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Rationalität in der Islamischen Theologie

Band I: Die klassische Periode


Rationalität in der
Islamischen Theologie

Band I: Die klassische Periode

Herausgegeben von Maha El Kaisy-Friemuth,


Reza Hajatpour und Mohammed Abdel Rahem
ISBN 978-3-11-049671-0
e-ISBN (PDF) 978-3-11-058857-6
e-ISBN (EPUB) 978-3-11-058659-6

Library of Congress Control Number: 2018958077

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Umschlagabbildung: Socrates discussing philosophy with his disciples,
Arabic miniature from a manuscript, Turkey 13th Century. DEA / G. DAGLI ORTI /
Kontributor / De Agostini / Getty Images
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

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Inhaltsverzeichnis
Vorwort  IX
Einleitung  XI

I D
 ie Anfänge der Rationalität in der Islamischen Theologie

Omar Hamdan
Die Anfänge qadaritischer und muʿtazilitischer Theologie  3

Doris Decker
Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam  35

Mourad Qortas
Der Ambiguitätsdiskurs in der Koran-Gelehrsamkeit  67

Tarek Anwar Abdelgayed Elkot


Zur Problematik der Offenbarungsanlässe in den kanonischen
ḥadīṯ-Sammlungen  99

Mohammed Abdel Rahem


Rationalität im islamischen Recht. Die hanafitische Rechtsschule als
Beispiel  119

Ahmad Ighbaria
The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example  132

II Muʿtazilitisches Denken

Elsayed Elshahed
Die Blütezeit der Muʿtazila und ihre Rezeption bei den Spät-
muʿtaziliten  169

Mahmoud Abushuair
Al-Qāsim b. Ibrahīm ar-Rassī und die muʿtazilitische Theologie  188
VI Inhaltsverzeichnis

Hossam Ouf
Muʿtaziliten und Hadith. Zur Konzeption einer traditional-rationalen
Hadith-Kritik anhand des Werkes „Qabūl al-aḫbār wa-maʿrifat ar-riğāl“ von Abū
l-Qāsim al-Kaʿbī al-Balḫī  204

Maha El Kaisy-Friemuth
The Human and the Prophet in ʿAbd al-Jabbār’s Theology  226

Mourad Qortas
Muʿtazilitische Koranexegese  242

Muhammed Ragab
An der Schnittstelle zwischen Sprache und Theologie: Maǧāz in der
muʿtazilitischen Kalām-Lehre  265

Reza Hajatpour
Muʿtazila und die Zwölfer-Schia  283

III Maturiditisches und Ašʿaritisches Denken

Hureyre Kam
Die duale Epistemologie al-Māturīdīs  293

Angelika Brodersen
Sunnitische Identitätssuche im Transoxanien des 5./11. Jahrhunderts:
Abū Šakūr as-Sālimī und sein Tamhīd fī bayān at-tauḥīd  324

Thomas Würtz
Der frühe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī als māturīditischer Autor  351

Jon Hoover
Reason and the Proof Value of Revelation in Fakhr al-Dīn al-Rāzī’s late kalām
works Taʾsīs al-taqdīs, Maʿālim uṣūl al-dīn, and al-Arbaʿīn fī uṣūl al-dīn  373

Mahmoud Abdallah
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam  391
Inhaltsverzeichnis VII

IV Sufi Traditionen

David Burrell
Rationality of Faith for al-Ghazali  445

Daro Alani
Herz- und Vernunfterkenntnis in der islamischen Mystik  463

Namensregister  488
Vorwort
Glaube und Vernunft sind und waren Schlüsselbegriffe, die unter muslimischen
Gelehrten und Theologen kontrovers diskutiert wurden. Zentrum der islamischen
Religion ist Gottes Offenbarung an den Propheten Muhammad, die immer wieder
Interpretation und Kommentierung bedurfte. Grundfragen waren die nach der
Hermeneutik des göttlichen Wortes. Die Geschichte der Islamischen Theologie
ist von Spannungen zwischen Vertretern der Tradition und der Vernunft geprägt.
Während einerseits den logischen bzw. rationalen Methoden der Behandlung
juristischer und theologischer Fragen kaum Raum gegeben wurde, war für andere
Theologen die menschliche Vernunft der maßgebliche hermeneutische Schlüs-
sel. Dieser Ansatz rationaler Theologie wurde seit dem Ende der Umayyaden-Zeit
verfolgt und erreichte seine Blüte unter den Abbasiden. Die Auseinanderset-
zung zwischen den beiden Parteien, den Rationalisten und den Traditionalisten,
beschränkte sich anfangs auf die Frage nach dem Gottesbild, speziell die Attri-
butenlehre Gottes, bevor sich die Kontroverse auf weitere Themenkreise zu er-
strecken begann.
Die Idee einer gemeinsamen internationalen Tagung zur Islamischen Theo-
logie kam Ende 2014 auf, als sich die Leiter des DIRS (Department für Islamisch-
Religiöse Studien) in Erlangen und der SISD (Sektion für islamische Studien in
Deutsch an der Al-Azhar-Universität) in Kairo trafen. Beide Institutionen äußerten
damals ihr Bedürfnis nach vertiefter Zusammenarbeit.
Im Vorfeld der Besieglung eines wissenschaftlichen Kooperations-Abkom-
mens samt Studierenden- und Dozentenaustausches, kamen DIRS und SISD auf
die Idee, eine gemeinsame Tagung zu organisieren, die den Arbeitstitel „Rationa-
lität im Islam“ trug. Zahlreiche Wissenschaftler, die auf islamisch theologischen
Gebieten, vor allem den verschiedenen Kalam-Schulen forschten, wurden zur Teil-
nahme eingeladen. Die Tagung, eröffnet durch den Dekan der Philosophischen
Fakultät der Erlanger Friedrich-Alexander-Universität, diskutierte nicht nur eine
der bedeutendsten Fragen in Geschichte und Gegenwart der Islamischen Theo-
logie, sondern erwies sich mit ihren Ergebnissen auch als Brücke zwischen den
neu gegründeten Zentren im Westen und einer klassisch traditionellen Institution
im Osten.
Die Tagung, deren Beiträge im vorliegenden Band gesammelt wurden, setzte
einen erfolgreichen Studierenden- und Dozentenaustausch zwischen dem DIRS
und der SISD in Gang, der mittlerweile eine Reihe weiterer wissenschaftlicher
Früchte erwachsen sind.

Al-Azhar-Universität, Sektion für Islamische Studien in Deutsch (SISD)

https://doi.org/10.1515/9783110588576-001
Einleitung
Das Konzept von Rationalität im Islam kann nicht diskutiert werden ohne sich
dabei auf die rationalistisch theologischen Schulen der Muʿtaziliten, Aschʿariten
und Maturiditen zu beziehen. Diese gehen jeweils davon aus, dass der mensch-
lichen Vernunft eine entscheidende Rolle bei Verständnis und Interpretation von
Religion zufällt.
Von Anfang an umstritten waren jedoch wesentliche Fragen zur Ausgangs-
position menschlicher Erkenntnisfähigkeit. Kann der Mensch von sich aus Grund
und Wesen der Welt erfassen? Verfügt er über die Bereitschaft und den Willen
dazu?
Die Frage nach dem freien Willen wurde im frühen 8. Jahrhundert im politi-
schen Kontext diskutiert. Umayyadische Kalifen ließen Konzepte zur Prädestina-
tion entwickeln um damit ihre Vormachtstellung zu legitimieren und die Autorität
ihrer Theologen zu festigen.
Die so entstandene Theorie von qadar stützten sie durch eine gezielte Auswahl
von Koranversen.
Ihre Prädestinationslehre setzen sie gezielt gegen ihre Kritiker ein, die am
Ausbau der umayyadischen Vorherrschaft und ihrer Expansionspolitik zweifel-
ten. Al-Ḥasan al-Baṣrī, war die führende Persönlichkeit um die sich die Opposi-
tion sammelte. Al-Baṣrī machte sich für das Konzept des freien Willens stark und
stellte die menschliche Verantwortung in den Vordergrund. In seinem berühmten
Brief an den Kalifen lehnte er dessen prädestinatorische Ideen ab und kritisierte
das Vorgehen seiner Gelehrten eine willkürliche Auswahl von Koranversen zu
treffen, nur um damit die politische Überlegenheit der Umayyaden-Dynastie zu
festigen. So gab es bereits in der Zeit des frühen 8. Jahrhunderts mit al-Baṣrī eine
Persönlichkeit, die die einheitliche Botschaft des Korans in den Blick nahm. Durch
den Koran will Gott den Menschen zu einem ethisch bewussten Leben führen, das
am Ende seine Belohnung empfängt. Ein gottgefälliges Leben kann jedoch nur
durch die jedem Menschen innewohnende Fähigkeit zur Entscheidungsfreiheit
getroffen werden. Diese Argumentation gilt als früheste Form einer rationalen
Islamischen Theologie.
Die eigentliche Diskussion über die Willensfreiheit begann erst mit den
Muʿtaziliten während der Abbasiden-Zeit als man daran ging den Willen Bestand-
teil eines theologischen Konzepts werden zu lassen. Die Muʿtazila vertrat die
Ansicht, dass Gottes Gebote und Verbote nur unter der Voraussetzung umge-
setzt werden können, dass der Mensch selber frei entscheidet was er tun, bzw.
lassen möchte. Seine Entscheidungsfreiheit zu guten bzw. schlechten Taten gilt
als grundlegendes Kriterium für Richtertätigkeit Gottes.

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XII Einleitung

Mit der Zeit wurde diese Diskussion vertieft und man begann menschliche
Erkenntnisfähigkeit auch auf ihre Möglichkeit hin zu befragen Gott, sein Wesen
und sein Gesetz zu erkennen. Rationalität ist aus muʿtazilitischer Sicht Grund-
voraussetzung des Menschseins überhaupt. Mit seiner Reifung gelangt der Mensch
zur Rationalität (kāmel al-‘aql). Ab einem Alter von 12 bis 14 Jahren verfügt er
über ein notwendiges Basiswissen und kann sich intuitiv verantwortungsbewusst
verhalten, womit er sich zu seiner schöpfungsgemäßen Bestimmung entwickelt.
Der Mensch ist von vornherein mit bestimmten rationalen Fähigkeiten erschaffen
worden. Es sind dies eine gewisse Selbsterkenntnis sowie die Fähigkeit durch
Reflexion zur richtigen Entscheidung zwischen gegensätzlichen Möglichkeiten
zu kommen; all dies für die Muʿtaziliten menschliche Eigenschaften in denen
sich der Charakter ihres Schöpfers widerspiegelt, dessen höchstes Ziel es ist, dem
Menschen Wohltaten zu bescheren und ihn zum Glück zu führen.

Nachdem die Muʿtaziliten zu Beginn des 9. Jahrhunderts die Hauptthemen der


rationalen Theologie gesetzt hatten, kam es zur Bildung gegnerischer Schulen,
die ihre eigenen Ansätze verfolgten, den Rationalismus theologisch differenzier-
ten oder ihn ganz ablehnten.
Die wesentlichen oppositionellen Schulen waren die Aschʿariten und die
Māturīditen. Beide hinterfragten die Rolle offenbarter Texte innerhalb der ratio-
nalen Theologie und kritisierten dass Rationalismus eine bestimmte Rezeption
der Texte vorgibt. Wie verhält es sich mit mehrdeutigen Aussagen? Sind sie durch
eigene rationale Kriterien zu interpretieren oder mittels anderer Texte? Die syste-
matisch Islamische Theologie begann sich in der Auseinandersetzung zwischen
diesen Schulen zu entwickeln.
Eine islamische Epistemologie kristallisierte sich aus dem Spannungsfeld
von Rationalität und Offenbarung heraus. Während die Muʿtaziliten die Vernunft-
begabung des Menschen zu Grunde legten und ihr die Fähigkeit zusprachen, reli-
giöse Wahrheiten rational zu erkennen, gingen besonders die Aschʿariten davon
aus, dass es die Heiligen Texte selbst sind, die Erkenntnis und menschliches
Wissen erzeugen. Der arabische Begriff ‘aql, gemeinhin als „rational“ übersetzt,
ist in Wirklichkeit ziemlich mehrdeutig und wurde von muslimischen Theologen
folglich recht unterschiedlich gedeutet.
Der muʿtazilitische Theologe ʿAbd al-Ğabbār widmet diesem Begriff in seinem
Werk Al-Mughnῑ XI ein eigenes Kapitel. ‘Aql bedeutet für ihn nicht nur Intellekt
oder Rationalität, sondern ist ein unmittelbares und notwendiges Wissen, das
es dem Menschen ermöglicht zu verstehen und Offenbartes aufzunehmen. Für
ʿAbd al-Ğabbār und die Mehrzahl der Muʿtaziliten steht der intuitive Aspekt von
‘aql im Vordergrund. Zu vielen ethischen Verhaltensweisen zwischen Richtig und
Falsch, Gut und Böse gelangt der Mensch durchaus spontan, muss dann jedoch
Einleitung XIII

Einzelheiten methodisch reflektieren um zu ethischen Entscheidung zu gelangen.


Asch’aritsche Gegnerschaft lehnt universelle Einsichtsmöglichkeiten dagegen ab
und beharrt darauf, dass richtiges ethisches Verhalten allein durch Offenbarung
vorgegeben wird.

Die folgenden Beiträge stehen in der Tradition dieser grundlegenden Diskussion,


gelangen aber zu wesentlichen Differenzierungen, besonders dann wenn ein-
zelne Gelehrte und ihre Methoden genauer in den Mittelpunkt gerückt werden.
Deren Behandlung spezieller theologischer Fragestellungen macht deutlich, dass
es zwischen den Lehrmeinungen der großen Schulen zu überraschenden Über-
schneidungen und neuen Synthesen kommen kann.

Den Anfang macht Omar Hamdan mit seiner Untersuchung bislang wenig
erforschter Ursprünge der Muʿtazila. Um ihre theologischen Grundsätze frei-
zulegen lenkt er sein besonderes Augenmerk auf die vorausgehende Epoche der
Qadariyya und zeichnet die begrifflich-konzeptionellen Anfänge des qadar nach.
Er bezieht sich dazu auf die nicht anerkannten koranischen Lesarten (qirāʾāt),
wobei ihm als entscheidende Quelle das Werk Kitāb al-kāmil fī l-qirāʾāt al-ḫamsīn
von al-Huḏalī (1073) dient.
Verschiedene Beispiele der Behandlung dogmatischer Themen, wie z. B. die
Frage nach der Unfehlbarkeit von Engeln oder nach der Sündenlosigkeit der Pro-
pheten zeigen die Notwendigkeit, alternative Lesarten zu berücksichtigen. Ohne
Rückgriffe auf die zahlreichen nicht-kanonischen qirāʾāt, d. h. durch alleinige
Bezugnahme auf Teile des Korans wäre es frühislamischen Theoriebildungen
nicht möglich gewesen, ihre dogmatischen Grundsätze zu formulieren.

Frühe islamisch theologische Diskussionen kreisen bevorzugt um Fragen nach


Handlungs- und Willensfreiheit oder beschäftigten sich mit der Vorbildrolle
des Propheten. Doris Decker lenkt ihren Blick auf die Beiträge von Frauen aus
Muhammads Umfeld und zeigt die spezielle Thematik ihrer theologischen Refle-
xionen. Von Dreien von ihnen, Zinnīra, Umm Ḥabība und Umm Sulaym, ist genü-
gend zuverlässiges Quellenmaterial überliefert anhand dessen Decker darlegt, zu
welcher Geschlechterkonzeption sie gelangen. Indem sie sich vom altarabischen
Kult abgrenzen und ihr neues Bekenntnis zu Mohammad formulieren entwickeln
diese Frauen ein eigenes neues Selbstverständnis; eine allererste Etablierung
feministischer islamischer Identität.

Mourad Qortas widmet seine Forschungen dem Ambiguitätsdiskurs in der Koran-


Gelehrsamkeit. Er beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen eindeutigen und
mehrdeutigen Versen, welches eine schon im Koran (Sure 3,7) aufgeworfene
XIV Einleitung

offenbarungstheologische Schlüsselfrage ist. Speziell diskutiert er den Fachbe-


griff Al-muḥkam wa l-mutašābih. Qortas hebt die Eigenständigkeit der Muḥkamāt
hervor. Diese beschrieben als umm al-kitāb wird als die Essenz der muslimischen
Botschaft herausgearbeitet: „Wenn der Gläubige zu einem muḥkam zurückgeht,
um einen unklaren mutašābih zu verstehen, dann findet er auf diesem Weg zum
rechten Glauben“.

Tarek Elkot beschäftigt sich mit der Problematik der Offenbarungsanlässe in al-
Buḫārīs Hadīṯ-Sammlung Kitāb at-tafsīr. Er diskutiert sie anhand von drei kora-
nischen Beispielen in denen jeweils der Begriff nuzūl (Herabsendung) auftritt. Für
Elkot ist das Wissen um die Offenbarungsanlässe sowohl für das Verständnis des
Korantextes bedeutsam als auch für die Kenntnis der aufhebenden und aufgeho-
benen Verse (an-nāsiḫ wa-l-mansūḫ), wobei es ihm nicht um die Entscheidung der
jeweiligen Authentizität geht, sondern um ihre geschichtliche Rezeption inner-
halb der islamischen Gelehrsamkeit.

In seiner Untersuchung zur Rechtsfindung zwischen Traditionalisten und Ratio-


nalisten befasst sich Abdel Rahem mit der hanfîtischen Rechtsschule. Dabei geht
er ausführlich auf Abû Hanîfa selbst ein, der sich nahezu als einziger mit der Frage
der rechtlichen Kniffe, al-ḥiyal asch-schar´iya und der Motive ihrer Anwendung
beschäftigt hat. Rahem stellt dar, dass sich qiyâs, die Anwendung der Analogie,
endgültig als die Rechtsquelle der islamischen Gesetzgebung durchsetzen konnte.

In seinem Beitrag „The Use of Logic in Kalam“ behandelt Ahmad Ighbariah den
Einfluss der aristotelischen Logik auf die Entwicklung der Kalam Wissenschaft.
Schwerpunkt seiner Untersuchung ist das bekannte Werk At-Taqrib von Ibn
Hazim. Mittels seiner Ẓāhirī – Interpretation gelangt er zu einer neuen Lesart der
„Theorie der Kategorien“ aus Aristoteles‘ Organon.

Zwischen theologiegeschichtlichen Höhe- und Tiefpunkten bewegt sich Elsayed


Elshaheds detailreicher Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des mu’tazilitischen
Dogmas. Als ersten Höhepunkt hebt er die Systematisierung der fünf Grundprin-
zipien, al-Uṣūl al-Khamsas durch Abū al-Hudhail al-ʿAllāf hervor; das „Glaubens-
bekenntnis“ der Mu’taziliten.
Ein zweiter theologischer Gipfel ist für ihn die Entstehung des asch’aritischen
Dogmas. Einen dritten Höhepunkt mu´tazilitischer Dogmenbildung stellt schließ-
lich ʿAbd al-Ğabbārs 20-bändiges Werk „Al-Mughnī fī Abwāb at-Tawhīd wal-ʿAdl“
dar. Hievon ausgehend bearbeitet Elshahed die mu´tazilitische Erkenntnistheorie
zwischen menschlicher Vernunft und göttlicher Eingebung.
Einleitung XV

Im Mittelpunkt von Mahmoud Abushairs Beitrag steht der Gelehrte Al-Qāsim b.


Ibrahīm ar-Rassī (786–861). Abushair versucht die schillernde und kritische Per-
sönlichkeit Al-Qāsims zwischen Muʿtazilismus und zaiditischer Rechtsschule ein-
zuordnen und bemüht sich den muʿtazilitischen Charakter von al-Qāsims Posi-
tionen auch gegen maßgebliche heutige Kritiker herauszustellen. Dabei gelangt
Abushair auf die Spur einer muʿtazilitisch-zaiditischen Theologie und erkennt in
Al-Qāsim einen relativ undogmatischen Gelehrten, der sich mit dem sufischen
Charakter vieler seiner Schriften keiner bestimmten Schule der Muʿtazila zuord-
nen lässt.

Auch Hossam Ouf stellt in seinem Beitrag zur Hadithforschung eine Gelehrten-
Persönlichkeit in den Vordergrund, Abū l-Qāsim al-Kaʿbī (gest. 931). In der tradi-
tionellen Hadithforschung stehen als Quellen islamischer Gesetzgebung Koran
und Sunna an erster Stelle. Im Muʿtazilismus dagegen kommt dem Verstand die
höchste Autorität zu. Zwischen Tradition und Rationalismus bewegt sich auch
al-Kʿabī in seinem Werk „Qabūl al-aḫbār wa maʿrufat ar-riğāl“. Er kommt darin
zu Bewertungen von āḥād – Hadithen unabhängig von der Überliefererkette und
provoziert damit heftigen Streit zwischen den Hadith-Gelehrten und ­Muʿtaziliten
um die normative Autorität der Hadithe. Al-Kʿabīs Schriften belegen einen schon
frühen rationalen Umgang mit den asānīd und mutūn der Hadithe, die den isnād
und den matn als gleichwertige Komponenten eines Hadith ansehen. Ouf bekräf-
tigt diese Vorgehensweise und betont, dass sie bis heute für eine moderne Hadith-
forschung unabdingbar ist.

In seinem umfangreichen Werk al-Mughnī diskutiert ʿAbd al-Ğabbār das Wesen


der menschlichen Natur. Dabei widerspricht er dem griechischen Konzept der
Dualität von Seele und Körper und entwickelt stattdessen eine Dualität von
Jawhar und ‘arad, Substanz und Akzidenz. Maha El Kaisy-Friemuth legt ihre
Argumentation aus Mugni 11 ausführlich dar. Rationales Denken ist ein Prozess,
der durch zweierlei in Gang gesetzt wird, durch von göttlicher Seite zur Verfügung
gestelltes notwendiges Wissen sowie durch eigene Reflexion. Offenbartes Wissen
dagegen ist gottgegeben und durch Prophetie vermittelt. Speziell dazu findet sich
eine vertiefte Darstellung zum offenbarten Wissen in ʿAbd al-Ğabbārs Theologie
samt seiner Beschreibung des Propheten.

Der muʿtazilitische Ansatz, sich von wörtlicher Ausdeutung des Korans zu lösen,
machte es erforderlich Maǧāz, als Theorie zur Deutung von übertragenen Aus-
drücken zur Interpretation verschiedener Koranstellen heranzuziehen. Muham-
med Ragabs Studie zur Schnittstelle von Sprache und Theologie, „Maǧāz in der
muʿtazilitischen Kalām-Lehre“ zeigt die Entwicklung und Implikationen dieses
XVI Einleitung

Konzepts auf. Da philologische und theologische Deutung Hand in Hand gingen,


war es unabdingbar das Verhältnis von Sprache und Theologie präzise zu klären,
wie Ragab es an etlichen Beispielen aufzeigt.

Reza Hajatpour geht es in seinem Aufsatz „Muʿtazila und die Zwölfer-Schia“


darum, die theologischen Schulrichtungen von Muʿtazila und Schia miteinander
in Verbindung zu bringen. Schon zu Beginn des Aufkommens der Muʿtazila hat
es zwischen den Anhängern der Schia und der Muʿtazila Streitgespräche z. B. um
das Imamat gegeben. Durch diese Auseinandersetzungen hat sich der Eigencha-
rakter schiitischer Theologie herausbilden können, wie er sich im Werk des Theo-
logen Scheich Mufid ausdrückt, auf das sich Hajatpour in seinem Beitrag bezieht.
Schnittpunkt zwischen Schia und Muʿtazila ist die rationalistische Methode.

Hureyre Kam stellt die duale Epistemologie al-Māturīdīs dar. Unter den isla-
mischen Gelehrten war al-Māturīdī der erste, der sich eingehend mit den Grund-
lagen einer Erkenntnislehre beschäftigte. Kam erkennt bei Māturīdī ein Konzept
dualer Epistemologie, gründend auf einer allgemein menschlichen und einer
speziellen Religions-Epistemologie. In seinem Beitrag lässt er diese Dualität sicht-
bar werden, indem er die Erkenntnisquellen, die den jeweiligen Epistemologien
zugrunde liegen, unter die Lupe nimmt. Dadurch lässt er Māturīdīs Intention her-
vortreten, Sinneswahrnehmungen als Erkenntnisquelle der „wahren Religion“,
d. h. des Islam auszuschließen, weil nur so die Lehre von Mohammed als dem
letzten wahren Propheten gesichert werden kann.

Angelika Brodersen untersucht den Beginn der Auseinandersetzung māturīditi-


scher Theologen mit der konkurrierenden sunnitischen Richtung der Ašcarīya.
Dazu stellt sie die bislang nicht wissenschaftlich edierte frühe māturīditische
Schrift Tamhīd fī bayān at-tauḥīd des Abū Šakūr as-Sālimī vor und weist grund-
legende Differenzen zur Ašcarīya auf, die sich bereits aus den Unterschieden der
jeweiligen Erkenntnislehren ergeben. Anhand ausgewählter Themenbeispiele,
wie dem Verhältnis von Verstand und Offenbarung, Glaube und Handeln oder
der Attributenlehre werden Unterschiede aber auch Gemeinsamkeiten früher kon-
kurrierender sunnitischer Schulrichtungen verdeutlicht.

Thomas Würtz führt den Leser in das Werk des Gelehrten Saʿd ad-Dīn at-
Taftāzānīs (gest. 1390) ein. Dieser wirkte vornehmlich im zentralasiatischen
Raum (Samarkand) und ist einer von Wenigen, die nicht eindeutig einer theo-
logischen Schulrichtung zuzuordnen sind. Sein Frühwerk, der „Kommentar zu
den Glaubensbekenntnissen des Nasafī“ (Šarḥ al-ʿAqāʾid an-Nasafīya), ist ein
māturīditischer Text. Sein späteres Hauptwerk, Šarḥ al-Maqāṣid, ašʿaritischer ist
Einleitung XVII

dagegen klar ašʿaritisch geprägt. Würz konzentriert sich darauf, Taftāzānī als Ver-
treter der māturīditischen theologischen Richtung vorzustellen. Es wird deutlich,
wie sehr māturīditisches Gedankengut im 14. Jahrhundert lebendig war, das in
Form von Taftāzānīs weit verbreitetem Kommentar noch bis ins 20. Jahrhundert
weitergewirkt hat.

John Hoover behandelt das Verhältnis von Vernunft und Offenbarung in al-Rāzīs
Werk Ta’sis. Al-Rāzī bekräftigt die Körperlosigkeit und Nicht-Räumlichkeit Gottes.
Während die Offenbarungstexte hinsichtlich einer Körperlichkeit Gottes Skepsis
hinterlassen, vermittelt Vernunft Gewissheit. Hoover diskutiert sämtliche Aspekte
von al Rasis ausführlicher Argumentation.

In den historischen Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam begibt sich


Mahmoud Abdallah. Im Zentrum seines Beitrags steht die Übersetzung des
Kapitels bezüglich der Ḥisba aus al-Māwardīs bekanntestem Werk, „al-Aḥkām
as-sulṭāniyya“. Die Ḥisba ist ein Beispiel, wie es islamischen Gelehrten schon
früh gelang, Rationalität und Tradition miteinander in Einklang zu bringen. Im
Mittelpunkt der Ḥisba steht das rationale Reflektieren der Schrift, weshalb sie von
elementarer Relevanz für die Orthopraxie eines Muḥtasibs ist.

Bei seiner Beschäftigung mit al Ghazali widmet sich David Burell dem Begriff
Tawakkul. Er hebt die rationale Basis von Tawakkul hervor, vergleicht es mit Vor-
stellungen von Vertrauen in Judentum und Christentum und verdeutlicht schließ-
lich die Rolle von Tawakkul zur Definition von al Ghazalis Glaubensbegriff.
Darüber hinaus bietet Burell eine längere Übersetzung aus dem Buch „Tawak-
kul in Ihya’ ‘Ulum al-Din“ ins Englische.

Beschlossen wird der Band mit Daro Alanis Betrachtungen zu Herz- und Ver-
nunfterkenntnis in der islamischen Mystik. Mystik und Rationalität, häufig als
Gegenpole angesehen, können in einer sog. Herzerkenntnis, d. h. der Betrachtung
der innerlichen Seite einer Sache, zueinander finden. Für Alani bedeutet die mys-
tische Herzerkenntnis eine Erweiterung der Erkenntnis durch Vernunft. Er bezieht
sich in seinen Ausführungen auf den Mystiker Ibn ͑Arabī und die Lehre von der
Einheit des Seins. Auch wenn durch Herzerkenntnis Zugänge zu wahrem Wissen
über das Sein gefunden werden können, bleibt sie einmalig und persönlich und
kann nicht als allgemeingültige Wahrheit postuliert werden.

Maha El Kaisy-Friemuth
I Die
 Anfänge der Rationalität in der Islamischen
Theologie
Omar Hamdan
Die Anfänge qadaritischer und
muʿtazilitischer Theologie
Die Anfänge der Muʿtazila bedürfen nach wie vor einer näheren Untersuchung.
Zwar weiß man, dass diese Strömung auf die sog. Qadariyya zurückgeht, doch
über die theologischen Grundsätze letzterer ist nur äußerst wenig bekannt. Das
Problem beginnt bereits mit der Definition des Begriffs qadar. Wofür dieser Termi-
nus ursprünglich stand, ist angesichts der spärlichen und inhaltlich oft dünnen
Verweise in den frühislamischen Quellen alles andere als gesichert.
Dasselbe lässt sich auch hinsichtlich der Personen sagen, die in späteren
Quellen als erste Qadariten ausgewiesen werden. Zu diesen gehören u. a. die
beiden aus Baṣra stammenden Gelehrten Maʿbad al-Ǧuhanī (80/699) und Qatāda
b. Diʿāma as-Sadūsī (118/736). Ferner lassen sich Wāṣil b. ʿAṭāʾ (131/748) und ʿAmr
b. ʿUbayd (144/761) nennen, die in den Quellen nicht nur als erste Qadariten,
sondern häufig auch als erste Muʿtaziliten beschrieben werden. Solche Zuord-
nungen basieren allerdings nicht selten auf dem Interesse späterer Autoren, die
ihre eigene Denkschule durch die Berufung auf eine frühislamische Autorität zu
legitimieren suchten. Eine Auseinandersetzung mit den tatsächlichen theologi-
schen Grundsätzen dieser Autoritäten erfolgte in der Regel jedoch nicht. Statt-
dessen begnügte man sich mit einer bloßen Etikettierung des Gelehrten. Dieser
Umstand erschwert nicht allein die Aufspürung der muʿtazilitischen Anfänge,
sondern auch diejenige der frühen islamischen Theologie im Allgemeinen. Dem-
entsprechend lässt sich auch die große Zurückhaltung der Wissenschaft erklären,
wenn es um das 1. Jahrhundert der Hidschra geht. Selbst ein Experte wie Josef van
Ess klammert diese Epoche in seinem Lebenswerk weitgehend aus und widmet
sich verstärkt der islamischen Gelehrsamkeit des 2. und 3. Jahrhunderts.
Man könnte nun die Frage stellen, warum die islamischen Quellen über die
frühe qadaritische Theologie schweigen. Wussten die Autoren des 2. und 3. Jahr-
hunderts dazu wirklich nichts Genaueres oder zogen sie es bewusst vor, nicht
davon zu berichten, weil etwa die Generation der Prophetengefährten (aṣ-ṣaḥāba)
und ihrer Nachfolger (at-tābiʿūn) als unantastbar galt? In der Tat scheint vieles
dafür zu sprechen, dass die späteren Gelehrten keine detaillierten Angaben über
das Problem des qadar machen wollten. Demnach sind unsere heutigen Infor-
mationen dazu auch sehr spärlich.
Gibt es dennoch eine Möglichkeit, die begrifflich-konzeptionellen Anfänge
des qadar und somit die Ursprünge muʿtazilitischen Denkens im 1. Jahrhundert
nachzuzeichnen? Die früheren Gelehrten – wie etwa al-Ḥasan b. Muḥammad b.
al-Ḥanafiyya (100/718), ʿUmar b. ʿAbd al-ʿAzīz (101/720) oder al-Ḥasan al-Baṣrī

https://doi.org/10.1515/9783110588576-003
4 Omar Hamdan

(110/728) – zugeschriebenen Traktate können hierbei nicht als zuverlässige


Quellen betrachtet werden. Dasselbe gilt für Texte, die zwar über die ersten
Muʿtaziliten und deren Lehren berichten, jedoch aus dem 3. Jahrhundert und
später stammen. Viel aussichtsreicher erscheint demgegenüber eine Untersu-
chung der nicht anerkannten koranischen Lesarten (qirāʾāt), welche auf frühe
Qadariten und Muʿtaziliten, wie beispielsweise den bereits erwähnten ʿAmr b.
ʿUbayd, aber auch auf Mūsā b. Sayyār al-Uswārī (circa 150/767) oder ʿAmr b. Fāʾid
al-Uswārī (gest. nach 200/815), zurückgehen. Die Entscheidung für die eine oder
andere Lesung eines bestimmten Wortes oder Verses im Koran kann nämlich sehr
viel über die jeweilige theologische Sichtweise aussagen, mit der man an den
Offenbarungstext herangetreten ist.
Anhand diverser Beispiele hofft der Verfasser, in diesem Beitrag Genaueres
über die Grundlagen der frühen qadaritischen sowie muʿtazilitischen Theologie
ans Licht zu bringen. Dabei wird auch untersucht werden, was die beiden Denk-
schulen verbindet und in welchen Punkten sich ihre Wege trennen. Schließlich
soll anhand des Befunds geprüft werden, inwieweit die Quellen, die sich mit der
frühen Qadariyya und Muʿtazila befassen, ein plausibles Zeugnis von ihren theo-
logischen Unterschieden geben.
Als grundlegende Quelle zu den unterschiedlichen Koranlesungen wird im Fol-
genden auf das Werk Kitāb al-kāmil fī l-qirāʾāt al-ḫamsīn von al-Huḏalī (465/1073)
einzugehen sein. Es ist die einzige umfassende Enzyklopädie zu den koranischen
Lesarten, welche uns erhalten ist. Wie der Titel bereits verrät, behandelt sie ins-
gesamt 50 qirāʾāt unter Berücksichtigung von 1459 riwāyāt (sg. riwāya) und ṭuruq
(sg. ṭarīq). Bei zehn der enthaltenen qirāʾāt handelt es sich um kanonische Les-
arten, während die restlichen 40 außerkanonisch sind. Das Werk liefert uns somit
umfangreiches, auf die islamische Frühzeit zurückgehendes Material. Die älteste
der 50 überlieferten qirāʾāt geht dabei auf al-Ḥasan al-Baṣrī zurück, der bei der
Entwicklung der theologischen Ansätze in Baṣra im 1. Jahrhundert der Hidschra
zweifelsfrei eine zentrale Rolle spielte. Seine Lesetradition stellt eine Art iḫtiyār
dar. Sie ist also eine eigene Auswahl, deren besonderes Merkmal darin besteht,
dass sie der Koranexegese al-Ḥasan al-Baṣrīs entspricht bzw. an diese angepasst
ist. Dessen Vorgehen kommentiert al-Huḏalī demnach wie folgt: wa-ḫtāra ḫtiyāran
yuwāfiqu t-tafsīra1. Mit anderen Worten: Der iḫtiyār diente al-Ḥasan al-Baṣrī zur
Unterstützung bzw. zur Legimitation seiner Koranauslegung. Dadurch ergibt
sich eine enge, jedoch harmonische Kombination zwischen tafsīr und qirāʾa. Da
sich diese beiden Teile nicht voneinander trennen lassen, repräsentiert al-Ḥasan
al-Baṣrīs Lesart eine gute Referenzquelle im Falle von Widersprüchen oder Abwei-

1 Kitāb al-Kāmil, Bd. 1, 194.


Die Anfänge qadaritischer und muʿtazilitischer Theologie 5

chungen innerhalb des von ihm überlieferten Korankommentars. Sein iḫtiyār wird
im Kitāb al-Kāmil von fünf seiner Schüler sowie von 18 weiteren Gewährsleuten
überliefert, die direkte oder indirekte Schüler von ihm waren. Unter den fünf
Hauptüberlieferungen ist diejenige von ʿAmr b. ʿUbayd zu finden.
Al-Ḥasan al-Baṣrīs Umgang mit dogmatischen und theologischen Ansätzen
im Koran wurde von manchen seiner Schüler, insbesondere von ʿAmr b. ʿUbayd
übernommen. Er studierte lange Zeit bei seinem Lehrer und überlieferte sowohl
dessen tafsīr als auch dessen iḫtiyār. Die frühe von ʿAmr b. ʿUbayd vertretene
Qadariyya aus Baṣra adaptierte al-Ḥasan al-Baṣrīs Methoden somit, um ihre
qadaritischen Lehrmeinungen koranisch zu untermauern.
Um al-Ḥasan al-Baṣrīs Verknüpfung von tafsīr und qirāʾa2 sowie die Inter-
pretationsmethoden anderer Gelehrten seiner Zeit zu demonstrieren, sollen nach-
folgend anhand ausgewählter Beispiele einige theologische sowie dogmatische
Themen präsentiert und analysiert werden.

1 Die Unfehlbarkeit der Engel


Bezüglich der theologischen Debatte, ob die Engel sündenfrei seien oder nicht,
herrscht keine Einstimmigkeit unter den Theologen. Die Mehrheit vertritt die Auf-
fassung, dass sie nicht zur Sünde fähig sind, und argumentiert dabei mit dem
Koran, d. h. sie beruft sich auf bestimmte Verse, die dafür sprechen, wie zum Bei-
spiel 66:6, wo es heißt: „Sie sind gegen den Befehl Allāhs nicht ungehorsam. Sie
tun, was ihnen aufgetragen ist“. In 21:20 lesen wir ferner: „Sie preisen Allāh bei
Nacht und Tag und setzen dabei nicht aus“.
Al-Ḥasan al-Baṣrī zählt als einer der frühen Vertreter dieser Lehrmeinung.
Er scheint in dieser dogmatischen Frage jedoch einen Schritt weiterzugehen als
seine Zeitgenossen, indem er sich bemüht, diejenigen Koranstellen, die gegen die

2 Die Übereinstimmung zwischen al-Ḥasan al-Baṣrīs Tafsīr und seiner Lesart [Beispiele: Q. 9:12
in al-Muḥarrar al-waǧīz, Bd. 3, 12 und al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 5, 15, Q. 75:1–2 in at-Tafsīr al-kabīr,
Bd. 15, T. 30, 190 u. 191] stellt einen von drei Hinweisen dar, die sicher für die Authentizität des
von ihm überlieferten Kommentars sprechen. Den zweiten Hinweis liefert die Übereinstimmung
des tafsīr von Qatāda b. Diʿāma (118/736) mit demjenigen von al-Ḥasan al-Baṣrī, denn Ersterer
vertrat in seinem Kommentar zumeist die Meinung seines Meisters. Die Beispiele hierfür – zum
Beispiel Tafsīr aṭ-Ṭabarī, Bd. 12, 744 § 38330 (Q. 112:2) – sind zahlreich. Als dritten Hinweis für die
Echtheit lässt sich die Mehrzahl der tafsīr-Überlieferungen von al-Ḥasan al-Baṣrīs Schülern an-
führen. Letztere tradieren bezüglich einzelner Koranstellen nämlich dieselben – bzw. dem Sinn
nach sehr ähnliche – Auslegungen und Inhalte. Dies ist etwa bei Tafsīr aṭ-Ṭabarī, Bd. 12, 748–9
§ 38365/69/70 belegt, wo drei Überlieferer erwähnt werden.
6 Omar Hamdan

Sündenlosigkeit der Engel zu sprechen scheinen, anders zu lesen, wie zum Bei-
spiel:

2:102 wa-mā unzila ʿalā l-malakayni bi-Bābila Hārūta wa-Mārūta („Und was auf
die beiden Engel in Babel, Hārūt und Mārūt, herabgesandt worden war“)
> […] ʿalā l-malikayni3 […] („… auf die beiden Könige …“)

Wie zu sehen ist, betrachtet al-Ḥasan al-Baṣrī Hārūt und Mārūt nicht als Engel,
sondern als zwei chaldäische Könige. Seine Lesart verfolgt somit den Zweck, den
aus seiner Sicht anstößigen Gedanken zu beseitigen, dass irgendwelche Sünden
auf die Engel zurückgeführt werden könnten. Er erreicht dies, indem er Hārūt
und Mārūt zu Menschen erklärt. Ibn Qutayba (276/889) führt eine auf al-Ḥasan
al-Baṣrī zurückgehende Überlieferung an, die besagt, dass er 2:102 so zu lesen
pflegte und die malikān bi-Bābil als „zwei ungehobelte Kerle aus Babel“ (kāna
yaqraʾuhā ka-ḏālika wa-yaqūlu: ʿilǧāni min ahli Bābila)4 deutete.
In diesem Zusammenhang hat al-Ḥasan al-Baṣrī auch Iblīs einbezogen, der
Adam bekanntlich die Ehrerbietung verweigerte. Da dieser Ungehorsam die Sün-
denlosigkeit der Engel grundsätzlich in Frage stellt, erachtet ihn al-Ḥasan al-Baṣrī
nicht für einen Engel, sondern für einen Dämon (ǧinnī), wobei er seine Meinung
mit einem anderen Koranvers, nämlich 18:50 rechtfertigte: kāna mina l-ǧinni („Er
war einer von den Dschinn“).

2 Die Sündenlosigkeit der Propheten

2.1 M
 uḥammad

Der Schutz vor Tötung im Kampf (al-ʿiṣma ʿan al-qatl fī maʿraka)


3:146 wa-ka-ayyin min nabiyyin qutila maʿahū ribbiyyūna [kanon. Lesart] wa-ka-
ayyin min nabiyyin qātala … [kanon. Lesart]5

In der theologischen Frage nach dem göttlichen Schutz für den Propheten ver-
tritt al-Ḥasan al-Baṣrī die dogmatische Lehre, dass Muḥammad im Kampf nicht

3 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 64.


4 Siehe Hamdan, Studien, 292; auch van Ess, Theologie und Gesellschaft, Bd. 3, 46.
5 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 198; auch Ibn Muǧāhid (324/936), K. as-Sabʿa fī l-qirāʾāt, 217 § 35, Ibn
Mihrān 381/991), al-Mabsūṭ fī l-qirāʾāt al-ʿašr, 169 § 35.
Die Anfänge qadaritischer und muʿtazilitischer Theologie 7

hätte getötet werden können. Dabei stützt er sich auf eine Lesung von 3:146, wo
es eigentlich heißt: wa-ka-ayyin min nabiyyin qutila maʿahū ribbiyyūna („Und so
manchen Propheten gab es, der (im Kampf) getötet wurde, während viele Scharen
ihm zur Seite standen“). Al-Ḥasan al-Baṣrī liest hier statt dem passiven qutila (I.)
das aktive qātala (III.) und folgt damit einer anderen kanonischen Lesart (qātala)6,
aus welcher die mögliche Tötung des Propheten im Kampf nicht hervorgeht. Im
Deutschen lautet der Sinn des Verses nun vielmehr: „Und so manchen Propheten
gab es, mit dem viele Scharen gekämpft haben“. Al-Ḥasan al-Baṣrī begründet seine
Lesart anhand eines angeblich historischen Tatbestands, denn nie sei ein Prophet
im Kampfe getötet worden7. Auch Saʿīd b. Ǧubayr (95/713) teilt diese Auffassung.8
Für die Lesung qutila spricht allerdings der Vers 3:144, wo gefragt wird:
a-fa-in māta aw qutila … („Wenn er nun aber [eines friedliches Todes] stirbt oder
[im Kampf] getötet wird …?“). Diese Meinung vertritt etwa Ibn ʿAbbās (68/687),
welcher es gleichfalls für möglich hält, dass der Prophet grundsätzlich getäuscht
oder betrogen werden konnte. Er fragt: an-nabiyy[u] yuqtalu; fa-kayfa lā yuḫānu?
(„Der Prophet kann getötet werden. Wie soll er dann nicht auch betrogen werden
können?“)9. Da diese Koranstelle so deutlich und ihre Lesart unumstritten ist,
scheint al-Ḥasan al-Baṣrī offenbar dazu gezwungen zu sein, seine verallgemei-
nernde Haltung dazu lediglich auf die Gesandten zu beschränken, die Gesetz-
bücher erhielten10.

Der Schutz vor Betrug (al-ʿiṣma ʿan al-ḫiyāna/al-ġulūl)


3:161 wa-mā kāna li-nabiyyin an yaġulla [kanon. Lesart (+3 Leser)] > … yuġalla
[kanon. Lesart (sechs Leser)]11

Der von Ibn ʿAbbās (68/687) erwähnte Betrug bezieht sich auf 3:161, wo gesagt
wird: „Es steht keinem Propheten zu, dass er veruntreut […] (wa-mā kāna li-na-

6 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 198. So lasen auch Abū Ǧaʿfar und andere [ibid.]. Das ist auch der iḫtiyār
von al-Huḏalī, denn nach ihm ist es nie überliefert, dass irgendein Prophet im Kampf getötet
wurde (wa-huwa l-iḫtiyāru, li-annahū lam yurwa anna nabiyyan qutila fī l-maʿrakati) [ibid.]. Diese
Begründung geht auf al-Ḥasan al-Baṣrī zurück (siehe dazu nachfolgende Fußnote).
7 Aṭ-Ṭūsī (460/1067), at-Tibyān fī tafsīr al-Qurʾān, Bd. 3, 11 (ʿalā maḏhabi l-Ḥasani fī annahū lam
yuqtal nabiyyun qaṭṭu fī maʿrakatin) und as-Samīn al-Ḥalabī (756/1355), ad-Durr al-maṣūn, Bd. 3,
428 (li-annahū lam yuqtal nabiyyun fī ḥarbin).
8 Al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 3, 73.
9 Hamdan, Studien, 288.
10 Yaḥyā b. Sallām (200/815), Tafsīr Yaḥyā b. Sallām, Bd. 2, 848 [Q. 37:173] (tafsīru l-Ḥasani: lam
yuqtal mina r-rusuli, aṣḥābi š-šarāʾiʿi, aḥadun).
11 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 206–207; auch Hamdan, Studien, 288.
8 Omar Hamdan

biyyin an yaġulla …)“. Es geht in diesem Vers, der offensichtlich im Kontext des
Siegs bei Badr steht, um die Verteilung der Beute12. Nach der kanonischen Lesart
yaġulla [I., aktiv]13 bezieht sich die Aussage direkt auf den Propheten und erklärt,
dass er nicht betrügen dürfe. Gemäß einer anderen kanonischen Lesart, nämlich
yuġalla [I., passiv]14, ist keine Rede von Veruntreuung, sondern davon, dass kein
Prophet betrogen werden könne). Al-Ḥasan al-Baṣrī wählt folglich letztere qirāʾa
und legt den Vers dementsprechend aus15. Damit wird der Eindruck, auf den die
Lesart yaġulla schließen lässt, beseitigt. Die Vorstellung, dass der Prophet etwas
von der Beute hätte unterschlagen wollen, wies al-Ḥasan al-Baṣrī offenbar als
ungerechtfertigte Verdächtigung zurück16.

Der Schutz vor Irrtum (al-ʿiṣma ʿan aḍ-ḍalāl)


18:51 wa-mā kuntu muttaḫiḏa l-muḍillīna ʿaḍudan > … kunta …17

Nachdem Allāh ausdrücklich klargestellt hat, dass er Iblīs und seine Nachkom-
menschaft weder bei der Schöpfung der Himmel und Erde noch bei ihrer eigenen
Schöpfung zu Zeugen genommen hat, fügt er nach der kanonischen Lesart kuntu
ferner hinzu: „Ich habe auch die Verführer nicht als Beistand genommen“. Dem-
gegenüber gibt es eine weitere Lesart kunta, die auch kanonisch ist und von
mehreren autoritativen Koranmeistern – wie al-Ḥasan al-Baṣrī, ʿĀṣim al-Ǧaḥdarī
(beide aus Baṣra), Abū Ǧaʿfar und Šayba b. Niṣāḥ (beide aus Medina) – tradiert
wird. Nach dieser spricht Allāh den Propheten Muḥammad folgendermaßen an:
„Du nimmst dir keine Verführer als Beistand“. Dazu schreibt der Korankommen-
tator Abū Ḥayyān al-Andalusī (745/1344) folgendes: „Damit Er (d. h. Allāh) seine
Gemeinde wissen lässt, dass er (d. h. der Prophet) schon von Geburt an geschützt

12 Tafsīr aṭ-Ṭabarī, Bd. 3, 498–500.


13 So lasen Ibn Kaṯīr, Abū ʿAmr, ʿĀṣim und Yaʿqūb nach der Überlieferung von Rawḥ und Zayd.
Siehe Ibn Mihrān, al-Mabsūṭ, 171 § 42, al-Huḏalī, Kitāb al-kāmil, Bd. 5,206.
14 So lasen Abū Ǧaʿfar, Nāfiʿ, Ibn ʿĀmir, Ḥamzah, al-Kisāʾī (189/805), Ḫalaf und Yaʿqūb nach der
Überlieferung von Ruways. Siehe Ibn Mihrān, al-Mabsūṭ, 170–171 § 42, al-Huḏalī, Kitāb al-Kāmil,
Bd. 5, 207.
15 Saʿīd b. Manṣūr (227/842), Sunan, Bd. 3, 1101–1102 § 563–537 (ḥaddaṯanā Saʿīdun, qāla: nā
Hušaymun: anā Muġīratu ʿan Ibrāhīma wa-anā ʿAwfun ʿani l-Ḥasani annahumā kānā yaqraʾāni
(wa-mā kāna li-nabiyyin an yuġalla). ḥaddaṯanā Saʿīdun, qāla: nā Hušaymun, qāla: nā ʿAwfun ʿani
l-Ḥasani, qāla: an yuḫāna); auch Tafsīr aṭ-Ṭabarī, Bd. 3, 500 § 8150.
16 Hamdan, Studien, 288.
17 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 483 (nach al-Ḥasan al-Baṣrī u. anderen) und al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-
Qurʾān, Bd. 22, 346.
Die Anfänge qadaritischer und muʿtazilitischer Theologie 9

war, weil Er […] sich einen Irreführenden weder zum Helfer nahm noch sich ihm
zuneigte“18.
Damit wird nicht nur die sündenfreie Präexistenz des Propheten Muḥammad
im Koran belegt19, sondern Allāh spricht ihm nach dieser Lesart vielmehr eine Art
Unfehlbarkeit zu20.

63:4 wa-iḏā raʾaytahum tuʿǧibuka aǧsāmuhum wa-in yaqūlū tasmaʿ li-qawlihim


> … yusmaʿ

Dieser Vers erweckt den Eindruck, als lasse sich der Prophet durch die Heuchler
täuschen und als höre er dem zu, was sie sagen. Nach der kanonischen Lesart
heißt es: „Und wenn du sie siehst, gefällt dir ihr Äußeres, und wenn sie reden,
hörst du ihren Worten zu“. Hingegen heißt es aber nach der passiven Lesart wie
folgt: „Und wenn sie reden, werden ihre Worte gehört“. Damit wird der Prophet
von denjenigen abgesondert, welche den Heuchlern zuhören.21
Da das Pronomen ka (2. Ps. Sing.) in tuʿǧibuka orthographisch nicht weg-
gelassen werden kann, lässt sich die Stelle nur dahingehend auslegen, dass man
die direkte und allein an den Propheten gerichtete Ansprache verallgemeinert.
Demnach wäre nicht nur der Prophet, sondern vielmehr jeder Einzelne Hörer des
Verses angesprochen.22

93:7 wa-waǧadaka ḍāllan fa-hadā > wa-waǧadaka ḍāllun fa-hudiya23

Es handelt sich bei der Sūrat aḍ-Ḍuḥā um eine frühmekkanische Sure, welche
laut gängiger Meinung nach der sog. „Offenbarungspause“ (inqiṭāʿ al-waḥy oder
fatrat al-waḥy) herabgesandt wurde. Darin wird unter anderem über die Kindheit
des Propheten und seine Jugend, also über die Zeit vor der prophetischen Ver-
kündigung, berichtet.
Nach der Lesart ḍāllan heißt der Vers wörtlich: „Hat Er (d. h. Allāh) dich
(nicht) irregehend gefunden und dann rechtgeleitet?“ Dementsprechend sind
Allāh das Subjekt und der Prophet das Akkusativobjekt. Für die Deutung des

18 Al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 6, 137.


19 Hamdan, Studien, 287.
20 Vgl. dazu Q. 48:9 und 94:4.
21 Hamdan in ar-Risāla (1997), 348.
22 az-Zamaḫšarī, al-Kaššāf, Bd. 4, 109 (wal-ḫiṭābu fī raʾaytahu tuʿǧibukaī li-rasūli l-Lāhi aw li-
kulli man yuḫāṭabu).
23 Al-Māwardī (450), an-Nukat wal-ʿuyūn, Bd. 6, 294, ʿIyāḍ (544), aš-Šifāʾ bi-taʿrīf ḥuqūq al-
Muṣṭafā, Bd. 2, 264 und al-Qurṭubī (671/1273), al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-Qurʾān, Bd. 22, 346.
10 Omar Hamdan

betreffenden Wortes führt al-Māwardī (450/1058) neun Auslegungen auf.24 Der


anstößige Gedanke, dass der Prophet vor der Berufung auf dem Irrweg gewesen
sei, wird durch die außerkanonische und vom ʿuṯmānischen Text deutlich abwei-
chende Lesart ḍāllun beseitigt. Al-Māwardī und al-Qurṭubī (671/1273) überliefern
diese Lesart von al-Ḥasan al-Baṣrī (110/728), während der andalusische Qāḍī ʿIyāḍ
(544/1149) sie auf al-Ḥasan b. ʿAlī (50/670) zurückführt und mit der Erklärung
fa-htadā bika versieht. Liest man ḍāllun in Verbindung mit dieser Notiz, so ergibt
sich folgender Sinn: „Hat ein Irrender dich (nicht) gefunden und sich (durch dich)
rechtleiten lassen?“. Damit ist nunmehr ḍāllun das Subjekt und nicht Allāh. Diese
Lesart ließe sich folglich als Beweis für die zukünftige Prophetie Muḥammads
betrachten, der sich stets auf dem rechtem Weg befand und die Menschen zu
diesem Weg führte25.

Der Schutz vor Vergesslichkeit (al-ʿiṣma ʿan an-nisyān)


2:106 mā nansaḫ min āyatin aw nunsihā naʾti bi-ḫayrin minhā aw miṯlihā („Tilgen
Wir einen Vers oder lassen ihn in Vergessenheit geraten, so bringen Wir
[dafür] einen besseren oder einen gleichen.“)

Neben dieser kanonischen Lesart nunsihā gibt es eine weitere kanonische Lesart
nansaʾhā.26 Letztere ermöglicht, dass die Herabsendung eines Verses von Allāh
zeitlich verschoben werden kann. Demnach heißt es: „Tilgen Wir einen Vers oder
verschieben ihn (auf später), so bringen Wir (dafür) einen besseren oder einen
gleichen“. In beiden Lesarten ist Allāh jeweils der Urheber. Zudem gibt es eine
außerkanonische Lesart, nämlich tansahā27, welche dem Propheten die Möglich-
keit des Vergessens zuschreibt. Demnach lautet der Vers: „Tilgen Wir einen Vers
oder vergisst du ihn, so bringen Wir (dafür) einen besseren oder einen gleichen“.
Auf diese Weise sollen der Prophetengefährte Saʿd b. Abī Waqqāṣ (55/675) aus
Medina sowie al-Ḥasan al-Baṣrī und Yaḥyā b. Yaʿmar al-ʿAdwānī (129/746), beide
aus Baṣra, gelesen haben.28 Wegen seiner Lesart wurde Saʿd von seinen Lands-
leuten kritisiert. Man sagte zu ihm: „Saʿīd b. al-Musayyib (94/713) liest (aber)
nunsihā“. Darauf reagierte Saʿd: Wahrlich, der Koran wurde weder al-Musayyib

24 An-Nukat wal-ʿuyūn, Bd. 6, 294.


25 Hamdan, Studien, 239–240.
26 Ibn Mihrān, al-Mabsūṭ, 134 § 108.
27 Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 9 [Saʿd b. Abī Waqqāṣ] und al-Muḥtasab, Bd. 1, 103 [Saʿd b. Abī Waqqāṣ,
al-Ḥasan al-Baṣrī u. Yaḥyā b. Yaʿmar].
28 Ḥawāšī kitāb al-badīʿ 92 [Saʿd b. Abī Waqqāṣ], al-Muḥtasab 1/103 [al-Ḥasan al-Baṣrī und Yaḥyā
b. Yaʿmar]; vgl. Jeffery in RSO 18 (1940) 219.
Die Anfänge qadaritischer und muʿtazilitischer Theologie 11

noch seinem Sohn (Saʿīd b. al-Musayyib) offenbart“, worauf er folgende Verse


rezitierte: sa-nuqriʾuka fa-lā tansā [Q. 87:6] und wa-ḏkur rabbaka iḏā nasīta [Q.
18:24].29 Damit meinte Saʿd offenbar, dass die Vergesslichkeit des Propheten
Muḥammad im Koran belegt sei und er demnach nicht davor geschützt war.30

2.2 N
 oah

11:42 wa-nādā Nūḥun-i bnahū („Noah aber rief seinem Sohn (zu)“) > … bnahā/
bnaha31

Es ist unter den frühen Koranexegeten umstritten, ob mit dem an dieser sowie an
weiteren Stellen – vgl. yā bunayya („O, mein Sohn“, 11:42) und inna bnī („siehe,
mein Sohn“, 11:45) – erwähnten Sohn ein Sohn Noahs oder aber der Sohn eines
Anderen gemeint ist. Die Mehrheit der Gelehrten vertritt die Haltung, dass es
sich bei ihm in der Tat um einen Sohn Noahs handle. ʿAlī b. Abī Ṭālib (40/661),
Muḥammad b. ʿAlī al-Bāqir (114/732), ʿUrwa b. az-Zubayr (93/712) [tābiʿī aus
Medina], Muǧāhid (104/722), al-Ḥasan al-Baṣrī, Muḥammad b. Sīrīn (110/729),
ʿUbayd b. ʿUmayr al-Makkī (74/693) und Ibn Ǧurayǧ (150/767) vertraten hingegen
die Meinung, dass er kein Sohn Noahs sei.
ʿAlī wurde die Lesart ibnahā statt ibnahū zugeschrieben. Demnach würde sich
das Possessivpronomen auf Noahs Frau und nicht auf Noah beziehen. Diese Lesart
ist etwas ungünstig, da sie vom Konsonantentext (rasm) abweicht. Einen besseren
Versuch stellt hingegen die außerkanonische Lesart von al-Bāqir, ʿUrwa und Abū
ʿImrān al-Ǧawnī dar, denn sie schlugen ibnaha vor, wodurch keine Abweichung
vom rasm entsteht. Die fatḥa reicht in diesem Falle als Hinweis auf das Posses-
sivpronomen -hā aus.32 Somit wird der anstößige Gedanke, dass Noah mitunter
von seiner Frau betrogen wurde, beseitigt: Wenn Noah nämlich den Sohn seiner
Frau ruft, so suggeriert dies, dass er über sein persönliches Verhältnis zu dem
Gerufenen Bescheid weiß. Der Sohn könnte folglich aus der ersten Ehe seiner Frau
stammen, aber keinesfalls ein Kind sein, dass Noahs Frau durch Ehebruch emp-
fangen und ihrem nichts ahnenden Mann somit „untergeschoben“ hätte.

29 Hamdan, Studien, 289.


30 Tafsīr aṭ-Ṭabarī, Bd. 1, 522 § 1758–1760.
31 Al-Kaššāf, Bd. 2, 270, at-Tafsīr al-kabīr, Bd. 9, T. 17, 185, ad-Durr al-maṣūn, Bd. 6, 329.
32 Al-Kaššāf, Bd. 2, 270 (fa-ktafayā bil-fatḥati ʿani l-alifi), at-Tafsīr al-kabīr, Bd. 9, T. 17, 185 (an-
nahumā ktafayā bil-fatḥati ʿani l-alifi) und ad-Durr al-maṣūn, Bd. 6, 329 (muǧtaziʾan ʿanhā bil-
fatḥati).
12 Omar Hamdan

In der frühen Koranexegese während der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts


wurde diese Frage heiß debattiert. In der mekkanischen tafsīr-Schule muss es
eine regelrechte Auseinandersetzung darüber gegeben haben. Ibn ʿAbbās und die
Mehrheit seiner Schüler – wie zum Beispiel aḍ-Ḍaḥḥāk b. Muzāḥim (105/723),
ʿIkrima (105/723), Saʿīd b. Ǧubayr und Maymūn b. Mihrān al-Ǧazarī ar-Raqqī
(118/736) – vertraten die Auffassung, dass keiner der Propheten eine unzüchtige
Frau gehabt habe und dieser Sohn folglich ein leiblicher Sohn Noahs gewesen
sei33, während Muǧāhid, ʿUbayd b. ʿUmayr und Ibn Ǧurayǧ meinten, er sei nicht
sein leiblicher Sohn gewesen.
Die baṣrische tafsīr-Schule, vertreten durch al-Ḥaṣan al-Baṣrī, war ebenfalls
der Ansicht, dass der Sohn kein leiblicher Sohn Noahs gewesen sei. Al-Ḥasan
al-Baṣrī stützt seine Haltung auf zwei Koranverse, nämlich: innahū ʿamalun
ġayru ṣāliḥin („Das ist keine rechtschaffene Tat“, 11:46), und: fa-ḫānatāhumā („so
betrogen sie beide ihre beiden [Männer]“, 66:10).34 Unter seinen Schülern wurde
die Frage jedoch diskutiert. Auffällig war dabei insbesondere Qatāda, welcher
seinem Meister in diesem Punkt widersprach. Dass es sich bei dem Sohn um
einen Sohn Noahs handelte, bekräftigte er anhand zweier Koranverse, nämlich:
inna bnī min ahlī („wahrlich, mein Sohn gehört zu meinen Leuten“, 11:45), und:
wa-nādā Nūḥun-i bnahū (11:42). Ferner argumentierte Qatāda, dass die Besitzer
der beiden Schriften (d. h. Juden und Christen) darüber einig seien, dass besagte
Person Noahs Sohn gewesen sei. Al-Ḥasan al-Baṣrī erwiderte in Bezug auf inna
bnī min ahlī (11:45), dass Noah nicht „von mir“, sondern „von meiner Ehefrau“
gemeint habe. Über Qatādas Rekurs auf die Meinung der Juden und Christen sagte
er abwertend: „Wer nimmt seinen Glauben schon von den Schriftbesitzern? Sie
lügen!“ Sodann rezitierte er fa-ḫānatāhumā (66:10)35.
Al-Ḥasan al-Baṣrīs Einstellung gegenüber Juden und Christen ist somit ein-
deutig. Was die Religion – also u. a. ihre theologischen und dogmatischen Grund-
sätze – anbelangt, so ist für ihn der Koran entscheidend und nicht das, was die
Bibel oder die jüdischen und christlichen Auslegungen dazu berichten. Diese
Sichtweise steht im Einklang mit seiner Lehre, dass der Koran das Siegel aller
vorherigen heiligen Schriften sei.

33 Al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-Qurʾān, Bd. 11, 135.


34 Ibn Kaṯīr (774/1373), Tafsīr al-Qurʾān al-ʿaẓīm, Bd. 2, 464.
35 Al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-Qurʾān, Bd. 11, 135.
Die Anfänge qadaritischer und muʿtazilitischer Theologie 13

2.3 Abraham

21:63 qāla bal faʿalahū kabīruhum hāḏā > … fa-ʿallahū36

Parallel zu der Frage, ob die Engel sündenfrei seien oder nicht, stellte man sich
auch die Frage, ob der Prophet Muhammad bzw. die Propheten generell unfehlbar
seien oder nicht. Die qirāʾāt belegen frühe theologische Diskussionen darüber.
Die Methode von al-waqf wal-ibtidāʾ wird u. a. verwendet, um bestimmte pro­ble­
matische Stellen im Koran zugunsten der Sündenlosigkeit der Propheten aus­
zulegen. Dazu gehört die Koranstelle (qāla bal faʿalahū kabīruhum hāḏā) („Er
[d. h. Abraham] sagte: Nein! Vielmehr hat das dieser Große unter ihnen getan“,
21:63). Diese Aussage repräsentiert laut eines kanonischen Hadith einen der drei
Fälle, in denen Abraham gelogen haben soll. Solche Äußerungen, die im 3. Jahr-
hundert im Rahmen der Koranexegese im Sinne von maʿārīḍ interpretiert wurden,
versuchte man bereits im 2. Jahrhundert in Anlehnung an die qirāʾāt sowie die
Anwendung der Methode al-waqf wal-ibtidāʾ zu glätten. Der kufische Philologe
al-Farrāʾ (207/822) führt an, dass man statt faʿalahū vielmehr fa-ʿallahū las.37
Diese Lesart geht auf Ibn as-Samayfaʿ al-Yamānī (113/731), einen Koranleser aus
Baṣra, zurück.38 So heißt es: „Er sagte: Vielleicht hat das dieser Große unter ihnen
(getan)“. Diese Leseweise entschärft die mögliche Haltung, dass Abraham tat-
sächlich in diesem Kontext log, wenngleich die offensichtliche Lüge hier lediglich
durch eine irreführende Suggestion ersetzt wird und somit eine Notlüge bleibt.

2.4 J ona

21:87 wa-ḏā n-nūni iḏ ḏahaba muġāḍiban fa-ẓanna an lan naqdira ʿalayhi > …
muġḍaban / a-fa-ẓanna39 / nuqaddira40 / yuqaddara41

36 Maʿānī l-Qurʾān, Bd. 2, 206–207, Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 92, al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 6, 325; auch
Hamdan. In Risāla (1997), 342–343.
37 Maʿānī l-Qurʾān, Bd. 2, 206–207.
38 Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 92 und al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 6, 325.
39 Al-Muḥarrar al-waǧīz, Bd. 4, 97.
40 An-Nukat wal-ʿuyūn, Bd. 3, 466 [Ibn ʿAbbās], al-Muḥarrar al-waǧīz, Bd. 4, 97 [az-Zuhrī], Zād
al-masīr, Bd. 5, 264 [Yaḥyā b. Yaʿmar u. Ḥumayd b. Qays al-Makkī] und al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 6,
335 [az-Zuhrī].
41 Al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 6, 335 [ʿAlī b. Abī Ṭālib und al-Yamānī].
14 Omar Hamdan

Manche Exegeten lasen aus diesem Vers einen möglichen Groll Jonas gegen Allāh
heraus. Für sie klang der Vers so, als ginge Jona erzürnt von dannen, wobei er eine
schlechte Meinung von Allāh hatte und an seiner Macht zweifelte.42 Um einen
Ausweg dafür zu finden, legte man die Stelle so aus, dass Jona fortging, um für
die Sache Allāhs zu leiden.43 Manche lasen muġḍaban (Partizip Passiv, IV. Stamm)
statt muġāḍiban44, d. h. seine Landsleute haben ihn geärgert. Andere suchten die
Lösung beim nachfolgenden Wort fa-ẓanna und lasen stattdessen a-fa-ẓanna,
wodurch ein Fragesatz entsteht. Der Vers lautet dann: „Als er erzürnt von dannen
ging, da dachte er: Wird Allāh nichts wider mich vermögen?“45 Um Jonas Zweifel
an der Macht Allāhs zu beseitigen, lasen andere Gelehrte das Verb passivisch,
also yuqdara [I., qdr] statt naqdira [I., qdr]. Wieder andere interpretierten die von
naqdira abgeleitete Gottesmacht (qudra) im Sinne der Zuteilung des Lebensunter-
halts (taqdīr) um und lasen das Verb sodann alternativ im Aktiv, d. h. nuqaddira
[II., qdr], oder im Passiv, d. h. yuqaddara [II., qdr]. Dementsprechend wäre der
Vers so zu verstehen: „Da meinte er, dass Wir ihm keinen Lebensunterhalt zutei-
len würden/dass ihm kein Lebensunterhalt zugeteilt würde.“46

2.5 Josef und sein Bruder

12:81 irǧiʿū ilā abīkum fa-qūlū yā abānā inna -bnaka saraqa > … surriqa47

In diesem Vers geht es um Josephs jüngeren Bruder, in dessen Sack der Pokal
des Königs gefunden wurde. Nach der kanonischen Lesart saraqa wäre der Tat-
bestand des Diebstahls festgeschrieben, nämlich: „Kehrt zu eurem Vater zurück
und sagt: Vater! Dein Sohn hat gestohlen“. Gleichzeitig würde Josef, der den

42 Tafsīr Yaḥyā b. Sallām, Bd. 1, 335 (qāla Qatādatu: fa-ẓanna an lan nuʿāqibahū bimā ṣanaʿa).
43 Ebd., 335 (mukābidan li-dīni rabbihī fī tafsīri l-Ḥasani).
44 Zād al-masīr, Bd. 5, 263 [Abū Šaraf, Abū l-Mutawakkil, Abū l-Ǧawzāʾ, ʿĀṣim al-Ǧaḥdarī u. Ibn
as-Samayfaʿ].
45 Diese Lesart lässt sich im Deutschen nicht adäquat übersetzen, ohne dabei den Fragesatz
in einen Nebensatz auflösen zu müssen, daher ist sie an dieser Stelle etwas freier übertragen.
46 Hamdan in Risāla (1997) 344–345.
47 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 414 [al-Kisāʾī (nach den Überlieferungen von Ibn Abī Surayǧ (230/845),
Sawra b. al-Mubārak, Ṣāliḥ b. ʿĀṣim an-Nāqiṭ) und Abū Ḥaywa]; auch al-Farrāʾ, Maʿānī l-Qurʾān,
Bd. 2, 53 [ohne Namen], Maʿānī l-Qurʾān al-karīm des Naḥḥās 3/451–452 § 100 [Ibn ʿAbbās (68/687)
(nach der Überlieferung von Saʿīd b. Ǧubayr) und al-Kisāʾī (nach der Überlieferung von Aḥmad
b. Surayǧ al-Baġdādī)], Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 65, al-Muḥarrar al-waǧīz, Bd. 3, 270 und al-Baḥr
al-muḥīṭ, Bd. 5, 337.
Die Anfänge qadaritischer und muʿtazilitischer Theologie 15

Pokal heimlich in den Sack seines Bruders legen ließ, mit dieser Aussage lügen.
Hingegen präsentiert die außerkanonische Lesart surriqa („er ist des Diebstahls
bezichtigt worden“) lediglich einen Vorwurf, der noch nicht erwiesen ist und zu
welchem sich Josef folglich neutral äußert. Diese Lesart stellt den iḫtiyār von
al-Huḏalī dar.48 Man machte davon Gebrauch im öffentlichen Gebet (offenbar im
tarāwīḥ-Gebet) im Ramadan in Gegenwart des abbasidischen Kalifen al-Mustaẓhir
(512/1118), der nach dem Ende des Gebets dazu meinte, es sei eine gute Lesart,
wobei er seine Äußerung folgendermaßen begründete: „Dadurch werden die
Kinder der Propheten vom Lügen ferngehalten.“49
Dieser und ähnliche Fälle (zum Beispiel 21:63; 37:89) gaben Stoff für eine frühe
rechtliche sowie teilweise auch dogmatische Debatte, ob das Lügen – unabhängig
von der Person und egal ob im Ernst oder im Scherz – grundsätzlich erlaubt bzw.
in bestimmten Situationen besser als die Wahrheit sei. Mit dieser Frage befassten
sich zwei berühmte Gelehrte aus Syrien: Raǧā b. Ḥaywa (112/730) vertrat die erste
Haltung und Maymūn b. Mihrān war der zweiten Auffassung.50

3 D
 as Gottesbild

3.1 D
 ie Gottesschau

75:22–23 wuǧūhun yawmaʾiḏin nāḍiratun / ilā rabbihā nāẓiratun („An jenem Tag
wird es strahlende Gesichter geben, / die auf ihren Herrn schauen“] > … /
ilā rabbihā nāẓiratun („… die auf die Gnade ihres Herrn warten“)51.

Nach gängigem Verständnis besagt dieser Vers, dass die Gläubigen am Tag der
Auferstehung Allāh tatsächlich sehen werden. Das bedeutet also, dass die Got-
tesschau zur Wirklichkeit des Jenseits gehört. Die Muʿtazila leugnete allerdings
sowohl die Möglichkeit als auch die Tatsächlichkeit der Gottesschau. Folglich ver-
suchte sie, die hierfür einschlägigen Koranstellen anders zu lesen. So lasen sie
das in 75:23 vorkommende ilā beispielsweise nicht als Präposition im Sinne von
„hin“ oder „zu“, sondern als Nomen; als solches meint ilā aber „Wohltat“ bzw.
„Gnade“. Ohne Präposition bekommt das Partizip nāẓiratun gleichzeitig die Bedeu-

48 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 414.


49 As-Suyūṭī, Tārīḫ al-ḫulafāʾ, 344–345.
50 Dazu al-Farrāʾ, Maʿānī l-Qurʾān, Bd. 2, 53 und al-Mizzī, Tahḏīb al-kamāl, Bd. 29, 223.
51 Dazu siehe auch Q. 10:26 (wa-ziyādatun), 83:25/35 (yanẓurūna).
16 Omar Hamdan

tung von „erwarten“. Dementsprechend lautet der Vers dann: „(diejenigen,) die
auf die Gnade ihres Herrn warten“.
Dies ist eines der Beispiele für die Auslegung auf Basis der arabischen Phi-
lologie.

3.2 Das Geschaffen-Sein der Taten (ḫalq al-afʿāl)

113:1–2 qul aʿūḏu bi-rabbi l-falaqi / min šarri mā ḫalaqa („Sprich: Ich suche
Zuflucht beim Herrn des Frühlichts / vor dem Übel dessen, was Er erschaf-
fen hat“) > … / min šarrin mā ḫalaqa („… / vor einem Übel, das Er [d. h.
Allāh] nicht erschaffen hat“)52.

Nach der kanonischen Lesart von šarri mā als Genitivform im status constructus
wird alles Erschaffene auf Allāh zurückgeführt. Nuniert man das erste Wort
stattdessen zu šarrin, so wird das nachfolgende mā zu einer im Perfekt ver-
wendeten Verneinungspartikel. Die Nunation bewirkt also, dass Allāh nicht als
Verursacher des Übels erscheint53. Neben ʿAmr b. ʿUbayd las auch ʿAmr b. Fāʾid
al-Uswārī 113:2 so.
Ferner gibt es eine andere Lesart, welche einen ähnlichen Zweck verfolgt
und dabei in nahezu derselben Weise vorgeht. Da die Aufhebung des genannten
status constructus etwas auffällig ist, suchten andere dies zu vermeiden. Statt-
dessen vokalisierten sie das aktive Verb ḫalaqa zu ḫuliqa um, wodurch es nun
im Passiv stand. Der Vers würde demnach lauten: („Sprich: Ich suche Zuflucht
beim Herrn des Frühlichts / vor dem Übel dessen, was erschaffen worden ist).
Damit können hier andere Urheber von Üblem (zum Beispiel Menschen) in Frage
kommen, jedoch nicht unbedingt Allāh.
Dies ist eines der Beispiele für leichte Änderungen am Inlaut oder an der
Endvokalisation eines Wortes.

52 Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 79 u. 182 [nach ʿAmr b. Fāʾid], al-Muḥarrar al-waǧīz, Bd. 5, 538 [nach
ʿAmr b. ʿUbayd und manchen Muʿtaliziten].
53 Hamdan, Studien, 63.
Die Anfänge qadaritischer und muʿtazilitischer Theologie 17

3.3 Das Fernhalten Allāhs von bösen Taten

6:117 inna rabbaka huwa aʿlamu man yaḍillu ʿan sabīlihī (I., ḍll) > … yuḍillu (IV.,
ḍll)

So lasen al-Ḥasan al-Baṣrī und al-Kisāʾī (189/805) nach den beiden Überlieferun-
gen von Nuṣayr b. Yusūf (um 240/855) und Ibn Abī Surayǧ.
Nach der ersten Lesart wird die Irreführung ausdrücklich auf Allāh als Schöp-
fer zurückgeführt. Hingegen wird sie nach der zweiten Lesart auf den Menschen
als Geschöpf zurückgeführt. So trägt der Mensch die ganze Verantwortung.

17:16 wa-iḏā aradnā an nuhlika qaryatan amarnā mutrafīhā fa-fasaqū fīhā fa-
ḥaqqa ʿalayhā l-qawlu fa-dammarnāhā tadmīran (I.,) > … ammarnā (II.,
ʾmr) / amirnā (I., ʾmr) / āmarnā (IV., ʾmr) …54

Wie al-Ḥasan al-Baṣrī diese Stelle gelesen haben soll, dazu sind drei Lesarten zu
finden, die offenbar auf ihn zurückgehen. Die erste Lesart ist im Sinne von „herr-
schen bzw. regieren lassen“ zu verstehen, während die beiden letzten Lesarten
angeblich „vermehren“ meinen. Alle drei bezeugen al-Ḥasan al-Baṣrīs Anstren-
gungen, das betreffende Verb durch eine Vokaländerung umzumünzen. Diese
Umdeutungen bezwecken, „den bedenklichen Gedanken zu beseitigen, dass
Allāh selbst den im Luxus Lebenden zu freveln befehle, um dann die Stadt zer-
stören zu können“.55

9:37 zuyyina lahum sūʾu aʿmālihim > zayyana lahum sūʾa aʿmālihim56

Nach der Passiv-Lesart, die Ibn Masʿūd (32/653) und Zayd b. ʿAlī (122/740) zuge-
schrieben wird, ist das Subjekt unbekannt, also: „Das Böse ihrer Taten wurde
ihnen im schönsten Licht dargestellt“. Infolgedessen bleibt es unbestimmt. Es
könnte Allāh oder der Satan oder eine dritte Seite sein. Dasselbe bewirkt im
Grunde auch die aktive Lesart zayyana.

54 Hamdan, Studien, 294.


55 Ebd., 294–295; auch Bergsträßer. In Islamica 2 (1926), 39 und van Ess, Theologie und Gesell-
schaft, Bd. 2, 48.
56 Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 52, Šawāḏḏ al-qirāʾāt, 213 und al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 5, 41.
18 Omar Hamdan

20:52 qāla ʿilmuhā ʿinda rabbī fī kitābin lā yaḍillu rabbī wa-lā yansā (I., ḍll) > …
yuḍillu (IV., ḍll) …

Die Frage des Pharao, wie es mit den früheren Generationen stünde, beantwortet
Mose in diesem Vers damit, dass alles über sie bei seinem Herrn in einer Schrift
festgelegt sei. Mose erklärt ferner, dass Allāh darüber erhaben sei zu irren oder
zu vergessen. Das entspricht dem von al-Ḥasan al-Baṣrī überlieferten tafsīr zu
einer Stelle, wo das Irren und Vergessen auf den Jüngsten Tag bezogen sind, d. h.
Allāh wird am Tage der Auferstehung weder irren noch die Schrift (offensichtlich
al-lawḥ al-maḥfūẓ) bzw. das, was darin festgelegt ist, vergessen.

3.4 Vorherbestimmung wider die Freiheit des Menschen

76:3 innā hadaynāhū s-sabīla immā šākiran wa-immā kafūran > … ammā
šākiran wa-ammā kafūran57

Da sich der Koran weder einseitig für die Vorherbestimmung noch für die Freiheit
des Menschen ausspricht, versuchte man im Frühislam, für die jeweils eigene
Lehre bestimmte Koranstellen als Belege anzuführen. Die frühe Qadariyya zählte
76:3 zu den Versen, welche die Freiheit des Menschen bestätigen. Ferner zitierte
man etwa 18:29 („Wer nun will, der soll glauben, und wer will, der soll ungläu-
big sein“) und 76:29 („Wer nun will, der nehme [diesen] einen Weg zu seinem
Herrn“).58
Nach der mehrheitlichen Lesart kann 76:3 als Beleg für die Willensfreiheit
des Menschen gewertet werden. Der Vers besagt: „Wir haben ihn (d. h. den Men-
schen) den (rechten) Weg geleitet, ob er nun dankbar oder undankbar sein mag“.
Mit einer leichten – Ubayy b. Kaʿb (21/642), Ibn Masʿūd, Abū s-Sammāl und dem
raǧaz-Dichter Ruʾba b. al-ʿAǧǧāǧ (145/762) aus Baṣra zugeschriebenen – Ände-
rung der Vokalisation am Wort ammā könnte die Bedeutung in folgende Richtung
weisen: „Wir haben ihn (d. h. den Menschen) den (rechten) Weg geleitet. Wenn
er dafür dankbar wäre, (dann mit Unserer Unterstützung,) wenn er (aber) dafür
undankbar wäre, (dann zu Unserer Enttäuschung).59

57 Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 166 [Abū s-Sammāl], Šawāḏḏ al-qirāʾāt, 495 [Ubayy, Ibn Masʿūd, Abū
s-Sammāl u. Ruʾba b. al-ʿAǧǧāǧ], al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 8, 394.
58 Dazu ar-Rāzī (606/1210), at-Tafsīr al-kabīr, Bd. 15, T. 30, 231.
59 Dazu ebd., 211.
Die Anfänge qadaritischer und muʿtazilitischer Theologie 19

3.5 Die Gerechtigkeit Allāhs

7:156 qāla ʿaḏābī uṣību bihī man ašāʾu … (I., šyʾ) > qāla ʿaḏābī uṣību bihī man
asāʾa … (IV., swʾ)60

Nach der üblichen Schreibweise ašāʾu besagt dieser Vers, dass „Er (d. h. Allāh)
sprach: Mit Meiner Strafe treffe Ich, wen Ich will“. Die Lesart asāʾa führt zu einer
völlig anderen Bedeutung, nämlich: „Er sprach: Mit Meiner Strafe treffe Ich den,
der Übles getan hat“. Diese Lesart geht unter anderem auf al-Ḥasan al-Baṣrī
zurück und wurde von frühen Qadariten, wie zum Beispiel ʿAmr b. ʿUbayd und
ʿAmr b. Fāʾid al-Uswārī, zur Stützung ihrer dogmatischen Lehren übernommen.
Weitere Beispiele für die Veränderung der diakritischen Punkte:

18:28 wa-lā tuṭiʿ man aġfalnā qalbahū ʿan ḏikrinā („Und gehorche nicht jeman-
dem, dessen Herz Wir Unserem Gedenken gegenüber unachtsam gemacht
haben“) > … aġfalanā qalbuhu ʿan ḏikrinā („dessen Herz Uns Unserem
Gedenken gegenüber unachtsam gemacht hat“)61

Nach der ersten Lesart spricht Allāh in Pluralform als Verursacher für die Unacht-
samkeit des Herzen, während nach der zweiten Lesart eigentlich der Mensch bzw.
dessen Herz dafür verantwortlich ist. Letztere Lesart ist allerdings nicht unpro-
blematisch, denn Allāhs Gedenken an Sich selbst kann durch den Menschen
unmöglich beeinträchtigt werden.

50:271 rabbanā mā aṭġaytuhū wa-lākin kāna fī ḍalālin baʿīdin > rabbanā mā


aṭġaytahū …62

In diesem Vers spricht der über den Ungläubigen bestellte Satan. Nach der ersten
Lesart zieht er sich selbst, nach der zweiten Lesart Allāh aus der Verantwortung
für die Irreführung des Menschen. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass der
Mensch für sein Irregehen selbst verantwortlich ist. Inwieweit die zweite Lesart
dem Satan nicht dennoch ein Wort des Unglaubens in den Mund legt, bleibt

60 Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 469–10 [al-Ḥasan al-Baṣrī und ʿAmr b. ʿUbayd], al-Muḥtasab, Bd. 1, 261
[al-Ḥasan al-Baṣrī und ʿAmr al-Uswārī]; van Ess, Theologie und Gesellschaft, Bd. 2, 48, Hamdan,
Studien, 38 § 2.2.2, 60, 264 u. 285.
61 Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 79 [nach ʿAmr b. Fāʾid], al-Muḥtasab, Bd. 2, 28 [nach ʿAmr b. Fāʾid],
al-Muḥarrar al-waǧīz, Bd. 3, 512–513 [ʿAmr b. Fāʾid, Mūsā al-Uswārī und ʿAmr b. ʿUbayd].
62 Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 144 [nach ʿAmr b. ʿUbayd].
20 Omar Hamdan

indessen kritisch zu betrachten, da andere Koranverse sehr wohl betonen, dass


Allāh die Macht dazu hat, Menschen in die Irre zu führen oder auch die Krankheit
in ihren Herzen zu mehren (zum Beispiel 2:10.26).

 nthropomorphismus (tašbīh) und istiwāʾ-Problematik


3.6 A

Sowohl der Koran als auch der Hadith enthalten zahlreiche Äußerungen über
Allāh, welche sich wörtlich genommen nicht mit dem körperlos gedachten gött-
lichen Wesen Allāhs in Einklang bringen lassen. Die Rede ist vom Angesicht
Allāhs, von seinen beiden Augen, von seiner Hand bzw. seinen beiden Händen,
von seiner Rechten (Hand), von seinen beiden Füßen sowie davon, dass er sich
auf seinem Thron niederlässt.63
Bei den verschiedenen – aus der Zeit vor der Kanonisierung des Korantexts
stammenden – Lesungen lassen sich weitere Methoden aufzeigen, von denen
nicht selten Gebrauch gemacht wurde. Zu diesen gehört, dass man den Korantext
bzw. die betreffende Koranstelle anders einteilte als üblich. Zur dogmatischen
Frage, wie der Vers ar-Raḥmānu ʿalā l-ʿarši stawā („der Allerbarmer bestieg den
Thron“, 20:5) verstanden bzw. ausgelegt werden kann, gab es grundlegende Mei-
nungsverschiedenheiten zwischen den Muʿtaziliten und Sunniten. Die Anhänger
der Muʿtazila interpretierten diesen Vers bzw. den Akt des istiwāʾ („das Besteigen
des Throns“) als Metapher für die alles überragende Herrschaft des Allmächtigen
über Seine Schöpfung. Die Sunniten (ahl as-sunna) lehnten eine solche Deutung
hingegen ab und vertraten eine völlig andere Auffassung, nämlich den Stand-
punkt des bilā kayfa („ohne nach dem Warum fragen“), welcher von Mālik b.
Anas (179/795), dem Begründer der malikitischen Rechtsschule, stammte. Mālik
soll sich zur istiwāʾ-Frage wie folgt geäußert haben: „Das Besteigen zum Thron
ist nichts, das der Vernunft widerspräche. Was es aber ist, wissen wir nicht. Die
Frage danach ist (somit) Ketzerei, und der Glaube daran ist Pflicht.“ Dieser Lehr-
satz ist bei den Sunniten zu einem Dogma geworden, insbesondere nachdem die
muʿtazilitische Lehre während des abbasidischen Kalifats von der sunnitischen
als Staatstheologie abgelöst wurde.
Vor Mālik b. Anas gab es in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts seitens der
Sunniten zwei Versuche, dieses Problem zu lösen. Bei beiden handelt es sich um
außerkanonische Lesarten, die auf der Methode basieren, den Korantext bzw. die
betroffene Koranstelle anders als üblich einzuteilen, indem man die Satzpausen
verschiebt.

63 Stieglecker, Die Glaubenslehren des Islam, 89.


Die Anfänge qadaritischer und muʿtazilitischer Theologie 21

Der erste Versuch fußt auf einer erfundenen Lesart, welche dem berühmten
mekkanischen Koranexegeten und Prophetengefährten Ibn ʿAbbās zugeschrieben
wird. Er soll an der Stelle (ar-Raḥmānu ʿalā l-ʿarši) pausiert und dann begonnen
haben zu lesen (istawā lahū mā fī s-samāwāti …).64 Somit wird das Verb istawā von
Vers 5 abgetrennt und unmittelbar an den darauffolgenden Vers angeschlossen.
Statt der Reihenfolge Verbalsatz-Nominalsatz – d. h. das Subjekt ar-Raḥmānu und
sein Prädikat istawā ʿalā l-ʿarši in Vers 5, sowie das vorangestellte Prädikat lahū
und das nachgestellte Subjekt mā („Ihm [d. h. Allāh] gehört [alles], was in den
Himmeln und was auf der Erde und was dazwischen und was unter dem Erdreich
ist“) in Vers 6, wird durch die veränderte Pausalform nun Vers 5 zum Nominal-
satz, d. h. ar-Raḥmānu ʿalā l-ʿarši („der Allerbarmer (ist) auf dem Thron“), mit
ar-Raḥmānu als Subjekt und ʿalā l-ʿarši als Prädikat, während aus Vers 6 mit einem
Mal ein Verbalsatz wird, also: istawā lahū mā … („Alles [d. h. alle Geschöpfe] wen-
deten sich an Ihn“, oder: „Alles ergab sich Ihm.“). Unabhängig davon, wie man
die Aussage dieser Lesart nun deuten mag; sie bewirkt vor allem, dass das Verb
istawā von ar-Raḥmānu getrennt wird. Die beiden Versteile stehen folglich nicht
länger in einem Zusammenhang, wie dies in der Standardausgabe des Korans der
Fall ist, sondern in zwei separaten Zusammenhängen. Es ist hierzu anzumerken,
dass die neue Deutung des umstrukturierten 6. Verses theologisch passend bleibt,
jedoch vom Reim her mit al-ʿarš nicht mehr zusammengeht (muḫālafat ruʾūs
al-āy). Dadurch wird der Reim der Endverse (20:2–84), also langes ā versehen mit
yāʾ, wie zum Beispiel li-tašqā (Vers 2), yaḫšā (Vers 3), (al-ʿulā) (5) durchbrochen,
während er mit istawā hingegen fortgesetzt würde.
Der zweite Versuch gründet ebenfalls auf einer ausgedachten Lesart, die mut-
maßlich auf den berühmten Prophetengefährten Ibn Masʿūd zurückgehen soll.
Er soll die Stelle statt al-ʿarši -stawā nicht im Dativ, sondern im Nominativ, d. h.
al-ʿaršu -stawā65, gelesen haben. Nach dieser erfundenen Lesart wird ʿalā nicht als
Präposition betrachtet, sondern als Verb im 1. Stamm, also ʿalā/yaʿlū.66 Hiernach
soll er pausiert haben.67 Folglich wird der 5. Vers, der aus vier Wörtern besteht, in
zwei Hälften eingeteilt, nämlich ar-Raḥmānu ʿalā („der Allerbarmer stieg empor“)
und al-ʿaršu stawā („der Thron stand aufrecht“). Diese Lesart bezweckt dasselbe

64 Al-Kirmānī, Šawāḏḏ al-qirāʾāt, 305.


65 Ebd.
66 Das Verb ʿalā wird normalerweise mit alif geschrieben, wird aber in der koranischen Ortho-
graphie (rasm) mit yāʾ geschrieben. Damit entsteht kein Problem, denn die Gleichstellung vom
finalen alif und yāʾ ist im rasm an nicht wenigen Stellen zu finden und bildet damit ein orthogra-
phisches Phänomen. Dazu siehe Omar Hamdan, Aḍwāʾ ǧadīda ʿalā r-rasm al-ʿuṯmānī, Amman/
Beirut, 2009, 267–304; auch al-Kirmānī, Šawāḏḏ al-qirāʾāt, 305.
67 Al-Kirmānī, Šawāḏḏ al-qirāʾāt, 305 (wa-yaqafu ʿalayhi).
22 Omar Hamdan

wie die vorherige, d. h. sie trennt ar-Raḥmānu von istawā. Auch sie bietet mit dem
aufrecht stehenden Thron eine plausible Deutung. Zudem hat sie den Vorteil, dass
sie mit ʿalā und istawā das Reimschema der benachbarten Endverse nicht unter-
bricht, sondern bewahrt (mušākalat ruʾūs al-āy).

3.7 A
 llāhs Eigenschaften/Attribute

4:164 wa-kallama l-Lāhu Mūsā taklīman > wa-kallama l-Lāha Mūsā taklīman68

Im Zusammenhang mit diesem Vers geht es um Allāhs Eigenschaft als Sprecher


(mutakallim), der über eine Rede (kalām) verfügt und dessen offenbartes Wort der
Koran ist. Für die islamische Dogmatik steht das Sprechen Allāhs im Einklang mit
seinen übrigen Wesenszügen, wie etwa seiner Macht, seines Wissens oder auch
seines Wollens. Abgesehen davon, dass sein Wort von den genannten Eigenschaf-
ten zeugt, umfasst es verschiedene Gattungen der Rede und enthält ferner Befehle
und Verbote.
Im Frühislam wurde bereits die Frage diskutiert, ob Allāhs Wort ewig sei oder
nicht. Die frühe Muʿtazila leugnete die Ewigkeit des Korans mit der Begründung,
dass das Gotteswort aus Lauten und Wörtern bestehe, die nicht Teil des göttlichen
Wesens seien und die Allāh daher außerhalb desselben erschaffe. Während die
spätere Muʿtazila den oben genannten Vers allerdings so auslegte, dass Allāh
seine Worte in Mose erschuf und diese demnach nicht zu seiner ewigen Existenz
zählen, löste die frühe Muʿtazila diesen Fall mithilfe einer leichten Vokalände-
rung am Wort (al-Lāha) im Akkusativ. Nach dieser ausgedachten Lesart ist Allāh
nicht länger das Subjekt, wie es nach der kanonischen Lesart (al-Lāhu) der Fall
ist, sondern Mose. Demnach heißt der Teilvers so: „An Allāh richtete Mose seine
Rede“.

3.8 Allāh im Mittelpunkt

Die auf verschiedene koranische Lesetraditionen zurückgehenden Beispiele ver-


anschaulichen sehr deutlich, dass es zwischen den theologischen Strömungen im
1. Jahrhundert zahlreiche dogmatische Unterschiede gegeben haben muss. Was
nahezu alle frühislamischen Denkschulen gerade auch im Lichte der qirāʾāt ver-

68 Efendizade, Risāla, 72; auch Ibn Ǧinnī (392/1002), al-Muḥtasab, Bd. 1, 204 [Ibrāhīm an-
Naḫaʿī] und Šawāḏḏ al-qirāʾāt, 148 [Yaḥyā b. Waṯṯāb und Ibrāhīm an-Naḫaʿī].
Die Anfänge qadaritischer und muʿtazilitischer Theologie 23

bindet, ist die Darstellung Allāhs als Mittelpunkt aller Ereignisse, Handlungen
und Aktionen, nämlich als direkt in diese Welt Eingreifender, als Verursacher
aller Taten sowie als Verantwortlicher aller Geschehnisse. Dieser Aspekt kommt
an sehr vielen Stellen im Koran zum Ausdruck. So heißt es in 49:7 etwa: „Allāh
hat euch den Glauben lieb gemacht und in euren Herzen ausgeschmückt, und Er
hat euch den Unglauben, den Frevel und den Ungehorsam verabscheuen lassen“.
In 58:22 lesen wir ferner: „In ihre Herzen hat Er den Glauben geschrieben und sie
mit einem Geist von Sich gestärkt“.
Diese sehr koranisch geprägte Darstellung göttlicher Intervention wird bei
nicht wenigen Gruppen im Frühislam an fast allen Stellen, die im Passiv gelesen
werden können, durch Aktivformen bekräftigt und verstärkt. Die folgenden Bei-
spiele (v. a. 4.1 und 4.2) zeigen eindeutig, wie alternative Lesarten dazu dienen
können, Allāhs absolutes Eingreifen in der Welt zu belegen, d. h. alles auf ihn
zurückzuführen. Auf Arabisch heißt dieser Grundsatz isnād al-afʿāl ilā l-Lāh.

3.8.1 Allāh als Gesetzgeber

Allāh legt Vorschriften fest und dekretiert Gebote und Verbote.

2:178 kutiba ʿalaykumu l-qiṣāṣu fī l-qatlā > kataba ʿalaykumu l-qiṣāṣa fī l-qatlā69
passiv „Euch ist für die Getöteten Wiedervergeltung vorgeschrieben worden“ >
aktiv „Er (d. h. Allāh) hat euch für die Getöteten Wiedervergeltung vorgeschrie-
ben“
2:180 kutiba ʿalaykum … al-waṣiyyatu > kataba ʿalaykum … al-waṣiyyata70
passiv „Vorgeschrieben ist euch … ein Vermächtnis“ >
aktiv „Vorgeschrieben hat Er euch … ein Vermächtnis“
2:183 kutiba ʿalaykumu ṣ-ṣiyāmu > kataba ʿalaykumu ṣ-ṣiyāma71
passiv „Das Fasten ist euch vorgeschrieben worden“ >
aktiv „Er hat euch das Fasten vorgeschrieben“
2:183 kamā kutiba ʿalā l-laḏīna min qablikum > kamā kataba …72
passiv „so wie es denjenigen vor euch vorgeschrieben wurde“ >
aktiv „so wie Er es denjenigen vor euch vorschrieb“

69 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 101.


70 Ebd.
71 Ebd.
72 Ebd., 102.
24 Omar Hamdan

2:246 fa-lammā kutiba ʿalayhimu l-qitālu > fa-lammā kataba ʿalayhimu l-qitāla73
passiv „Doch als ihnen vorgeschrieben wurde zu kämpfen“ >
aktiv „Doch als Er ihnen vorschrieb zu kämpfen“
3:50 baʿḍa l-laḏī ḥurrima ʿalaykum > … ḥarrama …74
passiv „was euch verboten war“ >
aktiv „was Er (d. h. Allāh) euch verboten hat“
24:3 wa-ḥurrima ḏālika > wa-ḥarrama ḏālika75
passiv „Den Gläubigen ist dies verboten“ >
aktiv „Den Gläubigen hat Er (d. h. Allāh) dies verboten“

3.8.2 Allāhs Zuständigkeit für alles

55:22 yaḫruǧu/yuḫraǧu minhumā l-luʾluʾu wal-marǧānu > yuḫriǧu/nuḫriǧu


minhumā l-luʾluʾa wal-marǧāna76
aktiv „Aus ihnen beiden kommen Perlen und Korallen hervor“ / „Aus ihnen
beiden werden Perlen und Korallen hervorgekommen“ >
passiv „Aus ihnen beiden lässt Er/lassen Wir Perlen und Korallen hervorkom-
men“
75:9 wa-ǧumiʿa š-šamsu wal-qamaru > wa-ǧamaʿa š-šamsa wal-qamara77
Aktiv „und [wenn] Sonne und Mond zusammengebracht werden“ >
Passiv „und [wenn] Er Sonne und Mond zusammenbringen wird“
81:1–13 kuwwirat, inkadarat, suyyirat, ʿuṭṭilat, ḥuširat, suǧǧirat, zuwwiǧat, suʾilat,
nuširat, kušiṭat, suʿʿirat, uzlifat > kawwartu, kadartu, sayyartu, ʿaṭṭaltu,
ḥašartu, saǧǧartu, zawwaǧtu, saʾaltu, našartu, kašaṭtu, saʿʿartu, azlaftu78
passiv „Wenn die Sonne umschlungen wird / und die Sterne verstreut / und die
Berge versetzt werden, / und wenn die trächtigen Kamelstuten vernach-
lässigt / und die wilden Tiere versammelt werden, / und wenn die Meere
zum Überfließen gebracht / und die Seelen gepaart werden, / und wenn
das lebendig begrabene Mädchen gefragt wird, / … / und wenn die Blätter
aufgeschlagen werden / und der Himmel abgezogen wird, / und wenn die
Hölle angefacht / und der (Paradies-)Garten nahe herangebracht wird“ >

73 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 102.


74 Ebd., 184.
75 Ebd., Bd. 6, 18.
76 Ebd., 270–271.
77 Kitāb Qurrat ʿayn al-qurrāʾ fī l-qirāʾāt, Bl. 208a [Ruways nach Kirdāb].
78 Ebd., Bl. 211b.
Die Anfänge qadaritischer und muʿtazilitischer Theologie 25

aktiv „wenn Ich die Sonne umschlingen / und die Sterne verstreuen / und die
Berge versetzen werde, / und wenn Ich die trächtigen Kamelstuten ver-
nachlässigen / und die wilden Tiere versammeln werde, / und wenn Ich die
Meere zum Überfließen bringen / und die Seelen paaren werde, / und wenn
Ich das lebendig begrabene Mädchen fragen werde, / … / und wenn Ich die
Blätter aufschlagen / und den Himmel abziehen werde, / und wenn Ich die
Hölle anfachen / und den (Paradies-)Garten nahe heranbringen werde“
82:3 wa-iḏā l-biḥāru fuǧǧirat > wa-iḏā l-biḥāra faǧartu79
Aktiv „und wenn die Meere gesprengt werden“ >
Passiv „und wenn Ich (d. h. Allāh) die Meere sprengen lasse“
88:17–20 ḫuliqat, rufiʿat, nuṣibat, suṭihat > ḫalaqtu, rafaʿtu, naṣabtu, saṭahtu80
passiv „Schauen sie denn nicht zu den Kamelen, wie sie erschaffen wurden, /
und zum Himmel, wie er emporgehoben wurde, / und zu den Bergen, wie
sie aufgerichtet wurden, / und zur Erde, wie sie flach gemacht wurde?“ >
aktiv „Schauen sie denn nicht zu den Kamelen, wie Ich sie erschaffen habe, / und
zum Himmel, wie Ich ihn emporgehoben habe, / und zu den Bergen, wie
Ich sie aufgerichtet habe, / und zur Erde, wie Ich sie flach gemacht habe)
89:8 lam yuḫlaq miṯluhā > lam yaḫluq miṯlahā81
passiv „dergleichen nicht erschaffen wurde (in den Ländern)?“ >
aktiv „dergleichen Er (d. h. Allāh) nicht erschaffen hat (in den Ländern)?“
100:9–10 iḏā buʿṯira mā fī l-qubūri / wa-ḥuṣṣila mā fī ṣ-ṣudūri > iḏā baʿṯara mā fī
l-qubūri / wa-ḥaṣṣala mā fī ṣ-ṣudūri82
passiv „Wenn durchwühlt wird, was in den Gräbern ist, / und herausgeholt wird,
was in den Brüsten ist“ >
aktiv „Wenn Er (d. h. Allāh) durchwühlt, was in den Gräbern ist, / und heraus-
holt, was in den Brüsten ist“

3.8.3 Die Zuständigkeit Allāhs für die Annahme oder Ablehnung der Fürsprache

2:48 wa-lā yuqbalu minhā šafāʿatun > wa-lā yaqbalu minhā šafāʿatan83
passiv „und von niemanden Fürsprache angenommen wird“ >
aktiv „und Er (d. h. Allāh) von niemandem Fürsprache annimmt“

79 Kitāb Qurrat ʿayn al-qurrāʾ fī l-qirāʾāt, Bl. 212a; vgl. Ḥawāšī kitāb al-badīʿ, 170.
80 Kitāb al-Kāmil, Bd. 6, 386.
81 Ebd., 390.
82 Ad-Durr al-maṣūn, Bd. 11, 91.
83 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 35 [nach Qatāda].
26 Omar Hamdan

Gottesgabe der Weisheit


2:269 wa-man yuʾta l-ḥikmata > wa-man yuʾti l-ḥikmata84
passiv „und wem Weisheit gegeben wird“ >
aktiv „und wem Er (d. h. Allāh) Weisheit gibt“

3.8.4 Allāh als Herabsender der Tora und des Evangeliums

3:65 wa-mā unzilati t-Tawrātu wal-Inǧīlu illā min baʿdihī > wa-mā anzaltu
t-Tawrāta wal-Inǧīla …85
passiv „wo die Tora und das Evangelium doch erst nach ihm herabgesandt
wurden“ >
aktiv „wo Ich (d. h. Allāh) die Tora und das Evangelium doch erst nach ihm
herabgesandt habe“

3.8.5 Allāh lässt die Gläubigen ins Paradies eintreten

14:23 udḫila l-laḏīna āmanū wa-ʿamilū ṣ-ṣāliḥāti ǧannātin > udḫilu l-laḏīna
āmanū …86
passiv „Aber diejenigen, die glauben und rechtschaffene Werke tun, werden in
Gärten eingelassen“ >
aktiv „Aber Ich (d. h. Allāh) lasse diejenigen, die glauben und rechtschaffene
Werke tun, in Gärten ein“

3.8.6 Die Zuständigkeit Allāhs für die Herabsendung der Engel

25:25 wa-nuzzila l-malāʾikatu > wa-nunazzilu l-malāʾikata87


passiv „und die Engel herabgesandt werden“ >
aktiv „und Wir die Engel herabsenden lassen“
26:193 nazala bihī r-rūḥu l-amīnu > nazzala bihī r-rūḥa l-amīna88
passiv „mit dem der vertrauenswürdige Geist herabgekommen ist“ >
aktiv „mit dem Er (d. h. Allāh) den vertrauenswürdigen Geist herabkommen
ließ“

84 Kitāb al-Kāmil, Bd. 5, 156.


85 Ebd., 185.
86 Al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 5, 420; ad-Durr al-maṣūn, Bd. 7. 98.
87 Kitāb al-Kāmil, Bd. 6, 35.
88 Ebd., 46.
Die Anfänge qadaritischer und muʿtazilitischer Theologie 27

47:2 bimā nuzzila ʿalā Muḥammadin > bimā nazzala ʿalā Muḥammadin89
passiv „was Muḥammad offenbart worden ist“ >
aktiv „was Er (d. h. Allāh) Muḥammad offenbaren ließ“

Dazu gibt es mehrere Koranstellen, wo Allāh als Sender der Propheten und
Gesandten bezeichnet wird, wie zum Beispiel 2:151, 4:64, 5:70, 12:38, 14:4 und
73:15 („Wir haben zu euch ja einen Gesandten als Zeugen über euch gesandt, so
wie Wir zu Pharao einen Gesandten schickten“).

3.8.7 Allāhs Irreführung

11:28 fa-ʿummiyat ʿalaykum > fa-ʿammahā ʿalaykum90


„die (Barmherzigkeit) aber wurde eurem Blick entzogen“ > „die (Barmher-
zigkeit) aber hat Er (d. h. Allāh) eurem Blick entzogen“
39:65 la-yaḥbaṭanna ʿamaluka > la-yuḥbiṭanna ʿamalaka91
„Wenn du (Allāh andere) beigesellst, wird dein Werk ganz gewiss hinfäl-
lig“ > „…, wird Er (d. h. Allāh) dein Werk ganz gewiss hinfällig werden
lassen“

Die oben angeführten alternativen qirāʾāt präsentieren ein zentrales theologi-


sches Anliegen, denn sie schreiben alle Taten und Handlungen Allāh als dem
unmittelbaren Verursacher und Schöpfer zu.
An Stellen, wo Allāh allerdings nicht als direkter Urheber der Ereignisse dar-
gestellt werden kann, greift man zu einer weiteren Methode. Mithilfe der Lesarten
wird versucht, Taten und Geschehnisse indirekt auf Allāh zurückzuführen und
dabei gleichzeitig den Menschen aus der Verantwortung zu nehmen. Die Vor-
gehensweise, die hierbei zum Tragen kommt, heißt auf Arabisch qurb al-afʿāl
min al-Lāh oder taqrīb al-afʿāl ilā l-Lāh. Diese „Annäherung“ wird in der Regel
dadurch bewerkstelligt, dass man die Aktivformen ins Passiv setzt. Die folgenden
Beispiele illustrieren dies:

37:8 wa-yaqḏifūna min kulli ǧānibin > wa-yuqḏafūna …92


aktiv „und sie werden von allen Seiten werfen“ >

89 Kitāb al-Kāmil, Bd. 6. 233.


90 Al-Baḥr al-muḥīṭ, Bd. 5, 216; ad-Durr al-maṣūn, Bd. 6, 313; auch Hamdan, Studien, 239.
91 Kitāb al-Kāmil, Bd. 6, 177.
92 Ebd., 151.
28 Omar Hamdan

passiv „und sie werden von allen Seiten beworfen“


37:47 wa-lā hum ʿanhā yunzifūna > … yunzafūna93
aktiv „und damit werden sie sich nicht berauschen“ >
passiv „und dadurch werden sie nicht berauscht werden“
54:7 yaḫruǧūna mina l-aǧdāṯi > yuḫraǧūna mina l-aǧdāṯi94
aktiv „Sie werden aus den Gräbern herauskommen (wie ausschwärmende
Heuschrecken)“ >
passiv „Sie werden aus den Gräbern herausgeholt (wie ausschwärmende Heu-
schrecken)“
55:22 yaḫruǧu minhumā l-luʾluʾu wal-marǧānu > yuḫriǧu/nuḫriǧu minhumā
l-luʾluʾa wal-marǧāna95
aktiv „Aus ihnen beiden kommen Perlen und Korallen hervor“ >
passiv „Aus ihnen beiden lässt Er/lassen Wir Perlen und Korallen hervorkom-
men“
55:24 lahū l-ǧawāri l-munšiʾātu > lahū l-ǧawāri l-munšaʾātu96
aktiv „Und Sein sind (auch) die auf dem Meer fahrenden (Schiffe), die sich wie
Berge in die Höhe recken >
passiv „Und Sein sind (auch) die auf dem Meer gefahrenen (Schiffe), die wie
Berge in die Höhe gereckt worden sind“
70:38 an yadḫula ǧannat naʿīmin > an yudḫala ǧannat naʿīmin97
aktiv „(Begehrt etwa jeder von ihnen,) in einen Garten der Wonne einzutre-
ten?“ >
passiv „(…,) in einen Garten der Wonne eingelassen zu werden?“
73:14 yawma tarǧufu l-arḍu wal-ǧibālu > yawma turǧafu l-arḍu wal-ǧibālu98
aktiv „am Tag, da die Erde und die Berge erzittern“
passiv „am Tag, da die Erde und die Berge zum Erzittern gebracht werden“
73:17 yawman yaǧʿalu l-wildāna šīban > yawman naǧʿalu l-wildāna šīban99
aktiv „vor einem Tag, der die Kinder weißhaarig macht“
passiv „vor einem Tag, (an dem) Wir die Kinder weißhaarig machen“

93 Kitāb al-Kāmil, Bd. 6, 148.


94 Ebd., 262.
95 Ebd., 270–271.
96 Ebd., 272.
97 Ebd., 325.
98 Šawāḏḏ al-qirāʾāt, 491 [Zayd b. ʿAlī]; auch Jeffery. In RSO 18 (1936), 282.
99 Kitāb Qurrat ʿayn al-qurrāʾ fī l-qirāʾāt, Bl. 207a.
Die Anfänge qadaritischer und muʿtazilitischer Theologie 29

75:7–8 fa-iḏā bariqa l-baṣaru / wa-ḫasafa l-qamaru > fa-iḏā buriqa l-baṣaru /
wa-ḫusifa l-qamaru100
aktiv „Wenn dann der Blick verwirrt ist / und der Mond sich verfinstert“
passiv „Wenn dann der Blick verwirrt / und der Mond verfinstert wird“
Die Passivform an diesen beiden Stellen entspricht dem nachstehenden
Vers, also 75:9 („und Sonne und Mond zusammengebracht werden“).
83:24 taʿrifu fī wuǧūhihim naḍrata n-naʿīmi > tuʿrafu fī wuǧūhihim naḍratu
n-naʿīmi101
aktiv „du erkennst in ihren Gesichtern das Strahlen der Wonne“ >
passiv „das Strahlen der Wonne wird in ihren Gesichtern erkannt“
84:12 wa-yaṣlā saʿīran > wa-yuṣlā/wa-yuṣallā saʿīran102
aktiv „und er wird sich der Feuerglut aussetzen“ >
passiv „und er wird der Feuerglut ausgesetzt werden“
86:6–7 ḫuliqa min māʾinin dāfiqinin / yaḫruǧu min bayni ṣ-ṣulbi wa-t-tarāʾibi > ḫuliqa
min māʾin dāfiqin / yuḫraǧu …103
aktiv „Er wurde erschaffen aus einer herausschießenden Flüssigkeit, / die zwi-
schen der Lende und der (weiblichen) Brust hervorkommt >
passiv „… hervorgebracht wird“
88:4 taṣlā nāran ḥāmiyatan > tuṣlā nāran ḥāmiyatan104
aktiv „Sie (d. h. die Gesichter) werden sich einem sehr heißen Feuer aussetzen“
>
passiv „Sie werden einem sehr heißen Feuer ausgesetzt werden“
110:2 wa-raʾayta n-nāsa yadḫulūna fī dīni l-Lāhi afwāǧan > … yudḫalūna …105
aktiv „und du siehst, dass die Menschen in Scharen der Religion Allāhs bei-
treten“ >
passiv „und du siehst, dass die Menschen in Scharen der Religion Allāhs zuge-
führt werden“

Wie zu sehen ist, beschreiben die oben genannten Beispiele zwei dogmatisch-
theologische Phänomene, nämlich einerseits den isnād al-afʿāl ilā l-Lāh und
andererseits den qurb al-afʿāl mina l-Lāh bzw. taqrīb al-afʿāl ilā l-Lāh. Diese beiden
Prinzipien suchte man angesichts der noch nicht kanonisierten qirāʾāt systema-

100 Kitāb al-Kāmil, Bd. 6, 341 [Abū Ḥaywa und Ibn Abī ʿAbla (wa-ḫusifa)] und Šawāḏḏ al-qirāʾāt,
494 [Ibn Abī ʿAbla (buriqa) u. (wa-ḫusifa)].
101 Ebd., 375.
102 Ebd., 377.
103 Ebd., 381.
104 Ebd., 384.
105 Ad-Durr al-maṣūn, Bd. 11, 140.
30 Omar Hamdan

tisch zu etablieren, um dadurch ein absolutes Bild von Allāh zu entwerfen. Die
Allmacht Allāhs wird hier mit Nachdruck betont.

4 Zur Frage von Kalifat und Imamat


Abschließend soll noch veranschaulicht werden, inwieweit sich der frühisla-
mische Streit um die rechtmäßige Nachfolge des Propheten auch auf den Bereich
der Koranlesungen auswirkte und wie er somit auf eine theologische Ebene trans-
portiert wurde. In der Tat reflektieren die qirāʾāt eine bereits sehr frühe Auseinan-
dersetzung mit dieser Frage, wobei u. a. folgende Koranstellen behandelt wurden:

2:30 innī ǧāʿilun fī l-arḍi ḫalīfatan > … ḫalīqatan

Manche lehnten die in diesem Vers formulierte Idee einer Stellvertretung Allāhs
auf Erden grundsätzlich ab. In 2:30 teilt Allāh Seine Absicht den Engeln wie folgt
mit: „Ich bin im Begriff, einen Statthalter auf Erden einzusetzen“. Damit diese
koranische Aussage widerlegt werden konnte, las man ḫalīqatan („ein Geschöpf“)
statt ḫalīfatan („einen Statthalter“). Die außerkanonische Lesart soll von Ubayy
b. Kaʿb, Abū Razīn, Zayd b. ʿAlī, Abū l-Barahsam, Yazīd b. Quṭayb und Kirdāb
vetreten worden sein.106

94:7 fa-iḏā faraġta fa-nṣab > fa-iḏā faraġta fa-nṣib107

Die frühe Schia behauptete bekanntlich, dass bereits der Prophet Muḥammad
selbst ausdrücklich einen bestimmten Nachfolger, nämlich ʿAlī b. Abī Ṭālib,
ernannt hätte. Diese Meinung versuchte sie koranisch zu belegen. Also suchte sie
im Koran nach einem Wort, welches durch eine leichte Vokaländerung im Sinne
von „ernennen“ verstanden werden konnte. Ein solches findet sich in 94:7. Im
Gegensatz zur kanonischen Lesart fa-nṣab, wonach der Vers heißt: „Wenn du nun
fertig bist, dann strenge dich an“, soll Allāh nach der außerkanonischen Lesart

106 Al-Kaššāf, Bd. 1, 271; al-Muḥarrar al-waǧīz, Bd. 1, 117; K. Qurrat ʿayn al-qurrāʾ fī l-qirāʾāt,
Bl. 45b; Šawāḏḏ al-qirāʾāt, 56; al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-qurʾān, Bd. 1, 394 und al-Baḥr al-muḥiṭ, Bd. 1,
140.
107 Al-Kaššāf, Bd. 4, 267; Aḥkām al-Qurʾān des Ibn ʿArabī (543), Bd. 4, 1949 (mina l-mubtadiʿati);
al-Muḥarrar al-waǧīz, Bd. 5, 498 (āḫarūn mina l-imāmiyyati); Šawāḏḏ al-qirāʾāt, 517; al-Ǧāmiʿ li-
aḥkām al-Qurʾān, Bd. 22, 371 (mina l-mubtadiʿati) und al-Baḥr al-muḥiṭ, Bd. 8, 489 (āḫarūn mina
l-imāmiyyati).
Die Anfänge qadaritischer und muʿtazilitischer Theologie 31

fa-nṣib gesagt und den Propheten folglich beauftragt haben, einen Nachfolger zu
ernennen.
Der Korankommentator az-Zamaḫšarī (538/1143) führt diese Lesart an und
bewertet sie wie folgt: „Zu den von einigen Leuten der Rāfiḍa überlieferten Erfin-
dungen gehört, dass sie fa-nṣib, also: „dann ernenne ʿAlī zum imām!“, lasen.
Sollte diese Lesart (tatsächlich) für den rāfiḍī gelten, so sollte es auch dem nāṣibī
zu Gebote stehen, dass er – aus Hass und Feindseligkeit gegenüber ʿAlī – fa-nṣab
im Imperativ lese.“108

1:6 ihdinā ṣ-ṣirāṭa l-mustaqīma („führe uns den geraden Weg“) > ihdinā ṣirāṭa
l-mustaqīmi109 („führe uns auf dem Weg des Rechtschaffenen“) / ihdinā
ṣirāṭan mustaqīman110(„führe uns auf einem geraden Weg“)

Gemäß einer Lesevariante, die dem fünften Imam Ǧaʿfar aṣ-Ṣādiq (148/765) zuge-
schrieben wird, besitzt das Wort ṣirāṭ („Weg“) in 1:6 keinen Artikel, al-mustaqīm
allerdings schon. Dadurch kommt eine Genitivverbindung zustande und der Vers
lautet: „Führe uns auf den Weg des Rechtschaffenen“ (ihdinā ṣirāṭa l-mustaqīmi).
Solche Lesarten illustrieren das Bemühen, dem Koran Inhalte zuzuschreiben,
welche das schiitische Imamatsprinzip stützen. Bei dem Rechtschaffenen, der
hier angeblich erwähnt werden soll, handelt es sich selbstverständlich um ʿAlī
b. Abī Ṭālib111. Angesichts der Tatsache, dass weitere koranische Hinweise für
solch eine Deutung fehlen, mag der schiitische Versuch, die angebliche Sonder-
stellung ʿAlīs koranisch zu untermauern, allerdings wenig glaubhaft erschei-
nen. Im Koran wird ʿAlī weder namentlich noch durch eine indirekte Anspielung
erwähnt.
Die al-Ḥasan al-Baṣrī zugeschriebene außerkanonische Lesart ihdinā ṣirāṭan
mustaqīman („führe uns auf einen geraden Weg“) bietet demgegenüber mehrere
Wege der göttlichen Rechtleitung an.

108 Al-Kaššāf, Bd. 4, 267–268.


109 As-Sayyārī (im 3./9. Jahrhundert), Kitāb al-qirāʼāt, 15 § 37 und aṭ-Ṭabrasī, Maǧmaʿ al-bayān
fī tafsīr al-Qurʾān, Bd. 1, 42.; auch Jeffery: Materials for the History of the Text of the Qurʾan, 117
[Ubayy, Ibn ʿUmar und Ǧaʿfar aṣ-Ṣādiq].
110 Al-Ahwāzī (446/1055), Mufradat al-Ḥasan al-Baṣrī, 208. Diese Lesevariante wird auch von
aḍ-Ḍaḥḥāk b. Muzāḥim (105/723) und Zayd b. ʿAlī (122/740) überliefert; auch Jeffery. In RSO 18
(1936) 252.
111 Aṭ-Ṭabrasī (548/1153), Maǧmaʿ al-bayān fī tafsīr al-Qurʾān, Bd. 1, 42 (fī riwāyatin uḫrā yaʿnī
amīra l-muʾminīna).
32 Omar Hamdan

18:51 wa-mā kuntu muttaḫiḏa l-muḍillīna ʿaḍudan > wa-mā kunta muttaḫiḏa
l-muḍillayni ʿaḍudan112

Die frühe schiitische Gruppe der Rāfiḍa lehnt das Kalifat von Abū Bakr (13/634)
und ʿUmar b. al-Ḫaṭṭāb (23/644) als Usurpation ab. Um diese Ablehnung koranisch
zu belegen, lasen sie die betreffende Stelle im Dual. Demnach wäre dieser Teilvers
folgendermaßen zu verstehen: „Und nimm dir (o Gesandter) die beiden Verführer
nicht zu Helfern“. Mit den beiden Verführen wären demnach die ersten beiden
Kalifen gemeint,113 da die Unrechtmäßigkeit des dritten Kalifats von ʿUṯmān b.
ʿAffān (35/656) aus schiitischer Sicht ohnehin zweifelsfrei feststand und somit
wohl auch ohne einen koranischen Beleg auskam. Die Schia erkennt unter den
ersten vier Kalifen bekanntermaßen nur ʿAlī b. Abī Ṭālib als legitimen „Führer der
Gläubigen“ (amīr al-muʾminīn) an.

Fazit
Die präsentierten Beispiele zeigen, wie die verschiedenen frühislamischen
Strömungen versuchten, dogmatische Prinzipien zu diversen Themen zu for-
mulieren, welche im Koran teilweise deutungsoffen bleiben. Die Ambiguität der
koranischen Offenbarung mochte die eigenen theologischen Positionen einer-
seits zwar stützen, andererseits lieferte sie aber auch den Vertretern der kon-
kurrierenden Meinungen oft die notwendigen Belege zur Untermauerung ihrer
jeweiligen Lehren. Wer im Kontext dieser frühen Grundsatzdebatte theologisch
überzeugen wollte, konnte sich demnach nicht mit einer selektiven Berufung auf
einen Teil des Korans begnügen, sondern sah sich gezwungen, auf alternative
Lesarten zurückzugreifen. Mithilfe dieser konnten nicht nur weitere koranische
Belege generiert werden, die den eigenen Standpunkt förderten, sondern auch
diejenigen Verse entkräftet werden, die für die gegnerische Seite sprachen.
Wie bereits erwähnt, ging man dabei schrittweise vor. So stellte der sog.
taʾwīl („Auslegung“) das primäre hermeneutische Werkzeug zur Erschließung
des Korantextes dar. Half der taʾwīl jedoch nicht weiter, so wurden leichte Ände-
rungen am Inlaut oder bei der Endvokalisation vorgenommen. Genügte auch dies
nicht, änderte man bisweilen gar die diakritischen Punkte eines Wortes. Zudem
können die Veränderung von Pausalformen sowie die Neueinteilung von Versen

112 Efendizade (1167/1754), Risāla fī ḥukm al-qirāʾa bil-qirāʾāt aš-šawāḏḏ, 72.


113 Ebd., 72.
Die Anfänge qadaritischer und muʿtazilitischer Theologie 33

als weitere Behelfsmittel genannt werden, um bestimmte theologische Ideen in


den Korantext hineinzulesen bzw. um Lösungen für gewisse – als problematisch
wahrgenommene – Verse anzubieten.
In den meisten Fällen fand man dafür passende – und bisweilen erstaunlich
angebracht wirkende – Lesevarianten. Doch da unter diesen auch viele frei erfun-
den waren, erstaunt es nicht, dass sie im Zuge des Kanonisierungsprozesses für
außerkanonisch (šawāḏḏ, wörtlich „ausweichend“) befunden wurden und folg-
lich bei der Koranrezitation keinen Gebrauch mehr fanden. Für die gegenwärtige
Forschung sind die zahlreichen außerkanonischen qirāʾāt allerdings von großer
Bedeutung, da sie über die theologischen und dogmatischen Debatten frühisla-
mischer Gruppierungen Aufschluss geben können.

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Doris Decker
Theologische Reflexionen von Frauen im
Frühislam
Umgang mit religiöser Vielfalt und Differenz in
arabisch-islamischer Literatur bis zum 9. Jahrhundert.

„Theologie ist der Versuch, die Lehren einer Religion von Gott und seiner Beziehung zu
den Menschen systematisch darzustellen und sie gegen abweichende Auffassungen abzu-
grenzen und zu verteidigen.“1

Mit diesen Worten, mit denen Lutz Berger sein Buch „Islamische Theologie“
eröffnet, bringt er das seiner Einführung zugrunde liegende Verständnis von
Theologie auf den Punkt. Es geht um das Nachdenken über und die Lehre von
einer als wahr vorausgesetzten Religion, ihrer Offenbarung, Überlieferung und
Geschichte. Der Begriff „Theologie“ geht zurück auf das spätlateinische theologia,
das wie­derum auf das griechische θεολογία, was wortwörtlich „die Lehre von den
Göttern“ bedeutet.
Die Anfänge der Islamischen Theologie gehen über die Umayyadenzeit
(661–750) zurück bis in die Zeit der Rašidūn2 (632–661), als sich die ersten
religiös-politischen Bewegungen formierten. Gruppierungen wie die Ḫāriǧiten,
Qadariten, Muʿtaziliten und Murǧiʾiten entwickelten in religiösen Auseinander-
setzungen theologische Konzepte und mischten sich unterschiedlich stark in
politische Belange ein.3 In ihren Überlegungen ging es vorrangig um die Vor-
herbestimmung der menschlichen Taten (Handlungs- und Willensfreiheit), den
Zusammenhang von Glauben und Handeln sowie um die Rolle des Propheten
Muḥammad als Vorbild (Prophetentradition).4 Die theologischen Reflexionen
waren dabei eng verknüpft mit der Frage nach der „richtigen“ Führung für die
Muslime und den politischen Geschehnissen nach dem Tod des Propheten.
Zu ersten islamisch-theologischen Reflexionen und Positionen soll es aller-
dings nicht erst nach dem Tod des Propheten, sondern bereits während seines

1 Lutz Berger, Islamische Theologie. Wien: facultas, 2010, 9.


2 So werden die ersten vier Kalifen nach dem Tod des Propheten Muḥammad bezeichnet.
3 Siehe generell zu diesen Gruppierungen sowie ihren Bezeichnungen Josef van Ess, Theologie
und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert Hidschra. Eine Geschichte des religiösen Denkens im
frühen Islam, Bd. 4. Berlin, New York: De Gruyter, 1991–1997.
4 Berger, Islamische Theologie, 59 ff.

https://doi.org/10.1515/9783110588576-004
36 Doris Decker

Lebens von ca. 570 bis 632 gekommen sein.5 In Textsammlungen zum Frühislam
wird beispielsweise geschildert, wie Anhängerinnen Muḥammads über den von
ihm verkündeten Gott und die altarabischen Gottheiten bzw. Kultbilder disku-
tieren und Kritik an jenen üben. Um diese frühen theologischen Reflexionen
und Positionierungen soll es im vorliegenden Aufsatz gehen, wobei im engeren
Fokus ausgewählte Berichte über drei Frauen aus frühislamischer Zeit stehen:
Zinnīra, Umm Ḥabība und Umm Sulaym. Neben ihrem Bekenntnis zum Prophe-
ten Muḥammad verbinden diese drei Frauen ihre theologischen Reflexionen
und Positionen hinsichtlich des altarabischen Kults und dessen Gottheiten, und
dies laut den Quellen zu einer Zeit, als der Prophet Muḥammad noch lebte. Die
betreffenden Überlieferungen sind in den ältesten arabischen Textsammlungen
enthalten, die über den Beginn des Islam im frühen 7. Jahrhundert auf der Ara-
bischen Halbinsel in den Regionen Mekka und Medina berichten. Da diese Text-
korpora selbst aber im 8. und 9. Jahrhundert kompiliert wurden, klafft zwischen
ihren Aufzeichnungen und dem Tod des Propheten eine Zeitspanne von ca. 150
bis 200 Jahren, was eine historische Rekonstruktion der Ereignisse zu Beginn des
7. Jahrhunderts erschwert.
Mit den Überlieferungen über Zinnīra, Umm Ḥabība und Umm Sulaym
könnten Belege über die ersten Versuche einer spezifisch islamischen Theo-
logie im frühen 7. Jahrhundert vorliegen. Bezogen auf ihre Erstellungszeit im
8. und 9. Jahrhundert könnten die Texte aber auch Phasen der islamischen Theo-
logie späterer Jahrhunderte widerspiegeln. Forschungsarbeiten konnten nämlich
zeigen, dass die Kompilationen, die vorgeben, Ereignisse aus dem frühen 7. Jahr-
hundert zu dokumentieren, oft Denkkonzepte des 8. und 9. Jahrhunderts, Rück-
projizierungen späterer Erlebnissituationen oder idealisierte Verzerrungen der
vergangenen Epochen und ihrer Persönlichkeiten beinhalten So muss damit
gerechnet werden, dass die Texte aus unterschiedlichen Zeiten und Regionen
kontextuell verschiedene Normen und Werte reflektieren und diese in die Zeit
des Propheten zurückprojizieren.6

5 Ab ca. 613 trat Muḥammad öffentlich in Mekka als Verkünder göttlicher Offenbarungen auf.
Da die Mehrheit der mekkanischen Bevölkerung seine prophetische Botschaft ablehnte und ihn
anfeindete, war Muḥammad zwar in Mekka erfolglos, konnte jedoch nach seiner Flucht nach
Medina im Jahr 622 eine größere Anhängerschaft gewinnen und die Entstehung einer neuen re-
ligiösen Bewegung initiieren.
6 Siehe Albrecht Noth, „Der Charakter der ersten großen Sammlungen von Nachrichten zur
frühen Kalifenzeit,“ Der Islam 47 (1971): 168–199; Albrecht Noth, Quellenkritische Studien zu
Themen, Formen und Tendenzen frühislamischer Geschichtsüberlieferungen. Teil I: Themen und
Formen. Bonn: Selbstverlag des Orientalischen Seminars der Universität Bonn, 1973; Eckart
Stetter, Topoi und Schemata im Ḥadīth, Dissertation. Görlitz: Tübinger Druckbüro, 1965; Tilman
Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam 37

Die Darstellungen der besagten Frauen werden vorrangig unter zwei Gesichts-
punkten untersucht: Zum einen interessieren die theologischen Reflexionen und
Positionierungen sowie deren religionsgeschichtliche Verortung (Untersuchungs-
perspektive 1). Zum anderen interessieren die Geschlechterkonzeptionen und
-beziehungen (besonders im Verhältnis zu den Anfängen einer spezifisch isla-
mischen Theologie), weil speziell Frauen ihre theologischen Reflexionen und
Positionen mit Männern diskutieren (Untersuchungsperspektive 2).
Das zu untersuchende Quellenmaterial ist enthalten im Kitāb al-Maġāzī7
von al-Wāqidī (747–823), in der Sīra8 vorliegend in der Redaktion von Ibn Hišām
(gest. 834), in den Ṭabaqāt9 von Ibn Saʿd (784–845) und in der Maġāzī-Fassung
der Sīra10 vorliegend in der Redaktion von al-ʿUṭāridī (gest. 886).11 Bei der Unter-
suchung der Texte geht es nicht um eine historische Rekonstruktion frühisla-
mischer Zeit oder die Frage nach der Textauthentizität, sondern um die Rekon-
struktion der Darstellungen weiblicher theologischer Reflexionen und Positionen
und folglich um die Aussagen12 der Texte: Es wird gefragt, was die Texte über
die theologischen Reflexionen und Positionen der Frauen berichten und wie die
Frauen dabei, auch bezüglich ihrer Geschlechterbeziehungen, dargestellt werden.
Damit wird eine Rekonstruktion des geschichtlichen Rückblicks der Texte selbst

Nagel, „Ḥadīth – oder: Die Vernichtung der Geschichte,“ ZDMG Supplementa 10 (XXV. Deutscher
Orientalistentag, Vorträge) (1994): 118–128; Barbara Freyer Stowasser, Women in the Qur’an, Tra-
ditions, and Interpretations. Oxford, New York: Oxford University Press, 1994; Nadia Maria El
Cheikh, Women, Islam, and Abbasid Identity. London: Harvard University Press, 2015.
7 Al-Wāqidī, Kitāb al-Maghāzī: The Kitāb al-Maghāzī of al-Wāqidī, Hg. Marsden Jones, Bd. 3.
London: Oxford University Press, 1966.
8 Ibn Hišām, Sīra: Kitāb Sīra Rasūl Allāh. Das Leben Muhammad’s nach Muhammad Ibn Ishāk
bearbeitet von Abd el-Malik Ibn Hischām, hg. von Ferdinand Wüstenfeld, Bd. 2. Göttingen: Diete-
richsche Universalitäts-Buchhandlung, 1858–1860.
9 Ibn Saʿd, Ṭabaqāt: Ibn Saʿd, Biographien Muhammeds, seiner Gefährten und der späteren Träger
des Islams bis zum Jahre 230 der Flucht, Bd. 8. Biographien der Frauen, Hg. Carl Brockelmann.
Leiden: E.J. Brill, 1904.
10 Al-ʿUṭāridī, Sīra: Kitāb as-Siyar wa l-Maġāzī nach Muḥammad Ibn-Isḥāq al-Muṭṭalibi [Sīrat
an-Nabīj, Ausz.] Überliefert von Jūnus Ibn-Bukair, Hg. Suhail Zakkār. Damaskus: Dār al-Fikr, 1978.
11 Die beiden Sīra-Fassungen gehen auf Ibn Isḥāq (704–768) zurück. Ibn Hišām und al-ʿUṭāridī
sind beides Redaktoren der Sīra von Ibn Isḥāq, der seine Überlieferungen an seine Schüler al-
Bakkāʾī (gest. 799) und Yūnus ibn Bukayr (gest. 815) weitergegeben hat. Diese wiederum haben
das Erlernte ihren Schülern al-Bakkāʾī an Ibn Hišām und Yūnus ibn Bukayr an al-ʿUṭāridī ver-
mittelt.
12 Das hier zugrundeliegende theoretisch-methodische Konzept ist das der intentio operis von
Umberto Eco, Die Grenzen der Interpretation. München: dtv, ³2004. Zur methodischen Vorgehens-
weise siehe auch Marco Schöller, Methode und Wahrheit in der Islamwissenschaft. Wiesbaden:
Harrassowitz, 2000.
38 Doris Decker

angestrebt, um ihren Darstellungsmodalitäten der Geschehnisse im frühen


7. Jahrhundert in den Regionen Mekka und Medina Raum zu gegeben und anhand
dessen zu erfahren, wie sie die Vergangenheit verstanden und gesehen haben,
insbesondere was Frauen und Theologie im Frühislam betrifft.
Im Folgenden wird einführend ein Blick auf die religiöse Landschaft auf
der Arabischen Halbinsel um 600 geworfen, um den Inhalt der Quellen vor
dem kulturgeschichtlichen Hintergrund zu verstehen, auf den er sich bezieht.
Es folgen die Übersetzungen der zu untersuchenden Überlieferungspassagen
sowie einige grundlegende Informationen über die jeweiligen Berichte und deren
zeitgeschichtliche Einordnung. Anschließend werden die Textpassagen in der
Reihenfolge der aufgeworfenen Untersuchungsperspektiven analysiert (da sich
die Antworten auf die einzelnen Perspektiven teilweise überlappen und Wieder-
holungen vermieden werden sollen, fällt der Umfang des Kapitels zur zweiten
Untersuchungsperspektive kürzer aus als der der ersten). Den Abschluss bildet
ein Fazit.

1 R
 eligiöse Vielfalt auf der Arabischen Halbinsel
um 600
Das Quellenmaterial13, das über die vorislamische Zeit berichtet, wie die bereits
erwähnten Kompilationen, aber auch andere wie das Kitāb al-Aṣnām von Ibn al-
Kalbī14 (ca.737–820), beschreibt die Bevölkerung auf der Arabischen Halbinsel
um 600 als religiös vielfältig: Neben den arabischen Stämmen, die der altara-
bischen Religion angehörten, fanden sich christliche und jüdische Gemeinden,
vereinzelt Zoroastrier, Manichäer und Mandäer.15 Zudem konzipieren die Quellen
von der altarabischen Religion selbst kein einheitliches Bild „einer“ Religion.16

13 Was unsere Kenntnisse über die religiöse Landschaft auf der Arabischen Halbinsel vor dem
Aufkommen des Islam betrifft, sind wir mit den gleichen, bereits im vorherigen Kapitel formulier-
ten Schwierigkeiten bezüglich der Rekonstruktion frühislamischer Zeit konfrontiert: Auch hierfür
greifen wir auf Kompilationen zurück, die erst ab dem 8. Jahrhundert zusammengestellt wurden,
weshalb deren authentischer und historischer Wert umstritten ist.
14 Ibn al-Kalbī, Das Götzenbuch Kitāb al-Aṣnām des Ibn al-Kalbī, Übers. Rosa Klinke-Rosen-
berger. Leipzig: Harrassowitz, 1941.
15 Karl Ahrens, Muhammed als Religionsstifter. Nendeln: Kraus, 1966, 8–9.
16 Dem Singular wird nur aus sprachpragmatischen Gründen der Vorrang gewährt. Auch der
Religionsbegriff an sich bezogen auf den altarabischen Kult oder die frühislamische Zeit kann
hier nicht differenzierter betrachtet werden, da das Verständnis von Religion im Rahmen des Auf-
Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam 39

Es finden sich Züge von Polytheismus, aber auch Henotheismus. Die Menschen
glaubten an Geister, übten einen Ahnenkult aus, opferten Gottheiten, deuteten
Zeichen als Omen und veranstalteten Wallfahrten und Feste. Zahlreiche Stämme
verehrten Steine, Bäume, Quellen und andere natürliche Gegenstände. Der jewei-
lige Gegenstand konnte die Verkörperung der Gottheit sein, deren Lebensort dar-
stellen oder zumindest als machtgeladen gelten. Die Gottheiten waren im Wesent-
lichen lokale Gottheiten, die bestimmten Stämmen zugeordnet waren und für die
oft eine Kultstätte oder ein heiliger Bezirk mit einem „Hüter“ oder einer „Hüterin“
vorgesehen war. Über die Bewohner von Mekka heißt es, sie hätten Kultbilder in
ihren Häusern gehabt, die sie beim Verlassen und Betreten des Hauses streichel-
ten, um Schutz und Hilfe zu erlangen.17
Es soll der Glaube an einen höchsten Schöpfergott (Allāh) existiert haben,
dem andere Gottheiten, Engel und Geister untergeordnet waren. Diese Götter-
konstellation mit einem höchsten Gott soll für die Lebenspraxis der Araber ein
unsichtbares System gebildet haben, welches der Stammesstruktur ähnelte.
Wendete sich der Araber für die Erfüllung seiner großen Ziele, wie Schutz vor Not,
Dürre oder Unglück, dem Schöpfergott zu, brauchte er ihn nicht für alltägliche
Dinge, wie Heilung von Krankheit, Erfüllung materieller Bedürfnisse u. a.18 Die
Forschung ist sich jedoch nicht einig darüber, ob um 600 Allāh „Hochgott“ oder
Gott im monotheistischen Sinn war oder ob der Hauptgott der Qurayš in Mekka,
Hubal19, eine wichtigere Rolle als Allāh spielte.20 Bei der Eroberung Mekkas soll

satzes kein vordergründiges Thema ist. Zum Religionsbegriff bezogen auf den Frühislam siehe
Doris Decker, Frauen als Trägerinnen religiösen Wissens. Konzeptionen von Frauenbildern in früh-
islamischen Überlieferungen bis zum 9. Jahrhundert. Stuttgart: Kohlhammer, 2013a, 42–76; Hans-
Michael Haußig, Der Religionsbegriff in den Religionen. Berlin: Philo, 1999.
17 Vgl. W. Montgomery Watt und Alford T. Welch, Der Islam I. Mohammed und die Frühzeit –
Islamisches Recht – Religiöses Leben. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: Kohlhammer, 1980; Ibn al-
Kalbī, Das Götzenbuch; Maria Höfner, „Die vorislamische Religionen Arabiens,“ in Die Religionen
Altsyriens, Altarabiens und der Mandäer, Hg. Hartmut Gese u. a. Stuttgart: Kohlhammer, 1970;
Julius Wellhausen, Reste arabischen Heidentums. Berlin: De Gruyter, ³1961; Ahrens, Muhammed
als Religionsstifter.
18 Abdoljavad Falaturi „Der Koran: Zeugnis der Geschichte seiner Zeit,“ in Der islamische Ori-
ent – Grundzüge seiner Geschichte, Hg. Albrecht Noth u. a. Würzburg: Ergon, 1998, 62.
19 Sein Standbild in Menschengestalt im Innern der Kaʿba soll aus rotem Karneol gefertigt ge-
wesen sein. Als Orakel berühmt wurde er bei wichtigen Anlässen um Rat gefragt (Ibn al-Kalbī,
Das Götzenbuch).
20 Für Allāh als „Hochgott“ sprechen Stellen im Koran, die ihn als den „Schöpfer der Welt“ oder
„Spender des Regens“ bezeichnen und ihn als einen Gott darstellen, bei dem geringere Gotthei-
ten Fürsprache erbitten konnten. Vgl. Watt/Welch, Der Islam I, 44. Zum Beispiel Sure 26:61–65
und Sure 39:3; 10:18; der Koran erklärt die Wirksamkeit solcher Fürbitten aber für unwirksam
6:94; 30:12; 36:23; 43:86.
40 Doris Decker

Hubals Bildnis von den Muslimen zerstört worden sein. Insgesamt sollen über 360
Kultbilder sowie Bilder von Abraham, Jesus und Maria in der Kaʿba gewesen sein,
was eine Beziehung von Christen und Juden zur Kaʿba vermuten lässt.21
Berichtet wird ebenfalls über die Verehrung von drei Göttinnen im vorisla-
mischen Arabien, die größeres Ansehen als andere lokale Gottheiten genossen
haben sollen. Unter ihnen waren al-Lāt und al-ʿUzzā, die im zu untersuchenden
Quellenmaterial genannt werden. Al-Lāt, die in ganz Zentral- und Nordarabien
verehrt wurde, hieß ursprünglich al-ilāhat, was zu al-ilāt und dann zu al-Lāt
umgedeutet wurde. Al-Lāt bedeutet „die Göttin“, womit ihr Name das Feminin zu
Allāh ist. Höfner vertritt die These, dass al-Lāt ursprünglich eine ähnlich überra-
gende Gottheit gewesen war wie Allāh. Dafür spreche auch, dass sie „Mutter der
Götter“ genannt wurde, ein Ausdruck für einen besonders hohen Rang (jedoch
nicht wörtlich zu verstehen). Sie wurde als Mutter- und Fruchtbarkeitsgöttin
verehrt und diente auch in der Funktion einer Kriegs- und Schutzgöttin. Ihre zen-
trale Kultstätte war in Ṭāʾif östlich von Mekka und ihr Kultbild ein weißer Granit-
block. Die Hüter ihrer Kultstätte waren die Banū ʿAttāb vom Stamm Ṯaqīf, die sie
ar-rabba („die Herrin“) nannten.22 Al-ʿUzzā, was „die Gewaltigste, die Mächtigste“
bedeutet, wurde vor allem von den Qurayš verehrt, war aber auch bei anderen
Stämmen angesehen. Die Qurayš pilgerten zu ihr, brachten ihr Geschenke und
opferten ihr. Auch Muḥammad soll ihr in seiner Jugend geopfert haben.23 Sie
hatte ihren Sitz in drei Bäumen und ihr heiliges Gebiet war in einem Tal in Naḫla,
östlich von Mekka. Im Jahr 630 wurden die Kultstätten der beiden Göttinnen von
den Muslimen zerstört.24
Juden und Christen waren Jahrhunderte vor dem Islam von Norden und
Süden aus auf die Arabische Halbinsel vorgedrungen. Die beiden Religionen
sorgten neben einer Verbreitung monotheistischen Gedankengutes, für eine Ver-
breitung der aramäischen und hellenistischen Kultur.25

21 Vgl. Ibn al-Kalbī, Das Götzenbuch; Höfner, „Die vorislamische Religionen Arabiens“; Watt/
Welch, Der Islam I; Falaturi, „Der Koran“; al-Wāqidī, Kitāb al-Maġāzī.
22 Vgl. Höfner, „Die vorislamische Religionen Arabiens“; Ibn al-Kalbī, Das Götzenbuch; Well-
hausen, Reste.
23 Ibn al-Kalbī, Das Götzenbuch, 39. Solch eine Eingebundenheit Muḥammads in sein religiöses
Umfeld ist vorstellbar und wird gestützt durch andere Überlieferung, in denen berichtet wird,
dass sein Großvater und dessen Söhne die Aufsicht über die mekkanischen Heiligtümer hatten.
Vgl. Falaturi, „Der Koran“; Walter Dostal, „Die Araber in der vorislamischen Zeit,“ in Der islami-
sche Orient – Grundzüge seiner Geschichte, Hg. Albrecht Noth u. a. Würzburg: Ergon, 1998.
24 Vgl. Ibn al-Kalbī, Das Götzenbuch; Höfner, „Die vorislamische Religionen Arabiens“; Well-
hausen, Reste.
25 Vgl. Bernard Lewis, Die Araber. München: dtv, 2002.
Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam 41

Die Juden hatten sich bis zur Zeit Muḥammads mit der arabischen Bevöl-
kerung vermischt und es kam zu Bekehrungen arabischer Stämme.26 An ihrem
Glauben festhaltend übernahmen sie die Kultur und Sprache der Araber.27 Der
Koran weist viele Lehnwörter aus dem Hebräischen und Aramäischen auf, die
den Hörern der koranischen Botschaft vertraut gewesen sein dürften. Vor dem
Hintergrund der jüdischen Tradition sind auch Züge der koranischen Legenden
zu sehen. Ihre Erwartung des Messias könnte die Araber auf das Erscheinen eines
Propheten vorbereitet haben. Im Nordwesten Arabiens bwohnten sie Oasen wie
Yaṯrib, das spätere Medina. Zur Zeit Muḥammads waren drei der fünf in Medina
lebenden Stämme jüdischen Glaubens, weshalb Medina als ein Zentrum des jüdi-
schen Monotheismus betrachtet werden kann.28
Das Christentum breitete sich hauptsächlich im Süden und im Norden der
Arabischen Halbinsel aus. Im Umkreis von Mekka und Medina waren die Chris-
ten eine Minderheit. Dennoch ist anzunehmen, dass Muḥammad vor seinem
öffentlichen Auftreten mit Christen in Kontakt gekommen ist, was die Koran-
stelle 29:46 f. belegt. Sie spricht von Juden und Christen als Gesprächspartnern
Muḥammads und berichtet von Handelsbeziehungen syrischer Christen nach
Mekka. Eigenständige christliche Gemeinden wird es in Mekka jedoch nicht
gegeben haben.29

2 Die ausgewählten Überlieferungen


Die Sklavin Zinnīra wird als erstes Beispiel für eine Frau vorgestellt, die theo-
logische Reflexionen und Positionierungen anstellt. Die Erzählung, um die es
geht, findet sich in den Textsammlungen von Ibn Hišām, al-ʿUṭāridī und Ibn Saʿd.
Der Kontext der Erzählung ist in allen drei Überlieferungsvarianten der Freikauf

26 Vgl. Ahrens, Muhammed als Religionsstifter.


27 Bernhard Maier, Koran – Lexikon. Stuttgart: Kröner, 2001, 96; Watt/Welch, Der Islam I; Heinz
Halm, Die Araber. Von der vorislamischen Zeit bis zur Gegenwart. München: C.H. Beck, 2004.
28 Vgl. Maier, Koran – Lexikon, 96; Wellhausen, Reste; Watt/Welch, Der Islam I; Halm, Die Ara-
ber.
29 Vgl. Halm, Die Araber; Watt/Welch, Der Islam I; Falaturi, „Der Koran“; Maier, Koran – Lexikon;
Ahrens, Muhammed als Religionsstifter; Tor Andrae, Der Ursprung des Islams und das Christen-
tum. Uppsala: Almqvist & Wiksells, 1926. In Quellen wird jedoch davon berichtet, dass es in der
Umgebung Mekkas vor dem Islam eine christliche Begräbnisstätte gegeben haben soll. Vgl. Dos-
tal, „Die Araber in der vorislamischen Zeit,“ 30.
42 Doris Decker

einiger Sklaven und Sklavinnen durch Abū Bakr30 in Mekka, noch vor der Flucht
der Muslime und Musliminnen nach Medina. Unter diesen Sklaven befand sich
Zinnīra31. Folgendes trug sich nach oder im Zuge ihrer Befreiung aus dem Sklaven-
status zu:

A) […] und Zinnīra, deren Sehkraft beschädigt wurde, nachdem er sie freigekauft hatte.
Dann sagten die Qurayš: „Nur al-Lāt und al-ʿUzzā können ihre Sehkraft genommen haben!“
Da sagte sie: „Beim Hause Gottes [32], sie lügen. Al-Lāt und al-ʿUzzā können weder schaden
noch nützen.“ Daraufhin gab ihr Gott ihre Sehkraft zurück.33
B) Zinnīras Sehkraft war verschwunden. Sie war von denjenigen, die gefoltert wurden wegen
Gott und des Islam. Aber sie wies alles zurück außer den Islam. Da sagten die Beigeseller
[mušrikūn34]: „Nur al-Lāt und al-ʿUzzā können ihre Sehkraft genommen haben.“ Daraufhin
sagte sie: „So?! Bei Gott, so ist das nicht.“ Da gab ihr Gott ihre Sehkraft zurück.35
C) Zinnīra wurde in ihrer Sehkraft geschädigt, woraufhin sie erblindete. Da wurde zu ihr
gesagt: „Al-Lāt und al-ʿUzzā haben dich geschädigt!“ Da sagte sie: „Bei Gott, nein, sie haben
mich nicht geschädigt, das ist von Gott.“ Diese Erkenntnis über ihre Sehkraft war von Gott.
Und er [Gott] gab sie [die Sehkraft] ihr zurück. Da sagten die Qurayš: „Dies ist etwas von
Muḥammads Zauberei.“36

30 Abū Bakr, nach Muḥammads Tod von 632–634 der erste Kalif der islamischen Gemeinschaft,
war ein wohlhabender mekkanischer Kaufmann und der Vater von Muḥammads Frau ʿĀʾiša. Als
einer der ersten Muslime war er der sunnitischen Tradition zufolge einer der engsten Vertrauten
Muḥammads.
31 Ihr Name wird nicht einheitlich vokalisiert, bei Ibn Saʿd wird er auch mit Zunnīra wieder-
gegeben.
32 Mit diesem Schwur meint sie die Kaʿba.
33 Ibn Hišām, Sīra, Bd. 1, 206.
34 Arab. mušrik, Pl. mask. mušrikūn, „der Einen zum Teilhaber macht, ihn als Associé annimmt;
der Gott Genossen gibt, Polytheist“ (Adolf Wahrmund, Handwörterbuch der neu-arabischen und
deutschen Sprache, Bd. 2. Beirut: Librairie du Liban, ³1985); „Polytheist“ (Hans Wehr, Arabisches
Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart. Wiesbaden: Harrassowitz, 1952). Von arab. širk
„Genossenschaft, Kompagnie; Assoziation, Teilhaberschaft“ (Wahrmund); „Polytheismus, Göt-
zendienerei“ (Wehr). In Anlehnung an Müller und Hawting wird im Folgenden mušrik mit „Beige-
seller“ und širk mit „Beigesellung“ übersetzt. Vgl. J.H. Mordtmann und D.H. Müller, „Eine mono-
theistische sabäische Inschrift,“ Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 10 (1896):
290; G.R. Hawting, The Idea of Idolatry and the Emergence of Islam. From Polemic to History.
New York, Cambridge: Cambridge University Press, 1999, 69.) Hawting übersetzt bzw. umschreibt
die Bedeutung von mušrik mit „someone who associates something or someone with God as an
object of worship“ (Hawting, The Idea of Idolatry, 48). Unter einem mušrik wird also eine Per-
son verstanden, die Gott etwas oder jemanden beigesellt und dieses etwas oder jemanden ver-
ehrt bzw. die die Idee der Teilhaberschaft (širk) vertritt. Von daher ist eine Übersetzung mit
„Polytheist“ nicht genau.
35 Al-ʿUṭāridī, Sīra, 191.
36 Ibn Saʿd, Ṭabaqāt, Bd. 8, 187.
Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam 43

Das zweite Beispiel ist Umm Ḥabība, die Tochter Abū Sufyāns37 und Ehefrau des
Propheten. Hintergrund der Überlieferung ist die Bekräftigung des Vertrages von
Ḥudaybīya38 (628), wegen der Abū Sufyān auf dem Weg zu Muḥammad nach
Medina war (noch vor der Einnahme Mekkas im Jahr 630) und bei seiner Ankunft
in der Stadt seine Tochter konsultierte. Folgendes trug sich nach al-Wāqidī zwi-
schen den beiden zu:

Als er sich auf das Lager [Bett, Kissen] des Gesandten Gottes setzen wollte, zog sie es unter
ihm weg. Er sagte: „Willst du dieses Lager nicht für mich oder mich nicht für dieses Lager?“
Sie sagte: „[Weder so noch so], vielmehr ist es das Bett des Gesandten Gottes und du bist
ein unreiner Beigeseller!“ Er sagte: „Oh Töchterchen, Unheil ist über Dich und Dein Wissen
gekommen!“[39] Sie sagte: „Gott hat mich auf den rechten Weg zum Islam geleitet. Und du, o
mein Vater, Anführer der Qurayš und ihr Ältester, was hält dich vom Islam ab, wo du doch
nur einen Stein anbetest, der weder hören noch sehen kann?“ Er sagte: „Oh das verwundert
mich, [nun] das auch von dir? Soll ich ablassen von dem, was meine Vorfahren angebetet
haben, und der Religion Muḥammads folgen?“40

Das dritte Beispiel für eine theologisch reflektierende und argumentierende Frau
ist Umm Sulaym bint Milḥān41. In fünf Überlieferungsvarianten in den Ṭabaqāt
von Ibn Saʿd wird ein Gespräch zwischen ihr und Abū Ṭalḥa Zayd ibn Sahl42
beschrieben, in dem er ihr einen Heiratsantrag unterbreitete. In einigen dieser

37 Abū Sufyān ibn Ḥarb ibn Umayya von der Sippe ʿAbd Šams der Qurayš war ein reicher und
angesehener Kaufmann und Anführer der dem Propheten feindlich gesinnten Mekkaner, der
erst 630 den Islam annahm. Möglicherweise förderte die Heirat seiner Tochter Umm Ḥabība mit
Muḥammad im Jahr 628 eine Annäherung zwischen ihm und dem Propheten. Vgl. Ibn Hišām,
Sīra [dt.], Ibn Isḥāq, Das Leben des Propheten, Übers. Gernot Rotter. Kandern: Spohr, 1999, 270.
38 Im Jahr 628 begab sich Muḥammad auf den Ḥaǧǧ nach Mekka, dessen Durchführung ihm
allerdings von den Mekkanern verweigert wurde. Er handelte mit ihnen einen Vertrag (Vertrag
von Ḥudaybīya) aus, in dem es hieß, dass die Musliminnen und Muslime noch ein Jahr warten
müssten, um Mekka betreten zu dürfen. Vgl. Ibn Hišām, Sīra, Bd. I, 746 f.
39 Arab. yā bunayya laqad aṣābaki bi-ʿilmiki šarr. In den Überlieferungen von Ibn Hišām und
Ibn Saʿd findet sich die Erzählung ebenfalls, aber nur bis zu diesem zitierten Satz und dieser
in einer anderen Variante; die folgende Auseinandersetzung zwischen Umm Ḥabība und ihrem
Vater findet sich ausschließlich bei al-Wāqidī.
40 Al-Wāqidī, Kitāb al-Maġāzī, 792 f.
41 Umm Sulaym gehörte zum Stamm der Ḫazraǧ und lebte in Medina. Vgl. Ibn Saʿd, Ṭabaqāt,
Bd. 8, 311.
42 Abū Ṭalḥa war ein Anṣār und enger Gefährte des Propheten. Vgl. Ṭabarī, Taʾrīḫ [engl.], Bd. 39,
The History of al-Ṭabarī. Vol. XXIX. Biographies of the Prophet’s Companions and Their Successors,
Transl. Ella Landau-Tasseron. New York, Albany: State University of New York Press, 1998, 12,
Fußnote 45. Als Anṣār wurden die in Medina ansässigen Personen bezeichnet, die Muḥammad
bei sich aufgenommen und unterstützt hatten.
44 Doris Decker

Überlieferungsvarianten äußert sich Umm Sulaym im Zuge ihrer ablehnenden


Haltung gegenüber einer Heirat mit Abū Ṭalḥa über die Gottheiten und Kultbilder
der altarabischen Religion. Zeitlich dürfte das Ereignis des Heiratsantrages in die
medinensische Zeit Muḥammads fallen.

A) Abū Ṭalḥa hielt um Umm Sulayms Hand an. Da sagte sie: „Wahrlich, ich glaube bereits
an diesen Mann [Muḥammad] und ich bezeuge, dass er der Gesandte Gotte ist. Wenn Du mir
[darin] folgst, dann heirate ich dich.“ Er sagte: „Ich folge dem Gleichen wie du.“[43] Darauf-
hin heiratete ihn Umm Sulaym und die Brautgabe für sie war der Islam [von Abū Ṭalḥa].44
B) Abū Ṭalḥa hielt [mehrmals] um Umm Sulaym bint Milḥāns Hand an, worauf Umm Sulaym
zu sagen pflegte: „Ich heirate nicht, bis Anas[45] die männliche Reife erlangt hat, am Rat der
Ältesten[46] teilnimmt und sagt, möge es Gott meiner Mutter mit Gutem belohnen, denn ihr
ist meine Vormundschaft[47] gelungen.“ Da sagte Abū Ṭalḥa zu ihr: „Anas sitzt und spricht
bereits im Rat der Ältesten.“ Da sagte Umm Sulaym: „Was von beidem erfüllst du mir, damit
ich dich heirate? Entweder folgst du mir auf meinem Weg oder du hältst das von mir [was
du von mir weißt] geheim, denn wahrlich, ich glaube bereits an diesen Mann [Muḥammad],
den Gesandten Gottes.“ Da sagte Abū Ṭalḥa: „Wahrlich, ich werde dem Gleichen wie du
folgen.“ Und die Brautgabe zwischen den beiden war der Islam [von Abū Ṭalḥa].48
C) Abū Ṭalḥa hielt um ihre Hand an, als er ein Beigeseller war. Sie lehnte ab. Eines Tages
sagte sie zu ihm, wie es erzählt wird: „Siehst du den Stein, den du verehrst? Er kann dir
weder schaden noch nützen. Oder das Stück Holz, das du zum Zimmermann bringst, damit
er es für dich bearbeitet. Schadet es dir? Nützt es dir?“ [möglicher zeitlicher Abstand] Aber es
hatte bereits einen Platz in seinem Herzen eingenommen, was sie zu ihm gesagt hatte. Dann
[nach einer geraumen Zeit] ging er zu ihr und sagte: „Es hat bereits einen Platz in meinem
Herzen eingenommen, was du gesagt hast.“ Und er glaubte [daran]. Sie sagte: „Wahrlich,
dann heirate ich dich und ich nehme nichts anderes [als den Glauben] von dir als Braut-
gabe.“49

43 Arab. fa-anā ʿalā miṯli mā anti ʿalayhi; vgl. Wolfdietrich Fischer, Grammatik des klassischen
Arabisch. Wiesbaden: Harrassowitz, ²1987, § 302. d); arab. maṯal „Ähnliches, Gleiches, Ähnlich-
keit“ (Wahrmund).
44 Ibn Saʿd, Ṭabaqāt, Bd. 8, 311.
45 Anas ibn Mālik war Umm Sulayms Sohn. Von ihm wird berichtet, dass er in den Diensten
Muḥammads stand. Nach dessen Tod pflegte er engen Kontakt zu den vier ersten Kalifen und
überlieferte als einer der ersten wichtigen Gelehrten im Islam zahlreiche Ḥadīṯe. Angeblich soll
er im Jahr 712 (im Alter von 103 Mondjahren) in Basra gestorben und der letzte der Propheten-
gefährten gewesen sein. Vgl. G.H.A. Juynboll, Encyclopedia of Canonical Ḥadīth. Leiden, Boston:
Brill, 2007, 131.
46 Die „Ältesten” sind im Sinne von die „Erwachsenen” zu verstehen.
47 Vormundschaft kann hier im Sinne von Erziehung verstanden werden.
48 Ibn Saʿd, Ṭabaqāt, Bd. 8, 311 f.
49 Ibn Saʿd, Ṭabaqāt, Bd. 8, 311. Der dritten Variante geht eine Erzählung voraus, in der von
ihrem Glauben an den Gesandten Gottes berichtet wird und davon, wie sie ihren Sohn lehrte, an
nur einen Gott zu glauben, und dass sie nach dem Tod von Anas‘ Vater nicht vor der Entwöhnung
ihres Kindes heiraten wollte.
Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam 45

D) Abu Ṭalḥa kam zu Umm Sulaym, um um ihre Hand anzuhalten. Da sagte sie: „Wahrlich,
ich sollte keinen Beigeseller heiraten. Weißt du denn nicht, Abū Ṭalḥa, dass eure Götter,
die ihr anbetet, geschnitzt wurden von einem Menschen irgendeiner Familie, der ein Zim­
mermann ist, und dass sie verbrennen würden, wenn ihr sie mit Feuer anzündet?“ Darauf-
hin entfernte er sich von ihr, aber es hatte bereits etwas davon in seinem Herzen einen Platz
eingenommen. Und jedes Mal, wenn er zu ihr kam, sagte sie ihm dies. Eines Tages aber ging
er zu ihr und sagte: „Was du mir dargelegt hast, dem stimme ich bereits zu.“ Es gab für sie
nichts anderes als Brautgabe als den Islam von Abū Ṭalḥa.50
E) Umm Sulaym sagte: „O Abū Ṭalḥa, weißt du denn nicht, dass dein Gott, den du anbetest,
nur ein aus der Erde gewachsener Baum ist, der von einem Menschen irgendeines Stammes
bearbeitet wurde?“ Er sagte: „Doch.“ Sie sagte: „Schämst du dich nicht, dich niederzuwer-
fen vor einem Stück Holz, das aus der Erde gewachsen war und von einem Menschen irgend-
eines Stammes bearbeitet wurde?“ Dann sagte sie: „Willst du bezeugen, dass es keinen Gott
außer Gott gibt und dass Muḥammad der Gesandte Gottes ist, so lass ich mich von dir hei-
raten und ich will keine Brautgabe von dir außer dies.“ Er sagte zu ihr: „Lass mich [darüber]
nachdenken.“ Dann ging er weg und überdachte alles. Dann kam er wieder und sagte: „Ich
bezeuge, dass es keinen Gott außer Gott gibt und dass Muḥammad der Gesandte Gottes ist.“
Sie sagte: „O Anas, steh auf und verheirate Abū Ṭalḥa.“51

3 Die theologischen Reflexionen und Positionen


Die Überlieferungen geben vor, über Konflikte zwischen unterschiedlich religiös-
orientierten Parteien im frühen 7. Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel in
den Regionen Mekka und Medina zu berichten. Die dabei geschilderten theologi-
schen Reflexionen und Positionen der Frauen kreisen primär um die Fähigkeiten
und den Wirkungsbereich altarabischer Gottheiten bzw. deren Kultbilder, also ihr
Material und ihre Form und deren Bearbeitung bzw. Herstellung durch Menschen-
hand.52 Daneben geht es auch um die religiöse Überzeugung der Frauen selbst,
die sie scharf vom altarabischen Kult und seinen Gottheiten abgrenzen.
Die dominierenden Aussagen – im Folgenden als „geprägte Wendungen“
bezeichnet – über die altarabischen Gottheiten und Kultbilder sind, dass diese
„weder schaden noch nützen“, dass sie „von Menschenhand geschaffen und zer-
störbar“ sind und dass sie „weder hören noch sehen“ können. Die erste Wendung

50 Ibn Saʿd, Ṭabaqāt, Bd. 8, 312.


51 Ebd.
52 Der Unterschied zwischen Gottheiten und Kultbildern ist in den Überlieferungen oft nicht
eindeutig, weshalb nicht uneingeschränkt davon ausgegangen werden kann, dass „Gottheit“ le-
diglich das abstrakte Phänomen und „Kultbild“ die materielle Form einer Gottheit meint. Dieser
Komplexität kann jedoch im Rahmen des Aufsatzes nicht gesondert nachgegangen werden; siehe
hierzu Hawting, The Idea of Idolatry.
46 Doris Decker

wird im Zusammenhang mit den Göttinnen al-Lāt und al-ʿUzzā (Zinnīra) sowie
Gottheiten allgemein in Form von Kultbildern aus Holz und Stein (Umm Sulaym)
genannt, die zweite nur mit den Gottheiten als Kultbildform aus Holz (Umm
Sulaym) und die dritte nur mit der materiellen Gestalt der Kultbilder aus Stein
(Umm Ḥabība). Die geprägten Wendungen beziehen sich in unterschiedlicher
Weise auf die Gottheiten und ihre Beziehung zu den Menschen. Jene Beziehung
wurde recht pragmatisch begriffen, denn die Menschen konnten von den Gott-
heiten gewisse irdische „Dienstleistungen“ erwarten, wenn sie dafür im Gegenzug
zu ihrer Verehrung Kulthandlungen durchführten. Ein Zusammenhang zwischen
den geprägten Wendungen kann darin gesehen werden, dass Hören und Sehen
die Voraussetzung für Schaden und Nutzen ist. Da die Verehrung eines Steins,
der weder hört noch sieht, keine Wirkung erzielt, kann er auch weder schaden
noch nutzen. Die Erschaffung durch Menschenhand geht beidem voraus und wird
gleichsam als der eigentliche Grund für die Machtlosigkeit der Gottheiten identi-
fiziert.
Die ablehnende Haltung der Frauen gegenüber den altarabischen Gotthei-
ten und Kultbildern und damit ihre Abgrenzung von der altarabischen Religion
generell, ähneln sich: Hauptsächlich sprechen die Frauen es den Gottheiten ab,
in positiver oder negativer Art und Weise auf die Lebenssituationen der Menschen
Einfluss nehmen und so Macht ausüben zu können oder in der Form von Kult-
bildern perzeptive Fähigkeiten zu haben. Sind die Gesprächspartner der Frauen
(Abū Sufyān und Abū Ṭalḥa) jedoch anderer Meinung, halten sich die Frauen mit
Kritik diesbezüglich nicht zurück. Besonders das Material aus dem die ­Gottheiten
in ihrer manifesten Form bestehen, Holz und Stein, steht im Fokus der Aufmerk-
samkeit und der Diskussionen. Dabei argumentieren die Frauen, dass die Gott-
heiten in Form von Kultbildern gerade aufgrund ihrer Anfertigung aus irdischer
Materie und der Modellierung durch Menschenhand machtlos sind und das Leben
der Menschen nicht determinieren können. Sie können sich nicht einmal selbst
helfen oder schützen, denn sie würden – insofern sie aus Holz gefertigt sind – im
Feuer verbrennen.
Interessant ist, dass die Frauen nicht einfach die Existenz der altarabischen
Gottheiten in Abrede stellen. Ihnen geht es vorrangig um die Klarstellung, dass
die angebeteten Gottheiten aus organischem Material bestehen, das geformt und
bearbeitet wurde und deshalb etwas Geschaffenes war, was über keinerlei Macht
und Einfluss weder auf das Leben der Menschen noch auf sich selbst verfügt.
Damit steht nicht die Frage nach der Existenz oder Nicht-Existenz der Gottheiten
im Mittelpunkt, sondern die Frage nach den Fähigkeiten und der Macht von Gott-
heiten bzw. Kultbildern sowie deren Geschaffenheit und Nicht-Geschaffenheit.
Nach den Aussagen der Frauen kann etwas aus Materie Geschaffenes keine
höhere Macht besitzen, womit sich dessen Anbetung für den Menschen erübrigt.
Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam 47

Die Zughörigkeit der Frauen zur Religion Muḥammads wird auf unterschied-
liche Art und Weise beschrieben bzw. drücken die Frauen different aus: Zinnīra
wird als äußerst standhaft beschrieben, da sie nur den Islam für sich akzeptierte
und davon nicht abwich, obwohl sie deshalb gepeinigt wurde. Ihre Zugehörigkeit
zur Religion Muḥammads äußert sie, in direkter Rede überliefert, in ihren Schwü-
ren („beim Hause Gottes“, „bei Gott“). Ebenso lässt sich in Zinnīras Überzeugung
erkennen, dass nur Gott ihr die Sehkraft genommen haben kann – wobei, laut
Überlieferung, ihr diese Erkenntnis durch Gott selbst zuteil wurde – und über
solch eine Macht verfügt und nicht die Göttinnen al-Lāt und al-ʿUzzā, wie es die
Qurayš glaubten. Ihr unerschütterlicher Glaube wird von Gott damit belohnt,
dass er ihr die Sehkraft zurückgibt. Umm Ḥabība drückt ihr Zugehörigkeits-
empfinden und ihre Loyalität gegenüber dem Propheten, ebenfalls in direkter
Rede tradiert, durch ihre Erklärung, rechtgeleitet zu sein, aus. In den Berichten
über Umm Sulaym verdeutlichen ihre Erklärungen, an den Gesandten Gottes
zu glauben, und ihre Aufforderung an Abū Ṭalḥa, das Glaubensbekenntnis53 zu
sprechen, ihre religiöse Überzeugung. Gerade durch das Glaubensbekenntnis,
wie es nur in einer der Überlieferungsvarianten über Umm Sulaym vorkommt,
wird ein bestimmtes Gottesbild bzw. Verständnis von Gott transportiert, das in
scharfer Abgrenzung zur altarabischen Religion steht und zentrale Botschaft des
Korans ist: Der Glaube, dass es nur einen Gott gibt („ich bezeuge, dass es keinen
Gott außer Gott gibt“). Nur diesem einen Gott wird in den Texten die Macht über
das Leben der Menschen zugesprochen. Nur er ist fähig, beispielweise über das
visuelle Wahrnehmungsvermögen eines Menschen zu bestimmen und Zinnīra
die Sehkraft zu nehmen sowie zurückzugeben. Und nur er entscheidet, wem er
welche Erkenntnisse über sich, seine Fähigkeiten und Taten zukommen lässt.
Im zweiten Teil des Glaubensbekenntnisses wird die Rolle von Muḥammad als
Gesandter Gottes genannt („und dass Muḥammad der Gesandte Gottes ist“).54

53 Das islamische Glaubensbekenntnis (arab. šahāda) baut sich aus zwei Teilen auf und lautet
(heute): „Es gibt keinen Gott außer Gott und Muḥammad ist der Gesandte Gottes“ (arab. lā ilāha
illā llāh wa-Muḥammadun rasūlu llāh).
54 Für das frühe 7. Jahrhundert ist es unwahrscheinlich, dass das islamische Glaubensbekennt-
nis in einer Form vermittelt wurde, wie es heute noch gebräuchlich ist. Dafür sprechen, dass
der erste Teil des Bekenntnisses („es gibt keinen Gott außer Gott“) nur einmal in seiner heuti-
gen Form (Koranvers 37:35) und einige wenige Male in Varianten (z. B. 6:19) im Koran vorkommt.
Die alternative Formel zu lā ilāha illā llā ist lā ilāha illā huw („es gibt keinen Gott außer ihn“),
die ungefähr dreißigmal im Koran vorkommt. Vgl. Watt/Welch, Der Islam I, 92. Der zweite Teil
(„Muḥammad ist der Gesandte Gottes“) hingegen kommt gar nicht im Koran vor. Ein formelhaftes
Bekenntnis zu Muhammad in so früher Zeit ist unwahrscheinlich, da sein besonderer Stellenwert
als Gottgesandter erst in späterer Zeit an Bedeutung gewann. Frühester schriftlicher Beleg für
48 Doris Decker

Gerade die Erklärungen von Zugehörigkeit (zur eigenen Religion) sowie


Abgrenzung (zur anderen Religion) sind herausragende Aspekte in den Beispie-
len zu den theologischen Reflexionen und Positionierungen der Frauen. Diese
kommen insbesondere in der Überlieferung über Umm Ḥabība zutragen, da hier
bereits die Begriffe „Religion“ und „Islam“ einerseits die religiöse Kluft zwischen
den beiden Protagonisten repräsentieren, andererseits auch ihre religiöse Zuge­
hörigkeit. Während al-Wāqidī Umm Ḥabība ihre Zugehörigkeit zu Muḥammads
Religion mit der Selbstbezeichnung der Muslime, Islam (arab. islām55), unter-
streichen lässt, lässt er Abū Sufyān den Begriff Religion (arab. dīn56) verwenden,
um über die Religion seiner Vorfahren im Kontrast zu der von Muḥammad zu
sprechen. Damit werden beide bezogen auf ihre religiöse Überzeugung strikt
voneinander abgegrenzt. Umm Ḥabība befindet sich durch Gott geleitet auf dem
rechten Weg zum Islam, ihr Vater Abū Sufyān lässt nicht von der Tradition seiner
Vorfahren ab und wertet die Entscheidung seiner Tochter als Unheil. Das ableh-
nende Verhalten von Umm Ḥabība gegenüber ihrem Vater sowie ihre Bezeich-
nung „unreiner Beigeseller“ verschärft die religiöse Kluft zwischen beiden. Auch
in Umm Sulayms Ablehnung des Heiratsantrages von Abū Ṭalḥa, wofür (auch)
seine religiöse Überzeugung ausschlaggebend war, wird das Moment der Abgren-
zung deutlich. Nur in einer der Überlieferungen schließt Abū Ṭalḥas religiöse
Haltung der Beigesellung eine Heirat mit Umm Sulaym nicht aus (Variante B).
Damit veranschaulichen die Überlieferungen, wie die Frauen die eigene religiöse
Überzeugung wahrgenommen und dargestellt haben und die des/der anderen.
Ein interessanter Aspekt ist hier, dass die religiöse Überzeugung für die Frauen
einen solch hohen Stellenwert in ihrem Leben einnahm, dass verwandtschaftliche
Beziehungen eine nachrangige oder sogar hinfällige Rolle spielten – Umm Ḥabība
hört nicht auf ihren Vater und wendet sich völlig von ihm ab – und Heiratsanträge

den zweiten Teil ist eine Bauinschrift der Umayyadenmoschee von Damaskus aus dem Jahr 706,
weshalb angenommen werden kann, dass er erst um 700 gebraucht wurde.
55 Konkret als Eigenbezeichnung für Muḥammads Religion lässt sich der Begriff islām erst für
die medinensischen Suren belegen, wo er in Verbindung mit dīn auftritt. Der Infinitiv islām leitet
sich von dem Verb aslama ab, dessen Bedeutung oft mit „vollständig hingeben“ wiedergegeben
wird. Das Verbum wurde schon früh im absoluten Sinn gebraucht, wobei ein rückbezügliches
Fürwort zum besseren Verständnis der Übersetzung einzufügen ist: „sich [Gott] völlig ergeben“
(Rudi Paret, Mohammed und der Koran. Stuttgart: Kohlhammer, 92005, 80). Dies ist in den Fällen
nicht mehr nötig, in denen das Verbum zum terminus technicus für die von Muḥammad verkün-
dete Botschaft geworden ist. Als wörtliche Grundbedeutung des Begriffs islām werden allgemein
die Begriffe „Rücktritt“ oder „Unterwerfung“, z. B. unter den Willen Gottes, genannt, doch fin-
den sich in der islamischen Geschichte verschiedene Definitionsversuche. Vgl. Helmer Ringgren,
Islam, ’aslama and muslim. Uppsala: C.W.K. Gleerup, 1949; Haußig, Der Religionsbegriff.
56 Arab. dīn „religiöser Kult, Religion, Glaube; Sitte, Gewohnheit; Gericht, Urteil“ (Wahrmund).
Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam 49

durch Andersgläubige abgelehnt wurden – Umm Sulaym will keinen Beigeseller


heiraten.
Im Rahmen der theologischen Diskussionen werden auch Momente von
Überzeugungsarbeit sichtbar: Noch zaghaft äußert sich das im Disput zwischen
Umm Ḥabība und ihrem Vater, als diese ihn fragt, was ihn davon abhalten würde,
dem Islam beizutreten. Sie versuchte ihn davon zu überzeugen, dass er nur einen
gewöhnlichen Stein anbetet, der über keine perzeptiven Fähigkeiten verfügt.
Während Umm Ḥabības Bekehrungsversuch erfolglos blieb, leistete Umm Sulaym
ganze Arbeit und konnte Abū Ṭalḥa davon überzeugen, dass die von ihm ange­
beteten Gottheiten keinerlei Wirkmacht haben. In den Überlieferungen über Umm
Sulaym und Abū Ṭalḥa deutet vor allem der dialogische Aufbau der Textpassagen
darauf hin, dass es um Überzeugungsarbeit und Belehrung geht. Umm Sulaym
führt ihre Belehrung in geschickter Art und Weise durch, nämlich in der Form
von Fragen. Diese haben den pädagogischen Effekt, dass der Angesprochene zur
selbständigen theologischen Reflexionen angeleitet wird. Abū Ṭalḥa zieht sich
laut einigen Überlieferungen tatsächlich zurück und überdenkt seine religiösen
Ansichten. Umm Sulaym kann mit beständigen, belehrenden und zum Nachden-
ken anregenden Bemühungen den Erfolg verbuchen, Abū Ṭalḥa von der Macht-
losigkeit seiner Gottheiten zu überzeugen.
Hinsichtlich der religiösen Überzeugung der Frauen selbst ist allerdings
kein Reflexionsbewusstsein zu erkennen. Sie verweisen zwar auf ihre religiösen
Positionen, führen aber beispielsweise keine apologetische Rede. Hinsichtlich der
Genese der islamischen Theologie erscheint das stringent, da eine spezifische,
sich auf den Islam beziehende Apologetik im frühen 7. Jahrhundert noch nicht
entwickelt war. Kritik an den altarabischen Gottheiten jedoch scheint konventio-
nell für diese Zeiten gewesen zu sein.

