass ein wirk- Aspekt des eigenen Willens, der langfristige Menschen festgestellt,
sames Moraldoping die Grundfesten der Per- Wunsch nach einer schlanken Figur, liegt im Wi- die unter Depressionen,
Schizophrenie oder einer
sönlichkeit untergraben könnte. Plastisch aus- derstreit mit einem anderen Aspekt, etwa dem Autismus-Spektrumstö-
gemalt hat das schon 1971 Stanley Kubrick in sei- spontanen Appetit auf Schokoladentörtchen. Ein rung leiden. In Studien
nem Film »A Clockwork Orange«. Darin wird der Appetitzügler verschiebt die Balance zwischen wird derzeit erprobt, ob
das Hormon Autisten
psychopathische Jugendliche Alex im Gefängnis diesen beiden Impulsen. Wer auf diesem Weg be-
helfen könnte, ihre
mit einer Aversionstherapie behandelt: Er muss wusst versucht, sein ideales Selbstbild zu errei- Mitmenschen besser zu
brutale Filmszenen anschauen, während ein Me- chen, ist nicht fremdbestimmt, sondern sehr au- verstehen.
dikament bei ihm eine überwältigende Übelkeit thentisch, argumentiert Anders Sandberg, eben- Experimenten zufolge
stärkt Oxytozin aber
auslöst. Die Therapie beseitigt seine aggressiven falls Philosoph am Uehiro Centre. »Meistens liegt
nicht nur die Bindung zu
Neigungen, aber Alex ist danach ein gebro- das Problem mit der Moral nicht darin, zu wissen, anderen Menschen,
chener Mann und seinem Umfeld hilflos ausge- was wir tun sollten, sondern darin, dass wir zu be- sondern auch die Nei-
liefert. quem sind, es tatsächlich zu tun.« gung zur Schadenfreude.
Zudem stellen sich die
positiven Effekte vor
allem bei Mitgliedern der
eigenen Gruppe ein.
Außenseiter, die sich
etwa durch eine andere
Hautfarbe oder fremde
Herkunft auszeichnen,
werden von Probanden
unter dem Einfluss eines
Oxytozinsprays dagegen
negativer beurteilt.
marco Finkenstein

www.gehirn-und-geist.de 75
h i r n Fo rs C h u n G n eu ro p h i lo s o p h i e

Propranolol – Dieser Widerspruch zwischen moralischer sich genommen wahrscheinlich gar nicht viel.
Betablocker Einstellung und tatsächlichem Verhalten zeigt Aber er könnte den Effekt eines romantischen
sich zum Beispiel in der Ehe. Treue ist hier ein all- Abendessens oder eines langen Spaziergangs zu
mit emotio-
gemein akzeptierter Standard, der in der Praxis zweit verstärken und damit auch die Bindung
nalem Mehr-
häufig ignoriert wird, wie unter anderem stei- zwischen den Partnern.
wert
gende Scheidungszahlen belegen. Dabei wollen Erst der richtige Kontext würde also dafür sor-
Häufig als Herzmedika-
am Anfang einer Ehe beide Partner, dass sie mög- gen, dass ein Medikament für die Moral die ge-
ment verschrieben,
blockiert Propranolol die lichst lange hält. Eine biochemische Stärkung der wünschte Wirkung entfaltet. Würde man Sand-
β-Adrenozeptoren im gegenseitigen Anziehung wäre also im Interesse bergs fiktive Mixtur vor dem Seitensprung ein-
Herzen und senkt so von Mann und Frau, so Anders Sandberg. nehmen, dürfte es die Ehe nicht gerade stabilisie-
Blutdruck und Puls. Ver-
Gemeinsam mit seinen Kollegen sinnierte er ren – sondern vielmehr die Affäre! Die Wirkung
schiedenen Studien
zufolge wirkt der Beta- in einer Forschungsarbeit gleich über einen einer Moralpille könnte folglich leicht nach hin-
blocker aber nicht nur ganzen Treuecocktail. Die Zutaten: Oxytozin zur ten losgehen.
beruhigend auf das Herz, Festigung der Bindung, Testosteron für die sexu- In den Augen der Philosophen sind solche un-
sondern auch auf den
Geist. Denn unser Gehirn elle Erregung, das Hormon CRH, um die Angst erwünschten Wirkungen zwar ein Problem, aber
bewertet die Stärke einer vor einer Trennung zu steigern, und vielleicht kein unüberwindliches Hindernis. Jeder Arzt
Emotion unter anderem noch eine Prise Ecstasy, um beide Partner offener oder Apotheker schätzt täglich Nutzen und Ri-
nach deren körperlichen
zu machen. Dieser moderne Liebestrank garan- siken von Medikamenten ab, und in den meisten
Begleiterscheinungen.
Wenn der Puls gleichmä- tiert sicher keine ewige Treue und bewirkt für Fällen profitieren die Patienten am Ende davon.
ßig bleibt, lässt beispiels-
weise die Angstreaktion
nach.
Die Moral im gehirn

