Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Wie Groß Ist Der Brain Drain Innerhalb Von Deutschland
Wie Groß Ist Der Brain Drain Innerhalb Von Deutschland
Abbildung 1: Anteil der Hochschulabsolventen im Zeitablauf nach Studienabschluss (in %), die im
Bundesland ihres Studiums verbleiben (Gesamtdeutschland)
100
90
80
Verbleibsquote in %
70
60
50
40
30
20
10
0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Jahre nach Abschluss
vier Jahren nach Abschluss verlassen 20 % aller Absol- Studierende in der Tat eine höhere Wahrscheinlichkeit
venten ihr Studienland; in den darauf folgenden sechs aufweisen, das Bundesland nach dem Abschluss erneut
Jahren sind es nur noch weitere 10 % der ursprünglichen zu wechseln und somit ihr Studienland zu verlassen, als
Gesamtzahl. Mit jedem Jahr, das ein Absolvent im Land die einheimischen Studierenden. Allerdings erlaubt es
verbleibt, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass er noch die Datenlage gegenwärtig nicht, genauere Aussagen
wegzieht. Aus dieser Tatsache lässt sich schließen, dass über die Zielländer zu treffen, sodass unklar bleibt, ob die
der Studienabschluss einen spürbaren Lebenseinschnitt mobilen Studierenden in ihre Heimatländer zurückkehren
bedeutet und gerade in dieser Lebensphase die Bereit- oder andere Bundesländer ansteuern. Somit kann bei
schaft für einen Wohnortwechsel hoch ist. dem momentanen Wissensstand die Frage nicht beant-
Die Verweildauer im Studienland lässt sich nun in ei- wortet werden, ob die Herkunftsländer der Studierenden
nem zweiten Schritt mit persönlichen Charakteristika der Nutznießer dieser Wanderungen sind und daher die
Absolventen und länderspezifischen Gegebenheiten in Studienländer finanziell entlasten sollten.
Verbindung setzen. Eine solche multivariate Analyse er-
gibt, dass ein höheres Alter bei Abschluss, Wohneigen-
tum, eine partnerschaftliche Beziehung und Kinder im Ostdeutschland mit positivem Saldo
Haushalt die Wahrscheinlichkeit für einen Wegzug signifi-
kant senken. Zudem zeigt sich, dass Fachhochschulen Was bedeuten die empirischen Ergebnisse für Ost-
eher für den regionalen Arbeitsmarkt ausbilden: Deren deutschland? Zunächst einmal steht der Osten nach der
Absolventen sind weniger mobil als ihre Kommilitonen reinen Zahlenlage auf der Gewinnerseite. Tabelle 1 gibt
von Universitäten. Von den makroökonomischen Variab- eine bisher unveröffentlichte Auswertung der Absolven-
len scheint nur ein hohes Bruttoinlandsprodukt positiv tenstudie [HIS (2001)] wieder, die die innerdeutschen
mit einer längeren Verweildauer korreliert zu sein. Alles in Wanderungsbewegungen des Prüfungsjahrgangs 2001
allem deuten die Daten darauf hin, dass die persönlichen im ersten Jahr nach Abschluss hochrechnet. Während
Merkmale eine entscheidendere Rolle spielen als die ge- insbesondere in den Ingenieurwissenschaften (Maschi-
samtwirtschaftlichen Rahmendaten im jeweiligen Studi- nenbau, Elektrotechnik) ein erheblicher Aderlass in Rich-
enland; eine Beobachtung, die sich im Übrigen mit Stu- tung Westdeutschland besteht, weist der Osten vor
dien für die USA deckt [vgl. KODRZYCKI (2001)]. allem durch einen beträchtlichen Zuzug von Medizinern
Von besonderem Interesse ist das Mobilitätsverhalten und Lehrkräften insgesamt ein leichtes Plus auf.
der Studierenden, die ihr Abitur in einem anderen Bun- Wenn wir uns den persönlichen Merkmalen der Weg-
desland abgelegt haben. Es zeigt sich, dass zugezogene zügler zuwenden, erscheint für den Osten der Umstand
Tabelle 1: Räumlicher Verbleib der Absolventen des Prüfungsjahrgangs 2001 (in absoluten Zahlen),
getrennt nach ausgewählten Fachrichtungen
Ingenieurwissenschaften,
932 2.174 19.832 753 –1421
Informatik (FH+Uni)
Wirtschaftswissenschaften
813 1.767 18.502 1.243 –533
(FH+Uni)
Hochschulabsolventen
10.510 7.222 126.248 9.479 +2.257
insgesamt
bedeutsam, dass die Abwanderungsrate von zugezoge- den Weg nach Ostdeutschland finden würde. Dies zeigt,
nen Studierenden signifikant höher liegt als die der ein- dass die ökonomischen Auswirkungen der Studieren-
heimischen. Gerade das derzeitige Überangebot an Stu- denmobilität äußerst vielschichtig sind und sich ohne
dienplätzen in Ostdeutschland soll in den kommenden eine genauere Datengrundlage nicht richtig abschätzen
Jahren dazu dienen, Unterkapazitäten in westdeutschen lassen.