4 D
 ie religionsgeschichtliche Verortung
Es kann davon ausgegangen werden, dass Zinnīra, Umm Ḥabība und Umm
Sulaym – insofern sie als historische Gestalten angenommen werden, die im
frühen 7. Jahrhundert in Mekka und Medina gelebt haben – ursprünglich Anhän-
gerinnen der altarabischen Religion waren. In diesem Kontext dürften sie die-
selben Gottheiten angebetet haben, deren Verehrung sie in den betrachteten
Textpassagen kritisieren und für nutzlos erachten. Durch die von Muḥammad ver-
kündeten Offenbarungen und seine Predigten scheinen die Frauen ihre religiösen
Einstellungen überdacht und geändert zu haben. Sie erklären ihren Gesprächs-
partnern, Muḥammad in seiner Religion zu folgen, und sprechen den altarabi-
50 Doris Decker

schen Gottheiten, insbesondere ihrer materiellen Form als Kultbilder, jegliche


Macht ab.
Die geschilderten Ereignisse in den untersuchten Textpassagen stehen
exemplarisch für das Aufeinandertreffen der unterschiedlichen religiösen Par-
teien in Mekka und Medina, von dem die arabisch-islamische Literatur in ihrem
spezifischen historischen Rückblick umfangreich berichtet. Bereits während
Muḥammads öffentlichem Auftreten in Mekka und seiner Verkündigung der
göttlichen Botschaft soll es zu religiösen Disputen und auch brachialen Ausei-
nandersetzungen zwischen ihm und den Mekkanern gekommen sein, weil diese
seine Forderung, nur einen Gott zu verehren, nicht akzeptierten. Da die Muslime
in mekkanischer Zeit in der Minderheit waren, wurden sie in den Kontrover-
sen zu Gedemütigten und Verspotteten. Einige Anhängerinnen und Anhänger
Muḥammads mussten für ihre Entscheidung, Muḥammad zu folgen, sogar mit
ihrem Leben bezahlen.57 Auch über Zinnīra heißt es, dass sie von den Mekkanern
wegen ihrer religiösen Überzeugung gepeinigt wurde.
Damit spannen die Beispiele verschiedene Dimensionen eines Mit- und
Gegeneinanders religiöser Traditionen in unterschiedlichen Phasen der frühen
islamischen Gemeinschaft auf. Zinnīra musste sich in ihrem konfliktträchtigen
Umfeld in der mekkanischen Zeit zur Wehr setzen gegenüber den ihr feindlich
gesinnten Mekkanern und Demütigungen und Repressalien ertragen. Dennoch
blieb sie standhaft in ihrem Glauben an die durch Muḥammad vermittelte gött-
liche Botschaft und riskierte damit ihr Leben. Die beiden anderen Frauen werden
im Gegensatz dazu in konträren Situationen geschildert. Umm Sulaym lebte in
Medina, wo die Muslime von Beginn ihrer Ankunft an im Jahr 622 einen besseren,
da sichereren Stand hatten. Umm Ḥabība hatte ihren Vater nicht zu fürchten, weil
Muḥammad mit seiner Botschaft Erfolg hatte und kurz davor stand, Mekka ein-
zunehmen. Beide unterscheiden sich aber in ihren Reaktionen auf die religiöse
Differenz zwischen sich und dem Andersgläubigen, was sich in ihrem Umgang
mit ihm manifestiert: Während Umm Sulaym gewillt ist, auf freundlich beleh-
rende Art und Weise religiöse Überzeugungsarbeit zu leisten und sich mehrmals
und geduldig mit dem Beigeseller Abū Ṭalḥa auseinanderzusetzen, bringt Umm
Ḥabība ihrem Vater Feindseligkeit und Verachtung entgegen. Es wird ersichtlich,
dass sich die unterschiedlichen Modalitäten eines Mit-, Neben- und Gegeneinan-
ders differenter religiöser Traditionen, wie in den Texten beschrieben, u. a. auf
die konträren Situationen der Muslime und Musliminnen in Mekka und Medina
zurückführen lassen.

57 Ibn Saʿd, Ṭabaqāt, Bd. 8, 193.


Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam 51

Vor allem in der mekkanischen Zeit Muḥammads war laut den Quellen eine
Entscheidung für den Propheten mit großen Risiken für das eigene Überleben
verbunden, denn sie bedeutete eine Abkehr von den ursprünglich ererbten Tra-
ditionen und von der eigenen Familie, wenn diese nicht ebenfalls auf der Seite
Muḥammads stand. Glaubensentscheidungen waren keine von der Gemeinschaft
unabhängigen Entscheidungen, sondern tangierten die Interessenslagen des
Stammes. Muḥammads Forderung, nur einen Gott zu verehren und den altarabi-
schen Gottheiten abzuschwören, muss einem Angriff auf das Stammeswesen an
sich gleichgekommen sein, denn der altarabische religiöse Kult war nach Noth
zugleich integrierendes wie identitätsstiftendes Element eines Stammes.58 Somit
war Muḥammads Botschaft zugleich ein Angriff auf die von den Vorfahren geerb-
ten Traditionen, was einer Verunglimpfung der Vorfahren selbst gleichkam. Mög-
licherweise erfuhren die Qurayš Muḥammads Botschaft als fundamentale Bedro-
hung der eigenen Identität, ihrer Stammesidentität und ihres Ansehens, was zur
Folge hatte, dass sie den von Muḥammad gepredigten Monotheismus boykottier-
ten und mit Polemik, Unterdrückung und gewaltsamer Bekämpfung reagierten.
Der älteste Text, der über die Auseinandersetzungen zwischen Muḥammad
und den Mekkanern über die von ihnen verehrten Kultbilder Zeugnis ablegt, ist
der Koran. Die darin geschilderten Dispute lassen vermuten, dass die Mekkaner
das Insistieren auf ihrer althergebrachten Religion damit verteidigten, der Tra-
dition und dem Glauben ihrer Väter verpflichtet zu sein und diesen treu bleiben
zu wollen59 – eine Argumentation wie in der Textpassage über Abū Sufyān und
seiner Tochter Umm Ḥabība. Die an Muḥammad durch Gott verkündeten Offen-
barungen richteten sich gegen die herkömmliche Tradition der Vorfahren, obwohl
gerade das „‚Väter‘-Verhalten als normsetzende und verbindliche Lebens- und
Rechtsordnung“60 Gültigkeit besaß. Der Koran selbst geht auf das Argument der
Qurayš, die Traditionen der Väter zu wahren, ein:

„Diejenigen, die Polytheisten[61] sind, sagen: ‚Wenn Gott gewollt hätte, hätten wir nichts an
seiner Stelle verehrt, weder wir noch unsere Väter, und wir hätten nichts an seiner Stelle
verboten.‘ So handelten auch diejenigen, die vor ihnen lebten.“62

58 Albrecht Noth, „Früher Islam,“ in Geschichte der Arabischen Welt. Begründet v. Ulrich Haar-
mann und Heinz Halm, (Hg.). München: C.H. Beck, 42001, 21 f.
59 Vgl. Paret, Mohammed und der Koran.
60 Noth, „Früher Islam,“ 23.
61 Die Autorin würde mit „Beigeseller“ bzw. mit „diejenigen, die beigesellen“ übersetzen.
62 Koran 16:35 [dt./arab.]: Der Koran, Arabisch-Deutsch, Übers. Adel Theodor Khoury. Gütersloh:
Gütersloher Verlagshaus, 2004; vgl. auch den Koranvers 6:148. Auch: „Er sagte: ‚Was denn, auch
wenn ich euch bringe, was eine bessere Rechtleitung beinhaltet als das, was ihr bei euren Vätern
52 Doris Decker

Neben den Passagen über die religiöse Tradition der Vorfahren lassen sich
auch die auf die altarabischen Gottheiten bezogenen geprägten Wendungen der
untersuchten Textpassagen im Koran nachweisen. Die Aussagen, in denen den
Gottheiten der altarabischen Religion das Vermögen abgesprochen wird, zu sehen
oder zu hören sowie zu schaden oder zu nützen, finden sich z. B. in den Koran-
versen 5:76 und 7:197 f.: „Sprich: Wie könnt ihr anstelle Gottes dem dienen, was
euch weder Schaden noch Nutzen bringen kann? Und Gott ist der, der alles hört
und weiß.“63 Und: „Diejenigen, die ihr anstelle Gottes anruft, können euch keine
Unterstützung gewähren, noch können sie sich selbst helfen. Und wenn ihr sie
zur Rechtleitung ruft, hören sie nicht. Du siehst, wie sie dich anschauen, aber sie
sehen nicht.“64
Die Frauen könnten also in den Diskussionen über die Gottheiten die korani-
schen Argumentationen aufgegriffen haben, um ihre Gesprächspartner darauf
hinzuweisen, dass die von ihnen verehrten Kultbilder „weder hören noch sehen“
oder „weder schaden noch nützen“ können; Letzteres ist im Koran die dominan-
teste der konstatierten Wendungen. Auch der Ausdruck „von Menschenhand
geschaffen und zerstörbar“ findet sich im Koran wie z. B. in den Koranversen 25:3
und 37:95 f.: „Und sie haben sich an seiner Stelle Götter genommen, die nichts
erschaffen, aber selbst erschaffen werden, und die sich selbst weder Schaden
noch Nutzen bringen können, und die weder über Tod noch über Leben, noch
über Auferweckung verfügen.“65 Und: „Er sagte: ‚Wie könnt ihr denn das vereh-

vorgefunden habt?‘ Sie sagten: ‚Wir verleugnen das, womit ihr gesandt worden seid.‘“ (Koran
43:24 [dt./arab.], Übers. Khoury.)
63 Koran 5:76 [dt./arab.], Übers. Khoury. Auch: „Sprich: Sollen wir statt zu Gott zu etwas rufen,
was uns weder nützt noch schadet, und, nachdem Gott uns rechtgeleitet hat, auf unseren Fersen
kehrtmachen, gleich jenem, den die Satane im Land weggelockt haben?“ (Koran 6:71 [dt./arab.],
Übers. Khoury); „Sie verehren anstelle Gottes, was ihnen weder schadet noch nützt, und sagen:
‚Das sind unsere Fürsprecher bei Gott.‘“ (Koran 10:18 [dt./arab.], Übers. Khoury); „Sprich: Ruft
die, die ihr anstelle Gottes angebt, an. Sie vermögen doch von euch den Schaden weder zu behe-
ben noch abzuwenden.“ (Koran 17:56 [dt./arab.], Übers. Khoury).
64 Koran 7:197 f. [dt./arab.], Übers. Khoury. Auch: „Haben sie denn (überhaupt) Füße, mit denen
sie gehen, oder haben sie Hände, mit denen sie gewaltig zugreifen, oder haben sie Augen, mit
denen sie sehen, oder haben sie Ohren, mit denen sie hören? Sprich: Ruft eure Teilhaber an, und
dann geht gegen mich mit eurer List vor und gewährt mir keinen Aufschub.“ (Koran 7:195 [dt./
arab.], Übers. Khoury)
65 Koran 25:3 [dt./arab.], Übers. Khoury. Auch: „Wollen sie (Ihm) denn solche beigesellen, die
nichts erschaffen, aber selbst erschaffen sind.“ (Koran 7:191 [dt./arab.], Übers. Khoury); „Und
diejenigen, die sie anstelle Gottes anrufen, erschaffen nichts; sie werden aber selbst erschaffen.“
(Koran 16:20 [dt./arab.], Übers. Khoury).
Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam 53

ren, was ihr selbst meißelt, wo doch Gott euch und das, war ihr tut, erschaffen
hat?‘“66
Während die altarabischen Gottheiten im Koran als machtlos dargestellt
werden, da ihnen von dem einen Gott keinerlei Ermächtigung übergeben wurde,67
wird dem einen Gott, dessen Wort Muḥammad predigte, dahingegen zugestan-
den, alles zu hören und zu sehen (z. B. im Koranvers 5:76).68
In den untersuchten Textpassagen finden sich weitere Anlehnungen an den
Koran, wie z. B. die Beschuldigung der Qurayš, dass Muḥammad Zauber ange-
wendet hat (siehe u. a. die Koranverse 37:14 f. und 38:4), im Beispiel um Zinnīra
wieder sehend zu machen, oder der Begriff der Rechtleitung (arab. hudā, siehe
z. B. die Koranverse 6:88, 9:33, 48:28) wie von Umm Ḥabība genannt und ihre
Bezeichnung ihres Vaters als „unreiner Beigeseller“ (arab. anta imruʾun naǧasun
mušrikun; siehe den Koranvers 9:28 mit al-mušrikūna naǧasun).
Eine weitere Parallele zwischen den ausgewählten Berichten und dem
koranischen Text besteht in der Nicht-Leugnung der Existenz der Gottheiten.
Hinsichtlich des Korans vertreten die Islamwissenschaftler W. Montgomery Watt
und Alford T. Welch die These, dass den vorislamischen Gottheiten zu Beginn
der Sendung Muḥammads ihre bloße Existenz nicht abgesprochen wurde. Eine
Zeitlang schien es sogar so, als hätte Muḥammad den Glauben an die Gottheiten
als Fürsprecher akzeptiert, denn im Koran werden sie an bestimmten Stellen als
Engel betrachtet, denen solch ein Amt hätte zukommen können.69 Die drei altara-
bischen Göttinnen, al-Lāt, al-ʿUzzā und al-Manāt, wurden wohl eine Zeitlang von
Muḥammad als Töchter Gottes begriffen, die für die Menschen Fürbitte an Gott
richten konnten. Die islamische Überlieferung nennt die Koranverse, die damit in
Zusammenhang gebracht werden, heute aber nicht mehr Bestandteil des Korans
sind, Satanische Verse, weil sie nach der islamischen Tradition als Einflüsterung
Satans betrachtet werden.70 Für das Ende der mekkanischen Periode vertreten
Watt/Welch die Ansicht, dass ab dieser Zeit die Existenz der Gottheiten jedoch
geleugnet wurde; sie stützen sich dafür auf den Koranvers 53:23.71 Laut dem
Islamwissenschaftler Tilman Nagel entwickelte sich im Gegensatz dazu der von
Muḥammad verkündete Gott zu einer alles bestimmenden Macht, „der der ganze

66 Koran 37:95 f. [dt./arab.], Übers. Khoury.


67 „Das sind nur Namen, die ihr genannt habt, ihr und eure Väter, für die Gott aber keine Er-
mächtigung herabgesandt hat.“ (Koran 53:23 [dt./arab.], Übers. Khoury.)
68 Siehe auch Koran 4:58, 58:1.
69 Watt/Welch, Der Islam I, 88–92.
70 Maier, Koran – Lexikon, 149 f.
71 Watt/Welch, Der Islam I, 92.
54 Doris Decker

Kosmos, das Diesseits, als eine seinsmäßig durch und durch von ihm abhängige
Gegebenheit gegenübergestellt“72 wird.
Nach dem Islamwissenschaftler Rudi Paret ging es in den frühesten Suren
auch nicht darum, dass es nur einen Gott gibt. Paret betrachtet die mono­
theistische Gottesvorstellung als das Ergebnis einer religionsgeschichtlichen
Entwicklung, die erst im Verlauf der mekkanischen Periode eintrat und für die
früheste Zeit der Offenbarungen erst im Ansatz vorlag. Erst in den polemischen
Auseinandersetzungen mit den Mekkanern wäre sich Muḥammad darüber klar
geworden, dass es neben dem einen Gott, der die Erde erschaffen hat und die
Menschen am Tag des Gerichts richten wird, keine weiteren Götter gibt.73 Die
Suren, in denen die Polemik gegen viele Götter eine bedeutende Rolle spielt,
stammen nach Paret aus der zweiten mekkanischen Periode. Im Koran wird den
Beigesellern (mušrikūn) immer wieder ihre Behauptung, Gott stehe nicht für
sich allein, sondern habe Teilhaber neben sich, vorgeworfen. Die betrachteten
Textpassagen spiegeln zwar aufgrund der von ihnen aufgegriffenen Wendun-
gen den Prozess dieser Auseinandersetzungen wider, greifen aber nicht alle im
Koran genannten Argumente auf, die bzgl. der Konflikte mit den Beigesellern
aufgeführt werden. So wird Abū Sufyān und Abū Ṭalḥa zwar ihre Idee der Teil-
haberschaft vorgeworfen, aber es geht z. B. nicht um Gottes Macht über Leben
und Tod. Denn neben der Erklärung, dass die Gottheiten nichts erschaffen
haben, sondern selbst erschaffen sind, geht es im Koran auch darum, dass sie
weder Macht über das Leben, noch über den Tod, und schon gar nicht über eine
Auferstehung besitzen. Sie haben nicht einmal einen Rang inne, durch den sie
Fürsprache bei Gott für die Gläubigen einlegen könnten (u. a. die Koranverse
19:87; 21:28; 30:13 und 43:86). Der Koran verweist in diesem Zusammenhang auf
Abraham, der ebenfalls in Frage gestellt haben soll, ob die Kultbilder die Anbe-
tung ihrer Stammesgenossen hören können oder ihnen Nutzen oder Schaden
bringen:74 „Als er zu seinem Vater sagte: ‚O mein Vater, warum verehrst du
das, was nicht hört und nicht sieht und dir nichts nützt? […]“75 Und: „Er sagte:

72 Tilman Nagel, „Schöpfer und Kosmos im Koran,“ in Götterbilder, Gottesbilder, Weltbilder,


Bd. 2., Griechenland und Rom, Judentum, Christentum und Islam, Hg. Reinhard Gregor Kratz u. a.
Tübingen: Mohr Siebeck, 2006, 203.
73 Paret, Mohammed und der Koran, 103.
74 Paret, Mohammed und der Koran, 103 ff.; vgl. Koran 29:16–17 [dt./arab.], Übers. Khoury.
75 Koran 19:42 [dt./arab.], Übers. Khoury. Auch „Als er zu seinem Vater und seinem Volk sagte:
‚Was sind das für Bildwerke, die ihr verehrt?‘ Sie sagten: ‚Wir fanden, daß bereits unsere Väter
ihnen dienten.‘“ (Koran 21:52 f. [dt./arab.], Übers. Khoury); „Und verlies ihnen den Bericht über
Abraham. Als er zu seinem Vater und seinem Volk sagte: ‚Was betet ihr denn an?‘ Sie sagten: ‚Wir
beten Götzen an, und wir verehren sie beharrlich.‘ Er sagte: ‚Hören sie denn auch, wenn ihr ruft?
Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam 55

‚Wie könnt ihr anstelle Gottes das verehren, was euch nichts nützen und nichts
schaden kann?“76
Insbesondere der Blick auf die Figur des Abraham im Koran eignet sich in
bester Weise, um aufzuzeigen, dass die aus den Überlieferungs- und Koranpas­
sagen extrahierten geprägten Wendungen eine lange Rezeptionsgeschichte auf-
weisen und gängige Topoi in der Reaktion auf und im Umgang mit religiöse(r)
Vielfalt und Differenz (z. B. hinsichtlich der Gottheiten Andersgläubiger) in der
Religionsgeschichte von Judentum, Christentum und Islam sind.77 Bereits ein
Blick in den Tanach lässt ebenfalls Diskussionen um die Fähigkeiten und Mächte
von Gottheiten erkennen und bezeugt, dass Gottheiten und Kultbilder bereits
lange vor dem Islam ein umstrittenes und viel diskutiertes Thema innerhalb der
jüdischen Gemeinschaft waren. In Jer 2,26–28 (datiert um 587/6 v. Chr.78) werden
als Materialien der Gottheiten Holz und Stein angegeben, wie sie auch von den
Frauen im Frühislam genannt werden:

Wie ein ertappter Dieb sich schämt, so müssen sich die Leute vom Haus Israel schämen, sie
selbst, ihre Könige und Beamten, ihre Priester und Propheten. Sie sagen ja zum Holz: „Du
bist mein Vater“, und zum Stein: „Du hast mich geboren“. Sie kehren mir den Rücken zu und
nicht das Gesicht; sind sie aber in Not, dann rufen sie: Erheb dich, und hilf uns! Wo sind nun
deine Götter, die du dir gemacht hast? Sie mögen sich erheben, falls sie dir helfen können,
wenn du in Not bist. Denn so zahlreich wie deine Städte, Juda, sind auch deine Götter.79

In Jes 40,18–20 (datiert vor 539 v. Chr.80) z. B. geht es um die Herstellung solcher
Gottheiten, die ein deutliches Zeugnis von ihrer Machtlosigkeit abgäbe:

Mit wem wollt ihr Gott vergleichen / und welches Bild an seine Stelle setzen? Der Hand-
werker gießt ein Götterbild, / der Goldschmied überzieht es mit Gold / und fertigt silberne
Ketten dazu. Wer arm ist, wählt für ein Weihegeschenk / ein Holz, das nicht fault; er sucht
einen fähigen Meister, / der ihm das Götterbild aufstellt, / so dass es nicht wackelt.81

Oder können sie euch nützen oder schaden?‘ Sie sagten: ‚Aber wir fanden, daß bereits unsere
Väter so handelten.‘“ (Koran 26:69–74 [dt./arab.], Übers. Khoury).
76 Koran 21:66 [dt./arab.], Übers. Khoury.
77 Siehe hierzu Hawting, The Idea of Idolatry, 99 ff. sowie die darin enthaltenen Verweise auf
weitere Literatur zur Thematik.
78 Jan Christian Gertz, Hg., Grundinformation Altes Testament., Stuttgart: Vandenhoeck &
Ruprecht, 2009, 351.
79 Jer 2,26–28, Neue Jerusalemer Bibel, Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der Jerusa-
lemer Bibel, neu bearbeitete und erweiterte Ausgabe, Hg. Alfons Deissler u.a, Freiburg, Basel,
Wien: Herder, 2000.
80 Die „Götzenpolemik“ könnte allerdings eine redaktionelle Erweiterung späterer Zeit sein. Vgl.
Gertz, Grundinformation Altes Testament, 342.
81 Jes 40, 18–20, Neue Jerusalemer Bibel.
56 Doris Decker

Die zitierten Passagen weisen vor allem Ähnlichkeiten mit Umm Sulayms
Bemerkungen über Material und Fähigkeiten der Gottheiten in Form von Kultbil-
dern auf. Auch der Begriff „schämen“ ist eine Parallele. Weitere zu vergleichende
biblische Passagen sind z. B. Psalm 115,4–8 und Jer 10,3–5.
Bezogen auf die koranische Abrahams-Erzählung nimmt der Religionswis-
senschaftler Andreas Grünschloss an, dass haggadisches Traditionsgut aus dem
Judentum der Ausgangspunkt der koranischen Entlehnung ist, das sich ursprüng-
lich im Midrasch Genesis Rabba (datiert 5. Jahrhundert, 38,19) findet.82 Weitere
mögliche Vorlagen sieht er im Jubiläenbuch (Jub 12,1–5; datiert zwischen 167 und
140 v. Chr.83), das ebenso Parallelen zu den hier betrachteten Textpassagen des
islamischen Überlieferungsgutes aufweist:

Und […] da redete Abram zu seinem Vater, indem er sagte: „Vater!“ Und er sagte: „Siehe, ich,
mein Sohn.“ Und der sagte: „Welche Hilfe und Vorteil sind uns von diesen Götzen, die du
verehrst und vor denen du niederfällst? Denn in ihnen ist kein Geist. Denn sie sind stumm,
und ein Irrtum des Herzens sind sie. Verehrt sie nicht! Verehrt den Gott des Himmels, der
Regen und Tau herabsteigen läßt auf die Erde und der alles auf der Erde macht und alles
geschaffen hat durch sein Wort! Und alles Leben ist von seinem Antlitz. Weshalb verehrt ihr
die, in denen kein Geist ist? Denn Werke von Händen sind sie, und auf euren Schultern tragt
ihr sie. Und euch wird keine Hilfe von ihnen sein, sondern große Schande denen, die sie
gemacht haben, und Irrtum des Herzens denen, die sie verehren. Und nun, Vater, verehrt
sie nicht!“84

Auch in anderen außerbiblischen Erzählungen finden sich Parallelen wie im


Midrasch Tanna de-be Elijahu Kapitel 2585 (datiert in das 8. bis 9. Jahrhundert,

82 Andreas Grünschloss, Der eigene und der fremde Glaube: Studien zur interreligiösen Fremd-
wahrnehmung in Islam, Hinduismus, Buddhismus und Christentum. Tübingen: Mohr Siebeck, 1999,
101 f.
83 Klaus Berger, „Das Buch der Jubiläen,“ in Unterweisung in erzählender Form. Jüdische Schrif-
ten aus hellenistisch-römischer Zeit, Bd. 2. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1999, 300.
84 Jub 12,1–5, zit. nach Berger, „Das Buch der Jubiläen,“ 391 f. Ähnlichkeiten auch in der Passage
22,16–18 im Jubiläenbuch: „Und auch du, mein Sohn Jakob, erinnere dich an mein Wort und be-
wahre die Gebote Abrahams, deines Vaters! Trenne dich von den Völkern und iß nicht mit ihnen
und handle nicht nach ihrem Werk und sei nicht ihr Gefährte! Denn ihr Werk ist Unreinheit, und
alle ihre Wege sind befleckt und Nichtigkeit und Abscheulichkeit. Und ihre Opfer pflegen sie den
Toten zu schlachten, und die Dämonen beten sie an. Und auf ihren Gräbern essen sie. Und all ihr
Werk ist nichtig. Und sie haben kein Herz zu denken. Und ihre Augen sehen nicht, was ihr Werk
ist. Und wie irren sie, wenn sie zum Holz sagen: ‚Du bist mein Gott‘ und zum Stein: ‚Du bist mein
Herr, und du bist mein Befreier‘. Und sie haben kein Herz.“ (Jub 22,16–18, zit. nach Berger, „Das
Buch der Jubiläen,“ 437.)
85 Zu Kapitel 25 im Tanna de-be Elijahu siehe Heinrich Speyer, Die biblischen Erzählungen im
Qoran. Hildesheim: Georg Olms, 1961, 137 f.
Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam 57

also zeitgleich mit den betrachteten islamischen Überlieferungen) oder in der


Apokalypse Abrahams in der Vorgeschichte und in 1,1–2,9, 3,1–4 und 6,1 f. (datiert
auf nur wenige Jahre nach 70 n. Chr.)86; exemplarisch einige Verse aus der Apoka­
lypse Abrahams 3,5–4,5 zu Veranschaulichung:

Und ich sprach zu meinem Herzen: „Wenn es also ist, wie könnte denn Marumath, der
Gott meines Vaters, dessen Kopf aus einem Stein geschaffen ist, und er selbst aus einem
anderen, einen Menschen retten oder das Gebet eines Menschen hören und ihm etwas
gewähren?“ – Und da ich so nachsann, kam ich zu dem Hause meines Vaters, […]. Und ich
antwortete (und) sprach zu ihm: „Höre, Vater Thare, gesegnet (seien) die Götter von (dir,
denn du bist ihr Gott, da) du sie geschaffen hast. Denn ihr Segen ist Verderben, und ihre
Macht ist eitel; und sie konnten sich selbst nicht helfen. Wie können sie dir helfen oder
mich segnen? […]“87

Abschließend sei eine auf Ibn Isḥāq zurückgehende Überlieferung hervorgeho-


ben, die sich in der Maġāzī-Fassung der Sīra in der Redaktion von al-ʿUṭāridī
befindet.88 Dort wird berichtet, dass Muḥammad bereits vor den Offenbarungen
durch Gott von seinem Onkel Zayd ibn ʿAmr ibn Nufayl darüber belehrt wurde,
dass die Kultbilder wertlos sind und weder schaden noch nützen. Zayd ibn ʿAmr
wird im Text als einer der Anhänger der Religion Abrahams (arab. dīn ibrāhīm89)
bezeichnet, was bedeutet, dass er nur einen Gott verehrt hat. Als Muḥammad
ihm einmal Essen anbot, das als Opfergabe für die Gottheiten gedacht war, soll
Zayd seinem Neffen erklärt haben, Opferspeisen nicht zu essen. Laut Muḥammad
sei sein Onkel der erste gewesen, der ihn wegen der Gottheiten tadelte – sowie
jene die ihnen dienten und opferten – und ihn aufforderte, damit aufzuhören.90
Gerade solche Überlieferungen sowie andere Berichte über die religiösen Aus-
einandersetzungen zwischen den Mekkanern und Muḥammad suggerieren, dass

86 Belkis Philonenko-Sayar und Marc Philonenko, „Die Apokalypse Abrahams,“ in Apokalyp-


sen. Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, Bd. 5. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus,
2003, 419.
87 ApkAbr 3,5–4,5, zit. nach Philonenko-Sayar/Philonenko, „Die Apokalypse Abrahams,“ 423 f.
Oder 5,14–6,2: „Und er sprach: ‚Groß ist Barisats Kraft! Ich will heute noch einen andern machen,
und morgen soll er mir meine Nahrung bereiten.‘ – Ich aber, Abraham, als ich solche Worte
meines Vaters hörte, lachte in meinem Geiste auf, und stöhnte in Bitternis <und> im Zorn meiner
Seele. Und ich sprach: ‚Wie kann denn irgendetwas, das er selbst geschaffen hat, Götzenbilder,
meinem Vater eine Hilfe sein? […]“ (ApkAbr 5,14–6,2, zit. nach Philonenko-Sayar/Philonenko,
„Die Apokalypse Abrahams,“ 425 f.)
88 Ibn Hišām überlieferte diesen Bericht in seiner Sīra-Fassung nicht. Vgl. Alfred Guillaume,
“New Light on the Life of Muhammad,” Journal of Semitic Studies 1 (1960): 27.
89 Auch arab. al-ḥanīyfiyya dīn ibrāhīm genannt.
90 al-ʿUṭāridī, Sīra, 118.
58 Doris Decker

die in den analysierten Textpassagen geschilderten Themen zwischen den Frauen


und Männern konventionelle Konfliktthemen des frühen 7. Jahrhunderts waren.
Gleichsam vermitteln die zitierten Beispiele eine gute Vorstellung davon, dass
die Textpassagen der arabisch-islamischen Literatur mit den von den Frauen auf-
gegriffenen geprägten Wendungen und Topoi Glieder in einer langen Kette einer
Rezeptionsgeschichte zu Reaktion auf und Umgang mit religiöse(r) Vielfalt und
Differenz in der Form von Gottheiten und Kultbildern Andersgläubiger in der
Religionsgeschichte von Judentum, Christentum und Islam sind. Aufgrund der
Verbreitung von Judentum und Christentum auf der Arabischen Halbinsel kann
von der Entlehnung der Wendungen aus dem jüdischen und christlichen Tra-
ditionsgut ausgegangen werden. Biblische Erzählungen im Koran wie die über
Abraham wurden vermittelt durch die unter Juden und Christen und sicher auch
einem Teil der Anhänger der altarabischen Religion der Arabischen Halbinsel ver-
breiteten mündlichen Überlieferungen und Schriften, d. h. biblische und außer-
biblische Schriften, die nicht Teil der kanonischen jüdischen und christlichen
Texte waren.91 Darüber hinaus reihen sich jene Kettenglieder der jüdischen und
islamischen Textkorpora in eine noch breitere religionsgeschichtliche Tradition
ein. Die Geringschätzung der Verehrung von Kultbildern findet sich z. B. auch
im Buddhismus und wird dort auf Siddhartha Gautama (ca. 5.–4. Jahrhundert
v. Chr.), den Buddha, oder auf den wegleitenden Denker des Mahayana-Buddhis-
mus, Nagarjuna (ca. 2. Jahrhundert), zurückgeführt.92 Die Verachtung der Dar-
stellungen von Gottheiten in der Form von Kultbildern hat eine lange Geschichte
und ist eng verknüpft mit der Vorstellung, dass Welthaftes nicht mit Weltlosem
und Vergängliches nicht mit dem Ewigen identifiziert werden darf – diesem
lehnen sich die islamischen Überlieferungen mit dem Thema der „Erschaffenheit
der Gottheiten“ an.

5 D
 ie Geschlechterkonzeptionen
Die ausgewählten Überlieferungen transportieren Geschlechterkonzeptionen,
die einige herausragende Merkmale aufweisen: Festzuhalten ist zuvörderst, dass
die Frauen als fromme Gläubige beschrieben werden, die auch dann nicht vom
Islam ablassen, wenn ihr Leben gefährdet ist. Gefasst und ohne Klage treten sie

91 Berger, Islamische Theologie, 50 f.


92 Georg Schmid, „Götze,“ in Taschenlexikon Religion und Theologie, CD-ROM. Berlin: Direct-
media Publ., 1999, Bd. 2, 216.
Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam 59

ihren persönlichen Schicksalen entgegen, nehmen familiäre Brüche und Tren-


nungen, lebensbedrohliche Situationen und Folter sowie ein partnerschaftsloses
Leben in Kauf. Durch solche Darstellungen werden die Frauen als selbstbewusst
und autonom in ihrem Denken und in ihren Handlungen beschrieben. Sie ent-
scheiden eigenständig über ihre Glaubenszugehörigkeit und ihren Lebensweg,
stehen unbeirrbar hinter ihren Entscheidungen und lassen sich weder durch
ein Kollektiv noch durch Einzelne dominieren bzw. davon abbringen. In keinem
Moment äußern sie Zweifel an ihrer Entscheidung, Muḥammad zu folgen und
an seine göttliche Botschaft zu glauben, selbst dann nicht, wenn sie den Verlust
ihrer Sehkraft zu verschmerzen haben. Die altruistische Haltung Umm Sulayms,
den Islam Abū Ṭalḥas als Brautgabe zu akzeptieren, Zinnīras Glaubensstärke trotz
Folter sowie Umm Ḥabības Zurückweisung des Vaters verleihen dem Islam die
absolute Priorität im Leben der Frauen. Die Positionen der Frauen hinsichtlich
der altarabischen Religion und des Islam unterscheiden sich nicht, ob sie nun
aus einer Minderheits- (Mekka) oder Mehrheitssituation (Medina) erfolgen. Mit
diesen Darstellungsmodi wird den Frauen eine Vorbildfunktion für Musliminnen
und Muslime zugewiesen – sie werden zu idealen Vorbildern93 für die islamische
Gemeinschaft und zu „Repräsentantinnen einer [neuen] sinnstiftenden Struk-
tur“94, des Islam.
Bei einem Vergleich der Geschlechterdarstellungen und -beziehungen fallen
weitere Aspekt der Konzeptionen auf: Männer und Frauen setzen sich vorbehalt-
los miteinander auseinander und führen theologische Diskussionen. Dabei wird
die Geschlechterdifferenz nicht thematisiert. Frauen nehmen einen belehrenden
Part ein und kritisieren ihre männlichen Gesprächspartner hinsichtlich deren
theologischer Ansichten. Im Gegensatz zu den Männern sind die Frauen in den
Darstellungen auf dem richtigen Weg. Sie sind diejenigen, die geistig aktiv sind
und das „richtige“ Wissen besitzen, denn sie wissen von der Machtlosigkeit der
Gottheiten und welche die „richtige“, da nutzenbringende und helfende Religion
ist. Die Männer hingegen werden unvernünftig und einfältig dargestellt, da sie
vom falschen Glauben überzeugt sind, von etwas, das weder ihnen noch sich
selbst helfen kann. Auch diese Darstellungen weisen gängige Stereotypen der

93 Arabisch-islamische Texte bis zum 9. Jahrhundert weisen eine Idealisierung weiblicher mus-
limischer Figuren auf: Stowasser hat das insbesondere für die Frauen des Propheten gezeigt, die
im Zuge der Idealisierung der Frühzeit des Islam literarisch zu Vorbildern stilisiert wurden, siehe
Stowasser, Women in the Qur’an, 106–118.
94 Doris Decker „Frauen zwischen Selbst- und Fremdbestimmung. Wandel weiblicher Ge-
schlechterkonstruktionen in religiösen Veränderungsprozessen am Beispiel frühislamischer
Überlieferungen,“ in Doing Gender – Doing Religion. Fallstudien zur Intersektionalität im frühen
Judentum, Christentum und Islam, Hg. Ute E. Eisen u. a. Tübingen: Mohr Siebeck, 2013b, 220.
60 Doris Decker

Religionsgeschichte auf: Idolatrie wird von deren monotheistischen Gegnern in


Polemiken oft als menschliche Dummheit und Leichtgläubigkeit stigmatisiert.95
Insofern versuchen die Frauen die Männer vor einem falschen, da unnützen
Glauben bzw. vor dem falschen Weg zu bewahren – die Texte präsentieren die
Frauen als religiöse Mentorinnen der Männer.
Auffällig sind auch die dialogischen Gestaltungen der Unterhaltungen zwi-
schen den Diskutanten, da jene ein Ungleichgewicht zwischen ihnen hinsichtlich
ihres Redeanteils am Gespräch sowie der Modalität des Dialoges aufweisen. Dif-
ferente Positionen werden nur von einer Seite (Umm Ḥabība, Umm Sulaym) zur
Aussprache gebracht und es fehlen mögliche Gegenargumente von Abū Ṭalḥa,
um seine religiöse Überzeugung, seine Gottheiten und deren Wirkmacht zu ver-
teidigen oder dafür zu argumentieren; Abū Sufyāns Gegenargument ist durch die
interrogative Form abgemildert. Differenzen werden damit einseitig dargestellt
und bestimmte Positionen präsenter. Das macht die vermeintlichen Dialoge der
Texte vielmehr zu Monologen von Frauen, da Differenzen nicht zu gleichen Antei-
len und bestimmte Positionen präferiert dargestellt werden. Abū Ṭalḥas Agieren
wird im Gegensatz zu dem von Umm Sulaym eine passive Note verliehen und er
bekommt weniger Redezeit zugesprochen. Auch dies könnte ein Indiz dafür sein,
dass die Anhängerinnen Muḥammads durch redaktionelle Eingriffe in späteren
Zeiten in eine vorteilhaftere Situation gebracht und als Vorbilder stilisiert wurden.
In der historischen Realität hingegen dürften derartige Gespräche zwischen den
Geschlechtern lebendiger und kontroverser abgelaufen sein. Ausschlaggebend für
diese besondere literarische Gestaltung der Unterhaltungen dürfte aber weniger
das Geschlecht, als vielmehr die religiöse Überzeugung der Frauen gewesen sein,
die im eigentlichen Interesse der muslimischen Tradenten stand.

6 G
 eschlecht und Theologie
Bezogen auf den theologischen Gehalt der Textpassagen kann festgehalten
werden, dass die Tradenten Frauen theologische Reflexionen, Positionen und
Wissen über Gott und die altarabischen Gottheiten bzw. ihre Kultbilder und
damit generell das Vermögen zum theologischen Nachdenken attestieren. Es
werden Frauengestalten konzipiert, die theologisches Gedankengut rezipieren,
reflektieren und diskutieren, problematisieren und applizieren, um z. B. für
ihre eigene religiöse Überzeugung und Position zu werben. Die Überlieferungen

95 Hawting, The Idea of Idolatry, 98.


Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam 61

suggerieren, dass die Frauen hinsichtlich der von ihnen aufgegriffenen gepräg-
ten Wendungen auf die von Muḥammad verkündete Botschaft oder bereits
kursierendes theologisches Gedankengut rekurriert haben. Indem die Frauen
über das Material und die Fähigkeiten altarabischer Gottheiten reflektieren und
diskutierten, wird ihnen das Vermögen abstrakten Denkens zugesprochen. Dies
erklärt sie zu Kennerinnen theologischer Grundnormen. Beispielsweise ist der
Glaube, dass es außer Gott keinen Gott gibt – wie in den Textpassagen über Umm
Sulaym ausgedrückt –, gleich zu Beginn der islamischen Theologie ein wichtiger
Bestandteil der Gotteslehre. Darüber hinaus werden die Frauen durch ihre päd-
agogisch versierte religiöse Überzeugungsarbeit als theologische Lehrpersonen
konzipiert.
Aus der Perspektive der Geschlechterforschung kann festgehalten werden,
dass es für die Tradenten und Kompilatoren des 8. und 9. Jahrhunderts – unab-
hängig davon, ob die Berichte nun historische Tatsachen reflektieren oder nicht –
eine Selbstverständlichkeit war, dass Frauen theologische Reflexionen anstellen,
über theologische Fragen diskutieren sowie ihre männlichen Gesprächspartner
kritisieren, belehren und von den eigenen Ansichten zu überzeugen versuchen. Da
die Interaktionen zwischen den Geschlechtern vorbehaltlos dargestellt werden,
war die Geschlechterdifferenz für die Tradenten der Überlieferungen nicht von
Belang. Die von den Frauen für sich beanspruchten Rollen wie beispielsweise die
einer belehrenden Person sowie ihre selbstbewussten und autonomen Denk- und
Handlungsweisen werden von den Tradenten und Kompilatoren weder missbilligt
noch literarisch ausgemerzt. Daraus, dass redaktionelle Veränderungen höchs-
tens für die Formulierungen der Frauen hinsichtlich ihrer religiösen Überzeugun-
gen (Glaubensbekenntnis) oder die Kommunikationsstrukturen der skizzierten
Gespräche (Redeanteil beim Dialog) angenommen werden können, kann gefol-
gert werden, dass die konkrete Gestaltung der Geschlechterkonzeptionen nicht
durch das Geschlecht der jeweiligen Personen bedingt wurde, sondern durch ein
neues dem Denken und Handeln zugrunde liegendes Normen- und Wertesystem,
an dem sich die religiöse Überzeugung der Frauen orientierte. In einem früheren
Aufsatz habe ich bereits in einem anderen Zusammenhang aber auch bezogen auf
das Zusammenspiel von Geschlechterkonzeptionen und religiösen Überzeugun-
gen nachgewiesen, dass die Überlieferungen eine Konfrontation und Ablösung
konkurrierender Normen- und Wertesysteme bezeugen, die sich auf die Darstel-
lung der Geschlechter ausgewirkt hat:96

96 Vgl. Decker, „Frauen zwischen Selbst- und Fremdbestimmung“.


62 Doris Decker

„Was in den Überlieferungen viel konkreter die Gestaltung und den Wandel der
Geschlechterkonstruktionen dominiert, ist das […] Normen- und Wertesystem, an dem sich
die religiöse Überzeugung der Frauen orientiert. Anstößig waren weniger selbstbestimmtes
Denken und Verhalten, als vielmehr das vorislamische Normen- und Wertesystem sowie in
besonderer Weise die altarabische Religion. Der Kampf dagegen beeinflusste die Gestaltung
der Geschlechterkonzepte.“97

Auch im Kontext früher islamischer Theologie lässt sich zeigen, dass der Fokus
der Tradenten hinsichtlich der Gestaltung der Überlieferung nicht auf den
Geschlechterkonzeptionen, sondern auf den religiösen Positionen der Akteure
und Akteurinnen lag.98

Fazit
Mit den in den Textauszügen geschildeten Interaktionen liegen aus der Pers-
pektive der arabisch-islamischen Literatur Beispiele für den Umgang mit und
die Reaktion auf religiöse(r) Vielfalt und Differenz im Frühislam vor. Die Prota-
gonisten beziehen sich in ihren Disputen auf die eigene Religion und die des/
der anderen, womit verschiedene Dimensionen eines Mit- und Gegeneinanders
religiöser Traditionen aufgespannt werden. Dabei kommt es zu beiderseitiger
Kritik, wobei die Kritik an der altarabischen Religion und ihren Gottheiten bzw.
Kultbildern von Seiten der Anhängerinnen des Propheten Muḥammad in auffäl-
liger Weise überwiegt, was das Resultat redaktioneller Eingriffe durch Tradenten
späterer Zeiten gewesen sein könnte, die Kritik am Propheten und seiner Bot-
schaft inakzeptabel fanden. Die Frauen erfahren die andere religiöse Tradition als
mit der eigenen Überzeugung unvereinbar. Ihr Umgang mit und ihre Reaktionen
auf andere(n) religiöse(n) Überzeugungen setzen sich zusammen aus Formen von
Kritik, Koexistenz und Abgrenzung.
Die Texte vermitteln den Eindruck, dass es sich hier um erste Versuche einer
spezifisch islamischen Theologie bzw. um eine frühe Etappe im langwierigen
Prozess der Herausbildung einer islamischen Theologie bzw. Auffassung über
Gott handelt. Es kann dabei vor allem an den zweiten Part des den Aufsatz ein-
leitenden Zitates von Berger angeknüpft werden. Denn es geht in den Berichten

97 Decker, „Frauen zwischen Selbst- und Fremdbestimmung,“ 219.


98 Weiteres zur These, dass der Normen- und Wertewandel in frühislamischer Zeit – von der
altarabischen Religion zum Islam – die Gestaltung der Geschlechterkonzeptionen in den Über-
lieferungen bedingte, siehe Decker, „Frauen zwischen Selbst- und Fremdbestimmung“.
Theologische Reflexionen von Frauen im Frühislam 63

vorrangig um Abgrenzung zu und Verteidigung gegen abweichende(n) Auffassun-


gen von der eigenen Auffassung, weshalb die Überlieferungen eine frühe Phase
eines Abgrenzungsprozesses und somit auch Identitätsfindungsprozesses wider-
spiegelt, für die – mit Laclau gesprochen – Zuordnungen (nach innen, Stichwort
„Logik der Äquivalenz“) und Abgrenzungen (nach außen, Stichwort „Logik der
Differenz“) charakteristisch sind, da sich Identitäten erst über Differenzen bzw.
Differenzbildungen konstituieren.99 Bezogen auf eine sehr frühe Phase spezifisch
islamisch-theologischer Reflexionen tragen die antagonistischen Positionierun-
gen und Abgrenzungen der Frauen gegenüber anderen Identitäten, der altarabi-
schen Religion und ihren Anhängern, zur Konstituierung des Eigenen, des Islam,
bei. Die Vermittlung der Überlieferungen und ihre Verschriftlichung spätestens
in den Textsammlungen des 8. und 9. Jahrhunderts unterstützten die Bildung,
Festigung und Normsetzung einer islamischen Identität.100
Mit dem Blick auf die Zeit der Quellenkompilation, also das 8. und 9. Jahr-
hundert weisen die Texte nur geringe Anknüpfungspunkte an die islamische
Theologie dieser Jahrhunderte auf. Das dürfte zu einem großen Teil daran liegen,
dass es sich bei den betrachteten Kompilationen um biographische Geschichts-
schreibung handelt, die weniger theologischen Zwecken diente.101 Dennoch
lehnen sich die Texte aufgrund der formulierten theologischen Gedanken zu den
durch Menschenhand gefertigten Kultbildern durchaus an spätere theologische
Debatten an. Die eigentliche Intention der Tradenten dürfte darin bestanden
haben, die Materialität und Kompetenz altarabischer Gottheiten abzuwerten
und ihre Verehrung dadurch als unnütz und unvernünftig abzuqualifizieren, um
damit indirekt ein mächtigeres Gottesbild, das jeglicher Materie enthoben ist, zu
propagieren. Diese Vorstellungen können durchaus im Kontext der islamischen
Theologie des 8. und 9. Jahrhunderts gesehen werden, als kontroverse Debatten
über anthropomorphe Vorstellungen über Gott geführt wurden. Insofern sind die
Überlieferungen bezogen auf die Kritik am altarabischen Kult einerseits Teil einer
langen Rezeptionsgeschichte zu Reaktion auf und Umgang mit religiöse(r) Diffe-
renz und Vielfalt innerhalb der Religionsgeschichte (bzw. Teil der Diskurse von
Theologien in der Geschichte unterschiedlicher Religionen) – wie anhand bib-
lischer und außerbiblischer Texte belegt –, andererseits Teil der Herausbildung

99 Andreas Reckwitz, „Ernesto Laclau: Diskurse, Hegemonien, Antagonismen,“ in Kultur: Theo-


rien der Gegenwart, Hg. Stephan Moebius u. a. Wiesbaden: Springer, 2016, 334.
100 Inwiefern literarisch konstruierte Geschlechterkonzeptionen im Dienst der Herausbildung
und Festigung einer islamischen Identität stehen, zeige ich in meinem Aufsatz „Frauen zwischen
Selbst- und Fremdbestimmung“, siehe Decker, „Frauen zwischen Selbst- und Fremdbestim-
mung“.
101 Zu spezifisch theologischer Literatur im Frühislam siehe Berger, Islamische Theologie, 25–32.
64 Doris Decker

einer spezifisch islamischen Theologie. Bereits seit deren Anfängen wurden z. B.


anthropomorphe Gottesvorstellungen, in deren Bereich die Kritik an den Gott-
heiten und Kultbilder fällt, kontrovers diskutiert und im 9. und 10 Jahrhundert
von islamischen Gelehrten zurückgewiesen.102
Anhand der untersuchten Überlieferungen und wie im vorherigen Kapitel
dargelegt, wird die Verflechtung von Geschlechterkonzeptionen mit – aufgrund
ihrer inhaltlichen Ausrichtung – theologischen Entwicklungsprozessen deutlich.
Die Geschlechterkonzeptionen sind bedingt durch ein sich noch in den Anfän-
gen befindendes islamisches Normen- und Wertesystem und stehen mit ihren
Zugehörigkeitsbekundungen zur Botschaft des Propheten Muḥammad, die nach
innen Zusammenhalt bekunden, sowie ihren Abgrenzung nach außen gegenüber
dem altarabischen Kult im Dienst der Entwicklung, Etablierung und Festigung
einer islamischen Identität. Solche Interdependenzen werden besonders dann
ersichtlich, wenn Überlieferungen kontextualisiert und als Teil einer Rezeptions-
geschichte religiöser Traditionen betrachtet werden.

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Mourad Qortas
Der Ambiguitätsdiskurs in der
Koran-Gelehrsamkeit
Ein Phänomen islamischer Rationalität

Al-muḥkam wa l-mutašābih ist ein prominenter und viel diskutierter Fachbegriff


in den klassischen Koranwissenschaften (ʿulūm al-Qurʾān)1. Als eine koranische
Unterdisziplin geht es dabei um die im Vers (3:7)2 vom Koran selbst aufgeworfene
Frage nach dem Wesen und der Funktion seiner mehrdeutigen Verse. Dabei spielt
die Frage nach der Interpretierbarkeit der koranischen Mehrdeutigkeit eine zen-
trale Rolle. Die Diskussion in der Koranexegese zeigte, dass es den muslimischen
Exegeten nicht nur um bestimmte Verse ging, sondern vielmehr um die Natur
und das muslimische Selbstverständnis von Offenbarung. Angesichts dieser
Frage sahen sie sich veranlasst, Lösungskonzepte zu entwerfen, zumal die dort
formulierte Mehrdeutigkeit bei manchen zum Einfallstor für heterodoxe Aussagen
wurde und Mehrdeutigkeit aus Sicht der Orthodoxie eine potentielle Gefährdung
der dogmatischen Einheit darstellt.
Der Vers stellte den Exegeten vor zwei Fragen: Die erste war die nach
der Bedeutung der Begriffe muḥkamāt (übersetzt als eindeutige Verse) und
mutašābihāt (übersetzt als mehrdeutige Verse) die andere die nach der Legitimi-
tät der Koraninterpretation.3 Diese Herausforderungen lassen sich durch den
Umstand erklären, dass der Koran sich an einigen Stellen selbst als klar und ein-
deutig und an anderen als unklar und mehrdeutig beschreibt, was den Eindruck
vermitteln kann, der Koran sei voller Widersprüche.4 Die islamische Korane-
xegese sah sich infolgedessen vor der Aufgabe gestellt, im Zusammenhang mit
dem in allen Richtungen des Islam theologisch einflussreichen Dogma von der
Unnachahmbarkeit des Korans (iʿğāz al-Qurʾān) jeden Verdacht einer Inkohärenz

1 as-Suyūṭī, Ğalāl ad-Dīn ʿAbd ar-Raḥmān. al-Itqān fī ʿulūm al-Qurʾān, hg. v. Mustapha Šaiyḫ,
Mustapha, Beirut, 2007, 425 ff.
2 Koran (3:7): ‫هو الذي أنزل عليك الكتاب منه آيات محكمات هن أم الكتاب وأخر متشابهات فأما الذين في قلوبهم زيغ‬
‫فيتبعون ما تشابه منه ابتغاء الفتنة وابتغاء تأويله وما يعلم تأويله إال الله والراسخون في العلم يقولون آمنا به كل من عند ربنا‬
‫وما يذكر إال أولو األلباب‬
3 Kinberg, Leah. Muḥkamāt and Mutašābihāt (Koran 3:7). “Implication of a Koranic Pair of
Terms in Medieval Exegesis.” In Arabica, T. 35, Fasc., 143–172, 143.
4 zu Beginn der Hūd-Sure stellt Gott den Koran als ein Buch vor: „dessen Verse eindeutig be-
stimmt, dann ausführlich dargelegt wurden“, dennoch beschreibt der Koran in Vers (3:7) einen Teil
seiner Verse als unklar und mehrdeutig.

https://doi.org/10.1515/9783110588576-005
68 Mourad Qortas

des Korans zu widerlegen. Diese Aufgabe bestand darin, gerade in diesem schein-
baren Widerspruch sein Wunder zu beweisen. Dies erklärt, warum die Frage von
muḥkam und mutašābih in der klassischen Exegese Kern der Debatte um die
Unnachahmbarkeit des Korans war.5
Die muḥkamāt und mutašābihāt werden im Vers als zwei verschiedene Kom-
ponenten des koranischen Textes erklärt. Dieser Kontrast zwischen den klaren
muḥkamāt und den unklaren mutašābihāt ist die herrschende Annäherung bei
der Erklärung dieser beiden Termini. Mit den mutašābihāt, als ähnliche Verse
beschrieben, wird hauptsächlich einen Bezug zum sprachlichen Wunder des
Korans hergestellt. Die gleichen Verse, aber diesmal als unklare Verse beschrie-
ben, werden herangezogen, um für die Frage der Interpretierbarkeit des Koran
im Zusammenhang mit der Frage des nāsiḫ wa l-mansūḫ (der Abrogierende und
das Abrogierte) zu argumentieren. Muslimische Exegeten waren sich einig, dass
der Mehrdeutigkeitsvers wesentlich zur frühen Formung koranischer Auslegung
beitrug, wenn nicht gar ihren Ausgangspunkt verkörpert, da dessen Kommen-
tierungen wie bei keiner anderen Passage im Koran die Reflexionen über das
historische und typologische Spektrum interpretativer Methoden am besten ver-
anschaulichen.6
Ich werde in dieser Arbeit die verschiedenen exegetischen Ansätze zur
Erschließung der Mehrdeutigkeitsfrage im Koran vorstellen. In diesem Rahmen
werden die verschiedenen Definitionen sowie die Vorstellungen über die Wech-
selwirkungen beider Begriffe, die hinter der jeweiligen Definition stehen und
deren Bedeutung für die Koranexegese vorgestellt und diskutiert. Der Fokus der
Arbeit ist hierbei stärker auf den mutašābih gesetzt, da die Korrelation zwischen
dem muḥkam und dem mutašābih durch die Bedeutung, die dem mutašābih
zugeschrieben wird, bestimmt ist. Daher besteht das Hauptinteresse dieser Arbeit
darin, zu untersuchen, auf welche Art und Weise, das mutašābih sich auf den
muḥkam bezieht.

5 „Or, le problème du muḥkam/mutašābih se situe au cœur même de ce débat (iʿğāz)“ vgl. La-
garde, Michel. „De l’Ambiguïté (Mutašābih) dans le Coran: Tentatives d’Explication des Exégètes
Musulmanes.“ In Quaderni di Studi Arabi, Bd. 3 (1985): 45–62, 46.
6 „A passage, unanimously agreed to represent the point of departure for all scriptural exegesis”.
Wansbrough. Quranic Studies, Sources and Methods of Scriptural Interpretation. New York, 2004,
149.
Der Ambiguitätsdiskurs in der Koran-Gelehrsamkeit 69

1 Philologische Aspekte koranischer Ambiguität


Die lexikalische und syntaktische Ambiguität des Verses (3:7) und seine Tragweite
hinsichtlich der Natur des koranischen Textes und der Frage seiner Interpreta-
tion, die für alle Bereiche der Religion von zentraler Bedeutung sind, hat diesen
Vers zum Ziel intensiver Exegese gemacht. Der vage syntaktische Aufbau des
letzten Teils des Verses ermöglicht zwei Lesarten. Die erste besagt, dass allein Gott
über das Wissen vom Mehrdeutigen des Korans (‫ ;ما تشابه منه‬mā tašābaha minhu)
verfügt und die zweite, dass die mehrdeutigen Verse auch von den Gelehrten ver-
standen und ausgelegt werden können.
Die muḥkamāt werden im Vers als „umm al-kitāb“ beschrieben, wortwört-
lich übersetzt: „die Mutter des Buches“. Demnach bilden sie den Hauptteil des
Korans. Die mutašābihāt werden als „uḫar“, als die anderen oder die restlichen
beschrieben womit ihre semantische Unterordnung im Text suggeriert wird. Auch
wenn beide Kategorien zum Gotteswort gehören, scheint der Text sie unterschied-
lich zu gewichten. Diejenigen, die im Herzen abwegige Absichten (zaiġ; Devia-
tion) hegen, befolgen vorrangig die mehrdeutigen Verse mit der Absicht, Zwie-
tracht (fitna) zu stiften und sie gemäß ihrer eigenen Deutung zu interpretieren.
Die mutašābihat werden im Vers in Verbindung mit böswilligen und abwegigen
Absichten derjenigen zusammengebracht, die das Mehrdeutige für Zwietracht
und für interpretative Zwecke nutzen wollen. Durch die Konjunktion von Interpre-
tation und Zwietracht lässt der Vers das Interpretieren des Korans mit einer nega-
tiven Konnotation erscheinen. In frühen Kommentaren, die eher etwas von einem
lexikalischen Glossar hatten oder Formen von Paraphrasierungen sind, war das
Augenmerk der Exegeten nicht so sehr auf die muḥkamāt und mutašābihāt gelegt,
sondern mehr auf die beiden Begriffe des zaiġ und fitna.7
Für zaiġ gebrauchten Muğāhid, Zayd ibn ʿAlī und Abū ʿUbayda entweder šakk,
den Zweifel oder ğawr, die Unterdrückung als Synonyme. Für fitna schlugen sie
entweder Chaos oder kufr; Unglaube vor.8 ʿAbd ar-Razzāq bezieht sich bezüglich
des Ausdrucks zaiġ auf Qatāda, der den Begriff mit Bezug auf frühe muslimische
Häresiographie erklärt und sagt: „wenn damit nicht die Ḥarrūriyya (al-Ḫāriğiten),

7 McAuliffe, Dammen Jane. Text and Textuality: Q. 3:7 as a Point of Intersection. In Literary Struc-
tures of Religious Meaning in the Qurʾān, hg. v. Issa Boullata. Richmond, Surrey, 2000, 56–76. 58.
8 Muğāhid b. Ğabr. Tafsīr Muğāhid, hg. v.ʿAbd ar-Raḥmān aṭ-Ṭāhir as-Sūrtī. Islamabad, Bd. 1
(1976): 122. Siehe auch: Zayd, b. ʿAlī, Tafsīr Zaid b. ʿAlī. al-musammā tafsīr ġarīb al-Qurʾān, hg.
v. Muḥammad Taqī al-Ḥakīm. Kairo, 1992, 107. Abū ʿUbayda Maʿmār b. al-Muṯannā. Mağāz al-
Qurʾān, hg. v. Sezgin, Fuʾād. Beirut, 1981.
70 Mourad Qortas

oder die Sabaʾiyya (die Anhänger von Ibn Sabaʾ) gemeint sind, dann wüsste ich
auch nicht wer sie sind“9.
Fitna im Arabischen bedeutet Prüfung oder harte Bewährungsprobe (miḥna);
so sprach Gott zu Seinem Propheten Moses „wa-fatannāka futūnan“10. Das
Wort legt aber auch die Bedeutung der Verführung nahe, etwa die Verführung
der Frauen für den Mann (fitnat an-nisāʾ) oder die Verführung des Geldes (fitnat
al-māl). Lisān al-ʿarab11 erwähnt auch die Verführung des Meinungsstreits (fitnat
iḫtilāf an-nās fī ar-rāʾy) und sogar die Verführung der Interpretation (fitnat at-
taʾwīl). Dies steht im Einklang mit unserem untersuchten koranischen Vers, der
die Verführung der Interpretation koranischer Mehrdeutigkeit thematisiert, es ist
nämlich dieses „Verführerische, das verwechselnd auftritt und ernüchternd sich
zurückzieht“12 und die Urteilskraft des Einzelnen sowie die der Gemeinschaft
beeinträchtigt und zu Zerwürfnis und Zwietracht führt. In dieser Form erscheint
Mehrdeutigkeit und der durch sie verursachte Meinungsstreit als eine Form von
Verführung und Zwietracht und damit wird Mehrdeutigkeit zu einer Prüfung
(fitna) und Bewährungsprobe für die muslimische Gemeinde. An dieser Stelle
könnte man die Befürchtungen orthodoxer Kreise nachvollziehen, die aus Angst
vor einem drohenden Schisma und der Spaltung der Umma das Problem der
Ambiguität im Koran mit einem Interpretationsverbot lösen wollten.
Die Hauptbedeutung des Verbstammes š.b.h. ist ähnlich sein, aussehen wie
etwas, bzw. sich ähneln. Damit drückt man Ähnlichkeiten aus; z. B.: Der Sohn ist
seinem Vater ähnlich (yušbihu). Im Falle von (ištabaha) und (tašābaha) haben
wir die Bedeutung von ambig, dubios, unklar erscheinen oder etwas verwech-
seln, oder angesichts eines Gegenstand wegen starker Ähnlichkeit nicht sicher
bis verwirrt sein13, also die Verwechselung, bzw. die Ambiguität. Der vom Verb-
stamm abgeleitete Begriff „tašābuh“ dient daher nicht nur dazu eine Ähnlich-
keit objektiv zu beschreiben, sondern er beschreibt auch einen subjektiv emp-

9 al-Ṣanʿānī, ʿAbd ar-Razzāq b. Hammām. Tafsīr al-Qurʾan, hg. v. Muḥammad ʿAbduh, Bd. 1
(1999): 381.
10 „und wir setzten dich einer schweren Prüfung aus“. Rudi Paret, Der Koran. Kommentar und
Konkordanz (Stuttgart: Kohlhammer, 1980). Koran (20:40).
11 Lisān al-ʿarab: wortwörtlich „Zunge der Araber“ ist die umfangreichste und bekannteste En-
zyklopädie für die arabische Sprache. Sie wurde von Muḥammad ibn ʿAlī ibn Aḥmad ibn Mukar-
ram ibn Manẓūr (gest. Dez. 1311/ Jan. 1312) in 20 Bänden verfasst. Bis heute gilt dieses Werk als
einflussreiche Autorität in der arabischen Philologie und wird sowohl von muslimischen Theo-
logen als auch von Philologen benutzt.
12 ‫ تشبه مقبلة و تبين مدبرة‬Berque, Jacques. „L’expression de l’Ambiguïté en Arabe.“ In L’Ambivalence
dans la culture Arabe, hg. v. Jacques, Charnay Berques, Jean Paul. Paris, 1967, 347–355.
13 Siehe das Wort ‫ شبه‬in Lisān al-ʿArab von Muḥammad ibn Manẓūr, 2003.
Der Ambiguitätsdiskurs in der Koran-Gelehrsamkeit 71

fundenen Zustand der Ungewissheit bezüglich einer vorliegenden Ähnlichkeit


oder eines Gegenstandes beim Betrachter,14 wie z. B. im Vers (2:70): ‫ان البقر تشابه‬
‫علينا‬. In der Bobzin-Übersetzung zu diesem Vers lesen wir: „die Kühe sehen –für
uns – alle gleich aus“15. Ähnlich, allerdings mit einer wesentlichen Ergänzung
übersetzt Paret: „Die Kühe kommen uns (zum Verwechseln) ähnlich vor“16. Parets
Übersetzung fängt die Bedeutung von tašābuh besser ein, weil sie das Verwech-
seln erwähnt. Al-Baġwī (gest. 516 AH) erklärt den Vers und sagt, dass das Verb
„tašābaha“ sich nicht auf die Kühe, sondern auf diejenigen, die nach der Kuh
gesucht haben bezieht, ansonsten würde es „tašābahat“ heißen.17 Er selbst erklärt
es mit „iltabasa“, das im Arabischen für Verwirrtheit steht. Aus dem Tašābuh wird
„al-muštabah“ (‫ المشتبه‬,‫ )المشتبهات‬und „al-mutašābih“ (‫ المتشابه‬,‫ )المتشابهات‬abgelei-
tet. Etwas ist „muštabah“, d. h.; verdächtig und suspekt. „Mutašābih“ bedeutet
dagegen unklar, ambig; etwas ist mutašābih könnte auch schwierig, problema-
tisch, bzw. kompliziert bedeuten, wie z. B. bei nicht eindeutigen Rechtsfragen
(‫)أمور متشابهات‬18.
Als Gegensatz zu den ambigen Versen findet man die muḥkamāt, die als klare
Verse erklärt werden. Die Definitionen für den Begriff muḥkamāt als klare Verse
basieren auf der Bedeutung, die von „ḥ.k.m“ in der vierten Form „aḥkama“ abge-
leitet worden ist; nämlich etwas fest und solide machen, wie z. B. ein solider Bau
oder ein festgemachter Knoten. Nach Lisān al-ʿarab wurden die Verse muḥkamāt
genannt, weil sie in einer so präzisen Form formuliert wurden, dass ihre Botschaft
nicht missverstanden werden kann.19 Al-Baġwī beschreibt es so:

sie wurden muḥkamāt genannt aufgrund der Ableitung aus dem iḥkām, Präzision. Er hat
sie so präzise und genau formuliert und dadurch die Schöpfung vom ihrem Missbrauch
abgewendet und dies wegen ihrer Offenkundigkeit und der Klarheit ihrer Bedeutung.20

Philologisch gesehen, handelt es sich bei den beiden Kategorien also um zwei
Gegenbegriffe, die ein Ganzes bilden, den gesamten Koran. Diese Dichotomie des
Eindeutigen und Mehrdeutigen im Koran ist als eine Bedeutungsdichotomie des

14 „Troubler aux yeux de quelqu’un une chose, au point qu’ il la confonde avec une autre“.
Berque, L’expression de L’Ambiguïté en Arabe. 352.
15 Bobzin, Hartmut. Der Koran, 2:70.
16 Paret, Rudi. Der Koran, 2:70.
17 ‫ أي التبس و اشتبه أمره علينا‬,‫ و لم يقل تشابهت … أي جنس البقر تشابه‬al-Baġwī, Abū Muḥammad al-Ḥu-
sain ibn Masʿūd. Tafsīr al-Baġwī. Maʿālim at-Tanzīl, Bd. 1, 108.
18 In Bezug auf das bekannte Ḥadīṯ: ‫ و بينهما أمور متشابهات‬,‫الحالل بين و الحرام بين‬. Lisān al-ʿarab: ‫شبه‬
19 Lisān al-ʿarab: ‫حكم‬.
20 ‫ سميت محكمات من االحكام كأنه أحكمها فمنع الخلق من التصرف فيها لظهورها و وضوح معناها‬Tafsīr al-Baġwī,
Bd. 2, 8.
72 Mourad Qortas

Korantextes zu verstehen, die sowohl bei der Bestimmung der Natur des Textes,
wie auch beim Verstehen und Auslegen dieses Textes essenziell ist.
Die westliche Koranforschung hat sich in den letzten Jahrzehnten zuneh-
mend für die Identifizierung und Erforschung der Prinzipien methodologischer
Textinterpretation interessiert. Vers (3:7) bezeichnet McAuliffe als ein Schlüssel-
element für das gesamte Phänomen koranischer Selbstreferenzialität, das den
Exegeten in einer der Initial-Suren des Korans Gelegenheit gab, auf grundlegende
Fragstellungen der Exegese-Methodik Stellung zu beziehen. Diese Selbstreferen-
zialität kann durch die Tatsache beleuchtet werden, dass der Korantext Aussagen
über seine eigene Natur und Funktion macht. Solche Aussagen wurden von den
Exegeten zu Maßstäben und Forschungsfeldern exegetischer Arbeit deklariert.21
Stefan Wild stellt diese für den Koran charakteristische Selbstreferenzialität
am markanten Beispiel vom Vers (3:7) fest. Der Koran nimmt Bezug auf sich selbst
und thematisiert seinen textuellen Grundcharakter, was stark dem Prozess des
Denkens über sich selbst ähnelt.22 Solch Selbstbezug betrifft auch die verstehende
Aktivität des Lesers, denn der Koran mahnt durch seine selbst-referentielle Kate-
gorisierung in muḥkam und mutašābih, dass man ihn nur in seiner Gesamtheit
verstehen kann. Der Akt des Verstehens kann sich nur auf seine Gesamtbedeu-
tung mittels eines korrelativen Zusammenhangs und seiner verschiedenen Aus-
sagen erschließen.23 So bietet die Dichotomie von Ein- und Mehrdeutigkeit ein in
der Koranexegese etabliertes Instrumentarium an, um die verschiedenen Formen
von Aussagen aufeinander zu beziehen.
Koranische Selbstreferenzialität wird auch bei Wansbrough in seiner einfluss-
reichen Arbeit Quranic Studies: Sources and Methods of Scriptural Interpretation
thematisiert. Für ihn stand der Umgang mit dem Vers (3:7) symbolisch für die
Allianz zwischen den beiden Disziplinen der Schriftexegese und arabischer Rhe-

21 „The Qurʾān makes specific and repeated statements of genre self-perception. It sees itself as
a revealed book and thereby situates itself as part of an identifiable literary genre“, McAuliffe.
Text and Textuality, 57.
22 “The self-refentiality of the Qurʾān is increasingly viewed as one of its central features”.
Wild, Stefan. „The Self-Referentiality of the Qurʼān. Sūra 3:7 as an Exegetical Challenge.“ In With
Reverence for the Word. Medieval Scriptural Exegesis in Judaism, Christianity, and Islām, hg. v.
McAuliffe, Walfish, Goering. Oxford 2010, 422–436.
23 Die eindeutigen Verse sind im Vers als die Mutter des Buches bezeichnet, das heißt sein Fun-
dament, das Wort Mutter, das hier metaphorisch eingesetzt wird, ist im Singular. Dieses gramma-
tikalische Detail impliziert, dass die eindeutigen Verse in ihrer Gesamtheit und nicht im Einzel-
nen als das Fundament der Schrift zu verstehen sind, siehe dazu; aṭ-Ṭabarī, hg. v. Turkī, Bd. 5
(2001): 189 ‫)ألنه أراد جميع اآليات المحكمات أم الكتاب‬. Auch Ibn ʿAṭiya äußerte sich dazu ‫بل جميع المحكم هو‬
‫أم الكتاب‬. Tafsīr Ibn ʿAṭiya, S. 275. Dieser Grundsatz betrifft allerdings nicht nur die Eindeutigkeit,
denn auch die Mehrdeutigkeit gilt im Sinne des Verses als Teil des Buches.
Der Ambiguitätsdiskurs in der Koran-Gelehrsamkeit 73

torik.24 Er geht, wie oben schon vermerkt, davon aus, dass der Kommentar zu
dieser koranischen Passage einen „point of departure“ aller Schriftexegese im
Islam verkörpert. Die operativen Termini waren hier muḥkam, mutašābih und
umm al-kitāb. Wansbrough zufolge „war die Beschäftigung mit hermeneutischem
Wert und der grammatischen Form der Offenbarung durch den Rückgriff auf die
Schrift selbst begründet, deren Deutungsbedürftigkeit in mehreren Passagen aus-
drücklich festgelegt ist“.25 Heilige Schriften gehen von ihrer Interpretierbarkeit
aus, bzw. legen dafür selbst grundlegende Prämissen. Sie setzen den Kommentar
voraus und so wird das Kommentar zu einer Erweiterung der Offenbarung. Nach
Wansbrough ist es unmöglich die Entwicklung der Wissenschaft der Rhetorik zum
Ende des 3./9. Jh. die nach manchen Philologen hellenistisch beeinflusst war26
und im Dienste profaner Literatur stand, von der Entwicklung der Schriftexegese
zu trennen. Die Beziehung zwischen der Untersuchung arabischer Eloquenz und

24 Mit Bezug auf Wansbrough will ich nicht die bekannten Ergebnisse seiner Koranforschung
diskutieren, dafür hätte sich diese Arbeit einen anderen Schwerpunkt setzen müssen. Von gro-
ßem wissenschaftlichem Wert sind allerdings seine Untersuchungen und Überlegungen zur Deu-
tungsbedürftigkeit der Schrift und ihr Potenzial für die Entstehung der Schriftexegese im frühen
Islam.
25 Wansbrough, Quranic Studies, 148. Wansbrough verwendet den Begriff Deutungsbedürftigkeit
unter Bezugnahme auf Auerbachs Untersuchung des scriptural style als ein Genre erzählender
Prosa. Dort stellte Auerbach die Deutungsbedürftigkeit als ein von neun Charakteristika des Alten
Testaments fest. Damit sollte gemeint sein, dass der Inhalt der Bibel nicht durch den Kommentar
erweitert wird oder ihre inneren Widersprüche aufgehoben werden, sondern, dass der biblische
Stil an sich ohne Kommentar unvollständig ist. Die Gründe dafür sind rein syntaktischer Natur;
angegeben werden die Abgerissenheit und die Stilmischung. Andere Gründe sind zum Teil rhe-
torisch wie Vielschichtigkeit oder Hintergründigkeit. Diese könnten um die symbolische Qualität
der biblischen Sprache ergänzt werden. Ebd., 100 und, Auerbach, Erich. Mimesis. Dargestellte
Wirklichkeit in der abendländischen Literatur. Francke, Bern 91994, 5–27.
26 Wansbrough bezieht sich hier der Fußnote zufolge vermutlich auf eine Meinung von Ṭāhā
Ḥussein, obwohl er selbst, vom Kontext her, die Theorie eines hellenistischen Einflusses auf die
Entwicklung arabischer Rhetorik eher bezweifelt. Diese vermeintliche Ansicht von Ṭāhā Ḥussein
sollte aber aufgrund der Forschungen der letzten Jahre des Arabisten Prof. Thomas Bauer zur
Ambiguität in der arabischen Rhetorik revidiert werden. Nach Bauer befand sich die arabische
Rhetorik im 3. Jh. bereits in einem sehr entwickelten Stadium. Als die ersten griechischen Rhe-
torik-Texte ins Arabische übersetzt wurden, hatte die arabische Rhetorik- und Metapher-Theorie
bereits ein höheres Reflexionsstadium erreicht und die griechischen Texte wurden daher nicht
als eine bedeutende Ergänzung empfunden. Vgl. Bauer, Thomas. Ambiguität in der klassischen
arabischen Rhetoriktheorie. In Ambiguität im Mittelalter: Formen zeitgenössischer Reflexion und
interdisziplinärer Rezeption, hg. v. Oliver Auge, Christiane Witthöft. Berlin/Boston: Walter de
Gruyter, 2016, 21–45.
74 Mourad Qortas

Koranexegese war zwar theoretisch, die Tendenz ging aber dahin, in der Heiligen
Schrift eine Autorität über die Grundsätze der Rhetorik zu suchen.27
Dem Muʿtaziliten Ibrāhīm an-Naẓẓām (gest. 835 zwischen 845 n. Chr.) wurde
einmal die Frage nach dem Sinn mehrdeutiger Verse im Koran und ihrer Rolle
im Gesamtgefüge der Religion gestellt, die die Rechtleitung (al-hudā) und Ver-
gewisserung statt zweifelsbringender Mehrdeutigkeit für die Menschen bringen
soll. Diese Frage zielt nach etwas Grundsätzlichem und zwar nach dem Ambi-
guitätsgehalt im muslimischen Konzept vom Selbstbild und Selbstverortung in
der Welt. Auch wenn an-Naẓẓāms Antwort kurz ausfiel, war sie in der Hinsicht
richtungsweisend. Er sagte: „das islamische Gesetz28 hat folgendes zweideutiges
Prinzip zur Grundlage: die Vereinigung der Gegensätze und die Differenzierung
der Ähnlichkeiten“29. An-Naẓẓām versteht die Zweideutigkeit als ein tragendes
Prinzip muslimischen Geistes, das auf Ähnlichkeiten und Gegensätzen beruht,
die es zu differenzieren und zu vereinigen gilt. Dieser Vorstellung von der Ambi-
guität als Mechanismus zur Differenzierung und Einigung in der muslimischen
Vernunft gilt es für Islamforschende weiterhin auf den Grund zu gehen. Thomas
Bauer hat mit seiner renommierten islamwissenschaftlichen Monographie „Die
Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams“ einen Grundstein dafür
gelegt und das Prinzip der Zweideutigkeit in der muslimischen Mentalitäts- und
Kulturgeschichte akribisch untersucht und seine Spuren verfolgt.30
In diesem Zusammenhang, gelangt der tunesische Philosoph Maḥğūb Ben
Mīlād (1916–2000) durch die Herstellung eines Bezugs zu den sprachtheoreti-
schen Überlegungen Hegels zum spekulativen Geist der Sprache zu der Feststel-
lung, dass eine Art voretablierte Harmonie zwischen diesem Geist und der Offen-
barung vorhanden ist. Nur im spekulativen Geist der arabischen Sprache sind die
Wurzeln für jene „polarité vigoureuse“31 zu finden, die den Rhythmus des islami-
schen Lebensatems bestimmen.32 Diese Polarität oder Gegensätzlichkeit ist dyna-
misch, denn sie macht es gerade möglich, dass etwas erst durch seinen Gegen-
satz an Klarheit gewinnt, durch sein Gegenteil zum Ausdruck gebracht wird. Im
Grunde kann eine Sache nur mithilfe ihres Gegensatzes vollendet werden, sie

27 Wansbrough, Quranic Studies, 149.


28 Gesetz hier scheinbar nicht im Sinne von Recht, sondern im Sinne von Ordnung oder allge-
meiner im Sinne von Geist oder Vernunft.
29 ‫الجمع بين األضداد و التفريق بين المتماثالت‬. Ben Milād, 376. Leider wurde hier keine Quelle genannt.
30 Thomas Bauer. Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams. Berlin, 2011.
31 Im Deutschen kraftvolle Polarität, Ben Mīlād übernimmt den Ausdruck von Jacques Berque.
32 Ben Mīlād, Maḥjūb. „Ambiguïté et Maṯānī coraniques. Pour une théorie générale de la pola-
rité dans la culture arabe.“ In L’Ambivalence dans la culture Arabe, hg.v. Jacques Berques, Jean
Paul Charnay u. a. Paris, 196, 366–381.
Der Ambiguitätsdiskurs in der Koran-Gelehrsamkeit 75

bildet mit ihrem Gegensatz eine Einheit.33 Dieser eben benannte spekulative Geist
der arabischen Sprache bedient sich des Instrumentariums der „ʾaḍdād“34 und
eines Arsenals stilistischer Mittel, die dem gleichen Wort einmal einen positiven,
ein anderes Mal einen negativen Sinn verleihen können. In der koranischen Offen-
barung erfuhr dieser Geist beachtliche Geltung, indem der Ambiguität im korani-
schen Text durch die Anerkennung der mehrdeutigen Verse Rechnung getragen
wird.35 Ein Fakt von überragender Bedeutung für die Untersuchung koranischer
Ambiguität aus muʿtazilitischem Blickwinkel besteht darin, dass die Entdeckung
der ʾaḍdād und ihre semantische Ambivalenz in engem Zusammenhang mit der
muʿtazilitischen Spekulation bezüglich der Natur mehrdeutiger Verse im Koran
zustande gekommen ist. Diese Spekulation war die Antwort auf eine koranische
Herausforderung für die Vernunft und im Ergebnis erwuchs neben einer Diszi-
plin der ʾaḍdād36 ein ganzes Genre an mutašābihāt-Literatur.37 Dieses lebhafte
Interesse an Gegensatzformen im Arabischen, das durch die Sammlung von
Antonymen in Erscheinung getreten ist, zeugt von parallelen Anstrengungen
muslimischer Philologen und Theologen zur Begründung arabischer Linguistik
und koranischer Exegese und davon, dass diese gemeinsamen Anstrengungen in
einem engen Verhältnis zu der frühen Entwicklung der Koranexegese standen.38

2 A
 mbiguität als Aspekt koranischer
Unnachahmbarkeit
Nach Jacques Berque, dem Orientalisten und Maghreb-Forscher, benutzt der
Koran dreizehn Mal Wörter, die aus dem Stamm š. b. h. abgeleitet sind, in drei
Hauptbedeutungen: a) vorteilhaft; b) abwertend und c) mehrdeutig.39

33 Ebd., 370. Ben Mīlād verweist hier auf Jean Wahl. Novalis et le principe de la contradiction. In
Le romantisme allemande – Cahiers du Sud. Paris, 1949,165.
34 Der linguistische Fachbegriff: die Antonyme
35 Ben Mīlād, Maḥjūb. Ambiguïté et Maṯānī coraniques, 371.
36 Als Beispiel für diese philologische Gattung siehe die bei Fūʾāt Sezgin in seiner Edition von
Mağāz al-Qurʾān von Abū ʿUbaida aufgelisteten Werke. Al-Aḍdād von Abū Ḥātim as-Siğistānī, hg.
v. August Henfer 1912, al-Aḍdād von Ibn as-Sākit, Abū Yūsuf ibn Isḥāq, al-Aḍdād von al-Anbārī,
Abū Bakr Muḥammad al-Qāsim, hg. v. Houtsma 1881 u. a. Vgl. Abū ʿUbaida. Mağāz al-Qur’an, hg.
v. Sezgin 1981, 30.
37 Ben Mīlād, Ambiguïté et Maṯānī coraniques, 375.
38 Ebd.
39 Berque. L’expression de l’Ambiguïté en Arabe, 352.
76 Mourad Qortas

a) Im Sinne von vorteilhaft wird die Vielfalt der Natur und ihr unermesslicher
Reichtum im Vers (6:141) zur Schau gestellt. Exegeten haben in diesem Vers die
Diversität in der Schöpfung und das Wechselspiel zwischen Form und Inhalt
hinsichtlich der Ähnlichkeit bzw. der diversen vorliegenden Ähnlichkeiten
zwischen Form und Inhalt der Früchte und ihrer zahlreichen verschiedenen
Geschmäcker wiedergefunden.40 Die Exegeten haben aus diesem Wechsel-
spiel zwischen Ähnlichkeit und Diversität eine für ihre exegetischen Zwecke
nützliche Interpretation der Mehrdeutigkeit entwickelt. Die Mehrdeutigkeit
entsteht danach aus dem Wechselspiel zwischen der Analogie von Ausdrü-
cken (alfāẓ) und der Divergenz von Bedeutungen (maʿānī) im Koran. Feder-
führend hier ist aṭ-Ṭabarī (gest. 310/923), der die mutašabihāt als „ähnlich
in der Rezitation, verschieden in der Bedeutung“ erklärt und sich dabei auf
Vers (2:25) ‫ و أتوا به متشابها‬beruft, in dem die Früchte durch ihre Ähnlichkeit
im Anblick bzw. ihrer äußeren Form bei ihrer Verschiedenheit im Geschmack
beschrieben werden.41 Auch der Vers (39:23), in dem der Koran als mutašābih
beschrieben wird, zielt nicht primär auf seine Mehrdeutigkeit ab, vielmehr
aber auf seine (ähnliche) prägnant schöne Rhetorik (aḥsan al-ḥadīṯ), die
durch die Konvergenz seiner Einzelteile aufrechterhalten wird.42
b) Im Sinne der Illusion wird im Vers (4:157)43 die Verwechselung Jesu und die
Kreuzigung seines Doppelgängers beschrieben.44
c) Und schließlich im Vers (3:7) wird tašābuh im Sinne der Mehrdeutigkeit inter-
pretiert. „Eine paradoxe auffällige Ambiguität“ als Ergebnis eines durch den
Koran selbst hergestellten Gegensatzes zwischen eindeutigen und mehrdeu-
tigen Koran-Versen. Zum Fitna-Begriff zurückkehrend will Jacque Berque hier
bestimmte Aspekte einer dialektischen Antinomie wiedererkennen. Eine Dia-
lektik, die in dem am Versende formulierten Fideismus, einen starken Gegen-

40 Auch Jacque Berque ist die Verwechselbarkeit zwischen (6:99) und (6:141) aus der gleichen
Sure aufgrund ihrer starken Ähnlichkeit zum Verhängnis geworden. Statt die von Ihm zitierten
koranischen Stellen richtigerweise dem Vers (6:141) zuzuordnen, vermerkt er sie mit (6:99). Im
Vers 99 steht: „und die Oliven und den Granatapfel –einander ähnlich und unähnlich (‫متشابها و‬
‫“)غير متشابه‬, im Vers 141 steht dagegen: „und die Olive und dem Granatapfel, zum Verwechseln
ähnlich und unähnlich (‫“)مشتبهاوغيرمتشابه‬. Viele Koranübersetzungen nehmen nicht genügend
Rücksicht auf diese Differenzierung. Vgl. Berque, 353.
41 aṭ-Ṭabarī, Abū Ğaʿfar Muḥammad ibn Ğarīr. Tafsīr aṭ-Ṭabarī min kitābih Ğāmiʿ al-bayān ʿan
taʾwīl āy al-Qurʾān, hg. und kommentiert v. Maʿrūf ʿAwwād Baššār und al-Ḥaristānī, ʿIṣām Fāris,
Bd. 2 (1994): 213.
42 Ebd.
43 ‫و ما قتلوه و ما صلبوه و لكن شبه لهم‬
44 Berque. L’expression de l’Ambiguïté en Arabe, 353.
Der Ambiguitätsdiskurs in der Koran-Gelehrsamkeit 77

pol findet, der den Anspruch des freien Geistes scholastischen Rationalismus
hemmend entgegentritt.45

Nach dieser kurzen philologischen Einführung bleiben wir zuerst für unser Anlie-
gen bei Tašābuh im Sinne von Ähnlichkeit. Diese Bedeutung manifestiert sich in
verschiedenen Versen entweder auf der Ebene des Wortlauts (lafẓ) oder auf der
Ebene der Bedeutung (maʿnā).46
In seinem Taʾwīl muškil al-Qurʾān definiert Ibn Qutaiba (gest. 267/889), die
mutašābihāt auf Grundlage der Diskrepanz zwischen Ausdruck und Bedeutung.
Diese ist ihm zufolge gegeben, wenn ein Ausdruck dem anderen im Wortlaut
ähnlich ist, ihre Bedeutungen aber verschieden sind.47 Bei aṭ-Ṭabarī finden wir
eine ähnliche Definition, die sich jedoch auf die Ähnlichkeit in den Bedeutun-
gen bezieht. Das ist nämlich der Fall, wenn die Bedeutungen ähnlich, die Aus-
drücke aber verschieden sind, bzw. eine wenn eine gleiche Bedeutung in unter-
schiedlichen Ausdrucksformen wiedergegeben wird.48 An einer späteren Stelle
fasst aṭ-Ṭabarī die vorherigen Definitionen zusammen; danach wird Ähnlichkeit
festgestellt, wenn Übereinstimmung in den Ausdrücken bei Verschiedenheit der
Bedeutungen oder Verschiedenheit der Ausdrücke bei Übereinstimmung der
Bedeutungen vorliegt.49
Wiederum bei aṭ-Ṭabarī finden wir eine Definition, die muḥkamāt und
mutašābihāt hinsichtlich ihrer Wiederholung (tikrār) im Koran als Gegensätze
bezeichnet. Demnach sind mutašābihāt Verse, die im Koran wiederholt vorkom-
men, muḥkamāt dagegen solche, die nicht wiederholt werden.50
Al-Alūsī bringt die Ähnlichkeit im Koran in Verbindung mit sprachlicher
Eloquenz zusammen und stellt fest, dass die Ähnlichkeit sich auf die koranische
Rhetorik bezieht.51
Andere Exegeten verstehen die mutašābihāt als Verse, die hinsichtlich
der Heilsbotschaft des Korans und seiner Widerspruchsfreiheit und Kohärenz

45 Ebd.
46 Kinberg, Muḥkamāt and Mutašābihāt, 145.
47 ‫ أن يشبه لفظ لفظا في الظاهر و المعنيان مختلفان‬Ibn Qutaiba, abū Muḥammad. Taʾwīl muškil al-Qurʾān.,
hg. v. as-Sayyed Aḥmad Ṣaqr, Kairo 1973, 101.
48 ‫ ما أشبه بعضه بعضا في المعاني و ان اختلفت ألفاظه‬aṭ-Ṭabarī, Abū Ğaʿfar. al-Ğāmiʿ fī al-bayān wa taʾwīl
al-Qurʾān, Bd. 6 (1954): 176 ff.
49 ‫ اتفاق األلفاظ و اختالف المعاني أو اختالف األلفاظ و اتفاق المعاني‬aṭ-Ṭabarī, Bd. 6, 178.
50 ‫ ما تكرر وما لم تتكرر ألفاظه‬aṭ-Ṭabarī, Bd. 3, 15.
51 ‫ ما يشبه بعضه بعضا في البالغة‬al-Alūsī. Rūḥ al-maʾānī fī tafsīr al-Qurʾān al-ʿaẓīm wa-s-sabʿ al-
maṯānī, Bd. 1, (1884), 522. Būlāq.
78 Mourad Qortas

ähnlich sind und sich gegenseitig bekräftigen.52 Im Tafsīr al-Ğalālayn bedeutet


al-mutašābih, dass die darunter fallende Verse sich hinsichtlich ihrer Ästhetik
und Wahrhaftigkeit angleichen.53
Ferner hat die Betonung der Ähnlichkeit in den erwähnten Definitionen einen
apologetischen Aspekt.54 Beide Dimensionen der Ähnlichkeit im Text, sowohl die
inhaltliche als auch die stilistische, sind ein Beleg für die Unnachahmbarkeit des
Koran (iʿğāz al-Qurʾān). Die Beziehung zwischen dem Wunder des Korans und der
mutašābihāt wird auch in Anlehnung an die gleiche Dichotomie von Wortlaut und
Bedeutung erklärt. Um dies zu verdeutlichen, wird das Argument von Faḫr ad-Dīn
ar-Rāzī (gest. 606/1210) diskutiert.
In seinem Mafātīḥ al-Ġaib kommentiert ar-Rāzī den Vers (3:7) unter Bezug-
nahme auf die Verse (11:1) und (39:23). Für ihn bedeutet der erste (‫)كتاب أحكمت آياته‬,55
dass der Koran ein eindeutiges Buch (muḥkam) ist, weil sein Klang und seine
Worte in einer derartigen Eloquenz geschrieben sind, die jede andere mensch-
liche Ausdrucksform übertreffen.56 Der Vers (39:23) (‫)كتابا متشابها مثاني‬57 beschreibt
den Koran in seiner Gesamtheit (bi-kulliyyatihi) wiederum als mutašābih. Damit
soll laut ar-Rāzī gesagt werden, dass sich die Ästhetik seiner Verse ähnelt und
dass die Aussagen im Koran sich gegenseitig in ihrer Wahrhaftigkeit bestätigen.
Ar-Rāzī verbindet den letzten Vers mit Vers (4:82), der sagt: „Machen sie sich denn
keine Gedanken über den Koran? Wäre er von einem anderen als Gott, so fänden sie
gewiss viel Widersprüchliches in ihm.“58 Ar-Rāzī zufolge besteht das Wunder des
Korans in seiner Widerspruchsfreiheit; trotz ihrer Wiederholung bestätigen sich
seine Verse und bekräftigen sich gegenseitig. Ferner beruht die Definition des
Korans als muḥkam auf der unnachahmbaren Art, in der er geschrieben wurde.
Diese beiden Merkmale, nämlich die Widerspruchsfreiheit des Inhalts, dazu seine
von Menschen unnachahmbare Sprache gelten für ar-Rāzī als Indiz für einen gött-
lichen Ursprung des Korans.59
Ein anderes Argument für das Wunder des Korans zielt auf den Aspekt
seines Stils. Eindeutigkeit und Mehrdeutigkeit stellen in Form von Prägnantem

52 ‫ يشبه بعضه بعضا في الهداية والسالمة من التناقض والتفاوت واالختالف‬al-Marāġī, Aḥmad Musṭafā. Tafsīr
al-Marāġī, hg. v. al-Ḥalabī, Bd. 3 (1946): 95.
53 ‫ يشبه بعضه بعضا في الحسن و الصدق‬al-Maḥallī, Ğalāl ad-Dīn und as-Ṣuyūṭī Ğalāl ad-Dīn. Tafsīr
al-Ğalālayn al-Muyassar, hg. v. Faḫr ad-Dīn Qabāwa. Kairo, 2003, 50.
54 Kinberg, Muḥkamāt and Mutašābihāt, 146.
55 „Das ist ein Buch, dessen Verse eindeutig bestimmt wurden (…)“ Koran (11:1).
56 Ar-Rāzī, Muḥammad Faḫr ad-Dīn. at-Tafsīr al-kabīr, Bd. 7 (1981): 180.
57 „ein Buch mit gleichartigen Worten und wiederholten Wendungen“ Koran (39:23).
58 ‫ أفال يتدبرون القرآن و لو كان من عند غير الله لوجدوا فيه اختالفا كثيرا‬Koran (4:82).
59 Kinberg, Muḥkamāt and Mutašābihāt, 147.
Der Ambiguitätsdiskurs in der Koran-Gelehrsamkeit 79

und Metaphorischem die Hauptausdrucksformen in der arabischen Sprache dar.


Gott hat beide Stile in den Koran integriert und die Menschen damit herausgefor-
dert, etwas Ähnliches hinsichtlich des metaphorischen Stils wie auch der Klar-
heit und Prägnanz wie der Koran hervorzubringen.60 Auch as-Suyūṭī bekräftigt
dieses Argument in seinem „iʿğāz al-Qurʾān“ dadurch, wenn er al-muḥkam und
al-mutašābih zu einem Zeichen des koranischen Wunders erklärt.

3 A
 mbiguität als Frage normativer
Koranexegese
Durch die Gegenüberstellung von muḥkamāt und mutašābihāt tritt eine Analo-
gie als exegetisches Prinzip, sowohl im Sinne textueller Methodologie, als auch
in einem doktrinären Zusammenhang, ein. Der erste Impuls bei der Anwendung
analogischer Deduktion in der Exegese wurde bekräftigt durch die Zuschreibung
der frühest genannten Aḥkām al-Qurʾān-Arbeit an aš-Šāfiʿī (gest. 204/820).61 Die
Analyse des frühen exegetischen Materials zeigt, was, und vor allem, was bisher
nicht zu Vers (7:3) gesagt wurde. Als die Reflexionen über die Termini muḥkamāt
und mutašābihāt noch an ihren Anfängen standen, hatten die Erklärungen
meist einen juristischen Fokus gehabt. ʿAbd ar-Razzāq erklärte die muḥkamāt
als die Verse, auf deren Grundlage Handlungen ausgeführt werden sollen.62 Für
Muğāhid sind es die Verse von ḥalāl und ḥarām.63 Sufyān aṯ-Ṯawrī identifiziert die
muḥkamāt mit den abrogierenden Versen (nāsiḫ).64 Dieser Trend der juristischen
Auslegung wird fortgesetzt, wenn man die muḥkamāt als umm al-kitāb und die
mutašābihāt als die restlichen Verse erklären will. Kommentatoren erklären umm
al-kitāb als die eindeutigen Verse, die als Fundament des Buches die Glaubens-
pfeiler (ʿimād ad-dīn) darstellen und die islamischen Pflichten (al-farāʾiḍ) Strafen
(ḥudūd) enthalten und alles, wessen die Gläubigen in ihrem Dies- und Jenseits
bedürfen und wozu sie verpflichtet sind.65
Während für die muḥkamāt Äquivalente unter semantischen Bezeichnungen
gefunden wurden, wurden die mutašābihāt in der frühen Exegese nicht regelmä-

60 Ebd. Siehe auch Ibn ʿAṭiya, 177 und Ibn al-Ğawzī Abū al-Farağ. Zād al-masīr fī ʿilm at-tafsīr.
Bd. 1 (1964): 351.
61 Wansbrough. Quranic Studies, 151.
62 Ebd.
63 Tafsīr Muğāhid, Bd. 1, 121.
64 Sufyān aṯ-Ṯāwrī, Tafsīr, hg. v. Imtyāz ʿAlī Arši. Beirut, 1983, 75.
65 aṭ-Ṭabarī, hg. v. Maʿrūf und al-Ḥaristānī, Bd. 2 (1994): 212.
80 Mourad Qortas

ßig in einem gekoppelten Verhältnis mit den muḥkamāt definiert.66 Als aṭ-Ṭabarī
seine restriktive Interpretation der mutašābihāt einbrachte, wonach diese in den
getrennten Anfangsbuchstaben (al-fawātiḥ al-muqaṭṭaʿa) den sogenannten „mys-
teriösen Buchstaben“ zu sehen sind, und den Rest des Korans muḥkam beschrie-
ben hat, markierte er damit eine Zäsur in der Auslegungsgeschichte dieses Verses.
Die Zäsur wurde damit erreicht, dass man die muḥkam- und mutašābih-Begriffe
als entgegengesetzte taxonomische Kategorien zur Beschreibung des Korantextes
benutzt hat.67 Die Diskussionen unter den Exegeten richteten sich dann darauf,
wie man am besten durch Unterscheidungen und Kennzeichnungen des korani-
schen Inhalts dieser koranischen selbstgegebenen Kategorisierung Rechnung
trägt.
Nach diesem bedeutenden exegetischen Einschnitt erfolgte eine Verschiebung
der Perspektive. Das Anliegen der Exegese wendete sich von der Taxonomie zur
Hermeneutik. Genre-Klassifikation machte den Raum für Kategorisierung nach
exegetischem Potenzial frei.68 Diese Verschiebung im Post-Ṭabarī-Kommentar ist
überzeugend aufgrund der Tatsache, dass die meisten Exegeten eine Interpreta-
tion des muḥkam/mutašābih als einen hermeneutischen Begriff unterstützten.

4 E
 in- und Mehrdeutigkeit bei Muqātil und
ar-Rāzī
Der Vers (3:7) wurde wesentlich als eine taxonomische Direktive behandelt. Die
Tafsīr-Literatur zu dieser Stelle konzentriert sich auf das große Potenzial ihrer
Intertextualität, da sie zu literarischer Annäherung anregt. Einige muslimische
Exegeten haben in diesem Vers eine starke interreligiöse Intertextualität fest-
gestellt, wodurch eine Verbindung zwischen dem Koran und früheren religiösen
Schriften hergestellt werden kann. Eine Verbindung, die über die kanonisch vor-
geschriebenen Grenzen des Buches hinausgeht und als solche eine Brücke zu
anderen heiligen Schriften baut.
Muqātil ibn Sulaimān war einer der frühesten Exegeten, der den koranischen
Text innerhalb der weitgefassten Literatur der „interreligiösen“ Schrift-Offenba-

66 McAuliffe. Text and Textuality, 58.


67 Ebd. 59. Vgl. auch McAuliffe, Dammen Jane. „Qur’anic Hermeneutics. The Views of al-Tabari
and Ibn Kathir.“ In Approaches to the History of the Interpretation of the Qur’an, hg. v. a. Rippin.
Oxford: Clarendon Press, 1988, 46–62.
68 McAuliffe, Text and Textuality, 59.
Der Ambiguitätsdiskurs in der Koran-Gelehrsamkeit 81

rung einordnete. Diese intertextuelle Verbindung zu frühen Offenbarungstexten


eröffnet nach Muqātil andere semantische Horizonte, welche eine gewisse Offen-
barungskontinuität vorweisen.
Um diese exegetischen Überlegungen zu verstehen, ist es nötig kurz seine
Ansicht zu Vers (3:7) vorzustellen. Muqātil öffnete seine Kommentierung mit der
Erwähnung des Offenbarungsanlasses (sabab an-nuzūl) bezüglich der Christen
von Nağrān und richtete damit den Fokus der Interpretation auf die durch die
islamische Offenbarung ausgelösten christlich-jüdischen Kontroversen. Als er auf
die muḥkamāt als umm al-kitāb zum Sprechen kam, stellte er eine direkte Verbin-
dung zur wohlbewahrten Tafel (al-lawḥ al-maḥfūẓ) her69.
Die muḥkamāt als Bestandteil der ewig bewahrten Tafel werden im Koran
hauptsächlich in den in Versen (6:151–153) identifiziert, die religiös-ethische
Normen und allgemeine rechtliche Bestimmungen formulieren. Diese Normen
gelten als ein fester Bestandteil sämtlicher religiöser Offenbarungen an die Men-
schen,70 da Gott den Menschen aller Religionen und Völker die gleichen Gebote
vorgeschrieben hat.71 Nach Muqātil wurden diese Normen in keinem der heiligen
Bücher abrogiert, da sie ein Offenbarungsfundament sind (aṣl al-kitāb).
Diese Meinung finden wir auch bei al-Kalbī.72 Die Referenz von Kalbī zum
muḥkam als Abrogationsprinzip impliziert den mutašābih als abrogiert und er
schreibt diese Meinung Ibn ʿAbbās zu, womit schließlich der Anwendungsbereich
des mutašābih beträchtlich ausgeweitet wird. Abu ʿUbayd (gest. 224/838) war in
seiner Abhandlung zur Abrogation73 ausführlicher bei der Besprechung von Ibn
ʿAbbās obiger Ansicht. Demnach definiert Ibn ʿAbbās die muḥkamāt als die abro-
gierenden Verse und solche, die Vorschriften zum Erlaubtem und Verbotenem
(al-ḥalāl wa al-ḥarām) enthalten, sowie als Verse, an die geglaubt werden muss
und die als Handlungsorientierung gelten.74

69 Aṣl al-kitāb ist als Synonym für umm al-kitāb zu verstehen, was wiederum auf die Nieder-
schrift in der ewigen wohlbewahrten Tafel hinweist. Diese Vorstellung von der wohlbewahrten
Tafel als die Urschrift und die Quelle aller Schriften wird auch bei dem muʿtaziliten Abū al-Huḏail
und in einer geänderten Form bei Ibn Kullāb im Zusammenhang mit der theologischen Kontro-
verse über das Wesen der Gottesrede als Attribut diskutiert.
70 Wansbrough, Quranic Studies, 149.
71 Muqātil, b. Sulaimān Ibn-Bišr al-Balẖī, Abū al-Ḥasan. Tafsīr al-ḫams miʾat āya mina l-Qurʾān.
Bd. 1 (1980), hg. v. Isaiah Goldfeld, 264. Dār al-Mašriq.
72 Wansbrough, Quranic Studies, 149 (siehe dort auch die Fußnote 5: Tafsīr, MS Ayasofya 118, 29).
73 Abū ʿUbaid, al-Qāsim b. Sallām. Kitāb an-nāsiḫ wa-l-mansūḫ. (MS. Istanbul, Topkapi,
Ahmet III A 143, hg. v. John Burton. Cambridge: E. J. W. Gibb Memorial Trust, 1987.
74 ‫قال (ابن عباس) المحكمات ناسخه و حالله و حرامه و فرائضه و ما يؤمن به و يعمل به و المتشابهات منسوخه و‬
‫ مقدمه و مؤخره و أمثاله و أقسامه و ما يؤمن به و ال يعمل به‬Abū ʿUbayd, Kitāb an-Nāsiḫ wa al-Manṣūḫ, 4.
82 Mourad Qortas

Muqātil setzte mit dieser Interpretation einen Offenbarungskern ein, der für
alle vorislamischen abrahamitischen Buchreligionen relevant ist. Apologetische
und polemisch exklusive Erklärungsmuster, vor allem solche, die den Abroga-
tionsansatz (nasḫ) im Sinne einer radikalen Aufhebung der dem Islam vorange-
gangenen religiösen Traditionen verstehen und bedienen, scheinen bei Muqātil
in den Hintergrund zu geraten.
Anders als Abū ʿUbayda und Muğāhid schränkt Muqātil die Bedeutung von
mutašābihāt auf die vier Buchstabenkombinationen, die am Anfang von dreizehn
koranischen Suren stehen, ein.75 Der Bezug wird nicht auf alle Eröffnungsbuch-
staben genommen sondern nur auf einige davon. As-Suyūṭī, wie wir später sehen
werden, thematisiert in diesem Kontext die Geschichte des Propheten mit den
Juden, die in diesen mysteriösen Buchstaben eine geheime Botschaft über die
Fortdauer der muslimischen Gemeinschaft sehen wollten und ihn dazu befragt
haben. Das Verständnis Ibn Muqātils von taʾwīl geht mit diesem Kontext einher.
Muqātil legt taʾwīl nicht im Sinne hermeneutischer Deutung aus, sondern einfach
als den Ausgang oder das Endstadium der Welt (al-muʾawwal). Konsequenter-
weise vertritt er den Standpunkt, dass niemand außer Gott den so definierten
taʾwīl in Erfahrung bringen kann.76
Dieser weitgefassten „interreligiösen“ Schrift-Hermeneutik bleibt Muqātil
treu, wenn er die ar-rāsiḫūna fī l-ʿilmi nicht als die muslimischen Gelehrten, wohin
sich der spätere exegetische Konsens entwickelte, sondern als den jüdischen Tho-
rah-Gelehrten ʿAbdallāh b. Salām identifiziert haben will. Unter seinesgleichen
aus der frühen Exegeten-Generation war er der Einzige mit dieser Meinung.77
Auch ar-Rāzīs Kommentierung zum mutašābih-Vers steht in der Tradition von
Ibn Muqātils Verständnis von Offenbarung als eines überreligiösen Kontinuums.
Interessant bei ar-Rāzī ist vor allem der Punkt, dass er sich von der herrschen-
den Annäherung zu den muḥkamāt und mutašābihāt als radikal entgegenge-
setzte Kategorien distanzierte. Seiner Lesart folgend können die beiden Begriffe
durchaus als einander ergänzend betrachtet werden und nicht nur als entgegen-
gesetzte Kategorien. Nachdem er einige überlieferte Traditionen zum muḥkam
und mutašābih erwähnt, stellt er fest, dass sowohl die muḥkamāt wie auch die
mutašābihāt göttliche Gebote darstellen (at-takālīf al-wārida mina Allāh). Er teilt
diese Gebote an die Menschheit in zwei Teile auf. Die ersten sind die muḥkamāt,
sie enthalten grundlegende Gebote, wie die in den Versen (6:151–153) und (17:23–
25) formuliert sind. Als solche lassen sie sich in jeder Buch-Religion wiederfinden,

75 Gemeint sind: „alif lām mīm“, „alif lām mīm ṣād“, „alif lām mīm rāʾ“, „alif lām rāʾ“.
76 Tafsīr Muqātil, Bd. 1, 264.
77 McAuliffe. Text and Textuality, 61.
Der Ambiguitätsdiskurs in der Koran-Gelehrsamkeit 83

sie sind daher absolut und unveränderlich, wie etwa das Gehorsamsgebot gegen-
über Gott und die Pflicht, sich vor Unrecht, Betrug und Mord zu hüten. Der andere
Teil, die mutašābihāt differenzierte sich dagegen von Religion zu Religion, und
ist aufgrund dessen relativ und veränderlich. Die mutašābihāt beschäftigen sich
mit praktischen Aspekten des Glaubens, wie der Anzahl und Art der Gebete und
des Fastens, der Regelung der Ehe, der Höhe der zu vergebenden Almosen oder
partikularen Regelungen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich. Die Erklärung
von ar-Rāzī geht so weit und impliziert, dass die mutašābihāt in ihren Einzel-
heiten ein Unterscheidungsmerkmal zwischen dem Islam und anderen Buch-Re-
ligionen bilden. Muḥkamāt formulieren dagegen Glaubensgrundsätze, die auch
für andere Religionen gelten, demzufolge können diese im Allgemeinen als fröm-
migkeitsrelevant definiert werden, während die mutašābihāt überwiegend das
spezifische muslimische Ritual betreffen. Wenn wir ar-Rāzī folgen, können wir
nicht mehr von zwei entgegengesetzten Gruppen von Versen sprechen, bei denen
die eine höher als die andere zu bewerten ist, noch können wir sie in juristische
oder andere Kategorien aufteilen. Nach dieser Logik macht eine Unterscheidung
zwischen Versen zur Lebensführung des Gläubigen und Versen, die solche Gebote
nicht haben, keinen Sinn. Auch ist die Identifizierung des nāsiḫ mit dem muḥkam
und des mansūḫ mit dem mutašābih wenig hilfreich. Die Unterscheidung erfolgt
bei ar-Rāzī allein aufgrund von zwei verschiedenen Arten von religiösen Pflich-
ten, die sich gegenseitig ergänzen.
In diesem Sinne sind sich beide Koranexegeten darin einig, dass es Offen-
barungsinhalte gibt, die für alle Religionen gültig sind. Diese werden als die
muḥkamāt identifiziert. Dagegen wird der Teil der Offenbarung, der nur für eine
spezifische Religion gilt, durch die mutašābihāt zum Ausdruck gebracht.78

5 A
 mbiguität im Koran und die Frage der
Abrogation
Eine andere Auslegung der Gegenüberstellung von muḥkamāt und mutašābihāt
ist die Ausweitung der Bereiche, wofür die beiden Begrifflichkeiten stehen. Eine
geläufige vergleichende Definition der muḥkamāt ist: „sie sind abrogierende
Verse (nāsiḫāt) des Korans, die Vorschriften zum Erlaubten und Verbotenen, zu
den Strafverordnungen (ḥudūd) und Ritualpflichten enthalten und die Verse, an

78 ar-Rāzī, Bd. 7, 183.


84 Mourad Qortas

die geglaubt werden sollte“79. Mutašābihāt dagegen, sind „die abrogierten Verse
(al-mansūḫāt), die nicht verstanden werden können, ohne ihre Wort-Ordnung zu
ändern (muqaddam wa muʾaḫḫar), Verse, die Gleichnisse (amṯāl) und Schwüre
(aqsām) beinhalten, Verse an die man glauben sollte aber nicht danach handeln
bräuchte (‫“)يؤمن به وال يعمل به‬, also Verse, die keinen normativen Charakter auf-
weisen.80 Diese Gegenüberstellung zeigt, dass die muḥkamāt oft im handlungs-
praktischen juristischen Feld verortet werden.81 Obwohl Vers (3:7) nicht als Krite-
rium zur Unterscheidung zwischen dem nāsiḫ und mansūḫ benutzt wird, werden
diese beiden Termini zur Differenzierung zwischen muḥkam und mutašābih
herangezogen. Diese Differenzierung sollte daher als eine Option wahrgenommen
werden, um das Problem der Mehrdeutigkeit im Zusammenhang mit der Abroga-
tion in der normativen Koran-Hermeneutik näher zu analysieren.
Auch wenn der Grund für diese Differenzierung in den vielen Definitionen
nicht explizit angegeben wurde,82 haben einige Exegeten sich um eine Erklärung
der Verbindung zwischen dem muḥkam und mutašābih und dem nāsiḫ und
mansūḫ bemüht. Nach al-Farrāʾ (gest. 207/822) sind die muḥkamāt diejenigen
Verse, die das Erlaubte und Verbotene erklären und die nicht abrogiert worden
sind.83 Dies bedeutet, dass die muḥkamāt aufgrund ihrer Klarheit im rechtlichen
Bereich von entscheidender Bedeutung sind und nicht aufgehoben oder ersetzt
werden können. Die abrogierten Verse werden dagegen mutašābih genannt, weil
sie in der Art wie sie gelesen werden, dem muḥkam zwar ähnlich sind, sich aber
hinsichtlich ihres normativen Bestimmungscharakters unterscheiden. As-Suyūṭī
bezeichnet den mansūḫ auch als mehrdeutigen Vers. Ihm zufolge, ist die Wahr-
scheinlichkeit hoch, einen Zusammenhang zwischen einem klaren und abrogie-
renden Vers (nāsiḫ) und einem unklaren und abrogierten Vers zu finden.

79 al-Baġwī, Bd. 1, 320


80 al-Itqān, Bd. 1, 13–16.
81 ‫ المنسوخات‬,‫ المتروك العمل بهن‬,‫ و المتشابهات من آيه‬,‫ و هن الناسخات أو المثبتات األحكام‬,‫ المعمول بهن‬,‫المحكمات‬
aṭ-Ṭabarī, hg. v. Maʿrūf und al-Ḥaristānī. Bd. 2 (1994): 213.
82 Kinberg, Muḥkamāt and Mutašābihāt, S. 149. Diese Frage, wie sie auch Naṣr Ḥamīd Abū Zaid
gestellt hat, warum bei den Korankommentatoren die Tendenz herrschte jede Vielfalt (iḫtilāf)
im Korantext in Verbindung mit der Abrogation erklären zu wollen, scheint in diesem Kontext
berechtigt zu sein. Für Abū Zaid führte dies zu einer Vermischung in den Instrumentarien sprach-
licher Differenzierung (at-Taḫṣīṣ al-luġawī). Diese Verlegenheit der Exegeten führte Abū Zaid auf
den Umstand zurück, dass die Bestimmung der Kategorien nāsiḫ und mansūḫ in der Korange-
lehrsamkeit eine komplizierte Thematik war. Seiner Ansicht nach sollte die Frage der Abrogation
nicht zu sehr auf den Text bezogen werden, also weniger im Sinne der Aufhebung von Textstellen
betrachtet werden und stärker auf die hermeneutische Normsetzung fokussiert werden. Vgl. Abū
Zaid, Naṣr Ḥāmed: Mafhūm an-Nas. Dirāsa fī ʿUlūm al-Qurʾān, 121 ff.
83 ‫ مبينات للحالل و الحرام و لم ينسخن‬al-Farrāʾ, Abū Zakariyya. Maʿānī al-Qurʾān. Bd. 1 (³1983): 190.
Der Ambiguitätsdiskurs in der Koran-Gelehrsamkeit 85

Maḥmūd al-Alūsī (1802/1854) der irakische hanafitische Gelehrte, beschränkt


sich auf die Anmerkung, dass der muḥkam ein klarer Vers ist, bei ihm eine Abro-
gation unwahrscheinlich ist ‫ال يحتمل النسخ‬. Diese Annahme wurde vor ihm schon
von al-Farrāʾ, al-Ğaṣṣāṣ und as-Suyūṭī vertreten. Al-Māturīdī (gest. 333/944), der
Begründer der maturidischen Theologie, erklärt in seinem theologisch reflektie-
renden Taʾwilāt-Kommentar die muḥkamāt ebenfalls als die abrogierenden Verse,
wonach sich das Handeln richten soll. Die mutašābihāt dagegen sind die abrogier-
ten Verse (mansūḫāt), die nicht als Grundlage für das Handeln dienen sollen, was
seiner Meinung nach die Auffassung von Ibn ʿAbbās ist.84 Nach al-Ğaṣṣāṣ (gest.
370/981) z. B. stellen überlieferte Salaf-Meinungen, wie die von Ibn ʿAbbās vom
muḥkam und mutašābih im Sinne der Abrogation nur ein Aspekt des muḥkam
und mutašābih dar, da diese Meinung andere Aspekte dieser Dichotomie nicht
ausschließt. Es ist anzunehmen, dass die abrogierenden Verse aufgrund ihrer
Bestimmtheit, Festigkeit und Verlässlichkeit muḥkamāt genannt werden, so wie
bei den Arabern ein solider Bau oder ein festgemachter (waṯīq) Knoten muḥkam
genannt werden. Al-mutašābih wird dagegen mansūḫ genannt, weil er dem
muḥkam in der Rezitation ähnlich klingt, sich aber von ihm hinsichtlich seiner
Bestimmung (ḥukm) unterscheidet.85
Die Abrogation ist bei al-Ğaṣṣāṣ ein historisch bedingtes Prinzip, da der Abro-
gierende chronologisch später erfolgt und dem Abrogierten in der Zeit ein Ende
setzt. Eine Verwechselbarkeit zwischen den beiden sollte bei einem Sachkundi-
gen, der von dem rechtsmethodischen Status beider Normen Kenntnis hat, in
der Regel nicht vorkommen. Der Koran- oder der Uṣūl-Gelehrte verfügt über das
Wissen von abrogierenden und abrogierten Versen und würde hinsichtlich ihrer
Form oder ihrer Rechtskraft nicht in einen Zustand der Verwechselung kommen.
Wenn der Leser kein Wissen vom Wesen der Abrogation hat, dann kann er folglich
auch nicht bestimmen, welche Verse abrogiert worden sind und welche an ihre
Stelle eingetreten sind. Konsequenterweise kann er auch nicht behaupten, dass
die ersten eindeutig sind und die anderen als mehrdeutig zu bestimmen sind.86

84 Al-Māturīdī, Abī Mansūr Muḥammad b. Muḥammad. Taʾwīlāt ahl as-sunna, Bd. 2 (2005): 303,
hg. v. Maǧdī Bāslūm.
85 ‫و جائز أن يسمى الناسخ محكما ألنه ثابت الحكم(…) و يسمى المنسوخ متشابها من حيث أشبه في التالوة المحكم و خالفه‬
‫ في ثبوت الحكم‬al-Ğaṣṣāṣ, Abū Bakr Aḥmad ibn ʿAlī ar-Rāzī. Aḥkām al-Qurʾān, hg. v. Muḥammad
aṣ-Ṣādiq Qamḥāwī, Bd. 2 (1996): 281.
86 Ebd., Bd. 2, 282.
86 Mourad Qortas

6 A
 mbiguität und intertextuelle Referentialität
nach al-Ğaṣṣāṣ
Die Überlegungen von al-Māturīdī zum Verhältnis zwischen mutašābihāt und
muḥkamāt weisen große Gemeinsamkeiten mit denen des Muʿtazilten al-Qāḍī
ʿAbd al-Ğabbār auf. Denn auch al-Māturīdī geht von der letztendlichen Erklärbar-
keit mehrdeutiger Verse mittels ihrer Referentialität zu den eindeutigen aus.87 In
diesem referentiellen Verhältnis zwischen muḥkam und mutašābih sehen viele
Exegeten einen zentralen hermeneutischen Stützpunkt. Auch al-Ğaṣṣāṣ betrach-
tet diese Beziehung als zentral für jede koranische Exegese, stellt allerdings fest,
dass dadurch nicht jede mögliche Bedeutung oder alle Aspekte koranischer Mehr-
deutigkeit entlarvt werden können. Das Verfahren der Referentialität umfasst
sowohl rationale Begründung (ʿaql) als auch den Verweis auf die Text-Autorität
(samʿ). Das rationale Argument bedeutet nach al-Ğaṣṣāṣ aber nicht eine ungezü-
gelte Anwendung freier Vernunft, sondern die rationale Anwendung der Gelehr-
tentradition.88 Der Inhalt des Verses gibt nach al-Ğaṣṣāṣ einen klaren Hinweis
zur Pflicht der Bezugnahme von den mehrdeutigen auf die eindeutigen Verse. Er
konkretisiert, dass die Bezugnahme auf die Bedeutung der letzten und nicht auf
eine ihr widersprechende Bedeutung zielen darf, da nur die eindeutigen Verse
das Fundament des Buches sind.89 Wenn man auf seine Definition des Eindeuti-
gen und Mehrdeutigen zurückgeht, dann finden wir, dass sie in einem adäquaten
Verhältnis zu diesem Konzept der Referentialität steht. Nach al-Ğaṣṣāṣ verträgt
das Eindeutige als Ausdruck (lafẓ) keine Assoziation (ištirāk) mit anderen und
er vermittelt dem Rezipienten eine einzige Bedeutung. In dieser semantischen
Erklärung liegt schließlich der Grund für die Autorität des muḥkam gegenüber
dem mutašābih. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, kommt al-Ğaṣṣāṣ zum Ergeb-
nis, dass die Interpretation des mutašābih im Vers im Sinne der sprachlichen
Bedeutung eines bestimmten Ausdrucks zu verstehen ist, der für verschiedene
Bedeutungen offen ist und der auf eine einzige, eindeutige Bedeutung zurückzu-
führen ist.90 Die Beschreibung des Korans als mutašābih deutet aber nicht auf die
Mehrdeutigkeit des ganzen Korans, sondern auf die Ähnlichkeit und die Wider-
spruchsfreiheit, die ihm zugrunde liegt.91 Mit Bezug auf Ğābir ibn ʿAbd Allāh

87 Ebd., Bd. 2, 305.


88 Wansbrough, Quranic Studies, 151.
89 ‫مضمون هذه اآلية و فحواها من وجوب رد المتشابه الى المحكم و حمله على معناه دون حمله على ما يخالفه‬
al-Ğaṣṣāṣ, Aḥkām al-Qurʾān, Bd. 2, 282.
90 al-Ğaṣṣāṣ. Aḥkām al-Qurʾān, Bd. 2, 282.
91 Ebd. Bd. 2, 281
Der Ambiguitätsdiskurs in der Koran-Gelehrsamkeit 87

erklärt al-Ğaṣṣāṣ, dass bei dem muḥkam Erkenntnis über seine Auslegung vor-
handen ist, während diese bei dem mutašābih fehlt. Diejenigen, in dessen Herzen
Abweichung (zayġ) enthalten ist, missachten das Gebot, nicht bloß weil sie nach
der Deutung der Mehrdeutigkeit trachten, sondern weil sie es tun, ohne dabei
das Mehrdeutige auf die eindeutige Bedeutung (das Fundament des Buches)
zurückführen.92 Nach al-Ğaṣṣāṣ kann aus dem Vers auf keinen Fall eine Verwerf-
lichkeit der Interpretation abgeleitet werden. Ganz im Gegenteil, eine Aussetzung
der Interpretation im Sinne intertextueller Referentialität und Rückführung des
Mehrdeutigen auf die Eindeutigkeit, stellt eine klare Missachtung des Gebots der
Selbstreferentialität der Offenbarungschrift dar.

7 A
 mbiguität und der Selbstwert erkenntnis­
theoretischer Durchdringung des Korans
Ein weiteres Feld hermeneutischer Auseinandersetzung mit den mutašābihāt
in Verbindung mit (3:7) bildet die Frage nach den erkenntnistheoretischen
Zugänglichkeitsformen zum koranischen Text und ihrer Grenzen. Hier ringen
die Erklärungskonzepte hauptsächlich mit der Frage nach den verschiedenen
intellektuellen und moralischen Fähigkeiten, derjenigen, die den Koran rezi-
pieren. Anders formuliert, geht es um die erkenntnistheoretische Durchdrin-
gung der Heiligen Schrift und den Selbstwert einer solchen Arbeit seitens des
Exegeten.93 Die Vorstellung von Schriftexegese als einer im Offenbarungstext
göttlich formulierten Aufgabe erfuhr einen beachtlichen Vorschub durch die
wissenschaftliche Ausarbeitung von interpretativen Fragen und Methoden. Die
Kontroverse um den Buchstaben wāw im besagten Vers ob er die Funktion einer
satzbeginnenden Präposition (wāw al-ibtidāʾ) oder einer konjunktiven Satz-ver-
bindenden Präposition (wāw al-ʿatf) ausführt, zielt letztendlich auf die erkennt-
nistheoretische Frage: haben neben Gott auch die im Wissen fest Verankerten die
Kenntnis der Bedeutung und Interpretation der mutašābihāt-Verse? Für Wans-
brough steht diese Frage als Symbol für das Problem der Grenzen exegetischer
Arbeit.94
Abū ʿUbaida bringt in seiner Erklärung der „ar-rāsiḫūna fī l-ʿilmi“ Spiritualität
und Gelehrsamkeit zusammen. Für ihn sind diese nämlich diejenigen, die nicht

92 ‫ فوصف متبع المتشابه من غير حمله له على معنى المحكم بالزيغ في قلبه‬ebd. Bd. 2, 281
93 McAuliffe. Text and Textuality, 61.
94 Wansbrough. Quranic Studies, 152.
88 Mourad Qortas

nur im Wissen, sondern die auch in der Frömmigkeit verankert sind.95 Schrifte-
xegese hat damit nicht nur einen Erkenntniswert, sie bringt vielmehr einen spiri-
tuellen Mehrwert für die Schriftgelehrten mit sich.
Die Pflicht zum Studium und Eintauchen in die religiösen Wissenschaften
wurde aus der Vorbildfunktion der im Wissen fest Verankerten „ar-rāsiḫūna fī
l-ʿilmi“ in (3:7) abgeleitet; von der Streitfrage ob die im Wissen Verankerten die
Mehrdeutigkeit im Gotteswort auszulegen wissen oder nicht, ganz abzusehen.
Das Beharren auf eine syntaktische Disjunktion für den wāw bei as-Suyūṭī war ein
Zugeständnis dafür, dass letztendlich nicht jeder Aspekt der vielfältigen Bedeu-
tungen der mutašābihāt aufgedeckt werden kann.96 Der Autor (Gott) behält sich
auf diesem Weg Raum für das Mysterium der Offenbarung.
Ibn Qutaiba war laut McAuliffe, einer der ersten, der den epistemologischen
Sinn hinter der koranischen Ambiguität im Vers (3:7) offen thematisierte, als er
sich zu Anfang des mutašābih-Kapitels in seinem „taʾwīl muškil al-Qurʾān“ (die
Deutung des schwerverständlichen Qurʾāns) die Frage stellte: „was könnte durch
die Herabsendung von Mehrdeutigem im Koran für eine Absicht verfolgt worden
sein, wo doch Allah [durch sein Buch] für seine Untertanen die Rechtleitung und
Offenbarung anstrebte?“97 Seine Antwort darauf lautete: „der Koran ist im Wort-
laut und in den Bedeutungen der Araber herab gesandt worden, und pflegte ihre
gleiche Art in der Verkürzung, Zusammenfassung und Ausführlichkeit (…)“, auf-
grund dessen war er in einigen Stellen deutlich und prägnant und in anderen
Stellen vage und unklar. So die Antwort von Ibn Qutaiba. Wäre der Koran darüber
hinaus in seiner Gesamtheit klar und seine Gedanken und Botschaften für jeden
offenkundig, sodass darin der Wissende und Unwissende gleich wären, so gäbe
es keinen Unterschied und kein Überlegenheitsstreben (tafādul) zwischen den
Menschen.98 Die Schlussfolgerung von McAuliffe, wir hätten es hier mit einem
antiegalitaristischem Argument zu tun99, muss an dieser Stelle zurückgewiesen
werden. Die Gleichheit bzw. Ungleichheit oder die Unterscheidbarkeit der Men-
schen hinsichtlich ihrer intellektuellen Fähigkeiten spielt hier nur am Rande
eine Rolle. Ferner zielt Ibn Qutaibas Argument nicht darauf ab, in den Koran
eine Legitimierung von Überlegenheitsansprüchen gelehrter und auserwählter
Gruppen hineinzulesen, sondern einfach auf die intellektuelle Beschäftigung mit

95 Abū ʿUbayda, Mağāz al-Qurʾān, Bd. 1, 86.


96 as-Suyūṭī, Itqān.
97 Ibn Qutaiba, Abū Muḥammad. Taʾwīl muškil al-Qurʾān, hg. v. as-Saiyid Aḥmed Ṣaqr, Kairo
1973, 86.
98 Ebd.
99 „He then makes an argument that strikes at the heart of contemporary egalitarianism“, McAu-
liffe. Text and Textuality, 61.
Der Ambiguitätsdiskurs in der Koran-Gelehrsamkeit 89

der Schrift und den Vorzug des Wissens gegenüber dem Unwissen als Wert an
sich hinzuweisen. Ein Wert und ein Vorzug, wozu im Allgemeinen alle Menschen
gleichermaßen imstande sind.
Ibn Qutaiba untermauert seine Überlegungen mit einem wissenstheoreti-
schen Argument, wonach:

jeder Wissenszweig sich in einen einfachen allgemeinen und einen schweren spezifischen
Teil gliedert, damit jeder Studierende in den verschiedenen Schwierigkeitsstadien allmäh-
lich voranschreitet, bis er sein höchstes Stadium erreicht. Da hebt sich dann der Gelehrte
durch seine Reflexion ab und zeichnet sich durch seine Innovation aus. Gott belohnt ihn
dann auch zu seiner gut ausgeführten Perfektion. Andererseits, wenn jede Wissenschaft
sich auf eine einzige Sache reduzieren ließe, dann würde es keinen Gelehrten und keinen
Studierenden und nichts Verborgenes und nichts Offenkundiges geben, denn die Vorzüge
einer Sache lassen sich durch ihren Gegensatz erfahren. So wird das Gute durch das Böse
erkannt und das Gesunde durch das Schädliche, und das Süße durch das Bittere (…).100

Der Erklärungsbedarf seitens der Exegeten für das Vorliegen der Mehrdeutigkeit
im Koran betraf nicht nur die sunnitische Koranexegese. Man kann sogar von
einer šiʿitisch-sunnitischen Differenzierung hinsichtlich der Ambiguitätsfrage
reden, denn Šīʿa-Exegeten tendierten im Allgemeinen dazu, die Verständlichkeit
von muḥkamāt-Versen in Kontrast zu den erklärungsbedürftigen und letztend-
lich erklärbaren Mutašābihāt zu setzen.101 ʿAlī b. Ibrāhīm al-Qummī (4./10. Jh.)
zum Beispiel macht in seiner muḥkam-Definition eine Unterscheidung zwi-
schen Offenbarungsherabsendung (tanzīl) und Offenbarungsauslegung (taʾwīl).
Muḥkam danach ist das, was „dessen taʾwīl mit seinem tanzīl identisch ist“ und
impliziert dadurch, dass es bei den mehrdeutigen Versen zu einer Abweichung
vom wortwörtlichen Text der Herabsendung auf der Ebene seiner Auslegung
kommen könnte. Auch die Nachfolger von al-Qummī wie aṭ-Ṭūsī (460/1067) und
al-Faḍl aṭ-Ṭabarsī (548/1153) betrachten diese letztgenannten im Endeffekt als
erklärbar. Sie benötigen zwar eine stützende Argumentation aufgrund ihrer viel-
fältigen Bedeutung, sind aber letztendlich nicht unerklärbar.
Auch der Zwölfer-Šiʿīt aṭ-Ṭūṣī stellte einige exegetische Standard-Rechtferti-
gungen für das Vorliegen der Mehrdeutigkeit im Koran vor. Einer der wichtigen
Gründe sieht er in der Notwendigkeit, die für den Wissenserwerb nötige For-
schung anzuregen, ohne die wir vor ungeprüften Behauptungen stehen würden.

100 Ibn Qutaiba, ebd.


101 Ebd. Siehe auch. ʿAlī b. Ibrāhīm al-Qummī. Tafsīr, hg. v. Ṭayyib al-Mūsawī al-Ğazāʾirī, Bd. 1
(1824): 96. Im Original heißt es: ‫ المحكم من القرآن هو ما تأويله في تنزيله‬al-Qummī gibt damit eine juri-
dische Erklärung. Die Beispiele die er dafür zitiert, sind Aḥkām-Verse wie der Vers der rituellen
Waschung Vers (5, 6) und das Inzest-Verbot in Vers (4, 23).
90 Mourad Qortas

Ohne kritische Reflexion können wir nicht wissen, ob alles, was über den Pro-
pheten überliefert wurde, wahr ist. Es würde dann die Wahrscheinlichkeit beste-
hen, dass es sich dabei um eine unechte Überlieferung, eine Lüge handelt.102 An
diesem Punkt werden die erkenntnistheoretischen Gemeinsamkeiten zwischen
der schiʿitischen und der muʿtazilitischen Koranhermeneutik deutlich. Auch für
den muʿtaziliten al-Qādī ʿAbd al-Ğabbār müssen religiöse Texte rational-kritische
Verifizierung durchlaufen, um als wahr zu gelten.103 Nicht nur in diesem Punkt,
sondern durch die ganze Lektüre von Tūṣīs Exegese zum mutašābih-Vers ist die
frappierend ähnliche Argumentationslinie zu Qādī ʿAbd al-Ğabbār nicht zu über-
sehen. Ein zweiter Grund, den aṭ-Ṭūsī mit Ibn Qutaiba teilt, liegt in der Wich-
tigkeit einer Gelehrtenexpertise, denn ohne die Mehrdeutigkeit würde es keine
Abstufungen bei der hermeneutischen Bewältigung des Korans geben und jeder
Arabisch-Sprechende wäre, so gesehen, ein Korangelehrter.104
Im Gegensatz hierzu, ist die sunntische Exegese-Tradition bei der Beurtei-
lung der letztendlichen Erklärbarkeit der mutašābihāt unentschlossen. Ibn Kaṯīr
beschränkt sich auf die Bemerkung, dass die mutašābihāt solche Verse sind, hin-
sichtlich ihrer Bedeutung viele Menschen Zweifel empfinden.105
Az-Zamaḫšarī erklärt die mutašābihāt als verwechselbare (mutašābihāt) und
Wahrscheinlichkeit-behaftet (muḥtamilāt), im Gegensatz zu den muḥkamāt die
er von Verwechselbarkeit und Wahrscheinlichkeit freispricht.106 Er stellt dann
die Frage, wieso der Koran nicht einfach in seiner Gesamtheit eindeutig ist? Und
formuliert darauf eine Antwort, die der vor ihm unter den Exegeten einheitlich
vertretenen Meinung entspricht, so schreibt er:

Wenn der ganze Koran eindeutig wäre, dann würden die Menschen aufgrund seiner Ein-
fachheit umso leichter in seine Abhängigkeit fallen und sie würden dann alles meiden, dort
wo sie genötigt sind, sich durch eigene Forschung und Reflexion anstrengen zu müssen. So
würden sie sich den einzigen Weg zu Gotteserkenntnis und der Erkenntnis seiner Einheit
versperren. Dazu stellt das Mehrdeutige eine Prüfung (ibtilāʾ) zur Unterscheidung dar, zwi-
schen demjenigen, der auf das Wahre beharrt und dem, der sich leicht davon abbringen
lässt. Es hat einen besonderen Wert, wenn die Gelehrten sich mühen, seine Bedeutungen
herauszuarbeiten und auf das Eindeutige zurückzuweisen. Diese edlen Vorzüge und wert-

102 At-Tūsī, Abū Ğaʿfar Muḥammad ibn al-Ḥasan. at-Tibyān fī tafsīr al-Qurʾān, hg. v. Al-ʿĀmilī,
Aḥmad Ḥabīb, o. J. Dār Iḥiyāʾ aṯ-ṯurāt al-ʿArabī, Beirut. Bd. 2, 396.
103 Siehe dazu vom gleichen Verfasser. Muʿtazilitische Koranexegese. Unter besonderer Berück-
sichtigung der Diskussion um den Mutašābih-Begriff.
104 Aṭ-Ṭūṣi. at-Tibyān fī tafsīr al-Qurʾān, Bd. 2, 396.
105 Ismāʿīl b. Kaṯīr. Tafsīr al-Qurʾān al-ʿāẓīm, Bd. 2 (1970): 5.
106 Az-Zamaḫšarī, Maḥmūd b. ʿUmar. al-Kaššāf ʿan ḥaqāʾiq at-tanzīl wa- ʿuyūn al-aqāwīl fi
wuğūh at-taʾwīl, hg. v. Ḫalīl Maʾmūn šiha, Beirut, 2009, 161.
Der Ambiguitätsdiskurs in der Koran-Gelehrsamkeit 91

vollen Erkenntnisse bringen hohe Belohnung bei Gott. Der im Glauben Gefestigte hat
Gewissheit darüber, dass die Rede Gottes nicht widersprüchlich (munāqaḍa) und abwei-
chend (iḫtilāf) ist, wenn sie in ihrem Wortlaut (zāhir) widersprüchlich klingt. Er eignete
sich das nötige Wissen an, womit er die Kohärenz wiederherstellt und sie auf eine Linie
bringt, er überlegte und recherchierte bei sich und den anderen bis sich Gottesgnaden ihm
offenbarte und zur Erklärung der Übereinstimmung zwischen der Mehr- und Eindeutigkeit
gelangte. Dies gibt ihm mehr Ruhe über seinen Glauben und stärkt darüber seine Über-
zeugung.107

Hier wird die Mehrdeutigkeit als eine Erkenntnisform erklärt, die im Kontrast
zu der Eindeutigkeit einen besonderen Nutzen für den Gläubigen hat, nämlich
den Nutzen der Gotteserkenntnis und die Erkenntnis seiner Einheit, die im
muʿtazilitischen Kontext ohne rationale Reflexion unmöglich ist. Hier wäre es
erwähnenswert anzumerken, dass az-Zamaḫšarī seinen Muʿtazilismus durch
diesen Standpunkt, kritische Reflexion als den einzigen Weg zur Gotteserkennt-
nis, unmissverständlich demonstriert.
Nach diesen Ausführungen az-Zamaḫšarīs stellt die exegetische Erforschung
koranischer Mehrdeutigkeit eine edle und fromme Aufgabe dar, die darauf abzielt,
den Text interpretativ vom scheinbaren Widerspruch zu befreien.
Nach al-Māturīdī werden die muḥkamāt als solche definiert, die jeder erkennt,
wenn er darüber reflektiert. Der mutašābih dagegen ist das Ambige (mubham),
das erst nach dem Suchen und Nachforschen gewusst wird.108 Muḥkam ist also
das, was unmittelbar verstanden wird. Auch wenn mutašābih hinsichtlich seiner
Erkennbarkeit und aufgrund seiner unklaren Form zweitrangig erscheint, stellt er
eine Prüfung (miḥna) von Gott an die Gläubigen dar, insofern sie daran glauben
müssen, da das Leben vor allen ein Prüfungsdasein (dār miḥna) ist. Ferner spricht
al-Māturīdī von der Wahrscheinlichkeit, dass die muḥkamāt den Konsens der
Muslime darstellen. Das mutašābih ist wiederum das, worüber sich die Menschen
streiten, weil sie darin viel Verwechslung finden, und diese äußert sich entweder
in der Verschiedenheit der Sprachen oder in der Ambivalenz zwischen dem Offen-
kundigen und dem Verborgenen. So bleiben die einen an dem Offenkundigen
hängen und die anderen folgen dem Verborgenen und halten an ihm fest. Inter-
essant und etwas abseits vom Konsens der Exegeten steht al-Māturīdī mit seinem
kritischen Standpunkt hinsichtlich der Eindeutigkeit der muḥkamat. Ihm zufolge
liegt eine unmittelbare offensichtliche Eindeutigkeit nicht vor.109 Er argumentiert:

107 Az-Zamaḫšarī. al-Kaššāf, 161.


108 al-Māturīdī. Taʾwīlāt ahl as-Sunna, Bd. 2, 303.
109 „Even a theoretical postulate that the muḥkamāt were immediately clear (wādiḥ mubīn) was
rejected by Māturīdī“ Wansbrough, Quranic Studies, 150.
92 Mourad Qortas

Wenn die Sache so wäre wie sie sagen, dann würde es keinen Streit zwischen
den Menschen geben, und es würde nicht jeder behaupten, die Eindeutigkeit liege
auf seiner Seite, denn wäre das Eindeutige so offensichtlich, wäre es zu keinem
Meinungsstreit gekommen110.
Diese kritische Skepsis formuliert al-Māturīdī vor allem in Richtung der
Muʿtazila, da sie die Lehre von der Offenbarung als Optimum für die Menschen
(al-aṣlaḥ) vertreten, wonach Gott mit der Offenbarung das Beste für seine Schöpfung
veranlasst hat. Die Idee vom aṣlaḥ wird bei al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār in Verbindung
mit al-Qaṣd-Theorie111 zu einem exegetischen Leitprinzip ausgearbeitet, wonach
in der Koranexegese vom guten Willen Gottes bei der Erklärung des Korans ausge-
gangen werden muss.112 Al-Māturīdī steht diesem Standpunkt kritisch gegenüber,
denn für ihn ist dieses vermeintliche Optimum in der Offenbarung nicht evident
genug, wenn Gott nicht für eine klare Unterscheidung zwischen dem Eindeuti-
gen und dem Mehrdeutigen gesorgt hat. Eine solche klare Differenzierung würde
nämlich ein Optimum für die Menschen in ihrem Glauben darstellen. Dies ist für
al-Māturīdī ein Beweis dafür, dass Gott im Sinne der Prüfung Seiner Untertanen,
etwas mit den Menschen tun kann, das nicht zu ihrem Besten im Glauben ist.113
Abū Bakr Muḥammad ibn al-ʿArabī (gest. 543/1148) der andalusische Koran-
exeget spricht den Nutzen der koranischen Mehrdeutigkeit nicht in seinem Exe-
gese-Werk Aḥkām al-Qurʾān sondern in seinem Kommentar zu Ṣaḥīḥ at-Tirmiḏī
an.114 Wie die anderen, thematisiert er die mutašābihāt als Zeichen für eine Offen-
barung, die durch ihre Offenheit für erkenntnistheoretische Durchdringung cha-
rakterisiert ist und die auf die abweichenden und unterschiedlichen Zugänge und
Abstufungen dieser Durchdringung Wert legt. Seine Erklärung für „die im Wissen
fest Verankerten“ fällt er nicht im Rahmen der Unterscheidung zwischen Gelehr-
ten und Ungelehrten, sondern im Sinne eines wissenshistorischen Konflikts zwi-
schen Altem und Neuem. Jener Konflikt, der sich anzubahnen scheint, wenn auf
dem Fundament von bisher erlangten alten Erkenntnissen sich neues Wissen ent-
faltet und die neue Wissenselite sich trotz der heftigen reaktionären Widerstände
(riyāḥ al-iʿtirādāt) nicht erschüttern lässt.115

110 Al-Māturīdī. Taʾwīlāt ahl as-Sunna, Bd. 2, 305.


111 Damit ist die Lehre von der Intention bzw. von der guten Absicht Gottes gemeint, die als Aus-
druck Seines ewig guten Willens hinter Seiner Offenbarung an die Menschen steht.
112 ‫ ألنه يدل بأن يصدر من حكيم ال يجوز أن يختار الكذب و األمر بالقبيح‬al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār. Mutašābih
al-Qurʾān, Bd. 1 (1966): 2, hg. v. Muḥammad Zarzūr, Dār at-Turāṯ ʿAdnān.
113 Ebd., 306.
114 McAuliffe. Text and Textuality, 62.
115 Muḥammad b. ʿAbdallāh b. al-ʿArabī. ʿĀridat al-Aḥwaḏī bī bī-šarḥ ṣaḥīḥ at-Tarmiḏī, Bd. 11
(1972): 115 ff.
Der Ambiguitätsdiskurs in der Koran-Gelehrsamkeit 93

Auch ar-Rāzī hat im Rahmen seiner Beschäftigung mit dem mutašābih-


Problem nicht versäumt den erkenntnistheoretischen Aspekt zu beleuchten. In
seinem Mafātīḥ al-ġaib diskutierte er diesen Aspekt als einer der Vorzüge korani-
scher Mehrdeutigkeit. Am Anfang stellt er die Begrifflichkeiten klar und erklärt
die inhärente Mehrdeutigkeit in den mutašābihāt durch die Unfähigkeit des
Menschen, zwischen zwei ähnlichen Objekten zu unterscheiden. So wird alles,
wozu der Mensch nicht mit Gewissheit gelangt, mutašābih genannt. Hier wird die
Bezeichnung der Ursache (sabab) für die Wirkung (al-musabbab) gebraucht.116
Laut ar-Rāzī gilt, dass je grösser die Anstrengung beim Verstehen der Mehr-
deutigkeit ist, desto mehr Lohn erwartet den Gelehrten. Mehrdeutige Verse liefern
dazu eine Gelegenheit, verschiedene theologischen Ansichten darzustellen und
sie rechtfertigen den Gebrauch der Vernunft jenseits aller finsteren dogmatischen
Taqlīd-Zwänge. Die mehrdeutigen Verse nötigen dem Korankommentator dazu,
sich exegetischen Fertigkeiten wie Sprachwissen, Grammatik und Fiqh-Theorie
(uṣūl al-fiqh) anzueignen. Die mutašābihāt passen ferner in dem koranischen
Konzept hinein, das von unterschiedlicher menschlicher Rezeptionsfähigkeit
ausgeht und die Offenbarung in ihrer Mannigfaltigkeit so gestaltet, dass sie den
Wissenden und den Unwissenden auf verschiedenen Ebenen erreicht.117

8 Ambiguität und Koraninterpretation


Im Zusammenhang mit der Frage der Interpretierbarkeit von muḥkam und
mutašābih, die der Vers aufwirft, gibt es einige Definitionen, die als Antwort auf
diese Frage dienen können. Die Diskussionen bezüglich dieser Frage werfen auch
ein Licht auf die theologischen und rechtlichen Konsequenzen, die mit der Inter-
pretation der koranischen Ambiguität zusammenhängen. Wir können richtige
Interpretationen finden, aber wir können auch falsche Interpretationen formu-
lieren, die irreführend sind.
Wie bereits ausgeführt, geht die Beschreibung der muḥkamāt als umm al-
kitāb davon aus, dass sie die Essenz der koranischen Botschaft sind. Durch sie
werden die Fundamente des muslimischen Glaubens und Verhaltens formuliert.
Der wichtigste Aspekt in der Beschreibung des Wechselverhältnisses zwischen
dem muḥkam und dem mutašābih ist die Betonung der Eigenständigkeit der

116 ‫ اطالقا السم‬,‫لما كان من شأن المتشابهين عجز االنسان عن التمييز بينهما سمي كل ما ال يهتدي األنسان اليه بالمتشابه‬
‫ السبب على المسبب‬Tafsīr ar-Rāzī, Bd. 7, 181.
117 Ebd.
94 Mourad Qortas

muḥkamāt und die Abhängigkeit der mutašābihāt. Die ersten werden nämlich
als selbstgenügend und nicht deutungsbedürftig beschrieben, da sie keine
Erklärung brauchen und nur eine mögliche Auslegung haben können.118 Daher
müssen sie nicht auf andere Verse zurückgeführt werden. Umgekehrt, können die
mutašābihāt, die mehrere Auslegungen haben können119, nur durch ihre Rück-
führung auf andere Verse verstanden werden.120 Dieses Abhängigkeitsverhältnis
dient als Mittel um den göttlichen Willen zu entschlüsseln.121 Der muḥkam ist das
Fundament des Buches und alles andere, was nicht muḥkam ist, muss sich auf
ihn beziehen. Wenn der Gläubige zu einem muḥkam zurückgeht, um einen unkla-
ren mutašābih zu verstehen, dann findet er auf diesem Weg zum rechten Glau-
ben.122 Eine Auslegung des mutašābih, die nicht in Übereinstimmung mit dem
muḥkam steht, führt zum Irrweg. Auch al-Ğaṣṣāṣ, wie bereits oben gezeigt, teilt
diese verbreitete Auffassung von dem Abhängigkeitsverhältnis des mutašābih
zum muḥkam als Grundlage für eine richtige Interpretation.123
Die präzise und bestimmte Form der muḥkamāt wurde von den Exegeten
als Indiz dafür genommen, dass sie in der Offenbarung die Funktion haben, die
Menschen vom Irrweg zu bewahren. Ibn al-ʿArabī sagt dazu: „sie wurden davor
bewahrt, dass die Wahrscheinlichkeit und Unklarheit in sie einschleicht, sie
lässt nur eine einzige Bedeutung wahrscheinlich werden“124. Diese Schutz- und
Bewahrungsfunktion in der Bedeutung des Wortes „iḥkām“ im Sinne von etwas
abwenden oder etwas verhüten, wird von den meisten Exegeten geteilt.125 Sie
ermöglicht es den Gläubigen ihre Pflichten auszuführen gemäß dem Text, ohne
dass sie auf zusätzliche Interpretationen angewiesen sind.
Auf die Frage der Interpretierbarkeit wurden in der Koranexegese allgemein
zwei Antworten gegeben: eine erste, die besagt, dass die mutašābihāt unklare
Verse sind, die nicht interpretierbar sind und nicht interpretiert werden dürfen,
da ein solcher Versuch nur zum Irrweg führen kann. Die zweite Antwort besagt,

118 ‫ ما استقل بنفسه و لم يحتاج الى بيان‬al-Baġwī, Bd. 1, 320; „‫المحكم ال تتوقف معرفته على البيان‬, al-Itqān,
Bd. 2, 2; oder ‫ ما ال يحتمل من التأويل اال وجها واحدا‬aṭ-Ṭabarī, Bd. 6, 177, ähnliche Definitionen auch
bei al-Ğaṣṣāṣ, Bd. 2, 3; Siehe auch: aṭ-Ṭabarsī. al-Faḍl b. al-Ḥasan. Mağmaʿ al-Bayān fī tafsīr al-
Qurʾān, Bd. 3 (1959): 15; Ibn al-Ğawzī, Bd. 1, 351.
119 ‫ ما احتمل من التأويل وجوها‬aṭ-Ṭabarī, Bd. 6, 177; az-Zamaḫšarī, Bd. 1, 337 ff.
120 ‫ مااليستقل بنفسه االبرده الى غيره‬ebd. ‫ ما ال يدرك اال بالتأويل‬al-Itqān, ebd.
121 Itqān, Bd. 2, 5.
122 Ibn Kaṯīr, Bd. 1, 344
123 al-Ğaṣṣāṣ, Bd. 2, 4; Wansbrough. Quranic Studies, 151.
124 Ibn ʿArabī, Muḥyī, ad-Dīn. Tafsīr al-Qurʾān al-Karīm, Bd. 1 (1978): 167.
125 Nach Kinberg vertreten auch folgende Exegeten diesen Standpunkt. al-Baġwī, al-Ḫāzin, al-
Zamaḫšarī, al-Bayḍāwī, an-Nawawī, al-Alūsī, ar-Rāzī.
Der Ambiguitätsdiskurs in der Koran-Gelehrsamkeit 95

dass die mutašābihāt interpretiert werden sollten, da ihre Bedeutung nicht nur
Gott, sondern auch die Gelehrten wissen können.
Zwar ist der Unterschied zwischen diesen beiden Antworten fundamental.
Beiden ist aber die Vorstellung gemein, dass die Ambiguität des mutašābih für
den Glauben gefährlich ist, weil sie den Gläubigen in die Irre leiten könnte, wes-
wegen sie beseitigt werden sollte. Während die erste Annäherung die Lösung
in der Überzeugung sieht, dass allein Gott die Bedeutung des mutašābih kennt
und damit ein kategorisches Interpretationsverbot ausspricht, kommt die zweite
Annäherung zu einem entgegengesetzten Ergebnis und schlägt einen Lösungs-
ansatz vor, der auf Interpretation basiert. Danach können mutašābihāt interpre-
tiert werden, allerdings nur im Lichte des muḥkam.
Eines der Argumente für diese erste Meinung ist, dass das Wissen über
die Bedeutung der ambigen Verse zum exklusiven Bereich göttlichen Wissens
gehört.126 Dem wird der muḥkam als Kontrast gegenübergestellt mit der Defi-
nition, dass es für ihn einen Erkenntnisweg gibt.127 Andere Definitionen werden
bestimmter und betonen, dass die mutašābihāt weder auf rationaler Basis noch
mit Bezug auf die Tradition verstanden werden können.128
Diese und andere Definitionen von der gleichen Art sind der Überzeugung
geschuldet, dass die mutašābihāt Bedeutungen zum Inhalt haben, die Menschen
nicht zugänglich sein dürfen wie z. B.: der Tag der Abrechnung (Auferstehung),
die Umstände im Jenseits, Belohnung und Bestrafung im Jenseits, die Zahl der
Engel in der Hölle usw. Dazu kommen auch die Eröffnungsbuchstaben (fawātiḥ),
und die göttlichen Attribute.129
Gemäß Vers (3:7) bezieht sich der Begriff „al-llaḏīna fī qulūbihim zaiġun“ auf
diejenigen, die den mehrdeutigen Versen folgen, um Dissens (fitna) zu stiften.
Diese Identifikation ist sehr weit verbreitet und wird oft auch mit einem Ḥadīṯ
untermauert, der besagt: „fā-iḏā raʿytum l-llaḏīna yattabiʿūna mā tašābaha minhu
fa-ʾūlāʾika l-llaḏīna sammā Llāh fa-ḥḏarūhum“130. Bei manchen Stellen, mit oder
ohne Verweis auf dieses Ḥadīṯ, bemühen sich die Kommentare um die Identifizie-
rung dieser Menschen, die im Vers und im Ḥadīṯ gemeint sein könnten. Hierunter
fallen fast alle religiösen Gemeinschaften und muslimische Sekten: Christen,
Juden, Ungläubige, Heuchler (munāfiqūn), jene, die den Tag der Abrechnung ver-

126 ‫ ما ال سبيل الى معرفته‬aṭ-Ṭabarī, Bd. 6, 179; Ibn al-Ğawzī, Bd. 1, 351; ar-Rāzī, Bd. 2, 403.
127 ‫ ما كان الى معرفته سبيل‬aṭ-Ṭabarī, ebd.
128 ‫ ال يدرك معناه عقال و ال نقال‬al-Alūsī, Bd. 1, 521;
129 Ibn Taymiyya. al-Iklīl fī l-mutašābih wa t-taʾwīl, Kairo 1974, 32 ff; as-Suyūṭī.al-Itqān, Bd. 2, 2;
ebd., Muʾtarak al-aqrān fī iʿğāz al-Qurʿān, Kairo 1970, 146.
130 Ibn Kaṯīr, Bd. 1, 345 ff.
96 Mourad Qortas

leugnet haben, die Neuerer im Glauben (mubtadiʿa), die Ḫawāriğ, und andere
Sekten wie Sabaʾiyya und die Ğabriyya.131.
Als Beispiel für den Interpretationsstreit über den normativen Charakter
bestimmter Verse erwähnt as-Suyūṭī in ad-Durr al-manṯūr, dass die Ḫawāriğ den
Vers (5:47)132 als einen eindeutigen Beleg (muḥkam) betrachteten, der als Grund-
lage dafür gilt, den Machthaber als Apostat erklären zu können, als einen der
ihrer Ansicht nach nicht nach Gottesgebot richtet. Dies zeigt deutlich, welche
rechtlichen und politischen Konsequenzen daraus entstehen können, wenn ein
Vers zu einer eindeutigen koranischen Aussage erklärt wird.
Ein anderes Beispiel, das oft in der Koranexegese im Zusammenhang mit dem
muḥkam und mutašābih erwähnt wird, ist die Geschichte von der christlichen
Delegation von Nağrān, die sich mit dem Propheten Muḥammad über das korani-
sche Bild von Jesus im Koran unterhielten. Die Christen fühlten sich durch Vers
(4:170)133 in dem Jesus als Gesandter und Gotteswort bezeichnet wird, in ihrem
Glauben an die Göttlichkeit Jesu bestätigt. Aus islamischer Sicht basiert ein
solcher Anspruch aber lediglich auf einen mutašābih-Vers und nicht auf einem
muḥkam. Ar-Rāzī z. B. argumentiert, dass die maßgebliche Antwort auf die Trini-
tätsfrage im Koran in dem muḥkam-Vers (23:92) zu sehen ist, der sagt: „Gott hat
sich keinen Nachwuchs/Sohn genommen“134.
Ein weiteres Beispiel bezieht sich auf die innermuslimische theologische
Frage vom freien Willen vs. Prädestination. Die Rivalen hier sind die Muʿtazila
und die Ašʿariyya. Ihre Diskussion dreht sich um die Auslegung des Verses
(18:29)135. Die Muʿtazila beschreibt diesen Vers als muḥkam, da sie darin einen
Beleg für ihr Anliegen des freien Willens finden, die Ašʿariyya betrachtet ihn
dagegen als mehrdeutig und interpretationsbedürftig. Andererseits argumentiert
die Ašʿariyya mit dem Vers (76:30)136 im Sinne eines eindeutigen Belegs für die
Prädestinationslehre, während die Muʿtazila dem Vers lediglich einen mehrdeu-
tigen Charakter zuweist.

131 aṭ-Ṭabarī, Bd. 6, 186.


132 ‫و من لم يحكم بما أنزل الله فأولئك هم الكافرون‬
133 ‫انما المسيح عيسى بن مريم رسول الله و كلمته ألقاها الى مريم و روح منه‬
134 ar-Rāzī, Bd. 2, 404. Dort bezieht er sich auf diesen Vers: ‫ما اتخذ الله من ولد‬.
135 ‫فمن شاء فليؤمن و من شاء فليكفر‬
136 ‫و ما تشاؤون اال أن يشاء الله‬
Der Ambiguitätsdiskurs in der Koran-Gelehrsamkeit 97

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Tarek Anwar Abdelgayed Elkot
Zur Problematik der Offenbarungsanlässe in
den kanonischen ḥadīṯ-Sammlungen
Eine Untersuchung anhand ausgewählter Beispiele aus
al-Buḫārīs Sammlung

Asbāb an-nuzūl (Offenbarungsanlässe) bilden ein Wissensgebiet der Koranwis-


senschaften. Es zielt auf die Kenntnis der historischen Umstände, die die Herab-
sendung besonderer Teile der koranischen Offenbarungen begleiteten, ab.1 Die
Offenbarungsanlässe beziehen sich auf einzelne Koranstellen, deren Herabsen-
dung mit konkreten Ereignissen zur Zeit des Propheten Muḥammad verbunden
waren.
In Bezug auf die Lehre der Offenbarungsanlässe wird der Koran in zwei Teile
gegliedert; ein Teil des Koran wurde ohne Anlässe offenbart, ein anderer Teil
wurde als Reaktion auf konkrete Ereignisse oder Antwort auf aktuelle Fragen
herabgesandt.
Bevor die mit dem Thema Asbāb an-nuzūl zusammenhängenden Werke
erschienen, zeigten sich die Offenbarungsanlässe einzelner Verse in der exegeti-
schen Literatur. Der Grund dafür besteht darin, dass die Auslegung eines Verses
nur dann möglich sei, wenn man sich in der Geschichte und der Erklärung der
Gründe für die Herabsendung auskennt.2
Das Wissen um die Offenbarungsanlässe ist nicht nur für das Verständnis des
Korantextes vom großen Nutzen, sondern auch für die Kenntnis der aufhebenden
und aufgehobenen Verse (an-nāsiḫ wa-l-mansūḫ) sowie der Bedeutung des Verses
hinsichtlich der spezifischen oder allgemeinen Anwendbarkeit. Deshalb finden
sich in den Werken der Koranauslegung viele Überlieferungen über die Auslöser
der Offenbarung einzelner Koranstellen. Der Koranexeget muss mit den Offen-
barungsanlässen der Verse und deren unmittelbaren historischen Umständen
vertraut sein, um in der Lage zu sein, die historischen, sozialen und kulturellen
Kontexte zu erkennen, die die Herabsendung der Koranverse erforderten.3

1 Denffer, Ahmad von: ʿUlūm al-Qurʾān. Einführung in die Koranwissenschaften. Aus dem Eng-
lischen übertragen von Mohamed Abdallah Weth. Karlsruhe 2005, 109.
2 Al-Wāḥidī, Abū l-Ḥassan ʿAlī b. Aḥmad: Asbāb an-nuzūl, hg. v. Kamāl Basyūnī Zaġlūl. Beirut:
Dār al-kutub al-ʿilmiyya, 1991, 10.
3 Al-Ǧamal, Bassām: Asbāb an-nuzūl ʿilman min ʿulūm al-Qurʾān. Beirut: al-Muʾassasa al-
ʿarabiyya li-taḥdīṯ al-fikrī, al-markaz aṯ-ṯaqāfī, 2005, 12.

https://doi.org/10.1515/9783110588576-006
100 Tarek Anwar Abdelgayed Elkot

Die Koranexegeten beschäftigten sich mit den Offenbarungsanlässen und


erwähnten dabei viele von der Herabsendung einzelner Koranverse berichtende
Überlieferungen. Sie unterließen es jedoch die Überlieferungen bezüglich ihrer
Fehlerhaftigkeit und Genauigkeit zu überprüfen, weshalb in der exegetischen
Literatur zweifelhafte Überlieferungen über die Offenbarung einzelner Koran-
verse auftauchen. In seinem Werk At-taḥrīr wat-tanwīr kritisiert Muḥammad
aṭ-Ṭāhir b. ʿAšūr (gest. 1393 H./1973 n. Chr.) dieses Vorgehen der Korankommen-
tatoren, indem er Folgendes sagt: „Den großen Koranexegeten, die die schwa-
chen Überlieferungen übernahmen, sie in ihren Werken niederschrieben und
nicht auf ihren Rang bezüglich der Stärke und Schwäche hinwiesen, verzeihe
ich nicht. Sie machen die Leute glauben, dass die Koranverse nur als Reaktion
auf zu ihrer Herabsendung veranlasste Ereignisse offenbart worden seien. Das
ist eine böse Illusion. Die Herabsendung des Koran ist nicht vom Auftreten der
Ereignisse abhängig gewesen, die die Entstehung der Vorschriften gefordert hät-
ten.“4
In seinem berühmten Werk Al-itqān fī ʿulūm al-Qurʾān führt Ǧalāl ad-Dīn
as-Suyūṭī (gest. 911 H./ 1505 n. Chr.) an, dass das älteste Werk auf dem Gebiet der
Offenbarungsanlässe ʿAlī b. al-Madīnī, dem Lehrer von al-Buḫārī, zugeschrieben
wird. Das Werk ist aber nicht erhalten.5
Bevor al-Wāḥidī (gest. 468 H./1076 n. Chr.) sein Werk mit dem Titel Asbāb
an-nuzūl verfasste, gab es das Material der Offenbarungsanlässe einzeln ver-
streut, unter anderem in der Prophetenbiographie, den Korankommentaren und
den ḥadīṯ-Sammlungen.
Al-Wāḥidīs Werk Asbāb an-nuzūl ist eines der wichtigsten Werke auf diesem
Gebiet. Es erschien im fünften Jahrhundert der islamischen Zeitrechnung und
enthält Überlieferungen aus verschiedenen Quellen wie der Prophetenbiogra-
phie von Ibn Isḥāq (gest. 151 H./768 n. Chr.) und der Koranexegese des Muqātil b.
Sulaimān (gest. 150 H./767 n. Chr.).6
Die methodische Grundlage der Aufnahme der Überlieferungen, in de-
nen Offenbarungsanlässe einzelner Koranverse auftauchen, erklärt al-Wāḥidī
im so:

4 Ibn ʿAšūr, Muḥammad aṭ-Ṭahir. At-taḥrīr wat-tanwīr, ad-Dār at-tūnsīya li-n-našr. Tunis, Bd. 1
(1984): 46.
5 As-Suyūṭī, Ǧalāl ad-Dīn ʿAbd ar-Raḥmān. Al-itqān fī ʿulūm al-Qurʾān, hg. v. Markaz ad-dirāsāt
al-Qurʾāniyya. Medina, Bd. 1 (2005): 189.
6 Tillschneider, Hans-Thomas: Typen historisch-exegetischer Überlieferung: Formen, Funktionen
und Genese des asbāb an-nuzūl-Materials. Würzburg: Ergon Verlag, 2011, 14.
Zur Problematik der Offenbarungsanlässe in den kanonischen ḥadīṯ-Sammlungen 101

„Man darf nur dann etwas über die Offenbarungsanlässe des Buches sagen, wenn es durch
schriftliche und mündliche Überlieferung von denjenigen abgesichert ist, die Augenzeugen
der Offenbarung wurden (oder) die sich nach den Anlässen erkundigten, die das Wissen um
die Anlässe studierten und die dabei den rechten Ernst zeigten.“7

Die Worte al-Wāḥidīs weisen darauf hin, dass die Überlieferungen über die Offen-
barungsanlässe einzelner Koranstellen nur von den Augenzeugen, d. h. den Pro-
phetengefährten, aufgenommen wurden. Allein die Prophetengefährten erlebten
die Ereignisse und die historischen Umstände, die die Offenbarung des Koran
begleiteten. In diesem Zusammenhang gibt es dann keinen Platz für Erfindung
des Offenbarungsanlasses oder für die bloße Meinung eines Gelehrten. Die Offen-
barungsanlässe sind von den Prophetengefährten als Antwort auf von der Nach-
folgegeneration der Prophetengefährten gestellte Fragen überliefert worden.
Die von den Offenbarungsgründen einzelner Koranstellen berichtenden Über-
lieferungen, die von den Prophetengefährten stammen, sind zuverlässiger als
diejenigen, die auf die Nachfolger der Prophetengefährten zurückgehen. Denn
die berichtenden Prophetengefährten sollten die Gründe der Offenbarung von
einzelnen Koranstellen erlebt haben.
Da es sich bei den Offenbarungsanlässen um Überlieferungen handelt, die
davon berichten, dass einzelne Koranstellen in konkreten Situationen herab
gesandt wurden, ist eigentlich die Anwesenheit des Propheten Muḥammad zu
erwarten. In al-Wāḥidīs Werk Asbāb an-nuzūl gibt es jedoch Überlieferungen, die
sich auf Ereignisse beziehen, die zu Lebzeiten des Propheten Muḥammad nicht
vorkamen. Andere in al-Wāḥidīs Werk Asbāb an-nuzūl vorhandene Überlieferun-
gen handeln nicht von der Herabsendung einzelner Verse. Solche Überlieferungen
weichen vom Konzept des Offenbarungsanlasses ab. Deshalb sagt Hans-Thomas
Tillschneider Folgendes: „Al-Wāḥidīs Werk Kitāb Asbāb an-nuzūl versammelt 998
Überlieferungen, von denen eine Mehrheit nicht dem asbāb an-nuzūl-Konzept
entspricht.“8 Die von al-Wāḥidī für die Aufnahme der Überlieferungen erstellte
Methode ist folglich nur bedingt gültig.
Da eine große Anzahl von den in der exegetischen Literatur und al-Wāḥidīs
Kitāb Asbāb an-nuzūl vorhandenen Offenbarungsanlässen als zweifelhaft ange-
sehen wird, ist die Studie der Offenbarungsanlässe in den wichtigen Werken der
prophetischen Tradition von großer Bedeutung. Man geht davon aus, dass die in
den kanonischen ḥadīṯ-Sammlungen erwähnten Offenbarungsanlässe der Über-
prüfung hinsichtlich des Textes sowie der Überliefererkette unterworfen worden
seien.

7 Al-Wāḥidī 1991, 10. Die Übersetzung des Zitates wird entnommen aus Tillschneider 2011, 384.
8 Ebd., 383.
102 Tarek Anwar Abdelgayed Elkot

Eine der wichtigsten Quellen für die Kenntnis der Offenbarungsanlässe


einzelner Koranverse ist al-Buḫārīs Sammlung. Sie gehört zu denjenigen ḥadīṯ-
Sammlungen, deren Überlieferungen von muslimischen Gelehrten als authen-
tisch betrachtet werden. Bei Buḫārī gibt es das Kitāb at-tafsīr, das der Auslegung
einiger Koranverse dienen soll. Das Kitāb at-tafsīr enthält eine große Anzahl von
Überlieferungen, die von der Herabsendung einzelner Koranverse in bestimmten
Situationen berichten.
Der vorliegende Artikel setzt sich mit den Offenbarungsanlässen in dieser
ḥadīṯ-Sammlung auseinander. Im Kapitel zum Korankommentar Kitāb at-tafsīr,
in dem man die Erklärung zu einzelnen Koranstellen erwartet, gibt es eine Anzahl
von Überlieferungen, die mit dem Korankommentar nichts zu tun haben oder
keine exegetischen Absichten haben. Als eine Art der Auslegung führt al-Buḫārī
in diesem Kapitel u. a. eine Reihe von Überlieferungen an, die auf die Auslöser der
Offenbarung einiger Koranverse hinweisen.
Al-Buḫārīs Sammlung gehört zu den frühsten Quellen der islamischen Tra-
dition, in denen die Offenbarungsanlässe auftreten. In der Zeit von al-Buḫārī
werden die nuzūl-Überlieferungen unter anderem als ein Teil des ḥadīṯ angese-
hen. Deshalb verdient diese Sammlung als eine der wichtigsten Quellen der Pro-
phetentradition, aus denen Offenbarungsanlässe einzelner Koranverse entnom-
men wurden, eine genauere Betrachtung.

1 Z
 ur Behandlung ausgewählter Offenbarungs­
anlässe aus Kitāb at-tafsīr der al-Buḫārī-
Sammlung
Dieser Artikel untersucht anhand ausgewählter Beispiele aus Kitāb at-tafsīr vor-
rangig Überlieferungen, in denen der Begriff nuzūl (Herabsendung) oder Ähn-
liches auftritt. In diesem Zusammenhang beschäftigt sich der Artikel nicht damit,
ob die Überlieferung authentisch oder nicht authentisch ist. Durch die Untersu-
chung einiger auf Offenbarungsanlässe bezogener Überlieferungen in genannter
Sammlung soll gezeigt werden, ob die Überlieferungen die willkommene Auf-
nahme bei allen muslimischen Gelehrten erfahren haben. Auch soll diskutiert
werden warum manche Überlieferungen von einigen Korankommentatoren nicht
aufgenommen wurden.
Des Weiteren will diese Studie aufzeigen, welche Funktion die von den An-
lässen der Offenbarung einzelner Koranverse berichtenden Überlieferungen in
der al-Buḫārī Sammlung hat und ob die Offenbarungsberichte auf den Prophe-
Zur Problematik der Offenbarungsanlässe in den kanonischen ḥadīṯ-Sammlungen 103

ten oder die Prophetengefährten zurückgehen. Inwieweit diese Überlieferungs-


berichte mit den einzelnen Koranversen verbunden sind, wird ebenfalls verdeut-
licht.
Nach gegenwärtigem Kenntnisstand gibt es keine Studie im Deutschen, die
sich mit der Untersuchung ausgewählter Beispiele der Offenbarungsanlässe in
al-Buḫārīs Sammlung auseinandersetzt. Zwar beschäftigt sich Tillschneider
mit dem Kitāb at-tafsīr als einer der früheren Quellen der Offenbarungsanlässe,
behandelt aber den Gegenstand der vorhandenen Offenbarungsanlässe anhand
ausgewählter Beispiele wenig ausführlich. Seiner Meinung nach enthält das Kitāb
at-tafsīr eine große Anzahl von Überlieferungen, die mit der Auslegung des Koran
nichts zu tun haben. Darüber hinaus spricht Tillschneider über die Offenbarungs-
berichte und ihre Funktion. Seines Erachtens haben sie zwei Funktionen; die Aus-
legung des Koran und die Anwendung desselben. Offenbarungsberichte zielten
nicht nur auf die Auslegung der Koranverse, sondern auch auf den Nachweis, dass
die Koranverse im Leben des Propheten angewendet wurden. Die von al-Buḫārī
angeführte Überlieferung über den Offenbarungsanlass des Verses 11 der Sure 4
wird von Tillschneider lediglich erwähnt nicht jedoch kritisch analysiert. Die Ein-
stellung der muslimischen Gelehrten zum Anlass der Herabsendung des Verses
stellt Tillschneider nicht dar. Ob der Vers wirklich als Reaktion auf eine Frage von
dem Prophetengefährten Ǧābir b. ʿAbdallāh herabgesandt worden sei, bleibt bei
Tillschneider ebenso offen.9

1.1 Zum Offenbarungsanlass des Verses 11 der Sure 4

Als erstes Beispiel für die Problematik der Offenbarungsanlässe in al-Buḫārīs


Sammlung wird die folgende Überlieferung angeführt: Nach Muḥammad b.
al-Munkadir habe Ǧābir b. ʿAbdallāh gesagt: „Der Prophet und Abū Bakr ­besuchten
mich, (als ich krank war). Der Prophet fand mich bewusstlos. Er wusch sich rituell
und ließ das Wasser auf mich fließen. Da kam ich wieder zu Bewusstsein. Ich
sagte: „O Gesandte Gottes! Was mache ich mit meinem Vermögen?“ Daraufhin
wurde offenbart: „Gott verordnet euch hinsichtlich eurer Kinder“ (Sure 4:11).10 Der
Vers 11 der Sure 4 ist nach der genannten Überlieferung als eine Antwort auf eine
von Ǧābir b. ʿAbdallāh gestellte Frage offenbart worden.