e in eigenes ethikzentrum im
Gehirn konnten Forscher
bisher nicht entdecken. Viel-
im rahmen der so genannten
»Bottom-up«-modulation
werden im hypothalamus
kortex und der ventromediale
präfrontale kortex über amyg-
dala und hirnstamm die aus-
mehr spielen verschiedene neuropeptide wie oxytozin schüttung von Botenstoffen
areale bei unseren moralischen oder Vasopressin produziert, die wie serotonin – und dämpfen
entscheidungen eine rolle. über die amygdala und den so die Bereitschaft, anderen
studien deuten darauf hin, dass hirnstamm prosoziales Verhal- menschen zu schaden.
das Gehirn unser sozialverhal- ten fördern. im rahmen der (Tost, H., Meyer-Lindenberg, A.: I Fear for
ten auf mindestens zwei unter- »top-down«-kontrolle bewir- You: A Role for Serotonin in Moral Beha-
vior. In: Proceedings of the National Aca-
schiedlichen Wegen reguliert: ken der anteriore zinguläre demy of Sciences 40, S. 17071 – 17072, 2010)

anteriorer zingulärer
Kortex

präfrontaler
Kortex
gehirn und geist / meganim [m]

ventromedialer
präfrontaler Kortex Amygdala Hirnstamm
Hypothalamus

76 GuG 10_2013
Allerdings zeigen die Experimente von Molly
l e s er M ei n u n g
Crockett, dass gerade die Menschen, die sich oh-
TREU E nehin schon besonders gut in andere einfühlen Würden sie zur
Moralpille greifen?
können, am stärksten auf die Veränderung des
Serotoninspiegels reagieren. Umgekehrt sind Diskutieren Sie mit
auf www.gehirn-und-
dreamstime / sergey Lavrentev [m]