Bundesländern aufzufangen [vgl. ROTHER (2007)]. Wenn Mit Blick auf die übrigen Einflussfaktoren fällt die Bilanz
diese politisch gewollte Studentenwanderung am Ende für Ostdeutschland gemischt aus. Die derzeit schlechte-
jedoch dazu führen sollte, dass die fünf ostdeutschen re makroökonomische Wetterlage spricht zwar nicht für
Bundesländer die Ausbildung westdeutscher Eliten finan- die Region. Aber dieser Punkt sollte nicht überbewertet
zieren, die sofort nach Abschluss ihre Studienländer wie- werden, da das Wanderungsverhalten mehr durch die
der verlassen, wäre der wirtschaftlichen Entwicklung Ost- privaten Lebensumstände der Absolventen beeinflusst
deutschlands sicherlich wenig gedient. Vor solch einer zu sein scheint. Die weiterhin niedrigere Wohneigentums-
simplen Argumentationsführung ist allerdings zu warnen. quote ist schon eher als ein Nachteil anzusehen, da das
Eine statistisch erwiesene, erhöhte Abwanderungsrate Eigenheim zum Bleiben verleitet. Dafür liegt der Anteil der
von zugezogenen Studierenden bedeutet noch lange Studierenden mit Kind, die weniger mobil sind, im Osten
nicht, dass der Zuzug von Studierenden unvorteilhaft für höher.
ein Bundesland sein muss. Denn auch wenn die Studie-
renden von außerhalb eher abwandern, so bleibt doch
ein gewisser Teil im Lande hängen. Für die volkswirt- Fazit und Ausblick
schaftliche Gesamtbilanz eines Bundeslandes kommt es
darauf an, ob die staatlichen Bildungsausgaben für alle Der Brain Drain innerhalb von Deutschland, also die
zugereisten Studierenden durch den Mehrertrag kom- Abwanderung von Akademikern in andere Bundeslän-
pensiert werden, den die im Land verbleibenden Zuwan- der, nimmt bisher ein moderates Ausmaß an. Im zehnten
derer erwirtschaften. Dabei gilt es auch zu bedenken, Jahr nach Studienabschluss sind noch knapp über 70 %
dass ein Großteil der westdeutschen Studierenden ohne aller Absolventen in dem Bundesland ihres Studiums an-
das besagte Überangebot an Studienplätzen wohl niemals sässig. Die Daten zeigen ferner, dass ein Wegzug, wenn
er überhaupt stattfindet, in den ersten Jahren direkt nach HIS (Hrsg.) (2001): Zwischen Hochschule und Arbeits-
Studienabschluss vollzogen wird. In dieser Phase ent- markt. Eine Befragung von Hochschulabsolventinnen
scheidet sich für viele Akademiker ihr langfristiger Le- und Hochschulabsolventen des Prüfungsjahrganges
bensmittelpunkt. Denn je länger ein Absolvent bereits im 2000/2001, http://www.his.de/absolventen.
Land verblieben ist, umso mehr sinkt die Wahrscheinlich- KODRZYCKI, Y. (2001): Migration of Recent College Gra-
keit für einen späteren Wegzug. Es zeigt sich, dass ein duates: Evidence from the National Longitudinal Sur-
höheres Lebensalter bei Abschluss, Wohneigentum, eine vey of Youth, Federal Reserve Bank of Boston New
Partnerschaft und Kinder im Haushalt zu weniger Mobi- England Economic Review, S. 13–34.
lität führen, während vor allem zugezogene Studierende MAK, J. und J. MONCUR (2003): Interstate Migration of
nach Abschluss mobiler sind und prosperierende Bun- College Freshmen, The Annals of Regional Science
desländer mit einer etwas geringeren Abwanderung kon- 37, S. 603–612.
frontiert sind. Insgesamt scheinen jedoch die persönli- MOHR, H. (2002): Räumliche Mobilität von Hochschul-
chen Faktoren bei der Wohnsitzwahl eine größere Rolle absolventen, in: BELLMANN, L. und J. VELLING (Hrsg.):
zu spielen als die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedin- Arbeitsmärkte für Hochqualifizierte, Beiträge zur Ar-
gungen. beitsmarkt- und Berufsforschung Nr. 256, Nürnberg,
Speziell für Ostdeutschland besteht Anlass zu verhal- S. 249–277.
tenem Optimismus. Auf Grund ihrer modernen univer- ROTHER, D. (2007): Zukunft des Studienplatzangebots
sitären Infrastruktur, der freien Kapazitäten sowie der ostdeutscher Hochschulen, in: ifo Dresden berichtet
niedrigen Lebenshaltungskosten erweisen sich die ost- 01/2007, S. 37–40.
deutschen Bundesländer als attraktive Studienorte. Dies STATISTISCHES BUNDESAMT (Hrsg.) (2006): Studierende an
zieht talentierte junge Menschen von außerhalb an. Hochschulen, Fachserie 11, Reihe 4.1, Wiesbaden.
Wenn es gelingt, diese zukünftigen Absolventen auch im ZÖLLNER, J. (2005): Studienplatzbezogene Hochschulfi-
Lande zu halten, kann dies das Humankapital vor Ort nanzierung und Vorteilsausgleich – der rheinland-pfäl-
und damit das Wirtschaftswachstum erhöhen. Insbeson- zische Vorschlag zur Reform der Hochschulfinanzie-
dere sollte die Politik darum bemüht sein, den frisch ge- rung im föderalen Wettbewerb, Ministerium für
backenen Akademikern in den ersten Jahren nach Ab- Wissenschaft, Weiterbildung, Forschung und Kultur,
schluss eine attraktive Perspektive zu bieten. Mainz.