9 Tillschneider 2011, 215–222.


10 Al-Buḫārī, Muḥammad b. Ismāʿīl: Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, Dār Ibn Kaṯīr li-ṭ-ṭibāʿa wa-n-našr wa-t-
tauzīʿ. Beirut 2002, 1125.
104 Tarek Anwar Abdelgayed Elkot

In seiner Erklärung zu diesem ḥadīṯ sagt Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī (gest. 852
H./1449 n. Chr.): „So steht in der Überlieferung nach Ibn Ǧuraiǧ. Man habe gesagt,
er (Ibn Ǧuraiǧ) hätte sich (in der Überlieferung) geirrt, und das richtige sei, dass
der Vers, der wegen Ǧābir b. ʿAbdallāh offenbart worden sei, der letzte Vers der
Sure 4 sei, in dem es heißt: ‚Man fragt dich um Auskunft. Sag: Gott gibt euch
(hiermit) über die seitliche Verwandtschaft (und deren Anteil am Erbe) Auskunft‘.
Der Grund dafür liege darin, dass Ǧābir damals weder Kinder noch Eltern gehabt
habe. Es handele sich bei der seitlichen Verwandtschaft um die Person, die weder
Kinder noch Eltern hat.“11
Mit Mühe versucht Ibn Ḥaǧar zu betonen, dass Ibn Ǧuraiǧ, einer der Überlie-
ferer, sich nicht irrte und Vers 11 der Sure 4 als Reaktion auf die Frage von Ǧābir
offenbart wurde. Er antwortet deswegen auf diejenigen, die meinen nicht Vers
11 wurde wegen Ǧābir offenbart, sondern Vers 176 aus Sure 4, da Ǧābir in jener
Zeit weder Kinder noch Eltern gehabt hatte und deshalb Vers 11 nicht zu seiner
Situation passte. Ibn Ḥaǧar vertritt die Ansicht, dass solche Interpretation nicht
ausschlaggebend ist, da es Meinungsverschiedenheiten über die Bedeutung des
Wortes (kalāla) gibt. Nach einer Meinung handele es sich bei (kalāla) um das geer-
bete Vermögen. Ein anderer Ansatz besagt, dass (kalāla) die tote Person bezeich-
nete. Einer dritten Meinung zufolge sei (kalāla) die Hinterlassenschaft. Eine vierte
Ansicht lautet, (kalāla) sei derjenige, der weder Eltern noch Kinder habe. Da die
Bedeutung des Wortes (kalāla) sich nicht nur auf die Person beziehe, die weder
Eltern noch Kinder habe, sei der Nachweis nicht richtig, da Vers 176 später, aber
der Vers 11 über die Erbschaft zuvor herab gesandt worden sei.12
Ibn Ḥaǧar erwähnt auch noch eine andere Überlieferung, die vom Offenba-
rungsanlass des Verses 11 berichtet. Sie steht bei Aḥmad b. Ḥanbal und in einigen
Sunan-Werken. Im Ǧāmiʿ des at-Tirmiḏī (gest. 279 H./892 n. Chr.) wurde über Ǧābir
b. ʿAbdallāh überliefert, die Frau Saʿd b. ar-Rabīʿ sei zusammen mit ihren beiden
Töchtern von Saʿd zum Gesandten Gottes gekommen und habe zu ihm gesagt:
„Diese sind die zwei Töchter von Saʿd, deren Vater in der Schlacht von Uḥud getötet
wurde. Ihr Onkel nahm ihre Erbschaft und übergab ihnen nichts. Sie werden ohne
Besitz nicht zu Ehefrauen genommen.“ Der Prophet habe gesagt: „Gott gibt uns
die Entscheidung darüber.“ Dann sei der Vers der Erbschaft offenbart worden.
Der Prophet habe den Onkel der beiden Töchtern kommen lassen und ihm gesagt:
„Gib den beiden Töchtern Saʿds zwei Drittel, der Frau ein Achtel und nimm du

11 Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī, Aḥmad b. ʿAlī: Fatḥ al-bārī bi-šarḥ Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, Dār iḥyāʾ at-turāṯ
al-ʿarabī. Beirut, Bd. 8 (²1981): 196. Die Übersetzung der Koranstelle im Zitat (Sure 4, Vers 176),
wird entnommen aus: Paret, Rudi. Der Koran. Stuttgart, ³1983, 78.
12 Ibn Ḥaǧar, Bd. 8 (1981): 196.
Zur Problematik der Offenbarungsanlässe in den kanonischen ḥadīṯ-Sammlungen 105

den Rest.“13 Offensichtlich ist dieser Vers zuerst offenbart worden. Damit argu-
mentierten diejenigen, die meinten, dass dieser Vers nicht wegen Ǧābir, sondern
wegen der beiden Töchter von Saʿd b. ar-Rabīʿ herabgesandt worden sei. Bei Ibn
Ḥaǧar ist diese Interpretation nicht ausschlaggebend, da es seines Erachtens kein
Problem damit gibt, dass der Vers wegen der beiden Fragen herabgesandt worden
sei. Möglicherweise ist der Anfang des Verses wegen der beiden Töchter und das
Ende (der letzte Teil des Verses 12) wegen Ǧābir offenbart worden. Daraufhin
meine Ǧābir die im Vers genannten seitlichen Verwandten (kalāla).14
Aus den Worten Ibn Ḥaǧars lässt sich Folgendes entnehmen:
1. Einige Gelehrte meinen, dass Vers 11 der Sure 4 nicht von Ǧābir handelt.
Wegen der Geschichte von Ǧābir ist der letzte Vers der Sure 4 herabgeandt
worden. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass einige Gelehrte den in der
al-Buḫārīs Überlieferung angeführten Offenbarungsanlass des Verses nicht
akzeptierten. Daher vertritt Ibn Ḥaǧar in seinem Kommentar zur oben
erwähnten Überlieferung die Ansicht, dass der Überlieferer Ibn Ǧuraiǧ sich
in der Überlieferung irrte. Sein Irrtum bestehe in der Verbindung zwischen
der Geschichte Ǧābirs und der Herabsendung des Verses 11 der Sure 4.
2. Ibn Ḥaǧar hält jedoch dafür, dass Ibn Ǧuraiǧ sich nicht in der Überliefe-
rung irrte. Vielleicht geht sein Ansatz darauf zurück, dass die Überlieferung
in al-Buḫārī steht. Es war ihm möglicherweise schwierig, eine in al-Buḫārī
genannte Überlieferung zu widerlegen.
3. Während seiner Erklärung zur al-Buḫārī Überlieferung über den Vers 11 der
Sure 4 gibt Ibn Ḥaǧar eine andere Überliefeung an, mit der einige Gelehrte
ihre Auffassung begründen, dass der Vers wegen der beiden Töchter von Saʿd
b. ar-Rabīʿ herabgesandt worden sei. In al-Buḫārīs Überlieferung gilt Ǧābir
als Überliefer und Auslöser der Herabsendung. In der anderen Überlieferung
erscheint Ǧābir nur als Überlieferer.
4. Die bei Aḥmad b. Ḥanbal und in anderen Sunan-Werken angeführte Überliefe-
rung, derzufolge die Geschichte von den beiden Töchtern Saʿd b. ar-Rabīʿ ein
Auslöser für die Herabsendung des Verses 11 der Sure 4 ist, weist Ibn Ḥaǧar
nicht zurück. Für ihn besteht kein Problem darin, dass der Vers wegen Ǧābir
und Saʿd b. Ar-Rabīʿs Töchtern herab gesandt wurde. Wenn wir davon aus-
gehen, dass diese Ansicht von Ibn Ḥaǧar richtig ist, stehen wir vor einem
Problem, nämlich der wiederholten Herabsendung des Verses in verschie-
denen Situationen. Einmal ist der Vers als Reaktion auf eine Frage von Ǧābir

13 At-Tirmiḏī, Muḥammad b. ʿĪsā b. Saura b. Mūsā b. aḍ-Ḍaḥḥāk. Al-Ğāmiʿ al-kabīr (Sunan at-
Tirmiḏī), hg. v. Baššār ʿĀwād Maʿrūf. Beirut: Dār al-ġarb al-islāmī., Bd. 3 (1998): 485.
14 Ibn Ḥaǧar, Bd. 8 (1981): 196.
106 Tarek Anwar Abdelgayed Elkot

offenbart worden. Ein weiteres Mal hängt seine Herabsendung mit den beiden
Töchtern von Saʿd b. ar-Rabīʿ zusammen. Meines Erachtens gibt es keinen
Grund, der dafür spricht, dass ein Vers zweimal offenbart wurde. Wäre der
Vers wegen der Töchter von Saʿd b. ar-Rabīʿ offenbart worden, hätte es meiner
Meinung nach keinen Anlass für die zweite Herabsendung gegeben. Das aus
dem Vers entnomme Urteil oder die Bedeutung des Verses sollte sich auf die
Geschichte von Ǧābir bezogen haben.
5. Ibn Ḥaǧar stellt eine andere These auf. Es könnte gewesen sein, dass der
Anfang des Verses wegen der beiden Töchter von Saʿd b. ar-Rabīʿ offenbart
worden sei. Der letzte Teil des Verses, der von der Erbberechtigung seitlicher
Verwandter berichtet, sei als Reaktion auf die Frage von Ǧābir herab gesandt
worden. Es wurde aber berichtet, dass der letzte Teil des Verses 12 der Sure
4 von der Erbschaft der Halbbrüder und Halbschwestern mütterlicherseits
spricht. Vom ersten Kalifen Abū Bakr wird überliefert, dass er bei einer seiner
Ansprachen sagte: „Die Verse, die Gott am Beginn der Sure 4 herabgesandt
hat, hängen mit den festgesetzten Anteilen (al-farāʾiḍ) zusammen. Der erste
hat mit der Erbschaft der Kinder und der Eltern zu tun. Der zweite redet von
der Erbschaft des Ehemannes, der Ehefrau und Halbbrüder und Halbschwes-
tern mütterlicherseits. Der letzte Vers der Sure 4 wurde wegen der Geschwis-
ter (väterlicher- und mütterlicherseits) offenbart. Der letzte Vers der Sure 8
widmet sich der Erbschaft der Blutsverwandten.“15

Neben den beiden oben dargestellten Überlieferungen findet sich unter anderem
im Ǧāmiʿ at-Tirmiḏīs eine ähnliche Überlieferung. Sie bringt den Anlass der Offen-
barung des Verses 176 der Sure 4 zur Darstellung. Von Muḥammad b. al-Mun-
kadir wird überliefert, dass er Ǧābir b. ʿAbdallāh sagen hörte: „Ich war krank.
Darum besuchte mich der Gesandte Gottes. Er fand mich bewusstlos. Er wusch
sich rituell und ließ das Wasser auf mich fließen. Da kam ich wieder zu Bewusst-
sein. Ich sagte: „O Gesandte Gottes! Was mache ich mit meinem Vermögen?“ Der
Prophet gab mir keine Antwort. Ich habe neun Schwestern, sagte ich dem Pro-
pheten. Daraufhin wurde wegen mir der Vers 176 herabgesandt.“16 Dieser Über-
lieferung zufolge sei Vers 176 wegen einer von Ǧābir b. ʿAbdallāh gestellten Frage
herabgesandt worden.
Beide obigen Überlieferungen erklären den zu untersuchenden Gegenstand.
Die eine in al-Buḫārīs Sammlung erwähnte Überlieferung verbindet den Offen-

15 Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī, Muḥammad b. ʿUmar. At-tafsīr al-kabīr. Beirut: Dār iḥjāʾ at-turāṯ al-
ʿarabī, Bd. 11 (³1999): 275.
16 At-Tirmiḏī, Bd. 3 (1998): 488.
Zur Problematik der Offenbarungsanlässe in den kanonischen ḥadīṯ-Sammlungen 107

barungsanlass mit Vers 11 der Sure 4. Nach der anderen Überlieferung im Ǧāmiʿ
von at-Tirmiḏī ist der Offenbarungsanlass mit Vers 176 der Sure 4 verbunden. Hier
ist zu bemerken, dass die beiden Verse 11 und 176 wegen Ǧābir b. ʿAbdallāh herab
gesandt worden seien. Die meisten Koranexegeten neigen zur Annahme, dass
Vers 176 wegen einer Frage von Ǧābir offenbart worden ist.17
Über den Offenbarungsanlass des Verses 11 liegen viele Überlieferungen vor.
Neben den oben genannten Überlieferungen gibt es eine bei as-Suddī, die die
Herabsendung des Verses mit dem Tode ʿAbd ar-Raḥmān b. Ṯābit verbindet.18 Bei
al-Wāḥidī wird eine verwirrte Überlieferung über den Offenbarungsanlass des
Verses 11 angeführt. In dieser scheint al-Wāḥidī unsicher zu sein, ob die Frau dem
Propheten gesagt habe: Diese beiden Mädchen sind die Töchter des Ṯābit b. Qais
oder Saʿd b. ar-Rabīʿ.19
In seinem Kommentar zum Vers 11 der Sure 4 erwähnt ar-Rāzī (gest. 606
H./1210 n. Chr.) die Überlieferung, die die Herabsendung des Verses mit der
Geschichte der beiden Töchter des Saʿd b. ar-Rabīʿ verknüpft.20 Bei az-Zamaḫšarī
(gest. 538 H./1143 n. Chr.) ist der Vers 11 Reaktion auf ein Vorgehen in vorislami-
schen Zeit, in der die Frauen keinen Anspruch auf die Erbschaft hatten, offen-
bart worden.21 Weder ar-Rāzī noch az-Zamaḫšarī legen auf die in der Sammlung
al-Buḫārīs erwähnte Überlieferung wert.
Nachdem Ibn Kaṯīr (gest. 774 H./1373 n. Chr.) eine Reihe von Überlieferun-
gen erwähnt, die mit dem Offenbarungsanlass von Vers 11 zusammenhängen,
nach denen der Vers entweder auf die Geschichte der beiden Töchter des Saʿd b.
ar-Rabīʿ oder Ǧābir b. ʿAbdallāh Bezug nimmt, sagt er Folgendes: „Offensichtlich
wurde der letzte Vers dieser Sure wegen der Erzählung von Ǧābir offenbart, da
Ǧābir in jener Zeit Schwestern hatte. Er hatte keine Töchter. Er wurde als seit-
licher Verwandter beerbt. Wir führten den ḥadīṯ hier an, weil al-Buḫārī ihn in

17 Aṭ-Ṭabarī, Muḥammad b. Ǧarīr. Ǧāmiʿ al-bayān ʿan taʾwīl āy al-Qurʾān, hg. v. Maḥmūd
Muḥammad Šākir. Beirut: Muʾassasat ar-risāla, Bd. 9 (2000): 431–432; Ibn Kaṯīr, Abū l-Fidāʾ
Ismāʿīl b. ʿUmar. Tafsīr al-Qurʾān al-ʿaẓīm, hg. v. Sāmī Ibn Muḥammad Salāmah. Riad: Dār ṭība li-
n-našr wa-t-tauzīʿ, Bd. 2 (²1999): 482; Az-Zamaḫšarī, Abū l-Qāsim Maḥmūd b. ʿAmr b. Aḥmad. Al-
kaššāf ʿan ḥaqāʾiq ġawāmiḍ at-tanzīl. Beirut: Dār al-kitāb al-ʿarabī, Bd. 1 (³1986): 598; Al-Qurṭubī,
Abū ʿAbdallāh b. Muḥammd b. Aḥmad al-Anṣārī. Al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-Qurʾān, hg. v. Aḥmad al-
Bardūnī und Ibrāhīm Aṭfīš. Kairo: Dār al-kutub al-miṣrīya, Bd. 6 (²1964): 28.
18 Aṭ-Ṭabarī, Bd. 7 (2000): 31; Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī, Aḥmad b. ʿAlī. Al-iṣāba fī tamyīz aṣ-
ṣaḥāba, hg. v. ʿĀdel Aḥmad ʿAbd al-Mauǧūd und ʿAlī Muḥammad Muʿauḍ. Beirut: Dār al-kutub
al-ʿilmīya, Bd. 4 (1994): 248.
19 Al-Wāḥidī 1991, 150.
20 Ar-Rāzī, Bd. 9 (1999): 509.
21 Az-Zamaḫšarī, Bd. 1 (1986): 480.
108 Tarek Anwar Abdelgayed Elkot

diesem Zusammenhang erwähnte. Der zweite von Ǧābir überlieferte ḥadīṯ hat mit
der Herabsendung dieses Verses zu tun.“22
Obwohl Ǧābirs ḥadīṯ von al-Buḫārī in seinem Kommentar zu Vers 11 genannt
wurde, findet er keine Aufnahme in Ibn Kaṯīrs Darstellung. Es scheint klar zu sein,
dass Ibn Kaṯīr vom in al-Buḫārīs Sammlung genannten ḥadīṯ Ǧābirs nicht über-
zeugt ist. Ibn Kaṯīr begründet seine Meinung damit, dass Ǧābir in jenen Tagen
keine Töchter hatte, wobei es möglich wäre, dass Vers 11 seinetwegen herab
gesandt wurde. Zur Erzählung von Ǧābir passt die Herabsendung des letzten
Verses der Sure 4. Ibn Kaṯīr macht uns darauf aufmerksam, dass er den ḥadīṯ in
seiner Erklärung zu Vers 11 deshalb erwähnt, weil al-Buḫārī ihn anführt.
Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass der ḥadīṯ, der bei al-Buḫārī als ein
Offenbarungsanlass für den Vers 11 zu betrachten ist, für die Geschichte von Ǧābir
nicht geeignet ist. Der Grund dafür geht darauf zurück, dass Ǧābir zur Offenba-
rungszeit weder Eltern noch Kinder hatte. Er wurde als seitlicher Verwandter
beerbt. Aus dem Grund passt die Herabsendung des letzten Verses der Sure 4 zu
ihm. Überdies ist zu bemerken, dass einige Gelehrte wie Ibn Kaṯīr die Verbindung
der Herabsendung des Verses 11 mit der Erzählung von Ǧābir zurückwiesen.
Die mit den beiden Versen 11 und 176 zusammenhängenden Offenbarungs-
anlässe, die sich auf die Geschichte von Ǧābir beziehen, werden von Bassām
al-Ǧamal bezweifelt. Seiner Auffassung nach ist die von Ǧābir gestellte Frage als
eine schwache Ausrede für die Herabsendung der beiden Verse anzusehen. Zwi-
schen dem Angesprochenen in Vers 176 und dem im Offenbarungsanlass findet
sich ein Unterschied. Der Vers weise darauf hin, dass die Frage von einer Vielzahl
von Personen aufgeworfen worden sei. In der vom Offenbarungsanlass des Verses
berichtenden Überlieferung erscheine jedoch eine Einzelperson, nämlich Ǧābir,
als derjenige, der die Frage stelle.23

1.2 Z
 um Offenbarungsanlass der Verse 32 und 33 der Sure 8
sowie des Verses 113 der Sure 9

Als ein zweites Beispiel werden an dieser Stelle einige Verse behandelt, deren
Offenbarungsanlässe einen mekkanischen Ursprung nachweisen sollen, obwohl
sie von einigen Koranexegeten und Koranwissenschaftlern als medinesisch
betrachtet wurden. Im Gegensatz dazu werden auch einige Verse diskutiert,

22 Ibn Kaṯīr, Bd. 2 (1999): 225.


23 Al-Ǧamal 2005, 179–180.
Zur Problematik der Offenbarungsanlässe in den kanonischen ḥadīṯ-Sammlungen 109

deren Offenbarungsanlässe auf medinensische Herkunft hinweisen, die wiede-


rum andere Koranexegeten und Koranwissenschaftlern für mekkanisch halten.
Was den Vers anbelangt „Und (damals) als sie (d. h. die Ungläubigen) sagten:
„O Gott! Wenn das (was uns hier vorgetragen wird) die Wahrheit ist (und) von dir
(kommt), dann laß (doch) Steine vom Himmel auf uns (herab)regnen oder bring
(irgendeine andere) schmerzhafte Strafe über uns!“ erwähnt al-Buḫārī den folgen-
den ḥadīṯ: Es wurde nach Anas b. Mālik überliefert, dass Abū Ǧahl sagte: „O Gott!
Wenn das (was uns hier vorgetragen wird) die Wahrheit ist (und) von dir (kommt),
dann laß (doch) Steine vom Himmel auf uns (herab)regnen oder bring (irgendeine
andere) schmerzhafte Strafe über uns!.“ Daraufhin wurde herab gesandt: „Und
Gott konnte sie unmöglich bestrafen, während du (noch) unter ihnen weiltest.
Er hätte sie auch nicht bestraft, wenn sie (sich eines Besseren besonnen und)
um Vergebung gebeten hätten (während sie um Vergebung baten). Aber warum
sollte Allah sie (nunmehr) nicht bestrafen, wo sie (euch) doch von der heiligen
Kultstätte abhalten?“24
Anschließend führt al-Buḫārī bezüglich der Aussage: „Und Gott konnte
sie unmöglich bestrafen, während du (noch) unter ihnen weiltest. Er hätte sie
auch nicht bestraft, wenn sie (sich eines Besseren besonnen und) um Vergebung
gebeten hätten“ den folgenden ḥadīṯ an: Abū Ǧahl sagte: „O Gott! Wenn das (was
uns hier vorgetragen wird) die Wahrheit ist (und) von dir (kommt), dann laß
(doch) Steine vom Himmel auf uns (herab)regnen oder bring (irgendeine andere)
schmerzhafte Strafe über uns!.“ Daraufhin wurde offenbart: „Und Gott konnte
sie unmöglich bestrafen, während du (noch) unter ihnen weiltest. Er hätte sie
auch nicht bestraft, wenn sie (sich eines Besseren besonnen und) um Vergebung
gebeten hätten. Aber warum sollte Gott sie (nunmehr) nicht bestrafen, wo sie
(euch) doch von der heiligen Kultstätte abhalten?“25
Die beiden obigen Überlieferungen verweisen darauf, dass derjenige, der
„O Gott! Wenn das (was uns hier vorgetragen wird) die Wahrheit ist (und) von
dir (kommt)“ sagte, Abū Ǧahl war. Dementsprechend sind die beiden Verse 32
und 33 der Sure 8 mekkanischen Ursprungs. Bei einigen Korankommentatoren
wie az-Zamaḫšarī26 und ar-Rāzī27 wird Sure 8 als medinensisch mit Ausnahme der
Verse 30 bis 36 angesehen. In seiner Erklärung zu Vers 32 der Sure 8 erwähnt

24 Al-Buḫārī 2002, 1145. Die Übersetzung der Koranstelle im Zitat (Sure 8, Verse 32–34) wird ent-
nommen aus: Paret. Koran. 1983, 128.
25 Al-Buḫārī 2002, 1146. Die Übersetzung der Koranstelle im Zitat (Sure 8, Verse 32–34) wird ent-
nommen aus: Paret. Koran. 1983, 128.
26 Az-Zamaḫšarī, Bd. 2 (1986): 193.
27 Ar-Rāzī, Bd. 15 (1999), 447.
110 Tarek Anwar Abdelgayed Elkot

az-Zamaḫšarī die in al-Buḫārī angeführte Überlieferung nicht. Er vertritt die


Ansicht, dass der Vers sich auf an-Naḍr b. al-Ḥāriṯ bezieht.28 Ar-Rāzī führt keinen
Offenbarungsanlass für den Vers an.29
Bei Korankommentatoren wie as-Samarqandī30 (gest. 373 H./983 n. Chr.) und
Ibn Kaṯīr31 ist Sure 8 komplett medinensisch. In ihren Kommentaren zu Vers 32 der
Sure 8 ist die Offenbarung des Verses mit an-Naḍr b. al-Ḥāriṯ verknüpft. Aṭ-Ṭabarī
(gest. 310 H./923 n. Chr.) erwähnt in seinem Kommentar zum betreffenden Vers
einige Überlieferungen, denenzufolge er wegen an-Naḍr b. al-Ḥāriṯ offenbart
wurde.32 Nach al-Qurṭubī (gest. 671 H./ 1273 n. Chr.) gibt es keine Übereinstim-
mung unter den Gelehrten über denjenigen, der „O Gott! Wenn das (was uns
hier vorgetragen wird) die Wahrheit ist (und) von dir (kommt)“ sagte. Muğāhid
und Saʿīd b. Ğubair zufolge sei an-Naḍr b. al-Ḥāriṯ derjenige, auf den der Vers 32
zurückzuführen sei. Laut Anas b. Mālik gilt dagegen Abū Ǧahl als derjenige, der
„O Gott! Wenn das (was uns hier vorgetragen wird) die Wahrheit ist (und) von dir
(kommt)“ sagte.33 Aus dem Dargestellten geht hervor, dass einige Koranexegeten
den beiden in al-Buḫārīs Sammlung genannten Überlieferungen keinerlei Auf-
merksamkeit schenkten.
An dieser Stelle wird ebenfalls der Offenbarungsgrund des Verses 113 der Sure
9 dargestellt, der vom Verbot der Vergebung für die Götzendiener handelt. Im
Koran heißt es: „Der Prophet und diejenigen, die glauben, dürfen (Gott) nicht für
die Heiden um Vergebung bitten – auch (nicht) wenn es Verwandte (von ihnen)
sein sollten –, nachdem ihnen (endgültig) klar geworden ist, daß sie (wegen ihres
hartnäckigen Unglaubens) Insassen des Höllenbrandes sein werden.“34
Nach einem ḥadīṯ in al-Buḫārī wird vom Offenbarungsanlass des Verses 113
berichtet. Nach Saʿīd b. al-Musayyab wurde seinem Vater überliefert, dass der
Prophet seinen Onkel Abū Ṭālib zum Islam aufrief, als dieser im Sterben lag.
Die beiden Polytheisten Abū Ǧahl und ʿAbdallāh b. Abī Umayya waren bei Abū
Ṭālib und empfahlen ihm, die heidnische Religion nicht zu verleugnen. Da sagte
der Prophet: Ich werde für dich um Vergebung bitten, solange es mir nicht ver­
boten ist. Daraufhin wurde der Vers 113 offenbart, in dem sowohl dem Propheten

28 Az-Zamaḫšarī, Bd. 2 (1986): 216.


29 Ar-Rāzī, Bd. 15 (1999): 479.
30 As-Samarqandī, Abū l-Laiṯ Naṣr b. Muḥammd b. Aḥmad b. Ibrāhīm. Tafsīr as-Samarqandī al-
musammā Baḥr al-ʿulūm, hg. v. ʿAlī Muḥammd Muʿauḍ, ʿĀdel Aḥmad ʿAbd al-Mauǧūd, Zakarīyā
ʿAbd al-Mağīd an-Nawtī. Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmīya, Bd. 2 (1993), 3 und 18.
31 Ibn Kaṯīr, Bd. 4 (1999): 5, 46.
32 Aṭ-Ṭabarī, Bd. 13 (2000): 505–506.
33 Al-Qurṭubī, Bd. 7 (1964): 398.
34 Paret. Koran. (Sure 9, Vers 113), 1983, 134–144.
Zur Problematik der Offenbarungsanlässe in den kanonischen ḥadīṯ-Sammlungen 111

als auch den Gläubigen verboten wurde, für die Polytheisten um Vergebung zu
bitten.35 Der ḥadīṯ weist auf den mekkanischen Ursprung des Verses 113 der Sure
9 hin. Klare Indizien im ḥadīṯ zeigen auf, dass der Prophet für seinen Onkel um
Vergebung bat, als er in Mekka war.
Obwohl al-Buḫārī den ḥadīṯ in seinem Kommentar zu Vers 113 der Sure 9
erwähnt und der ḥadīṯ die Hinweise auf die mekkanische Periode in sich trägt,
gehört der Vers nach Badr ad-Dīn az-Zarkašī (gest. 794 H./1392 n. Chr.) nicht zu
den mekkanischen Versen, die in medinensischen Suren stehen. Mit Ausnahme
der beiden letzten Verse ist Sure 9 nach az-Zarkašī komplett medinensich.36
Diese Problematik behandelt al-Qurṭubī in seiner Erklärung zu Vers 113 der
Sure 9. Er führt den in al-Buḫārī erwähnten ḥadīṯ an und stellt die Ansicht von
al-Ḥusain b. al-Faḍl (gest. 282 H.) vor. Dieser lehnt den in al-Buḫārī erwähnten
ḥadīṯ ab und begründet seine Meinung damit, dass Sure 9 zu den letzten Offenba-
rungen des Koran zählt und dass Abū Ṭālib starb, als der Prophet noch in Mekka
war.37
Al-Ḥusain b. al-Faḍl schließt die Vorstellung aus, der zufolge der Vers dem
ḥadīṯ entsprechend mekkanisch ist. Da er Sure 9 als eine der letzten offenbarten
Suren einstuft, erscheint es ihm nicht möglich, dass Vers 113 mit Abū Ṭālib zu
tun hat. Es ist darüber hinaus auszuschließen, dass ein Vers in einer Zeit und
der übrige Teil der Sure in einer späteren Zeit nach der Herabsendung des Verses
offenbart wurden.
Beim Vers 113 der Sure 9 handelt es sich wohl um mehrere Auslöser der Offen-
barung als nur um einen einzigen. Auf jeden Fall sind sich die muslimischen
Gelehrten über den Grund der Herabsendung des Verses nicht einig. In diesem
Zusammenhang wird wiedergegeben, was beispielsweise aṭ-Ṭabarī schreibt: Der
Vers sei nach der Meinung einiger Gelehrter wegen Abū Ṭālib offenbart worden,
als der Prophet für ihn um Vergebung bitten wollte. Aṭ-Ṭabarī bringt die Überlie-
ferungen zur Darstellung, mit denen diese Gruppe von Gelehrten ihre Meinung
untermauert. Dazu gehört die in al-Buḫārī erwähnte Überlieferung. Andere
Gelehrte vertreten die Auffassung, dass der Vers wegen der Mutter des Propheten
offenbart worden sei. Der Prophet habe für seine Mutter um Vergebung bitten
wollen. Ihm sei aber diese Absicht verboten worden. Beruhend auf einer von Ibn
ʿAbbās stammenden Überlieferung meint eine dritte Gruppe von Gelehrten, dass
der Vers als Reaktion auf Leute, die für ihre toten verwandten Polytheisten um

35 Al-Buḫārī 2002, 1153.


36 Az-Zarkašī, Badr ad-Dīn. Al-burhān fī ʿulūm al-Qurʾān, hg. v. Muḥammad Abū l-Faḍl Ibrāhīm.
Kairo: Dār at-turāṯ, Bd. 1 (1957): 202.
37 Al-Qurṭubī, Bd. 8 (1964): 273.
112 Tarek Anwar Abdelgayed Elkot

Vergebung gebeten hätten, herab gesandt worden sei. Der Vers habe ihnen verbo-
ten, für die Polytheisten um Vergebung zu bitten.38
Bei den beiden Offenbarungsgründen, dem Onkel des Propheten Abū Ṭālib
und der Mutter des Propheten, handelt es sich für Ibn Ḥaǧar um ein Problem, da
Abū Ṭālib in Mekka vor der Auswanderung des Propheten nach Medina gestor-
ben sei. Der Prophet habe das Grab seiner Mutter während der kleinen Wallfahrt
besucht. Grundsätzlich sei der Vers nur einmal offenbart worden. Ibn Ḥaǧar
schlägt hierfür gleich eine ganze Reihe von Lösungen vor. Bei der ersten Lösung
geht es darum, dass der Vers in einer späteren Zeit nach dem zur Offenbarung ver-
anlassten Grund offenbart worden sei. Dieser Vorstellung zufolge habe der Vers
zwei Gründe der Herabsendung. Der ältere Grund der Offenbarung hänge mit Abū
Ṭālib zusammen. Der neuere Grund habe mit der Mutter des Propheten zu tun. Ibn
Ḥaǧar vertritt die Ansicht, dass der Auslöser der Offenbarung alt ist, die Herab-
sendung selbst neu ist. Der Vers sei später offenbart worden, als der Prophet
für seine Mutter um Vergebung habe bitten wollen. Ibn Ḥaǧar begründet seine
Meinung damit, dass der Prophet in Sure 9 für die Heuchler um Vergebung bat,
bis ihm dies verboten wurde. Der Offenbarungsanlass sei alt und die Offenbarung
selbst sei neu. Überdies argumentiert Ibn Ḥaǧar damit, dass Vers 113 wegen Abū
Ṭālib und anderer offenbart worden sei. Der Vers 58 der Sure 28 sei dem Propheten
nur wegen Abū Ṭālib eingegeben worden.39
Es ist zu bemerken, dass Ibn Ḥaǧar die beiden Überlieferungen über den
Offenbarungsanlass des Verses 113 in Beziehung setzt. Auf der einen Seite weist
Ibn Ḥaǧar die Überlieferung, die von der Vergebung des Propheten für seine
Mutter als Offenbarungsgrund des Verses berichtet, nicht zurück. Auf der anderen
Seite versucht er eine Lösung für den in al-Buḫārī erwähnten ḥadīṯ, demzufolge
der Vers mekkanischen Ursprungs ist, zu finden. In seinem Versuch geht er auf
einen Vorschlag ein, der vernünftigerweise nicht übernommen werden kann.
Meines Erachtens führt sein Vorschlag zur Aufhebung des Prinzips des Offen-
barungsanlasses, da ein ungewöhnlich langer zeitlicher Abstand zwischen dem
Ereignis und der Offenbarung des Verses liegt. Ibn Ḥaǧar stellt eine Hypothese
auf, nach der die Vergebung Muḥammads für seinen Onkel als einer der Gründe
für die Herabsendung des Verses 113 der Sure 8 gilt. Die Herabsendung selbst
geschah in einer späteren Zeit. In Mekka soll der Prophet für seinen Onkel um Ver-
gebung gebeten haben, der Vers 113 sei aber zu dieser Zeit nicht offenbart worden.
Er sei später eingegeben worden, als der Prophet für seine Mutter um Vergebung
gebeten haben soll.

38 Aṭ-Ṭabarī, Bd. 14 (2000): 509–513.


39 Ibn Ḥaǧar, Bd. 8 (1981): 412.
Zur Problematik der Offenbarungsanlässe in den kanonischen ḥadīṯ-Sammlungen 113

Neben der in al-Buḫārī angeführten Überlieferung, in der vom Offenbarungs-


anlass des Verses 113 der Sure 9 die Rede ist, erwähnt as-Suyūṭī zwei weitere Über-
lieferungen. Keine der drei lehnt er ab. Darüber hinaus betrachtet er keine von
den dreien als richtig und alle anderen als zweifelhaft. Er vertritt die Ansicht,
dass der Vers mehrmals als Reaktion auf verschiedene Gründe offenbart wurde.
Ohne die verschiedenen Überlieferungen zu überprüfen, akzeptiert as-Suyūṭī sie
alle und geht davon aus, dass der Vers nicht nur einmal sondern mehrmals als
Reaktion auf verschiedene Ereignisse herab gesandt wurde.40
Die Hypothese, nach der der Vers mehrmals offenbart worden sei, weist Naṣr
Ḥāmid Abū Zaid (gest. 2010 n. Chr.) zurück. Seiner Auffassung zufolge führt solch
eine Hypothese zur Annahme, dass die koranischen Texte vom ersten Empfänger,
dem Propheten Muḥammad, vergessen worden seien.41An einer anderen Stelle
seines Buches betrachtet Abū Zaid die Behauptung, nach der ein Vers oder eine
Sure zweimal offenbart worden sei, als eine Art Unfähigkeit zur kritischen Aus-
einandersetzung mit den Meinungen der alten muslimischen Gelehrten. Diese
Unfähigkeit resultiere aus dem Glauben an die Heiligkeit der Personen und deren
Ansichten.42
Meiner Ansicht nach existiert ebenfalls kein Grund zur Annahme, dass ein
Vers bzw. eine Sure wiederholt herab gesandt wurde. Wurde ein Vers oder eine
Sure einmal als Reaktion auf ein Ereignis offenbart, gibt es keinen Anlass für eine
wiederholte Herabsendung desselben Verses oder derselben Sure, wegen eines
ähnliches Ereignisses. Die Anwendung des aus der Sure bzw. dem Vers entnom-
menen Urteils reicht in diesem Fall aus.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass verschiedene Überlieferungen
über den Offenbarungsanlass des Verses 113 der Sure 9 vorliegen. Die Koranexege-
ten und Koranwissenschaftler einigten sich nicht auf einen Offenbarungsanlass.
Die in al-Buḫārī über den Auslöser der Herabsendung des Verses 113 genannte
Überlieferung wird nicht einmütig akzeptiert. Einige Gelehrte lehnen die Über-
lieferung ab. Sie argumentieren damit, dass Abū Ṭālib in Mekka starb und Sure
9 zu den letzten offenbarten Suren zählt. Meiner Meinung nach ist es wegen des
langen zeitlichen Abstandes zwischen dem Tode Abū Ṭālibs und der Herabsen-
dung der Sure 9 nicht haltbar, die Herabsendung des Verses 113 mit Abū Ṭālib in
Zusammenhang zu bringen. Überdies lehne ich die Annahme von Ibn Ḥaǧar ab,

40 As-Suyūṭī, Bd. 1 (2005): 220–221.


41 Abū Zaid, Naṣr Ḥamid. Mafhūm an-naṣṣ, dirāsa fī ʿulūm al-Qurʾān. Kairo: al-haiʾa al-Miṣrīya
al-ʿĀmma lil-Kitāb, 1990: 128.
42 Ebd., 92.
114 Tarek Anwar Abdelgayed Elkot

derzufolge der Vers mit Abū Ṭālib zu tun hatte, die Offenbarung aber später in
Medina geschah.

1.3 Zum Offenbarungsanlass des Verses 85 der Sure 17

Als ein Beispiel für die Annäherung widersprüchlicher Berichte, die mit dem
Thema der mekkanischen und medinensischen Offenbarung zusammenhängen,
wird hier der Vers 85 der Sure 17 behandelt. Über den Offenbarungsanlass dieses
Verses findet sich die folgende Überlieferung in al-Buḫārī. In diesem Zusammen-
hang muss zunächst darauf aufmerksam gemacht werden, dass der Vers in der
mekkanischen Sure „Die Nachtreise“ steht. Nach al-Buḫārī wird von Ibn Masʿūd
berichtet, dass er gesagt habe: „Während ich mit dem Propheten auf einem Bau-
ernhof war und er sich gegen einen Palmenstamm lehnte, kamen einige Juden
vorbei. Einige sagten zu den anderen: Fragt ihn nach dem Geist. Einige von ihnen
sagten aber: Was motiviert euch, ihn danach zu fragen. Andere sagten: (Tut es
nicht), er könnte euch eine Antwort geben, die euch nicht gefällt. Sie sagten aber,
fragt ihn. So fragten sie ihn nach dem Geist. Der Prophet blieb schweigsam und
gab ihnen keine Antwort. Ich wusste, dass ihm eine Offenbarung eingegeben
wurde. Ich blieb an meinem Platz. Als die Offenbarung herab gesandt worden ist,
sagte der Prophet: „Man fragt dich nach dem Geist. Sag: Der Geist ist Logos von
meinem Herrn. Aber ihr habt nur wenig Wissen erhalten.“43 (Sure 17:85). Nach
dieser genannten Überlieferung ist der Vers medinensisch.
Eine andere Überlieferung über den Anlass der Herabsendung des Verses 85
steht bei at-Tirmiḏī. Nach dieser Überlieferung erscheint der Vers als mekkanisch.
At-Tirmiḏī berichtet, dass nach Ibn ʿAbbās die Quraiš die Juden gebeten hätten,
ihnen eine Frage zu stellen, über die sie dann selbst den Propheten befragen
konnten. Sie sagten ihnen: Fragt ihn nach dem Geist. Daraufhin wurde Vers 85
der Sure 17 offenbart.44
In der exegetischen- und der Sīra-Literatur taucht eine dritte Überliefe-
rung über den Auslöser der Offenbarung des Verses 85 auf. „Es wurde nach Ibn
ʿAbbās überliefert, dass die Quraiš die zwei Männer an-Naḍr b. al-Ḥāriṯ und
ʿUqba b. Abī Muʿaiṭ zu den medinensischen Juden schickten, um sich bei ihnen
über Muḥammad zu informieren und ihnen von den Aussagen Muḥammads
zu erzählen. Denn die Juden besitzen eine Heilige Schrift und wissen deshalb

43 Al-Buḫārī 2002, 1172. Die Übersetzung der Koranstelle im Zitat (Sure 17, Vers 85) wird ent-
nommen aus: Paret. Koran. 1983, 202
44 At-Tirmiḏī, Bd. 5 (1998): 155.
Zur Problematik der Offenbarungsanlässe in den kanonischen ḥadīṯ-Sammlungen 115

mehr über den Propheten als die Mekkaner. Als die beiden Männer nach Medina
kamen und den Juden von Muḥammad erzählten, sagten die Juden ihnen: ‚Fragt
Muḥammad nach drei Dingen! Fragt ihn zuerst nach den Jungen, die in der alten
Zeit ein besonderes Schicksal erlitten hätten. Dann fragt ihn nach einem Mann,
der die östlichen und westlichen Gebiete der Erde erreichte. Schließlich fragt ihn
nach dem Geist! Wenn er euch die Antwort auf die Fragen geben kann, ist er ein
richtiger Prophet. Wenn nicht, ist er ein Lügner‘. Als die beiden Männer nach
Mekka zurückkehrten und die Quraiš darüber berichteten, begaben sie sich zum
Gesandten Gottes Muḥammad und stellten ihm die Fragen. Er versprach ihnen,
die Antwort auf die Fragen am nächsten Tag zu geben, ohne auszusprechen: In
šaʿa Allāh (Wenn Gott will). Da zwei Wochen vergingen, ohne dass Muḥammad
die Antwort auf die Fragen eingegeben wurde, streuten die Quraiš Verleumdun-
gen aus. Der Prophet war traurig darüber, dass Gabriel mit der Offenbarung nicht
zu ihm kam und auch die Reden der Mekkaner ihn betrübten. Daraufhin kam
Gabriel zu ihm und übermittelte ihm die Sure 18 (Die Höhle).“45
Nach dem von Ibn Masʿūd über den Offenbarungsanlass des Verses 85 über-
lieferten Bericht ist der Vers medinensisch. Die beiden auf Ibn ʿAbbās zurückge-
henden Überlieferungen tragen die Hinweise auf die mekkanische Herkunft des
Verses in sich.
As-Suyūṭī führt die Überlieferung von Ibn Masʿūd und die andere von Ibn
ʿAbbās in seinem Werk Al-itqān an und hält die Überlieferung von Ibn Masʿūd
für stärker als die andere von Ibn ʿAbbās. Er argumentiert damit, dass einerseits
Ibn Masʿūd das Ereignis miterlebt hatte und andererseits die Überlieferung in
al-Buḫārīs Sammlung steht.46
Az-Zarkašī hält die beiden Überlieferungen für richtig. Keine von den beiden
sei richtiger als die andere. Der Vers sei zweimal, einmal in Mekka und ein weite-
res Mal in Medina, herab gesandt worden.47
In seinem Kommentar zu dem in al-Buḫārī genannten ḥadīṯ erwähnt Ibn
Ḥaǧar den anderen bei at-Tirmiḏī vorhandenen ḥadīṯ und vertritt die Ansicht,
dass der Vers möglicherweise wiederholt offenbart worden sei oder al-Buḫārīs
Bericht richtiger sei.48
In seiner Erklärung zum Vers 85 der Sure 17 nennt Ibn Kaṯīr den von Ibn
Masʿūd überlieferten ḥadīṯ und meint, dass der Kontext auf den medinensischen
Ursprung des Verses hinweist. Der Vers sei in Medina als Reaktion auf eine von

45 Ar-Rāzī, Bd. 21 (1999): 428. Aṭ-Ṭabarī, Bd. 17 (2000), 592–593.


46 As-Suyūṭī, Bd. 1 (2005): 218.
47 Az-Zarkašī, Bd. 1 (1957): 30.
48 Ibn Ḥaǧar, Bd. 8 (1981): 323.
116 Tarek Anwar Abdelgayed Elkot

den Juden gestellte Frage offenbart worden, obwohl die ganze Sure mekka-
nisch sei. Möglicherweise sei der Vers ein weiteres Mal in Medina herab gesandt
worden, wie er erstmals in Mekka offenbart worden sei. Oder er sei dem Prophe-
ten eingegeben worden, um den Juden mit dem vorher herab gesandten Vers zu
antworten.49
Es scheint klar zu sein, dass Ibn Ḥaǧar den von Ibn ʿAbbās stammenden
Bericht, demzufolge der Vers mekkanisch ist, nicht ausschließt. Er geht davon
aus, dass der Vers wiederholt offenbart wurde. Der Vers sei einmal in Mekka als
Antwort auf eine von den Mekkanern gestellte Frage offenbart worden. Ein weite-
res Mal sei er in Medina als Reaktion auf eine von den Juden gestellte Frage herab
gesandt worden. Ibn Kaṯīr vertritt die Auffassung, dass Sure 17 mekkanisch ist.
Beruhend auf der in al-Buḫārī erwähnten Überlieferung bestätigt er den medi-
nensischen Ursprung des Verses 85 aus Sure 17 nicht. Er redet von zwei Möglich-
keiten: Entweder sei der Vers zweimal offenbart worden, oder der Prophet hätte
den Juden mit dem zuvor in Mekka offenbarten Vers geantwortet.
Die meisten Koranexegeten stützen sich nicht auf den in al-Buḫārī genannten
ḥadīṯ und betrachten den Vers dementsprechend als medinensisch. Aus der Sicht
einiger von ihnen ist Sure 17 gänzlich mekkanisch. Nach der Auffassung anderer
ist sie mekkanisch mit Ausnahme einiger medinensischer Verse, zu denen Vers
85 jedoch nicht gehört.50
Nach der Meinung von ʿAbd al-Qādir Al-ʿĀnī (gest. 1398 H./ 1978 n. Chr.)
kann der in al-Buḫārī genannte ḥadīṯ nicht als ein Offenbarungsgrund für Vers 85
gelten, da die Sure mekkanisch ist. Möglicherweise hätte der Prophet den Juden
mit dem in Mekka offenbarten Vers geantwortet. Der Offenbarungsgrund für den
Vers sei aber derjenige, der auf Ibn ʿAbbās zurückgehe. Die Ansicht einiger Koran-
exegeten, derzufolge der Vers wiederholt offenbart worden sei, erweise sich als
nicht zutreffend. Es gebe keinen Beweis dafür, dass etwas aus dem Koran zweimal
offenbart worden sei.51
Diese Behauptung, gemäß der ein Vers bzw. eine Sure zweimal offenbart
worden sei, führt nach Abū Zaids Auffassung zu einer anderen Behauptung,
nach der die Korantexte der Vergessenheit von Seiten des ersten Adressaten
Muḥammad ausgesetzt gewesen seien. Der Prophet soll Korantexte vergessen
haben und der Engel Gabriel soll ihm die gleichen Korantexte erneut übermittelt

49 Ibn Kaṯīr, Bd. 5 (1999): 114.


50 Az-Zamaḫšarī, Bd. 2 (1986): 646; Ar-Rāzī, Bd. 20 (1999): 291; Ibn Kaṯīr, Bd. 5 (1999): 5; As-
Samarqandī, Bd. 2 (1993): 299.
51 Al-ʿĀnī, ʿAbd al-Qādir Ibn Mullā Ḥuwaiš as-Sayyid Maḥmūd. Bayān al-maʿānī (muratb ḥasab
tartīb an-nuzūl). Damaskus, Bd. 2 (1965): 560.
Zur Problematik der Offenbarungsanlässe in den kanonischen ḥadīṯ-Sammlungen 117

haben, wenn ähnliche Situationen aufgetreten seien. Diese Behauptung stehe


aber mit der Tatsache im Widerspruch, da sowohl der Prophet Muḥammad als
auch seine Gefährten sich um das Auswendiglernen des Koran bemüht hätten.52
Auch wenn die Überlieferung von Ibn Masʿūd auf den medinensischen Ursprung
des Verses hinweise und Ibn Masʿūd am Ort der Herabsendung zugegen war, zeigt
die Auseinandersetzung des Textes mit der damaligen Situation den Ursprung
des Textes auf. Der Kontext bestätige die mekkanische Herkunft des Verses. Des
Weiteren verweise eine andere in den Werken der Koranexegese und Propheten-
biographie angeführte Überlieferung auf den mekkanischen Ursprung des Verses.
Die Prophetenbiographie verbinde zwischen dem Korantext und der damaligen
Situation.53
Daraus ist zu entnehmen, dass eine Entwicklung in der Behandlung der
muslimischen Koranwissenschaften erfolgte. Während traditionelle muslimische
Koranwissenschaftler z. B. von der zweimaligen Herabsendung der Sure oder des
Verses als einer Lösung für die unterschiedlichen Berichte, in denen die Sure bzw.
der Vers gleichzeitig mekkanisch und medinensisch erscheint, reden, lehnt Abū
Zaid das ab. Dass eine Sure oder ein Vers zweimal offenbart wird, betrachtet Abū
Zaid als absurd.

Literatur
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Zakarīyā ʿAbd al-Mağīd an-Nawtī. Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmīya, 1993.

52 Abū Zaid 1990, 95.


53 Ebd., 93–95.
118 Tarek Anwar Abdelgayed Elkot

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Tillschneider, Hans-Thomas. Typen historisch-exegetischer Überlieferung. Formen, Funktionen
und Genese des asbāb an-nuzūl-Materials. Würzburg: Ergon Verlag, 2011.
Mohammed Abdel Rahem
Rationalität im islamischen Recht. Die
hanafitische Rechtsschule als Beispiel
1 R
 echtsfindung zwischen Traditionalisten und
Rationalisten
Das islamische Recht entstand in einem langwierigen Prozess des Transports
von Wörtern und Sätzen des Koran und der Tradition des Propheten Muhammad
aus dem Reich ihrer sprachlichen Bedeutung in das Reich der Rechtswirklich-
keit. Dieser Transport benötigte Wegweiser, die sich – hier muss ich eine Brücke
über viele Geschichtsstationen schlagen – in zwei Arten bzw. Gruppen mit ver-
schiedenen Richtungen klassifizieren lassen, und die aus dem offenbarten Text
(dem Koran) sowie der Tradition des Propheten und seiner Gefährten, Rechts-
urteile zum Organisieren der verschiedenen Lebensaspekten ableiteten. Eine
Gruppe der Wegweiser schlug den kürzesten Weg zwischen dem göttlichen Wort
und seiner rechtlichen Bedeutung ein und bot den Muslimen aus dem, was der
Prophet gesagt und getan hat, ein Vorbild an, das im Laufe der Zeit als lückenhaft
erschien. Es handelt sich hier um „ahlu d-dalīl“ Traditionalisten, die in Bezug auf
die Rechtsfindung an der buchstäblichen Bedeutung des Textes festhielten.
Die andere Gruppe von Wegweisern, als Faqīhen (Sing. Faqīh, abgeleitet von
Faqiha, d. h. verstehen, begreifen bezeichnet, bediente sich einer anderen Heran-
gehensweise, indem sie sich im Prinzip nicht mit der Bedeutung, sondern mit dem
Sinn des Textes beschäftigte und ihn hinterfragte. Sehr viele Kenntnisse wurden
über Umwege wie Taxierung, Überlegung und Vergleich erschlossen, wobei auf
den Schildern technische Begriffe wie iǧtihād (individuelle Bemühung um Rechts-
findung), ra’y (persönliche Rechtsmeinung) oder qiyās (Analogierschluss) stehen.
Eine selbständige Wissenschaftsdisziplin, nämlich Uṣūl al-Fiqh (Methodologie
oder Philosophie des islamischen Rechts) entstand als Folge dieser Herangehens-
weise der Rationalisten und ließ sich im Laufe der Zeit als eine Verstehenstheorie
konstruieren. Während die Traditionalisten z. B. das, was der Prophet Muhammad
nicht getan hat, als nicht erlaubt erklären wollten, gilt bei den Rationalisten dies-
bezüglich das Prinzip bzw. die usūlitische Grundlage „al-aṣlu fi-l-ašiyāʾi l-ibāḥa“
(Erlaubtheit ist das ursprüngliche Urteil). Bis in heutige Zeit geraten die Muslime
am Ende des Monates Ramadan ins Dilemma in Bezug auf die Abgabe des Fas-
tenbrechens; Während die Muslime den Traditionalisten zufolge die Abgabe
ausgehend von der Praxis des Propheten Muhammad nur in Form von Weizen
oder Gerste entrichten sollen, betonen die Rationalisten die Tatsache, dass vom

https://doi.org/10.1515/9783110588576-007
120 Mohammed Abdel Rahem

Propheten Muhammad keine Aussage überliefert wurde, die für diesen Fall eine
Geldabgabe ausdrücklich verbietet.
Das bedeutet keinesfalls, dass die Traditionalisten die Ratio überhaupt
nicht verwandten. Nicht im Bereich der Rechtsfindung, sondern vor allem beim
Definieren der spezifischen Hadith-Begriffe mussten sie auf ihren spekulativen
Scharfsinn setzen. Werfen wir z. B. einen Blick auf den Anfang des Werks „Tadrīb
ar-rāwī“ von as-Suyūṭī (gest. 911), dann stößt man auf eine große Meinungsver-
schiedenheit und tiefe Diskussion, in der die Gelehrten durch die Ratio zu einer
einheitlichen Begriffsbestimmung des authentischen Hadith zu gelangen ver-
suchten. Da aber scheiden sich die Geister. Für šuḏūḏ (Mangelhaftigkeit) und ʿilla
(Fehler), von denen ein authentischer Hadith frei sein soll, gibt es keine einheit-
liche Definition.
Die Definition, die as-Suyūṭī von an-Nawāwī (gest. 676) zitiert und auf unge-
fähr zehn Seiten kommentiert, wird vom Imām Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī (gest. 852)
aufs schärfste kritisiert.1
Bei der Frage nach den Überschneidungspunkten zwischen den Traditiona-
listen und den Rationalisten kann ich mit dem Satz in „Tadrîb ar-râwî“ anfangen,
der den ersten aber auch historisch gesehen den ältesten Überschneidungspunkt
entlarvt:

.‫ إن أصحاب الحديث زادوا ذلك في حد الصحيح‬:“‫ فقال ابن دقيق العيد في „االقتراح‬،‫وأما السالمة من الشذوذ والعلة‬
2.‫ فإن كثيرًا من العلل التي يعلل به المحدثون ال تجري على أصول الفقهاء‬،‫ وفيه نظر على مقتضى نظر الفقهاء‬:‫قال‬
Was das Freisein von šuḏūḏ (Mangel) und ʿilla (Fehler) betrifft, sagt ibn Daqīq al-ʿĪd in
seinem Werk „al-Iqtirāḥ“: Die Hadith-Gelehrten erwähnten dies in ihrer Definition des
authentischen Hadith. Er kommentiert: Das ist aber aus der Sicht der Fiqh-Gelehrten kri-
tisch, denn viele Fehler, die von den Hadith-Gelehrten als solche bezeichnet werden, gelten
bei den Faqîhen nicht als Fehler.

Ibn Daqīq al-ʿĪd (gest. 702) verweist hier darauf, dass die Faqîhen ihre eigene
Grundlagen und Voraussetzungen für die Überprüfung der Tradition des Prophe-
ten Muhammad besitzen, die sie ausschließlich für die Hadithe mit Rechtsurtei-
len verwendeten. Ibn Daqīq al-ʿĪd war selbst mit seinem Werk „al-Ilmāmu l-ǧāmi
li-aḥadīṯi l-aḥkām“ ‫ اإللمام الجامع ألحاديث األحكام‬einer der bekanntesten Autoren
auf diesem Wissenschaftsgebiet, auf dem Ibn al-Ḫarrāṭ (gest. 581) mit seinen
drei Werken „al-Aḥkāmu l-kubrā“,‫„ األحكام الكبرى‬al-Aḥkāmu l-wusṭā“ ‫ الوسطى‬und
„al-Aḥkāmu ṣ-ṣuġrā“ ‫ الصغرى‬zum ersten Mal systematisch arbeitete. Hier muss

1 As-Suyūṭī, Ğalāl ad-Dīin. Tadrīb ar-rāwī fī šarḥ Taqrīb an-Nawāwī, hg. v. Abū Yaʿqūb Našʾat b.
Kamāl al-Maṣrī. Kairo 2008, 26–37.
2 Ebd., 28
Rationalität im islamischen Recht. Die hanafitische Rechtsschule als Beispiel 121

die Tatsache hervorgehoben werden, dass die Rationalisten die eigenen Grund-
lagen, Voraussetzungen und Prinzipien nicht zu seiner Systematik bzw. zu einer
Wissenschaftstheorie im Bereich der Hadith-Wissenschaft entwickelten.
Die Hadith-Wissenschaftler trugen ebenso zum Bereich der „Hadithe mit
Rechtsurteilen“ bei, indem sie berühmte Fiqh-Werke kommentierten und das
Authentischsein der Überlieferungen und Berichte auf einer eigenen Überprü-
fungs-Skala ablasen. Az-Zailaʿī (gest. 762) und sein Zeitgenosse (nach einigen
Quellen sein Schüler) al-Ḥāfiẓ al-ʿIrāqī (gest. 806) kamen überein zwei Fiqh-Wer-
ken aus hadith-wissenschaftlicher Perspektive zu kommentieren. Der Erstere ent-
schied sich für das Buch „ad-Dirāya“ vom ḥanafītischen Gelehrten al-Marġīnānī
(gest. 593) und nannte seinen Kommentar „naṣbu r-rāya li-aḥādīṯi l-hidāya“,
wobei sich al-ʿIrāqī für das Werk „Iḥyāʾ ʿulūm ad-dīn“ von al-Ġazālī (gest. 505)
entschied und seinem Kommentar dazu den Namen „Iḫbāru l-aḥyāʾ’i bi-aḫbāri
l-Iḥyāʾ“ gab.
Die Traditionalisten, die, wie am Anfang erwähnt, den kürzesten Weg zur
Rechtsfindung schlugen, spielten manchmal die Rolle des Faqīhen, indem sie
(vor allem in den Hadith-Sammlungen) Rechtsurteile von der überlieferten Tradi-
tion ableiteten. Al-Buḫārī (gest. 256) und Muslim (gest. 261) verleihen den Titeln
einiger Kapitel in ihren Sahîh-Werken Formulierungen mit Rechtsurteilen:

ِ ‫س ُكلِّ ِه لِقَوْ ِل اللَّ ِه تَ َعالَى „ َوا ْم َسحُوا بِ ُر ُء‬


‫وس ُك ْم‬ ْ
• ِ ‫ْح الرَّأ‬
ِ ‫بَاب َمس‬
Kapitel darüber, den ganzen Kopf zu streichen. Allah, der Erhabene, sagt: und streicht euch
die Köpfe mit Wasser.

‫ باب في ترك الحيل وأن لكل امرئ ما نوى‬،‫• كتاب الحيل‬


Kapitel über Rechtskniffe, Abschnitt: Rechtskniffe muss man lassen, denn jedem Menschen
gebührt, was er beabsichtigt hat.

‫ب ُغس ِْل ْال ُج ُم َع ِة َعلَى ُك ِّل بَالِ ٍغ ِمنَ الرِّ َجال‬


ِ ‫ باب ُوجُو‬:‫• كتاب الجمعة‬
Kapitel über das Freitagsgebet, Abschnitt: Eine rituelle Waschung vor dem Freitagsgebet ist
für alle erwachsene Männer Pflicht.

Bemerkenswert ist hier ebenso, dass die Traditionalisten aus ihren eigenen
Grundlagen und Prinzipien für die Rechtsfindung keine Systematik bzw. Wissen-
schaftstheorie im Bereich des Fiqh herauskristallisieren.
Kommen wir den Rationalisten näher, bemerken wir, dass die hanfîtische
Rechtsschule diejenige war, die von der Ratio am meisten Gebrauch machte.
Bevor die Abhandlung ins Detail geht, muss im Folgenden zunächst gewisse his-
torische Fakten über die Schule der Hanafîten erwähnt werden:
122 Mohammed Abdel Rahem

2 D
 ie Ḥanafīten
Der Imam Abū Ḥanīfa gestorben 150 n.H./767, Gründer der ḥanafītischen Rechts-
schule, kam aus dem persischen Gebiet, und bemühte sich, die Überlieferungen,
die auf den Propheten Muhammad zurückgeführt wurden, sorgfältig zu unter-
suchen, um aus ihrem gesicherten Inhalt eine zuverlässige Grundlage für sein
Rechtssystem zu gewinnen.
Abū Ḥanīfa trug seinen Schülern die Lehre vor, die sie später in mehreren
Werken zusammenstellten, und aus denen sich die hanfitische Rechtsschule kons-
tituierte. Die wichtigsten Schüler waren Abū Yūsuf (gest. 182) und Muḥammad
aš-Šaibānī (gest. 187). Diese Rechtsschule ist bis heute in Ägypten, Syrien, dem
Irak, der Türkei und auf dem Balkan sowohl in der Gelehrsamkeit als auch in der
Praxis stark vertreten. Sie weist auch hervorragende Repräsentation in Indien,
Pakistan und Mittelasien auf. Nach Küng dürften etwa ein Drittel der Muslime
dieser in der Auslegung des islamischen Gesetzes großzügigsten und tolerantes-
ten Richtung angehören.3
Für Abū Ḥanīfa spielten in der Argumentation und in der Bemühung um die
Rechtsfindung das persönliche Urteil (ra’y) und der Analogieschluss (qiyās) eine
große Rolle. Damit wird neben dem Glauben und den Quellen der Tradition dem
gesunden Menschenverstand eine entscheidende Bedeutung zuerkannt. Dies
begünstigt die Einführung der Billigung als Grundsatz der Rechtsfindung. Daher
wurden die Ḥanafīiten in den meisten alten traditionellen Werken des islamischen
Rechts bzw. des vergleichenden islamischen Rechts nicht als solche, sondern als
Denkschule der freien Meinung (ahlu r-ra’y oder aṣḥābu r-raʾī) bezeichnet. Die
Ḥanafīiten hatten weniger direkten Zugang zu den Prophetentraditionen und
lebten in einem Kontext, der sich von dem in Medina und Mekka stark unter-
schied. Daher waren sie „gezwungen, sich den Erfordernissen des Kontextes,
seiner Komplexität und neuen Fragen zu stellen“.4 Die Gegner der Ḥanafīiten
wandten dagegen ein, dass diese Methode das Tor für jede Willkür öffnen würde.5
Abū Yūsuf, der älteste Schüler Abū Ḥanīfas, wurde unter dem abbasidden-Ka-
lifen ar-Rašīd (gest. 809) zum Obersten Richter des islamischen Reiches ernannt,
was es ihm erleichterte, die Lehre seines Meisters Abû Hanîfa zu verbreiten und sie
zur Grundlage der praktischen Rechtssprechung zu machen. Sein Werk al-Ḫarāǧ
gilt bis heute als wichtige Literatur zur islamischen Wirtschaft.

3 Küng, Hans. Der Islam – Geschichte, Gegenwart, Zukunft. München 2006, 337.
4 Ramadan, Tariq. Radikale Reform – Die Botschaft des Islam für die modern Gesellschaft.
Aus dem Englischen übertragen von Kathrin Möller und Anne Vonderstein. München 2009, 73.
5 Küng, 337.
Rationalität im islamischen Recht. Die hanafitische Rechtsschule als Beispiel 123

Muḥammad aš-Šaibānī war derjenige, der am meisten zur Gründung der


ḥanafīitischen Rechtsschule beigetragen hat. In sechs unterschiedlich langen
Werken hat er die Grundlagen der Schule festgelegt. Seine Lehre wurden später
von as-Sarḫasī (gest. 482 n.H.) in einem 30bändigen Werk zusammengefasst.
Was die hanafitische Rechtschule im Vergleich mit anderen Rechtschulen bis
heute besonders auszeichnet ist, dass sie sich bei der Rechtsfindung von Anfang
an von der Ratio leiten ließ. Diese Auszeichnung soll durch zwei Aspekte darge-
legt werden, einen methodischen und einen praktischen.

3 R
 ationale Aspekte in der Methode der
­hanafitischen Rechtsschule

3.1 Aḥād-Hadith

Neben dem Koran pflegten die Ḥanafīten, wie die anderen Rechtsschulen, der
Sunna des Propheten Muhammad als Quelle der Rechtsfindung zu bedienen. In
der Wissenschaft der Uṣūl al-Fiqh (Methodologie des islamischen Rechts), die
erst durch aš-Šāfiʿī (gest. 204) in seinem Werk Ar-Risāla systematisiert wurde,
werden die Überlieferungen des Propheten Muhammad in drei Stufen eingeteilt:6
Die vertrauenswürdigste Überlieferung ist die sunna mutawārtira, die von einer
Vielzahl von Gewährsmännern ununterbrochen über zahlreiche Überlieferer-
ketten tradiert wurde. Eine schwächere Stufe ist die sunna mašhūra, welche nur
von einen wenigen Prophetengefährten überliefert wurde, dann aber über eine
Vielzahl von Überlieferer-Wegen weitergegeben wurde. Schwächste Stufe ist der
ḫabar al-wāḥid (oder ḥadīṯ al-aḥad), der weder auf eine Vielzahl von Überlieferern
zurückgeht, noch sich auf eine Vielzahl von Überlieferungsketten stützt.7
In Bezug auf die Verwendung der letzten Stufe war Abū Ḥanīfa – wie später
auch seine Schüler – im Vergleich zu den Gelehrten der anderen Schulen am
strengsten: Nur die Überlieferungen (Hadithe), die zweifelfrei authentisch sind,
wurden als beweiskräftig akzeptiert.8 Einzelner Traditionen und auch Äußerun-

6 Ḫallāf, ʿAbd al-Wahhāb. ʿIlm Uṣūl al-Fiqh, Dār al-Qalam. Kairo, o. J., 41–42.
7 Nach den Gelehrten der Hadith-Wissenschaft wird der aḥād-Hadith als Bericht definiert, der
von einem bis zu drei Überlieferern irgendeiner Generation (ṭabaqa) berichtet.
8 Historisch gesehen war die freie Rechtsmeinung (ra’y) bis in die erste Hälfte des 2. Jahrhun-
derts der Hidschra das meist verbreitetste Mittel zur Rechtsfindung, obwohl Überlieferungen
vom Propheten und Berichte von seinen Zeitgenossen herangezogen wurden. In der zweiten
124 Mohammed Abdel Rahem

gen des Propheten Muhammad, die von einzelnen Gewährsmännern überliefert


waren (also aḥād-Hadithe), bedienten sich die Hanafîten nur unter bestimmten
Bedingungen um sie als Grundlage der Rechtsfindung zu akzeptieren. Der Inhalt
des aḥād-Hadith muss nämlich9

‫ فإن خالفه فالعمل بما رأى ال بما روى‬،‫أال يخالف راويه‬ •


1) dem Handeln seines Überlieferers übereinstimmen. Widerspricht er dem Handeln des
Überlieferers, dann wird die Praxis und nicht die überlieferte Aussage anerkannt.

‫أال يُخالِف القياس‬ •


2) den Analogien nicht widersprechen.

‫راويه فقيهًا‬
ِ َ‫وأن يكون‬ •
3) von einem Faqīh-Überlieferer berichtet werden.

Vor allem durch die erste Voraussetzung zeichnete sich Abū Ḥanīfa im Vergleich
zu den Gründern der anderen Schulen aus, denn gerade hier kristallisiert sich
der Unterschied zwischen dem mašhūr- und dem aḥād-Hadith bei den Hanafî-
ten heraus. Wenn beim Letzteren der Wortlaut des Berichtes zur entsprechenden
Anwendungspraxis des Überlieferers in Widerspruch steht, wird seine Authen-
tizität bei den Ḥanafīten infrage gestellt und demzufolge von gewissen Funktio-
nen auf dem Gebiet der Rechtsfindung ausgeschlossen. In diesem Fall kann der
aḥād-Hadith zum Beispiel die allgemein mehrdeutig ausgedrückten Koranstellen
nicht spezifizieren. Während aš-Šāfiʿī und Aḥmad ibn Ḥanbal (gest. 241) zwischen
dem aḥād-Hadith und dem mašhūr-Hadith im Hinblick auf diese Funktion keinen
Unterschied machen, verwendet Mālik ibn Anas (gest. 179) die medinensische
Praxis (ʿamal ahl al-madīna) als Maßstab, durch den die Authentizität des aḥād-
Hadith festgestellt werden kann.10
Nicht nur von der Anwendungspraxis des Überlieferers gehen die Hanafîten
bei der Festlegung der Authentizität des betroffenen Hadith aus, sondern auch
von seinem tiefen Verständnis (fiqh) des Berichtes. Sowohl die Gelehrten des isla-
mischen Rechts als auch der Hadith-Wissenschaft stimmen darin überein, dass für

Hälfte des 2. Jahrhunderts tendierten die Gelehrten zunehmend dahin, sich auf religiös sichererer
Grundlage zu entscheiden. Nach Rohe spielte hierbei möglicherweise ein Rolle, dass viele vor-
bildliche Prophetenzeitgenossen und diejenigen, die von diesen unmittelbar berichteten, mittler-
weile verstorben waren. Vgl. Rohe, Mathias. Das islamischen Recht. Geschichte und Gegenwart,
München ²2009, 53.
9 Az-Zuḥaily, Wahba. Uṣūl al-Fiqh al-Islāmī, Teil 1. Damaskus 1986, 470.
10 Al-ʿAlwānī, Ṭāha Ğābir. Iškālīyat at-taʿamul maʿ as-sunna an-nabawiyya, Al-Maʿhad al-ʿālamī
li-l-fikr al-Islāmī. Herndon 2014, 287.
Rationalität im islamischen Recht. Die hanafitische Rechtsschule als Beispiel 125

die Authentizität jedes Hadith zwei Bedingungen in der Person des Überlieferers
erfüllt werden müssen, nämlich al-ʿadāla (Aufrichtigkeit) und aḍ-ḍabṭ (Genauig-
keit). Nur die Ḥanafīten gaben der Ratio diesbezüglich mehr Raum, indem sie den
aḥād-Hadith in Hinblick auf die Bedingungen für die Beweiskraft nicht auf die
gleiche Stufe mit anderen Arten der Hadithe stellten. Für sie reicht es nicht aus,
dass der in einer bestimmten Generation (ṭabaqa) sich allein befindende Überlie-
ferer ʿadāla und ḍabṭ erfüllt, vielmehr muss sich dieser der Bedeutung und dem
Sinn der von ihm berichteten Aussage voll bewusst (faqīh) sein. Hier betont der
ḥanafītische Gelehrte al-Bazdawī (gest. 482) in seinem Uṣūl-Werk, dass der aḥād-
Hadith von einem faqīh-Überlieferer berichtet werden muss, der nicht nur den
Text genau und ohne Fehler vermittelt, sondern auch seinen Sinn und Kontext
versteht.11.

3.2 Qiyās (Analogieschluss) als Rechtsquelle

Al-qiyās bildet nach dem Koran, der Sunna und dem Konsensus die vierte Quelle
der islamischen Gesetzgebung und wird von den uṣūl-Gelehrten in der Regel, wie
folgt, definiert:
„Das Übertragen vom Rechtsurteil eines alten Falls (aṣl) auf einen neuen zu
klärenden Vorfall (farʿ), da beide Fälle die gleiche Ursache (ʿilla) enthalten.12 Nach
dieser klassischen Bedeutung stützt sich der qiyās auf eine Basis bzw. ein sich im
Koran oder der Sunna befindendes Rechtsurteil, zwischen dem und der zu ent-
scheidenden Rechtsfrage es eine gemeinsame Ursache bzw. Ratio (ʿilla) gibt. Ist
diese auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar, so unterliegt er derselben
Beurteilung der Ausgangsnorm (aṣl).13 Ein Beispiel für einen Analogieschluss ist
die Entscheidung, nach welcher das Trinken von Bier als verboten zu erklären ist.
Die Analogie stützt sich auf Sure 5,90,14 wonach der Genuss des Weins verboten
wird. Gemeinsame Ratio ist in diesem Fall die berauschende Wirkung des Biers
und des Weins. Ein anderes Beispiel für qiyās ist das Rechtsurteil, nach welchem
der Vater des Erblassers dessen Geschwister von der Erbfolge ausschließt. Die

11 Al-Bazdawī, ʿAlī ibn Muḥammad. Uṣūl al-Bazdawī – Kanz al-wuṣūl ilā maʿrifat al-uṣūl. Kara-
tschi, o. J., 156.
12 Az-Zuḥaily, 602; Zaidan, Amir M. A. Usuulul fiqh wa qawaa’iduh, Einführung in die Belegquel-
len und ihre Hermeneutik sowie in die Fiqh-Regeln. Wien 2011, 212.
13 Ḫallāf, 52.
14 „Ihr Gläubigen! Wein, das Losspiel, Opfersteine und Lospfeile sind (ein wahrer) Greuel und
des Satans Werk. Meidet es!“ Paret, Rudi: Der Koran, Stuttgart 2007, 89.
126 Mohammed Abdel Rahem

Analogie bezieht sich auf Sure 4,176,15 wonach die Söhne des Erblassers dessen
Geschwister ausschließt. Gemeinsame Ursache ist hier das gegenüber den Seiten-
verwandten stärkere agnatische Verwandtschaftsverhältnis in ab- und aufsteigen-
der Linie.16
Die Ḥanafīten waren in der islamischen Geschichte die erste Rechtsschule,
die von diesem Instrument zur Ableitung rechtlicher Entscheidungen Gebraucht
machten, bevor es von aš-Šāfiʿī in seinem Werk „ar-Risāla“ systematisiert worden
ist. In diesem Zusammenhang wird berichtet, dass aš-Šāfiʿī gesagt hat: „Die
Gelehrten sind alle kleine Schüler Abū Ḥanīfas in Bezug auf die Anwendung des
qiyās und istiḥsān (Das Für-Besser-Halten)“17 Bis heute genießt der qiyās bei den
Mālikiten und den Ḥanbalīten nicht den gleichen Grad der Anwendung wie bei
den Šāfiʿīten und Ḥanafīten. Die zwei Letzteren wenden jedoch den qiyās nicht
auf der gleichen Stufe an: Während aš-Šāfiʿī ihn gestattet, nur wenn überhaupt
keine prophetischen Überlieferungen vorhanden sind, gibt Abū Ḥanīfa der Ana-
logie den Vorzug vor dem die oben genannten Voraussetzungen nicht erfüllenden
aḥād-Hadith. In diesem Zusammenhang hebt Krawietz die Tatsache hervor, „die
Gelehrten unterschieden sich im Ausmaß ihrer Rekurse auf Analogie-Verfahren,
wie sich bereits bei der Polarisierung in eine frühe Schule des qiyās im Irak und
eine solche Betonung des Hadith im Ḥiǧāz abzeichnete.“18

4 P
 raktische Fragen aus den Rechtswerken der
Ḥanafīten
In Bezug auf die besonderen praktischen Rechtsfragen, mit denen die Hanafîten
sich auseinandersetzten, kann man mit der Frage der rechtlichen Kniffe (al-ḥiyal
aš-šarʿiyya) anfangen. Dem Imām Abū Ḥanīfa wurde seitens der Traditionalisten
vorgeworfen, er habe die Wissenschaft der juristischen Kniffe zur Umgehung der
Gesetze entwickelt. Aber genau hier zeigt sich die besondere bzw. die ḥanafīitisch

15 „Wenn ein Mann umkommt, ohne Kinder zu haben, und er hat eine Schwester (von Vater-
oder Mutterseite her), dann steht ihr die Hälfte zu von dem, was er hinterlässt. Und er beerbt
(umgekehrt) sie, falls sie keine Kinder hat.“ (Paret, Koran, 78).
16 Rohe, 63.
17 Abū Zakariyya, Yaḥiyā ibn Ibrāhīm al-Azdī. Manāzil al-aʾimma al-arbaʿa – Abū Ḥanīfa wa-
Mālik wa-š-Šāfiʿī wa-Aḥmad. Medina 2002, 170.
18 Krawietz, Birgit. Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam. Berlin: Dunker
& Homblot, 2002, 213.
Rationalität im islamischen Recht. Die hanafitische Rechtsschule als Beispiel 127

eigenartige rationale Herangehensweise beim Umgang mit Beweisen und ihrem


Bezug auf die Wirklichkeit.
In der islamischen Geschichte gibt es fast keinen Gelehrten anderer sunni-
tischer Rechtsschulen, der über die al-ḥiyal aš-šarʿiyya (Rechtskniffe) verfasste.
Ausgenommen bleibt der šāfiʿītische Abū Ḥātim al-Qazwīnī (gest. 415) mit seinem
Werk „kitabu l-ḥiyal fi-l-fiqh“. Von aš-Šaibānī und seinem Schüler al-Ḫaṣāf (gest.
261) stammen die ältesten erhaltenen ḥiyal-Werke: „maḫāriǧ fī al-ḥiyal“ ‫المخارج‬
‫ في الحيل‬und „al-ḥiyal wa-l-maḫāriǧ“ ‫الحيل والمخارج‬. Joseph Schacht, der Nestor
der deutschsprachigen islamischen Rechtskunde, hat sie bereits 1923 editiert.19.
Beide Werke sind sich in Stil und Stoff sehr ähnlich. Schacht hat eine inhaltli-
che Zusammenfassung und Charakterisierung der von ihm bearbeiteten ḥiyal-
Literatur versucht und vier Motive unterschieden.20 Rechtskniffe dienten:
– der Erleichterung der Befolgung von Vorschriften,
– der Einschränkung der Fälle offener Gesetzesüberschreitung,
– der Verhinderung der Gefahr sündhaften Vergehens, und
– zur Herstellung der Billigkeit der Beziehungen

Am meisten verwenden die Ḥanafīten die Rechtskniffe in den Kapiteln der Eide
(aymān) und denen der Ehescheidung (aṭ-ṭalāq), um in einem Notfall die Vor-
schriften rechtlich zu umgehen. Die Fragestellung folgt hypothetischer Weise dem
Muster: „Was ist deine Ansicht zu einem Fall, in dem …“. Erwähnenswert ist, dass
von den Hanafîten die Rechtskniffe in verbotene, verwerfliche, und erlaubte ḥiyal
eingeteilt werden: Der folgende Fall ist für sie ein Beispiel für die verwerfliche
ḥiyal:

‫الحيلة لمنع وجوب الزكاة […]قال أرأيت لو كان لرجل مائتا درهم فلما كان قبل الحول بيوم تصدق بدرهم منها حتى‬
21.‫يتم الحول وليس في ملكه نصاب فال يلزمه الزكاة‬
Rechtskniff für die Umgehung der Pflicht der Zakat-Steuer […] Was meinst du über einen
Mann, der 200 Dirham besitzt, und einen Tag vor Ablauf des Steuerjahres einen Dirham
spendet. Mit diesem einen Dirham setzt er sein Vermögen unter die Mindestgrenze zur Ent-
richtung der gesetzlichen Zakat-Steuer?

As-Sarḫasī betrachtet diesen Kniff in seinem al-Mabsūṭ nicht als verboten, sondern
nur als verwerflich, und kommentiert die Frage damit, dass diese Form der Steuer­
umgehung selbst innerhalb der ḥanafītischen Schule umstritten ist. Schließlich

19 Schacht, Joseph. “Ḥiyal.” In The Encyclopaedia of Islam, New Edition. Bd. 3 (2008), 510b–513a.
20 Rebstock, Ulrich. „Die Rolle der Kniffe (ḥiyal) in der islamischen Rechtsentwicklung.“ In Die
List, hg. v. Harro von Senger. Frankfurt 1999, 251.
21 As-Sarḫasī, Šams ad-Dīn. al-Mabsūṭ, Bd. 30, Kapitel der ḥiyal. Beirut, o. J., 240.
128 Mohammed Abdel Rahem

betont er, dass der Mann sich weder eines verbotenes Mittels bediente, noch
sündhaft handelte. Er wendet mit diesem legalen Kniff, so as-Sarḫasī, Schaden
von sich ab und schädigt gleichzeitig keinen Dritten. Für die von den Ḥanafīten
als absolut erlaubt angesehenen Rechtskniffe können schließlich zwei Beispiele
angeführt werden:

‫امرأة حامل تريد أن تهب مهرها لزوجها على أنها أن ماتت في نفاسها كان الزوج بريأ من المهر وأن سلمت عاد المهر‬
‫على زوجها فإنه ينبغي لها أن تشتري من الزوج ثوبا لم تره بأن كان في منديل فتشتريه بجميع مهرها أو نصفه فإن‬
22.‫ماتت في نفاسها برئ الزوج وأن سلمت من علتها ردت الثوب بخيار الرؤية وعاد المهر‬
Eine schwangere Frau, die Angst hat, bei der Geburt zu sterben. Sie möchte ihrem Mann
den noch nicht gezahlten Teil ihrer Morgengabe verschenken, sodass sie diesen zurück-
bekommt, falls sie überlebt. [das Problem besteht darin, dass das Geschenk im islamischen
Recht nicht zurückverlangt werden darf. Der Rechtskniff lautet:] Sie kauft von ihrem Mann
gegen die Morgengabe ein in einem Tuch verwickeltes Kleid. Stirbt sie bei der Geburt, dann
hat ihr Mann das Geld. Stirbt sie nicht, dann schaut sie sich das Kleid an und macht den
Kauf rückgängig, und zwar mit der Behauptung, es gefalle ihr nicht.

‫(رجل) قال (لزوجته) إن لم تكلمني الليلة فأنت طالق فسكتت وامتنعت من كالمه فخاف أن يقع الطالق إذا طلع الفجر‬
‫فطاف على العلماء رحمهم الله في الليل فلم يجد عندهم في ذلك حيلة فجاء إلى أبي حنيفة رحمه الله وذكر له ذلك فقال‬
‫ارجع إلى بيتك حتى آتيك […] وجاء أبو حنيفة رحمه الله في أثره فصعد مأذنته وأذن فظنت المرأة أن الفجر قد طلع‬
‫فقالت الحمد لله الذي نجاني منك فجاء أبو حنيفة رحمه الله إلى الباب وقال قد برت يمينك وأنا الذي أذنت أذان بالل‬
‫رضي الله عنه في نصف الليل‬
Ein Mann sagte seiner Frau: „Wenn du mich die ganze Nach durch nicht ansprichst, dann
bist du geschieden“. Sie schwieg und sprach ihn nicht an. Dann fürchtete sich der Mann,
sich von ihr zu trennen. Er kam zum Imām Abū Ḥanīfa und erzählte ihm den Fall. Abū Ḥanīfa
verlangte von ihm, nach Hause zurückzukehren, und dort zu bleiben, bis er ihn besucht.
[Rechtskniff:] Abū Ḥanīfa kam zum Moscheeminarett und rief vorzeitig zum Faǧr-Gebet auf.
Die Frau des Mannes sagte: Gott sei Dank, dass Er mich gerettet hat.“ Abû Hanîfa – möge
Allah seiner erbarmen – kam zu ihnen und sagte ihnen: [Das war nicht das Morgengebet.]
Ich habe nur zu dem freiwilligen Gebet in der Mitternacht aufgerufen, wie der Propheten-
gefährte Bilâl zu machen pflegte.

Die Ḥanafīten waren, wie erwähnt, die erste und – mit Ausnahme des šāfiʿītischen
al-Qazwīnī – die einzige Rechtsschule, die für die ḥiyal-Kasuistik Rechtskapitel
entwickelten, um den Muslimen vorschriftsmäßige Lösungen in bestimmten
Notfällen anzubieten, was für viele Traditionelle nach listiger Umgehung oder
tückischer Verführung der Muslime klang. Rebstock zufolge ist die ḥiyal-Literatur
„aber bemerkenswert und von nachhaltiger Bedeutung. Bemerkenswert deshalb,
weil in ihnen, wie nirgendwo anders in der islamischen Rechtsliteratur, aus der

22 Ebd., Bd. 30, 227.


Rationalität im islamischen Recht. Die hanafitische Rechtsschule als Beispiel 129

Sicht des rechtssuchenden Einzelnen und zu seinem Wohle das offenbarte gött-
liche Recht interpretiert wird.“23
Im Bereich des Handelsrechts konzipierten die Ḥanafīten ebenso ihre
eigenen Rechtsgrundlagen (qawāʿid fiqhiyya), welche sie vor anderen Rechtsschu-
len auszeichneten. Es gilt für sie beispielsweise die Grundlage, dass alles, was
entschädigt werden kann, islamisch rechtlich verkauft werden darf, auch wenn
dies unrein wäre‫جواز بيع النجاسات يتبع الضمان‬. Während die Šāfiʿīten, Mālikīten und
Ḥanbalīten bezüglich des Kaufs und Verkaufs aus der islamischen Sicht von der
Reinheit der Ware ausgehen, handelt es sich bei den Ḥanafīten nur um die Frage,
ob der zu verkaufenden Gegenstand für den Käufer und Verkäufer nützlich wäre,
und ob dafür ein Geldwert bestimmt werden kann. Für die Ḥanafīten gilt die nach
der islamischen Auffassung geltende Reinheit der Dinge im Bereich des Handels
nicht als Voraussetzung.24
Demzufolge ist der Verkauf des als Dünger verwendeten Mistes der Haustiere
nach allen Rechtsschulen, außer den Hanafîten, verboten, weil es sich um etwas
Unreines handelt. Die Ḥanafīten erklären hingegen den Verkauf als erlaubt, da
die Menschen so etwas für die Landwirtschaft brauchen. Das gleiche Urteil gilt
entsprechend für das unreine Fett, falls es zum Gerben oder zum Beleuchten ver-
wendet wird.25

Fazit
Die ḥanafītische Rechtsschule, die als die Älteste von Abū Ḥanīfa (gest. 150) auf
irakischem Boden gegründet wurde, stellt sich im Vergleich zu den anderen drei
sunnîtischen Schulen als diejenige dar, die sowohl in der Methode als auch in
den praktischen Fragen von der Ratio Gebrauch macht. Die strengen Voraus-
setzungen zum Anwenden der aḥād-Überlieferungen gelten als das bekannteste
Charakteristikum ihrer Herangehensweise mit der Tradition, so dass dieses fast in
allen Werken der Methodenlehre des islamischen Rechts im Kapitel der Sunna als
Quelle der Rechtsfindung diskutiert wird. Vor allem die Voraussetzung bezüglich
des tiefen Verständnisses (fiqh) über den tradierten Bericht seitens des Überlie-

23 Rebstock, 259.
24 Anonym. maʿalamt Zāyid li-lqawāʿid al-fiqhiyya wa-l-uṣūliyya, Bd. 2, muʾassasat Zāyid bin
Sulṭān Āl Nahyān. Abu Dhabi, 2013, 66–67.
25 Al-Ğazīrī, ʿAbd al-Raḥmān ibn Muḥammad. Al-Fiqh ʿalā al-maḏāhib al-arbaʿa. Bd. 2 (22003):
209.
130 Mohammed Abdel Rahem

ferers zählt zu den besonderen Merkmalen der ḥanafītischen rationalen Methode,


die ihren Höhepunkt im qiyās-Prinzip findet.
Die Anwendung der Analogie in der islamischen Rechtsgeschichte verdanken
alle Gelehrten dem Imām Abû Hanifa. Als Schüler der ḥanafītischen Gelehrten
aš-Šaibānī vermag aš-Šāfiʿī das qiyās-Instrument zu systematisieren, was dazu
führte, dass qiyās sich fast bei allen Rechtsschulen endgültig als die vierte Rechts-
quelle der islamischen Gesetzgebung durchsetzen konnte. Die Hanafîten bedien-
ten sich in einem Maße der rationalen Rechtsmethoden, dass sie keine Rechts-
auskunft scheuten und ihre Grundlagen auch hypothetisch erweiterten. Diese
Hypothese lässt sich insbesondere im Kapitel über Rechtskniffe deutlich erken-
nen, wo die Ḥanafīten rationale Alternativen für bestimmte Normen suchen, die
in bestimmten Situationen in Bedrängnis geführt hätten. Die ḥiyal-Kapitel gelten
nicht nur als Zeichen für die Rationalität der Ḥanafīten, sondern bieten auch eine
Fülle der Rechtsliteratur im Islam an.

Literatur
Abū Zakariyya, Yaḥiyā ibn Ibrāhīm al-Azdî. Manāzil al-aʾimma al-arbaʿa – Abū Ḥanīfa wa-Mālik
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Paret, Rudi: Der Koran. Stuttgart: Kohlhammer, 102007.
Ramadan, Tariq. Radikale Reform – Die Botschaft des Islam für die modern Gesellschaft.
Aus dem Englischen übertragen von Kathrin Möller und Anne Vonderstein. München:
Diederichs Verlag, 2009.
Rebstock, Ulrich. „Die Rolle der Kniffe (ḥiyal) in der islamischen Rechtsentwicklung.“ In Die
List, hg. v. Harro von Senger. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1999.
Rationalität im islamischen Recht. Die hanafitische Rechtsschule als Beispiel 131

Rohe, Mathias. Das islamischen Recht. Geschichte und Gegenwart. München: C.H. Beck,
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Zaidan, Amir M. A. Usuulul fiqh wa qawaa’iduh, Einführung in die Belegquellen und ihre
Hermeneutik sowie in die Fiqh-Regeln. Wien: Islamologisches Institut, 2011.
Ahmad Ighbaria
The Use of Logic in Kalām Discussions:
Ibn Ḥazm as an Example
Introduction
Aristotelian logic had a special status within Islamic culture, since works from
the Aristotelian Organon were among the first to be translated into Arabic in the
eighth century.1 In the 9th and 10th centuries, the translation movement from Greek
into Arabic expanded and reached its peak, both in quality and quantity of works
with remarkable professionalism that distinguished the translators. Shortly after
the translation of the Organon was completed in the 10th century, the science of
logic began to penetrate into Islamic sciences, such as grammar, principles of
jurisprudence (uṣūl l-fiqh), and Kalām; and consequently, influence them pro-
foundly.2 Yet, such interaction between Aristotelian and Stoic logic, on one hand,
and Islamic sciences, on the other, was controversial among the Muslims. The
opponents of logic expressed reservations about the effectiveness of this foreign
science since it was not invented by Muslims, but rather by a pagan philoso-
pher (Aristotle). The proponents of logic, or of parts of its discussions, however,
felt a strong need to make use of it since it provided them with techniques that
added a rational dimension to their theological inquires and arguments. As to the
science of Kalām, logic has provided this science with another element, which
is to defend faith from the attacks of the opponents, whether they were theolo-
gians of other religions or Muslims belonging to different Kalām sects.3 Gutas
states that the Topics (al-Jadal), which is one of the books that constitutes the
Aristotelian Organon, was first translated into Arabic at the request of the caliph
al-Mahdī (d. 785) because of its connection to the content of the art of dialectic,
and this was at a time when Muslims were in need of such a science, especially in

1 See Ahmad Ighbariah, “Grammatical Features in Ibn al-Muqaffaʿ Categories,” JSAI 43 (2016),
251.
2 See about the interaction between logic and Islamic sciences: Tony Street, “Arabic Logic,” in
Handbook of the History of Logic, Vol. I: Greek, Indian and Arabic, ed. by Dov M. Gabbay & John
Woods (Amsterdam: Elsevier, 2004), 554–9.
3 It is appropriate to distinguish between logic in the Aristotelian or Stoic sense, and the logical
structure of arguments presented by Kalām thinkers, for among those thinkers there were those
who opposed Aristotelian logic, yet, on the other hand, they presented arguments that had a log-
ical structure. See Josef Van Ess, “The Logical Structure of Islamic Theology,” in Logic in Classical
Islamic Culture, ed. by G.E. von Grunebaum (Wiesbaden: Harrassowitz, 1970), 22.

https://doi.org/10.1515/9783110588576-008
The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example 133

their debates with non-Muslim theologians, or even in internal disputes between


Muslims themselves.4 The interest of the caliphs in Greek philosophy and logic
reached its peak during the reign of al-Maʾmūn (813–833), who firmly sup-
ported the translation movement and even directed the House of Wisdom (bayt
al-ḥikma) to serve this purpose. Al-Maʾmūn himself was a Muʿtazilī scholar who
believed in the ability of reason more than traditional texts. This same caliph was
interested in Aristotelian logic and thought, like many other Muʿtazilī thinkers,
to strengthen and defend faith by making use of it. In this context, Madkour
writes that the first generation of Muʿtazilī thinkers proved an extraordinary
ability in debates against their opponents, even though, at this point, the science
of dialectic was not mature enough, taking into account its dependence on rhet-
oric and literature.5 Madkour adds that the appearance of the opponents of the
Muʿtazila, namely the Ashʿariyya, was a turning point in the relationship between
logic and Kalām, since Al-Ashʿarī (d. 936) himself was exposed to Aristotelian
Organon and made use of the science of dialectics in a systematic manner.6 This
tendency was developed in the writings of the later Ashʿarī scholar, al-Ghazālī
(d. 1111), who was the most prominent among the Ashʿariyya.7 Al-Ghazālī who
was known for his famous attack against philosophy and for accusation philos-
ophers of heresy, disconnected logic from philosophy and referred to logic with
sympathy, especially the formal parts of it.8 Al-Ghazālī chose to open his book
on the principles of jurisprudence, Al-Mustaṣfā, with an introduction about logic
that he referred to as a tool that should be a preface to all sciences. Later, this
process became a tradition in the writings of many other Ashʿarī scholars who
adopted and developed it. Fakhr ad-Dīn ar-Rāzī (d. 1210) was a good example of
this approach since in his writings logic was treated as an integral part of theo-
logical discussions.9 From ar-Rāzī on, Aristotelian logic, with a certain modifi-

4 Dimitri Gutas, Greek Thought, Arabic Culture (New York: Routledge, 1998), 61–9. See more about
debate techniques used by Kalām’s thinkers: Van Ess, “Logical Structure,” 23.
5 Ibrahim Madkour, L’Organon d’Aristote dans le Monde Arabe (Paris: Vrin, 1969), 251–2. Van Ess
points out that at this stage of Muʿtazila’s Kalām, the logical arguments were based on stoic logic:
Van Ess, “Logical Structure,” 32.
6 Madkour, L’Organon, 252–3.
7 See about al-Ghazālī’s attitude to logic: Khaled El-Rouayheb, “Theology and Logic,” in Oxford
Handbook of Islamic Theology, ed. by Sabine Schmidtke (Oxford: Oxford University Press, 2016),
411–4.
8 See about the detachment of logic from philosophy and its implications on Islamic sciences:
Nicholas Rescher, The Development of Arabic Logic (London: University of Pittsburgh Press,
1964), 59–63.
9 Madkour, L’Organon, 254.
134 Ahmad Ighbaria

cations and adaptations; became an essential formative element that preceded


many of the theological works. Yet, this does not mean that the process of inter-
nalizing the Aristotelian logic within Islamic Kalām did not involve a strong
opposition that accompanied this process in certain stages. Scholars of the
Sunni Orthodox stream were those who strongly opposed logic more than any
other stream. Ibn aṣ-Ṣalāḥ (d. 1245), for instance, was one of the scholars of this
stream who published a famous fatwā forbidding the use of logic.10 However,
the harshest attack on Aristotelian logic was launched by Ibn Taymiyya (d. 1328)
that, unlike al-Ghazālī who limited his attack on philosophy, rejected both phi-
losophy and logic and devoted some of his works to dispute the later, which he
claims has no real benefit, but rather contradicts Islamic faith since the inventor
of this science was Aristotle who came from a pagan background.11 Despite Ibn
Taymiyya’s severe attack, the teaching of logic continued up to the present day
in Sunni religious institutions such as Al-Azhar in Egypt and in Shīʿī institutions
such as Qom in Iran.
In this article, I intend to discuss the works of Ibn Ḥazm who preceded
al-Ghazālī and was a pioneer in combining logic with Kalām. Although Ibn Ḥazm
was not affiliated with the well-known theological groups, Muʿtazila, Ashʿariyya
and Māturīdiyya; he attempted to adapt logic in a way that can fit with his the-
ological discussions. I argue that Ibn Ḥazm’s deviations from the Aristotelian
tradition did not result from a misunderstanding, but rather comprise a con-
scious move that reflects his theological motivation. For Ibn Ḥazm, logic should
be simplified and accommodated to the needs of the believers; it should also
be employed as a tool that can amend the conceptual shortcomings that deny
believers the ability to correctly understand several fundamental issues of belief.
Furthermore, since faith in the Qurʾān is necessary to accommodate logic, and
since the Qurʾān itself has passed to believers through Arabic language, the latter
is also necessary to understand the Holy Writ correctly and to accommodate logic
accordingly.

10 Van Ess, “Logical Structure,” 49; El-Rouayheb, “Theology and Logic,” 423.
11 See for example: Ibn Taymiyya, Ar-Radd ʿalā l-Manṭiqiyyīn, ed. by Rafīq l-ʿUjm, Vol. II (Beirut:
Dār l-fikr l-lubnānī, 1993), 37, 38–9. See also El-Rouayheb, “Theology and Logic,” 416–20.
The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example 135

Ibn Ḥazm and the Organon


Ibn Ḥazm (d. 456/1064) was an Andalusian author, jurist, theologian, historian,
and logician who occupied a distinguished place in Islamic history and culture.12
One of his works as a logician,13 his version of the Organon, was not designed
according to the Baghdad School approach,14 but rather according to a special
interpretation by which Ibn Ḥazm tried to meet the needs of the society he lived
in, from his own perspective.
Ibn Ḥazm’s version of the Organon, entitled At-Taqrīb, is one of his earliest
writings, and greatly influenced his later writings, which deal with other fields of
human science.15 The full title of this work is At-Taqrīb li-ḥadd l-manṭiq wa-l-madḫal
ilayhī bi-l-alfāẓ l-ʿāmmiyya wa-l-amṯila l-fiqhiyya (The approach to the logical defini-
tion and the introduction to it through the common utterances and the jurists’ exam-
ples). This title reveals Ibn Ḥazm’s intention to simplify logic, liberating it from its
reputation as a difficult science reserved for the select few who are competent to
make use of it. He intended to achieve this objective by simplifying logical termi-
nology and offering examples from jurisprudence and grammar.16 At-Taqrīb con-
tains the following works, some of which have different titles from their parallels
in the Aristotelian Organon, as is demonstrated in the following table:

12 See Roger Arnaldez, “Ibn Ḥazm,” EI2.


13 For further information about Ibn Ḥazm’s contribution to Arabic logic, see Rescher, Develop-
ment, 158–9; Anwar G. Chejne, “Ibn Ḥazm of Cordova on Logic,” Journal of the American Oriental
Society 14 (1984): 57, 64. For more details about his teachers see Joep Lameer, “Ibn Ḥazm’s Logi-
cal Pedigree,” in Ibn Ḥazm of Cordoba: The Life and the Works of a Controversial Thinker, ed. by
Camilla Adang, Maribel Fierro, and Sabin Schmidtke (Leiden: Brill, 2013), 417–28.
14 Some scholars claim that Ibn Ḥazm became acquainted with Aristotelian logic through
this school. See Rafael Ramón Guerrero, “Aristotle and Ibn Ḥazm: On the Logic of the Taqrīb,”
in Ibn Ḥazm of Cordoba: The Life and the Works of a Controversial Thinker, ed. by Camilla
Adang, Maribel Fierro, and Sabin Schmidtke (Leiden: Brill, 2013), 413–4; Lameer, “Ibn Ḥazm,”
421, 425–7.
15 Samuel M. Behloul, “The Testimony of Reason and Historical Reality: Ibn Ḥazm’s Refutation
of Christianity,” in Ibn Ḥazm of Cordoba: The Life and the Works of a Controversial Thinker, ed. by
Camilla Adang, Maribel Fierro, and Sabin Schmidtke (Leiden: Brill, 2013), 465. For an approxi-
mate dating of the composition of this work, see Chejne, “Ibn Ḥazm,” 57, 64.
16 In this sense, it is plausible that Ibn Ḥazm’s approach had influenced Al-Ġazālī (d. 1111), who
was interested in logic as a tool that helps attain a better understanding of the principles of law
(uṣūl l-fiqh). See, for example, Abū Ḥāmid l-Ġazālī, Al-Mustaṣfā min ʿilm l-uṣūl, ed. by Muḥammad
Sulaymān Aškar, Vol. I (Beirut: Muʾassasat ar-risāla, 1997), 45. See also Chejne, “Ibn Ḥazm,” 61.
136 Ahmad Ighbaria

Ibn Ḥazm (At-Taqrīb) Aristotle (Organon)

Al-Madḫal ilā l-manṭiq aw īsāġūjī (Introduction to logic or Eisagoge) Eisagoge (Porphyry)

K. l-Asmāʾ l-mufrada (Book of simple nouns) Categories

K. l-Iḫbār wa-huwa l-asmāʾ l-majmūʿa ilā ġayrihā wa-tusammā


17
On interpretation
l-murakkaba wa-huwa l-musamma fī-l-luġa l-yūnāniyya barī armīnyās
(The informative book about nouns that are combined with others and
called ‘composite’; in Greek they are called “barī armīnyās”)

K. l-Burhān (Book of demonstration)18 Prior analytics


Posterior analytics
Topica
Sophistical refutations

K. l-Balāġa (Book of eloquence)19 Rhetoric

K. aš-Šiʿr (Book of poetry) 20


Poetics

The special plan of Ibn Ḥazm’s At-Taqrīb evoked scolding responses from some
of the Moslem biographers, who rejected what they took to be a deviation and
misunderstanding of the Aristotelian Organon.21 Ṣāʿid, his contemporary fellow
Andalusian, exhibited this common view:

17 In ʿAbbās’ edition, this is mis-titled as Aḫbār (Traditions); yet this issue lies beyond the scope
of the present discussion.
18 In this book, Ibn Ḥazm combines different sections taken from the Prior Analytics, Topica,
and Sophistical Refutations, in addition to the Posterior Analytics itself.
19 Ibn Ḥazm did not use the celebrated title Al-Ḫiṭāba, which the Muslim logicians who preceded
him had adopted; instead, he adopted the title Al-Balāġa, which refers to literary criticism within
the Islamic context.
20 Notably, the last two compositions (Rhetoric and Poetics) were not included in the Aristotelian
Organon; rather, the Moslem philosophers had added them to it. See a systematic survey of the
logical books that comprise at-Taqrīb in: Chejne, “Ibn Ḥazm,” 64–9.
21 See, for example, Ṣāʿid l-Andalusī, K. Ṭabaqāt l-umam, ed. by Louis Cheikho (Beirut: al-
Maṭbaʿa l-Kāṯūlīkiyya li-l-ābāʾ l-yasūʿiyyīn, 1912), 76; Jamāl ad-Dīn Yūsuf l-Qifṭī, K. Iḫbār l-ʿulamāʾ
bi-aḫbār l-ḥukamaʾ (Beirut: Dār l-āṯār li-ṭ-ṭibāʿa wa-n-našir wa-t-tawzīʿ, n.d.), 156; Yāqūt Ibn ʿAbd
Allāh ar-Rūmī l-Ḥamawī, Muʿjam l-udabāʾ aw iršād l-arīb ilā maʿrifat l-adīb, Vol. III (Beirut: Dār
l-kutub l-ʿilmiyya, 1991), 547. Ibn Ḥazm’s disciple, al-Ḥamīdī (d. 1095), is an exception, as he
describes his teacher as a unique intellectual in his At-Taqrīb: Muḥammad Ibn Abī Naṣr Futūḥ
Ibn ʿAbd Allāh l-Azdī l-Ḥamīdī, Jaḏwat l-muqtabas fī ḏikr wulāt l-Andalus (Cairo: ad-Dār l-miṣri-
yya li-t-taʾlīf wa-t-tarjama, 1966), 308. See also Chejne, “Ibn Ḥazm,” 64; Street, “Arabic Logic,”
561. Rescher claims that Ibn Ḥazm was one of few philosophers who had the courage to criticize
Aristotle (Rescher, Development, 159).
The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example 137

[Ibn Ḥazm] disagreed with Aristotle, the founder of this science [i. e., logic], in some of his
principles in such a manner that [revealed] misunderstanding of his aim and lack of skill
in his writings. As a result, his book [i. e., At-Taqrīb] was full of mistakes and its errors are
obvious.22

It is not difficult to see why At-Taqrīb was met with such an unwelcome response,
as the work differs from the traditional Organon in many ways.23 Ibn Ḥazm’s treat-
ment of the Categories—under the title K. l-Asmāʾ l-mufrada (The book of simple
nouns)—contains many examples for his deviation from the typical Peripatetic
approach.24 The Aristotelian categories of ‘when,’ ‘where,’ ‘state,’ ‘having,’ and
‘quantity’ comprise good illustrations of such deviation. For example, his treat-
ment of the category of “quantity” deviates from the parallel category in Isḥāq’s
translation of the Categories. Isḥāq’s translation of the division of quantity is as
follows:

As to quantity, part of it is discrete and part of it is continuous … an example of the discrete


part is number and speech,25and of the continuous [is] line, plane and body, as well as all
that is surrounding them, [i. e.,] time and place.26

Sībawayhi explains grammatically the concept of “quantity” as follows:

If someone said to you: ‘How many do you have?’ He asked you about a [certain] number,
because ‘How’ (kamm) here is a question about a number. Then the one who answers
should say [for example]: ‘twenty,’ or [any other number] he wants.27

22 Ṣāʿid, Ṭabaqāt l-umam, 76.


23 See more about this point in Ramón Guerrero, “Aristotle and Ibn Ḥazm,” 410–11.
24 Unlike Ibn Ḥazm who tried to give an Islamic interpretation to the Organon in general and to
the Categories in particular, both Ibn Sīnā (d. 1037) and Ibn aṭ-Ṭayyib (d. 1043), who preceded Ibn
Ḥazm and lived simultaneously, tried each in his own way to continue the Aristotelian tradition
and follow the interpretations of the Hellenistic commentators. Thus, for example, Ibn Sīnā was
influenced by the interpretation of Simplicius (d. ca. 560), while Ibn aṭ-Ṭayyib was influenced by
Alexander of Aphrodisias (who was active during the late second and early third century) and
Porphyry (d. 309). See: Alexander Kalbarczyk, “The Kitāb al-Maqūlāt of the Muḫtaṣar al-awsaṭ fī
l-manṭiq: A Hitherto Unknown Source for Aristotle’s Categories,” Oriens 40 (2012) 312–14; Cleop-
hea Ferrari, Der Kategorienkommentar von Abū l-Farağ ʿAbdallāh Ibn aṭ-Ṭayyib: Text und Unter-
suchungen (Leiden-Boston: Brill, 2006), 76–7 (the page numbers are of the editor’s introduction).
25 Expression is considered discrete since it is composed of different syllables that are separate
from one another.
26 ʿAbd ar-Raḥmān badawī, Manṭiq Arisṭū, Vol. I (Kuwait: Wakālat l-maṭbūʿāt, 1980), 43.
27 Abū Bišr ʾAmr Ibn ʿUṯmān Sībawayhi, Al-Kitāb, ed. by ʿA. S. Hārūn, Vol. II (Cairo: Maktabat
l-ḫānjī, 1966), 157. See also: Abū bakr Ibn as-Sarrāj, Al-Uṣūl fi-l-naḥw, ed. by ʿAbd l-Ḥusayn l-Fatlī,
Vol. I (Beirut: Muʾassasat ar-risāla, 19963), 315.
138 Ahmad Ighbaria

In the Arabic language, ‘quantity’ applies to everything that can be enumerated


entirely by use of numbers, whereas according to the Aristotelian tradition, ‘quan-
tity’ applies to discrete objects (number and speech) and continuous objects (line,
plane, body, time, and place) alike. Thus, since the Arabic grammatical concept
differs from the Aristotelian one, how did Ibn Ḥazm combine the two of them?
Unlike the Aristotelian conception, according to which the characteristic
feature of all quantities is that they can be said to be ‘equal’ or ‘unequal,’ Ibn
Ḥazm calls the category of ‘quantity’ al-ʿadad (the number). He considers ‘the
number’ to be the real quantity (al-kammiyya ʿalā l-ḥaqīqa), which applies to all
kinds of quantities: body, plane, line, place, time, and speech. He explains this
notion as follows:

Of these seven parts, the number alone is the true quantity; it is applicable to the other
mentioned species, it applies to the body through its surface, for each body in the world
has its area and dimensions,28whether small or large, and the area is a number taken as an
accepted measure.29

Ibn Ḥazm explains that all these species, both discrete and continuous, can be
measured using a numerical measurement.30Therefore, from Ibn Ḥazm’s point of
view, the traditional Aristotelian division of quantity into discrete and continuous
is inaccurate. Moreover, Ibn Ḥazm replaced the Aristotelian characteristic feature
of quantity (‘equal’ and ‘unequal’), with a more specific feature; namely, measure-
ment by means of numbers. By applying such a measurement, Ibn Ḥazm adapted
the category of ‘quantity’ into the Arabic linguistic framework, whereby quantity
is any matter involving a particular number.
In dealing with categories such as ‘quantity,’ Ibn Ḥazm had two objectives:
to contribute to the debates between the grammarians and the logicians taking
into consideration that the category of ‘quantity’ has the two aspects, logical and
grammatical;31 and his personal project whose goal was to simplify logic and

28 The origin in singular: ḏarʿ.


29 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb li-ḥadd l-manṭiq,” in Rasāʾil Ibn Ḥazm, ed. by Iḥsān ʿAbbās, Vol. IV
(Beirut: Al-Muʾassasa l-ʿarabiyya li-d-dirāsāt wa-n-našir, 1983), 146. Compare with Plotinus, The
Enneads, tr. by Stephen Mackenna (London: Faber and Faber Ltd., 1969), Ennead VI, Ch. 1, 4–5.
30 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 146–53.
31 In general, Muslim logicians tended to think that logic is universal and deals with concepts,
while grammar is particular and deals with utterances. This topic seems to have occupied the
attention of both logicians and grammarians before Ibn Ḥazm, during the 10th century in par-
ticular; see the well-known debate that took place between the grammarian Abū Saʿīd as-Sīrāfī
(d. 979) and the logician Mattā Ibn Yūnus (d. 940) and was reported by Abū Ḥayyān at-Tawḥīdī
(d. 1023): D. S. Margoliouth, “The Discussion between Abu Bishr Matta and Abu Saʿid al-Sirafi on
The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example 139

bring it closer to the masses through “the common utterances and the jurists’
examples,” in his words. In this sense, Ibn Ḥazm’s project differs from that of
al-Fārābī (d. 950), who not only called for separation between logic and grammar,
as his teacher, Mattā, had done before him, but also sought a separation of terms
belong to both sciences. Al-Fārābī argues that unlike logic, which was designed
for those engaged in philosophy, grammar has common terms (mašhūra) accepted
by the masses.32 Ibn Ḥazm intended to change the elitist status of logical terms by
simplifying them and making them acceptable and suitable to the masses; only
in this light can one understand his interpretation of some categories, like that of
‘quantity.’
Unlike Aristotle and his followers, for Ibn Ḥazm, ‘state’ (nuṣba) is no longer
a category but rather one of the species of the category ‘quality’ (kayfiyya). Ibn
Ḥazm maintains that this term refers to the arrangement of something when it is
contained in a certain place (hayʾat l-mutamakkin fī l-makān).33 The same holds
for ‘having’ (mulk), which is also no longer considered a category and is relegated
to the status of one of the species of the category ‘relation’ (iḍāfa)—character-
ized by its existence between two substances (murakkab min jawhar maʿa jawhar
wa-iḍāfa).34
Ibn Ḥazm was not the first to attempt to reduce the categories to less than
ten. After Aristotle, two main approaches emerged to the interpretation of the
Categories: (1) the Stoic approach offered an alternative to the ten distinct Aristo-
telian categories; instead, they posited a scheme of four categories applicable to

the Merits of Logic and Grammar,” The Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain and
Ireland 37 (1905): 79–129; see, for instance, the comparison that Mattā made between logic and
grammar: “Logic investigates concept[s] while grammar investigates utterance[s]. It is by acci-
dent (bi-l-ʿaraḍ) that a logician encounters an utterance, and it is by accident that a grammarian
encounters a concept” (Ibid., 97–8). For more about the relationship between logic and grammar,
see: Rescher, Development, 40–3; Muhsin Mahdi, “Language and Logic in Classical Islam,” in
Logic in Classical Islamic Culture, ed. by G.E. von Grunebaum (Wiesbaden: Harrassowitz, 1970),
55–83; Gerhard Endress, “The Debate between Arabic Grammar and Greek Logic in Classical
Islamic Thought,” Journal for the History of Arabic Science 1 (1977): 320–22 (English summary),
339–51 (Arabic); Street, “Arabic Logic,” 555–56.
32 Abū Naṣr l-Fārābī, K. l-Alfāẓ l-mustaʿmala fī l-manṭiq, ed. by Muḥsin Mahdī (Beirut: Dār
l-mašriq, 19862), 43.
33 For this category, see Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 170. Compare with Abū Naṣr l-Fārābī, “K.
l-Maqūlāt,” in Al-Manṭiq ʿind l-Fārābī, ed. by Rafīq l-ʿUjm, Vol. I (Beirut: Dār l-mašriq, 1985),
111–12; Aristotle, “Categories,” in The Works of Aristotle, ed. by William Ross, Vol. I (Oxford: Clar-
endon Press, 1966), 2a1–5.
34 For this category, see Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 171. Compare with al-Fārābī, “Al-Maqūlāt,” 113;
Aristotle, “Categories,” 2a1–5.
140 Ahmad Ighbaria

the corporeal part of the world. These categories are subject to a super category,
the ‘thing,’ which applies to the corporeal as well as to the incorporeal realms;35
and (2) the Neo-Platonic approach criticized the other two approaches and offered
two distinct five-category sets—a material set and an intelligible set—based on the
Platonic ontology that divides the world into material and intelligible.36 In Islamic
culture, Ibn l-Muqaffaʿ (d. 756) made the first attempt to reduce the number of
categories to four.37 In contrast to the Peripatetic view, which was adopted by the
school of Baghdad and stressed the categories’ independence from one another,
Ibn l-Muqaffa‘ divides them into primary (‘substance,’ ‘quantity,’ ‘quality,’ and
‘relation’) and secondary (‘state,’ ‘action,’ ‘affection,’ ‘position,’ ‘where,’ and
‘when’). He considers the categories to be hierarchical and even asserted that
the secondary categories are derived from the primary ones; ‘when’ and ‘where’
belong to ‘quantity’; ‘action’ and ‘affection’ to ‘relation’; and ‘having’ and ‘state’ to
‘quality.’38Ibn Ḥazm, on the other hand, makes a different reduction; he attributes
the category of ‘state’ to ‘quality’ but ‘having’ to ‘relation.’ In any case, Ibn Ḥazm,
who viewed the categories with a critical approach to their number, may have
been exposed to the reductionist tradition of the categories through Ibn l-Muqa-
ffa‘, or through other thinkers who appeared after him, like al-Fārābī and Ibn Sīnā
(d. 1037), and attempted to prove that the number of categories should be ten.39

35 See about the theory of categories in Stoic philosophy: F. H. Sandbach, Aristotle and the Stoics
(Cambridge: The Cambridge Philological Society, 1985), 40–2.
36 Plotinus wrote a comprehensive and systematic critique of the Aristotelian theory of catego-
ries. He discussed it in the first three chapters of the sixth Ennead. The first chapter deals with
criticism of the categories of Aristotle and Stoics. In the second chapter, Plotinus surveyed the
categories of the intelligible world, and in the third he dealt with the categories of the material
world: Plotinus, The Enneads, VI, Ch. 1–3.
37 For more about Ibn l-Muqaffaʿ’s treatment of the Aristotelian categories, see Ighbariah,
“Grammatical Features”, 251–71.
38 Ibn l-Muqaffaʿ, Al-Manṭiq li-Ibn l-Muqaffaʿ wa-ḥudūd l-manṭiq li-Ibn Bihrīz, ed. by Muḥammad
Taqī Dānišpaẓūh (Tehran, 1978), 20. Compare with The Brethren of Purity: Iḫwān aṣ-Ṣafā, Rasāʾil
iḫwān aṣ-ṣafā, Vol. I (Qom: Maktab l-iʿlām l-islāmī, 1405 hijra), 410.
39 Al-Fārābī is methodical in his opposition to the rejecters of the Aristotelian theory of the cat-
egories – notably to the skeptics, who try to reduce the number of categories to less than ten. As
he demonstrates, the objectors to the Peripatetics present categories in themselves (bi-ḏātihā) as
if they were categories in relation (bi-l-iḍāfa) to something, and thus apparently show that they
are unnecessary or can be subjected to other categories. See, e. g., Al-Fārābī, Kitāb l-Ḥurūf, ed. by
Muḥsin Mahdī (Beirut: Dār l-mashriq, 20043), 92–5. Yaḥyā Ibn ‘Adī (d. 974) provides two demon-
strations to prove that the number of categories is ten. He rejects the view that existence is a cat-
egory—a view that originates from the attempt to use the ontological concept ‘existence’ (wujūd)
instead of the logical concept ‘genus’ (jins). Ibn ‘Adī dedicates two treatises to discuss the number
of the categories; Fī anna l-ʿaraḍ laysa huwa jinsan lit-tisʿ l-maqūlāt l-ʿaraḍiyya and As-sabab fī
The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example 141

The categories of ‘quantity,’ ‘when,’ ‘where,’ ‘state,’ and ‘having’ comprise


just a few examples that explain the Moslem biographers’ reproach of what they
perceived as Ibn Ḥazm’s crude misunderstanding of Aristotelian logic.40 If indeed
his deviations were errors, the critique is well justified. However, in this study I to
suggest that Ibn Ḥazm is quite aware of what he is doing, and that his deviations
from the common Aristotelian approach are deliberate. They are to be understood
as creative revisions in tune with Ibn Ḥazm’s unique approach to language and
his theological agenda in general.

The Nominalistic Method


The 11th century Andalusian society, Ibn Ḥazm writes, witnessed a deep intel-
lectual crisis stemming from a sharp divide between two dominant intellec-
tual movements. One movement was attached to ‘the sciences of the Ancients’

wujūd l-maqūlāt ʿašran. See more about these two works in Saḥbān Ḫlīfāt (ed.), Maqālāt Yaḥyā
Ibn ‘Adī l-falsafiyya (Amman: Manšūrāt l-jāmiʿa l-ʾurduniyya, 1988), 144–47; 180–81. Ibn Sīnā
rules out the possibility that existence is a category, while also rejecting the possibility that acci-
dent (ʿaraḍ) and movement (ḥaraka) are categories. Furthermore, he provides a demonstration
for the number of categories being ten. See about the three above-mentioned concepts (existence,
accident, and movement) in Ibn Sīnā with relation to the number of the categories: Ibn Sīnā, “Al-
Maqūlāt,” in Aš-Šifāʾ, ed. by Ibrāhīm Madkūr and others, Vol. X (Cairo: Al-Hayʾa l-ʿāmma, 1959),
60–2, 65–6, 271–73; Jon McGinnis (tr.), The Physics of the Healing, Books I (Provo, Utah: Brigham
Young University Press, 2009), 128–35.
40 The Aristotelian category ‘when’ (matā) is traditionally understood as referring to that which
comprises specific moment in time, like ‘yesterday’ or ‘next year’ (See Aristotle, “Categories,” 2a1.
Compare with al-Fārābī, “Al-Maqūlāt,” 108–10; and with Ibn Sīnā in his Muḫtaṣar (Kalbarczyk,
“Muḫtaṣar,” 342), where he writes: “‘when’ is neither the time nor a temporal [object]; rather, [it
is] its relation with its time” (inna matā lā az-zaman wa-lā az-zamanī bal nisbatuhu ilā zamānihi).
Under Ibn Ḥazm’s approach, it becomes ‘time’ (az-zamān) in its physical sense, as the measure of
motion that is divided into past, present, and future. For this category, see Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,”
165–7.
The Aristotelian category ‘where’ (ayna) is transformed in an analogical fashion. Whereas the
traditional understanding of this category is ‘being in a certain place,’ Ibn Ḥazm renders it ‘the
place’ (al-makān), namely ‘place’ as a general physical concept, not its categorical one. He does
not discuss this category according to its Aristotelian sense of ‘being in a place,’ but rather as a
mere general place. For this category, see Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 167–70. Compare with Aristotle,
“Categories,” 2a1; Al-Fārābī, “Al-Maqūlāt,” 110–11. Compare also with Ibn Sīnā who states expli-
citly: “‘where’ is neither the place nor an object that occupies a place; rather, the relation of a
certain thing to its place” (al-ayn laysa huwa l-makān wa-lā l-mutamakkin, bal nisbatu l-šayʾ ilā
makānihi): Kalbarczyk, “Muḫtaṣar,” 341.
142 Ahmad Ighbaria

(ʿulūm l-awāʾil)—namely, the Greek sciences—while the other was attached to


‘the science that was brought by the prophet’ (ʿilm mā jāʿat bihi an-nubuwwa)—
namely, the Islamic sciences.41 Ibn Ḥazm’s endeavor can be seen as an attempt to
bridge between the two groups. He was interested in Greek sciences (e. g., logic,
mathematics, and physics) as well as in Islamic sciences (e. g., literature, linguis-
tics, history, theology, and jurisprudence), and expressed the need to reconcile
them. This approach takes a theological-linguistic justification, based on the
verse, “and He taught Adam the names of all things” (Qurʾān, sūra 2, 31). God
Himself created the first language,42 and the first human being to learn it was
Adam. Through Adam, language was passed onto the next generations, and it
developed in various ways in different nations.43 For Ibn Ḥazm, language is a

41 Ibn Ḥazm, “Risālat at-tawqīf ʿalā šāriʿ an-najāḥ bi-ḫtiṣār aṭ-ṭarīq,” in Rasāʾil Ibn Ḥazm, Vol.
III, ed. by Iḥsān ʿAbbās (Beirut: Al-Muʾassasa l-ʿarabiyya li-d-dirāsāt wa-n-našir, 1981), 131; id.,
“Risālat marātib l-ʿulūm”, in Rasāʾil Ibn Ḥazm, ed. by Iḥsān ʿAbbās, Vol. IV (Beirut: Al-Muʾassasa
l-ʿarabiyya li-d-dirāsāt wa-n-našir, 1983), 61–90. For detailed account of the history of science in
Andalusia, see Ṣāʿid, Ṭabaqāt l-umam, 64–87.
42 In his Al-Iḥkām, which is about the principles of Islamic law (uṣūl l-fiqh), Ibn Ḥazm devoted an
entire chapter to discussing the problem of the creation of language: whether language was cre-
ated by God (waqf) or by mutual agreement between people who live in the same society (iṣṭilāḥ).
Ibn Ḥazm adopted the former position, which is based on a transmitted proof (samʿ), namely, the
above-quoted verse (“and He taught Adam the names of all things”); as well as on a necessary
demonstration (burhān ḍarūrī), which is based on human society’s need for language. Ibn Ḥazm
claims that as long as man exists, there is a need for language. For him, this contradicts the doc-
trine about the formation of language as a result of agreement, since this approach assumes the
historical existence of a period in which man had no language. See Ibn Ḥazm, Al-Iḥkām fī uṣūl
l-aḥkām, Vol. I (Beirut: Dār l-ḥadīṯ, n.d), 32–3. See more about theories of creation of language
in Abū l-Fatḥ ʿUṯmān Ibn Jinnī, Al-Ḫaṣāʾiṣ, ed. by Muḥammad ʿAlī an-Najjār, Vol. I (Beirut: Dār
l-hudā li-ṭ-ṭibāʿa wa-n-našir, 19522), 40–7; Abū l-Ḥasan Aḥmad Ibn Fāris, Aṣ-Ṣāḥibī fī fiqh l-luġa
wa sunan l-ʿArab fī kalāmihā, ed. by Muṣṭafā aš-Šwīmī (Beirut: Muʾassasat badrān li-ṭ-ṭibāʿa wa-
n-našir, 1964), 31–4. Mahdi indicated that the question of the formation of language in Islamic
culture was usually taken up in the works of theologians, with the exception being the linguist
Ibn Jinnī (Mahdi, “Language and Logic,” 53, n. 6). See also Haim Blanc, “Linguistics among the
Arabs,” in Current Trends in Linguistics, Vol. XIII: Historiography of Linguistics, ed. by Thomas A.
Sebeok, (The Hague-Paris: Mouton, 1975), 1275.
43 Ibn Ḥazm stated (Al-Iḥkām, Vol. II, 560) that the first person to speak Arabic was Ishmael,
son of Abraham. See also Ibn Fāris, Aṣ-Ṣāḥibī, 34. In his al-Milal, Ibn Ḥazm added that perhaps
Arabic was the language that Adam learned from God (Ibn Ḥazm, Al-Faṣl fī-l-milal wa-l-ahwāʾ
wa-n-niḥal, ed. by Muḥammad Ibrāhīm Naṣr and ʿAbd ar-Raḥmān ʿUmayra, Vol. V [Jadda and
ar-Riyāḍ: Šarikat maktabāt ʿuqāẓ, 1982], 138).
The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example 143

collection of nouns (asmāʾ) that indicate named objects (musammayāt) or certain


meanings that we intend to communicate.44
As a result of God’s grace, people are able to discern different things in the
world, assigning a specific name to each of them (maʿrifat wuqūʿ l-musammayāt
taḥta l-asmāʾ). According to this understanding, the nominal difference between
existents is a function of their logical-ontological difference, since only language
is capable of expressing the differences between different existents or between
different modes of the same existent. In other words, he who knows how to distin-
guish between attributes and essences of things knows how to distinguish between
the nouns that denote them.45 Ibn Ḥazm fashions the connection between nouns
and their objects in very strong terms, indeed even claiming that the corruption
of certain things leads to the corruption of their corresponding nouns.46 When
referring to the nations who preceded the Moslems, and the works they composed
in different languages, he states that they employed different nouns to indicate
the same objects.47 Thus, the meaning is one for every nation, and the difference
between them is purely linguistic. In a sense, faith is a matter of understanding
the language, because language is the guarantee for understanding the intentions
of God; whoever misunderstands language will misunderstand God’s intentions.
For Ibn Ḥazm, it was God who gave names to existents that he created; and
when He gives the name of a certain existent, it becomes its real name (ism ḏālik-
š-šayʾ ʿalā-l-ḥaqīqa).48 All existents that God created are divided into substances
and accidents, but in terms of their modes of manifestations they can be classified
into four levels (marātibuhā fī wujūh l-bayān ʾarbaʿa):49
1. The external existence of objects, which should be a real existence to enable
their exploration.
2. The mental existence of things that allows the mind to characterize and order
them and provide information about them.

44 Ibn Ḥazm, Al-Iḥkām, Vol. I, 46; id., “Tafsīr alfāẓ tajrī bayna l-mutakallimīn fī-l-uṣūl,” in
Rasāʾil Ibn Ḥazm, ed. by Iḥsān ʿAbbās, Vol. IV (Beirut: Al-Muʾassasa l-ʿarabiyya li-d-dirāsāt wa-
n-našir, 1983), 411.
45 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 94. See also id., Al-Milal, Vol. V, 194.
46 For example, he defined ‘nature’ (ṭabīʿa) as “[a set of] attributes that exist in a thing by which
it exists as such, they perish just when it is corrupted and its name is cancelled” (Ibn Ḥazm,
“Tafsīr,” 416).
47 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 107, 112. Assumedly, Ibn Ḥazm had some knowledge of Latin, which
was common in his contemporary whereabouts. He even made some comparisons between Latin
and Arabic. See for example Ibid., 110, 153, 156. See also Chejne, “Ibn Ḥazm,” 70, note 162.
48 Ibn Ḥazm, “Tafsīr,” 410.
49 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 95.
144 Ahmad Ighbaria

3. The phonetic linguistic existence of things, whose function is to deliver infor-


mation through speech.
4. The written existence of things, which delivers information to those who
cannot be spoken to directly.50

Any move that is made from the first to the second level is involves the use of
logic, which transfers the existents into concepts; it arranges them and refers to
the logical relationships existing between them. The transition from the second
level to the third and fourth levels is accomplished through the use of language,
which embraces the concepts and transfers them to others—be it orally or in a
written mode. Under Ibn Ḥazm’s model, logic is transferred to others through lan-
guage. Moreover, in the transitions between the different levels, errors in logic or
language can be made; such errors can lead to a false explanation of the existents
of the world. However, since the Ibn Ḥazm’s worldview was subjected to his faith,
he attempted to adapt the Organon according to the demands of religion. From
this particular outlook, Ibn Ḥazm overlooked the Aristotelian logic, but since the
Organon was passed to him through the Arabic language, where necessary he
sought to correct it and to make it accurate. Ibn Ḥazm claimed that Aristotle’s
Organon has its benefits, but not all people could access or understand it.51 Some
Moslem scholars, he wrote, had a defective understanding of the Organon, and
their shortcomings yielded a negative effect both on Islamic sciences—e. g., on
the interpretation of the Qurʾān, the prophetic traditions (ḥadīṯ), and jurispru-
dence—and on other language-oriented sciences such as grammar and litera-
ture.52 Ibn Ḥazm stressed that the science of logic is beneficial for understand-
ing all the other sciences, since each of these sciences has a linguistic basis.53 In
his opinion, the correspondence between the nouns (asmāʾ) and the things they
denote (musammayāt)54 in each of these sciences guarantees a certain truth; this
kind of correspondence, he wrote, comprises the subject matter of the science of

50 Ibid., 95–7.
51 Ibid., 95, 98, 101. See also Ibn Ḥazm, “Šāriʿ,” 131 and Chejne, “Ibn Ḥazm,” 59, 63, 64.
52 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 102–3.
53 He therefore argued (Ibn Ḥazm, “Risālat at-talḫīṣ li-wujūh at-taḫlīṣ,” in Rasāʾil Ibn Ḥazm, ed.
by Iḥsān ʿAbbās, Vol. III [Beirut: Al-Muʾassasa l-ʿarabiyya li-d-dirāsāt wa-n-našir, 1981], 161–2)
that acquiring of the language sciences is obligatory for every Moslem, and one who does not ac-
quire it does not know one’s religion. Compare with Ibn Fāris, Aṣ-Ṣāḥibī, 64–6. See also Behloul,
“Testimony,” 469–70.
54 For these two linguistic terms and their theological implications, see Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol.
V, 135–45.
The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example 145

logic.55 Logic prepares the scholar and provides tools that ensure he achieves true
correspondence between nouns and the things they denote to the point of cer-
tainty; namely, the correct understanding of language. In Ibn Ḥazm’s understand-
ing, this kind of truth has an objective existence external to man, since it was
predetermined by God, but many thinkers deviated from its path when they inter-
preted it subjectively.56 This subjectivity has led Moslem scholars astray, causing
misunderstandings and disagreements; the objective way leads to a single, certain
truth. Accordingly, the interpretation that Ibn Ḥazm suggested, labeled ẓāhirī
interpretation, demands adherence to the literal meaning (maʿnā ẓāhir) of the
Qurʾān and the inherited traditions, as well as avoidance of any hidden meaning
(maʿnā bāṭin).57 Thus, the ẓāhirī interpretation of texts leads to a correct under-
standing of the language and ensures the correspondence between nouns and the
things they denote. Moreover, the interpreter must deny any interpretation that
deviates from the original literal meaning.58 This does not mean that Ibn Ḥazm
opposed the use of metaphor (majāz); as long as such use is undertaken according
to the principles of faith, it is a legitimate.59
Through this perspective, Ibn Ḥazm maintained that one must read and
revise Aristotle’s Organon through the lens of the Arabic language.60 His exam-
ination and revision of the Arabic terminology of the Organon reflect this
approach. Ibn Ḥazm complained that the Organon was translated into an elitist
Arabic, which is not clear enough and reveals the weakness of the translators.61

55 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 102.


56 Arnaldez, “Ibn Ḥazm,” 792, 793.
57 Ibn Ḥazm, Al-Iḥkām, Vol. I, 301–6. For the ẓāhirī school in Islamic law see: Abdel-Magid Turki,
“Aẓ-Ẓāhiriyya,” EI2.
58 For Ibn Ḥazm’s opposition to metaphor, see Ibn Ḥazm, Al-Iḥkām, Vol. I, 437–45.
59 Ibn Ḥazm defined “majāz” (metaphor) in Tafsīr as follows: A metaphor “[i]n religion is all
[expressions] of language that were transferred by God or the Prophet from their subjects… never
accept from someone that a text is metaphorical unless he proves it by means of another text that
he brings or by undoubted consensus or necessary perception; just then will it be considered
real” (Ibn Ḥazm, “Tafsīr,” 410).
60 For example, in his book Al-Iḫbār, which parallels Aristotle’s On Interpretation, Ibn Ḥazm did
not accept the tripartite division of speech into ism, fiʿl and ḥarf. Rather, he adopted a division
that is more suitable to the structure of Arabic sentences (ism and kalima), in which the meaning
of kalima is naʿt (adjective): Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 187, 189. Compare with the view of Al-Fārābī,
who demanded that Arabic grammar be contemplated through the approach of Greek grammar
(Al-Fārābī, Alfāẓ, 42).
61 Compare the position of the grammarian As-Sīrāfī, who also referred to the weakness of the
translators: Margoliouth, 104.
146 Ahmad Ighbaria

Furthermore, he argued for a need to simplify the language of logic in order to


enable the masses to understand the Organon—and hence, to understand works
from other sciences.62
Contrary to others, who had rejected logic altogether, Ibn Ḥazm maintained
that a need exists to integrate the science of logic with the Islamic sciences, rather
than separating between them.63 This perspective is expressed in the full title of
his version of the Organon: The approach to the logical definition and the intro-
duction to it through the common utterances and the jurists’ examples.64 As the
title suggests, Ibn Ḥazm intended to discuss the definition, which comprises the
core of the Organon, through a set of expressions and jurists’ examples that can
be understood by the ordinary scholar.65 Indeed, various Quranic verses are men-
tioned repeatedly throughout At-Taqrīb, and this strengthens the impression that
Ibn Ḥazm’s goal is to accommodate Aristotelian logic to the demands of his own
faith.

The Affinity between the Eisagoge, Categories,


and On Interpretation
Ibn Ḥazm’s title for the Categories is elaborate: Al-Asmāʾ l-mufrada wa-huwa awwal
mā badaʾa bihi Arisṭuṭālis min kutubihi, wa-huwa l-musammā fī-l-luġa l-yūnāniyya
qāṭāġūriyās, maʿnāhu l-ʿašr l-maqūlāt (The simple nouns, which was the first book
with which Aristotle began, and its title in Greek is qāṭāġūriyās, which means: the
ten categories).66 From this title we learn that Ibn Ḥazm considered the categories
to be utterances that denote existents or concepts. In this sense, the categories

62 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 100, 103–4. In some of his works, Ibn Ḥazm surveyed common terms
from different sciences and explained them according to common sense. See, for example, Ibn
Ḥazm, “Tafsīr,” 409–16; Al-Iḥkām, Vol. I, 38–51. For his views about science, education, and the
hierarchy between sciences, see id., “Marātib.” Compare with Ibn Rušd, who adopted a different
outlook, advocating an educational separation between different classes within the same society
(Ibn Rušd, Faṣl l-maqāl fīmā bayna l-ḥikma wa-š-šarīʿa min ittiṣāl, ed. by Muḥammad ʿAmāra
[Cairo: Dār l-maʿārif, 19832], 58–62).
63 Chejne, “Ibn Ḥazm,” 57–8, 62. Compare with al-Ġazālī in his al-Mustaṣfā, in which he claims
that the knowledge of one who is not well versed in the science of logic cannot be trusted. See
Al-Ġazālī, Al-Mustaṣfā, 45.
64 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 93.
65 Chejne, “Ibn Ḥazm,” 62, 63; Arnaldez, “Ibn Ḥazm,” 794.
66 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 134.
The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example 147

are linguistic forms that may change when moving from one language to another,
since every language has its own distinctive characteristics. Ibn Ḥazm attempted
to exhibit a linguistic connection between the Categories, the Eisagoge, and On
Interpretation. Only through language can these three books be accessed; the Eis-
agoge deals with words as universals, the Categories deals with words as supreme
genera, while On Interpretation deals with words as they comprise different kinds
of propositions. The latter also received an elaborate title: The informative book
about nouns that are combined with others and called ‘composite’; in Greek they
are called “barī armīnyās.”67
A linguistic connection exists between the Categories and On Interpretation,
as the one deals with simple expressions while the other deals with composite
ones. In both books, Ibn Ḥazm insisted on mentioning the Greek title alongside
the parallel Arabic one. Comparing the original title to Ibn Ḥazm’s reveals that the
Arabic ones tend toward a linguistic interpretation. Probably, Ibn Ḥazm’s inten-
tion may have been to highlight the differences between his approach and the
traditional one; Simple nouns is not a translation of the Categories and The inform-
ative is not a translation of barī armīnyās. As mentioned above, correspondence
between the noun and the object it denotes comprised one of Ibn Ḥazm’s goals
in his At-Taqrīb, and this goal is also expressed in the titles he gave to the parts of
the Organon that constitute it.
In his grammarian language, Ibn Ḥazm described the difference between the
simple nouns and the composite ones in a manner reminiscent of the grammari-
ans’ definitions of the declarative sentence (jumla ḫabariyya):

We have already shown that speech is divided into two: simple and composite. The simple
has no use beyond itself, such as your saying: Adam, Zayd, and the likes; [while] the com-
posite provides you with additional information, such as your saying: “Zayd [is] a prince”,
“man [is] an animal,” and the likes.68

The informative sentence is the one that may be judged to be right or wrong and
from which we compose all kinds of syllogisms.69

67 Ibid., 187.
68 Ibid., 136. Compare with the linguist Ibn Fāris, Aṣ-Ṣāḥibī, 179.
69 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 137.
148 Ahmad Ighbaria

Substance and Accident


The section about definitions in At-Taqrīb is so central to the logic of Ibn Ḥazm;
hence, no wonder that he entitled this book At-Taqrīb li-ḥadd l-manṭiq (The approach
to the logical definition). The chapter that discusses definitions is described as a
key to what comes after it (ka-l-miftāḥ limā yaʾtī baʿda hāḏā).70 But before delving
into his discussion about definitions, Ibn Ḥazm drew the reader’s attention to his
theological background, as such a background distinguished him from logicians
who preceded him and tended to follow the Aristotelian tradition with regard to
the theory of substance. Aristotle presented two different meanings of substance
in his Categories and Metaphysics. In the first, he claimed that individual object is
the primary substance, whereas universals are secondary. In his later work, Met-
aphysics, Aristotle abandoned this division and gave form (eidos) the privilege to
be the primary substance after the disqualification of matter and of physical body
for this stature.71 As shown below, Ibn Ḥazm’s interpretation is based on Aristotle’s
Categories rather than on Metaphysics—which he rejected altogether.
According to Ibn Ḥazm, existents are divided into two: God and all His crea-
tures (al-ḫāliq wa-ḫalqihi). God is one, while the creations are characterized by
multiplicity and can be divided into two large groups: substance (jawhar) and
accident (ʿaraḍ). The former is the one that exists in itself and carries the others
(yaqūmu bi-nafsihi wa-yaḥmilu ġayrahu); the latter does not exist in itself, and
should be carried by others (lā yaqūmu bi-nafsihi wa-lā budda min an yaḥmilahu

70 Ibid., 110.
71 The main difference between the two works involves the way the individual object is per-
ceived; while in Categories it is the subject of accidents and secondary substances, in Metaphysics
it is considered a compound of matter and form—which means that it is not primary since it has
two principles prior to it. After rejecting the compound of matter and form as primary substances
and considering them to be substances of a low rank, Aristotle determines that form is the only
primary substance. However, a problem arises as to the status of this form: is it universal or
particular? On one hand it must be universal to reflect all individuals of the species, and on the
other hand it must be particularized because in his Metaphysics Aristotle does not accept the
existence of universals. See a discussion about the change in Aristotle’s position along with the
ontological status of the form, in: Chung-Hwan Chen, “Aristotle’s Concept of Primary Substance
in Books Z and H of the ‘Metaphysics’”, Phronesis Vol. 2, No. 1 (1957): 46–59; Michael Frede, Es-
says in Ancient Philosophy (Minneapolis: University of Minnesota Press, 1987), Ch. 4, 5. See about
Aristotle’s position in the Categories: Aristotle, “Categories,” 2a1–4a22. See also Ackrill’s valuable
comments on this chapter of the Categories: J. L. Ackrill (tr.), Aristotle’s Categories and De Inter-
pretatione (Oxford: Clarendon Press, 1963 [Reprinted 2002]), 81–91. For Aristotle’s position in his
Metaphysics, see in particular: Aristotle, “Metaphysics,” in The Works of Aristotle, ed. by William
Ross, Vol. VIII (Oxford: Clarendon Press, 19282), Z3.
The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example 149

ġayruhu).72These two existents ultimately comprise the ten Aristotelian catego-


ries, yet unlike the Aristotelian tradition that gave them a logical and a universal
status, Ibn Ḥazm treated them as being created by God and endowed upon them a
clear ontological status. As to the substance, for instance, Ibn Ḥazm noted that it
can be apprehended only through the mediation of the qualities that accompany
it; since substance as such cannot be seen, tasted, felt, and smelled, and the only
way to notice a substance is through its colors, tastes, feel, and smells, if these
qualities disappear nothing can be noticed.73
We learn about a substance through the qualities that accompany it; if we
see a certain color move from one place to other, we recognize that the substance
that carries it has moved from one place to other as well; likewise, when we see
the color resting somewhere, we recognize that the substance lies in the same
place.74We perceive color through the sense of sight, and we perceive the other
features of the substance through the other senses. For Ibn Ḥazm, these senses
are connected with the soul, and they pass to it the sensory data.75Yet, Ibn Ḥazm
noted that these qualities do not exist in all substances with the same intensity;
in some they are strong and in others they are weak or even non-existent. For
example, we cannot taste the stone as we taste different kinds of food.76
These are the two types of existents in our world: the substance that exists in
its own right and the accidents that accompany it. Each of these existents is char-
acterized by features that distinguish it from the rest. These features are ontolog-
ical and not essentialists, as is the case in the Aristotelian tradition.77 Ibn Ḥazm
replaced the Aristotelian concept of ‘differentia’ (faṣl) and called the feature that
characterizes a certain existent ‘nature’ (ṭabīʿa). Each existent has its own nature
that characterizes and distinguishes it from the rest of existents; therefore, a don-
key’s nature, for instance, does not change and does not become that of a human
(lā sabīl ilā iḥālat ṭabʿ l-ḥimār ilā ṭabʿ l-insān al-batta).78In his Tafsīr alfāẓ, Ibn
Ḥazm defines ‘nature’ as follows: “existing features in a certain object through

72 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 111. See also 121. Compare with Aristotle’s position in his Categories:
Aristotle, “Categories,” 2a13–2a19. See also: Frede, Ancient Philosophy, 73.
73 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 121.
74 Ibid., 158.
75 Ibid., 157.
76 Ibid., 121. See also a detailed account about quality: 156–61.
77 The Aristotelian tradition distinguished between the essence and the existence of a specific
object, with each one of these two modes taking on a different significance. For example: “the
meaning of what is a man and the meaning of his existence are different” (Badawī, Manṭiq Arisṭū,
Vol. II, 443). The definition seeks to know the essence of the object (mā huwa aš-šayʾ): Ibid., 434.
78 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 128.
150 Ahmad Ighbaria

which it exists according to its mode, only after its corruption do they vanish
from it.”79
Here lies a big gap between Ibn Ḥazm’s concept of ‘nature’ and the Aristotelian
concept of ‘essence.’ The latter involves a concept being shaped by the mind as a
result of a mental apprehension of the essential features of the object, and since
these features are universal, so is their very essence. As for Ibn Ḥazm’s concept of
‘nature,’ it is clearly a physical one, since it has a real existence in the object, it
can be vanished when the object is vanished, and it has no universal status. This
difference between Ibn Ḥazm’s ‘nature’ and the Aristotelian ‘essence’ is important
also in understanding the concept of ‘definition’ in both views, since the role of the
definition is to indicate the characteristic feature of the defined object.80 Ibn Ḥazm
claimed that this feature should be the nature of what is being defined:

It is necessary to define anything underneath the Exalted Creator by descriptive or logical


definition (marsūman maḥdūdan), because there must be some meaning that distinguishes
its nature from others.81

The difference between a descriptive and logical definition is that the former is
able to indicate what distinguishes the defined object from others, while the latter
is able to indicate its physical nature.82The nature of the object is created, as is the
object itself, and all what was created by God will be vanished one day.83

79 Ibn Ḥazm, “Tafsīr,” 416.


80 See, e. g.,: Aristotle, “Metaphysics,” Z4.
81 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 112.
82 For the two definitions and the differences between them, see: Ibn Ḥazm, “Tafsīr,” 413. The
issue of definition preoccupied the logicians before Ibn Ḥazm. Al-Fārābī (d. 950), for instance, re-
gards the logical definition (ḥadd) as the most perfect type of definition, in that it ensures access
to the essence (māhiyya) of the definiendum, whereas the nominal definition (lafẓ) is the lowest
definition because it distinguishes the definiendum by stating its name only (Al-Fārābī, Kitāb
l-Burhān, ed. by Majīd Faḫrī [Beirut: Dār l-mashriq, 1987], 45. See also: Al-Fārābī, Kitāb l-Ḥurūf,
100–101). Between the logical and the nominal definitions, there is a third type called the descrip-
tive definition (rasm), whose function is to distinguish the definiendum by stating its accidents
(Al-Fārābī, Kitāb l-Ḥurūf, 169. See more about definitions in al-Fārābī: Ilai Alon and Shukri Abed,
Al-Fārābī’s Philosophical Lexicon, Vol. I [Cambridge: Cambridge University Press, 2007], 66–71).
After Ibn Ḥazm—more specifically, during the ‘post-classical period’—some scholars began to
criticize the concept of “logical definition” (ḥadd) along with the claim that this type of definition
has the ability to perceive the essence of the definiendum. Ibn Taymiyya (d. 1328) exemplified
this approach; although he rejected the logical definition (ḥadd), he was willing to endorse the
nominal (ism) and the descriptive (rasm) ones, noting their role as distinguishing between things
(see: Ibn Taymiyya, Ar-Radd, 42, 63, 92).
83 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 113.
The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example 151

Ibn Ḥazm presented an example for the difference between logical and
descriptive definitions. He defined man as “a body that can be colored and has
a rational soul that lives and dies” (al-jasad l-qābil lil-lawn ḏū an-nafs an-nāṭiqa
l-ḥayya l-mayyita).84
Notably, this definition differs from the well-known Aristotelian definition
(man is a rational animal). In Ibn Ḥazm’s definition, the colored body empha-
sizes the physical nature of man, while the rational soul has a physical status
(as explained below). The role of this dualism is to point out that man consists of
two entities—a physical body and a rational soul—and according to the Islamic
theological view, man’s existential status in this world is temporal. This, then, is
the nature of man; he is a mortal who has a colored body and a rational soul that
belongs to it and would die in the sense that it leaves the body after death, but
it will continue to exist afterwards.85 Moreover, Ibn Ḥazm added that one cannot
omit the attribute ‘mortal’ from the definition of man, since such an omission
may make the definition more general and allow it to include creatures that are
“rational animals” (ḥayya nāṭiqa) like angels and jinn.86 For this reason, Ibn
Ḥazm stated that “when rationality and mortality are removed from man, he will
not be man at all.”87
Notably, this was Ibn Ḥazm’s view about the logical definition (al-ḥadd) of
man. This leads to the question, what is the difference between this definition and
the descriptive one (ar-rasm)?
Ibn Ḥazm answered that the descriptive definition cannot indicate the nature
of man, i. e., his mortality (qābiliyyat l-mawt) and his rational soul, but rather is
limited to indicating what distinguishes man from other creatures, like defining
him as laughing or crying (aḍ-ḍaḥḥāk wa-l-bākī). A definition of this type may
distinguish man from the rest of creatures, but it is unable to indicate his true
nature.88

Ibn Ḥazm’s Theory of Substance


Ibn Ḥazm examined the concept of ‘substance’ and attempted to interpret it in
accordance to his theological system. In many cases, the Aristotelian and the

84 Ibid.
85 Ibid., 124.
86 Ibid., 114.
87 Ibid., 129.
88 Ibid., 113.
152 Ahmad Ighbaria

Neo-Platonism traditions dealt with God as a substance or as a pure intellect that


lacks any sort of materiality and is not present in any subject.89In Ibn Ḥazm’s
opinion, the name of God (‘substance’) was adopted later by different philoso-
phies and religions.90Is the definition of substance that appears in Aristotle’s Cat-
egories applied to the concept of “God” as perceived in the Islamic tradition that
Ibn Ḥazm aimed to represent?91
Ibn Ḥazm defined substance as follows: “It is what exists in itself and is
capable of admitting contraries (al-qāʾim bi-nafsihi l-qābil lil-mutaḍāddāt).”92 At
first glance, this definition looks identical to the definition of the primary sub-
stances presented by Aristotle.93 And it is intended to emphasize a clear goal;
namely, that Ibn Ḥazm accepts primary substances, but rejects secondary ones
(genus and species)—as is discussed later in this paper. The traditional defini-
tion provided in Isḥāq’s translation, which is identical to Aristotle’s definition,
is the following: “It is not said about a certain subject, and it is not present in
any subject” (lā yuqāl ʿalā mawḍūʿ mā wa-lā huwa fī mawḍūʿ mā).94Moreover,
The difference between the two definitions created a difference in philosophi-
cal positions, as is discussed below; hence, it was important to Ibn Ḥazm first
to clarify the definition of substance, or in other words, to adapt the name to
that which is named, in order to ensure the attainment of truth. It seems that his
definition is included in the Aristotle’s definition, but Aristotle’s definition is not
included in his. In other words, Ibn Ḥazm’s definition narrows that of Aristotle
semantically. Ibn Ḥazm ascribes to ancient philosophers (al-awāʾil) the claim that
there are five substances that exist in their own right and listed below the genus
‘substance’: God, matter, form, soul, and intellect.95 Ibn Ḥazm’s definition, in con-

89 Compare with Aristotle, “Metaphysics,” Λ 1. See also: Abū Naṣr l-Fārābī, K. Àrāʾ ʾahl l-madīna
l-fāḍila, ed. by Albīr Naṣrī Nādir (Beirut: Dār l-mašriq, 19862), 46; Ferrari, Ibn aṭ-Ṭayyib, 133 (the
page number is of the Arabic text): “How does Aristotle claim that this individual and sensible
substance is older, better and worthy of substantiality, while he knows that the divine substance
(al-jawhar l-ilāhī), the intellect, and the forms that Plato claims to be, if they exist, they should be
worthy and better in their substantiality than it [i. e., the individual substance]?
90 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 197, 201.
91 Frede raises the possibility that in Aristotle’s Metaphysics, of all the objects that exist in the
world, the concept of ‘substance’ applies to God first and foremost, since He is a pure form. See:
Frede, Ancient Philosophy, 70–1.
92 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 145.
93 Badawī, Manṭiq Arisṭū, Vol. I, 41: “The most appropriate feature of substance is, in being
numerically one and the same, it is able to receive contraries” (awlā l-khawāṣṣ bi-l-jawhar anna
l-wāḥid minhu bi-l-ʿadad huwa bi-ʿaynihi qābil lil-mutaḍaddāt).
94 Badawī, Manṭiq Arisṭū, Vol. I, 36.
95 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 196.
The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example 153

trast, accepts only the soul as a substance, identifying it with the physical body.
For Ibn Ḥazm, only these two substances (the soul and the physical body) exist
in themselves, and only these two are capable of admitting contraries. The soul,
for example, admits the two opposing qualities of ‘knowledge’ and ‘ignorance’
(al-ʿilm wa-l-jahl); so does the body accept, for example, the two opposing qual-
ities of “blackness’ and ‘whiteness’ (al-bayāḍ wa-s-sawād).96In his work Al-Mi-
lal wa-n-niḥal (Religions and Sects), Ibn Ḥazm devoted an entire chapter to deal
with this issue.97He identified the substance with the physical body in the sense
that both are synonymous: “Any substance is a body and any body is a substance
(fa-kull jawhar jism wa-kull jism jawhar), and both are names that have the same
meaning.98
He also added that the definition of the object (it is what exists in itself)
applies only to the body: “We agreed to call body that which exists in itself and
occupies a space.”99 If so, what is the fate of the rest of the concepts (form, matter,
soul, and intellect)?
Ibn Ḥazm answered by dividing the world into two types of objects:

In this world we find [an object that] exists in itself (qāʾiman bi-nafsihi) and [is employed] as
a subject to others, or [an object] that exists in others (qāʾiman bi-ġayrihi) and not in its own,
[namely] … we have agreed to call what exists in itself and occupies space a “body”; and
agreed to call what does not exist by itself an “accident.”100

Following Aristotle’s Categories, for Ibn Ḥazm, objects are divided into two funda-
mental kinds, substance and accident. The substance is what exists by itself, and
the accident is what exists in others. In accordance with this division, Ibn Ḥazm
examines the four mentioned concepts. From his point of view, only the soul is a
substance; it is a subject not a predicate (ḥāmila li-ṣifātihā lā maḥmūla), and if it is
a substance, then it must be a body.101By saying that the soul is composite (murak-
kaba)102and identifying it with the physical body, since both are substances,103
Ibn Ḥazm ascribes to the soul material features. He added that the soul (an-nafs)

96 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 145.


97 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 193–221.
98 Ibid., 196.
99 Ibid., 194.
100 Ibid., 193. See also 194.
101 Ibid., 218.
102 Ibn Ḥazm, Al-Muḥallā, Vol. I (Beirut: Manšūrāt l-maktab at-tijārī, 1933), 5.
103 Ibn Ḥazm devotes a broader discussion to the soul than he does to the other concepts: Ibn
Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 201–21.
154 Ahmad Ighbaria

and the spirit (ar-rūḥ) are synonymous.104Moreover, he stated that the soul exists
in the body, takes place inside it, and has dimensions:

“The soul is a body with a length, width, and depth that occupies a place [in space], it
apprehends [things] and distinguishes [between them], and it rules the body.”105

The soul can be measured like any physical body,106and what applies to the body
also applies to it. According to Ibn Ḥazm, the origin of this position can be found
in the Qurʾān and the prophet’s tradition.107In his book Al-Milal, Ibn Ḥazm quoted
a few verses from the Qurʾān and sayings from the traditions of the prophet that
indicate that after death, the soul passes from our world and lives in happiness or
torture in the other world. He concluded that the soul is made of matter because
it occupies a space, and that accidents such as happiness and torture exist in it108.
This conception of the soul diverges substantially from the two traditional
concepts of Plato and Aristotle. In the former, the soul is a spiritual entity and the
opposite of matter, and it has an eternal nature; and in the latter, the soul is the
form of the body that is corrupted along with the corruption of its body.109
Muslims from the ninth century knew the views of Plato, Aristotle and others
on the soul—as is evident from the Epistle of Isḥāq entitled al-Farq bayna l-nafs
war-rūḥ (On the difference between the soul and the spirit).110Plato and Aristotle
also rejected the materialistic understanding of the soul, but in the same Epistle,
Isḥāq compared between soul and body, claiming that the soul differs from the

104 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 221; Al-Muḥallā, Vol. I, 5–6.


105 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 202.
106 Ibid., 217–21.
107 Ibid., 219–21. See, for example, the verse “There will every soul see [the fruits of] the deeds
it sent before”: Qurʾān, sūra 10, 30.
108 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 220.
109 Despite the difference between Aristotle and Ibn Ḥazm with regard to the nature of the
soul, in his De Anima, Aristotle identifies the soul with substance—and so does Ibn Ḥazm. See:
Aristotle, “De Anima,” in The Works of Aristotle. ed. by William Ross. Vol. III (Oxford: Clarendon
Press, 1930),” 412a 19–12.
110 See more about the definitions of soul in Plato and Aristotle: Ḥunayn Ibn Isḥāq, “Al-Farq
bayn an-nafs wa-r-rūḥ,” in: Maqālāt falsafiyya, ed. by Lwīs Maʿlūf, Ḫalīl ʾidda and Lwīs Shīḫū
(Beirut: Al-Maṭbaʿa l-kāthūlīkiyya, 19112), 127. Compare with parallel definitions in the works of
Plato and Aristotle: Plato, “Phaedo,” in Plato Complete Works, ed. by John M. Cooper (Cambridge:
Hackett Publishing Company, 1997), 79–81; Aristotle, “De Anima,” 412a. Notably, the same
Ḥunayn (d. 877) translated Aristotle’s De Anima into Syrian, and his son Isḥāq (d. 910) translated
it from Syrian into Arabic. See Ibn An-Nadīm, Al-Fihrist (Beirut: Dār l-maʿrifa li-ṭ-ṭibāʿa wa-n-našr,
1978), 351; F. E. Peters, Aristotle Arabus (Leiden: Brill, 1968), 40–1.
The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example 155

body (ar-rūḥ jism wa-n-nafs ġayr l-jism).111Within the theological literature, I


encountered a similar opinion in Al-Juwaynī (d. 1085).112But regarding Ibn Ḥazm’s
comparison between spirit, soul, and matter (presented above), it seems that this
position appeared long before his time, in the doctrines of the Muʿtazilī theo­
logian An-Naẓẓām (d. 845).113 Indeed, this position is very similar to the Stoic
one, which treated the soul as being made from matter.114 Seemingly, in his search
for an alternative to the Aristotelian concept of substance, Ibn Ḥazm was influ-
enced by the anti-Aristotelian tradition of the stoics, which he incorporated into
his material conception of the soul.115
As for the other concepts (form, matter, and intellect), Ibn Ḥazm held that
matter is identical with body, with the difference between them being that matter
is a body that has no form and accidents, and therefore it does not constitute a
different species from body.116 Form and intellect are two accidents, or rather two
qualities: form is a quality since it is the special structure of the substance, and
is by no means a substance.117The intellect is a quality of the soul, because one

111 Ḥunayn Ibn Isḥāq, An-Nafs, 132. Compare with Ibn Qayyim l-Jawziyya, Ar-Rūḥ (Cairo: Dār
nahr an-nīl, 1980), 288–91.
112 Abū l-Maʿālī l-Juwaynī, Kitāb l-Iršād (Beirut: Muʾassasat l-kutub aṯ-ṯaqāfiyya, 19963), 318.
113 Abū l-Ḥasan l-Ašʿarī, Maqālāt l-islāmiyyīn, ed. by Muḥammad ʿAbd l-Ḥamīd. Vol. II (Beirut:
Al-Maktaba l-ʿaṣriyya, 1995), 28; ʿAbd l-Karīm aš-Šahrastānī, Al-Milal wa-n-niḥal, Vol. I (Beirut:
Dār l-kutub l-ʿilmiyya, 19983), 48–9.
114 See about this position A. A. Long, “Soul and Body in Stoicism,” in Stoic Studies (Cambridge:
Cambridge University Press, 1996), 224–49.
115 Opinions similar to those on the nature of the human soul were quite common among Muʿta-
zilite scholars long before Ibn Ḥazm, who indeed was aware of them. Al-Ašʿarī (d. 936) cites one
of the most prominent Muʿtazila scholars, an-Naẓẓām (d. 835) saying: “The spirit is a body and it
is the soul” /ar-rūḥ hiya jism wa-hiya l-nafs: Al-Ašʿarī, Maqālāt l-islāmiyyīn, Vol. II, 28. See also:
Al-Baġdādī, ʿAbd l-Qāhir, Al-Farq bayn l-firaq, ed. Ibrāhīm Ramaḍān (Beirut: Dār l-maʿrifa, 1994),
129–31; Aš-Šahrastānī, Al-Milal wa-n-niḥal, Vol. I, 49. As Horovitz showed long ago, an-Naẓẓām
was one of those who were influenced by the opinions of the Stoics about the materialistic nature
of the soul (Saul Horovitz, “Ueber den Einfluss der Griechischen Philosophie auf die Entwicklung
des Kalam,” in Jahres-Bericht [Breslau: Druck von Th. Sehatzky, 1909] 11–4). An-Naẓẓām’s views
were known to Ibn Ḥazm, who frequently quotes him in his al-Milal on various issues, including
the nature of the human soul—as is obvious in the chapter “On man” (al-kalām fī l-insān). In
this chapter, Ibn Ḥazm divides the scholars into two groups: one maintains that the expression
‘man’ applies to the body (and this is the view of al-ʿAllāf); whereas another group claims that
it applies to the soul (and this is an-Naẓẓām’s opinion). In his conclusion, Ibn Ḥazm writes that
both opinions are acceptable to him (Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 191).
116 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 200.
117 Ibid., 198. The term ‘substance’ here replaces the term ‘physical body.’ Elsewhere, Ibn Ḥazm
expressed reservations about the use of the term ‘substance’ due to the unwanted metaphysical
connotations it carries. See, for example, Ibid., 196–7.
156 Ahmad Ighbaria

of the characteristics of substance is “admitting intensity and weakness” (yaqbal


l-ašadd wa-l-aḍʿaf), in the sense that the intellect of a certain man is more pow-
erful than the intellect of another. For Ibn Ḥazm, intellect cannot be more or less
‘powerful’; rather, it is a quality attached to the substance.118
In his epistle Tafsīr alfāẓ (Interpretation of expressions), Ibn Ḥazm defines the
intellect as follows: “intellect is the employment of obedience and the superior
virtues (al-ʿaql huwa istiʿmāl aṭ-ṭāʿāt wa-l-faḍāʾil).”119He added that according to
the Qurʾān, a man who is not intelligent is a man who does not obey God and His
commandments.120
This definition does not present the intellect of a man as if it has its own exist-
ence; rather, the intellect is nothing more than a faculty or even a lifestyle limited
to the moral and practical realm. In another work, Ibn Ḥazm adds that “intellect
is the belief [and the fulfillment] of all the commandments” (al-ʿaql huwa l-īmān
wa-jamīʿ aṭ-ṭāʿāt).121 This concept of the intellect corresponds with the traditional
Islamic conception according to which the intellect serves as the guide for good
behavior in everyday life, and it differs from the Aristotelian conception according
to which the intellect is something that exists in itself.
To summarize this point, Ibn Ḥazm holds that the objects are divided into
substance and accidents: the only real substance is the physical body, while soul
and matter are identical with the physical body, and form and intellect are two
accidents.
This raises the question: What is the fate of genera and species, which Aris-
totle considers in the Categories to be secondary substances? In the Aristotelian
tradition that followed the Categories, substance and accident are perceived in
the intellect merely as universals (kulliyyāt), i. e., as genera or species; therefore,
genera and species are considered substances and called ‘secondary substances’
(jawāhir ṯawānin).122 According to Ibn Ḥazm, however, “a universal man (al-insān
l-kullī) and all genera and species are nothing but individuals, i. e., individual
bodies (al-ajsām bi-aʿyānihā).”123Genera and species are not substances, since
they are not bodies and do not exist in the world in actuality; rather, these are only
names of groups of individuals that share some common features.124 In reality

118 Ibid., 198–9; see also 200; Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 144–5, 154.
119 Ibn Ḥazm, “Tafsīr,” 412. See also Al-Milal, Vol. V, 199.
120 Ibn Ḥazm, “Tafsīr,” 412. See also Qurʾān, sūra 10, 100; Ibn Manẓūr, Lisān l-ʿarab. Vol. XI
(Beirut: Dār l-fikr, 19943), 458–9 (ʿaql).
121 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 200.
122 See for example Al-Fārābi, “Al-Maqūlāt,” 92.
123 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 200.
124 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 131.
The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example 157

only individuals exist, and these are considered bodies. Ibn Ḥazm adds that uni-
versals can be the essential features of a substance, but they are by no means the
substances themselves (jawhariyyāt lā jawāhir).125
So, having clarified the position of Ibn Ḥazm regarding the concept of ‘sub-
stance,’ I now return to the question with which I opened this section about Ibn
Ḥazm’s theory of substance: Is God a substance?
Ibn Ḥazm’s above-mentioned definition of substance stated that substance
involves ‘admitting contraries.’ He then illustrated this notion as follows:

The soul exists on its own and admits knowledge and ignorance, courage and cowardice …
for everything that exists on its own and accepts contradictions is a substance, [and the
opposite is also true:] any object that exists on its own admits contraries and carries them
in its essence. Thus, the creator, the almighty and the exalted, is not considered to be sub-
stance or to be called ‘substance’ because He, the exalted, is not subject to any quality, and
therefore He is not a substance.126

A substance can carry contradictory qualities, but God cannot by any means,
as His essence supposedly is the most perfect of all. An essential difference
exists between the concept of ‘substance’ and the concept of ‘God’ in Ibn Ḥazm;
therefore, it is important to clarify this difference and to define the substance
in a manner that will not include the concept of ‘God.’ On this basis, Ibn Ḥazm
attacked the materialists and in particular the Christians (al-mujassima wa-n-
naṣārā), for their attempt to sabotage the Arabic language when they call God
‘substance.’ In his opinion, if ‘substance’ were one of the names of God, then it
would be mentioned in the Qurʾān that God gave this name to Himself and not
to others; but because God has not called Himself by that name (lam yusammi
nafsahu bi-hi) in the Qurʾān, we must not accept it as one of His names.127
To sum up this point, reducing the semantic meaning of the substance, or to
put it in Ibn Ḥazm’s terminology, the correspondence between the name and the
named (al-ism wa-l-musammā), is essential in dealing with the theological issue
about the identification or non-identification of God with substance. In this sense,
language is also essential to philosophical discussions, because in many cases the
accuracy of language leads to the accuracy of the philosophical concept in ques-
tion, and thus many metaphysical problems are solved by means of language.

125 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 201. Notably, unlike his position in the Categories, where he treats
universals as secondary substances, in his Metaphysics, Aristotle denies them of this status. See:
Aristotle, “Metaphysics,” Z13; Frede, Ancient Philosophy, 78.
126 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 145. See also Al-Milal, Vol. V, 211; 215.
127 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. V, 201.
158 Ahmad Ighbaria

Ultimately, Ibn Ḥazm refused to accept the Aristotelian concept of ‘substance’ that
includes God and the cosmic entities, but rather reduced it to a size that religion
can contain.

God’s Attributes and the Derivative Names


The theological views of Ibn Ḥazm about God and his attributes are evident in his
logical work, At-Taqrīb along with his theological work, al-Milal. Notably, most
discussions about God take place alongside a discussion about the world we live
in, highlighting the difference between the human world and the unique nature
of God:

As for the creator, the almighty and exalted, He is different from all His creatures and from
all aspects; there is no similarity between Him, the exalted, and all His creatures, nor
between Him, the exalted, and any of His creatures at all.128

Ibn Ḥazm even contradicted theologians who preceded him and used to call God
‘eternal’ (qadīm). For him, this expression was said about other existents with
different meanings, so he preferred to avoid it and to call Him ‘the first’ (al-aw-
wal), since this attribute characterizes and distinguishes Him from other exist-
ents.129Both God and substance have no contradictions, but that does not mean
that God is a substance. God is neither inconsistent with his creations nor is sub-
stance inconsistent with other existents; yet the difference between them is that
substance can contain a certain quality that does involve inconsistency, whereas
by no means does this apply to God, He is neither a subject nor a predicate (laysa
ḥāmilan wa-lā maḥmūlan),130 and because of this, He has neither any quality nor
any contradiction (laysa ḍiddan).131

**

In this section I discuss a logical-theological problem presented by Ibn Ḥazm that


can be resolved only through linguistic means. The problem involves God’s attrib-

128 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 177.


129 Ibid., 182. Compare with al-Fārābī, who used al-awwal as one of God’s names: Al-Fārābī,
Al-Madīna l-fāḍila, 37.
130 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 111.
131 Ibid., 144. See also 145.
The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example 159

utes and their linguistic level: are they considered derivative names like any other
derivative name?
In every sentence composed from a subject and an essential predicate, as in
the case of ‘man is a rational animal,’ the subject (man) and the predicate (rational
animal) are identical. This kind of identity is absent from sentences whose pred-
icate is accidental, since the latter is no more than an adjective derived from a
certain noun. For example, we do not say ‘the table is whiteness’ but rather ‘the
table is white.’ The difference is not only morphological, but semantic as well:
‘white’ is a quality, whereas ‘whiteness is a substance one of whose predicates
is ‘white.’ Turning to God’s attributes, is the adjective ‘alive’ (ḥayy), for example,
derived from the noun ‘life’ (ḥayāt)? What is the theological implication of such a
derivation? Ibn Ḥazm’s answer is as follows:

We did not call the almighty creator “alive” as a result of the existence of his own “life”
which [eventually] compels us to ascribe life to him. The same applies to His [other] attrib-
utes, almighty: that he is “listening” (samīʿ) and “seeing” (baṣīr); rather, we called him
“living, listening, and seeing” following what was written [in the Qurʾān] and not because
of a [certain] meaning that forces [us to do] so. None of these attributes was derived from an
accident that exists in Him; God is loftier than what the fools and the atheists are saying and
[too lofty] to be classified under genera and species or accidental predication (ḥaml l-aʿrāḍ).
All these are [sorts] of compositions that occur only in created [objects],132 whereas [God’s
attributes] are only proper names (asmāʾ aʿlām) that [signify] the creator.133

Regarding anything but God, the adjective ‘alive’ (ḥayy) derives from the noun
‘life’ (ḥayāt);134 there is no life but in a living creature and there is no living crea-
ture without life. But with respect to God, the attribute ‘alive’ does not derive from
‘life’ as some of the Muslim mutakallimūn claimed.135 Ibn Ḥazm defines life as “a
power by which voluntary movement and sense operate.”136 However, a defini-
tion like this cannot be applied to God. This status is not limited to the adjective
‘alive,’ none of God’s other attributes are derived from accidents or qualities, and

132 The Arabic phrase is formulated in the singular.


133 Ibid., 164. See also 135–6; 139–40; Behloul, “Testimony,” 466–7.
134 For linguistic derivation (ištiqāq) in Ibn Ḥazm’s thought, see Ibn Ḥazm, Al-Iḥkām, Vol. II,
558–60.
135 There are various traditions discussing this attribute. See Abū Bakr Aḥmad Ibn l-Ḥusayn
l-Bayhaqī, K. al-Asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt (Beirut: Dār l-kutub l-ʿilmiyya, n.d.), 139–42. For the mu-
takallimīn’s opinion see Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. II, 329–40.
136 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 139. See also id., Al-Milal, Vol. II, 337.
160 Ahmad Ighbaria

neither the listener (samīʿ) nor the viewer (baṣīr) are derived from the listening
and vision.137
Furthermore, God is not contained within any genus or species, since he
shares no other object and has attributes that distinguish him alone.138 Moreover,
there is no accidental predication in the sentence “God is alive” in the sense that
the predicate is derived from a noun; rather, each of His attributes is a proper
name specific to Him alone,139 and He called Himself with each of these 99 proper
names.140 These names belong to a special group of names that is unique to God
alone.141
Accordingly, naming God by these names is fixed and cannot be changed;
nor can it be increased or decreased, since He cannot be named by names other
than what He had mention in the Qurʾān.142 Ibn Ḥazm criticizes the mutakallimūn,
who invented names and attributed them to God through what he calls ‘inference’
(istidlāl). For him, inference is the transition from a word mentioned in the Qurʾān
to another not mentioned there. It is a derivation of a new name for God taken
from an action he has undertaken or by likening Him to other creatures.143In any
case, Ibn Ḥazm cannot take this approach because it is not permissible to call God
a name he did not call himself. Furthermore, he doubts if such attributes have a
real existence, as many mutakallimūn claim. Therefore, every inference based on
the existence of ​​such attributes is rejected.
For Ibn Ḥazm, the 99 names mentioned in the Qurʾān are proper names that
were not derived from God’s essence. Hence, nothing can be understood from
them other than God Himself. But this understanding does not preclude talking
about acts of God that indicate that He, for instance, has knowledge or ability:

When we intend to indicate God, we do not understand from our saying ‘able’ (qādir) and
‘omniscient’ (ʿālim) other than what we understand when saying ‘God’ alone, because all
these are proper names that were not derived from an attribute at all. Yet, if we say that God

137 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 164. For these two attributes and the disagreements among theologi-
ans regarding them see id., Al-Milal, Vol. II, 307–24.
138 For a more elaborate discussion about this philosophical issue see Al-Ghazālī, The Inco-
herence of the Philosophers, tr. by Michael E. Marmura (Provo, Utah: Brigham Young University
Press, 2000), Issue 7.
139 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. II, 326, 337.
140 Ibid., 324.
141 Ibn Ḥazm, “At-Taqrīb,” 139.
142 Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. II, 281, 289, 296, 307, 325, 367. See also the chapter that Ibn Ḥazm
dedicated to this issue in his al-Milal, under the title “Response to those who named God without
text” (ar-radd ʿalā man sammā Allāh bi-ġayr naṣṣ): Ibid., 341–46.
143 See more about Ibn Ḥazm’s critique of Kalām’s ‘istidlāl’: Ibid., 306, 317, 320, 325, 329–31.
The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example 161

knows everything (bi-kulli šayʾin ʿalīm), and knows the unseen (yaʿlam l-ġayb), what can be
understood from all that is that God possess knowledge, and that nothing is hidden from
him, and it cannot be understood at all that He has knowledge that differs from Him, and so
we say about ‘able’ and the like…144

Clearly, Ibn Ḥazm is reducing God’s attributes to the extent that they all become
identical with God Himself, since they are not something different from Him.145In
this regard alone, we see a similarity with the view of the Muʿtazilites, who claimed
identification between the essence of God and His attributes.146However, they did
so through inference (istidlāl)—a technique that Ibn Ḥazm rejected, as he insists
on naming God by what He has chosen for Himself, since the names of God are
not attributes and do not have any ontological status.147 For the mutakallimūn, the
attributes have an ontological status that may considered to be identical with the
essence, like the Muʿtazilites approach, or separate them from it, as the Ašʿarites
consider it.148
Yet notably, in both cases, the attributes are derived from God’s essence. Ibn
Ḥazm, on the other hand, separates the names of God from his actions, arguing
that the names are the 99 names mentioned in the Qurʾān, while the acts are God’s
actions that have nothing to do with His names and are certainly not derived from
them.149In the above quotation, two expressions must be distinguished; ‘omnis-
cient’ (ʿālim) and ‘knows the unseen’ (yaʿlam l-ġayb). The first is one of God’s
names, while the second is an act of God. It may happen that God calls himself
‘omniscient’ and performs an act related to knowledge, or calls himself ‘able’ and
performs an act that relates to his ability; but that does not mean that the first is
derived from the second.150Names such as ‘wise’ (ḥakīm), ‘omniscient’ (ʿālim),

144 Ibid., 296.


145 Ibid., 296, 298, 307, 314, 315, 321.
146 See, e. g., his writing in al-Milal: “In his self, He is exalted and merciful, pardoner, all-for-
giving, king.” (Ibid., 315).
147 Ibn Ḥazm dedicates an entire chapter in his al-Milal to this issue, under the title “A Discus-
sion about the name and the named (al-kalām fi l-ism wa-l-musammā)”: Ibid., Vol. V, 135–45.
Compare with al-Bāqillānī (d. 1013): Al-Bāqillānī, Tamhīd l-awāʾil wa-talḫīṣ ad-dalāʾil, ed. ʿIm.
Ḥaydar (Beirut: Muʾassasat l-kutub l-ṯaqāfiyya, 19933), 255–68.
148 See about the two sects respectively with regard to the issue of attributes and their relations
with God’s essence: Al-Baġdādī, Al-Farq bayn l-firaq, 112–3; 293.
149 Ibn Ḥazm claims that if God’s names were derivatives, it must be God or the prophet Muḥam-
mad who did that; however, God did not tell about himself that he did such a thing, whereas
regarding the prophet, it is not likely that he did it because God called Himself by His known
names before Muḥammad was born (Ibn Ḥazm, Al-Milal, Vol. II, 324).
150 Ibid., 318.
162 Ahmad Ighbaria

‘merciful’ (raḥīm) and ‘able’ (qādir) may be used as names for God and as attrib-
utes in ordinary language. Ibn Ḥazm states:

As for wise, omniscient, merciful, able, and any other that is so; they are called in the lan-
guage qualifications and attributes (nuʿūtan wa-awṣāfan), and not at all names.151

Likewise for the name ‘alive’ (ḥayy), which may be used as a name for God, on the
one hand, or in ordinary language as an attribute, on the other hand, with a clear
difference between the two uses—as Ibn Ḥazm indicates: “In language, the word
‘alive’ (ḥayy) is designated for the scholar who can distinguish between realities”
(al-ʿālim l-mumayyiz bi-l-ḥaqāʾiq).152
Yet, with regard to God, Ibn Ḥazm states: “He, the exalted, was called ‘alive’
(ḥayy) because He is Omniscient and Able, and we found [others who are] alive
but not omniscient nor able, as children when they are born.”153 The word ‘living,’
if used to refer to God, becomes a proper name for Him, but if used to refer to a
particular creature, then it is a qualification of this creature.154
To sum up this point, some names may be used in two different ways: as
proper names or as a qualification. The first type is limited to God alone, but the
second can be applied to creatures other than God.
The attribute-as-proper-name solution Ibn Ḥazm offers appears clever, since
it eliminates the linguistic dependency of God’s attributes upon certain nouns; it
also prevents the ontological dependency of the same attributes upon the acci-
dents that exist within God’s essence. There is no predication (in the usual sense)
in the sentence “God is alive”—in fact this is an identity sentence, like “this man
is Zayd.” Hence, no ontological, logical, or even linguistic correspondence exists
between the subject and the predicate, save the fact that Zayd is the proper name
of ‘this man.’
But is the problem of God’s attributes really solved? A critical approach can
maintain that Ibn Ḥazm’s solution amounts to nothing other than that God’s

151 Ibid., 323.


152 Ibid., 335.
153 Ibid., 336.
154 Al-Baqillānī distinguishes between two types of names for God: one kind may be common to
Him and His creatures, such as ‘alive’ (ḥayy), ‘able’ (qādir), ‘speaker’ (mutakallim) and ‘just’ (ʿādil).
The other kind of names are posited for God alone, such as: God (Allāh), the Merciful (ar-raḥmān),
and the Divinity (Al-Ilāh): Al-Baqillānī, At-Tamhīd, 264–5. Compare with Ibn Taymiyya, who claims
that God and his creatures have common names, yet the names of God refer to His eternal attrib-
utes, whereas the names of His creatures refer to their created qualities. In his opinion, although
God and His creatures share the same names, these names have different meanings: Ibn Taymiyya,
Majmūʿat ar-rasāʾil wa-l-masāʾil, Vol. I (Beirut: Dār l-kutub l-ʿilmiyya, 19922), 389–90.
The Use of Logic in Kalām Discussions: Ibn Ḥazm as an Example 163

attributes cease to indicate any meaning besides God; since all of them are proper
names, there is no real difference exists between them, and their status is reduced
to something like ‘nicknames’ for God. In this sense, God is described by these
nicknames, and not by certain meanings that underlie them. Thus, instead of an
ontological being with a set of attributes, God becomes a linguistic entity and a
subject for nicknames only.

To summarize
This article comprises an exploration of the relationship between logic, language
and Kalām in Ibn Ḥazm’s thought. Ibn Ḥazm attempted to deal with the tradi-
tional Aristotelian approach, while considering any deviation from religion and
the Arabic language as inacceptable. I showed that the ‘deviations’ Ibn Ḥazm com-
mitted from the Aristotelian tradition were deliberate. In Ibn Ḥazm’s opinion, lan-
guage was created in advance by God and revealed in Arabic, through the Qurʾān
and the prophetic tradition. This deterministic vision led Ibn Ḥazm to deal with
the Organon through the prism of his Islamic faith as a conceptual framework
that he applied to check the suitability and the validity of many logical concepts.
Through this approach, Ibn Ḥazm modified many concepts and adapted them to
suit his theological system.

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II M
 uʿtazilitisches Denken
Elsayed Elshahed
Die Blütezeit der Muʿtazila und ihre
Rezeption bei den Spätmuʿtaziliten
Es erübrigt sich, über die Entstehungsgeschichte der Muʿtazila Mitte des 2./8. Jahr-
hunderts durch Waṣil Ibn ʿAtāʿ (131/748) und ʿAmr Ibn ʿUbaid (145/761) in Basra
im Beisein von al-Ḥasan al-Baṣrī (110/728) bzw. wie sie zu dieser Benennung
gekommen sind, in diesem Beitrag zu sprechen. Viele ältere Sekundärquellen,
die sich mit dem Iʿtizāl beschäftigt haben, u. a. Albert Nasri Nader, „Falsafat
al-Muʿtazila“1; G. F. Hourani, Islamic Rationalism2, und ʿAbd ar-Raḥmān Badawī
„Maḏāhib al-Islāmīyīn“3, machen eine solche Wiederholung überflüssig.
Zwischen den zwei Hauptströmungen innerhalb der Muʿtazila, nämlich der
basrischen und der bagdadischen, entbrannte im 3./9 Jahrhundert eine heftige
Auseinandersetzung. Im Fokus dieses Streits stand u. a. die Problematik des
Nichtseins (al-ʾAdam bzw. al-Fanāʾ)4. Ende des 4./10. Anfang des 5./11. Jahrhun-
derts zeichnet sich eine Art Annäherungsversuch zwischen den beiden Strömun-
gen insbesondere bei ʿAbd al-Ğabbār (415/1025) ab.
Muʿammar Ibn ʾAbbād as-Sulamī (215/830); Abū al-Ḥuḏail al-ʿAllāf (227/840);
Ibrāhīm Ibn Sayyār an-Naẓẓām (235/848); Abū ʿAlī Al-Uswārī (240/854) und ʾAmr
Ibn Baḥr al-Ğāḥiẓ (255/868) sind die bekanntesten muʿtazilitischen Theologen der
basrischen Schule im 3./9. Jahrhundert.
Bišr Ibn Al-Muʾtamir (210/825); Ṯumāma Ibn al-Ašras (213/826); Abū Mūsā ʿIsā
Ibn Ṣubaiḥ Al-Mirdār (226/839); Ğaʿfar Ibn Mubaššar (234/848); Ğaʿfar Ibn Ḥarb
(236/850) und Abū Ğaʿfar Muḥammad Ibn ʿAdallāh Al-Iskāfī (240/854) waren die
bekanntesten Vertreter der bagdadischen Schule.
Im 4./10. Jahrhundert treten mindestens zwei große Namen der bagdadi-
schen Schule, nämlich Abū al-Ḥusain al-Ḫaiyāṭ5, Verfasser der bekannten Schrift
„al-Intiṣār“ (311/923) und Abū al-Qāsim al-Balḫī al-Kaʿbī (319/931), der Verfasser
der zwei bekannten Schriften, „al-Maqalāt“ und „ʿUyūn al-Masāʿil“, hervor6.

