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48 Im Blickpunkt

Wie groß ist der Brain Drain innerhalb von


Deutschland?
Oliver Busch*

Im Zuge der politischen Diskussionen um die Einführung Die Absolventenmobilität zählt


von Studiengebühren rückt zunehmend auch die Mobi-
lität von Akademikern in das Interesse der Öffentlichkeit. Daher erstaunt an der aktuellen öffentlichen Debatte,
Durch die dezentrale Einführung von Gebührenpflichten dass der Aspekt der Absolventenmobilität völlig ausge-
entstehen Anreize zu Wanderungsbewegungen zwischen blendet wird. Diese Nachlässigkeit kann darin begründet
Bundesländern mit und ohne Gebühren. Ein Zeugnis der liegen, dass handfeste empirische Erkenntnisse über
gestiegenen Sensibilität gegenüber diesem Thema bietet das Mobilitätsverhalten von Graduierten bisher Mangel-
der Hessische Landtag, der sein Studienbeitragsgesetz ware sind. Zwar existiert eine Fülle an hochschuleigenen
explizit mit der Befürchtung vor einem Massenzuzug Erhebungen, die den weiteren Werdegang ihrer Absol-
auswärtiger Studierender begründet [vgl. HESSISCHER venten verfolgen. Aber diese vereinzelten Blitzlichter mit
LANDTAG (2006), Drucksache 16/5747]. In der Tat lehren ihren zumeist äußerst dürftigen Rücklaufquoten vermö-
Erfahrungen aus Ländern mit Studiengebühren, wie zum gen kein getreues Bild für ganz Deutschland zu zeich-
Beispiel den Vereinigten Staaten, dass Unterschiede in nen.
deren Höhe einen wichtigen Faktor für die Studienort- Verlässlichere Zahlen liefert die „Absolventenstudie“
wahl darstellen [vgl. MAK und MONCUR (2003)]. Die Bun- des Hochschul-Informations-Systems (HIS), das ausge-
desländer Sachsen und Rheinland-Pfalz, die beide heute wählte Prüfungsjahrgänge kurz nach Abschluss über
schon weit mehr Studierende ausbilden als Abiturienten ihren Studienverlauf und ihre berufliche Karriere befragt
aus ihrem eigenen Land stammen,1 beschreiten dage- und dabei auch den Wohnort erfasst. Auf der Grundlage
gen einen anderen Weg als Hessen, um diesem Zuzug dieser Daten untersucht MOHR (2002) das Mobilitätsver-
Herr zu werden. Aus politischen Erwägungen wollen sie halten von Absolventen, deren Arbeitsort 50 km oder
auf nahe Sicht keine Gebühren einführen und propagie- mehr von ihrem ehemaligen Studienort entfernt liegt. Je-
ren stattdessen einen „Vorteilsausgleich“, nach dem das doch bleiben bei dieser Betrachtungsweise die Grenzen
Heimatland der auswärtigen Studierenden das Studien- der Bundesländer unberücksichtigt, die allerdings hin-
land finanziell zu entschädigen hat [vgl. u. a. ZÖLLNER sichtlich der Finanzierungsfragen entscheidend sind.
(2005)]. Zum anderen konzentriert sich die Untersuchung ledig-
Allerdings ist ein solcher Finanzierungsvorschlag mit lich auf die Mobilität im ersten Jahr nach Abschluss.
Vorsicht zu genießen. Eines der ökonomischen Grund- Um mehr über den längerfristigen Verbleib der Ab-
prinzipien lautet, dass derjenige zu zahlen hat, der auch solventen zu erfahren, verwendet BUSCH (2007) bei sei-
in den Genuss einer Leistung kommt. Die Befürworter ner Studie die Daten des Sozioökonomischen Panels
der Ausgleichszahlungen gehen daher implizit davon (SOEP), das eine jährlich wiederholte Befragung ein und
aus, dass alle mobilen Studierenden mit Sicherheit in ihre derselben Personengruppe darstellt. Dadurch lassen
Heimatländer zurückkehren, sodass diese auch den Vor- sich nicht nur Momentaufnahmen erzielen, sondern
teil haben. Kehren dagegen die zugezogenen Studieren- langfristige Entwicklungen abbilden. Konkret wird die
den nach Abschluss gar nicht in ihre Heimatländer Aufenthaltsdauer in Jahren gemessen, die ein Absolvent
zurück, sondern verbleiben im Studienland oder ziehen in seinem Studienland verbleibt, bis er zum ersten Mal
in ein drittes Land, dann wird aus dem so genannten seinen Wohnsitz in ein anderes Bundesland verlegt oder
Vorteilsausgleich schnell ein doppelter Nachteil für die ins Ausland zieht. Abbildung 1 gibt – über alle Bundes-
Herkunftsländer, die nicht nur dauerhaft ihre hellsten länder zusammengefasst – den Anteil derjenigen Absol-
Köpfe verlieren, sondern dafür auch noch zur Kasse ge- venten im Zeitablauf wieder, die ohne Unterbrechung in
beten werden. Dieses einfache Gedankenspiel zeigt ihrem Studienland ansässig bleiben.2
deutlich, dass sich eine solche Politikmaßnahme nur Diese einfache deskriptive Darstellung der Wegzüge
dann richtig beurteilen lässt, wenn man das Mobilitäts- offenbart zum einen das relativ moderate Ausmaß der
verhalten nach Studienabschluss berücksichtigt. Auswanderung. Zehn Jahre nach Abschluss leben im
gesamtdeutschen Durchschnitt noch 70,4 % aller Absol-
venten in dem Bundesland ihres Studiums. Zum anderen
* Oliver Busch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Fi-
nanzwissenschaft der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt
wird ersichtlich, dass die Abwanderung, wenn über-
am Main. haupt, kurz nach Studienende stattfindet. In den ersten