diejenigen, die ein Moraldoping am nötigsten geist.de/moraldoping


L NZ
GE FÜ H brauchen könnten, vielleicht am wenigsten da- oder schreiben Sie
RA
MIT LE für empfänglich. uns an: leserbriefe@
TO gehirn-und-geist.de
Philosophen wie Guy Kahane warnen vor der
Missbrauchsgefahr eines möglichen Moraldo-
pings. Theoretisch ließen sich die Erkenntnisse
der Hirnforschung nämlich auch dazu nutzen,
Ein künftiges Moraldoping könnte zum Beispiel ethische Hemmschwellen abzubauen und Men-
im Rahmen einer Psychotherapie Einsatz finden. schen rücksichtsloser zu machen. Das könnten
Dabei ermitteln Therapeut und Patient zuerst wiederum Regierungen oder Militärorganisati-
gemeinsam die moralischen Ziele des Betref- onen ausnutzen. Gerade deshalb findet Kahane
fenden, bevor dieser dann versucht, sie mit Hilfe es wichtig, dass Gesellschaften sich schon heute
der richtigen Hormone und Neurotransmitter mit einer Pille für die Moral auseinandersetzen.
umzusetzen. »Moral ist unglaublich komplex«, betont Mol-
Allerdings bergen die Nebenwirkungen eines ly Crockett. »Verglichen damit sind unsere biolo-
Moralcocktails noch weitere Probleme. »Betrü- gischen Ansätze eher stumpfe Werkzeuge.« Aber
ger würden wohl sagen: Großartig! Alle anderen die Hirnforscher lernen jeden Tag dazu, finden
nehmen die Pillen, und ich bin der König«, be- neue Wege, die Netzwerke der Moral im Gehirn
fürchtet Anders Sandberg. Guy Kahane stimmt zu beeinflussen. Nicht nur über Medikamente,
zu: »Das ist eines der Probleme mit der Moral: sondern beispielsweise über die Achtsamkeits-
Alle wollen Pillen, die die Belastbarkeit steigern mediation oder mit Hilfe von Smartphone-Apps,
oder das Gedächtnis stärken. Aber eine Pille, die die bei passender Gelegenheit an gute Vorsätze
nett macht? Dafür gäbe es wohl kaum einen erinnern.
Schwarzmarkt.« Auch wenn es heute womöglich noch seltsam
klingt, es gibt viele Gründe, weiter an einer Stei-
»Chemische Kastration« gerung von Empathie zu forschen, an einer Stär- Quellen
für Sexualstraftäter kung der ehelichen Treue oder am Abbau von Crockett, M. J. et al.: seroto-
nin selectively influences
Gewisse Formen des Moraldopings kommen Vorurteilen. Denn offenbar geht der gesellschaft- moral Judgment and Beha-
schon heute zum Einsatz und sind weit gehend liche Trend eher in Richtung Unmoral: Laut einer vior through effects on
akzeptiert. So nehmen beispielsweise einige Langzeitstudie sinken etwa die Empathiewerte harm aversion. in: Procee-
dings of the national acade-
Männer mit pädophilen Neigungen freiwillig amerikanischer Studenten seit den 1970er Jah-
my scieces 40, s. 17433 –
Antiandrogene, um nicht zur Gefahr für Kinder ren kontinuierlich. »Egal ob wir nun Moralpillen 17438, 2010
zu werden. Die Medikamente blockieren etwa die nehmen oder nicht, unser Charakter verändert Persson, I., Savulescu, J.:
Wirkung des männlichen Sexualhormons Testos- sich«, so Guy Kahane. »Selbst wenn wir nicht zu getting moral enhancement
right: the desirability of
teron und dämpfen dadurch den Sexualtrieb. Superempathikern werden wollen, sollten wir
moral Bioenhancement. in:
In mehreren US-Bundesstaaten ist eine solche zumindest dafür sorgen, so mitfühlend zu blei- Bioethics 10.1111/ j. 1467-
»chemische Kastration« eine Möglichkeit für Se- ben, wie wir waren!« Ÿ 8519.2011.01907.x, 2011
xualstraftäter, um frühzeitig aus dem Gefäng- Terbeck, S. et al.: Propranolol
reduces implicit negative
nis entlassen zu werden. Die Behandlung kann Volkart Wildermuth ist Wissenschafts- racial Bias. in: Psychophar-
dort in Einzelfällen sogar gegen den Willen des journalist in Berlin. Im täglichen makology 10.1007/s00213-
Straftäters angeordnet werden. Ein künftiges Durcheinander von Beruf und Familie 012-2657-5, 2012
wäre er gelegentlich dankbar für
Moraldoping könnte auf ähnliche Weise in ge-
etwas moralische Hilfestellung. Weitere Quellen im internet:
sellschaftliche Rahmenbedingungen eingebettet www.gehirn-und-geist.de/
werden. moraldoping

www.gehirn-und-geist.de 77
SONDERHEFTE ZUR PSYCHOLOGIE

So einfach erreichen Sie uns:


Telefon: 06221 9126-743
Oder QR-Kode
www.gehirn-und-geist.de/themen per Smartphone
scannen und
Fax: 06221 9126-751 | E-Mail: service@spektrum.com Angebot sichern!
Warum ältere Menschen zufriedener Merktechniken: Wissen zuverlässig Glück: Ein Unterrichtsfach fürs Wohl-
sind • Wie das Gehirn den Charakter speichern • Starke Synapsen gegen befinden • Hochbegabung: Talente
formt • Online-Profile: Was sie über ADHS • Gedächtnis: Lerne lieber unbe- entdecken und fördern • Mathematik:
uns verraten • Was Sie über Intelli- wusst • Tagträumen: Hochbetrieb im Richtig rechnen lernen von Anfang an •
genz wissen sollten • € 8,90 Oberstübchen • € 8,90 TV-Konsum: Fernsehen will gelernt sein
€ 8,90; 2. Auflage

Die 7 größten Neuromythen • Der Schichtdienst: Aus dem Takt • Gähnen: Glaub keiner Statistik, die du nicht ver-
Traum vom Gedankenlesen • Was Weshalb es ansteckend ist • REM- standen hast • Die zwei Gesichter des
vom freien Willen übrig blieb • Was es Schlaf: Warum wir träumen • Gute Selbst • Live-Schaltung ins Gehirn •
heißt zu fühlen • Schlau auf Rezept? Nacht!: Anleitung zur erholsamen Fragwürdige psychologische Studien •
€ 8,90 Bettruhe • € 8,90 € 8,90

Ausgewählte Sonderhefte von Gehirn und Geist sind


auch als PDF im Download erhältlich.

Das könnte Ihnen auch gefallen