1 Bagdad/Alexandria, 1951.
2 Oxford, 1971.
3 Beirut, 1971.
4 Mehr darüber: „al-Munya wa-l-amal“ von Aḥmad Ibn Yaḥyā Ibn al-Murtaḍā, Susanne Filzer
(Hg.), Beirut 1961.
5 H. N. Nyberg, Kairo, 1925.
6 Rāǧiḥ Kurdī u. a. (Hg), Dar al-Ḥamd Verlag, o. O., o. J.

https://doi.org/10.1515/9783110588576-009
170 Elsayed Elshahed

Für heftige Auseinandersetzungen sowohl innerhalb der muʿtazilitischen


Schulen aber auch mit der später entstandenen ašʿaritischen Schule im 4./10. Jahr-
hundert sorgten einige Problemen für heftige Diskussionen u. a.:
– Die fünf Prinzipien (al-Uṣūl al-ḫamsa)
– Gotteseigenschaften bzw. die Attribute lehre (Muškilat aḏ-Ḏāt wa-ṣ-Ṣifāt)
– Der menschliche Verstand als Weg der Erkenntnis und Maßstab des ethischen
Werturteils Gut bzw. Böse (At-Taḥsīn wa-t-Taqbīḥ al-ʿAqliyain)
– Die sogenannte Atomlehre (al-Ğawhar al-Fard)
– Die Substanzen und die Akzidenzien (al-Ğawāhir wa-l-Aʿrād)
– Die Erzeugung bzw. das Kausalitätsprinzip (at-Tawlīd bzw. as-Sababiyya)
– Und das Sein und das Nichtsein (al-Wuǧūd wa-l-ʿAdam).

Blütezeiten und Rückschläge


Drei Höhepunkte und drei Tiefpunkte erlebte das muʿtazilitische Dogma im Laufe
seiner Entwicklungsgeschichte:
Der erste Höhepunkt zeichnete sich am Ende des 2./8. Jahrhunderts ab. Da
gelangt es Abū al-Ḥuḏail al-ʾAllāf (227/840), das muʿtazilitische Dogma u. a.
durch die originelle Formulierung der bekannten fünf Grundprinzipien (al-Uṣūl
al-Ḫamsa) zu systematisieren.
Diese al-Uṣūl al-Ḫamsa galten als eine Art Glaubensbekenntnis für alle
Muʿtaziliten.
Die Reihenfolge dieser Prinzipien drückt die Wertstellung des jeweiligen Prin-
zips aus. An der ersten Stelle kommt at-Tauḥīd (der absolute Monotheismus) dann
folgen al-ʾAdl (Die Gerechtigkeit); al-Manzila baina al-Manzilatain (Der Zwischen-
zustand); al-Waʾd wa-l-Waʿīd (Die Verheißung und die Drohung) und schließlich
al-Amr bi-l-Maʾruf wa-n-Nahy ʾan al-Munkar (Das Gute zu gebieten und das Ver-
werfliche zu verbieten).
Historisch gesehen war das Prinzip al-Manzila baina al-Manzilatain der
eigentliche historische Grund für die Entstehung des Iʿtizāls. Dogmatisch nimmt
dieses Prinzip jedoch die dritte Stelle innerhalb ihrer fünf Prinzipien ein.
Abū al-Ḥuḏail soll ein Werk mit dem Titel (al-Uṣūl al-Ḫamsa) verfasst
haben. Aber erst durch die Herausgabe von ʿAbd al-Ğabbārs Buch „Šarḥ al-Uṣūl
al-Ḫamsa“7 erfahren wir, dass diese al-Uṣūl al-Ḫamsa von Abū al-Ḥuḏail stammen.
Abū al-Ḥuḏails Schüler und Neffe Ibrāhīm Ibn Sayyār an-Naẓẓām (235/848) und

7 ’Abd al-Karīm ʿUṯmān, Kairo, 1965.


Die Blütezeit der Muʿtazila und ihre Rezeption bei den Spätmuʿtaziliten 171

ʿAmr Ibn Baḥr al-Ğāḥiẓ verleihen dem Iʿtizāl eine philosophische und naturphilo-
sophische Gestalt.
Der Einfluss der Übersetzungsflut aus dem griechischen Gedankengut in Bait
al-Ḥikma unter der Obhut des Kalifen al-Maʿmūn (218/831) und seines Nachfol-
gers al-Muʿtaṣim (227/840) war insbesondere in theosophischen Fragen, beispiels-
weise beim Streit über das Kausalitätsproblem unübersehbar. Die Muʿtaziliten
und später auch die Ašʿariten bedienten sich der griechischen Logik bei ihrer
Argumentation und so entstand eine Art spekulative Theologie.
Der erste Rückschlag erfolgte durch die sogenannte „Ibn Ḥanbals Krise“
(Miḥnat Ibn Ḥanbal), mit der These von der Erschaffenheit des Qurʿān (Muškilat
Ḫalq al-Qurʿān)8. Diesen Glauben wollte die Muʿtazila allen anderen muslimi-
schen Theologen kompromisslos aufzwingen.
Eine heftige Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Der abbasidische Kalif
al-Mutawakkil (248/861) nutzte diese Krise aus, um seine mittlerweile fast ver-
schwundene politische Macht zu retten. Der Kalif solidarisierte sich nicht nur mit
den Gegnern der Muʿtazila, sondern er verfolgte die Muʿtazilila und entfernte sie
aus allen einflussreichen Ämtern.
Gegen Ende des 3. Anfang des 4./im 9.–10. Jahrhunderts erlebte das Iʿtizāl
einen zweiten Höhepunkt. Abū ʿAlī al-Ğubbāʾī (303/915), sein Sohn Abū Hāšim
ʿAbd as-Salām al-Ğubbāʾī (321/933) in Basra9 sowie Abū al-Qāsim al-Balḫī al-Kaʿbī
(319/931) in Bagdad gaben dem muʿtazilitischen Dogma eine neue Lebenskraft.
Mitten in der sogenannten al-Ğubbāʾiyān-Schule wuchs ein starker Gegner
des muʿtazilitschen Dogmas heran, der traditionsbewusste ehemalige Muʿtazilit
und Schüler des Abū ʿAlī al-Ğubbaʾīs, Abū al-Ḥasan al-Ašʿarī (324/935)10.
Die bis heute in vielen islamischen Ländern stark verbreitete aschʿaritische
Theologie wurde geboren und dadurch das Ende der zweiten Höhepunkt des
muʿtazilitischen Dogmas besiegelt.
Mit der Entstehung des traditionstreuen ašʾaritischen Dogmas im 4./10. Jahr-
hundert zeichnete sich eine Wende in der gesamten islamischen spekulativen
Theologie ab. Der Einfluss dieses neuen traditionellen Dogmas erstreckte sich
auch auf das nachkommende muʿtazilitische Kalam und beeinflusste es nach-
haltig.
Gegen Ende des 4./5. bzw. 10./11. Jahrhunderts erlebte das muʿtazilitische
Dogma einen dritten Höhepunkt durch den bekanntesten Mu’tazila al-Qāḍī ʿAbd
al-Ğabbār al-Hamadānī (415/1025) durch dessen umfangreiches Werk „Al-Muġnī

8 Al-Muġnī, Bd. 7 (1961).


9 ʿAlī Fahmī Ḫušaim, „al-Ğubāʾiyān“. Tripoli, 1965.
10 ʿAbd al-Raḥmān Badawī, „Maḏāhib al-Islāmīyīn“. Beirut, 1971.
172 Elsayed Elshahed

fī Abwāb at-Tawḥīd wa-l-ʿAdl“, in 20 Bänden, von dem nur 13 Bände im Jemen in


den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts gefunden und in Kairo von 1960 – 65
herausgegeben wurde11. Erst dadurch standen die ersten authentischen Kennt-
nisse über die muʿtazilitische Theologie der Forschung zur Verfügung.
Nach der Ära des al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār erfährt das Iʿtizāl einen dritten Tief-
punkt durch starke ašʿaritischen Großgelehrten wie Abū al-Maʿālī al-Ǧuwainī
(478/1185) und seinen großen Schüler Abū Ḥamid al-Ġazālī (505/1111).
Was vom Iʿtizāl danach geblieben ist, war in der Hauptsache Rezeptionen
und Streitschriften von u. a. Abū Rašīd Saʾīd an-Nīsābūrī (440/1048) und Taqī
ad-Dīn Muḫtār Ibn Maḥmūd al-ʿUǧālī al-Muʿtazilī an-Naǧrānī (658/1266 danach).

Die erste muʿtazilitische Summa Theologica


Vor der Entdeckung des Muġnīʿs von al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār waren die
ašʿaritischen Firaq-Werke, wie Maqalāt al-Islāmīyīn von al-Ašʿarī; al-Farq baina
al-Firaq von al-Baġdādī; al-Milal wan-Nihal von aš-Šahrastānī sowie wenige alt-
muʿtazilitische Werke wie al-Ḥayawān vom Ğāḥiẓ und al-Intiṣār von al-Ḫaiyāṭ die
Hauptquellen der Forschung über die Muʿtazila.
Eine umfangreiche und authentische Information über das muʿtazilitische
Gedankengut ist erst nach der Entdeckung des Muġnīʿ möglich.
Der Werdegang ʿAbd al-Ğabbārs ist mit dem des al-Ašʿarīs in entgegengesetzte
Richtung vergleichbar, in dem Sinne, dass ʿAbd al-Ğabbār dem ašʿaritischen
Dogma lange Jahre angehörte bevor er im Jahr 346/958) durch Abū ʿAbdallāh
al-Baṣrī (369/980) und dessen Zeitgenossen Isḥāq Ibn ʿAyyāš (o. D.) zum Iʿtizāl
überwechselte. Dennoch blieb der Einfluss des ašʿaritischen Dogmas in seiner
Theologie bestehen, was ich als eine schüchterne Wende in dem muʿtazilitischen
Kalam bezeichnen kann. Mit Wende meine ich eine Art Annäherungsversuche an
die ašʿaritsche Theologie konstatieren zu können.
ʿAbd al-Ğabbār bezieht insbesondere beim Kausalitätsprinzip einen sozusa-
gen Zwischenzustand zwischen dem muʿtazilitischen Kausalitätsprinzip einer-
seits und dem ašʿaritischen Gewohnheitsprinzip andererseits. Dies wird durch
ein Beispiel deutlich, in dem er das Sättigungsgefühl nicht als eine Wirkung des
Essens, sondern eher als ein Produkt der Gewohnheit des Menschen betrachtet.

11 Die Bände 1, 2, 3, 5, 10, 18 u. 19 fehlen bis heute.


Die Blütezeit der Muʿtazila und ihre Rezeption bei den Spätmuʿtaziliten 173

Wenn dieser eine bestimmte Menge Nahrungsmittel verspeist hat, fühlt er sich
statt12 (Muġnī, XI, 79).
ʿAbd al-Ğabbār und mit ihm die Muʿtaziliten genossen im 4.–5./10.–11. Jahr-
hundert die Förderung des buyidischen Wezirs aṣ-Ṣāḥib Ibn ʿAbbād (385/998)13.
Doch die Förderung war nicht von langer Dauer, denn der Untergang der buyi-
dischen Macht bedeutete den Verlust auch des politischen Einflusses der
Muʿtazilien.
Durch namhafte Schüler ʿAbd al-Ğabbār wie Abū al-Ḥussaīn Al-Baṣrī
(436/1044), Verfasser des Buches „Al-Muʿtamad fi Uṣūl al-Fiqh“; Abū Rašīd Saʿīd
Ibn Muḥammad an-Nīsābūrī (440/1048), Verfasser der „at-Tawḥīd bzw. Dīwān
al-Uṣūl und al-Masāʾil fī 'l-ḫilāf baina al-Baṣrīyīn wa-l-Baġdādīyīn“14; Al-Ḥassan
Ibn Aḥmad Ibn Mattawaih (469/1076)15, Verfasser der Werke „at-Taḏkira fi Aḥkām
al-Ğawāhir wa-l-Aʿrād“16 und Verfasser oder Herausgeber von „al-Maǧmūʿ fi-l-
Muḥīṭ bi-t-Taklīf bzw. Mutašābih al-Qurʾān“ und al-Ḥākim al-Ğušamī (494/1101),
Verfasser der Werke „ʿUyūn al-masāʾil und Ṭabaqāt al-Muʿtazila sowie seine
Qurʿanauslegung bekannt als at-Tahḏīb“ konnte sich das Iʿtizāl gegen das immer
stärker werdende ašʿaritische Dogma wehren.
Auch im 6./12. Jahrhundert fand das Iʿtizāl starke Vertreter. Es lebte weiter
durch Denker /oder Lehrer wie Rukn ad-Dīn Maḥmūd Ibn al-Malāḥmī (536/1141),
Verfasser der bekannten Werke „al-Muʿtamad fī Uṣūl ad-Dān und al-Fāʾiq fī Uṣūl
ad-Dīn“, und Maḥmūd Ibn ʿUmar az-Zamaḫšarī (538/1144), Verfasser des bekann-
ten Tafsir-Werks „Al-Kaššāf“, sowie durch den bagdadischen Spätmuʿtazilit Ibn
Abū Al-Ḥadīd, Verfasser von „Šarḥ Nahǧ al-Balāġa“.

Die jüngste muʿtazilitische Summa Theologica


Die Entdeckung des „al-Kāmil fī al-Istiqṣāʾ fī mā balaġna min Kalām al-Qudamāʾ“
von Taqī ad-Dīn an-Naǧrānī (675/1277) belegt u. a., dass das Iʿtizāl ebenso stark
im 7./13. Jahrhundert nicht nur weiterlebte, sondern die traditionelle spekulative
Theologie methodisch und teilweise inhaltlich beeinflusste.
Hans Daiber hat mir dankenswerterweise aus Leiden einen Mikrofilm von
dem einzigen Exemplar dieser Handschrift im Jahre 1980 mit der Empfehlung

12 Al-Muġnī, Bd. 11, 79.


13 Ṭabāna, Badawī Aḥmad, Aṣ-Ṣāḥib IbnʿAbbād: al-wazīr, al-adīb, al-ʿālim, Kairo, o. J.
14 Maʿn Ziyāda u. Riḍwān as-Sayyid, Hg., Beirut 1979.
15 ʿUmar ʿAzmī al-Ahwānī, Kairo, 1965.
16 Sāmī Naṣr Luṭf und Fayṣal Budayr ʿAwn, Hg., Kairo, 1975.
174 Elsayed Elshahed

gegeben, von dieser Handschrift, wenn möglich eine vollständige Edition anzu-
fertigen. Für meine Dissertation habe ich zwei Abschnitte als Grundlage ediert,
übersetzt, analysiert und systematisiert.
Eine vollständige Edition dieser Handschrift, die ursprünglich als Habilita-
tionsschrift vorgesehen war, habe ich 1999 bei dem Obersten Rat für Islamische
Angelegenheiten in Kairo herausgegeben. Als das letztbekannt gewordene
muʿtazilitische Werk werde ich auf dieses Werk ausführlicher als sonst eingehen.
Die Identifizierung des Verfassers Taqī ad-Dīn an-Naǧrānī bzw. wie sein
voller Name sein könnte, war sehr problematisch. Die vorhandenen Nachschlag-
werke geben keine ausreichenden Informationen über den Autor Taqī ad-Dīn her.
C. Brockelmann sagt in seinem Nachschlagwerk „Die Geschichte der Arabischen
Litteratur“17, dass „Taqī ad-Dīn an-Naǧrānī das Buch ‚al-Kāmil fī al-Istiqṣāʾ‘ zwi-
schen 505 und 675 H. geschrieben hat“. Wie Brockelmann aber zu dieser Datie-
rung gelangte, erklärt er nicht. Hans Daiber stellte die Vermutung auf, dass dieser
Text aus der Zeit der zweiten Schülergeneration des ʿAbd al-Ğabbārs Ende des 11.
Anfang des 12. Jahrhunderts stamme.
Beide Vermutungen von Brockelmann und Daiber beruhen auf keinen zuver-
lässigen Quellen.
Ob der Autor Taqiyuddin als Schüler ʿAbd al-Ğabbārs der zweiten Generation
zugeordnet werden könnte, wie Daiber in einem persönlichen Brief vermutete,
halte ich für sehr unwahrscheinlich, da Taqī ad-Dīn ʿAbd al-Ğabbārs in seiner
Schrift kaum erwähnte. Häufig aber kritisierte Taqī ad-Dīn Abū Hāšim, ʿAbd
al-Ğabbārs größte Autorität.
In der Einleitung schreibt Taqī ad-Dīn, dass sein Werk lediglich als eine
weitere Verarbeitung, Verfeinerung und Systematisierung dessen, was die alten
Meister bereits schrieben, betrachtet werden soll. Der Inhalt dieses Werkes
wurde, so Taqī ad-Dīn, durch Abū al-Ḥusaīn Al-Baṣrī (436/1044) zusammenge-
fasst und dann durch Rukn ad-Dīn Ḫuwārizmī (gemeint Rukn ad-Dīn Maḥmūd
Ibn al-Malāḥmī al-Ḫuwārizmī (536/1141) weiter erläutert.
Dieses Werk stellt, meines Erachtens, einen Bruch mit der Tradition ʿAbd
al-Ğabbārs, ja eine Wende im Denken der basrischen Schule der Muʿtazila dar,
die das Iʿtizāl näher an das traditionelle Dogma rückt.
Fuat Sezgin hält es für möglich, dass Taqī ad-Dīn mit ʿAtiyya an-Naǧrānī
(603–665/1207–1267) identisch sei, den ʿUmar Kaḥḥāla in seinem „Muʿǧam
al-Muʾallifīn18, erwähnt. ʿAṭiyya an-Naǧrānī wird bei Kaḥḥāla als Faqih, Mufassir
und Zaydit bezeichnet. Für die Annahme Sezgins spricht der bei Kaḥḥāla ange-

17 GAL, Bd. 1(1898): 606.


18 Bd. 4, 187.
Die Blütezeit der Muʿtazila und ihre Rezeption bei den Spätmuʿtaziliten 175

gebene Zeitraum, der mit der Zeitangabe auf dem letzten Blatt der Handschrift
übereinstimmt.
Auch wenn die Bezeichnungen Fiqih und Mufassir für Taqī ad-Dīn nicht total
ausgeschlossen sind, sprechen vier Fakten dagegen:
Erstens: Gegen seine Bezeichnung als Zaydit spricht die Tatsache, dass Taqī
ad-Dīn fast ausschließlich Muʿtaziliten zitiert, sich nur muʿtazilitischer Quellen
bedient. Die Tatsache, dass der zweite Khalif ʿUmar Ibn al-Ḫaṭṭāb im al-Kāmil
mit Ehrentiteln belegt wird, während der der vierte Khalif ʿAlī Ibn Abū Ṭālib ohne
jegliches Lob erwähnt wird19, lässt großen Zweifel an der Annahme zu, dass
Taqī ad-Dīn ein Zaydit war. In seinem gesamten Werk bezeichnet Taqī ad-Dīn
ausschließlich muʿtazilitische Theologen wie Abul-Huḏail, A-Naẓẓām, Abū
ʿAlī al-Ğubbāʾī, Abū Hašim, Al-Kaʿbī, Abū al-Ḥusaīn al-Baṣrī und Rukn ad-Dīn
al-Malāḥmī als seine Meister („Šuyūḫunā bzw. Aṣḥābunā“).
Zweitens: Bezüglich der Bezeichnungen Mufassir und Faqih fand ich in dem
bis heute einzigen veröffentlichten Werk Taqī ad-Dīns keinen einzigen Hinweis,
der diese Bezeichnungen bestätigt, auch wenn sich diese Feststellung durch mög-
liche neue Entdeckungen später als falsch erweisen sollte Die Erwähnung einiger
Qurʾanverse und ihre Interpretation im Rahmen der Besprechung von theologi-
schen Problemen, wie al-Fanāʾ und al-Iʿāda (Die Vernichtung und die Wieder-
herstellung) beweisen nicht, dass der Autor ein professioneller Qurʿanexeget war.
Drittens: Normalerweise erwähnt Kaḥḥāla in seinem Muʿǧam alle vorliegen-
den Beinamen seiner Autoren. Für ʿAṭiyya an-Naǧrānī jedoch führt er keine Bei-
namen bzw. Ehrentitel auf, die wir bei unserem Autor, nämlich Taqī ad-Dīn, auf
dem Titelblatt dieser Handschrift sehen und die von Brockelmann übernommen
wurden.
Viertens: Die Datierungen dieser Handschrift bei Brockelmann (505–675AH)
sowie im Codicus Manuscripti der Universitätsbibliothek Leiden20 weisen eine
Differenz zur Datierung bei Kaḥḥāla um etwa 100 Jahre aus. Dies lässt eine ver-
meintliche Identifizierung der beiden Autoren nur schwer vorstellbar erscheinen.
1985 rezensierte Manfred Madelung meine Dissertationsschrift (Das Problem
der transzendenten sinnlichen Wahrnehmung in der spätmuʿtazilitischen
Erkenntnistheorie)21. In seiner Rezension lieferte Madelung sehr hilfreiche Infor-
mationen über Taqī ad-Dīn an-Naǧrānī. Madelung identifiziert den Lehrer von
Taqī ad-Dīn, nämlich Rukn ad-Dīn al-Ḫuwārizmī mit Rukn ad-Dīn Maḥmūd Ibn
ʿAbdallāh al-Malāḥmī (536/1141).

19 Hs, 287, Z. 19–21.


20 VII, 150, Z. 13; 425, Z. 9.
21 Berlin: Klaus Schwarz Verlag, 1983.
176 Elsayed Elshahed

Ein Nachruf für Ibn Al-Malāḥmī befindet sich in al-Kaššāf von Maḥmūd
Ibn ʿUmar az-Zamaḫšarī (538/1143), der einige Werke von Ibn al-Malāḥmī u. a.
„al-Muʿtamad und al-Fāʿiq fī Uṣūl ad-Dīn“ in seinem Kaššāf erwähnte. Madelung
gab 1991 in London den ersten Band von Ibn al-Malāḥmīs Werk „Al-Muʿtamad“
heraus22.
Rukn ad-Dīn al-Ḫuwārizmī war also ebenso wenig ein Schüler ʿAbd
al-Ğabbārs, wie Max Horten in seinem Buch behauptet.23
Verwirrend war jedoch, dass Madelung Taqī ad-Dīn an-Naǧrānī mit einem
bekannten ḥanafitischen Faqih, nämlich Naǧm ad-Dīn Muḫtār Ibn Maḥmūd
az-Zahidī al-Ġazmīnī (658/1260) identifizierte. Drei verblüffende Fakten führten
Madelung zu einer falschen Identifizierung der beiden Autoren: Zum einen die
Übereinstimmung der Vornamen, nämlich „Muḫtār Ibn Maḥmūd“, zum anderen
die genaue Übereinstimmung des Titels eines Werkes, nämlich „al-Muǧtabā“ und
schließlich die zeitpassende Datierung des Taqī ad-Dīns Manuskript (675–679 H.)
mit dem Todesdatum Al-Ġazmīnīs (656 H.), auch wenn dies kein ausschlaggeben-
des Indiz darstellt.
Die unterschiedlichen Beinamen und die Nisba der beiden Autoren waren
für mich der Anlass, die These Madelungs anzuzweifeln. Aufschlussreich für
eine genauere Identifizierung Taqī ad-Dīns war der Hinweis auf das Kalāmwerk
„al-Muǧtabā“, durch Muḥammad Ibn Ibrāhīm Ibn al-Wazīr in seinem Buch „Īṯār
al-Ḥaqq ʿalā al-Ḫalq“24. In seinem Buch „Īṯār al-Ḥaqq“ erwähnte Ibn Al-Wazīr
den Autor des Kalīmwerks Al-Muǧtabā mit folgenden Ehrentiteln und Nisba:
„Taqī al-Umma Ḫatimat Ahl al-Uṣūl Al-ʿIǧālī Al-Muʿtazilī“. In einem anderen Zitat
des Ibn Al-Wazīrs aus dem Buch Al-Muǧtabā lesen wir folgendes: „Akṯarm ma
aḏkuruhu fī Masāʾil aṯ-ṯuluṯ al-awwal min masāʾil al-ʿadl min multaqaṭāt taṣnifihi
al-Kāmil fī l-istiqṣāʾ“.
Dieses Zitat beweist, dass der Autor des Kalāmwerk-Muǧtabā mit dem Autor
des „al-Kamil fī al-istiqṣāʾ“ identisch ist.
Hätte Madelung das Buch „al-Muǧtabā“ von al-Ġazmīnī genauer angesehen,
von dem je zwei vollständige Exemplare in der Alexandria Bibliothek25 und in
der Al-Azhar Bibliothek26 vorhanden sind, wäre ihm diese Verwechselung nicht
unterlaufen. Denn das „al-Muǧtabā“ von al-Ġazmīnī ist nichts anders als ein
ḥanafitisches Rechtswerk, das den Titel trägt „Šarḥ Muḫtaṣar Al-Qudūrī fī al-Fiqh

22 BSOAS, VOL. XLVIII, 1, 1985.


23 Die Philosophie von Ibn Ruschd, Bonn, 1912, 4
24 Kairo, 1318/1888, 111–112.
25 ‫ن‬1197‫ب‬.
26 ‫ه‬1127‫ت‬.
Die Blütezeit der Muʿtazila und ihre Rezeption bei den Spätmuʿtaziliten 177

al-Ḥanafi“ (Kommentar über die Zusammenfassung des Qudūrīs im Rahmen des


hanafitischen Rechts).
Bei vollständigen Studien dieses Buches (al-Muǧtabā von al-Ġazminī) konnte
ich keinen einzgen Hinweis auf Kalām oder Uṣūl ad-Dīn darin finden.
Kitab „al-Muǧtabā“, das Ibn al-Wazīr in seinen zwei bekannten Büchern
„Īṯār al-Ḥaqq ʿalā al-Ḫalq“ und noch mehr in Tarǧīḥ Asālīb al-Qurʾān ʿalā Asālīb
al-Yūnān“ sowie „al-ʿAwāṣim wa-l-Qawāsim“ erwähnte und zitierte, ist aller Wahr-
scheinlichkeiten nach ein Kalām-Werk, das Taqī ad-Dīn später als „al-Kāmil“ ver-
fasste. Diese Annahme ergibt sich aus dem oben erwähnten Zitat von Ibn al-Wazīr.
Dieser sagt eindeutig, dass der Autor des „al-Muǧtabā“, den er in seinen oben
erwähnten drei Büchern zitiert, Aš-Šaiḫ Muḫtār Ibn Maḥmūd Al-ʿIǧālī al-Muʿtazilī
heißt. Und dieser ist zweifelsohne der Autor des Al-Kāmil, aus dem Ibn al-Wazīr
zitierte27.
Die Thematik des „Al-Kāmil“ ist weitgehend mit dem des „al-Masāʾil fī
al-Ḫilāf“ des Abū Rāšid vergleichbar. Gegenstand der beiden Werke ist der in-
terne spekulative Streit zwischen den Vertretern der beiden muʿtazilitischen
Schulen in Basra und in Bagdad. Wenn man beide Werke nebeneinanderlegt,
würde man meinen, dass sich Taqī ad-Dīn die Themen des Abū Rāšid und sogar
ihre Reihenfolge aneignete und lediglich seine eigenen Stellungnamen dazu
schrieb.
Bemerkenswert ist außerdem, dass Taqī ad-Dīn Abū Hāšim in seinem Werk
„Al-Kāmil“ fast so oft erwähnte, wie Abū Rāšid den Gegner von Abū Ḥāšim, den
bagdadischen Muʿtazilit al-Kaʿbʿ, erwähnte. Durch „al-Kāmil“ wollte Taqī ad-Dīn,
wie er selbst in dem Vorwort der Handschrift sagt, hauptsächlich die Thesen des
Abū Ḥāšim widerlegen. Dabei folgt er der Linie seiner Meister, Abū al-Ḥusaīn
al-Baṣrī und Rukn ad-Dīn Maḥmūd Ibn al-Malāḥmī al-Ḫuwārizmī, die vor ihm
Abū Ḥāšim kritisierten.
Taqī ad-Dīn versteht sein Werk „al-Kāmil“ als Vollendung der vorangegan-
genen Schriften seiner Meister. Dabei bediente er sich der Argumentationen des
Kaʿbī gegen Abū Ḥāšim. Bemerkenswert ist auch, dass so oft Abū Rāšid al-Kaʿbī
kritisierte, fast genauso oft Taqī ad-Dīn Abū Ḥāšim kritisiert. Genau das schreibt
Taqī ad-Dīn in der Einleitung seines Werkes al-Kāmil.
Inhaltlich setzt sich Taqī ad-Dīn mit 16 Thesen des Abū Ḥāšim auseinander,
die er in seiner Einleitung des al-Kāmil ausführt. Diese in der Einleitung erwähn-
ten 16 Thesen werden jedoch in der Schrift selbst in 13 Thesen zusammengefasst.
Die unterschiedliche Zahl lässt sich dadurch erklären, dass Taqī ad-Dīn einige

27 S. o. Anm. 25.
178 Elsayed Elshahed

Gotteseigenschaften in der Schrift zusammenführte, die er in der Einleitung


einzeln erwähnte.
Einige weitere übereinstimmende Überschriften kommen in der Schrift eben-
falls vor.
„al-Kāmil“ ist zweifelsohne den Uṣūl ad-Dīn- bzw. Tawḥīd-Werken zuzuord-
nen. Es finden sich fast ausschließlich metaphysische Überlegungen, wobei rein
philosophische Gedanken und theologische Glaubenssätze ineinanderfließen
und sich gegenseitig bestätigen. Damit steht Taqī ad-Dīn erkenntnistheoretisch
mitten in der muʿtazilitische Tradition.
Um die Existenz des Schöpfers (Wuǧūd aṣ-Ṣāniʿ) zu beweisen, musste der
Autor die Erschaffenheit der Körper bzw. der Substanzen (Ḫuduṯ al-Aǧsām) bewei-
sen.
Aus diesem Komplex entstehen weitere Fragen, wie u. a. nach der Ewigkeit
der Welt (Qidam al-ʿAlam) und dem totalen Zerfall der Dinge (al-Fanāʾ), die klar
beantwortet werden müssen. Dasselbe gilt für weitere relevante Fragen zum Bei-
spiel nach der Entstehung der Materie (Ḫalq al-Aǧsām), ihrem totalen Zerfall
(Fanāʾuhā) und ihrer Wiederentstehung (Iʿādatuhā). Philosophische Fragen nach
dem Sein und Nichtsein (al-Wuǧūd wa-l-ʿAdm) im Hinblick auf den Akt der Schöp-
fung bzw. die Entstehung und die Fortdauer der Dinge nehmen eine zentrale Posi-
tion in der ersten Hälfte des al-Kāmil ein.
Die Akzidenzen eines Gegenstandes (al-Aʿrāḍ) in Bezug auf die Frage
des Nichtseins (al-ʿAdam) und des Seins (al-Wuǧūd) sind ein Bestandteil der
muʿtazilitischen Schöpfungstheorie weshalb ihnen eine große Bedeutung in
al-Kāmil beigemessen wird.
Die Begriffe „Wissen“ und „Wahrnehmung“ (ʿIlm u.ʿIdrāk) stellen den Kern
der muʿtazilitischen Erkenntnistheorie dar und werden in fast allen Abschnitten
dieses Werkes maber insbesondere in den 9. und 13. Abschnitten systematisch
behandelt.

Die muʿtazilitische Erkenntnistheorie


Nach einer im philosophischen Sinne systematisierten Erkenntnistheorie bei den
Muʿtaziliten zu suchen, ist ein schwieriges Unterfangen. Deshalb weil die vor-
handenen Quellen nicht alle mu tazilitischen Überlegungen auf diesem Gebiet
enthalten, und weil die Hauptquelle eines der größten und letzten Muʿtaziliten,
nämlich „al-Muġnī fī abwāb at-tauḥīd wa-l-ʿadl“ von al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār, nur
Aussagen beinhaltet, deren Ursprung schwer festzustellen sind. Außerdem folgt
ʿAbd al-Ğabbār in seinen Büchern, insbesondere im „Muġnī“ keinem bestimm-
Die Blütezeit der Muʿtazila und ihre Rezeption bei den Spätmuʿtaziliten 179

ten in sich konsequenten System28. Will man trotzdem versuchen, eine Übersicht
über ihre Erkenntnistheorie zu gewinnen, so muss man alle Werke ʿAbd al-Ğabbār
und die der anderen Muʿtaziliten auf diesen Gegenstand hin erforschen.
Es stellt sich heraus, dass dieses Problem auf zwei verschiedene Arten behan-
delt worden ist. Einmal wird erklärt, wie man die Erkenntnisse im Allgemeinen
erwerben kann, und zum anderen, wie man eine menschliche Handlung bewer-
ten soll.
Dem ersten Teil dieser Erkenntnistheorie gilt hauptsächlich der 12. Band
seines Buches „al-Muġnī“, der den Titel „an-Naẓar wa-l-Maʿārif“ (Das Denken und
die Erkenntnisse) trägt29. Auch in anderen Büchern, z. B. im Buch „al-Maǧmūʿ fī
al-Muḥīṭ bi-t-Taklīf“, das al-Ḥasan Ibn Mattawaih zusammengetragen oder sogar
verfasst haben könnte30, findet sich einschlägiges Material.
Der zweite Teil nimmt einen festen Platz im VI, i. des al-Muġnī31 ein, ebenso
in „Šarḥ al-Uṣūl al-Ḫamsa“ bringt er wichtige Beiträge dazu32.
Das bedeutet allerdings nicht, dass er nicht auch in anderen Büchern diesen
oder jenen Teil behandelt33. Also muss man alle seine Schriften, sowie alle
anderen muʿtazilitischen Werke heranziehen, um ein umfassendes Bild von den
erkenntnistheoretischen Überlegungen im muʿtazilitischen Gedankengut zu
gewinnen.
Alle theologischen bzw. philosophischen Überlegungen auf diesem Gebiet
des Islam, sei es aus muʿtazilitischer Sicht, sei es nach orthodoxem Glauben,
oder nach den Philosophen und den Mystikern, basieren auf den entsprechenden
Koranauslegungen34.
Die Muʿtaziliten und orthodoxen Theologen glaubten in ihrer teilweise
vom Fiqh getrennt behandelten Sittenlehre ausschließlich dem Propheten zu
folgen.
Die von den Griechen, insbesondere den Peripatetikern beeinflussten mus-
limischen Philosophen übernahmen dagegen als praktische Philosophie eine
Ethik, die auf dem Grundsatz von Gut und Böse und der Unterscheidung von
Tugend und Laster aufbaut und der Glückseligkeit (as-Saʿāda) dienen sollte.

28 J. R. Peters. God’s created speach, 27 ff.


29 hg. v. I. Madkūr u. Ṭāha Ḥusain, Kairo, 1962.
30 ʿU. ʿAzmī, Einleitung des o. g. Buches.
31 VI. I, „At-Taʿdīl wa-t-Taǧwīr“, hg. v. a. F. Al-Ahwānī u. I. Madkūr, Kairo, 1962.
32 Hg. v. ʿA. ʿUṯmān, Kairo, 1965.
33 Al-Maǧmūʿ fī al-Muḥīṭ…“, Hg. ʿU. ʿAzmī u. a. F. Al-Ahwānī, Kairo, 1965.
34 Wulf, Maurice de. Histoire de la philosophie médiévale, Paris, 1924, 208 ff.
180 Elsayed Elshahed

Diese Ethik weist auch pythagoreische, platonische und stoische Einflüsse


auf, wobei normative Elemente im Vordergrund stehen, die durch Offenbarung,
Dichtung und Weisheitssprüche belegt wurden35.
Die islamische Mystik versuchte in ihrer Ethik pythagoreisches, gnostisches,
neuplatonisches und indisches Gedankengut mit der islamischen Offenbarung
in Einklang zu bringen. Die mystische Ethik unterscheidet sich von der Ethik der
Philosophen dadurch, dass sie aus verschiedenen Stufen (Maqāmāt) besteht, die
nur durch eine asketische Lebensführung erreicht werden können36.
Die Muʿtaziliten unterscheiden sich einerseits von den übrigen Traditions-
anhängern dadurch, dass sie das Primat der Vernunft vertraten, und andererseits
von den Philosophen, denen sie am meisten ähnelten, insofern, als sie sich stärker
als diese an den Wortlaut des Koran hielten und ihm eine erhebliche Beweiskraft
zuschrieben. Sie unterscheiden sich schließlich von den Mystikern, indem sie
die asketische Lebensführung sowie das mystische Glaubensverständnis und vor
allem die These der Vereinigung mit Gott ablehnten37.
Der Schwerpunkt der muʿtazilitischen Erkenntnistheorie und Wertlehre liegt
darin, dass sie nicht nur die Frage untersuchten, wie man die Eigenschaft eines
bestimmten Objektes erkennen kann, sondern auch, ob etwas anderes als das
Objekt selbst die Eigenschaft beeinflusst.
Geht es um die Bewertung einer Handlung, dann ist danach zu fragen, ob sie
nur gemäß dem göttlichen Gebot und Verbot gut bzw. böse ist, wie die Ašʿariten
behaupten, wonach der ganze Bewertungsprozess völlig von dem Willen Gottes
abhängt38. Oder ob die Ursache in einem anderen Bereich liegt, wie z. B. in dem
sogenannten waǧh (Aspekt), der von dem Willen des Täters abhängt, wie es die
Ansicht der Muʿtaziliten ist39.
Es ist sicherlich übertrieben zu behaupten, dass die Muʿtaziliten durch ihre
Neigung zum rationalen Denken der Offenbarung jede Bedeutung aberkannten.
In der Tat schrieben sie der göttlichen Eingebung sogar eine der Vernunft über-
legene Funktion in ihrer Erkenntnistheorie zu.
So wichtig und wesentlich der menschliche Verstand ist, so wird er – wie
es der Auffassung ʿAbd al-Ğabbār zu entnehmen ist – der göttlichen Eingebung
untergeordnet. Denn man kann nur durch die göttliche Eingebung die Einzelhei-

35 ’A. Falaturi. Lexikon der Islamischen Welt, I, 167, u. G. F. Hourani. Essays on Islamic Phi­lo­so­phy
and Science. Albany, 1975, 128 ff.
36 Ebd.
37 Ebd.
38 Watt,M. Free Will and Predestination, London, 1948, 1.
39 Aš-Šaharastānī, ʿA. Nihāyat al-Iqdām fī ʿIlm al-Kalām, 370 u. 379–80; Gardet, L. L’Islam. Reli-
gion et communauté, Paris 1967, 176.
Die Blütezeit der Muʿtazila und ihre Rezeption bei den Spätmuʿtaziliten 181

ten des Erkenntnisgegenstandes erfassen40. Diese Einstellung ʿAbd al-Ğabbārs zur


Relation zwischen dem menschlichen Verstand einerseits und der göttlichen Ein-
gebung andererseits ist m. E. originell und zwar auch innerhalb der muʿtaziliten
Kalām. Durch diese Einstellung lässt sich das Iʿtizāl im 5./11. Jahrhundert neue
definieren und von seinen Vorgängern, seien es die Griechen oder andere, unter-
scheiden. Durch diese Entwicklung rückt sich das Iʿizāl folgerichtig der Ortho-
doxie näher.
Der Erkenntnisprozess erfordert, nach muʿtazilitischer Auffassung, die Erfül-
lung zweier Voraussetzungen:
1. Eine gesunde menschliche Vernunft, die zum Erwerb allgemeiner Kenntnisse
über ein erkennbares Objekt fähig ist.
2. Eine göttliche Eingebung, die präzise Erkenntnisse über das zu erkennende
Objekt vermittelt.

Die Vernunft und die göttliche Eingebung widersprechen sich nach ʿAbd al-Ğabbār
nie, vielmehr ergänzen und bestätigen sie sich gegenseitig41.
Die Eigenart der muʿtazlitischen Erkenntnistheorie zeigt sich noch deutlicher
und wesentlicher in ihrer Auffassung von den Begriffen „Subjektivismus“ und
„Objektivismus“, für die eine philosophisch fundierte Definition in ihren Quellen
allerdings kaum zu finden ist. Was man bei den Muʿtaziliten als Subjektivismus
bezeichnen kann, könnte man eher als Nicht-Objektivismus bezeichnen. Denn
diejenigen Muʿtaziliten, welche z. B. einer Handlung an sich keine Eigenschaft
zuschrieben, führen diese auch nicht auf die bewertende Person zurück, sondern
auf einen dritten Grund, nämlich den Aspekt, unter dem die Handlung ausge-
führt worden ist. Dies ist die Auffassung u. a. des Ğubbāʾī und später des ʿAbd
al-Ğabbār.
Was auch den anderen Teil ihrer Wertlehre in dieser Beziehung angeht,
nämlich das ästhetische Urteil, so führen al-Ğubbāʾī und ʿAbd al-Ğabbār die
Ursache des Urteils auf den sogenannten „Zustand“ (Ḥāl) des Betrachters zurück42.
Der Begriff „Zustand“ bezeichnet hier die natürliche Empfindung des
Betrachters zu dem zu bewertenden Objekt. Diese Empfindung erzeugt bei dem
Betrachter entweder Begierde (Šahwa) oder Widerwillen (Nafra) und dementspre-
chend wird das Objekt bewertet43. In der Bedeutung des Begriffs „Objektivismus“
besteht kein nennenswerter Unterschied zur heute herrschenden Auffassung.

40 Al-Muġnī, VI, I, 77, u. Al-Majmu’ fil-Muhit…, 236.


41 Al-Muġnī, VI, I, 63–64.
42 Al-Maǧmūʿ fī al-Muḥīṭ…, 234; u. M. Horten, „Die Philosophischen Probleme“, Bonn, 1910,
127, Fußnote 2
43 Al-Muġnī…, XII, 50; u. G. F. Hourani, „Islamic Rationalism“, Oxford, 1971, 53.
182 Elsayed Elshahed

Wenn man vorsichtig von Subjektivismus und Objektivismus bei den


Muʿtaziliten sprechen darf, so muss man noch vorsichtiger sein, wenn man ein-
zelne Personen in diese oder jene Kategorie einfügen will. Denn diejenigen, die
angeblich eine subjektivistische Haltung, z. B. in einer ästhetischen Frage haben,
müssen sich nicht unbedingt in einer z. B. ethischen Frage entsprechend verhal-
ten.
Anhand eines von ʿAbd al-Ğabbār im Muġnī dargestellten Problems, in dem
es um die Beurteilung einer äußerlichen Gestalt (aṣ-Ṣūra bzw. al-Ḫilqa) als schön
oder hässlich (Ḥasan oder Qabīḥ) geht, kann man klar die Einstellung jedes ein-
zelnen der sogenannten Muʿtaziliten erkennen44.
Eine entsprechende Unterscheidung zwischen dem ethischen Werturteil des
Guten und Bösen einerseits und den ästhetischen Werten des Schönen und Häss-
lichen andererseits, wie man sie im Deutschen findet, gibt es im Sprachgebrauch
der islamischen Theologie nicht.
Zwar gibt es im Arabischen entsprechende Ausdrücke für die ästhetischen
Werte des Schönen und Hässlichen, nämlich „Ğamīl und Ḏamīm“, doch wurden
diese nicht in den theologischen und philosophischen Auseinandersetzungen
verwendet. Der Grund dafür ist nirgendwo erwähnt. Man hat einfach die Ausdrü-
cke „Gut“ und „Böse“, die normalerweise ethische Werte beinhalten, auch für die
ästhetischen Urteile verwendet.
Während die Muʿtaziliten die Begriffe „al-Ḥassan“ und „al-Qabīḥ“ sowohl
für ethische als auch ästhetische Werte bevorzugen, wählten die Philosophen die
Begriffe „al-Ḫayr und al-Šar“.
Die Konservativen bevorzugen hingegen die Begriffe „Ḥassana und Sayī´a“
sowohl für die ethischen als auch für ästhetischen und religiösen Werte. (S. 11)
Um die nennenswerten Haltungen einiger bedeutender Muʿtaziliten zu
diesem Problem des Subjektivismus und des Objektivismus darzustellen, wären
die unterschiedlichen Haltungen von Abū Ḥāšim (321/932) und ʿAbd al-Ğabbār
(415/1025) diesbezüglich als Beispiel zu nennen.
Eine klare objektivistische Haltung kann man ohne weiteres Abū Ḥāšim
zuschreiben. Denn er vertritt die Meinung, dass sich die äußere Gestalt (Ṣūra und
Ḫilqa) in einem Zustand (Ḥāl) befindet, auf Grund dessen sie immer als gut oder
böse bewertet werden muss, und zwar völlig unabhängig davon, welche Person
sie bewertet und in welchem Zustand sich diese Person befindet. Abū Ḥāšim
soll – nach der Darstellung von ʿAbd al-Ğabbār in „Al-Muġnī die Meinung vertre-
ten haben, dass sich eine hässliche äußere Gestalt (al-Ḫilqa al-qabīḥa) nur davon
durch ein ihr innewohnendes Etwas (li-amrin taḫtaṣṣu bihi) von einer schönen

44 Ebd.
Die Blütezeit der Muʿtazila und ihre Rezeption bei den Spätmuʿtaziliten 183

unterscheiden kann. Dieses innewohnende Etwas führt notwendigerweise dazu,


dass die Natur der betrachtenden Person sie abstoßend empfindet (li-ḏalika
yanfuru aṭ-ṭabʿu minhu)45.
Diese objektivistische Haltung gilt nach Abū Ḥāšim ebenso bei einer ethi-
schen Bewertung; daher kann er, so Hourani zu den Objektivsten im modernen
Sinn gerechnet werden.
Im Gegensatz zu Abū Ḥāšim vertritt ʿAbd al-Ğabbār die Meinung, dass die
Empfindung eines bestimmten Objektes als hässlich oder schön seitens des
Betrachters ihre Ursache nicht in dem zu bewertenden Objekt selbst hat, sondern
durch den jeweiligen inneren Zustand des Betrachters verursacht wird. Dieser
Zustand erzeugt bei ihm eine natürliche Zu- oder Abneigung gegenüber dem
betrachteten Objekt. Demzufolge kann ein einziges Objekt von ein und demsel-
ben Betrachter einmal als schön und ein anderes Mal als hässlich empfunden
werden, je nachdem, welche Empfindung durch den Zustand des Betrachters
für dieses Objekt erzeugt wird. So kann etwa eine Begierde (Šahwa) durch einen
Widerwillen (Nafra) abgelöst werden (yarǧiʿu ilā ḥāl al-Mustaqbīḥ). Demnach ist
das Objekt selbst für ʿAbd al-Ğabbār eigenschaftslos, allerdings nur, wenn es sich
um ein ästhetisches Urteil handelt. ʿAbd al-Ğabbār lasst sich damit in dieser Hin-
sicht zu den Subjektivisten rechnen.
Will man das muʿtazilitische Dogma mit dem ašʿaritischen im Hinblick auf
die Urteilsfindung vergleichen, so erweisen sich die Muʿtaziliten im Allgemeinen
als Nicht-Subjektivisten, weil die Art und der Zustand der bewertenden Person bei
der Bewertung einer Handlung gar keine Rolle spielen. Die Ašʿariten, die Wider-
sacher der Muʿtalziliten, können dagegen als Subjektivisten betrachtet werden.
Denn sie sprechen dem Menschen jedes Recht, sogar jede Fähigkeit zur Bewer-
tung seiner eigenen Handlungen und vor allem der Handlungen Gottes ab. Hier
steht man vor einem eigenartigen Subjektivismus, den man als einen transzen-
dentalen Subjektivismus bezeichnen kann, in dem nur Gott allein das Recht hat,
seine eigenen Handlungen und die der Menschen zu bewerten. Ist die Handlung
von Gott ausgeführt worden, so ist sie immer gut, ist aber ein Mensch ihr schein-
barer Urheber, so ist sie gemäß dem göttlichen Gebot und Verbot zu bewerten.
Das schreibt z. B. aš-Šaharastānī in „Nihāyat al-Iqdām fī ʿIlm al-Kalām“, 379 – 380.
Gott handelt nach der ašʿaritischen Auffassung sozusagen in seinem eigenen
Besitztum (Mulkihi) als ein absoluter Herrscher (Mālik), so dass er immer im Recht
ist. Ein Mensch ist nach dieser Auffassung nicht fähig, freiwillig zu handeln und
schon gar nicht die Handlung Gottes zu beurteilen.

45 Ebd.; Hourani. Islamic Rationalism, 64


184 Elsayed Elshahed

Mit einer komplizierten These, die sie „Kasb“ (Aneignung) nannten, machten
die Ašʿariten den Menschen für seine Taten verantwortlich, um dessen Belohnung
und Bestrafung im Jenseits zu rechtfertigen. Die Belohnung bzw. Bestrafung ver-
dient ein Mensch aber nicht, weil er etwas Gutes oder Böses getan hat, wie die
muʿtazilitische Auffassung lautet, sondern weil er mit seiner Handlung dem gött-
lichen Gebot entsprach oder zuwidergehandelt hat46.
Bei den Ašʿariten hat man es also mit einer übermenschlichen (transzenden-
talen) Erkenntnistheorie zu tun, in der die menschliche Beteiligung am Bewer-
tungsprozess zugunsten der absoluten göttlichen Souveränität entfällt.
Die muʿtazilitische Gegenthese besagt, dass der Mensch, so wie er von Gott
geschaffen wurde, in der Lage ist, u. a. die Erkenntnisse über die ethischen Wahr-
heiten (Maʿrifat al-Ḥaqāʿiq al-Aḫlāqiyya) zu erwerben, solange er einen gesunden
Verstand besitzt und entsprechende Erfahrungen hat47.
ʿAbd al-Ğabbār argumentiert so: Wären die Handlungen ohne die Bestim-
mung der göttlichen Offenbarung wertlos, so erhebt sich die Frage, aus welchem
Grunde Gott diese oder jene Handlung gebietet. Es bleibt demnach nur die eine
logische Erklärung dafür, dass Gott diese oder jene geboten oder verboten hat,
weil sie gut oder böse sind, also auf Grund bereits vorhandener Werte48.
Mit der Frage, wie man die Erkenntnis erwerben kann, kommt man zum
zweiten Teil der Erkenntnistheorie ʿAbd al-Ğabbārs. Er sieht drei Arten von
Erkenntnissen, die durch drei verschiedene Mittel erworben werden können49:
1) Erkenntnisse, die als Folge des rationalen Denkens (bi-ḍ-ḍarūra al-ʿaqliyya)
für jeden denkfähigen Menschen erreichbar sind; vielleicht darf man dabei
an apriorische Erkenntnissen denken.
2) Erkenntnisse, die außer der Denkfähigkeit zusätzliche Überlegungen
(Taʾammul zāʾid) erfordern.
3) Erkenntnisse, die durch die Beweisführung (ʿan ṭarīq al-Istidlāl) gewonnen
werden können.

Die von ʿAbd al-Ğabbār angezeigten drei Arten können auf zwei reduziert werden,
ohne den Inhalt zu beeinträchtigen. Die eine kann man als ein natürliches Wissen
bezeichnen, das jedem denkfähigen Menschen zugänglich ist, die andere umfasst

46 Abū al-Ḥasan al-Ašʿarī.. Al-Lumaʿ; Mc Carthy, Hg., Beirut, 1953, 52; Abū Bakr al-Bāqillānī.
Al-Inṣāf, hg. v. M. Z. al-Kauṯarī. Kairo, 1953, 407; Abū Manṣūr al-Māturīdī. Taʾwīlāt Ahl as-Sunna,
I. U. S. ʿAwaḍain, Kairo, 1971.
47 siehe Anm. 39 u. Al-Muġnī, VI, 10.
48 Al-Muġnī, VI, I, 63–64; XIII, 351; Ğārallāh, Z. Al-Muʿtazila, Kairo, 1947, 167.
49 Al-Muġnī, VI, I, 122.
Die Blütezeit der Muʿtazila und ihre Rezeption bei den Spätmuʿtaziliten 185

die weiteren zwei Arten (2 und 3), für deren Erwerb eine besondere Denkfähigkeit
und eine bestimmte Erfahrung vorausgesetzt werden.
Die nennenswerten Versuche, die Muʿtaziliten in Subjektivisten und Objek-
tivsten einzuteilen wurden u. a. vom Imam Muḥammad ʿAbduh (1385/1905), dem
größten neuzeitlichen muslimischen Theologen, und ʿAbd al-Karīm ʿUṯmān in
einer biographischen Schrift über ʿAbd al-Ğabbār unternommen.
Imam Muḥammad ʿAbduh vertritt die Ansicht, dass die Frühmuʿtaziliten
(2.–3./8.–9. Jh. n. Chr.) Objektivsten waren. Die späteren wären, seiner Meinung
nach, dagegen Subjektivisten, da diese von zusätzlichen Eigenschaften sprachen,
die durch verschiedene Aspekte gewonnen werden50.
Diese Aussage übersieht, dass das sogenannte „Maʿnā, von dem Muʿammar
Ibn ʿAbbād As-Sulamī (210/834) sprach, bei ihm etwas anderes als das Objekt
selbst darstellt. Dieser „Maʿnā“ soll nach Muʿmmar die Eigenschaft des Objektes
beeinflussen51.
ʿAbd al-Karīm ʿUṯmān bezeichnet dagegen die Muʿtaziliten von Basra als
Nicht-Objektivsten, da diese keine wesentliche Eigenschaft für die Tat anerkann-
ten. Sie sind aber auch, so ʿUṯmān, insofern keine Subjektivisten, als sie die Eigen-
schaften völlig unabhängig von der betrachtenden Person sahen, gleich, ob es
sich dabei um Gott oder einen Mensch handelt.
Die Muʿtazliten von Bagdad bezeichnet er als Objektivsten, weil sie den Taten
als solche die Eigenschaft gut oder böse zuschreiben52.
Nimmt man die Einstellung des Abū Ḥāšim, der ein Basrier und in dieser Hin-
sicht ein ausgesprochener Objektivist war, stellt sich die Aussage des ʿUthman als
zweifelhaft dar.
Zusammengefasst hat die muʿtazlitische Erkenntnistheorie zwei Teile, einen
theoretischen und einen praktischen. Der theoretische befasst sich mit der Frage,
wie man die Erkenntnisse erwerben kann. Für die Erwerbung der theoretischen
Erkenntnis werden zwei Wege gezeigt:
Der erste Weg ist die Denknotwendigkeit (aḍ-ḍarūra al-ʿaqliyya bzw. al-ʿIlm
aḍ-Ḍarūrī) durch den man nur die allgemeinen Kenntnisse über das Objekt erfas-
sen kann.

50 Dunyā, Sulaimān. aš-Šaiḫ Muḥammad ’Abduh, Kairo, 1960, 567.


51 Ebd.
52 Die hier erwähnte Aussage von Muḥammad ʿAbduh passt eher zu al-Kaʿbī. Vgl. dazu J. R.
Peters. God’s created speech, 207.
186 Elsayed Elshahed

Der zweite Weg ermöglicht eine präzisere Kenntnis, setzt allerdings außer der
Denkfähigkeit beim ersten Weg und zusätzlicher Überlegungen die Beweisfüh-
rung (al-Istidlāl) voraus53.
Die letzten beiden Wege sind besonders für Bereiche des Fiqh unentbehrlich.
Der praktische, dritte Teil ihrer Erkenntnislehre befasst sich, nach ʿAbd
al-Ğabbār, vornehmlich mit speziellen Fragen, durch die man gewisse Urteile
über bestimmte Gegenstände des alltäglichen Lebens erwerben kann.
Dieser Teil umfasst wiederum zwei Themenbereiche. In dem einen geht es um
ästhetische und im anderen um ethische Urteile.
Mit ʿAbd al-Ğabbārs muʿtazilitischer spekulativer Theologie haben wir,
soweit die vorhandenen muʿtazlitischen Quellen uns berichten, eine spezielle Art
der Erkenntnistheorie vor uns, die zwar der menschlichen Vernunft eine zentrale
Funktion zuschreibt, sie allein jedoch als nicht ausreichend für den Erwerb der
präziseren Kenntnisse betrachtet.
Damit nimmt ʿAbd al-Ğabbār zur Relation zwischen dem Menschenverstand
und der göttlichen Eingebung, einen Zwischenstand zwischen der reinen Ratio-
nalität und der Orthodoxie ein bzw. er rückt sie zusammen.
Diese Tendenz setzte sich durch ʿAbd al-Ğabbārs Schüler und die Nachfolger-
generationen bis Taqī ad-Dīn an-Naǧrānī im 7./13. Jahrhundert fort und ebnete
damit den Weg für „Darʿ at-Taʿaruḍ baina al-ʿAql wa-n-Naql“ von Aḥmad Ibn ʿAbd
al-Ḥalīm Ibn Taymiyya (728/1328).

Literatur
Brockelmann, Carl. Geschichte der arabischen Litteratur. Bde. 1–6 (1898–1909). Leipzig:
Amelang.
Al-Muḥīṯ bit-taklīf, ʿUmar as-Sayyid ʿAzmī, Hg. Šarḥ al-uṣūl al-Ḫamsa, ʿAbd al-Karīm ʿUṯmān.
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Maḥmūd al-Ḫudarī u. a. Kairo, 1958–65.
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Gesellschaft, Wiesbaden: Steiner, 1975.
Dunyā, Sulaimān. aš-Šaiḫ Muḥammad ʿAbduh. Kairo, 1960.

53 Vgl. die unterschiedlichen Definitionen dieses Begriffs bei ’ʿAbd al-Ğabbār in seiner Ausein-
andersetzung mit den sogenannten „Aṣḥāb al-Maʿārif“ in „Šarḥ Al-Uṣūl al-Ḫamsa“, 50 und dazu
die Erläuterung von G. F. Hourani in „Islamic Rationalism“, 20–21 über den Unterschied zwischen
dem arabischen Begriff „Ḍarūrī“ und dem englischen „necessary“.
Die Blütezeit der Muʿtazila und ihre Rezeption bei den Spätmuʿtaziliten 187

Eberhardt, Dorothee: Der sensualistische Ansatz und das Problem der Veränderung in der
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Ess, Josef van. „Ǧāḥiẓ und die aṣḥāb al-ma‛ārif“ In Der Islam, Bd. 42 (1966): 169–178. Berlin/
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Islam, Bd. 44 (1968): 1–70. Berlin/New York: Walter de Gruyter.
Ess, Josef van. „Ḍirārs politische Theologie.“ In Theologie und Gesellschaft im 2. und
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Horten, Max. Die philosophischen Probleme der spekulativen Theologie im Islam. Bonn: Verlag
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Steiner, Heinrich. Die Muʿtazila oder die Freidenker im Islam. Leipzig: S. Hirzel, 1865.
Mahmoud Abushuair
Al-Qāsim b. Ibrahīm ar-Rassī und die
muʿtazilitische Theologie
Es ist in der islamischen Theologie bekannt, dass die Zaidīten das Erbe
muʿtazilitischer Theologie nicht nur übernommen sondern auch lange Zeit
bewahrt haben. Umstritten ist jedoch, ob diese Übernahme erst ab der zweiten
Hälfte des vierten Jahrhunderts der Hidschra in Dailamān und Ṭabaristān oder
noch früher stattfand. In diesem Zusammenhang ist al-Qāsim b. Ibrahīm ar-Rassī
(gest. 246/860) als bekanntes Beispiel einer möglichen muʿtazilitisch-zaiditischen
Theologie zu erwähnen. Er wirkte zu einer Zeit als man Anfang des 3./9. Jahrhun-
derts die Blütezeit der islamischen Theologie erlebte. Im arabischsprachigen For-
schungsfeld wird er als muʿtazilitischer Theologe kategorisiert und seine Schrif-
ten werden in diesem Zusammenhang als Zeugnisse der früh-muʿtazilitischen
Theologie zitiert. In der westlichen Islamwissenschaft ist es jedoch umstritten,
unter welcher theologischen Kategorie al-Qāsim klassifiziert werden kann. Rudolf
Strothmann betrachtete in seinen Werken über die Zaiditen al-Qāsim Ibn Ibrahim
als Vertreter der muʿtazilitischen Theologie (Strothmann 1912)1, wobei Wilferd
Madelung ihn nur als zaiditischen Imam sieht, der die Tür zum Muʿtazilismus
geöffnet hat. Binyamin Abrahamov sieht ihn hingegen als Theologen, der stark
von den Muʿtaziliten geprägt und beeinflusst war.
Dieser Beitrag unternimmt den Versuch, den muʿtazilitischen Charakter al-
Qāsims anhand der bislang vorliegenden arabischsprachigen und westlich-islam-
wissenschaftlichen Studien über ihn noch einmal zu untersuchen. Dabei sollen
unterschiedliche Positionen behandelt werden, die al-Qāsims muʿtazilitisch-
theologischen Charakter in Frage stellen, wie z. B. die Authentizität von einigen
seiner Werke, seine Argumentationsweise und seine Haltung zur Erschaffenheit
des Koran.

1 Z
 ur Person
Al-Qāsim b. Ibrahīm b. Ismāʿīl b. Ibrahīm b. al-Ḥasan b. al-Ḥasan b. ʿAlī b. Abī
Ṭālib (ar-Rassī) ist ein medinensisch zaiditischer Imam. Er ist in Medina aufge-

1 Strothmann erforschte das theologische und rechtliche Gedankengut der Zaiditen in zwei an-
deren Beiträgen, nämlich: Staatsrecht der Zaiditen und Literatur der Zaiditen.

https://doi.org/10.1515/9783110588576-010
Al-Qāsim b. Ibrahīm ar-Rassī und die muʿtazilitische Theologie 189

wachsen, wo er Hadithe von Abū Bakr Ibn Abī Uwais (gest. 202/817), dem Neffen
des Gelehrten Mālik b. Anas (gest. 179 /795), gelernt und gehört hat. Von anderen
Lehrern weiß man nichts, da es kaum Informationen über seine Jugendzeit gibt. In
seiner Edition zu „Mağmūʿ kutub wa rasāʾil al-Imām al-Qāsim b. Ibrāhīm ar-Rassī“
fügt ʿAbd al-Karīm Ğadbān noch Ismāʿil b. Abī Uwais (gest. 226 /840) und Abū
Sahl Saʿd b. Saʿīd al.Muqbirī2 zu den Lehrern al-Qāsims hinzu (Ar-Rassī 2001,
1: 31). Sufiān b. ʿUyiaina (gest. 198/814) überliefert, dass al-Muqbirī als Qadarīt3
betrachtet wurde (Al-Mizzī 1987, 10: 261). Wahrscheinlich hat al-Qāsim von ihm
theologisches Wissen erworben. Diese Liste der Lehrer weist darauf hin, dass
al-Qāsim in Medina aufgewachsen war.
Während seines Aufenthalts in Ägypten erfuhr er vom Tod seines Bruders und
begann dann das Recht auf das Imamat in Anspruch zu nehmen. In Ägypten nahm
er an Debatten und Wissenskreisen teil und erwähnt, dass in seinen dortigen Sit-
zungen mutakallimūn waren. Als Beispiel nennt er Ḥafṣ al-Fard (gest. 210/826).
Jedoch weiß man nicht, wer in Ägypten tatsächlich die muʿtazilitische Theologie
vertrat4. Bekannt ist, dass Wāṣil seine Anhänger und Schüler nach Ḥiğāz, Jemen
und Ägypten schickte, um die Lehren seiner theologischen Schule zu verbreiten.
Höchstwahrscheinlich traf sich al-Qāsim mit diesen sowohl in Medina als auch
in Ägypten, wo er auch philosophisches Wissen erwarb. Dass er zu seinen phi-
losophischen Erkenntnissen unter der Beeinflussung der christlichen Theologie
gelangte, ist jedoch nicht ganz klar.
Muḥammad b. Manṣūr al-Murādī, ein Anhänger al-Qāsims überliefert, dass
al-Qāsim selber erklärte in Marokko gewesen zu sein, als er vom Tod seines
Bruders erfuhr und zu diesem Anlass ein Trauergedicht verfasste. Anhand dieser
Überlieferung kann angenommen werden, dass er in dieser Zeit wegen politischer
Verfolgung unterwegs war5.

2 Sein Vater Saʿīd b. Abī Saʿīd (gest. 120 n. H) ist bei fast allen Hadith-Gelehrten als zuverläs-
siger Überlieferer eingestuft. Er überliefert jedoch nicht nach seinem Vater, sondern nach seinem
Bruder. Wahrscheinlich starb sein Vater, bevor er ein reifes Alter erreichte. Er zählt zusammen
mit seinem Bruder zu den schwachen Überlieferern. Sein Todesdatum konnte ich in den riğāl-
Büchern nicht finden.
3 Qadarī war auch eine Bezeichnung der Muʿtazila von Seiten der damaligen Hadith-Gelehr-
ten. Eine ähnliche Bezeichnung der Muʿtazila seitens der Hadith-Gelehrten war auch „ğahmī“,
als Anhänger der Ğahmiten und dessen Gründer Ğahm b. Abī Ṣafwān.
4 Albert Nasri Nader, 33 erwähnt den Namen Ibn ʿUlaiyā als denjenigen, der iʿtizal nach Ägypten
brachte.
5 In seiner Einleitung der Edition der Rassīs Sammelwerke erwähnt Ğadbān, Ar-Rassī. Bd. 1
(2001): 32 die von al-Murādī angeführten Überlieferung und kommentiert, dass al-Qāsim mit
al-Maġrib, Ägypten meint.
190 Mahmoud Abushuair

Dass im Biographienwerk „al-Wāfī bil-wafiyyāt“ erwähnt wurde, er sei damals


auch nach as-Sind (heutiges Pakistan bzw. Nordindien) gereist, ist jedoch sehr
unwahrscheinlich (Aṣ-Ṣafadī, 2000, 24: 83). Dies wurde in den anderen zaiditi-
schen und nicht-zaiditischen Literaturquellen nirgends erwähnt und steht auch
im Widerspruch zu dem, was al-Qāsim über sich selber erzählte. Dass er in diesen
zehn Jahren zwischen Ägypten und Marokko hin und her pendelte ist gut möglich,
ein Abstecher nach as-Sind dagegen kaum.
Nach zehn Jahren kehrte er nach Medina zurück, wo er sich in einem Tal
namens ar-Rass in der Nähe von Medina niederließ und von dort aus sein Wissen
weiter vermittelte, bis er im Jahr 246/860 starb.

2 Al-Qāsims Schriften und deren Authentizität


Verfolgt man die verschiedenen Versionen und Fassungen der Manuskripte, die
eine variierende Anzahl von Al-Qāsim zugeschriebenen Schriften enthalten,
dann stößt man auf unterschiedliche Schriften al-Qāsims. Einige von ihnen sind
bekannt, andere sind noch nicht aufgefunden, wobei einige Schriften, die von
manchen Forschern als echt angesehen werden, von anderen als unecht betrach-
tet werden.
Der jemenitische Forscher ʿAbd al-Karīm Aḥmad Ğadbān edierte die Sammlung
der Werke al-Qāsims. In der Einleitung seiner Edition erwähnt er sowohl gefundene
als auch nichtgefundene Schriften al-Qāsims. Die gefundenen Schriften sind nach
Ğadbān: Ad-Dalīl al-Kabīr und ad-Dalīl al-Ṣaġīr in der Widerlegung der Philoso-
phen, munāẓara maʿa mulḥid, ar-Radd ʿala Ibn al-Muqaffaʿ in der Widerlegung der
Dualisten, ar-Radd ʿala al-Naṣārā in der Widerlegung der Christen, al-Mustaršid
in der Widerlegung derjenigen, die behaupten, Gott sei nur im Himmel, ar-Radd
ʿala al-Muğabbira in der Widerlegung der Fatalisten, ar-Radd ʿala al-Rāfiḍa und
ar-Radd ʿala ġulāt al-Rawāfiḍ in der Widerlegung der Imāmīten und al-ʿadl wa
al-tauḥīd, uṣūl al-ʿadl wa al-tauḥīd, masʾalat al-Ṭabriyyān, fuṣūl fī al-tauḥīd, tafsīr
al-ʿarš wa al-kursī, madīḥ al-qurʾān al-kabīr, madīḥ al-qurʾān al-Ṣaġīr, tafsīr swar
al- qurʾān, al-nāsiḫ wa al-mansūḫ, taṯbīt al-imāma, al-imāma, al-qatl wa al-qitāl,
al-hiğra lil-Ẓālimīn, al-maknūn, siyāsat al-nafs, al-ʿālim wa al-wāfid, mawāʿiẓ,
mafāhīm islāmiyya, al-Ṭahāra, ṣalāt al-yaum wa al-laila und al-masāʾil al-manṯūra.
Als nicht aufgefundene Schriften erwähnt er: Al-farāʾiḍ wa al-sunan, masāʾil
Ibn Ğuhšiār, masāʾil al-Nairūsī, manāsik al-ḥağğ, masāʾil ʿAbdullāh b. al-Ḥasan al-
Kalārī, masāʾil Yaḥiā b. al-Ḥusain al-ʿAfīfī und masāʾil al-Qūmasī.
Als einzige al-Qāsim fälschlich zugeschriebene Schrift führt Ğadbān „al-kāmil
al-munīr fī al-radd ʿala al-ḫawāriğ“ an, die er einem gewissen Ibrāhīm b.
Al-Qāsim b. Ibrahīm ar-Rassī und die muʿtazilitische Theologie 191

Ḫairān6 zuschreibt. Nach Ğadbān stand der Name von Ibrāhīm b. Ḫairān als Ver-
fasser auf zwei von drei Manuskripten dieser Schrift, die ihm zugänglich waren.
Ğadban betont auch den wesentlichen methodischen Unterschied dieser zu
anderen Schriften al-Qāsims. In seinen Debatten und Beweisführungen verwen-
det al-Qāsim immer Beweise aus der Vernunft und führt dann Belege aus dem
Koran an. „al-kāmil al-munīr fī al-radd ʿala al-ḫawāriğ“ ist dagegen ist voll von
Hadithen, zwischen denen man die Überlieferungsketten vergleicht, was zur
Methode al-Qāsims definitiv nicht passt.
In seinem Werk „Der Imam al-Qāsim b. Ibrāhīm und die Glaubenslehre der Zai-
diten“ untersucht Wilferd Madelung die Frage der Echtheit der Werke al-Qāsims.
Madelung geht in seiner Behandlung dieser Frage von der Berliner Handschrift,
der ältesten in Europa zugänglichen Sammlung der Werke al-Qāsims aus. Sie
enthält nur 19 Schriften. Diese Handschrift sollte am Ende des Monats šaʿbān
des Jahres 544 n. H. vervollständigt werden. Danach sollten die beiden folgen-
den Schriften das kitāb ad-dalīl aṣ-Ṣaġīr und das kitāb al-ʿadl wa-l-tauḥīd wa-nafy
al-ğabr wat-tašbīh ʿan Allah al-wāḥid al-ḥamīd als überzählig und al-Qāsim unter-
geschoben betrachtet werden. Sie sind laut Madelung also nachträglich hinzu-
gefügt worden. Er begründet seine Auffassung damit, dass der muʿtazilitische
Gelehrte und zaiditische Imam Abū Ṭālib an-Nāṭiq (gest. 424/1033) sie nicht
unter den Werken al-Qāsims aufführt. Jedoch weist Madelung darauf hin, dass
Abū Ṭālibs Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und erwähnt, dass
an-Nāṭiq von einem kitāb ad-dalīl wusste. Madelung erklärt hingegen, dass der
zaiditsche Gelehrte al-Muḥallī (gest. 652 /1254) in seiner Biographie al-Qāsims
diese beiden, nach Madelung überzähligen Schriften aufführte. Außerdem sollten
sie keine der stilistischen Eigenheiten und keine der typischen Gedankengänge
al-Qāsims aufweisen. Demnach standen sie vielmehr unter dem unmittelbaren
Einfluss der muʿtazilitischen Schuldogmatik, wie er bei al-Qāsim nicht zu spü-
ren ist.
In seinem Buch „Der Imam al-Qasim Ibn Ibrahim und die Glaubenslehre der
Zaiditen“ erwähnt Madelung7, dass der ägyptische Forscher Fuʾād Sayyed der Auf-
fassung sei, die Handschrift der Mutawakkilīya Bibliothek in Ṣanʿāʾ sei älter als
die ihm, d. h. Madelung, zugängliche Handschrift, in der diese zwei von Made-
lung als überzählig angesehenen Schriften angeführt wurden. Die Handschrift
sollte aus dem vierten Jahrhundert der Hiğra stammen und 23 Schriften enthalten.
Madelung bezweifelt, dass die Handschrift so alt ist, wie Fuʾād Sayyed anführt
(Madelung 1965, 96). Er legt dazu jedoch keine Beweise vor. Dass die Berliner

6 Zu dieser Person stehen keine Informationen zur Verfügung.


7 Dies zitiert er in einer Fußnote zur Seite 96 (Madelung 1965, 96).
192 Mahmoud Abushuair

Handschrift mit nur 19 Schriften abgeschlossen wurde, kann nicht als Beweis der
Unechtheit anderer Schriften angesehen werden. Vielmehr sollte man sie mit den
anderen Handschriften und Manuskripten vergleichen.
Abū Ṭālib an-Nāṭiq erwähnt diese zwei obengenannten Schriften in seinem
Werk „al-ʾifāda“ nicht, listet auch dort die Schriften al-Qāsims nicht auf, sondern
verweist bei jedem Wissensbereich nur auf eine Auswahl von Schriften, die er
als wichtigste seiner Werke betrachtet, was aber bei der Auflistung im Buch von
al-Muḥallī nicht der Fall ist.
Da die zwei oben erwähnten Schriften keine der stilistischen Eigenheiten und
keine der typischen Gedankengänge al-Qāsims aufweisen, kann man dies wie folgt
interpretieren: Die Schrift „kitāb al-ʿadl wa-l-tauḥīd wa-nafy al-ğabr wat-tašbīh ʿan
Allah al-wāḥid al-ḥamīd“ bzw. das Kitāb al-ʿadl wat-tauḥid al-kabīr ist tatsächlich
nicht von al-Qāsim verfasst worden, sondern von seinem Sohn Muḥammad (gest.
284/897). Trotzdem bleibt diese Schrift als inhaltliche Darstellung der theologi-
schen Auffassungen al-Qāsims relevant, wie der Titel und die Einleitung dersel-
ben Schrift in der Sammlung der Werke vom Sohn Al-Qāsims „Muḥammad“ zeigt.
Hier trägt sie die Überschrift „aš-Šarḥ wat-tabyīn fī uṣūl ad-dīn“. In der Einleitung
erklärt Muḥammad b. al-Qāsim, dass er in diesem Werk die Grundlagen der Reli-
gion bei seinem Vater al-Qāsim darstellt, weil seine Söhne und einige Anhänger
seines Vaters ihn danach fragten (Ar-Rassi Muḥammad, 2002, 3).
Die beiden Schriften „Kitāb ad-dalīl al-kabīr“ und „Kitāb ad-dalīl aṣ-ṣaġīr“
sind nicht von al-Qāsim selber geschrieben, sondern von ihm diktiert. Es handelt
sich also nicht um zwei Schriften, sondern vielmehr um zwei Überlieferungen
derselben Schrift. Das ist besonders in den Anfängen beider Werke zu bemerken.
Madelung selber berichtet von einer authentischen Schrift mit dem Titel „Kitāb
at-tauḥīd lillāh al-Wāḥid al-Ḥamīd“ deren Inhalt eigentlich nichts anders als das
„Kitāb ad-Dalīl aṣ-Ṣaġīr“ ist. Unabhängig davon, ob die Schrift „ad-Dalīl aṣ-Ṣaġīr“
oder „kitāb at-tauḥīd“ heißt, sollten der Inhalt und die Gedanken von al-Qāsim
selber stammen und stellen somit die Echtheit der Inhalte beider Überschriften
nicht in Frage.
Ferner bezweifelt Madelung die Echtheit von drei weiteren Werken al-Qāsims,
obwohl diese in der ihm zugänglichen Berliner Handschrift enthalten sind. Die
Schrift „Kitāb ar-radd ʿalār-rawāfiḍ min aṣḥāb al-ġulūw“ dürfte nach Meinung von
Madelung nicht von al-Qāsim verfasst worden sein. Der Name al-Qāsims wurde
womöglich im Blick auf die frömmsten Angehörigen der Prophetenfamilie, die
das Erb-Imamat nicht anerkannten nachträglich hinzugefügt. Deshalb könnte
man an eine anonyme Streitschrift denken, die al-Qāsim für sich selbst propa-
gierte. Madelung bezweifelt darüber hinaus den Stil der Schrift und geht davon
aus, dass der Verfasser ein Anhänger al-Qāsims sei, wahrscheinlich aber einer
seiner Söhne.
Al-Qāsim b. Ibrahīm ar-Rassī und die muʿtazilitische Theologie 193

Allerdings bemerkt man auch bei genauer Betrachtung keinen stilistischen


Unterschied zu anderen thematisch verwandten Schriften al-Qāsims. Die Schrift
sollte ja auch mit der anderen – nach Madelung authentischen – Schrift „ar-radd
ʿalā ar-rāfiḍa“ inhaltlich nicht verglichen werden, weil die beiden Schriften zwei
ganz unterschiedliche Thematiken behandeln. In „ar-radd ʿalā ar-rāfiḍa“ geht
es um die Widerlegung derjenigen, die behaupten, es habe nie eine Zeitepoche
gegeben noch werde es je eine Zeit geben, in der es keinen Waṣiyy geben würde,
der ein Wissen wie das der Propheten besitze. Hingegen handelt es sich bei „Kitāb
ar-radd ʿalār-rawāfiḍ min aṣḥāb al-ġulūw“ um die Widerlegung derjenigen, die den
Anspruch auf das Imamat bzw. Erb-Imamat auf die Nachkommen al-Ḥusain b. ʿAlīs
beschränken und somit die Nachkommen seines Bruders al-Ḥasan ausschließen.
Das Werk dem Titel „al-imāma“ sieht Madelung als unecht bzw. als nicht
von al-Qāsim verfasst an. Nach Madelung gibt es thematische und inhaltliche
Unterschiede zu anderen authentischen Schriften desselben Themas, wie das
Kitāb taṯbīt al-imāma. Es ist jedoch zu erwähnen, dass die Sammlung der Werke
al-Qāsims nicht nur eine, sondern zwei Schriften mit der Überschrift „Kitāb
al-imāma“ enthält. Eine der beiden hat Madelung entweder übersehen oder sie
war ihm möglicherweise unzugänglich.
Dass das kitāb munāẓara maʿa mulḥid von al-Qāsim nicht selber aufgeschrie-
ben bzw. von ihm überliefert wurde, bedeutet nicht zwangsläufig dass es nicht
dennoch von ihm verfasst worden ist. In ihren Grundthesen und inhaltlichen
Gedanken stimmt kitāb munāẓara maʿa mulḥid mit den übrigen Werken al-Qāsims
überein. Auch gibt es andere echte Schriften von al-Qāsim nur in überlieferter
Form, d. h. er hat sie selber nicht aufgeschrieben. Einige Ausdrücke können von
seiner bekannten Begrifflichkeit abweichen, dennoch reflektieren sie seine theo-
logischen Auffassungen und widersprechen den Formulierungen anderer authen-
tischen Werke von ihm nicht. Das kitāb tafsīr al-ʿarš wal-kursī ist beispielsweise
von ʿAlī b. Muḥammad b. ʿAbdullāh überliefert und dieser hat es von al-Ḥasan
b. al-Qāsim übernommen. Al-Ḥasan übernahm diese Schrift nicht von seinem
Vater direkt, sondern von seinem Bruder al-Ḥusain b. al-Qāsim. Eine schriftliche
Fassung basiert auf der Überlieferung von ʿAlī b. Muḥammad b. ʿAbdullāh, geht
jedoch nicht auf ein direktes Diktat von al-Qāsim zurück. Trotzdem hegen die
Forscher zurecht keinen Zweifel an der Echtheit dieser Schrift.
Das Kitāb ar-radd ʿalā al-muğabbira hält Madelung für unecht, anders als Abū
Ṭālib an-Nāṭiq, der es für ein originales Werk al-Qāsims hielt. Madelung begrün-
det seine Ansicht damit, dass diese Schrift im Stil nicht al-Qāsims anderen Schrif-
ten entspricht und dass die Stellungnahme des Verfassers in einigen Fragen mit
der sonst bezeugten Haltung al-Qāsims nicht zu vereinbaren sei. Madelung gibt
dann eine Zusammenfassung der Schrift, führt aber keine der angeblichen stilis-
tischen und inhaltlichen Widersprüchlichkeiten auf.
194 Mahmoud Abushuair

Nach Meinung des Verfassers widersprechen die in Kitāb ar-radd ʿalā al-
muğabbira angeführten Auffassungen keiner der Ansichten al-Qāsims. Tatsäch-
lich gibt es keine typisch stilistischen Eigenheiten der Schriften al-Qāsims;
manchmal schreibt er in einem gereimten poetischen Stil wie in ar-radd ʿalā Ibn
al-Muqaffaʿ, manchmal in einem polemischen Stil wie in Kitāb al-mustaršid und
manchmal werden seine Aussagen in gereimter Form überliefert wie in Kitāb ad-
dalīl al-kabīr, manchmal ungereimt, wie in tafsīr al-ʿarš wal-kursī.
Schließlich kann man zum Ergebnis kommen, dass alle in den Handschriften
erwähnten Werke und Schriften al-Qāsims inhaltlich und/oder formulierungs-
gemäß wirklich von al-Qāsim stammen, mit Ausnahme der ihm fälschlich zuge-
schriebenen Schrift „al-kāmil al-munīr fī ar-radd ʿalā al-ḫawāriğ“, die von den
zaiditischen Gelehrten selber als al-Qāsim fälschlich zugeschrieben angesehen
und Ibrāhīm b. Ḫairān zugeschrieben wurde.

3 Al-Qāsim b. Ibrahīm als Muʿtazilit


In den klassischen Quellen der islamischen theologischen Denkschulen wird
der Name von al-Qāsim b. Ibrāhīm ar-Rassī weder als Vertreter einer reinen zai-
ditischen noch der muʿtazilitischen Theologie erwähnt. Abū al-Ḥasan al-ʾAšʿarī
nennt sechs zaiditische Gruppen sowie ihre wichtigsten Vertreter. Dazu gehören
jedoch nicht al-Qāsim oder sein Enkel al-Hādī. Bei der Ernennung dieser sechs
zaiditischen Gruppen wurde Sulaimān b. Ğarīr zum Haupt-Theologen der Zaidi-
ten. Die Zaiditen – Imame der Nachkommenschaft Alis gehörten nicht zu diesen
aufgelisteten Gruppen. Auch in den muʿtazilischen Klassenbüchern wird al-Qāsim
nicht erwähnt; jedoch ist darauf hinzuweisen, dass in all diesen Klassenbüchern
die Nachkommenschaft des Propheten als Leute der Einheit und Gerechtigkeit
Gottes bezeichnet wurden. Al-Ḥākim al-Ğušamī nennt auch den Namen al-Qāsim
und meint damit, dass viele seiner Anhänger Muʿtaziliten waren (Madelung 1965,
72). Die meisten historischen Überlieferungen dieser Art waren aber mehr oder
weniger mit Versuchen der Legitimierung der muʿtazilitischen Auffassungen und/
oder der Wissensautoritäten alidischer Prätendenten verbunden.
Würdigt man die Schriften und die Auffassungen al-Qasims selber, kann
man ein schlüssiges Bild von ihm und seinem theologischen Anliegen gewin-
nen. Schaut man auf die gesamten Schriften von al-Qāsim, dann findet man zwei
Werke, die mit den Bezeichnungen „al-ʾuṣūl al-ḫamsa“ „uṣūl al-ʿadl wa-l-tauḥīd“
und „kitāb al-ʿadl wa-l-tauḥīd wa-nafy al-ğabr wat-tašbīh ʿan Allah al-wāḥid
al-ḥamīd“ betitelt sind. Die letzterwähnte Schrift al-Qāsims ist nach Madelungs
Auffassung ihm fälschlich zugeschrieben und nachträglich zu seinen Werken
Al-Qāsim b. Ibrahīm ar-Rassī und die muʿtazilitische Theologie 195

hinzugefügt worden. Die Gründe, warum Madelung al-Qāsims Verfasserschaft


in Frage stellt, sind meines Erachtens nicht ausreichend. Madelung begründet
seine Auffassung lediglich damit, dass an-Nāṭiq bil-ḥaq Abū Ṭālib al-Hārūnī (gest.
424/1033) sie nicht unter seinen Werken aufführt und dass sie keine der stilisti-
schen Eigenheiten und keine der typischen Gedankengänge al-Qāsims aufweisen.
Al-Hārūnī erwähnt in seinem Buch „al-ʾifāda“ keine sogenannte Liste der Werke
al-Qāsims, vielmehr nennt er nur die seiner Auffassung nach wichtigsten Schrif-
ten al-Qāsims sowohl in der Kalām-Lehre als auch im islamischen Recht.
In seinem Biographienwerk al-Ifāda erwähnt Abū Ṭālib al-Hārūnī, dass die
Leute der Gerechtigkeit in Basra und in al-Ahwāz ihn angeschrieben haben, um
seinen Widerstand gegen den Kaliphen zu unterstützen. Mit Leuten der Gerechtig-
keit ist hier höchstwahrscheinlich die Muʿtazila gemeint (Strothmann 1912, 50).8
In seinen Schriften bemerkt man, dass al-Qāsim die Gelegenheit gehabt hatte,
mit anderen Mutakallimīn über unterschiedliche Themen zu diskutieren und er
sich mit ihren Themen auseinanderzusetzen pflegte. Die Frage, die sich nun stellt,
ist: Woher hatte al-Qasim sein Wissen der Kalām-Lehre bekommen? Sowohl aus
der Biographie al-Qāsims als auch aus seinen Werken erfährt man nur wenig
über Gelehrte, mit denen er zusammentraf oder von denen er gelernt hat bzw.
beeinflusst wurde. Wahrscheinlich war dies auch der Grund, weshalb Wilferd
Madelung den muʿtazilitischen Charakter al-Qāsims bezweifelt. Von den wenigen
Namen, die in Verbindung mit al-Qāsims Leben bzw. Werken standen, ist Ğaʿfar
b. Ḥarb9 (gest. 236/850) und Ḥafṣ al-fard10 zu nennen. Ḥafṣ wurde von al-Qāsim
in seiner Schrift „Die Antwort auf die Frage des Mannes von Tabaristan“ erwähnt.
Auch gibt es dort einen Hinweis, dass Ḥafṣ bei der Diskussion mit den Atheisten
anwesend war. Madelung erwähnt Ḥafṣ als den einzigen bekannten Mutakallim,
von dem man mit Gewissheit weiß, dass er mit al-Qāsim in Kontakt kam. Nach
anderen Quellen sollte Ḥafṣ damals die offizielle Richtung der Muʿtazila vertre-
ten, obwohl al-Ḫayyāṭ ihn nicht als Muʿtazilīt betrachtet. Nach Ägypten kam Ḥafṣ
dagegen mit einem anderen muʿtazilitischen Theologen, namens Ibn ʿUlayya, der
der Schüler des bekannten muʿtazilitischen Theologen Abū Bakr al-Aṣamm war.

8 Nach Strothmann steht die Bezeichnung „Leute der Gerechtigkeit“, d. h. Bekenner der Gerech-
tigkeit Gottes im Gegensatz zu den Prädestinatianern.
9 Einer der größten Muʿtaziliten der Bagdad-Schule. Zusammen mit seinem Zeitgenossen Ğaʿfar
b. Mubaššir (gest. 234/848) prägte er die muʿtazilitische Schule mit asketischer Tendenz.
10 Es ist unbekannt, wann genau er starb. Jedoch wird erwähnt, dass er sich mit al-šāfiʿi über
die Frage der Erschaffung des Korans auseinandergesetzt hat. Laut al-Qāsim fand zur Zeit als er
in Ägypten war in Anwesenheit von Ḥafṣ eine Diskussion mit einem Atheisten statt. Dies geschah
wahrscheinlich zu einem Zeitpunkt nachdem er in Bagdad und Basra war. Ein Hinweis darauf,
dass er höchstwahrscheinlich etwa zwischen 210 und 220 n.H. starb.
196 Mahmoud Abushuair

Ğaʿfar wurde jedoch von Madelung nicht erwähnt, obwohl er mit Vorliebe die
Biographie al-Qāsims derselben Quelle zitiert, die den Namen Ğaʿfars in Verbin-
dung mit al-Qāsim brachte. Im Buch „kitāb al-ʾifāda“ von an-Nātiq bil-Ḥaq Yaḥia
al-Hārūni wird überliefert, dass Ğaʿfar b. Ḥarb ihn einmal besuchte und mit ihm
über Feinheiten und detaillierte Fragen der Kalām-Lehre diskutierte. Als Ğaʿfar
fortging, sagte er zu seinen Gefährten, wo waren wir vor diesem Mann. Bei Allah
habe ich keinen wie ihn (in seinem umfangreichen Wissen) gesehen (Ar-Rassī
2001, 1:95).
Dass al-Qāsim trotz seiner von muʿtazilitischer Theologie beeinflussten
Werke nicht in die Kategorie der Muʿtaziliten eingestuft bzw. in den muʿtaziliti-
schen Büchern nicht erwähnt wurde, lässt vermuten, dass er sich in seinem Leben
mehr auf die asketischen Aspekte konzentrieren wollte. Seine Schriften hat er
höchstwahrscheinlich seinen Söhnen diktiert. Die meisten damals bekannten
muʿtazilitischen Theologen lebten entweder in Basra oder in Bagdad, was auf
al-Qāsim nicht zutrifft, da er sich wegen politischer Verfolgung häufig an unbe-
kannten Orten verstecken musste.
Zur Zeit al-Qāsims war noch nicht eindeutig, wer als echter Muʿtazilit galt und
wer nicht. Zu Abgrenzungen kam es erst später. So sind beispielsweise Gelehrte
wie al-Ḥasan al-Baṣrī oder al-Ğaʿd b. Dirham in den muʿtazilitischen Büchern
aufgezählt, obwohl sie mit etlichen ihrer Ansichten von den muʿtazilitischen
Grundsätzen abweichen. Šahrastāni berichtet, dass Muḥammad b. Šabīb, Mwais
b.ʿImran und Abū Šimr, Schüler an-Naẓẓāms sind, die mit ihm bezüglich des Prin-
zips der Zwischenstufe „al-manzila bain al-manzilatain“ nicht übereinstimmten
(Šahrastānī 1993, 42). Auch in den bekannten Werken wie Šahrastānīs al-milal
wan-niḥal, Baġdādīs al-farq baina al-firaq oder al-Ašʿarīs maqālāt wird al-Qāsim
nicht als zaiditischer Theologe bezeichnet. Bei anderen theologischen Schulen
war er damals nicht bekannt, wie man es auch der Überlieferung von Ğaʿfar b.
Ḥarb entnehmen kann.
Seine theologischen Werke und die der kaspischen Zaiditen wurden erst
später nach der Entstehung des zaiditischen Imamats im Jemen bekannt und
begannen seitdem ihre Wirkung zu entfalten.
Erwähnenswert ist, dass al-Qāsim gegen fast alle theologischen Gruppen
seiner Zeit schrieb und diese manchmal auch sehr scharf kritisierte, ausgenom-
men die Muʿtazila. Theologen anderer Schulen in Basra waren ihm nament-
lich bekannt, so kritisiert er die theologischen Ansichten von Hišām b. Sālim
al-Ğawālīqī und Hišām b. al-Ḥakam bezüglich der Verkörperung Gottes. Da diese
in Basra lebten, ist es unwahrscheinlich, dass er von denen gehört hat, nicht aber
von den Muʿtaziliten. Die Tatsache, dass er keine Namen von muʿtazilitischen
Theologen seiner Zeit anführt, ist kein ausreichender Beweis dafür, ihn nicht als
Muʿtazilit zu betrachten.
Al-Qāsim b. Ibrahīm ar-Rassī und die muʿtazilitische Theologie 197

In der arabischsprachigen Forschung wird al-Qāsim als ein zaiditischer


Immam vorgestellt, der in theologischen Fragen der muʿtazilitischen Richtung
folgt. Faiṣal ʿAun erwähnt ihn in seiner Edition des Buches „al-uṣūl al-ḫamsa“ von
al-Qāḍī ʿAbdul-Ğabbār als einen der wichtigsten frühen zaiditisch-muʿtazilitischen
Gelehrten, die über al-uṣūl al-ḫamsa geschrieben haben (ʿAbdul-Ğabbār 1998,
19). Ähnlich auch ʿAlī Sāmī an-Naššār, der den Namen al-Qāsims neben dem des
bekannten muʿtazilitischen Theolgen Ğaʿfar b. Ḥarb anführt. Sowohl al-Qāsim als
auch Ğaʿfar gehören zu den ersten, die über al-uṣūl al-ḫamsa geschrieben haben.
In der Einleitung der Edition des Buches „šarḥ al-uṣūl al-ḫamsa“ erwähnt ʿAbdul-
Karīm ʿUṯmān, dass einige der Meinung sind, das Buch sei der Kommentar zu der
von al-Qāsim aufgeschriebenen Schrift „al-uṣūl al-ḫamsa“ (ʿAbdul-Ğabbār 1965,
27), was aber sehr unwahrscheinlich ist. Der Kommentar passt definitiv nicht zur
genannten Schrift al-Qāsims.
In seinem Buch „muʿtazilat al-Yaman“ bezeichnet ihn ʿAlī Muḥammad Zaid
als ersten, dem es gelang die Beziehung der Zaiditen zur Muʿtazila geschickt zu
initiieren (Zaid 1981, 31). Andere zaiditische Forscher heben seinen eigenen zai-
ditischen Charakter hervor und führen einige muʿtazilitische Theologen als seine
Anhänger und Schüler auf.
Nasr Abu Zaid stellt ihn als Vertreter der muʿtazilitischen Theologie in Bezug
auf die Frage der muḥkamāt- und mutašābihāt-Verse als Basis für den taʾwīl-
Prozess bei den Muʿtaziliten dar. (Abu Zaid 1983, 164) Dadurch wurde der erste
Versuch von einem muʿtazilitischen Theologen, gemeint hier al-Qāsim, unter-
nommen, eine Verbindung zwischen den rationalen Grundprinzipen und der
Frage von muḥkam und mutašābih herzustellen.
Aḥmad Ṣubḥi geht einen Schritt weiter und meint, es gebe unter den Muʿtazi-
liten keinen, der so offen und deutlich der Vernunft den Text vorgezogen hat, wie
al-Qāsim. Nach Ṣubḥi näherten sich al-Qāsims theologische Auffassungen aus der
Fiqh-Lehre, im Unterschied zur Muʿtazila, deren theologische Ansichten sich an
die Philosophie anlehnen. Deshalb findet man in den Schriften al-Qāsims keine
griechischen und andere Einflüsse und seine Ansichten sind als rein islamisch
anzusehen. (Ṣubḥi 1991, 111)
Muḥammad ʿImāra edierte einige Schriften al-Qāsims neben Schriften von
al-Ḥasan al-Baṣrī, al-Qāḍī ʿAbdul-Ğabbār und anderen, deren Werke als Zeug-
nisse für das früh-rationale Denken in der islamischen Ideengeschichte gelten.
(ʿImāra 1988) Das Werk heißt „rasāʾil al-ʿadl wat-tauḥīd – Schriften der Gerechtig-
keit und der Einheit“ und reflektiert, welcher theologischen Richtung al-Qāsim
zugehörig ist, bzw. wie er einzustufen wäre.
In der westlichen islamwissenschaftlichen Forschung ist die Frage des
muʿtazilitischen Charakters al-Qāsims bis dato umstritten. Rudolf Strothmann
beschäftigte sich in mehreren wissenschaftlichen Werken mit den theologischen,
198 Mahmoud Abushuair

politischen und rechtlichen Anliegen der Zaiditen. Er veröffentliche die Biogra-


phie al-Qāsims anhand des Werkes „al-ifāda“ von Abū Ṭalib al-Hārūnī in seinem
Aufsatz „Literatur der Zaiditen“, analysierte in seiner Schrift „Kultus der Zaidi-
ten“ al-Qāsims theologischen Standpunkt im Allgemeinen und legte schließlich
dessen Imamatstheorie ausführlich in seinem Buch „Staatsrecht der Zaidten“ dar.
Strothmann sah al-Qāsim als Inaugurator des bewusst zaiditischen Schrifttums
an, der von der muʿtazilitischen Theologie stark beeinflusst war und bekräftigt
damit den muʿtazilitischen Charakter al-Qāsims. (Strothmann 1910, 354 – 355,
1911 49 – 50, 1912).
Wilferd Madelung dagegen sieht al-Qāsim keineswegs als Vertreter der
muʿtazilitischen Theologie an. Nach Madelung hat al-Qāsim die muʿtazilitische
Schultheologie unter den Zaiditen nicht eingeführt, sondern ihr lediglich die Tür
geöffnet (Madelung 1965, 153). Madelung (1965, 153) betrachtet al-Qāsim eher als
Prediger, jedoch nicht als Dogmatiker. Er verweist dabei auf die in seinen dogma-
tischen Schriften verwendeten Begrifflichkeiten, die seiner Meinung nach nicht
zu den typischen Begrifflichkeiten seiner zeitgenössischen muʿtazilitischen Theo-
logen gehören. Er hat auch seine Schriften und seine Erkenntnisse in kein fest-
gefügtes System wie das der Muʿtazila gebracht. Das ließe sich so erklären, dass
zu jener Zeit bei einigen Bagdader Muʿtaziliten das Interesse an theologischer
Fachsimpelei zurückging und es eine Tendenz gab, bezüglich der Kalām-Fragen
allgemeinverständliche Traktate zu verfassen(van Ess 1991, 4:70).
Binyamin Abrahamov hingegen schätzt die unterschiedlichen Begrifflich-
keiten al-Qāsims anders ein. Als Zaiditen-Imam sollte er auch seine emanzipierte
theologische Haltung zeigen (Abrahamov 1991, 13), weswegen man hier die
Begründung Abrahamovs des bewussten Wechsels der Begrifflichkeiten al-Qāsims
logisch, sinnvoll und akzeptabel findet. Madelung führt auch einige Fragen an,
mit denen al-Qāsim zur typischen Ansicht bzw. Haltung seiner zeitgenössischen
muʿtazilitischen Theologie im Widerspruch stand, wie der aus der Ordnung der Welt
abgeleitete Gottesbeweis. In Bezug auf den Gottesbeweis aus der Ordnung der Welt
hat Binyamin Abrahamov in seiner Edition zum Buch al-Qāsims „ad-dalīl al-kabīr“
gezeigt, dass eine solche Beweisführung bei den damaligen muʿtazilitischen Theo-
logen nicht unüblich war. Al-Ğāḥiẓ, Hišām al-Fwaṭī und an-Naẓẓām verwendeten
diesen Beweis in ihren Ausführungen. (Abrahamov 1991, 13)
Es mag sein, dass viele muʿtazilitische Theologen diesen Beweis damals
wegen den Debatten mit Atheisten, Dualisten u. a. nicht bevorzugten, jedoch
kann man genau deshalb nicht davon ausgehen, dass nur der eine Beweis der
typische Gottesbeweis bei der Muʿtazila, der andere aber nicht.
Al-Qāsim hat im kitāb ad-Dalīl al-Kabīr nicht nur den Gottesbeweis aus
Ordnung der Welt angeführt, sondern auch andere Beweisführung, die als
muʿtazilitischzu betrachten ist.
Al-Qāsim b. Ibrahīm ar-Rassī und die muʿtazilitische Theologie 199

4 D
 ie muʿtazilitischen fünf Grundprinzipien in
den Schriften al-Qāsims
Die muʿtazilitischen fünf Grundsätze „al-ʾuṣūl al-ḫamsa“ sind in al-Qāsims Schrif-
ten dargestellt. Zusätzlich verfasste er eine kleine Schrift mit dem Titel „al-ʾuṣūl
al-ḫamsa“. (Ar-Rassī 2001, 1: 362) In dieser Schrift sind diese Grundsätze wie folgt
angeordnet:
1. Gott ist ein einziger Gott. Kein Ding ist ihm gleich. Er ist der Schöpfer aller
Dinge. Er erfasst die Blicke, doch die Blicke erfassen ihn nicht, er ist der
Gütige, der Kundige.
2. Gott ist gerecht, nicht tyrannisch. Er erlegt keiner Seele mehr auf als sie
vermag. Er straft sie nur für ihre eigene Schuld. Er hält niemanden davon ab,
ihm zu gehorchen, sondern gebietet es ihm und führt niemand in die Auf-
lehnung gegen ihn, sondern verbietet sie ihm.
3. Gott ist wahrhaftig in seiner Verheißung und seiner Drohung. Er wiegt das
Gewicht eines Staubkörnchens an Gutem auf und er wiegt das Gewicht eines
Staubkörnchens an Bösem auf. Wem er die Belohnung anbefiehlt, der ist
darin immer, endlos und ewig, so ewig wie der, dem er der Strafe anbefiehlt,
die nicht schwindet.
4. Der Koran ist verständlich und eindeutig, ein gerader Weg. Er enthält weder
Widerspruch noch Verschiedenheit. Die Sunna des Gesandten Allahs ist, was
im Koran erwähnt ist und demgemäß Sinn macht.
5. Die Verfügung über Besitz, Handel und Gewinn ist in einer Zeit, da die Gebote
nicht beachtet werden, da geplündert wird, was Gott für die Witwen und
Waisen, die Blinden, Kranken und die anderen Schwachen festgesetzt hat,
nicht in der Weise erlaubt und statthaft, wie zur Zeit der gerechten und guten
Herrscher und derer, die die Gebote des Barmherzigen durchführen lassen.11

Die ersten drei Grundprinzipien stimmen mit den muʿtazilitischen im Ganzen


überein. In einer anderen Schrift12 erwähnt al-Qāsim achtzehn Grundprinzipien
der Religion, in denen auch die genannten fünf Grundlehren der Muʿtazila auf-
gezählt wurden.
In Bezug auf die Frage, ob Gott im Jenseits mit Augen gesehen werden könne,
geht al-Qāsim davon aus, dass es nur möglich wäre, Allahs Sicht als Erkenntnis

11 Die deutsche Übersetzung dieser fünf Grundlagen ist aus Madelung zitiert. (Madelung 1965,
104).
12 Uṣūl ad-Dīn, Dt. Grundlagen der Religion. Dies ist eine sehr kurze Schrift.
200 Mahmoud Abushuair

oder das Warten auf weitere Gnadenerweisungen Gottes anzusehen. Somit vertritt
er die Ansicht seiner zeitgenössischen muʿtazilitischen Theologen. Der Bagdader
muʿtazilitische Theologe Ğaʿfar b. Ḥarb geht davon aus, dass man am Tag der
Auferstehung Gott mit dem Herzen wahrnehmen im Sinne von „mit dem Herzen
erkennen“ kann. Diese Auffassung ist auch die von Abū al-Huḏail al-ʿAllāf und
den meisten muʿtazilitischen Theologen aus Baṣra.
Al-Qāsim kritisiert nicht nur diejenigen, die die Ansicht vertreten, Allah könne
mit den Augen gesehen werden, sondern auch jene, die meinen, dass es möglich
sei, Allah würde den Gläubigen seine Sicht ermöglichen, indem er eine sechste
Sinnkraft in ihnen erschaffe. (Ar-Rassī 2001, 1: 488) Als Kritikpunkt stellt er die
Frage, ob Gott auch in ihnen eine siebte Sinnkraft schaffen würde, um ihnen noch
etwas Besonderes zu ermöglichen. Damit kritisiert er die Auffassung von Ḍirār b.
ʿAmr (gest. circa 198/ 815) und Ḥafṣ al-Fard (gest. nach 210 n. H).
Auch die Frage der Rede Gottes und ob Gott wirklich mit Stimmen und Buch-
staben spricht, wird in den Schriften al-Qāsims gestellt, jedoch nicht so klar und
deutlich wie andere Fragen der göttlichen Attributenlehre. In der ihm zugeschrie-
benen Schrift „al-ʿAdl wat-Tauḥīd wa nafiy at-Tašbīh ʿan al-Ġani al-Ḥamīd“ ebenso
wie in seiner Schrift „ar-Radd ʿala Ibn al-Muqaffāʿ“ schrieb er: „Es ist nicht wie
man sich einbildet, dass Gott – Erhaben ist Er – Wörter ausgesprochen hat. Es
ist vielmehr ein Zeichen für Seine Allmacht. Er macht das aber nicht in direk-
ter Form, sondern Sein Tun und alles, was Er macht, ist durch Seine Macht“.
Madelung hat die letzterwähnte Stelle sowohl in seinem Buch als auch in seinem
Aufsatz „al-Qāsim b. Ibrāhīm and the Muʿtazilism“ wahrscheinlich übersehen. In
seinem kitāb al-Mustaršid lehnt al-Qāsim es grundsätzlich ab, Gott als Stimme
wahrzunehmen; und zwar in seiner Interpretation zur Koranstelle über die Rede
Gottes mit Moses. (Ar-Rassī 2001, 1: 483)
Laut Madelung hat al-Qāsim sich nirgends über die Frage der Erschaffenheit
oder Unerschaffenheit des Koran ausgesprochen, obwohl er in einer Zeit lebte, in
der der Streit darüber seinen Höhepunkt erreichte und sich zu einem politischen
Problem auswuchs. Dem kann man jedoch nicht völlig zustimmen. Zum einen
spricht al-Qāsim nicht über die damals vorhandene politisch-ideologisierte Krise
der Erschaffenheit des Koran. Andererseits findet man seine Auffassung über
diese Frage indirekt und/oder direkt in seinen Schriften beantwortet: In seiner
unvollendeten Koraninterpretation einiger kurzen Suren behandelt er indirekt die
Frage der Erschaffenheit des Korans. Als Auslegung des ersten Verses der Sure
al-Qadr „die Bestimmung“ interpretiert er das arabische Verb „anzalnāhu“ mit
„ğaʿlahu“ und „aḥdaṯahu“. Das arabische Verb „aḥdaṯahu“ bedeutet hier nichts
anders als „Er hat ihn erschaffen“.
In seinem Aufsatz „al-Qāsim b. Ibrāhim and the muʿtazilism“ stellt Madelung
einige Thesen al-Qāsims dar, die seiner Auffassung nach ein Beweis dafür sind,
Al-Qāsim b. Ibrahīm ar-Rassī und die muʿtazilitische Theologie 201

dass al-Qāsim keinesfalls Muʿtazilit war. Zu diesen Thesen gehört die Frage der
Erschaffenheit des Koran. Er vertritt den Standpunkt, dass al-Qāsim wahrschein-
lich den Koran als erschaffen ansah, jedoch entweder nicht dazu neigte, sich an
der Prüfung der Muʿtazila zu beteiligen oder seinen Ruf unter seinen zaiditischen
Anhänger nicht beeinträchtigen wollte. So schreibt Madelung(2012, 46):

„He did not wish to associate himself in the question with the Muʿtazila and other uphold-
ers of the creation of the Qurʾan and certainly had no sympathy for the miḥna against other
opponents instituted by al-Maʾmūn and his successors “

Das trifft jedoch nicht zu, weil es nicht nur al-Qāsim war, der die Auffassung der
Erschaffenheit des Korans vertrat und gleichzeitig die von al-Maʾmūn geleitete
Krise und Prüfung aufs schärfste kritisierte. Das zeigt sich auch eindeutig in der-
selben Quelle, aus der Madelung zitiert, in der führende Persönlichkeiten der
Muʿtazila die Spaltung der Muslime total ablehnten und sich an al-qaul bil-ğumla
hielten. Zu diesen zählen Ğaʿfar b. Ḥarb, Ğaʿfar b. Mubaššir und Muḥammad b.
ʿAbdullah al-Iskāfī. Muḥammad b. Manṣūr al-Murādī erwähnt, dass al-Iskāfī ihm
mitteilte: „Wir würden auf die Flaggen lieber die Passage: ‚Es gibt keine Gott-
heit außer Allah und Muḥammad ist sein Gesandter und der Koran ist die Rede
Gottes‘“ schreiben.
Er will damit das freundliche Zusammenleben unter den Menschen, die Eini-
gung der Muslime auf eine gemeinsame Haltung und die Beseitigung der Unter-
schiedlichkeit und Spaltung aufzeigen“ (Al-ʿAlawī o.J) In diesem Zusammenhang
kommt auch der folgenden Überlieferung von al-Murādī eine wichtige Bedeutung
zu: „Ich habe Vieles mit den Führern der Muʿtazila erlebt, wobei sie sich allesamt
an al-qaul bil-ğumla halten, von denen ich Ğaʿfar b. Ḥarb, Ğaʿfar b. Mubaššir und
al-Iskāfī nenne. Niemand von ihnen fragte mich nach etwas, was die Leute zur
Unterschiedlichkeit oder Spaltung, wie der Erschaffenheit des Koran usw. führt“
(Al-ʿAlawī o.J).
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass al-Qāsim bezüglich der Erschaf-
fenheit des Korans die muʿtazilitische Auffassungen vertritt, genau wie wie im
Fall seiner zeitgenössischen muʿtazilitischen Theologen Ğaʿfar b. Ḥarb, Ğaʿfar b.
Mubaššir und al-Iskāfī war. Madelungs Auffassung, dass al-Qāsim nur in seinem
kitāb al-ʿadl wat-tauḥīd seine Ansicht diesbezüglich schrieb, ist widerzulegen,
da es zu seiner Interpretation der Sure al-Qadr im Widerspruch steht. Außer-
dem hat Madelung über die Rede Gottes in seinem kitāb ar-radd ʿala az-zindīq
Ibn al-Muqaffaʿ gesprochen, in dem er es total ablehnt, dass Gott mit Stimmen
sprechen würde.
202 Mahmoud Abushuair

Fazit
Wie nachzuweisen versucht wurde, sind muʿtazilitische Lehren und Gedanken-
gänge in al-Qāsims Schriften spürbar, unabhängig davon, ob er diese theolo-
gischen Lehren mit seinen eigenen Begrifflichkeiten bewusst oder unbewusst
formuliert hat. In diesem Zusammenhang bleibt dennoch das muʿtazilitische
Kriterium, das von al-Ḫayyāt festgelegt wurde. In den detaillierten Fragen dieser
Grundprinzipien waren die muʿtazilitischen Theologen fast nie einhellig einer
Meinung. Al-Qāsim b. Ibrāhīm (gest. 246/860) ist meines Erachtens nicht mit Abū
al-Huḏail al-ʿAllāf (gest. 227 oder 235 n. H) und an-Naẓẓām zu vergleichen, viel-
mehr sollte man seine Schriften im Lichte der Tendenz von Ğaʿfar b. Ḥarb in der
Bagdader muʿtazilitischen Theologie untersuchen und in diesem Sinne betrach-
ten. Andererseits ist darauf hinzuweisen, dass es sehr wahrscheinlich war, dass
al-Qāsim nicht an eine bestimmte Schule der Muʿtazila gebunden war. Seine all-
gemeinverständliche Methode in seinen Kalām-Schriften und der sufische Cha-
rakter weiterer Schriften lassen ihn jedoch als einen kategorisieren, der sich der
herrschenden Tendenz seiner zeitgenössischen Bagdader Muʿtaziliten anschließt.
Eine gründliche Studie könnte neue Dimensionen der muʿzalitischen fünf
Grundprinzipien in al-Qāsims Schriften verdeutlichen, da diese auch die ältesten
bis heute noch erhaltenen Schriften sind, von denen man einen Überblick über
eine mögliche Form dieser Grundprinzipien in der frühen muʿtazilitischen Theo-
logie gewinnt. Al-Qāsim geht von einer rationalistischen Theologie aus, behan-
delt jedoch diese Rationalität nicht in einem philosophischen Zusammenhang,
sondern versucht sowohl bei seiner Begrifflichkeit als auch bei seiner Beweisfüh-
rung den koranischen Stil aufrecht zu erhalten. Dies bedeutet aber nicht, er habe
kein philosophisches Wissen erworben, wie manche arabische Forscher behaup-
tet haben. Vielmehr hat er dieses philosophische Wissen in seinen Debatten mit
nichtmuslimischen Andersdenkenden durchaus benutzt, um seine Auffassungen
zu untermauern. Im Lehrgespräch mit seinen Schülern und Söhnen vermied er
solchen philosophischen Stil wahrscheinlich ganz bewusst.

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Hossam Ouf
Muʿtaziliten und Hadith. Zur Konzeption
einer traditional-rationalen Hadith-Kritik
anhand des Werkes „Qabūl al-aḫbār wa-
maʿrifat ar-riğāl“1 von Abū l-Qāsim al-Kaʿbī
al-Balḫī
Die Mehrheit der sunnitischen Hadith-, Fiqh- und Uṣūl-Gelehrten sind der
Ansicht, dass die praktische Sunna und die authentischen mutawātir- und aḥād-
Hadithe2 des Propheten die zweite Quelle der islamischen Gesetzgebung nach
dem Koran bilden. Da für die Muʿtaziliten der Verstand die höchste Autorität hat,
gehen sie von einer anderen Reihenfolge aus. Auf den Verstand folgen der Koran,
die Sunna und der Konsens. Zur Anordnung der im Islam gesetzgebenden Quellen
bei den Muʿtaziliten sagt al-Qāḍī ʿAbdulğabbār (gest. 415/ 1024):

Die erste (Quelle) unter ihnen ist der Verstand, weil durch ihn zwischen dem Guten und
dem Bösen unterschieden wird, und durch ihn wird die normative Autorität des Buches
(des Koran), der Sunna und des Konsenses festgestellt. Vielleicht wundern sich einige über
diese Anordnung und glauben, dass die argumentativen Quellen nur der Koran, die Sunna
und der Konsens sind, oder glauben, dass wenn der Verstand als Argument in bestimmten
Angelegenheiten angewandt wird, er dann nach diesen drei Quellen (Koran, Sunna und
Konsens) an der letzten Stelle steht. Die Sache ist jedoch anders, weil Allah nur die Leute
des Verstandes ansprach und weil durch den Verstand erkannt wird, dass das Buch Allahs,
die Sunna und der Konsens die (religiösen) Argumente sind. Und das ist die Grundlage in
dieser Angelegenheit (ʿAbdulğabbār al-Qāḍī, o. J., 139).

Diese Ansicht von al-Qāḍī ʿAbdulğabbār stimmt mit der Ansicht von Abū al-Qāsim
al-Kaʿbī (gest. 319/931) überein, die er in der Einleitung des Werkes „Qabūl
al-aḫbār wa maʿrufat ar-riğāl“, das das Thema dieser Arbeit darstellt, ausführt.
Al-Kaʿbī führt u. a. folgende Bedingung für die Akzeptanz des āḥād-Hadith an:
„Ein āḥād-Hadith darf nicht dem Verstand zuwiderlaufen (al-Kaʿbī, 2000, 1:17)“.

1 Das Werk wurde 2000 von Abū ʿAmr al-Ḥusainī b. ʿUmar b. ʿAbdurraḥīm ediert und ist in
zwei Bänden in Beirut erschienen.
* Hossam Ouf ist Doktorand am Lehrstuhl für Hadithwissenschaften am Zentrum für islamische
Theologie an der Universität Tübingen.
2 ḫabar al-wāḥid od. hadith al-aḥād ist ein Hadith, der nur von einem bzw. zwei oder mehr
Tradenten überliefert wird, ohne die Bedingungen des mutwātir zu erfüllen. Dieser Begriff wird in
der Arbeit entweder mit āḥād-Hadith, Einzel-Hadith oder Einzel-Tradition wiedergegeben.

https://doi.org/10.1515/9783110588576-011
Muʿtaziliten und Hadith 205

Hier betont al-Kaʿbī, dass der Verstand eine höhere normative Autorität als der
Text hat, auch wenn er hier mit dem Text den āḥād-Hadith meint. Aus diesem
Grund datieren die Gelehrten die Anfänge des Streits zwischen den Hadith-Ge-
lehrten und Muʿtaziliten um die normative Autorität der Hadithe auf das zweite
Jahrhundert mit der Entstehung der Muʿtaziliten als Gruppe. Dazu meint Ibn
Ḥazm (gest. 456/ 1064) in seinem Werk „al-Iḥkām fī uṣūl al-aḥkām“, dass die erste
Gruppe, die von dem Konsens der muslimischen Gelehrten abwich, indem sie
den von einem glaubwürdigen Überlieferer tradierten āḥād-Hadith ablehnte, die
Muʿtaziliten waren. Dazu sagt er: „Alle muslimischen Gelehrten stimmten in der
Akzeptanz der vom Gesandten Allahs durch einen glaubwürdigen Überlieferer
tradierten āḥād-Hadith miteinander überein. Die Gelehrten aller Gruppen, wie
die ahlu-s-sunna, die Ḫariğiten, die Schiiten und die Qadarīten, verfuhren nach
dieser Regel, bis die Muʿtaziliten nach dem ersten Jahrhundert nach Hidschra
kamen und von diesem Konsens abwichen (Ibn Ḥazm, 1979, 1:114)“. In diesem
Zusammenhang apostrophiert Ibn ʿAbdulbarr die Ansicht der Hadith-Gelehrten
in seinem Werk „at-Tamhīd“ wie folgt: „Meines Wissens sind sich die Leute des
Wissens unter den Leuten des Rechts und der Tradition darüber einig, dass die
āḥād-Tradition des integren Überlieferers akzeptiert und in die Praxis umgesetzt
werden muss, wenn sie als authentisch eingestuft und nicht durch eine andere
Tradition oder den Konsens abrogiert wurde. Die fuqahāʾ (Rechtsgelehrten) sind
sich in allen Zeiten seit der Zeit der Prophetengefährten bis heute darüber einig,
außer die Ḫariğīten und einige Gruppen der Ketzerei (Ibn ʿAbdulbarr, 1967, 1:2;
vgl. al-Ğudayʿ, 2003 1/52)“. Hier schließt Ibn ʿAbdulabarr von dem Konsens der
muslimischen Gelehrten nur die Ḫariğīten und einige Gruppen der Ketzerei aus.
Es ist hier klar, dass er mit den Leuten der Ketzerei die Muʿtaziliten und andere
meint, die den Hadithgelehrten in Bezug auf Authentizität die normative Autorität
der āḥād-Hadithe absprachen. Die Hadith-Gelehrten beschäftigten sich mit der
Überprüfung der Authentizität der Traditionen und der Qualität des isnād sowie
der sicheren Zuschreibung der Traditionen an den Gesandten Allāhs, wobei die
Muʿtaziliten sich mit der Bedeutung des Hadith befassten, ohne dem isnād große
Aufmerksamkeit zu schenken.
Al-Kaʿbī verfasste sein Werk „Qabūl al-aḫbār“, um die präsumtiv-normative
Autorität der āḥād-Hadithe unter den von ihm bestimmten Voraussetzungen zu
etablieren, aber die Hadith-Gelehrten hielten dieses Werk für ein Werk zu ihrer
Verleumdung und Verunglimpfung und sahen ihre Integrität und Glaubwür-
digkeit beanstandet. Wegen dieses Werkes wurde al-Kaʿbī von den Hadith- und
riğāl-Gelehrten wie ar-Ramahurmuzī (gest. 360/970) in seinem Buch „al-Muḥaddiṯ
al-fāṣil bayna ar-rāwī wa-l-wāʿī“ (vgl. ar-Ramahurmuzī, 1771, 309–310) und später
Ibn Ḥağar al-ʿAsqalānī (gest. 852/1348) in seinem „Lisān al-mizān“ scharf kritisiert
und angegriffen. Zwar haben sie ihn gelobt und zugegeben, dass er umfangrei-
206 Hossam Ouf

che Kenntnisse in der Hadithwissenschaft habe, aber gleichzeitig ihm vorgewor-


fen, dass er fanatische Ansichten gegen die Hadith-Gelehrten vertrete und das
Richtige mit dem Falschen vermische (vgl. ar-Ramahurmuzī, 1771, 309–310; Ibn
Ḥağar, 2002, 4:429). Ibn Ḥağar berichtet in seinem „Lisān al-mizān“, dass Ğaʿfar
al-Mustġfirī an-Nasafī (gest. 432/ 1040) sagte: „Ich lasse keine Überlieferung von
al-Kaʿbī zu“, und dass ʿAbdul-Muʾmin b. Ḫalaf an-Nasafī (gest. 346/ 957) ihn für
einen kāfir (Ungläubigen) hielte und nicht begrüßte, als er in Nasaf angekom-
men war (vgl. Ibn Ḥağar, 2002, 4:429). Wegen dieser scharfen Kritik fand „Qabūl
al-aḫbār“ keine Verbreitung und keine Akzeptanz unter den ahl al-ḥadīṯ nicht
einmal bis heute. Aus diesen Gründen zielt diese Arbeit darauf ab, das Augen-
merk auf Al-Kaʿbīs umstrittene Schrift zu richten und einen kurzen Überblick
über ihre Bedeutung für die Hadithwissenschaften sowie ihren Autor zu geben.
„Qabūl al-aḫbār“ gilt m. E. als eine wichtige Entwicklung der Hadith- und Überlie-
ferer-Kritik und kann eine große Lücke in der modernen Hadithforschung füllen.

1 Z
 ur Person al-Kaʿbīs und seinem Werk
„Qabūl al-aḫbār“
Abū al-Qāsim ʿAbdullāh b. Aḥmad b. Maḥmūd al-Kaʿbī al-Balḫī wurde (273/886)
in Blaḫ geboren und ist trotz seines langen Aufenthaltes in Baghdad auch in Balḫ
(319/ 931) gestorben. Er war ein ḥanafitischer Rechtsgelehrter, ein muʿtazilitischer
Kalām-Gelehrter, Korankommentator, Literat, sowie ein Zeitgenosse von Abū ʿAlī
al-Ğubbāʾī (gest. 303/ 915) und gilt als der letzte große Vertreter des „silbernen
Zeitalters (vgl. Watt, 1973, 300–302)“ der Muʿtaziliten in Baghdad.3 In seiner
Jugend war er der Sekretär (kātib) von Muḥammad b. Zayd ad-Dāʿī (gest. 286/900),
dem Herrscher von Ṭabaristān. Zwei Jahrzehnte später machte ihn Aḥmad b. Sahl
b. Hašim (gest. 307/ 919), ein Statthalter von Naṣr b Aḥmad, zu seinem Sekre-

3 Van Ess meinte, dass al-Kaʿbī Zaidit war (vgl. Ess, 2011, 1:328). Van Ess bezieht sich in diesem
Zusammenhang auf eine Studie von Racha El-Omari, die meint, dass al-Kaʿbī in Bezug auf das
Imamat die Auffassungen der muʿtazilitischen Schule von Bagdad teilte, die weitgehend mit der
zaiditischen Lehre übereinstimmte. So hielt er an der zaiditischen Lehre des „Imamats des Über-
troffenen“ (imāmat al-mafḍūl) fest, die besagt, dass man einer bestimmten Person auch dann
den Treueid leisten durfte, wenn es eine Person gab, die besser war als diese (vgl. El-Omari, 2007,
55–57). Ob al-Kaʿbī nur deswegen als Zaidit wie Van Ess offensichtlich meinte, bezeichnet wird,
kann nicht bestätigt werden.
Muʿtaziliten und Hadith 207

tär (kātib).4 Er war neben seiner Auseinandersetzung mit der Kalām- auch mit
der Hadith-Gelehrsamkeit beschäftigt, die in der Zeit nach der Prüfung (miḥna)
von Aḥmad b. Ḥanbal (gest. 241/855) durch die abbasidischen Kalifen gefördert
wurde. Zu al-Kaʿbīs Zeit hatten die Hadith-Gelehrten einen großen Einfluss im
wissenschaftlichen Umfeld (vgl. Amīn, 2013, 299–301). Sein Werk „Qabūl al-aḫbār
wa maʿrifat ar-riğāl“ gilt als eines der wichtigsten Werke der muʿtazilitischen
Literatur in der Hadithwissenschaft. Es ist das zweite muʿtaziltische Hadithwerk
nach dem „Kitāb at-Taḥrīš“5 (die Provokation) von Ḍirār b. ʿAmr al-Ġaṭafānī6
(gest. 200/815), das uns erhalten blieb.7„Qabūl al-aḫbār“ von al-Kaʿbī unter-
scheidet sich jedoch von „Kitāb at-Taḥrīš“ darin, dass al-Kaʿbī es in einer rein
hadithwissenschaftlichen Sprache formuliert und sich mit der Überliefererkritik
ausgehend von der matn-Kritik beschäftigt, während sich Ḍirār b. ʿAmr haupt-
sächlich mit matn-Kritik an sich befasste. „Qabūl al-ḫbār“ wurde von Van Ess als
eine gründliche und manchmal sarkastische Kritik vieler frühen Autoritäten des
Hadith bezeichnet (vgl. Ess 2017). Al-Kaʿbīs Lehrer Abū l-Ḥusain al-Ḫayyāṭ (gest.
311 / 923) lehnte in seinem Buch „ar-Rad ʿalā man aṯbata ḫabar al-wāḥid“ (vgl.
Ibn an-Nadīm, 2009, 2:610) den Einzel-Hadith (ḥadīṯ al-āḥād) völlig ab. Al-Kaʿbī
widersprach jedoch seinem Lehrer und vertrat die Ansicht, dass der Einzel-Ha-
dith unter bestimmten Voraussetzungen angenommen wird. Aus diesem Grund
verfasste er sein Buch „Ḥuğğat aḫbār al-āḥād“ (ʿAbdulğabbār al-Qāḍī, o. J., 52).
In der Einleitung zu „Qabūl al-aḫbār wa maʿrifat ar-riğāl“ führt al-Kaʿbī folgendes
aus, indem er seine Schüler anspricht:

4 Zur Biografie von al-Kaʿbī (vgl. Ibn an-Nadīm, 2009, 2:613–615; vgl. ʿAbdulğabbār al-Qaḍī, o. J.,
43–56; vgl. as-Subḥānī, 1427 n.H., 3: 389–393; vgl. Ess 2017).
5 Al-Ġaṭafānī, Ḍirār b. ʿAmr. 1435/ 2014. Kitāb at-Taḥrīš, hg. v. Hüseyin Ḫanṣu u. Mehmet Keskin.
Beirut: Dār Ibn Ḥazm.
6 Ḍirār b.ʿAmr al-Ġaṭhfānī (gest. 200/ 815) gehörte, laut Ibn an-Nadīm, zu den Neuerern unter
den Muʿtaziliten (min bidʿiyyat al-muʿtazila) (vgl. Ibn an-Nadīm, 2009, 2: 596–597). Al-Kaʿbī be-
tonte, dass er zu den Muʿtaziliten nicht gehörte, auch wenn er an die „manzila bayna al-manzi-
latayn“ glaubt, weil er eine andere Meinung in Bezug auf die Fragen der al-ʿadl wa-t-tawḥīd (Die
Gerechtigkeit und die Einheit Gottes) vertritt (vgl. ʿAbdulğabbār al-Qaḍī, o. J., 75). Er war Ğahmit
(vgl. Ess, 1992, 3:35).
7 In „Kitāb at-Taḥrīš“ befasst sich Ḍirār b. ʿAmr al-Ġaṭafānī (gest. 200/815) mit der Spaltung der
islamischen Gemeinde. Der Titel des Buches„at-Taḥrīš“ heißt: Die Provokation und weist nach,
inwieweit die prophetischen Überlieferungen zur Provozierung zwischen den Muslimen an-
gewandt wurden. Dirār meint in diesem Buch, dass jede Gruppe nur Hadithe überliefert, die
ihre Meinungen untermauern, sodass widersprüchliche Hadithe entstanden sind. Dabei wirft
er besonders den Rechts- und Hadith-Gelehrten vor, dass sie erfundene und widersprüchliche
Hadithe überlieferten, die zur Spaltung und Feindlichkeit unter der islamischen Gemeinde ge-
führt haben (vgl. al-Ġaṭafānī, 2014, 25–26).
208 Hossam Ouf

Als ich unserem Lehrer [Abū al-Ḥasan]8 in seinem Buch, in dem er den aḥād-Hadith zurück-
wies, widersprach, die Authentizität des aḥād-Hadith und seine Akzeptanz in den Stellen
bestätigte, die ich erwähnte, und unter den Voraussetzungen, die ich darstellte und die
du gesehen hast, befürchtete ich, dass du die Grenzen überschreitest, indem du eine gute
Meinung haben kannst, über die Nachrichten vieler, die für sich den Hadith beanspruchen.
Ich befürchtete auch, dass du dich durch die Verbreitung ihres Ruhms und ihrer weitrei-
chenden Autorität unter ihren Anhängern täuschen lässt. Aus diesem Grund schrieb ich
dies mein Buch, in dem ich die Zustände dieser Leute (die für sich den Hadith beanspru-
chen), und das, was sie über einander gesagt haben, dargestellt habe. Ich habe das aus-
geschlossen, was ihre Gegner über sie hinsichtlich ihres Widerspruchs, ihrer Unwissenheit
und ihrer Fehler berichteten (al-Kaʿbī, 2000, 1: 17).

Al-Kaʿbī verfasste sein Werk „Qabūl al-aḫbār“ als Erweiterung für seine These
über die Autorität der Einzel-Hadithe, deren Grundlagen er in seinem ersten Buch
„Ḥuğğat aḫbār al-āḥād“ gelegt hat. Durch die beiden Werke zusammen versuchte
er, ein traditional-rationales Konzept für den Umgang mit den Einzel-Hadithen
zu entwickeln. Aus seinen Worten lässt sich erschließen, dass seine Schüler das
Ziel seines ersten Buches „Ḥuğğat aḫbār al-āḥād“ in einer Weise missverstehen
könnten, als würde er alle Einzel-Hadithe annehmen. Mit „Qabūl al-aḫbār“ habe
er dann seine allgemeinen Thesen präzisiert, um solche Missverständnisse zu ver-
meiden und den Missbrauch seines ersten Buches zu verhindern.

 ie Autorität des āḥād-Hadith zwischen den


2 D
aṣḥāb al-ḥadīṯ und den Muʿtaziliten
Der Streit um die Autorität der Einzel-Hadithe als eine Quelle des religiö-
sen Wissens entstand seit dem zweiten Jahrhundert nicht nur zwischen den
Muʿtaziliten und den Hadith-Gelehrten, sondern auch unter den muʿtazilitischen
Gelehrten. Die aṣḥāb al-ḥadīṯ meinten, der Einzel-Hadith sei authentisch und
könne, solange er mit einer authentischen ununterbrochenen Überliefererkette
auf den Propheten zurückgehe, als Quelle des religiösen Wissens genutzt werden.
Der Begründer der Autorität einer Einzel-Tradition als religiöse Wissensquelle ist
aš-Šāfiʿī (gest. 204/ 820) mit seinen zwei Werken „ar-Risāla“ und „Ğimāʿ al-ʿilm“.
In „ar-Risāla“ widmet er dem Einzel-Hadith ein ganzes Kapitel, um „die episte-

8 In der einzigen Edition des Werkes „Qabūl al-aḫbār wa maʿrifat ar-riğāl“ steht der Name Abū
al-Ḥasan, wobei der Lehrer von al-Kaʿbī, wie in allen historischen Quellen angegeben wurde, Abū
al-Ḥusain heißt.
Muʿtaziliten und Hadith 209

mologische Autorität“9 der Einzel-Tradition zu konsolidieren. Dabei legt aš-Šāfiʿī


für die Akzeptanz der Einzel-Tradition als Argument und Quelle für das religiöse
Wissen bestimmte Voraussetzungen fest, die die Überlieferer und z. T. auch das
Überlieferte betreffen. Diese Voraussetzungen, die jeder Überlieferer in der Über-
lieferungskette erfüllen muss, sind folgende:10
– Er muss in seiner Religiösität integer sein.
– Er muss glaubwürdig und vernünftig sein.
– Er muss genügendes Wissen haben, um die Ausdrücke und Wörter, die den
Sinn des Hadith entstellen könnten, zu erkennen.
– Er muss den Hadith wortwörtlich weitergeben, genau wie er ihn hörte, ohne
ihn sinngemäß zu tradieren.
– Er muss beim Überliefern genau sein, unabhängig davon, ob er aus seinem
Gedächtnis oder aus seiner Schrift überliefert. Dabei soll sein Hadith mit dem
Hadith der anderen Überlieferer identisch sein.
– Er darf kein „mudallis“11 (Betrüger) sein.
– Die Überliefererkette muss ununterbrochen bis auf den Gesandten zurück-
gehen (vgl. aš-Šāfiʿī, 2001, 170–171).

Aš-Šāfiʿī beschränkt hier diese Bedingungen auf die Überlieferer und legt großen
Wert darauf, dass sie soweit wie möglich keine Mangelhaftigkeit der genauen
Überlieferungsfähigkeit aufweisen. Somit bestätigt er, dass Hadithe, auch wenn
sie Einzel-Traditionen sind, als eine religiöse Wissensquelle betrachtet werden
müssen. Er widmet jedoch dem matn implizit ein großes Interesse, indem er vor-

9 Diesen Begriff „die epistemologische Autorität“ hat George Tarabishi in seinem Buch „Min islām
al-qurʾān ilā islām al-ḥādīṯ“ angewandt, weil er meint, dass aš-Šāfiʿī nicht nur der Begründer
der uṣūl al-fiqh, sondern auch der Erkenntnislehre im Islam sei. Er meint auch, dass aš-Šāfiʿī
den zweiten Teil seines Werkes „ar-Risāla“ der Etablierung der epistemologischen Autorität der
Einzel-Tradition widmete (vgl. Tarabishi, 2015, 195–196).
10 Diese Bedingungen führt aš-Šāfiʿī in seinem Buch „ar-Risala“ in einem ganzen Kapitel aus
und versucht darin alle Argumente, die den autoritativen Charakter der Einzel-Tradition abschaf-
fen, zu widerlegen (vgl. aš-Šāfiʿī, 2001, 170–219). Aš-Šāfiʿī wurde als Verfechter der Sunna „nāṣir
as-sunna“ genannt, weil er der erste ist, der ein komplettes System für die Autorität der Hadithe
entwickelte.
11 mudallis ist eine Person, die die Überlieferungskette zu Ende führt, indem sie einen Überlie-
ferer in der Kette überspringt, diese aber als vollständig präsentiert, und dadurch den Anschein
erweckt, es fehle niemand im isnād. Der Hadith wird dann in diesem Fall als mudallas bezeichnet
und somit als schwach kategorisiert. Es gibt zwei Typen von tadlīs (Vertuschung von Mangel
durch einen Überlieferer) nämlich: tadlīs al-isnād (Tarnung der Überliefererkette) und tadlīs aš-
šuyūḫ (Tarnung der Überlieferer) (vgl. Ibn aṣ-Ṣalāḥ aš-Šaharzūrī,2002, 156–162; vgl. Zaidan, 2010,
246–253).
210 Hossam Ouf

aussetzt, dass der Überlieferer drei Bedingungen, die den Text betreffen, erfüllen
muss. Diese Bedingungen umfassen das Wissen um Begriffstreue, die wörtliche
Weitergabe sowie die Genauigkeit und die Übereinstimmung der Hadithe des
Überlieferers mit den Hadithen von anderen Überlieferern.
Diese drei Bedingungen beziehen sich sowohl auf den Überlieferer hinsicht-
lich seiner Genauigkeit bzw. der genauen Weitergabe, seiner Verständnisfähig-
keit als auch auf das Überlieferte in Bezug auf die wortwörtliche Tradierung eines
Hadith ohne irgendeine Änderung oder Entstellung. Daneben wird die Genau-
igkeit eines Überlieferers durch den Vergleich seiner Hadithe mit den Hadithen
anderer glaubwürdigen Überlieferer überprüft (vgl. Ibn aṣ-Ṣalāḥ, 2002, 217; vgl.
Motzki, 2014, 9). Aš-Šāfiʿī geht von dem isnād aus, weil es damals keine festen
Regeln für die Authentifizierung und Überprüfung der mutūn gab. Die Überprü-
fung des matn erfolgte damals prinzipiell durch die Überprüfung der Überlie-
ferer, weil der isnād das erstrangige Überprüfungsmittel war, auch wenn sich die
Gelehrten manchmal mit matn-Kritik beschäftigten.
Nachdem al-Kaʿbī das Buch „al-Ḥuğğa fī aḫbār al-āḥād“ verfasst hatte,
befürchtete er, dass seine Schüler den Inhalt dieses Buches missverstehen bzw.
missbrauchen könnten, indem sie die Einzel-Hadithe akzeptieren und als Argu-
mente anwenden, ohne sie tiefgehend zu überprüfen. Al-Kaʿbīs Hauptthese ist,
„man solle zuerst gegenüber allen Einzel-Hadithen skeptisch sein und sie überprü-
fen“ (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:17), und daraufhin soll man feststellen, ob der Hadith
die von ihm angeführten Voraussetzungen erfüllt, um als authentisch eingestuft
zu werden. Diese Bedingungen sind:
1. Ein Hadith darf dem Buch Gottes, an das das Falsche weder von vorne noch
von hinten heran kommt, nicht widersprechen, (ġaira muḫālif li-kitābi llāhi,
allaḏī lā yaʾtīhi al-bāṭil min bayni yadayhi walā min ḫalfihi)
2. Ein Hadith darf der prophetischen Sunna (der Praxis des Propheten), die
zwischen den Muslimen übereinstimmend ist, nicht widersprechen, (wa lā li
sunnati rasūli llāhi al-muğmaʿī ʿalayhā)
3. Ein Hadith darf nicht mit dem Konsens der islamischen Gemeinde (wa lā li-
iğmāʿ al-umma) kollidieren,
4. Ein Hadith darf nicht mit der Praxis der ersten Generation der rechtschaffenen
Vorfahren (ʿamal aṣ-ṣadr al-awwal min as-salaf aṣ-ṣāliḥ), die den Propheten
selber sahen, in Widerspruch stehen. Denn sie kannten sowohl die Absicht
des Propheten, das Abrogierende und Abrogierte, als auch die letzten herab
gesandten Verse, ihre Geschichten und die Offenbarungsanlässe.
5. Ein Hadith darf nicht dem Verstand zuwiderlaufen (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:17).

All diese Bedingungen, die al-Kaʿbī für die Akzeptanz des āḥād-Hadith anführte,
hängen vom Hadithtext (matn) und dessen Verstehen ab, wobei die von aš-Šāfʿī
Muʿtaziliten und Hadith 211

als Vertreter der ahl al-ḥadīṯ und Begründer der uṣūl al-ḥadīṯ für die Authenti-
fizierung des āḥād-Hadith genannten Bedingungen meistens den isnād und nur
z. T. den matn betreffen. „Qabūl al-aḫbar“ ist jedoch in der Hadithliteratur als ein
riğāl-Werk zu klassifizieren, obwohl alle Bedingungen, die al-Kaʿbī in der Einlei-
tung seines „Qabūl al-aḫbar“ für die Akzeptanz des Einzel-Hadith stellte, sich auf
den Text (matn) konzentrieren. Somit wollte al-Kaʿbī die asānīd durch die mutūn
überprüfen, im Gegensatz zu den ahl al-hadīṯ, die meistens die mutūn durch die
Untersuchung der asānīd zu authentifizieren pflegten.
Um den Autoritätsumfang der Hadithe einzugrenzen, auch wenn sie alle von
al-Kaʿbī erwähnten Bedingungen erfüllen, betont al-Kaʿbī, dass der authentische
Einzel-Hadith bei ihm als Argument nur in den Rechtsfragen und nicht in den
theologischen Grundlagen (uṣūl al-kalām) oder der allgemeinen Angelegenheit
(al-amr al-ʿām) der Umma betrachtet wird. In den übereinstimmenden Grundla-
gen der Glaubenslehre werden bei ihm nur die mutwātir-Hadithe, die keines isnād
bedürfen, akzeptiert (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:17). Bei den allgemeinen Angelegen-
heiten wird die Praxis der islamischen Gemeinde als Maßstab anerkannt, weil der
Prophet in diesen allgemeinen Fragen und Angelegenheiten nur bedarfsgemäß
habe sprechen müssen (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:17). Des Weiteren hebt er hervor, dass
die Hadithe, die in jeder Generation im isnād von zwei oder drei integren Überlie-
ferern tradiert wurden und die von ihm angeführten Bedingungen erfüllen,12 aus-
schließlich als Argument in den Rechtsfragen (furūʿ) angewandt werden können.
Dabei dienen diese Hadithe nicht als Mittel zur Gewissheit, sondern lediglich als
Hilfe um eine überwiegende Meinung zu bilden (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:17). Al-Kaʿbī
erwähnt hier, dass die Mindestanzahl der Überlieferer zwei in einer Generation
oder in mehreren ist. Den āḥād-Hadith, der in einer Generation nur von einem
Überlieferer tradiert wurde, hat er nicht erwähnt. Das spiegelt die These der
Muʿtaziliten bei der Akzeptanz der Hadithe wider, dass ein Hadith als Zeugenaus-
sage gilt, die von mindestens zwei integreren Personen überliefert werden muss,
um akzeptiert zu werden (vgl. al-Ḥāzimī, 2005, 47). Wenn ein Hadith in einer der
Generationen oder mehreren Generationen nur von einem Überlieferer überliefert
wird, wird er „ġarīb“ genannt. So lässt es sich verstehen, dass ein „ġarīb-Hadith“
wahrscheinlich von al-Kaʿbī nicht zu akzeptieren ist. Also hier vertritt al-Kaʿbī die

12 Diese Art von Hadithen, die in einer Überlieferer-Generation oder mehreren Überlieferer-
Generationen (ṭabaqāt) von zwei oder drei Überlieferern tradiert werden, nennen die Hadith-Ge-
lehrtenʿazīz. ʿazīz ist ein Hadith, der in einer Generation oder mehreren Generationen (ṭabaqāt)
von zwei Überlieferern überliefert wurde. mašhūr ist ein Hadith, der in einer oder mehreren
Generationen (ṭabaqāt) von drei Überlieferern oder mehreren überliefert wurde und die Zahl der
mutwātir-Überlieferer nicht erreicht (vgl. Ibn aṣ-Ṣalāḥ, 2002, 370–378).
212 Hossam Ouf

Ansicht der Muʿtaziliten, dass ein Hadith wie eine Zeugenaussage (šahāda), die
mindestens von zwei Zeugen abgelegt werden muss (vgl. Der Koran, 2, 282), gelte.
Den Einzel-Hadith nimmt al-Kaʿbī jedoch unter bestimmten Voraussetzungen, die
er in seinem „Qabūl al-ḫbār“ aufstellte.
Es geht hier bei Al-Kaʿbī um die Gewissheit bzw. das sichere Wissen (yaqīn)
und die Präsumtion (ẓann). Da die mutwātir-Hadithe sicheres Wissen vermitteln,
dienen sie bei ihm als religiöse Quellen in den Grundlagen der Glaubenslehre (vgl.
al-Kaʿbī, 2000, 1:17). Wenn es aber um Präsumtion geht, wie in diesem Fall bei
den Einzel-Hadithen, da kann man seinen Glauben nicht auf eine Vermutung auf-
bauen und aufgrund dessen werden diese Einzel-Traditionen in diesem Zusam-
menhang als schlaggebende Argumente nicht akzeptiert.
Um die Autorität der Einzel-Tradition und deren Anwendung als religiöses
Argument gab es und gibt es immer noch einen Streit zwischen den ahl al-ḥadīṯ
und den Muʿtaziliten. Während die ahl al-ḥadīṯ die Anwendung des Einzel-Hadith
als eine Quelle für das sichere Wissen und die Gewissheit bestätigen, lehnen die
Muʿtaziliten die Autorität der Einzel-Hadithe ab. Die Ablehnung der Einzel-Ha­
dithe als religiöses Argumentationsmittel führt Ibn Ḥazm (gest. 456/ 1064) wie in
der Einleitung dieser Arbeit erwähnt auf die Muʿtaziliten zurück.
Al-Kaʿbī als eine führende Persönlichkeit der Muʿtaziliten bestreitet die Auto-
rität der Einzel-Tradition sowohl in Bezug auf die Fragen der Theologie als auch
auf die praktischen Rechtsfragen. Auf der anderen Seite ist aš-Šāfʿī der erste unter
den Hadith-Gelehrten, der die Überlieferungen in „aḥād“ und „mutawātur“ in
seinem Buch „Ğimāʿ al-ʿilm“ klassifizierte (vgl. aš-Šāfiʿī, 1986, 76–77). Diese Klas-
sifizierung in „aḥād“ und „mutawātur“ wurde dann von al-Ḫaṭīb al-Baġdādī (gest.
463/ 1071) in sein in „muṣṭalah al-ḥadīṯ“ grundlegendes Werk „al-Kifāya fī maʿrifat
uṣūl ʿilm ar-riwāya“ aufgenommen (vgl. al-Ḫaṭīb al-Baġdādī, 2003, 1:88–89). Die
Hadith-Gelehrten haben die Hadithe hauptsächlich in akzeptable (maqbūl) und
nicht-akzeptable (mardūd) Hadithe, dann in authentische (ṣaḥīḥ), gute (ḥasan)
und schwache (ḍaīf) und dann die schwache in andere viele Subkategorien klas-
sifiziert, um die Richtigkeit der Zuschreibung von den Hadithen an den Prophe-
ten zu überprüfen (vgl. al-Ḫaṭīb, 2011, 60). Die mutawātir-Hadithe sind alle bei
den Hadith-Gelehrten als authentisch (ṣaḥīḥ) eingestuft, wobei die aḥād-Hadithe
in authentische (saḥīḥ), gute (ḥasan) und schwache (ḍaīf) klassifiziert sind. Die
authentischen und guten aḥād-Hadithe gelten bei den meisten Hadith-Gelehrten
als Argument in den Fragen der Religion, egal ob in Bezug auf Glaubenslehre oder
Recht. Das Kriterium bei ihnen ist die Authentizität des Hadith, wobei das Krite-
rium bei den Muʿtazilīten die Gewissheit und die Präsumtion ist.
Nachdem al-Kaʿbī diese Bedingungen für die Authentizität und Autorität
der Einzel-Tradition anführte, betonte er die Stellung des Verstandes und dessen
Relevanz bei den Muʿtaziliten, indem er sagte:
Muʿtaziliten und Hadith 213

Nicht wie die Einheit Gottes (at-tawḥīd) und die Gerechtigkeit (al-ʿadl), deren Urteile kei-
nesfalls geändert werden können, unabhängig davon, ob das durch einen Propheten, eine
Aussage eines der rechtschaffenen Vorfahren oder einen kausalen Grund ist. Und wenn es
so wäre, dann sei das Berichten über sie nicht mehr als eine Art Beglaubigung dessen, was
durch den Verstand bewiesen und festgestellt wurde (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:17).

Al-Kaʿbi weist hier auf den Vorrang des Verstandes gegenüber dem Einzel-Hadith
hin und erklärt den Verstand für Schiedsrichter in allen religiösen Fragen, ob in
Bezug auf die Glaubenslehre oder die Rechtsfragen. Hier hat der Verstand einen
autoritativeren Charakter als der Einzel-Hadith, was der herrschenden Meinung
bei ahl al-ḥadīṯ total widerspricht, die dem Text die höhere normative Autorität
geben.

3 A
 l-Kaʿbīs polemisches Ziel beim Verfassen von
„Qabūl al-aḫbār“
In der Einleitung des Werkes richtet al-Kaʿbī seinem anonymen Schüler seine
Rede wie folgt:

Wenn du einen Hadith findest, seine Quelle und seinen Ursprung zu wissen brauchst, weil
ein Gegner ihn als Argument gegen dich anführt, dann kannst du die Namen der Über-
lieferer und ihre Geschichten, die ich hier erwähnte, in diesem Werk nachschlagen, um die
Authentizität oder Schwäche seines isnād festzustellen. Dann wird es dir einfacher sein,
gegen deinen Gegner zu argumentieren. Ich wollte darüber hinaus, dass die Jugend unserer
Gefährten sich damit befassen, was ich hier geklärt habe, um es zu wissen, weil sie sich
kaum dafür interessieren, wobei ihre Gegner ihnen unterstellen und ihnen immer das man-
gelhafte Wissen an Hadith vorwerfen (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:18).

Al-Kaʿbī hat sein Werk als ein Nachschlagwerk für seine Gefährten und Schüler
verfasst, um ihnen den richtigen Weg in Bezug auf den Umgang mit den Hadit-
hen zu zeigen, wenn sie Disputationen mit den Hadith-Gelehrten führen. Dieses
polemische Ziel von al-Kaʿbī spiegelt ebenso die damalige Wichtigkeit der Eta-
blierung eines epistemologischen Systems in der Hadithwissenschaft innerhalb
des muʿtazilitischen Lehrbetriebs als eine Reaktion auf die starke Autorität von
ahl al-ḥadīṯ wider. Obwohl sich die muʿtazilitischen Gelehrten in ihren Werken
mit der Hadith-Kritik beschäftigten, gilt al-Kaʿbī als der erste unter ihnen, der mit
seinem Werk „Qabul al-aḫbār“ die Gründung einer Hadith-Schule innerhalb der
Muʿtazila-Schule beabsichtigte. Dieses Werk gilt –meines Erachtens – nicht nur
als ein Nachschlagwerk für die muʿtazilitischen Schüler, sondern auch für die
ahl al-ḥadīṯ, wenn dieses Werk unvoreingenommen untersucht wird. Diesen Weg,
214 Hossam Ouf

den al-Kaʿbī im vierten Jahrhundert einschlug, wurde jedoch danach wegen der
zunehmenden Macht und Autorität der ahl al-ḥadīṯ nicht fortgeführt.

4 Inhalte des Werkes „Qabūl al-aḫbār“


Das Werk „Qabūl al-aḫbār wa maʿrifat ar-riğāl“ gliedert al-Kaʿbī in zehn Kapitel
ein, in denen er nur Traditionen von Hadith-Überlieferern anführte, um die
Schwächen der Hadith-Überlieferer und der Überliefererkritik zu demonstrieren.
Durch einen allgemeinen Überblick über die Kapitelüberschriften kann man die
These al-Kaʿbīs in diesem Werk erkennen. Anders gesagt sind die Meinungen
al-Kaʿbīs erst in den Kapitelüberschriften enthalten. Diese Kapitelüberschriften,
wie er sie in der Einleitung formuliert (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:18), sind:
– Ein Kapitel über das, was sie (die Hadith-Überlieferer) überlieferten, dass
einige von ihnen das Lügen beabsichtigt haben.
– Ein Kapitel über das, was sie von ihren Lehrern berichteten, dass sie vor der
Übertreibung beim Hadithtradieren und der Zunahme der Hadithe Angst
hatten.
– Ein Kapitel über die von dem Propheten und den rechtschaffenen Vorfahren
überlieferten Traditionen in Bezug auf die Zurückweisung der Aussagen, die
mit dem Verstand, dem Koran und der Sunna kollidieren.
– Ein Kapitel über die Traditionen, die sie von den bei ihnen glaubwürdigen
Überlieferern berichtet haben, obwohl sie der übereinstimmenden Praxis der
Umma widersprechen.
– Ein Kapitel über die Traditionen, die sie überlieferten, wobei sie gravierende
klare Fehler enthalten, und weder weisen sie sie zurück, noch bezweifeln sie
sie.
– Ein Kapitel über die Traditionen, die sie von vielen unter ihnen überliefert
haben, obwohl sie blass an Stil und absurd zu sein scheinen.
– Ein Kapitel über die von ihnen aus Unwissenheit überlieferten Traditionen, in
denen sie die Prophetengefährten, die Nachfolgegeneration und die bekann-
ten früheren Autoritäten des Hadith verleumdeten. Von den meisten dieser
Überlieferungen sagen wir uns aber los.
– Ein Kapitel über die Namen der Überlieferer, die sie als nicht-glaubwürdig
bezeichneten, aber trotzdem überlieferten sie viele Hadithe von ihnen. Weder
lehnen sie ihre Hadithe völlig ab, noch halten sie diese Überlieferer für glaub-
würdig.
– Ein Kapitel über die Überlieferer, die sie als Häretiker betrachteten, obwohl
sie sie vorher als glaubwürdig kategorisierten, ihre Bücher anwendeten und
ihre Hadithe in den Lehrkreisen überlieferten.
Muʿtaziliten und Hadith 215

– Ein Kapitel über die Auflistung der Namen von mudallisīn und über das, was
in Bezug auf tadlīs berichtet wurde.

Al-Kaʿbī wollte feststellen, dass die Hadith-Überlieferer in seiner Zeit sich wider-
sprachen und Traditionen überlieferten, ohne sie zu verstehen, und somit
bezichtigten sie sich selbst, den Prophetengefährten und den bekannten frühe-
ren Autoritäten des Hadith der Nichtglaubwürdigkeit. Er macht aufmerksam auf
den Widerspruch bei den Hadith-Überlieferern, und weist darauf hin, dass viele
Hadith-Überlieferer die von den anderen Hadith-Überlieferern als Häretiker oder
als nicht glaubwürdig kategorisiert wurden, bei ihm als treu und integer angese-
hen werden. Er führe jedoch die Kritik der Hadith-Überlieferer an diese Leute an,
um die Uneinheitlichkeit und den Widerspruch bei diesen Hadith-Überlieferern
darzulegen. Die Hadith-Überlieferer tradieren Hadithe von diesen Leuten, die sie
vorher als Häretiker bezeichneten, wenn sie diese Hadithe als Argument anwen-
den wollen. Wenn ihre Gegner die Hadithe dieser Überlieferer anwenden, dann
sagen sie, dieser sei Häretiker und jener sei schwach (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:19).
Er unterstich hier die falsche Methode des Hadith-Tradierens und isnād-Kritik
von seinen zeitgenössischen Hadith-Überlieferern und warf ihnen vor, dass sie
subjektive bzw. persönliche und keine objektiven einheitlichen Kriterien ange-
wandt haben, um einen Anspruch auf eine religiöse Autorität und Legitimation
zu erheben.

5 D
 ie Haltung al-Kaʿbīs gegenüber den
großen Hadith-Gelehrten und den Hadith-
Überlieferern
Damit sich al-Kaʿbī von den Missverständnissen, die vielleicht durch diese in
seinem „Qabūl al-aḫbār“ an die Hadith-Überlieferer gerichtete Kritik verur-
sacht werden könnten, distanziert, beschrieb er am Ende seiner Einleitung ganz
deutlich seine Beziehung zu den früheren großen Hadith-Gelehrten, indem er
sagt:

Wenn wir sagen, diese, die für sich den Hadith beanspruchen, und dann sie kritisieren und
mit Worten verletzen, dann meinen wir weder die großen Gelehrten noch die Sunan- und
Hadith-Gelehrten. Diese sind unsere Vorfahren, die wir verehren und gegenüber denen wir
loyal sind. Wir richten jedoch unsere Kritik an jene, die in unserer Zeit und kurz vorher
Hadithe überliefern und ihre Religion fanatisch darstellten, die sich damit befassen, wozu
sie nicht qualifiziert sind und somit den salaf (den Vorfahren) widersprechen. Sie sprachen
216 Hossam Ouf

und forderten die Herrschaft zu einer öffentlichen Anerkennung des Anthropomorphismus


und anderer Angelegenheiten des Unglaubens und des Irrtums auf (vgl. al-Kaʿbī, 2000,
1:19–20).

Hier richtet al-Kaʿbī seine Kritik speziell an die Überlieferer der ḥanbaliti-
schen Schule seiner Zeit und nicht an die alle Hadith-Gelehrten bzw. Hadith-
Überlieferer. Das zeigt sich dadurch, dass er diese Überlieferer so beschrieben
hat, dass sie, ihm zufolge, die Herrschaft zu einer öffentlichen Anerkennung
des Anthropomorphismus (at-tašbīh) und anderer Angelegenheiten des
Unglaubens und des Irrtums forderten. Die aṣḥāb al-ḥadīṯ wurden von einigen
Muʿtaziliten Anthropomorphisten (mušabbiha) (vgl. al-Ḫayyāṭ,1993, 68; vgl. Bā
ʿAbdullāh, 1995, 128) oder nābita (vgl. al-Ḫayyāṭ,1993, 75; vgl. Bā ʿAbdullāh, 1995,
151) genannt.
In diesem Zusammenhang sind zwei wichtige Begriffe voneinander zu
unterscheiden, und zwar: al-mutaqaddimūn (die Früheren) und al-mutaʾaḫḫirūn
(die Späteren). Die Abgrenzung dieser zwei Begriffe, deren Erwähnung in
den theologisch-islamischen Wissenschaften immer auf die Verschiedenheit
der wissenschaftlichen Methoden und Herangehensweisen hinweist, ist zwi-
schen den modernen Hadithwissenschaftlern umstritten.13 Über die zeitliche
Trennungslinie (al-hadd al-fāṣil)14 zwischen den Früheren und den Späteren
gibt es verschiedene Meinungen. Einige Gelehrten wie aḏ-Ḏahabī15 (gest. 748/

13 Auf diese Meinungsverschiedenheit bezüglich der Eingrenzung und Bestimmung dieser zwei
Begriffe wird hier nicht eingegangen. Für die ausführliche Diskussion dieser zwei Begriffe (vgl.
Eido, 2016, 81–129).
14 Diese Trennungslinie versteht sich hier als eine Trennung zwischen zwei Hauptgenrationen
der ahl al-ḥadīṯ. Die Unterscheidung zwischen diesen zwei Generationen sollte nicht nur zeit-
lich, sondern auch methodisch sein, denn die erste ist jene, die sich mit der gründlichen Über-
prüfung der Hadithe und der Bewertung der Überlieferer sowie der Sammlung der Hadithe be-
fasste, und die zweite ist jene, die sich mit der Etablierung der theoretischen Regeln sowie der
Systematisierung der Hadithwissenschaften beschäftigte. Diese Systematisierung fing im vierten
Jahrhundert mit ar-Ramahurmuzī (gest. 360/970), al-Ḫaṭīb al-Baġdādī (gest. 463/ 1071) und al-
Ḥākim an-Naisābūrī (gest. 405/ 1014) an. Daraus kann erschlossen werden, dass der Unterschied
zwischen den Früheren und Späteren darin liegt, dass die Früheren sich mit der angewandten
Hadithkritik beschäftigten, wobei die Späteren auf die theoretische Hadithkritik eingingen. Diese
Unterscheidung bezieht sich hier jedoch auf die Ebene der Gelehrten in der Hadithwissenschaft
und nicht auf die Ebene der Überlieferer.
15 Aḏ-Ḏahabī (gest. 748/1348) führt in der Einleitung seines Werkes „Mizān al-iʿtidāl fī naqd
ar-riğal“ an, dass die Trennungslinie zwischen den Früheren und den Späteren im ersten Jahr
des vierten Jahrhunderts nach der islamischen Zeitrechnung, also im Jahr 301 n. H. verläuft (vgl.
aḏ-Ḏahabī, 1995, 1:115).
Muʿtaziliten und Hadith 217

1347) ist auch der Ansicht al-Kaʿbīs (gest. 319/931), dass ungefähr der Anfang
des Vierten Jahrhunderts die Trennungslinie zwischen den Früheren und den
Späteren sei.
Al-Kaʿbī betonte in dem oben angeführten Zitat, dass er die früheren Auto-
ritäten und die Sunan- und Hadith-Gelehrten verehrt und respektiert. Mit den
Sunan- und Hadith-Gelehrten seien die Sammler der sechs kanonisierten sun-
nitischen Hadith-Kompilationen gemeint, unter denen der letzte an-Nasāʾī, der
Sammler des Sunnan-Werkes war, der (303/ 915) gestorben ist. Die Haltung einiger
Hadith-Gelehrter gegenüber al-Kaʿbīs Kritik spiegelt den theologischen Streit zwi-
schen ahl al-ḥadīṯ und den Anhängern anderer islamischen Gruppen wider, vor
allem den Muʿtaziliten, sodass das Werk „Qabūl al-aḫbār“ bei den Hadith-Gelehr-
ten nur im Zusammenhang mit der scharfen Kritik an al-Kaʿbī erwähnt wurde.

6 a
 l-Kaʿbīs Beschäftigung mit dem Verständnis
der mutūn
Al-Kaʿbī fordert seine Schüler auf, tief über den Inhalt dieses folgenden Hadith
des Gesandten nachzudenken, in dem der Prophet sagte: „Dieses Wissen nehmen
von jeder Nachkommenschaft „ḫalaf“ nur ihre Unbescholtenen (Integreren) auf.
Sie weisen davon die Verfälschung der Übertreibenden, die Erfindung der Lügner
und die Ausdeutung der Unwissenden zurück (vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:19).16 Somit
richtet al-Kaʿbī die Aufmerksamkeit wiederum auf die matn-Kritik und setzt
fort, dass der Gesandte Gottes mit diesem oben erwähnten Hadith sprach, der
uns von ihm überliefert wurde, als ob er unsere Zustände und unsere Bedürf-
nisse sähe. Durch die Anführung dieses Hadith wollte al-Kaʿbī feststellen, dass
diese Aussage des Propheten der Ansicht der aṣḥāb al-ḥadīṯ völlig widerspricht,
die meinten, „die Hadithe sollen nur weitergegeben werden, wie sie überliefert
wurden, ohne sie zu interpretieren“ (amirrūhā kama ğāʾat), und dabei vernach-
lässigt man viele Verfälschungen und Erfindungen in den Hadithen. Al-Kaʿbī fügt
hinzu, wenn es so gewesen wäre, wie die aṣḥāb al-ḥadīṯ es meinten, dann hätte
diese Aussage des Propheten keinen Wert und keinen Sinn gehabt. Der Prophet
spornt uns, al-Kaʿbī zufolge, zu einer rationalen Überprüfung des Hadith und
Zurückweisung der Verfälschung, der Erfindung und der falschen Ausdeutung
an. Hier verallgemeinert al-Kaʿbī diese Aussage von aṣḥāb al-ḥadīṯ und hält sie für

16 Die Authentizität dieses Hadith ist unter den Hadith-Gelehrten umstritten (vgl. Ibn ʿAdiyy,
o. J., 1:247–249).
218 Hossam Ouf

gültig für alle Hadithe, wobei es nicht so ist, weil die aṣḥāb al-ḥadīṯ diese Regel
nur auf jene Hadithe beschränkt haben, die von den Eigenschaften und Attribu-
ten Gottes abhängen. Das kann durch die folgende Geschichte bewiesen werden.
Abū Dāwūd (gest. 275/888) berichtete in seinem „Kitāb al-marāsīl“ von Aḥmad b.
Ibrāhim von Aḥmad b. Naṣr al-Ḫuzāʿī (gest. 229/843), dass dieser sagte: „Ich habe
einmal Sufyān b. ʿUyayna (gest. 198/ 813) gesagt: O Abū Muḥammad, ich will dich
etwas fragen, da erwiderte er: „Frag nicht“. Dann habe ich gesagt: „Wenn ich dich
nicht fragen darf, wen soll ich denn fragen?“. Da sagte er: „Frage!“. Ich sagte:
Was meinst du bezüglich dieser Hadithe, die uns überliefert wurden, wie „Die
Herzen (der Menschen) sind zwischen zwei Fingern Gottes“ und „Gott lacht und
wundert sich“? Da antwortet Sufyān: Gebt diese Hadithe weiter, wie sie uns über-
liefert wurden, ohne sie zu interpretieren! (as-Siğistānī, o. J., 182–183). Al-Lālikāʾī
berichtet auch von al-Walīd b. Muslim, dass dieser sagte: „Ich fragte al-Awzāʿī
(gest. 157/ 774), Sufyān b. ʿUyayna (gest. 198/ 813) und Mālik b. Anas (gest. 179/
795) nach diesen Hadithen, in denen die Rede vom Schau Gottes „ruʾyatu Allāh“
steht, da erwiderten sie: „Gebt sie weiter ohne sie zu interpretieren!“ (al-Lālikāʾī,
1995, 2:582).

 ie matn-Kritik zwischen al-Kaʿbī und ahl


7 D
al-ḥadīṯ
Al-Kaʿbī beginnt sein Werk mit einem Kapitel unter dem Titel: „Ein Kapitel über
das, was sie bezüglich der Mangelhaftigkeit vieler ihrer Überlieferungen und
bezüglich dessen überlieferten, dass eine Gruppe von ihnen das Lügen beab-
sichtigte“ (bāb mā rawawhu fi fasād kaṯir min ḥadīṯihim wa taʿammudi ğamāʿatin
minhum al-kaḏib). Dieses Kapitel hat er mit einer Aussage, die auf Šuʿba b.
al-Ḥağğāg (gest. 160/ 777) zurückzuführen ist, eingeleitet, dass Šuʿba sagte: „Du
findest kaum keinen, der die Hadithe wie ich überprüft oder sie erworben hat.
Ich habe sie überprüft und habe gefunden, dass nur ein Drittel davon authen-
tisch ist (al-Kaʿbī, 2000, 1:21)“. Al-Kaʿbī macht den Rezipienten von Anfang an
auf das Ziel dieses Werkes und auf seine These aufmerksam, dass die Hadithe
mit Skepsis wahrgenommen werden sollen, weil die erfundenen Hadithe, laut
den Aussagen der Hadith-Überlieferer selbst, im Vergleich zu den authentischen
sehr viel sind.
Charakteristisch für dieses Werk ist, dass die Quellen von al-Kaʿbī meistens
Aussagen und Überlieferungen von aṣḥāb al-ḥadīṯ sind. Seine eigene Meinung
ist kaum in diesem Werk zu finden, außer in seltenen Stellen (vgl. al-Kaʿbī, 2000,
1:21). Er zitiert immer in seinem Werk Aussagen von Ibn Abī Ḫayṯamah (gest. 279/
Muʿtaziliten und Hadith 219

892)17 und von al-Karābīsī (gest. 248/862)18 und anderen bekannten Hadithaut-
horitäten.
Um die Methode al-Kaʿbīs bei der Hadithkritik zu veranschaulichen, werden
hier Beispiele dargestellt. Das erste Beispiel wurde in einem Kapitel mit dem Titel
„Ein Kapitel über das, was sie überlieferten, wobei es von der Praxis (der islami-
schen Gemeinde) abweicht“ („bāb mimmā rawawhu mimmā al-ʿamal ʿalā ḫilāfihi“)
angeführt, das die Überlieferer von ʿAbdullāh b. Masʿūd und Abū Huraira vom
Propheten tradierten, dass er gesagt habe: „Einen Gläubigen zu beleidigen ist ein
Frevel und ihn zu bekämpfen ist kufr (Unglauben)“ Al-Kaʿbī sagt dazu: „ʿAlī b. Abī
Ṭālib, Ṭalḥa und az-Zubayr haben gegen einander gekämpft, trotzdem haben die
Muslime sie nicht für ungläubig gehalten“. Somit hält al-Kaʿbī diesen Hadith, der in
einigen kanonisierten Hadithsammlungen19 überliefert wurde (vgl. z. B. al-Buḫārī,
2012, 1:223, Hadith Nr. 48; vgl. an-Naisābūrī: 2006, 1:48, Hadith Nr. 116), für nicht
authentischen, weil er von der Praxis der islamischen Gemeinde abweicht. Sein
Ziel ist dabei, wie oben erwähnt, nur zu bestätigen, dass keine Einzel-Hadithe so
blind angenommen werden dürfen, auch wenn sie durch eine korrekte Überlie-
fererkette dem Propheten zugeschrieben werden. Der Inhalt muss auch überprüft
werden, weil der isnād alleine nicht ausreicht, um die Authentizität eines Hadith
hundertprozentig zu überprüfen. Ibn Ḥağar al-ʿAsqalānī in seinem „Fatḥ al-bārī“,
dem bekanntesten Kommentar zu Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, geht davon aus, dass mit dem
Begriff „kufr“ in diesem Hadith nicht „der Unglaube“ gemeint sei, sondern das sei
nur eine Art der Absicherung der Warnung vor dem Kämpfen gegen einen Muslim,
weil dieser Hadith nach seinem äußeren Sinn scheinbar dem Koran widerspreche.
Allah sagt im Koran: „Allah vergibt es gewiss nicht, dass man Ihm (etwas) bei-
gesellt. Doch was außer diesem ist, vergibt Er, wem Er will (Der Koran 4:48) (vgl.
al-ʿAsqalānī Ibn Ḥağar, 2005, 1:205). Somit gelte das Kämpfen gegen einen Muslim

17 Al-Kaʿbī zitiert Ibn Abī Ḫayṯamah häufig in seinem „Qabūl al-aḫbār“. Dabei stützt er sich auf
„at-Tārīḫ al-kabīr“, das auch unter „Tarīḫ ibn Abī Ḫayṯamah“ bekannt ist. Der Geschichtsschreiber
Abū Bakr Aḥmad b. Abī Ḫayṯamah Zuhayr b. Ḥarb ist (279/ 892) in Nasā bei Ḫurāsān kurz vor der
Geburt al-Kaʿbīs im Jahre (273/886) gestorben.
18 Al-Ḥusain b. ʿAlī al-Karābīsī (gest. 248/ 862) ist ein baghdadischer šāfiʿitischer Rechtsgelehr-
ter. Nach Ḥāğğī Ḫalīfa in seinem „Kašf aẓ-ẓunūn“ ist sein Buch „Asmāʾ al-mudallisīn“ das erste,
das sich der Auflistung der Namen von mudallisīn widmete. Al-Kaʿbi hat dieses Buch ausgiebig in
seinem „Qabūl al-aḫbār“ benutzt (vgl. Ḥāğğī Ḫalīfa, o. J., 1:89; vgl. Ess, 1993, 4:212).
19 Bis zur Zeit al-Kaʿbīs waren die heute sechs kanonischen Hadithsammlungen der Sunniten
weder so berühmt noch kanonisiert. Die Anfänge der Berühmtheit dieser Hadithsammlungen
gehen auf das zweite Hälfte des vierten Jahrhunderts zurück. Die ersten zwei Kommentare für
zwei Hadithsammlungen von diesen sechs, nämlich das Buch „Maʿālim as-sunan“ für die Sun-
nan von Abū Dawūd (gest. 275/888) und „Aʿlām al-ḥadīṯ“ für den Ṣaḥīḥ von al-Buḫārī (gest. 256/
870) sind dem Gelehrten Abū Sulaiman al-Ḫaṭṭābī (gest. 388/ 998) zugeschrieben.
220 Hossam Ouf

nicht als eine Handlung, derentwegen ein Muslim als ungläubig bezeichnet wird.
Ibn Ḥağar versucht hier den Hadith nach dem inneren Sinn auszudeuten und
den Begriff „kufr“ im übertragenen Sinne zu verstehen, um den Widerspruch zwi-
schen dem Koran und dem Hadith zu beheben. Darüber hinaus weist Ibn Ḥağar
darauf hin, dass dieses äußere Verständnis des Hadith, dass der Muslim wegen
des Kampfes gegen einen anderen Muslim als ungläubig bezeichnet wird, mit der
Meinung der Ḫariğīten übereinstimmt, die von den aṣḥāb al-ḥadīṯ als Häretiker
angesehen werden. Diese, die Ḫāriğīten meinten, dass der Großsünder als kāfir
bezeichnet werden muss. Weil das Töten eines Muslims als eine große Sünde gilt,
so wird der Täter in diesem Fall nach deren Meinung als Großsünder und somit als
kāfir betrachtet (vgl. al-ʿAsqalānī Ibn Ḥağar, 2005, 1:205). So lehnt al-Kaʿbī diesen
Hadith ab, weil er ihn nach dem äußeren Sinn verstanden und interpretiert hat.
Da Ibn Ḥağar davon ausging, dass der Hadith authentisch ist, deutet er ihn aus,
um ihn mit dem Koran in Einklang zu bringen.
Im selben Kapitel weist al-Kaʿbī den Hadith über das Stillen des Erwachsenen
(irḍāʿ al-kabīr) zurück. Er führt folgendes an: „Mālik und Maʿmar überlieferten
von az-Zuhrī von ʿUrwa, dass Sahla bint Suhayl dem Propheten sagte: O, Gesand-
ter Gottes, Sālim war für uns wie unser Sohn (Adoptivsohn), als der Vers ‚nennt sie
nach ihren Vätern‘ (Der Koran, 3:55)20 herab gesandt wurde. Sālim wurde damals
Sālim b. Ḥuzayfa genannt. Suhaila sagte: ‚Er pflegte, in die Wohnung hereinzu-
kommen, wobei ich kein Kopftuch trage‘. Der Gesandte Gottes sagte ihr: ‚Stille
ihn fünf Mal, dann kann er hereinkommen, auch wenn deine Haare unbedeckt
sind!‘ Dann machte sie das, was der Prophet ihr gesagt hat, und dann ist es Sālim
erlaubt worden, zu ihr hereinzukommen“. Zu diesem Thema erwähnt al-Kaʿbī
noch eine andere Überlieferung von ʿĀʾiša, dass sie das als eine Rechtsbestim-
mung anerkannt und angewandt hat. Er lehnt jedoch alle diese Überlieferung ab
und sagt: „Alle diese Überlieferung wurden von allen führenden Gelehrten (ğamīʿ
al-aʾimma) als abscheulich bzw. zurückgewiesen (munkar)21 betrachtet (al-Kaʿbī,
2000, 1:121)“.
Diesen Hadith hat jedoch al-Buḫārī in seinem Ṣaḥīḥ in einer Erzählung von
ʿĀʾiša und Muslim in fünf verschiedenen Versionen im Unterkapitel: „bāb irḍāʿ
al-kabīr“ (über das Stillen des Erwachsenen) überliefert (vgl. al-Buḫārī, 2012,

20 „udʿūhum li-ābāʾihim“. Der Editor des Werkes „Qabūl al-aḫbār“ gibt die Stelle des Verses
falsch an. In seiner Edition steht, dass der Vers Nummer 33 sei, obwohl er Nummer 5 ist.
21 Dieser Begriff „munkar“ wurde von den früheren Hadith-Gelehrten mit verschiedener Be-
deutung verwendet. Damals waren die hadithwissenschaftlichen Begriffe nicht bestimmt und
genau definiert. Munkar wurde damals mit der Bedeutung „zurückgewiesen oder inakzeptabel“
verwendet.
Muʿtaziliten und Hadith 221

6: 263, Hadith Nr. 3991; 7:19, Hadith Nr. 5087). Al-Kaʿbī meint trotzdem, dass
dieser Hadith bei allen führenden Autoritäten als abscheulich angesehen wird
(vgl. al-Kaʿbī, 2000, 1:121), obwohl nicht nur al-Buḫārī und Muslim diesen Hadith
in ihren beiden Ṣaḥīḥ-Werken, sondern auch Abū Dāwūd eine Version dieses
Hadith von ʿUrwa b. az-Zubair von ʿĀʾiša und Umm Salama in seinem Sunan-
Werk und auch an-Nasāʾī (gest. 300/ 921) fünf Versionen für diesen Hadith über-
liefert haben (vgl. as-Siğistānī, Abū Dawūd, 2009, 3:403–404, Hadith Nr. 2061;
vgl. an-Nasāʾī, 1999, 350–351, Hadithe Nr. 3319–3323). Es lässt sich jedoch fragen,
wer diese Autoritäten sind, die diesen Hadith laut al-Kaʿbī abgelehnt haben. Ob
er die muʿtazilitischen Gelehrten oder die früheren asḥāb al-ḥadīṯ meint, erwähnt
er nicht, weil er in der Einleitung die Hadith-Gelehrten als die Träger der Sunan
und der prophetischen Traditionen (ḥamalat as-sunan wa-l-āṯār) genannt und
betont hat, dass er sie verehrt. Dieser Hadith ist jedoch von den aṣḥāb al-ḥadīṯ
als authentisch angesehen und wurde sogar nicht nur im Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, dem
authentischsten Hadith-Werk und im Ṣaḥīḥ-Muslim, der zweitrangigen Hadith-
sammlung nach dem Ṣaḥīḥ von al-Buḫārī, sondern auch im Sunan-Werk von
Abū Dāwūd, dem authentischsten Sunan-Werk unter den Sunan-Sammlungen
und auch in dem Sunan-Werk von an-Nasāʾī überliefert. Verbindet man diesen
Hadith mit der Überschrift des Kapitels, in dem dieser Hadith von al-Kaʿbī ange-
führt wurde, also, „Ein Kapitel über das, was sie überlieferten, wobei er von der
Praxis (der islamischen Gemeinde) abweicht“, so lässt sich erschließen, dass
dieser Hadith so abgelehnt wurde, weil er nach al-Kaʿbīs Meinung mit der Praxis
der islamischen Gemeinde in Widerspruch steht. Das ist ebenso die Meinung
von den meisten Rechtsgelehrten in Bezug auf diesen Hadith, dass man diesen
Hadith nach seinem Wortlaut nicht in die Praxis umsetzen darf. Die Gelehrten
sind sich darüber einig, auch die aṣḥāb al-ḥadīṯ, die diesen Hadith als authen-
tisch eingestuft haben. Sie meinten, dass dieser Hadith eine Ausnahme für den
Sonderfall von Sālim ist. Man darf ihn aber nicht in die Praxis umsetzen (vgl.
Ibn ʿAšūr, 1984, 4: 296–297). Hier merkt man, dass al-Kaʿbī als Vertreter einer
Richtung den Hadith abgelehnt hat, weil er den Hadith als eine allgemeingül-
tige Regel betrachtet hat, die der Praxis der islamischen Gemeinde widerspricht.
Die Verallgemeinerung des äußeren Hadithsinnes als eine rechtliche Regel in
Bezug auf das Heiratsverbot wegen der Milchverwandschaft ist ebenso vernunft-
widrig und widerspricht der Natur der Beziehung zwischen Mann und Frau im
islamischen Kontext. Die aṣḥāb al-ḥadīṯ als Vertreter der anderen sozusagen
Gegenrichtung beschränkten diesen Hadith trotz dessen Authentizität auf den
Sonderfall von Sālim und hielten ihn nicht für allgemeingültig. Somit betrach-
teten sie diesen Hadith als kontext- bzw. personenbezogen. Der Endeffekt für
beide Einstellungen ist die Gültigkeitsabschaffung für diesen Hadith, aber unter
Anwendung verschiedener Herangehensweisen beim Umgang mit dem Hadith,
222 Hossam Ouf

der scheinbar dem Verstand und dem islamischen Recht in Bezug auf die Natur
der Beziehung zwischen Mann und Frau zuwiderläuft.
In einem anderen Kapitel mit dem Titel: „Ein Kapitel über das, was sie über-
lieferten, wobei es gravierende Fehler enthält, und weder weisen sie es zurück,
noch bezweifeln sie es“ (bāb mimmā rawawhu mimmā al-ġalaṭ fihi ẓāhir ğiddan
lā yadfaʿūnahu wa lā yašukkuna fīhi) führt al-Kaʿbī folgendes an: „Zu den Fehlern
der Medinenser gehört das, was Muḥammad b. ʿAbdullāh von az-Zuhrī von Saʿīd
b. al-Musayyib überlieferte, dass der Gesandte Gottes Ubayy b. Ḫalaf am Tag von
Uḥud-Feldzug mit einem Speer tötete, daraufhin wurde der Vers ‚Und nicht du
hast geworfen, als du geworfen hast, sondern Allah hat geworfen (Der Koran,
8:17)‘ herabgesandt“. Al-Kaʿbī sagte: „Es gibt einen Konsens, dass dieser Vers am
Tag von Badr-Feldzug herabgesandt wurde (vgl. Al-Kaʿbī, 2000, 1:138)“.22
Hier lehnt al-Kaʿbī diesen Hadith ab, der die Herabsendung eines Verses in
einer bestimmten Zeit vermittelt, weil die historischen Informationen über den
Offenbarungsanlass des Verses diesem Hadith widersprechen. Somit gilt dieser
Hadith als eine anachronistische Überlieferung.