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Abbildung 1: Anteil der Hochschulabsolventen im Zeitablauf nach Studienabschluss (in %), die im
Bundesland ihres Studiums verbleiben (Gesamtdeutschland)

100
90
80
Verbleibsquote in %

70
60
50
40
30
20
10
0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Jahre nach Abschluss

Quelle: Busch (2007).

vier Jahren nach Abschluss verlassen 20 % aller Absol- Studierende in der Tat eine höhere Wahrscheinlichkeit
venten ihr Studienland; in den darauf folgenden sechs aufweisen, das Bundesland nach dem Abschluss erneut
Jahren sind es nur noch weitere 10 % der ursprünglichen zu wechseln und somit ihr Studienland zu verlassen, als
Gesamtzahl. Mit jedem Jahr, das ein Absolvent im Land die einheimischen Studierenden. Allerdings erlaubt es
verbleibt, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass er noch die Datenlage gegenwärtig nicht, genauere Aussagen
wegzieht. Aus dieser Tatsache lässt sich schließen, dass über die Zielländer zu treffen, sodass unklar bleibt, ob die
der Studienabschluss einen spürbaren Lebenseinschnitt mobilen Studierenden in ihre Heimatländer zurückkehren
bedeutet und gerade in dieser Lebensphase die Bereit- oder andere Bundesländer ansteuern. Somit kann bei
schaft für einen Wohnortwechsel hoch ist. dem momentanen Wissensstand die Frage nicht beant-
Die Verweildauer im Studienland lässt sich nun in ei- wortet werden, ob die Herkunftsländer der Studierenden
nem zweiten Schritt mit persönlichen Charakteristika der Nutznießer dieser Wanderungen sind und daher die
Absolventen und länderspezifischen Gegebenheiten in Studienländer finanziell entlasten sollten.
Verbindung setzen. Eine solche multivariate Analyse er-
gibt, dass ein höheres Alter bei Abschluss, Wohneigen-
tum, eine partnerschaftliche Beziehung und Kinder im Ostdeutschland mit positivem Saldo
Haushalt die Wahrscheinlichkeit für einen Wegzug signifi-
kant senken. Zudem zeigt sich, dass Fachhochschulen Was bedeuten die empirischen Ergebnisse für Ost-
eher für den regionalen Arbeitsmarkt ausbilden: Deren deutschland? Zunächst einmal steht der Osten nach der
Absolventen sind weniger mobil als ihre Kommilitonen reinen Zahlenlage auf der Gewinnerseite. Tabelle 1 gibt
von Universitäten. Von den makroökonomischen Variab- eine bisher unveröffentlichte Auswertung der Absolven-
len scheint nur ein hohes Bruttoinlandsprodukt positiv tenstudie [HIS (2001)] wieder, die die innerdeutschen
mit einer längeren Verweildauer korreliert zu sein. Alles in Wanderungsbewegungen des Prüfungsjahrgangs 2001
allem deuten die Daten darauf hin, dass die persönlichen im ersten Jahr nach Abschluss hochrechnet. Während
Merkmale eine entscheidendere Rolle spielen als die ge- insbesondere in den Ingenieurwissenschaften (Maschi-
samtwirtschaftlichen Rahmendaten im jeweiligen Studi- nenbau, Elektrotechnik) ein erheblicher Aderlass in Rich-
enland; eine Beobachtung, die sich im Übrigen mit Stu- tung Westdeutschland besteht, weist der Osten vor
dien für die USA deckt [vgl. KODRZYCKI (2001)]. allem durch einen beträchtlichen Zuzug von Medizinern
Von besonderem Interesse ist das Mobilitätsverhalten und Lehrkräften insgesamt ein leichtes Plus auf.
der Studierenden, die ihr Abitur in einem anderen Bun- Wenn wir uns den persönlichen Merkmalen der Weg-
desland abgelegt haben. Es zeigt sich, dass zugezogene zügler zuwenden, erscheint für den Osten der Umstand