Fazit
In seinem Werk „Qabūl al-aḫbār wa maʿrifat ar-riğāl“ bewertet al-Kaʿbī die Über-
lieferungen unabhängig von der Überliefererkette, egal ob die Überlieferer Pro-
phetengefährten, die Nachfolgegeneration (tābiʿūn) oder glaubwürdige bzw.
nichtglaubwürdige Überlieferer sind, bezogen auf eine traditional-rationale
Überprüfung, die auf einer prinzipiellen Skepsis aufgebaut ist. Dabei etabliert er
Grundlagen einer traditional-rationalen Hadith-Bewertung durch eine kritische
isnād-matn-Untersuchung, indem er bestimmte Kriterien für die Akzeptanz eines
Einzel-Hadith (ḥadīṯ āḥād), die über den isnād zum Text hinausgehen, voraus-
setzt. Seine scharfe Kritik an den Hadith-Gelehrten erregte einen Anstoß gegen
seine Ideen. Aus diesem Grund stößt sein Werk auf heftigen Protest sowohl von
den klassischen als auch von den modernen Hadith-Gelehrten. Die Inhalte des
Werkes zeigen uns einen sehr frühen kritischen und rationalen Umgang mit den
asānīd und mutūn der Hadithe, der den isnād und den matn als gleichwertige
hinterfragbare Komponente des Hadith ansieht, was auch heutzutage von großer
Bedeutung für die moderne islamwissenschaftliche und islamisch-theologische
Hadithforschung ist. Dieser traditional-rationale Ansatz der Hadith-Kritik setzt

22 Zum Offenbarungsanlass dieses Verses vgl. aṭ-Ṭabarī, 2001, 11/ 82–87; Ibn ʿAšūr, 1984, 9:294).
Muʿtaziliten und Hadith 223

jedoch eine andere Vorgehensweise voraus, die vorurteilsfrei sein soll, seitens der
Hadithforscher mit der muʿtazlitischen Literatur, die sich mit Hadith beschäftig-
ten. Heute ist es eine Notwendigkeit geworden, eine Hadith-Forschung zu etab-
lieren, die sowohl dem Text als auch dem isnād Aufmerksamkeit schenkt. Da die
Authentifizierung der Hadithe alleine durch die asānīd nicht entscheidend bzw.
mangelhaft zu sein scheint, soll versucht werden, den Hadith aus drei Perspekti-
ven zu erforschen, wie al-Kaʿbī es machte, nämlich:
Erstens: die Hadithe sollen nicht nur durch die Überprüfung des isnād akzep-
tiert werden, sie bedürfen auch noch einer tiefgehenden Überprüfung der asānīd
und der mutūn zusammen, die von der Skepsis ausgeht.
Zweitens: die Hadithe durch das matn-Verstehen zu überprüfen und zu ana-
lysieren.
Drittens: die Überlieferer ausgehend von der matn-Bewertung parallel zur
Anwendung der riğāl-Wissenschaften und der Überlieferer-Kritik neu zu evaluie-
ren.

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Maha El Kaisy-Friemuth
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Jabbār’s Theology
Trustworthy biographical details of the life of ʿAbd al-Jabbār are difficult to ascer-
tain; his name probably was Abu al-Ḥasan ʿAbd al-Jabbār Ibn Aḥmad al-Hama-
dhānī.1 He was born in the region of Hamadhān probably about 932 AD. He started
his theological studies in Iṣfahān under the Ashʿarite school, but in Ba·ra he was
soon impressed by the Muʿtazilite teaching, the most important Islamic rational
school of the time, and studied their sciences under the famous theologian Ab­
Isḥāq Ibn ʿAyyāsh (d. 970 AD). He also studied in Baghdad under the Muʿtazi-
lite theologian Abu ʿAbdullah al-Ba·rī (d.977 AD). The famous wazir al-Ṣāḥib Ibn
ʿAbbād appointed ʿAbd al-Jabbār as the chief judge of Rayy at about 972 AD. He
remained in this office until the death of al-Ṣāḥib in 997 AD, afterwards devot-
ing himself to teaching and writing until his death at Rayy in 1024, or 1025 AD.2
ʿAbd al-Jabbār had a long productive life, Ibn al-Murtaḍā mentions in Ṭabaqāt
al-Muʿtazila3 about 27 different titles of his4, but ʿAbd al-Karim ʿUthman’s research
produced 69 titles all attributed to ʿAbd al-Jabbār.5 However, Brockelman, ʿUthman
points out, has identified the existence of only 9 works and mentions the where-
abouts of their manuscripts.6
ʿAbd al-Jabbār followed the theology of the Baṣrian school which was distinct
from that of the Baghdadi school.7 The most important work of ʿAbd al-Jabbār is

Article Note: Parts of this article is from my book, God and Humans in Islamic Thought, London:
Routledge, 2006.

1 J. R. T. M. Peters, God’s Created Speech, Brill, 1976, p. 8.


2 Ibid; see also A. ‘Uthman, Sharḥ al-U·­l al Khamsa, Cairo, 1996, pp. 13–16.
3 Ibn al-Murtaḍā, Aḥmed Ibn Yaḥyā, Ṭabaqāt al-Mu’tazila, edited by Susanna Diwald-Wilzer,
Beirut, 1961.
4 Peters, Created Speech, p. 10.
5 ‘Uthman, Sharḥ, pp. 20–23.
6 Ibid, p. 20.
7 A. Dhanani, The Physical Theory of Kalām, Brill, 1994, p. 9. Dhanani explains that the first
one who directed attention to humans’ responsibility for their acts was Al-Ḥasan al-Ba·rī (d. 728
AD), however, Wāṣil Ibn ʿAtāʾ (d. 748 AD) and ‘Amr Ibn ‘Ubayd (d. 761 AD), who were students
of al-Ba·rī, are considered the real founder of the Muʿtazilite school. Nevertheless, only from the
time of Caliph Hārūn al-Rashīd (r. 786–809 AD), Dhanani explains, did they become a wellnown
school. They formed in fact two distinct schools: the Ba·rian school under the leadership of Abū
al-Hudhayl al-‘allāf, (d. 841 AD) and the Baghdadi school under the leadership of Bishr Ibn al-
Mu’tamir (d. 825/840 AD). Al-Naẓẓām, who lived in the same period, seems to have belonged to

https://doi.org/10.1515/9783110588576-012
The Human and the Prophet in ʿAbd al-Jabbār’s Theology 227

al-Mughnī. This consists of twenty volumes, sixteen of which were found in Yemen
in 1951. Peters explains that ʿAbd al-Jabbār dictated this work over a period of
twenty years between 972 and 992 AD.8 Al-Mughnī is the earliest detailed docu-
ment which we possess about theology of Basrian Muʿtazilite theology. Although
ʿAbd al-Jabbār in Al-Mughnī does not introduce a theology of his own but rather
compiles a theology of the Basrian school9, he presents excellent arguments
which prove different issues and express his own interpretation and conviction.
In Al-Mughnī XI ʿAbd al-Jabbār discusses the problem of the human nature.
He presents here the different theories which analyse the essence of human
nature which the the Basrian Muʿtazilites and their opponents held. This paper
will present and evaluate ʿAbd al-Jabbār’s discussion around the nature of the
human then moves to discuss the feature of revealed knowledge and the prophet
as the higher form of humanity.

The human nature according to ʿAbd al-Jabbār


Bodies according to ʿAbd al-Jabbār consist of parts, the smallest of which is the
atom which cannot be further divided.10 These parts come together through
certain qualities, which come successively to inhere in the atom, and are called
accidents. Both atoms and accidents need a creator because atoms come together
to constitute a body and separate to denote its perishing through different acci-
dents which ʿAbd al-Jabbār calls akwān:11 convergence, ijtimāʿ, separation,

neither of them. His opinions are closer to the philosopher than to the theologian, as we will
attempt to show in this chapter. See, A. Badawi, Madhāhib al-Islāmiyyīn, Beirut, 1983, p. 201
8 Ibid.
9 Peters, Created Speech, p. 15. Peters refer here to ‘Abd al-Jabbār’s own statement against one
of his opponents, “Maybe some will say: what this book contains is only a compilation of what
was known from the other books. (In answer): The question is not as he assumes; if you study it,
there is no doubt that in every chapter of it nothing is left out: [there is] a wide-spread collection
and a miscellaneous compilation, the explanation of the correct issue and the warning against
sophism, (the argument of the opponents), the study of the condition of the indication and the
definition of those things upon which the point and the correct issues are built”. See also Al-
Mughnī, XX part two, p. 225.
10 However, al-Naẓẓām (d. 836/845 AD) and other theologians from the Baghdadi school con-
sider that the atom can be infinitely divided, giving rise to the concept of the eternity of the world.
See, Al-Ash’arī, Maqālāt al-Islāmiyyīn, ed. H. Ritter, Wiesbaden, 1980, p. 304.
11 ‘Abd al-Jabbār, al-Majmū’ fī al-Muḥīṭ bi-al-Taklīf, ed. J. J. Houben, Beirut, 1965, pp. 34–45. In
this section ‘Abd al-Jabbār explains thoroughly the meaning of akwān, and proves its existence as
a determinant ma’nā which indicates movement and immobility in the bodies. After this he uses
228 Maha El Kaisy-Friemuth

iftirāq, movement, ḥaraka, and immobility, suk­n. Convergence makes the atoms
come together through movements and separation explains the body’s perishing
through immobility. These four accidents demonstrate that the body cannot be
eternally existent, for if it were so, it would not be possible to perish which is
the consequence of separation, and all its parts would always remain together,
because an eternal being has that eternity within itself which can never perish.12
Thus ʿAbd al-Jabbār believe that the existent beings come under three concepts:
atoms (bodies); accidents which explain all activities of the body and God whose
existence contains neither atoms nor accidents. However before engaging our-
selves in the discussion around the nature of the human, it is appropriate here to
examine the sources of the above theory.
The argument around the human as a composite of soul and body or atoms
and accidents started already in the Greek tradition. The atomist Greek scientist,
Dimokritus, believed that the world consists of atoms, which were existed eter-
nally. Russell explains that although the atomists believed that each event must
have a cause and all things are bound to the natural laws, they failed to explain
the reason for the coming together of the atoms in order to start forming the world.
It seems, Russell points out, that they asserted the purposeless starting point of
the world through mere chance, however once the atoms come together to form
bodies and things, natural laws govern the chain of causes. Aristotle criticised
this theory by showing its lack in explaining the source of movement, time, space
or the human soul.13 Epicures, who was contemporary to Aristotle and defender
of the atomist theory, explained that everything consist of atoms also movement,
time and the human soul showing that it is possible to relate all movements of the
world to a mechanical origin.14
Badawi considers that the early Muʿtazilite Abū al-Hudhayl was one of the
earliest to adopt the theory of atoms and accidents and was influenced probably
by the ancient Greek atomists. However, Badawi mentions here also the possi-
bility that Abū al-Hudhayl could have got his information about the theory of

movement and immobility, which denote convergence and separation, to prove that the atoms
come together to constitute a body because of the existence of these aspects ma’āni which come
to inhere in them and cause the existence of a body. He explains this proof in a simpler manner
in ‘Uthman, Sharḥ, pp. 96–104.
12 ‘Abd al-Jabbār, al-Muḥīṭ, pp. 50–67. In a long chapter ‘Abd al-Jabbār describes these four ac-
cidents akwān and explains how we are able to observe their function. Then he considers the
meaning of created and eternal in order to prove that the accidents and the body must be created.
13 Russel, B., Tārikh al-Falsafa al-Gharbiyya, al-Haiy’a al-Maṣriyya al-‘Āmma lilkitāb, 2010, vol. 1
pp. 125–139.
14 Ibid.
The Human and the Prophet in ʿAbd al-Jabbār’s Theology 229

atoms from the Indians who were living in Basra which was an international port
at the time, because the Indian school Vishka also adopted this theory. However
he inclines more to the view that Abū al-Hudhayl probably knew the theory of
atoms from the translations of Greek books which was taking place at this time.15
However, Abū al-Hudhayl did not consider that the world consists only of atoms
but also of accidents and divine power. Atoms for him have the only two qualities
of existence and occupying space. Therefore it is impossible, for Abū al-Hudhayl,
that atoms alone could explain the origin of the world. All qualities such as move-
ments, immobility, heat, cold etc cannot be atoms but another constituent. He
called these qualities accidents and gave them the quality of being inhering in
the atoms. Thus accidents do not occupy space and therefore can only exist in an
atom. Both atoms and accidents are created through divine power, accidents are
created either in each minutes like the accident of speech or for a longer duration
as the accidents of ability, life, knowledge or will.
According to ʿAbd al-Jabbār, humans, like all created things, consist of parts
or atoms and accidents. Many theologians, of this period, have referred to the
atom as a substance jawhar, but ʿAbd al-Jabbār uses also the word substance to
refer to the body.16 Peters explains that atom and substance in ʿAbd al-Jabbār’s
cosmology have many similarities; they both are seen as existent and occupying
space, and both are bearers of accidents.17 Substance, however, can consist of
more than one atom; it also explains the element of permanence, Peters points
out, which relates things to their species and genus.18 Accidents, in contrast, exist
only in a substance or atom and express the elements of change which occur
to the substance. This means that the changes which happen remain within the
permanent feature of the substance; though some accidents do not remain long,
the basic features of the body always stay the same. Accidents are of two kinds
perceptible and imperceptible. The first kind consists of colours, taste, odours,

15 A. Badawi, Madhāhib, pp. 183–184.


16 Al-Asha‘rī says that Abū al-Hudhayl and Mu’ammer seem to regard the substance jawhar as
the atom because they consider it to be not further divisible and therefore a single substance and
cannot be a body but it forms one atom of the body. Ab­‘Alī al-Jubbā’ī also follows this theory
(Ashh’arī, Maqālāt, p. 307). But since ‘Abd al-Jabbār refers to the body as a jawhar then we can
conclude that he considers the jawhar to consist of more than one atom. See Peters, Created
Speech, p. 121, 122. See also Dhanani, Physical Theory, pp. 55–57.
17 Badawi, Madhdāhib, pp. 183–184.
18 Peters, Created Speech, pp. 119–121. Peters considers that the use of substance has a meta-
physical rather than a physical meaning. It explains the independent existence which denotes
permanence and shows the ability to exhibit other qualities. It denotes the atom in its productive
form.
230 Maha El Kaisy-Friemuth

warmth, coldness, pains and sound. The second is divided into accidents, which
are created in the body, and others, which people acquire. Life, perception, ability
and perishing are imperceptible accidents and come only from God, while knowl-
edge, ignorance, doubt, conviction and the like, are acquired by each person.19
Some accidents are acquired through another agent; knowledge, for example, can
be learned from others or pain can be caused by another. Thus all activities of
humans are explained through the inherence of the different accidents at differ-
ent times.20
To ʿAbd al-Jabbār, therefore, humans are composite beings who are observed
as acting units. They are living through the accident of life, which is classed as an
accident inherent in the whole body, like ability and knowledge. Life entails the
accident of perception and denotes the living as those who can perceive warmth,
coldness and pain. Sight, taste and hearing are accidents, ʿAbd al-Jabbār explains,
which inhere only in certain parts of the body and a defect in an organ can occur
without stopping the accident of living.
The soul for ʿAbd al-Jabbār, in contrast, is not inherent in the body but it is
rather the breath which we inhale. Soul, “Rū­ḥ” in Arabic comes, according to this
author, from riyāḥ wind and the term nafs, which also designates the soul, comes
from nafas, the air we breathe. This, therefore, refers to the air which we inhale
and causes life to continue.21
After explaining the nature of the human according to ʿAbd al-Jabbār we turn
here to explore the theory of his opponents who believe in the duality of the soul
and body.

The human soul according to the philosophers


and the Baghdadi Muʿtazilites
The second theory of explaining the essential nature of the human is that of the
philosophers and some of the Baghdadi Muʿtazilites. They relate the movement
of the world to a divine intellect and to a divine soul. This theory has its origin in
the thought of Aristotle and his commentators.
The world moves and becomes active due to a divine intellect, which Aris-
totle calls the Prime Immovable Mover. This intellect, however, explains only the

19 Ibid, pp. 123–125.


20 Ibid, p. 125.
21 ‘Abd al-Jabbār, Al-Mughnī, XI, pp. 304–305.
The Human and the Prophet in ʿAbd al-Jabbār’s Theology 231

first movement of the world and its present form. All things for him, on the other
hand, consist of matter and form, the matter explains not only the material exist-
ence of things but also their potentiality and possibility of existence. The form, on
the other hand, explains their activities and shape; it actualises the potentiality
of existence and forms together with the matter the thing in the form it exists.
The form however in the Aristotelian thinking is the power, which explains the
existence and the activities of things. Aristotle considered the human soul to be
a high type of the form, which exists only in connection with matter (body). For
him, as Rahman explains, the soul is “an immanent principle which organises
the body and gives its specific character and makes it what it is”.22 He attributed
also rational knowledge to the soul and held, like Plato, that the body is a mere
instrument employed by the soul. At the same time he limited the existence of the
soul to the existence of the body. This forces the conclusion, Rahman points out,
that he had an inconsistent view of the relationship of soul to the body because
if the soul is a substance, which is superior to the body, then its existence should
not be restricted to the body.23
The principle of the soul as immaterial and separable from the body was
mainly the centre of Plotinus’ psychological teaching. But for him, as Rahman
noticed, the crucial point was mainly to define the soul-body relationship in order
to fight against other groups who considered the soul as the inseparable form of
the body.24 Goodman explains that Plotinus argued that the body cannot think
and therefore its relationship to the soul is merely instrumental.
Al-Fārābī (d. 950 AD.) considered, following Aristotle, that the activities of all
living being are related to the powers of the soul, al-Nafs. There are three kinds
of souls in the psychology of al-Fārābī: the eternal soul of God which has no
beginning and no relation to matter, the eternal souls of the angels which has a
beginning but also separated from matter ʿql mufāriq, and finally the earthly soul
which exists in matter and can only be eternal through possession of knowledge.
The earthly souls are also of three kinds: the vegetable soul which explains the
nourishing of the thing and its growth, the animal soul which is responsible for all
emotions and desires, and finally the rational soul which can be only attributed
to humans. The function of the human soul, however, includes the activities of
both the vegetable and the animal soul, but it presents the possibility for humans
to reach the level angelic souls. The human soul controls all the functions of the
body and uses it as its own instrument, which relates the soul to the other beings

22 Rahman, Psychology, p. 4.
23 Ibid, p. 5.
24 Ibid, p. 6.
232 Maha El Kaisy-Friemuth

in the earthly world. The soul for al-Fārābī has only one hope is to control the
desires of the body and to lead the rational part of the soul to contemplate the
divine world. Thus the soul for al-Fārābī, and also for Ibn Sina after him has a
mystical function which hopes only for its eternal life in the divine immaterial
world.25
The Baghdadi Muʿtazilites seems to be very much influenced also by the argu-
ment which explains that the human soul is a substance of its own. They seem to
have been influenced by the platonic concept of the soul. This concept was first
discussed among the Sufis of the Orfism (Orfius) tradition before Plato, however,
Plato was the one who clearly related the origin of the world and of the soul to a
divine power, though he believed in the existence of a pre-existent matter which
God used in forming the world. In both plays Titatius and Vidon, Plato concen-
trated on the concept of the human soul. In the former he explains that the human
soul originated in the divine world and its role is to acquire knowledge in this
world through its memory of its pre-existence time. The latter play discussed the
return of the soul to the divine world after its separation from the body.26
Al-Naẓẓām, an early theologian from the Baghdadi Muʿtazilites, regards the
human soul as light which is spread in the body and causes all its activities. The
soul has ability, will, life, and knowledge in its own merit. This means that the
human soul for him does not depend on knowledge or ability from outside but,
similar to Plato’s concept of the soul, it has knowledge, ability, and the other qual-
ities within itself. This argument, however, did not convince the Muslim theologi-
ans, al-mutakallimūn, who did not see a logical ground for this claim.27 For them
the body has a great importance for it will have eternal life in the paradise, as the
Qur’ān declares.
After giving a summary of the holder of the substantiality of the human soul
we move now to examine ʿAbd al-Jabbār’s argument against this theory.

ʿAbd al-Jabbār’s Criticism of the Duality of the Soul


and Body
ʿAbd al-Jabbār argues in Al-Mughnī XI against the theologians of the Baghdad
such as Hishām Ibn al-Ḥakam, Bishr Ibn al-Muʿtamir and Naẓẓām who consider

25 Fakhry, M., al-Farabi: the founder of Islamic Neoplatonism, Oxford: One Wold, 2002, pp. 86–89.
26 Russel, B., Tārikh al-Falsafa al-Gharbiyya, pp. 239–246.
27 Goodman, Avicenna, p. 154.
The Human and the Prophet in ʿAbd al-Jabbār’s Theology 233

that behind each visible person exists an invisible soul which is the power initiat-
ing all activities. The soul is the eternal element, they believe, which remains after
the death of the body; it is the determinant, maʿnā, which causes the actuality of
the body.28
The arguments of ʿAbd al-Jabbār against the Baghdadi theologians run as
follows:
First of all ʿAbd al-Jabbār explains that whatever is neither proved by neces-
sary knowledge nor by the methods of acquisition cannot be known. He presents
Abu Hāshim al-Jubbḍ’ī’s argument that if the soul were to inhere in all parts of the
body, then it would be like a dress we wear, which we experience immediately.
This, however, is not the case with the soul. ʿAbd al-Jabbār also asks how, if the
invisible being is other than the visible one, can we prove this invisible exists
when all its activities are identical with the activity of the visible person?29 In
this part of the argument ʿAbd al-Jabbār attempts to demonstrate the difficulty of
acquiring knowledge of the soul as a determinant, maʿānī, of the body.
He also argues against Naẓẓām who considers that the soul is a substance
which has knowledge, life and ability in itself, li-dhātihā. Naẓẓām also maintains
that the soul is the life which flows in the body and causes its activity. ʿAbd al-Jab-
bār’s argument here construct his main concept, for him God and humans func-
tion in basically different way, God is able, knowing, perceiving, existent within
Himself nothing comes from outside Himself; this is the explanation of what
the Muʿtazilite calls linafsihi within Himself. Humans in contrast function only
through determinant maʿnā which come from outside the human either from God
or from the outside environment, as explained above. Thus humans according to
the Mutakallimūn theologians cannot have any activities from within itself they
are always in need of knowledge ability, life, perception and so on which they
receive from outside and influence their different states. ʿAbd al-Jabbār argues
that if the soul were a substance in which knowledge and ability are inherent,
then it would be not possible for these to be inherent in the body because a sub-
stance (the soul) cannot be inherent in other substances; however, if it were an
accident then it would not accept other accidents such as knowledge and ability
because accidents are not inherent in each other. Also the possibility that the soul

28 Ibid, pp. 310–311.


29 His opponents explain that the reason for the identification between the activity of the soul
and of the body is that the soul is inherent in all parts of the body and initiates its activities. But
‘Abd al-Jabbār explains that if living is a substance in a person which is able to know and perceive
then it should be more likely to be able to know the reality of the bodily structure and organs of
the person himself, which is the nearest to the internal living soul; yet we know that no-one has
the ability to see or describe his own bodily organs.
234 Maha El Kaisy-Friemuth

could initiate activity per se is impossible, in ʿAbd al-Jabbār’s opinion, for the only
being who acts through Himself is God. Activities which are initiated through the
essence ṣifāt nafsiyya, however, would not be restricted by any limitations which
means that the person should have all knowledge and become omnipotent, which
is not observable of humans.30
ʿAbd al-Jabbār argues also against the concept of the human intellect as a sub-
stance jawhar which initiate the human intellectual activities. He devotes a long
chapter in Al-Mughnī XI to discussing the meaning of the word ʿaql. ʿAql for him
does not simply means intellect or rationality; it is rather a certain knowledge
which is known necessarily and immediately and it qualifies the person as
someone rationally responsible31 who is able to reflect and acquire knowledge.32
ʿAql here is not also used to mean a certain place or organ or substance in the body,
as it is among the Arab philosophers. ʿAbd al-Jabbār argues here that if ʿaql were a
substance, it would accept all kinds of accidents which means that the substance
ʿaql can accept knowledge and ignorance. In this case we cannot attribute matu-
rity to everyone who possesses ʿaql, for it can mean both knowledge and igno-
rance.33 ʿAbd al-Jabbār also argues against the concept of ʿaql as a power existing
in the body. He explains that if by power is meant the ability to achieve certain
knowledge, then there must be people who are attributed with rational maturity,
ʿāqil, only because they possess this ability, but who lack knowledge, because
ability must precede the act of knowing.34 As a conclusion ʿaql for ʿAbd al-Jabbār
is the accident of certain knowledge which exists in most people and enables
them to reflect and acquire science. His reference to it as ʿaql should be c­ onsidered

30 Another proof ‘Abd al-Jabbār presents here that if the soul is a separate substance which has
its own knowledge, power and perception then it can see and hear things in the case of the defec-
tion of its organs, but we know that the blind cannot see and the deaf cannot hear. It is also clear
that each sense-organ is responsible for one kind of perception but if the soul in the body had
perception not through an accident but within itself then it would be possible to use one organ
for several kind of perception, which to ‘Abd al-Jabbār is absurd. See Al-Mughnī XI, pp. 339–341.
31 Here ‘Abd al-Jabbār explains the idea of kamāl al-‘aql which is one of the qualification of being
mukallaf. He says that al-‘aql is certain reliable knowledge which happens in a person without use
of the senses or acquired knowledge. The word ‘aql comes from ye‘qil al-nāqa, which means to
hinder the camel from moving. It is used here metaphorically, ‘Abd al-Jabbār explains, and refers
to knowledge which is basic and does not change, like the basic knowledge of ethical rules or the
knowledge of basic general rules which are always true. Al-Mughnī, XI, pp. 379–80 and p. 386.
see also peters, God’s created speech, p. 83.
32 ‘Abd al-Jabbār, Al-Mughnī, XI, p. 375.
33 Ibid, p. 376–377.
34 ‘Abd al-Jabbār, Al-Mughnī, XI, p. 379.
The Human and the Prophet in ʿAbd al-Jabbār’s Theology 235

here as conventional usage, which, as he explains, calls all mature persons


ʿuqalā’.35
Thus the living person has “life through which the person become living,
ḥayy, he is not living by means of the soul nor is he living by means of blood or
bodily structure, though he needs all of them.”36
ʿAbd al-Jabbār regards humans as a composite unity of parts which bear
different accidents, some of which are permanent, such as life and basic per-
ception, others changeable and denoting the particular state of each moment.
But although the composite being is always in a passive position of accepting
the different accidents, they are considered to have the will and ability to act in
accordance with their desires. It seems here, however, that this unity is not justi-
fied since ʿAbd al-Jabbār does not tell us how composite beings can decide about
the different accidents which they might receive, since there is no rational being
inside them to make such decisions. In addition if the person is mainly a compos-
ite of atoms and different accidents, why do people differ in their decisions, since
changes happen through the same kind of accidents of knowledge or conviction?
It seems to us here that the absence of a rational soul inside the human body con-
tradicts ʿAbd al-Jabbār’s concept of humans as free agents who are responsible
for knowing God and performing good acts, since it lacks a rational soul able to
govern the whole body and make such decisions.
He, while rejecting the duality of body and soul, adopts another duality:
atoms and accidents. Accidents in his theology replace the soul in tracing the
capacities of humans but they do not present the rational unity which the soul
presents. It seems to us that the Muʿtazilites and many other Muslim theologians
realised the danger of supposing that human activities are related to a rational
spiritual being, as this would have influenced their whole theological system. For
the rational soul, as explained by the philosophers, must have qualities which
are similar to God’s, such as being immaterial, indivisible and one. With these
qualities the soul cannot be satisfied by the promised rewards which concentrate
on the pleasures of the body. The hope of the soul, as we have seen in Ibn Sīnā and
al-Ghazālī, is meeting God and having eternal life in observing Him. In a sense the
human soul may become like an angel, whose existence and hope differ totally
from those of humans. Thus belief in the substantiality of the rational soul raises
humanity to a divine condition which has mystical implications and hints at the
unimportance of the body in the life to come.

35 Ibid, pp. 379–387.


36 ‘Abd al-Jabbār, Al-Mughnī, XI, p. 338.
236 Maha El Kaisy-Friemuth

Revealed Knowledge and the feature of the


Prophet
Abd al-Jabbār’s concept of prophecy is connected with his rational theology. In
the first place it demonstrates that rational discourse, though states in the center
of the Muʿtazilite thought is, however, perfected through the work of prophecy.
In this sense he asserts that rational and revealed knowledge are complementing
each other and providing the human with all means of perfect perception of the
world.
Through rational knowledge we can testify that the world has a creator and
that this creator has several attributes. Only through this way we can understand
that the creator cares for his creatures and has a plan to benefit them in this world
and in the world to come.
In order to gain these benefits the creator has placed two impositions, which
Abd al-Jabbār calls taklīf ʿqlī and taklīf sharʿī
Taklīf ʿqlī is the rational obligations which we can reach through our rational
capacity, while taklīf sharʿī is revealed through the different prophets.
In order that the human understands and realizes his/her role in the world,
God provides them with all possible assistances:
1. all bodily instruments which lead to rational reflection, naẓar.
2. providing luṭf as a special assistance and an additional guidance.

Under the first point locate Abd al-Jabbār the rational obligation taklīf ʿaqlī, while
the second assistance is the ground for revealed obligations, taklīf shar’ī.
The rational obligation is based on the concept of naẓar. Since God provides
the human with all bodily instruments which give him/her the capacity to reflect
and reach results about the world and its creator, He demands from them to think
and act according to rational order. This obligation is compulsory for all humans
and is called taklīf ʿaqlī.
The revealed law on the other hand is a particular assistance which provides
the human with specific knowledge on rituals and an additional divine knowl-
edge which is not accessible through rational reflection.
Abd al-Jabbār discusses the importance of revealed knowledge under his main
discussion of prophecy in Al-Mughnī XV. Here he compiles evidence to support
the view that sending prophets is acceptable to reason and that their messages
benefit them and those to whom they are sent. His argument is directed against
the Barāhima, an Indian group who did not believe that God sent prophets. Their
view was that if God sent prophets with messages which were not rationally
acceptable, they would be useless because our minds could not accept them, and
The Human and the Prophet in ʿAbd al-Jabbār’s Theology 237

if the messages were attainable by rational knowledge there would be no need to


send them. ʿAbd al-Jabbār’s task here is to prove that the revealed message, though
it is accepted rationally, contains things which our rational knowledge cannot
reach.37 He argues that the importance of revealed knowledge lies in the detailed
information which it gives about some acts; it is concerned with the details of
performing certain acts and refraining from others al-fiʿl wa al-tark. These details
may not be known through necessary knowledge because necessary knowledge
provides general and total information mujmal, whereas detailed knowledge is
needed about the performing of certain acts and refraining from others.38
The content of revealed knowledge, as of all kinds of knowledge, must have
a rational ground which proves its claims because a commandment to ʿAbd
al-Jabbār is obligatory not only because it is from God but because of its content.
Thus revealed knowledge must follow the same fundamental basis of rational
knowledge. However, ʿAbd al-Jabbār believes that revealed messages do present
new information which cannot be acquired only as parts of rational knowledge.
This section, therefore, will examine the importance and the content of revealed
knowledge as ʿAbd al-Jabbār sees them.
After showing that these revealed truths cannot be known through necessary
knowledge, he turns to examine whether it is possible to obtain them through
acquired knowledge. He starts his discussion by explaining that acquired knowl-
edge can only extend to things which can be known rationally, but other kinds of
information must be gained through other methods, including details of future
events ʿilm al-ghayb or certain acts which the creator demands from His creatures
such as worship, or allowing the slaughter of animal for the benefit of human
needs.39 Thus, ʿAbd al-Jabbār confirms that there are kinds of truth which may
not be known either by necessary immediate nor acquired knowledge. Our minds,
for example, can only insist that we should thank and worship God but cannot
provide the detail of this worship.40
Revealed knowledge discloses also the characteristics of some specific acts,
including motivating, afʿāl dāʿiya, which stimulates performance of the rational
obligations, such as prayers which motivate good actions.41 The importance of
revealed knowledge, therefore, lies in three points: 1. it is the only way to know
God’s revealed law, sharīʿa, which disclose details of some acts and the reason for

37 ’Abd al-Jabbār, Al-Mughnī, XV, p. 24.


38 ’Abd al-Jabbār, Al-Mughnī, XV, pp. 23–26.
39 Ibid, p. 26.
40 Ibid.
41 Ibid, pp. 26–28.
238 Maha El Kaisy-Friemuth

their being obligatory and 2. it imposes some important acts whose function is to
motivate. 3. It functions in confirmation of the rational taklīf.
However, revealed knowledge is important also because it reveals the kind
of acts which motivate performing the rational taklīf. Prayers and the prohibi-
tion against alcohol, for example, are revealed in the Qur’ān as helping avoid
evil deeds; consequently they help the fulfilment of the rational taklīf.42 Hourani
explains that the motivating acts uncover the depth of revealed knowledge as
demonstrating the characteristics of many acts which, though they can be known
rationally, can mainly be known, in their full implications, only to the creator.43
Thus revelation has the role of confirming what is rationally known; of dis-
closing the character of some acts which motivate us to perform our obligations;
and finally of introducing some acts which can only be known through revelation,
such as the details of worship or slaughtering animals which cannot be approved
rationally as good but are revealed as permissible.44 ʿAbd al-Jabbār declares at the
beginning of Al-Mughnī XV that revealed knowledge is an extension of rational
taklīf and cannot have an independent role for we must prove that it comes from
God.45 However, ʿAbd al-Jabbār does not show here the importance of revealed
knowledge in unveiling characteristics of God which cannot be known through
rational means. He ignores the details of certain divine characteristics which
are mentioned in the Qur’ān such as the extent of God’s forgiveness or His being
closer to humans than their jugular vein. Thus he limits the importance of this
knowledge to the commandments, the prohibitions and their characteristics and
the details of reward and punishment which cannot be known rationally.
Abd al-Jabbār in Al-Mughnī 15 uncover some features of the prophet as follow:
1. the prophet is someone who did not do major sins neither after no before
the mission. However all the Muʿtazila accept that he might have minor sins
before his mission.
This in fact means that they do not accept concept of the infallibility of proph-
ets which is accepted by all other groups.
2. The prophet, according to Abd al-Jabbār, is an ordinary person who is not
necessarily higher in knowledge than others

42 Ibid, pp. 30–36.


43 Hourani, Rationalism, p. 132. An objection is raised here by ‘Abd al-Jabbār’s opponents: why
should these motivating revealed laws be obligatory? ‘Abd al Jabbār replies that, when a certain
act is assisting the performance of another in a such way that the second can only be carried out
when the first is performed, then both must be regarded as duty because performing the obliga-
tion depends on both of them. See, ’Abd al-Jabbār, Al-Mughnī, XV, pp. 36–39.
44 ’Abd al-Jabḍr, Al-Mughnī, XI, pp. 30–31.
45 ’Abd al-Jabḍr, Al-Mughnī, XV, p. 41.
The Human and the Prophet in ʿAbd al-Jabbār’s Theology 239

However, Abd al-Jabbār is in agreement with many other groups that the
prophet Muhammed was illiterate and did not perform poetry. This is a part of his
argument for the inimitability of the Qur’ān in Al-Mughnī 16.46
In fact Abd al-Jabbār does not only omit the participation of the prophet in the
formation of the Qur’ān, he also does not consider him better than the mufesser­n:

‫و يوجب ان سائر العلماء يعرفون من تفسيره ما يعرفه الرسول و االمام و ما ابطلنا به القول بان التفسير ال يختص‬
‫ يبطل هذا القول ما بينا به انه ال معصوم يرجع اليه في الزمان و سائر االزمنه و ان الحجه‬.‫به السلف دون الخلف‬
47‫قائمه بالقرآن‬

3. the prophet also must be accompanied with a miracle or several miracles.


These miracles could be performed by the prophet through God’s power to
break the norm but also could be God’s immediate performance to demon-
strate the prophecy of His prophet.48
However, elsewhere he insists that the miraculous act comes only through
Divine power and therefore the performer does not play an important role.
Whether the Qur’ān from the prophet or from Jebrīl or from God directly, does not
make great difference, for Abd al-Jabbār. Important is that the Qur’ān is inimitable,
reveals divine power and indicates the prophecy of Muhammed ibn Abd Allah.
Although the Muʿtazila dealt with miracles in a very cautions way, Abd
al-Jabbār seems to follow his own conviction in this subject. In his both books
I’jāz al-Qur’an and Tathbīt Dalā’il al-Nebwwa he mentions many miracles of the
prophet and accept them all on the basis of consensus and continuous transmis-
sion tawātur. His interest here seems to be a protest against some of the Baghdadi
Muʿtazila who reject the miracles of the prophet altogether.
Thus revelation has the role of confirming what is rationally known; of dis-
closing the character of some acts which motivate us to perform our obligations;
and finally of introducing some acts which can only be known through revelation,
such as the details of worship. Revealed knowledge, for Abd al-Jabbār, is an exten-
sion of rational taklīf and cannot have an independent role for we must prove first
that it comes from God. As a result, ‘Abd al-Jabbār claims that both rational and
revealed knowledge are obligatory. Both rational and revealed knowledge func-
tion very closely together in such a way that the absence of one of them causes us
either to misunderstand and misinterpret revelation or to go without the divine
assistance which makes it possible (easier) to perform our rational obligations.

46 Abd al-Jabbar, Al-Mughni, XV, pp. 9–14.


47 Abd al-Jabbar, Al-Mughni, XV,I p. 369.
48 Abd al-Jabbar, Al-Mughni, XV, pp. 14–18.
240 Maha El Kaisy-Friemuth

Hourani points out here that, for the Mu‘tazilites, God’s ethical prescriptions for
humanity do not go beyond what they can rationally apprehend, thus disclosing
the harmony between reason and revelation. The theology of ‘Abd al-Jabbār and
the Mu‘tazilites, then, is based on the reliability of both sources of knowledge, the
revealed and the rational, which are both guaranteed by God.

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Mourad Qortas
Muʿtazilitische Koranexegese
unter besonderer Berücksichtigung der Diskussion um den
Mutašābih-Begriff

Exegese im allgemeinen Sinne bedeutet Auslegung und Erläuterung. Diese Defini-


tion gilt auch für die islamische Tafsīr-Tradition. Jedoch gestaltet sich der Begriff
im islamischen Kontext besonders: Die Auslegung bzw. die Interpretation, im ara-
bischen taʾwīl bezeichnet, war eine spätere Entwicklung der Tafsīr-Wissenschaft.
Tafsīr bemühte sich anfangs um eine im Einklang mit den Sprachgepflogenheiten
der Araber und im Sinne der prophetischen Sunna traditionsbewussten Erläute-
rung des Korans. Taʾwīl al-Qurʾān dagegen wurde in gewissen orthodoxen Kreisen
als häretisch angesehen, da der Begriff eng mit der rationalistischen Auffassung
verbunden war; die Offenbarung bedürfe einer menschlichen Auslegung. Der
Streit um die exegetische Interpretationsfähigkeit des Korans war eng mit der Ent-
stehung und Ausbreitung der „häretischen“ Strömungen der Muʿtazila, Bāṭiniyya
und Schīʿa verbunden.
Dieser Artikel beschäftigt sich mit der muʿtazilitischen Koranexegese und
zeigt anhand einiger führender Exegeten der Muʿtazila die Besonderheiten und
die Entwicklung hermeneutischer Überlegungen dieser theologischen Bewegung.
Dabei wird der Fokus darauf gerichtet, welche Vorstellungen im Hinblick auf die
berühmte Frage des al-muḥkam und al-mutašābih im Koran sie von taʾwīl hatten.
Da die Muʿtazila Vorreiter einer rationalistischen Auslegung der Offenbarung
waren, sollte der Koran, ihrer Auffassung nach, einer rational-kritischen Prüfung
standhalten können. Offenbarung und Vernunft, so die muʿtazilitische Maxime,
stimmen notwendig überein. Somit standen die Muʿtazila im Mittelpunkt tradi-
tionalistischer Kritik.
Im theologischen Disput zwischen der Muʿtazila und anderen Glaubensrich-
tungen wurden bestimmte kritische Passagen des Korans mit Bezug zu den Eigen-
schaften Gottes, aufgrund ihrer Unklarheit und Ambiguität oft thematisiert. Jede
theologische Schule griff dabei auf eine eigene Interpretation dieser koranischen
Verse zurück, die im Einklang mit ihrer Dogmatik steht. Diese unklaren und mehr-
deutigen Verse, koranisch „mutašābihāt“1 bezeichnet, waren der Stoff für eine

1 Koran (3,7): “Er ist es, Der dir das Buch herab gesandt hat. Es enthält (muḥkamāt) eindeutige,
grundlegende Verse, die den Kern des Buches bilden und (mutašābihāt) Verse, die verschieden
gedeutet werden können. Diejenigen aber, die im Herzen abwegige Absichten hegen, befassen

https://doi.org/10.1515/9783110588576-013
Muʿtazilitische Koranexegese 243

energisch geführte Debatte über die Definition und die Funktion der mutašābihāt
innerhalb der Koranexegese. In diesem Artikel wird der Versuch unternom-
men, einen Grundriss zur muʿtazilitischen Exegese zu geben. Dabei gehe ich
auf die Überlegungen von führenden Muʿtaziliten zum Problem des „Mutašābih
al-Qurʿān“ ein und am Schluss steht eine detaillierte Behandlung der Lösung von
al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār.
Die muʿtazilitische Theologie ist durch ihre kategorische Ablehnung des
Anthropomorphismus (tašbīh und tağsīm) und der Prädestinationslehre gekenn-
zeichnet. Diese Haltung leitet sich aus den zwei dogmatischen Hauptprinzipien
der Muʿtazila von der Gerechtigkeit und der Einheit Gottes ab (al-ʿadl wa-t-tauḥīd).
Deswegen nannten sie sich selbst „Ahl al-ʿadl wa-t-tauḥīd“ (die Anhänger der Got-
tesgerechtigkeit und des Monotheismus).
Für die muʿtazilitische Koranexegese bedeutet diese Dogmatik eine starke
Fokussierung auf die Mehrdeutigkeit koranischer Aussagen. Die Muʿtazila fanden
im Koran viele sich widersprechende Stellen bezüglich ihrer Lehre der göttlichen
Transzendenz (tanzīh) und der menschlichen Willensfreiheit. Sie konnten aber
beim Koran, anders als beim Ḥadīṯ, eine Methode der Traditionskritik, die sich
mit der Überlieferungsauthentizität beschäftigt, nicht anwenden.2 Der göttliche
Ursprung des Korans wurde von der Muʿtazila nicht in Frage gestellt. Sie sahen
sich aber veranlasst, angesichts des unklaren Charakters bestimmter Aussagen
im Koran, ihn im Sinne muʿtaziltischer Dogmatik zu interpretieren (taʾwīl). Dabei
waren die Muʿtaziliten nicht die ersten. Goldziher schreibt in diesem Kontext: „Der

sich vorrangig mit den nicht eindeutigen, mit der Absicht, Verwirrung zu stiften und eigene Deu-
tungen zu entwickeln. Die einzig richtige Deutung weiß nur Gott allein. Diejenigen aber, die über
tiefgreifendes, fundiertes Wissen verfügen, bekennen: „Wir glauben (uneingeschränkt) daran.
Alles, (was der Koran enthält,) ist von Gott, unserem Herrn.“ So denken nur die, die sich ihres
gesunden Verstandes bedienen.“
2 Treu ihrem Prinzip vom Primat der Vernunft folgend, haben die Muʿtaziliten vor allem jene
Ḥadithe abgelehnt, die sich zu den göttlichen Eigenschaften, der Prädestinationslehre und
Gottesschau geäußert haben. „An-Naẓẓām (gest. zwischen 835 und 845 n. Chr.), ein führender
Muʿtazilit, war der Meinung, dass das rationale Argument die Traditionen abrogiert (yansuḫ),
deswegen wies er prophetische Traditionen (aḥādiṯ) ab, die er aus einer rationalen Perspektive
nicht nachvollziehen konnte. Abū ʿAlī al-Ğubbāʾī und sein Sohn Abū Hāšim traten für eine ra-
tional hergeleitete Šariʿa ein, und schränkten die prophetische Šarīʿa auf Fragen ein, die durch
die Vernunft nicht gelöst und nur durch as-Samʿ (die Offenbarung) geklärt werden können. (…).
Aber den edlen Koran wagten die Muʿtazila nicht anzugreifen, aber sie haben ihn interpretiert.“
Ğār Allāh, Zuhdī. al-Muʿtazila. Kairo, 1947, 247–48. Vgl.: Ibn Qutaiba, Abū Muḥammad. Taʾwīl
muḫtalaf al-ḥadīṯ wa r-Rad ʿalā man yurīb fī al-Aḫbār al-muddaʿā ʿalayhā at-Tanāquḍ. Riad 2009:
Dār ibn al-Qayyīm, 96–119. Dort zählt Ibn Qutaiba die Einwände von an-Naẓẓām gegen Ḥadīṯ-
Überlieferer, u. a. Ibn Masʿūd und Abū Huraira auf und widerlegt sie.
244 Mourad Qortas

Widerspruch gegen die grobe anthropomorphistische Gottesauffassung nimmt


nicht erst mit dem schulmäßigen Auftreten der Muʿtaziliten seinen Anfang; seine
Keime reichen (…) in einen Kreis hinein, in dem sonst die traditionelle Koranexe-
gese vorherrschend war“3. Die Muʿtaziliten waren also keine Vorreiter in der meta-
phorischen Auslegung anthropomorphistischer Aussagen im Koran. Ihr Verdienst
war lediglich, diese Auslegung im Sinne einer hermeneutischen Methode zu ver-
stehen und systematisch auf die Gesamtheit anthropomorphistischer Koranverse
auszuweiten.4
Diese exegetische Annäherung, die auf die Auslegung von dogmatisch rele-
vanten, insbesondere anthropmorphistisch klingenden Versen beruht, begründet
ihren Ansatz auf die im Koran selbst getroffene Aufteilung seiner Aussagen in
(muḥkamāt) und (mutašābihāt).5 Viele muslimische Exegeten identifizieren die
muḥkamāt mit klaren und eindeutigen Versen, die keiner Erläuterung bedür-
fen. Die mutašābihāt dagegen gelten als Verse, die unklar und ausgelegt werden
müssen. Die Muʿtazila, und vor allem al-Qāḍī ʿabd Al-Ğabbār, übernahmen diese
koranische Terminologie und erweiterten sie zu einem hermeneutischen Kon-
zept.6
Dies erklärt, warum eine Vielzahl von früheren Tafsir-Werken zu den unkla-
ren koranischen Versen unter dem Titel Mutašābih al-Qurʾān oder mit ähnlichen
Bezeichnungen erschienen ist. Ein beachtlicher Anteil unter den Verfassern dieser
Werke waren Muʿtaziliten, wie Ğaʿfar ibn Ḥarb (gest. 236/850), Abū ʿAlī al-Ğubbāʾī
(gest. 303/915), Bišr b. al-Muʿtamir (gest. 210/825), al-Ḥasan al-Warrāq (gest.
230/845) und Abū al-Ḥuḏail al-ʿAllāf.7 In späterer Periode erschien Mutašābih
al-Qurʾān von Qāḍī ʿAbd Al-Ğabbār (gest. 415/1025), das Tafsīr-Werk, dem der
letzte Teil dieses Artikels gewidmet sein wird.
Bei dem Mutašābih-Genre im Bereich der Koranexegese geht es um die Her-
vorhebung der aus muʿtazilitischer Perspektive theologisch-problematischen
Verse und die Behandlung von spezifischen philologischen und semantischen
Besonderheiten, die damit einhergehen.8

3 Goldziher, Ignaz. Die Richtungen der islamischen Koranauslegung. Leiden, 1920, 102.
4 Ebd., 110.
5 Koran (3,7).
6 Abū Zaid, Naṣr Ḥāmīd. Al-Ittiğāh al-ʿaqlī fi t-Tafsīr. (Dirāsah fī qaḍiyyat al-mağāz fī al-Qurʾān
ʿinda al-muʿtazila). Casablanca 41998, 64. Fudge, Bruce. Quranic Hermeneutics and the Muʿtazila.
In Qurʾānic Hermeneutics: Al-Ṭabrisī and the Craft of Commentary. Routledge, 2011, 114–142.
7 Ebd., 116; Ibn an-Nadīm. al-Fihrist, Bd. 1 (2009): 94, hg. v. Ayman Sayyed Fuʾād. London:
Mūʾssasat al-Furqān li-t-Turāṯ al-Islāmī.
8 Fudge, 116.
Muʿtazilitische Koranexegese 245

Dank der zayditischen Schīʿa im Jemen haben sich viele muʿtazilitische Schrif-
ten erhalten. Dies hat damit zu tun, dass mehrere Zaydiyya-Imāme Muʿtaziliten
waren und theologische Schriften verfassten, einschließlich der wichtigen Per-
sönlichkeit des al-Qāsim b. Ibrāhīm ar-Rass (gest. 246/860).
Für die Untersuchung muʿtazilitischer Koran-Exegese sind die Ansichten
auch von denjenigen muʿtazilitischen Theologen zu berücksichtigen, deren
Schriften uns nicht erhalten sind, deren Meinungen und Interpretationen jedoch
als Schul-Autorität in späteren Tafsīr-Werken eingearbeitet wurden. Bekannte
Tafāsīr mit eindeutigen muʿtazilitischen Spuren, wären aṭ-Ṭūsī’s Tibyān, al-Ḥākim
al-Ğišumī’s Tahḏīb und aṭ-Ṭabrīsī’s Mağmaʿ al-Bayān in schiʿitisch-muʿtazilitischen
Kreisen und das umfangreiche Mafātīḥ al-Ġayb (at-Tafsīr al-Kabīr) vom Faḫr ad-Dīn
ar-Rāzī (gest. 606/1210).9 Eine ähnliche Begründung liefert auch Ḫidr Muḥammad
Nabhā zu seiner sechsbändigen Reihe „Mawsūʿat Tafāsīr al-Muʿtazila“.10 Diese
Reihe unternimmt den Versuch, die in verschiedenen Kommentaren erwähnten
Meinungen von muʿtazilitischen Exegeten zu sammeln und aus diesen Fragmen-
ten für jeden dieser Exegeten ein eigenständiges Tafsīr-Werk zu rekonstruieren.
Die Rekonstruktion beruht auf die zahlreich gefundenen Auszügen in den drei
Tafsīr-Hauptwerken: at-Tibyān von aṭ-Ṭūsī (gest. 460/1066), Mağmaʿ al-Bayān
von aṭ-Ṭabrīsī (gest. 548/1154) und Mafātīḥ al-Ġayb von Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī.11 Die
schīʿitischen Exegeten aṭ-Ṭūsī und aṭ-Ṭabrīsī und der sunnitische ar-Rāzī haben
diese Arbeit erst möglich gemacht, da sie bei der Erklärung eines koranischen
Verses in aller Regel auf die muʿtazilitische Zugehörigkeit des zitierten Verfassers
hingewiesen haben. Az-Zamaḫšarī (gest. 538/1144) beschränkte sich in seinem
Korankommentar al-Kaššāf lediglich darauf, die für seine Argumentation nütz-
liche Meinung zu schreiben ohne seine Quelle dafür zu erwähnen. Damit war
al-Kaššāf wenig hilfreich für die Untersuchung muʿtazilitischen Einflusses im
Bereich der Koranexegese. Ferner spielt al-Kaššāf, laut Fudge, aufgrund relativer
„Armut“ an muʿtazilitischen Aussagen nur eine marginale Rolle im Zusammen-
hang mit muʿtazilitischer Exegese12. Auch Gimaret konstatiert, dass az-Zamaḫšarī
für ar-Rāzī nur aufgrund seiner linguistischen Expertise, nicht aber für seinen
Muʿtazilismus interessant war.13 Im Folgenden werden einige wichtige Exegeten

9 Ebd.
10 Nabhā, Muḥammad Ḫidr. Tafsīr Abū Bakr al-Aṣamm, (Reihe Mawsūʿat Tafāsīr al-Muʿtazila),
Beirut 2006.
11 Nabhā, Tafsīr Abū Bakr al-Aṣamm, 9–10.
12 „(…) that famous work (Kaššāf) stands at the end, if not on the margins, of the muʿtazili exe-
getical tradition“. Fudge, 115.
13 Gimaret, Daniel. Une lecture muʿtazilite du Coran: Le Tafsīr d’Abū ʿAlī al-Djubbāʾī (m. 303/915)
partiellement reconstitué à partir de ses citateurs. Paris 1994, 11.
246 Mourad Qortas

aus der muʿtazilitischen Tradition kurz vorgestellt und ihre exegetischen Über-
legungen zum Mutašābih-Problem dargestellt.

Abū Bakr ʿabd ar-Raḥmān b. Kaysān al-Aṣamm


(gest. 211/817)
Abū Bakr ʿAbd ar-Raḥmān b. Kaysān al-Aṣamm war ein wichtiger Theologe und
Exeget aus Baṣra14, er gilt allgemein als Muʿtazilīt. In seiner Jugend, diente er als
Assistent von Maʿmar Abū l-Ašʿaṯ15. Al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār zählte ihn zur sechs-
ten Generation der Muʿtazila, an deren Spitze Abū al-Ḥuḏail al-ʿAllāf steht.16
Obwohl uns keine Werke von al-Aṣamm erhalten sind, war er trotzdem eine
einflussreiche und kontroverse Persönlichkeit. Al-Ḥākim al-Ğišumī zitierte ihn
ausführlich, zudem taucht sein Name häufig in Mağmaʿ al-Bayān auf.17 Interes-
santerweise wird er in at-Tibyān von aṭ-Ṭūsī und in ʿAbd al-Ğabbār’s Mutašābih
al-Qurʾān nicht erwähnt.18
Der muʿtazilitische Denker Abū Isḥāq an-Naẓẓām (gest. zwischen 835 und
845) zählte ihn gar zu den traditionalistischen bzw. überlieferungsbasierten
Exegeten. Er kritisierte die Methoden einiger früherer Koran-Exegeten, darunter
ad-Daḥḥāk, Muqātil ibn Sulaimān und Abū Bakr al-Aṣamm. Er warnte davor,
ihre Meinungen ernst zu nehmen, weil sie seiner Meinung nach auf Fragen der
Menschen Antworten gaben, die sie nicht durch Überlieferungen oder eine feste
Begründung belegen konnten. Ihnen sei es demnach primär darum gegangen,
ihrem Publikum zu gefallen, gemäß dem Motto: „der kurioseste Kommentator
wird zum beliebtesten Kommentator“19. Man könnte sich fragen, warum einer

14 „(…) der älteste Vertreter der muʿtazilitischen Tafsirliteratur (…).“ Goldziher, Richtungen der
islamischen Koranauslegung, 113; Schwarb, Gregor M., “al-Aṣamm.” In Encyclopaedia of Islam,
Link besucht online am 19 August 2016.
15 Ein Physiker aus Baṣra, al-Ğāḥiẓ (d. 255/868–869) nannte ihn “der Philosoph unter den
mutakallimūn”, Vgl. van Ess, Theologie und Gesellschaft, Bd. 2, 37–9.
16 Nabhā. Tafsīr al-Aṣamm, 13;, Zarzūr, ʿAdnān. Al-Ḥākim al-Ğišumī wa Manhağuhu fī -Tafsīr al-
Qurʾān, Muʾassasat ar-Risāla, Damaskus, 1971, 131.
17 Fudge, 116.
18 Ebd. Vgl. hierzu auch: Ess, Josef van. Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert Hid-
schra: Eine Geschichte des religiösen Denkens im frühen Islam. Bd. 2. Berlin 1992, 404.
19 ‫ و كلما كان المفسر أغرب عندهم كان أحب اليهم‬Al-Ğāḥiz, Kitāb al-Ḥayawān, I., 343. Das Kapitel wird
unter der Überschrift: Die Meinung von an-Naẓẓām über eine Gruppe von Exegeten und Beispiele
von ihren künstlich angestrengten Interpretationen (takallufuhum fī t-Taʾwīl) Gemeint ist hier eine
negative Interpretation, die fremd und zu irrational scheint, um authentisch zu sein.
Muʿtazilitische Koranexegese 247

der brillantesten Köpfe der Muʿtazila, an-Naẓẓām, einen seiner Partei-Anhänger


in diesem scharfen Ton angreift und ihn zum traditionalistischen Lager zählt,
was in muʿtazilitischen Kreisen als Abwertung zu verstehen ist. Ein Grund hierfür
scheint zu sein, dass al-Aṣamm trotz seiner muʿtazilitischen Zugehörigkeit der
Überzeugung war, die Exegese des Korans müsse an die Tradition gebunden
sein.20 Der Tadel von an-Naẓẓām wird jedoch dadurch abgemildert, dass es sich
dabei bloß um willkürliche Worterklärungen und nicht um systematische dogma-
tische Meinungen handelt.
Nach Ibn al-Murtaḍā hatte Abū ʿAlī al-Ğubbāʾī in seinem Tafsīr niemanden
außer al-Aṣamm zitiert, er erwähnte ihn einmal aber mit der Bemerkung: „hätte er
sich auf sein Fiqh und seine Philologie beschränkt, wäre das besser für ihn gewe-
sen.“21 Die Deutung dieses Satzes erweist sich aufgrund eines fehlenden Zusam-
menhangs als schwer, jedoch greift die Interpretation des Satzes als abwertendes
Urteil zu kurz, weil al-Ğubbāʾī ausschließlich al-Aṣamm zitierte.22 Die Meinun-
gen von al-Aṣamm wurden ferner in al-Māturīdī’s „Taʾwilāt ahl as-Sunna“ und
ar-Rāzī’s Kommentar zitiert.23 Noch interessanter in diesem Zusammenhang ist
ein Bericht von al-Ašʿarī (gest. 324/935–6) in seinem „Maqālāt al-Islāmīyīn“ über
den Standpunkt von al-Aṣamm zur Frage des muḥkam und mutašābih im Vers
(Koran 3/7):

Und Abū Bakr al-Aṣamm sagte: muḥkamāt; damit sind die eindeutigen Beweise gemeint,
bei denen sich niemand die Mühe machen sollte, ihre Bedeutung zu erklären, wie solche,
bei denen Gott uns über die vergangenen Völker berichtet, (…), und ähnliche Verse, solche
sind alle muḥkam, und er [al-Aṣamm] sagte: Gott der Erhabene sagte: muḥkamāt-Verse sind
der Kern des Buches (Koran 3/7) das heißt die Grundlage, wenn ihr über sie nachdenkt,
dann wisst ihr, dass alles was Muḥammed (S) gebracht hat die Wahrheit von Gott dem Erha-
benen ist. Und andere, sie sind mutašābihāt; das sind zum Beispiel, was Gott offenbart,
dass Er die Toten auferweckt und den Jüngsten Tag ausruft,(…), das, was sie nicht begrei-
fen, es sei denn mittels ihrer rationellen Prüfung (an-naẓar). (…). Bei all dem besteht bei
ihnen Ungewissheit bis sie darüber nachdenken und zur Kenntnis kommen, dass Gott sie
bestrafen könnte wenn Er will oder sie dahin bringen könnte wo Er will.24

Nach Fudge lässt uns diese Passage die rationalistische Ausrichtung der Muʿtazila-
Exegese erkennen; nämlich die in diesem Bericht beschriebene Überzeugung von
al-Aṣamm, dass es nichts im Koran gibt, was durch den menschlichen Verstand

20 Goldziher, 112.
21 ‫ لو أخذ في فقهه و لغته لكان خيرا له‬Ibn al-Murtaḍā. Ṭabaqāt al-Muʿtazila, 57.
22 Ebd.
23 Fudge, 117.
24 Al-Ašʿarī. Abū al-Ḥasan. Maqālāt al-Islāmīyīn, hg. v. Helmut Ritter. Wiesbaden ³1980, 223.
248 Mourad Qortas

nicht begriffen werden kann oder keine Bedeutung hat. Die rationalistische
Tendenz wird hier besonders deutlich, wenn es um die koranischen mutašābihāt
geht.25 In al-Aṣamms Aussage „mutašābihāt, das sind (…) was sie nicht begreifen,
es sei denn mittels ihrer rationalen Prüfung (an-naẓar)“ wird deutlich, dass er den
Standpunkt vertritt, die mutašābihāt seien nicht eine Wissenskategorie, die dem
menschlichen Verstand gegenüber verschlossen ist, sondern sie sind ihm zugäng-
lich, wenn er rationale Prüfung (an-naẓar) und das Nachdenken nicht scheut.

Abū ʿAlī al-Ğubbāʾī (gest. 303/915)


Abū ʿAlī al-Ğubbāʾī, der Vater von Abū Ḥāšim al-Ğubbāʾī (gest. 321/923), war
einer der bedeutenden Denker, die die Muʿtazila nachhaltig geprägt haben. Er
war der Schüler von Abū Yaʿqūb aš-Šaḥḥām (gest. 267) und der Lehrer vom späte-
ren Begründer der ašʿaritischen Theologie Abū al-Ḥasan al-Ašʿarī (gest. 324/935–
6). Er lebte in politisch und gesellschaftlich turbulenten Zeiten. Kurz vor seiner
Geburt schaffte der damalige abbasidische Kalif die muʿtazilitische Lehre der
Erschaffung des Korans als Staatsdogma ab und setzte damit, angestachelt von
den fundamentalistischen Ḥanbaliten und Ahl al-Ḥadīṯ, eine Verfolgungsära der
Muʿtaziliten in Gang.26
Al-Ğubbāʾīs Tafsīr ist verschollen. Durch die mühevolle Rekonstruktion
Daniel Gimarets in seinem Werk: „Une lecture muʻtazilite du Coran. Le Tafsīr dʼAbū
ʻAlī al-Djubbā’ī (d. 303/915) partiellement reconstituté à partir de ses citateurs“
können wir uns einen guten Überblick von seinem Korankommentar verschaf-
fen. Die Arbeit von Gimaret stellt auch eine Rekonstruktion durch die Sammlung
von Auszügen aus den späteren Korankommentaren von aṭ-Ṭūsī, aṭ-Ṭabrīsī und
al-Ḥākim al-Ğišumī und anderen Kommentaren dar.27 In diesem Zusammenhang
sollte zudem auf die 2007 erschienene Arbeit von Ḫidr Moḥammad Nabhā ver-
wiesen werden.28
Der Nachteil von Gimarets Arbeit laut Fudge ist eine hohe Redundanz von
al-Ğubbāʾīs Meinungen in späteren Tafsīr-Werken, die in ihrer Länge oder wort-
wörtlich nur geringfügig variieren. Gimaret konnte hier nur eine sinngemäße
Umschreibung wiedergeben. Dennoch, da es sich um den Versuch einer Rekonst-
ruktion handelt, gelingt es Gimaret viele Belegstellen aufzuführen, in denen eine

25 Fudge, 118.
26 Nabhā, Muḥammad Ḫidr. Tafsīr Abū ʿAlī al-Ğubbāʾī, 5.
27 Fudge, 118.
28 Nabhā, Tafsīr Abū ʿAlī al-Ğubbāʾī.
Muʿtazilitische Koranexegese 249

Aussage nach einer oder mehreren Quellen al-Ğubbāʾīs zugeschrieben wird und
an anderer Stelle anonym erscheint. Dies und andere Probleme zeigen, welche
Schwierigkeiten mit einer Kommentar-Rekonstruktionsarbeit verbunden sind.29
Über al-Ğubbāʾīs Methode der Koran-Exegese lässt sich feststellen, dass er
sich darum bemühte, frühere Autoritäten wie as-Suddī (gest. 139/745), al-Kūfī30
(gest. 115/721) und ar-Rabīʿ ibn Anas (Todesdatum mir unbekannt) und Ibn ʿAbbās
(gest. 82/688) zu zitieren. Er fühlte sich jedoch nicht immer daran gebunden,
durchgehend ihre Ansichten wiederzugeben.31 Als muʿtazilitischer Exeget ver-
pflichtete er sich weniger der Traditionsexegese (tafsīr bi-n-naql), sondern mehr
der rationalistischen Exegese (tafsīr bi-l-ʿaql). Diese Methode zeigte sich in seinem
dialektischen Stil. Seine Auseinandersetzung mit der Frage der Besessenheit des
Menschen durch den Teufel, die im Vers (2/275)32 zum Zweck eines metaphori-
schen Vergleichs benutzt wurde, kann hierfür als Beispiel dienen. Al-Ğubbāʾī
lehnt vehement die traditionell verbreitete Idee ab, dass Opfer von epileptischen
Anfällen vom Teufel heimgesucht seien, da der Teufel, als ein nichtkörperliches
Wesen, nicht in der Lage sei, von einem Menschen Besitz zu ergreifen.33
In seiner Interpretation des Verses (3/7) stellt al-Ğubbāʾī fest, dass die ahl
at-ta ʾwīl (die Exegeten) bezüglich der Definition von muḥkam und mutašābih
verschiedener Meinung waren und liefert daraufhin eine eigene Definition:
„al-muḥkam ist was nur eine einzige Interpretation vertragen kann, und
al-mutašābih ist was mindestens zwei Interpretationen hat.“34 Bezüglich der Streit-
frage, ob die im Wissen fest Verankerten (ar-rāsiḫūn fī al-ʿilm), die mutašābihāt
auslegen können oder nicht übernahmen die meisten Muʿtaziliten die Lesart von
al-Aṣamm. Nach der Einschätzung von ar-Rāzī, gehen sogar die meisten Theolo-
gen von der Fähigkeit des Menschen aus, Gottes Wort zu verstehen.35 Al-Ğubbāʾī
lehnt diese Auffassung ab und teilt mit der Mehrzahl der Exegeten, (darunter
al-Ḥasan, al-Farrāʾ (gest. 458/1064) und aṭ-Ṭabarī (gest. 310/923) die Ansicht, dass

29 Fudge, 118.
30 Hier handelt es sich höchstwahrscheinlich um Ḥakam ibn ʿUtaiba al-Kūfī, der ein bekannter,
vermutlich schiitischer, Überlieferer [rāwī] war. Sowohl Buḫārī als auch Muslim machten von
seinen Überlieferungen Gebrauch.
31 Fudge, ebd.
32 „Diejenigen, die Zins verschlingen, werden nicht anders aufstehen als jemand, den der Satan
durch Wahnsinn hin und her schlägt. Dies (wird sein), weil sie sagten: „Verkaufen ist das gleiche
wie Zinsnehmen. (…)”. Koran (2/275).
33 Tafsīr al-Ğubbāʾī, 118–119.
34 ‫ و المتشابه ما يحتمل وجهين فصاعدا‬,‫ان المحكم ما ال يحتمل اال وجها واحدا‬, Übersetzung d. Verf. Vgl. Tafsīr
al-Ğubbāʾī, 122. Diese Definition wurde von al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār übernommen, vgl. Zarzūr,
ʿAdnān. al-Ḥākim al-Ğišumī wa Manhağuhu fī Tafsīr al-Qurʾān, 237.
35 Gimare. Une Lecture muʿtazilite du Coran, 167.
250 Mourad Qortas

die Auslegung (taʾwīl) von den mutašābihāt-Versen nur Gott bekannt ist und nicht
von den im Wissen fest Verankerten geteilt werden kann.36 Der Grund für diese
Auslegung bei al-Ğubbāʾī besteht nach al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār darin, dass er den
Begriff taʾwīl hier nicht gemäß der gängigen Bedeutung „Deutung“ oder „Ausle-
gung“ benutzt. Vielmehr legt er es im Sinne des Koranverses (7/53)37 aus, wonach
ta ʾwīl im Sinne von al-muta ʾawwal (‫ )المتأول‬verstanden wird, womit das Eintreffen
des Jüngsten Gerichts, einschließlich die Stufen der Belohnung und der Strafen
für die Sündigen im Jenseits gemeint sind. Al-Qāḍī sagt dazu: „mit Deutung
meint er al-muta ʾawwal und nur Er (der Erhabene) allein verfügt über das Wissen
jenen Tages und seine Zeiten und Zustände“38. Davor macht al-Qāḍī eine wich-
tige Bemerkung, die im Zusammenhang zu al-Ğubbāʾīs Position steht. Er erklärt
darin, dass al-Ğubbāʾīs Meinung nicht ausschließen würde, dass die Gelehr-
ten (die im Wissen verankert sind) die Bedeutung von den mutašābihāt-Versen
wissen.39 Denn nach al-Qāḍī, zog sein Lehrer al-Ğubbāʾī zur Auslegung dieses
Verses, wie oben erwähnt, den Vers (7/53) heran, in dem die Deutung (taʾwīl) im
Sinne von al-muta ʾawwal verwendet wird. Dies schließt aber nicht andere Stellen
im Koran ein, die sich nicht auf das Jenseits beziehen aber dennoch nicht klar und
eindeutig sind und deswegen von den Gelehrten interpretiert werden können.
Al-Qāḍī räumt unmittelbar danach ein „wir sagen nicht, dass die Interpretation
der mutašābihāt-Versen von den Gelehrten gewusst werden muss, in jeglicher
Hinsicht dieses Wissens, sondern es ist lediglich gemeint, dass das mutašābih
nur in der gewünschten Hinsicht (fī al-wağh al-maqṣūd) gewusst werden kann. In
übrigen Fällen muss geprüft werden, ob es dafür einen Beweis vorliegt, erst dann
wird es als Erkenntnis angenommen“40

ʿAlī ibn ʿIsā ar-Rummānī (gest. 384/994)


Andere führende Exegeten der Muʿtazila waren Abū al-Qāsim al-Balḫī (gest.
319/931), Abū Muslim Muḥammad al-Iṣfahānī (gest. 322/934) und ʿAlī ibn ʿIsā

36 Ebd. Siehe auch, Tafsīr al-Ğubbāʾī, 122 ff.


37 Koran (7/53): „Erwarten sie (etwas anderes) als seine Deutung? An dem Tag, da seine Deutung
eintrifft, werden diejenigen, die es zuvor vergessen haben, sagen: „Die Gesandten unseres Herrn
sind wirklich mit der Wahrheit gekommen! (…).“
38 al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār. Al-Muġnī, Bd. 16, (Iʿğāz al-Qurʾān), 379.
39 Ebd.
40 ‫ وأنما يجب أن يكون في‬.‫ من كل وجه يصح أن يعلم عليه‬,‫و لسنا نقول ان تأويل المتشابه يجب أن يكون معلوما للعلماء‬
‫ فما دل عليه الدليل يعلم‬,‫ فأما ما عدا ذلك فالواجب أن ينظر فيه‬,‫ الوجه المقصود معلوما فقط‬ebd. (Übersetzung d. Verf.)
Muʿtazilitische Koranexegese 251

ar-Rummānī (gest. 384/994). Letztgenannter ist bekannt für sein wichtiges Werk
zur Unnachahmbarkeit des Korans „An-Nukat fī iʿğāz al-Qurʾān“, in dem er
sein Metapher-Konzept vorstellt, das auf der in der arabischen Literaturtheorie
schon damals weitestgehend akzeptierten semantischen Übertragung beruht.
Rummānīs Interesse galt nicht primär der Koraninterpretation an sich, vielmehr
war sie eher ein Randaspekt seiner Arbeit, die sich stärker der Analyse der korani-
schen Sprache und Rhetorik widmete.41
Rhetorik ist nach Rummānī’s Definition: „ʾīsālu al-maʿnā ilā l-qalb fī aḥsan
ṣūratin mina l-lafẓ“ „die Vermittlung des Sinnes an das Herz mittels der best-
möglichen Ausdrucksform“42. Daran lässt sich der hermeneutische Ansatz von
Rummānī erkennen, der auf die Erforschung emotionaler Effekte der koranischen
Rhetorik zielt und wie sie den Rezipienten in seinem tiefsten Inneren erreicht.
Das Konzept hinter dieser Untersuchung der Unnachahmbarkeit des Korans bei
diesem Exegeten besteht in dem Versuch der Analyse göttlicher Rede in totaler
Abgrenzung zu menschlicher poetischer Sprache. Daher ist es verständlich, dass
Rummānī in seinem genannten Werk für die Erklärung seiner Metapher-Theorie
fast nur koranische Beispiele zitierte, in wenigen Ausnahmen Beispiele aus der
arabischen Poesie zur Hilfe heranzog.43 Nach seiner Aufteilung der arabischen
Rhetorik in drei Stufen stellt der Koran für ihn die höchste Stufe rhetorischer
Ästhetik dar, was er auf seine Unnachahmbarkeit zurückführt.44 Er behandelt
mehrere stilistische Mittel, darunter al-ʾīğāz; (Syllepse) entweder durch Verkür-
zung oder Auslassung eines Wortes, at-tašbīh; die „Verähnlichung“ oder den
Vergleich, al-istiʿāra (‫)االستعارة‬: die Allegorie und al-mubālaġa; Hyperbel; die
starke Übertreibung. Da nicht alle Kategorien hier behandelt werden können,
beschränke ich mich auf ein Beispiel im Bereich der Allegorie.
Rummānī bestimmt den Unterschied zwischen der Allegorie und dem Ver-
gleich als Tropen dadurch, dass die Allegorie eine Übertragung von einem
ursprünglichen zu einem metaphorischen Sinn darstellt, im Gegensatz zum Ver-
gleich, der von der Übertragung des ursprünglichen Wortsinns zu einem anderen
Sinn führt, da er sich zu diesem Zweck sprachlicher Mittel (z. B. durch Präposi-
tionen: wie ka, ‫ ك‬oder miṯl, ‫ )مثل‬bedient, die die Übertragung vollziehen.45 Ein
Beispiel für einen rhetorischen Vergleich im Koran gibt Rummānī mit dem Vers,

41 Abū Zaid, Naṣr Ḥāmid. Al-Ittiğāh al-ʿaqlī fi t-Tafsīr, 118.


42 Ar-Rummānī, ʿAlī ibn ʿIsā. „An-Nukat fī iʿğāz al-Qorʾān.“ In Ṯalāṯ Rasāʾil fī iʿğāz al-Qurʾān,
li-r-Rummānī wa-l-Ḫaṭṭābī wa ʿAbd al-Qāhir al-Ğurğānī fī ad-dirāsāt al-Qurʾāniya wa-n-naqd al-
Adabī hg. v. Aḥmad Ḫalaf Allāh und Muḥammad Zaġlūl Sallām. Kairo, ³1956, 75.
43 Abū Zaid. al-Ittiğāh al-ʿaqlī fi t-Tafsīr, 118.
44 Ar-Rummānī. An-Nukat fī iʿğāz al-Qurʾān, 76.
45 Ar-Rummānī, 85–86.
252 Mourad Qortas

Koran (24/39): „Die Werke derjenigen aber, die ungläubig sind, sind wie eine Luft-
spiegelung in einer Ebene, die der Durstige für Wasser hält. Wenn er dann dorthin
kommt, findet er, dass es nichts ist; aber er findet Allah da, Der ihm dann seine
Abrechnung in vollem Maß zukommen lässt.“46
Die Allegorie ist demnach also „die Zusammensetzung von zwei Sachverhal-
ten durch einen gemeinsamen Sinn, wodurch der eine durch den anderen mehr
an Klarheit gewinnt“47. Als Beispiel dafür nennt Rummānī den Vers (25, 23): „Und
Wir werden Uns den Werken zuwenden, die sie gewirkt haben, und werden sie wie
verwehte Stäubchen zunichte machen.“ Im arabischen Original steht nicht das
Verb zuwenden sondern kommen,48 also wortwörtlich im Sinne von „wir kamen
uns ihre Werke zu begutachten und wir machten sie zu verwehtem Staub“. Die
deutsche Koranübersetzung hat hier ebenfalls die allegorische Bedeutung über-
setzt und sich nicht an den Wortlaut gebunden.49 Dazu sagt Rummānī: „die tat-
sächliche Bedeutung von qadimnā hier ist ʿamidnā, aber qadimnā ist rhetorisch
besser, weil er dadurch zeigt, dass er sie so behandelt, als käme er von einer Reise
und hätte ihnen so aufgrund seiner Abwesenheit die Zeit gegeben, aber er traf
ein und fand sie im Ungehorsam vor. Darin ist eine Warnung für diejenigen zu
lesen, die sich Zeit lassen. Die gemeinsame Bedeutung, ist hier nach Rummānī die
Gerechtigkeit, „weil die Zuwendung, um das Schlechte zu unterbrechen, gerecht
ist“50. Einmal abgesehen von dieser sprachlichen Erklärung hat dieser Vers
auch eine theologische Komponente, die Rummānī als bekennender Muʿtazilit
in diesem Zusammenhang nicht anspricht. Das Kommen (qudūm) von Gott wird
einzig durch das Zuwenden gedeutet. Er sagt, dass dies für die rhetorische Klar-
heit besser und hinsichtlich ihres Effektes bei dem Zuhörer stärker ist, deswegen
spielt das Kommen, im Sinne einer Bewegung von einem Ort und dem Eintreffen
zu einem anderen gar keine Rolle bei der Deutung dieses Verses, was auf seine
muʿtazilitische Schulzugehörigkeit hindeutet.51 Die Muʿtazila lehnen nämlich die
körperliche Bewegung als eine Eigenschaft Gottes, ab.

46 Ebd., 81. ‫والذين كفروا أعمالهم كسراب بقيعة يحسبه الظمآن ماء حتى إذا جاءه لم يجده شيئا ووجد الله عنده فوفاه‬
‫ حسابه والله سريع الحساب‬Koran (24/39) Nach Bubenheim und Nadeem-Übersetzung.
47 ‫ …و كل استعارة بليغة فهي جمع بين شيئين بمعنى مشترك بينهما يكسب بيان أحدهما باآلخر‬Rummānī, 86.
48 ‫ وقدمنا إلى ما عملوا من عمل فجعلناه هباء منثورا‬Koran (25/23). Das Verb ‫ قدمنا‬wird bei den Kommen-
tatoren u. a. al-Baġawī und aṭ-Ṭabarī, sowie hier auch bei ar-Rummānī mit zuwenden erklärt.
49 Paret-Koranübersetzung (25, 23).
50 Rummānī, 86.
51 Abū Zaid, 121.
Muʿtazilitische Koranexegese 253

Muʿtazilitische Koranexegese der


Zayidiyya-Šīʿa-Imame
Zu einer umfassenden historischen Betrachtung der Entwicklung muʿtazilitischer
Exegese sollte man den šiʿitischen-imāmitischen und zaiditischen Beitrag nicht
außer Acht lassen. Die Prominentesten Exegeten hierbei sind aš-Šarīf ar-Raḍī
(406/1016), der auch ein mutašābih-Werk mit dem Titel: „Haqāʾiq at-Taʾwīl fī
mutašābih at-Tanzīl“ und eine Zusammenfassung desselben unter dem Namen:
„Talḫīṣ al-bayān fī mağāzāt al-Qurʾān“ verfasste. Von größerer Bedeutung ist sein
Bruder aš-Šarīf al-Murtaḍā; dessen Werk Amālī zahlreiche frühere muʿtazilitische
Interpretationen und Lehrmeinungen dokumentiert und verwendet.52
Viel enger am muʿtazilitischen von Mehrdeutigkeit ausgehendes Taʾwīl-
Konzept steht der šīʿitische Zweig der Zaydiya. Dem Imām al-Qāsim b. Ibrāhim
ar-Rass und seinem Enkel Yaḥyā b. al-Ḥusain werden Abhandlungen zu muta­
šābih-Genre zugeschrieben. In einer interessanten Passage aus der Abhand-
lung von al-Qāsim ar-Rass „Kitāb uṣūl al-ʿadl wa- t-Tawḥīd“ wird muḥkam und
mutašābih im Zusammenhang mit dem Gottesdienst (ʿibāda) behandelt.53 Danach
teilt sich ein richtiger Gottesdienst in drei Teile auf: 1. das Wissen von Gott; 2. das
Wissen davon, was Gott erfreut und was Ihm missfällt; 3. das Befolgen dessen,
was Ihn erfreut und das Vermeiden dessen, was Ihm missfällt.54 Diese drei Prin-
zipien stellen die Vervollkommnung des Gottesdienstes und Gottesverehrung dar
und alle Formen des Gottesdienstes finden innerhalb dieser drei Prinzipien statt.
Diese Gottesdienstformen haben ihren Ursprung in drei Beweisen, die Gott gegen-
über seinen Untertanen geltend gemacht hat, nämlich: die Vernunft, das Buch
und der Prophet. Jeder dieser drei Beweise hat einen Grundsatz (aṣl) und einen
Zweig (farʿ) und der Zweig wird auf seinen Grundsatz zurückgeführt.55 Der Grund-
satz für die Vernunft ist das, was den Konsens der Vernünftigen (Iğmāʿ al-ʿuqalāʾ)
bildet und worüber sie sich nicht im Dissens befinden. Der Zweig dagegen ist
das, worüber ihre Meinungen auseinander gehen. Der Mangel an Konsens tritt
ein „aufgrund der Verschiedenheit in der rationalen Untersuchung und Diffe-
renzierung bei dem, was rationale Untersuchung und Argumentation (istidlāl)

52 Fudge, 123.
53 Naṣr Ḥāmid Abū Zaid zählt diese Abhandlung von ar-Rass zu den ersten Versuchen, durch
den muḥkam und mutašābih eine Verbindung zwischen rationalen Grundsätzen der Muʿtazila
und der koranischen Offenbarung herzustellen. Vgl. Abū Zaid. al-Ittiğāh al-ʿaqlī fī t-Tafsīr, 164.
54 ar-Rass, al-Qāsim b. Ibrāhim. „Kitāb uṣūl al-ʿadl wa- t-Tawḥīd.“ In Rasāʾil al-ʿadl wa-t-Tawḥīd,
Bd. 1, hg. v. Muḥammad ʿImāra, 124. Kairo ²1988.
55 ‫ و الفرع مردود الى أصله‬,‫ لكل حجة من هذه الحجج أصال و فرعا‬ebd., 125.
254 Mourad Qortas

erfordert. Diese rationale Argumentation beruht auf die Erschließung der unbe-
kannten abwesenden Bedeutung durch den bekannten gegenwärtigen Beweis.“56
Es hängt also von der Untersuchungsfähigkeit des Prüfers und seiner Argumen-
tation ab, wie seine Wahrnehmung der Wahrheit der zu prüfenden Fragen ist. Der
Grundsatz des koranischen Buches ist der Muḥkam, worüber es keine Meinungs-
verschiedenheit gibt und dessen Deutung nicht außerhalb des offenbarten Textes
geschieht.57 Sein Zweig ist der mutašābih, der auf seinen Grundsatz; al-muḥkam,
zurückgeführt wird, worüber unter den Interpreten kein Dissens herrscht. Nach
der Klarstellung dieser Prinzipien geht ar-Rass zum Angriff auf die Anhänger tra-
ditionalistischer Methoden über, die er hier polemisch „al-Ḥašwiyya“ nennt.
Die Muʿtazila benutzten diesen Kampfbegriff gegen ihre Gegner, die der
rationalen Deutung der Offenbarung kritisch gegenüber standen. Im Arabischen
bedeutet das Verb ḥašā füllen oder ausstopfen, mit al-ḥašw meint man den Akt
des Füllens, wenn man zum Beispiel ein Kissen mit Federn ausstopft. Im Über-
tragenen wird damit das Überflüssige, das nicht gebraucht wird, bezeichnet58
und daher wird in der arabischen Rhetorik eine Rede als ḥašw getadelt, wenn der
Redner bei der Vermittlung eines bestimmten Inhalts dazu neigt, sich sinnlos zu
wiederholen.
Die Bezeichnung ḥašwiyya ist ferner im Sinne der muʿtazilitischen Traditions-
kritik zu verstehen. Die Muʿtaziliten gehörten zu den ersten, die die Methoden
der Hadithsammlung kritisierten, insbesondere hinsichtlich der Authentizität
der Berichte aber auch hinsichtlich ihrer Kompatibilität mit der Vernunft. Für
sie waren viele dem Propheten zugeschriebene Geschichten nichts anders als
„ḥašw“, also sinnlose erfundene Geschichten oder unkritisch aufgenommene
Traditionen. Ferner weist der Begriff auf eine anti-rationale Grundeinstellung
der Traditionalisten hin, die sich an den äußeren Sinn richtet und möglichst eine
interpretationsfreie Textexegese betreibt. Ar-Rass sagt in diesem Zusammenhang:

Die Ḥašwiyya unter den Muslimen lehnten es ab, die mehrdeutigen Verse auf die klaren und
eindeutigen Verse zurückzuführen, und sie behaupteten, dass das Buch sich nicht selbst
erklärt, (lā yaḥkumu baʿḍuhu ʿalā baʿḍ), und dass jeder Vers in ihm dadurch beständig und
in seiner Bestimmung aufgrund seiner Herabsendung und seiner Deutung verpflichtend ist.
Aus diesem Grund sind sie dem Anthropomorphismus (tašbīh) verfallen und verteidigten
ihn auf Grundlage dessen, was sie in mehrdeutigen Stellen des Korans hörten, die sie nicht
gegen die Verse überprüften, die den tašbīh leugnen.59

56 ‫ الختالف النظر و التمييز فيما يوجب النظر و االستدالل بالدليل الحاضر المعلوم على المدلول عليه الغائب المجهول‬ebd.
57 ‫( الذي ال يخرج تأويله مخالفا لتنزيله‬Übersetzung des Verf.) ebd.
58 Al-Ğurğānī. Muʿğam at-Taʿrifāt, hg. v. Muḥammad Ṣiddīq al-Minšāwī, 77.
59 Ar-Rass. Kitāb Uṣūl al-ʿadl wa- t-Tauḥīd, 125–26.
Muʿtazilitische Koranexegese 255

In dieser Passage erklärt al-Rass die Dichotomie von Eindeutigem (muḥkam)


und Mehrdeutigem (mutašābih) zu einem Prinzip der koranischen Selbst-
Exegese. Der Irrtum der Traditionalisten bestehe ihm zufolge darin, dass sie
das Mehrdeutige nicht durch seine Rückführung auf das Eindeutige erklär-
ten, wodurch sie dem Koran seine Fähigkeit zur Selbsterklärung abgesprochen
hätten, die durch diesen Dichotomie-Diskurs im Koran selbst strukturiert worden
sei. Aus seiner Widerlegungsschrift gegen die Mušabbiha (die Anhänger des
Anthropomorphismus): „Kitāb al-ʿadl wa-t-tawḥīd wa-nafiy at-tašbīh ʿan Allāh
al-Wāḥid al-Ḥamīd“ gibt uns ar-Rass ein Beispiel für dieses Dichotomie-System
der koranischen Selbst-Erklärung.60 Nach ihm haben die Anthropomorphisten
den Vers „wūğūhun yawma ʾiḏin nāẓira“61 falsch verstanden, insofern sie ihn als
Beweis für die physische Sichtbarkeit Gottes im Jenseits erklären. Dieser Vers ist
jedoch nach ar-Rass nicht allein maßgebend in dieser Frage. Eindeutiger zum
Problem der Gottesschau ist nämlich „lā tudrikuhu al-abṣār wa hūwa yudriku
al-abṣār“62, der die Sicht Gottes kategorisch ausschließt. Dies stimme auch mit
der Deutung der Gelehrten überein, stellt al-Rass fest. Sie erklärten nāḍira mit
schönen strahlenden Gesichtern und ilā rabbiha nāẓira mit auf Seine Belohnung
und Seine Gnade und Barmherzigkeit wartend. Dies würde auch den Gewohn-
heiten der Araber in ihrer Sprache entsprechen, in der der Koran herabgesandt
wurde.63

Koranexegese bei al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār


ʿAbd al-Ğabbār ist eine überragende Figur muʿtazilitischer Theologie. Zu seinen
vielen Schriften gehört der Korankommentar al-Muḥīṭ, der leider verschollen ist.
Seine koranhermeneutischen Ansichten lassen sich aber auch in zahlreichen
Stellen in seiner umfangreichen Summa Theologica „al-Muġnī fi Abwāb at-Tauḥīd
wa-l-ʿadl“ und in seiner Schrift „Šarḥ al-uṣūl al-ḫamsa“ finden. Sein Koranexe-
getisches Werk, das sich explizit der Frage der Interpretation des Koran und vor
allem in Zusammenhang mit dem Problem der Mehrdeutigkeit seiner Aussagen

60 Vgl. hierzu auch Abū Zaid. al-Ittiğāh al-ʿaqlī fī t-Tafsīr, 166.


61 „Am Jüngsten Tag wird es strahlende Gesichter geben“ Koran (75/22).
62 „Die Blicke erfassen Ihn nicht, Er aber erfasst die Blicke“ Koran (6/103).
63 al-Qāsim ar-Rass. „Kitāb al-ʿadl wa-t-tawḥīd wa-nafiy at-Tašbīh ʿan Allāh al-Wāḥid al-Ḥamīd.“
In Rasāʾil al-ʿadl wa-t-Tawḥīd, Bd. 1, hg. v. Muḥammad ʿImāra, 133. Kairo ²1988.
256 Mourad Qortas

widmet, ist das in zwei Bänden verfasste „Mutašābih al-Qurʾān“, das vom syri-
schen Gelehrten ʿAdnān Zarzūr ediert und herausgegeben wurde.64
Wie oben schon erwähnt, bildet der Mutašābih-Kommentar ein spezielles
Genre, es ist sozusagen eine Unterkategorie des Korankommentars, die weitest-
gehend, aber nicht ausschließlich mit der Muʿtazila assoziiert wird.65 Al-Qāḍī
ʿAbd al-Ğabbār beginnt sein Buch mit einer Einführung über die Grundlagen
muʿtazilitischer Exegese. Der entscheidende Punkt in diesen Ausführungen ist die
Hervorhebung der Bedeutung der Vernunft in dem Sinne, dass er die Interpreta-
tion als Gegenstand der Schlussfolgerung aus den Schriftquellen ansieht und der
Sprache in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zukommt. Es geht zuerst
um die Frage, wie man aus dem Koran eine Schlussfolgerung richtig ableitet und
inwiefern er, epistemologisch gesehen, eine Quelle für einen Beweis darstellt.
Als Muʿtazilit ist al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār der Überzeugung, dass Gottes Rede
im Koran nicht als eines seiner Wesensattribute, sondern als eines seiner Tatattri-
bute (ṣifāt fiʿl) verstanden werden sollte, da diese Rede auf einer besonderen Weise
erschaffen worden sei (muḥdaṯ ʿalā wağh maḫṣūṣ)66. Sie sei zu einem bestimmten
Zeitpunkt und mit der Intention gekommen, dem Menschen zu seinem Besten
zu verhelfen. Daher habe sie auch einen bestimmten Sinn (dalāla). Für das Vor-
liegen eines bestimmten Sinnes durch eine Rede gibt es für die Muʿtazila zwei
wichtige Voraussetzungen: Die erste ist das Vorliegen einer vorausgehenden Ver-
einbarung (mūwāḍaʿa sābiqa)67 und die zweite ist das Wissen von der Absicht

64 al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār. Mutašābih al-Qurʾān (2 Bde.), hg. von ʿAdnān Muḥammad Zarzūr.
Kairo: Dār at-Turāṯ,1969.
65 Fudge, 121. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist die aktuelle Herausgabe eines
gleichnamigen Werks „Mutašābih al-Qurʾān“ von einem bisher wenig bekannten Gelehrten
Rukn ad-Dīn Abū Ṭāhir aṭ-Ṭariṯiṯī. Dieser muʿtazilitische Theologe lebte, Schätzungen zufolge, im
4/5. Jahrhundert der Hedschra. Edition und Herausgabe wurde von Dr. ʿAbd ar-Raḥmān Sulaimān
as-Sālimī durchgeführt. Vgl. Aš-Šarq al-Awsaṭ (Online Version), Nr. 13538, Dienstag, 03. Nov. 2015.
(Browser-Link leider defekt).
66 al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār, Mutašābih al-Qurʾān, 10.
67 Darunter versteht ʿAbd al-Ğabbār die Vereinbarung von Sprechenden Akteuren, die auf das
bloße Hinweisen auf einen Gegenstand beruht, mit dem Ziel, ihm einen Namen zu geben. Diese
Vereinbarung setzt voraus, dass keine Beziehung zwischen dem Namen und dem Genannten
besteht. Der Sprechende weist mit einem von ihm erfundenen Namen auf den genannten Gegen-
stand hin, um über ihn eine mitteilende Aussage zu machen. Die zentrale Aufgabe der Sprache
nach al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār ist das Mitteilen, dazu stellt der sprechende Akteur Verbindungen
zwischen sprachlichen Indizien (išārāt) her, um darüber eine mitteilende Aussage zu machen.
z. B. die Aussage „der Himmel ist schön“ sei ein Hinweis auf zwei verschiedene Gegenstände, das
heißt; der Himmel und die Schönheit und die Verbindung zwischen den beiden geschieht durch
den sprechenden Akteur. Vgl. Abū Zaid. al-Ittiğāh al-ʿaqlī fi t-tafsīr, 122.
Muʿtazilitische Koranexegese 257

des Redners, da man nach ʿAbd al-Ğabbār über die Wahrheit einer Aussage nicht
endgültig urteilen kann ohne Erkenntnis über den Zustand und die Absicht des
Redners erlangt zu haben.68 Wir können sonst nur über den Inhalt und die Form
der Aussage urteilen, aber nicht über den Grund für diese Aussage.69
Für den Koran bedeuten diese Überlegungen, dass seine Interpretation erst
richtig unternommen werden kann, wenn man von Gott und den Eigenschaften
seines Wesens des Taūḥīd und der Gerechtigkeit Erkenntnis hat. Diese Erkennt-
nis hat für den Interpreten den Nutzen, dass er weiß, ein gerechter Gott würde
nicht lügen und nichts Böses tun, denn eine unwahre Aussage von Ihm wäre eine
Lüge. Ein gerechter Gott nach muʿtazilitischer Dogmatik würde nicht etwas Böses
tun.70
Die Kenntnis von der Einheit Gottes und seiner Gerechtigkeit gehört bei der
Muʿtazila zur rationalen Erkenntnis (an-naẓar al-ʿaqlī) und beruht nicht auf einer
aus dem Text abgeleiteten Argumentation (samʿī). Der Koran selbst muss also,
wenn er als Argument dienen soll, einer rationalen Überprüfung standhalten.
Für die Anhänger muʿtazilitischen Koran-Exegese besteht niemals die Möglich-
keit eines ernsthaften Widerspruchs zwischen göttlicher Offenbarung und der
Vernunft, da beide von Gott stammen und beide notwendig übereinstimmen. Die
Berufung der Muʿtazila auf die Vernunft als letzte Instanz hat ihre Wurzel in ihrer
Apologetik insbesondere gegenüber nichtmuslimischen Theologien. Die Muʿtazila
wollten sich auf die Vernunft als Prinzip berufen, das bei richtiger Anwendung,
Fehlerfreiheit und allgemeine Geltung beanspruchen würde.71
Wenn die Sinnhaftigkeit des Korans (dalāla) erst nach der rationalen Erkennt-
nis über Gottes Einheit und Gerechtigkeit erfolgen kann, dann wird der Text (der
Koran) von der Vernunft abhängig. Die Muʿtazila räumten daher der Vernunft
einen Vorrang gegenüber dem religiösen Text ein.72 Zudem, war für die Muʿtazila
die Vernunft die Grundlage für die Verpflichtung des Menschen (taklīf).
Der Irrtum desjenigen, der koranisch falsch interpretiert, beruht daher auf
einer fehlerhaften rationalen Argumentation. Für die Muʿtazila besteht einer der
Unterschiede zwischen dem rationalen Beweis und dem Beweis aus dem heili-
gen Text darin, dass der Vernunftsbeweis keine Verwechselung bzw. Unklarheit
aufgrund sprachlicher Metaphern duldet, während dies beim Koran theoretisch

68 ‫ ألنه ال يمكن أن يعلم صحة‬,‫ ال يصح أن يستدل بكالمه‬,‫ و ال يعلم أنه ممن ال يتكلم اال بحق‬,‫أن من ال يعرف المتكلم‬
‫ كالمه اال بما قدمناه‬al-Muġnī, Bd. 16, 395.
69 al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār, Mutašābih al-Qurʾān, 1.
70 Ebd.
71 Abū Zaid. al-Ittiğāh al-ʿaqlī fī t-Tafsīr, 181.
72 Ebd., 182.
258 Mourad Qortas

möglich ist, da seine Rhetorik häufig sich eines metaphorischen Sprachgebrauchs


bedient.73 Der zweite Unterschied besteht darin, dass die Sprache erst dann sinn-
volle Aussagen produzieren kann, wenn man die Intention des Redners kennt.74
Dies zeigt nach Naṣr Ḥāmid abū Zaid, dass al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār die Sprache zu
einer weiteren Art rationaler Argumentation zählt.

Al-Muḥkam und al-Mutašābih bei al-Qāḍī ʿabd


al-Ğabbār
Wenn die Sprache eine Art der Erweiterung der rationalen Beweisführung ist, die
zum Wissen führt, dann ist es logisch, dass sie –wie die anderen Arten– auch in
ihrer Erkennbarkeit einmal klar und einmal unklar ist. Auf der Ebene des Korans
bedeutet dies, dass die klaren Aussagen (al-muḥkam) den klaren Beweis und die
unklaren Aussagen (al-mutašābih) die unklaren Beweise darstellen, die einer
weiteren Prüfung bedürfen.75
Auf der Ebene der normalen menschlichen Sprache stellt jede Rede, die mit
ihrem klaren Wortlaut einen Sinn ergibt, einen Beweis dar. Bei einer unklaren
Rede dagegen, ergibt sich einen Sinn nur mittels eines weiteren Indiz (qarīna).76
Am Ende steht das gleiche Ergebnis, denn die Bedeutung des al-muḥkam und des
al-mutašābih werden im Begriff der „echten“ (ḥaqīqiyya) und der metaphorischen
Sprache gleich sein. In diesem Moment wird die Interpretation (taʾwīl) bei den
mehrdeutigen Aussagen das Mittel sein, um ihre Undeutlichkeit durch ihre Rück-

73 Mit den Worten von Josef van Ess: „Die Vernunft arbeitet mit der Offenbarung zusammen, hat
aber insofern den Primat, als die Offenbarung nicht selber ihre Richtigkeit beweisen kann.“ Ess,
Josef van. „Sprache und religiöse Erkenntnis.“ In Sprache und Erkenntnis im Mittelalter. Akten
des VI. Internationalen Kongresses für mittelalterliche Philosophie der société internationale pour
l’étude de la philosophie médiévale 29. August – 3. September 1977, Bonn, Bd. 1/1, hg. v. W. Kluxen,
226–236. Berlin, 1981.
74 ‫ « وال يمكن أن يستدل به على إثبات فاعله‬، ‫اعلم أن كل فعل ال تعلم صحته وال وجه داللته إال بعد أن يعرف حال فاعله‬
‫ وال يعلم صحته‬، ‫ ألنه إن دل على حال فاعله‬، ‫ وإنما يمكن أن يستدل به على ما سوى ذلك من األحكام‬، ‫وال على صفاته‬
‫ ومتى علم الشيء استغنى عن الداللة عليه‬، ‫ إال وقد علم فاعله ؛ أدى ذلك إلى أنه ال يدل عليه إال بعد المعرفة به‬Vgl. al-
Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār, Mutašābih al-Qurʾān, 1. Vgl. auch Abū Zaid. al-Itiğāh al-ʿaqlī fi t-Tafsīr, 182.
75 Ebd., 183.
76 „If a speaker uses the equivocal utterance with an indicator, then this speech is no longer
equivocal Belhaj, Abdessamad. “Interpretation and Reasoning in al-Qāḍī ʿAbd al-Jabbār’s
Qurʾānic Hermeneutics.” In Tafsīr and Islamic Intellectual History. Exploring the Boundaries of a
Genre, hg. v. Andreas Görke, Johanna Pink. Oxford: Oxford University Press, 2013, 273–288, 278.
Muʿtazilitische Koranexegese 259

führung auf die eindeutigen Aussagen aufzulösen.77 Dabei wird die Metapher zum
Hauptmittel der Interpretationsarbeit.78
Dieser Unterschied in der Klarheit und Unklarheit von Beweisen wird auf
das eigene Wohl des Verpflichteten (maṣlaḥat al-mukallaf) zurückgeführt. Dieses
Wohl wird in der Anregung der Vernunft gesehen,

es ist nämlich möglich, dass das Wohl bei einigen Beweisen darin besteht, dass man sie
allein und ohne weiteres erkennt und bei anderen Beweisen erst durch etwas anderes ihren
Zweck erkennt. Siehst du nicht, dass die Gewohnheit so läuft, dass wir das deutlich Wahr-
nehmbare durch unsere Wahrnehmung zur Kenntnis nehmen? Wir wissen durch die Tradi-
tionen (al-aḫbār) aber erst durch ihre Wiederholungen. So sind auch die wahrnehmbaren
Sachen, wenn sie sich der Wahrnehmung verschließen. Wenn es also möglich ist, dass das
Wohl in diesen Wissenschaften, die Gott vollbringt, sich unterscheidet, so gibt es darunter
Wissenschaften, die Gott von Anfang an (ibtidāʾan) vollbringt und andere, die er aus einem
einzigen Grund und andere, die er aus vielerlei Gründen vollbringt, je nach seinem Wissen
über deren Wohl/ Güte.79

Bei der Idee der Güte/ des Wohls (aṣ-ṣalāḥ) findet al-Qāḍī die Gelegenheit um auf
die Frage nach der Bedeutung des Korans einzugehen: wenn die Vernunft allein
den Menschen zur Gotteserkenntnis samt seinen Eigenschaften der Einheit und
der Gerechtigkeit befähigt, wozu braucht man dann der Text?
An dieser Stelle soll erwähnt werden, dass ʿAbd al-Ğabbār keinen fundamen-
talen Unterschied zwischen dem rationalen und dem sprachlichen Indiz (qarīna)
macht, er betrachtet lediglich das rationale Indiz als überzeugender und vor
allem evidenter.80 Er verbindet das Vorkommen von muḥkam-Aussagen im Text
mit der rationalen Verpflichtung (taklīf ʿaqlī) und der Notwendigkeit zur rationa-
len Prüfung. Dadurch erfüllt al-muḥkam die Funktion, den Verstand anzuregen
und ihn zum Fragen, Suchen und Argumentieren (rationalen Einsicht; an-naẓar)
zu bewegen, welches nach al-Qāḍī eine göttliche Mildtätigkeit (luṭf) ist. Er sagt
hierzu:

Gott der Erhabene sprach so, um den Fragenden zum Suchen und Argumentieren zu
bringen, nach der Art wie der Verstand die Beweise gebraucht. Oder weil Er wusste, dass,

77 “The indicator binds the equivocal by subordinating it to the univocal” Belhaj, 278.
78 Abū Zaid. al-Ittiğāh al-ʿaqlī fī t-Tafsīr, 183. Nach Belhaj ʿabd al-Ğabbār vertitt die Ansicht,
taʾwīl stelle eine Rückkehr zum tafsīr dar: „ʿAbd al-Jabbār understands taʾwīl as a return to the
fundamental sense of an utterance; he infers that taʾwīl could only be a return to tafsīr, which is
the foundation of qurʾanic hermeneutics.” Belhaj, 276.
79 Al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār, Mutašābih al-Qurʾān, 18. (Übersetzung des Verf.)
80 Abū Zaid. al-Ittiğāh al-ʿaqlī fī t-Tafsīr, 185.
260 Mourad Qortas

wenn der Verpflichtete davon gehört und darüber nachgedacht hat, er so näher an das rich-
tige Argumentieren herankäme, als wenn er davon nie gehört hätte, dieser Vorteil macht die
so entstandene Rede frei von Sinnlosigkeit.81

Al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār besteht auf der Verbindung zwischen den koranischen
Versen und den rationalen Beweisen und der Notwendigkeit der Rückführung
der ersten Verse auf die letzteren, vor allem bei denen, die durch ihren offensicht-
lichen Ausdruck kein Indiz darstellen. Deswegen musste er viele der gängigen
Definitionen des muḥkam und mutašābih, die vor ihm und in seiner Zeit bekannt
waren und die al-Ašʿarī in seiner Maqalāt-Häresiographie aufzählt82, zurück-
weisen.
Er lehnt zum Beispiel die Meinung ab, die besagt, dass al-muḥkam und
al-mutašābih mit al-nāsiḫ und al-mansūḫ gleichzusetzen seien. Die Sprache
würde diese Erklärung nicht unterstützen. Al-mansūḫ kann vielleicht schon durch
sein Äußeres (ẓāhir) ein klares Indiz sein und somit zur Kategorie des muḥkam
gehören, auch wenn es aufgehoben worden sei. Dasselbe gilt für die koranischen
Erzählungen (al-qaṣaṣ). Wenn damit ein bestimmter offensichtlicher Sinn gewollt
ist, dann würden sie auch zur muḥkam-Kategorie gehören.83
Al-Qāḍī lehnt es ferner ab, die Einzelbuchstaben am Anfang mancher Suren
als mutašābih zu bezeichnen. Er vertritt in dieser Frage die Meinung von al-Ḥasan
al-Baṣrī wonach die Anfangsbuchstaben nichts anders als die Namen dieser
Suren seien.84
Im Zusammenhang mit seinem Standpunkt bezüglich der Auslegung des
umstrittenen Verses (3,7) „wa mā yaʿlamu taʾwīlahu illā Allāh wa-r-rāsiḫūn fī
al-ʿilm“, bringt er hier eine grammatikalische Untermauerung für sein Argument.
Eine nach seiner Auffassung richtige Lesart des Verses wäre, dass „die im Wissen
Verankerten“ neben Gott zu denjenigen zählen, die in der Lage sind, die unklaren
Aussagen des Buches zu deuten. Der Satz muss als eine Einheit gelesen und nicht
nach dem Wort Allah abgetrennt und neu angefangen werden. In dieser Folge liest
man dann, dass die im Wissen Verankerten die Interpretation des Mehrdeutigen
kennen und „sie sagen als Lob, sie glauben daran, [„Wir glauben daran. Alles
(, was der Koran enthält,) ist von Gott, unserem Herrn.“] weil derjenige, der von

81 Mutašābih al-Qurʾān, (Übersetzung des Verf.) 4. Vgl. al-Muġnī, Bd. 16, 373–376, sowie: Šarḥ
al-uṣūl al-ḫamsa, 599–600.
82 Maqālāt al-Islāmiyyīn, 293, 295.
83 Mutašābih al-Qurʾān, 20.
84 Mutašābih al-Qurʾān, 16–17.
Muʿtazilitische Koranexegese 261

einer Sache Wissen hat und dies mit seiner Bestätigung kundtut, dann mehr tat
als er müsste, und wenn er es weiß und es leugnet, dann ist es tadelnswert“85
Al-Qāḍī vergisst nicht in seiner Einleitung zum mutašābih al-Qurʾān die
Behauptung, der Koran beinhalte einen Widerspruch in sich, indem er sich einer-
seits als muḥkam und andererseits als mutašābih beschreibt86, zu widerlegen.
Für ihn bedeuten al-iḥkām im ersten Vers und at-tašābuh im zweiten nicht
unbedingt einen Widerspruch. Er führt „al-iḥkām“ im ersten Vers hier auf
die Unnachahmbarkeit des Korans (iʿğāz al-Qurʾān) und die Mehrdeutigkeit
„at-tašābuh“ auf die Gleichheit (at-tasāwī) seines Nutzens und seiner Sinnhaftig-
keit zurück und sagt:

ihn (Koran) in seiner Gesamtheit mit muḥkam zu beschreiben (…) ist darauf zurückzufüh-
ren, dass Gott der Erhabene ihn in seiner Unnachahmbarkeit und Sinnhaftigkeit so klar und
eindeutig geschrieben hat, dass sein Sinn und Bedeutung sich durch nichts stören lässt.
Und er hat die Gesamtheit des Korans mit mutašābih beschrieben, weil damit gemeint war,
dass die Gesamtheit des Korans im Sinne der maṣlaḥa und als ein Beweis für die Prophe-
tie herab gesandt wurde. In ihrer Eigenschaft vergleichbare Dinge werden in der Regel als
ähnlich (mutašābiha) beschrieben.87

Al-Qāḍī macht die Bedeutung des Korans von der Vernunft abhängig auf der
Grundlage der Maxime, dass die Sprache erst dann sinnvolle Aussagen machen
kann, wenn man den Inhaber der Aussage kennt. Auf gleicher Linie bleiben bei
ihm auch al-muḥkam und al-mutašābih von dieser rationalen Erkenntnis auf-
grund ihrer Sinnhaftigkeit abhängig.88
Al-Qāḍī ist der Meinung:

dass al-muḥkam auf der einen Seite dem mutašābih gleicht und auf einer anderen sich von
ihm unterscheidet. (…) Sie gleichen sich in der Hinsicht, dass man sie beide erst als Argu-
ment anwenden kann, wenn man Kenntnis von der Weisheit des Tätigen (al-fāʿil) erlangt
und dass Er [Gott] sich unmöglich für das Böse entscheiden kann (…) Was den Gesichts-
punkt angeht, worin sie sich unterscheiden, ist es nämlich der, dass al-muḥkam, sei es
im Kontext der Sprache oder aufgrund dem Vorhandensein eines Indizes, nur auf einer
einzigen möglichen Variante aufgefasst werden kann. Ein Empfänger, der von der Sprache
und wie sie zum Ausdruck kommt und der dazu von den Argumentationsmethoden Wissen
hat, kann deswegen auf der Stelle seine Bedeutung ermitteln. Al-mutašābih verhält sich
dagegen anders, denn selbst wenn die Empfänger Wissende über die Sprache, ihre Aus-

85 Mutašābih al-Qurʾān, 15. Siehe auch al-Muġnī, Bd. 12, 173–177 und Bd. 16, 378–380.
86 Koran (11/1): „ʾalif lām rāʾ kitābun uḥkimat āyātuhu ṯumma fuṣṣilat“; Koran (39/23): „Allāhu
anzala aḥsana l-ḥadīṯ kitābān mutašābihān maṯānī“
87 Mutašābih al-Qurʾān, 20–21. (Übersetzung des Verf.)
88 Abū Zaid. al-Ittiğāh al-ʿaqlī fī t-Tafsīr, 188.
262 Mourad Qortas

drucksmöglichkeiten und Argumentationslogik sind, brauchen sie dennoch ein „anfäng-


liches“ Denken und ein erneuerbares Reflektieren, um es auf eine mit dem muḥkam und
dem rationalen Argument verträgliche Interpretation zu bringen. Dies ist dadurch klar
geworden, dass der Erhabene den muḥkam als die Grundlage für den mutašābih bestimmt
hat. Es muss deswegen zuerst das Wissen über den muḥkam den Vorrang erhalten, damit es
gelingen kann den muḥkam zur Grundlage für den mutašābih zu machen.89

Nach Abū Zaid verharrt al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār auf der Idee der Reflexion, die mit
der Argumentation (al-istidlāl) gleichzusetzen ist, weil sie seiner grundlegenden
Vorstellung von der Sprache als einer Art rationaler Argumentation entspricht.
Nach seiner Vorstellung unterscheidet sich die Rede von anderen Argumenta-
tionsmodellen dadurch, dass sie die Metapher ermöglicht welches der Grund ist,
warum al-Qāḍī die Metapher-fähige Rede vom Vorwurf des Lügens freispricht.90
Die Metapher wird in traditionalistischen Kreisen im Zusammenhang mit der
Deutung göttlicher Rede mit dem Argument abgelehnt, dass Gott auf eine meta-
phorische Ausdrucksart nicht angewiesen sein würde. Wortführer dieses Lagers
erkennen die Metapher nicht als ein Merkmal menschlicher Sprache an und
lehnen sie ab, weil sie in ihren Augen eine „versteckte“ Form von unwahrheits-
mäßiger Rede (Lüge) ist, die dem erhabenen und gerechten Wesen Gottes, der das
Böse nicht tut, nicht würdig ist.
Das Bestreiten der Lüge beim mutašābih stellt eine Verteidigung der Meta-
pher in der Sprache im Allgemeinen dar was wiederum die Verbindung zwischen
beiden Sachverhalten bei al-Qāḍī zeigt, er sagt hierzu:

Wisse, dass es möglich ist, dass ein Redner durch eine mehrdeutige Rede (al-kalām
al-muḥtamal) die Wahrheit treffen kann, wenn er es auf die richtige Art und Weise ver-
wendet, (…). Wahrheitsgemäße Aussagen (aṣ-Ṣidq) sind nicht auf die normale Sprache (al-
ḥaqīqa) ohne die metaphorische Sprache beschränkt (…)91.

Wenn al-muḥkam durch sein Äußeres auf das hinweisen kann, worauf auch die
Vernunft hinweist, so wird seine Heranziehung wichtig und notwendig im Streit
mit denjenigen Gruppen, die an dem äußeren Sinn des Mehrdeutigen (mutašābih)
festhielten. Die Wichtigkeit al-muḥkams beruht außerdem darauf, dass er eine
Anregung für das Meditieren und eine Einladung zum Reflektieren und Argumen-
tieren ist. ʿAbd al-Ğabbār sagt hierzu:

89 Mutašābih al-Qurʾān, 6–7. (Übersetzung des Verf.)


90 Abū Zaid. al-Ittiğāh al-ʿaqlī fī t-Tafsīr, 188.
91 Al-Muġnī, Bd. 16, 372. (Übersetzung des Verf.).
Muʿtazilitische Koranexegese 263

Vor denjenigen, die sich von uns in der Lehre der Einheit und der Gerechtigkeit Gottes
unterscheiden, können wir den muḥkam heranführen und denen zeigen, wie sie sich bei
dem geirrt haben, woran sie im Allgemeinen glaubten. Dies ist mit dem mutašābih aller-
dings nicht möglich. Aus diesem Grund findest du in den Büchern unserer Gelehrtenväter –
möge Gott Sich ihrer erbarmen – zahlreiche Abschnitte zu dieser Frage, in denen sie zeigen,
dass je mehr sie sich vom Pfad des Verstandes entfernten, desto mehr entfernten sie sich
vom Koran.92

Indem sich der Koran verschiedener Aussagearten, wie muḥkam und den
mutašābih, sowie der metaphorischen Sprache (al-mağāz) bedient, vereinigt er
dadurch die Sprache mit rationalen Argumenten und Indizien, die sich auch in
ihrer Evidenz hinsichtlich klarer oder unklarer Erkennbarkeit unterscheiden.
Hier wird eine Verbindung zwischen dem Koran und muʿtazilitischer Erkennt-
nistheorie hergestellt. Die Dichotomie von muḥkam und mutašābih auf der einen
Seite entspricht den beiden Erkenntnisarten von notwendiger (ʿilm ḍarūrī) und
erworbener Erkenntnis (ʿilm naẓarī muktasab) auf der anderen Seite. Al-muḥkam
ist der notwendigen Erkenntnis in ihrer Evidenz und Offenkundigkeit, ohne
auf die Argumentation angewiesen zu sein, ähnlich. Im Gegensatz dazu, ist
der mutašābih unmöglich ohne die Reflexion (an-naẓar) und die Interpretation
erkennbar. Ebenso verhält es sich mit dem theoretischen Wissen (ʿilm naẓarī) in
seiner Abhängigkeit vom Denken und der Argumentation. Auf einer ähnlichen
Ebene so, wie das notwendige Wissen die Grundlage für das theoretische Wissen
bildet, stellt auch al-muḥkam die Grundlage für das Verständnis des mutašābih
dar.93 Als Konsequenz wird die Interpretation die gleiche Funktion bekommen
wie die Argumentation im Bereich theoretischer Erkenntnis. Zu einer dritten Kate-
gorie rationaler Sinnhaftigkeit (dalāla ʿaqliya) wird die Sprache, die über eigene
Voraussetzungen verfügt, um Sinn zu erzeugen. Dem Koran ist daher die rationale
Beweisfähigkeit zu eigen, die in der Sprache vorhanden ist. Die Koranexegese bei
ʿAbd al-Ğabbār stellt in diesem Zusammenhang nichts anders als eine rationale
Beweisführung aus dem Text heraus (istidlāl) dar.

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Al-Ašʿarī, Abū al-Ḥasan. Maqālāt al-Islāmīyīn. Hg. v. Hellmut Ritter. Wiesbaden: Steiner, ³1980.

92 Mutašābih al-Qurʾān, 7.
93 Abū Zaid, 189.
264 Mourad Qortas

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Damaskus, 1971.
Muhammed Ragab
An der Schnittstelle zwischen Sprache und
Theologie: Maǧāz in der muʿtazilitischen
Kalām-Lehre
In der Entstehungsphase der islamischen Wissensbereiche diente die arabische
Sprache als Mittel zum Verstehen der Texte aus dem Koran und der Tradition,
um daraus die praktischen Normen (aḥkām ʿamaliyya) in Fiqh und Glaubensan-
sätze (aḥkām iʿtiqāḍiyya) in der Kalām-Lehre abzuleiten. Eine Aufgabe, die später
von uṣūl al-fiqh (Methodenlehre des islamischen Rechts) übernommen wurde,
jedoch ohne die Sprache auszuschließen. Zum Gegenstand dieses Wissensgebiets
gehören mabāḥiṯ al-alfāẓ (Untersuchungen der Ausdrücke). Hier werden Themen
wie ḥaqīqa / mağāz (veritativer und übertragener Sinn) und ištirāk al-alfāẓ (Ambi-
guität) untersucht.
Hinsichtlich der Kalām-Lehre kannte ihre Geschichte mehrere Phasen und
Herangehensweisen der Rationalität. Schon früh betrachteten Muʿtaziliten die Ver-
nunft als das vorrangigste Argument und meinten, dass es innerhalb der Kalām-
Lehre Fragen gebe, die nur durch rationale Argumente untersucht bzw. bewiesen
werden können. In Bezug auf mehrere dieser Fragen vertraten die Muʿtaziliten
Meinungen, die nicht unbedingt mit der wortwörtlichen Bedeutung einiger Koran-
stellen übereinstimmen. Deshalb zeigten sie Interesse an der sprachlichen Aus-
deutung solcher Koranstellen, und legten einen großen Wert auf das Verhältnis
von Sprache und Theologie. Viele der prominentesten Philologen gehörten zu den
Muʿtaziliten, z. B. al-Ğāḥiẓ (gest. 255/868) und Ibn Ğinnī (gest. 392/1002).
Dank dieser u. a. Gelehrter wurde eine philologisch-rationale Herangehens-
weise entwickelt, die diese Gelehrten beim Umgang mit Koranstellen, die sich
mit theologischen Fragen befassen, angewandt haben. Diese Herangehensweise
unterschied sich von der traditionalistischen Herangehensweise, die sich entwe-
der auf Überlieferungen stützte, oder diese Koranstellen gemäß der wortwörtli-
chen Bedeutung auslegte. Dabei stützten sich diese Gelehrten immer wieder auf
eine Kombination von philologischen Deutung und rationalen Argumenten, um
Koranstellen, die sich z. B. mit den theologischen Fragen der göttlichen Attribute
oder Erschaffung des Übels befassen, abweichend von der wortwörtlichen Bedeu-
tung auszulegen und damit für ihre theologischen Auffassungen den Beleg zu
erbringen. Maǧāz (Trope, übertragener Sinn) als rhetorische Figur lag bei mehre-
ren dieser Gelehrten im Fokus als Deutungsmittel.
Die Präsenz des Maǧāz-Konzepts beschränkte sich demnach nicht auf die
philologischen Studien, sondern erstreckte sich auf weitere islamisch-theolo-

https://doi.org/10.1515/9783110588576-014
266 Muhammed Ragab

gische Wissensgebiete. Ziel dieser Studie ist, das Verhältnis von Sprache und
Theologie anhand des maǧāz zu untersuchen. Deshalb unternimmt der Verfas-
ser den Versuch, die wichtigsten Entwicklungsphasen dieses Begriffs bzw. Kon-
zepts im Laufe der Geschichte der islamischen Gelehrsamkeit – besonders bei
muʿtazilitischen Gelehrten – bis Maḥmūd b. ʿUmar az-Zamaḫšarī (gest. 538/1144)
im 6. Jahrhundert zu untersuchen. Darüber hinaus wird die genannte philolo-
gisch-rationale Herangehensweise anhand eines ausgewählten Beispiels aus den
Werken az-Zamaḫšarīs analysiert.
Az-Zamaḫšarī, Philologe, Koranexeget und muʿtazilitischer Theologe, lebte
in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 6. Jahrhun-
derts n. H. und verfasste Werke in verschiedenen Wissensbereichen der Philologie
und Theologie. Darunter ist seine Koranexegese al-Kaššāf ʿan ḥaqāʿiq ġawāmiḍ
at-tanzīl wa-ʿuyūn al-aqāwīl fī wuǧūh at-taʿwīl zu erwähnen, die er aufgrund einer
Aufforderung einiger zeitgenössischen muʿtazilitischen Gelehrter, die sich sowohl
auf theologische als auch philologische Wissensbereiche spezialisiert hatten,
verfasste.(Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:97) Im Vorwort dieser Exegese zählte er zwei
der drei Hauptbereiche der arabischen Stilistik, nämlich al-maʿānī und al-bayān
zu den notwendigen Wissensgebieten, mit denen der Koranexeget vertraut sein
muss.(Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:96)

1 D
 ie Entwicklung von maǧāz als Konzept und
Fachterminus
Dass maǧāz von verschiedenen theologischen Schulen genutzt wird, um Koran-
stellen abweichend von der wortwörtlichen Bedeutung auszulegen, belastete die
Untersuchung der historischen Entwickelung des maǧāz als Konzept oder als Ter-
minus mit großen theologischen Meinungsverschiedenheiten. In einigen Fällen
war dies der Grund dafür, die Existenz eines übertragenen Sprachgebrauches
(mindestens im Koran) abzuerkennen.1 (Vgl. Al-Maṭʿanī 2007, 2:453–54) Meistens
wird eine Passage aus Kitāb al-Imān von Aḥmad b.ʿAbd al-Ḥalīm b. Taimiyya (gest.
728 /1328), dem muslimischen ḥanbalitischen Rechtsgelehrten und Theologen,
zitiert, wenn man die historische Entwicklung von maǧāz untersucht. Bemerkens-
wert ist, dass diese Passage in einem Kontext vorkommt, in dem er das Verhältnis

1 Al-Maṭʿanī führt z. B. die Einstellung von Ibn Taimiyya gegenüber maǧāz auf die übermäßige
Deutung der Koran- und Ḥadīṯ-Texte durch maǧāz in Fragen der Kalām-Lehre zurück. (Vgl. Al-
Maṭʿanī 2007, 2:453–54)
An der Schnittstelle zwischen Sprache und Theologie 267

der Taten zum Glauben behandelt. Die Murǧiʾa war der Meinung, dass die Taten
nur im übertragenen Sinne als (Teil des) Glaube(ns) zu betrachten sind. Um diese
Meinung zu widerlegen, spricht er allgemein über die Dichotomie ḥaqīqa/maǧāz.

Unter allen Umständen gilt diese Einteilung als eine Art Übereinkunft, die erst nach Ablauf
der ersten drei Jahrhunderten stattfand. Davon sprachen weder die Prophetengefährten,
noch die nachfolgende Generation noch die renommierten Gelehrten wie Mālik, aṯ-Ṯaūrī,
al-Awzāʿī, Abū Ḥanīfa und aš-Šāfiʿī. Vielmehr sprach davon keiner der Sprach- und Syntax-
gelehrten, wie al-Ḫalīl, Sībawaih, Abū ʿAmr b. al-ʿAlāʾ u. ä. Bekannt als der Erste, der von
dem Ausdruck [maǧāz] sprach, ist Abū ʿUbaida Maʿmar b. al-Muṯanna in seinem Buch. Er
meint aber mit dem maǧāz nicht das Gegenteil des veritativen Sinnes. (Vgl. Ibn Taimiyya
1996, 73–74; Übers. d. Verf.)

In der weiteren Behandlung dieser Frage schrieb er diese Einteilung den


Muʿtaziliten und wie er weiter sagte, den ihnen ähnelnden Kalām-Gelehrten zu.
(Vgl. Ibn Taimiyya 1996, 74) Die Einteilung der Sprachausdrücke in ḥaqīqa und
maǧāz sei nach b. Taimiyya im 4. Jahrhundert n. H. berühmt geworden, habe
erst im 3. Jahrhundert n. H. angefangen und im zweiten Jahrhundert noch nicht
existiert, es sei denn gegen dessen Ende. (Vgl. Ibn Taimiyya 1996, 75) Später
erwähnte er den Namen des muʿtazilitischen Theologen Abū Hāšim al-Ğubbāʾī
(gest. 321/933) im Zusammenhang eines Streits mit Abū al-Ḥassan al-Ašʿarī (gest.
324/936), Gründer der ašʿaritischen theologischen Schule. Gegenstand der Aus-
einandersetzung war der Ursprung der Sprachen, wobei al-Ğubbāʾī die Sprachen
als „iṣṭilāḥiyya“ bezeichnete, d. h. als Entwicklung durch menschliche Überein-
kunft.2 (Vgl. Ibn Taimiyya 1996, 76.)
Bei seiner o. g. Darlegung sprach Ibn Taimiyya immer wieder von der Ent-
stehung der ḥaqīqa und maǧāz als Fachtermini. Deshalb vertrat er die Auffas-
sung, dass die Entstehung der beiden Begriffe bzw. die Unterscheidung zwischen
ihnen erst auf das dritte Jahrhundert zurückgeht. Andere Forscher nennen aber
einige Namen, die Ibn Taimiyya schon in seinem vorstehenden Zitat erwähnte, im
Zusammenhang mit der Entstehung des maǧāz –als Konzept und nicht unbedingt
als Fachterminus – und schreiben diesen Gelehrten zu, dass ihnen die Existenz
übertragener Ausdrücke, übertragenen Sprachgebrauches und vielleicht auch der
Unterscheidung zwischen ḥaqīqa und maǧāz auf die eine oder die andere Weise
bewusst war.

2 Die Frage nach dem Ursprung der Sprache spielte eine wichtige Rolle in der späteren Maǧāz-
Forschung wie z. B. bei ʿAb al-Qāhir al-Ğurǧānī (gest. 471/1078)
268 Muhammed Ragab

1.1 Maǧāz-Konzept im 2. Jahrhundert n. H.

Naṣr Ḥāmid Abū Zaid forschte der die historische Entwicklung von maǧāz in
seinem Werk „al-Itiǧāh al-ʻaqlī fī at-tafsīr“. Er beginnt damit, die Präsenz einiger
mit maǧāz verbundenen Termini, wie maṯal (Gleichnis), istiʿāra (Metapher),
„kināya“ (Metonomie) und der Verbstamm ǧawaza (überqueren) im Koran und in
der frühen Literatur der Koranexegese darzustellen. (Vgl. Abū Zaid 1996, 93–110)
Darüber hinaus führt al-Maṭʿanī in seinem Werk al-Maǧāz fī l-uġa wa-l-Qurʾān
al-karīm bayna al-iǧāza wa-l-mānʿ das Maǧāz-Konzept auf die zweite Hälfte des
zweiten Jahrhunderts zurück und nennt den Grammatiker ʿAmr b. ʿUṯmān b.
Qanbar, bekannt als Sībawaih (gest. 180/796) als den Ersten, der über die Dicho-
tomie ḥaqīqa/maǧāz schrieb, auch wenn er diese Begriffe nicht benutzte. Einen
Namen machte sich Sībawaih mit seinen Leistungen im Bereich der arabischen
Grammatik. In den Werken früherer arabischer Grammatiker überlappten sich
die semantischen mit den grammatischen Untersuchungen, sodass Sībawaih von
einigen Forschern als Gründer der Lehre der Darstellung (ʿilm al-bayān) und der
Bedeutungen (ʿilm al-maʿānī) angesehen wird. (Vgl. Abū Zaid 1996, 100) Nach
al-Maṭʿanī sollte Sībawaih der Einstellung sein, dass es in der arabischen Sprache
eine Art übertragene Ausdrucksmittel bzw. übertragenen Sprachgebrauch gibt.
(Vgl. Al-Maṭʿanī 2007, 1:17–18)
In seinem al-Kitāb im Zusammenhang mit übertragenen Ausdrücken,
benutzte Sībawaih einen anderen Terminus, nämlich ittisāʿ oder siʿat al-kalām
(Bedeutungserweiterung). Zu den Beispielen, die er für diese Kategorie anführte,
gehört:

Frag die Stadt, in der wir waren! (Sure 12: Vers 82).

Sībawaih zufolge ist damit gemeint, dass die Stadtbewohner gefragt werden
sollen. (Vgl. Sībawaih 1988, 1:212) Dies auch kann als maǧāz verstanden werden,
da der Vers nicht über die Stadtbewohner redet, sondern über die Stadt selbst.
Hier gibt es zwischen Bildspender und Bildempfänger ein örtliches Verhältnis.
Außerdem hebt Benedikt Reinert in seinem Beitrag über maǧāz in der Ency-
clopaedia of Islam hervor, dass die Theorie von maǧāz die ersten Impulse aus
der Untersuchung der Koranhermeneutik bekommen habe. Am Anfang habe man
seiner Meinung nach unter maǧāz nicht die Trope im konkreten Sinne verstanden,
sondern irgendeine Art Wendung, die aus semantischer, lexikographischer oder
syntaktischer Sicht nicht selbstverständlich gewesen sei, sondern erklärungsbe-
dürftig. (Vgl. B. Reinert 1986, 1026) Als Beispiel aus dieser Epoche führt er das
Werk „Maǧāz al-Qurʾān“ des Philologen Abū ʿUbaida Maʿmar b. Al-Muṯanna (gest.
210/825) an (Vgl. B. Reinert 1986, 1026), der darin die Meinung vertritt, dass die
An der Schnittstelle zwischen Sprache und Theologie 269

Araber einige Elemente ihrer Sprache als Subjekt zu verwenden pflegen, während
sie von der Bedeutung her Objekt sind, weil sie Adverbien sind, wo oder wann
man Dinge macht.(Vgl. Abū ʿUbaida Maʿmar Ibn-al-Muṯannā at-Taimī 1988, 1:279)
Solche Erklärung steht im Einklang mit den Erklärungen der späteren Philologen
für maǧāz und weist darauf hin, dass auch Abū ʿUbaida vom übertragenen Sinn
sprach, ohne es unbedingt als maǧāz zu bezeichnen.
Dementsprechend kann man in dieser Phase, also bis Ende des zweiten Jahr-
hunderts nicht von maǧāz als Terminus sprechen, da es zu dieser Zeit mehrere
Äquivalente dafür gab. Maǧāz als Terminus technicus hatte also, wie Heinrichs
meinte, seine eigene Geschichte, bevor es sich mit dem Terminus ḥaqīqa ver-
bindet. (Vgl. Heinrichs 1984, 111) In dieser Phase kann man von einem Maǧāz-
Konzept sprechen. Erst im dritten Jahrhundert wurde für dieses Konzept ein Fach-
terminus geprägt.

1.2 Maǧāz als Fachterminus im 3./4. Jahrhundert

Im dritten und vierten Jahrhundert lebten und wirkten mehrere muʿtazilitische


Philologen, die aber in dieser Epoche von maǧāz im Sinne von der Trope sprachen
und den Begriff präziser gestalteten als Abū ʿUbaida. Dazu gehören auch al-Ğāḥiẓ
und Ibn Ğinnī. Letztgenannter war der Erste in der Geschichte der arabischen
Philologie, der eine (negative)3 Definition von maǧāz gab,(Vgl. Al-Maṭʿanī 2007,
1:87) nämlich:

Ḥaqīqa ist der im Sprachgebrauch gemäß dessen ursprünglichen sprachlichen Prägung


anerkannte Sinn, maǧāz ist aber der Gegensatz dazu. Bei drei Bedeutungsaspekten wird
maǧāz zur Hilfe genommen und von ḥaqīqa abgewichen, nämlich bei Bedeutungserweite-
rung, einem Energikus und einem Vergleich. Wenn diese Kriterien fehlen, dann gilt ḥaqīqa.
(Vgl. Ibn-Ǧinnī 1955, 2:442; Übers. d. Verf.)

Er vertrat die Meinung, dass die übertragenen Ausdrücke die Mehrheit der
sprachlichen Ausdrücke bilden. (Vgl. Ibn-Ǧinnī 1956, 3:449) Als Philologe, der zu
den Muʿtaziliten gehörte (Vgl. Al-Maṭʿanī 2007, 1:97), schrieb Ibn Ǧinnī in seinem
K. al-Ḫaṣāʾiṣ ein Kapitel mit dem Titel fī mā yuʾamminuhu ʿilm al-ʿarabiyya min
al-ʿaqāʾid ad-dīniyya (Zu den Glaubenslehren, die durch Vertrautheit mit der
arabischen Sprache bewahrt werden). Als Beispiel für solche Glaubenslehren
erwähnt er koranische Stellen, aus denen eine anthropomorphistische Gottesvor-
stellung abgeleitet werden kann. Dass man aus diesen Stellen Allah anthropo-

3 D.h. er definierte ḥaqīqa und meinte, dass maǧāz das Gegenteil davon darstellt.
270 Muhammed Ragab

morphe Eigenschaften zuschreibt, kritisierte er scharf. Seine Kritik begründete


er damit, dass die Vertreter dieser Meinung mit der arabischen Sprache nicht ver-
traut sind. Diese Verse sollen seiner Meinung nach als mağāz gedeutet werden.
(Vgl. Ibn-Ǧinnī 1956, 3:245–55) Aus der Koranstelle „Am Tag, da ein Schenkel
entblößt wird“ (Sure 68: Vers 42) abzuleiten, dass Allah ein Bein hat, ist seiner
Meinung nach falsch. Vielmehr deutet er diese Stelle so, dass man an diesem Tag
in Bedrängnis ist. (Vgl. Ibn-Ǧinnī 1956, 3:251–53)

 tablierung von maǧāz im 4./5. Jahrhundert n. H.


1.3 E

1.3.1 B
 alāġa

Das Konzept des übertragenen Sinnes bildete auch einen unabdingbaren Teil
von ʿilm al-bayan, einer der Hauptbereiche der arabischen Stilistik. Gemäß ʿAbd
al-Qāhir al-Ğurğānī (gest. 471/1078), einer der bedeutendsten Gelehrten in diesem
Bereich, wird maǧāz als Folgendes definiert:

Maǧāz ist aber jedes Wort, mit dem eine Bedeutung anderes gemeint wird, als die Bedeu-
tung, was mit diesem Wort bei der entsprechenden Prägung durch seinen Präger belegt
wurde, und zwar aufgrund einer Beziehung zwischen der zweiten (Bedeutung) und der
ersten (Bedeutung). (Vgl. Al-Ǧurǧānī 1991, 351; Übers. d. Verf.)

Al-Ğurğānī teilt maǧāz in zwei Arten ein, nämlich „maǧāz luġawī“ (lexikalische
Trope), und „maǧāz ʿaqlī“ (verstandsmäßige Trope). Maǧāz luġawī unterteilt sich
wiederum in zwei Arten, nämlich in istiʿāra (Metapher) und in maǧāz mursal (Syn-
ekdoche). Istiʿāra bedeutet die Ersetzung eines Ausdrucks durch einen anderen
aufgrund der Ähnlichkeit. Maǧāz mursal bedeutet die Ersetzung eines Ausdrucks
durch einen anderen aufgrund anderer Beziehungen als Ähnlichkeit (z. B. ört-
liche, zeitige, kausale Beziehungen). Maǧāz ʿaqlī bedeutet Änderung logischer
Zusammenhänge innerhalb des Satzes, z. B. wenn einer Handlung eine Zeit- oder
Ortsangabe anstelle des Subjekts zugeschrieben wird. In beiden Arten des maǧāz
muss es ein qarīna (Indiz) geben, das darauf hinweist, dass es sich dabei um einen
übertragenen, nicht veritativen Sinn handelt. Dieses Indiz ist entweder lafẓīa
(verbal) oder ḥaliya (nicht verbal oder kontextbezogen).
An der Schnittstelle zwischen Sprache und Theologie 271

1.3.2 Uṣūl al-Fiqh

Die Dichotomie ḥaqīqa/mağāz stellt daneben einen Teil der sprachlichen Untersu-
chungen in uṣūl al-fiqh dar. In diesem Bereich werden beide Begriffe unterschieden
und für jeden Begriff die untergeordneten Kategorien untersucht. Die Muʿtaziliten
hinterließen ihre Spuren auch hier. Im Vorwort des Werkes al-Muʿtamad fī uṣūl
al-fiqh spricht der Verfasser Abū al-Ḥusaīn al-Baṣrī (gest. 436/1044) von al-ḥaqīqa
wa-l-mağāz als eines der Hauptkapitel von uṣūl al-fiqh. (Vgl. Al-Baṣrī 1964, 1:8) Die
beiden Begriffe versteht er wie folgt:

Ḥaqīqa ist der Ausdruck, der auf etwas hinweist, das in der ursprünglichen entsprechenden
Konvention, durch die der Sprechverkehr erfolgte, belegt wurde. (Vgl. Al-Baṣrī 1964, 1:11;
Übers. d. Verf.)

Maǧāz ist der Ausdruck, der auf eine andere konventionelle Bedeutung hinweist als die kon­
ventionelle Bedeutung, die in der ursprünglichen entsprechenden Konvention, durch die
der Sprechverkehr erfolgte, belegt wurde. (Vgl. Al-Baṣrī 1964, 1:11; Übers. d. Verf.)

1.3.3 K
 alām

Im Bereich der Kalām-Lehre stimmt al-Qaḍī ʿAbd al-Ğabbār (gest. 415/1025) mit
Abū al-Ḥusaīn al-Baṣrī in dieser Definition überein. (Vgl. Al-Baṣrī 1964, 1:13–14)
Das Prinzip der entsprechenden Prägung (im Arabischen mwuāḍaʿa) findet sich
auch in der Theologie bei den Muʿtaziliten. Als Definition für mağāz führt al-Qaḍī
ʿAbd al-Ğabbār Folgendes an:

Ein Wort wird aber als maǧāz bezeichnet, wenn dafür in einer Stelle ein veritativer Sinn
belegt wird, wobei es in einem anderen Sinn mehrfache Anwendungen hat. (Vgl. ʻAbd
al-Ǧabbār Ibn Aḥmad 1965, 11:359)

Dieses Interesse an maǧāz in der muʿtazilitischen Theologie und der Bedarf


danach, die muʿtazilitischen rationalen Ansätze und den diesbezüglichen korani-
schen Stellen in Einklang zu bringen, spiegelte sich in dem Umgang mit dem
koranischen Text wider. Dadurch entwickelte sich eine exegetische Herangehens-
weise, die bestimmte Koranstellen, die sich auf einige Kalām-Fragen beziehen,
als maǧāz auszulegen versuchte. Zu den Hauptfiguren dieser Herangehensweise,
gehört Maḥmūd b. ʿUmar az-Zamaḫšarī (gest. 538/1144).
272 Muhammed Ragab

2 A
 z-Zamaḫšarī, Leben und Werke

2.1 Frühes Leben und Reisen

Az-Zamaḫšarī wurde im Jahre 467/1074 in Zamaḫšar (heute Izmukshir in Turk-


menistan), woher sein Beiname stammt, in der Provinz Choresmien geboren.
(Al-Ḥūfī 1966, 35) Sein Vater war Imām in dieser Stadt und lehrte ihn den Koran
auswendig.(Vgl. Al-Andarasbānī 1982, 368) Im Laufe seines Lebens unternahm
az-Zamaḫšarī viele Reisen. Er besuchte Buḫara, Chorasan, Isfahan, Baghdad, die
Levante und Hamadan. Er hielt sich zwei Mal in Mekka auf, das erste Mal für zwei
Jahre (ab 512/1118) und das zweite Mal für drei Jahre (ab 526/1131). Daraus leiten
sich seine Bezeichnung und sein Beiname Ğāru-llāh ab. (Vgl. Al-Ḥūfī 1966, 35) Im
Jahre 538/1144 starb az-Zamaḫšarī in Ğurǧanīya, einem Ort in Choresmien. (Vgl.
Ibn Ḫallikān 1977, 5:173)

2.2 Die Zugehörigkeit zu den Muʿtaziliten

Auf seine muʿtazilitische Zugehörigkeit war az-Zamaḫšarī derart stolz, dass er


sich, wenn er jemanden besuchte, als „Abū al-Qāsim al-muʿtazilī“ vorzustellen
pflegte. (Vgl. Ibn Ḫallikān 1977, 5:173) In Bezug auf Fiqh gehörte er höchstwahr-
scheinlich der ḥanafītischen Rechtsschule zu. (Vgl. Ibn al-ʿImād 1986, 6:198)
Die Präsenz der Muʿtaziliten war in Choresmien so stark, dass die Bezeichnung
„ḫuwārizmī“ mit „muʿtazilī“ fast identisch war. Von einem gewissen al-Qāsim b.
al-Ḥusain al-Ḫuwārizmī (gest. 617 n. H.) überliefert Yāqūt, dass er auf die Frage
nach der Rechtsschule, der er folgt, antwortete: „Ich bin Ḥanafit, aber kein
Ḫuwārizmī, kein Ḫuwārizmī.“ (Vgl. Yāqūt ibn ʿAbd Allāh al-Ḥamawī 1993, 5:2192;
Übers. d. Verf.) Damit wollte er nach Yāqūt betonen, dass er kein Muʿtazilit war.
(Vgl. Yāqūt ibn ʿAbd Allāh al-Ḥamawī 1993, 5:2192)

2.3 Die Lehrer und Schüler az-Zamaḫšarīs

Diese starke Präsenz der Muʿtazila verdankt Choresmien dem Philologen und
Literaten Abū Muḍar Maḥmūd b. Ğarīr al-Ḍabbī al-Iṣfahānī (gest. 507/1114), der
für die dortige Einführung der muʿtazilītischen Theologie verantwortlich war.4

4 Madelung bestreitet dies und vertritt die Meinung, dass Muʿtazilismus schon vor Abū Muḍar
in Choresmien etabliert war. Weder erwähnt er aber Beweise noch stützt sich auf andere Quellen
(Vgl. Madelung 2013, 468).
An der Schnittstelle zwischen Sprache und Theologie 273

(Vgl. Versteegh 1986, 433; Vgl. Yāqūt ibn ʿAbd Allāh al-Ḥamawī 1993, 6:2685–86,
2688). Bei Abū Muḍar lernte az-Zamaḫšarī Literatur (adab) und Grammatik. Er
hatte einen tiefen Einfluss auf az-Zamaḫšarī. Als er starb, schrieb az-Zamaḫšarī
für ihn ein Trauergedicht, in dem er das Wissen, das er von Abū Muḍar erwarb,
als Perlen bezeichnete, die er in Form von Tränen von seinen Augen vergoss. (Vgl.
Al-Ḥūfī 1966, 48–49) Yāqūt rechnete auch einen anderen Gelehrten zu seinen
Lehrern, Abū al-Ḥasan ʿAlī b. al-Muẓafar an-Naysābūrī, ohne ein Sterbedatum zu
nennen.5 (Vgl. Yāqūt ibn ʿAbd Allāh al-Ḥamawī 1993, 6:2688; Vgl. Versteegh 1986,
433) Madelung erwähnt ihn als Abū ʿAlī al-Ḥasan b. al-Muẓafar an-Naysābūrī.
(Vgl. Madelung 1986, 840) Er beruft sich dabei wahrscheinlich auf eine Biogra-
fie bei Yāqūt wo 442 n. H. als Jahr seines Todes genannt wird. (Vgl. Yāqūt ibn
ʿAbd Allāh al-Ḥamawī 1993, 3:1016) Madelung bestreitet, dass er in diesem Jahr
starb, denn nach ihm sei sein Sohn ʿUmar im Jahr 536 n. H. gestorben, ohne einen
bestimmten Todeszeitpunkt für den Vater anzugeben. (Vgl. Madelung 1986, 840)
Hadithwissenschaft lernte az-Zamaḫšarī bei Abū Manṣūr Naṣr al-Ḥārṯī
und Abū Saʿd aš-Šaqqānī. Für beide Gelehrten gab Yāqūt kein Sterbedatum an.
Al-Ḥūfī erwähnte auch nicht, wann al-Ḥārṯī starb. Für aš-Šaqqānī erwähnt er
aber 506 n. H. als Todesjahr für einen aš-Šaqqānī mit einem anderen Beinamen,
nämlich Abū al-Faḍl. Dieser stammte aus Naysābūr und befasste sich mit Ḥadīṯ
und Fiqh. (Vgl. Yāqūt ibn ʿAbd Allāh al-Ḥamawī 1993, 6:2688; Vgl. Al-Ḥūfī 1966,
49; as-Samʻānī 1962, 8:123–25) Kalām-Lehre soll az-Zamaḫšarī bei Rukn ad-Dīn
Maḥmūd b. al-Malāḥmī (gest. 536/1141), der zur Schule von Abū al-Ḥusaīn al-Baṣrī
(gest.436/1044) gehört, gelernt haben. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 2007, 5) Es ist umstrit-
ten, ob az-Zamaḫšarī ein direkter Schüler von dem Muʿtaziliten und zaidītischen
Koranexegeten al-Ḥākim al-Ğušamī (gest. 494/1101) war (Vgl. Aš-Šuhārī 2001,
2:892) oder Schüler eines Aḥmad b. Muḥammad b. Isḥāq al-Ḫuwārizmī, der
wiederum Schüler al-Ğušamīs war. (Vgl. Madelung 1986, 841) In Baghdad traf
az-Zamaḫšarī den ḥanafitītischen Rechtsgelehrten Abū al-Ḥasan ad-Dāmiġānī
(gest. 513/1119) (Vgl. Yāqūt ibn ʿAbd Allāh al-Ḥamawī 1993, 6:2688) und sollte dort
auch beim Sprachgelehrten Abū Manṣūr b. al-Ğawālīqī (gest. 540/1145) gelernt
haben. (Vgl. Al-Ḥūfī 1966, 50)
Zu den Schülern und Schülerinnen az-Zamaḫšarīs zählen Abū a1-Futūh
al-Rāzī (gest. nach 552/1157), Abū al-Fadl Muḥammad b. Abū al-Qasim b.
Babīǧūk al-Baqqālī al-Ḫuwārizmī (gest. 562/1167) und Diyāʾ ad-Dīn al-Makkī
(gest. 550/1155). Darüber hinaus hatte er eine Schülerin, Zaynab bt. aš-Šaʿrī (gest.
615/1219), (Versteegh 1986, 433) die selber Lehrerin für Ibn Ḫallikān war.

5 Versteegh erwähnt auch diesen Namen, ohne ein Sterbedatum anzugeben. (Vgl. Madelung
2013, 468).
274 Muhammed Ragab

2.4 D
 ie Werke az-Zamaḫšarīs

Die Vielfalt der Lehrer az-Zamaḫšarīs sowie die Wissensbereiche, mit denen sie
sich befassten, spiegeln sich in seinen Werken wider. Ibn Ḫallikān beschrieb
az-Zamaḫšarī als den „Großgelehrte[n] in den Wissensgebieten von Koranexegese,
Hadithwissenschaft, Grammatik, Philologie und Lehre der Bildersprache.“ (Vgl. Ibn
Ḫallikān 1977, 5:168; Übers. d. Verf.) Entsprechend schrieb er in mehreren Berei-
chen der Philologie und der islamischen Theologie. Dazu gehören u. a. das Hadith-
Werk al-Fāʾiq fī ġarīb al-ḥadīṯ, das Kalām-Lehre-Traktat al-Minhāǧ fī uṣūl ad-dīn,
das Grammatikwerk al-mufaṣṣal fī ṣanʿat al-iʿrāb und das Lexikon asās al-balāġa,
ein Lexikon des veritativen und übertragenen Gebrauchs der Wörter. Amīn listete
etwa 55 Werke von Az-Zamaḫšarī aus den verschiedensten Wissensbereichen der
Philologie und Theologie auf. (Vgl. Amīn 2012, 24–38) Sein berühmtestes Werk ist
aber die Koranexegese al-Kaššāf ʿan ḥaqāʿiq ġawāmiḍ at-tanzīl wa-ʿuyūn al-aqāwīl
fī wuǧūh at-taʿwīl. Az-Zamaḫšarī wurde wegen seiner Bemühungen, die gram-
matikalischen, lexikographischen, stilistischen Eigenschaften und die Unnach-
ahmlichkeit der koranischen Sprache durch diese Exegese zu zeigen, universell
verehrt. (Vgl. Madelung 1986, 840) Wegen der Bedeutsamkeit dieser Koranexegese
wurden mehrere Kommentare (ar. ḥawāšī) dafür verfasst. Einer der bekanntesten
Kommentare, der sich sowohl mit den sprachlichen als auch den theologischen
Aspekten von al-kaššāf beschäftigt, ist der Kommentar von Aḥmad b. Muḥammad
b. Manṣūr, bekannt als Ibn al-Munīr as-Sakandarī (gest. 683/1284) unter dem Titel
al-intṣāf fī mā taḍmanahu al-kaššāf min al-itizāl. As-Sakandarī ist ein Ašʿarit und
setzte sich mit den sprachlichen und theologischen Auffassungen in der Exegese
von az-Zamaḫšarī auseinander. (Vgl. Amīn 2012, 44–46)

 erhältnis von Sprache und Religion in az-Zamaḫšarīs


2.5 V
Werken

Die obigen erwähnten Titel der Werke az-Zamaḫšarīs zeigen die Überschneidung
der philologischen und theologischen Untersuchungen bei ihm. Über das Verhält-
nis von Sprache und Religion in der islamischen Theologie spricht az-Zamaḫšarī
im Vorwort seines ‘al-Mufaṣṣal fī ṣanʿat al-iʿrāb, als er diejenigen kritisierte, die
damals für šuʿūbīya6, plädierten, sah er eine enge Verbindung zwischen der ara-
bischen Sprache und mehreren islamischen Wissensgebieten. Er meinte, dass

6 Diejenige Strömung in der islamischen Geschichte, die für den Vorrang der Nicht-Araber (ins-
besondere die Perser) plädierte (der Verfasser)
An der Schnittstelle zwischen Sprache und Theologie 275

die Šuʿūbīten kein islamisches Wissensgebiet finden können, sei es Fiqh, Kalām-
Lehre, Koranexegese oder Überlieferung, das die Vertrautheit mit der arabischen
Sprache nicht voraussetzt. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1993, 18) Dadurch betonte er die
immense Relevanz der arabischen Sprache für die Wissensgebiete der islamischen
Theologie. Es geht hier –seiner Meinung nach – um einen Bedarf seitens dieser
Wissensgebiete nach der arabischen Sprache bzw. Philologie. Diese Wissens-
gebiete befassen sich mit den islamischen normativen Texten, entweder Koran
oder Ḥadīṯ, und darum dienen die Bereiche der Philologie als ʿulūm āaliyya, d. h.
als Mittel zum Forschen in der islamischen Theologie. (Vgl. Aš-Šafi‘i 2001, 200)
Obwohl er kein Araber war, verteidigte az-Zamaḫšarī die Wichtigkeit der arabi-
schen Sprache. Versteegh führt das auf die Auffassung az-Zamaḫšarīs bezüglich
der arabischen Sprache zurück, die die Sprache ist, die Gott für die Offenbarung
auserwählte. (Vgl. Versteegh 1986, 433) Für az-Zamaḫšarī ist Arabisch die perfekte
Sprache.(Vgl. Madelung 1986, 840) Zu diesen Wissensgebieten gehört die Kalām-
Lehre, wo die Frage der Taten der Menschen und der Erschaffung des Übels eine
zentrale Rolle spielte.

3 Erschaffung des Übels

3.1 Theologischer Zugang: Al-Minhāǧ fī uṣūl ad-dīn

Obwohl az-Zamaḫšarī sich nicht als ein fachmännischer Kalām-Gelehrter betrach-


tet, schrieb er einen kleinen Traktat über die Kalām-Lehre, al-minhāǧ fī uṣūl
ad-dīn. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 2007, 7) Darin behandelte er u. a. die oben erwähnte
Frage. Dazu äußerte er sich wie folgt:

Würdest du sagen: Warum hast du gewusst, dass andere als Allah als Auslöser für einige
Taten betrachtet werden können? Da antworte ich: Dies habe ich zwangsläufig gewusst,
weil die vernünftigen Menschen zwangsläufigäerweise wissen, dass es vorzüglicher ist, den
Wohltäter zu loben und den Beleidigenden zu tadeln […], und weil der Täter derjenige ist,
der eine Tat wegen eines Anlasses tut und eine Tat wegen eines Hindernisses unterlässt,
diese Eigenschaft findet jeder in sich, und weil zu den Taten der Geschöpfe Schandtaten
wie Unglaube, Ungerechtigkeit und Lügen gehören, […] der Allweise und der Unbedürftige,
der sich seiner Unbedürftigkeit bewusst ist, ist erhaben, diese Taten zu tun, zu wollen, zu
billigen oder damit zu befehlen, weil Allah das Gute gebot und dafür großartigen Lohn ver-
sprach, und das Übel verbot und davor mit schmerzhafter Strafe warnte. Deshalb sandte
Gott die Gesandten, offenbarte die Bücher und führte die Beweise. Würden diese zu seinen
Taten (d. h. Allah) gehören, so wäre das umsonst und Abweichung von der Weisheit. (Vgl.
Az-Zamaḫšarī 2007, 13–14; Übers. d. Verf.)
276 Muhammed Ragab

In diesem Zitat setzte sich az-Zamaḫšarī mittels rein rationaler Argumente


und durch den „Schluss vom Sichtbaren auf das Unsichtbare“ (qiyās al-ġāʾib
ʿalā aš-šāhid) mit der Frage der Erschaffung des Übel auseinander. Es ist für
az-Zamaḫšarī selbstverständlich, dass Allah nicht als Auslöser aller Handlungen
zu betrachten ist, sondern es für Handlungen wie Unglaube, Ungerechtigkeit usw.
andere Täter geben muss. Er führt dabei keine Belege aus den normativen Texten
an, wie es andere Theologen zu tun pflegten, indem sie die rationalen Argumen-
tationen am Anfang führen und dann die relevanten Stellen aus den normativen
Texten erwähnen.

3.2 T
 heologischer-sprachlicher Zugang: Al-Kaššāf

Zu den normativen Texten, die sowohl die Muʿtaziliten als auch ihre Gegner
als Argumente für die Auffassung, dass Gott die Übeltaten erschafft oder nicht,
ansahen, gehört der Sure 2: Vers 7. Er lautet:

‫َظي ٌم‬ ِ ‫َختَ َم اللَّهُ عَلى قُلُوبِ ِه ْم َوعَلى َس ْم ِع ِه ْم َوعَلى أَب‬


ِ ‫ْصار ِه ْم ِغشا َوةٌ َولَهُ ْم عَذابٌ ع‬

Allah hat ihre Herzen und ihr Gehör versiegelt, über ihrem Augenlicht befindet sich eine
Hülle. Für sie wird es gewaltige Strafe geben.

Az-Zamaḫšarīs Auslegung dieses Verses ist ziemlich lang. In der Ausgabe


des al-ʿUbaikān Verlags erstreckt sie sich über fünf Seiten. Dabei benutzte
az-Zamaḫšarī philologische und logische Argumente neben einigen Koranstellen,
um seine Auffassung bezüglich der Erschaffung der Übeltaten zu untermauern.
Zuerst fing er mit den philologischen Argumenten an. Seiner Meinung nach
ist die „Versiegelung“ als maǧāz zu verstehen. Diesbezüglich sagt er:

Würdest du sagen: Was bedeutet die Versiegelung der Herzen und Gehöre und die Hülle
über die Augen? Da antworte ich: Veritativ gesehen gibt es weder Versiegelung noch Hülle.
Vielmehr sind diese Ausdrücke als eine Art mağāz zu verstehen. Dies könnte seinen beiden
Arten zugeordnet werden, nämlich als Metapher (istiʿāra) und Gleichnis. In Bezug auf die
Metapher werden ihre Herzen und ihr Gehör so gemacht, als ob sie versiegelt wären. In
Bezug auf das Herz liegt die Metapher darin, dass die Wahrheit weder ihre Herzen durch-
dringt noch zu ihren Gewissen gelangt, und zwar deswegen, weil sie sich ihr abwenden und
weil sie zu hochmütig sind, sie anzunehmen und anzuerkennen. In Bezug auf das Gehör
liegt die Metapher darin, dass ihr Gehör sie auswirft, und es abstoßend empfindet, ihnen zu
zuhören. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:164–65; Übers. d. Verf.)

Istiʿāra (Metapher) ist eine Art des maǧāz. Sie ähnelt dem tašbīh (Vergleich),
wobei eine der Vergleichsparteien fehlt. Ist es der mušabbah bih (Bildspender),
An der Schnittstelle zwischen Sprache und Theologie 277

dann gilt sie als istiʿāra makniyya (implizierte Metapher), oder es ist der mušabbah
(Bildempfänger), dann gilt sie als istiʿāra taṣrīhiyya (explizite Metapher). Nach
az-Zamaḫšarī wird hier die Abwendung von Wahrheit und Hochmut (Bildempfän-
ger) mit der Versiegelung (Bildspender) verglichen, wobei der Bildempfänger fehlt
(istiʿāra taṣrīhiyya). Die Beziehung zwischen Bildempfänger und Bildspender sah
er darin, dass die Abwendung des Ungläubigen von der Wahrheit so stark ist, dass
sie der Versiegelung ähnelt.
Mit diesem Schritt aber gelingt es az-Zamaḫšarī festzulegen, dass Allah die
Herzen der Ungläubigen nicht versiegelt oder vom Glauben abwendet. Seiner
Meinung nach schildert der Vers, wie groß der Hochmut und die Abwendung der
Ungläubigen ist.
In einem weiteren Zitat vermischt az-Zamaḫšarī theologisch-rationale Argu-
mente mit philologischen Argumenten und erwähnt nebenbei koranische Texte.
Er sagt:

Warum die Versiegelung Allah zugeschrieben würde, obwohl diese Zuschreibung die
Annahme der Wahrheit und deren Erreichen mit den dafür bestimmten Mitteln verhindert,
wobei das zu den Übeltaten gehört. Allah ist darüber erhaben, die Übeltaten zu begehen,
denn er weiß, dass sie Übeltaten sind, und dass er dieser Übeltaten nicht bedürftig ist.
Dass er darüber erhaben ist, steht im Koran: „und Ich bin keiner, der den Dienern Unrecht
zufügt.“ (Sure 50: Vers 29), „Nicht Wir haben ihnen Unrecht getan, sondern sie sind es, die
Unrecht getan haben.“ (Sure 43: Vers 76) und „Allah gebietet nicht Schändliches.“ (Sure 7:
Vers 28) und die ähnlichen Verse? Da antworte ich, hier ist die Beschreibung der Herzen als
versiegelt gemeint. Diese Versiegelung Allah zuzuschreiben, weist darauf hin, dass diese
Eigenschaften so festgewurzelt und festgelegt sind, dass sie den angeborenen, nicht den
akzidentiellen Sachen ähneln. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:165–67; Übers. d. Verf.)

Die ersten Argumente in diesem Zitat ähneln denjenigen, die az-Zamaḫšarī in


seinem al-Minhāǧ benutzte. Er betonte, dass Allah darüber erhaben ist, die Übel-
taten zu begehen. Im obigen Zitat erwähnt er nun aber Koranstellen, um diese
Meinung zu bekräftigen. Aus der ersten Koranstelle kann abgeleitet werden, dass
Gott keine Übeltaten begeht. Die zweite besagt, dass die Menschen und nicht
Allah, diejenigen sind, die Unrecht begehen. In der letzten Koranstelle wird
betont, dass Allah die schändlichen Taten auf keinen Fall gebietet bzw. billigt.
Danach kommt az-Zamaḫšarī zu den philologischen Argumenten zurück, indem
er von isnād (Prädikation, Zuschreibung) spricht. Isnād bedeutet die Zuschrei-
bung einer Handlung an ihren Täter. Er meint, dass die (isnād) dieser Tat an
Allah darauf hinweist, dass Hochmut und Abwendung von der Wahrheit bei den
Ungläubigen quasi als angeboren anzusehen sind und nicht als etwas, das man
im Laufe seines Lebens erwerben würde.
In einem letzten Zitat spricht az-Zamaḫšarī wieder über isnād. Hier spielt er
die Rolle eines Balāġa-Gelehrten und erklärt, was er unter istiʿāra versteht:
278 Muhammed Ragab

Es kann sein, dass Handlungen, die ursprünglich auf andere als Allah zurückgehen, auf
Allah übertragen und ihm dann zugeschrieben werden. Darum wird die Versiegelung Gott
im übertragenen Sinne zugeschrieben, wobei sie veritativ einem anderen zuzuschreiben
ist. Das liegt daran, dass das Verb mehrere Beziehungen zu den Satzgliedern, wie Subjekt,
Objekt, Infinitiv, Orts-, Zeitangabe und dem Verursacher hat. Die Prädiktion an das Subjekt
wird als veritativ betrachtet. Als istiʿāra, eine Art von maǧāz, kann das Verb anderen Satz-
gliedern zugeordnet werden, denn diese Satzglieder ähneln dem Subjekt hinsichtlich der
Beziehung zum Verb. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:167; Übers. d. Verf.)

Bemerkenswert an diesem Zitat ist die Verwechslung zwischen istiʿāra und


maǧāz ʿaqlī. Die Definition, die az-Zamaḫšarī hier bietet, gilt bei anderen zeitge-
nössischen und späteren Balāġa-Gelehrten als maǧāz ʿaqlī. Das kann man darauf
zurückführen, dass die Einteilung und Eingrenzung dieser Termini in der Zeit von
az-Zamaḫšarī nicht so klar und eindeutig war. Nennenswert ist hier, dass ʿAbd
al-Qāhir al-Ğurğānī (gest. 471 n.H.) als der Erste gilt, der die Unterscheidung zwi-
schen maǧāz luġawī und maǧāz ʿaqlī einführte. (Vgl. Al-Maṭʿanī 2007, 1:315–16)
Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass az-Zamaḫšarī diese Art Überschrei-
tung bzw. Änderung in der Zuschreibung (isnād) bewusst war. In einem weiteren
Abschnitt schrieb er diese Versiegelung entweder Satan oder dem Ungläubigen
zu. Er sagt:

Veritativ gesehen ist Satan oder der Ungläubige der Versiegelnde. Da Allah ihn jedoch dazu
ermächtigte, wird die Versiegelung Allah zugeschrieben, so wie das Verb dem Verursacher
zugeschrieben wird. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:168)

Hier erwähnt az-Zamaḫšarī alle Elemente eines typischen Falls von maǧāz ʿaqlī,
nämlich Bildspender (Ungläubiger oder Satan), Bildempfänger (Allah) und
die Beziehung zwischen beiden, nämlich die Kausalität. Allah ermächtigt den
Ungläubigen oder Satan, solche Übeltaten zu begehen.

Fazit
Diese Studie setzte sich zum Ziel, das Verhältnis von Sprache und Theologie
anhand des Begriffs maǧāz zu untersuchen. Der Befund dieser Studie zeigt, dass
schon früh im 2. Jahrhundert maǧāz an der Schnittstelle zwischen Sprache und
Theologie stand, auch wenn im frühen Gebrauch unter maǧāz nichts anderes als
tafsīr verstanden wurde. Daher muss Ibn Taimiyya Recht gegeben werden, dass
man so früh maǧāz nicht unbedingt im Sinne von übertragenem Sinn benutzte.
Jedoch stehen Erklärungen, die Gelehrten wie Sībawaih und Abū ʿUbaida für
einige Koranstellen von maǧāz bringen konnten, in Einklang mit den später
An der Schnittstelle zwischen Sprache und Theologie 279

entwickelten Definitionen und Kriterien. Deshalb ging die Existenz dieses Kon-
zepts der Gestaltung und Benutzung dieses Terminus voran. Die muʿtazilitischen
Gelehrten trugen in den folgenden Jahrhunderten dazu bei, maǧāz zu definie-
ren und als Mittel bei der Deutung verschiedener Koranstellen zu benutzen. Ibn
Ğinnī im 4. Jahrhundert war der Erste, der eine Definition von maǧāz gab und
die Meinung vertrat, dass übertragene Ausdrücke die Mehrheit der sprachlichen
Ausdrücke bilden. Damit öffnete er die Tür für nahezu unbegrenzte Deutungs-
möglichkeiten. Mağāz erschien an weiteren Schnittstellen auch im 4. Jahrhundert
(und teilweise im 5. Jahrhundert) bei al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār und Abū al-Ḥusaīn
al-Baṣrī, die maǧāz als Bestandteil der Wissensgebiete der Kalām-Lehre und Uṣūl
al-fiqh betrachteten. Im 5. und 6. Jahrhundert verfasste az-Zamḫšarī mehrere
Werke in den Bereichen von Balāġa, Grammatik, Ḥadīṯ und Kalām-Lehre und
nicht zuletzt Koranexegese und war damit eine der wichtigsten Figuren in Bezug
auf das Verhältnis von Sprache und Theologie. Maǧāz benutzte az-Zamḫšarī in
seiner Exegese, wenn die wortwörtliche Bedeutung der auszulegenden Koran-
stelle nicht in Einklang mit seiner theologischen Auffassung steht, um diese
Bedeutung anders zu deuten.
Das brachte uns zu der exegetischen Herangehensweise az-Zamḫšarīs, wenn
die betreffenden Koranstellen sich mit Fragen der Kalām-Lehre befassen. Hin-
sichtlich der Frage nach der Erschaffung des Übels vertrat er die Meinung, dass
Allah das Übel nicht erschuf, sondern der Mensch oder Satan dafür verantwortlich
sind. Die Koranstellen, wie Sure 2: Vers 7, schreiben aber Allah die Irreführung der
Menschen zu. In diesem Fall war maǧāz ʿaqlī das optimale Deutungsmittel, damit
diese Übeltaten den Menschen und nicht Allah zugeschrieben werden. In seiner
Exegese dieses Verses benutzte az-Zamḫšarī Begriffe aus dem Balāġa-Bereich wie
istiʿāra und maǧāz, um diese Stelle abweichend von der wortwörtlichen Bedeu-
tung zu deuten.7 (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:186) Er sprach ausdrücklich von einer
Änderung in der Beziehung der Satzglieder zu einander. Aus den Elementen des
maǧāz hob az-Zamaḫšarī den Bildspender und den Bildempfänger hervor, nannte
jedoch bei all diesen Maǧāz-Bildern kein qarīna lafẓiya. Das einzige Indiz, das
er uns zur Verfügung stellte, war, dass Allah darüber erhaben ist, Übeltaten zu
begehen oder zu billigen.
Diese rationalen Argumente entsprachen zum großen Teil den Argumenten,
die er in seinem al-Minhāǧ hinsichtlich der Frage der Erschaffung des Übels vor-
brachte. Er begründete dieses Indiz sowohl durch rationale Argumente als auch

7 Bemerkenswerterweise betrachtete er diese Deutung nicht als Abweichung, sondern als die
richtige geprägte sprachliche Bedeutung, wie er bei der Auslegung Sure 2: Vers 15 erklärt. (Vgl.
Az-Zamaḫšarī 1998, 1:186)
280 Muhammed Ragab

durch Belege aus den normativen Texten anhand Sure 50: Vers 29 als eine Art int-
ra-koranische Exegese (Ar. tafsīr al-Qurʾān bi-l-Qurʾān), in dem steht, dass Allah
den Menschen kein Unrecht zufügt. Mehrere andere Verse, in denen Allah solche
Übeltaten zugeschrieben werden, vernachlässigte er in diesem Zusammenhang,
vermutlich weil er diese auch so deutet, dass der Mensch oder Satan das Agens in
diesem Fall sind.8 (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:185–87)
Charakteristisch für az-Zamaḫšarīs Herangehensweise ist es, dass er sich
nicht damit begnügt, für den in dem Vers enthaltene maǧāz nur eine ḥaqīqa zu
erwähnen, sondern mehrere mögliche ḥaqāʾiq. Für Sure 2: Vers 15 erwähnte er
drei mögliche ḥaqāʾiq. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:185–87) In Bezug auf Sure 2:
Vers 7 erwähnte er z. B. vier Deutungsmöglichkeiten für den in diesem Vers ent-
haltenen maǧāz. Man kann davon ausgehen, dass er damit versucht, alle mög-
lichen Bedeutungsvarianten, die seine Auffassung in Bezug auf die Erschaffung
des Übels unterstützen, hervorzuheben, während andere Bedeutungsvarianten,
die mit seiner Auffassung diesbezüglich nicht in Einklang stehen, als mangelhaft
oder nicht erwähnenswert zu erklären. Manchmal kritisiert er auch diejenigen,
die sich für von ihm infrage gestellte Bedeutungsvarianten entschieden. (Vgl.
Az-Zamaḫšarī 1998, 1:186)
An einer anderen Stelle erwähnt er, dass Allah die Menschen mit dem Koran
herausforderte. Der Koranexeget ist berechtigt bzw. verpflichtet, den Koran davor
zu schützen, dass man ihn herabwürdigt. Wenn der Koranexeget sich für eine Aus-
legungsmöglichkeit entscheidet, muss er sowohl waḍʿ (ursprüngliche sprachliche
Prägung) als auch balāġa (Beredsamkeit) berücksichtigen. (Vgl. Az-Zamaḫšarī
1998, 1:186) D. h. er versteht seine exegetischen Versuche nicht nur als Erklärung
oder Deutung, sondern als Beitrag dazu, den herausfordernden und unnach-
ahmlichen Aspekt des Koran zu erhalten. Als Mittel dazu sah az-Zamaḫšarī
verschiedene Ebenen der philologischen Kenntnisse vor, die er im Vorwort von
al-Kaššāf als Voraussetzungen, die der Koranexeget zu erfüllen hat, ansah. (Vgl.
Az-Zamaḫšarī 1998, 1:96) Während waḍʿ sich als Bedeutung einzelner Wörter
erweist, beschäftigt sich balāġa mit der Bedeutung größerer Sprachstrukturen.
Az-Zamaḫšarī war auch der Meinung, dass, wenn man mit waḍʿ nicht vertraut ist,
ist es dann fast ausgeschlossen, balāġa in Betracht zu ziehen. (Vgl. Az-Zamaḫšarī
1998, 1:186) Das gewährt uns einen Einblick in die Mentalität von az-Zamaḫšarī
als Philologe, Theologe und nicht zuletzt als Koranexeget, der alles tun würde,
um den sprachlich herausfordernden und unnachahmlichen Aspekt des Koran
zu schützen. Das kann nur erfüllt werden, wenn man die Verse und Koranstel-
len, die sich auf Kalām-Fragen beziehen, nach seinen theologischen Auffassun-

8 Ähnlich ging er beispielsweise mit Sure 2: Vers 15 vor. (Vgl. Az-Zamaḫšarī 1998, 1:185–87)
An der Schnittstelle zwischen Sprache und Theologie 281

gen deutet, unabhängig davon, ob er sich dabei auf rationale, sprachliche oder
intra-textuelle Argumente stützt, die die grundsätzlichen Charakteristika seiner
philologisch-theologischen exegetischen Herangehensweise darstellen.

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Iḥsān ʿAbbās. Beirut: Dār al-Ġarb al-Islāmī, 1993.
Reza Hajatpour
Muʿtazila und die Zwölfer-Schia
Es gibt keinen Zweifel, dass eine Vielzahl theologischer Gemeinsamkeiten
zwischen der Muʿtazila und der Schia bestehen.1 Die rationale Methode der
Muʿtaziliten übte besonders auf die Zaiditen einen beachtlichen Einfluss aus.
Wie eng das historische Verhältnis zwischen Muʿtazila und Schia tatsächlich ist,
demonstrieren vor allem die Arbeiten von Wilfred Madelung.
Zunächst soll darauf hingewiesen werden, dass, wenn wir hier über das Ver-
hältnis zwischen Muʿtazila und Schia sprechen wollen, es uns eher darum geht,
zwei theologische Schulrichtungen miteinander in Verbindung zu bringen, und
weniger um den Vergleich zwischen einer religiösen Schule und einer religiösen
Sekte. Denn im letzteren Fall gibt es eher Uneinigkeiten.
Die Schia ist vielmehr eine imāmitische Religion des Islam, wohingegen die
Muʿtazila eine sunnitisch-theologische Schule darstellt. Wir können gleicherma-
ßen Gemeinsamkeiten zwischen schiitischer und aschʿaritischer Theologie fest-
stellen.
Die Gründe, die die Schia in die Nähe der Muʿtazila führten, waren an erster
Stelle weniger theologischer Natur als politischer. Beide Gruppen waren gegen
die Umayyaden und ihre religiösen Ideologien. Ferner herrschte bis zur Mitte des
9. Jahrhunderts keine ausgereifte schiitische Theologie. Aus den Anfangszeiten ist
uns bekannt, dass nur wenige schiitische Theologen sowie einige asch‘aritische
religiöse Akteure sich aus der muʿtazilitischen Denkschule bzw. auch aus anderen
theologischen Denkrichtungen heraus entwickelten.
Hierzu können z. B. einige der bekanntesten früheren schiitischen Theolo-
gen wie Abū Ǧʿafar Muḥammad, bin ʿAlī bin Nuʿmān Kūfī, Hishām bin Ḥakam,
Maitham Tammār, Abū ʿIsā Warrāq und Ibn Rāwandī genannt werden, die zuerst
entweder Muʿtaziliten oder Anhänger anderer theologischen Richtungen waren
und später zur Schia wechselten.
Nuʿmān Kūfī war z. B. Zeitgenosse von Abū Ḥanīfa und Anhänger Ǧʿafar
aṣ-Ṣādiqs, des sechsten Imams der Schia. Hishām bin Ḥakam war ebenso Zeit-
genosse der sechsten und siebten Imame der Schia und gehörte zunächst der
Murǧiʾa an.

1 Madelung, Wilferd; Schmidtke, Sabine. „Rational Theology in Interfaith Communication. Abū


l-Husayn al-Basri’s Mu’tazili Theology among the Karaites in the Fatimid Age.“ In Jerusalem Stu-
dies in Religion and Culture 5. Leiden: Brill, 2006.

https://doi.org/10.1515/9783110588576-015
284 Reza Hajatpour

Daher ist die Annahme, dass die schiitische Theologie muʿtazilitisch wäre,
recht fragwürdig. Die Schiiten haben gewiss von der muʿtazilitischen Theologie
profitiert, mehr als von jeder anderen Schule. Sie gingen jedoch ihren eigenen
Weg. Hāshim Maʿrūf al-Ḥasanī betont diesen Eigencharakter in seinem Werk „aš-
Šīʿa bain al-ašāira wa al-muʿtazila“. Wie er in der Einleitung seines Buches her-
vorhebt, lehnt er die Behauptung, die Schia wäre ein Nachahmer der Muʿtazila,
grundsätzlich ab.2
Der Eigencharakter der schiitischen Theologie ist in Auseinandersetzung mit
der Muʿtazila und den Aschʿariten sowie anderen theologischen Schulen ent-
standen. In Bezug auf die Muʿtazila können wir darauf hinweisen, dass bereits
zu Beginn des Aufstieges der Muʿtazila zwischen den Anhängern der Schia und
denen der Muʿtazila durchaus Streitgespräche stattfanden. Ein zentrales und
beliebtes Thema der Streitgespräche war das „Imamāt“. Darauf wird im weiteren
Verlauf eingegangen.
Dennoch können wir die Tatsache nicht ignorieren, dass die schiitische Theo-
logie, obwohl sie im Laufe der Zeit einen eigenen Charakter entwickelte, ihrem
methodischen und inhaltlichen Ansatz nach näher zur Muʿtazila steht.
In diesem Beitrag sollen daher einige wenige, jedoch besondere Aspekte her-
vorgehoben werden, die das theologische Verhältnis – gemeint sind hier Nähe
und Distanz – zwischen der Schia und Muʿtazila verdeutlichen. Gleichermaßen
sollen auch die jeweils einhergehenden thematischen Gemeinsamkeiten und
Unterschiede in den Blick genommen werden.
Zu diesem Zweck wird nun auf die Gedanken eines der bedeutendsten schi-
itischen Theologen eingegangen, der bei der Entwicklung einer systematischen
Theologie in der Schia besondere Impulse gab und als Vorbild für die späteren
schiitischen Theologen diente. Gemeint ist hier Scheich Mufīd. Dabei werden
an geeigneter Stelle auch einige Gedanken seines Schülers Sayyid Murtaḍā
Alamulhudā thematisiert, da beide Gelehrte als Verbreiter muʿtazilitischer Glau-
bensvorstellungen innerhalb der Imāmiya angesehen werden.3
Ein allgemeiner Aspekt, wodurch die Nähe zwischen der Schia und Muʿtazila
in Verbindung gebracht wird, ist die rationalistische Methode. Der Schlüssel dazu
ist die Ratio (ʿaql) als methodische Zugangsweise zur Erläuterung und Entschlüs-
selung der religiösen Grundlagen.

2 al-Ḥasanī, Hāshim Maʿrūf. Šīʿa dar barābari Muʿtazila wa Ašāira. Übertragen ins Arabische von
Sayyid Muḥammad Ṣādiq ʿĀrif. Mashhad, 2009
3 Sander, Paul. Zwischen Charisma und Ratio. Entwicklungen in der früheren imamitischen Theo-
logie. Berlin: Klaus Schwarz Verlag, 1994, 81.
Muʿtazila und die Zwölfer-Schia 285

Scheich Mufīd bestreitet, dass die Ratio dafür ausreichen würde. Er zieht die
Offenbarung bzw. Überlieferung der Ratio vor, denn für die Enthüllung religiöser
Botschaften sei die Ratio abhängig von der Offenbarung bzw. der Überlieferung.
Ohne sie sei die Vernunft nicht in der Lage, religiöse Erkenntnisse zu gewinnen.
Als Beispiel nennt er den „Willen“ (irād), der im Koran als ein Attribut Gottes
gesehen wird. Seiner Meinung nach gibt es kein logisches bzw. rationales Argu-
ment für dieses Attribut. Der Glaube an den göttlichen Willen kann Mufīd zufolge
daher nur der Offenbarung entnommen werden.4
Wie er dies genau begründet, kann an dieser Stelle zwar nicht in aller Aus-
führlichkeit dargestellt werden, es ist aber eine Tatsache, dass der Wille im Koran
als eine Eigenschaft Gottes betrachtet wird. Für Mufīd und einige seiner Anhänger
gibt es keinen rationalen Grund, dass der Wille erschaffen wurde (hādith) bzw.
allegorisch (maǧāzī) sei oder zur Essenz Gottes (zāt) gehöre, d. h. ewig währt.
Es stellt sich als besonders Schwierig heraus, das Konzept des göttlichen
Willens bezüglich der Erschaffung und der menschlichen Handlungen logisch
zu beantworten. Für Mufīd ist der Wille wie das Sehen und Reden, keine ewige
Eigenschaft Gottes.
Mufīds Schüler Sayyid Murtaḍā Alamulhudā ist gleichwohl der Meinung,
dass der Wille kein Attribut der Essenz sei, sondern akzidentiell und somit ohne
Platz sei. Jedoch wird bei Murtaḍā Alamulhudā nicht klar, ob er dies aus einem
rationalen Argument beurteilt oder einfach seinem Lehrer Mufīd folgt. Andere
Ausführungen zeigen jedoch, dass Sayyid Murtaḍā Alamulhudā mit seinen
Ansichten näher zur Muʿtazila stand als sein Lehrer.
Murtaḍā Alamulhudā meint, dass die Offenbarung bzw. die Überlieferun-
gen eine an die Vernunft gerichtete Gnade Gottes sind. Gott habe die Propheten
geschickt, um die Urteile der Vernunft zu bestätigen.5
Die widersprüchliche Folge der Meinungen dieser beiden Gelehrten spiegelt
sich in ihrer Sicht über die menschliche Verpflichtung wieder.
Mufīd hält die Verpflichtung der Menschen (taklīf) nicht für rational. Sie geht
mit der Sendung der Propheten einher. Ohne einen Propheten gäbe es keine Ver-
pflichtung: Aus diesem Grund geht er von der Annahme aus, dass die Vernunft
ohne Offenbarung nicht vollkommen sein kann, weil die Vernunft sich selbst
nicht genügt.6 Somit ist der Mensch nur vor Gott verantwortlich und ist verpflich-
tet, Gottes Gesetz zu folgen.

4 Ibrāhīmī Dīnānī, Gholam Husein. Māǧarā-i fikrī falsafī dar ǧahān-i Islām. Teheran, 2000, 24,
38.
5 ebd., 67.
6 ebd., 38.
286 Reza Hajatpour

Damit wird auch das Prinzip der Unabhängigkeit der Vernunft von der Offen-
barung, die unter vielen Mu’taziliten verbreitet ist, angezweifelt.
Anders als Scheich Mufīd favorisiert sein Schüler Sayyid Murtaḍā
Alamulhudā, gleichermaßen wie Qāḍī Abdulǧabbār, die Vernunft in Fragen der
Erkenntnis Gottes oder der Verpflichtung für den Menschen. Es ist die Vernunft,
die den Menschen auf seine Pflicht aufmerksam macht und dazu veranlasst, Gott
als Gesetzgeber anzuerkennen.
Diese Notwendigkeit erkennt die Vernunft ohne Anweisungen der Offen-
barung. Murtaḍā Alamulhudā führt dies auf die Angst vor den Konsequenzen
zurück, denn die Vernunft warnt die Menschen vor eventuellen Folgen bei der
Pflichtverweigerung. Die Vernunft will folglich das Übel und das Böse vermeiden.7
Jedoch ist sein Vernunftbegriff von göttlicher Inspiration abhängig. Die
menschliche Seele (nafs nāṭiq) ist sich ihrer Pflicht bewusst. Dadurch definiert
sich auch der Mensch über sein Menschsein. Auf diesen Faktor geht auch, wie
Ibrāhīmī Dīnānī meint, seine Vorstellung von der Seele ein, die für Murtaḍā
Alamulhudā die Summe der Glieder der Menschen sei. Denn eben jene Pflicht-
erfüllung erfolge durch die Glieder.8
Ein weiterer Aspekt, der die Nähe und Distanz der Schia zu Muʿtazila demons-
triert, ist die Frage der Attribute Gottes. Mufīd ist wie die Mu’taziliten der Meinung,
dass die Handlungseigenschaften nicht ewig währen. Damit stellt sich die Frage
nach der Rede Gottes, nämlich dem Koran.
Mufīd erachtet den Koran als nicht für die Ewigkeit bestimmte Rede Gottes
sondern als zeitlich begrenzt erschaffen. Denn das Wort und die Schrift sind nicht
ewig. Dennoch ist Mufīd sich darüber bewusst, dass die -Position der Imāmiya
einer Erschaffung des Korans nicht zustimmen würde.9
Ähnlich wie die Muʿtaziliten bezeichnet er die körperlichen Bezeichnungen
für Gott wie Hand oder Thron Gottes als allegorisch, wobei Mufīd davon ausgeht,
dass es dennoch einen Thron gäbe, den Gott als Zeichen seiner Herrschaft erschaf-
fen habe
Hinsichtlich der Vollständigkeit und Mangelhaftigkeit ist Mufīd der Meinung,
dass der aktuelle Koran mit dem wirklichen Koran nicht identisch bzw. sogar ver-
fälscht sei. Das heißt aber nicht, dass der Koran nicht Gottes Wort sei. Das, was im
Koran steht, auch wenn er nicht vollständig aufzeigt, was Gott an den Propheten
offenbart wurde, ist Gottes Wort.10

7 ebd., 45 ff.
8 ebd., 52.
9 Sander, 91–92.
10 ebd., 92–93.
Muʿtazila und die Zwölfer-Schia 287

Als ein weiterer Aspekt sei nun die Taqiyya zu nennen. Mufīd ist wie alle
imāmitische Gelehrten der Meinung, dass Taqiyya eine religiöse Pflicht sei. Denn
manchmal seien das Verschweigen der Wahrheit und das Verbergen der Glau-
bensüberzeugung notwendig. Jedoch dürfe dies nicht zur Tötung eines Gläubigen
führen.11
Der Mu’tazilit Qāḍī Abdulǧabbār lehnt dagegen das Konzept Taqiyya ab, da
der Gläubige die Pflicht habe, anderen den rechten Weg zu zeigen und sie von
verwerflichen Taten abzuhalten. Er nimmt jedoch die Frauen, Kinder und Geistes-
kranken von dieser Pflicht aus.12
Ein letzter Aspekt, der hier noch erwähnt werden sollte, ist die Idee des
Imams. Mufīd zufolge sind die zwölf Imame heilig und der letzte ist entrückt.
Sie sind sündenlos, zumindest zu Beginn ihres Amtes, und gefeit vor der großen
Sünde. Sie sind vollkommen, aber nicht in allen Bereichen, sondern nur dort, wo
sie als Imame fungieren.13
Die Mu’taziliten, vor allem ist hier Qāḍī Abdulǧabbār zu nennen, erachten die
Imame als nicht frei von Sünde, auch wenn der Imam als der beste Mann seiner
Zeit angesehen würde. Dennoch sei er keine heilige, charismatische Person,
sondern der politische und juristische Statthalter der Gemeinde.14
Die Lehre vom heilswichtigen Imam bleibt ein unüberwindbarer Gegensatz
zwischen Muʿtazila und Schia, wie Tilman Nagel feststellt. Darüber hinaus seien
generell Chiliasmus des Schiitentums der Muʿtazila weitgehend fremd.15
Es herrscht kein Zweifel, dass Mufīd sich in seiner Theologie rationalistischer
Methoden bedient. Man stellt jedoch auch Widersprüche und Aporien in seinen
Positionen fest. Die Biographie Scheich Mufīds zeigt, dass er unter dem Einfluss
verschiedener Gedankenrichtungen stand.
Zum einen war er der Schüler von Ibn Bābūya, dem berühmten imāmitischen
Traditionsgelehrten. Dessen Werk „Iʿtiqādāt Ṣadūq“ zur schiitischen Glaubens-
lehren ist das erste Werk, in dem Ibn Bābūya den Versuch unternahm, seiner tra-
ditionellen Methode auch rationale Argumente beizumischen.
Zum anderen lebte er in der Blütezeit der muʿtazilitischen Theologie in
Bagdad und pflegte Kontakte zu den dortigen Mu’taziliten

11 ebd., 88–90.
12 ebd., 59.
13 ebd. 85 ff.
14 ebd., 58.
15 Nagel, Thomas. Geschichte der islamischen Theologie. Von Mohammed bis zur Gegenwart.
München: C.H. Beck, 1994., 121–122.
288 Reza Hajatpour

Es wird berichtet, dass er in vielen seiner Positionen den Meinungen Abūlqāim


Balkhīs, dem geistigen Führer der muʿtazilitischen Theologie in Bagdad, folgte.16
Madelung stellt in seinen Untersuchungen fest, dass Mufīd sich in einigen
theologischen Fragen von den herrschenden Positionen der Muʿtaziliten in
Bagdad distanzierte und stattdessen eine eigene Glaubenslehre der Imāmiya ver-
breitete.17
Diese Glaubenslehre betrifft vor allem die kontroversen Fragen danach,
welche Folge Sünde durch Muslime hat, sowie Fragen nach der Rückkehr der
Toten auf die Erde, der Idee der Willensfreit des Menschen, der Schaffung des
Korans und der Taqiya sowie vor allem der Imāmatslehre.
Der theologische Zwiespalt, der sich bei Mufīd herauskristallisiert, speist sich
aus der Notwendigkeit des Heils durch die Offenbarung und die damit verbun-
dene Enthüllungslehre durch einen charismatischen Imam.
Es ist an dieser Stelle festzuhalten, dass die frühere Phase der systematischen
Lehre des imāmitische Glaubensdogmas, die mit Mufīd begonnen hat, keineswegs
frei von theologischen Widersprüche sein konnte, denn es herrschte bis zu Zeiten
Mufīds vorwiegend eine traditionelle Imāmiya-Lehre, die von Kulainy und Ibn
Bābūya (bekannt als Scheich Ṣadūq) geprägt war. Zudem waren die Muʿtaziliten
in Barsa und die Bagdader Schulen ebenfalls gespalten.
Somit konnte Mufīd angesichts der politischen und religiösen Lage keine
eigene imāmitische Position riskieren. Dieser Zwiespalt geht bereits aus einigen
Werken Mufīd s hervor, wie Paul Sander in seiner eingehenden Untersuchung
aufzeigt. In seinem Werk „Awāʾil al-maqālāt“ (Grundlegende Lehrsätze) beab-
sichtigt Mufīd u. a., die imāmitische Lehre von den Mu’taziliten und von anderen
Schulmeinungen abzugrenzen, während er in seinem Werk „Taṣḥīḥ al-iʿtiqād“ die
Verbesserung der Lehren seines Meister Ibn Bābūya anstrebt, der eine in der Tra-
dition verhaftete Theologie betrieb.18

Literatur
al-Ḥasanī, Hāshim Maʿrūf. Šīʿa dar barābari Muʿtazila wa Ašāira. Übertragen ins Arabische von
Sayyid Muḥammad Ṣādiq ʿĀrif. Mashhad, 2009.
Ḥalabī, ʿAlī Aṣghar. Tāriḫ-i Kalām dar Irān wa ǧahān-i Islām. Teheran 1994.

16 Ḥalabī, ʿAlī Aṣghar. Tāriḫ-i Kalām dar Irān wa ǧahān-i Islām. Teheran 1994, 252.
17 Madelung, Wilfred. „Imamism and Mutazilite Theology.“ In Le Shi`isme Imamite, Colloque de
Strasbourg. Paris, 1970, 22 ff.
18 Sander, 83.
Muʿtazila und die Zwölfer-Schia 289

Ibrāhīmī Dīnānī, Gholam Husein. Māǧarā-i fikrī falsafī dar ǧahān-i Islām. Teheran, 2000.
Madelung, Wilfred. „Imamism and Mutazilite Theology.“ In Le Shi`isme Imamite, Colloque de
Strasbourg. Paris, 1970.
Madelung, Wilferd; Schmidtke, Sabine. „Rational Theology in Interfaith Communication.
Abū l-Husayn al-Basri’s Mu’tazili Theology among the Karaites in the Fatimid Age.“
In Jerusalem Studies in Religion and Culture 5. Leiden: Brill, 2006.
Nagel, Thomas. Geschichte der islamischen Theologie. Von Mohammed bis zur Gegenwart.
München: C.H. Beck, 1994.
Sander, Paul. Zwischen Charisma und Ratio. Entwicklungen in der früheren imamitischen
Theologie. Berlin: Klaus Schwarz Verlag, 1994.
III Maturiditisches und Ašʿaritisches Denken
Hureyre Kam
Die duale Epistemologie al-Māturīdīs
Thema der Erkenntnistheorie ist Wahrheit. Die grundsätzlichen Fragen lauten:
Welches sind die Quellen, über die ich Wissen erlangen kann und welches sind
die Kriterien, wodurch ich wahres Wissen von bloßen Meinungen unterscheiden
kann? Sprich: Wie ist Gewissheit möglich? Gibt es eine Wahrheit außerhalb des
Menschen, oder braucht es immer das Urteil der menschlichen Vernunft, bzw.
des Verstandes, um etwas als „wahr“ oder „unwahr“ zu bestimmen? Die Erkennt-
nisfrage ist ein grundlegendes Problem der Philosophie, die bereits von Platon
aufgeworfen wurde und das bis zur heutigen Zeit immer wieder zur Diskussion
steht.1 Es möge an dieser Stelle genügen auf die Namen Descartes2, Hume3, Kant4
und Wittgenstein5 hinzuweisen, die mit ihrem Denken die Eckpunkte markierten,
die für die modernen epistemologischen Entwürfe maßgeblich sind.
Die Bedeutung der Erkenntnislehre al-Māturīdīs für die moderne islamische
Theologie ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass al-Māturīdī in der isla-
mischen Gelehrsamkeit der Erste war, der der Erkenntnislehre ein eigenständiges
Kapitel widmete und es als Einleitung seinen theologischen Abhandlungen vor-
ausschickte.6 So bemerkt Özcan, dass es zwar auch schon vor al-Māturīdī Theo-
rien über das Wissen und die Erkenntnismöglichkeiten in der islamischen Welt
gegeben hätte. Die Methode aber, der Erkenntnislehre ein eigenständiges Kapitel
zu widmen und dieses als Einleitungskapitel zu bestimmen, wodurch gewisser-
maßen das theologische Programm vorgezeichnet wird, sei eine Methode, die
zuerst al-Māturīdī angewandt habe, welche sich aber schon sehr bald als Stan-
dard etabliert habe.7

Anmerkung: Dieser Artikel geht auf meine bisher unveröffentlichte Doktorarbeit zu al-Māturīdīs
Theodizee zurück und stellt eine Zusammenfassung des ersten Kapitels zur Epistemologie
al-Māturīdīs dar.

1 Für eine Übersicht über die historische Entwicklung der Erkenntnislehre siehe: Gottfried Gab-
riel, Grundprobleme der Erkenntnistheorie, Paderborn 2008.
2 René Descartes, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, Essen, 2003
3 David Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, Hamburg, 121993.
4 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Hamburg, 2014.
5 Ludwig Wittgenstein, Über Gewißheit, Frankfurt am Main, 1984.
6 Sönmez Kutlu. „Bilinen ve Bilinmeyen Yönleriyle Imam Mâturîdî.“ In Imam Mâturîdî ve
Maturidilik, 22 ff, Ankara, 2003, 22 ff.
7 Özcan, Hanifi. Bilgi Problemi, 29 ff. Özcan stützt sich dabei hauptsächlich auf J. Schacht, The
History of Muhammadan Theology, in: Studia Islamica, I (1953), 41.

https://doi.org/10.1515/9783110588576-016
294 Hureyre Kam

Abū Manṣur Muḥammad b. Muḥammad al-Māturīdī (333/944) rückte wieder


ins Blickfeld der islamisch-theologischen und historischen Forschung, nachdem
sein maßgebliches theologisches Werk, das Kitāb at-Tawḥīd, von Fethollah Kholeif
im Jahre 1970 ediert wurde. Obschon insbesondere die ḥanafitischen Sunniten
sich als Māturīditen verstehen, galten seine Werke lange Zeit als verschollen und
die Kenntnis über seine Lehren blieb bruchstückhaft.8 Seit der Edition von Kholeif
ist das Interesse am Denken al-Māturīdis wieder erwacht und es folgten zahlrei-
che Bücher und Artikel, die sich mit ihm beschäftigen. Im deutschen Sprachraum
sind bis dato insbesondere die Monographien von Ulrich Rudolph9 und Ange-
lika Brodersen10 hervorzuheben. Wir sind heute zudem in der glücklichen Lage
bereits eine zweite Edition des K. at-Tawḥīd einsehen und somit zwei Lesarten
miteinander vergleichen zu können. Es handelt sich dabei um die Edition von
Bekir Topaloğlu und Muhammed Aruçı.11
Die Beschäftigung mit den Lehren von al-Māturīdī ist aber nicht nur des-
wegen lohnend, weil es hier noch einiges zu entdecken gibt. Insbesondere sein
rationalistischer Ansatz, womit er eine Mittelposition zwischen der Muʿtazila und
Asʿarīya einnimmt12, verspricht in unseren Kontexten neue Diskurse zu eröffnen.
Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem „wie“ dieser Beobachtung. Nicht so sehr
mit der Frage inwiefern al-Māturīdis Theologie heute fruchtbar weitergedacht
werden könnte. Bevor die Untersuchungen angegangen werden können, muss
zunächst die Frage erörtert werden, wie die Mittelposition al-Māturīdīs systema-
tisch begründet ist. Dies jedoch erfordert ein genaues Verständnis seiner Epis-
temologie. Was bedeutet es zu sagen, dass al-Māturīdī einen „rationalistischen
Ansatz“ vertritt? Ist er ein Rationalist im Sinne eines Descartes? Oder ist er gar
ein Positivist?
Diese Frage wird von Özcan Hanifi, der bis dato als einziger eine Monographie
zur Erkenntnislehre al-Māturīdīs verfasst hat13, dahingehend beantwortet, dass
er ihn als einen „gemäßigten Realisten“ bezeichnet und Parallelen zu Thomas
von Aquin und Kant aufzeigt.14 Obschon der Brückenschlag zu Thomas und Kant

8 Näheres dazu: W. Montgomery Watt, The Problem of al-Māturīdī, in: Mélanges d’Islamologie,
Leiden (1974), 264–269.
9 Ulrich Rudolph, al-Māturīdī und die sunnitische Theologie in Samarkand, Leiden, 1997.
10 Angelika Brodersen, Der unbekannte kalām. Theologische Positionen der frühen Māturīdīya
am Beispiel der Attributenlehre, Berlin, 2014.
11 al-Māturīdī, Kitāb at-Tawḥīd, hg. v. Bekir Topaloğlu u. Muhammed Aruçı, Istanbul/Beirut,
2007.
12 Özcan, Mâtüridî’de Bilgi Problemi, 31 ff.
13 Ebd.
14 Özcan, Bilgi Problemi, 68 ff.
Die duale Epistemologie al-Māturīdīs 295

einer genaueren Prüfung bedarf, was ich hier nicht leisten kann, scheint mir die
Bezeichnung „gemäßigter Realist“ gut getroffen. Jedoch bin ich mit seiner Auf-
schlüsselung des erkenntnistheoretischen Systems des al-Māturīdī nicht ganz
einverstanden. Özcan folgt im Großen und Ganzen der Lesart des Kholeif, die
später besprochen werden wird. In dieser Arbeit wird daher eine neue Lesart
der māturīdischen Erkenntnislehre angeboten werden, wonach al-Māturīdī eine
duale Epistemologie entwirft. Das bedeutet, dass die Erkenntnislehre in zwei
große Bereiche aufgeteilt wird: Die Religionsepistemologie und die allgemeine
Epistemologie. Der Unterschied zwischen beiden Bereichen liegt in den Erkennt-
nisquellen, die den jeweiligen Epistemologien zugeschrieben werden, was ich in
diesem Artikel darstellen möchte.
Zu diesem Zweck werde ich die erkenntnistheoretischen Abschnitte des K.
at-Tawḥīd noch einmal mit Fokus auf systematische Stringenz lesen. Dazu wird
zunächst eine allgemeine Übersicht angeboten. Anschließend werden die beiden
uns vorliegenden Editionen vergleichend gelesen und analysiert werden. Ein wei-
terer zentraler Text, den wir in diesem Zusammenhang besprechen werden ist ein
Artikel Ulrich Rudolphs, bezüglich der Erkenntnislehre al-Māturīdis, in welchem
er ebenfalls eine Alternativlesart anbietet.15 Meine Lesart, die ich zum Schluss
präsentieren werde, verstehe ich nicht als eine Überwindung der anderen Les-
arten, sondern als eine Weiterentwicklung. Meine Absicht ist weniger ein gänz-
lich neues System zu entwerfen, als vielmehr Nuancen heraus zu arbeiten, die
eine neue Perspektive auf die Theologie und das Denken al-Māturīdis eröffnen
können.

Der Theologe al-Māturīdī


Zunächst sei erwähnt, dass al-Māturīdī in erster Linie ein Apologet ist. Das bedeu-
tet: Er entwirft nicht eine Erkenntnistheorie aus genuin philosophischem Interesse
heraus, sondern zum Zwecke der Theologie als einer Wissenschaft. Seine – mit
acht Seiten noch sehr knappe – Erkenntnislehre ist daher im Grunde Theologie.
Oder vielleicht besser: Sie ist eine Grundlegung zu seiner Theologie, da er seine
theologischen Kernpositionen bereits hier vorwegnimmt. Die erkenntnistheoreti-
schen Überlegungen orientieren sich dabei an theologischen Positionen, werden
durch die Theologie legitimiert und liegen dem ganzen Entwurf zugrunde. Kurz:

15 Rudolph, Ulrich. „Ratio und Überlieferung in der Erkenntnislehre al-Aš’arī’s und al-
Māturīdī’s.“ In ZDMG 142 (1992), 72–79.
296 Hureyre Kam

Die Erkenntnislehre, die uns hier vorliegt, ist ein Theologoumenon. Das Besondere
und auch Schwierige bei al-Māturīdī ist dabei der Umstand, dass er den Bereich
der Religion von seiner restlichen Erkenntnislehre sichtlich abtrennt und der Reli-
gionserkenntnis somit scheinbar eine eigene Methodologie zuschreibt. Es ist mir
ein Anliegen diesen Umstand besonders zu unterstreichen, da dies in der bishe-
rigen Forschung keine gesonderte Beachtung fand und eventuell Konsequenzen
für seine gesamte Theologie hat.
Meine Erörterungen in diesem Artikel geben mir Anlass, drei zusammenhän-
gende Beobachtungen herauszustreichen. Zum einen möchte ich auf Differenzen
in den beiden uns vorliegenden Editionen des Kitāb at-Tawḥīd hinweisen, die bei
genauer Betrachtung zwei verschiedene Lesarten eröffnen. Die zweite Beobach-
tung leitet sich aus der ersten ab. An dieser Stelle möchte ich dann ein Spezi-
fikum in der Erkenntnislehre al-Māturīdīs herausarbeiten, die in der Forschung
bisher keine gesonderte Beachtung fand. Ich meine, dass al-Māturīdī uns keine
universale Erkenntnislehre bietet, die für alle epistemischen Phänomene glei-
chermaßen gelten soll. Vielmehr kann man bei näherer Betrachtung beobachten,
dass er den Bereich der Religion vom Bereich der reinen wissenschaftlichen bzw.
theologischen Beschäftigung trennt und ihnen jeweils eine eigene Epistemologie
zuschreibt. Was diese Zweiteilung der Epistemologie praktisch zu bedeuten hat
und warum sie für al-Māturīdī überhaupt notwendig wurde, wird dann im Zuge
der Erörterungen ersichtlich werden. Die dritte Beobachtung erschließt sich eben-
falls aus dem Kontext der Erörterungen über das Charakteristikum der Erkennt-
nislehre und betrifft die Klassifizierung des Wissens. Bislang herrscht die Posi-
tion vor, man könne nicht mit Sicherheit sagen, dass al-Māturīdī eine eindeutige
Klassifizierung des Wissens einführe. Meine Beobachtungen zeigen hingegen,
dass die Klassifizierung des Wissens in „notwendiges“ und „bezweifelbares“
programmatisch seiner Erkenntnislehre zugrunde liegt. Ich will nun eine Tabelle
wiedergeben, in welcher Özcan das epistemologische Grundgerüst al-Māturīdīs
verarbeitet.16 Nach Özcan sieht al-Māturīdīs erkenntnistheoretisches Gesamtkon-
zept folgendermaßen aus:

16 Özcan, Bilgi Problemi, 102.


Die duale Epistemologie al-Māturīdīs 297

Wissen (ʿilm)

Ewiges Wissen Bedingtes Wissen


(al-ʿilm al-qadīm) (al-ʿilm al-ḥādiṯ)

Wissen der Lebewesen Menschliches Wissen


(al-ʿilm al-ḥayawānī) (al-ʿilm al-insānī)

Notwendiges Wissen Instinktives Wissen Erworbenes Wissen Notwendiges Wissen


(al-ʿilm aḍ-ḍarūrī) (al-ʿilm al-fiṭrī) (al-ʿilm al-muktasab) (al-ʿilm aḍ-ḍarūrī)

Historisches Wissen Spekulatives Wissen


(al-ʿilm at-tārīḫī) (al- ʿilm al-istidlālī)

Dieser Tabelle17 ist zu entnehmen, dass das Wissen grundlegend in zwei Bereiche
geteilt wird, in Gottes ewiges Wissen und das Wissen der Geschöpfe. Nach Özcan
liegt der Unterschied darin, dass Gottes Wissen keinen Ursprung habe. Er wisse
durch sich selbst, wohingegen die Geschöpfe immer durch Etwas und anleh-
nend an Etwas Wissen erlangen könnten. Deswegen sei Gottes Wissen absolut
(türk. mutlak), während das Wissen der Geschöpfe immer relativ (türk. izâfî) sein
müsse.18 Bezogen auf die Zeit bedeute das, Gott wisse alles im Vorhinein, während
den Geschöpfen das Zukünftige verborgen sei.
Die Menschen haben nach dieser Tabelle mit den anderen Lebewesen gemein,
dass die Sinneswahrnehmung für beide „notwendiges Wissen“ generiert. „Not-
wendiges Wissen“ ist jenes, über das es keinen Zweifel geben kann. Was damit
genau gemeint ist, wird später erörtert werden. Außerdem würde al-Māturīdī
auch bei den Tieren „notwendiges Wissen“ beobachten, welches das „instink-
tive Wissen“ (türk. Fitrî Bilgi) sei. Özcan gibt an, dass al-Māturīdīs Ausführungen
zu diesem Punkt unzufrieden stellend sind, da er das Instinktive bei den Tieren
ebenfalls undifferenziert als eine Form des Wissens auffasse und nicht als eine
Form des Empfindens.19 Er erwähnt, dass al-Māturīdī in diesen Fällen von ʿiyān
spricht. Die Kritik wird wohl dahingehend zu verstehen sein, dass er nicht explizit

17 Ebd.
18 Özcan, Bilgi Problemi, 103.
19 Özcan, Bilgi Problemi, 108–109.
298 Hureyre Kam

zwischen ḥawāss und ʿiyān bei den Tieren unterscheidet. An einer anderen Stelle
weist Özcan nämlich darauf hin, dass der Begriff ḥawāss in seinem Bedeutungs-
umfang enger sei und lediglich auf die fünf äußeren Sinne deute, während der
Begriff ʿiyān ein viel weiteres Spektrum habe. Er umfasse sowohl die fünf Sinne,
als auch die Instinkte und die „innere Schau“. Auch das Gewissen z. B., welches
zu dem sog. „sechsten Sinn“ gezählt werde, könne ebenfalls durch ʿiyān wieder-
gegeben werden.20
Die Unterscheidung des menschlichen Wissens in „erworbenes“ und „not-
wendiges“ Wissen wird entsprechend der Tabelle von Özcan in Bezug auf
al-Māturīdī festgesetzt. „Notwendig“ sei jenes Wissen, worin der Irrtum ausge-
schlossen sei und es auch keine Veränderung geben könne. Das Umgekehrte gelte
für das „erworbene Wissen“, das entweder durch die Überlieferung oder durch
rationale Spekulation (istidlāl) erworben werde. Dieses Wissen müsse stets der
kritischen Prüfung unterzogen werden.21 Obwohl ich Özcan nachvollziehbar
finde, gibt es Stimmen, die hier Vorsicht anmahnen, da al-Māturīdī die Unter-
scheidung nicht selber explizit einführt.
Dies mag im Sinne einer allgemeinen Übersicht ausreichen. Im Folgenden
werde ich mich lediglich dem „menschlichen Wissen“ zuwenden. Die anderen
Bereiche des Wissens müssen ausgeblendet bleiben, da sie für die Sache dieses
Vorhabens nicht relevant sind. Im Folgenden will ich nun die beiden Editionen
von Kholeif und Topaloğlu vergleichend vorstellen.

Die Erkenntnis der wahren Religion


Dieser Abschnitt ist in sich zweigeteilt. Zunächst versucht al-Māturīdī die Legiti-
mität der Vernunftanwendung in Fragen der Religion zu legitimieren und schickt
deshalb eine „Zurückweisung des Autoritätsglaubens22“ (ibṭāl at-taqlīd23) voraus.

20 Özcan, Bilgi Problemi, 76.


21 Özcan, Bilgi Problemi, 111.
22 D. i. die blinde Befolgung eines Glaubenssatzes, welches von einer religiösen Autorität aus-
gesprochen wurde. Man könnte den Begriff auch als „Autoritätshörigkeit“ oder „Nachahmung“
übersetzen. Vincent Wroblewsky und Sarah Dornhof bevorzugen z. B. die etwas komplizierte
Übersetzung als „nachahmender Konformismus“ al-Jabri, Kritik der arabischen Vernunft, Ber-
lin 2013, 95. Im Folgenden wird die Übersetzung Rudolphs bzw. van Ess‘ als „Autoritätsglaube“
übernommen.
23 Das Problem des taqlīd ist ein Thema, das in den Kalām-Werken stets kontrovers blieb. Al-
Māturīdī selbst kommt immer wieder auf das Problem zu sprechen und weist den taqlīd auf das
schärfste zurück, während „spätere Māturīditen (…) gegenüber dem Autoritätsglauben konzilian-
Die duale Epistemologie al-Māturīdīs 299

Wie unschwer zu erraten, gibt al-Māturīdī in diesem Abschnitt zu wissen, dass die
blinde Autoritätshörigkeit unzulässig sei. Denn, woher wolle man wissen, welches
die wahre Religion sei, wenn lediglich die Aussagen einer Autorität gegenüber
der anderen stünden? Jede Gruppe beanspruche selber im Recht zu sein und ver-
urteile die anderen mit der Befolgung einer Irrlehre. Aber genau dieser Umstand –
dass nämlich eine Gruppe das volle Recht beansprucht gegenüber einer anderen
Gruppe, die etwas Konträres behauptet und ebenfalls Recht zu haben bean-
sprucht – zeige, dass es ein unverzeihlicher Fehler sei, einer nachahmerischen
Gesinnung nachzugeben. Es müsse ein Kriterium geben, wonach man die Wahr-
heit der Aussagen der Religionsstifter (salaf)24 ermitteln könne. Wodurch erken-
nen wir sie? Die Religionsstifter kommen uns mit Argumenten, deren Beweiskraft
und Stichhaltigkeit die Vernunft (ʿaql) überzeugen müssen. Man müsse demnach
die Botschaften, die sie übermitteln, gegeneinander abwägen und kritisch prüfen.
Derjenige, der sich dann an jene Autorität mit den besten Argumenten halte,
werde auch das Rechte getroffen haben.25 Das bedeutet, dass al-Māturīdī nicht
grundsätzlich gegen den Autoritätsglauben ist, sondern nur insofern er nicht kri-
tisch reflektiert wird bzw. blind ist.
Die zwei Kriterien der Wahrheitsfindung – im Sinne der wahren Religion –
sind somit bereits ausgesprochen. Diese sind samʿ (Überlieferung) und ʿaql (Ver-
nunft).26 al-Māturīdī hatte bis hierhin zwar das grundlegende Prinzip der Wahr-
haftigkeit festgesetzt und ʿaql als die Prüfinstanz der Wahrheit etabliert, blieb

ter (waren)“ Rudolph, Ratio und Überlieferung in der Erkenntnislehre al-Ašʿarī’s und al-Māturīdī’s.
in: ZDMG, Bd. 142 (1992): 73–89. Hier: 79, FN 23. Für eine detaillierte Erörterung der taqlīd-Debatte
siehe al-Jabri, Kritik der arabischen Vernunft, Berlin, 2013, 95. Van Ess, Erkenntnislehre, 44 ff.
Diese Haltung, die auch von den frühen Muʿtaziliten vertreten wurde, erscheint auf den ersten
Blick sehr sympathisch, wurde aber von den Muʿtaziliten selber nicht eingehalten und ihre An-
erkennung wurde durch die miḥna aufoktroyiert. Für die miḥna siehe: Van Ess, Theologie und
Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert Hidschra, Berlin/New York (1997), IV: 672 ff. Siehe auch: Van
Ess. „Ibn Kullāb und die Miḥna.“ In Oriens, Bd. 18/19 (1965/1966): 92–142.
24 Al-Māturīdī spricht genau genommen von den Altvorderen, was die wortgetreue Übersetzung
von salaf ist. Gemeint sind jedoch die Religionsstifter, also die Propheten, worauf auch Topaloğlu
hinweist, vgl. Tawḥīd, 65, Anm. 9.
25 Tawḥīd (K), 3.
26 Ich werde ʿaql vorwiegend mit Vernunft übersetzen, da dies dem m­āturīditischen Denken
eher zu entsprechen scheint, als „Verstand“. Während Verstand eine technische Funktion des
Denkens betont, steht „das Vernünftige“ stets für mehr als dem bloß „Verständigen“ und betont
die geistige, oder ethische Dimension des Denkens, was besser in die Gedankenwelt unseres
Gelehrten passt. Ferner ist das „vernünftige Handeln“ der „weisen Handlung“ näher in seinem
Sinngehalt, als das „verständige Handeln“. Letzteres beschreibt das technische Verständnis des
Handelnden, mithin seine Professionalität, aber nicht seine Weisheit, welches zusätzlich eine
tiefe Einsicht in die menschlichen Zusammenhänge seiner Handlungen erfordern würde.
300 Hureyre Kam

aber in seinen Ausführungen noch wage. Dies bringt er dann im zweiten Abschnitt
explizit zum Ausdruck. Die religiösen Autoritäten überliefern uns Glaubenssätze
(durch samʿ) und es ist dann an den Menschen die Wahrheit dieser Glaubenssätze
kritisch zu überprüfen (durch ʿaql), so dass am Ende die wahre Religion obsiegen
muss. An dieser Stelle sei festgehalten, dass jeglicher Wahrheitsrelativismus für
al-Māturīdī fremd ist. Es könne nur eine Wahrheit und deshalb nur eine Religion
geben, die auch alle Menschen annehmen müssen, sofern sie nicht stur seien und
das stärkere Argument auch gelten ließen. Ja, viel mehr noch: Jeder Mensch sei
dazu verpflichtet, seine Religion kritisch zu erforschen und am Ende diesen einen
Propheten anzuerkennen, dessen Wahrhaftigkeit aufgrund seiner apodiktischen
Beweise (burhān) nicht zu leugnen sei. Weil die Wahrheit für ihn spreche (wörtl.
šahādat al-ḥaqq lahū), sei seine Religion auch umfassend und jeder Mensch sei
aufgefordert, ihm zu folgen.27
Wenn man nun den Ausführungen al-Māturīdīs über den Kosmos und den
Sinn des Lebens eine größere Beachtung schenkt, so kann man sehen, dass die
zentralen Punkte in seiner Gottesvorstellung bereits ausgesprochen sind. Das
Konzept der Weisheit steht dabei im Vordergrund und muss den konzentrischen
Kern von al-Māturīdīs Gottesvorstellung ausmachen, wie aus seinen Bemerkun-
gen zum Urprinzip ersichtlich ist. Daraus folgt, dass Lebendigkeit und Macht für
ihn noch keinen Gott ergeben können, wodurch er sich stark von al-Ašʿarī unter-
scheidet.28 Die Gerechtigkeit hingegen wird auch für al-Māturīdī wichtig sein,
muss aber aus dem Prinzip der Weisheit heraus erklärt werden können. Hierdurch
unterscheidet er sich auch von der Muʿtazila, für die das Konzept der Gerechtig-
keit im Zentrum ihrer Gottesvorstellung stand.29

Die Erkenntnis der Wirklichkeit der Dinge


Bis zu diesem Punkt gab es keinen Unterschied in den Editionen, wie wohl auch
der Text leicht nachzuvollziehen war. Es folgt nun jene Stelle, wo die beiden Edi-
tionen differieren. Der Text nimmt jetzt eine Wende, was den Leser zunächst ver-
wundert und ihm das Verständnis der māturīdischen Erkenntnislehre erschwert.
So ist jetzt plötzlich nicht mehr von zwei, sondern von drei Quellen des Wissens
die Rede, ohne dass ein merklicher Zusammenhang von al-Māturīdī aufgezeigt

27 Tawḥīd (K), 3.
28 al-Aš᾽arī, al-Lumaʿ, o.O.,1955, 17 ff.; al-Aš᾽arī, al-Ibāna, Kairo, 1977, 144 ff.; M. Ghaly, Islam and
Disability, London/New York 2010, 24 ff.
29 ʿAbd al-Ǧabbār, al-Uṣūl al-ḫamsa, Kuwait, 1998, 69–70.
Die duale Epistemologie al-Māturīdīs 301

worden wäre. Der Gedanke ist naheliegend, dass die einleitende Passage der
Legitimierung diente, religiöse Fragen durch die Mittel der Reflexion zu erörtern.
Denn die Zweiteilung der Erkenntnisquellen wird nur auf die Religion bezogen,
wohingegen die Quellen des Wissens drei sind. Das ist aber auf den ersten Blick
nicht ersichtlich, sondern wird erst im Rückblick nach und nach deutlich, da der
Unterschied an dieser Stelle von al-Māturīdī nicht explizit angesprochen wird.
Vor diesem Hintergrund ist es dann auch nur verständlich, dass wir zwei diver-
gierende Lesungen der Editoren vorliegen haben. Während Kholeif nahtlos den
nächsten Absatz anhängt, führt Topaloğlu eine Zäsur im Text ein. Nach Topaloğlu
liest sich die bisherige Erörterung als ein Prolog. Denn jetzt kommt nach seiner
Lesung die eigentliche Einleitung (muqaddima), welche er auch rigoros als solche
angibt. Im Folgenden werde ich zuerst die beiden Gliederungen nacheinander
wiedergeben.

Die Kholeif-Edition
Die Gliederung des Textteils, der sich mit Erkenntnislehre befasst, einschließlich
der bisher besprochenen Abschnitte, sieht in der Kholeif-Edition folgendermaßen
aus:

[i]30 Basmala-Formel, 3.
[ii] Die Zurückweisung des blinden Autoritätsglaubens und die Notwendig-
keit die Religion anhand von Beweisen zu erkennen, 3–4.
[iii] Die Überlieferung und die Vernunft sind die zwei Quellen, die zur Erkennt-
nis der Religion führen, 4–7.
[iv] Die Wege, die zum Wissen führen, sind [drei:] Die Sinne, die Überlieferung
und die Spekulation,31 7–11.

Die nach Punkt [iv] folgende Überschrift, die Kholeif einführt, gehört nicht mehr
in den Zusammenhang der Erkenntnislehre. Sie gehört eindeutig in den Bereich
der Theologie, was auch aus dem Titel ersichtlich ist: „Der Beweis, dass die Dinge
erschaffen sind.“32 Kholeif will dem Text anscheinend nicht allzu viel Eigenes bei-
mengen, weshalb er den einleitenden erkenntnistheoretischen Teil nicht beson-

30 Die Nummerierung in Klammern wurde der Übersicht halber vom Verfasser eingefügt.
31 „as-subul al-muwaṣṣala ilā l-ʿilm hiya l-ʿiyān wa-l-aḫbār wa-n-naẓar“
32 “ad-dalīl ʿalā ḥadaṯ al-aʿyān”, Tawḥīd, 11.
302 Hureyre Kam

ders kennzeichnet, um ihn somit vom theologischen Teil des Textes merklich zu
sondieren. Kholeif sieht in der Erkenntnislehre des al-Māturīdī keine Zweiteilung.
Er ist der Ansicht, dass al-Māturīdī alle drei Erkenntnisquellen für alle epistemi-
schen Probleme anwendet. Er beobachtet dabei jedoch eine wichtige Nuance. Im
Vorwort zu seiner Edition behauptet er, dass für al-Māturīdī jedes Erkenntnismit-
tel seinen eigenen Erkenntnisbereich hat und dass jede Erkenntnis einem dieser
Mittel spezifisch zuzuschreiben sind. D.h., dass keines der Erkenntnismittel an
die Stelle des anderen treten und seine Aufgabe übernehmen kann.33 Diese Fest-
stellung Kholeifs kann jedoch nicht bedeuten, dass die Erkenntnismittel auf ihre
eigenen spezifischen Erkenntnisbereiche beschränkt sind. Sondern vielmehr,
dass sie sich gegenseitig Informationen zuspielen, die dem anderen nicht zugäng-
lich waren. Nur müsse man stets darauf achten, dass man das richtige Erkennt-
nismittel wählt, da man ansonsten zu falschen Ergebnissen kommen könne.34
Rudolph – der in seiner Monographie über al-Māturīdīs Theologie viele
Unzulänglichkeiten in der Kholeif-Edition kritisiert35– wird die von Kholeif vor-
gegebene Gliederung des Buches ebenfalls zu vage und unübersichtlich erschie-
nen sein, weshalb er eine eigene umfassende und detaillierte Gliederung des K.
at-Tawḥīd anbietet.36 Er orientiere sich dabei „ausschließlich am inneren Fortgang
des Textes“.37 Seine Gliederung sieht folgendermaßen aus:

„(3–11) Prolegomena: Erkenntnislehre


3,6–4,4 1. Die Religion darf nicht auf Autoritätsglauben (taqlīd), sondern muß
auf Beweise gegründet sein.
4,5–6 ult. 2. Erkenntnis in der Religion gewinnt man durch die Überlieferung
(samʿ) und den Verstand (ʿaql).
7,1–11,4 3. Grundsätzlich verfügt der Mensch über drei Erkenntnismittel:
a) Sinne b) Überlieferung c) Verstand“38

Rudolph versteht den erkenntnistheoretischen Teil des Buches als ein Prolegome-
non. Dies ist damit begründet, dass er sehr knapp gehalten ist und viele Lücken
aufweist. Z. B. fehlt die ausführliche Kategorisierung des Wissens. Zu jener Zeit
wurde jedoch bereits zwischen „notwendigem“ (al-ʿilm aḍ-ḍarūrī) und „erworbe-

33 Tawḥīd (K), 29.


34 Siehe auch Özcan, Bilgi Problemi, 59 ff.
35 Rudolph, al-Māturīdī und die sunnitische Theologie in Samarkand, Leiden, 1997, 214 ff.
36 Rudolph, al-Māturīdī, 223–235.
37 Rudolph, al-Māturīdī, 223, Anm. 5.
38 An dieser Stelle steht im Original das Wort naẓar.
Die duale Epistemologie al-Māturīdīs 303

nem Wissen“ (al-ʿilm al-muktasab) unterschieden.39 Ich möchte an dieser Stelle


die Beobachtungen Rudolphs zur māturīdischen Erkenntnislehre kurz wiederge-
ben, um sie dann anhand der Topaloğlu-Edition weiterzudenken. Dieser Ansatz
bietet sich an, da Rudolph die Kholeif-Lesung weiterentwickelt und ein attraktives
System herausarbeitet.

Das System der konzentrischen Kreise nach Ulrich


Rudolph
Nachdem Rudolph hervorgehoben hat, dass wir im Vergleich zu al-Ašʿarī besser
über den methodologischen Ansatz al-Māturīdīs unterrichtet sind, da wir ihn
den einleitenden Bemerkungen des K. at-Tawḥīd entnehmen können, lässt er uns
wissen, dass al-Māturīdī das Problem der Erkenntnis als „heikel“ und „vielschich-
tig“ ansehe. „Dreimal“, so Rudolph weiter, „hat er sich ihm von neuem genähert
und dabei drei Überlegungen aufeinander folgen lassen, die sich wie konzentri-
sche Kreise um die ursprüngliche Frage legen.“40 Mit diesen drei konzentrischen
Kreisen sind die drei Unterkapitel des Prolegomenons gemeint. Es scheint, dass
Rudolph hier einen pädagogischen Ansatz erkennt, wonach al-Māturīdī seinen
Leser Stück für Stück an die Komplexität des Erkenntnisproblems heranführt.
Das erste Unterkapitel, in welchem al-Māturīdī den Autoritätsglauben
zurückweist, sei das kürzeste und erinnere an manchen Stellen an die Risāla des
al-Ašʿarī. Das zweite baue direkt auf „den gerade erarbeiteten Prämissen“41 auf
und lege die Überlieferung und den Verstand als die Prinzipien fest, durch die
die Erkenntnis der wahren Religion möglich wird. „Denn diese Prinzipien seien
im menschlichen Leben vielfach bewährt und hätten ihre Verlässlichkeit und
Gültigkeit auf eine jedem einsichtige Weise bewiesen.“42 Während al-Māturīdī die
Bedeutung der Überlieferung lediglich an Beispielen aus dem „profanen Alltag“
belege, werde er sehr ausführlich, sobald es um den Verstand geht. Auch Rudolph
verzeichnet, dass man an Māturīdīs Argumenten zum Verstand (bzw. im zweiten
Unterkapitel) die „Grundpositionen seiner eigenen Theologie“ herauslesen könne
und konstatiert überleitend zum dritten Punkt, dass für al-Māturīdī nur beide

39 Rudolph, al-Māturīdī, 256.


40 Rudolph, Erkenntnislehre, 79.
41 Rudolph, Erkenntnislehre, 80.
42 Ebd.
304 Hureyre Kam

Erkenntnisquellen zusammen (Ratio und Überlieferung) das ganze Bild erhellen


und deshalb beide unabdingbar für die Gotteserkenntnis sind.
In Bezug auf den dritten „konzentrischen Kreis“, spricht Rudolph davon, dass
es nun um die Frage gehe, wie Ratio und Überlieferung gegeneinander zu gewich-
ten seien. Hier führt er die Dreiteilung der Erkenntnisquellen ein: Ratio, Sinne
und Überlieferung, wobei der Ratio nur anscheinend der Vorzug gebührt, inso-
fern es ihre Aufgabe ist, die überlieferten Berichte auf ihre Wahrheitsfähigkeit hin
zu überprüfen. Später unterstreicht Rudolph, dass Ratio und Überlieferung eher
als gleichwertig angesehen und behandelt werden. Man müsse auf die methodi-
schen Erfordernisse eines jeden Problems achten, um entscheiden zu können,
welchem Vermögen im gegebenen Falle der Vorzug zu geben sei.43

Die Zeitlichkeit der Körper etwa kann man laut Māturīdī nur durch den Verstand und
nicht durch die Überlieferung erkennen. Dagegen sind uns die Einzelheiten der göttlichen
Gebote, bzw. die Richtlinien, nach denen Gott belohnt oder straft, ausschließlich durch
die Überlieferung bekannt. Wichtig ist bei alledem, dass man – je nach dem besonderen
Problem – das richtige Erkenntnismittel wählt. Tut man dies nicht und vertauscht etwa den
Verstand gegen die Sinneswahrnehmung, so kommt man zu falschen Ergebnissen.44

Im diesem Zitat erfahren wir Näheres zum Status der Überlieferung bei al-Māturīdī.
Er beschränkt sie nicht auf die prophetische Botschaft, sondern versteht sie als
Mittel zur „Weitergabe bekannten Wissens in allen Bereichen des Lebens“45. Diese
Ausweitung des Begriffsumfanges dient ihm dazu, das Argument der propheti-
schen Überlieferung zu stärken. Denn lässt man dieses Argument für den alltäg-
lichen Bereich gelten, „so muß es umso mehr auf die Religion zutreffen, weil hier
ja die Meinungen auf den glaubwürdigsten Menschen überhaupt, den Prophe-
ten, zurückgehen“46. Auch diese Überlieferungen müssten der Prüfung unterzo-
gen werden. Aus dem Zusammenhang wird deutlich, dass mit „Überlieferung“
an dieser Stelle die Hadīṯe gemeint sind. Denn zum Zweck der Prüfung bedient er
sich jener Methoden, die in der Hadīṯwissenschaft geläufig sind. Vertrauenswür-
dig sind dabei nur solche Überlieferungen, die lückenlos (mutawātir)47 bezeugt
sind. Einer Prüfung unterzogen werden müssen jene Hadīṯe, die eine lückenhafte

43 Rudolph, Erkenntnislehre, 84–85.


44 Rudolph, Erkenntnislehre, 85, Anm. 52.
45 Rudolph, Erkenntnislehre, 83.
46 Ebd.
47 Tawātur ist die lückenlose Tradierung einer Überlieferung von einer Generation zum Nächs-
ten, und zwar in solch einem Umfang, dass die Tradenten sich nicht auf einer Lüge, d. h. auf einer
falschen Überlieferung einigen können. Vgl.: Abū Ḥāmid al-Ġazālī, al-Mustaṣfā, hg. v. Ibrāhīm
Muḥammad Ramaḍān, Beirut, o. J., 384–393.
Die duale Epistemologie al-Māturīdīs 305

Tradierung aufweisen, oder nur von einzelnen Überlieferern vermittelt wurden,


also āḥad sind.48

Bei dieser Prüfung aber tritt erneut der Verstand auf den Plan. Seine Funktionen werden
nun ebenfalls zusammengefasst, wobei die Reihe der Aufgaben, die Māturīdī ihm über-
trägt, durchaus eindrucksvoll ist: Der Verstand nämlich ist es, der im Falle zweifelhafter
Überlieferungen und trügerischer Sinneswahrnehmungen das Wahre vom Falschen schei-
det; er trennt Propheten von anmaßenden Zauberern, und er nimmt die Weisheit Gottes in
der Schöpfung wahr; er setzt uns in den Stand, andere Kreaturen zu führen, und hilft uns
auch weiter, wenn Zweifel oder Unglück in unser Leben eingetreten sind; und schließlich
steht es ihm anheim, unsere eigene, voller Spannung befindliche Natur zu lenken und uns
sogar mitzuteilen, welche Handlungen gut und welche Handlungen häßlich sind.49

Rudolph spricht in diesem Auszug von „trügerische(n) Sinneswahrnehmungen“.


Vor dem Hintergrund, dass er in einer Anmerkung kurz zuvor konstatierte, dass
es Anzeichen dafür gäbe, dass al-Māturīdī die Sinneserkenntnis als „notwendig“
ansehe, ist diese Bezeichnung verwirrend. Rudolph sprach dort davon, dass man
die Unterteilung in notwendig und erworben zwar nicht explizit ausgesprochen
findet, dennoch durchaus Analogien ausmachen könne. Interessant diesbezüg-
lich sei eine Stelle, „wo es heißt, die Sinneserkenntnis könne nicht durch Ein-
flüsterungen getrübt werden [d. h. sie ist notwendig], während die Verstandeser-
kenntnisse solchen Einflüssen unterliegen könnten [d. h. sie sind erworben].“50
Diese Stelle wird dahingehend zu deuten sein, dass Rudolph auf den Unterschied
zwischen „Erkenntnis“ und „Wahrnehmung“ aufmerksam macht.
Wie wir gesehen haben, liest Rudolph die erkenntnistheoretischen Ausfüh-
rungen al-Māturīdīs als ein einheitliches Gesamtkonzept, in dem Sinne, dass
al-Māturīdī nur einen methodischen Ansatz liefert, mit dem er alle Probleme
bespricht. Als eine Besonderheit wurde dabei lediglich herausgestellt, dass
al-Māturīdī die Gewichtung der drei Erkenntnisquellen von Fall zu Fall bestimmt.
Dies ermögliche ihm zwar Flexibilität in der Argumentation, gehe aber auf Kosten
der systematischen Stringenz, weshalb al-Ašʿarīs Ansatz „subtiler“ sei. Auf jene
Besonderheit des Textes, auf die ich hier die Aufmerksamkeit lenken will, geht
er nicht gesondert ein. Den plötzlichen Übergang von zwei auf drei Erkenntnis-
quellen versteht er im Rahmen seines Konzeptes von den „drei konzentrischen
Kreisen“. Diese Formulierung will besagen, dass al-Māturīdī methodisch derart
an das Problem herangeht, dass er einen Schritt auf den anderen folgen lässt und

48 Rudolph, Erkenntnislehre, 83.


49 Rudolph, Erkenntnislehre, 84.
50 Rudolph, Erkenntnislehre, 83, Anm. 37.
306 Hureyre Kam

jeweils auf die vorher erarbeiteten Prämissen eine noch komplexere Argumenta-
tion folgen lässt. Was demnach den dritten „Kreis“ ausmacht, ist, dass al-Māturīdī
diesmal „umfassend Rechenschaft über die Erkenntnismöglichkeiten“51 gibt, wo
er nun auch die Sinne zu den Erkenntnisquellen zählt und somit an eine bereits
etablierte Ansicht anschließt, welche auch von seinen Schülern ebenso weiter
tradiert wurden.

Die Topaloğlu-Edition
Im Folgenden möchte ich die Edition Topaloğlus besprechen, da sie eine alterna-
tive Lesart eröffnet, die leider – wie zu sehen sein wird – auch Topaloğlu selbst
nicht konsequent verfolgt wird. Die Gliederung sieht folgendermaßen aus:

[1]52 Basmala-Formel. Einleitende Eulogie, 65.


[2] Die Notwendigkeit der Erkenntnis der Religion anhand von Beweisen,
65–66.
[3] Die Überlieferung und die Vernunft (ʿaql) sind die zwei Prinzipien, mit
denen man die Religion erkennt, 66–68.
EINLEITUNG (muqaddima)
[4] Die Erkenntnisquellen (asbāb al-maʿrifa), 69.
[5] a) Die Sinne (al-ʿiyān), 70.
[6] b) Die Überlieferungen (al-aḫbār), 70–72.
[7] c) Die rationale Spekulation (an-naẓar), 72–74.
[8] Weitere [Argumente für] die Widerlegung derjenigen, die die Erkenntnis-
quellen leugnen, 74–76.

An dieser Gliederung fällt auf, dass wir hier unter Punkt [8] einen Abschnitt antref-
fen, den es bei Kholeif nicht gab. Diese Stelle fehlt bei ihm jedoch nicht gänz-
lich, sondern findet sich an einer anderen Stelle im Text, im Rahmen des Kapitels
muḥdiṯu l-ʿālami wāḥidun (Der Erschaffer der Welt ist ein einziger), worauf auch
Topaloğlu hinweist.53 Abgesehen von diesem Unterschied, sehen wir, dass er die

51 Siehe: Rudolph, Erkenntnislehre, 81.


52 Nummerierung in Klammern ebenfalls vom Verfasser. Die abweichende Aufzählungsart
wurde für eine bessere Übersichtlichkeit der verschiedenen Gliederungen gewählt.
53 Topaloğlu gibt dort an, dass der besagte Abschnitt eindeutig in den Kontext der Erkenntnis-
lehre gehöre. Dies ergebe sich aus dem Textfluss. Die falsche Positionierung der Stelle sei ver-
mutlich auf einen Fehler der Kopisten zurückzuführen, vgl. Tawḥīd, 74, Anm. 4.
Die duale Epistemologie al-Māturīdīs 307

Erkenntnislehre in zwei Abschnitte teilt. Der erste Teil vor der muqaddima, ist jener
Abschnitt, in welcher al-Māturīdī von zwei Erkenntnisquellen spricht. Nach der
muqaddima folgt dann die Dreiteilung. Topaloğlu hat dem ersten Abschnitt keine
gesonderte Überschrift beigefügt. So liest sich dieser erste Teil wie ein Prolog,
der zwar im Sinne einer Einführung einen unmittelbaren Zusammenhang zu der
muqaddima aufweist, dennoch eigenständig gelesen werden kann. Die muqad-
dima ist dann auch länger und ausführlicher als der Prolog, aber immerhin so
kurz gehalten, dass die Bezeichnung „Einleitung“ für diesen Abschnitt des Textes
angemessen erscheint. Es steht nun die Frage im Raum, warum die erkenntnisthe-
oretischen Ausführungen einschließlich des Prologs nicht insgesamt zur muqad-
dima gerechnet wurden. Anstatt dem Textfluss eine so große Zäsur beizufügen,
könnte man in diesem Fall den gesamten Abschnitt als „Erkenntnislehre“, oder
wie gehabt als „Einleitung“ betiteln, und lediglich ihre zwei unterschiedlichen
Teile gesondert mit Untertiteln markieren. Womöglich hätte sich in diesem Fall
aber die Benennung der zwei Teile als problematisch dargestellt. Denn nach dem
Inhalt des Textes müsste man den ersten Teil, in dem die Sinneswahrnehmung
nicht zu den Quellen gezählt wird, als „Religionsepistemologie“, oder „Quellen
der Erkenntnis der wahren Religion“ bezeichnen, während man den zweiten Teil
einfach als „Erkenntnislehre“, oder „Die drei Quellen des Wissenserwerbs“ beti-
teln müsste. Erfolgt dies, so gibt man jedoch bereits eine bestimmte Deutung des
Textes vor. Die Entscheidung Topaloğlus dem ersten Teil keine gesonderte Über-
schrift zu geben, ist vor diesem Hintergrund nachvollziehbar. Allerdings kann die
angesprochene Deutung auch aus der gegebenen Gliederung implizit herausge-
lesen werden, ansonsten gäbe die Zäsur innerhalb der erkenntnistheoretischen
Ausführungen keinen Sinn.
Wie genau Topaloğlu diese Stelle liest, wird vielleicht auf der Grundlage
seines Vorwortes besser zu entscheiden sein, die er seiner Edition vorschickt.
Er gibt dort u. a. einen zusammenfassenden Überblick über die Erkenntnis-
lehre al-Māturīdis. Topaloğlu ist in seinen Ausführungen bemüht das charakte-
ristische der māturīdischen Epistemologie herauszuarbeiten.54 So heißt es dort
zunächst, al-Māturīdī weise darauf hin, dass der Mensch über zwei Erkenntnis-
quellen verfüge, die zur Erkenntnis der Religion führen. Auffällig ist jedoch, dass
Topaloğlu am Ende des Absatzes plötzlich davon spricht, dass al-Māturīdī die
zwei Quellen (al-ʿaql wa-n-naql)55 als „zwei der Erkenntnisquellen des Wissens“56
überhaupt einführe. Vom expliziten Bezug auf die Religion hören wir hier nichts

54 Für die folgende Zusammenfassung vgl. Tawḥīd, 31–35.


55 Tawḥīd, 31, Z. 24–25. Topaloğlu verwendet hier „naql“ anstatt „samʿ“, das al-Māturīdī be-
nutzt.
56 Tawḥīd, 31, Z. 24–25.
308 Hureyre Kam

mehr. Demnach bietet al-Māturīdī für Topaloğlu keine zwei unterschiedlichen


Epistemologien an. Im Folgenden ist daher zu erwarten, dass auch Topaloğlu die
zwei Abschnitte als einen Gesamtentwurf versteht, ohne dass die Zweiteilung der
Erkenntnisquellen als ein bewusst eingeführtes Konzept von al-Māturīdī berück-
sichtigt wird.
Als weitere Erkenntnisquelle erfolgt jetzt die Einführung der Sinneswahrneh-
mung. Ihre negative Konnotation ist zunächst äußerst überraschend. Die Sinnes-
wahrnehmung findet nämlich Erwähnung im Rahmen der illegitimen Erkennt-
nisquellen wie der Inspiration (al-ilhām al-mawhūba), der Losziehung (ʿamaliyyat
al-qurʿa) und dem Befolgen der Tradition der Ahnen (āṯār al-aqdām), sowie der
Wahrsagerei etc. Es muss aber hervorgehoben werden, dass in diesem Zusammen-
hang von den „subjektiven Sinneswahrnehmungen“ (al-aḥāsīs aš-šaḫṣiyya) die
Rede ist. Insofern ist dieser Satz im Rahmen der Ablehnung al-Māturīdis gegen-
über dem Autoritätsglauben zu verstehen. Wir halten fest: al-Māturīdī unter-
scheidet, nach Topaloğlu, zwischen der subjektiven sinnlichen Wahrnehmung
und einer „objektivierbaren“, d. h. rational überprüfbaren Sinneswahrnehmung.
Letzteres ist eine legitime Erkenntnisquelle und wird in die Reihe der anderen
beiden Quellen eingeführt. Vor diesem Hintergrund findet auch Rudolphs Wort-
wahl Legitimierung, wenn er von „trügerischen Sinneswahrnehmungen“ spricht.
Topaloğlu führt weiter aus: Demnach bedeute das in al-Māturīdis System, dass
der Weg, mit dem wir zu den Wirklichkeiten der Dinge (ḥaqāʾiq al-āšyāʾ) gelan-
gen, auf die Dreiteilung der Erkenntnisquellen hindeutet. Das Sehen (al-ʿiyān),
d. i. die Sinneswahrnehmung (al-ḥawāss), das im Sinne der (Er)Kenntnis (maʿrifa)
als eine grundlegende Quelle (maṣdar asāsī) gelte, sei jene Quelle (al-aṣl), mit der
wir zum notwendigen Wissen (al-ʿilm bi-ḍ-ḍarūra) gelangen, was bedeute, dass
hier kein Unwissen (al-ǧahl) möglich sei. Die Wahrnehmung der Sinne könne
aber immerhin durch Krankheiten etc. getrübt werden. Dies sei immer zu berück-
sichtigen und zu prüfen. In seinen folgenden Erörterungen gibt Topaloğlu den
Status der Überlieferungen und der Vernunft als Erkenntnisquellen an, wobei er
den Akzent auf die Bedeutung der Vernunft legt, insofern sie die Prüfinstanz für
alles Wissen ist, welches durch die anderen beiden Sinne generiert wird. Auf die
Zweiteilung der Epistemologie, auf die ich hier den Fokus legen will, geht er nicht
mehr ein. Insgesamt entsteht dadurch der Eindruck, dass er Rudolphs Ansichten
teilt. Vor dem Hintergrund, dass Topaloğlu den Text immerhin gemäß der Zweitei-
lung des epistemologischen Ansatzes gegliedert hat, ist dies etwas enttäuschend.
Meine eigene Spekulation in dieser Hinsicht bleibt also noch zu prüfen.
Zu diesem Zweck werde ich den zweiten Teil der Erkenntnislehre al-Māturīdīs
eingehender untersuchen. Ich werde mich dabei auf die umfassende Erörterung
der Sinneswahrnehmung und der Vernunft, bzw. der rationalen Spekulation
beschränken. Die Überlieferung wird nicht gesondert diskutiert werden, zumal
Die duale Epistemologie al-Māturīdīs 309

das Wichtigste dazu im Zuge der bisherigen Erörterungen bereits gesagt worden
ist und ihre ausführliche Darlegung keinen Mehrwert für diese Arbeit ergeben
würde.57 Im Hintergrund steht die Frage: Ist dem Umstand des Ausbleibens der
Sinneswahrnehmung im Rahmen der „Erkenntnis der Religion“ tatsächlich keine
gesonderte Beachtung zu schenken, oder verfolgt al-Māturīdī hier vielmehr ein
epistemologisches Programm?

„Religionsepistemologie“ als epistemologisches


Programm?
Ich will zunächst eine eigene Gliederung entsprechend einer dualen Epistemolo-
gie, die ich im Folgenden darzulegen versuchen werde, vorschlagen.

Einleitung
[1.] Religionsepistemologie
[1.1] Die Notwendigkeit der Erkenntnis der Religion anhand von Beweisen,
65–66.
[1.2] Die Überlieferung und die Vernunft (ʿaql) sind die zwei Prinzipien, mit
denen man die Religion erkennt, 66–68.
[2.] Allgemeine Epistemologie
[2.1] Die Erkenntnisquellen (asbāb al-maʿrifa), 69.
[2.2] a) Die Sinne (al-ʿiyān), 70.
[2.3] b) Die Überlieferungen (al-aḫbār), 70–72.
[2.4] c) Die rationale Spekulation (an-naẓar), 72–74.
[3.] Weitere [Argumente für] die Widerlegung derjenigen, die die Erkenntnis-
quellen leugnen, 74–76.

Wir haben gesehen, dass die beiden uns vorliegenden Editionen des K. at-Tawḥīd
den Text unterschiedlich gliedern und dadurch implizit zwei verschiedene Les-
arten eröffnen. Die besagte „zweite Lesart“ wird dabei von keinem der beiden
Editoren nachweisbar angeboten, weshalb diese Vermutung zu prüfen ist.58 Die

57 Für eine ausführliche Besprechung der Überlieferung im erkenntnistheoretischen System al-


Māturīdīs. Vgl.: Dale J. Correa, The Vehicle of Tawātur in al-al-Māturīdī’s Epistemology, in: IFAV,
Nr. 261 (2012), 375–389.
58 Hier ist aber zu sagen, dass dem Topaloğlu die Kholeif-Edition vorlag und er trotzdem von
ihrer Gliederung abwich, weshalb ihm schon eine alternative Lesart zugeschrieben werden kann.
310 Hureyre Kam

unterschiedliche Gliederung der Editionen kann immerhin mit der komplexen


inhaltlichen Struktur des Textes begründet sein. Die Grenzen zwischen den ein-
zelnen Themenabschnitten und Übergängen sind bei al-Māturīdī nicht leicht zu
ziehen. So lässt Kholeif jenen Teil in der Erkenntnislehre, in der al-Māturīdī von
den Erkenntnisquellen der Religion zu den Quellen des Wissens überleitet, zwei
Absätze später beginnen als Topaloğlu.
Meine eigene Spekulation kann ich aus besagten Gründen nicht anhand der
editorischen Eingriffe in den Text stützen. Deshalb wird mein Ansatz allein auf der
textuellen Grundlage beruhen müssen, dass al-Māturīdī die Sinneswahrnehmung
nicht berücksichtigt, wenn er von den Quellen spricht, die zur Erkenntnis der
wahren Religion führen. Die Sinne werden als Erkenntnisquelle eingeführt, wenn
vordergründig nicht mehr das Problem der wahren Religion angegangen wird. Es
steht nun die Frage nach dem rechten Wissen überhaupt im Raum. Dass das reli-
giöse Wissen von al-Māturīdī hintergründig noch immer als das höchste Wissen
erachtet wird, scheint bereits aus dem ersten Satz hervor, mit dem al-Māturīdī zu
seiner erweiterten Epistemologie einleitet. Die besagte Stelle findet sich am Ende
des Abschnittes [iii] bei Kholeif, ist der erste Satz der muqaddima bei Topaloğlu
und [2.1] in meiner Gliederung:

Abū Manṣūr – Gott sei ihm gnädig – sagte: Ferner gibt es verschiedene Meinungen bezüg-
lich der Wege, mit denen man das Nützliche, das Rechte, sowie das Gute ermitteln (wörtl.
yuʿlamu) kann, [in der Weise, dass man sie von] ihren Gegensätzen [unterscheidet]. Es gibt
manche, die sagen: Gut ist, was einem im Herzen als solches erscheint, und es notwendig
sei, dass man sich daran hält. Und wieder andere sagen: Dem Menschen ist es nicht möglich
die Gründe59 zu umfassen. Er muss sich daher an dasjenige halten, was ihm eingegeben
wird. Denn es kommt von jenem, der die Welt leitet.60

al-Māturīdī entgegnet nun, dass beide Meinungen weit entfernt seien, das Rich-
tige zu treffen. Denn weder Gefühl noch Inspiration können verbindliche Instan-
zen für die Wahrheit sein. Denn in diesem Fall würde jeder der Parteien die Wahr-
heit für sich beanspruchen und sein subjektives Empfinden oder seine Inspiration
als Argument ins Feld führen. Jetzt stünde Inspiration gegen Inspiration, ohne
dass es ein Kriterium gäbe, wodurch der Außenstehende befähigt wäre ein Urteil
zu fällen. Das könne zu nichts Anderem führen, als zu Streit und Entfremdung.

Seine Gliederung brachte mich schließlich auf die Fährte der dualen Epistemologie. Er selbst hat
es jedoch nicht explizit ausgeführt.
59 Gemeint sind hier die Erkenntnisquellen. So auch die Übersetzung von Topaloğlu ins Türki-
sche, siehe: Kitâbü-t Tevhîd Tercümesi, Ankara, 2005, 9.
60 Tawḥīd (K), 6; Tawḥīd, 69.
Die duale Epistemologie al-Māturīdīs 311

Ferner seien auch Losungen und Sprüche der Wahrsager keine zulässigen Metho-
den, um Wissen und Erkenntnis (maʿrifa) zu erlangen.61
Wir sehen aus diesen Ausführungen, dass es al-Māturīdī um eine Methode
geht, Wissen zu erlangen und Wahrheit zu erkennen. Dieses Wissen, das hier
gesucht wird, ist jedoch kein technisches Wissen, sondern ein Wissen, das Men-
schen zu Gesellschaften zusammenführen kann.62 Dieses Wissen ist ein prakti-
sches, ein ethisches. Es ist das Wissen um das Nützliche, Rechte und Gute. Woher
weiß ich, was ich zu tun und zu lassen habe und was ist die Wahrheit, woran ich
mich halten kann? Mithin ist es das religiöse Wissen, das hier gesucht wird. Aber
es ist nicht nur das. Das Gute, das hier gemeint ist, ist nicht nur die beste Hand-
lungsweise, sondern auch das Gute überhaupt. Woran erkenne ich, dass etwas
gut ist? Hiernach folgt die Dreiteilung des Wissens:

Abū Manṣūr – Gott sei ihm gnädig – sagte: Die Wege, wodurch man Wissen über die Wirk-
lichkeiten der Dinge (ḥaqāʾiq al-ašyāʾ)63 erlangen kann, sind die Sinne (al-ʿiyān)64, die Über-
lieferungen (al-aḫbār) und die rationale Spekulation (an-naẓar).65

Es findet hier eine Perspektivenänderung statt, wo nicht mehr die Erkenntnis der
Religion und die Beurteilung der religiösen Inhalte im Fokus stehen, sondern die
Erkenntnis als solche zur Frage erhoben wird. Was das genau zu bedeuten hat
und wie diese Teilung zu verstehen ist, wird uns im Folgenden beschäftigen.

61 Tawḥīd (K), 6; Tawḥīd, 69.


62 Über den Stellenwert der Vernunft unter den frühislamischen Gelehrten als einer konsens-
schaffenden Instanz sagt Van Ess: “Die Vernunft wurde somit nicht abstrakt und normativ einge-
setzt, sondern wirkte zusammen mit dem gesellschaftlichen Konsens.” Siehe: Van Ess, Theologie,
IV: 646 und 654 ff.
63 Özcan gibt uns eine Aufzählung von den Dingen, die al-Māturīdī zu den ḥaqāʾiq al-ašyāʾ zählt
und zu „den Objekten der Sinneswahrnehmung gehören“. Unter anderem finden sich darunter:
„Die Welt als ein Ganzes und alle Kreaturen in ihr, wie die Erde und der Himmel, die Berge, die
Sterne, der Mond und die Sonne, die Laute und die Farbe, (…) Leid und Freude (…), Bewegung
und Ruhe, sowie die Größe eines Körpers (…) etc.“, s. Özcan, Bilgi Problemi, 62.
64 Sowohl Kholeif als auch Topaloğlu merken an dieser Stelle an, dass hier zwar eigentlich vom
“Sehen” (=ʿiyān) die Rede ist, gemeint sei aber die Sinneswahrnehmung, zumal “sehen” die
Grundbedeutung aller Sinne unter sich zusammenfasse. Dies gehe aus einer Randbemerkung im
Manuskript hervor. Siehe: Tawḥīd (K), 7, Anm.1; Tawḥīd, 69, Anm. 8.
65 Tawḥīd (K), 7. Tawḥīd, 69.
312 Hureyre Kam

Die primäre Quelle: Die Sinne (al-ʿiyān)


Mit der Sinneswahrnehmung (al-ʿiyān) ist gemeint, was durch die fünf äußeren Sinne
(al-ḥawāss) wahrgenommen wird. Sie ist die primäre Quelle (al-aṣl), die jenes Wissen
enthält, zu dem es kein Gegenteil gibt, außer dem Unwissen.66

Es gäbe kein Gegenteil zu den Sinnen, außer, dass es gleich Unwissen sei. Für
einen epistemischen Realisten ist diese Aussage nicht weiter problematisch. Dem
cartesianisch geprägten Leser aber wird sie zunächst befremdlich erscheinen, da
sie genau konträr zu dem steht, was Descartes über die Sinne lehrte. Nach Des-
cartes täuschen uns unsere Sinne. Auf sie könne kein Verlass sein auf der Suche
nach verlässlichem Wissen, da die Gegenstände ihrer Wahrnehmung ständig
in Veränderung begriffen seien und dass man deshalb aus ihnen keinen Satz
gewinnen könne, der ewig wahr bleibt.67 al-Māturīdī geht auf diese Skepsis ein.
In seinen folgenden Ausführungen greift er eine imaginäre Gruppe an – die nicht
weiter benannt ist68 –, die die Sinne nicht als eine Wissensquelle anerkennt. Da
er bereits festgelegt hatte, dass die Privation von Sinneswahrnehmung gleich-
bedeutend mit Unwissen sei, führt er jetzt weiter aus, dass es keinen Sinn macht
mit solchen Leuten zu disputieren. Denn Disput setze Wissen voraus, die diese
Menschen schließlich nicht haben können, zumal sie die primäre Wissensquelle
leugnen. Sie dürften nicht einmal ihre eigene Existenz anerkennen. Denn woher
wüssten sie darüber Bescheid, wenn nicht über die eigenen Sinne? Um diese
Menschen von der Wahrheit seiner Position zu überzeugen, schlägt er drasti-
sche Maßnahmen vor, wie z. B., dass man ihnen einen Körperteil abschneide. In
dem Moment, indem er aufschreit, hätte er dann auch notgedrungen seine Lüge
zugeben müssen, und seine Maske (sitr) wäre gefallen. Denn seine Position sei
lediglich eine des Starrsinns.69
Nun wird man entgegenhalten können, dass die Position al-Māturīdīs nicht
mit der Descartes zu vergleichen ist, da letzterer die Sinneswahrnehmung nicht
als solche disqualifiziert, eine Quelle des Wissens zu sein. Sinneswahrneh-
mungen sind nur disqualifiziert, insofern sie kein sicheres, also unzweifelhaf-
tes Wissen liefern können. Al-Māturīdī meint aber eben genau dies, dass näm-
lich nur die Sinne sicheres und unzweifelhaftes, mithin „notwendiges Wissen“

66 Original: “fa l-ʿiyān mā yaqaʿu ʿalayhī al-ḥawāss, wa huwa al-aṣl allaḏī ladayhi al-ʿilm allaḏī lā
ḍidda lahū min al-ǧahl.”. Siehe: Tawḥīd (K), 7; Tawḥīd, 70.
67 Descartes, Meditationen. Essen, 2003, 20 ff.
68 Özcan nimmt an, dass damit die Sophisten und die Sumanīya – eine buddhistische Strömung
in Indien – gemeint sind.
69 Tawḥīd, 75.
Die duale Epistemologie al-Māturīdīs 313

(al-ʿilm aḍ-ḍarūrī) liefern können. Das zweifelhafte Wissen hingegen wird im


Kalām als das „erworbene Wissen“ (al-ʿilm al-mukatasab) bezeichnet.70 Wir
stehen hier demnach vor zwei konträren epistemologischen Ansätzen.
Alnoor Dhanani hebt hervor, dass die Mutakallimūn im Allgemeinen episte-
mologische Realisten seien. Für sie seien alle konstituierenden Elemente der Welt
reale Dinge und könnten daher erkannt werden, als solche, was sie sind (sog.
ḥaqāʾiq al-ašyāʾ). Deshalb sei für die Mutakallimūn auch das notwendige Wissen
jenes, was durch die Sinne erfahren wird, während die Erkenntnis Gottes nur
durch die rationale Spekulation (an-naẓar) erschlossen werden könne. So würden
auch die inneren Zustände des Menschen unter die Kategorie des notwendigen
Wissens fallen. Dhanani zitiert ʿAbd al-Ğabbār (gest. 415/1025), der zwar einge-
räumt hätte, dass die Sinne sich täuschen können, dies aber nicht der Fall sei,
wenn keine Behinderung – extern oder intern – die Perzeption verhindere.71 Wie
wir gesehen haben, hebt Rudolph zwar hervor, dass dies nicht ohne Weiteres auch
für al-Māturīdī gelte, da er die klassische Unterscheidung in der Erkenntnislehre
im Kalām zwischen ʿilm aḍ-ḍarūri und ʿilm al-muktasab nicht explizit erwähne,
wohingegen sie von al-Ašʿarī verfolgt würde. Rudolph, der nicht ausschloss, dass
al-Māturīdī diese Unterscheidung implizit verfolgt gab vielmehr an, dass aus einer
Stelle im K. at-Tawḥīd allem Anschein nach hervorgehe, dass „die Verstandeser-
kenntnisse“ muktasab seien. Gemäß dieser Passage konstatiere al-Māturīdī, dass
die Sinneserkenntnis nicht „durch Einflüsterungen getrübt“ werde, während dies
beim Verstand der Fall sein könne.72
Tatsächlich findet man bei al-Māturīdī diese Unterscheidung nicht explizit
im Rahmen seiner erkenntnistheoretischen Erörterungen erwähnt, aber unser

70 Obschon hier die bekannte Unterscheidung zwischen Wissen “a priori” und “a posteriori”
bei der Bezeichnung “notwendiges Wissen” und “erworbenes Wissen” mit anklingt, (vgl.: Kant,
Immanuel; KrV, Hamburg 2014, 83.) ist diese Parallele nicht ohne Weiteres zu ziehen. Denn die
Gleichsetzung des “ʿilm aḍ-ḍarūrī” mit dem Wissen “a priori” trifft nicht zu. Für Māturīdī ist das
Wissen anhand der Sinneswahrnehmung ein “notwendiges Wissen”. Da dieses Wissen jedoch
durch die Perzeption der Sinne generiert wird, kann es per definitionem nicht mehr a priori sein.
Es befindet sich bei Māturīdī dennoch im Status des Unzweifelhaften, sprich: „notwendigen Wis-
sens“.
71 Dhanani, The physical Theory of Kalām, Leiden (1994), 23–25. Diese Ansicht wird von Māturīdī
ebenfalls geteilt. Er geht noch einen Schritt weiter und sagt, dass dies ebenso für den ʿaql gelte.
Denn auch ʿaql gehöre zu den menschlichen Sinnen. Die Urteilskraft könne deshalb ebenfalls
durch verschiedene Behinderungen getrübt werden, oder sie könne durch die Komplexität des
untersuchten Gegenstandes verwirrt werden. Die vertrauenswürdigsten Menschen seien in dieser
Hinsicht die Philosophen (al-ḥukamāʾ), wenn sie ihre Ansichten auch evident belegen können.
Vgl. Tawḥīd, 253–254.
72 Rudolph, Erkenntnislehre, 83, Anm. 37.
314 Hureyre Kam

Gelehrter setzt vieles einfach voraus, ohne es explizit auszuführen.73 Nimmt man
einmal an, dass er die Kenntnis von der Unterscheidung zwischen dem notwen-
digen und dem erworbenen Wissen voraussetzt, so würde die Bestimmung der
Sinneswahrnehmung als primäre Wissensquelle suggerieren, dass das Wissen,
welches über diesen Weg gewonnen wird, zugleich das ʿilm aḍ-ḍarūrī ist. Wir sind
an diesem Punkt immerhin in der glücklichen Lage, dass al-Māturīdī uns von der
Suggestion befreit und es selber ausdrücklich ausspricht. Er sei sich nämlich ein-
deutig bewusst, dass das Wissen, welches von den Sinnen generiert wird, ein
Wissen im Status des „notwendigen Wissens“ sei.74
So informiert er uns an einer Stelle, wo er das Problem der Freiheit des
Menschen diskutiert, darüber, dass die Erkenntnis der Einheit Gottes (maʿrifa
waḥdānīyat Allāh) nur durch die Mittel der rationalen Erschließung möglich ist
(ṭarīq al-iğtihād wa l-istidlāl). Dies aber sei eine Art der Erkenntnis, die nicht unbe-
zweifelbar, also nicht „notwendig“ im Sinne eines ʿilm ḍarūrī ist (wa-ḏālika nawʿ
mā lā yaḥtamil al-iḍtirār). Wenn man die Vernunfterkenntnis in den Status der
unbezweifelbaren Erkenntnis erheben würde, so wäre auch die Erkenntnis des
einen Gottes eine notwendig zu erkennende Tatsache, worüber es keine zwei Mei-
nungen hätte geben können. Dies sei aber nicht der Fall. Ferner – und das ist für
unser aktuelles Problem wichtig – dürfe man eine Sache, die innerhalb der Schöp-
fung als solche nicht erfahren werden kann (laysa fī-l-ḫilqa iḥtimālihī), nicht als
notwendige Erkenntnis präsentieren, denn ansonsten könne man überhaupt nicht
mehr von notwendiger Erkenntnis sprechen, da man den Sinnen nicht zugäng-
liche Dinge mit notwendigem Wissen in Verbindung bringt und die Sinneswahr-
nehmung dadurch obsolet wird (fa-yabṭulu ʿilm al-ʿiyān).75 Im Klartext heißt das,
dass zwar nur die Vernunft im Stande ist zur Gotteserkenntnis zu gelangen, diese
Erkenntnis aber immer zur Diskussion offenstehen muss. Legitimation erhält die
Vernunfterkenntnis jedenfalls nur durch den Umstand, dass sie sich an der Sin-
neswahrnehmung orientiert. Denn dieses Wissen ist unbezweifelbar und evident.

73 Dies mag damit zusammenhängen, dass das Kitāb at-Tawḥīd anscheinend nicht als ein Lehr-
buch, sondern als eine summa theologica konzipiert war, die von seinen Schülern aufgeschrieben
wurde. Für die Diskussion zum Charakter und die Authentizität des Kitāb at-Tawḥīd, vgl.: Özer-
varli, M. Sait. „The Authenticity of the Manuscript of al-Māturīdī’s Kitāb al-Tawḥīd: a Re-Exe-
mination.“ In Islam Araştırmaları Dergisi, Bd. 1 (1997): 19–29; vgl. auch: Rudolph, al-Māturīdī,
213 ff. Die uns hier beschäftigende Frage, was Māturīdī alles voraussetzt und wie die bloßen An-
deutungen zu lesen sind, kann nur entschieden werden, wenn uns seine anderen Werke, die als
verschollen gelten, ebenfalls zugänglich sind. Für die Liste seiner Gesamtwerke siehe: Rudolph,
al-Māturīdī, 198–201.
74 Tawḥīd (K), 8; Tawḥīd, 70.
75 Tawḥīd, 377.
Die duale Epistemologie al-Māturīdīs 315

Die Zweiteilung der Epistemologie


Al-Māturīdī beschränkt den Bereich des ḫabar zwar nicht auf die prophetische
Überlieferung, doch wenn es sich um „profane“ Überlieferung, wie z. B. in Form
von wissenschaftlichen Büchern handelt, so gilt für ihn primär das Prinzip der
epistemischen Nachweisbarkeit. Kommt das Wissen daher nachweisbar nicht aus
einer göttlichen Quelle – die heiligen Schriften schweigen zu den Atomen alle-
samt –, so fällt die Überlieferung als eine gesicherte Erkenntnisquelle aus, und es
bleiben nur noch die Sinne und die Vernunft. Von diesen beiden Quellen generiert
aber nur eine ʿilm ḍarūrī: Die Sinne. Wenn wir aber nach etwas fragen, das nicht
sinnlich wahrnehmbar ist, wie Gott, so bleibt uns nur noch die Vernunft. Diese ist
aber für ihn, ohne die Unterstützung der anderen Quellen, keine legitime Quelle
der Wahrheitsfindung, da sie eigenständig kein ʿilm ḍarūrī generieren kann. Das
bedeutet im Klartext, dass das Wissen, welches wir durch Überlieferungen und
die rationale Spekulation gewinnen, den Status des „erworbenen Wissens“ haben
muss. Diese Schlussfolgerung lässt sich anhand einer anderen Stelle relativ zum
Ende des K. at-Tawḥīd bekräftigen. Im Zuge seines Versuches den Glauben an die
Prophetie zu plausibilisieren, kommt er nämlich noch einmal auf die Erkenntnis-
quellen zu sprechen. Diese Stelle ist besonders aufschlussreich, da sie uns nicht
nur in der Frage der Kategorisierung des Wissens weiterhilft, sondern auch in
Bezug auf die Zweiteilung der Erkenntnislehre al-Māturīdīs.
Er beginnt die Diskussion der Prophetie, indem er zuerst die Gegenpositionen
aufzählt. Das sind a)76 jene, die die Existenz Gottes überhaupt leugnen, b) jene,
die zwar Gott anerkennen, aber nicht glauben, dass er Gebote und Verbote aus-
spricht und c) jene, die behaupten der Mensch brauche keine Prophetie, da er
Gott auch mit der eigenen Vernunft erkennen kann. Es mag für unsere Belange
hinreichen, dass der Rahmen der Erörterungen angegeben ist, ohne dass sie hier
in Gänze wiedergegeben werden müssen.77
Der Punkt, den ich hier hervorheben will, ist, dass al-Māturīdī sich in der Ver-
teidigung der Prophetie lediglich zweier Methoden, d. h. zweier Wissensquellen
bedient: Der Vernunft und der Überlieferung. Das ist jetzt besonders interessant.
Rudolph hatte bereits darauf hingewiesen, dass al-Māturīdī die Erkenntnismit-
tel, die er als Argument in eine Diskussion anführt, je nach dem spezifischen
Problem gewichtet und wählt, weshalb al-Māturīdī es für notwendig ansehe, auf
die Methode besonders acht zu geben, da man ansonsten zu falschen Ergebnis-

76 Bei der Aufzählungsangabe der Gruppen folge ich der Topaloğlu-Edition.


77 Tawḥīd, 247.
316 Hureyre Kam

sen kommen könne.78 Deshalb ist es bemerkenswert, dass al-Māturīdī in dem hier
besprochenen Kontext aus der Sinneswahrnehmung keine Argumente entnimmt.
Warum er das nicht tut, liegt dabei auf der Hand, wenn man davon ausgeht, dass
al-Māturīdī ein bestimmtes Programm verfolgt. Denn wie wollte er anhand der Sin-
neswahrnehmung die Prophetie verteidigen, wo er doch schon gleich im Eingang
des Buches behauptet hatte, dass man die wahre Religion, und mithin den wahren
Propheten nur durch die Mittel der Überlieferung und der Vernunft erkennen
könne. In dem Rahmen seiner Religionsepistemologie spielte die Sinneswahrneh-
mung keine Rolle. Man sieht hier also, dass die Unterteilung in der Erkenntnis-
lehre keine Willkür, oder eine Unstimmigkeit im Text war und auch nicht als ein
pädagogisches Mittel abgetan werden kann. Vielmehr legt al-Māturīdī in seiner
Erkenntnislehre ein Programm auf, welches er auch strikt verfolgt.
So ist es auch leicht nachzuvollziehen, warum er dem Thema „Wunder der
Propheten“ relativ viel Raum einräumt.79 Es ist bemerkenswert, dass er es – trotz
der Anerkennung der prophetischen Wunder – nicht für nötig erachtet, die Sinne
als Erkenntnisquelle der Religion zu etablieren. Bemerkenswert ist es vor allem
deswegen, da im Koran die Wunder ein gewichtiges Argument der Prophetie sind.
Sie sind ein Zeichen ihrer Gottesgesandtschaft, die sich mit Einsicht allein sinn-
lich wahrnehmen lassen. Es ist koranisch ein Unterscheidungsmerkmal der Pro-
pheten und somit eine Erkenntnisquelle der Religion.80 Al-Māturīdī argumentiert
in diesem Zusammenhang dahingehend, dass er ein Kriterium sucht, wahrhaftige
Wunder von Illusionen und Zaubereien zu unterscheiden. Dieses Kriterium sei
wiederum die Vernunft. Und zwar insofern, dass es ihr unerklärlich bleiben, d. h.
sie übersteigen müsse.81 Ferner: Entweder sie – die Gruppe „c“ – leugnen Wun-
dererscheinungen gänzlich, in diesem Falle müsse man sie von der Legitimität
der Überlieferung als einer Wissensquelle überzeugen. Denn in einer Zeit, wo es
keine Wundererscheinungen mehr gibt, ist dies der einzige Boden, auf dem diese
Diskussion geführt werden kann. Oder aber sie erkennen Wundererscheinungen,
wie z. B. Zaubereien und Illusionen an, so erkennen sie bereits die Sinne als eine
Wissensquelle an und ihrer Leugnung der prophetischen Wunder wäre der Boden
entzogen.82
Wir erinnern uns: al-Māturīdī ist in erster Linie ein Mutakallim, d. i. ein Apo-
loget. Es geht ihm nicht darum, die Phänomenologie des Wunders zu erörtern,

78 Rudolph, Erkenntnislehre, 85, Anm. 52.


79 Tawḥīd, 247 ff.
80 Q: 17/59; 7/106–120; 17/101; 40/78; 3/46 u. a.
81 Tawḥīd, 261. Für die Diskussion, vgl. Tawḥīd, 257 ff.
82 Tawḥīd, 261.
Die duale Epistemologie al-Māturīdīs 317

sondern den Islam zu verteidigen. Nach der islamischen Lehre ist Muhammad
„das Siegel der Prophetie“.83 Das wird klassisch so verstanden, dass es keine
anderen Propheten nach Muhammad geben kann. Aus diesem Grund wird es
nicht nur eine Erwägung al-Māturīdīs gewesen sein, die Sinne aus der Religi-
onsepistemologie auszuschließen, sondern es wird ihm als eine Notwendigkeit
erschienen sein, dies so zu bestimmen. Denn ansonsten müsste man die Wahr-
heit einer neuen prophetischen Erscheinung zumindest in Erwägung ziehen, oder
eine Phänomenologie des Wunders abfassen. Letzteres ist jedoch aus orthodox
muslimischer Sicht obsolet, da die neuerliche Erfahrung von Wundern von vorn-
herein nicht angenommen wird.
Wenn es aber keine Wunder mehr geben kann, so ist es auch ausgeschlossen,
dass man die Sinne als Erkenntnisquelle der Religion anerkennt. Deswegen ist es
in diesem Kontext primäres Anliegen al-Māturīdīs die Überlieferung als eine legi-
time Quelle des Wissenserwerbs und der Erkenntnis der Prophetie darzulegen. Es
folgt nun eine Stelle im Text, die eine Schlüsselfunktion zur Lösung unserer zwei
Probleme innehat. Wie ist die Zweiteilung der Epistemologie zu verstehen und
wie kategorisiert al-Māturīdī das Wissen? Die Passage versteht sich als Widerle-
gung der Gruppe „c“, also jener, die behaupten, der Mensch brauche keine Pro-
phetie, da er Gott auch mit der eigenen Vernunft erkennen kann.

Und ein anderer Aspekt ist dieser: Gott der Erhabene hat für alles, was außerhalb der Sin-
neswahrnehmung liegt, zwei Möglichkeiten der Erkenntnis geschaffen. Die erste ist die rati-
onale Ableitung [oder Abstraktion] (istidlāl) anhand der sinnlich wahrnehmbaren Dinge,
wenn das Verborgene84 (al-ġāʾib) mit dem sinnlich Wahrnehmbaren in Verbindung steht.
So wie der Rauch mit dem Feuer, wie das Licht mit der Sonne und wie die Tat mit dem Täter
in Verbindung steht (…) Die zweite [Möglichkeit der Erkenntnis] ist die Überlieferung, die
über einen Zustand berichtet (al-ḫabar yunbiʾu ʿan ḥālin [d. h. die mit dem unbekannten
Überlieferten in Verbindung steht.] Wie z. B. [die Berichte] über die fernen Länder, die sich
ändernden Zustände und die sich zutragenden Ereignisse. [Dieses Wissen] ist bei allen Ver-
nunftbegabten [d. h. Menschen] vorhanden. Auf diesem Wege erlangt der Mensch Kenntnis
über die Gattungen, Arten und Differenzen, über Medizin, Sprachen, Künste, das Kriegswe-
sen und andere ähnliche Dinge. So erlangen wir auch Kenntnis über das Gebot und Verbot,
die Verheißung und Drohung, die nicht mit den Sinnen wahrzunehmen sind und für deren
Erkenntnis es nur den Weg der Überlieferung gibt. Und [diese Dinge] fallen immer unter
Kategorien (wörtl. Zustände = al-aḥwāl) wie das Zulässige (al-mubāḥ) oder das Untersagte
(al-maḥẓūr) und dergleichen. Für solche Fälle bedarf es der Mitteilung anhand der Über-
lieferung und darin ist die Notwendigkeit der Mitteilung durch die Prophetie begründet.85

83 Q: 33/40.
84 Also das Unbekannte, welches durch die Abstraktion entdeckt werden soll.
85 Tawḥīd, 254.
318 Hureyre Kam

Es gibt zusammengefasst zwei Möglichkeiten, Dinge zu erkennen, die außerhalb


unserer Sinneswahrnehmung liegen, aber die Sinne als Quelle haben. Das erste
ist die rationale Ableitung, Abstrahierung aus dem sinnlich Wahrnehmbaren. Das
zweite ist die Berichterstattung, sprich Überlieferung, jener Dinge, die nicht sinn-
lich wahrnehmbar sind, wie ferne Orte etc. Diese sind die Wissensquellen, auf
denen die Menschheit Wissenschaften gründet. Dinge hingegen, die der Sinnes-
wahrnehmung gar nicht zugänglich sind, wie Gebote und Verbote, beruhen auf
Überlieferung.86 Das ist Sache der Propheten.
Der letzte Satz ist entscheidend bezüglich unserer Frage, wie die Zweiteilung der
Epistemologie zu verstehen ist. Denn in diesem Satz – und auch aus dem erläu-
terten Kontext des Satzes – ist mittelbar der Ausschluss der Sinneswahrnehmung
für die Erkenntnis der Religion begründet. Denn das Wissen über Gebote und
Verbote, die vornehmlich bezeichnend für eine Religion sind und deshalb auch
ausschließlich als Sache der Propheten angesehen werden, sind nicht durch
die Sinne zu erlangen. Die Antwort auf die Frage: „Was soll ich tun?“, erhält der
Mensch nach al-Māturīdī nur dank überlieferter Texte und/oder des rationalen
Abstraktionsvermögens. Berücksichtigt man diesen Satz beim Studium des Kapi-
tels über die Prophetie und verfolgt man die Argumentationsstrategien – wie
oben geschehen –, ist der duale epistemologische Ansatz al-Māturīdis deutlich
zu erkennen. Denn die Sinneswahrnehmung wird nicht als Argument eingeführt,
um die Prophetie zu belegen, was für al-Māturīdī gleichbedeutend ist mit: die
Religion zu erkennen.

86 In Bezug auf die rechtlich relevanten Handlungen der Menschen denken die Hanafiten dieses
System von al-Māturīdī dahingehend weiter, dass sie die Handlungen in zwei Kategorien teilen.
Zum einen sind solche Handlungen vorhanden, die als gut und böse erkannt werden können,
ohne dass die Offenbarung sie als solche qualifiziert. Solche Handlungen werden afʿāl ḥissiyya
genannt. Daneben gibt es aber auch solche Handlungen, deren Bewertung nur anhand der Offen-
barung erfolgen kann. Diese werden taṣarrufāt šarʿiyya genannt, ad-Dabūsī, Taqwīm al-adilla,
Beirut, 2007, 54; as-Saraḫsī, al-Uṣūl, Beirut, 1993, 81–82. Serdar Kurnaz schreibt hierzu im Detail:
„(…) Afʿāl ḥissiyya: Das sind laut den Ḥanafiten Handlungen, deren Beurteilung auf Basis der
Sinne wahrnehmbar ist und die somit auch ohne das Recht zustande kommen können. So ist
auch ohne das Recht zu erkennen, dass die Unzucht, der Alkoholkonsum und der Totschlag
schlecht und somit verboten (ḥarām) sind. Die afʿāl ḥissiyya gleichen somit den Dingen, die vom
Wesen her schlecht (li-ʿaynihī qabīḥ) sind. (…) Taṣarrufāt šarʿiyya: Dabei handelt es sich um recht-
liche Handlungen, die nur dadurch zustande kommen können, dass das Recht sie bestimmt. Ihre
Existenz ist also mit dem Recht verbunden wie das Pflichtgebet, das Fasten und der Abschluss
von Verträgen. Die rechtlichen Handlungen gleichen den Dingen, die aufgrund äußerer Faktoren
schlecht (li-ġayrihī qabīḥ) sind.“ Kurnaz, Methoden zur Normgewinnung, 85–86. (unveröffent-
lichte Dissertation).
Die duale Epistemologie al-Māturīdīs 319

Aus dem bisher Gesagten wird die bewusste Zweiteilung der Epistemologie
ersichtlich. Diese Unterteilung bedeutet aber nicht unbedingt, dass al-Māturīdī
zwischen Theologie und Wissenschaft unterscheidet. Denn, wie wir gesehen
haben, ist die gesamte erkenntnistheoretische Konzeption als ein Theologoume-
non zu verstehen. Die Zweiteilung wird, meine ich, aus seinem apologetischen
Anspruch heraus zu deuten sein, den Islam als die einzig wahre Religion zu eta-
blieren. Denn der Ausschluss der Sinne aus der Religionserkenntnis ist nur vor
dem Hintergrund zu verstehen, dass die neuerliche Erscheinung von Propheten
und somit von prophetischen Wundern, ausgeschlossen wird. Gleichzeitig wird
durch die abgesonderte Dreiteilung der Wissensquellen ein Raum für freie wissen-
schaftliche, bzw. theologische Spekulation eröffnet, wobei hier das Prinzip der
empirischen Überprüfbarkeit fundamental wird.

Fazit
Wir unterscheiden zwischen zwei Erkenntnisbereichen in der Epistemologie
al-Māturīdīs. Die erste betrifft die Religion, die zweite betrifft die menschliche
Erkenntnis im umfassenden Sinn. Der erste Bereich benennt zwar die Erkennt-
nismöglichkeiten, die „zur Religion führen“, gemeint ist hier aber der Islam.
Denn nur durch diese Spezifikation ist der Ausschluss der Sinneswahrnehmung
aus den Erkenntnisquellen der Religion zu erklären. Sie ist allein dem Umstand
verschuldet, den Islam als die einzig wahre Religion zu etablieren und das Argu-
ment zu verhindern, dass eine neuerliche Erfahrung göttlicher Wunder möglich
ist. Denn die Sinneswahrnehmung ist für al-Māturīdī die einzige Quelle, die not-
wendiges Wissen generieren kann. Würde er sie in diesem Kontext nicht disquali-
fizieren, so könnte man mit einer neuerlichen Wundererfahrung argumentieren,
wodurch die islamische Lehre vom letzten wahren Propheten in Gefahr geraten
könnte.
Es gibt jedoch einige Punkte in der dualen Epistemologie al-Māturīdīs, die
bedenklich sind. Dies betrifft vor allem den Ausschluss der Sinneswahrnehmung
aus der Religionsepistemologie. Denn es muss bedeuten, dass in Bezug auf die
Religion keine unumstößliche Erkenntnis mehr möglich ist. Immerhin kann man
sagen, dass dies nur bedingt und nur für die „gewöhnlichen Menschen“ gilt. Es
kann nicht für die Propheten gelten. Denn für die Propheten können die Sinne
aus der Religionserkenntnis nicht ausgeschlossen sein, da sie empfänglich für
Offenbarungen sind. Offenbarungen sind im islamischen Kontext ein sinnlich
wahrnehmbares Erlebnis, insofern sie vom Propheten „gehört“ oder mittelbar
durch die Träume z. B. „gesehen“ werden. Daraus folgt, dass die Religion für die
320 Hureyre Kam

Propheten auf einer Erkenntnis beruht, die, nach dem System al-Māturīdīs, not-
wendig ist. Er kann dieses Wissen nun an die Menschen weitergeben. Aber nicht
mehr im Modus der Notwendigkeit, sondern im Modus der Bedingtheit (iktisāb).
Wenn dieses Wissen nicht direkt vom Propheten gehört wurde – so kann man
al-Māturīdī in Folge verstehen – muss die Überlieferung (ḫabar) einer Prüfung
unterzogen werden, da sie im Status des „erworbenen“ Wissens ist. Im Klartext
bedeutet das, dass niemand notwendiges Wissen über die Religion besitzen kann,
sondern nur ein relativ sicheres, insoweit wir uns von der Wahrheit einer Religion
gemäß den Kapazitäten unserer Vernunft vergewissern können. Das bedeutet
aber eine weitere „Schwächung“ des menschlichen Zugangs zur Religion. Denn
die Vernunft selber kann kein ʿilm ḍarūrī generieren.
Betrachten wir das bisher Gesagte nun in einer Gesamtschau, so wird es sehr
fraglich, ob wir überhaupt ein yaqīn, d. i. Gewissheit in Bezug auf die Religion
erlangen können. Denn Gewissheit kann – so muss nach der Lehre al-Māturīdīs
gefolgert werden – nur in der Erkenntnis des sinnlich Wahrnehmbaren erlangt
werden. Eine Religionserkenntnis, die so abgeschwächt ist, konnte natürlich
nicht im Sinne unseres Theologen sein. Er muss demnach einen Weg finden
seine Religionsepistemologie zu stärken und abzusichern. Dies erfolgt, indem
er die Vernunft zur obwaltenden Prüfinstanz erhebt. Anzumerken ist, dass diese
übergeordnete Rolle der Vernunft erst in einem zweiten Schritt eingeführt wird,
nachdem zuvor die Bedeutung der Überlieferung hervorgehoben wurde. Die Reli-
gionsepistemologie al-Māturīdīs steht und fällt mit der Etablierung der Überliefe-
rung als einer vertrauenswürdigen Erkenntnisquelle. Damit das Wissen durch die
Überlieferung zur Gewissheit führen kann, muss sie auf eine besondere Art und
Weise tradiert werden. Hier schließt al-Māturīdī an das Konzept der lückenlosen
Überlieferung (tawātur) an. Topaloğlu hatte darauf hingewiesen, dass al-Māturīdī
im K. at-Tawḥīd hauptsächlich mit Koranversen argumentiert. Vor dem hier erläu-
terten Hintergrund, wird auch nachvollziehbar, warum al-Māturīdī so verfährt.
Denn über die Sicherheit, also über die Eignung als einer tawātur-Überlieferung,
kann im Falle des Korans kein Zweifel bestehen. Er ist im muslimischen Verständ-
nis ein sicher überlieferter Text, der über jeden Zweifel erhaben ist, wohingegen
die Mehrheit der Hadīṯe aḥād (Einzeltradition) sind.
Al-Māturīdī versucht durch diese Wendung die Überlieferung – welche ja in
seinem Konzept notwendig erworben sein muss – als eine sichere Quelle darzu-
stellen, in dem Maße, dass wir auch anhand der Überlieferungen ein sicheres
Wissen in Bezug auf die Religion erlangen können. Zuzüglich wird auch die Posi-
tion der Vernunft gestärkt. Ihr wird die Fähigkeit zugeschrieben, dass sie das Gute
und Böse (ḥusn wa qubḥ) eigenständig, d. h. auch ohne die Vermittlung von über-
liefertem Wissen erkennen kann. Jedoch wird ihr hier nicht gänzlich die Autono-
mie gewährt, da immer die Gefahr besteht, dass sie auch falsch liegen kann und
Die duale Epistemologie al-Māturīdīs 321

deshalb der Unterstützung durch die Überlieferung bedarf. Deswegen kommt die
Vernunft in der māturīdischen Hierarchie des Wissens immer an letzter Stelle. Sie
wird im Rahmen der Religionsepistemologie nach der Überlieferung und in der
allgemeinen Erkenntnislehre nach den Sinnen und der Überlieferung an dritter
Stelle genannt. Es ist auch keine ungenaue Begriffsverwendung von al-Māturīdī,
dass er in der allgemeinen Erkenntnislehre nicht mehr vom ʿaql, sondern vom
naẓar redet. D.h. hier steht nicht mehr die Vernunft als ein dem Menschen ver-
fügbares Instrument der Erkenntnis im Vordergrund, sondern ihre Funktion:
Die rationale Spekulation. Der Unterschied ist, dass der Vernunft innerhalb der
Religionsepistemologie keine perzeptive Funktion zugeschrieben wird, sondern
eine abstrahierende. Hingegen kommt ihr im Rahmen der allgemeinen Erkennt-
nislehre sowohl eine perzeptive als auch eine abstrahierende, bzw. ableitende
Funktion (istidlāl) zu. Sie leitet aus den gegebenen Daten der Sinne und der Über-
lieferung neues Wissen und neue Erkenntnisse ab. Die anderen beiden Quellen
haben hier die Zuliefererfunktion, wobei nur eine von ihnen notwendiges Wissen
liefern kann.
Wenn wir nun noch einmal unseren Blick auf die Religionsepistemologie
richten und den Fokus auf die Beziehung des ḫabar und des ʿaql legen, so fällt uns
dort eine Kluft auf. Die Überlieferungen liefern uns ja Wissen, das als Gewissheit
gelten kann, sofern uns die Überlieferung im Wege der lückenlosen Überlieferung
zugänglich wird. Wenn nun die Vernunft die Information, die in den Überliefe-
rungen vorliegt, bewertet und aus ihnen Wissen generiert, entsteht das Problem,
dass aus der fehlbaren Vernunft (weil erworben) die Überlieferung anerkannt und
bewertet wird. Wie aus diesem Prozess dennoch Gewissheit erlangt werden kann,
ist zum einen fraglich und wird zum anderen von al-Māturīdī nicht zur Diskussion
gestellt. Es erfolgt hier lediglich die Überleitung in die allgemeine Erkenntnis-
lehre und der daraus möglichen Erkenntnis der Existenz Gottes. Wie al-Māturīdī
bereits selber sagte, kann aus der Schau der Welt auch das Gegenteil, nämlich die
Nicht-Existenz Gottes, geschlossen werden. Berücksichtigt man diesen besonde-
ren Umstand, so ist zu sagen, dass man den Glauben an Gott, den man von den
Überlieferungen ableitet, nur als repräsentativ betrachten kann. Denn al-Māturīdī
deutet die anthropomorphistischen Verse des Korans dahingehend, dass sie
metaphorisch zu lesen sind.87 Dies wird damit begründet, dass man diese Welt
nur in Bezug auf die Differenz, auf die metaphysische Welt (ġā’ib), sprich Gott
deuten kann. Gott ist nämlich nichts ähnlich. Deshalb muss dem Menschen die
Quiddität (māʾīya) Gottes stets verborgen bleiben. Die anthropomorphen Verse
des Korans sind folglich sinnbildlich und nicht repräsentativ. Wenn wir das alles

87 Siehe z. B. Kommentar zu Sure 2:255, Taʾwilāt, II: 157.


322 Hureyre Kam

nehmen und es einen Schritt weiterdenken, stehen wir vor einem hermeneuti-
schen Problem. Wertet die Vernunft aus, was die Überlieferung an Information
weitergeben möchte, so steht zunächst im Vordergrund, was die Vernunft von der
Überlieferung überhaupt als Information gewinnt. Daher ist es fragwürdig, wie
die Überlieferung Gewissheit vermitteln kann, wenn durch die fehlbare Vernunft
zugänglich wird, was sie mitteilt und ferner die Vernunft über die Wahrheit der
Information entscheidet.
Dies mag ein Problem bleiben, welches weiterer Forschung und auch weiterer
Quellen bedarf. Der primäre Zweck der Erörterungen in diesem Artikel war der
Wunsch, die duale Epistemologie und die daraus resultierende Methodologie al-
Māturīdīs herauszuarbeiten.

Literatur
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Die duale Epistemologie al-Māturīdīs 323

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Wittgenstein, Ludwig, Über Gewißheit, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006.
Angelika Brodersen
Sunnitische Identitätssuche im
Transoxanien des 5./11. Jahrhunderts:
Abū Šakūr as-Sālimī und sein Tamhīd fī
bayān at-tauḥīd
In einem frühen Text aus der theologischen Schule, die heute als „Māturīdīya“
bezeichnet wird,1 wird folgende Episode überliefert:

Ich disputierte einmal mit einem Ašʿariten. Er sagte zu mir: „Die rituelle Waschung und das
Ritualgebet laufen bei euch doch so ab: Jemand setzt sich unter den Wasserabfluss (mīzāb),
bis sein Gesicht, seine Unterarme, sein Kopf und seine Füße benetzt sind. Dann breitet er
Taubenkot aus, stellt sich darauf und sagt auf Persisch: ‚Ay khoda-ye bozorg‘, was heißen
soll: ‚Allāhu akbar‘. Anschließend liest er auf Persisch einige Koranverse und sagt dabei: ‚do
barg-e sabz‘. Damit meint er seine (Gottes) Rede: ‚mudhāmmatān‘. Danach verneigt er sich,
legt sich schweigend nieder, setzt sich auf, während er das Glaubensbekenntnis aufsagt,
und lässt einen fahren. So verrichtet ihr also eure kultische Pflicht (ʿibāda)!“2

So unwahrscheinlich das auch erscheinen mag: Bei dieser Anekdote handelt es


sich um das früheste uns bekannte schriftliche Zeugnis einer persönlichen Aus-
einandersetzung zwischen einem Ašʿariten und einem Vertreter der zweiten sun-
nitischen Schulrichtung, nämlich der Māturīdīya, die sich aus den Grundlagen
ḥanafitischer Theologie entwickelt hatte. Die Passage befindet sich im Tamhīd fī
bayān at-tauḥīd („Einleitung in die Erklärung des Ein-Gott-Glaubens“) des Theo-
logen Abū Šakūr as-Sālimī, der demzufolge nach derzeitigem Forschungsstand

1 Diese Bezeichnung begegnet zuerst in at-Taftazānī’s (gest. 792/1390) Kommentar zum be-
kannten Glaubensbekenntnis des Abū Ḥafṣ ʿUmar an-Nasafī (gest. 537/1142): Šarḥ al-ʿaqā’id an-
nasafīya, hg. v. C. Salamé, Damaskus 1974. Die frühen Nachfolger al-Māturīdī’s nannten sich
dagegen meistens „Ahl as-sunna wa-l-ǧamāʿa“, vermutlich in Abgrenzung zu den Muʿtaziliten,
deren Lehren zu widerlegen ihr vorrangiges Ziel war. Zur Frage der Benennung vgl. W. Madelung.
„Māturīdiyya.“ In EI2; D. Gimaret. Théories de l’acte humain en théolgie musulmane, Paris 1980,
171–172; A. Brodersen. Der unbekannte kalām. Theologische Positionen der frühen Māturīdiya am
Beispiel der Attributenlehre, Berlin 2014, 19.
2 ‫ «إن الوضوء والصلوة عندكم إن يجلس (أحدكم) تحت‬:)‫ ناظرت أشعريا فقال (لي‬:– ‫قال المهتدي أبو شكور السالمي – وفقه الله‬
»‫ ويقول بالفارسية «اي خداي بزرگ‬،‫ ثم يسقط خرء الحمام ويقوم عليه‬،‫الميزاب حتى يبت ّل وجهه وذراعاه ورأسه وقدماه‬
ِ ‫يعني «الله أكبر» ويقرئ بالفارسية مقدار آية ويقول «دو برگ سبز» يعني قوله « ُم ْدهَا َّمت‬
‫» ثم يركع ويسجد ساكتا ويقعد‬.‫َان‬
‫ ثم يضرط فهذه عبادتكم؟‬،‫وقت القعود‬

https://doi.org/10.1515/9783110588576-017
Sunnitische Identitätssuche im Transoxanien des 5./11. Jahrhunderts 325

der erste māturīditische Autor überhaupt ist, der al-Ašʿarī und seine Nachfolger
explizit beim Namen nennt.3
Die sunnitische Schule, die auf den transoxanischen Gelehrten Abū Manṣūr
al-Māturīdī (gest. 333/944) zurückgeführt wird, ist von der islamwissenschaftli-
chen Forschung lange wenig beachtet worden. Diese konzentrierte sich weitge-
hend auf den „Schulgründer“, dessen kalām-Werk Kitāb at-Tauḥīd im Jahr 1970
erstmals und dann 2003 erneut ediert wurde. Hier können besonders die Arbei-
ten von W. Madelung, U. Rudolph und M. Cerić hervorgehoben werden.4 Seit den
1960er Jahren sind jedoch auch einige Schriften von Anhängern al-Māturīdī’s in
Editionen verfügbar.5
Trotzdem bestehen für eine weitere Aufarbeitung der mātūrīditischen Theo-
logie noch Desiderate. So sind trotz der beobachteten Editionstätigkeit noch
längst nicht alle wichtigen Texte aus dieser Tradition wissenschaftlich ediert und
der Forschung somit zugänglich gemacht worden. Der Tamhīd fī bayān at-tauḥīd,
der in diesem Beitrag als Grundlage dienen soll, stellt hier nur ein Beispiel dar.6
Und gerade dieser Beginn der expliziten Auseinandersetzung māturīditischer
Theologen mit den ašʿaritischen „Konkurrenten“, wie er im Tamhīd greifbar wird,
ist insofern eine wichtige Phase, als nun ein radikaler Perspektivenwechsel statt-
fand: Al-Māturīdī selbst argumentierte in seinen Schriften in erster Linie gegen
die Muʿtazila und gegen dualistische Strömungen im östlichen Iran. Seine Nach-
folger setzten sich daneben auch mit al-Ašʿarī und dessen Anhängern auseinan-
der, eben um zu demonstrieren, dass diese Richtung des kalām zur Überwindung
muʿtazilitischer Lehren ungeeignet war.

3 Grundlegend für diesen Beitrag ist die Edition in Angelika Brodersen: Zwischen Māturīdīya und
Ašʿarīya. Abū Šakūr aṣ-Ṣālimī und sein Tamhīd fī bayān at-Tauḥīd, Piscataway, NJ: Gorgias Press,
im Druck. Der zitierte Text befindet sich in Kapitel 4/3. Ein Kopist aus dem 19. Jh. hatte offen-
sichtlich Probleme mit dem Wort „yaḍritu“ (er lässt einen fahren), und änderte es kurzerhand in
„yafriṭu“ (er übertreibt) (MS Rampur 1535).
4 Siehe Literaturverzeichnis.
5 Bisher stehen (in der Reihenfolge der Erstedition) folgende Ausgaben zur Verfügung: Abū
l-Barakāt an-Nasafī. ʿUmdat al-aqīda, gedruckt 1843; Abū l-Yusr Muḥammad al-Bazdawī. Kitāb
Uṣūl ad-dīn, hg. 1963, kommentierte Neuausgabe1991; Nūr ad-Dīn aṣ-Ṣābūnī. Kitāb al-Bidāya
min al-kifāya fī l-hidāya; hg. 1969, Neuausgaben 2005, 2011; Abū l-Muʿīn an-Nasafī. At-Tamhīd
li-qawāʿid at-tauḥīd, hg.1986, Neuausgabe 2007; Abū Salama as-Samarqandī. Ǧumal uṣūl ad-dīn,
hg.1989; Abū l-Muʿīn an-Nasafī. Kitāb Tabṣirat al-adilla, hg. 1990–1993; Abū t-Tanā’ al-Lāmišī.
At-Tamhīd li-qawāʿid at-tauḥīd, hg. 1995, Neuausgabe 2007; Abū l-Muʿīn an-Nasafī. Kitāb Baḥr al-
kalām, hg. 1997, Neuausgabe 2005; Abū l-Barakāt an-Nasafī. Kitāb al-Iʿtimād fī l-iʿtiqād, hg. 2003;
Abū Isḥāq aṣ-Ṣaffār al-Buḫārī. Talḫīṣ al-adilla li-qawāʿid at-tauḥīd, hg.2011.
6 Auch das Kitāb al-Kifāya fī l-hidāya des späteren Nūr ad-Dīn aṣ-Ṣābūnī (MS Yale Univ. Library
849) liegt bisher nicht als wirklich kritische Edition vor.
326 Angelika Brodersen

Dass der Text as-Sālimī‘s von der Forschung bisher kaum berücksichtigt
wurde, steht darüber hinaus in krassem Gegensatz zu der offenkundigen Wert-
schätzung, die er in der islamischen Theologiegeschichte erfahren hat. So
stellte er – neben dem Šarḥ aṣ-Ṣaḥā’if eines unbekannten Autors – eine der zwei
Quellen dar, auf deren Grundlage im Sultanat von Delhi der kalām unterrichtet
wurde.7 Und der berühmte indische Ṣūfī Ganj-i Shakar (Farīduddīn Ganjshakar,
12.–13. Jh.) bezeichnete in seinem an Niẓāmuddīn Auliyā (1238–1325) gerichteten
Ḫilāfāt nāma den Tamhīd als „die beste Schrift in diesem Wissenszweig (d. h.
Wissen und Grundlagen der religiösen Tradition)“ und erteilte Niẓāmuddīn eine
diesbezügliche Lehrbefugnis.8
Ein Faktor, der zu dieser Beliebtheit des Tamhīd beigetragen hat, ist sicher-
lich sein klarer Aufbau. Anders als etwa die Schriften Abū l-Muʿīn al-Nasafī’s ist
der Tamhīd in den Manuskripten in zwölf Kapitel (abwāb) gegliedert, in denen
jeweils ein übergreifendes Thema in kleineren Abschnitten (aqwāl) abgehandelt
wird. Manchmal wird die Anzahl dieser Abschnitte sogar zu Beginn des Kapitels
angegeben. Diese detaillierte Gliederung lässt den Tamhīd in der Tat als brauch-
bares Kompendium ḥanafitisch-māturīditischer Theologie erscheinen.
Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Schrift as-Sālimī’s kei-
nesfalls als genaue Wiedergabe der Lehre betrachtet werden darf, wie sie am deut-
lichsten bei Abū l-Muʿīn al-Nasafī greifbar ist, von anderen Autoren übernommen
wurde und sich später als die māturīditische Theologie schlechthin durchsetzen
sollte. Vielmehr enthält der Tamhīd fī bayān at-tauḥīd Besonderheiten, die in
ihm eine frühere Entwicklungsstufe dieser Theologie erkennen lassen. So ist der
Autor Atomist und steht daher in seiner Ontologie al-Ašʿarī näher als al-Māturīdī

7 Dazu Anilla Mobasher. “System of Higher Education under the Delhi Sultans.” In Pakistan
Journal of Social Sciences (PJJS)Bd. 34/1 (2014): 121–129, hier 124.
8 Englisch unter www.hazratmehbob-elahi.org/chapter-II-3a.htm#a: (letzter Aufruf 23. 03.
2017) „In the name of God, the Compassionate and the Merciful … He is the First and the Last,
the Appearance and the Reality. Whomsover God elevates, none can degrade and whomsoever
God degrades no one can elevate. None can hide what he wants to reveal and nobody can con-
ceal whatever he wants to reveal … May God bless Muhammad (S. A.W) and his followers, his
Companions and other saintly persons … After His praise I declare that the study of the know-
ledge and principles of the Traditions … gives light to him who pours water on burnt places
through its knowledge. This path is, in fact, perilous and full of hazards and difficult in view
of results. In this branch of knowledge the best book is the Tamhid-u-‘l-Muhtadi of Abu
Shakoor Salimi … (Hervorhebung von Vf). This book has been studied under me, lesson after
lesson, from the beginning to the end, minutely, attentively, carefully and thoroughly, by the
dutiful son, pious, the Imam of the Age and blessed, Nizam-ul-Millat wa’d Din Muhammad
son of Ahmad, who is an adornment of imams and scholars and the pride of the holy and the
virtuous…”
Sunnitische Identitätssuche im Transoxanien des 5./11. Jahrhunderts 327

(Kap. 2/7); bei seinem Verständnis der Naturen als Akzidentien sowie der Ableh-
nung der philosophischen Lehren stimmt er dagegen mit al-Māturīdī überein
(Kap. 2/2). Ein weiterer grundlegender Unterschied besteht im Verständnis des
(insbesondere göttlichen) Namens (ism) als mit dem Benannten (musammā)
weder identisch noch nicht identisch (Kap. 5)9. Eine solche Definition wird in der
māturīditischen Theologie zwar für die Relation der vielen Attribute Gottes zum
einen göttlichen Wesen verwendet. Name und Benanntes sind dagegen sowohl für
al-Māturīdī als auch für seine übrigen Nachfolger stets unbedingt identisch.10 Die
anderslautende Auffassung as-Sālimī’s spiegelt dagegen einen früheren Stand der
sunnitischen Theologie, wie er etwa von Ibn Kullāb und Abū l-ʿAbbās al-Qalānisī11
vertreten wurde, wider (dazu auch al-Bazdawī, Uṣūl 88/16–18). In seiner detail-
lierten Besprechung der anthropomorphistischen Ausdrücke im Koran, also etwa
der Erwähnung von Gottes Hand, Wade oder Angesicht (Kap. 4/10), unterscheidet
as-Sālimī sogar innerhalb der transoxanischen Gelehrtentradition: Während die
frühen Vertreter sunnitischer Theologie in Buḫārā wie auch die Ašʿariten diese
mutašābihāt, eigentlich „unklare Ausdrücke“, als Gott zugehörige, nicht weiter zu
hinterfragende Attribute verstanden, erlaubten die Māturīditen hier eine allegori-
sche Auslegung (ta’wīl). Als letztes Beispiel kann die Handlungstheorie genannt
werden, in der as-Sālimī drei Arten von Handlungsvermögen unterscheidet,
während die allgemeine māturīditische Lehre von zwei derartigen Befähigungen
ausgeht (Kap. 9/3).
Neben diesen Einzelheiten, durch die sich die Darstellung as-Sālimī’s von den
Auffassungen der anderen Māturīditen abhebt und somit ein früheres Stadium
der Konsolidierung ḥanafitisch-māturīditischer Theologie widerspiegeln dürfte,
sind besonders die Stellen in seinem Tamhīd beachtenswert, in denen er sich –
wie bereits angemerkt, als erster māturīditischer Theologe überhaupt – mit al-
Ašʿarī und dessen Anhängern auseinandersetzt. Dabei lassen sich verschiedene
Themenkomplexe konkretisieren, die bei dieser Auseinandersetzung im Vorder-
grund standen:
An erster Stelle ist hier die Rolle des Verstandes als Mittel zum Erkennt-
nisgewinn zu nennen. As-Sālimī kritisiert hier die Auffassung al-Ašʿarī’s unter
verschiedenen Aspekten. So wirft er ihm beispielsweise vor, den Verstand nur

9 Die Behandlung dieses Themas bei as-Sālimī wird in meinem Aufsatz „Das Kapitel über die
„schönen Namen Gottes „im Talḫīṣ al-adilla li-qawāʿid at-tauḥīd des Abū Isḥāq aṣ-Ṣaffār al-
Buḫārī (gest. 534/1139)“. In ZDMG 164 (2014): 375–406, kurz angesprochen.
10 Dazu ausführlich A. Brodersen. Der unbekannte kalām, 583–592.
11 Zu ihm immer noch maßgeblich: D. Gimaret „Cet autre théologien sunnite: Abū l-ʿAbbās al-
Qalānisī.“ In JA 277 (1989): 227–262. Interessanterweise verwendet Gimaret zur Rekonstruktion
der Lehren al-Qalānisī’s in erster Linie māturīditische Quellen.
328 Angelika Brodersen

auf seine Rolle im alltäglichen Leben und bei der Übernahme der religiösen
Gesetze zu beschränken (Kap. 1/1), ihn nicht jedoch als Mittel für das Erlan-
gen von Wissen anzuerkennen (Kap. 1/4). Meinungsverschiedenheiten beste-
hen auch bei der Frage, ob der Verstand ohne die Offenbarung zum richtigen
Glauben verpflichtet (Kap. 1/5–6). Interessant ist hier besonders as-Sālimī’s Auf-
fassung vom „Unglauben“ als „Ablassen vom Glauben“, der somit auch zeitlich
vorgeordnet ist.
Ein weiterer Komplex betrifft die Bewertung der Handlungsattribute, die von
der Māturīdīya im Gegensatz zur Ašʿarīya als ausnahmslos ewig im göttlichen
Wesen bestehend betrachtet werden. In diesen Zusammenhang gehört auch im
weiteren Verlauf das eingangs wiedergegebene Streitgespräch des Autors mit
einem unbenannten Ašʿariten (Kap. 4/3). Ausschlaggebend ist hier die unter-
schiedliche Behandlung des göttlichen Handelns, das nach māturīditischer Auf-
fassung ein einziges, ewiges Attribut ist, während al-Ašʿarī die einzelnen Hand-
lungsakte im Auge hat (Kap. 2/6).
Und auch die Handlungen des Menschen werden von as-Sālimī anders bewer-
tet als von al-Ašʿarī. As-Sālimī nennt letzteren allerdings nur im Zusammenhang
mit der Frage, ob Gott dem Menschen etwas auferlegen kann, wozu dieser nicht
in der Lage ist (taklīf-Problematik, Kap. 10/1).
Diese Spezifika weisen den Tamhīd als überaus wichtige Quelle für die Erfor-
schung sowohl der frühesten Entwicklungen in der ḥanafitisch-māturīditischen
Schule als auch der beginnenden Auseinandersetzung mit der Ašʿarīya aus.12
Da sich die Funktion des menschlichen Verstandes in der Erkenntnistheorie
der Māturīdīya erheblich von dem unterscheidet, was al-Ašʿarī zu diesem Punkt
vertrat, soll zunächst dieser grundlegende Themenkomplex in der Darstellung
as-Sālimī’s näher beleuchtet werden.

1 Die Rationalität des Menschen13


Hier geht es zunächst darum, wie der Verstand (ʿaql) überhaupt definiert werden
kann. Abū Šakūr as-Sālimī beginnt seine Darstellung mit einer persönlichen Ein-
schätzung. Er bietet folgende Erklärung an: Der Verstand ist eine Feinsubstanz,

12 Eine erste Annäherung an diesen Themenkomplex findet sich in W. Madelungs Aufsatz „Abu
l-Muʿīn al-Nasafī and Ashʿarī Theology“, in dem sich der Autor auf Abū l-Muʿīn an-Nasafī’s
Tabṣirat al-adilla stützt.
13 Die folgende Darstellung orientiert sich an Abū Šakūr as-Sālimī: At-Tamhīd fī bayān at-tauḥīd,
Kap. 1/1–6.
Sunnitische Identitätssuche im Transoxanien des 5./11. Jahrhunderts 329

deren Beschaffenheit wir mit unserer Vorstellungskraft (fī auhāminā) nicht erfas-
sen können. Damit grenzt er sich deutlich von der Lehre der Philosophen ab.
Denn diese meinten, der Verstand sei eine vergängliche, sinnlich wahrnehmbare
und lehrende Substanz (ǧauhar), die dem Geist (rūḥ) innewohnt und durch die
das Leben besteht, wie der Geist dem Körper inhäriert. Folglich besitzt der Geist
Leben, Handlungen und Zustände durch seine Verbindung mit dem Verstand, wie
es auch der Fall ist bei der Verbindung des Körpers mit dem Geist. Aber, so fügt
as-Sālimī an, für diese Aussage gibt es keinen Hinweis in der Heiligen Schrift, oder
durch Analogieschluss.14
Auch unter den Rechtsgelehrten sieht as-Sālimī keine Übereinstimmung
darüber, was man sich unter „Verstand“ konkret vorzustellen habe. Einige von
ihnen sagen nicht mehr als: Der Verstand ist eine Substanz. Dabei berufen sie sich
auf eine Erzählung über den Gesandten im ḥadīt. Andere möchten sich dagegen
nicht festlegen und lassen offen, ob der Verstand eine Substanz oder ein Akzidens
(ʿaraḍ) ist. Vielmehr verstehen sie ihn als Ursache und Werkzeug, um Erkenntnis
zu erlangen und die Dinge zu erfassen.
Eine klare Vorstellung von der Aufgabe des Verstandes hatte die Muʿtazila,
der sich as-Sālimī nun zuwendet. Seiner Darstellung nach verstand diese theo-
logische Richtung den Verstand als eine Feinsubstanz, durch die die Erkennt-
nis im Herzen aufscheint und sich darin niederlässt, und durch die die Dinge
gesehen und ihre Substanzen erfasst werden.15 Nach dieser Auffassung ist das
Gute dadurch gut, dass es der Verstand als gut betrachtet, und das Schlechte ist
schlecht, weil er es als schlecht bewertet.
Hier hat der Verstand ganz klar eine moralische Funktion: Er ist die Instanz,
durch die Gut und Böse nicht nur erkannt, sondern sogar festgelegt werden. Es
erstaunt daher wenig, dass Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī widersprechen musste.16 Dessen

14 Dagegen sieht U. Rudolph, Al-Māturīdī, 282. 335 bei al-Māturīdī eine deutliche Anlehnung
an das philosophische Menschenbild, wenn der den Menschen als aus Verstand und Naturen
zusammengesetztes Wesen begreift.
15 Es ist bemerkenswert, dass al-Māturīdī bei seiner Auffassung vom Verstand ein älteres
muʿtazilitisches Modell aufzugreifen scheint, wenn er den Verstand neben der Überlieferung und
den Sinnen als Erkenntnismittel vorstellt; hierzu U. Rudolph. Al-Māturīdī, 256. Für eine genauere
Analyse des ʿaql-Begriffs bei al-Māturīdī vgl. den Beitrag von H. Kam in diesem Band.
16 Nach Ibn Fūrak. Muǧarrad maqālāt al-Ašʿarī, hg. v. D. Gimaret, Beirut 1987 kann der Mensch
nach al-Ašʿarī’s Lehre keine moralischen Bewertungen vornehmen, da die Handlungen an sich
weder gut noch böse sind. Sie werden nur durch Gottes Anordnungen bzw. Verbote gut oder
schlecht. Vgl. U. Rudolph. „Ratio und Überlieferung in der Erkenntnislehre al- Ašʿarī’s und al-
Māturīdī’s.“ In ZDMG 142 (1992): 72–89, hier: 76. Zur Frage des Ursprungs von Gut und Böse in der
islamischen Theologie siehe auch A. Brodersen. „Gottes umfassender Wille. Erklärungsmuster
330 Angelika Brodersen

Lehre referiert as-Sālimī folgendermaßen: Der Verstand dient der Unterschei-


dungsfähigkeit und Klugheit sowie der Verbesserung der Lebensweise und des
Scharfsinns, und durch ihn wird die Ansprache wahrgenommen, die das Reli-
gionsgesetz (šarʿ) an den Menschen richtet. Auch über Auffassungen des Ver-
standes als ein Körper, der dem Blick verborgen ist, oder als die Ursache, durch
die ein Mensch verständig, vernünftig und erkennend wird, weiß as-Sālimī zu
unterrichten.
Es kommt jedoch, wie er seine Gegenüberstellung der verschiedenen Lehr-
meinungen abschließt, der Wahrheit am nächsten, zu sagen: Der Verstand ist ein
Akzidens, das einem Substrat (maḥall) innewohnt. Durch das Wirken des Ver-
standes ziehen wir Folgerungen für die Erkenntnis der Dinge und schließen vom
Offenbaren auf das Verborgene auf dem Weg der notwendigen Dinge.
Auch dieses Substrat, dem der Verstand innewohnt, hat offensichtlich zu Dis-
kussionen herausgefordert. Man war sich nicht einig, ob der Verstand dem Hirn
(dimāġ) oder dem Herzen innewohne. As-Sālimī spricht sich – unter Berufung auf
ʿAlī (b. Abī Ṭālib) – für das Herz als Substrat aus. Denn Erwägung und Beweis-
führung als Aktivitäten des Verstandes geschehen durch Nachdenken, und das
findet im Herzen statt.
Eine weitere Frage, der as-Sālimī in seinen Ausführungen nachgeht, betrifft
die Nutzen des Verstandes. Diese sind für ihn sind größer, als dass sie im Ein-
zelnen aufgezählt werden könnten. Der beste und größte Nutzen ist, dass der
Mensch durch den Verstand in die Lage versetzt wird, die Anrede durch das
göttliche Gesetz wahrzunehmen.17 Durch den Verstand wird er auch befähigt,
den Glauben und den Islam als richtig zu erkennen, bevor diese Anrede an
ihn erging. As-Sālimī sieht in diesem Punkt eine Besonderheit der Lehre Abū
Ḥanīfa‘s.18
Der Verstand ist somit ein Werkzeug für die Erwägung (naẓar) und Beweis-
führung (istidlāl) durch die Zeichen (in der Schöpfung), beispielsweise durch die
Erde, den Himmel, den Baum, das Wasser, die Luft, den Wind, und durch alle
Dinge, die gewollt und hergestellt werden. Dies betrifft auch die Erkenntnis des
Schöpfers: Durch Nachdenken über die Hinweise in der Schöpfung mit dem Ver-

islamischer Theologen zur Existenz des Bösen.“ In „Horizonte der Islamischen Theologie“ 01. –
05. 09. 2014, Kongress an der Goethe-Universität Frankfurt am Main (im Druck).
17 Zu den vielfältigen Aufgaben des Verstandes bei al-Māturīdī vgl. U. Rudolph. Ratio und Über-
lieferung, 84–85.
18 Zu dieser Möglichkeit des Verstandes, die Existenz Gottes aus der Schöpfung zu beweisen
und zu erkennen, was gute und schlechte Handlungen sind, in der ḥanafitischen Tradition vgl.
U. Rudolph. Al-Māturīdī, 256 Anm. 9.
Sunnitische Identitätssuche im Transoxanien des 5./11. Jahrhunderts 331

stand gelangt man zur Gotteserkenntnis. Dadurch ist erneut bewiesen, dass der
Verstand Ursache und Werkzeug zum Erkenntnisgewinn ist.19
Dies ist nun ein grundlegender Unterschied zur Lehre Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī’s,
wie as-Sālimī fortfährt. Denn der leugnet diese Funktion des Verstandes und
lehrt: Der Verstand ist kein Werkzeug zum Erlangen von Erkenntnis. Die Erkennt-
nis tritt vielmehr allein durch die (göttliche) Offenbarung ein, ohne Überlegung
und Erwägung.20 Aber das kann in as-Sālimī’s Augen nicht richtig sein. Denn
die Körperteile, an denen die Sinneswahrnehmung stattfindet, d. h. die Sinnes-
organe, sind Werkzeuge, um das Wahrgenommene zu erfassen, und das Wissen
um das sinnlich Wahrgenommene, also dessen Auswertung, geschieht durch den
Verstand, nicht durch das Sinnesorgan.21 Hier beruft sich as-Sālimī auf al-Ḥasan
al-Baṣrī, der gesagt haben soll: Gott hat uns so viel Verstand gegeben, dass wir
dadurch zwar das Knechtsein (ʿubudīya) erkennen, nicht aber die Göttlichkeit
(rubūbīya), d. h. das, was das Wissen und die Weisheit der Göttlichkeit erfordert,
wie beispielsweise das Erschaffen. Damit diese Überlieferung auch als Argument

19 Für al-Māturīdī selbst hält U. Rudolph fest, dass dieser das Nachdenken des Menschen immer
auf die göttliche Weisheit bezogen sieht. Diese Weisheit scheint durch Gottes Hinweise und Be-
stimmungen in der Welt auf. Durch seine rationale Erkenntnis ist der Mensch in der Lage, die ethi-
schen Normen zu erfassen sowie den Schöpfer zu erkennen (U. Rudolph. Al-Māturīdī, 334–335).
20 Wie U. Rudolph gezeigt hat, vollzog sich nach al-Ašʿarī’s Darstellung in der Risāla ilā ahl
at-taġr die Verkündigung der göttlichen Offenbarung durch Muḥammad in vier Schritten: 1. Die
Menschen erkennen, dass die Welt und ihre Bewohner in der Zeit geschaffen sind. 2. Das kann
nur durch einen einzigen Schöpfer geschehen sein. 3. Muḥammad ist der Gesandte dieses einzi-
gen Schöpfers. 4. Alles, was dieser Gesandte den Menschen über den Glauben und die religiösen
Pflichten mitteilte, ist zu akzeptieren und zu befolgen. Die beiden ersten Schritte soll Muḥammad
einzig durch rationale Argumente begründet haben, während die beiden letzten keine rationale
Begründung mehr erforderten, sondern nur auf der Autorität des Gesandten beruhten. Eine ra-
tionale Erwägung ethischer und religiöser Fragen war daher nicht mehr erforderlich. Aber auch
in den beiden ersten Schritten wird die Rolle des Verstandes erheblich eingeschränkt, da die
Nachrichten über die Geschöpflichkeit der Welt und die Existenz des einen Schöpfers ebenfalls
über Muḥammad vermittelt wurden. Siehe U. Rudolph. Ratio und Überlieferung, 74–75.
21 Anders als bei al-Māturīdī lässt sich al-Ašʿarī’s Auffassung vom Wissenserwerb am ehesten
mit der späteren muʿtazilitischen Position vergleichen. Demnach lässt sich notwendig erlangtes
(ḍarūrī) von erworbenem Wissen (muktasab) unterscheiden. Notwendiges Wissen ist das, was
unmittelbar, ohne Tätigkeit des Verstandes, eintritt, wie z. B. das Wissen des Menschen um sich
selbst, oder alles, was durch Sinneseindrücke wahrgenommen werden kann (vgl. D. Gimaret.
La doctrine d’al-Ashʿarī, 160–161. Als „erworben“ wird hingegen ein Wissen bezeichnet, das auf
Verstandestätigkeit beruht. Im Gegensatz zur Muʿtazila betrachtet al-Ašʿarī auch dieses Wissen
als von Gott geschaffen, da es auf dem notwendig erworbenen Wissen beruht (D. Gimaret. La
doctrine d’al-Ashʿarī, 163–164. Insofern handelt der Verstand nicht autonom, da er an die Vorgabe
der Überlieferung gebunden ist, U. Rudolph. Al-Māturīdī, 256).
332 Angelika Brodersen

für die māturīditische Position tauglich ist, ergänzt der Autor noch: Aber Über-
legung und Erwägung der Zeichen, die auf die Bestätigung und Erkenntnis des
Schöpfers hinweisen, gehören zu den Attributen des Knechtseins.
Hier geht es darum, wie jemand zu beurteilen ist, der auf einem hohen Berg
oder auf einer Insel geboren wurde und keinen Verständigen traf, dann erwachsen
wird und keine Religion kennt, keinen Hinweis auf die Erkenntnis des Schöpfers
erhält, nur verständig handelt im Hinblick auf seinen eigenen Vorteil, aber auch
nicht verrückt.
Die Muʿtaziliten sagen: Er ist ungläubig, weil er nicht glaubt. Denn der Glaube
ist durch den Verstand für ihn verpflichtend.
Wie as-Sālimī fortfährt, handelt es sich hier keinesfalls um rein theoreti-
sche Lehrsätze. Der Hintergrund ist nämlich ein ganz praktischer, nämlich: Ver-
pflichtet der Verstand ohne die Offenbarung (zu etwas) oder nicht? Die Gelehr-
ten seiner eigenen Tradition vertraten die Auffassung: Wenn jemand auf einem
hohen Berg geboren wurde und keinen unterscheidenden Verstand hat, muss
man differenzieren. Wenn er innerhalb der Grenzen des Dār al-Islām lebt, wird
er auch nach seinem Islam beurteilt, solange er keine Anzeichen von Unglau-
ben erkennen lässt. Lebt er aber im Dār al-Kufr, wird er dementsprechend nach
seinem Unglauben beurteilt, wenn er keine Zeichen des Islams zeigt. Und lebt er
im freien Raum (fī mauḍiʿ al-ḫalā‘), urteilen wir nicht über ihn. Den praktischen
Aspekt dieser Differenzierung sieht as-Sālimī im juristischen Kontext. So wird
über Muḥammad b. al-Ḥasan (aš-Šaibānī) berichtet, er habe die Meinung vertre-
ten, Gott bestrafe niemanden ohne Sünde. Und Abū Ḥanīfa soll gesagt haben:
Wenn nämlich diese Person in diesem Zustand getötet wird, unterliegt derjenige,
der ihn getötet hat, weder der Vergeltung, noch ist er zu Blutgeld verpflichtet. War
der Totschläger aber nicht ungläubig, besteht eine solche Verpflichtung. Aber,
wie as-Sālimī anfügt, kann aus der Anwendung dieser gesetzlichen Regelungen
nicht auf Glauben oder Unglauben geschlossen werden. Auch hier vertrat Abū
l-Ḥasan al-Ašʿarī eine andere Ansicht. Wie er lehrte, ist jemand der keinen Zugang
zur Offenbarung hatte, in jeden Fall entschuldigt. Der Verstand allein verpflich-
tet damit nicht zum richtigen Glauben. – Hier können also zwei Lehrmeinungen
festgehalten werden, in denen sich die Anhänger al-Māturīdī’s erheblich von der
ašʿaritischen Lehre unterschieden: Der Verstand ermöglicht es dem Menschen,
auch ohne Offenbarung Gott zu erkennen.22 Eine solche Rolle billigte al-Ašʿarī
dem Verstand nicht zu. Aber diese Erkenntnis wird dem Menschen nicht nur

22 Es bleibt jedoch festzuhalten, dass bei al-Māturīdī der Verstand trotz seiner Möglichkeiten
nie als der Offenbarung überlegen dargestellt wird. Vielmehr stehen beide Wege des Erkennt-
nisgewinns immer gleichrangig nebeneinander, dazu U. Rudolph. Ratio und Überlieferung, 84.
Sunnitische Identitätssuche im Transoxanien des 5./11. Jahrhunderts 333

ermöglicht. Der Verstand verpflichtet ihn sogar dazu, so dass juristische Verant-
wortlichkeit auch ohne Kenntnis der Offenbarung gegeben ist. Al-Ašʿarī spricht
dagegen einen Menschen, der keinen Zugang zur Offenbarung hatte, von jeder
Verantwortung für sein Handeln frei.23
Diese Gegenüberstellung māturīditischer und ašʿaritischer Gedanken wirft
die Frage auf, woher die Informationen as-Sālimī’s über die gegnerischen Lehren
stammen könnten. Daher soll im Laufe des Beitrags der Autor des Tamhīd fi bayān
at-tauḥīd soweit vorgestellt werden, wie es die Quellenlage zulässt.
Abū Šakūr Muḥammad b. ʿAbd as-Sayyid b. Šuʿayb al-Kaššī as-Sālimī war ein
Gelehrter ḥanafitischer Prägung, der in der zweiten Hälfte des 5./11. Jh. in Trans-
oxanien wirkte. Über sein Leben ist wenig bekannt. Denn, wie auch U. Rudolph in
seinem Artikel in EI3 bemerkt, die ḥanafitischen biographischen Werke erwähnen
ihn nicht.24 Allerdings nennt as-Sālimī selbst einige – wenige – Details aus seinem
Leben, die eine ungefähre lokale und temporäre Einordnung seines Wirkens
erlauben: So will er sich beispielsweise in den 460er/1070er Jahren in Samarqand
mit seinem Scheich Abū Bakr Muḥammad b. Hamza al-Ḫaṭīb getroffen haben
(Kap. 12/6).
Diese Stadt befand sich seit dem ausgehenden 4./10. Jahrhundert unter der
Herrschaft der turkstämmigen Karachaniden. Im späten 5./11. Jahrhundert, also
zur Wirkungszeit as-Sālimī’s, wurde sie ein bekanntes Zentrum vielseitiger Kultur,
in dem auch konkurrierende theologische Positionen nebeneinander existieren
konnten.25 Es ist also absolut denkbar, dass dort persönliche Kontakte zwischen
Angehörigen verschiedener kalām-Schulen bestanden haben. Insofern ist es auch
nicht gänzlich unwahrscheinlich, dass sich as-Sālimī – oder auch andere, uns
nicht namentlich bekannte Vertreter seiner theologischen Richtung – Auseinan-
dersetzungen mit anderen Theologen auf verschiedenen Ebenen geliefert haben.
Denn as-Sālimī ergänzt seine Ausführungen gern mit Berichten über derartige
Streitgespräche. In den folgenden Abschnitten soll anhand einiger Beispiele
demonstriert werden, in welcher Weise die Begründung einer eigenen sunniti-
schen Identität nicht nur vermittels der Auseinandersetzung mit Schriften der
Gegner, sondern durch direkte Konfrontation mit Vertretern anderer Schulrich-
tungen erfolgt sein könnte.

23 Wobei der Mensch, sofern es sich um einen vernunftbegabten Erwachsenen handelt, aber
eben auch dazu verpflichtet ist, die Offenbarung mit dem Verstand zu durchdringen.
24 U. Rudolph.„Abū Shakūr as-Sālimī“, in EI³.
25 Dazu T. Bauer. Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams, Frankfurt 2011,
44.
334 Angelika Brodersen

2 A
 useinandersetzungen auf der Ebene der
­religiösen Praxis
Das eingangs geschilderte Gespräch beginnt mit heftigen Anschuldigungen von
Seiten eines nicht näher benannten Ašʿariten. Was also wirft dieser as-Sālimī und
damit der gesamten östlichen Ḥanafīya im Einzelnen vor?
Zunächst einmal geht es um die Pervertierung des islamischen Rein-
heitsgebots, konkret um die Waschung vor dem rituellen Gebet. Diese sollte
unbedingt mit frischem, nach Möglichkeit fließendem Wasser durchgeführt
werden. Aber die Ḥanafiten, so stellt es der ašʿaritische Gegner dar, setzen sich
unter ein Abflussrohr – wobei es wohl der Fantasie überlassen bleibt, um was
für eine Art von Abwasser es sich handelt –, bis sie einigermaßen angefeuch-
tet sind. Aber damit nicht genug. Zum Gebet breiten sie nicht etwa einen nur
für diesen Zweck benutzten Teppich aus. Sie benutzen Taubenkot. Die Manu-
skripte variieren an dieser Stelle; entweder fällt der Taubenkot herunter, und
der Betende stellt sich darauf, oder er breitet ihn sogar selbst aus. In beiden
Fällen werden die Vorschriften zur Verrichtung des Gebets in ihr Gegenteil
verkehrt. Und als Krönung des Ganzen lässt der Betende dann noch einen
fahren.
Aber auch die Art, wie das Gebet gesprochen wird, erregt das Missfallen des
Ašʿariten. Der Betende spricht nämlich persisch und übersetzt dabei die arabi-
schen Ausdrücke höchst unspezifisch. Mal davon abgesehen, dass „Ay khoda-ye
bozorg“ nicht genau dem „Allāhu akbar“ entspricht, sondern eher eine Anrede
darstellt, rezitiert er auch die Koranverse auf Persisch und sagt dabei z. B. „do
barg-e sabz“, was wörtlich einfach „zwei grüne Blätter“ bedeutet, aber dem
koranischen „mudhāmmatān“ entsprechen soll. Im Koran sind damit die beiden
Paradiesgärten gemeint, die für die Gläubigen bestimmt sind.26
Diese Bedeutung geht bei der platten persischen Übersetzung aber vollkom-
men verloren. – Es geht dem Ašʿariten wohl nicht darum, dass eine Übersetzung
des Korans an sich verboten gewesen wäre. Aber das von ihm genannte Beispiel
belegt eben, dass eine Übersetzung in der Rezitation nie den umfassenden und oft
durchaus mehrdeutigen Sinn der arabischen Ausdrücke erfassen kann.
Hierzu sei angemerkt, dass die persische Sprache in der Umgebung, in
der as-Sālimī wirkte, durchaus geläufig war. An einer anderen Stelle seiner
Schrift behandelt er nämlich die aristotelischen Kategorien und stellt diese

26 Kor. 55/64 (ar-Raḥmān); Kontext ab Vers 62.


Sunnitische Identitätssuche im Transoxanien des 5./11. Jahrhunderts 335

erst arabisch, dann noch einmal persisch vor.27 Insofern ist nicht von der Hand
zu weisen, dass Zeitgenossen as-Sālimī’s auch auf Persisch ihr Gebet verrich­
teten.
Trotzdem ist wohl mehr als unwahrscheinlich, dass der Ašʿarit, den as-Sālimī
zitiert, den von ihm geschilderten Vorgang tatsächlich so beobachtet hat. Er
behauptet dies auch gar nicht. Es scheint sich hier vielmehr um eine Art „running
gag“ unter Ašʿariten gehandelt zu haben. Eine ganz ähnliche Anekdote findet
sich nämlich bei Ibn Ḫallikān.28 Der wirkte zwar erst im 7./13. Jahrhundert, somit
beträchtliche Zeit nach der Abfassung des Tamhīd. Aber er benutzte eine Schrift
des Ašʿariten al-Ǧuwainī, in der die „Bekehrung“ des Maḥmūd von Ġaznī (reg
998–1030) vom Ḥanafiten zum Šāfiʿiten geschildet wird. Demnach wollte Maḥmūd
wissen, worin denn genau die Unterschiede zwischen der ḥanafītischen und
der šāfiʿitischen Gebetspraxis bestehen. Zu diesem Zweck führte ihm der Šāfiʿit
al-Qaffāl al-Marwazī (gest. 1026) zunächst das Gebet in vorschriftsmäßiger Rein-
heit und unter Berücksichtigung aller übrigen Voraussetzungen vor. Anschlie-
ßend vollführte er es nach angeblich ḥanafitischer Praxis, indem er die Rein-
heitsvorschriften auf verschiedene Art pervertiert, die Absichtserklärung (nīya)
unterlässt, sowohl das „Allāhu akbar“ als auch das koranische „mudhāmmatān“
auf Persisch wiedergibt und die vorgeschriebenen Körperbewegungen nicht
korrekt ausführt. Und auch der abschließende Furz anstelle des Friedensgrußes
fehlt hier nicht. Selbstverständlich bestritten anwesende Ḥanafiten, das Gebet
so auszuführen, woraufhin al-Qaffāl Schriften Abū Ḥanīfa’s bringen und beide
Schulmeinungen von einem christlichen, also „neutralen“ Schreiber verlesen
ließ. Dabei ergab sich, dass al-Qaffāl Recht hatte, und der vermutlich entsetzte
Maḥmūd zum Šāfiʿitentum wechselte29 – Es ist also anzunehmen, dass sich
as-Sālimī’s ašʿaritischer Gesprächspartner eher auf einen geläufigen Vorwurf
šāfiʿitischer Glaubensanhänger an ihre ḥanafitischen Gegner als auf eine reale
Beobachtung bezieht.
Für unwahrscheinlich halte ich die Annahme, es ginge diesem Diskussions-
partner nur um unsachliche Pöbelei, hinter der nichts inhaltlich Fundiertes aus-
zumachen wäre.30 Der Ašʿarit könnte nämlich durchaus auf einen Punkt anspie-

27 Kap: 2/3: mā‘īya, kamīya, kaifīya, muḍāf, makān, zamān, fāʿil, mafʿūl, taġyīr; mā’īyat, kamīyat,
kaifīyat, makān, muzāf, zamān, mafʿūl, fāʿil, taġyīr.
28 Wafayāt al-aʿyān wa-anbāʾ abnāʾ az-zamān, Beirut o. J., Bd. 5, 180–181.
29 Siehe T. Nagel. Die Festung des Glaubens. Triumph und Scheitern des islamischen Rationalis-
mus im 11. Jahrhundert, München 1988, 179–180. Für diesen wichtigen Hinweis bedanke ich mich
bei Lutz Berger.
30 Wie etwa Nagel a.a.O., 180, die Überlieferung um Maḥmūd von Ġaznī als „drastische Ver-
unglimpfung“ versteht.
336 Angelika Brodersen

len, der zwischen Šāfiʿīya-Ašʿarīya und Ḥanafīya-Māturīdīya umstritten war,


nämlich auf das Verständnis von „Glaube“, genauer gesagt die Beziehung des
Glaubens zu den Handlungen. Nun bilden die guten Taten nach ašʿaritischer Auf-
fassung, anders als in den Lehren der Muʿtazila und der Ḫāriğīya, zwar nicht im
eigentlichen Sinne einen Bestandteil des Glaubens. Aber sie folgen sozusagen
notwendigerweise aus dem richtigen Glauben.
Dabei ist das Glaubenskonzept bei al-Ašʿarī auf den ersten Blick nicht unbe-
dingt eindeutig.31 In seinen Schriften, die noch ḥanbalitische Tendenzen erken-
nen lassen, etwa in der Ibāna32, bezeichnet er den Glauben als aus Rede und
Handlung bestehend, wobei er auch zu- und abnehmen kann. Dagegen ist die
eigentliche Haltung al-Ašʿarī’s für Gimaret aber wohl eher den Lumaʿ33 zu ent-
nehmen. Und dort stimmt er mit der murǧi’itischen Lehre überein, nach der der
Glaube mit dem Bekenntnis (taṣdīq) des Herzens identisch ist. Unter Berufung auf
Kor. 12/17 argumentiert al-Ašʿarī hier etymologisch: āmana entspricht ṣaddaqa.
Was nun in der Sprachwissenschaft gilt, sieht er auch für die religiöse Sprache als
zutreffend an. Wenn nämlich Gott zur profanen arabischen Sprache, die er selbst
in Kor. 26/195 erwähnt, bislang unbekannte Wörter hinzugefügt oder den Sinn
bereits existierender Wörter verändert hätte, dann hätte er dies den Menschen
mitgeteilt. – Hier richtet sich die Argumentation al-Ašʿarī’s gegen die Muʿtazila.
Al-Ǧubbā’ī ging beispielsweise von einem Unterschied zwischen profaner und
religiöser Sprache aus, und bezog das Verständnis von „Glaube“ ausdrücklich mit
ein. Daher konnte er, obwohl āmana etymologisch nichts mit „gehorchen“ zu tun
hat, den Glauben als „Gesamtheit der Gehorsamstaten“ (ǧamīʿ aṭ-ṭāʿāt) definie-
ren, während „Glaube“ für al-Ašʿarī das „Für-wahr-Halten Gottes“ (taṣdīq li-llāh)
bedeutet. Und dieses innere Bekenntnis unterscheidet er auch vom äußeren Aus-
druck, also der verbalen Zustimmung (iqrār al-lisān), der für die Ḥanbaliten, wie
auch die menschlichen Handlungen, Bestandteil des Glaubens ist.
Auf diesem Hintergrund sind auch as-Sālimī’s Ausführungen über das Wesen
des Glaubens zu verstehen.34 Wie er darlegt, werden verschiedene Ansichten über
Grundlage, Bedingungen, Eigenschaft und Beurteilung des Glaubens vertreten.
Ǧahm b. Ṣafwān sagt beispielsweise: Grundlage des Glaubens ist nur die Erkennt-
nis im Herzen. Das ist in den Augen as-Sālimī’s jedoch kein Glaube (Kor. 5/85;
2/146).

31 Die folgende Darstellung orientiert sich in erster Linie an D. Gimaret. La doctrine d’al-Ashʿarī,
Paris 1990, 472–478.
32 Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī. Al-Ibāna, Damaskus 1981, 24.
33 Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī. Al-Lumaʿ, Beirut 1953, § 180.
34 Die folgenden Ausführungen beruhen auf as-Sālimī, Tamhīd, Kap. 7/3–5.
Sunnitische Identitätssuche im Transoxanien des 5./11. Jahrhunderts 337

Die Ḥašwīya35 und die Mutaqaššifa von der Karrāmīya vertraten die entgegen-
gesetzte Ansicht. Sie meinten, die Grundlage des Glaubens sei einzig die verbale
Anerkennung (iqrār) ohne inneres Bekenntnis (iʿtiqād). Auch dem kann as-Sālimī
nicht zustimmen. Denn hier werden Unglaube und Heuchelei Tür und Tor geöff-
net (Kor. 63/1; 98/5; 12/40).
Auch die Lehre aš-Šāfiʿī’s weist as-Sālimī zurück. Wenn nämlich als Grund-
lage des Glaubens die Anerkennung durch die Zunge, das Bekenntnis des Herzens
und die Ausführung der islamischen Grundpflichten (arkān) verstanden werden,
bedeutet dies, dass die Werke dem Glauben zugerechnet werden. Und das ist
falsch (Kor. 14/31; 5/6).
Die Muʿtaziliten36 gehen sogar noch über aš-Šāfiʿī hinaus, indem sie sagen:
Grundlage des Glaubens sind die Anerkennung durch die Zunge, das Bekennt-
nis des Herzens, die Ausführung der Grundpflichten sowie das Fernhalten von
großen Sünden (Kor. 6/121; 24/3). Diese Koranverse müssen, wie as-Sālimī schreibt,
jedoch anders ausgelegt werden, und große Sünden bedeuten nicht automatisch
Unglauben (Kor. 27/40; 7/12; 38/67; 2/256; 24/31; 66/8).37 Und schließlich werden
noch Ḫāriǧīya und Ḥurūfīya, angeführt, die meinen, Grundlage des Glaubens sei
die Anerkennung durch die Zunge, das Bekenntnis des Herzens, die Ausführung
der Grundpflichten (arkān) und das Fernhalten von großen und kleinen Sünden.
Für seine eigene Lehre beruft sich as-Sālimī anschließend auf Abū Ḥanīfa,
der lehrte, Grundlage des Glaubens sei die Anerkennung durch die Zunge und die
Zustimmung (taṣdīq) des Herzens.38 Und auch für die Inhalte des Glaubens ver-
weist as-Sālimī auf die sunnitische Tradition, wenn er darlegt, was zu glauben ver-
pflichtend ist: Voraussetzung des Glaubens ist alles, woran zu glauben verpflich-
tend ist, ohne das der Glaube nicht richtig ist, und dessen Ablehnung Unglaube
ist. Diese Voraussetzungen werden in der Heiligen Schrift und der ununterbroche-
nen Überlieferung (der Prophetentradition) sowie durch die Übereinstimmung
der Gemeinde festgesetzt. Was dagegen durch eine Einzelüberlieferung nachge-
wiesen ist, ist keine Voraussetzung für die Richtigkeit des Glaubens, wenn keine
Übereinstimmung der Gemeinde vorliegt. Wenn die Gelehrten darüber überein-

35 Zu dieser Bezeichnung siehe U. Rudolph, Al-Māturīdī, 170.


36 Hier muss darauf verwiesen werden, dass as-Sālimī, anders als die nachfolgenden
Māturīditen, stets von der Muʿtazila als Ganzer spricht, ohne einzelne Namen zu nennen oder
zwischen unterschiedlichen muʿtazilitischen Richtungen zu differenzieren.
37 Zum Komplex „Glaube und Sünde“ in der ḥanafitisch-māturīditischen Tradition vgl. U. Ru-
dolph, Al-Māturīdī, 343–348.
38 Für Abū Ḥanīfa wird hier gern auf seine Wāsīya bzw. den Fiqh akbar II (beide herausgegeben
von A. J. Wensinck. The Muslim Creed. Its Genesis and Historical Development, Cambridge 1932)
verwiesen.
338 Angelika Brodersen

stimmen, gehört es jedoch zum richtigen Glauben, wie Elemente der Eschatologie
oder Muḥammads nächtliche Reise. Trotzdem wird derjenige, der diese Punkte
ablehnt, nach einigen Ansichten nicht ungläubig, sondern begeht lediglich einen
Frevel (fisq).
Dagegen ist, so fährt as-Sālimī fort, der Glaube an die „Wege“39 nicht ver-
pflichtend. Für die Sunniten geht es dabei um die Ausführung der Grundpflich-
ten, die Muʿtaziliten, Rawāfiḍ und Ḫāriǧiten, aber auch aš-Šāfiʿī als Teile des Glau-
bens verstehen.
Der Unterschied zwischen „Voraussetzungen“ (šarā’iṭ) und „Wegen“ (šarā’iʿ)
besteht somit darin, dass die Voraussetzungen „Religion“ (milla) und die Wege
„Rezitation/Dienst“ (ḫitma/ḫidma) genannt werden.40 Die Religion beruht auf
Dauer und ist ohne Rezitation/Dienst gültig, aber nicht umgekehrt (Kor. 2/177;
4/146).
Die Handlungen folgen für as-Sālimī aber nicht in dem Sinne aus dem Glauben,
dass ein Ungläubiger, der die kultischen Pflichten ausführt, als gläubig beurteilt
wird. Ebenso wird ein Muslim, der Götzenbilder verehrt oder äußere Kennzeichen
der Ungläubigen annimmt, als ungläubig betrachtet. Denn zur Glaubwürdigkeit
gehört immer das innere Bekenntnis (Muḥammad b. al-Ḥasan zu Kor. 2/256).
Ein letzter strittiger Punkt, der in diesem Zusammenhang angesprochen
werden soll, betrifft die Frage, ob der Glaube zu- und abnehmen kann. Für Abū
Ḥanīfa und seine Gefährten, die as-Sālimī hier an erster Stelle zitiert gilt: Der
Glaube nimmt weder zu noch ab. Dagegen sagt aš-Šāfiʿī: Der Glaube nimmt durch
Gehorsamsleistungen zu und durch Widersetzlichkeiten ab. Einige Spätere –
und hier gibt as-Sālimī offenkundig die Lehre al-Ašʿarī’s41 wieder, ohne ihn beim
Namen zu nennen – sagen: Zunahme im Glauben ist möglich, Abnahme dagegen
nicht (Kor. 48/40; Ḥadīt). Das erscheint as-Sālimī aber als nicht logisch (Kor.
75/81).
Wie diese kurze Gegenüberstellung deutlich machen sollte, unterscheidet
sich das Verständnis der Handlungen in ihrer Relation zum Glauben zwischen
Ašʿariten und Māturīditen bei näherer Betrachtung in erheblichem Maße. Für

39 Wie D. Gimaret, La doctrine d’al-Ashʿarī, 477 anmerkt, ist die Übersetzung von šarāʿī‘ in die-
sem Zusammenhang problematisch. Für al-Ašʿarī führt Gimaret den Terminus auf Abū Muʿād at-
Tūmanī zurück, der alle Gehorsamshandlungen, deren Nichtbeachtung nach Übereinstimmung
der Gemeinde nicht Unglaube bedeutet, so bezeichnete. Schon Ibn Ḥanbal soll den Ausdruck in
diesem Sinn gekannt haben.
40 Hier weichen die Manuskripte des Tamhīd voneinander ab; die Lesung ḫidma scheint wahr-
scheinlicher.
41 Der diese offenkundig von an-Naǧǧār übernahm, vgl. D. Gimaret, La doctrine d’al-Ashʿarī,
478.
Sunnitische Identitätssuche im Transoxanien des 5./11. Jahrhunderts 339

al-Ašʿarī sind die Werke des Menschen immerhin Zeichen des Glaubens. An ihnen
kann man ablesen, ob jemand nach außen hin als Gläubiger erscheint, wenn auch
nicht, was er in sich selbst wirklich denkt. Gebet, Fasten, rituelle Reinheit etc.
sind also zwar keine Bestandteile, aber immerhin äußere Zeichen des Glaubens,
wie auch schlechte Handlungen Zeichen des Unglaubens, nicht aber mit diesem
identisch sind.
Den menschlichen Handlungen, auch dem Befolgen der sog. Säulen des
Islams, kommt somit in der ašʿaritischen Lehre keine konstitutive Rolle in Bezug
auf den Glauben zu.
Dagegen betonten die Theologen in ḥanafitischer Tradition zwar überein-
stimmend mit der ašʿaritischen Lehre auch den „inneren“ Aspekt des Glaubens,
das Bekenntnis des Herzens. Die menschlichen Handlungen stehen jedoch in
keiner Relation zum Glauben, auch nicht als Folge des Glaubens, oder als äußeres
Zeichen, an dem sich die innere Einstellung ablesen lässt.
Zurück zu der Auseinandersetzung as-Sālimī’s mit dem unbenannten Ašʿari­
ten. Dessen Anschuldigungen in Bezug auf die religiöse Praxis der Māturīditen
kann nämlich auf diesem Hintergrund so interpretiert werden, dass offenkundig
despektierliche Handlungen für einen Ašʿariten auf einen Mangel an Glauben
schließen lassen. Wenn also ein gelehrter Ašʿarit – wobei ich davon ausgehe, dass
das geschilderte Streitgespräch auf einem gewissen akademischen Level statt-
fand –, wenn dieser also der anderen Partei vorwirft, die äußeren Charakteristika
von rituellen Handlungen zu pervertieren, kritisiert er damit eigentlich deren Auf-
fassung vom Glauben, wobei er zugegebenermaßen recht drastische Mittel wählt.
Die Ebene der religiösen Praxis stellt damit eigentlich nur die Folie dar, auf die
grundsätzliche dogmatische Fragen projiziert werden.

3 A
 useinandersetzungen auf dogmatischer
Ebene
Diese Überlegungen werden durch die Erwiderung as-Sālimī’s unterstützt. Der
antwortet nämlich weder mit ähnlichen Anschuldigungen, noch weist er die Vor-
würfe seines Gesprächspartners im Einzelnen zurück. Er begibt sich vielmehr auf
eine dogmatische Ebene, indem er im Gegenzug die Glaubensinhalte der Ašʿariten
kritisiert. Er erwidert – und das ist nun der zweite Teil des Gesprächs, mit dem
dieser Beitrag eingeleitet wurde:

Ich antwortete ihm und sagte: „Und ihr glaubt, dass Gott nicht Schöpfer und Ernährer und
auch nicht anbetungswürdig war, bevor er die Schöpfung erschuf, und dass er jetzt (al‘ān)
340 Angelika Brodersen

nicht verzeiht (ġāfir), die Reue akzeptiert oder bestraft (muʿāqib). Ihr glaubt auch, dass
der Gesandte weder heute Gesandter ist noch vor der Offenbarung Gesandter war,42 und
dass der Glauben eines Gläubigen durch eine Widersetzlichkeit abnimmt. Das heißt doch,
dass ihr an einen Anbetungswürdigen glaubt, der nicht anbetungswürdig war und es dann
wurde, und an einen Gesandten, der erst kein Gesandter war, es dann wurde und dessen
Gesandtentum mit seinem Tod wieder endete. Das heißt auch, dass der Gläubige, der in
seinem Glauben abnimmt durch Lachen oder ähnliches, sich mit diesem Maß an Anbetung
begnügt. Davor bewahre uns Gott.“43

Der Bericht über die Auseinandersetzung der beiden Theologen findet sich jedoch
nicht im Tamhīd-Kapitel über den Glauben. Den Kontext stellt die Frage dar, ob
Gott ewig als Schöpfer zu bezeichnen sei, bzw. ob ein ewiges göttliches Attribut
„Erschaffen“ (takwīn) existiere. Diese Problematik wird allgemein als Ausgangs-
punkt der Debatte zwischen Ašʿariten und Māturīditen betrachtet.44
Für die Ḥanafīya und Māturīdīya, für as-Sālimī sind dies die Ahl al-ḥaqq,
war Gott schon immer Schöpfer, da er alle seine Attribute schon ewig besitzt.
Denn eine Veränderung ist bei den göttlichen Attributen nicht denkbar. Das gilt
ausdrücklich auch für die Attribute, die ein göttliches Handeln zum Ausdruck
bringen. Die Besonderheit des Attributs „Erschaffen“ besteht jedoch darin, dass
die Geschöpfe, anders als bei Gottes Hören und Sehen, nicht Objekte, sondern
Ergebnisse dieses Handelns sind. Um die Ewigkeit auch dieses Attributs zu bewei-
sen, greifen die māturīditischen Theologen seit Abū l-Muʿīn an-Nasafī zunächst
auf den Nachweis der Ewigkeit des Schöpfers als handelndem Subjekt zurück.
Dazu berufen sie sich einerseits auf den Koran in dem Gott sich selbst als Schöp-
fer bezeichnet.45 Und weil sie auch die Rede Gottes als ewig verstehen, muss dies
eben für Gottes Schöpfertätigkeit gelten.
Andererseits bezieht sich diese Art von Beweisführung eigentlich nur auf die
Bezeichnung Gottes als ewigen Schöpfer. Eine Übertragung auf die Ewigkeit des
Attributs takwīn kann dagegen nur auf dem Weg einer logischen Schlussfolge-
rung erfolgen. Denn das Schöpfer-Sein Gottes kann nur durch ein entsprechen-

42 Eine detaillierte Behandlung des Gesandtentums Muḥammads findet sich im Tamhīd,


Kap. 8/3.
43 ‫ إنكم تعتقدون بأن الله تعالى ما كان خالقا وال رازقا وال معبودا قبل أن يخلق الخلق واآلن ليس بغافر وال‬:‫فأجبته وقلت‬
‫ فكذلك المعبود‬.‫ والرسول اليوم ليس برسول وقبل الوحي ما كان رسوال والمؤمن بالمعصية ينقص إيمانه‬،‫مثيب وال معاقب‬
‫ وإن هذا الرسول الذي ما كان رسوال ثم صار رسوال ثم عزل وإن‬،‫الذي اعتقدت بأنه ما كان ربا معبودا ثم صار ربا معبودا‬
.‫ ونعوذ بالله من هذا القول‬،‫ ويكتفي هذا القدر من العبادة‬.‫المؤمن الذي ينقص إيمانه بالضحك ونحوه‬
44 Ulrich Rudolph, Al-Māturīdī, 358. Die folgenden Ausführungen beruhen auf as-Sālimī,
Tamhīd Kap. 4/3, 4/8; siehe Angelika Brodersen, Der unbekannte kalām, 278–280; 552–559.
45 Z. B. Kor. 59/24: „Er ist Gott, der Schöpfer, Erschaffer und Gestalter“ (Übertragung nach R.
Paret).
Sunnitische Identitätssuche im Transoxanien des 5./11. Jahrhunderts 341

des substantivisches Attribut realisiert werden. Anderenfalls hätte die Welt nicht
erschaffen werden können. Dies widerspricht nicht nur den durch Sinnesein-
drücke gewonnenen Erkenntnissen. Schließlich wissen wir durch unmittelbare
Anschauung, dass die Welt existiert. Darüber hinaus erforderte ein Erschaffen,
das nicht als ewig gedacht wäre, seinerseits einen Schöpfer. Sonst ließe sich nicht
erklären, aus welchem Grund die Welt zu ihrer Existentialisierung einen Schöpfer
benötigte. Der Schöpferbegriff wäre damit „entleert“.
Ašʿarīya und Karrāmīya dagegen behaupteten, wie es as-Sālimī darstellt,
als Schöpfer könne nur derjenige bezeichnet werden, der aktuell die Schöpfung
erschafft. So bezeichnete al-Ašʿarī zwar das göttliche Schöpfungswort kun („sei“)
als ewig und sprach Gott nominell und potentiell das Attribut des Schöpfers
zu. In Realität wollte er aber Gott erst durch den zeitlichen Schöpfungsakt als
Schöpfer verstehen. Dies bezeichnet as-Sālimī als Unglaube. Denn der Schöp-
fer (ṣāniʿ) muss als Handelnder (fāʿil) allmächtig und allwissend sein. Deshalb
wird Gott, der das zu erschaffene Objekt (ṣanʿ) kennt und die Allmacht besitzt, es
zu erschaffen, auch dann als „Schöpfer“ bezeichnet werden, wenn er es aktuell
nicht erschafft. Hier schließt sich as-Sālimī der Auffassung al-Māturīdī’s an. Denn
der lehrte bereits, das ewige Schöpferwort sei nicht vom Schöpfungsvorgang zu
trennen. Und das bedeutet, dass Gott nicht nur die Fähigkeit zum Erschaffen
besitzt, sondern auch das ewige Attribut „Erschaffen“. Damit ist Gott ewig mukaw-
win, auch wenn das mukawwan als Resultat des Schöpfungsvorgangs in der Zeit
entstanden ist. Außerdem betrachtet as-Sālimī Gott über Begriffe wie „tun“ oder
„unterlassen“ sowieso erhaben, und die Existenz seiner Attribute hängt nicht
davon ab, ob er sie – in unserer Wahrnehmung – aktuell ausübt oder nicht. Und
wäre Gott nicht Schöpfer in Ewigkeit, wäre er ein Gottesanbeter (ʿābid) gewesen,
was wiederum die Existenz eines von ihm Verehrten (maʿbūd) erfordert hätte.
Gott wäre also gar nicht Gott gewesen, und das anzunehmen ist Unglaube.
Ist damit erwiesen, dass die Existenz der Welt auf ein ewiges Attribut takwīn
zurückgeführt werden muss, stellt sich jedoch die Frage nach der Relation dieses
Attributs zu seinem Ergebnis, d. h. zu den erschaffenen Dingen. Auch as-Sālimī
behandelt diese Ebene, die die Relation von Erschaffen und Erschaffenem (at-
takwīn wa-l-mukawwan) betrifft.46 Und auch hier referiert er zunächst die

46 Dieses Begriffspaar ist nach J. van Ess. Theologie und Gesellschaft III, 187 ein Charakteris-
tikum der ḥanafitischen Theologie. Die Idee einer Unterscheidung von „Erschaffen“ und „Er-
schaffenem“ geht jedoch vielleicht bereits auf den Muʿtaziliten Abū al-Hudail (al-ʿAllāf) zurück,
der unter Berufung auf Kor. 36/82; 16/40 zwischen ḫalq und maḫlūq unterscheiden wollte. Dazu
D. Gimaret. Les noms divins, 310–311, zum Gottesnamen al-mukawwin. As-Sālimī und die übri-
gen Māturīditen vertraten in diesem Punkt, wie bereits al-Māturīdī, die Haltung, die unter den
342 Angelika Brodersen

Lehre von Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī und der Karrāmīya, die meinten, Erschaffen
und Erschaffenes seien identisch. Als Begründung dafür wird angegeben, dass
das Erschaffen des Erschaffers (mukawwin) in dem Moment beendet ist, in dem
das Erschaffene (mukawwan) existiert. Der Akt des Erschaffens sei also nur im
erschaffenen Objekt greifbar.
Gegen diese Argumentation stellt as-Sālimī die Lehre der Ahl as-sunna wa-l-
ğamāʿa, also seiner eigenen Denkrichtung. Demnach müsste Gottes Handeln,
also auch seine Schöpfertätigkeit, sollte sie nicht ewig sein, als geschaffen
bezeichnet werden. Und das ist natürlich wieder Unglaube. Denn ein Handeln,
das nur in den geschaffenen Dingen greifbar wäre, müsste seinerseits entweder
in der Zeit geschaffen oder ewig sein. Im ersten Fall wäre Gott Substrat für zeit-
lich geschaffene Dinge und somit veränderlich. Die zweite Option ist ebenfalls
unhaltbar. Wenn nämlich ein Handeln, das nicht außerhalb der geschaffenen
Dinge existiert, ewig wäre, bedeutete dies das Einwohnen (ḥulūl) des Ewigen im
zeitlich Geschaffenen, das heißt Urewigkeit und Dauerhaftigkeit der Zeit (dahr),
weil diese Substrat des Ewigen wäre. Das Substrat des Ewigen wäre folglich eben-
falls ewig. Auch das ist Unglaube.
Die Problematik der Ewigkeit der geschaffenen Dinge als Folge der Ewig-
keit des Erschaffens gehörte offenbar zu den beliebtesten Einwänden gegen ein
ewiges Attribut takwīn. Auch al-Ašʿarī verstand das Erschaffene aus diesem Grund
als nicht außerhalb des Erschaffenen existent. Für al-Māturīdī, der hier auf kein
Vorbild unter den frühen ḥanafitischen Theologen zurückgreifen konnte, war
eine solche Konsequenz jedoch nicht zwingend. Denn wenn Gott die Welt in Frei-
heit erschaffen hat, geschah dies durch sein Handeln, nicht durch eine Eigen-
schaft seines Wesens. Denn „Gott hat geschaffen, damit die Dinge so entstehen,
wie sie sind. Schließlich sind auch sein Wissen und sein Wille ewig, obwohl die
Objekte zeitlich sind. Das Nichtsein der Welt am Anfang bedeutet also nicht Gottes
Unfähigkeit zur Schöpfung.
As-Sālimī führt hier als Vertreter der gegnerischen Lehre nicht nur die Ašʿarīya
an. Er nennt auch die Karrāmīya. Und auch bei seiner Auseinandersetzung mit
Lehren dieser theologischen Richtung greift er offensichtlich nicht, oder nicht
nur, auf schriftliche Zeugnisse zurück. Im Kontext der übergeordneten Frage, ob
alle göttlichen Attribute, egal ob sie sich auf das göttliche Wesen oder dessen
Handlungen beziehen, als ewig zu denken sind, berichtet as-Sālimī nämlich
wieder von einem Streitgespräch, diesmal mit einem Vertreter der Karrāmīya. Hier
lautet der Text:

Muʿtaziliten vorherrschend war; zur abweichenden Lehre des Ibrāhīm an-Naẓẓām vgl. J. van Ess,
Theologie und Gesellschaft VI, 153.
Sunnitische Identitätssuche im Transoxanien des 5./11. Jahrhunderts 343

Ich disputierte einmal mit einem Ḥašwiten47 von der Karrāmīya in Būzjān. Dabei fragte ich
ihn: „Was sagt ihr über den Schöpfer und seine Handlungsattribute?“ Er antwortete: „Sie
sind zeitlich und geschaffen (ḥādit wa-muḥdat).“ Er meinte also, dem Schöpfer fehlte das
jeweilige Attribut vor dessen Existentialisierung. Das ist doch unmöglich. Also fragte ich
weiter: „Was sagt ihr denn über den Propheten vor der Eingebung?“ Er erwiderte: „Da war
er noch kein Prophet und nicht gegen die Sünden gefeit, die das Übertreten der Redlichkeit
mit sich bringen kann.“ Somit wäre er ein Frevler (fāsiq), und wenn Gott ihm in dieser Zeit
etwas eingeben würde, wäre das Eingebung (waḥy) an einen Frevler. Dann wäre also der
Gesandte ein Frevler! Ich hatte noch eine Frage: „Was sagt ihr über jemanden, der zwar sagt:
‚Es gibt keine Gottheit außer Gott‘, aber etwas anderes glaubt?“ Darauf meinte er: „Der ist
als gläubig zu bezeichnen.“ Da sagte ich zu ihm: „Was ist denn eure Religion, wenn ihr sagt,
der Herr (ar-rabb) sei mangelhaft, der Gesandte ein Frevler, der Gläubige ein Heuchler? Gott
und der Gesandte sind erhaben über das, was ihr sagt.“ Da war er verwirrt und ließ von
seiner Rede ab.“48

Der von as-Sālimī genannte Ort dieser Begegnung, Būzjān, befindet sich in Nord-
west-Iran, in der heutigen Provinz Torbat-e Jam. Die Entfernung von Samarqand
beträgt ungefähr 743 km. As-Sālimī scheint – ein weiteres Detail seiner Biogra-
phie – also ausgedehnte Reisen unternommen zu haben. Auf dem Weg nach
Būzjān hat er offenbar auch in Merw, rund 500 km von Samarqand entfernt, einen
Halt eingelegt; er berichtet nämlich über eine Diskussion mit einem Maǧūsī in
dieser Stadt.49
Die einzelnen Themen, die in diesem Gespräch behandelt werden, ähneln
sehr auffällig denen, um die das Gespräch mit dem Ašʿariten kreiste. Es werden
die beiden Teile des sogenannten islamischen Glaubensbekenntnisses angespro-
chen – das Gottesbild und die Gesandtenfunktion Muḥammads –, aber auch der
Glaube als solcher thematisiert. Dies sind in der Tat wichtige Fragen, in denen die
Māturīdīya Positionen vertrat, die denen der Ašʿariten, aber eben auch anderer
Richtungen, widersprachen. Und es lässt sich ein weiteres Mal erkennen, dass
diese Auseinandersetzungen nicht nur theoretisch, sozusagen „im stillen Käm-
merlein“ geführt wurden, indem Schriften der theologischen Gegner in eigenen

47 Wie U. Rudolph. Al-Māturīdī, 170 gezeigt hat, dürften mit diesem Begriff traditionalistische
Kreise gemeint sein.
48 ‫ إنها حادثة‬:‫ ماذا تقولون في الصانع وصفاته من صفات الفعل؟ قال‬:‫ناظرت َحشَويًّا من الكرامية – ببوزجان – فقلت له‬
‫ وماذا تقولون في األنبياء – عليهم‬:‫ قلت‬.‫ إن الصانع قبل حدوث هذه الصفة يكون ناقص الصفة؟ وهذا محال‬:‫ فقلت‬.‫محدثة‬
‫ فلو أن‬.‫السالم – قبل الوحي؟ قال بأن النبي قبل الوحي ما كان نبيا وما كان معصوما عما يوجب سقوط العدالة فيصيب فاسقا‬
‫ وماذا تقولون فيمن‬/‫ب‬٤١/ :‫ قلت‬.‫الله تعالى أوحى إليه في تلك الساعة يكون وحيا إلى شخص فاسق فيكون الرسول فاسقا‬
‫ فما – نفي – دينكم إن تقولون بأن الرب ناقص والرسول فاسق‬:‫ قلت‬.‫قال „ال إله إال الله“ واعتقد غير ذلك؟ قال بأنه مؤمن‬
.)Kap. 4/4( .‫ فتحير وانقطع عن كلمه‬.‫والمؤمن منافق؟ والله ورسوله متنزه عما قلتم‬
49 Tamhīd, Kap. 4/4.
344 Angelika Brodersen

Abhandlungen diskutiert und widerlegt wurden, sondern in nicht geringem Maße


in der lebendigen Diskussion mit diesen Gegnern.