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Tabelle 1: Räumlicher Verbleib der Absolventen des Prüfungsjahrgangs 2001 (in absoluten Zahlen),
getrennt nach ausgewählten Fachrichtungen

Verbleib Neue Verbleib Alte


Saldo
Fachrichtung in Länder in Länder
Ostdeutsch-
(Abschlussart) neuen in Richtung alten in Richtung
land
Ländern alte Länder Ländern neue Länder

Ingenieurwissenschaften,
932 2.174 19.832 753 –1421
Informatik (FH+Uni)

Wirtschaftswissenschaften
813 1.767 18.502 1.243 –533
(FH+Uni)

Humanmedizin StEx (Uni) 698 140 6.195 1.142 +1.002

Lehramt (Uni) 638 173 18.541 1.129 +956

Politik-, Sozial-, Verwaltungs-


949 232 7.945 1.021 +788
wissenschaften (Uni)

Sprach- und Kulturwissenschaf-


621 158 6.378 859 +701
ten (Uni)

Hochschulabsolventen
10.510 7.222 126.248 9.479 +2.257
insgesamt

Quelle: HIS (2001).

bedeutsam, dass die Abwanderungsrate von zugezoge- den Weg nach Ostdeutschland finden würde. Dies zeigt,
nen Studierenden signifikant höher liegt als die der ein- dass die ökonomischen Auswirkungen der Studieren-
heimischen. Gerade das derzeitige Überangebot an Stu- denmobilität äußerst vielschichtig sind und sich ohne
dienplätzen in Ostdeutschland soll in den kommenden eine genauere Datengrundlage nicht richtig abschätzen
Jahren dazu dienen, Unterkapazitäten in westdeutschen lassen.
Bundesländern aufzufangen [vgl. ROTHER (2007)]. Wenn Mit Blick auf die übrigen Einflussfaktoren fällt die Bilanz
diese politisch gewollte Studentenwanderung am Ende für Ostdeutschland gemischt aus. Die derzeit schlechte-
jedoch dazu führen sollte, dass die fünf ostdeutschen re makroökonomische Wetterlage spricht zwar nicht für
Bundesländer die Ausbildung westdeutscher Eliten finan- die Region. Aber dieser Punkt sollte nicht überbewertet
zieren, die sofort nach Abschluss ihre Studienländer wie- werden, da das Wanderungsverhalten mehr durch die
der verlassen, wäre der wirtschaftlichen Entwicklung Ost- privaten Lebensumstände der Absolventen beeinflusst
deutschlands sicherlich wenig gedient. Vor solch einer zu sein scheint. Die weiterhin niedrigere Wohneigentums-
simplen Argumentationsführung ist allerdings zu warnen. quote ist schon eher als ein Nachteil anzusehen, da das
Eine statistisch erwiesene, erhöhte Abwanderungsrate Eigenheim zum Bleiben verleitet. Dafür liegt der Anteil der
von zugezogenen Studierenden bedeutet noch lange Studierenden mit Kind, die weniger mobil sind, im Osten
nicht, dass der Zuzug von Studierenden unvorteilhaft für höher.
ein Bundesland sein muss. Denn auch wenn die Studie-
renden von außerhalb eher abwandern, so bleibt doch
ein gewisser Teil im Lande hängen. Für die volkswirt- Fazit und Ausblick
schaftliche Gesamtbilanz eines Bundeslandes kommt es
darauf an, ob die staatlichen Bildungsausgaben für alle Der Brain Drain innerhalb von Deutschland, also die
zugereisten Studierenden durch den Mehrertrag kom- Abwanderung von Akademikern in andere Bundeslän-
pensiert werden, den die im Land verbleibenden Zuwan- der, nimmt bisher ein moderates Ausmaß an. Im zehnten
derer erwirtschaften. Dabei gilt es auch zu bedenken, Jahr nach Studienabschluss sind noch knapp über 70 %
dass ein Großteil der westdeutschen Studierenden ohne aller Absolventen in dem Bundesland ihres Studiums an-
das besagte Überangebot an Studienplätzen wohl niemals sässig. Die Daten zeigen ferner, dass ein Wegzug, wenn

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er überhaupt stattfindet, in den ersten Jahren direkt nach HIS (Hrsg.) (2001): Zwischen Hochschule und Arbeits-
Studienabschluss vollzogen wird. In dieser Phase ent- markt. Eine Befragung von Hochschulabsolventinnen
scheidet sich für viele Akademiker ihr langfristiger Le- und Hochschulabsolventen des Prüfungsjahrganges
bensmittelpunkt. Denn je länger ein Absolvent bereits im 2000/2001, http://www.his.de/absolventen.
Land verblieben ist, umso mehr sinkt die Wahrscheinlich- KODRZYCKI, Y. (2001): Migration of Recent College Gra-
keit für einen späteren Wegzug. Es zeigt sich, dass ein duates: Evidence from the National Longitudinal Sur-
höheres Lebensalter bei Abschluss, Wohneigentum, eine vey of Youth, Federal Reserve Bank of Boston New
Partnerschaft und Kinder im Haushalt zu weniger Mobi- England Economic Review, S. 13–34.
lität führen, während vor allem zugezogene Studierende MAK, J. und J. MONCUR (2003): Interstate Migration of
nach Abschluss mobiler sind und prosperierende Bun- College Freshmen, The Annals of Regional Science
desländer mit einer etwas geringeren Abwanderung kon- 37, S. 603–612.
frontiert sind. Insgesamt scheinen jedoch die persönli- MOHR, H. (2002): Räumliche Mobilität von Hochschul-
chen Faktoren bei der Wohnsitzwahl eine größere Rolle absolventen, in: BELLMANN, L. und J. VELLING (Hrsg.):
zu spielen als die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedin- Arbeitsmärkte für Hochqualifizierte, Beiträge zur Ar-
gungen. beitsmarkt- und Berufsforschung Nr. 256, Nürnberg,
Speziell für Ostdeutschland besteht Anlass zu verhal- S. 249–277.
tenem Optimismus. Auf Grund ihrer modernen univer- ROTHER, D. (2007): Zukunft des Studienplatzangebots
sitären Infrastruktur, der freien Kapazitäten sowie der ostdeutscher Hochschulen, in: ifo Dresden berichtet
niedrigen Lebenshaltungskosten erweisen sich die ost- 01/2007, S. 37–40.
deutschen Bundesländer als attraktive Studienorte. Dies STATISTISCHES BUNDESAMT (Hrsg.) (2006): Studierende an
zieht talentierte junge Menschen von außerhalb an. Hochschulen, Fachserie 11, Reihe 4.1, Wiesbaden.
Wenn es gelingt, diese zukünftigen Absolventen auch im ZÖLLNER, J. (2005): Studienplatzbezogene Hochschulfi-
Lande zu halten, kann dies das Humankapital vor Ort nanzierung und Vorteilsausgleich – der rheinland-pfäl-
und damit das Wirtschaftswachstum erhöhen. Insbeson- zische Vorschlag zur Reform der Hochschulfinanzie-
dere sollte die Politik darum bemüht sein, den frisch ge- rung im föderalen Wettbewerb, Ministerium für
backenen Akademikern in den ersten Jahren nach Ab- Wissenschaft, Weiterbildung, Forschung und Kultur,
schluss eine attraktive Perspektive zu bieten. Mainz.

1 Im Wintersemester 2005/2006 waren insgesamt 107.792 Studierende


Literatur an sächsischen Hochschulen eingeschrieben, während gleichzeitig über
das gesamte Bundesgebiet gezählt nur 94.002 Abiturienten aus Sach-
sen studierten. Rheinland-Pfalz registrierte zu derselben Zeit 101.845
BUSCH, O. (2007): When Have All the Graduates Gone? Studierende, bei deutschlandweit lediglich 83.174 Abiturienten aus die-
Internal Cross-State Migration of Graduates in Ger- sem Bundesland [vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT (2006)].
2 Leider lassen sich diese für Gesamtdeutschland aggregierten Zahlen
many 1984–2004, SOEPpapers No. 26, www.diw.de/ nicht auf einzelne Bundesländer herunter brechen, da die Fallzahlen ins-
soeppapers. besondere für die fünf ostdeutschen Bundesländer zu gering sind.

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