4 Auseinandersetzungen auf politischer Ebene


Meinungsverschiedenheiten zwischen Sunniten māturīditischer Prägung und
Anhängern anderer Glaubensrichtungen bezogen sich jedoch nicht nur auf reli-
giöse oder dogmatische Einzelheiten. Das letzte Beispiel einer persönlichen Aus-
einandersetzung as-Sālimī’s, das ich hier vorstellen möchte, weist vielmehr auch
eine politische Dimension auf. Er berichtet folgendermaßen:

Ich wurde einmal von einigen Schiiten50 auf die Probe gestellt. Einer von ihnen fragte mich,
wer denn der Vorzüglichste nach dem Gesandten Gottes sei. Ich hatte große Angst, Schläge
zu bekommen. Deshalb erwiderte ich: ‚Der vorzüglichste der Prophetengefährten war Abū
Bakr, und der vorzüglichste der Ahl al-bait (aus der Familie des Propheten) war ʿAlī.‘ Da
freuten sie sich, denn sie gehen ja davon aus, dass ʿAlī kein Prophetengefährte war, wohin-
gegen ich meine, dass er zu diesen gehörte und Abū Bakr vorzüglicher war als er. Denn die
Kalifen sind den Ahl al-bait überlegen.51

Hier liegt wohl ein schönes Beispiel für das Phänomen vor, das Thomas Bauer
unter Berufung auf Donald Levine als „protektive Funktion“ sprachlicher Mehr-
deutigkeit beschreibt, „wonach nichteindeutige Ausdrucksweisen dem Selbst-
schutz dienen können.“52 Denn al-Sālimī verleugnet ja keinesfalls seine per-
sönliche, sunnitische Überzeugung, dass den Ahl al-bait eben kein Vorrang
gegenüber den „gewöhnlichen“ Prophetengefährten gebührt. Aber er formuliert
seine Antwort eben so, dass sie ein Schiit auf seinem eigenen gedanklichen Hin-
tergrund auch in seinem eigenen Sinn interpretieren kann. Problematisch wäre
die Situation für as-Sālimī allerdings geworden, wenn er weiter nach seiner Ein-
schätzung der Rangfolge von Ahl al-bait und den Ṣaḥāba befragt worden wäre.

50 As-Sālimī benutzt normalerweise den Begriff Rawāfiḍ, ohne dass hier und an anderen Text-
stellen eine Differenzierung der gemeinten Personengruppen erkennbar wäre.
ُ :‫قال المهتدي أبو شكور السالمي‬
51 ‫ وكنت‬.‫ فسألني واحد عن أفصل الناس بعد رسول الله‬،‫كنت ابتليت بين قوم من الشيعة‬
‫ ففرحوا ألن من زعمهم أن‬.‫ أفضل الناس من الصحابة أبو بكر ومن أهل البيت علي‬:‫بالضرب فقلت‬/‫ارتعد منهم بالضرر‬
‫ ومن زعمي أن عليا كان من الصحابة وكان من‬،‫عليا ما كان من الصحابة وإنما كان من أهل البيت وهم أفضل من الصحابة‬
)Kap. 11/6( .‫أهل البيت وأبو بكر أفضل منه والخلفاء أفضل من أهل البيت‬
52 T. Bauer. Die Kultur der Ambiguität, 41.
Sunnitische Identitätssuche im Transoxanien des 5./11. Jahrhunderts 345

Denn dann hätte er das zugeben müssen, was er in seinem Tamhīd zu diesem
Thema schreibt:53
Die Sunniten54 sagen nach seiner Darstellung nämlich, dass das Imamat
nach dem Tod des Propheten für niemanden konkret bestimmt war, auch wenn es
einige Leute dem ʿAbbās zusprechen wollten, da er der Onkel väterlicherseits des
Propheten und damit des Amtes würdiger war als andere. Dadurch unterscheiden
sich die Sunniten von den Rawāfiḍ, die behaupten: Das Imamat war für ʿAlī b. Abī
Ṭālib bestimmt, und zwar vom Propheten persönlich.
Die Sunniten begründen, wie as-Sālimī fortfährt, ihre Ansicht damit, dass
die Prophetengefährten am Todestag des Propheten darin übereinstimmten, dass
die Muhāǧirūn und die Anṣār den Propheten gleichermaßen unterstützt hatten.
Deshalb beanspruchten beide Gruppen zunächst die Führung (der Gemeinde).
Wenn das Imamat für eine bestimmte Person bestimmt gewesen wäre, hätte diese
Auseinandersetzung jedoch nicht stattgefunden. Darüber hinaus wird berichtet,
dass ʿAlī den Abū Bakr schließlich anerkannte und ihm gehorchte. Deshalb wider-
sprechen alle Aussagen der Gegner dieser Anerkennung. Und selbst wenn der
Prophet ʿAlī ein Amt in Aussicht gestellt hätte, wäre damit gemeint: zu seiner
Zeit, also nach dem Kalifat55 des ʿUtmān. Insofern bestand für ʿAlī, entgegen der
Behauptung der Gegner, kein Anspruch auf die Führung der Gemeinde unmittel-
bar nach dem Tod des Propheten.
Auch hinsichtlich der Rangfolge unter den Zeitgenossen und Nachfolgern der
Propheten vertraten die Sunniten eine andere Lehre als die Schiiten. So meint
auch as-Sālimī: Die vorzüglichsten Menschen nach den Propheten und Gesandten
sowie den Engeln waren Abū Bakr, dann ʿUmar, danach ʿUtmān und schließlich
ʿAlī. Zur Begründung dieser Ansicht beruft sich as-Sālimī auf Abū Ḥanīfa, nach
dem die Sunna darin bestehen soll, dass man die Autoritäten respektiert. Er soll
auch gesagt haben: Ihr müsst Abū Bakr und ʿUmar respektieren, und ʿUtmān und
ʿAlī lieben. Die grundsätzliche Anerkennung auch ʿAlī’s als Kalifen ist also auch
von sunnitischer Seite aus gegeben.
Die Rangfolge der Prophetengefährten entspricht nach Ansicht der Mā-
turīditen zunächst der zeitlichen Aufeinanderfolge der Kalifen. Nach ihnen sind
die Ahl al-bait, also die Mitglieder der Familie des Propheten, anzusetzen, danach

53 Dazu as-Sālimī, Tamhīd, Kap. 11/1–6.


54 Hier benutzt as-Sālimī die Bezeichnung Ahl as-sunna wa-l-ǧamāʿa also nicht zur Abgrenzung
von der Muʿtazila. Eine genaue Untersuchung der Entstehung dieses Begriffs zur Selbstbezeich-
nung der östlichen Ḥanafīya als Distanzierung von Gegnern jeder Couleur steht im Übrigen noch
aus.
55 As-Sālimī benutzt die Begriffe imāma und ḫilāfa eindeutig gleichbedeutend.
346 Angelika Brodersen

diejenigen, denen das Paradies versprochen wurde. Es folgen die Teilnehmer an


den Kämpfen von al-Badr und Ḥudaibīya. Ferner sind die Prophetengefährten
vorzüglicher als die (normalen) Gemeindemitglieder, dann die Nachfolger der
Prophetengefährten, schließlich deren Nachfolger.
Die Frauen aus der Familie des Propheten sind as-Sālimī noch einer beson-
deren Erwähnung wert. ʿĀ’iša stellt er als vorzüglicher als alle Frauen der Welt
dar, von Anfang bis Ende der Zeiten, wie auch Abū Bakr dem ʿĀlī überlegen war.
Dagegen sagen die Schiiten und die Rawāfiḍ:56 Fāṭima, die Prophetentochter, war
ʿĀ’iša überlegen. Diese Einschätzung ergibt sich aus ihrer Auffassung, die Mitglie-
der der Prophetenfamilie, nämlich ʿAlī, seine Frau Fāṭima sowie die gemeinsamen
Söhne al-Ḥasan und al-Ḥusain seinen vorzüglicher als die Prophetengefährten
gewesen, zu denen ʿAlī nicht zählte. Sowieso sei ʿAlī der vorzüglichste Mensch
nach dem Gesandten Gottes gewesen. Hier kann as-Sālimī mit der Überlieferung
argumentieren: Durch eine Prophetentradition ist bewiesen, dass auch ʿAlī zu den
Prophetengefährten gehörte.
Auf diesem Hintergrund ist die Herausforderung as-Sālimī’s durch eine
Gruppe von Schiiten zu verstehen. Aber aus seinem Bericht lässt sich wohl noch
etwas anderes herauslesen als as-Sālimī’s offenkundige Fähigkeit, diplomatische
Antworten zu geben. Denn er schreibt, dass er Angst hatte, von der Gruppe Schi-
iten verprügelt zu werden, sollte er nicht in ihrem Sinne antworten. Woher aber
kommt diese Angst? Doch wohl am ehesten aus Erfahrung. Hier muss wieder die
historische Situation berücksichtigt werden, in der sich Samarqand in der zweiten
Hälfte des 5./11. Jh. befand. Die Herrschaft der schiitischen Buyiden war zwar seit
1062 offiziell beendet, und Transoxanien befand sich unter der Herrschaft der
sunnitischen turkstämmigen Karachaniden. Wie aus dieser Textpassage ersicht-
lich ist, waren deshalb aber noch lange nicht alle Einwohner Samarqands auch
automatisch Sunniten. Darüber hinaus scheinen die schiitischen Gruppierungen
noch über eine gewisse Macht verfügt zu haben, einschließlich jener, Angehö-
rige anderer Glaubensrichtungen zu befragen und zu bestrafen. Jedenfalls zeigt
as-Sālimī’s Angst, dass dies nicht unüblich war.
Die Handschriften des Textes sind im Übrigen auch hier nicht einheitlich.
An Stelle von „Schlagen“ (ḍarb) findet sich in einigen „Nachteil“ oder „Schaden“
(ḍarar). Dies ist aber für die grundsätzliche Information, die hier übermittelt wird,
nicht so erheblich, wie es zunächst erscheinen mag. Denn wenn die Schiiten in
der Lage waren, jemandem einen Schaden zuzufügen, wie auch immer dieser im
konkreten Einzelfall ausgesehen haben mag, weist das auch darauf hin, dass sie
eine gewissen Machtposition innehatten, sei sie legitim oder nicht.

56 Auch hier ist keine Unterscheidung der Gruppen erkennbar.


Sunnitische Identitätssuche im Transoxanien des 5./11. Jahrhunderts 347

Eine andere Möglichkeit wäre, die Entstehung des Textes so weit zurück zu
datieren, dass zum Zeitpunkt des Vorfalls der politische Machtwechsel noch nicht
stattgefunden hat. Aber hierfür liegen, soweit ich sehe, keine weiteren Anhalts-
punkte vor, so dass entsprechende Aussagen reine Spekulation wären. Immerhin
lässt sich aber aus dieser kurzen Erzählung schließen, dass sunnitische Iden-
titätssuche eben nicht nur auf innersunnitischer Ebene stattfand, sondern auch
im umfassenderen Rahmen, nämlich in Abgrenzung zu Nicht-Sunniten.57

Fazit
Mit dem vorliegenden Beitrag sollte die Zielsetzung verfolgt werden, den Beginn
der Auseinandersetzung māturīditischer Theologen mit der konkurrierenden sun-
nitischen Richtung der Ašʿarīya anhand konkreter Themenbeispiele nachzuzeich-
nen. Dazu wurde die früheste māturīditische Schrift vorgestellt, in der al-Ašʿarī
und seine Nachfolger namentlich angeführt werden.58
Es stellte sich heraus, dass bereits die erkenntnistheoretischen Grundlagen
beider sunnitischen Schulrichtungen erheblich voneinander abweichen. Zwar
teilen Māturīdīya und Ašʿarīya die Anerkennung der prophetischen Tradition
als Erkenntnisgrundlage neben dem Koran, also als Schriftbeweis. Und beide
Richtungen verteidigen ihre Glaubenslehre durch rationale Argumentation.59
Das Verhältnis der Überlieferung zur rationalen Spekulation wird jedoch völlig
anders bewertet. So unterscheidet al-Ašʿarī zwar durchaus notwendiges Wissen,
das unmittelbar, ohne Tätigkeit des Verstandes eintritt, von Erkenntnissen, die
durch rationale Spekulation zu erlangen sind. Aber auch diese Wissensinhalte
beruhen auf der göttlichen Offenbarung. Insofern besteht für den Menschen sehr
wohl eine Verpflichtung, sich seines Verstandes zu bedienen, um die Zeichen und
Hinweise in der Schöpfung zu erfassen. Diese Verpflichtung existiert jedoch erst,
nachdem die Menschen die Offenbarung empfangen haben. Demgegenüber steht

57 In Kap. 10/7 des Tamhīd schreibt as-Sālimī sogar über die „Sunniten unter den Anhängern
Abū Ḥanīfa’s“. Er scheint sich also der Tatsache bewusst gewesen zu sein, dass die meisten dieser
Anhänger im Westen Muʿtaziliten waren.
58 Die Lehren der Ašʿariten und Muʿtaziliten konnten hier nur stark verkürzt dargestellt werden,
um die Lektüre des Beitrags unabhängig von den entsprechenden Ausführungen zur Rationalität
in der ašʿaritischen bzw. muʿtazilitischen Tradition zu ermöglichen. Für weitere Einzelheiten der
ašʿaritischen und muʿtazilitischen Lehren sei auf die entsprechenden Beiträge in diesem Band
verwiesen.
59 Quellen hierzu bei U. Rudolph. Ratio und Überlieferung, 72.
348 Angelika Brodersen

für al-Māturīdī und seine Nachfolger der Verstand von Anfang an als gleichwer-
tiges Erkenntnismittel neben der Offenbarung, freilich mit der Konsequenz der
Verantwortlichkeit des Menschen für sein Denken und Handeln unabhängig vom
Empfang der Offenbarung.
Ein weiterer grundlegender Unterschied, der sich bereits aus der hier unter-
suchten Schrift herauslesen lässt, betrifft das Verständnis vom Glauben. Über-
einstimmung zwischen beiden theologischen Schulen besteht darin, dass – in
Abgrenzung zu muʿtazilitischen, karrāmitischen und ḫāriǧitischen Lehren – der
Fokus eher auf den inneren Aspekt des Glaubens gerichtet ist. Trotzdem sind auch
hier Unterschiede festzustellen. As-Sālimī kritisiert nämlich auch die ašʿaritische
Auffassung, nach der die menschlichen Handlungen als notwendige Folgen aus
dem rechten Glauben resultieren, der Glaube konsequenterweise zunehmen kann.
Dies ist nach māturīditischer Auffassung falsch. Die überragende Autorität stellt
hier Abū Ḥanīfa dar, nach dem der Glaube als „Anerkennung durch die Zunge und
Zustimmung des Herzen“ definiert ist. Jemand, der große Sünden begeht, bleibt
folglich gläubig. Die Handlungen des Menschen werden dagegen im Kontext der
göttlichen Prädestination aller weltlichen Abläufe interessant.
Auch im Bereich der Attributenlehre setzt sich as-Sālimī mit der ašʿaritischen
Konkurrenz auseinander. Er wählt das Beispiel des göttlichen Attributs „Erschaf-
fen“, um zu zeigen, dass nach māturīditischer Lehre sämtliche Attribute Gottes,
auch wenn sie sich auf eine Handlung beziehen, als ewig gedacht werden müssen.
Takwīn ist somit ein ewiges göttliches Attribut, auch wenn dessen Ergebnisse,
nämlich die geschaffenen Dinge, erst in der Zeit entstehen. Dem stellt as-Sālimī
die Lehre al-Ašʿarī’s gegenüber, für den zwar das göttliche Schöpfungswort „kun“
ewig ist; schließlich ist es Bestandteil der ewigen Rede Gottes. In Wirklichkeit
wird Gott aber erst durch den tatsächlichen Schöpfungsvorgang zum Schöpfer,
da sein Erschaffen nicht außerhalb der erschaffenen Objekte existieren kann.
Interessant ist in diesem Punkt die Übereinstimmung der māturīditischen mit der
muʿtazilitischen Lehrmeinung.
Schließlich wurde gezeigt, dass Auseinandersetzungen zwischen Māturīditen
und anderen Denkern auch auf politischer Ebene stattfanden, wenn Details der
Vorstellungen vom Imamat mit Schiiten diskutiert wurden. Die Ahl as-sunna wa-l-
ǧamāʿa hoben sich in diesem Fall also nicht von den Muʿtaziliten ab, sondern
verstanden sich als Gegenpol zu schiitischen Gruppierungen.
Als „Aufhänger“ dieser Diskussionen wurden Textstellen aus dem Tamhīd fī
bayān at-Tauḥīd gewählt, in denen as-Sālimī von persönlichen Begegnungen mit
Andersdenkenden berichtet. Wie aus diesen Beispielen deutlich wurde, kann man
für das Transoxanien des ausgehendes 5. bzw.11. Jahrhunderts von einem recht
breitgefächerten sozialen und theologischen Milieu ausgehen. Vertreter verschie-
dener sunnitischer Richtungen nahmen einander wahr und traten in Diskurse
Sunnitische Identitätssuche im Transoxanien des 5./11. Jahrhunderts 349

ein, die durchaus auch interpretationsbedürftig sein konnten, wie das zuerst
genannte Beispiel zeigte. Hier erwies sich eine auf den ersten Blick unsachliche
Anschuldigung ja nur als Oberfläche, unter der dogmatische Fragen verborgen
sein könnten. Die Charakteristika māturīditischer Lehren haben sich also auch in
mündlichen Diskussionen mit theologischen Gegnern herausgebildet. Anhänger
der Muʿtazila, der vor der Ausbreitung dieser Lehren nach Westen immerhin ein
Großteil der westlichen Ḥanafīya angehörte, scheinen dabei weniger im Blick-
punkt zu stehen als die Ašʿariten, die offenbar von Anfang an als „Konkurrenten“
um die Definition der „wahren“ Glaubenslehre empfunden wurden.60 Entgegen
der allgemeinen Tendenz in osmanischer Zeit, zwischen den Lehren beider sun-
nitischer Schulrichtungen eine weitgehende Harmonie herzustellen,61 waren
die frühen Māturīditen ganz offensichtlich bestrebt, die Eigenheiten ihrer Lehre
gegenüber der gegnerischen Doktrin zu unterstreichen.
Insofern stellt as-Sālimī’s Tamhīd fī bayān at-tauḥīd ein wichtiges Textzeug-
nis dar, ohne dessen umfassende Analyse die eingehende Erforschung der Kon-
solidierung māturīditischer Theologie innerhalb ihres geistesgeschichtlichen
Umfelds kaum möglich sein dürfte.

Literatur
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1953.
Abū Manṣūr al-Māturīdī. Kitāb at-Tauḥīd, hg. v. B. Topaoğlu/. M. Aruci, Ankara, 2003.

60 Als weiterer Hinweis auf Details der historischen und geistesgeschichtlichen Situation im
Samarqand des ausgehenden 5./11. Jahrhunderts dürfte die Beobachtung zu werten sein, dass
die Informationen, die as-Sālimī zu verschiedenen Gruppierungen liefert, in ihrer Genauigkeit
stark voneinander abweichen. Es wurde bereits darauf verwiesen, dass er die Muʿtazila durch-
weg als homogene Personengruppe vorstellt, während andere Māturīditen einzelne Vertreter
beim Namen nennen und deren Lehren in differenzierter Weise wiedergeben. As-Sālimī nennt
dagegen eigentlich nur Abū Ḥanīfa und aš-Šāfiʿī, deren Lehren er häufig kontrastiert, und ein-
zelne ḥanafitische Überlieferer. Auch seine Kenntnisse über nicht-muslimische Gruppen variie-
ren stark. Informiert er beispielsweise sehr detailliert über verschiedene Strömungen der Māǧūs
und Anhänger der Lehre von der Seelenwanderung, kennt er von den Christen offensichtlich
nur Legenden zur Entstehung ihrer Glaubensrichtung, streut aber Einzelheiten ihrer Lehre nur
sporadisch in den Textverlauf ein.
61 Siehe hierzu die Texte in E. Badeen. Sunnitische Theologie in osmanischer Zeit. Würzburg
2008.
350 Angelika Brodersen

Abū Šakūr as-Sālimī. At-Tamhīd fī bayān at-tauḥīd. In: Angelika Brodersen: Zwischen
Māturīdīya und Ašʿarīya. Abū Šakūr aṣ-Ṣālimī und sein Tamhīd fī bayān at-Tauḥīd,
Piscataway, NJ: Gorgias Press, im Druck.
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Thomas Würtz
Der frühe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī als
māturīditischer Autor
Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī1 (gest. 1390) ist einer von wenigen Gelehrten, der nicht
klar einer theologischen Schulrichtung – zumindest, was die gesamte Spanne
seines Lebens angeht – zuzuordnen ist. Sein Frühwerk auf dem Gebiet des
kalāms ist der „Kommentar zu den Glaubensbekenntnissen des Nasafī“ (Šarḥ
al-ʿAqāʾid an-Nasafīya), ein durchweg māturīditischer Text, während sein spä-
teres Hauptwerk, Šarḥ al-Maqāṣid2, eine theologische Summe klar ašʿaritischer
Prägung darstellt. Ganz in der ašʿaritischen Tradition steht ebenso die kleine,
summarische Schrift seiner Lehre, der Tahḏīb al-kalām, auf Deutsch die Verfei-
nerung des kalāms, in welchem er auf die Breite der Diskussionen verzichtet und
eher die zentralen Argumente zur Bestätigung des jeweiligen Glaubensartikels
auflistet. Am Endpunkt seiner intellektuellen Biographie ist Taftāzānī also ein
wahrhaft ašʿaritischer Denker.3 Insofern es im Folgenden aber um seine Lehre als
Māturīdīt bzw. seinen Umgang mit den Vorbildern dieser Lehre gehen soll, wird
sich dieser Beitrag weitgehend auf den Šarḥ al-ʿAqāʾid an-Nasafīya beschränken
und sichtbar werden lassen, dass māturīditisches Gedankengut auch im 14. Jahr-
hundert in den östlichen Gebieten der islamischen Welt weitergedacht wurde.
Die Rezeption von Taftāzānīs Frühwerk reicht sogar weit über den Horizont des
14. Jahrhunderts und den zentralasiatischen Raum hinaus. Aus dem Gesagten
ist schon deutlich geworden, dass Taftāzānīs Werk komplexer Natur ist und Ent-
wicklungen unterworfen ist. Daher lohnt ein Blick auf seine Biographie, bevor
auf die für ihn relevanten Werke der māturīditischen Tradition und seinen Kom-
mentar einzugehen ist. Als Beispiele für seine Lehre werden sodann Aspekte
der Naturphilosophie, der göttlichen Attributenlehre und der Handlungstheorie
vorgestellt.

1 Im Folgenden wird der Name einfach mit Taftāzānī wiedergegeben. Ähnlich wird bei ande-
ren arabischen Namen verfahren: Auf die erste Nennung mit Titel (laqab) und Herkunftsnamen
(nisba) folgt die einfache Nennung der nisba ohne Artikel.
2 Ibn al-ʿImād. Šaḏrāt aḏ-ḏahab VI, 320; Ṭāšköprü-Zāda. Miftāḥ as-saʿāda I, 207; Brockelmann.
GAL II, 280; van Ess. Schulweisheit, 36.
3 Siehe hierzu mit weiteren Beispielen: Würtz. Islamische Theologie im 14. Jahrhundert. Auf-
erstehungslehre, Handlungstheorie und Schöpfungsvorstellungen im Werk von Saʿd ad-Dīn at –
Taftāzānī. Berlin, 2016, 279–280.

https://doi.org/10.1515/9783110588576-018
352 Thomas Würtz

1 B
 iographie
Taftāzānī ist wie viele Gelehrte der islamischen Geschichte unter seinem „Her-
kunftsnamen“, der nisba, bekannt geworden. Dieser Name bezieht sich bei ihm auf
den Ort Taftāzān in der Region Chorasan, eine mittelgroße Stadt (šahr-e wasaṭ),
die bis heute besiedelt ist. Als Geburtsjahr Taftāzānīs wird das Jahr 1312 oder
anderen Quellen zufolge 1322 angegeben. Insgesamt scheint aber das Geburtsjahr
1322 (722 n.H.) wahrscheinlicher.4 Über Taftāzānīs Aufenthaltsorte während seiner
Lehrjahre ist kaum etwas bekannt, doch spielten in seiner Madrasa-Ausbildung
sicher die Fächer Grammatik, Rhetorik, Koranexegese und Recht eine Rolle, wozu
sich Logik und kalām, also spekulative Theologie gesellten. Letzteres Gebiet wird
im Folgenden im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, geht es doch um die Frage
seiner Zugehörigkeit zu einer theologischen Lehrtradition. Taftāzānīs Lebensweg
führte ihn nach Ǧurǧānīya in Chorasan und nach Herat an den Hof des Regional-
herrschers Muʿizz ad-Dīn Kart (gest. 1370). Um 1351 hielt er sich zunächst in Ǧām
und daraufhin bei Ǧānī Beg in der Nähe der Stadt Buchara auf. Hier verfasste er
vor 1355 ein kürzeres rhetorisches Werk, den Muḫtaṣar, und trat dann 1367 mit
seinem ersten theologischen Werk, dem Šarḥ al-ʿAqāʾid an-Nasafīya,5 hervor,
welches im Folgenden im Mittelpunkt des Interesses stehen wird.
In seiner letzten Lebensdekade wurde Taftāzānī 1382 vom Eroberer Timur
Lenk nach Samarkand befohlen. Anfang Jahres 1383 schloss er hier sein theo-
logisches Hauptwerk, den Kommentar zu den Maqāṣid6 ab. Nach der Eroberung
von Schiras zwang Timur dann auch den Gelehrten ʿAlī b. Muḥammad al-Ǧurǧānī
(gest. 1413) an seinen Hof in Samarkand zu kommen. Für Timurs Versuch den
eigenen Hof mit Gelehrten und Experten der verschiedensten Wissensgebiete zu
schmücken, könnte Dschingis Khan Vorbild gewesen sein.
Die Versammlung von drei führenden Religionsgelehrten der Zeit in Samar-
kand unter Timur führte zu dem bekanntesten Ereignis aus Taftāzānīs Biogra-
phie. Denn Taftāzānī sollte sich als einer der führenden Gelehrten in Samarkand
einige Jahre später mit dem etwas jüngeren Ǧurǧānī öffentlich auseinandersetzen
müssen.7 Nach einem Bericht von Šawkānī gab es z. B. eine Debatte darüber, ob der

4 Eine ausführlichere Biographie und eine Diskussion zahlreicher Hinweise auf seine Lebens-
daten findet sich in: Würtz, Islamische Theologie, 21–22.
5 Ḫwāfī, Muǧmal-i faṣīhī III, 124; Šawkānī, al-Badr aṭ-ṭāliʿ, 303; Ṭāshköprü-Zāda, Miftāḥ as-
saʿāda I, 207.
6 Ibn al-ʿImād, Šaḏrāt aḏ-ḏahab VI, 320; Ṭāšköprü-Zāda, Miftāḥ as-saʿāda I, 207; van Ess, Schul-
weisheit, 36.
7 Siehe: Würtz, Islamische Theologie, 28–29 und neuerdings auch: Spannaus, Nathan. Theology
in Central Asia. In The Oxford Handbook of Islamic Theology, Oxford, 2016, 587–605, 591–592.
Der frühe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī als māturīditischer Autor 353

Wunsch, Rache (irādat al-intiqām) zu üben, Grund des Zorns (ġaḍab) sei, oder der
Zorn Grund für den Wunsch nach Rache. Taftāzānī habe die erste These vertreten,
nach der ein Rachewunsch am Anfang stehe, während Ǧurǧānī zur Priorität des
Zorns tendiert habe, der dann in den Rachewunsch münde. Mit dieser Meinung
habe Ǧurǧānī Recht behalten.8 Timur hat allerdings einmal eine definitive Ent-
scheidung einer solchen Disputation gefordert. Als die Entscheidung dann gegen
Taftāzānī ausging, obwohl er sich als älterer und weiserer Gelehrter fühlte, war er
sehr betrübt. Für sein genaues Todesdatum finden sich unterschiedliche Belege,
doch favorisiert Sellheim das Zitat von Taftāzānīs Schüler Fatḥallāh aš-Širwānī,
nachdem er am 10. Januar 1390 (22. Muḥarram 792). verstorben sei. Dieses Datum
erscheint als das wahrscheinlichste. Nach seinem Tod wurde Taftāzānī an seinen
früheren Wohnort Saraḫs überführt und dort begraben.9

2 T
 raditionslinien
Schon eingangs ist zur Sprache gekommen, dass Taftāzānī hier als Vertreter
der māturīditischen theologischen Richtung vorgestellt werden soll.10 Auf den
Begründer dieser Richtung soll dabei nicht näher eigegangen werden, da sich
Taftāzānī vermittelt über zwei andere Autoren in der māturīditischen Tradition
verortet hat.11 Die Einschätzung von Taftāzānīs schon erwähntem Kommentar
als einem māturīditischen Werk beruht in aller erster Linie natürlich auf dem
namens gebenden Glaubensbekenntnis al-ʿAqāʾid an-Nasafīya des Naǧm ad-Dīn
an-Nasafī. Darüber hinaus ist besonders Abū l-Muʿīn an-Nasafī und vor allem
seine „Sichtung der Beweise hinsichtlich der Grundlagen der Religion gemäß
der Lehrmeinung des Abū Manṣūr al-Māturīdī“ (Tabṣirat al-adilla fī uṣūl ad-dīn
ʿalā ṭarīqat al-imām Abī Manṣūr al-Māturīdī) zu nennen. Diese beiden Werke
sind so bedeutungsvoll,12 dass ihnen einige Abschnitte gewidmet werden, bevor
Taftāzānīs Kommentar selbst vorgestellt wird.

8 Šawkānī. al-Badr aṭ-ṭāliʿ, 305.


9 Ṭāšköprü-Zāda. Miftāḥ as-saʿāda I: „nuqila ilā Saraḫsi wa-dufina bihā“, 206.
10 Es gibt Hinweise in Taftāzānī sogar denjenigen zu sehen, der den Begriff der Māturīdiyya
eingeführt hat.
11 Zudem geht der Beitrag von Ulrich Rudolph in diesem Band auf Māturīdī ein.
12 Spannaus. Theology, 587–588.
354 Thomas Würtz

Die Tabṣirat al-adilla des Abū l-Muʿīn an-Nasafī

Abū l-Muʿīn an-Nasafī (gest. 1114) trug den Herkunftsnamen, also die schon
einmal erwähnte nisba, des Ortes Nasaf in der Nähe von Buchara im heutigen
Usbekistan. Ihm kam eine zentrale Rolle bei der Rekonstruktion einer kalām-
Tradition mit dem Bezugspunkt Māturīdī zu.13 Dabei sichtete der Verfasser aber
nicht nur Beweise, wie es der Titel seines Werkes Tabṣira ohnehin schon nahelegt,
sondern führte einzelne Themen auch selbständig weiter aus und behandelte
offen gebliebene Fragestellungen. Ergänzungen, die Abū l-Muʿīn zum Teil auch
rechtfertigte, indem er die Religiosität Māturīdīs erwähnt, die jenen manchmal
vom Nachdenken über die Welt und ihre ontologische Struktur abgehalten hätten.
Doch hier soll im Vordergrund stehen, auf welche Weise die Tabṣira im Blick auf
den Kommentator Taftāzānī relevant wird. Dies geschieht in zwei Formen.
Zum einen übernimmt schon Naǧm ad-Dīn an-Nasafī, der Verfasser des für
Taftāzānī maßgeblichen Glaubensbekenntnisses, teilweise Formulierungen Wort
für Wort aus der Tabṣira in seine Glaubensartikel (ʿAqāʾid). Doch damit endet der
Einfluss der Tabṣira auf die spätere Tradition noch nicht. Denn zum anderen war
die Tabṣira auch direkt für Taftāzānī bei seiner Kommentierung der ʿAqāʾid von
Relevanz, da sie auf sehr abstraktem Niveau die Argumente hinter den Glaubens-
grundsätzen reflektiert und dem Kommentator Taftāzānī daher immer wieder
Stichworte sowie Definitionshilfen und Erklärungshinweise lieferte. An manchen
Stellen, aber keinesfalls bei jeder Übernahme eines Arguments nennt Taftāzānī
dabei seine Quelle. Er spricht von Abū l-Muʿīn an-Nasafī im Fall einer solchen
Bezugnahme als dem „Verfasser der Tabṣira“ (Ṣāḥib at-Tabṣira).
Damit kommen wir zu dem bereits erwähnten zweiten māturīditischen Theo-
logen: Naǧm ad-Dīn Abū Ḥafṣ ʿUmar b. Muḥammad an-Nasafī (gest. 1142) Naǧm
ad-Dīn ist vor allem wegen seines nun schon mehrfach erwähnten „Glaubens-
bekenntnisses“ (al-ʿAqāʾid an-Nasafīya) berühmt geworden. Um Naǧm ad-Dīn
an-Nasafī, der einer Gelehrtenfamilie, die sich über viele Generationen zurück-
verfolgen lässt, entstammte, und sein Werk (al-ʿAqāʾid) besser einordnen zu
können, ist es erforderlich, das Genre eines „Glaubensbekenntnisses“ in der
islamisch-theologischen Literatur kurz etwas allgemeiner zu betrachten. ʿAqāʾid
bedeutet übersetzt zunächst einfach „Glaubensartikel“, in denen versucht wird,
theologischen Lehren in knappen Worten präzisen Ausdruck zu verleihen.
Das Medium des Glaubensbekenntnisses diente daher zunächst eher ortho-
dox-konservativen bzw. traditionarischen Kreisen zur Untermauerung ihrer

13 Rudolph. Ḥanafī Theological Tradition and Māturīdism. In The Oxford Handbook to Islamic
Theology, Oxford, 2016, 280–296, 291.
Der frühe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī als māturīditischer Autor 355

theologischen Opposition gegen den abstrakten Rationalismus im kalām. Sie


formulierten ihre Bekenntnisse vornehmlich auf der Grundlage des Korans
und der Sunna des Propheten. Trotzdem nutzen rational vorgehende Theolo-
gen (mutakallimūn) das Format der knappen Sammlungen von Glaubensinhal-
ten später selbst, um zentrale Inhalte ihrer abstrakteren Überlegungen in eben
dieser handlicheren und leichter lesbaren Form zum Ausdruck zu bringen.14 Diese
wurden dann aber nicht nach den prophetischen Überlieferungen, sondern ihrem
inneren logischen Zusammenhang angeordnet. In der māturīditischen Lehrtradi-
tion trugen Glaubensbekenntnisse stärker als bei den Ašʿariten zur Ausarbeitung
des eigenen Dogmas bei, zumal auch weniger gelehrte Muslime diese zum Teil
auswendig lernten.15 Unter den verschiedenen māturīditischen Bekenntnissen
kommt den ʿAqāʾid des Naǧm ad-Dīn an-Nasafī eine Scharnierfunktion zu, da
er die Standpunkte der māturīditischen Theologie zusammenfügt und zugleich
knapp umreißt und sie damit deutlich greifbarer macht, als sie es in den Schriften
früherer Vertreter der theologischen Richtung waren. Sein Glaubensbekenntnis
wurde im weiteren Verlauf der Theologiegeschichte sogar häufiger kommentiert
als die Bekenntnisse von so bekannten Autoren wie Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī (gest.
1210) oder Abū Ḥāmid al-Ġazālī (gest. 1111).16
Die Inhalte der ʿAqāʾid umfassen eine kurze Erkenntnislehre, eine Aufzäh-
lung der göttlichen Attribute, einige Paragraphen über die Struktur der Welt mit
Substanzen und Akzidenzien sowie Aussagen zum Handlungsvermögen des
Menschen, zum Jenseits, den Engeln und den göttlichen Namen. Hierauf baut
Taftāzānīs erstes theologisches Werk, der eingangs schon genannte Kommentar
Šarḥ al-ʿAqāʾid an-Nasafīya auf. Insofern mit ihm nach dem Schulgründer und
den beiden Nasafīs erneut ein Gelehrter im zentralasiatischen Raum die Lehr-
tradition fortführt, wird der regionale Schwerpunkt der Māturīdīya deutlich.17
Taftāzānīs „Kommentar zu den Glaubensartikeln des Nasafī“ (Šarḥ al-ʿAqāʾid
an-Nasafīya), charakterisiert Elder wie folgt: „Rather than go back to original
sources and reconstruct their theology, it was preferable to reinterpret the articles
of belief of someone in the past.“18

14 Wensinck A.J. The Muslim Creed. London, 1965, 1–2.


15 Van Ess, Josef. Die Erkenntnislehre des ʿAḍudaddīn al-Īcī. Übersetzung und Kommentar des
Ersten Buches seiner Mawāqif. Wiesbaden, 1966, 27.
16 Elder, Edgar, A Commentary on the Creed of Islam. Saʿd al-Dīn al-Taftāzānī on the Creed of
Najm al Dīn al-Nasafī, Bd. 20. New York, 1950.
17 Madelung, Wilferd. The Spread of Māturīdism and the Turks. In Religious Schools and Sects in
Medieval Islam. London, 1985, 111.
18 Elder, Commentary, xvi-xvii.
356 Thomas Würtz

Die Kommentierung von Glaubensbekenntnissen war einflussreich in Bezug


auf die spätere sunnitische Lehrtradition. Šarḥ al-ʿAqāʾid galt lange als alleiniger
Maßstab für die Theologie in Zentralasien sogar bis ins 20. Jahrhundert. Doch in
letzter Zeit rückt auch der Einfluss der Mystik auf die Theologie in den Jahrhunder-
ten zwischen Taftāzānīs Tod 1390 und dem Auftreten der russischen Djadidisten
um 1900 ins Blickfeld der Forschung.19 Das Werk Taftāzānīs blieb in seiner Wir-
kungsgeschichte aber nicht auf Zentralasien beschränkt: Šarḥ al-ʿAqāʾid gewinnt
seine Relevanz außerhalb Zentralasiens vor allem daher, dass dieser Kommentar
an al-Azhar in Kairo bis 1961 Standardeinführungswerk für kalām war. Exemp-
larisch kann auf die Auflistung des Glaubensbekenntnisses im Curriculum für
den kalām-Unterricht im 18. Jahrhundert verwiesen werden,20 wo die ʿAqāʾid als
Abschluss der Beschäftigung mit den eher kürzeren Texten und im Übergang zu
den weitaus ausführlicheren theologischen Summen genannt werden. Neben
der Verwendung von Taftāzānīs Kommentar steht hierfür auch der explizite
Versuch, māturīditische und ašʿaritische Theologie im mamlukischen Ägypten
zu verschmelzen, wie es in dem als Nūnīya21 bekannt gewordenen Gedicht des
Gelehrten Tāǧ ad-Dīn as-Subkī (gest. 1370) geschieht. Diese Tendenz fand ihre
Fortsetzung auch in osmanischer Zeit und besteht in gewisser Hinsicht bis heute
bei türkischen Muslimen.22 Das ašʿaritische Hauptwerk Taftāzānīs und insbeson-
dere der Teil zur Auferstehungslehre ist an al-Azhar bis heute Teil der zentralen
Primärtexte für fortgeschrittene Studierende.
Der hier vorgestellte Kommentar gehört aber zweifellos in die māturīditische
Tradition, obschon auch er bereits einige ašʿaritische Einflüsse enthält,23 wie auch
gleich das erste der hier erörterten Beispiele zeigen wird. Diese sind die Natur-
philosophie, die göttliche Attributenlehre und die Handlungstheorie. Taftāzānīs
Kommentar zur Naturphilosophie oder zum ontologischen Modell der Welt, das
sich der skizzierten māturīditischen Tradition einschreibt, macht den Anfang.

19 Spannaus. Theology, 589–590.


20 Heyworth-Dunne, James. An Introduction to the History of Education in Modern Egypt, Lon-
don, 1938, 55.
21 Alle Endreime lauten auf den arabischen Buchstaben Nūn.
22 Berger, Lutz. Interpretations of Ashʿarism and Māturīdism in Mamluk and Ottoman Times. In
The Oxford Handbook of Islamic Theology. Oxford, 2016, 693–703, 697–698.
23 Spannaus. Theology, 591.
Der frühe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī als māturīditischer Autor 357

3 Das ontologische Modell und der Atomismus


Die Welt, heute oft die Natur genannt, prägte und prägt die Daseinswahrnehmung
fast aller Menschen entscheidend. Selbst wenn die säkulare Weltsicht sie meist
nicht mehr als Schöpfung begreift, sondern als materielle Gegebenheit, so ist das
Bild, das wir uns von der Natur machen, nicht unwesentlich für unser Selbstver-
ständnis und jene, denen wir hier Expertise zubilligen, um uns die Welt zu erklä-
ren. Vor allem die extreme räumliche und zeitliche Ausweitung des Universums
einerseits und der Einblick in Zusammenstellungen von Elementarteilchen weit
unterhalb der Ebene des lange für unteilbar gehaltenen Atoms andererseits haben
die Aufgabe der Erklärung dessen, was uns umgibt, längst von den Theologen
und Philosophen in die Hände der Naturwissenschaftler gelegt. Dieses Gefühl
eines Erkenntnisfortschritts gegenüber den mutakallimūn werden wir auch sicher
behalten können. Doch gibt es auch immer neue Hinweise auf Zusammenhänge
und Dimensionen des Universums, die es als möglich erscheinen lassen, dass
auch unsere Sicht auf die Welt oder das heutige ontologische Modell einmal
als sehr beschränkt gelten werden. Kurz hingewiesen sei nur auf die „dunkle
Materie“, die 85 % aller Materie im Universum ausmacht,24 aber nicht mit Licht
interagiert und deswegen nicht beobachtet, aber über den Umweg der Gravitation
nachgewiesen werden kann. Himmelskörper würden ohne sie ihre Umlaufbahn
nicht halten können, da die bekannte (leuchtende) Materie nicht ausreicht, um
die nötige Gravitationskraft auf sie auszuüben.25 Ein Weltbild, das diese Materie
erschließen, sichtbar, erfahrbar machen würde, wäre anders als unser jetziges,
zumal „dunkle Materie“ auch menschliche Körper in jeder Sekunde durchdringt.26
Uns selbst in einem Prozess und nicht in einem finalen Erkenntniszustand zu
wähnen, erleichtert den Blick zurück in die Geschichte.
Damit also zum Stand der Dinge zwischen dem 10. Jahrhundert, in welchem
Māturīdī (gest. 944) über die Welt nachdachte und dem 14. Jahrhundert, in
welchem Taftāzānī seinen Kommentar schrieb und damit an Māturīdī und die
nach ihm weiterentwickelte theologische Tradition anknüpfte. Im Fall des Gelehr-
ten Māturīdī überrascht etwas seine Zurückhaltung mit systematischen Ausfüh-
rungen zur Naturphilosophie, insofern es zu seiner Zeit bereits Tradition unter
islamischen Theologen war, sich Gedanken zum Aufbau der Welt zu machen.27

24 Randall, Lisa. Dunkle Materie und Dinosaurier. Die erstaunlichen Zusammenhänge des Univer-
sums. Frankfurt a. M., 2016, 21.
25 Randall. Dunkle Materie, 31–32.
26 Ebd., 31.
27 Rudolph. Māturīdī, 268.
358 Thomas Würtz

Als Begründer naturphilosophischen Denkens innerhalb des kalāms gelten dabei


die muʿtazilitischen Theologen Abū l-Huḏyal und an-Naẓẓām.28 Diese beiden und
andere frühe Theologen entwarfen verschiedene Modelle der Welt, wobei sich
letztlich der Atomismus in der Gestalt der Lehre von Abū l-Huḏayl weitgehend
durchsetzen konnte,29 dessen Terminologie auch einflussreich blieb. Er führte
die Rede von einem Teil, der nicht weiter geteilt werden kann, ein, womit unser
Atom gemeint ist.30 Māturīdī allerdings hatte in seinem Kitāb at-tawḥīd (Buch des
Eingottglaubens) den Atomismus und seine Begrifflichkeit ignoriert,31und sprach
zum Einen von Naturen, womit er wahrscheinlich die Qualitäten heiß, kalt, nass
und trocken meinte. Hinzu kamen bei ihm Akzidenzien (aʿrāḍ), also veränder-
liche Attribute wie Bewegung und Ruhe und die Farben,32sowie Aussagen, die
zeigen, dass er die Frage, ob Körper zwei- oder dreidimensional seien, mit drei-
dimensional beantwortet hat, insofern er ihnen sechs Seiten zuspricht.33
Das ontologische Modell der Welt, das Abū l-Muʿīn an-Nasafī eher in Form
einer Anlehnung an Māturīdī in seiner Tabṣira konstruiert, nimmt neben Akziden­
zien aber auch Atome an. Abū l-Muʿīn hat diese Neuerungen im māturīditischen
Denken dabei allerdings mit den Aussagen des Schulgründers verwoben.34 An
einer Stelle gibt Abū l-Muʿīn die Ergänzungen auch zu und legitimiert sie dabei
indirekt, insofern er sie als zweitrangig darstellt, da sie ja nicht in den engeren
Bereich der Prinzipien der Religion fielen.35 Abū l-Muʿīn war mit seiner Transfor-
mation der Lehre erfolgreich, vor allem da sie Eingang in die ʿAqāʾid des Naǧm
ad-Dīn an-Nasafī fand. Die entsprechende Stelle lautet:36
„Die Welt ist in allen ihren Teilen in der Zeit geschaffen (muḥdaṯ), da sie aus
körperlichen Substanzen (aʿyān) und Akzidenzien besteht. Die Substanzen sind
das, was durch sich selbst besteht, und das ist entweder zusammengesetzt und
dann ein Körper (ǧism) oder nicht zusammengesetzt, und dann das unteilbare
Teilchen, d. h. das Atom (ǧawhar). Das Akzidenz ist das, was nicht durch sich

28 Rashed, Marwan. Natural philosophy. In The Cambridge Companion to Islamic Philosophy.


Cambridge, 2005, 287–307, 288.
29 Rashed. Natural, 290; Rudolph. Māturīdī, 271.
30 Rashed. Natural, 288.
31 Rudolph. Māturīdī, 271.
32 Rudolph. Ḥanafī Theological Tradition, 288–289.
33 Ebd., 273.
34 Ebd., 277.
35 Rudolph. Māturīdī, 279.
36 Wensinck. Creed, 249; Rudolph. Māturīdī, 279–280; Abū l-Muʿīn Maymūn b. Muḥammad an-
Nasafī. Tabṣirat al-adilla I-II. Salamé, Claude (Hg.). Damaskus, 1993, hier I: „wa-iḏā ʿurifa anna
l-ʿālama bi-asrihī mā ḏakarnā min aʿrāḍin wa-l-aʿyānin.“, 55.
Der frühe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī als māturīditischer Autor 359

selbst besteht, sondern an den Körpern auftritt wie die Farben, die Seinsarten
(akwān), Geschmacksarten und Gerüche.“37
Taftāzānī kommentiert hierzu, die Welt umfasse alles außer Gott selbst, also
Körper, die Akzidenzien, Pflanzen, Tiere usw. aber nicht die Eigenschaften Gottes,
womit er eine schöpfungstheologische Grundaussagen trifft. Beim Stichwort „in
der Zeit entstanden (muḥdaṯ) grenzt er die Lehre zudem von den Philosophen
ab, welche die Lehre von der Ewigkeit der Welt vertreten hätten.38 Nach dieser
Definition der Welt, als der Gesamtheit des zeitlich Geschaffenen, geht er auf die
Aussagen zum Aufbau der Welt ein, wobei er zunächst knapp und konventionell
die Aufteilung der Welt in aus sich selbst heraus beständige Substanzen und
Attribute kommentiert. Substanzen sind, wie auch Nasafī im Glaubensbekennt-
nis schreibt, zusammengesetzt, also Körper, oder nicht zusammengesetzt. Beim
Begriff des Körpers erläutert er die Ansichten der früheren Theologen zur Natur
der Körper und die Frage, wie viele Komponenten ein Körper braucht, nimmt aber
den von Māturīdī implizit vertretenen dreidimensionalen Charakter der Körper
(s. o.) als gegeben hin.39 Im Fall der nicht zusammengesetzten Substanz greift er
ohne Umschweife auf den Atomismus und die klassische Formulierung „des Teil,
der nicht geteilt werden kann“ (wa-huwa al-ǧuzʾ al-laḏī lā yataǧazzaʾ) zurück, den
Māturīdī nicht erwähnt und Abū l-Muʿīn unterschwellig in die māturīditische Tra-
dition eingebaut hatte.40
Er benutzt nun auch den klassischen Begriff für das Atom, nämlich ǧawhar,
was Māturīdī eher als Wesenheit verstanden hatte. Er kommentiert weiter, dass
die Lehre vom Atom gegen jede Einschränkung gefeit sein müsse und bringt den
Atomismus als Gegenmodell zum philosophischen Hylemorphismus in Position.41
Zum Beweis des Atomismus greift er neben anderen Argumenten auch auf
die Idee eines Punktes, der über eine längere Strecke auf einer Fläche entlang
gezogen wird, und dort eine Linie hinterlässt, zurück. Zusammen mit der Überle-
gung, dass eine Tangente einen Kreis in genau einem Punkt berührt, gelten diese
geometrischen Beobachtungen traditionell als Beweis für unteilbare Punkte –
und somit für den Atomismus.42 Die Verwendung des Arguments zeigt in unserem

37 Nasafī. ʿAqāʾid. In Salāma (Hg.), 24–25; Übersetzung nach Rudolph. Māturīdī 279, Fußnote 88.
38 Taftāzānī, Šarḥ al-ʿAqāʾid, 24–25. Die Schöpfungsfrage vertieft Taftāzānī im 7. Kapitel und
auch im Folgenden wird der Aspekt des göttlichen Aspekts des Erschaffens noch eine Rolle spie-
len (s. u.).
39 Taftāzānī. Šarḥ al-ʿAqāʾid, 26; Elder, Commentary, 30.
40 Taftāzānī. Šarḥ al-ʿAqāʾid, 26.
41 Taftāzānī. Šarḥ al-ʿAqāʾid, 26–27; Elder. Commentary, 31–32.
42 Taftāzānī. Šarḥ al-ʿAqāʾid, 27; Elder. Commentary, 31; Rashed. Natural, 303.
360 Thomas Würtz

Zusammenhang, dass Taftāzānī sich in seinem Kommentar durchaus auch bei


anderen, nicht-māturīditischen Lehren bedient hat.
Am Schluss verlagert er die Diskussion jedoch auf eine ganz andere, nicht
mehr naturphilosophische Ebene, wenn er nach dem Ertrag (ṯamara) der Diskus-
sion fragt. Hier argumentiert er, der Atomismus, jetzt begrifflich als (al-ǧawhar
al-fard) gefasst, helfe manche unliebsame Folge der philosophischen Position zu
vermeiden. So richte sich der Atomismus gegen die Lehre von der Ewigkeit der
Welt, oder die Ablehnung der körperlichen Auferstehung der Toten und gegen
die Lehre, dass die Himmelssphären nicht durchbrochen werden könnten.43 Die
Verbindung dieser philosophischen Ansichten mit dem Atomismus wirkt etwas
obskur, doch war zum Beispiel die Möglichkeit der Durchbrechung der Himmels-
phären für die Lokalisierung eines nach ašʿaritischer und māturīditischer Lehre
bereits im Kosmos erschaffenen Jenseits (Paradies und Hölle) und dessen Ver-
bindung mit dem Diesseits wichtig, weshalb Taftāzānī dann auch auf diese natur-
philosophischen Aussagen im eschatologischen Teil des Kommentars nochmals
Bezug nimmt.44 Die von Taftāzānī selbst gestellte Frage nach dem Sinn der Dis-
kussion der Beweise und die recht plötzliche Aufzählung zentraler theologischer
Inhalte bietet den Atomismus eher als die bessere theologische Option an, als
dass er ihn naturphilosophisch zu beweisen versucht.
Insofern Taftāzānī somit anders als Māturīdī einen Atomismus vertritt, steht
er in gewisser Hinsicht am Endpunkt der Entwicklung in einer Schultradition, die
dieses Modell Stück für Stück inkorporiert hat. Er scheint im Fall der Naturphi-
losophie als Kommentator des māturīditischen Glaubensbekenntnisses inhalt-
lich damit aber nicht mehr sehr nah bei Māturīdī selbst zu stehen. Doch was die
beiden Gelehrten verbindet, ist, dass bei beiden religiös-theologische Fragen
wichtiger als die naturphilosophische Theorie zu sein scheinen.
Mit dem göttlichen Attribut des „ewigen Erschaffens“ kommen wir aber zu
einem Aspekt der māturīditischen Lehre, den Taftāzānī in seinem Kommentar ver-
tritt und argumentativ untermauert.

43 Taftāzānī. Šarḥ al-ʿAqāʾid, 28; Elder. Commentary, 32.


44 Taftāzānī. Šarḥ al-ʿAqāʾid, 112; Würtz. Islamische Theologie, 98–99.
Der frühe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī als māturīditischer Autor 361

4 S
 chöpfungslehre und das Attribut des ewigen
Erschaffens (takwīn)
Angelpunkt der Diskussion um das göttliche Attribut des Erschaffens war der
Begriff der Ewigkeit bzw. die Frage, was von Ewigkeit her existiert und was erst
später hinzukommt. Existiert allein Gott von Ewigkeit her, die Schöpfung aber
erst von einem bestimmten Zeitpunkt an oder sind beide ewig? Mit den Kategorien
„urewig“ und „zeitlich entstanden“ war ein wichtiges Unterscheidungskriterium
gewonnen, um den Schöpfer von seiner Schöpfung abzugrenzen. Die Theologen
vertraten in Abgrenzung von der philosophischen Lehre, die sagte, die Welt exis-
tiere von Ewigkeit her, den Standpunkt eines zeitlichen Entstanden-Seins der
Schöpfung.45
In dieser Frage bildet die māturīditische Schule keine Ausnahme. Auch sie
betonte die Lehre von der zeitlichen Geschaffenheit. Māturīdī berief sich dazu auf
sechs zentrale Argumente: Er begründete die Lehre vom Koran her, ergänzte sie
durch das Wissen des Menschen um seine eigene Zeitlichkeit und die Endlichkeit
aller Dinge um ihn herum. Er kombinierte dies mit der Beobachtung, dass Körper
Unterschiedliches in sich vereinen, weshalb sie nicht autonom seien.46
Die Einflussnahme Gottes auf seine Schöpfung wird bei Māturīditen und
Ašʿariten etwas anders definiert. Während die Aussagen zur Schöpfungslehre
in den Glaubensartikeln des Nasafī ihren Ausgang bei einem ewigen göttlichen
Attribut des Erschaffens (takwīn) nehmen, thematisiert die ašʿaritische Lehre dies
eher unter dem bekannten Begriff des Handlungsvermögens (qudra). Doch nun
ein Blick in den Text Nasafīs:
„Erschaffen ist ein göttliches Attribut von aller Ewigkeit her,“ leitet Nasafī
seinen Glaubensartikel ein. „Dabei schafft er die Welt und alle Teile in ihr, dies
aber zum Zeitpunkt ihrer Existenz,“ also nicht von Ewigkeit her, und zwar „wenn
es seinem Willen und Wissen entspricht.“47 Nasafī kombiniert also die Ewigkeit
des spezifischen göttlichen Attributs über einen ewig von Gott schon gewussten
Zeitpunkt mit der Zeitlichkeit der Welt. Taftāzānī führt eine Reihe von Argumen-
ten an, von denen hier drei präsentiert werden sollen: So kommt er zunächst beim
Stichwort „urewig“ (azalīya) auf die genaue Definition des fraglichen Attributs als
eines ewigen Attributs zu sprechen und hebt hervor, dass alles, was in Gott exis-
tiert von Ewigkeit in ihm existiert haben müsse. Zudem habe Gott, so ein zweites

45 Die Ausführungen in diesem Kapitel basieren auf Untersuchungen im Rahmen meiner Studie:
s. Würtz. Islamische Theologie, 255–257.
46 Rudolph. Māturīdī, 263–264.
47 Nasafī. ʿAqāʾid. In Salāma (Hg.), 62.
362 Thomas Würtz

Argument, ja in seiner Rede, also dem unerschaffenen Koran, bereits von sich
als Schöpfer gesprochen. Wäre die Fähigkeit Gottes zu schaffen erst zeitlich ent-
standen, würde sie ihrerseits einen Moment des Erschaffens benötigen, der zeit-
lich unmittelbar davor angesiedelt ist. Verhielte es sich aber so, würde sich ein
infiniter Regress zu einem immer weiter zurückliegenden Moment des Erschaf-
fens ergeben, denn auch für diesen zeitlich unmittelbar der ersten Schöpfung
vorhergehenden Moment, in dem also Gottes Fähigkeit erst entsteht, wäre neuer-
lich ein Moment vonnöten, in welchem dieser Moment selbst erschaffen würde.
Da sich diese Kette der Erschaffung von Momenten aber theoretisch unbegrenzt
fortsetzen würde, gäbe es letztlich keinen Ausgangspunkt und die Erschaffung
der Welt wäre unmöglich gewesen. Dies aber zeigt, dass es sich anders verhalten
muss, Gott also das fragliche Attribut von Ewigkeit her besitzen muss, da ja die
Welt augenscheinlich erschaffen ist.48 Bei dieser Argumentation dafür, dass es
ein ewiges Attribut des Erschaffens geben müsse, zeigt sich eine große Nähe zum
philosophischen Plädoyer für die Weltewigkeit.
Schließlich, drittens, greift Taftāzānī in seinem Kommentar den Einwand auf,
das Erschaffen komme erst in dem Moment zu Gottes Macht hinzu, in dem auch
etwas Geschaffenes entstehe, so wie ein Schlag nicht existiere, ohne dass es auch
einen Geschlagenen gebe. Doch während es sich beim Schlagenden und Geschla-
genen um eine relative Eigenschaft handelt, die durch diese beiden Personen und
durch den Vorgang des Schlagens hergestellt wird, so sind Wissen und Macht als
wahre Eigenschaft ewig und überhaupt erst Ausgangspunkt für die Möglichkeit
der Relation, die als Objekte erst zeitlich entstehen.49 Mit seiner Verbindung von
Macht, Willen und Schöpfertätigkeit bleibt Taftāzānī ganz eindeutig im Fahrwas-
ser der māturīditischen Attributenlehre und festigt Positionen, die auch Māturīdī
schon vertreten hatte. Er schätzt das Attribut des ewigen Erschaffens, um Gottes
Ewigkeit und die zeitliche Schöpfung gedanklich zu verbinden.
Das zweite Beispiel für eine māturīditische Position in Taftāzānīs Šarḥ
al-ʿAqāʾid an-Nasafīya ist die Handlungstheorie, ein klassisches Feld der theo-
logischen Spekulation im kalām ganz gleich welcher Schulrichtung.

48 Taftāzānī. Šarḥ al-ʿAqāʾid, 64–65.


49 Ebd., 65–66.
Der frühe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī als māturīditischer Autor 363

5 H
 andlungstheorie
Noch aus der ḥanafitischen Tradition, aus der sich die māturīditische theologische
Richtung ja entwickelt hat,50 stammt der Grundsatz, in Fragen der Handlungs-
theorie eine mittlere Position zwischen Determinismus und freiem menschlichen
Willen einzunehmen.51 Die Extreme, also die weitgehende Willensfreiheit der
Qadariten, und die Theorie des göttlichen Zwangs bei den Ǧabriten konnten so
vermieden werden. Daraus entstand ein kombiniertes Modell, das darauf hinaus-
lief, zwischen Willen, Bestimmung, Beschluss und Erschaffung auf Seiten Gottes
und der ausführenden Umsetzung (fiʿl) durch den Menschen zu unterscheiden.52
Māturīdī benutzte daher in seiner Handlungstheorie konsequent den Begriff
der freien Wahl (iḫtiyār). Bezüglich des umstrittenen Handlungsvermögens führte
er noch eine weitere Differenzierung ein: Während die ḥanafitischen Lehre das
Handlungsvermögen mit der Handlung auftreten ließ, und die Karrāmiten wie
auch die Muʿtazila lehrten, es sei schon vor der Tat vorhanden, gelang Māturīdī
eine Synthese. Er postulierte, ein Handlungsvermögen besitze der Mensch von
Natur aus (istiṭāʿa), es sei Teil seiner persönlichen Unversehrtheit (salāma) und
damit „die Voraussetzung für jedes planmäßige Handeln.“ Ein zweites Hand-
lungsvermögen, das von Gott gegeben werde, setze mit der Tat (maʿa l-fiʿl) ein
und befähige ihn zur Ausführung der Tat. Aus der Kombination der beiden Hand-
lungsvermögen ergebe sich dann ein Moment der Wahlfreiheit (iḫtiyār). Māturīdī
verstand die freie Wahl (iḫtiyār) zugleich als das erste göttliche Attribut. Er über-
nahm diesen Ausdruck ebenfalls für die hier relevanten Formen menschlicher
Handlungen. In der Handlungstheorie ist die māturīditische Position somit durch
eine Synthese aus der Realität der menschlichen Handlung und ihrer Schaffung
durch Gott gekennzeichnet. Die entsprechenden Glaubensartikel liefern zudem
einige einführende Überlegungen zum Handlungsbegriff.

Gott, der Erhabene, ist Schöpfer aller Handlungen der Menschen (ʿibād), gleich ob sie aus
Unglauben oder Glauben, aus Gehorsam oder Ungehorsam bestehen.53

Taftāzānī erläutert in seinem Kommentar hier den Unterschied zur Muʿtazila, die
gesagt habe, der Mensch sei Schöpfer seiner Handlungen (al-ʿabd ḫāliq li-afʿālihī),

50 Rudolph, Ḥanafī Theological Tradition, 280–281.


51 ebda., 283.
52 Rudolph, Māturīdī, 337. Wie im vorherigen Kapitel basieren die folgenden Ausführungen auf
Untersuchungen im Rahmen meiner Studie zu Taftāzānī: s. Würtz, Islamische Theologie, 171–193.
53 Nasafī. ʿAqāʾid. In Salāma (Hg.), 77.
364 Thomas Würtz

wobei er diesen Sprachgebrauch noch nicht mit den frühen Muʿtaziliten in Ver-
bindung bringt.
Taftāzānī wendet dagegen ein, dass man in diesem Fall auch alle Details
seiner Handlung kennen müsse. Allerdings kennt der Mensch viele Abläufe in
seinem Körper gar nicht. Wenn er geht, weiß er zum Beispiel nicht, welche Bewe-
gung des Ausdehnens und Zusammenziehens sich in seinen Muskeln vollzieht.
Der Grund dafür ist nicht etwa Ablenkung, sondern schlichte Unkenntnis.
Taftāzānī erwähnt an dieser Stelle auch einen Aspekt der Geschichte des
kalāms. So sei die Muʿtazila wegen ihrer Lehre von einer Schöpferrolle des Men-
schen sogar der Beigesellung (širk) anderer Götter zu dem einen und einzigen
Gott gemäß des islamischen Monotheismus bezichtigt worden. Auch Abū l-Muʿīn
an-Nasafī erhebt in der Tabṣira diesen Vorwurf an die Adresse der Muʿtazila.
Taftāzānī differenziert širk zu zwei Formen aus, wie es auch in der Tabṣira der
Fall ist: Im ersten Fall haben die Wesen, die Gott beigesellt werden, Anteil an
der Göttlichkeit wie in den Lehren der Magier. Im zweiten Fall aber sind die Bei-
gesellten nur Gegenstand der menschlichen Verehrung, wie es bei der Anbetung
von Götzen üblich ist. Abū l-Muʿīn nennt das andere göttliche Wesen „Teilhaber
an der Schöpfung“ (šarīk fī taḫlīq al-ʿālam)54 während Taftāzānī von „einem Teil-
haber an der Göttlichkeit im Sinne einer Notwendigkeit der Existenz“ (šarīk fī
ulūhīya bi-maʿnā wuǧūb al-wuǧūd)55 spricht. Seine Terminologie ist damit abs-
trakter und stärker philosophisch geprägt. Bei der zweiten Art einer solchen
Beigesellung wählt er dieselben Worte wie der Verfasser der Tabṣira, wenn er
von einem „Recht auf Anbetung“ spricht (istiḥqāq al-ʿibāda). Taftāzānī weist
diesen Vorwurf aber ab, da širk auch bedeute, Gott als Schöpfer etwas beizuge-
sellen, während die Muʿtaziliten immer beachtet hätten, dass der Mensch beim
Handeln auch auf Dinge zurückgreife, die Gott ihm gegeben habe. Somit ist also
für Taftāzānī anders als für Abū l-Muʿīn die göttlich-menschliche Gemeinsamkeit
bei den Handlungen auch im muʿtazilitischen Konzept gegeben. Er schließt die
Bemerkung an, dass Theologen in Transoxanien (mašāyiḫ mā warāʾ n-nahr) in der
Anklage gegen die Muʿtazila übertrieben hätten,56 indem sie ihnen die Aussage
unterstellten, Gott habe noch mehr als nur einen Teilhaber. Genau diesen Vorwurf
erhebt Abū l-Muʿīn, der ihn sogar ausweitet, indem er argumentiert, die Magier
hätten Gott immerhin einen bösen Gegengott beigesellt, während die Mitgötter

54 Abū l-Muʿīn. Tabṣira II, 674.


55 Taftāzānī. Šarḥ al-ʿAqāʾid, 79.
56 Die Auseinandersetzung der transoxanischen Theologen mit der Muʿtazila wurde vor allem
durch das Auftreten des Muʿtazliten al-Kaʿbi (gest. 931) befördert. Auch Māturīdī hat sich später
deutlich von ihm distanziert. s. Rudolph. Ḥanafī Theological Tradition, 286–287.
Der frühe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī als māturīditischer Autor 365

der Muʿtaziliten besser als Gott handelten. Die strikt anti-muʿtazilitische Position
aus māturīditischer Perspektive verändert Taftāzānī hier in eine gemäßigtere,
die aber weiterhin im Kern māturīditisch bleibt insofern, die Geschaffenheit der
Handlung durch Gott hervorgehoben wird.
Der übernächste Glaubensartikel von Nasafī handelt von der Wahl (iḫtiyār)
des Menschen:

Den Menschen kommen Handlungen mit Wahlmöglichkeit zu, für die sie belohnt oder
bestraft werden. […] Das Gute an ihnen führt zur Zufriedenheit Gottes und das Böse an
ihnen zu Seiner Unzufriedenheit.57

Nasafī fährt hier also ganz māturīditisch fort, dass die Geschöpfe Wahlmöglich-
keiten haben. Taftāzānī kontrastiert dazu Meinungen mit Gegenmeinungen. In
diesem Fall setzt er der Betonung der Wahlmöglichkeit zunächst die Position der
Ǧabriten (die den Zwang vertreten, s. o.) entgegen, die dem Menschen überhaupt
keinen Einfluss, also weder Handlungsvermögen, noch Absicht, noch Wahlfrei-
heit bei seinen Handlungen zubilligten. Gegen diese Position führt er die Unter-
scheidung zwischen der Bewegung des Greifens und des Zitterns an. Im ersten
Fall gebe es eine Wahlmöglichkeit, im zweiten Fall nicht. Wer die ǧabritische
Position teile, könne daher auch nicht von einer rechtmäßigen Verpflichtung des
Menschen auf das göttliche Gesetz sprechen.
Für das Problem einer Beteiligung von Gott und Mensch an der Handlung
ergeben sich zwei Seiten (ǧihatayn): Die von Gott her zu denkende ist die Hervor-
bringung. Vom Menschen her ist sie als Aneignung zu denken. Eine Schöpfung
der Handlung durch Gott verhindert nicht, dass der Mensch dabei Handlungs-
vermögen und Wahlfreiheit hat. Auch hier tritt die auf Māturīdī zurückgehende
Haltung Taftāzānīs wieder klar zum Vorschein. Doch sein Kommentar der ʿAqāʾid
des Nasafī ist zugleich auch wieder der Ausgestaltung der Lehre durch Abū
l-Muʿīn verpflichtet und in seinen Begründungen lassen sich Spuren der Tabṣira
ausmachen, wenn wir weitere klärende Unterscheidungen zwischen göttlicher
Schöpfung und der menschlichen Aneignung in den Blick nehmen. Taftāzānī
nennt deren drei:
1. Zur Aneignung gehört auch der Gebrauch von Instrumenten, welche nicht zur
Schöpfung gehören.
2. Aneignung ist räumlich an den Ort des Handlungsvermögens gebunden, was
bei der Schöpfung ebenfalls nicht der Fall ist.

57 Nasafī. ʿAqāʾid. In Salāma (Hg.), 89–90.


366 Thomas Würtz

3. Zudem kann Aneignung nicht von der Person, die sie vollführt, getrennt
werden, was beim Schöpfer möglich ist.58

Für diese drei Differenzierungen im Aneignungsbegriff findet sich unter Absehung


einer leicht veränderten Reihenfolge eine direkte Vorlage bei Abū l-Muʿīn.59 Wie
auch Gimaret beobachtet hat, gehen bei Taftāzānī die māturīditische Position und
die ašʿarītische Theorie einer Aneignung der Taten durch den Menschen (kasb)
ineinander über, um die Beziehung (rapport) zwischen Gott und Mensch erklären
zu können.60 Hiermit liegt er auf einer Linie mit dem oben schon einmal erwähn-
ten ägyptischen Gelehrten Subkī, der in seiner Nūnīya befindet, kasb (Aneignung)
und iḫtiyār (Wahl) seien zwei Ausdrücke für ein und dieselbe Sache.61
Nasafīs nächster Glaubensgrundsatz nimmt nun eine in der Tradition des
kalām schon oft diskutierte handlungstheoretische Begrifflichkeit in den Blick.
Er kommt zum Handlungsvermögen:

Das Handlungsvermögen (istiṭāʿa) existiert zugleich mit der Handlung und es ist das
wirkliche Vorliegen des Handlungsvermögens (qudra), durch das sich die Handlung voll-
zieht.62

Insofern hier vom Handlungsvermögen die Rede ist, verbleibt die Diskussion
bei der Verhältnisbestimmung des göttlichen und menschlichen Beitrags zur
Handlung. Abū l-Muʿīn – erneut zentraler Vermittler der Gedanken – sagt hierzu,
dass das Handlungsvermögen in zwei Teile zerfalle. Taftāzānī folgt ihm hierin
zunächst, als dass das Handlungsvermögen (istiṭāʿa), das zusammen mit der Tat
auftritt – die zweite Form nach Māturīdī – ein von Gott für die Handlung geschaf-
fenes Akzidens sei. Gott erschafft es in einem Lebewesen, so dass es Wahlhand-
lungen vollziehen kann und als Ursache (ʿilla) der Handlung bezeichnet werden
kann.63 Es führt damit zum „wirklichen Vorliegen des Handlungsvermögens“
(ḥaqīqat al-qudra).
Taftāzānī schließt sich dieser Lehre aber nicht umfassend an. Er beruft sich
auf eine nicht näher spezifizierte Mehrheit, die meint, das Handlungsvermögen
sei eine Bedingung zum Vollzug (adāʾ) der Handlung und keine Ursache wie bei
Abū l-Muʿīn. Er fasst dies direkt im Anschluss so zusammen, dass das Handlungs-

58 Taftāzānī. Šarḥ al-ʿAqāʾid, 87.


59 Abū l-Muʿīn. Tabṣira II, 654.
60 Gimaret. Théories, 165.
61 Badeen, Edward. Sunnitische Theologie in Osmanischer Zeit. Würzburg, 2008, 18.
62 Nasafī. ʿAqāʾid. In Salāma (Hg.), 90.
63 Abū l-Muʿīn. Tabṣira II, 541.
Der frühe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī als māturīditischer Autor 367

vermögen von Gott bei der „Absicht zur Aneignung der Handlung“ (qaṣd iktisāb
al-fiʿl) geschaffen sei, nachdem die physikalischen Gründe und Instrumente voll-
umfänglich bereit seien, was dem ersten Handlungsvermögen entspräche. Wenn
die Absicht zu einer guten Tat vorliege, schaffe Gott das zweite Handlungsvermö-
gen zum Guten und umgekehrt.
Als Beispiel führt Taftāzānī wieder auf die Tabṣira zurückgreifend – in diesem
Fall aber ohne es explizit anzugeben – einen Koranvers an. In diesem Vers und
seinem Kontext (11, 18–20) heißt es von vorher bereits erwähnten Frevlern, die
sogar andere Menschen von Gottes Weg abbringen wollen: „Sie vermochten
das Hören nicht.“64 Zunächst klingt dies nach reiner Vorherbestimmung ohne
menschliche Wahlfreiheit. Im Kontext der Diskussion von istiṭāʿa (Handlungsver-
mögen) scheint es aber plausibel, dass Taftāzānī vorschlägt, den Vers als Absage
an das gute Handlungsvermögen zu lesen: „sie haben das Handlungsvermögen
des Hörens [und damit des Glaubens] nicht realisiert.“ Sein Handlungsvermö-
gen zur guten Tat ist also ausgelaufen, der Handelnde „vermag“ sie nicht mehr.
Taftāzānī hat also, wie gesehen, in Anknüpfung an die Tradition von Abū l-Muʿīn
eine māturīditische Lesart des Verses fortgeführt.
In den Worten aus Nasafīs ʿAqāʾid steckt darüber hinaus ein Verweis auf eine
andere Diskussion, die auf die Anfänge der muʿtazilitischen Handlungstheorie
zurückgeht. Die seit Abū Huḏayl bestehende Überlegung, die Handlung in zwei
Momente aufzuspalten – einen, in welchem das Handlungsvermögen besteht,
und einen zweiten, in welchem die Handlung ausgeführt wird (s. o.) – weist
Taftāzānī dabei entschieden zurück.
Er fährt fort, dass das Handlungsvermögen (istiṭāʿa) ein Akzidens sei, das in
zeitlichem Zusammenhang „mit der Handlung“ stehen muss und „nicht vor ihr“
gegeben sein könne. Denn wäre es vorher gegeben, würde die Handlung ohne das
Vermögen zustande kommen, da Akzidenzien – wie eben auch das Handlungs-
vermögen – nicht beständig sind, womit er auf eine naturphilosophische Grund-
annahme des kalām in seiner atomistischen Ausprägung zurückgreift, der er sich
ja angeschlossen hatte (s. o.).
Taftāzānī wechselt sodann von der kausallogischen Ebene auf die Ebene einer
wirksamen ethischen Verpflichtung, wenn er sich fragt, worauf diejenigen denn
eigentlich hinaus wollen, die von einem Handlungsvermögen „vor der Handlung“
sprechen, was kausallogisch ad absurdum geführt werden kann. Ihr Anliegen
besteht wohl darin, dass die Verpflichtung zu rechtmäßigem Handeln (taklīf) „vor
der Handlung“ ja bereits gegeben sein müsse. Dies gilt für den Ungläubigen, der
zu einem früheren Zeitpunkt auf den Glauben verpflichtet worden sein muss, oder

64 Koran 11, 20: „mā kānū yastaṭīʿūna s-samʿ.“ (Übersetzung T.W.).


368 Thomas Würtz

den Muslim im Falle des Gebets. Eine Antwort gibt der nächste Satz der ʿAqāʾid
des Nasafī, in welchem auch das erste, natürliche Handlungsvermögen aus der
māturīditischen Tradition vorkommt:

Dabei hängt das Handlungsvermögen (istiṭāʿa) von einem einwandfreien Zustand der
grundlegenden Mittel, instrumentellen Hilfsmittel und Körperglieder ab und die Gültigkeit
der rechtlichen Verpflichtung beruht auf diesem Handlungsvermögen.65

Hier bringt Taftāzānī, wiederum der Tabṣira folgend, das Beispiel der Verpflich-
tung zur Pilgerfahrt nach Mekka aus Sure 3, 97 ins Spiel: „Es ist von Gott den
Menschen aufgetragen, zum Haus die Pilgerfahrt zu vollziehen – wer einen Weg
dorthin zu finden vermag.“66
Es gibt also etwas, was der Mensch „vor der Handlung“, in diesem Fall vor
seinem Aufbruch zur Wallfahrt „vermögen“ muss. In der Tabṣira findet sich, wie
auch im Kaššāf des Zamaḫšarī, eine auf den Propheten zurückgehende Spezi-
fizierung des Ausdrucks „wer einen Weg dorthin zu finden vermag“. Demnach
besteht die Grundlage für das „Vermögen“, die Wallfahrt antreten zu können im
Besitz eines ausreichenden Nahrungsmittelvorrats (zād) und einer Reitkamelin
(rāḥila).67 Dies bedeutet einen einwandfreien Zustand der „grundlegenden Mittel“
(s. Nasafī) und hat nichts mit einer Verwirklichung des (zweiten) Handlungsver-
mögens zu tun, wie Abū l-Muʿīn auch unmittelbar anfügt. Somit verweist der Vers
auf die erste Art des Handlungsvermögens, dessen spezifische Charakteristika für
eine Wallfahrt in Form von Nahrungsmittelvorrat und Reittier hier sehr anschau-
lich werden.
Taftāzānī lehnt, wie gesehen, das muʿtazilitische Handlungsvermögen
unmittelbar vor der Tat, das kausal aber zur Tat gehört, ab. Allerdings bezieht er
die Frage danach, in welchem Moment die rechtliche Verpflichtung (taklīf) greift,
die ja doch vor der Tat bestehen muss, auf denjenigen Satz aus den ʿAqāʾid, der
Māturīdīs Lehre vom ersten natürlichen Handlungsvermögen wiedergibt (s. o.):
„die Gültigkeit der rechtlichen Verpflichtung beruht auf diesem Handlungsver-
mögen,“. Für Taftāzānī beruht die Verpflichtung somit auf dem der Tat voraus
liegenden natürlichen Handlungsvermögen, denn dieses basierte auf menschli-
chen Grundvoraussetzungen für die Handlung wie der Unversehrtheit der Körper-
glieder. Die rechtliche Verpflichtung hat so auch den notwendigen Abstand zur

65 Nasafī. ʿAqāʾid. In Salāma (Hg.), 93.


66 Bobzin, 57. Die Wahl des deutschen Wortes „vermag“ weicht vom Wortlaut bei Bobzin ab, da
es hier ja gerade um die Verwendung des gleichen Wortstamms im Koran und in der theologi-
schen Debatte geht.
67 Zamaḫšarī, Ǧār Allāh. al-Kaššāf I, 401–402.
Der frühe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī als māturīditischer Autor 369

Tat. Damit verbleibt er auch hier in māturīditischer Tradition.68 Die Lehre von
den beiden Handlungsvermögen schwingt mit, wird aber nicht ausgesprochen,
so dass das erste Handlungsvermögen mit der rechtlichen Verpflichtung paral-
lelisiert werden kann. Abū l-Muʿīn hatte die beiden „Vermögen“ allerdings noch
als solche gesehen und mit Vers 4 aus Sure 58 als Offenbarungsbeweis untermau-
ert: „Wer auch das [Fasten] nicht vermag, dem obliegt die Speisung von sechzig
Armen.“69 Hier sei sicher das erste „natürliche“ Handlungsvermögen gemeint,
da die Tat des Fastens ja noch in der Zukunft liege. Das Handlungsvermögen zur
„Tatzeit“ selbst könne somit nicht gemeint sein. Wenn Taftāzānī also die Tabṣira
gut gekannt hat, was außer Frage steht, hätte er diesen Vers ebenfalls einbe-
ziehen, und die beiden Handlungsvermögen direkt gegeneinander abgrenzen
können. Dieser kurze Verweis hätte auch den Rahmen des Kommentars nicht
gesprengt. Es legt sich also die Vermutung nahe, dass wir in der Art und Weise wie
das Handlungsvermögen und seine Differenzierungen eingeführt werden, wieder
eher ein Beispiel für eine gewisse Distanzierung zu māturīditischem Denken vor-
finden, wie es auch bei der Einführung des Atomismus der Fall war (s. o.).
Abschließend wird noch ein Thema betrachtet, dass in allen theologischen
Richtungen von Bedeutung war, da hier altarabische Traditionen und ihre Fort-
existenz im kalām sehr deutlich werden.

6 D
 er Lebensunterhalt
Nasafī fährt in seinen Glaubensgrundsätzen mit zwei besonderen Aspekten der
Handlungstheorie fort, die als „Erbgut“ des vorislamischen Lebensgefühls in fast
allen späteren islamisch-theologischen Reflexionen gelten können: Diese sind
der Todeszeitpunkt (aǧal) und der Lebensunterhalt (rizq) eines Menschen. Hier
soll nur der zweite Teil des altarabischen Erbgutes im kalām – das Konzept des
Lebensunterhalts (rizq), den Gott allen Lebewesen direkt zukommen lässt – noch
abschließend Thema sein:

„Auch das Verbotene ist [von Gott gegebener] Lebensunterhalt und jeder erhält den voll-
ständigen Lebensunterhalt, sei es Erlaubtes oder Verbotenes. Es ist nicht vorstellbar, dass
ein Mensch seinen Lebensunterhalt nicht verzehrt, oder dass ein anderer ihn verzehrt.“70

68 Eine Spur dieser Debatte wird sich dann im Šarḥ al-Maqāṣid als fast einziges Erbe dieser
Lehre erweisen.
69 Bobzin, 489. (Ergänzung und Hervorhebung, T.W.).
70 Nasafī. ʿAqāʾid. In Salāma (Hg.), 100–101.
370 Thomas Würtz

Laut Taftāzānī könne es sich in einigen Fällen um erlaubte, manchmal aber auch
um verbotene Speisen handeln. Verbotenes aber war für die Muʿtaziliten kein
Lebensunterhalt, den Gott zugeteilt hatte, da sie Lebensunterhalt immer als recht-
mäßig Erworbenes oder als etwas, das in jeder Hinsicht – also auch in heilsbrin-
gender – zum Nutzen gereicht, definierten.
Taftāzānī verbleibt auch hier in seiner Erwiderung zunächst im Fahrwasser
der Tabṣira, wenn er bezüglich der muʿtazilitischen Position kritisch zu Bedenken
gibt, dass einige Tierarten und solche Menschen, die sich ihr ganzes Leben nur
von Verbotenem ernährten, niemals Lebensunterhalt von Gott erhalten würden,
was Gott im Koran aber ausgeschlossen habe.71
Taftāzānī versucht das dennoch verbleibende Problem, dass Gott einziger
Ernährer ist und das Verbotene somit auch von Gott stammt und von niemandem
anderen hervorgebracht werden konnte, mit Rückgriff auf das bekannte Konzept
der Wahl zu lösen. Damit geht er über die Tabṣira hinaus. Taftāzānī ergänzt die
Argumentation hier also, wenn er sagt, der Mensch begehe sehr wohl eine Sünde
und verdiene daher auch Strafe, da er durch seine Wahl eine direkte Verursachung
durch Gott durchkreuze. Das verhindere aber trotzdem nicht, dass die Ernährung
insgesamt aus Erlaubtem und Verbotenem bestehe und keiner den Lebensunter-
halt eines anderen verzehren könne.72
Mit Blick auf diesen letzten Satz zeigt sich, dass alle Handlungen, die mit
Ernährung des Menschen zu tun haben, in vorliegendem Paradigma kaum eine
eigenständige Rolle des Handelnden zulassen. Taftāzānīs Einwurf, der Mensch
habe auch beim Lebensunterhalt eine Wahl, ist inhaltlich wenig überzeugend und
verbleibt eher formelhaft. Die Tatsache, dass er erneut darauf zurückgreift, zeigt
aber, dass er der māturīditischen Tradition nicht nur folgt, indem er Nasafīs Text
kommentiert und Abū l-Muʿīns Argumente integriert, sondern die māturīditischen
Begriffe auch selbst zur Anwendung bringt.

Fazit
Taftāzānīs Kommentar folgt insgesamt der māturīditischen Ausrichtung der
ʿAqāʾid. Hierfür spricht vor allem, dass er das göttliche Attribut des ewigen Erschaf-
fens (takwin) bekräftigt. Zudem verbleibt er auf dem māturīditischen Mittelweg in
der Handlungstheorie, sowohl begrifflich mit der Wortwahl iḫtiyār (Wahl) als in

71 Abū l-Muʿīn. Tabṣira II, 688; Koran 11, 6.


72 Taftāzānī. Šarḥ al-ʿAqāʾid, 100f–101.
Der frühe Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī als māturīditischer Autor 371

der Analyse der Lehre von den zwei Handlungsvermögen, was er aber manch-
mal etwas weniger deutlich hervortreten lässt, als zu erwarten gewesen wäre.
Es lassen sich somit zwar eher wenige eigene Ansätze Taftāzānīs konstatieren,
allerdings unterscheidet er sich manchmal von Abū l-Muʿīns Darlegungen in der
Tabṣira, zu der er einen eigenen unabhängigen Standpunkt einnimmt.
Andererseits unterschlägt er explizite Hinweise trotz eindeutiger Bezugnah-
men: Wählen wir zur Veranschaulichung das Theater und die Aufführung einer
abgewandelten Fassung eines Stücks, so tritt die māturīditische Lehre manchmal
auf, ohne im Programmheft zu stehen und manchmal fehlt sie, wo wir sie in Kennt-
nis des ursprünglichen Stoffs erwartet hätten. So erscheint der Atomismus auf der
Bühne, obwohl Māturīdī ein eigenes System von Naturen und Akzidenzien ange-
nommen hatte. Doch vielleicht hat der Schwebezustand in Taftāzānīs Kommentar
ihm die Qualität eines Kompromisses zwischen verschiedenen Standpunkten im
kalām beschert und so zu seiner langen Verwendung beigetragen. Zudem lässt
sich für Zafar Ansari die Bedeutung des Werks darin erblicken, dass Taftāzānī
den Konsens der Gelehrten auf eindrückliche Weise intellektuell aufgearbeitet
habe.73 Wichtig erscheint zudem der Befund, dass māturīditisches Gedankengut
im 14. Jahrhundert durchaus lebendig war und in Form von Taftāzānīs Kommen-
tar auch bis ins 20. Jahrhundert weitergewirkt hat.74 An al-Azhar wurde der Kom-
mentar zu Nasafī 1961 durch Ġazālīs Iqtiṣād fi l- iʿatiqād ersetzt.
In der Person Taftāzānīs allerdings verhält es sich wohl so, dass das
Ašʿaritentum schneller zum Zuge kam. Denn während der Šarḥ zu Nasafīs ʿAqāʾid
1367 abgeschlossen wurde, entsteht knapp zwanzig Jahre später mit dem Šarḥ
al-Maqāṣid ein rein ašʿaritisches Werk. Geht man davon aus, dass Taftāzānī die
Beschäftigung mit der Vorlage und sein eigener Kommentar durchaus ein paar
Jahre beschäftigt haben können, muss er schon bald nach dem Šarḥ al-ʿAqāʾid
eine Wende vollzogen haben. Anzeichen dafür ließen sich ja in seinem insge-
samt als māturīditisch zu bezeichnenden Kommentar zu Nasafī durchaus aus-
machen.

73 Ansari, Zafar. Taftāzānī’s Views on Taklīf, Ǧabr and Qadar, 66.


74 Spannaus. Theology, 589.
372 Thomas Würtz

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Jon Hoover
Reason and the Proof Value of Revelation
in Fakhr al-Dīn al-Rāzī’s late kalām works
Taʾsīs al-taqdīs, Maʿālim uṣūl al-dīn, and al-
Arbaʿīn fī uṣūl al-dīn
Introduction
Fakhr al-Dīn al-Rāzī was arguably the most prominent and influential Muslim
philosophical theologian of his time. He was born in Rayy in 543/1149 or 540/1150,
and he died in Herat in 606/1210. Al-Rāzī enjoyed strong patronage, excelled in
theological disputation, and travelled extensively in Persia, central Asia, and
northern India.1 His writings were and still are highly influential. His books
quickly became points of reference not only in the Persianate world but also in
Syria, Egypt, and Yemen.2
Like al-Ghazālī, al-Rāzī did much to bring Avicennan falsafa and Ashʿarī
kalām into dialogue, and three of al-Rāzī’s early works engaging the philosoph-
ical tradition became highly influential. First, his Sharḥ al-Ishārāt3 established
Ibn Sīnā’s al-Ishārāt wa al-tanbīhāt as the central Islamic philosophical text in the
seventh/thirteenth and eighth/fourteenth centuries, and it sparked a tradition of
further commentary on Ibn Sīnā’s text by prominent figures such as the Ashʿarī
theologian Sayf al-Dīn al-Āmidī (d. 631/1233) and the Shīʿī scholars Naṣīr al-Dīn
al-Ṭūsī (d. 672/1274) and Ibn Muṭahhar al-Ḥillī (d. 726/1325).4 Second, al-Rāzī’s

1 Frank Griffel, “On Fakhr al-Dīn al-Rāzī’s Life and the Patronage He Received,” Journal of Islamic
Studies 18.3 (2007): 313–344; Ayman Shihadeh, The Teleological Ethics of Fakhr al-Dīn al-Rāzī
(Leiden: Brill, 2006), 4–5.
2 Gregor Schwarb, “The 13th Century Copto-Arabic Reception of Fakhr al-Dīn al-Rāzī: Al-Rashīd
Abū l-Khayr Ibn al-Ṭayyib’s Risālat al-Bayān al-Aẓhar fī l-Radd ʿalā Man Yaqūlu bi-l-Qaḍāʾ wa-l-
Qadar,” Intellectual History of the Islamicate World 2 (2014): 143–169 (144–145).
3 Fakhr al-Dīn Muḥammad ibn ʿUmar al-Rāzī, Sharḥ al-Ishārāt wa al-tanbīhāt, ed. ʿAlī Riḍā Na-
jafzādah, 2 vols. (Tehran: Amjuman-i ās ̲ār va mafākhir-i farhangī, 1384/2005–2006).
4 Robert Wisnovsky, “Towards a Genealogy of Avicennism,” Oriens 42.3–4 (2014): 323–363;
Gerhard Endress, “Reading Avicenna in the Madrasa: Intellectual Genealogies and Chains of
Transmission of Philosophy and the Sciences in the Islamic East,” in Arabic Theology, Arabic
Philosophy: From the Many to the One. Essays in Celebration of Richard M. Frank, ed. James E.
Montgomery (Leuven: Peeters, 2006), 371–422 (410–416). Al-Rāzī also wrote two other works on
Ibn Sīnā’s al-Ishārāt: Lubāb al-Ishārāt, which is a precis of his Sharḥ, and an earlier work Jawābāt

https://doi.org/10.1515/9783110588576-019
374 Jon Hoover

eclectic kalām manual al-Muḥaṣṣal became one of his most widely read works. It
also received a commentary from Naṣīr al-Dīn al-Ṭūsī,5 and it was discussed even
among Christian scholars in thirteenth-century Egypt.6 The third highly influen-
tial early work was al-Mulakhkhaṣ fī al-ḥikma, which al-Rāzī wrote in Shawwāl
579/January 1184.7 Al-Rāzī’s al-Mulakhkhaṣ reframes the physics and metaphysics
of Ibn Sīnā together with Ashʿarī kalām under a new analytical framework called
“general things” (al-umūr al-ʿāmma). These general things embrace existence
(wujūd), quiddity (māhiyya), unity, necessity, and eternity. Al-Rāzī then goes on
in al-Mulakhkhaṣ to treat contingent existents under the two headings of acci-
dents and substances, and he completes the treatise with a three-fold discussion
of God’s essence, attributes, and acts. In research unfortunately not published
Heidrun Eichner shows that al-Mulakhkhaṣ played a pivotal role in the intellectual
world of Maghāgha and Tabrīz from about the late 660s/1260s into the eighth/
fourteenth century.8 A number of Shīʿī, Ashʿarī, and Māturīdī theologians adopted
the structure of al-Mulakhkhaṣ as a template for their own theological works.
These theologians were the Shīʿī Naṣīr al-Dīn al-Ṭūsī in his Tajrīd al-iʿtiqād, the
Ashʿarīs al-Bayḍāwī in Tawāliʿ al-anwār, al-Ījī in Al-mawāqif, and al-Taftazānī in
al-Maqāṣid, and the Māturīdī theologian Shams al-Dīn al-Samarqandī in his al-
Ṣaḥīfa al-ilāhiyya.9 Additionally, as Eichner explains, al-Rāzī’s al-Mulakhkhaṣ was
an important conduit for the spread of the three-fold framework of God’s essence,
attributes, and acts for discussing theology proper, a framework that originated
with al-Ghazālī and gained wide currency in post-Rāzian theology.10

al-masāʾil al-bukhāriyya which is introduced and the extant parts edited in Ayman Shihadeh,
“Fakhr al-Dīn al-Rāzī’s Response to Sharaf al-Dīn al-Mas῾ūdī’s Critical Commentary on Avicenna’s
Ishārāt,” Muslim World 104.1–2 (2014): 1–61. The commentary of al-Masʿūdī (d. before 600/1204)
is edited and introduced by Ayman Shihadeh, Doubts on Avicenna: A Study and Edition of Sharaf
al-Dīn al-Masʿūdī’s Commentary on the Ishārāt (Leiden: Brill, 2016).
5 Fakhr al-Dīn Muḥammad ibn ʿUmar al-Khaṭīb al-Rāzī, Muḥaṣṣal afkār al-mutaqaddimīn wa
al-mutaʾakhkhirīn min al-ʿulamāʾ wa al-ḥukamāʾ wa al-mutakallimīn, and Naṣīr al-Dīn al-Ṭūṣī,
Talkhīṣ al-muḥassal, ed. Ṭāhā ʿAbd al-Raʾūf Saʿd (Cairo: Maktabat al-kulliyyāt al-azhariyya, n.d.).
6 Schwarb, “The 13th Century Copto-Arabic Reception,” 146–148.
7 Fakhr al-Dīn al-Rāzī, “Al-Mulakhkhaṣ fī al-ḥikma wa al-manṭiq,” Ms. Hunt 329, Bodleian Li-
brary, Oxford, and Ms. or. oct. 623, Berlin, Staatsbibliotek (http://digital.staatsbibliothek-berlin.
de/dms/werkansicht/?PPN=PPN647186667; Griffel, “Patronage,” 323, provides the date.
8 Heidrun Eichner, “The Post-Avicennian Philosophical Tradition and Islamic Orthodoxy. Phil-
osophical and Theological Summae in Context” (Habilitationsschrift, Martin-Luther Universität
Halle-Wittenberg, 2009), x, 345, 501; on the structure of al-Mulakhkhaṣ, see 36, 46–60. I am grate-
ful to Heidrun Eichner for giving me access to her work.
9 Eichner, “Post-Avicennian Philosophical Tradition,” 34, 363–366, 373–402, 425–471, 499–503.
10 Eichner, “Post-Avicennian Philosophical Tradition,” 16, 60, 197–198.
Reason and the Proof Value of Revelation in Fakhr al-Dīn al-Rāzī’s late kalām works 375

Many of al-Rāzī’s books from his later life are also well known and quoted
by friend and foe alike. Among them are his monumental Qurʾān commentary
al-Tafsīr al-kabīr,11 the large kalām texts al-Arbaʿīn fī uṣūl al-dīn12 and al-Maṭālib
al-ʿāliya,13 and a refutation of corporealism Taʾsīs al-taqdīs,14 which I will look at
more closely below. Another late work of interest is al-Rāzī’s kalām compendium
Maʿālim uṣūl al-dīn. This short book received a commentary from thirteenth-cen-
tury Egyptian Ashʿarī Sharaf al-Dīn Ibn al-Tilimsānī (d. 658/1259–1260),15 and Ibn
al-Tilimsānī’s commentary was then used in the fifteenth-century by Muḥam-
mad ibn Yūsuf al-Sanūsī (d. 895/1490) in commentaries on his long and middle
creeds.16 Al-Sanūsī’s works eventually took a central place in theological educa-
tion in Egypt in the eighteenth and nineteenth centuries; they have dominated
African Islam for hundreds of years; and their influence extends to South-East
Asia as well.17 The impact of both al-Rāzī’s earlier and later works has been so
profound that Ayman Shihadeh has suggested that he established the terms of
discourse for subsequent theology in the Islamic tradition much as Ibn Sīnā had
done for philosophy earlier. Shihadeh writes, “Al-Rāzī’s place in later Muslim the-
ology is somewhat comparable to that of Ibn Sīnā’s in falsafa. For it appears that
almost all later theology, that of proponents and opponents alike, was done vis-
à-vis his philosophical theology.”18
It is apparent from most of al-Rāzī’s writings that he was enthusiastic and opti-
mistic about the power of reason in theological matters. He believed that certain
knowledge was the goal of theology and that it could be attained through rational
proof.19 However, as the research of Shihadeh and others has shown, al-Rāzī’s

11 Fakhr al-Dīn al-Rāzī, Al-Tafsīr al-kabīr, 3d ed. (Cairo: Muʾassasat al-maṭbūʿāt al-islāmī, n.d.)
12 Fakhr al-Dīn al-Rāzī, Al-Arbaʿīn fī uṣūl al-dīn, ed. Aḥmad Ḥijāzī al-Saqqā, 2 vols. in one (Cairo:
Maktabat al-kulliyyāt al-azhariyya, 1986).
13 Fakhr al-Dīn al-Rāzī, Al-Maṭālib al-ʿālīya min al-ʿilm al-ilāhī, ed. Aḥmad Ḥijāzī al-Saqqā, 9
vols. (Beirut: Dār al-kitāb al-ʿarabī, 1407/1987).
14 Fakhr al-Dīn Muḥammad ibn ʿUmar ibn al-Ḥusayn al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, ed. Anas Muḥam-
mad ʿAdnān al-Sharafāwī and Aḥmad Muḥammad Khayr al-Khaṭīb (Damascus: Dār nūr al-ṣabāḥ,
2011).
15 Sharaf al-Dīn ʿAbd Allāh ibn Muḥammad al-Fihrī al-Miṣrī ibn al-Tilimsānī, Sharḥ Maʿālim
uṣūl li-l-Imām Fakhr al-Dīn al-Rāzī, ed. Nizār ibn ʿAlī Ḥamādī (Amman: Dār al-fatḥ, 1431/2010).
16 Ḥamādī’s introduction to Ibn al-Tilimsānī, Sharḥ, 28.
17 Khaled El-Rouayheb, Islamic Intellectual History in the Seventeenth Century: Scholars Currents
in the Ottoman Empire and the Maghreb (Cambridge, UK: Cambridge University Press, 2015), 180,
188–189, 200.
18 Ayman Shihadeh, “From al-Ghazālī to al-Rāzī: 6th/12th Century Developments in Muslim
Philosophical Theology,” Arabic Sciences and Philosophy 15 (2005): 141–179 (179).
19 Shihadeh, Teleological Ethics, 155, 182.
376 Jon Hoover

epistemological optimism eventually gave way to increasing skepticism in the last


few years of his life. For example, in his last major kalām work al-Maṭālib al-ʿal-
iya, al-Rāzī explains that both scripture and reason are inconclusive on the origin
of the world. Neither the philosophers’ proofs for the eternity of the world nor
the kalām proofs for the world’s origination in time are decisive. The only thing
certain is that the world depends on God for its existence. This is a long way from
al-Ghazālī’s condemnation of the eternity of the world as unbelief.20 In another
example al-Rāzī in his Tafsīr commenting on “God has sealed the hearts [of the
unbelievers] and their hearing” (Q. 2:6) concludes that scripture and reason are
both contradictory on the human act. There is no way to resolve the contradiction
between God’s sole creation of the human act on the one hand and human voli-
tion and responsibility before the law on the other. It is in fact tantamount to a
contradiction between God who creates and the Prophet who legislates.21
Al-Rāzī expresses the most skepticism in his Risālat dhamm ladhdhāt
al-dunyā, which Shihadeh has edited and exposited. Al-Rāzī wrote this short text
in 604/1208, about two years before his death. Among other things, the Risāla
notes that debates over many theological issues are inconclusive and that attain-
ing certain knowledge is very difficult or impossible. Probable knowledge is the
best that one can reach.22 In Shihadeh’s observation, this degree of skepticism is
not extraordinary within the history of ideas broadly speaking, but it is radical
within the context of kalām theology and Islamic philosophy which normally
insist on definitive and certain knowledge (yaqīn, qaṭʿ) in theological matters, not
just conjecture (ẓann).23
Shihadeh further links al-Rāzī’s late-life skepticism to his Sufi inclinations.
Al-Rāzī’s loss of confidence in rational reflection paved the way for a Sufi epis-
temology of divine unveiling. This is apparent for example in the early part of
al-Maṭālib al-ʿāliya where al-Rāzī notes the limitations of discursive knowledge
and points to the way of spiritual discipline and purification of the heart to attain
direct knowledge of God.24 Shihadeh connects this as well to al-Rāzī’s late-life

20 Shihadeh, Teleological Ethics, 194–195. See also the major study on this issue by Muammer
İskenderoğlu, Fakhr al-Dīn al-Rāzī and Thomas Aquinas on the Question of the Eternity of the
World (Leiden: Brill, 2002), 59–124.
21 Al-Rāzī, Tafsīr, 2:52–53. For discussions of this passage, see Jon Hoover, Ibn Taymiyya’s Theod-
icy of Perpetual Optimism (Leiden: Brill, 2007), 143–144; Shihadeh, Teleological Ethics, 38–39; and
Daniel Gimaret, Théories de l’acte humain en théologie musulmane (Paris: J. Vrin, 1980), 152–153.
22 Shihadeh, Teleological Ethics, 186–189.
23 Shihadeh, Teleological Ethics, 193–194, 198–199.
24 Shihadeh, Teleological Ethics, 199–200; Ayman Shihadeh, “The Mystic and the Sceptic in
Fakhr al-Dīn al-Rāzī,” in Sufism and Theology, ed. Ayman Shihadeh (Edinburgh, UK: Edinburgh
Reason and the Proof Value of Revelation in Fakhr al-Dīn al-Rāzī’s late kalām works 377

comments on the transformative purposes of prophecy and the Qurʾān. The way of
the Qurʾān is to avoid theological controversy, present the basics of God’s incom-
parability with the world along with God’s power and wisdom, and prevent the
commoners from delving too deeply into complexities beyond that. The Qurʾān
more centrally seeks the practical and soteriological aim of perfecting humankind
through promoting worship.25
Now if indeed al-Rāzī lost faith in reason to provide certainty, then what about
revealed tradition? When reading recent scholarship, one might easily conclude
that there is no question of increasing skepticism in later life here because al-Rāzī
never had had faith in revelation to provide certain knowledge in the first place.
Shihadeh observes the primacy of reason over revelation in al-Rāzī’s works, and
he comments that al-Rāzī regards scriptural evidence to be “generally inconclu-
sive (ẓannī)”26 Tariq Jaffer makes the same point in stronger terms. He claims that
al-Rāzī “assigns the canonical sources—the Qurʾān and Sunna—an exceptionally
low epistemic value.”27 Jaffer explains further that al-Rāzī degrades the epistemic
value of recurrence or tawātur in ḥadīth reports and transfers this skepticism over
into his interpretation of the Qurʾān. The evidence that Jaffer cites for al-Rāzī’s
skepticism toward the proof value of revelation is his claim that verbal evidence,
the evidence of texts, yields no more than conjecture, along with his critical atti-
tude toward even the strongest of ḥadīth reports.28 While this evidence is impor-
tant, it is not decisive. One of Jaffer’s main sources is al-Rāzī’s Taʾsīs al-taqdīs, and
in the rest of this study, I will examine the argument of this work and then extend
the discussion by looking at al-Rāzī’s Kitāb al-arbaʿīn, which also comes from
about the same time or a few years later,29 and his last short summary of theology
Maʿālim uṣūl al-dīn. This will show that al-Rāzī’s skepticism toward revelation
and tradition-based proof is not quite as far-reaching as may first appear, at least
not in the period just prior to his skeptical turn.

University Press, 2007), 101–122 (106–110, 113–118). For further exposition of the passage in al-
Maṭālib al-ʿaliya, see Muammer İskenderoğlu, “Fakhr al-Dīn al-Rāzī and Ibn ʿArabī on the Ways
to Knowledge of God: Unveiling or Reflection and Reasoning?” in The Character of Christian-Mus-
lim Encounter: Essays in Honour of David Thomas, ed. Douglas Pratt, et al. (Leiden: Brill, 2015),
111–125.
25 Shihadeh, Teleological Ethics, 142–153, 187–188, 200–203. Tariq Jaffer, Razi: Master of Quranic
Interpretation and Theological Reasoning (New York: Oxford University Press, 2015), 39–53, pre-
sents al-Rāzī’s late-life view of the Qurʾān as less pessimistic toward reason.
26 Shihadeh, “The Mystic and the Sceptic,” 108.
27 Jaffer, Razi, 77.
28 Jaffer, Razi, 80–83.
29 Shihadeh, Teleological Ethics, 9 n. 30, suggests a date between 595/1199 and 600/1204.
378 Jon Hoover

Al-Rāzī’s Taʾsīs al-taqdīs


Al-Rāzī wrote Taʾsīs al-taqdīs in 596/1199–1200, about ten years before he died.
The aim of the book is to prove the incorporeality of God and interpret the Qurʾān
and the Ḥadīth in that light. His polemical target is the alleged corporealism of the
Karrāmīs and Ḥanbalīs, and it appears that he wrote the book in direct response
to troubles with Karrāmīs. In the year 595/1198–1199 al-Rāzī arrived at the court
of Ghūrid ruler Ghiyāth al-Dīn in the city of Fīrūzkūh, about halfway between
Herat and Kabul. There in Fīrūzkūh, al-Rāzī disputed with Ḥanafīs, Shāfiʿīs, and
Karrāmīs, and he slandered a leading Karrāmī scholar. This led to an uproar, espe-
cially among the Karrāmīs, and Ghiyāth al-Dīn had to expel al-Rāzī from Fīrūzkūh
to Herat to restore the peace.30 In the preface to Taʾsīs al-taqdīs, al-Rāzī says that
he arrived in Herat in Muḥarram 596/October-November 1199 and that he wrote
the book because he found the people of the city mulling over questions about
God’s incomparability (tanzīh).31 His difficulties with the Karrāmīs in Fīrūzkūh
were still most certainly on his mind.
Al-Rāzī divides Taʾsīs al-taqdīs into four parts. The fourth and final part is
very short and covers only a few miscellaneous items, one of which is the ques-
tion whether someone who affirms that God is a spatially extended body is an
unbeliever (kāfir). Al-Rāzī responds that the most obvious (aẓhar) position is that
such a person is an unbeliever, but he also presents an argument for the opposite
view, which is that the Messenger did not interrogate people specifically on this
issue to test their belief.32
Part One of Taʾsīṣ al-taqdīs takes up over one-third of the book, and its purpose
is to prove that God does not have a body, is not spatially extended, and does not
lie in a direction.33 This first part divides into five sections, and the order of the
sections is curious. Section One clears away Karrāmī and Ḥanbalī arguments to
establish that it is possible—it is not something that reason can refute—for there to
be an existent, namely God, that is incorporeal and non-spatial. Section Two then
presents revelation-based proofs that God is free of corporeality, spatial exten-
sion, and direction. Sections Three and Four provide rational proofs for the same

30 Griffel, “Patronage,” 334–337.


31 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 43. Other editions, such as Fakhr al-Dīn al-Rāzī, Asās al-taqdīs, ed.
Aḥmad Ḥijāzī al-Saqqā (Cairo: Al-Maktaba al-azhariyya, 1406/1986), include a different preface
making no mention of al-Rāzī’s arrival in Herat. I will be discussing these discrepancies in a
separate study.
32 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 244.
33 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 45–114.
Reason and the Proof Value of Revelation in Fakhr al-Dīn al-Rāzī’s late kalām works 379

view, and then Section Five refutes Karrāmī arguments that God must lie outside
the world in a particular direction.
The curiosity here is that al-Rāzī places proofs from revelation in Section Two
before his positive proofs from reason in Sections Three and Four, even though he
will later claim that reason is logically prior to revelation and revelation depends
on reason for its verification. Al-Rāzī begins Section Two with Sūrat al-Ikhlāṣ, “He
is God, One, God, the Sole Recourse. He does not beget, and He is not begotten. No
one is a match for Him” (Q. 112:1–4). He asserts without rational grounding that
this sūra is among the determinate or muḥkam texts of the Qurʾān rather than the
indeterminate or mutashābih, and he explains how the sūra denies God’s corpo-
reality, spatial extension, and direction.34 Al-Rāzī cites eighteen more texts of a
similar nature from the Qurʾān and the Ḥadīth to support his argument.35 To a tra-
ditionalist giving priority to revelation, this procedure makes good sense, but for
al-Rāzī it appears out of place because it posits revelation as an unsubstantiated
authority. I will come back to this below.
The upshot of Part One of Taʾsīs al-taqdīs is that God is not corporeal and
spatial, and this sets the stage for Part Two, which takes up more than half of
the book.36 Here al-Rāzī provides reinterpretations (sg. taʾwīl) of the plain mean-
ings (sg. ẓāhir) of scripture that suggest corporeality and spatial extension. For
example he reinterprets God’s face in “The face of your Lord full of majesty and
honor will remain” (Q. 55:27) as God’s essence, God’s hand in “The hand of God
is over their hands” (Q. 48:10) as God’s power, and God’s coming in “Are they
waiting until God comes to them in the shadows of the clouds?” (Q. 2:210) as the
coming of God’s signs.37
The penultimate section of Part Two takes a swipe at the Ḥashwiyya, a pejo-
rative term for corporealist traditionalists, whom al-Rāzī accuses of invoking soli-
tary (āḥād) reports to substantiate theological doctrine. Solitary reports are those
transmitted by an insufficient number of separate sources to attain the level of
multiplicity or recurrence (tawātur). Recurrent reports are those transmitted by
so many different witnesses and transmitters as to preclude collusion to spread
falsehood. Al-Rāzī explains that solitary reports are only conjectural (ẓannī) and
may thus not be used to establish knowledge of God’s essence and attributes.38
Al-Rāzī says nothing here about the epistemic value of recurrent reports, and

34 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 59–65.


35 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 65–73.
36 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 115–217.
37 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 158, 168, and 141–142, respectively.
38 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 212–216.
380 Jon Hoover

his silence on the matter suggests that he agrees with the mainstream view that
recurrence yields certain knowledge. However, what follows jeopardizes such a
conclusion.
In the final section of Part Two of Taʾsīs al-taqdīs, al-Rāzī presents a com-
prehensive rule (al-qānūn al-kullī) of interpretation for dealing with those texts
suggesting corporeality and spatial extension in God. The rule reads as follows:

Know that if definitive reason-based proofs (al-dalāʾil al-qaṭʿiyya al-ʿaqliyya) establish some-
thing and then we find transmission-based proofs (adilla naqliyya)39 whose plain meaning
imparts the opposite of that, the solution must be one of four alternatives. [1] We deem
true what reason and transmission require. Then deeming two contradictories true follows
necessarily. This is absurd (muḥāl). [2] Or we deem both false. Then denying [both of] two
contradictories follows necessarily. This is absurd. [3] Or we deem transmission-based plain
meanings true, and we deny reason-based plain meanings. This is false because we cannot
know the correctness of the transmission-based plain meanings unless we know by rea-
son-based proofs the establishment of the Maker, His attributes, the mode of proof for the
miracle for the truthfulness of the Messenger, and the manifestation of miracles at the hand
of Muḥammad—Peace be upon him. If we permitted impugning definitive reason-based
proofs, the intellect would become suspect and what it says unacceptable. If that were so,
what it says would no longer be accepted in these principles (uṣūl). If we do not establish
these principles, transmission-based proofs no longer convey [meaning]. Thus, it is estab-
lished that impugning the intellect to authenticate transmission leads to impugning reason
and transmission together, which is indeed false.
When the three divisions have been invalidated, nothing remains but [4] to decide defini-
tively in favor of what definitive reason-based proofs require and to decide definitively that
these transmission-based proofs are either said to be unsound or that they are sound, but
that what is intended by them is not their plain meanings. Then, if we permit reinterpreta-
tion, we occupy ourselves willingly to mentioning these reinterpretations in detail. If they
do not permit reinterpretation, we delegate knowledge of them to God—Exalted is He. This
is the comprehensive rule applying to all indeterminate texts (mutashābihāt). By God is suc-
cess.40

Al-Rāzī’s rule specifies that there are four options when reason-based proofs con-
tradict the plain senses of tradition-based proofs. First, both could be affirmed
as true, but affirming contradictories is absurd. Second, both could be affirmed
as false, but that is likewise absurd. Third, the tradition-based proofs could be
affirmed as true and the rational proofs rejected as false. Al-Rāzī says this is also

39 Emending the Arabic text from naqīla to naqliyya.


40 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 217; also translated in Nicholas Heer, “The Priority of Reason in the
Interpretation of Scripture: Ibn Taymīyah and the mutakallimūn,” in Literary Heritage of Classical
Islam: Arabic and Islamic Studies in Honor of James A. Bellamy, ed. Mustansir Mir (Princeton, NJ:
Darwin, 1993), 181–195 (184–185). Al-Rāzī presents this rule elsewhere, as in Muḥaṣṣal, 158.
Reason and the Proof Value of Revelation in Fakhr al-Dīn al-Rāzī’s late kalām works 381

false because reason must first be used to establish the existence and attributes of
God and the truthfulness of the Messenger. To deny reason in favor of revelation
would be to deny the rational foundation of religious knowledge, which would
render tradition-based proofs entirely worthless as well. This leaves al-Rāzī with
only the fourth option, which is to give priority to reason over revelation. Rea-
son-based proofs take priority over the plain sense of tradition-based proofs when
the two contradict. With this established, there are two further options. One is
to permit and engage in reinterpretation of the plain senses. This is what al-Rāzī
himself does in the whole second part of Taʾsīs al-taqdīs. The second option is to
delegate the meanings of these texts to God (tafwīḍ). This is the view of those who
do not permit reinterpretation.
Al-Rāzī identifies this latter position as that of the early Muslims, the salaf,
and he dedicates the short Part Three of Taʾsīs al-taqdīs to establishing their doc-
trine. As it turns out, this third part is no more than an elaboration of his compre-
hensive rule in different words. Al-Rāzī explains that revealed texts divide into
two kinds, the determinate (muḥkam) and the indeterminate (mutashābih). The
determinate or muḥkam further divide into the unambiguous (naṣṣ) and the plain
(ẓāhir). Unambiguous or naṣṣ texts have only one possible meaning; so, they are
muḥkam. If a text could have more than one meaning but the plain or ẓāhir sense
is preponderate, that text is also muḥkam. Otherwise, the text is mutashābih or
indeterminate. In order to tell whether the plain sense of a text is preponderant,
al-Rāzī again gives reason the upper hand. He argues that a proof against a plain
sense can never be tradition-based because verbal or tradition-based proofs are
never definitive (qaṭʿī). They are only conjectural. Only reason can provide defini-
tive knowledge. Once it has been established that reason opposes the plain sense
of the text, the text must either be reinterpreted or its meaning delegated to God.41
Al-Rāzī explains briefly why verbal proofs are not definitive but merely conjec-
tural in the following dense passage:

Verbal proofs (al-dalāʾil al-lafẓiyya) are not definitive (qaṭʿiyya) because they depend on the
transmission of languages (naql al-lughāt) and the transmission of the precepts of syntax
(naḥw) and inflection (taṣrīf); on the absence of equivocity (ishtirāk), nonliteral usage
(majāz), particularization (takhṣīṣ), and ellipsis (iḍmār); and on the absence of transmis-
sion-based and reason-based contradiction (muʿāriḍ). Each one of these premises is con-
jectural, and what depends on the conjectural is all the more conjectural. So, it has been
established that something [derived] from verbal proofs cannot be definitive.42

41 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 225–228, 232.


42 Al-Rāzī, Taʾsīs al-taqdīs, 227. See also Jaffer, Rāzī, 81–82, for a somewhat different transla-
tion of this passage and a similar listing in al-Rāzī’s Tafsīr. Similar listings are also found in
382 Jon Hoover

In other words, al-Rāzī is arguing, verbal proofs are not definitive because it
cannot be guaranteed, beyond the shadow of a doubt, that the linguistic features
of a report have been transmitted faithfully and without ambiguity. The accurate
transmission of a language itself, with its syntax and inflection, is no more than a
matter of conjecture. Furthermore, it can be no more than a matter of conjecture
that a report is completely free of elements that might destabilize its meaning, ele-
ments such as equivocity, nonliteral usage, ellipsis, a particularization of a more
general sense, or a contradictory transmission-based or reason-based proof. Since
all of these things are conjectural, the verbal proof itself is necessarily conjectural.
By way of contrast, the later kalām theologian al-Taftazānī (d. 791/1389)
acknowledges that these same factors may be conjectural and may render verbal
proofs conjectural, but he is not as skeptical as al-Rāzī. He explains that some
rules of syntax and inflection are known to be certain by recurrence and that a
speaker’s intention can sometimes be known with certainty by virtue of contex-
tual factors (qarāʾin). It is thus possible to know that it is obligatory to pray and
give alms with certainty, and even matters of theological doctrine such as God’s
unity and the resurrection may be known with certainty from reports of revelation
such as “Know that there is no god but God” (Q. 47:19) and “Say! He who brought
them forth the first time will give life to them [again]” (Q. 36:79). Al-Taftazānī
explains further that matters of law like prayer and alms-giving are not subject to
the possibility of a contradictory reason-based proof. Additionally, the absence of
a reason-based proof contradicting reports on theological matters such as God’s
unity and the resurrection becomes clear once one ascertains the language, the
intent of the reporters, and their truthfulness.43
Al-Rāzī gives no hint in Taʾsīs al-taqdīs that the conjectural character of the
linguistic factors in a report may be overcome to yield certainty, and he seems to be
saying that no text is naṣṣ, that is, no text is entirely unambiguous with only one
possible meaning. Every tradition-based proof involves a measure of uncertainty

al-Rāzī, Muḥaṣṣal, 51, and Maʿālim uṣūl al-dīn, 24 (discussed below). There are elaborations of
these linguistic features in al-Rāzī’s early uṣūl al-fiqh work Al-Maḥṣūl fī uṣūl al-fiqh, ed. Ṭaḥa
Jābir Fayyāḍ al-ʿAlwānī, 6 vols. (Beirut: Muʾassasat al-risāla, n.d.), 1:390–407, and his late kalām
works Maṭālib, 9:113–118, and Arbaʿīn, 2:251–254 (translated below); I am grateful to Marwan Abu
Ghazaleh Mahajneh for drawing these three passages to my attention. Heer, “Priority of Reason,”
181, 192–193 n. 6, mentions these criteria and provides references to them in other works of kalām
theology.
43 Saʿd al-Dīn Masʿūd ibn ʿUmar al-Taftazānī, Sharḥ al-maqāṣid, ed. ʿAbd al-Raḥmān al-ʿUmayra,
5 vols. (Beirut: ʿĀlam al-kutub, 1419/1998), 1:282–285; I am grateful to Marwan Abu Ghazaleh
Mahajneh for locating this reference; Heer, “Priority of Reason,” 192–193 n. 6, provides further
exposition.
Reason and the Proof Value of Revelation in Fakhr al-Dīn al-Rāzī’s late kalām works 383

as to its interpretation. Al-Rāzī would thus appear to cast everything reported


from the Prophet into the realm of conjecture, and that is what led Tariq Jaffer to
claim that, for al-Rāzī, tawātur or recurrence in reports cannot yield knowledge.

Al-Rāzī’s Maʿālim uṣūl al-dīn


Al-Rāzī provides discussions of the conjectural character of verbal or tradi-
tion-based proofs in other works, and a similar list of factors that render such
proofs conjectural is found in his Maʿālim fī uṣūl al-dīn.44 I mentioned above that
the Egyptian Ashʿarī scholar Ibn al-Tilimsānī had written a commentary on this
little book, and in it Ibn al-Tilimsānī takes al-Rāzī to task for his skepticism toward
tradition-based proofs. He agrees that various factors come into play rendering
reports conjectural, but he does not allow that they make a report conjectural
in an absolute sense. This is because supporting contextual indicants could
combine with the report to yield certainty. Otherwise, Ibn al-Tilimsānī explains,
maintaining that all tradition-based proofs are conjectural discredits the entirety
of the divine revelation (sharʿ).45
Indeed, it does appear that al-Rāzī is caught in something of a dilemma or
even contradiction. For later in Maʿālim uṣūl al-dīn he affirms that the principles
of the religion (uṣūl al-sharīʿa) have been transmitted from the Prophet by recur-
rent reports (tawātur) yielding knowledge (ʿilm).46 This includes the definitive
report of the prophets that the resurrection will take place.47 So, if all revealed
reports are conjectural, how can al-Rāzī claim certain knowledge of the resurrec-
tion? Here it appears that he has one standard for tradition-based proofs in God’s
attributes—they are no better than conjectural—and another standard for reports
on eschatology—they provide certain knowledge.

Al-Rāzī’s al-Arbaʿīn fī uṣūl al-dīn


Al-Rāzī appears to be vaguely aware of such difficulties in al-Arbaʿīn fī uṣūl al-dīn,
another late kalām work which, as noted above, probably dates to the time of

44 Al-Rāzī, Maʿālim uṣūl al-dīn, 24.


45 Ibn al-Tilimsānī, Sharḥ, 94.
46 Al-Rāzī, Maʿālim uṣūl al-dīn, 105.
47 Al-Rāzī, Maʿālim uṣūl al-dīn, 118.
384 Jon Hoover

Taʾsīs al-taqdīs or a few years later. Al-Rāzī outlines his basic rule of interpretation
early in al-Arbaʿīn in the context of negating place and direction of God, but he
does not develop it there beyond what we have already seen.48 Later in the book,
he tackles the dilemma observed in Maʿālim uṣūl al-dīn directly. In the context of
discussing the bodily nature of human existence beyond the resurrection, al-Rāzī
outlines three stark positions on corporeality in God’s attributes and in the here-
after. The first position is that of the Ḥashwiyya. Second are the philosophers,
and third are the kalām theologians. Using Avicenna terminology, al-Rāzī refers to
God as the Origin (mabdaʾ) and to the hereafter as the Return (maʿād). He writes,

The Ḥashwiyya adhere to the plain senses (ẓawāhir), and they claim that the truth is that
the Origin is corporeal and the Return corporeal. The philosophers impose reinterpretations
(taʾwīlāt) on the plain senses, and they claim that the Origin is free of corporeal states,
and likewise the Return. As for the kalām theologians, they impose reinterpretations on the
plain senses relating to the corporeality of the Origin, and they only guard against reinter-
pretations of the plains senses relating to the corporeality of the Return.49

The problem is apparent. The kalām theologians affirm corporeality in the hereaf-
ter but not in God. To philosophers like Ibn Sīnā, this is inconsistent and contra-
dictory. Both God and the hereafter must be incorporeal. Traditionalist theologi-
ans like Ibn Taymiyya later on note the inconsistency as well, but from the other
direction: neither reports about God’s attributes nor accounts of the hereafter may
be reinterpreted.50 Al-Rāzī takes the side of the kalām theologians and affirms that
the hereafter is corporeal on the authority of recurrent tradition (al-naql al-mut-
awātir) from the Prophet Muḥammad. He also adds in some rational proofs for the
value of corporeal reward and punishment.51 Al-Rāzī’s appeal to recurrent tradi-
tion as the foundational proof for a corporeal hereafter appears specious in light
of his arguments for the strictly conjectural nature of verbal or tradition-based
proofs elsewhere. Or does he perhaps believe that recurrent reports yield only
conjecture and that human knowledge of the hereafter is therefore only conjec-
tural?

48 Al-Rāzī, Arbaʿīn, 1:163–164.


49 Al-Rāzī, Arbaʿīn, 2:62.
50 Ibn Sīnā’s and Ibn Taymiyya’s opposing views on the reinterpretation of reports about God’s
attributes and the hereafter are on full display in Yahya J. Michot, “A Mamlūk Theologian’s Com-
mentary on Avicenna’s Risāla Aḍḥawiyya: Being a Translation of a Part of the Darʾ al-taʿāruḍ of
Ibn Taymiyya, with Introduction, Annotation, and Appendices,” Journal of Islamic Studies 14.2
(2003): 149–203 (Part I), and 14.3 (2003): 309–363 (Part II).
51 Al-Rāzī, Arbaʿīn, 2:62–63.
Reason and the Proof Value of Revelation in Fakhr al-Dīn al-Rāzī’s late kalām works 385

Later yet in al-Arbaʿīn, al-Rāzī discusses why verbal proofs cannot yield cer-
tainty much more extensively than he does in Taʾsīs al-taqdīs and Maʿālim uṣūl
al-dīn.52 He first clarifies that a proof cannot be tradition-based in all of its prem-
ises because the Qurʾān and the Sunna depend on rational proof for the Mes-
senger’s truthfulness. This qualification has appeared before in the statement of
the comprehensive rule of interpretation in al-Rāzī’s Taʾsīs al-taqdīs. Revelation
requires reason for its verification. In al-Arbaʿīn al-Rāzī then provides an analysis
of ten factors that render tradition-based proofs conjectural. These are much the
same as those mentioned in Taʾsīs al-taqdīs, but more fully discussed. However,
al-Rāzī does not speak here in his own voice but rather presents the radically
skeptical position as that of one group of “rational people.” The passage is quoted
here in full:

Rational people have differed over relying on tradition-based proofs. Do they yield certainty
or not? One group says that they do not yield certainty at all, and that is because relying on
tradition-based proofs depends on ten premises, each of which is conjectural, and whatever
depends on the conjectural is all the more so conjectural.
First premise. Relying on verbal proofs depends on knowledge of languages, and languages
are transmitted by solitary (āḥād) reports, not by recurrence (tawātur). The reporters of lan-
guages are a specific group of men of letters like al-Khalīl,53 al-Aṣmaʿī,54 and others. There
is no doubt that they were not protected from error, and reporting of this kind yields only
conjecture.
Second premise. Relying on tradition-based proofs depends on the soundness of the syntax
(naḥw) because meanings differ according to the ending inflections (iʿrābāt). Syntax is
divided into principles (uṣūl) established by report and derivations (furūʿ) established by
analogies. The principles established by reports are transmitted by solitary reports, and
solitary reports yield only conjecture. Also, the Baṣran and Kūfan [grammarians] call each
other liars and attack each other, and there is no doubt that the derivations established by
analogy are extremely weak. So, it is established that the proof value of everything is con-
jecture, not knowledge.
Third premise. Relying on tradition-based proofs depends on the absence of equivocity
(ishtirāk) in the verbal expressions (alfāẓ). Because of the equivocity that could obtain in
the verbal expressions, God’s intention in this verse or that report may not be what we think
or imagine it to be, but another meaning. In that case, designating this meaning depends
on denying equivocity.
Fourth premise. Relying on tradition-based proofs depends on the necessity of interpret-
ing the verbal expression according to its literal sense (ḥaqīqa) and not its nonliteral sense

52 Al-Rāzī, Arbaʿīn, 2:251–254.


53 Al-Khalīl ibn Aḥmad al-Farāhidī (d. after 160/776), teacher of the Arabic grammarian Sība-
wayh; see R. Sellheim, “Al-Khalīl b. Aḥmad,” Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., 4:962–964.
54 Abū Saʿīd ʿAbd al-Malik ibn Qurayb al-Asmaʿī (d. 213/828), an Arabic philologist; see B. Lewin,
“al-Asmaʿī,” Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., 1:717–719.
386 Jon Hoover

(majāz). Nonliteral senses are numerous, and interpreting the verbal expression according
to one of them is no better than interpreting it according to the rest. And our statement, “The
principle in speech is the literal sense,” is a conjectural premise.
Fifth premise. Relying [on tradition-based proofs] depends on negating elision (ḥadhf) and
ellipsis (iḍmār) because permitting them leads to changing negation to affirmation and affir-
mation to negation. God—Exalted is He—said, “I do not swear by the Day of Resurrection”
(Q. 75:1); He said, “What prevented you from not prostrating when I commanded you?” (Q.
7:12); and He—Exalted is He—said, “Say, ‘Come! I will recite what your Lord has forbid you:
not to associate anything with Me’” (Q. 6:151).55 They say that the negation in all of these
verses is affirmation. He—Exalted is He—said, “God makes clear to you so that you [not] go
astray” (Q. 4:176).56 They say that the affirmation here is negation. The absence of elision
and ellipsis is a conjectural premise.
Sixth premise. The negation of bringing forward (taqdīm) [sentence elements from their
normal places] and placing [them] later (taʾkhīr) is taken into consideration in the proof
value of tradition-based proofs. These occur often in the Qurʾān. This is also a conjectural
premise.
Seventh premise. Relying on the general senses (ʿumūmāt) [of texts] only yields what is
sought if there is no particularizing factor (mukhaṣṣis). However, the absence of a particu-
larizing factor is conjectural because it is remotely possible that we seek it but do not find it,
and inferring the absence of [its] existence from not finding [it] is extremely weak.
Eighth premise. The condition for relying on tradition-based proofs is the absence of an
abrogating factor (nāsikh), and this is also conjectural, just as we made plain with regard to
the absence of a particularizing factor.
Ninth premise. The condition for relying on tradition-based proofs is the absence of a tradi-
tion-based contradictory (al-muʿāriḍ al-samʿī) because, on the supposition that one exists,
resort must be made to matters of what is preponderant (tarjīḥāt). This yields only con-
jecture. However, knowledge of the absence of that tradition-based contradictory is also
conjectural, not definitive.
Tenth premise. Its condition is also the absence of a definitive, rational contradictory
because, on the supposition that one exists, the plain, tradition-based sense must be
diverted to a reinterpretation. The absence of this definitive contradictory is conjecture, not
knowledge, because it is remotely possible that someone not know that contradictory, and
the absence of knowledge does not yield knowledge of absence.
Thus, it has been established that tradition-based proofs depend on these ten premises. All
of them are conjectural, and that which depends on the conjectural is all the more conjec-
tural. So, tradition-based proofs are conjectural.57

Such, according to al-Rāzī, is the position of one group of “rational people.” The
second factor is particularly telling of the skepticism of this group. The meaning

55 The strikethroughs indicate negative particles that appear in the Arabic text of these Qurʾānic
passages but are elided in interpretation.
56 The negation ‘not’ in brackets does not appear in the Arabic text of the Qurʾān; it is inter-
preted to have been omitted as an ellipsis.
57 Al-Rāzī, Arbaʿīn, 2:251–253.
Reason and the Proof Value of Revelation in Fakhr al-Dīn al-Rāzī’s late kalām works 387

of tradition-based reports is based on knowledge of their syntax. However, the


established principles of syntax have only been transmitted at the level of an
āḥād or solitary tradition, and āḥād traditions yield only conjecture, not certain
knowledge. It is well known that Muslim jurists readily accept āḥād traditions to
establish points of jurisprudence (fiqh), and the claim that āḥād reports yield only
conjecture (ẓann) is uncontroversial. However, kalām theologians and philoso-
phers typically insist on certain knowledge in theological matters, and al-Rāzī’s
own rejection of solitary traditions to establish God’s attributes in Taʾsīs al-taqdīs
was noted earlier. The passage from al-Arbaʿīn above comes to the end of its list
of ten factors rendering verbal proofs conjectural and then clarifies that whatever
is based on conjecture is itself conjecture. Thus, tradition-based proofs are all
conjectural. However, this is not al-Rāzī’s own position in this text in al-Arbaʿīn.
He immediately follows with clarification that it would be wrong to conclude that
nothing certain can be known from tradition. He writes,

Know that it is not correct to take this discussion as absolute because things known to exist
by recurrent reports may conjoin with tradition-based proofs. Those things negate these
[conjectural factors discussed above]. In this case, revelation-based proofs accompanied by
contextual factors established by recurrent reports yield certainty.58

Here al-Rāzī says that revelation-based reports can yield certainty after all, so
long as they are supported by corroborating evidence. This is precisely the point
that Ibn al-Tilimsānī made in response to al-Rāzī’s discussion of traditional-based
proofs in Maʿālim uṣūl al-dīn. It is just that al-Rāzī does not usually make the
point himself, especially when he believes that rational proofs contradict tra-
dition-based proofs—as in the case of God’s attributes. A contradictory rational
proof nullifies any possibility that recurrent reports could conjoin with tradi-
tion-based proofs to yield certain knowledge. Reason always trumps revelation in
case of conflict, but, apart from conflict, in al-Arbaʿīn at least, revelation can still
provide certain knowledge on some matters.

Conclusion
This study has examined the proof value of revelation in three works written just
prior to al-Rāzī’s late life turn toward skepticism. The upshot is that al-Rāzī does
not relegate tradition-based proofs to the domain of conjecture completely, con-

58 Al-Rāzī, Arbaʿīn, 2:254.


388 Jon Hoover

trary to what his Taʾsīs al-taqdīs might lead one to believe. In Maʿālim uṣūl al-dīn
and al-Arbaʿīn, he does clearly affirm certain knowledge of something, namely,
the resurrection and a bodily hereafter, on the authority of recurrent tradition
from the Prophet. It remains to investigate how al-Rāzī’s turn toward skepticism
then affects his view of the Qurʾān and the Sunna. Does he take the way of the phi-
losophers and view revelation and prophecy as purely functional and pragmatic
instruments for rousing the common folk to worship and spiritual perfection? Or
does revelation still offer certain knowledge on at least some matters?
Returning finally to the puzzle in Part One of Taʾsīs al-taqdīs, which is why
al-Rāzī presents traditional proofs for God’s incorporeality in Section Two before
discussing rational proofs in Sections Three and Four. It would seem to have
made more sense to place the rational proofs before the tradition-based proofs
since the latter are ultimately dependent on the former for their veracity. It may
be that al-Rāzī considers texts like Sūrat al-Ikhlāṣ (Q. 112:1–4) to be that particular
kind of revelation-based proof that combines with sufficient recurrent reports to
yield certain knowledge. That would yield certain knowledge that God is free of
body, space, and direction, and, according to al-Rāzī, reason does not contradict
that conviction, but corroborates it. That aside, it remains the fact that for al-Rāzī
revelation requires reason to verify its truthfulness. From this angle, the textual
proofs in Section Two of Part One in Taʾsīs al-taqdīs are presented without the
rational grounding that they require, at least not within the logical structure of the
treatise. Perhaps al-Rāzī thinks that this rational grounding is simply obvious. Or
maybe he is just being strategic with his rhetoric and places his textual proofs first
to make a stronger impression on his traditionalist-minded Karrāmī and Ḥanbalī
opponents.

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Mahmoud Abdallah
Wettstreit um öffentliche Ordnung
im Islam
Ḥisba bei al-Māwardī zwischen Theologie und Rationalität

Die Debatte um Rationalität und Text ist älter als der Islam selbst. Im Islam jedoch
bildeten sich im Zuge dieser Debatte zwei Denkschulen heraus: ahl ar-raʾy wa-ahl
al-khabar, oder, zu Deutsch: Muʿtazila und Ashʿariyya. Diese beiden Denkschu-
len standen zunehmend in Konkurrenz zueinander und entwickelten ihre jeweils
eigenen, sich teils diametral entgegenstehenden Methoden. Dem Konsens der
führenden zeitgenössischen Gelehrten nach, wandelten sich mit dem Beginn des
20. Jahrhunderts das islamische Denken und das islamische Schrifttum von einer
konzeptuellen, definierenden und belehrenden Denkweise, die mit sich selbst
beschäftigt ist, zu einem synthetischen, pluralistischen und zeitgemäßen islami-
schen Denken, das sich auf eine neue Art und Weise mit geschichtlichen Ereignis-
sen auseinandersetzt. Ein grundlegender Wesenszug soll dabei das Überwinden
eines negativ konnotierten Begriffsverständnisses der islamischen Überlieferung
sein, was durch eine dynamisch-existentielle Vermittlung in der Sprache erreicht
werden soll. Diesen zuletzt genannten Gedanken aufgreifend, empfiehlt es sich
nach einem konkreten Beispiel zu suchen, wobei die These aufgestellt werden
soll, dass die o. g. Annahme, erst mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts habe ein
Umdenken in der islamischen Theologie stattgefunden, eine trügerische ist und
vielmehr bereits in der Frühzeit ein praxisnaher und offener Zugang zur islami-
schen Überlieferung verwirklicht wurde. Die ḥisba stellt in diesem Zusammen-
hang ein Musterbeispiel dafür dar, wie islamische Gelehrte durch eine dyna-
misch-existentielle Vermittlung in der Sprache der Menschen und durch einen
praxisnahen Zugang zum Text Rationalität und Tradition miteinander in Einklang
bringen konnten. Anhand von ḥisba beweist al-Māwardī, dass die Vorbildfunk-
tion des Propheten Muḥammad und seiner Gefährten keinen Widerspruch zur
Rationalität darstellt, wobei die Orthopraxie der Muslime im Vordergrund stand.1
Ḥisba vereint somit als eine Form der „Überwachung der öffentlichen Ordnung“

1 Aṭ-Ṭabarī berichtet, dass die erste Ernennung eines Beamten zum muḥtasib – allerdings zur
Verfolgung von Häretikern – während der Herrschaft des abbasidischen Kalifen al-Mahdī im
Jahre 163 n. H. erfolgte; vgl. aṭ-Ṭabarī. Tārīḫ al-umam wa al-mulūk, Bd. 8 1937: 148.

https://doi.org/10.1515/9783110588576-020
392 Mahmoud Abdallah

sowohl die Religion und die örtlichen Moralwerte ʿurf2 als auch die politischen
Interessen.
Dieser Beitrag setzt sich zum Ziel, die ḥisba bei al-Māwardī zu erörtern, seine
Methode zu analysieren und den Bezug zum heutigen Kontext herauszufinden.
Um einen Einblick in die „rationale Lesart der Theologie“ von al-Māwardī, in den
etwaigen Umfang und die Komplexität der Aufgabe eines muḥtasib zu bekom-
men, erfolgt im ersten Teil dieser Arbeit die Übersetzung von al-Māwardīs Kapitel
bezüglich der ḥisba aus dem Arabischen ins Deutsche. Zudem wird der Aufbau des
betreffenden Textes und der darin enthaltenen Themen skizziert sowie ein über-
sichtlicher Kommentar zur Thematik, Methodik und Begründung gegeben. Das
genannte Kapitel ist ein zusammenhängendes Exzerpt aus dem Kitāb al-Aḥkām
as-sulṭāniyya. Im zweiten Teil erfolgt eine kurze, aber notwendige Vorstellung/
Beschreibung des fundierten und kritischen Umgangs al-Māwardīs mit dem von
ihm behandelten theologischen Material, welcher fortwährend die hohen Anfor-
derungen an die Authentizität der theologischen Texte und ihrer Überlieferer
unterstreicht. Nicht weniger wichtig ist die Suche nach einem Ausblick, der einer-
seits den Ruf nach einer dynamischen Anwendung von Rationalität und Theolo-
gie in der Gegenwart und Zukunft würdigt, andererseits einen Vorschlag machen
will, wie in der „Moderne“ der Wettstreit um öffentliche Ordnung zwischen Staat,
Religion und Gesellschaft in konkrete Praxis umgesetzt werden kann.
Dieser Beitrag besteht aus fünf Hauptteilen: Einblick in das Werk al-Aḥkām
as-sulṭāniyya (Teil I), Einführung in den Aufbau des Textes und der Übersetzung
(Teil II), die Übersetzung des Originals ins Deutsche (Teil III mit mehreren Unter-
kapiteln), theologische Auseinandersetzung mit der ḥisba (Teil IV) und abschie-
ßend die Auseinandersetzung mit dem Konzept al-Māwardīs zwischen Theologie
und Rationalität (Teil V).

1 Die Aḥkām as-Sulṭāniyya des al-Māwardī


Die Aḥkām as-sulṭāniyya sind das wohl bekannteste Werk des Rechtsgelehrten Abū
l-Ḥasan al-Māwardī3, geboren 364/974 in Basra, verstorben 450/1058 in Bagdad.4

2 Siehe ausführlich hierzu Gideon Libson und F.H. Stewart, „ʿUrf“, in: Encyclopaedia of Islam,
Second Edition, hg. v. Peri Bearman u. a., URL: http://dx.doi.org/10.1163/1573-3912_islam_
COM_1298 (letzter Zugriff: 22.05.2017).
3 Im Lateinischen auch bekannt als Alboacen.
4 Diese Schrift ist auch bekannt unter dem umfassenden Titel al-Aḥkām as-sulṭāniyya wa al-
wilāyāt ad-dīniyya. Ich berufe mich in diesem Beitrag auf die relevante neuzeitliche Druckaus-
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 393

Seine Ausbildung und spätere Karriere als Richter und Diplomat verbrachte
al-Māwardī unter der turbulenten Herrschaft des Kalifats der Abbasiden.5 So wird
angenommen, dass al-Aḥkām as-sulṭāniyya von al-Māwardī verfasst wurde „in
an attempt to assert the authority of the Abbasid caliphs against the Buwayhid
emirs who were in effective control of their state.”6 Demnach bieten die Aḥkām
des al-Māwardī eine theoretische Grundlage für die Abgrenzung der Einfluss-
möglichkeiten zwischen dem Kalif und dem Emir. Wesentlich ist hierbei die
Unterteilung der politischen Autorität in religiöse Angelegenheiten und öffent-
liche Verwaltung. Erstere obliege dem Kalifen, während letztere unter der prak-
tischen Kontrolle des Emirs stehe.7 Die hervorgerufene Resonanz von al-Aḥkām
as-sulṭāniyya lässt den Anspruch erheben, dass dieses Werk “das erste politische
Schrifttum eines muslimischen Gelehrten [wäre], in dem mit solch einer Präzi-
sion und in solch einem Umfang eine Regierungsform […] verfasst wurde.“8 Beide
Anhaltspunkte widersprechen einer bestimmten Konstatierung nicht, nämlich
der Einbindung der Religionsgelehrten (ʿulamāʾ) als Stütze des „institutional
prestige“9 des Kalifats. Diese Rolle schlägt sich in der wesentlichen Vorstellung
vom Kalifen als dem Garanten für ein gottgefälliges Dasein der Gläubigen und
die allgemeine und konstante Durchsetzung der sharīʿa nieder.10 So sind die
Aḥkām as-sulṭāniyya eine Erscheinung der intellektuellen Auseinandersetzung
mit elementarer religiöser Autorität und der (temporalen) legitimen Herrschaft
innerhalb der (sunnitischen) muslimischen Gemeinschaft.11 Wesentlich ist hier

gabe, die unter dem genannten Titel 2013 in Beirut erschien. Eine leserfreundliche deutsche
Übersetzung des Originaltitels könnte beispielsweise lauten: „Befunde der Herrschaft und Be-
stimmungen der Religion“. Vgl. dazu die Übersetzung dieses Titels als: „Bestimmungen der
Machtausübung und der in der göttlichen Ordnung verankerten Ämter“ bei Tilman Nagel. „Das
Kalifat der Abbasiden.“ In Geschichte der arabischen Welt, hg. v. Ulrich Haarmann. München:
C.H. Beck, ²1991, 154.
5 Bekir Alboğa. Lehranalytische Betrachtung bei Abū’l-Ḥasan al-Māwardī (974–1058). Oberster
Richter des 4./10. Jahrhunderts im islamischen Kalifat der Abbasiden. Sein Leben und seine Ge-
dankenwelt. Köln: Divan Verlag, 2014, 70–71.
6 Erwin I.J. Rosenthal. Political Thought in Medieval Islam. An Introductory Outline. Cambridge:
University Press, 1962, 27.
7 Rosenthal, 1962, 28.
8 Alboğa, 2014, 104.
9 Eric J. Hanne. Putting the Caliph in His Place. Power, Authority, and the Late Abbasid Caliphate.
Madison (USA): FDU Press, 2007, 22.
10 „Al-ʾimāmatu mauḍūʿa li-khilāfat an-nubuwwa fī ḥirāsat ad-dīn wa-siyāsat ad-dunyā”, lautet
der erste Satz in den Ahkām, vgl. al-Māwardī. al-Aḥkām as-sulṭāniyya wa al-wilāyāt ad-dīniyya.
Beirut: al-Maktaba al-ʿaṣriyya, 2013, 13.
11 Al-Māwardī 2013, 22–23.
394 Mahmoud Abdallah

jedoch, dass al-Māwardīs Aḥkām nicht einzig einen „important link between the
caliph and the populace“12 bilden, sondern über das theoretische Gebilde hinaus-
gehen und konkrete Handlungen innerhalb einer Verschiedenes miteinander ver-
bindenden Gesellschaft ansprechen und reglementieren. Das in diesem Beitrag
behandelte Unterkapitel der Aḥkām as-sulṭāniyya ist ein gutes Beispiel dafür. Es
handelt sich um die Aḥkām al-ḥisba, die als letztes Kapitel in al-Māwardīs Schrift
den Grundsatz der Verantwortlichkeit und Rechenschaft behandelt und greifbar
die öffentliche Ordnung betrifft.

2 Übersetzung und Aufbau des Textes


Die Aḥkām al-ḥisba, wie bereits in der Einleitung erwähnt, bilden das letzte
Kapitel von insgesamt zwanzig Absätzen in al-Māwardīs al-Aḥkām al-sulṭāniyya.
Im Laufe dieses Kapitels wird u. a. die Definition von ḥisba zu der festen Regel
respektive dem Auftrag, Gutes zu gebieten und Übel zu verbieten. Der Text
setzt sich zu Beginn mit dem Aufgabenbereich eines muḥtasibs auseinander.
In diesem Zusammenhang unterscheidet der Text ausführlich zwischen dem
berufenen muḥtasib und einem Freiwilligen, der sich dieser Aufgabe annimmt.
Zudem beschreibt al-Māwardī die Positionierung des Aufgabenbereiches
von ḥisba zwischen dem der Rechtsprechung einerseits und dem der qaḍāʾ
al-maẓālim andererseits. Des Weiteren befasst sich al-Māwardī in den ersten
Abschnitten des Kapitels über ḥisba ausführlich mit einer detaillierten Klassi-
fizierung selbiger in solche Zuständigkeitsbereiche, die die Rechte Gottes betref-
fen sowie solche, die die Rechte des Individuums und die gemeinsamen Rechte
betreffen. Die Erörterungen gehen selbst auf Einzelheiten des zwischenmensch-
lichen Verhaltens und der Ritualpraxis der Gläubigen und der Gemeinde ein,
die mit Traditionen des Propheten, Musterbeispielen der rechtschaffenen Kalifen
und Urteilen der Rechtsschulen belegt werden. Diese Form der Beweisführung
und Argumentation wird auch in den darauffolgenden Abschnitten fortgeführt.
In seiner Darstellung geht al-Māwardī von drei grundlegenden Aspekten des
Rechts aus: das Recht Gottes, das Recht des Individuums, das (Gott und den
Menschen) gemeinsame Recht. Zu Zwecken der Nachvollziehbarkeit werden die
Grenzen der Befugnisse des muḥtasibs anhand konkreter Fälle (wie beispiels-
weise die Notwendigkeit eines Gebäudeabrisses, der Ausfall der städtischen
Wasserversorgung, die Versorgung bedürftiger Reisender, die Verleugnung der

12 Al-Māwardī 2013, 23.


Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 395

Vaterschaft oder der Sorgerechtsstreit) klar abgesteckt. Es wird beschrieben,


wie der muḥtasib in bestimmten Situationen zu reagieren hat. Dem muḥtasib
obliegen unterschiedliche Aufgabenbereiche, die er je nach Berechtigung über-
nehmen kann. Bei den allgemeinen Rechten wird klar aufgezeigt, wie sich der
muḥtasib zu verhalten hat, wenn beispielsweise Geld in der Staatskasse ist bzw.
wenn keines vorhanden ist. Geht es um individuelle Rechte, steht hingegen die
Aufgabe des muḥtasibs als Ordnender hinsichtlich der Rechte im zwischen-
menschlichen Bereich im Vordergrund. Der Text beschreibt im Vergleich zu den
anderen Aufgabenbereichen des muhtasibs seine administrativen Aufgaben noch
detaillierter.
Aufgrund seiner Prägnanz und Tiefe bereitete der Text viele Übersetzungs-
schwierigkeiten. Neben den üblichen Schwierigkeiten der Übersetzung von reli-
giösen Texten stellte der Text mich vor die Herausforderung, die Distanz zwischen
der Zeit des Verfassers und der heutigen zu berücksichtigen. Der Text ist etwa
1000 Jahre alt. Um ihn in die heutige Sprache zu übersetzen, ohne ihn seiner
Originalität, seiner Essenz zu berauben, musste ich die Schlüsselwörter im Origi-
nal neben der Übersetzung in Klammern einfügen. An mehreren Stellen war der
Originaltext mehrdeutig bis missverständlich, z. B. auf den Seiten 271 und 277. An
anderen Stellen setzt das Original ein solides Fachwissen voraus, wenn beispiels-
weise von den Rechten des Findelkindes (S. 267) die Rede ist. Um solche Stellen
sinngemäß ins Deutsche übertragen zu können, habe ich vier unterschiedliche
Textausgaben miteinander verglichen.13 Eine weitere Schwierigkeit bei der Über-
setzung stellte die Ambiguität zahlreicher Stellen und Begriffe, welche nur auf
mühsame Art eindeutig zu interpretieren waren, dar. Beispielsweise wären hier
die Begriffe addaba und zajara zu nennen. Al-Māwardī beschreibt die Reaktion
des muḥtasibs in seinem Text fortlaufend mit den Wörtern “addaba” (wörtl. erzie-
hen) oder „zajara“ (wörtl. zurechtweisen/strafen). Diese Reaktion des muḥtasibs
variiert in der Realität jedoch zwischen wörtlicher Zurückweisung, Kritik, öffent-
lichem Anprangern, Strafandrohung oder Verhängen einer Strafe usw. Die deut-
sche Entsprechung „erziehen“ ist weder passend noch so aussagekräftig wie ihr
Pendant im Original. In diesem Fall musste ich mich bei der Übersetzung nach
dem jeweiligen Textabschnitt für eine Variante entscheiden. Orientiert an der
Skopostheorie von Reiß und Vermeer, habe ich mich bemüht, den Text mit zeit-
genössischen Begriffen zu übersetzen, nicht zuletzt, um dem heutigen Leser das

13 Für die Übersetzung lagen vier Ausgaben des arabischen Originals der Aḥkām zum Vergleich
vor: Samir Musṭafa. Beirut: al-Maktaba al-ʿaṣriyya, 2013; Maximilian Engerli. Bonn: apud Adol-
phum Marcum, 1853; Sayyid Aḥmad al-Fiqī. Aleppo: al-Bāb al-ḥalabī, 1937 und Aḥmad Mubārak
al-Baghdādī. Kuwait: Dār Ibn Qutayba, 1989.
396 Mahmoud Abdallah

Verständnis zu erleichtern.14 Aus demselben Grund habe ich das Gedicht im Ori-
ginal nicht ins Deutsche übertragen. Das Gedicht trägt nichts Konstruktives zu
dem behandelten Thema bei und gibt auch keine Auskunft über den Kontext,
sodass dessen Auslassen den Verständnisprozess nicht beeinflusst. Ausgenom-
men sind die Stellen, an denen das Gedicht für den weiteren Verlauf des Textes
wichtig ist, wie z. B. auf Seite 271. Zugunsten der Lesbarkeit und der Übersicht-
lichkeit ist die Übersetzung in nummerierte Abschnitte eingeteilt. Die Einteilung
in (nummerierte) Abschnitte findet im Original nicht statt. Dabei habe ich im
Rahmen meiner Möglichkeiten versucht, die Sätze kürzer zu halten als im Ori-
ginal, damit der Zieltext verständlicher wird, solange dies den Sinn/die Aussage
des Satzes nicht beeinflusst. Dementsprechend steht im Deutschen oft ein Punkt,
wo im Original ein Komma gesetzt ist. Dies war aber nicht immer möglich. Mehr-
mals hätte die Vereinfachung einiger verschachtelter Sätze zu einem Sinnverlust
geführt. Dies erklärt, warum einige Textstellen in der Übersetzung lang bzw.
komplex sind.
Die Anmerkungen des Übersetzers und Verfassers des Artikels stehen in
eckigen Klammern. Dies gilt ebenso für die Angaben der zitierten Hadithe.
Al-Māwardī zitiert in diesem Kapitel einige Hdithe. Der Editor des arabischen Ori-
ginals fügte hinzu, in welcher Hadithsammlung der jeweilige Hadith vorkommt,
ohne weitere Angaben zur entsprechenden Sammlung. Der Verfasser dieses Bei-
trags hat die Hadithe, die im Original vorkommen, überprüft und die Angaben
dazu ergänzt. In der Fußnote werden die Angaben einer der erwähnten Hadith-
sammlungen, in der der Hadith vorkommt, in eckigen Klammern angegeben.
Der jeweilige Vorsatz ‚Kapitel:‘ wurde aus dem Original übernommen bzw. bei­
behalten.

3 Übertragung des Originals ins Deutsche

3.1 Von der Bestimmungen der ḥisba

Ḥisba: Diese ist das Gute zu gebieten, wenn dessen Unterlassen deutlich wird,
und das Verwerfliche zu verbieten, wenn dieses offensichtlich begangen wird
(„Hiya amrun bil maʿrūfi iḏā ẓahara tarkuhu wa nahyun ʿan al-munkari iḏā uẓhira

14 Katharina Reiß und Hans J. Vermeer. Grundlegung einer allgemeinen Translationstheorie. Tü-
bingen: Niemeyer, 1991.
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 397

fiʿluhu“).15 Allah der Erhabene sagt: „Und es soll aus euch eine Gemeinschaft
werden, die zum Guten aufruft, das Rechte gebietet und das Verwerfliche ver-
bietet“ (3/104).
Auch wenn das jedem Muslim möglich wäre, gibt es doch neun Unterschiede
zwischen einem Freiwilligen [mutaṭawwuʿ]16 und einem ḥisba-Beauftragten
[muḥtasib = „Quästor“/offizieller Amtsträger]17
1. Es ist für den muḥtasib eine persönliche Pflicht hinsichtlich des Auftrages;
diese Pflicht gehört bei den anderen zu den kollektiven Pflichten.
2. Die Ausführung von ḥisba gehört zu den Aufgaben des muḥtasibs, welche er
nicht zugunsten anderer Aufgaben vernachlässigen darf. Für den Freiwilligen
gilt das Ausüben von ḥisba als eine freiwillige Handlung, die er zugunsten
anderer Tätigkeiten vernachlässigen darf.
3. Er [der muḥtasib] ist [dazu] berufen, damit man sich bei den verwerflichen
Dingen an ihn wenden kann; der Freiwillige ist dafür nicht zuständig.
4. Es obliegt dem muḥtasib, auf das Begehr/die Anzeige zu reagieren; der Frei-
willige muss nicht auf diese reagieren.
5. Es obliegt ihm [dem muḥtasib], nach den offensichtlichen Verwerflichkeiten
zu suchen, damit er diese verbieten kann, und er soll auch das Unterlassen
des offensichtlich Guten überprüfen, damit er dessen Umsetzung gebieten
kann. Der Freiwillige [hingegen] ist weder zum Suchen noch zum Überprüfen
verpflichtet.
6. Es steht ihm [dem muḥtasib] beim Gebieten der Unterlassung zu, Unterstüt-
zer zu haben/sich nehmen, weil er für diese Arbeit berufen und zuständig ist.
Somit kann er die Arbeit besser und effektiver durchführen. Dem Freiwilligen
steht es nicht zu, an Unterstützer zu delegieren.
7. Es steht ihm zu, bei offensichtlichen Verwerflichkeiten Strafen (taʿzīr) anzu-
ordnen, ohne die Grenzen der vorgeschriebenen Strafen ḥudūd zu überschrei-
ten/zu erreichen. Dem Freiwilligen steht es nicht zu, für das Verwerfliche eine
Strafe anzuordnen.
8. Es steht ihm zu, für seine Arbeit Unterhalt aus der Schatzkammer bayt al-māl
zu erhalten; dem Freiwilligen steht es nicht zu, für die Denunzierung des Ver-
werflichen Vergütung zu bekommen.

15 Buchstäblich übersetzt zu verstehen als: „‫ حسبة‬ḥisba Rechnung, Berechnung, Rechenauf-


gabe“ (in Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart, hg. v. Hans Wehr, Leip-
zig: Otto Harrasowitz, 1952, 254. Ausführlich zur Definition der ḥisba: Muḥammad Kamal ad-Dīn
Imām, Uṣūl al-ḥisba fī al-Islām, dirāsa ta ʾṣīliyya muqārana, Alexandria: Dār al-hidāya, 1986, 13–15.
16 „‫ متطوع‬mutaṭawwiʿ pl. –ūn, Freiwilliger, Kriegsfreiwilliger; Volontär“, vgl. Wehr 1952, 791.
17 „‫ محتسب‬muḥtasib „Quästor“, vgl. Wehr 1952, 256; Mit dem lateinischen Begriff Quaestor be-
zeichnete man im antiken Rom Untersuchungsrichter oder hohe Finanzbeamte.
398 Mahmoud Abdallah

9. Es steht ihm zu, ijtihād [eigenständige Bemühung um Normens-/Urteils-


findung18] in Angelegenheiten des ʿurf (lokalen Brauches) zu betreiben. In
Angelegenheiten, welche theologische Themen (šarʿ) betreffen, ist dies nicht
gestattet. Ersteres wäre das Sitzen auf den Märkten und das Ausstellen der
Ware vor dem Laden. Sich auf seinen ijtihād stützend bestätigt er diese Ver-
haltensweisen oder lehnt sie ab. Einem Freiwilligen steht das nicht zu. So liegt
in diesen neun Gesichtspunkten der Unterschied zwischen der zuständigen
Person für ḥisba, das Rechte zu gebieten und das Verwerfliche zu verbieten,
und dem Freiwilligen, dem es erlaubt ist, dass er das Rechte gebietet und das
Verwerfliche verbietet.

Wenn das der Fall ist, dann gehören zu den Voraussetzungen für die zuständige
Person für ḥisba, dass sie frei und gerecht ist, eine eigene Meinung und Durch-
setzungskraft besitzt, streng in der Religion ist und über die offensichtlichen Ver-
werflichkeiten Bescheid weiß.
Die Gelehrten der schafiitischen Rechtsschule sind sich uneinig, ob es dem
muḥtasib gestattet ist, den Menschen in Angelegenheiten, zu denen die Rechts-
gelehrten verschiedene Positionen vertreten, seine eigene Meinung und seinen
eigenen ijtihād aufzuzwingen. Dafür gibt es zwei Positionen:
1. Die erste Position geht auf Abū Saʿīd al-Iṣṭakhrī zurück. Ihm zufolge ist es dem
muḥtasib gestattet, den Menschen seine eigene Meinung und seinen eigenen
ijtihād aufzuzwingen. Dementsprechend soll der muḥtasib einer der Gelehr-
ten sein, die ijihād in den Angelegenheiten der Religion betreiben können,
sodass er zu einer Entscheidung/zu einem Urteil bezüglich des Sachverhalts
kommen kann, über den gestritten wird.
2. Es steht ihm nicht zu, den Menschen seine eigene Meinung und seinen
eigenen ijtihād oder ihnen seine Rechtsschule [maḏhab] aufzuzwingen. Denn
jeder kann ijtihād betreiben in Bezug auf Dinge, die umstritten sind. Demzu-
folge ist es erlaubt, dass der muḥtasib nicht zu den Leuten des ijtihād gehört,
solange er [der muḥtasib] sich mit dem Verwerflichen auskennt, worüber eine
Übereinstimmung unter den Gelehrten herrscht.

18 Bei ijtihād in religiösen Angelegenheiten ist vorausgesetzt, dass die ausübende Person die Be-
fähigung zum mujtahid (= ein zum iğtihād Bevollmächtigter) besitzt und sich in unklaren Rechts-
fällen und in Ermangelung vergleichbarer Fälle mit Hilfe der Methode des Analogieschlusses,
qiyās, um ein eigenständiges Urteil bemühen kann; vgl. hierzu Joseph Schacht und Duncan B.
MacDonald. „Id̲jtihād“
̲ In Encyclopaedia of Islam, Second Edition, hg. v. Peri Bearman u. a., URL:
http://dx.doi.org/10.1163/1573-3912_islam_COM_0351 (letzter Zugriff: 22.05.2017).
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 399

3.2 ḥisba und Urteile

Wisse, dass ḥisba die Mitte zwischen den Normen des gerichtlichen Urteilens
[aḥkām al-qaḍāʾ] und den aḥkām al-maẓālim ist.19 Aber was sie [ḥisba] und al-
qadāʾ verbindet, ist die Ähnlichkeit mit den aḥkām al-qadāʾ in zwei Aspekten.
Aber in zwei weiteren Aspekten hat sie weniger Geltungsanspruch als die aḥkām
al-qadāʾ und in zwei weiteren Aspekten ist ihr Geltungsanspruch größer als der
der aḥkām al-qadāʾ.
Was die beiden Gesichtspunkte in ihrer Ähnlichkeit zu den aḥkām al-qadāʾ
betrifft, so besteht die Erlaubnis, sich an ihn [muḥtasib] zu wenden. Dieser ist
zum Anhören der die Rechte des Menschen betreffenden Beschwerde verpflichtet,
nämlich die Rechte des Klägers gegenüber dem Beklagten. Dies gilt nicht allge-
mein für jede Klage; es gilt speziell für drei Arten der Klage.
i. Die Sachen betreffend, in denen es um Benachteiligung oder Knauserei beim
Maß und Gewicht geht.
ii. Was Betrug und Täuschung bezüglich des zu verkaufenden Objektes oder des
vereinbarten Preises betrifft.
iii. Was die Aufschiebung und/oder Verspätung der rechtmäßig fälligen Schul-
den trotz der Möglichkeit [der Bezahlung] betrifft.

Er darf diese drei Arten von Beschwerden anhören – abgesehen von allen anderen
Anklagen – weil es bei ihnen um eine offensichtliche Verwerflichkeit geht, zu
deren Beseitigung er berufen ist oder um eindeutig gute Handlungen, für deren
Verwirklichung er zuständig ist. Die Aufgabe der ḥisba ist dafür zu sorgen, dass
die Rechte eingehalten werden und dass für die Verwirklichung Hilfestellung
geleistet wird. Die dafür verantwortliche Person darf diese Befugnis nicht über-
schreiten und eine endgültige und unwiderrufliche Entscheidung treffen. Und
dies ist der erste Aspekt der Übereinstimmung.
Der zweite Gesichtspunkt: Es steht ihm [muḥtasib] zu, den Angeklagten zum
Ausgleich der Anrechte [anderer] zu zwingen. Dies gilt nicht für alle Anrechte,
sondern gilt nur für die Fälle, in denen er die Anklage anhören darf. Wenn die
Schulden laut Bekundung und Bestätigung fällig werden, und er [der Ange-
klagte] diese ausgleichen kann, so bringt er ihn dazu, seine Pflicht gegenüber

19 Aḥkām al-qadāʾ sind solche Prozesse, im Zuge derer Menschen sich gegenseitig anklagen
können. Dafür ist der übliche qāḍī (Richter) zuständig. Aḥkām al-maẓālim sind ein spät einge-
führtes System. Es ist für Anklagen gegen die Herrschaft, deren Angehörige, Wesire und höhere
Beamte zuständig.
400 Mahmoud Abdallah

dem Gläubi­ger zu erfüllen, denn die Aufschiebung ist eine verwerfliche Tat, für
deren Beseitigung er [muḥtasib] berufen worden ist.
Was die beiden Gesichtspunkte ihrer Beschränkung [Beschränkung der
Zuständigkeiten des muḥtasib] im Vergleich zu den aḥkām al-qadāʾ betrifft, so
sind diese Erstens: Die Anhörung von generellen Anklagen, welche nicht offen-
sichtliche Verwerflichkeiten betreffen wie die Anklage wegen Verträgen, Trans-
aktionen und anderen Anrechten und Forderungen. Ihm ist es weder erlaubt diese
Klagen anzuhören, noch ein Urteil über sie zu fällen, unabhängig davon, ob es
um große oder kleine Ansprüche geht, auch wenn es sich nur um einen Dirham
oder weniger handelt, außer, ihm wurde eine explizite Befugnis für solche Tat-
bestände erteilt. Wenn ihm diese Befugnis erteilt wurde, so kombiniert er die
Rollen eines Juristen und der ḥisba. In diesem Fall muss sichergestellt werden,
dass er zu einem der ahl al-ijtihād [Personen, die die Befähigung zum ijtihād
besitzen; bezeichnet folglich die Gesamtheit der mujtahidūn] gehört. Wenn seine
Berufung nur auf die reine ḥisba beschränkt ist, so sind die Richter und die Herr-
scher berechtigt, diese Angelegenheiten, seien es große oder kleine, zu prüfen.
Und das ist der erste Gesichtspunkt.
Zweiter Gesichtspunkt: Sie [ḥisba] ist auf die zugestandenen Anrechte
beschränkt. Was verneinte und umstrittene [Verhandlungen] angeht, so ist es ihm
[muḥtasib] nicht gestattet diese zu überprüfen, weil der Richter sich die Zeug-
nisse anhört und die Schwüre einholt, und dem muḥtasib ist es weder erlaubt
die Zeugnisse bezüglich der Beweise zu hören, noch die Schwüre bezüglich der
Widerlegung des Rechts einzuholen. Die Richter und Herrscher sind bezüglich
der Anhörung der Zeugnisse und dem Abverlangen von Schwüren Berechtigte.
Hinsichtlich der ḥisba, die im Vergleich zu den aḥkām al-qadāʾ umfangrei-
cher ist, ergeben sich zwei Aspekte:
Erstens: Die befugte Person kann das, was sie als Gutes gebietet und als Ver-
werfliches verbietet, ohne eine Anklage überprüfen. Ein Richter darf dies nur tun,
wenn eine Anklage von der berechtigten Person vorliegt. Wenn der Richter ohne
Anklage die Angelegenheit überprüft, so verletzt er die Befugnis seines Amtes
und überschreitet damit seine Autorität.
Zweitens: Es steht dem ḥisba-Beauftragten zu, bezüglich des Verbietens des
Verwerflichen scharfzüngig zu sein und sich anmaßend zu benehmen. Für den
Richter gilt dies nicht, aber die ḥisba ist für die Einschüchterung vorgesehen,
dementsprechend ist die scharfzüngige Haltung und das anmaßende Benehmen
keine Verletzung oder Missachtung ihrer Grenzen. Qaḍāʾ ist dazu da, um Gerech-
tigkeit zu etablieren. Demzufolge sollte mit Gelassenheit und Respekt gebieten-
der Haltung agiert werden. Missachtet die Rechtsprechung [qaḍāʾ] diese Haltung
und agiert mit einer Härte wie die ḥisba, so überschreitet sie ihre Grenzen und
missachtet ihre Aufgaben, denn jedes der beiden Ämter ist anders. Eine Nicht-
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 401

einhaltung der jeweils eigenen Regeln gilt als Verletzung und Überschreitung der
Amtsbefugnis.
Was ḥisba und maẓālim betrifft, so gibt es Ähnlichkeiten, die sie verbinden,
und Unterschiede, die sie voneinander trennen. Was die verbindenden Ähnlich-
keiten betrifft, so gibt es zwei Gesichtspunkte:
Erstens: Ihr Ziel [der ḥisba und maẓālim] ist die Einschüchterung basierend
auf der anmaßenden, scharfzügigen Haltung und der energetischen Härte.
Zweitens: Beide [die ḥisba und maẓālim] befassen sich mit dem Gemeinwohl
und bemühen sich, offensichtliche Verwerflichkeiten zu denunzieren.
Was die Unterschiede zwischen den beiden betrifft, so sind es zwei Gesichts-
punkte:
Erstens: Die maẓālim-Beauftragten setzten sich mit Angelegenheiten aus-
einander, zu deren Beurteilung die Richter nicht imstande sind. Die ḥisba-
Beauftragten überprüfen Angelegenheiten, die unter der Würde der Richter
liegen. Deshalb ist der Rang der maẓālim höher und der der ḥisba niedriger.
Die zu maẓālim befugte Person kann den Richtern und dem muḥtasib Aufga-
ben auferlegen. Dem Richter ist es verwehrt, dem maẓālim-Beauftragten Auf-
gaben aufzuerlegen, jedoch steht es ihm [dem Richter] zu, dem muḥtasib einen
Befehl zu erteilen. Und dem muḥtasib ist es nicht erlaubt, einen der beiden mit
einer Aufgabe zu betrauen. Der zweite Unterschied ist nämlich dieser, dass der
maẓālim-Beauftragte ein Urteil fällen kann und der ḥisba-Befugte kein Urteil fällen
kann.

3.3 ḥisba: das Rechte gebieten und das Verwerfliche verbieten

Wenn die bisherige Beschreibung der ḥisba und die Unterscheidung zwischen
ihr und qaḍāʾ und maẓālim klargeworden ist, dann umfasst sie zwei Aspekte/
Aufgaben: Erstens, das Gebieten des Guten, und Zweitens, das Verbieten des Ver-
werflichen.
Was das Gebieten des Guten betrifft, so lässt es sich in drei Teile gliedern:
Erstens, was die Rechte Gottes betrifft; Zweitens, was die Rechte der Menschen
betrifft und Drittens, was den beiden gemeinsam ist.
Was die Rechte Gottes angeht, so sind es zwei Arten. Eine dieser beiden
[Arten] sind die Pflichten, deren Einhalten [nur] einer Gruppe von Menschen zu
gebieten ist, wie die Teilnahme am Freitagsgebet in einem bewohnten Gebiet
waṭan maskūn. Wenn diese eine Zahl ausmachen, die einstimmig für die Durch-
führung des Freitagesgebetes ausreichend ist, z. B. 40 und mehr, so soll er sie auf-
fordern, das Gebet zu verrichten; er bestraft sie für das Ablassen davon. Und wenn
es um eine Anzahl geht, bei der umstritten ist, ob diese für die Durchführung des
402 Mahmoud Abdallah

Freitagsgebetes ausreicht [oder nicht], so gibt es für ihn [den muḥtasib] und sie
[die Menschen] vier Fälle:
Erstens: Sie einigen sich darauf, dass das Freitagsgebet mit dieser Anzahl ver-
richtet werden sollte. In diesem Fall soll er sie auffordern, es zu verrichten, und
sie müssen seiner Aufforderung Folge leisten. Die Bestrafung der Abkehr von ihm
[dem Gebet] soll in diesem Fall sanfter ausfallen als die Bestrafung von dessen
Ablassen in dem Fall, wo über die Durchführung ein Konsens besteht.
Zweitens: Er ist sich mit dem Volk [der betroffenen Gruppe] darüber einig,
dass das Freitagsgebet mit ihr [der Anzahl] nicht verrichtet werden kann. Da ist es
[ihm] nicht gestattet, ihnen die Verrichtung [des Freitagesgebetes] zu befehlen. Es
steht ihm eher zu, es zu verbieten, wenn es praktiziert wurde.
Drittens: Das Volk ist der Meinung, dass mit ihr [der Anzahl der anwesenden
Menschen] das Freitagsgebet zu verrichten ist, und der muḥtasib sieht es nicht so.
[In diesem Fall] ist es ihm weder erlaubt ihnen entgegenzutreten, noch ihnen seine
Verrichtung zu befehlen, denn er sieht es nicht ein. Und es ist ihm ebenso nicht
gestattet, ihnen es [das Freitagesgebet] zu verbieten und sie darin zu hindern, zu
praktizieren, was sie als Pflicht sehen.
Viertens: Der muḥtasib hält es für richtig, mit ihr [der Anzahl der anwesenden
Menschen] das Freitagsgebet zu verrichten, und das Volk sieht das nicht ein. Dies
ist ein Fall, in dem die Abkehr vom Freitagesgebet mit der Zeit zu dessen regelmä-
ßiger Vernachlässigung trotz der zunehmenden Zahl führt. Ist es dem muḥtasib
erlaubt, [vorausschauend denkend] ihnen diesbezüglich dessen Verrichtung zu
befehlen oder nicht? Die Schafiiten sind zwei Meinungen gefolgt:
Erstens, die Meinung von Abū Saʿīd al-Iṣṭakhrī: Es ist ihm gestattet, das
gemeinsame Wohl berücksichtigend, ihnen die Verrichtung zu gebieten, damit
die Kinder nicht mit dem Ausfallenlassen [des Freitagsgebets] aufwachsen und
denken, dass es bei der vermehrten [größeren] Zahl genauso ausfallen kann
wie bei der verminderten [kleineren] Anzahl. Er [Saʿīd] berücksichtigt eine ähn-
liche Situation in Bezug auf das Beten in den beiden Moscheen von Kufa und
Basra. Wenn die Menschen im Moscheehof ihr Gebet verrichtet hatten, pflegten
sie sich nach dem Erheben vom Niederwerfen [sujūd] den Staub von ihrer Stirn
wegzustreichen, so befahl er das Streuen von Kieselsteinen in den Moscheehof
und sagte: „Ich befürchtete, dass die Kleinen mit der Zeit [wenn die Zeit vergeht]
denken, dass das Streichen an der Stirn nach der Niederwerfung [dem sujūd] eine
Sunna im Gebet ist.“
Zweitens: Er darf sich nicht ihrer Entscheidung entgegenstellen, weil es ihm
weder zusteht den Menschen seine Überzeugung, noch in religiösen Angele-
genheiten seine eigene Meinung aufzuzwingen, wo ijtihād zulässig ist und sie
glauben, dass die mangelhafte Anzahl [an Menschen] die Durchführung des Frei-
tagsgebetes verhindert. Bezüglich ihrer Pflicht zum Festgebet, so darf er ihnen
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 403

dahingehend befehlen. [Zu der Frage,] ob das Gebieten des Festgebetes zu den
verpflichtenden oder zu den erlaubten Rechten gehört, gibt es zwei Ansichten
unter den Schafiiten – abhängig davon, ob es [das Festgebet] eine Sunna ist oder
zu den kollektiven Pflichten [furūḍ al-kifāya] gehört. Wenn gesagt wird: Es ist eine
Sunna, ist dessen Gebieten [Verrichtung des Gebetes] empfehlenswert. Und wenn
gesagt wird: Es gehört zu den kollektiven Pflichten [furūḍ al-kifāya], ist dessen
Gebieten verpflichtend.
Was das Beten in Gemeinschaft in der Moschee und den Gebetsruf in ihr
betrifft, so gehören diese zu den Riten des Islam und sind Zeichen für die Fröm-
migkeit, mit denen [Gebet in Gemeinschaft und Gebetsruf] der Prophet die Unter-
scheidung zwischen dem Haus des Islam [dār al-islām] und dem des Polytheismus
[dār ash-shirk] klargestellt hat. Wenn die Bewohner einer Stadt oder eines Stadt-
viertels sich über die Einstellung der Gebetsverrichtung in Gemeinschaft in der
Moschee und die Auslassung des Gebetsrufes zu den Gebetszeiten einigen, so
wird dem muḥtasib empfohlen, ihnen den Gebetsruf und die gemeinsame Gebets-
verrichtung zu befehlen. Ist dies [die Handlung des muḥtasibs] eine Pflicht, mit
deren Auslassung er eine Sünde begeht, oder ist es empfehlenswert, sodass er
für sein Handeln belohnt wird? Diesbezüglich gibt es zwei Meinungen unter den
Schafiiten, [abhängig davon] ob der Sultan [dazu] verpflichtet ist, die Bewohner
einer Stadt zu bekämpfen oder nicht, wenn sie sich auf das Auslassen des Gebets-
rufes und der Gebetsverrichtung in Gemeinschaft einigen.
Was das Auslassen des Freitagsgebets20 oder des Gebetsrufes seitens des
Einzelnen betrifft, steht es dem muḥtasib nicht zu, dies zu kritisieren [sich ihm
entgegenzustellen], solange der Einzelne sich dieses [Verhalten] nicht zu einer
Gewohnheit macht, denn solche [ausgelassenen Handlungen] gehören zu den
empfehlenswerten Taten, die aus einem triftigen Grund ausgelassen werden
können – außer es besteht ein Verdacht [dass diese Person ohne einen triftigen
Grund das Gebet ausfallen lässt], oder es wird zu einer Gewohnheit und es wird
gefürchtet, dass andere sich ihn [den Einzelnen] zum Vorbild nehmen. Da wird
das Gemeinwohl berücksichtigt und dieses Verhalten wird aufgrund der Gering-
schätzung der Sunna zurechtgewiesen. Die Bestrafung aufgrund des Auslassens/
Vernachlässigung der Gebetsverrichtung in Gemeinschaft sollte entsprechend den
Umständen geschehen, so wie es über den Propheten überliefert wurde. Er sagte:
„Ich hätte beinahe meinen Weggefährten [aṣḥāb] befohlen, Holz zu sammeln,
und hätte zum Gebet gerufen und es verrichten lassen; dann wäre ich zu den

20 So steht es im Manuskript; richtig ist jedoch: „die Gebetsverrichtung in Gemeinschaft“; und


„Gott weiß es am besten“.
404 Mahmoud Abdallah

Häusern derjenigen gegangen, die an dem Gebet nicht teilgenommen haben, und
hätte sie [die Häuser] über ihnen verbrannt“.21
Und was das Warnen von einzelnen Personen betrifft, so sind diese beispiels-
weise diejenigen, welche das Gebet verspäten, bis die vorgesehene Zeit abläuft,
so sollte er sie daran erinnern und ihnen befehlen, es rechtzeitig zu verrichten.
Und er [der muḥtasib] sollte seine [desjenigen, der das Gebet verspätet] Antwort
berücksichtigen. Wenn er sagt: „Ich ließ von ihm [Gebet] aufgrund des Vergessens
ab“ [d. h. er hat das Gebet vergessen], so drängt er ihn zu dessen Verrichtung,
nachdem er ihn daran erinnert hat, und bestraft ihn nicht. Wenn er sagt: „Ich habe
es aus Gespött und Geringschätzung unterlassen“, bestraft er ihn zurückweisend
und zwingt ihm auf, es zu tun. Kein Einwand ist gegen jemanden zu erheben,
der es [die verspätete Gebetsverrichtung] tut, aber noch in der vorgesehenen Zeit
ist, denn die Rechtsgelehrten sind sich über die Vorteile der Verspätung uneinig.
Wenn sich aber die Menschen in einer Stadt/einem Land über die Verschiebung
der Gebetsverrichtung bis zu ihrem Ende [Ende der Gebetszeit] einigen und der
muḥtasib für den Vorzug der früheren Verrichtung ist, so kann er ihnen die Ver-
richtung des Gebetes am Anfang des vorgesehenen Zeitraums befehlen – dazu
gibt es zwei Meinungen.22 Wenn alle Menschen erwägen, die Gebetsverrichtung
solle am Ende der Gebetszeit sein, dann wachsen die Kinder damit auf, dass dies
[Gebetsverrichtung am Ende der vorgesehenen Zeit] das richtige Zeitfenster dafür
ist, und nicht früher. Wenn einige von ihnen es am Anfang seiner Zeit verrich-
ten, so soll er [der muḥtasib] diejenigen, die es später tun, bei ihrer verspäteten
Gebetsverrichtung [dabei] gewähren lassen.23
Was den Gebetsruf und den qunūt im Gebet angeht, wenn diese im Wider-
spruch zu der Meinung des muḥtasibs stehen, darf er [der muḥtasib] sie ihnen
weder gebieten noch verbieten, auch wenn er es [d. Gebieten u. Verbieten] für
nötig hält, solange diese [Handlungen] durch ijtihād erlaubt sind. So wäre dies
[das Erlauben/Verbieten] außerhalb seiner Kompetenz, wie wir zuvor beschrieben
haben. Dies ist genauso mit der spirituellen Reinigung [ṭahhāra]. Wenn er [jemand]
diese auf eine erlaubte Weise durchführt, widerspricht er [der selbe] dabei aber

21 Abū al-Ḥusayn Muslim b. al-Ḥajjāj an-Naysābūrī, Ṣaḥīḥ Muslim, hg. v. Abū Qutaiba Naẓar
Muḥammad al-Faryābī, Riad: Dār ṭībā, Bd. 1, 2006: 651–652; der Hadith ist außerdem überliefert
von Abū Dawūd im Kapitel „Das Gebet“ (Unterkapitel 46), von at-Tirmiḏī im Kapitel die Gebets-
zeiten (Unterkapitel 48), von Ibn Māja im Kapitel „Die Moscheen“ (Unterkapitel 17), von ad-Dārimī
im Kapitel „Das Gebet“ (Unterkapitel 54) und von Aḥmad (1/45; 2/314, 376 und 472) mit der For-
mulierung „Ich hätte beinahe meinen Jungen befohlen, …“.
22 Im Originaltext werden die zwei Meinungen nicht angeführt.
23 Im Original steht: „Die Leute sollen von der späten Gebetsverrichtung ablassen“, was jedoch
in diesem Kontext keinen Sinn ergibt. Scheinbar ist die Präposition ʿalā im Original aus gefallen.
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 405

der Meinung des muḥtasibs. Z. B., wenn er Unreinheit [najāsa] mit Flüssigkei-
ten [außer Wasser] beseitigt und die Gebetswaschung [wuḍūʾ] mit Wasser unter-
nimmt, welches mit reinem Staub verschmutzt ist, oder das Streichen des Kopfes
[mit Wasser] auf das Minimum beschränkt, oder eine Unreinheit in der Größe
eines Dirhams ignoriert, so darf sich der muḥtasib bei solchen Fällen weder ent-
gegenstellen noch etwas gebieten oder verbieten. Im Falle der Gebetswaschung
mit dem Dattel-Wein, wo kein Wasser ist, so gibt es für seinen Widerspruch [für
den Widerspruch des muḥtasibs] zwei Gesichtspunkte, dass aus ihm [erlaubtes
wuḍūʾ mit Dattel-Wein] eine allgemeine Erlaubnis resultieren könnte [könnte zur
Regel werden] und dass die Leute durch sein Trinken betrunken werden. Analog
zu diesem Beispiel soll sein [des muḥtasibs] Gebieten des Guten bezüglich der
Rechte Gottes, des Erhabenen, durchgeführt werden.

3.4 Vom Gebieten des Guten

Was das Gebieten des Guten in Bezug auf die Rechte des Menschen betrifft, so gibt
es diese zwei Arten: allgemeine und individuelle Rechte.
Was die allgemeinen Rechte betrifft, so sind diese: Wenn zum Beispiel die
Wasserversorgung einer Stadt ausfällt, eine Stadtmauer einzustürzen/zusammen-
zubrechen droht oder Reisende nächtlicherweile in einem bedürftigen Zustand in
sie [die Stadt] kommen und die Bewohner sich enthalten, ihnen zu helfen. Wenn
in der Staatskasse [bayt al-māl] Geld zur Verfügung steht und bei dessen Verwen-
dung den Einwohnern kein Schaden enstünde, befiehlt der muḥtasib, die Was-
serversorgung zu reparieren, die Stadtmauer aufzubauen und den Reisenden auf
ihrem Weg zu helfen, da dies Rechte sind, die der Staatskasse obliegen und nicht
dem Individuum. Das Gleiche gilt für die Sanierung von Moscheen und Gebets-
stätten, die zu verfallen drohen.
Wenn der Staatskasse die Mittel dazu fehlen, so sind der Aufbau der Stadt-
mauer, die Reparatur der Wasserversorgung, die Wiederinstandsetzung der
Moscheen und die Versorgung der Reisenden Aufgaben derjenigen Bewohner,
die über die dafür erforderlichen Mittel verfügen, wobei diese Aufgabe keinem
einzelnen von ihnen auferlegt werden kann. Wenn diejenigen, die die Möglich-
keit haben, zu arbeiten und den Reisenden zu versorgen, beginnen [dies zu tun],
steht es dem muḥtasib nicht mehr zu, das zu gebieten. Ihrerseits brauchen sie
[die Bewohner] nicht um Erlaubnis zu bitten, den Reisenden versorgen oder, was
baufällig ist, wiederaufbauen zu dürfen.
Aber falls sie ein Gebäude abzureißen wünschen, um dieses neu zu errichten,
so können sie das nicht tun, wenn es für die Leute der Stadt um allgemeinnüt-
zige Anlagen wie die Moschee oder die Stadtmauer geht, bis sie sich eine Geneh-
406 Mahmoud Abdallah

migung vom Machthaber der Stadt [walī al-amr]– nicht vom muḥtasib – holen.
Dieser [der walī al-amr] erlaubt es ihnen, nachdem sie sich dazu verpflichtet
haben, das Betroffene wiederaufzubauen. Beim Wiederaufbau der Moscheen, die
zu bestimmten Clans und Stämmen gehören, muss nicht nach einer Genehmi-
gung gefragt werden; es obliegt dem muḥtasib, den Wiederaufbau des niederge-
rissenen Gebäudes zu fördern. Es steht ihm aber nicht zu, sie zu zwingen, einen
begonnenen Bau zu beenden. Wenn diejenigen, die die Mittel dazu haben, mit
dem Wiederaufbau der Ruinen oder Gebäude, welche im schlechten Zustand sind,
aufhören, so hat der muḥtasib die Bewohner bei ihrer Entscheidung bleiben zu
lassen, wenn der Aufenthalt darin möglich und das Wasser – trotz Knappheit –
ausreichend bleibt.
Wenn aber aufgrund des Mangels an Wasser und der Baufälligkeit der Mauer
der Aufenthalt in der Stadt unmöglich wird, wird eine Untersuchung der Lage
vorgenommen. Wenn die Stadt an der Grenze liegt und dessen Verlassen dem
dār al-islām [islamisches Territorium] schaden könnte, so kann der walī al-amr
den Menschen nicht erlauben, dieses [Gebiet] zu verlassen. Das Urteil in dieser
Situation ist das gleiche wie im Falle von Katastrophen, zu deren Beseitigung
alle fähigen Menschen beitragen sollten. Die Leistung/Aufgabe des muḥtasibs in
so einem Fall ist es, dies dem Herrscher mitzuteilen und die fähigen Menschen
[zum Mitwirken] anzuregen. Wenn es sich aber nicht um eine Stadt an der Grenze
[im Grenzgebiet] handelt, sondern um eine bewohnte Ortschaft innerhalb des
dār al-islām, so ist die Angelegenheit einfacher und die Situation leichter. Dem
muḥtasib steht es [in diesem Fall] nicht zu, die Bewohner dazu zu zwingen, die
Stadt wiederaufzubauen, da die Durchführung [dieser Maßnahme] dem Sultan
obliegt.
Wenn diesem [dem Sultan/dem Staat] die Mittel dazu fehlen, so soll er darum
flehentlich bitten. Solange der Sultan dazu nicht in der Lage ist, sagt der muḥtasib
zu ihnen [den Bewohnern] Folgendes: „Ihr habt die Wahl, euch zwischen dem
Verlassen der Stadt oder der Gewährung der nötigen Kosten für ihren Wieder-
aufbau, sodass der Aufenthalt darin möglich bleibt, zu entscheiden“. Wenn die
Bewohner sich zur Übernahme der nötigen Kosten bereit erklären, so verlangt er
von ihnen, gemeinsam beizutragen, was sie können. Er darf keinen Einzelnen
dazu zwingen, eine Abgabe zu leisten, welche derjenige nicht freiwillig geben
würde – sei es viel oder wenig. Vielmehr sagt er: „Jeder von euch soll das aus-
geben, wozu er in der Lage ist und was er gern ausgibt“. Diejenigen, denen das
Geld fehlt, sollen physisch [bei der Arbeit] mithelfen. Wenn all das, was benötigt
wird, vorhanden oder garantiert ist, weil jeder, der die Mittel dazu besitzt, freiwil-
lig für einen bestimmten Teil bürgt, so beginnt der muḥtasib mit der Arbeit. Jeder
in der Gemeinde, der etwas versprochen hat, hält sein Versprechen, auch wenn
solch eine Bürgschaft in den privaten Geschäften nicht bindend ist. Da aber dem
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 407

Gemeinwohl Vorrang vor dem des Einzelnen zukommt, kommt dieser Bürgschaft
ebenso Vorrang zu.
Wenn es sich jedoch um eine Angelegenheit des öffentlichen Interesses
handelt, so kann der muḥtasib nicht ohne die Genehmigung des Herrschers
handeln, damit er dessen Autorität nicht untergräbt. Dies gilt, da diese Arbeit von
öffentlichem Interesse nicht Teil der ihm zustehenden Verantwortung ist. Wenn
jedoch die Angelegenheit von geringerer Bedeutung, die Erlaubnis des Herrschers
schwer einzuholen oder eine Zunahme des Schadens zu befürchten sein sollte, so
kann er [der muḥtasib] ohne die Erlaubnis mit der Arbeit beginnen.
Was die individuellen Rechte betrifft, so sind diese wie das Aufschieben der
Ansprüche anderer und die Verzögerung [der Rückzahlung] von Schulden. So
steht es dem muḥtasib zu, den Ausgleich [der Schulden] einzufordern, solange
der Verschuldete dies kann und der Gläubiger Beschwerde beim muḥtasib einlegt.
Er darf aber [jemanden] nicht dafür einsperren, denn die Haft kann nur aufgrund
einer gerichtlichen Entscheidung angeordnet werden. Ihm steht aber zu, auf der
Forderung zu beharren, weil der Gläubiger das Recht hat, die Forderung nach
seinem Geld aufrechtzuerhalten. Er darf Menschen nicht dazu auffordern, die
Lebenserhaltungskosten/Unterhaltskosten für die Bedürftigen innerhalb der
[eigenen] Verwandtschaft zu übernehmen, weil dafür ein ijtihād benötigt wird,
um festzulegen, wer darauf Anspruch hat und wer diese auszahlen muss. Es sei
denn, ein Richter hat einen Betrag festgelegt, der seitens der Verwandten den
Armen auszuzahlen ist. In diesem Fall kann er zur Zahlung auffordern.
Dies ist ebenso bei der Unterhaltsverpflichtung gegenüber Minderjährigen der
Fall. Er darf sich einmischen, solange diesbezüglich kein rechtlicher Beschluss
vorliegt. Liegt ein Beschluss vor, so hat der muḥtasib die [Durchführung der]
Zahlung in Übereinstimmung mit den festgelegten Bedingungen anzuordnen.
Was die Annahme von Testamenten und Rücklagen betrifft, so kann der
muḥtasib keine bestimmten bzw. einzelnen Personen dazu verpflichten, wobei er
dasselbe der Allgemeinheit befehlen kann, um die Menschen dazu zu veranlas-
sen, einander zur Güte und Gottesfurcht zu verhelfen. Analog zu diesem Beispiel
soll er [der muḥtasib] das Gute bezüglich der individuellen Rechte gebieten.

3.4.1 Vom Gebieten des Guten bezüglich der gemeinsamen Rechte

Was das Gebieten des Guten bezüglich der gemeinsamen Rechte Gottes und der
Menschen betrifft, so sind diese wie die Verheiratung lediger Frauen [durch den
Vormund] mit ebenbürtigen Männern, wenn diese um ihre Hand bitten/werben,
und wie die Einhaltung der Wartezeit [der verheirateten Frauen] nach der Schei-
dung. Er [der muḥtasib] hat die Frauen zu bestrafen, wenn diese die Wartezeit
408 Mahmoud Abdallah

nicht einhalten. Er bestraft aber nicht die Erziehungsberechtigten, die die Ehe-
schließung [die Verheiratung der ledigen Frauen] verweigern.
Und wer die Elternschaft eines Kindes leugnet, obwohl die Verheiratung mit
dessen Mutter und die Abstammung [des Kindes] von ihm [dem Leugnenden] fest-
stehen [obwohl es seines ist], den muss er [der muḥtasib] zwingen, seine Pflichten
als Vater zu erfüllen und ihm eine angemessene Strafe für seine Verleugnung auf-
erlegen. Er hat sich auch für die Rechte der Sklaven und Sklavinnen einzusetzen,
dass diese von ihren Herren zu respektieren und ihnen keine Aufgaben aufzuer-
legen sind, denen sie nicht gewachsen sind. Er hat auch die Pflicht, den Besitzern
von Lasttieren zu befehlen, den Tieren ausreichend Futter zu geben, falls diese es
nicht tun, und ihnen keine zu schweren Lasten aufzubürden.
Und wer ein Kind findet und es nicht ausreichend versorgt, dem muss er [der
muḥtasib] befehlen, es entweder angemessen zu versorgen, sodass er die Pflich-
ten gegenüber dem Findelkind erfüllt, oder es in Hände zu überantworten, die
diese erfüllen und einhalten.
Das Gleiche gilt für streunende Tiere, wenn deren Finder diese vernachläs-
sigt. Auch hier soll diesem geboten werden, seinen Pflichten auf die vorgesehene
Weise nachzukommen oder dafür zu sorgen, dass sie in den Besitz von jemandem
kommen, der dies tut. Er haftet für den Schaden, den die Tiere wegen seiner Ver-
nachlässigung erleiden, jedoch nicht im Fall des Findelkindes, das er gefunden
hat. Darüber hinaus ist er immer noch haftbar, wenn er das streunende Tier einem
anderen übergibt. Überantwortet er das Findelkind, ist er nicht mehr haftbar. Dies
sind einige Beispiele für Angelegenheiten, in welchen er [der muḥtasib] das Gute
zu gebieten hat bezüglich der Rechte, die Gott und dem Menschen gemeinsam
sind.

3.5 Vom Verbieten des Verwerflichen

Was das Verbieten des Verwerflichen angeht, so lässt es sich in drei Arten unter-
teilen:
1. Die Rechte Gottes, 2. die Rechte des Menschen und 3. die gemeinsamen
Rechte dieser beiden.
Was das Verbieten [des Verwerflichen] bezüglich der Rechte Gottes angeht,
so sind diese [in] drei Kategorien [einzuteilen]: 1. bezüglich des Gottesdienstes
[ʿibādāt], 2. bezüglich der Verbote [maḥẓūrāt] und 3. bezüglich der zwischen-
menschlichen Handlungen [muʿāmalāt].
Was den Gottesdienst betrifft, so ist dies, wenn jemand bewusst dessen vor-
geschriebener Form zuwiderhandeln will oder dessen als Sunna vorgeschriebene
Merkmale ändern will. Z. B., wenn jemand das leise Gebet laut oder das laute
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 409

Gebet leise rezitiert [oder] Ergänzungen zum Gebet oder zum Gebetsruf macht,
die nicht zur Sunna gehören. Dem muḥtasib steht es zu, diese [Vergehen] zu ver-
urteilen und die darin hartnäckige Person zu bestrafen, solange die betroffene
Person nicht sagen kann, welchen Imam sie sich in der Sache zum Vorbild nimmt.
Dies gilt ebenfalls, wenn eine Person die Reinigung des Körpers, der Kleider
und des Gebetsortes unterlässt. Auch diese Handlungen hat der muḥtasib zu ver-
urteilen, wenn sie augenfällig sind. Er kann aber nicht auf der Grundlage eines
Vorwurfs oder Verdachts diese [Verurteilung] vollziehen. Über einen Mann,
der für ḥisba zuständig war, wird berichtet, dass er einen mit Sandalen in die
Moschee eintretenden Mann fragte, ob er mit ihnen [den Sandalen] zuvor die
Toilette betreten habe. Als der [betroffene] Mann dies verneinte, forderte er [der
muḥtasib] daraufhin einen Schwur. Dies [die Reaktion des muḥtasibs] zeigt seine
Unwissenheit, womit er die Grenzen der ḥisba überschreitet und von der [eigenen]
Mutmaßung geleitet handelt.
Ähnlich gilt das auch, wenn er [der muḥtasib] denkt, dass eine Person die
Ganzkörperwaschung, das Fasten oder das Gebet auslässt. Auch hier darf er auf
der Grundlage des Vorwurfs nicht handeln oder [die betreffende Person] zurecht-
weisen. Er kann aber aufgrund eines Verdachts [die Menschen] ermahnen und
an die Peinigungen Gottes für die Verletzung Seiner Rechte und an die Nicht-Ein-
haltung Seiner Pflichten erinnern.
Wenn er [der muḥtasib] ihn [einen Menschen] während des Ramadan essen
sieht, darf er ihn nicht bestrafen, bevor er ihn nicht nach dem Grund [seines
Essens im Ramadan] gefragt hat, wenn die Situation einen Anlass zur Unsicher-
heit/Unklarheit geben sollte. Es könnte ja sein, dass er krank ist oder sich auf
einer Reise befindet. Der muḥtasib soll ihn aber fragen, wenn die Situation einen
Verdacht zulässt. Wenn er [die Person] plausible Gründe erwähnt, dann lässt
er [der muḥtasib] von der Rüge ab und fordert das dezente Essen, damit er [die
Person] sich dem Verdacht nicht aussetzt. Es muss kein Schwur eingeholt werden,
wenn an seiner Äußerung [der Äußerung der Person] Zweifel bestehen, weil er
[die Person] seiner Ehrlichkeit zu überlassen ist.
Führt er [der Ertappte] keine gültige Erklärung an, sollte der muḥtasib ihn
zur Warnung laut ermahnen und ihn zum Zwecke der Abschreckung bestrafen.
Selbst wenn er die Rechtfertigung [des Ertappten] anerkennen sollte, sollte er ihn
dennoch dafür ermahnen, dass er es in der Öffentlichkeit getan und sich [somit]
selbst einem Verdacht ausgesetzt hat. Dies ist so, damit nicht derjenige, der nicht
in der Lage ist, die abweichende Situation [des Ertappten] zu verstehen, sich
dessen Verhalten zum Vorbild nimmt.
Was denjenigen betrifft, der sich der Abgabe der zakāt [eine für Muslime
obligatorische Abgabe an Arme und Bedürftige] verweigert, so hat eher der zakāt-
Beauftragte die Abgabe gegen seinen Willen [den Willen des Ertappten] ein-
410 Mahmoud Abdallah

zutreiben, wenn diese bei offensichtlich/manifest vorhandenem Vermögen nicht


entrichtet wurde; Der muḥtasib ist eher zur Bestrafung der Nichtentrichtung
berechtigt, wenn keine werthaltige Entschuldigung geliefert werden kann. Wenn
es um ein verborgenes [verstecktes] Vermögen geht, so ist der muḥtasib zur Ein-
treibung eher ermächtigt als der zakāt-Beauftragte, da Letzterer dazu nicht befugt
ist.
Es könnte aber auch sein, dass der zakāt-Beauftragte eher berechtigt ist, die
betroffene Person anzuprangern, die ihm [dem zakāt-Beauftragten] die zakāt
schuldig bleibt, denn, sollte sie [die betroffene Person] diese [die zakāt] an ihn
[den zakāt-Beauftragten] bezahlen, wäre der Tatvorwurf hinfällig. Die Strafe soll
den Umständen der Verweigerung der zakāt-Entrichtung entsprechend sein.
Sollte der Betroffene sagen, er habe die zakāt privat bezahlt, sollte seinem Wort
Glauben geschenkt werden.
Sieht der muḥtasib einen Mann, der andere Menschen um eine Spende anbet-
telt, wobei er [der muḥtasib] weiß, dass dieser über Eigenmittel durch Vermögen
oder Arbeit verfügt, so hat er ihn zurechtzuweisen und zu bestrafen – und hier ist
eher der muḥtasib als der zakāt-Beauftragte mit dieser Aufgabe betraut. ʿUmar,
möge Allah ihm gnädig sein, verfuhr auf diese Weise mit einer Gruppe derjeni-
gen, die bereits Anspruch auf zakāt erhoben hatten. Wenn er [der muḥtasib] dem
Zustand des Ertappten entnehmen kann, dass dieser nicht bedürftig ist und trotz-
dem andere anbettelt, soll er [der muḥtasib] ihn darüber in Kenntnis setzen, dass
die Annahme [der Spende] für Nichtbedürftige verboten sei. Er tadelt ihn aber
nicht, weil es ja tatsächlich der Fall sein könnte, dass er ein armer Mensch ist.
Wenn eine Person bettelt, obwohl sie körperlich in der Lage wäre, zu arbeiten,
so soll er [der muḥtasib] sie zurechtweisen und sie auffordern, eine Arbeit auf-
zunehmen. Fährt derjenige mit seiner Bettelei fort, wird ihm eine angemessene
Strafe auferlegt, bis er damit aufhört.
Wenn es eine Situation – aufgrund des Beharrens einer Person auf dem
Betteln trotz eigenem Vermögen und/oder der Fähigkeit zur Arbeit – verlangt,
diese Person zur Deckung ihres Lebensunterhalts durch den Rückgriff auf das
eigene Vermögen oder Arbeit zu zwingen, so obliegt dieser Zwang nicht dem
muḥtasib, sondern bedarf zuerst eines Gerichtsurteils [juristische Entscheidung],
welches eher dem Richter zusteht. Der muḥtasib soll die Angelegenheit diesem
vorlegen, damit er den Fall übernimmt oder doch ihm [dem muḥtasib] die Ent-
scheidung überlässt.
Und wenn er auf eine Person trifft, die sich mit der [theologischen] Wissen-
schaft [šarʿī] auseinandersetzt, aber nicht geeignet ist, ein faqīh [ein Rechts-
gelehrter] oder ein Prediger zu sein [d. h. ausreichend dazu qualifiziert ist], und
befürchtet, dass Menschen durch diese [Person] zu falschen Interpretationen
oder Antworten gebracht werden könnten, dann sollte er ihn öffentlich dafür
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 411

anprangern, dass er sich mit etwas beschäftigt, für das er nicht ausgebildet sei.
Und er sollte die Handlung dieser [Person] bekanntmachen, damit keine Men-
schen dadurch in die Irre geführt werden. Sollte ihm [dem muḥtasib] jedoch die
Situation unklar erscheinen, so hat er ihn nicht weiter anzuprangern, ehe er diese
Person einem Test unterzogen hat.
ʿAlī b. Abī Ṭālib lief eines Tages al-Ḥasan al-Baṣrī über den Weg, während
dieser zu Leuten sprach, und er unterzog ihn einem Test. Er sagte zu ihm: „Was ist
die Säule der Religion?“, worauf die Antwort kam: „Furchtsamkeit“. Dann fragte
er: „Und was ist ihre Gefahr?“, worauf die Antwort kam: „Gier“. ʿAlī antwortete
darauf: „Sprich nun [zu den Menschen], wenn du möchtest“.
Ebenso ist es für jemanden von den Leuten des Wissens, der etwas Neu-
artiges sagt, was dem Konsens entgegenläuft und der Schrift widerspricht. Und
wenn dessen Meinung gegen die Lehre seiner Zeit geht, sollte er [der muḥtasib]
ihn anprangern und zurückweisen. Hört er auf und zeigt Reue, hat es damit sein
Bewenden; wenn nicht, obliegt es dem Sultan, über die Religion und ihre korrekte
Lehre zu wachen.
Sollte einer der Exegeten darin verharren, eine Interpretation des Buches
Gottes zu verbreiten, in welcher er die offenkundige Bedeutung der Offenbarung
zu Gunsten einer eigenen, selbst erfundenen Bedeutung umwandelt und die
offenkundige Bedeutung verdeckt, oder wenn ein Hadithüberlieferer von abge-
lehnten Hadithen berichtet, deren Bedeutungen abschreckend erscheinen oder
eine falsche Interpretation unterstützen, muss der muḥtasib denjenigen anpran-
gern und ihn daran hindern.
Es ist aber nur dann rechtmäßig, ihn anzuprangern, wenn er [der muḥtasib]
zwischen dem Gültigen und Ungültigen sowie zwischen dem Richtigen und dem
Falschen unterscheiden kann. Dies kann auf zweierlei Weise geschehen: Entwe-
der ist er in seinem Wissen und seinem ijtihād für diese Sachen, die ihm klar sind,
genügend fähig, oder die Gelehrten seiner Zeit sind sich einig, dass solche Perso-
nen verurteilt werden sollten und dass sie bidʿa [Neuerungen, die in der Religion
nicht erlaubt sind] begehen – und dementsprechend legen sie Beschwerde beim
muḥtasib ein. In solch einem Fall kann der Letztere sich auf ihre Meinung stützen,
um ihn [den Straffälligen] zu verurteilen, und auf ihren Konsens, um ihn davon
[von seinen Handlungen] abzuhalten.

3.5.1 Von den verbotenen Handlungen

Was die verbotenen Handlungen betrifft, so muss er [der muḥtasib] die Leute vor
zweifelhaften Situationen und fragwürdigen/verdächtigen Umständen warnen/
bewahren. Denn der Prophet, Gottes Frieden und Segen seien auf ihm, sagte:
412 Mahmoud Abdallah

„Verlasse das, was Zweifel in dir hervorruft, für das, was in dir keine Zweifel her-
vorruft“.24 Er [der muḥtasib] sollte [die Menschen] zuerst anprangern und nicht
direkt eine Strafe verhängen.
Ibrāhīm an-Nikhʿī erzählt, dass ʿUmar b. al-Khaṭṭāb, Gottes Wohlgefallen sei
auf ihm, den Männern verboten hat, den Umlauf um die Kaaba [ṭawāf] mit Frauen
zu vollziehen. Dann sah er einen Mann, der unter den Frauen betete. Da schlug er
ihn mit seinem Stock, woraufhin der Mann sagte: „Bei Gott, wenn ich etwas Gutes
tat, dann hast du mir Unrecht getan, doch falls ich etwas Schlechtes gemacht
habe, so hast du mich nicht belehrt“. ʿUmar sagte: „Warst du nicht Zeuge meiner
Anordnung?“ Der Mann darauf: „Ich war nicht Zeuge deiner Anordnung.“ Darauf-
hin warf er [ʿUmar] ihm den Stock zu und sagte zu ihm: „Übe [Wieder-] Vergel-
tung.“ Dieser erwiderte: „Ich werde heute keine Vergeltung ausüben.“ Er [ʿUmar]
sagte: „Vergib es mir!“ Daraufhin sagte er [der Mann]: „Ich werde nicht verzei-
hen“. Daraufhin trennten sie sich voneinander. ʿUmar traf ihn am darauffolgen-
den Tag und seine [ʿUmars][Gesichts-] Farbe hatte sich verändert. Dann sagte der
Mann zu ihm: „Oh Emir der Gläubigen! So wie ich sehe, hat das, was ich tat, dich
beeinflusst?“ Er [ʿUmar] sagte: „Richtig.“ Darauf sagte er [der Mann] zu ihm: „So
bezeuge ich vor Gott, dass ich dir verziehen habe.“
Und wenn er [der muḥtasib] einen Mann sieht, der mit einer Frau auf einem
vielbegangenen Weg steht, und wenn zwischen den zweien sich ein verdächti-
ger Umstand nicht beobachten lässt, dann sollte er sie weder anprangern noch
zurechtweisen. Denn die Leute können darauf [Austausch auf der Straße] nicht
verzichten.
Und wenn sie auf einer leeren Straße stehen, so gibt diese leere Straße [Anlass
zu] Verdacht. Er tadelt sie [beide], ohne sich mit der Bestrafung/Belehrung diesbe-
züglich zu beeilen, denn vielleicht gehört sie [die Frau] zur Familie [des Mannes].
Er [der muḥtasib] soll sagen: Wenn sie zu dir gehört, dann setze sie nicht verdäch-
tigen Umständen aus. Und wenn sie dir fremd ist [nicht zur Familie gehört], so
fürchte Allah, den Allmächtigen, auf dass diese Leere [dieser Ort] dich nicht dazu
verleitet, ungehorsam gegenüber Allah, dem Allmächtigen, zu sein [eine Sünde
zu begehen]. Er weist sie der Verwerflichkeit der Situation entsprechend zurecht.
Abū al-Azhar berichtet, dass Ibn ʿĀʾiša einen Mann auf der Straße gesehen
hat, während er mit einer Frau sprach. Er sagte zu ihm: „Wenn sie dir nicht erlaubt
ist [zur Heirat, d. h., wenn sie Angehörige der Familie in direkter Linie ist], dann

24 Überliefert von al-Bukharī im Kapitel al-buyūʿ (Unterkapitel 3) und Aḥmad (3/153); der Ha-
dith ist auch überliefert von at-Tirmidhī im Kapitel. al-qiyāma (Unterkapitel 6); vgl. Muḥammad
b. ʿĪsā at-Tirmidhī, Sunan at-Tirmidhī, hg. v. Muḥammad Šākir. Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmiyya,
o. J., Nr. 2518.
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 413

ist es schändlich von dir, sie unter den Menschen anzusprechen; und wenn sie
dir erlaubt ist, dann ist das noch schändlicher.“ Danach verließ er ihn, setzte sich
zu den Menschen und lehrte sie. Da wurde ein Lederstück/Zettel in seinen Schoß
geworfen, worauf ein Gedicht [aus al-kāmil] geschrieben stand.25
Ibn ʿĀʾiša las es und fand an dem Kopf [Kopfzeile des Zettels] Abū Nawwās
geschrieben [der Name des Absenders]. Dann sagte Ibn ʿĀʾiša: „Warum habe ich
Abū Nawwās geärgert! Dieser [beschriebene] Umfang der Zurechtweisung von Ibn
ʿĀʾiša ist für ihn und seinesgleichen ausreichend. Nicht ausreichend ist er aber für
diejenigen, die zur ḥisba beauftragt sind.“
In den Worten von Abū Nawwās gibt es keine offensichtlichen Hinweise auf
die Unsittlichkeit, denn es könnte sein, dass sie auf jemanden hindeuten, der mit
ihm eng verwandt ist, obwohl einerseits die Situation, und andererseits die impli-
zite Bedeutung seiner Worte auf Unsittlichkeit und auf ein fragwürdiges Verhalten
hindeuten können. Dementsprechend ist ein solches Verhalten von Leuten wie
Abū Nawwās verwerflich, auch wenn es bei anderen Menschen nicht zwangsläu-
fig ebenfalls verwerflich sein muss. Wenn also der muḥtasib in einem ähnlichen
Fall etwas sieht, was er verurteilen will, dann sollte er bedächtig sein, den Fall
untersuchen, die Umstände berücksichtigen und sich nicht mit dem Verurteilen
beeilen, bevor er sich informiert hat. So berichtet Abū az-Zinād über Hishām b.
ʿUrwa, dass er sagte: „Während ʿUmar b. al-Khaṭṭāb, möge Allah an ihm Wohl-
gefallen haben, das Haus [die Kaaba] umrundete, sah er einen Mann, der den
Umlauf [um die Kaaba] mit einer Frau auf seinen Schultern machte, die wie eine
Gazelle aussah – er meinte dies in Bezug auf ihre Schönheit – und dieser rezi-
tierte“:

Ich bin ein Unterwürfiger geworden, ein gehorsames Kamel, welches sie über die Ebenen/
weiten Flächen gehorsam trägt.
Ich habe sie vorm Umfallen bewahrt und kümmere mich, damit sie nicht fällt und verendet.
Und ich hoffe dadurch, dass ich einen würdigen Lohn erhalte.

Da sagte ʿUmar, möge Allah an ihm Wohlgefallen haben, zu ihm: „Oh Diener
Gottes, wer ist diese Frau, der du deine Pilgerfahrt [ḥajj] schenkst?“ Darauf erwi-
derte er: „Meine Frau, oh Emir der Gläubigen, und sie ist dumm und leichtsinnig,
ein Vielfraß, gierig und sie braucht ihre Sachen schnell auf.“ Da fragte ʿUmar
ihn: „Warum trennst du dich nicht von ihr?“, worauf er dann antwortete: „Sie ist
schön, weswegen sie nicht gehasst werden kann, und sie ist die Mutter meiner

25 Es wird an dieser Stelle darauf verzichtet, das Gedicht zu übersetzen, weil es inhaltlich nicht
relevant ist.
414 Mahmoud Abdallah

Jugendlichen, weswegen ich sie nicht aufgeben kann.“ Dann sagte Umar: „Wie
du möchtest.“ Abū Zayd sagt, dass das Wort murghām bedeutet, dass sie Unsinn
redet. ʿUmar war vorerst nicht weiter voller Missbilligung, sondern hat sich infor-
miert. Als kein Verdacht mehr bestand, zeigte er [ʿUmar] Nachsicht.
Wenn jemand öffentlich Wein trinkt und derjenige ein Muslim ist, gießt er
[der muḥtasib] den Wein über ihm aus und bestraft ihn. Wenn er ein Schutzbe-
fohlener [dhimmī]26 ist, bestraft er ihn für das öffentliche Tun.
Die Rechtsgelehrten sind uneins, ob er über ihm ausgeschüttet werden sollte.
Abū Ḥanīfa ist der Meinung, dass er nicht ausgegossen werden darf, weil dieser
[Wein] für ihn [den Schutzbefohlenen] ein Gut ist, wofür gehaftet wird. Ash-Shāfiʿī
zufolge wird der Wein weggeschüttet, weil für ihn keine Haftung besteht, weder
bezüglich eines Muslims, noch eines Ungläubigen.
Wenn eine Person alkoholische Getränke [nabīḏ] zur Schau stellt, so sind
diese bei Abū Ḥanīfa ein Gut, das den Muslimen zugestanden werden soll, und
deswegen dürfen diese weder weggeschüttet werden, noch wird die Person, die
diese offen zur Schau stellt, bestraft. Für ash-Shāfiʿī sind diese – ähnlich wie
Wein – kein Gut, für dessen Wegschütten eine Haftung besteht. Folglich muss
der ḥisba-Beauftragte die Situation berücksichtigen; er verbietet, dass es [ein
alkoholisches Getränk] offen zur Schau gestellt wird und nimmt Strafmaßnamen
vor, wenn es zum Trinken gedacht war – jedoch darf er es nur dann wegschüt-
ten, wenn ein Richter, der zu ijtihād befähigt ist, dies anordnet, damit er [der
muḥtasib] sich nicht selbst einer Haftung aussetzt, wenn er angeklagt wird.
Wenn eine betrunkene Person ihre Trunkenheit offen zur Schau stellt und
Blödsinn/Frechheiten von sich gibt [dumm handelt], wird ihr eine angemessene
Strafe für ihre Trunkenheit und für ihre Frechheit/Dummheit auferlegt. Diese
Strafe ist keine ḥadd-Strafe27, sondern dient dem Zwecke der Zurechtweisung –
wegen der rücksichtlosen Handlung und offenkundigen Frechheit [der Person].
Bezüglich der öffentlichen Zurschaustellung verbotener Instrumente muss
der muḥtasib diese auseinandernehmen, sodass sie auf die Größe bloße Holzstü-
cke reduziert werden und nicht mehr als Spielzeuge betrachtet werden können.
Die Person wird für das zur Schau stellen dieser bestraft, aber sie [die Spielzeuge]
werden nicht zerstört, wenn das Holz für etwas Anderes verwendbar ist.
Was Puppen angeht, wenn damit nicht der Ungehorsam [maʿṣiya] beabsich-
tigt ist, sondern Mädchen daran zu gewöhnen, Kinder zu erziehen, dann beinhal-

26 Schutzbefohlene; vgl. hierzu Wehr 1952, 432: „die nichtmuslimischen Untertanen, die in isla-
mischen Staaten gegen Entrichtung der Kopfsteuer Schutz und Sicherheit genossen“.
27 Hier ist gemeint: „‫ حد‬ḥadd pl. ‫ حدود‬ḥudūd […] festgeschriebene Strafe für die Übertretung eines
koranischen Verbots“, vgl. Wehr 1952, 232.
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 415

ten sie somit einen Aspekt der Haushaltsführung, aber gleichzeitig auch einen
Aspekt der Sünde durch die Gestaltung von Lebewesen/Figuren und die Ähnlich-
keit mit den Götzen. Somit begünstigt ein Aspekt ihre Verwendung, während ein
anderer sie verhindert. Dementsprechend wird ihre Verwendung gemäß der Situ-
ation entweder abgelehnt/getadelt oder zugelassen.
„Als der Prophet, auf ihm sei der Friede und Segen Gottes, zu ʿĀʾiša, Gott
möge an ihr Wohlgefallen haben, eintrat, während sie mit Puppen spielte, hat er
dies zugelassen und sie dafür nicht getadelt“.28
Es wurde berichtet, dass Abū Saʿīd al-Iṣṭakharī, einer aus der Gefolgschaft/
von den Gefährten ash-Shāfiʿīs, die ḥisba von Bagdad in der Zeit [der Herrschaft]
al-Muqtadirs übernahm. Da setzte er dem Markt für ad-dādī29 ein Ende und verbot
seine Nutzung – mit der Begründung, dass dieser nur zur Herstellung/Verkauf
des verbotenen Alkohols diene. Gleichzeitig ließ er den Markt für die Puppen
zu, verbot ihn nicht und sagte: „Die Frau des Propheten, ʿĀʾiša, spielte mit den
Puppen in Anwesenheit des Propheten, der diesem zustimmte und sie dafür nicht
tadelte.“
Was den Markt von ad-dādī betrifft, so wird Letzterer oft nur zur Herstellung
von Alkohol verwendet. Er kann auch zur Herstellung von Medikamenten ver-
wendet werden, was aber selten ist. Dementsprechend ist dessen Verkauf für
diejenigen erlaubt, die Alkohol als erlaubt erachten. Diejenigen, welche Alkohol
als verboten erachten, erachten es [das Handeln mit ad-dādī] als erlaubt, weil es
[auch] für andere Zwecke [als nur die Verstärkung von Alkohol] verwendet wird,
und [gleichzeitig] unerwünscht [makrūh] ist, weil es [ad-dādī] oft zur Herstel-
lung von Alkohol eingesetzt wird. Abū Saʿīds Verbot von ad-dādī ist nicht durch
seine Meinung, der Verkauf an sich sei verboten, begründet, sondern dadurch,
dass dieses offen zum Verkauf an einem besonderen [separaten] Platz auf dem
Markt ausgestellt wurde. [Dadurch] stellt man es den anderen Sachen gleich, über
deren Verkauf die Rechtsgelehrten sich hinsichtlich ihres Zwecks einig sind, dass
er erlaubt ist. Wenn er [der muḥtasib] es verbietet, dann, damit die Laien den
Unterschied zwischen diesem und anderen Dingen, deren Verwendung erlaubt
ist, erkennen können. Außerdem ist es möglich, die offene Handhabung von
bestimmten erlaubten Handlungen zu verbieten/verhindern, wie z. B., dass der

28 Überliefert von Sulaymān b. al-Ašʿath Abū Dāwūd as-Sijistānī, Sunan Abī Dāwūd, hg. v. ʿIzzat
ʿIbīd ad-Daʿās, Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmiyya, 1969; Kapitel al-adab (Unterkapitel 54). Der Ha-
dith ist auch überliefert von al-Bukhārī, Kapitel al-adab (Unterkapitel 81) und Ibn Māja, Kapitel
an-nikāḥ (Unterkapitel 50).
29 Ad-dādī ist ein Getreide, das zur Verstärkung von Alkohol verwendet wird, damit dieser
schneller zu Betrunkenheit führt; vgl. Ğamāl ad-Dīn Ibn Manẓūr. Lisān al-ʿArab, Bd. 3 1993: 167.
416 Mahmoud Abdallah

öffentliche Geschlechtsverkehr mit der Ehegattin und den Sklaven getadelt und
zurechtgewiesen wird.
Was die Verbote angeht, gegen die nicht offenkundig verstoßen worden ist, so
darf der muḥtasib diesbezüglich nicht spionieren oder die [Privat-]Bereiche betre-
ten, um möglichen Schutz [vor Versündigung] zu gewährleisten/garantieren. Der
Prophet, Gott segne ihn und schenke ihm Heil, sagte: „Wer eine verwerfliche Tat
verübt, der soll sich mit dem Schutz Gottes bedecken [es heimlich machen], denn
dem, der solch Tun preisgibt, wird die Strafe Gottes auferlegt.“
Wenn jedoch aufgrund belastender/vertrauenswürdiger Hinweise und
Zeichen der Verdacht überwiegt, dass bestimmte Menschen solche Taten im
Geheimen verüben, dann könnte es um eine der folgenden beiden [Handlungs-]
Arten gehen:
1. Es geht um den Verstoß gegen ein Verbot, dessen Nichteinhaltung nicht
wiedergutgemacht werden kann. Wenn beispielsweise eine vertrauenswür-
dige Person dem muḥtasib mitteilt, dass ein Mann mit einer Frau allein ist, um
Unzucht zu treiben, oder zu einem Mann geht, um ihn zu töten, dann darf er [der
muḥtasib] Nachforschungen anstellen und [den Fall] untersuchen und prüfen,
ob eine gewisse untersagte oder verbotene Handlung begangen werden soll, die
dadurch [durch die Nachforschung] vermieden werden könnte. Ebenso ist es der
Fall, wenn freiwillige Menschen [mutaṭawwi ū ͑ n] von solchen Verdachtsmomenten
erfahren. Diese können die Angelegenheit untersuchen und prüfen und sie dann
[gegebenenfalls] verurteilen, so wie es bei al-Muġīra b. Šuʿba der Fall war.
Es wurde berichtet, dass eine Frau aus [dem Stamme] Banū Hilāl, bekannt als
Umm Jamīl bint al-Afqam, verheiratet mit einem Mann aus Ṯaqīf, der bekannt als
Ḥǎjjāj b. ʿUbayd war, ihn [al-Muġīra b. Šuʿba] in Basra zu besuchen pflegte. Dies
[diese Information] erreichte Abū Bakr b. Masrūḥ, Sahl b. Ma b
͑ ad, NafĪʿ b. al-Ḥārith
und Ziyād b. ʿUbayd, die daraufhin ihn beobachteten, bis sie bei ihm eintrat. Dann
stürzten sie sich auf die zwei [Ehebrecher]. Sie legten Zeugnis vor ʿUmar ab, möge
Allah Wohlgefallen an ihm haben, wie es aus diesem Ereignis bekannt ist. Er
tadelte/kritisierte sie ob ihres Ansturmes auf die zwei nicht, jedoch wäre ihnen
dabei im Falle eines mangelhaften Zeugnisses die qaḏf-Strafe aufzuerlegen.
2. Die zweite Möglichkeit betrifft die Handlungen, die nicht zu den erwähn-
ten Fällen gehören und nicht deren schweren Grad des Verstoßes erreichen. In
solchen Fällen ist es nicht erlaubt, die betroffenen Personen auszuspionieren,
noch zu versuchen, die Tat aufzudecken.
Es wurde berichtet, dass ʿUmar, möge Allah Wohlgefallen an ihm haben, zu
einer Gruppe von Menschen eintrat, die zusammen Wein tranken an einem Ort,
der für diesen Zweck besonders beleuchtet war, und sagte: „Ich habe euch ver-
boten, Wein zu trinken, und ihr sitzt und trinkt, und ich habe euch verboten,
diese Orte anzuzünden, und ihr habt sie beleuchtet.“ Da sagten sie: „Oh Emir der
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 417

Gläubigen, Gott hat dir verboten zu spionieren, und du hast spioniert, und Er hat
dir verboten, ohne vorher um Erlaubnis zu bitten, ein Haus zu betreten, und du
bist (ohne Erlaubnis) eingetreten.“ Dann sagte ʿUmar, möge Allah Wohlgefallen
an ihm haben, zu ihnen: „Diese beiden Vorwürfe von euch für diese beiden von
mir.“ Und er ging weg, ohne gegen sie etwas zu unternehmen. Wenn [folglich]
irgendjemand aus einem Haus verwerfliche Geräusche mitbekommt, welche das
verwerfliche Handeln der Bewohner offenkundig machen, dann sollte er sie [die
Verursacher der Geräusche], ohne einzutreten tadeln/verurteilen. Er überfällt sie
nicht mit seinem Eintreten, da das, was als abscheulich gilt, offenkundig ist. Ihm
steht nicht zu, irgendetwas Genaueres aufzudecken, das verborgen ist.

3.5.2 Von den verwerflichen Handlungen [mfuʿāmalāt munkara]

Was die muʿāmalāt munkara30 angeht wie Unzucht, ungültige Verkäufe und all
das, was die Vertragsparteien trotz dessen Verbot [in der Scharia] abschließen
wollen, solange dies einstimmig verboten sind, hat der muḥtasib sie anzupran-
gern, zu kritisieren und deren Vollzug vorzubeugen. Was die Bestrafung solcher
Handlungen angeht, so variiert sie entsprechend den Umständen und der Schwere
des Verbotes.
Was jene muʿāmalāt angeht, über deren Verbot sich die Rechtsgelehrten
uneinig sind, so kann er [der muḥtasib] diese nicht verbieten, außer es geht um
eine Angelegenheit, worüber der [Meinungs-] Unterschied geringfügig ist und
diese [geringfügige Meinungsverschiedenheit] nur als Vorwand herangezogen
wird, um etwas zu tun, was laut den allermeisten [Gelehrten] verboten ist. Bei-
spielhaft ist hier der Wucher [ribā an-naqd]. Die Meinungsverschiedenheit über
diesen ist schwach, jedoch bahnt er den Weg für ribā an-nisā ͗, welcher einstim-
mig verboten ist. Was [die Frage] angeht, ob das Anzeigen solcher muʿāmalāt Teil
seiner [des muḥtasibs] Verantwortlichkeit ist [oder nicht], so gibt es dazu zwei
Meinungen, die wir oben diskutiert haben.
Ähnlich wie die muʿāmalāt, auch wenn sie zu diesen nicht gehören, sind
[auch] die unzulässigen Eheschließungen. Diese sollte er [der muḥtasib] anpran-
gern, wenn die Gelehrten sich über deren Verbot einigen. Aber er sollte nicht
involviert werden, falls es eine Meinungsverschiedenheit unter den Rechtsgelehr-
ten gibt, außer der [Meinungs-] Unterschied ist geringfügig und [dieser] könnte

30 Diese beziehen sich auf zwischenmenschliches, rechtliches, soziales und wirtschaftliches


Handeln, also u.a. auf: Benehmen, Geschäfte, Transaktionen und Vorgänge; vgl. Wehr 1952, 882:
„Verhalten der Menschen zueinander, soziales Zusammenleben“.
418 Mahmoud Abdallah

dazu verleiten, etwas zu begehen, worüber der Konsens besteht, dass es verboten
ist, wie die befristete Heirat, welche häufig als Mittel verwendet wird um Unzucht
als erlaubt darzustellen. Was sie [die Frage] angeht, ob das Anzeigen solcher
muʿāmalāt Teil seiner Verantwortlichkeit ist [oder nicht], gibt es dazu zwei Mei-
nungen. Anstatt sie zu bestrafen, sollte er eher versuchen, Verträge zu fördern,
über die ein Konsens besteht.
Was zu den muʿāmalāt noch gehört, wie das Betrügen bezüglich Handels-
artikeln oder betrügerische Preismanipulationen, so sollte er [der muḥtasib]
sie anprangern/anzeigen, diesen vorbeugen und Bestrafungen verhängen, ent-
sprechend der Situation. Es ist überliefert, dass der Prophet, Gott segne ihn und
schenke ihm Heil, sagte: „Wer betrügt, ist nicht von uns.“31
Falls solche betrügerischen Praktiken das Betrügen des Käufers einschlie-
ßen und dieser sich dessen nicht bewusst ist, ist dies die gravierendste Art und
Weise der Täuschung und die kriminellste. Das Anprangern solchen Handelns ist
folglich umso ernster und die Strafe umso strenger. Falls sich jedoch der Käufer
dessen bewusst ist, ist das Fehlverhalten nicht so groß und die Art und Weise [der
Sanktion] ist weniger streng. In solchen Fällen muss der Käufer geprüft werden:
Hat er den Artikel gekauft, um diesen von einem anderen zu verkaufen,32 dann
ist der Verkäufer anzuprangern für sein betrügerisches Verhalten wie auch der
Käufer für den Ankauf, weil er ihn [den Artikel] an jemanden verkaufen kann, der
sich der Täuschung nicht bewusst ist. Wenn er ihn indes kauft, um ihn zu benut-
zen, dann ist der Käufer ausgenommen von der Rüge und nur der Verkäufer bedarf
dieser. Das gleiche gilt [auch] im Falle betrügerischer Preismanipulationen. Und
er [der muḥtasib] sollte die Leute [Käufer] davor warnen und sie [die Verkäufer]
daran hindern, kurz vor dem Zeitpunkt des Verkaufes [der Tiere] mit dem Melken
des Viehs und dem Ansammeln von Milch im Euter aufzuhören, da diese Prakti-
ken als eine Form der Täuschung verboten sind.
Eine seiner grundlegenden Aufgaben ist das Verhindern der Ausgabe zu
großer oder zu geringer Mengen, Gewichte oder sanajāt [eine Art von Waage].
Dieses ist in der Androhung Allahs, des Erhabenen, begründet, die Er ausspricht
um solche Praktiken zu verbieten. Das Anprangern sollte erst recht offenkundig
und die Bestrafung erst recht streng sein.

31 Überliefert von Muslim, Ṣaḥīḥ Muslim, 2006, Nr. 6155. Der Hadith ist auch überliefert von
Abū Dāwud im Kapitel al-buyūʿ (Kapitel 50), von at-Tirmidhī im Kapitel al-buyūʿ (Kapitel 72), von
Ibn Māja im Kapitel at-tijāra (Kapitel 36), von ad-Dārimī im Kapitel al-buyūʿ (Kapitel 10) und von
Aḥmad (50/2, 242, 417), (466/3) und (45/4).
32 So steht es im Manuskript; richtig ist jedoch: „an einen Anderen zu verkaufen“; „und Gott
weiß es am besten“.
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 419

Er [der muḥtasib] darf die Gewichte und Maße des Marktes prüfen und kont-
rollieren, wenn er an diesen zweifelt. Falls er Siegel besitzt für diese Instrumente,
die unter den Leuten bekannt und die einzigen sind, die verwendet werden, dann
ist dies zuverlässiger. Wenn er das macht [Siegel verwendet] und die Leute unter-
einander Transaktionen durchführen – Instrumente verwenden, die dieses Siegel
nicht erhalten haben – dann unterliegen sie der Rüge auf zwei Arten, wenn sie
betrügerische Geschäfte machen:
Erstens: Wegen ihres Widerstands gegenüber ihm [dem muḥtasib] durch das
Nichtverwenden der gesiegelten Instrumente und ihrer Nichtbeachtung/-aner-
kennung seiner [vom Sultan delegierten] Rechte und Befugnisse.
Zweitens: Wegen des Schwindels und des unvollständigen Maßes [gegenüber
dem Anderen] und des Verwerfens der Gesetze der Scharia; jedoch, falls sie nicht
geeichte Gewichte und Maße verwenden, die frei von Mängeln und Fehlern sind,
unterliegen sie nur der Rüge in Bezug auf die [Amts-]Hoheit des Sultans.
Jene, die dieses Siegel fälschen, werden auf die gleiche Weise behandelt wie
Münzfälscher von Dirhams und Dinaren: Wenn die Fälschung auch noch mit Täu-
schung einhergeht, dann werden sie der Rüge und der Bestrafung unterliegen
auf zwei Arten: 1. Die Fälschung verletzt die [Amts-]Hoheit des Sultans. 2. Die
Täuschung verletzt das Gesetz der Scharia und dies ist das Schwerwiegendere von
diesen beiden. Wenn keine Täuschung vorliegt, werden sie nur der Rüge unterlie-
gen, die aus der [Verletzung der Amts-] Hoheit des Sultans resultiert – Und diese
ist das weniger Schwerwiegende dieser beiden.
Wenn die Ortschaft großräumig ist, sodass ihre Bewohner [weitere] Inspek-
toren der Gewichte, Maße und Währungen brauchen, dann sollte der muḥtasib33
diese auswählen und dafür Sorge tragen, nur jene zu ernennen, mit deren Ehr-
lichkeit und Verlässlichkeit er zufrieden ist. Ihre Aufwandsentschädigungen sind
aus dem bayt al-māl zu entrichten, wenn es ausreichende Mittel dafür gibt; wenn
nicht, sollte er diese auf einen Betrag festlegen, der weder ausufernd, noch unzu-
reichend ist, damit es nicht zu Vetternwirtschaft oder Betrug bei der Prüfung der
Gewichte und Maße kommt.
Ehemals pflegten die Emire34 sie [die Inspektoren] auszuwählen, ihre Pflich-
ten festzulegen und ihre Namen in den Diwanen [dawāwīn]35 zu registrieren,
sodass keine unzuverlässigen Personen von draußen eingebunden werden
konnten. Falls einer dieser Beauftragten sich als zu unehrlich für die Aufsicht

33 Hier als oberster Aufseher oder Supervisor des Aufsichtsamts.


34 Plural von Emir; Gouverneure; vgl. hierzu Wehr 1952, 42: „Befehlshaber (mil.)“.
35 Staats-/Amtsregister; vgl. hierzu Wehr 1952, 420: „Rechnungsbücher des Staatshaushaltes
(in d. älteren islamischen Staatsverwaltung); Kanzlei, Amt, Büro; Verwaltungsstelle, Behörde“.
420 Mahmoud Abdallah

von Gewichten und Maßen herausstellt durch [das Tolerieren der] Erhöhung oder
Minderung der Beträge, dann ist er zu bestrafen, aus der Gruppe der Inspektoren
auszuschließen und an der Ausübung öffentlicher Arbeiten zu hindern.
Dies gilt genauso für die Makler – d. h., denjenigen, denen vertraut wird, ist es
erlaubt, dieser Aufgabe nachzugehen und denjenigen, die unehrlich sind, nicht.
Und diese sind dann die Aufgaben derjenigen, die zuständig für die ḥisba sind,
wenn die Emire diesen [selbst] nicht nachgehen.
Was die Ernennungen jener angeht, die für das Aufteilen und die Verwaltung
der Nachlässe verantwortlich sind, sind die Richter befugter [als die muḥtasibūn],
diese Ernennungen zu machen, weil sie das Vermögen von Waisen und denen, die
abwesend sind, in Vertretung [der Richter] schätzen und verwalten.
Was die Wahl der Wachmänner in den Sippen [Dörfern] und auf den Märkten
betrifft, so wird diese von den Ordnungskräften getroffen. Wenn es zu einem Streit
wegen unvollständigen Gewichts oder Maßes kommt, kann der muḥtasib so lange
ermitteln, wie die beiden Parteien die Angelegenheit anfechten, in welchem Fall
jedoch die Richter die größere Befugnis besitzen, die Angelegenheit zu untersu-
chen als [der muḥtasib], da sie befugter sind, Urteile auszusprechen, obwohl die
Bestrafung vom muḥtasib auferlegt wird. Falls der Herrschende den Fall über-
nimmt, so ist dies erlaubt, weil seine [Amts-]Gewalt mit der des Richters und des
muḥtasibs verbunden sind.
Unter den Dingen, die der muḥtasib in allgemeiner Weise verurteilen kann,
wenn auch nicht in [im Falle] einer privaten Angelegenheit oder dem Fall eines
Individuums, sind Verkäufe, die mit der Benutzung von Gewichten und Maßen
durchgeführt worden sind, die den Bewohnern der Ortschaft nicht bekannt sind,
auch wenn diese woanders bekannt sein mögen. Falls jedoch zwei Personen sich
einigen, diese zu benutzen, dann steht es ihm [dem muḥtasib] nicht zu, sich
ihnen entgegenzustellen oder sie daran zu hindern. Er sollte indes ihren allge-
meinen Gebrauch verhindern, weil jemand, der sich nicht mit diesen auskennt,
sie benutzen und betrogen werden könnte.

3.6 Von den Rechten der Menschen36

Was jenes betrifft, welches er [der muḥtasib] im Bereich der reinen Rechte des
Menschen verurteilen kann, so fällt z. B. darunter, z. B. wenn ein Mann das Recht
seines Nachbarn verletzt, ob durch das Nichteinhalten seiner [Haus-]Grenze,

36 Wörtlich: „Anrechten“ der Menschen. (ḥuqūq al-ādamiyyīn)


Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 421

durch das Eindringen in den ḥarīm37 seines Hauses oder durch das Setzen von
Balken in seine Wand.38 Es steht dem muḥtasib [in solch einem Fall] nicht zu, zu
intervenieren, bis der Nachbar seinen Beistand ersucht, weil das Recht dem Letz-
teren [dem Geschädigten] zusteht und er den Übergriff entweder verzeihen oder
dessen Beseitigung verlangen kann. Falls er [der Nachbar] dagegen klagt, kann
der muḥtasib nur dann ermitteln, wenn es zwischen ihnen [den Nachbarn] keinen
Streit und keine gegenseitigen Ablehnungen/Verweigerungen gibt. In diesem Fall
muss er dem Übergriff ein Ende setzen und hat entsprechend den Umständen
eine Bestrafung zu verhängen.
Wenn sie miteinander streiten, so ist der Richter eher befugt, [den Fall] zu
untersuchen. Wenn ein Nachbar den Übergriff des anderen hinnimmt/toleriert
und den anderen zunächst nicht dazu anhält, das unrechtmäßig Erbaute abzurei-
ßen, aber dann später die Beseitigung des Übergriffes verlangt, kann er dies tun
und [der muḥtasib] kann abreißen lassen, was illegal erbaut wurde, obwohl es
zunächst geduldet worden ist. Falls er den Bau unter Zustimmung des Nachbarn
begonnen hat und die Balken mit dessen Erlaubnis installiert worden sind und
Letzterer seine Erlaubnis zurückzieht, ist der andere Nachbar nicht verpflichtet,
es [die Balken] abzureißen.
Falls das Geäst eines Baumes über das Haus eines Nachbarn hinausreicht, hat
besagter Nachbar sich an den muḥtasib zu wenden [die Hilfe des muḥtasibs zu
ersuchen], um den Besitzer des Baumes die widrigen Äste abschneiden zu lassen.
Aber es gibt keine Bestrafung, weil ihr Hinausreichen in die Domäne des Anderen
nicht sein Verschulden ist.
Falls die Wurzeln eines Baumes sich im Erdreich ausbreiten, sodass sie in
das Grundstück des Nachbarn hineinwachsen, muss der Besitzer des Baumes ihn
nicht entwurzeln, aber der Nachbar wird nicht daran gehindert, sein Land zu
bestellen, selbst dann nicht, wenn dies bedeuten würde, die Wurzeln zu kappen.
Gleichermaßen, wenn der Besitzer des Hauses einen Ofen39 in dieses einbaut und
dessen Rauch den Nachbarn belästigt, kann [der muḥtasib] sich ihm darin nicht
entgegenstellen und ihm nicht verbieten, ihn [den Ofen] zu verwenden. Ebenso,
wenn jemand eine Mühle, eine Schmiede oder eine Walkerei aufstellt. Dann kann
er denjenigen nicht aufhalten, weil die Menschen das tun müssen und die Leute
mit ihrem Besitz verfahren können, wie sie wollen.
Wenn ein Auftraggeber sich inkorrekt verhält, indem er entweder den Lohn
kürzt oder [bei gleichbleibender Bezahlung] den Arbeitsumfang erhöht, dann

37 (Unverletzlicher) Bereich der Frauen.


38 Dies meint das Nutzen der Nachbarsmauer als Stütze für den eigenen Dachstuhl.
39 Im Original steht „König“, richtig ist jedoch „Besitzer“; und Gott weiß es am besten.
422 Mahmoud Abdallah

sollte er [der muḥtasib] den Missbrauch stoppen und seine Maßregelung sollte
in Proportion zu den Umständen stehen. Wenn es die beauftragte Person ist,
die sich inkorrekt verhält – durch unzureichendes Arbeiten oder das Verlangen
nach höherer Bezahlung [bei gleichem Leistungsumfang] – dann sollte er [der
muḥtasib] ihn daran hindern und ihn anprangern, wenn beide vor ihm erschei-
nen, um den Fall vorzubringen. Wenn sie beide verschiedener Meinung sind und
sich voller Ablehnung gegenüberstehen, ist der Richter eher befugt, zwischen den
beiden zu urteilen.
Die ḥisba-Beauftragten sind auch für das Beaufsichtigen von drei Arten von
Fachkräften/Handwerkern auf den Märkten verantwortlich: jene von ihnen, die
sie beaufsichtigen, um sicherzustellen, dass deren Arbeit dem Standard ent-
spricht und nicht fehlerhaft ist; jene von ihnen, bei denen sie sicherstellen, dass
sie in einer vertrauenswürdigen und nicht in einer unehrlichen Weise handeln;
[und] jene von ihnen, deren Arbeit sie inspizieren, um ihre Qualität zu gewähr-
leisten oder [falls vorhanden] Mängel daran festzustellen:
– Sein Sicherstellen betreffend, dass die Arbeit [der Norm und] dem Standard
entspricht und nicht fehlerhaft ist, so gilt dies beispielsweise im Falle von
Ärzten und Lehrern. Bei Ersteren, weil sie Menschen behandeln und jedwede
Vernachlässigung ihrerseits zu Krankheit Tod oder führen würde; bei Letz-
teren wegen der Methoden, die sie anwenden, um Kinder zu erziehen und
in ihnen etwas hervorzubringen, das schwer zu ändern wäre, sobald sie erst
erwachsen wären. Folglich sollte er [der muḥtasib] zusehen, dass sie ausrei-
chend Wissen [besitzen] und gute Methoden haben, und er sollte jene mit
Unzulänglichkeit oder schlechten Eigenschaften die dazu führen würden,
dass sie [die Lehrer] in den Leuten Erkrankungen verursachen oder gutes Ver-
halten verderben, [am Lehren] hindern.
– Sein Sicherstellen betreffend, dass Handwerker vertrauenswürdig sind und
nicht unehrlich handeln, so gilt dies beispielsweise im Falle von Goldschmie-
den, Webern, Walkern oder Färbern, weil diese sich mit dem Eigentum der
Leute davonmachen könnten. So sollte er [der muḥtasib] zusehen, dass nur
solche, die vertrauenswürdig sind, zugelassen werden. Jene, die Zeichen von
Unehrlichkeit zeigen, entfernt er [von dem jeweiligen Beruf]. Er macht dies
öffentlich, sodass jene, die von deren Unehrlichkeit nichts wussten, nicht
betrogen werden. Es wird allerdings auch gesagt, dass die Ordnungskräfte
und Regierungsmitarbeiter qualifizierter sind [als der muḥtasib], solche Per-
sonen zu prüfen, und das ist eher richtig, da Unehrlichkeit eine Form von
Diebstahl ist.
– Was das Kontrollieren der Qualität oder des Mangels an selbiger in der
Arbeit betrifft, so ist dies die besondere Zuständigkeit [der muḥtasibūn]. Sie
müssen im Allgemeinen jegliche schlechte oder mangelhafte Arbeitsaus-
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 423

führung ahnden, sogar, wenn es keine dritte Partei gibt, die sich bei ihnen
beschwert hat. Was bestimmte Arbeiten angeht, bei denen ein Handwerker
sich schlechte Arbeitsleistungen zur Gewohnheit gemacht hat, oder betrüge-
rischer Handlungen schuldig ist, dann sollte er, falls jemand seine Hilfe [die
Hilfe des muḥtasibs] in der Angelegenheit sucht, darauf antworten, indem
er dessen [des Handwerkers] Arbeit anzeigt und Strafmaßnahmen verhängt.
Wenn eine Entschädigung [Vertragsstrafe] bezahlt werden muss, dann soll
er die einschlägige Strafe [dem Umstand nach] berücksichtigen. Wenn eine
Wertermittlung gemacht werden muss, sollte der muḥtasib nicht involviert
werden, da er nicht über die Kapazität und Kompetenz verfügt, juristischen
ijtihād40 auszuüben, und ein qāḍī41 wäre berechtigter, die Angelegenheit zu
untersuchen. Falls es keinen Bedarf an einer Wertermittlung gibt und der
geforderte Betrag den Verlust deckt, kein ijtihād eingebunden ist und keine
entgegengesetzte Forderung vorliegt, dann sollte der muḥtasib handeln. Er
erlegt die [Vertrags-]Strafe auf und bestraft die falsche Handlung. Denn es
geht hier um das Etablieren von Recht und das Veranlassen von Strafmaß-
nahmen für Verstöße gegen das Gesetz [wofür er zuständig ist].

Er darf die Preise für Nahrungsmittel oder andere Güter für die Leute nicht vorge-
ben, sei es in Zeiten geringer oder hoher Preise – obwohl Mālik dies zulässt, wenn
die Preise für Nahrungsmittel hoch sind.

3.6.1 Vom Verweigern der gemeinsamen Rechte42

Was jenes betrifft, das er [der muḥtasib] in Bezug auf solche Rechte anzeigen
kann, die Allah und den Menschen gemein sind, so schließt dies z. B. ein, die
Leute am Spähen in die Häuser ihrer Nachbarn zu hindern. Es steht ihm nicht zu,
jemanden, der ein hohes Gebäude errichtet, dazu zu bringen, das Gebäude zu
überdachen, sondern, ihn dazu anzuhalten, dass er nicht in fremde Häuser späht.
Die ahl adh-dhimma sind daran zu hindern, Gebäude zu bauen, die höher
sind als jene von Muslimen; jene, die bereits hohe Gebäude besitzen, dürfen diese
behalten, aber sie sind daran zu hindern, auf Muslime herunter zu spähen. Er [der

40 An dieser Stelle ist der Begriff als Kompetenz bzw. Meisterschaft in der Gesetzeskenntnis zu
verstehen.
41 Der Begriff bezeichnet hier einen Amtsträger mit richterlicher Befugnis. Vgl. hierzu Wehr 1952,
1036: „Richter; Untersuchungsrichter“.
42 Wörtlich: „gemeinsamen Anrechte“ (al-ḥuqūq al-muštaraka).
424 Mahmoud Abdallah

muḥtasib] stellt ebenfalls sicher, dass die Bedingungen eingehalten werden, dass
sie [die ahl adh-dhimma] sich durch das Tragen besonderer Kleidung kenntlich
machen, eine verschiedene äußerliche Form annehmen und ihre Meinung über
ʿUzayr und den Messias für sich behalten und nicht in der Öffentlichkeit kundtun.
Er soll Muslime daran hindern, sie zu beleidigen oder zu verletzen, und verhängt
Bestrafungen über jene, die dies tun.
Wenn es Imame von gut besuchten Moscheen und Freitagsmoscheen gibt,
die das Gebet ausdehnen, sodass schwache Personen nicht mitbeten können und
jene, die Sachen zu erledigen haben, das Gebet [hinter diesen] Imamen vermeiden
müssen, dann sollte er [der muḥtasib] dies verurteilen, so wie es der Gesandte,
Gott segne ihn und schenke ihm Heil, es gegenüber Muʿādh b. Jabal getan hat, als
dieser das Gebet in seiner Sippe auszudehnen pflegte. Während dieser [Muʿādh]
seinen Leuten vorstand, sagte er [der Prophet] „Bist du [etwa] ein Geißler, oh
Muʿādh?“43 Wenn die Person darauf besteht, das Gebet auszudehnen und sich
weigert, damit aufzuhören, kann er sie hierfür nicht bestrafen; eher sollte er sie
durch jemanden ersetzen, der die Gebete kürzer verrichten wird.
Wenn unter den Richtern einer ist, der sich weigert, eine Prozesspartei zu
empfangen, die zu ihm kommt, oder sich weigert, zwischen zerstrittenen Men-
schen zu urteilen, wenn sie bei ihm Zuflucht suchen, sodass die Urteile [aḥkām]
eingestellt werden und die Prozessparteien dadurch Schaden erleiden, dann kann
der muḥtasib, wenn keine gültige Rechtfertigung für die Vernachlässigung der
Arbeit vorliegt, dafür Sorge tragen, dass dieser [Richter] seinen Aufgaben nach-
geht, zwischen den Prozessparteien ermittelt und ein Urteil zwischen den Strei-
tenden spricht. Der höhere Rang des Richters darf kein Hindernis sein, seine Ver-
fehlungen zu verurteilen.
Bereits Ibrāhīm b. Baṭḥāʾ, der muḥtasib für beide [Stadt-]Teile Bagdads,
ging am Haus von Abū ʿUmar b. Ḥammād vorüber, der zu dieser Zeit der oberste
Richter war. Da sah er auf diesen [Richter] wartende Prozessparteien vor dessen
Tür sitzen, damit dieser zwischen ihnen ein Urteil fälle. Der Tag war ziemlich
vorangeschritten und die Sonne schien stark. So hielt er [Ibrāhīm b. Baṭḥāʾ] an
und rief den Türhüter/Gehilfen [des Richters], wobei er sagte: „Sag dem obersten
Richter, dass Prozessparteien an seiner Tür warten, dass die Sonne hoch auf ist
und dass sie wegen des Wartens leiden. Entweder soll er dem Gericht zwischen
ihnen vorsitzen oder er soll seine Rechtfertigung [für sein Fernbleiben] bekannt

43 Überliefert von at-Tirmidhī, Sunan at-Tirmidhī, Nr. 790. Der Hadith ist auch überliefert von al-
Bukhārī im Kapitel al-adab (Kapitel 74), von Muslim im Kapitel aṣ-ṣalāt (Nr. 178), von Abū Dāwūd
im Kapitel aṣ-ṣalāt (Kapitel 124), von Nasāʾī im Kapitel al-imāma (Kapitel 39; 41) und im Kapitel
al-iftitāḥ (Kapitel 63; 70) und von Aḥmad (124/3, 299, 300, 308, 369).
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 425

machen, sodass sie gehen und zu einem anderen Zeitpunkt wiederkehren


können.“
Wenn ein Besitzer von Sklaven diese für eine Aufgabe einsetzt, der sie nicht
dauerhaft nachkommen können, dann kann der muḥtasib dieses Vergehen erst
ahnden und den Besitzer belehren, wenn die Sklaven ihn um Beistand ersu-
chen. Falls die Sklaven seinen Beistand ersuchen, so warnt er den Besitzer und
unternimmt Strafmaßnahmen. Falls ein Besitzer von Tieren diese für Aufgaben
einsetzt, zu denen sie nicht die ganze Zeit in der Lage sind, dann sollte ihn der
muḥtasib anprangern und ihn an solchen Praktiken hindern, sogar, wenn sich
keiner bei ihm beschwert hat. Wenn der Besitzer behauptet, dass die Tiere [zu der
Arbeit] in der Lage sind, für die er sie einsetzt, dann kann der muḥtasib den Fall
untersuchen. Denn wenn die Angelegenheit eines bestimmten Grades an ijtihād
bedarf, ist es auch eine Frage des Brauches, und somit kann er auf die Bräuche
und Gewohnheiten der Menschen [vor Ort] zurückgreifen. An dieser Stelle ist es
kein juristischer ijtihād sondern eher ein ijtihād, basierend auf Gebräuchen, von
dem der muḥtasib nicht ausgeschlossen werden kann, obwohl er zu einem rein
juristischen ijtihād nicht befugt ist.
Wenn ein Sklave sich [beim muḥtasib] beschwert, dass sein Herr sich weigert,
ihm Kleidung und Unterhalt zu geben, dann kann der muḥtasib anordnen, dass
diese ihm gegeben werden und sicherstellen, dass der Herr dies auch tut. Falls
er [der Sklave] sich beschwert, dass die Bezahlung seines Herrn für diese nicht
ausreicht, ist der muḥtasib nicht einzubinden, da die Höhe der Bezahlung Gegen-
stand von juristischem ijtihād ist, während die Verpflichtung zu den naturmä-
ßigen Grundbedürfnissen nicht Gegenstand von juristischem ijtihād ist. Denn
die Schätzung [des Betrags] ist durch einen Text festgelegt, wohingegen es die
Rechtsverbindlichkeit dieser [Schätzung] nicht ist.
Der muḥtasib kann Schiffsbesitzer daran hindern, eine Ladung zu beför-
dern, welche die Schiffskapazität überschreitet, damit es nicht zu dessen Sinken
kommt. Ebenso sollte er sie vom Segeln abhalten, wenn starke Winde wehen.
Wenn Männer und Frauen befördert werden, dann sollte er zusehen, dass sie
durch eine Absperrung getrennt sind. Und wenn das Schiff groß genug ist, dann
müssen separate Eingänge zu den Toiletten für Frauen installiert werden, damit
sie sich nicht exponieren, wenn sie die Notdurft verrichten.
Falls es einen Markthändler gibt, der es besonders gewohnt ist, mit Frauen
zu handeln, sollte der muḥtasib sein gutes Verhalten und seine Vertrauenswür-
digkeit prüfen. Wenn er diese nachweist, verbleibt derjenige beim Handel mit
Frauen. Falls aber Zweifel aufkommen und es klare Zeichen unlauteren Verhal-
tens seinerseits gibt, dann wird er davon abgehalten, mit ihnen zu handeln, und
er wird bestraft, falls er dies weiter tut [weiterhin den Kontakt sucht]. Es wird
auch gesagt, dass eher die Gesetzeshüter und die Inspektoren der Regierung jene
426 Mahmoud Abdallah

sein sollten, die ein solches Verhalten verurteilen und verhindern als sie [die
muḥtasibs], da es als ein Aspekt der Unzucht betrachtet wird.
Er [der muḥtasib] muss die Gestaltung bzw. den Belegungsplan des Marktes
überblicken und das Belegen von Plätzen zulassen, durch deren Belegung Pas-
santen kein Schaden zugefügt wird; aber er sollte die [Belegungen] verhindern,
welche Passanten Schaden zufügen. Dies kann er ohne vorherige Beschwerde
über diese Angelegenheit tun, obwohl nach Abū Ḥanīfa eine solche Maßnahme
davon abhängt, dass eine solche Beschwerde eingereicht wurde.
Falls Leute eine Konstruktion auf einer öffentlichen Verkehrsstraße errichten,
dann werden sie daran gehindert, auch wenn die Verkehrsstraße breit ist. Sie
sollten dazu gebracht werden, abzureißen, was sie aufgebaut haben, sogar, wenn
es eine Moschee ist, da der Zweck von Verkehrswegen das Reisen ist und nicht das
Errichten von Gebäuden.
Wenn Leute ihr Material und ihre Baumaschinen vorübergehend auf Ver-
kehrswegen abstellen, mit der Absicht, diese nach und nach wegzubewegen,
dann dürfen sie dies tun, wenn Passanten [gegenüber] kein Schaden verursacht
wird; aber sie sind daran zu hindern, falls ihnen [Passanten] Schaden entsteht.
Gleichermaßen, wenn dort Bauteile eines Gebäudes, Torbogen, Wasserkanäle
oder Abwasserrinnen sind: Diese sind erlaubt, falls kein Schaden verursacht
wird, jedoch verboten, wenn Schaden verursacht wird.
Dem muḥtasib steht zu, ijtihād darüber zu machen, was Schaden verur-
sacht, und was nicht, da sein Urteil eher auf dem Brauch begründet sein wird
als auf rechtlicher Präzedenz. Der Unterschied zwischen diesen beiden Arten von
ijtihād ist, dass der juristische ijtihād jener ist, in dem den rechtlichen Prinzipien
Rechnung getragen wird, auf welchen die Regelung begründet ist, während der
ijtihād brauchtümlicher Praktiken jener ist, dessen Regelungen auf dem basieren,
was die Leute gewohnheitsmäßig unter bestimmten Umständen tun. Der Unter-
schied wird klar durch das Unterscheiden der Fälle, in denen der muḥtasib ijtihād
machen darf, von jenen, in denen er keinen ijtihād machen darf.
Der muḥtasib muss verhindern, dass Leichname aus ihren Gräbern entfernt
werden, ob Letztere sich in Privatbesitz befinden oder im gemeinsamen Boden
liegen, außer, wenn sie entwendet werden von Grund und Boden, welcher usur-
piert wurde, in welchem Falle der rechtmäßige Eigentümer diejenigen, die den
Leichnam dort begraben haben, rechtlich zwingen kann, [diesen] irgendwo anders
hin zu überführen. Es gibt einen Meinungsunterschied darüber, ob es erlaubt ist,
Leichname vom Land zu überführen, das geflutet wurde oder Gegenstand starker
Feuchtigkeit ist: Az-Zubayrī erlaubt es, während andere es verbieten.
Der muḥtasib muss die Kastration von Männern und Tieren verhindern und
die Verantwortlichen bestrafen. Falls jemand berechtigt ist, [das Recht auf] Ver-
geltung oder Blutgeld zu üben, sollte er sicherstellen, dass diesem Berechtigten
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 427

sein Recht erfüllt wird, solange es keinen Streit oder Gegenanspruch im Namen
der beiden Parteien gibt.
Er muss ältere Männer davon abhalten, ihr Haar schwarz zu färben, außer,
wenn sie sich auf dem Weg Allahs befleißigen, und er sollte jene bestrafen, die ihr
Haar wegen der Frauen tönen. Er sollte jedoch nicht den Gebrauch von Henna und
katam44 verhindern. Er sollte jedweden Gewinn aus Wahrsagerei und Glücksspiel
unterbinden und beide [Prozesspartner] bestrafen, diejenigen, die die Zahlung
entgegennehmen und diejenigen, die diese tätigen.
Diese Auflistung könnte ausgeweitet werden, da es unzählige Beispiele von
Fehlverhalten gibt: Jene, die wir erwähnt haben, werden dazu dienen, jene zu
illustrieren, die wir nicht erwähnt haben.
Die ḥisba ist eine der grundlegenden Angelegenheiten der Religion. Die
Imame der ersten Generationen unternahmen diese selbst wegen des allgemeinen
Nutzens darin und der großartigen Belohnung, die zu gewinnen ist. Als jedoch der
Sultan sich von solchen Geschäften abwendete und Personen [dafür] ernannte,
die über geringe Achtung verfügten und sie [die ḥisba] zu einem Mittel wurde,
Geld zu verdienen und Schmiergelder zu erhalten, war sie in den Augen der Leute
von geringem Ansehen. Allerdings, nur, weil ein Versäumnis in der Pflege eines
fundamentalen Prinzips geschah, bedeutet das nicht, dass die Regelung annul-
liert wurde. Die Rechtsgelehrten haben es bis zu einem unermesslichen Grad ver-
nachlässigt, die Regeln der ḥisba zu erklären. Tatsächlich behandelt der größere
Teil dieses Buches von uns Angelegenheiten, welche die Rechtsgelehrten entwe-
der vernachlässigten, oder unzureichend diskutiert haben. Wir haben [in diesem
Buch] erwähnt, was sie vernachlässigt haben, und wir haben in vollem Umfang
behandelt, was sie unzureichend diskutiert haben.
Ich bitte Allah um Erfolg für unseren Zweck und um Hilfe bei dem, was wir
beabsichtigen, durch Seine Gunst und Seinen Willen. Meine Genüge ist Allah,
welch vorzüglicher Sachwalter.

4 Ḥ
 isba zwischen Institutionalisierung und
Privatisierung
„Hiya amrun bil-maʿrūfi iḏā ẓahara tarkuhu wa nahyun ʿan al-munkari iḏā uẓhira
fiʿluhu“45 lautet al-Māwardīs prägnante Definition des Begriffes ḥisba. Sie weicht
im Wortlaut von der fundamentalen Formel „Gebieten des Guten und Verbieten

44 Mädchen vermischen es zum Auftragen von schwarzen Malen und Lidschatten.


45 Al-Māwardī 2013, 260.
428 Mahmoud Abdallah

des Verwerflichen“46 nur insofern ab, als dass bei al-Māwardī von Gutem und
Üblem die Rede ist, das vernachlässigt („iḏā ẓahara tarkuhu“) bzw. ‚öffentlich‘
praktiziert („iḏā uẓhira fiʿluhu“) wird. Somit setzt er, wenn auch zunächst nicht
weniger ideell, einen Tatbestand voraus, der das (schiere) Prinzip materialisiert
und verwertet. Das Bekenntnis unmittelbar einschließend, dass dieses imperative
Postulat wirklich jeden Muslim betrifft,47 stellt er mit der Person des muḥtasibs
dem mutaṭawwiʿ einen zentralen Akteur gegenüber und relativiert anhand fol-
gender Kriterien die zuvor ausgesprochene, an die Allgemeinheit der Muslime
gerichtete Forderung: 1. Die Pflicht des muḥtasibs rühre von seiner Berufung
als Amtsperson („bi-ḥukmi al-wilāyati“, S. 260) her, während die Plicht anderer
eine Verantwortung der Gemeinschaft („fī furūḍ al-kifāyat“, S. 260) sei; 2. Das
Tun des muḥtasibs unterliege der Notwendigkeit seiner Berufung, die er nicht
an andere übertragen könne, wohingegen ein jeder andere diese Handlung
freiwillig vollziehe und diese von ihrer Beschaffenheit (ihrer Freiwilligkeit) her
an andere überantworten oder sie komplett auslassen könne. 3. Das Amt des
muḥtasibs gründe sich darauf, dass die Leute seine Hilfe/Beistand im Falle von
Ordnungswidrigkeiten ersuchen können, der Freiwillige indes kein derartiges
Amt bekleide. 4. Der muḥtasib müsse auf die Beschwerden der Leute reagieren,
wo doch der mutaṭawwiʿ dazu nicht verpflichtet sei. 5. Dem muḥtasib obliege
es, aufkommende üble Vorfälle zu beachten, sodass er sie verurteilen und dem
Defizit an gutem Benehmen nachgehen kann, um es [das gute Benehmen] wieder
zu erneuern, während Freiwillige auf solche Vorfälle nicht achten und diese nicht
untersuchen müssten. 6. Um seiner Aufgabe gerecht werden zu können, sei der
muḥtasib auf Unterstützer angewiesen, die das Übel anprangern, wohingegen
Freiwillige nicht die Unterstützung anderer ersuchen/einfordern dürften. 7. Er
(der muḥtasib) könne Ermessensstrafen für üble Vorfälle verhängen, solange sie
nicht an die Grenzen des ḥadd heranreichen, wohingegen ein Freiwilliger dies
nicht dürfe. 8. Für seine ḥisba dürfe er (der muḥtasib) aus dem bayt al-māl ent-
lohnt werden, während ein Freiwilliger im Rahmen seiner ḥisba nicht für das
Anprangern des Übels bezahlt werden könne. 9. Er (der muḥtasib) dürfe Urteile
aus eigenem ijtihād, basierend auf dem Wissen um Bräuche und gewohnheits-
mäßige Praxis, fällen (Angelegenheiten der Scharia ausgenommen), wohingegen
dies einem Freiwilligen nicht freistehe.
Al-Māwardī rechtfertigt durch die Hervorhebung der Unterschiede zwischen
einem Freiwilligen (mutaṭawwiʿ) und einem ḥisba-Beauftragten (muḥtasib) eine

46 Grundlage ist Sure 3, 104: „Und es soll aus euch eine Gemeinschaft werden, die zum Guten
aufruft, das Rechte gebietet und das Verwerfliche verbietet. Jene sind es, denen es wohl ergeht.“
47 al-Māwardī 2013, 260: „wa-hāḏā wa-in ṣaḥḥa min kull muslim“.
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 429

institutionalisierte Funktion der ḥisba innerhalb des muslimischen Gemeinwe-


sens. Er spricht dem Einzelnen innerhalb der Gemeinschaft das (ethisch-mora-
lische und gesellschaftlich-politische) Mündigsein zwar nicht ab, hebt jedoch
dessen Unvermögen bezüglich einer umfassenden und vehementen Ordnungssi-
cherung hervor. Folgerichtig schreibt al-Māwardī dem Staat die Aufgabe zu, über
die öffentliche Ordnung zu wachen, ohne die Verantwortung des Individuums
zu vernachlässigen. Muḥammad Kamāl ad-Dīn Imām rückt hingegen die ḥisba
als Aufgabe des Individuums und der Gesellschaft ins Zentrum und appelliert
an beide ihrer Verantwortung für die öffentliche Ordnung nachzukommen. Er
betont die religiöse Natur der ḥisba als islamisches Gebot und kollektive Pflicht –
basierend auf Sure 3, 10: „Ihr seid die beste Gemeinschaft, die für die Menschen
hervorgebracht worden ist. Ihr gebietet das Rechte und verbietet das Verwerfli-
che.“ Diese religiöse Natur der ḥisba sei die Garantie dafür, dass sie in einem
nichtmuslimischen Land nicht ausfalle, so Imām weiter.48 Hier hält sich Imām an
die klassische Interpretation des oben genannten Verses, welche „das Gebieten
des Guten und das Verbieten des Verwerflichen“ als Aufgabe eines jeden Muslims
ansieht.49 Die Meinung al-Māwardīs gilt in dieser Hinsicht als innovativ und stieß
später auf positive Resonanz. Folgende Kommentare untermauern seine Meinung
und akzentuieren die ḥisba:
„Wie hoch auch immer der individuelle moralische Standard sein mag, er
kann nicht die vom Islam angestrebten Zielsetzungen erreichen, wenn nicht die
Gesellschaft als ganze religiös und gottesfürchtig und frei von Korruption und
Mißbrauch [sic!] aller Art ist. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn sich
wenigstens eine Personengruppe der Aufgabe widmet, die Menschen auf den Weg
der Rechtschaffenheit zu rufen und dem Volk die goldenen Regeln moralischen
Verhaltens nahezulegen und den Übeltätern das Böse zu verwehren.“50
An diese implizierte Feststellung, dass das Mündigsein eines Einzelnen zur
ḥisba nicht ausreiche, schließt sich folgende Behauptung an:

Zum Gebieten des Guten und Verbieten des Bösen muß [sic!] angemerkt werden, daß [sic!]
es nur dann effektiv geschehen kann, wenn eine gesellschaftliche Kraft dahintersteht, und
die effektivste Kraft ist die Regierung und die Verwaltung.51

48 Imām, 1986, 96.


49 Zu mehrdeutigen Interpretationen dieses Verses vgl. meinen Beitrag, Mahmoud Abdallah,
“Übersetzung als Entscheidungsprozess – Ambiguität im Koran am Beispiel Umma“ In Journal of
Faculty of Alsun, Kairo: Universität Ain Shams Press, 2017, 541–580.
50 Die Bedeutung des Korans. Bd. 1 (1998): 164.
51 Ebd.
430 Mahmoud Abdallah

Der vermeintliche Mangel an Effektivität (ziviler/individueller ḥisba) wird im Fol-


genden zu einer von Seiten staatlicher Ordnungsmacht durchgesetzten ḥisba:

Es ist folglich unumgänglich, daß [sic!] es eine Gemeinschaft gibt, die zum Heil anruft,
Gutes gebietet und Böses verwehrt. Und ebenso ist es unumgänglich, daß [sic!] die Staats-
macht diese Aufgabe übernimmt. Der Text des Qur’āns beinhaltet nicht nur den Aufruf zum
Heil, sondern auch den Befehl, das Gute zu gebieten und vom Bösen abzuhalten. Während
es für jedermann möglich ist, auch ohne größere Machtbefugnisse, zum Heil aufzurufen,
bedarf es das Gebieten und Verbieten der höchsten Autorität eines Landes – nur ihr stehen
‚Befehl‘ und ‚Verbot‘ zu.52

Den oben angeführten Beispielen aus der modernen Literatur können wir zwei
grundlegende Voraussetzungen entnehmen: Zum einen macht gerade die ḥisba
das gottgewollte Besondere eines muslimischen Gemeinwesens aus; zum anderen
besteht die Notwendigkeit einer institutionalisierten ḥisba. Diese Position unter-
scheidet sich kaum von der al-Māwardīs, allerding spricht er nicht von einer Ins-
titution, sondern von einem Amt/einer Person. Bei al-Māwardī mündet die Ins-
titution der ḥisba im Amt des muḥtasibs, welcher vom Oberhaupt der gesamten
muslimischen Gemeinschaft, dem Imam, ernannt wird.
Aus der allgemeinen Pflicht, das Gute zu gebieten und das Böse zu verbie-
ten, entwickelt al-Māwardī ein Aufsichts- und „Ordnungsamt“. Dieser Vorgang
trägt zur Stabilität und Transparenz der öffentlichen Ordnung und der Gesell-
schaft bei und bedeutet zugleich eine Verschiebung vom Politischen zum Mora-
lisch-Ethischen.53 Nicht die Legitimität der Herrschaft über die Gemeinschaft der
Gläubigen ist in diesem Zusammenhang wesentlich, sondern das Sicherstellen
des Befolgens der göttlichen Ge- und Verbote sowie von Gerechtigkeit bzw. Recht
und Ordnung. Dementsprechend weist al-Māwardī lediglich implizit auf die Maß-
nahmen hin, welche der muḥtasib unternehmen kann, um Recht und Ordnung zu
bewahren oder wiederherzustellen. Vielmehr konzentriert er sich auf die eigent-
liche Aufgabe des muḥtasib, nämlich das Sicherstellen des Befolgens der gött-
lichen Ge- und Verbote. In diesem Zusammenhang räumt al-Māwardī auch dem
Brauch eine wichtige Rolle ein. In Situationen, in denen der Brauch eine Rolle
spielt, darf der muḥtasib ijtihād betreiben und sich an bestehenden Bräuchen
orientieren. Nicht selten hängen die Strafmaßnahmen von der Situation ab. Dem-
entsprechend spielt bei ḥisba nicht nur ʿurf (Brauch) eine Rolle, sondern auch die
Vernunft. Der muḥtasib ist oft auf seine Kompetenz und seine eigene Einschät-
zung angewiesen. Al-Māwardī beschreibt die Funktion des muḥtasib somit als

52 Ebd.
53 Vgl. Lambton, 1981, 311.
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 431

Balanceakt zwischen abstraktem theologischem Regelwerk und realem Kontext


unter Zuhilfenahme von Rationalität.
Al-Ghazālī geht hingegen explizit auf die unterschiedlichen Maßnahmen des
muḥtasibs ein. Er unterteilt das Verbieten des Bösen („al-inkār”) in zehn Katego-
rien: Das Erkennen, das Bekanntmachen, das Verbieten, das Raten und Mahnen,
das Beschimpfen und Tadeln, das Verändern durchs Tun, die Androhung von
Schlägen, das (tatsächliche) Schlagen, das Vorhalten einer Waffe und das Zur-
schaustellen der Überlegenheit durch das Hinzuziehen von Unterstützern und
Soldaten”.54 Diese Klassifikation ist aber nicht verbindlich und setzt keine Rei-
henfolge voraus, sondern weist nur daraufhin, dass der muḥtasib die Aufgabe
des Ge- und Verbietens hat. Er darf mit dem Ziel der Abschreckung des Übeltäters
noch darüber hinausgehen. Dementsprechend darf er strengere Maßnahmen erst
ergreifen, wenn die milderen keine Wirkung zeigen. Sowohl situations- als auch
kontextabhängig kann der muḥtasib die entsprechenden (moderneren) Maßnah-
men ergreifen, um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten.
Von dem konstitutionellen Postulat der ḥisba gelangt al-Māwardī zur impli-
ziten institutionellen Berufung und somit der der Rechenschaft unterliegenden,
amtlichen Verantwortlichkeit. Somit entwickelt al-Māwardī den Ansatz einer
zweckorientierten Theologie.55 Die ḥisba wird an das Amt des muḥtasibs dele-
giert, welches eine Schnittmenge der Religion und des Sozialen, aber auch
des Infrastrukturellen und Kommerziellen (Aufsicht über Produktion, Handel,
Verkehr, Bildung und Gesundheitswesen) darstellt. Ḥisba bildet folglich keine
Grundlage für das Eingreifen des Individuums in die politische Gestaltung des
Gemeinwesens, sondern eine institutionelle Obligation des Staates, die durch die
Herrschaft des Sultans verkörpert und durch die Aufsichts- und Ordnungspflicht
sowie durch die Befugnis des muḥtasibs reguliert wird.
Die Reichweite dieses Vorgangs äußert sich auch im Auftrag des muḥtasibs zur
Kontrolle und Organisation einzelner Gewerbe und zur Erhaltung von Qualitäts-
standards. Auch zu den Verfehlungen, gegen die er vorgehen muss (Betrügereien
und Warenfälschungen, Verstöße gegen die Regeln des Anstands), liegen detail-
lierte Vorgaben vor. Einschließlich der Regulierung von Gewerbe und Handel
(Zoll, Geldwechsel, Münze, Wettbewerb, Monopol und Preispolitik) obliegt dem
muḥtasib folglich die Integration der wirtschaftlichen und sozialen Zweige in die
Gesellschaft. Folglich kann die institutionalisierte ḥisba als ein Supplement der

54 Abū Ḥāmid al-Ghazālī. Iḥyāʾ ʿulūm ad-dīn, Bd. 2 (2013): 420.


55 Ausführlicher hierzu siehe Mahmoud Abdallah, „Religion, Gesellschaft und Moralwerte –
Umma zwischen Heterogenität der Gegenwart und dem Traum von Einheit“ In Ökumenische
Rundschau 65 (2016): 213–226.
432 Mahmoud Abdallah

Funktionen der religiösen Gerichtsbarkeit und der profanen Exekutive der Polizei
betrachtet werden.

5 R
 ationale Lesart der Theologie vs. theologische
Lesart der Rationalität
Die Diskussion über Rationalität und Vernunft im Islam ist so alt wie die Reli-
gion selbst. Die bekanntesten Denkschulen des Islams, Muʿtazila und Ashʿarīya,
stellen die beiden Pole der Debatte dar. Die Diskussion reicht bis in den heuti-
gen Diskurs hinein. Ein Zurückgreifen auf die klassische Literatur ermöglicht
evtl. einen Ausweg. Rationalität darf nicht mehr als das „Absolute“ im Sinne der
Naturwissenschaft verstanden werden und somit darf nicht mehr die Rede von
einer/der Rationalität sein, sondern von „Rationalitäten“ im Plural.
Al-Māwardī ist es gelungen, Rationalität und Überlieferung miteinander in
Harmonie zu bringen. Neben der Funktion als staatliche Institution und Markt-
aufsicht offenbart sich die ḥisba als Spiegelung des dualen Charakters einer isla-
misch orientierten Gesellschaft, da sie auf einem religiösen Gebot beruht.56 Die
Befunde al-Māwardīs ergeben jedoch, dass ḥisba als öffentliche Ordnung Aspekte
umfasst, die über die Bestimmungen des islamischen Rechts hinausreichen: Wann
immer der Richter keine Befugnis zur bzw. Grundlage für die Rechtsprechung hat
und die Angelegenheit nicht gänzlich säkular ist, unterliegt der Gegenstand der
Verantwortlichkeit des muḥtasibs. Diese Lehre untermauerte al-Māwardī mit dem
dazugehörigen Beleg aus der Überlieferung.57 Im Zuge seiner Feststellung, dass
diese Devise jeden Muslim anspricht, konstatiert er jedoch mehrere Unterschiede
zwischen einer „ehrenamtlichen“ bzw. freiwilligen Ausübung dieses Prinzips und
dem Handeln einer Amtsperson (muḥtasib). Hierbei stehen vor allem die Befug-
nisse seitens der (staatlichen) Autorität und der Verantwortlichkeit des Amtes im
Vordergrund. Muḥammad Kamāl ad-Dīn Imām schließ sich al-Māwardīs Meinung
darüber an, dass die Befugnis des muḥtasibs variieren kann. Zeitgleich bemerkt
er, dass der Rahmen für seine Arbeit bzw. seine Befugnisse feststeht: 1. Er darf
seine Befugnisse nicht überschreiten; 2. Er muss für Balance und Passung zwi-

56 Ausführlich zu den Argumenten bezüglich der ḥisba im Koran und in der Sunna siehe Imām
1986, 27–29; zur Debatte, ob sie eine kollektive oder persönliche Pflicht darstellt, siehe ebenfalls
Imām 1986, 45–47.
57 Al-Māwardī 2013, 261–63.
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 433

schen dem, was er gebietet oder verbietet, dem Kontext/der Situation und der
verhängten Strafe sorgen.58
Al-Māwardī nennt als Bedingungen, dass der muḥtasib ein freier Mann,
gerecht, vernünftig, beständig und treu im Glauben sein muss, der sich dessen
klar bewusst sein muss, was übles Verhalten darstellt.59 In seinem ganzen Buch-
abschnitt über die ḥisba widmet sich al-Māwardī, oftmals bis in kleinstmög-
liche Details, der Anleitung eines muḥtasibs. Doch kann wohl kein Handbuch
die mögliche Fülle und Komplexität, die Bedingtheit der ḥisba und vor allem die
eventuellen Zusammenhänge sowie die notwendige Differenziertheit im Einzel-
nen erfassen. Dafür ist die ḥisba mitsamt den ihr zugrundeliegenden universellen
Identifikations- und Unterscheidungsmerkmalen von Gut und Böse ein Phäno-
men, das zu häufig von Neuem gedacht und interpretiert werden muss. Zur Viel-
schichtigkeit trägt auch das multikonfessionelle und -parteiliche Umfeld bei, in
dessen Kontext in der Regel verschiedenste normative, dogmatische und ideo-
logische Interessen und Haltungen zu berücksichtigen sind. Al-Māwardī verwan-
delt somit den Diskurs von einer „rationalen Theologie“ zu einer „theologischen
Lesart der Rationalität“. Diese kann an den beiden folgenden Aspekten erläutert
und demonstriert werden.
Al-Māwardī versucht in seinem Buch al-Aḥkām fortlaufend, sich nicht von
seiner eigenen Rechtsschule leiten zu lassen und neutral zu bleiben. Dieses Vor-
gehen lässt sich in seinem Kapitel über ḥisba gut erkennen. Als Shāfiʿī-Gelehrter
stellt er seine Rechtsschule nicht in den Vordergrund, sondern thematisiert auch
die Meinungen anderer Rechtsschulen auf der Suche nach einem gemeinsamen
Nenner. Eine Stärke der Ahkām al-Māwardīs ist neben dem „Unterdrücken“ seiner
eigenen Rechtsschule die Einbeziehung jener Überlieferungen des Propheten
Muḥammad und Meinungen seiner Weggefährten, die seine Rechtsurteile nicht
stützen.60 Beispielhaft wäre hier die Unterscheidung zwischen ḫamr und nabīḏ:
„Wenn eine Person nabīḏ (alkoholische Getränke) zur Schau stellt, so sind diese
bei Abū Ḥanīfa ein Gut, das den Muslimen zugestanden werden soll, und deswe-
gen dürfen diese weder weggeschüttet werden, noch wird die Person, die diese
offen zur Schau stellt, bestraft. Für ash-Shāfiʿī sind diese – ähnlich wie khamr

58 Imām 1986, 102.


59 Al-Māwardī 2013, 261: „an yakūna ḥurran ʿadlan dhā raʾy wa-ṣarāma wa khushūna fī ad-
dīn wa-ʿilm bil-munkarāt aẓ-ẓāhira“. Autoren späterer Werke fügen explizit das Wissen „al-ʿilm”
und die Erlaubnis des Herrschers „an yakūna maʾdhūnan lahu min walī al-amr“ hinzu; vgl.
Muḥammad ʿAbdallāh, Wilāyat al-ḥisba fī al-Islām. Kairo: Maktabat az-Zahrāʾ, 1996, 138. Zu den
Bedingungen der ḥisba bei den Muʿtazilīten siehe al-Qāḍī ʿAbd al-Ğabbār. al-Uṣūl al-khamsa.
Kairo: Maktabat Wahba, 1996, 143.
60 ʿAbd al-Ğabbār 1996, 30.
434 Mahmoud Abdallah

(Wein) – kein Gut, für dessen Wegschütten eine Haftung besteht. Folglich muss
der ḥisba-Beauftragte die Situation berücksichtigen; er verbietet, dass es [ein
alkoholisches Getränk] offen zur Schau gestellt wird und nimmt Strafmaßnamen
vor, wenn es zum Trinken gedacht war – jedoch darf er es nur dann wegschüt-
ten, wenn ein Richter, der zum ijtihād befähigt ist, dies anordnet, damit er [der
muḥtasib] sich nicht selbst einer Haftung aussetzt, wenn er angeklagt wird.61
Al-Māwardī ist sich dessen bewusst, dass er hier eine gesellschaftliche Rege-
lung (Theorie) entwickelt. Diese kann sich nur durchsetzen, wenn sie über die
Verschiedenheit der Rechtsschulen hinausgeht und jeder Rechtsschule einen
Raum in der Öffentlichkeit zugesteht. Dementsprechend geht er pragmatisch vor
und versucht, andere Meinungen und Überzeugungen miteinzubeziehen. Dieser
Ansatz macht ein zentrales Charakteristikum der ḥisba und somit der Aufgabe
des muḥtasibs aus, die über jegliche Konfession, Partei oder regionale/ethnische
Zugehörigkeit hinausgeht. Hierbei gelten mehrere Prämissen, wie die der Ortho-
praxie62, die durch Vielfalt und ideelle Weiträumigkeit die gekennzeichnete über-
parteiliche und überkonfessionelle Handlungs- und Verhaltensgrundlage eines
muḥtasibs darstellt. Al-Māwardī versucht, den Stellenwert der Vorbildfunktion
des Propheten Muḥammad einzubringen, unter der Prämisse der Authentizität
ihrer Überlieferung.
Wenn al-Māwardī vom „Gebieten des Guten“ redet, sieht er die Pflicht der
ḥisba nur da, wo das Unterlassen des Guten offensichtlich ist (ẓahara tarkuhu).
Das „Verbieten des Verwerflichen“ ist nicht Teil der Aufgabe des muḥtasibs, wenn
das Begehen dessen nicht offensichtlich ist, sondern nur dann, wenn der Täter
dies in der Öffentlichkeit tut (uẓhira fiʿluhu): „Hiya amrun bil maʿrūfi iḏā ẓahara
tarkuhu wa nahyun ʿan al-munkari iḏā uẓhira fiʿluhu“.63 Auf diese wichtige Bedin-
gung weist al-Ghazālī in seiner Iḥyāʾ ebenso explizit hin: „Jedes Verbot, welches
in diesem Augenblick vorhanden und dem muḥtasib ohne Spionage deutlich/
bekannt ist, wobei der Verbotscharakter ohne ijtihād ersichtlich ist [ist für ihn von
Belang]“ („kullu munkarin mawjūdun fī al-ḥāli ẓāhiran lil-muḥtasibi min ghayri
tajassusin, maʿlumun kawnuhu munkaran bi-ghayri ijtihādin“.64 Diese Differen-
zierung wird bei al-Māwardī im fünften Unterschied zwischen den Aufgaben eines
„ehren-“ und eines „hauptamtlichen“ muḥtasibs deutlich ersichtlich. Hierbei

61 Al-Māwardī 2013, 271.


62 Griechisch: aufrechtes, richtiges Handeln; vgl. Wilhelm T. Krug, Hg., Allgemeines Handwörter-
buch der philosophischen Wissenschaften, Bd. 5 (1838): 108. „Bei den Alten findet sich […] recht
handeln oder tun und zwar bei Aristoteles (Endem. III, 2.), der dieses Wort zuerst gebraucht zu
haben scheint“.
63 Al-Māwardī, 2013, 260.
64 Al-Ghazālī 2013, 414.
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 435

geht es um die Verpflichtung des muḥtasibs hinsichtlich des Verwerflichen und


des Guten. Er muss nach dem „öffentlichen“ Verwerflichen schauen (yabḥaṯu ʿan
al-munkarāti aẓ-ẓāhirati) und dieses verbieten. Das Gute muss er jedoch überprü-
fen (yafḥaṣu), um es zu gebieten. Was mit Überprüfen gemeint ist, wird im Laufe
des Textes ersichtlich. Der muḥtasib muss sichergehen, dass es einen Konsens
darüber gibt, dass die unterlassene Tat ein islamisches Gebot ist; gibt es aber
unterschiedliche Meinungen dazu, kann er den Leuten nicht gebieten, was sie
selber nicht als Gebot ansehen [müssen].65
Al-Māwardī schreibt dem muḥtasib kein absolutes Ordnungsrecht vor. In
seinen Ausführungen listet al-Māwardī Voraussetzungen auf, die eine Person
erfüllen muss, um zu einem muḥtasib ernannt werden zu können. Die Anstren-
gung zur rechtmäßigen und gerechten Gesetzesanwendung (ijtihād) spielt beim
muḥtasib in bestimmten Fällen eine besondere Rolle; in anderen Fällen hat er
sich nach höheren Ämtern zu richten bzw. sich an diese zu wenden. Mit Blick auf
die Person, an der der muḥtasib sein Amt ausführt (muḥtasabun ʿalayhi), nennt
er keine bestimmten Voraussetzungen. Es bleibt im Text offen, wem der muḥtasib
das Gute gebietet und das Böse verbieten kann/darf/muss/soll. Al-Ghazālī geht
auf diesen Punkt dagegen explizit ein. Ihm zufolge soll die Zielperson in einer
Situation sein, in deren spezifischem Rahmen die (an sich erst einmal abstrakt)
verbotene Tat für diese Person verwerflich ist: „Wa sharṭuhu an yakūna bi-ṣifatin
yaṣīru al-fiʿlu al-mamnūʿu minhu fī ḥaqqihi munkaran wa-aqallu mā yakfī fī
ḏalika an yakūna insānan.“66 Hierbei macht al-Ghazālī deutlich einen Unter-
schied zwischen dem Gebieten des Guten und dem Verbieten des Bösen. Ihm
zufolge soll der muḥtasib seine Arbeit bei jedem Menschen machen, auch bei
minderjährigen Kindern und geistig behinderten Menschen.67
Auch bei der Suche nach der Grundlage für eine Orthopraxie innerhalb einer
muslimischen Gemeinschaft bietet al-Māwardī eine theologische Lesart der Ratio-
nalität an. Er beschränkt sich nicht darauf, Rationalität als Gegenstand des Textes
zu verstehen, sondern betrachtet beide als sich gegenseitig ergänzende Aspekte/
Gegenstände. Er erklärt den Gegenstand rational und zweckorientiert und zieht
als Nächstes die Vorbildfunktion des Propheten und seiner Zeitgenossen heran.
Hier beweist al-Māwardī, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit
der Überlieferung nicht nur eine konkrete, praktische Ver- bzw. Anwendung in
der Rechtsfindung und Jurisprudenz fand. Vielmehr ermöglichte sie eine Legi-
timierung und detaillierte Reglementierung von ordnungspolitischen Funktio-

65 Al-Māwardī 2013, 261–62.


66 Al-Ghazālī 2013, 418.
67 Ausführlich dazu, welche Tatbestände eine Person erfüllen muss, damit der muḥtasib sie
anprangert, vgl. Muḥammad ʿAbdallāh, 1996, 229–31.
436 Mahmoud Abdallah

nen und Mechanismen im weitesten Sinne. Diese betreffen analog nicht weniger
als die Wahrung der inneren und äußeren Ordnung, des Rechts und der Recht-
mäßigkeit, der Sicherheit und der Wirtschaft, was wiederum eine konsequente
Haltung gegenüber der Authentizität der Überlieferungen stärkte. Ihm ist es dabei
gelungen, die Distanz zwischen Theorie und Praxis zu erkennen und in der kon-
kreten Anwendung zu überwinden. Beachtenswert ist der Aufgabenbereich des
muḥtasibs in Bezug auf die religiöse Sensibilität. Denn der muḥtasib hat auch
auf das religiöse Leben der Gesellschaft zu achten, indem er die Vermittler der
Religion begutachtet: „Und wenn er auf eine Person trifft, die sich mit der Wissen-
schaft der Scharia auseinandersetzt, aber nicht geeignet ist (…), dann sollte er sie
öffentlich dafür anprangern.“68 Hier ist seine Aufgabe, Vermittler von falschen
Interpretationen oder Antworten öffentlich anzuprangern, da Menschen dadurch
in die Irre geführt werden (könnten). Es sind insofern nicht nur administrative
Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem Staat, die al-Māwardī erwähnens-
wert findet, sondern auch solche, die das religiöse Leben betreffen, welches die
Basis aller (muslimischen) Gesellschaften darstellt.
Kurzum: Al-Māwardīs Ausarbeitung der ḥisba ist weniger abstrakt. Es glückte
ihm – trotz der Krise vor dem Hintergrund der korrekten Durchsetzung der Gebote
und Verbote in der muslimischen Welt seiner Zeit in Theorie und Praxis – ein
theologisches, dennoch rational gedachtes Konzept zu erarbeiten, das weder auf
traditionellem taqlīd (Nachahmen), noch auf einem „Fernhalten“ der Tradition
beruht, sondern eine kreative Vermittlerrolle im Geist und im Denken seiner Zeit
und der Sprache der Überlieferung und Tradition der Theologie/Religion ein-
nimmt. Seine rationale Lesart der Theologie stellt das Gegenteil eines akademi-
schen und verschlossenen Zugangs gegenüber der islamischen Überlieferung dar,
welcher von Lehrern und Gelehrten gepflegt wird, die keinen Bezug zur Wirklich-
keit der Gemeinschaft der Gläubigen haben.
Al-Māwardī unterstreicht in seiner Theorie der Beaufsichtigung und Wahrung
öffentlicher Ordnung die Fokussierung der sozialen Bedingungen, weil die Über-
lieferungen, die in seiner Argumentation eine zentrale Stellung innehaben,
während der frühen Entwicklungsstadien der Rechtsschulen diesen Bedingungen
in der Praxis besonders Rechnung getragen haben. Auf diesen Tatbestand weist
Ali Dere wie folgt hin: „Weil der Ḥadīṯ sich inhaltlich vielmehr mit Details des All-
tagslebens auseinandersetzt“, liefere dieser „mehr Material als die [koranische]
Offenbarung“.69 Dere sieht das Motiv der Auseinandersetzung mit der Tradition

68 Al-Māwardī 2013, 268.


69 Ali Dere. Die Ḥadīṯanwendung bei Imām Mālik b. Anas (-179/795). Aachen: Verlag Shaker,
1994, 3.
Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 437

hauptsächlich in der Ausarbeitung rechtlicher Normen.70 Mit anderen Worten


können wir sagen, dass der Auseinandersetzung mit der Tradition rationale Ziele
zugrunde liegen, denn dort:

[…] gab es ein Zusammenlaufen von Gesetzes- und Traditionswissenschaft. Deshalb können
wir zur Zeit der Genossen und der Nachfolger keinen Unterschied zwischen dem Rechts-
gelehrten und dem Traditionarier feststellen. […] Uns sind […] Werke erhalten geblieben,
welche gleichermaßen sowohl Traditionen, Ansichten der Prophetengenossen und der
Nachfolger wie auch die eigene Meinung des Verfassers gemischt enthalten, wie es im
Muwaṭṭaʾ Māliks ganz deutlich sichtbar wird. Der Gelehrte überlieferte die Traditionen, auf
welchen seine Schlußfolgerungen [sic!] beruhten. Er war Muḥaddīṯ durch das, was er über-
lieferte, und Faqīh durch das, was er daraus schlußfolgerte [sic!].71

Al-Māwardī besitzt auch eine Kompetenz, die Dere als besonderes Kennzei-
chen der ersten drei Jahrhunderte des Islams hervorhebt.72 Demnach sei die
Praxis Muḥammads und seiner Gefährten, untereinander konstruktive Kritik auf
der Suche nach den richtigen Entscheidungen und Urteilen zu üben, noch im
Bewusstsein der damaligen Gelehrten verankert gewesen:

Eine solche Praxis der freien Meinungsäußerung beginnt […] schon mit dem Propheten.
Dieser besprach seine Entscheidungen, die außerhalb der Offenbarung gefällt wurden, mit
seinen Gefährten. Wenn diese adäquate Vorschläge machten, handelte er danach, ja mußte
[sic!] sogar die anläßlich [sic!] mancher Begebenheiten gegen ihn gerichtete Kritik hinneh-
men.73

Vielsagend ist die Vorgehensweise und Urteilsfindung al-Māwardīs in einem


konkreten Fall, in dem es um die Frage nach dem Für und Wider des Ausspio-
nierens eines Muslims geht. Hierzu überliefert al-Māwardī eine Geschichte über
den zweiten Kalifen ʿUmar, der bei Leuten eintrat, die am Trinken waren und
sie dafür kritisierte. Diese wiesen seine Kritik mit der Kritik zurück, dass Allah
ebenso das Spionieren und das unerlaubte Eintreten verboten hat.74 In seinem
Urteil erlaubt al-Māwardī nicht, dass zwecks des Verbietens des Verwerflichen die
Privatsphäre eines Menschen verletzt wird. Ist die Entscheidung al-Mārwadīs in
diesem Fall ein Widerspruch gegen den Vers 3/104 und ein Handeln nach eigener
Faҫon? Sie ist keines der beiden. Die Scharia ist für al-Māwardī zentral. Dies ist

70 Die Studie von Ali Dere beruft sich zwar auf die Hadithanwendung bei Imām Mālik b. Anas
(gest. 179/795), die Ergebnisse lassen sich jedoch auch auf al-Māwardīs Werk übertragen.
71 Ebd., 17.
72 Ebd., 35.
73 Ebd., 35.
74 Al-Māwardī 2013, 272–73.
438 Mahmoud Abdallah

beispielsweise eindeutig an seinem Urteil über jene ersichtlich, die das Siegel des
muḥtasibs fälschen. Sie sollen behandelt werden wie Münzfälscher von Dirhams
und Dinaren. Sollte die Fälschung indes mit Täuschung einhergehen, sollen sie
der Rüge und der Bestrafung zweifach unterliegen: „Als Erstes: Die Fälschung
verletzt die (Amts-)Hoheit des Sultans. Als Zweites: Die Täuschung verletzt das
Gesetz der Scharia, und dies ist das Schwerwiegendere von diesen beiden.“75 Es
sind die Praxis und der Kontext, die ausschlaggebend waren. Al-Māwardīs Denk-
system basiert auf einem anderen Zugang zu und Umgang mit den Überlieferun-
gen, denn bei ihm steht immer der Zusammenhalt der Gesellschaft und der einen
Umma an erster Stelle. Für al-Māwardī ist also die Grundsatzfrage entscheidend:
Wie bleibt die Einheit der Umma beibehalten, ohne dass die Vielfalt ausgeblen-
det wird? Al-Māwardīs umsichtiger Diskurs und seine Theoriefindung führen uns
auch eine Kritik der ‚Heiligung des Überlieferten jenseits jeglichen rationalen
Handelns‘ vor Augen.

Fazit
Wie wir sehen können, unterliegt die Auseinandersetzung der muslimischen
Gelehrsamkeit mit der Überlieferung seit jeher verbindlichen und ernstzuneh-
menden wissenschaftlichen Anforderungen, die in der gesamten Komplexität des
muslimischen Daseins ihren Niederschlag finden. Dieser Tatbestand verwundert
aber nicht weiter angesichts des Stellenwertes, den die Vorbildfunktion des Pro-
pheten und seiner Gefährten für die Gemeinschaft der Muslime einnimmt. Die
unmittelbare Nähe der Überlieferung zur praktischen Anwendung des Wissens
im Hinblick auf die Findung und Ausgestaltung rechtlicher Normen zeugt von
der besonderen Dynamik dieses wissenschaftlichen Betätigungsfeldes und nicht
zuletzt von der Relevanz für die muslimische Wirklichkeit. Dieser Bezug ist zeitlos,
da er inhaltlich und methodisch einen ethischen und für das konkrete mensch-
liche Handeln reflexiven Rahmen bildet. Das rationale Reflektieren der Schrift ist
somit von elementarer Relevanz für die Orthopraxie eines muḥtasibs. Sie stellt
den Mittelpunkt der ḥisba dar, wie al-Māwardī sie für ein pluralistisches und ord-
nungspolitisch eingerichtetes Gemeinwesen konzipiert. Al-Māwardīs Anwendung
des Wissens aus der Überlieferungsschrift führte ihn zu einem Konzept, welches
oberflächliches und blindes Nachahmen vermeidet. Der zentrale Bezugspunkt
dieses Konzepts ist der Mensch, al-insān, als Mittelpunkt der heiligen Grundsätze

75 Al-Māwardī 2013, 273–75.


Wettstreit um öffentliche Ordnung im Islam 439

der Scharia, ebenso sein soziales Verhalten und richtiges Handeln innerhalb der
Umma, und nicht zuletzt das Zusteuern auf seine Begegnung mit seinem Schöp-
fer. Eine solche, korrekt angewandte Orthopraxie bietet die Möglichkeit sich
durch moralische und ästhetische Höchstleistung in praktischem Handeln und
verfeinerten Verhaltensweisen dem Ideal der Wirkungsmacht der Offenbarungs-
schrift anzunähern.
Seine offensichtlich enorme Kompetenz als Rechtsgelehrter und seine vielfäl-
tigen politisch-theoretischen Leitgedanken kommen freilich in besonderer Weise
in seiner Fähigkeit zum Ausdruck, die Scharia mittels Abstraktion zur Geltung zu
bringen. Wie anhand seiner Aḥkām al-ḥisba zu sehen ist, gelingt es al-Māwardī,
die Autorität der ḥisba wirkungsvoll und begründet zu delegieren. Somit erfüllt er
den Anspruch „not to formulate and interpret the doctrine of khilafa, but to har-
monize an existing historical-political situation with the Sharīʿa by interpreting
Qurʾān, Sunna and Hadith in the light of political reality”.76 Die Bewahrung der
Einheit der muslimischen Gemeinschaft ist zweifellos ein wesentliches Anliegen
und eine der Hauptmotivationen al-Māwardīs gewesen, was ihn letztendlich dazu
verleitete, das hier behandelte Werk zu verfassen. Nichtsdestotrotz zeugen die
Befunde über die ḥisba von al-Māwardī als einem Staatstheoretiker, der sich der
universalen Bedeutung des Überlieferten und der Auswirkungen der ḥisba auf
das Individuum und die Gesellschaft vollauf bewusst war. Obwohl uns mehrere
Zeitalter von der Gegenwart al-Māwardīs trennen, scheinen die Perspektive und
die Methodologie seiner Befunde von Bedeutung für unsere heutige Zeit zu sein.
Er bietet ein Exempel eigenständiger Abstimmung und Interpretation der Über-
lieferungen an, welches eine Brücke zwischen den frühesten Generationen und
einem in vielerlei Hinsicht komplexeren Dasein in der heutigen Zeit schlägt.

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76 Rosenthal 1962, 28.


440 Mahmoud Abdallah

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IV S
 ufi Traditionen
David Burrell
Rationality of Faith for al-Ghazālī
My own love affair with al-Ghazālī, and his unique way of displaying the role of
reason in explicating a faith-commitment, stems from Timothy Winter’s assigning
me to translate the central book of his magnum opus: Iḥyā’ ‘Ulūm al-Dīn, (Kiāab
al-Tawḥīd wa’l-Tawakkul) under the title of Faith in Divine Unity and Trust in Divine
Providence, Book XXXV of the Revival of the Religious Sciences (Iḥyā’ ‘Ulūm al-Dīn,
Louisville, KY: Fons Vitae, 2001). I was as fascinated with his Arabic as I was by
the subject itself – one of the final Sufi stations on the path to God. So when Maha
Kaisy-Friemuth asked me to explore this central feature of Muslim faith under the
rubric of ‘rationality’ the challenge proved too subverting to resist: to show how
so faith-centered an orientation is in fact the height of ‘rationality’ for a faith-tra-
dition. For if everything comes from the creator, then a radical trust in God’s prov-
idential care will be utterly in order, hence eminently ‘rational’.
So let me now give way to my friend and editor, Marry Budde Ragan for a
summary of Ghazālī’s central work on the subject. The task of Abū Ḥāmid
al-Ghazālī’s Faith in Divine Unity and Trust in Divine Providence: is to articulate
for a Muslim that “faith is rooted in trust and must needs be expressed in a life
of trust”, that is, “primacy is given to practice” yet always guided by reason (xii).
Central to this assertion of trust and practice of faith is the belief in the shahāda:
“There is no god but God”, which “orients one entire life to God” as that from
which everything comes – “there is no agent but God” (xiii). Thus, crucial to
understanding the heart of Islam is the primacy of God’s unity as the “sole agent”,
that is, all of creation originated in God and depends upon God for existing (xiii).
Ghazālī attends to this issue of divine agency and its particular relation to human
agency and freedom within the first part of this treatise by addressing the connec-
tions between knowledge, power, and the will. But what about human freedom?
Have we not exalted God’s sovereign freedom, as the only agent there is, to the
inevitable detriment of human initiative?” However, Ghazālī offers a “remedy” of
sorts by conceiving of this “founding and sustaining relationship” between God
and human beings through trust and expressed through practice (xvii), for his
intent was to “help believers to recognize that theirs is a unique perspective on the
universe: each thing is related in its very existence to the One from whom it freely
comes” (xvii). In the second part of this treatise, Ghazālī attends to the notion of
divine providence whereas God as a benevolent and gratuitous Creator is remem-
bered in the Sufi stories (xvii, xviii, xix). What becomes critical in this exercise is
the deconstruction of the emanation scheme (Avicenna) which diverts philoso-
phers’ attention to “possibilities”; whereas Ghazālī insists upon the “primacy of

https://doi.org/10.1515/9783110588576-021
446 David Burrell

the actual over the possible” through his articulation of trust in divine providence
(xviii-xix). Again, trust is expressed through practice and orientation of one’s life
in accordance with the ordering of creation; in this way, practice and orientation
entail “rightly responding to events as they happen, in such a way, that the true
ordering of things, the divine decree, can be made manifest in one’s actions-as-
responses” (xxiii).
In the first part of this work, “Explicating the Nature of Faith in Divine Unity
(tawḥīd) as the Foundation of Trust in God (tawakkul),” Ghazālī brings to the fore
the centrality of knowledge and discernment in directing the will, which in turn,
“kindles [the] inner vision” of faith and trust in divine unity (28). The stages of
faith identified by Ghazālī lead the pilgrim into a deeper understanding and illu-
mination of divine unity, intensified by “a light of truth” (10), a “preoccupation”
with divine unity (13), and clarification through the “counsel of reason” (35).
Likening the stages of faith to a seed, Ghazālī emphasizes the necessity of both
knowledge and practice for penetrating through the layers of “the shell” in order
to reach the precious “oil” of faith that rightly perceives the divine unity (10–13).
While a mere profession of divine unity – “There is no god but God” – may begin
one’s response to God, faith in divine unity emerges via the inward path of the
pilgrim, who becomes “conscious of his own shortcomings” (25), attentive to the
“arousal” of the will (34–35), and oriented towards God Most High (15). Al Ghazālī
warns in his retelling of the exchange between al-Ḥawwās and his mentor,
al-Ḥallāj, consuming one’s life with only the inner activity of the self leaves the
pilgrim wanting for the full illumination of faith in divine unity (14) that comes by
“actively journeying on the path of faith” (28). This active journey of faith involves
the “freedom of choice” of the individual within the conditions of divine origi-
nation, omnipotence, unity, and rational order (36–37); yet, such enunciations
of divine unity seemingly confound human understanding and agency to which
Ghazali’s allegories of the pen, ink, and paper (16–28) and the ship, land, and
water (23) allude.
The incitement and direction of the will baffles the pilgrim’s understanding
of God, the self, and relation between the God and all of creation (19–25). Since
human beings “initiate movement as they will or remain at rest as they will, …
how can they be subservient” to the One God?” (32) Ghazālī responds to this quan-
dary by placing the individual within the very existence of God, the very activity
of God, as “the locus and channel” of the divine will, knowledge, and power (36).
While the individual experiences the will as a movement of resistance, such as an
involuntary muscle response of the eye (34), the human will is more so a “deliber-
ation and reflection” towards the good, following the lead of reason, and aligning
one’s will with source of all activity – God (34–35). As Ghazālī writes, “we call this
will (irāda) which is aroused to action by what appears good to reason ‘freedom
Rationality of Faith for al-Ghazālī 447

of choice’, as it craves the good (al-khair), by that I mean that it is [necessarily]


aroused by what appears to reason to be good for it, which is the very source of
this willing” (34). As Ghazālī’s analogies to the thrusting of a sword or blinking
of the eyelids reveals, “freedom of choice” occurs within constraints, within the
parameters, as it were, of divine unity and “must be aligned with the intention
(ma’na) expressed by the divine decree” (37).

Diverse Dimensions of Agency


Responding to the perplexing question of human agency in the midst of divine
omnipotence and unity, Ghazālī suggests that our understanding of agency is
limited by a single definition that attributes agency as origination to God meta-
phorically, while placing agency in this regard within the realm of human deter-
mination and action (40, 43). However, Ghazālī proffers two meanings for agent:
“God Most High is agent [as] … the originator” while “a human being is agent [as] …
the locus in which power is created after will has been created after knowledge has
been created, so that power depends on will, and action is linked to power, as a
conditioned to its condition” (40). In this sense, the human being is an agent “in
the manner in which [it] expresses the fact of its dependency” on God (40). Only
God originates and actualizes; thus, God is the only agent, that in which everything
has “truth and reality”, and that which is “Living and Subsisting” essentially (44).
According to Ghazālī’s argument, Living and Subsisting is precisely the omnip-
otent power and action of God; thus, God is necessarily omnipotent and that in
which all of creation subsists (44, 46). If God were not omnipotent, God “would
be impotent, thereby contradicting the nature of divinity” (46). So n much for the
central feature of Muslim faith – tawḥīd – of which little can be said.
In the second part entitled, “States of Trust in Divine Providence with Accom-
panying Practices,” Ghazālī employs practical life experiences and stories, involv-
ing planning (62–65), saving (103), material and bodily sustenance (69–94),
renunciation (110), and attachment to possessions (112) as a means of accessing
and understanding divine providence and orienting one’s trusting response. Ine-
luctably bound to divine unity is divine providence for “there is no power or might
except God’s” as “there is no agent but God” (65, 55). God Most High creates and
sustains all of creation as “the eternal omnipotence that moves one to action” (59)
and as the Creator who “arranges for human beings [what] is best for them” (82).
Thus, trust in the One precedes and shapes all planning, saving, renunciation,
and attachments (62) for trusting itself is gratuitous gift of God. As gift, trusting
implies contentment and acceptance of ways in which God sustains and “fulfills
448 David Burrell

what He has guaranteed”, as Ghazālī writes, “For He is the one who guarantees
sustenance to all who are content by those means which He arranges in a just
fashion” (96). Thus, one may have little or abundance, sickness or health; yet, one
trusts in divine providence knowing that God is sustenance itself and that “a con-
dition of trust in God is to suffer and to endure patiently as God Most High: choose
Him alone for your defender” (106). However, such trust does not render human
beings as non-agents, or powerless, “who forego provision for the body and keep
the heart from planning and collapse on the ground like someone feeble-minded
by the roadside,” but rather, to trust in God is to realize that “no planning or activ-
ity can take place at all without such trust” (62).
Ghazālī likens this trust in divine providence and divine unity to a child’s
trust in his mother, which is not merely as one who provides for the child’s every
physical need, but is a relationship based upon a loving orientation towards one’s
refuge and strength (58). “Whoever gives his attention to God – reflects upon Him
and relies on Him sets his heart on Him (lit., falls in love with Him) as the child set
his heart on his mother” (58) for the child knows that his mother “is looking for
him whether he screams for her or not” (59) for a mother will not forsake her child.
Within the context of this loving dependency, trust becomes the relationship
itself, as “this trusting person, [this child], has already become totally absorbed
by his trusting … for there is no room in his heart for anyone other than the one in
whom [he] puts [his] trust” (58).
And if such trust strikes us as the very antithesis of ‘rationality’ it can also
lead us to realize how our life of inquiry relies more on trust than on suspicion,
whose ‘masters’ have not served our generation that well. So we see how a study
of tawakkul in the Islamic tradition can illustrate how philosophical accounts
attempting to relate human to divine freedom; or more properly, created to uncre-
ated free action, can offer a richly contested archive. We have noted how the Kitāb
al-Tawḥīd wa’ l-Tawakkul plays an axial role among the other books in the Iḥyā’.
For tawḥīd, or ‘faith in divine unity,’ sounds the distinctive note of Islam which
grounds everything Muslims believe in the shahāda: ‘There is no god but God.’
Islamic reflection on tawḥīd is reminiscent of rabbinic commentary on divine
unity as evidenced in the shema: ‘Hear, 0 Israel, the Lord our God, the Lord is One’
(Deuteronomy 6:4). It is hardly at issue that God be one rather than many; it rather
points directly to the injunction against idolatry: all Israelites know thereby that
they must orient their entire lives to God – through the Torah, to be sure – and
nowhere else. So a philo­sophical argument culminating in the assertion that God
is one would hardly interest the rabbis, nor would it. For what is at issue is not the
unity itself, but the implications of the community’s faith in divine unity. Yet that
cannot be a blind faith, so what is being asserted? That everything comes from
God and that ‘there is no agent but God.’
Rationality of Faith for al-Ghazālī 449

In assessing degrees of assent to this shahāda shahāda, Ghazālī notes: ‘The


third kind [of believer] professes faith in divine unity in the sense that he sees
but a single agent, since truth is revealed to him as it is in itself; and he only sees
in reality a single agent, since reality has revealed itself to him as it is in itself
because he has set his heart on determining to comprehend the word ’reality ’
(ḥaqiqa), and this stage belongs to lay folk as well as theologians’ (11). He sketches
out the two-part structure of the book by way of showing how tawakkul – trust in
divine providence –is grounded in an articulate tawḥīd, as practice is anchored in
faith, or state [of being] in knowledge. In doing so, he is even more insistent: this
first part will consist in showing you that there is no agent but God the Most High:
of all that exists in creation: sustenance given or withheld, life or death, riches or
poverty, and everything else that can be named, the sole one who initiated and
originated it all is God Most High. And when this has been made clear to you,
you will not see anything else, so that your fear will be of Him, your hope in Him,
your trust in Him, and your security with Him, for He is the sole agent without
any other. Everything else is in His service, for not even the smallest atom in the
worlds of heaven and earth is independent of Him for its movement. If the gates
of mystical insight were opened to you, this would be clear to you with a clarity
more perfect than ordinary vision (15–16).
These last words are telling, and signal Ghazālī’s ‘method’ in the first section
elaborating faith in divine unity. There is no attempt to show how everything-
that-is emanates from the creator; that would be beyond the capacity of our
intellect to grasp. And should we try, we would invariably end up ar­ticulating
something like Ibn Sīnā’s emanation scheme, modeled on logical inference so
amounting to a twin de­nial of divine and of human freedom.1 Indeed, when
Ghazālī tries to articulate what he attributes to mystical insight, it sounds uncan-
nily like Ibn Sīnā, though he begins with a characteristic verse from the Qur’an:
‘we did not create heaven and earth and what lies between them in jest; we did not
create them but in truth’ (44:38–39):

Now all that is between heaven and earth comes forth in a necessary order that is true and
consequent, and it is inconceivable that it be otherwise than the way it comes forth, accord-
ing to this order which exists. For a consequent only follows because it awaits its condition;
for a conditioned before a condition would be absurd, and absurdity cannot be ascribed to
the being of an object of divine omnipotence. So knowledge [can be said to] follow upon
sperm only if one supplies the condition of a living thing, and the will which comes after
knowledge (can be said to) follow upon sperm only if the condition of knowledge be sup-

1 For a sketch of that model, see my Knowing the Unknowable God, Notre Dame IN: University of
Notre Dame Press, 1986.
450 David Burrell

plied as well. All of this offers a way of necessity and the order of truth. There is no room
for play or chance in any of this; everything has its rationale and order. Understanding this
is difficult … (40).

So he will offer images to move us away from a literal ac­ceptance of the Avicen-
na-like scheme, for in such matters human reason can at best offer models; yet
neither mode of apperception is privileged for Ghazālī. The images offered by the
Qur’an, however, will certainly take precedence.
But what about human freedom? Have we not exalted God’s sovereign
freedom, as the only agent there is, to the inevitable detriment of human initi-
ative? It certainly ap­pears that the intent of Ghazālī’s images is to take us by the
hand and lead us on, in hopes that we

may come to understand the emanation of things so ordained (muqaddarāt) from the
eternal omnipotence, even though the omnipotent One is eternal and the things ordained
(maqdurāt) tempo­ral. But this [train of thought] knocks on another door, to another world
of the worlds of unveiling. So let us leave all that, since our aim is to offer counsel regarding
the way to faith in divine unity in practice: that the true agent is One, that He is the subject
of our fear and our hope, and the One in whom we trust and depend (41–42).

These gnomic words will be somewhat clarified in the text itself, but he also wants
to show us that the test of our understanding of divine unity will not come by way
of clever philosophical schemes but through a life of trust (tawakkul), in which
concerted practice will bring each of us personally to the threshold of the only
understanding possible here, that of ‘unveiling.’2 Yet some clarifications can be
made; reason can offer some therapeutic hints to attenuate the apparent scandal.

He introduces a typically Muslim objection:


How can there be any common ground between faith in divine unity and the sharī’a (reli-
gious law)? For the meaning of faith in divine unity is that there is no god but God Most
High, and the meaning of the law lies in establishing the actions proper to human beings [as
servants of God]. And if human be­ings are agents, how is it that God Most High is an agent?
Or if God Most High is an agent, how is a human being an agent? There is no way of under-
standing ’acting’ as be­tween these two agents. In response, I would say: indeed, there can
be no understanding when there is but one mean­ing for ’agent.’ But if it had two meanings,
then the term comprehended could be attributed to each of them without contradiction,
as when it is said that the emir killed someone, and also said that the executioner killed
him; in one sense, the emir is the killer and in another sense, the execu­tioner. Similarly, a

2 This progression is reminiscent of his autobiographical sketch, the Munqidh min al-ḍalāl (Eng-
lish translation by R. J. McCarthy, Free­dom and Fulfillment. Boston: Twayne, 1980; Louisville:
Fons Vitae, 2000.
Rationality of Faith for al-Ghazālī 451

human being is an agent in one sense, and God – Great and Glorious – is an agent in another.
The sense in which God Most High is agent is that He is the originator3 of existing things
(al-mukhtari’ al-mawjūd), while the sense in which a human being is an agent is that he is
the locus (maḥal) in which power is created after will has been created, and that after knowl-
edge had been cre­ated, so that power depends on will, and movement is linked to power, as
a conditioned to its condition. But depend­ing on the power of God is like the dependence
of effect on cause, and of the originated on the originator. So every thing which depends
on a power in such a way as it is the locus of the power is called ’agent’ in a manner which
expresses that fact of its dependence, much as the executioner can be called ’killer’ and the
emir a killer, since the killing depends on the power of both of them, yet in different re­spects.
In that way both of them are called ’killer’, and similarly, the things ordained (maqrurāt)
depend on two powers’ (43).

He goes on to note how the Qur’an often attributes agency both to God and to crea-
tures, showing that revela­tion acknowledges and exploits the inherently analo-
gous character of agency as exhibited in the multiple uses of the term ‘agent’. This
small clue offers us the best way of pre­senting Ghazālī’s intent and his strategy to
contemporary readers. What he wanted to do was to help believers to recognize
that theirs is a unique perspective on the universe: each thing is related in its very
existence to the one from whom it freely comes. (As Aquinas will put it: ‘the very
existence of creatures is to be related to their creator’ [ST 1.45.3]). Yet since we
cannot articulate this founding and sustaining relationship conceptually, for to
do so would tres­pass on divine freedom, we can only display our understanding
by the way we live our life: trusting in the One who so sustains us.
To the recurring objection that all this amounts to coercion (jabr­) on the part
of God, he replies:

This has to do with the divine decree (qadar),4 intimations of which we saw with respect to
the faith in divine unity which brings about the state of trust in divine providence, and is
only perfected by faith in the benevolence and wisdom [of God]. And if faith in divine unity
brings about insight into the effects of causes, abundant faith in benevolence is what brings
about confidence in the effects of the causes, and the state of trust in divine providence
will only be perfected, as I shall relate, by confidence in the trustworthy One (wakīl) and
tranquility of heart towards the benevolent oversight of the [divine] sponsor. For this faith
is indeed an exalted chapter in the chapters of faith, and the stories about it from the path of
those experiencing the unveiling go on at length …. He enhanced knowledge, wisdom, and

3 This term is not Qur’anic nor is it a name of God; cf. L.P. Fitzgerald, Creation in al-Tafsīr al-Kabīr
of Fakhr ad-Dīn al-Rāzī (Ph.D. disser­tation), Australian National University, 1992, 34.
4 William Chittick proposes that we render qadar as ‘the measuring out,’ and with respect
to human understanding, the ‘mystery of the measuring out’- see Faith and Practice in Islam
(Albany: State Uni­versity of New York Press, 1992) 21, 189, 213.
452 David Burrell

reason in a great number of [Sufi sheikhs], and then unveiled for them the effects of things
(al-’awāqil al-amūr), apprising them of the secrets of the intelligible world, teaching them
the subtleties of speech and the hidden springs of punishment, to the point where they were
thus informed regarding what is good or evil, useful or harmful’ (47–48).

This summary offers a springboard to part two of the book, which relates one Sufi
story after another, while judi­ciously selecting them and weaving them into a
pattern that allows persons to discriminate in making subtle decisions regarding
the way they lead their lives aware of God’s be­nevolent care, exhibiting the sorts
of choices they make in typical situations. If Ghazālī closes the first part with
what looks like a backward-looking conceptual reminder, he opens the way to an
entirely different mode of consider­ation in part two:

Indeed, all this happens according to a necessary and true order, according to what is
appropriate as it is appropriate, and in the measure proper to it; nor is anything more fitting,
more perfect, and more attractive within the realm of possibility.12 For if something were to
exist and remind one of the sheer omnipotence [of God] and not of the good things accom-
plished by His action, that would utterly contradict [God’s] generosity, and be an injustice
contrary to the Just One.5 And if God were not omnipotent, He would be impotent, thereby
contradicting the nature of divinity’ (45).

Yet omnipotence cannot be the last word; generosity is a more operative one, for
it modifies God’s omnipotence in the direction of a benevolent creator. The up-
shot of tawḥīd, then, must be the believer’s profound conviction ‘of the unaltera-
ble justice and excellence of things as they are …, of the ‘perfect right­ness of the
actual’.’6
Eric Ormsby sees this conviction as the result of ten years of seclusion and
prayer following Ghazālī’s spiri­tual crisis. By ‘the actual’ he means what God has
decreed, itself the product and reflection of divine wisdom. And by asserting the
primacy of the actual over the pos­sible, Ghazālī shows himself a true theologian.
Contin­gency, for philosophers, tends to focus on the logical fact that ‘whatever
exists could always be other than it is’. Yet while it may be ‘logically correct

5 Al-`Adl [Just] is a name of God (cf. 99 Beautiful Names, 92–96), and the following expression
`omnipotent’ is derived from the name al-Qddir,(Ibid., 131–32).
6 This is Ghazālī’s celebrated claim regarding the universe-that is it ‘the best possible,’ a claim
whose reception has been examined in detail by Eric Ormsby, Theodicy in Islamic Thought.
Princeton NJ: Princeton University Press, 1984, and revisited in his contribution to God and Cre-
ation, edited by David Burrell and Bernard McGinn, Notre Dame IN: University of Notre Dame
Press, 1990: ‘Creation in Time in Islamic Thought with Special Reference to al-Ghazali.’ See also
Richard Frank, Creation. (note 7), 60–61.
Rationality of Faith for al-Ghazālī 453

and permissible to affirm that our world could be different than it is, it is not
theo­logically correct and permissible – indeed, it is impious – to assert that our
world could be better than it is. The world in all its circumstances remains unim-
peachably right and just, and it is unsurpassably excellent’.7 Yet the excel­lence
in question is not one which we can assess indepen­dently of the fact that it is the
product of divine wisdom, so Ghazālī is not asserting that ours is the ‘best of all
possible worlds’, as though there were a set of such worlds ‘each of which might
be ranked in terms of some intrinsic excel­lence’. Such an assertion would miss
the point of Ghazālī’s quest: to find ways of expressing that relation of creator to
creatures which quite resists formulation. The deconstructive moment had been
his rejection of the ema­nation scheme; the constructive task is taken up in this
twin discourse on faith in divine unity and trust in divine providence, but espe-
cially in this second part where prac­tice will allow us to traverse domains which
speculative reason cannot otherwise map.
But what sort of a practice is tawakkul: trust in divine provi­dence? It entails
accepting whatever happens as part of the inscrutable decree of a just and mer-
ciful God. Yet such an action cannot be reduced to mere resignation, and so cari­
catured as ‘Islamic fatalism.’ It rather entails aligning oneself with things as they
really are: in Ghazālī’s sense, with the truth that there is no agent but God Most
High. This requires effort since we cannot formulate the relationship between
this single divine agent and the other agents which we know, and also because
our ordinary perspective on things is not a true one: human society lives under
the sign of jāhiliyya or pervasive ignorance. Nor can this effort be solely intellec-
tual; that is, I cannot learn ‘the truth’ in such a way as to align myself with it,
in the time-honored fashion in which speculative reason is supposed to illumi­
nate practical judgment. For this all-important relationship resists formulation.
Nevertheless, by trying our best to act according to the conviction that the divine
decree expresses the truth in events as they unfold, we can allow ourselves to be
shown how things truly lie. So faith (tawḥīd) and prac­tice (tawakkul) are recipro-
cal; neither is foundational. The understanding we can have is that of one jour-
neying in faith, a sālik, the name which Sufis characteristically appropri­ated for
themselves.
There are stages of trust in divine providence, to be sure, which Ghazālī cat-
alogues as (1) the heart’s relying on the trustworthy One (wakīl) alone, (2) a trust
like that of a child in its mother, where the focus is less on the trust involved than
on the person’s orientation to the one in whom they trust; and (3) the notorious

7 Ormsby, ‘Creation in Time ...,’ 256, quoting from his own Theodicy..., 32–91. Also see Ormsby,
‘Creation in Time...,’ 257.
454 David Burrell

likeness of a corpse in the hands of its washers, where the relevant point is that
such trust moves one quite beyond petition of any sort (58–60). Yet the opera­tive
factor is present already in the initial stage, which is not surpassed but only deep-
ened by subsequent stages: trust­ing in the One alone. The formula for faith here is
the hadith: ‘There is no might and power but in God,’ which Ghazālī shows to be
equivalent to the Qur’anic shahādah: There is no god but God, thereby reminding
us that the hadith does not enjoin us to trust in power or might, as attributes dis­
tinct from God, but in God alone. It is in this context that he selects stories of Sufi
sheikhs, offering them as examples to help point us towards developing specific
skills of trust­ing: habits of responding to different situations in such a way that
one learns by acting how things are truly ordered, the truth of the decree. The
principle operative throughout is that a policy of complete renunciation of means
(asbāb) is contrary to divine wisdom, the sunna Allah, but those who journey in
faith will be cognizant that there are differ­ent kinds of means, as they become
aware of hidden as well as manifest ones.
The situations which he canvasses begin with the daily question of suste-
nance: should one seek it by working for it, or ought one wait for it to come to him
or her? At issue here is a practice of some Sufis to sequester themselves in a mosque
in prayer while relying on the generosity of the faithful, as well as more dramatic
adventures of journeying into the desert without provisions. Ghazālī notes with
ap­proval that when the illustrious al-Ḥawwās undertook such journeys, he never
left home without four items: a pot, a rope, scissors, and a needle and thread. For
while he was convinced that God would provide for him on his journey, he real-
ized that, according to the sunna of Allah, water would not be found on the surface
of the desert (hence the pot and the rope), and should his sole tunic rip he would
not be likely to run across a tailor (hence the scissors, needle and thread: ‘lest
his nakedness be exposed’[76]). He also notes that judiciousness in such matters
will differ considerably whether one be a single person or a householder. Other
situations which involve a judicious practice of trust in divine providence include
saving, repelling injury or resisting danger, our response to theft of our property,
and the manner in which we relate to illness: ought one or may one simply dis-
pense with all treatment? May we conceal the fact that we are ill from those who
care for us, or must we disclose it? Here especially he strives for a sane ‘middle
way’: dispensing with treatment cannot be said always to be the ‘better way’ for
those who trust in God’s providence.
The bevy of stories which Ghazālī mines offer living examples of the attitude
proper to one who firmly believes in divine unity, namely, a total trust in God’s
providential care. He uses them to offer one object lesson after another of a way
to take esoteric Sufi lore and allow it to inspire one’s practice, as in the following:
Rationality of Faith for al-Ghazālī 455

Should you say that it has been said of certain ones that a lion put his paws on their shoul-
ders without their being agitated, I would respond: It is said about certain ones that they
ride lions and make them subservient, but there is no need to deceive yourselves about that
station.8 For even if it were authentic in itself, it would hardly be healthy to imitate a path
which one learns about from someone else. That station is marked by an abundance of
miracles and is certainly not a condition for trusting in God; it is rather replete with secrets
which cannot be divined by those who have not attained it. You might also say: What are the
signs by which I could know that I had attained it? I would respond: One who attains it does
not need to look for signs. However, one of the signs of that station does in fact precede it:
that a dog become sub­ject to you, a dog which is always with you, indeed inside your skin,
named Anger [or Resentment]. [Normally] it does not stop biting you and biting others. But
if this dog becomes subservient to you, to the extent that when it becomes agitated and
irritated it will be subject to you instan­taneously, then your standing will be enhanced to
the point where a lion, the very king of beasts, will be subject to you. It is more appropriate
that the dog in your house be subject to you than a dog in the desert; but it is even more
appro­priate that the dog inside your skin be subject to you than the dog in your house For
if the dog within is not subject to you, how can you hope to make the dog outside subject
to you’ (115)?

So there is a school whereby we learn how to respond to what happens in such


a way that we are shown how things are truly ordered. This school will involve
learning from others who are more practiced in responding rightly; Ghazālī’s judi-
cious use of stories is intended to intimate the Sufi practice of master/disciple
wherein the novice is helped to discern how to act. Philosophy is no longer iden­
tified as a higher wisdom; speculative reason is wholly subject to practical reason,
but that is simply the inevitable implication of replacing the emanation scheme
with an in­tentional creator.9
So the challenge of understanding the relation of the free creator to the universe
becomes the task of rightly responding to events as they happen, in such a way
that the true ordering of things, the divine decree, can be made manifest in one’s
actions as responses. Ghazālī expresses this relationship between speculative
and practi­cal reason by noting that we need to call upon both knowl­edge and
state [of being] in guiding our actions according to a wholehearted trust in God.
What he wishes to convey by those terms in tandem is an awareness of the very
struc­ture of the book itself: when put into practice, the knowl­edge which faith in
divine unity brings can lead one to an habitual capacity to align one’s otherwise

8 Such stories are legion; see Qushayrī, Risāla 166, 13–14; Ansari, Sharh ar-Risdla al-Qushayriya
4, 173.
9 See my ‘Why Not Pursue the Metaphor of Artisan and View God’s Knowledge as Practical?’ in
Lenn E. Goodman, ed., Neoplatonism and Jewish Thought. Albany: State University of New York
Press, 192 207–16.
456 David Burrell

errant responses to situation after situation according to that faith. In short, what
Ghazālī terms a state, relying here on a Sufi anthro­pology, would be more familiar
to western readers as Aristotle’s stable ‘second nature’ of virtue.
It is tied, however, not to the Hellenic paradigm of ‘the magnanimous
man’ but to a Quranic faith. This is also evident in his treatise on the names
of God, for it is the ninetynine names culled from the Qur’an, names by which
God reveals the many ‘faces’ of the divine, which offer a composite picture for
human perfection. If we take names to identify attributes, then that book can
be read in two dis­tinct, yet related, ways: as a condensed summary of Is­lamic
theology and as offering a revealed counterpart to Aristotle’s Ethics. Perhaps
enough has been said so far to begin to make my case for Ghazālī as an Islamic
theolo­gian, in the normative and not merely descriptive sense of that term. If he
tends to resolve to mystical insight in places where philosophers would prefer
conceptual schemes, one ought to acknowledge that he is thereby suggesting
that certain domains quite outstrip human conceptualizing. Yet more signifi-
cant, however, is that everything he says about practice can be carried out quite
independently of such ‘mystical insight,’ as indeed it must be for the vast major­
ity of faithful.
Jean-Pierre de Caussade: On abandoning oneself to divine providence
The title of a recent English translation of Jean-Pierre de Caussade’s L’Aban-
don a la providence divine (1741) by Kitty Muggeridge, The Sacrament of the
Present Moment (1982), displays something of the work’s metaphysical import,
recalling (from Augustine’s Confessions) how the reality of the present moment
both eludes us and furnishes our vital connection with the creator. In this vein,
it offers a remarkable parallel to Ghazālī’s treatise, though in a quite differ-
ent idiom and context of faith. De Caussade was a Jesuit priest, professor, and
spiritual director for Visitation nuns in Nancy from 1729 to 1739. These women
transcribed his conferences so as to display something of the verve and intensity
with which he delivered them. In the context, he had to distinguish his teaching
from a pervading ‘quietist’ ethos which eschewed action in favor of a receptive
faith in God’s presence and action in the lives of believers. Yet as we shall see,
that very strategy suffuses his orienting talks and admonitions to the sisters, so
we can only surmise that what distinguished him was the judicious manner in
which he approached these delicate issues. Delicate, because they involve inter-
action between divine and human freedom, so inevitably incorporate one’s sense
of the ineffable relation between free creator and free creatures. He had taught
Greek, Latin, and philosophy before attaining a doctorate in theology at the Uni-
versity of Toulouse in 1708, and served as director of theological students in the
Jesuit house in Toulouse for the last five years of his life of 76 years. So the heart-
felt and sustained teaching this small book delivers presumes an intellectual
Rationality of Faith for al-Ghazālī 457

infrastructure it seldom reveals, which may also explain how its has endured as
a classic of the life of the spirit.
In a comparative spirit, let us note the way Ghazālī grounds tawakkul in faith:

If you assert in your soul, either by way of unveiling or by a decisive conviction, that there
is no agent but God, as we have insisted; and you are convinced along with that of the per-
fection of [His] knowledge and power to meet all the needs of human beings, and then of
the perfection of [His] solicitude, sympathy and lovingkindness towards human beings as
a whole and individually – and that no power surpasses the reach of His power, no knowl-
edge the range of His knowledge, nor does any solicitude of lovingkindness exceed what He
has for you – then entrust our heart without hesitation to Him alone, without inclining at
all to anything other than Him, nor to one’s own self, one’s own might or strength (55–56).

As we expound de Caussade, this very quality of faith will continually emerge,


implicitly and explicitly, in his confident direction, while the constant recurrence
of ‘surrender’ cannot but remind one of customary readings of the term ‘Islam’ as
‘submission’.
‘Living by faith and the instinct of faith is the same thing. It is joy in God’s
goodness and trust founded on the hope of his protection; a faith which delights
in an accepts everything with good grace’ (23). This expresses the leitmotif of de
Caussade’s guide to living by faith.

The object of faith [is] to discover God in [the ordinary tasks of life]; to follow and surren-
der to him is its exercise. … How otherwise can this divine unity, this spiritual essence, be
expressed? How can its nature and meaning be truly conveyed (27–28)?

That is to say, such perfect trust (or tawakkul) can only be grounded in faith in
the all-pervasive activity of the one creator (or tawḥīd). Yet as we might expect, de
Caussade finds the quality of perfect trust he presents confirming a triune God:
‘How [otherwise] can the concept of three in one [be] illumined’ (28)? Yet what
links them both is the claim that a faith which outreaches human understanding,
and finding different expression in each case, will be confirmed in an inexhaust-
ible trust:

To long to be the subject and instrument of divine action and to believe that it operates in
each moment and in all things in so far as it finds more or less good will – this is he faith I
am preaching (31).

Yet like the faith itself, the ways God directs believers will defy human calculation:

He knows, too, that you do not know what is for your good and makes it his business to
provide it, little caring whether you like it or not. You are going East, he will turn you to
458 David Burrell

the West. You are set on a fair course, he turns the rudder and sends you back to harbor.
Without either compass or map, your voyage is always successful (34).

Hearers of the Qur’an will be reminded of Moses’ celebrated encounter with ‘the
Lord’s servant,’ who kept subverting Moses’ plans, only to remind him of the dis-
asters which he would have met in each case, had he prevailed on his original
course (18:60–82). Moreover, de Caussade likens those schooled by surrender to
such an apparently contrary guide to ‘a musician who combines long practice
with a perfect understanding of music’, whose compositions ‘conformed perfectly
to the conventions [yet] he was most successful when working unhampered by
them – so much so, that connoisseurs would hail his impromptus as master-
pieces’ (38). So too with those ‘acting on intuition and faith in all things: … all
they have to do is to act as though by chance, trusting only to the power of grace
which can never be wrong’ (39). In short, their mode of acting in consonance
with their faith in the presence of their creator, offers a created imitation of the
spontaneity of a creator whose wisdom can never be compared to a plan, whose
intelligence defies design.
Yet living in this ways cannot but defy as well our own conceptions of right
and wrong:

The point must be reached where the whole of creation counts for nothing and God for
everything. This is the reason why God opposes all our personal inclinations and ideas.
No sooner do we form our own ideas … or whatever designs we may have or advice we may
take, God disconcerts all our plans and instead permits us to find in them only confusion,
trouble, vanity and folly (51).

Yet once freed of the preoccupation of guiding our own life,

what we do though grace, and what grace accomplishes in us, requires nothing more than
surrender or assent. … It is enough, then, for us to know what we must do, and this is the
easiest thing in the world. It is to love God as the mighty all in all, to rejoice in him and to
fulfill our duty conscientiously and wisely (52).

We find here echoes of Ghazālī’s insistence that ‘there is no agent but God Most
High,’ as well as his carefully distancing himself from a prevailing ‘quietism’ by
knowing what it is for us to do and doing it.
But how to find the secret of ‘belonging to God’ in this way?

There is none, unless it be to take advantages of every opportunity. Everything leads to


union with him; … only take things as hey come without interfering. Everything guides,
purifies, and sustains you, carrying you along, so to speak, under God’s banner by whose
hand earth, air and water are made divine. His power is vaster and more immense than all
Rationality of Faith for al-Ghazālī 459

the elements. … His Holy Spirit pervades every atom in your body, to the very marrow of
your bones (72). … Without knowing it, all are instruments of that spirit to bring the message
freshly to the world (73). … This is what the book of life is about …. In it will be written
down every thought, word, deed and suffering of all souls. And that scripture will then be a
complete record of divine action (74), [a] divine action [which] arranges it all miraculously,
[providing] each moment with its appropriate purpose, and the pure of heart, uplifted by
faith, find everything good and wish for neither more nor less than what they have. They
continually bless that divine hand which pours its living water over them; they treat their
friends and enemies alike with the same gentleness, since it was Jesus’ way to treat every-
one as divine (87).

Clear references to Jesus and the Holy Spirit are reinforced by biblical imagery of
‘living water,’ while the entire thematic echoes Ghazālī’s insistence that ‘all this
happens according to a necessary and true order, according to what is appropriate
as it is appropriate, and in the measure proper to it; nor is anything more fitting,
more perfect, and more attractive within the realm of possibility’. This conviction
is identified by Ormsby: ‘the world in all its circumstances remains unimpeacha-
bly right and just, and it is unsurpassably excellent’. This robust faith in a world
created freely by the one God is shared by Muslims and Christians, and while
revealed differently, each tradition shares those ‘divine names’ which remove the
benevolence of this creator-God from all human projection. Yet that conviction
and faith need to be confirmed in practice:

The more enlightened, intelligent and capable a person is, the more he is to be feared if he
does not have that fundamental goodness which consists in being contented with God and
his will. A steadfast heart unites us to divine action. Without it all is purely human nature
and usually pure contradiction to God’s order, which has not, to tell the truth, any other
instruments than the meek (90).

The ‘steadfast heart’ of which de Caussade speaks results from surrender. It is, in
fact,

the only secret of surrender, an open secret, an art without artistry. It is the straight path
which God requires everyone to follow, explains very clearly and makes very simple (99).
[It involves] going back to the beginning, the source, the origin of things, where everything
has another name, another shape; where everything is transcendental, divine, holy, where
everything is part of the bounty of Jesus Christ, where everything is a foundation stone of a
heavenly Jerusalem (102–3).

This valedictory passage builds on a ‘surrender’ which yields a ‘straight path’


back to ‘the beginning’ where all is pristine from the creator. The rich imagery
is redolent of both Christian and Muslim themes, but especially in the way it is
anchored in creation itself, as Elena Malits and I explored in Original Peace a
460 David Burrell

decade ago, showing how early Christian reflection anchored that tradition
securely in free creation, and how everything in Islam turns on that fulcrum, from
the Qur’an’s lapidary ‘God said ‘be’ and it is’ to the very coming down of that
revelation itself’.10

Moses Maimonides and the Psalmists on Trust


Many find the Hebrew psalms never cease to exalt a crushing victory of the favored
people of God over everyone else, yet they are also suffused with exhortations to
a trust in a forgiving God which over-reach boundaries of any sort. This is the
over-riding reason why Christians share the psalms with Jews as their daily diet
of prayer. A classic summary text can be found in the Septuagint rendering of
Daniel, where a searing self-examination offers a prelude to a testimonial of trust:

For your name’s sake, O Lord, do not deliver us up forever, or make void your covenant.
Do not take away your mercy from us, for the sake of Abraham, your beloved, Isaac your
servant, and Israel your holy one, To whom you promised to multiply their offspring like the
stars of heaven, or the sand on the shore of the sea. For we are reduced, O Lord, beyond any
other nation, brought low everywhere in the world this day because of our sins. We have in
our day no prince, prophet, or leader, no burnt offering, sacrifice, oblation, or incense, no
place to offer first fruits, to find favor with you. But with contrite heart and humble spirit
let us be received. As though it were burnt offerings of rams and bullocks, or thousands of
fat lambs, So let our sacrifice be in your presence today as we follow you unreservedly; for
those who trust in you cannot be put to shame (Dn 3:34–43).

This same dynamic is reflected in Solomon Ibn Gabirol’s Kingly Crown, a staple
of the Jewish liturgy, especially for Yom Kippur.11 A native of Andalusia who died
in his early thirties (c. 1058), Ibn Gabirol offers testimony a century before the
Rambam of the ways ’the thought of ancient Greece was to come to Judaism …
through the Arabs’ (Gluck Preface, 12). His Arabic prose treatise was translated
into Latin as Fons Vitae (Source of Life), which allows him to play a role in medi-
eval philosophy as ‘Avicebron’. Chapter 35 of his long poem, The Kingly Crown,
reiterates the dual themes of the Septuagint Daniel:

10 Original Peace: Restoring God’s Creations with Elena Malits, C.S.C., New York: Paulist, 1997.
11 The Kingly Crown [Keter Malkhut] tr. Bernard Lewis, wit Introduction and commentary by
Andrew Gluck. Notre Dame IN: University of Notre Dame Press, 2003.
Rationality of Faith for al-Ghazālī 461

O my God! My face falls when I remember all that I have done to offend Thee; for all the good
thou has vouchsafed to me I have repaid Thee with evil.
For Thou didst create me not of necessity, but as a bounty. Not by compulsion, but by will
and love.
Before I was, Thou didst greet me with Thy mercy, breathe spirit into me, and give me life.
And after I came forth into the air of the world, Thou didst not leave me, but like an indul-
gent father Thou didst cherish me.
As a sucking child didst thou nurse me, and at my mother’s breast didst set me securely.
With thy sweet delights Thou didst sate me, and when I came to stand Thou didst strengthen
me and se me upright.
Thou didst take me in then arms and guider me, and teach me wisdom and conduct.

This theme of acknowledging sinfulness is inextricably linked to an original mer-


ciful creator, whose caring love endures in the gift of Torah. This dimension will
be elaborated a century later in the Guide of the Perplexed. Returning to the Sep-
tuagint psalm of Daniel to note how the fruit of trust is not victory over one’s
enemies but removal of shame, Maimonides will use it to frame his conviction and
that those who trust in God can never be harmed:

if we prepare ourselves, and attain the influence of the Divine Intellect, Providence is joined
to us, and we are guarded against all evils. ‘The Lord is on my side; I will not fear; what can
man do unto me’? (Ps. 98:6) ‘Acquaint now thyself with him, and be at peace’ (Job 22:21);
i. e., turn unto Him, and you will be safe from all evil. Consider the Psalm on mishaps, and
see how the author describes that great Providence, the protection and defense from all
mishaps.12

And lest Maimonides’ reputation for granting unyielding primacy to intellect pre-
dispose us to misread these final chapters of the Guide of the Perplexed, he focuses
on the Torah:

God declares in plain words that it is the object of all religious acts to produce in man fear
of God and obedience to His word – the state of mind which we have demonstrated in this
chapter for those who desire to know the truth, as being our duty to seek. … The two objects,
love and fear of God, are acquired by two different means. The love is the result of the truths
taught in the Law, including the true knowledge of the Existence of God; whilst fear of God
is produced by the practices prescribed in the Law. (3.42).

According to the rabbis, confessing the unicity of God should bear the existential
fruit of a unyielding trust in that providence emanating from a gratuitous crea-
tion, a confession reflected later in Muslim insistence on tawḥīd: ‘faith in divine

12 Guide of the Perplexed Bk. 3, ch. 42.


462 David Burrell

unity’, which we have seen al-Ghazālī parse effectively as trust (tawakkul). So


both Christian and Muslim traditions extolling trust in God find their roots in the
biblical ‘fear and love’ elaborated by Moses ben Maimon, so can be considered
elaboration of these prior ancestral traditions, on this subject so intimately linked.
So trust in a free creator (tawakkul) becomes eminently rational, given the
One in whom we live, as testified by the interlocking testimony of Jews, Christians,
and Muslims.

Bibliography
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Cambridge: Islamic Texts Society, 2001.
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Daro Alani
Herz- und Vernunfterkenntnis in der
islamischen Mystik
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsicht-
bar.“1 Diese häufig zitierten Sätze aus dem kleinen Prinzen von Saint-Exupéry
sind einer der berühmtesten Ratschläge des Fuchses an den kleinen Prinzen. Der
Fuchs wird in vielen Kulturen gewöhnlich als Sinnbild für Schlauheit, aber auch
für Täuschung und Betrug gesehen. Man kann sich daher durchaus fragen, warum
bei St. Exupéry ausgerechnet ein Fuchs die Weisheit über Freundschaft vermittelt.
Vielleicht wird er so selbst ein Beispiel dafür, dass der erste, äußerliche Eindruck
oft täuschen kann, und nicht immer das stimmen muss, was allgemein angenom-
men wird. Will man zum Kern der Dinge vorstoßen, braucht es eine andere Aus-
einandersetzung damit; das heißt, man sollte sich nicht mit gewöhnlichen Fragen
und Antworten zufrieden geben, sondern einen Schritt tiefer oder einige Schritte
in ungewohnte Richtungen gehen.
Das Eingangszitat könnte genauso auch von Ibn ͑Arabī2 oder von anderen
Mystikern stammen, da ein wichtiges Element einer mystischen Betrachtungs-
weise gerade in dem Bewusstsein besteht, dass jede Sache unter verschiedenen
Aspekten betrachtet werden kann und sollte; es gibt bei allem eine äußerliche
(ẓāhir) und eine innerliche (bāṭin) Seite. Das Innerliche ist meist nicht augen-
scheinlich, es ist für die Augen unsichtbar, und muss auf anderem Wege betrach-
tet werden, nämlich – wie Mystiker betonen – durch das Herz. Und um dieses
„Sehen mit dem Herzen“ soll es im vorliegenden Artikel gehen. Die mystische

1 Antoine de Saint-Exupéry. Der kleine Prinz, Düsseldorf, 1985.


2 Muḥyiʾad-Dīn Abū ʿAbd Allāh Muḥammad b. ʿAlī b. Muḥammad b. al-ʿArabī al-Ḥātamī aṭ-Ṭāʾī,
auch größter Meister (Šayḫ al-akbar) genannt, wurde am 7. August 1165 n. Chr. in Murcia, Andalu-
sien, geboren. Er hat sich im Jahre 1184 n. Chr. auf den mystischen Weg begeben. Ca. 1194 n. Chr.
entschloss er sich zur Pilgerreise, die er zu Fuß antrat. 1202 n. Chr. kam er in Mekka an, wo er zwei
Jahre blieb. In den Jahren von 1204 bis 1216 n. Chr. war er viel unterwegs im Maschriq. 1240 n. Chr.
starb Ibn ʿArabī in Damaskus. Seine wichtigsten und bekanntesten Werke sind: Futūḥāt al-mak-
kiyya und Fuṣūṣ al-ḥikam. Vgl.: A. Ateş. „Ibnal-ʿArabī, Muḥyi’l-Dīn Abū ʿAbd Allāh Muḥammad b.
ʿAlī b. Muḥammad b. al-ʿArabī al-Ḥātimī al-Ṭāʾī, known as al-S̲ha̲ yk̲h ̲ al-Akbar.“ In Encyclopaedia
of Islam, Second Edition. Brill Online. Einige Quellen nennen den 17. Ramadan 560 H als Geburts-
datum Ibn ʿArabīs, z. B. bei Henry Corbin. Creative Imagination. Übers. v. Ralph Manheim. Prince-
ton: Priceton University Press, 1969, 38; oder Claude Addas. Quest for the Red Sulphur. Übers. v.
Peter Kingsley. Cambridge: The Islamic Texts Society, 1993, 18.

https://doi.org/10.1515/9783110588576-022
464 Daro Alani

Herzerkenntnis wird dabei als Erweiterung der Erkenntnis durch Vernunft ( ͑aql)
bzw. Rationalität betrachtet und entsprechend vorgestellt werden.
Im Kontext von Rationalität denkt man üblicherweise nicht als erstes an
Mystik, vielmehr wird die Mystik oft geradezu als Gegenpol zur Rationalität
beschrieben oder verstanden. Nachfolgend wird unter anderem versucht, diese
Kategorisierung oder dieses Verhältnis zumindest in Frage zu stellen. Dazu soll
darauf eingegangen werden, wie Sufis, also islamische Mystiker, selbst ihr Verhält-
nis oder ihre Haltung zu Rationalität, Vernunft, Erkenntnis (maʿrifa) und Wissen
(ʿilm) beschreiben. Dabei beziehe ich mich in erster Linie auf Ibn ͑Arabī, einen
der einflussreichsten und bekanntesten Mystiker3, sowie einige seiner Schüler,
wie Ǧīlī4 und Nāblusī5. Ihre Überlegungen sind grundsätzlich in den Rahmen der
Schule von der Einheit des Seins (waḥdat al-wuǧūd) einzuordnen. Im ersten Teil
wird daher auf einige grundlegende Konzepte zur Einheit des Seins eingegangen.
Das Grundkonzept der Schule – alles ist Eins – steht schon in ihrer Benennung;
was daraus folgt und wie man sich die Weltanschauung im Detail vorstellen kann,
darauf soll nachfolgend etwas vertiefter eingegangen werden. Die Implikationen
für die Rolle des Menschen, werden im zweiten Teil erläutert. Im dritten Teil steht
dann der rationale Erkenntnisprozess im Zentrum, wie er von Ibn ͑Arabī bzw. von
anderen Mystikern der Schule der Einheit des Seins beschrieben wird. Ibn ͑Arabī
äußert dabei Zweifel an der Möglichkeit auf diesem Wege wahres Wissen über
das Sein oder gar über das Wesen Gottes zu erreichen. Auf diese Skepsis wird im
vierten Teil genauer eingegangen, um im fünften Teil folgerichtig aufzuzeigen,
wie denn die Suche nach wahrer Erkenntnis bei den Mystikern aussieht.

3 Z. B.: Annemarie Schimmel. Mystische Dimensionen des Islam. München: Diederichs, 1995, 374.
4 ʿAbdulkarīm b. Ibrāhīm b. ʿAbdulkarīm al-Ǧīlī: 1365–1423 n. Chr. Die Daten sind umstritten,
Yūsif Zaydān hat die Angaben am sorgfältigsten untersucht und begründet. Er ist bekannt für
sein Werk Insān al-kāmil, in dem er sich auf das Konzept Ibn ʿArabīs bezieht und dieses weiter
entwickelt. In zahlreichen Werken kommentiert und erweitert er vor allem Gedanken Ibn ʿArabīs.
Siehe: Yūsif Zaydān. al-Fikr aṣ-ṣūfī baīna ʿAbdulkarīm al-Ǧīlī wa kibār aṣ-ṣufiyya. Kairo: Dār al-
amīn, 21998, 26–29.
5 ʿAbd al-Ghanī b. Ismāʿīl an-Nāblusī: 1641–1731 n. Chr., geboren und aufgewachsen in Damas-
kus, später auch lange Zeit in Bagdad. Ein schafiitischer Dichter und Sufi, Mitglied der Naqshban-
diyya und Qādiriyya Bruderschaft, bekannt vor allem für seine Kommentare zu Werken älterer
Sufis, insbesondere Diwan von Ibn al-Farīd, Fuṣūṣ al-ḥikam und von Ibn ʿArabī. Stark beeinflusst
von den Werken Ibn ʿArabīs. Vgl.: John Renard. Historical Dictionary of Sufism. Toronto, Oxford:
Scarecrow Press, 2005, 18.
Herz- und Vernunfterkenntnis in der islamischen Mystik 465

Einheit des Seins


Nach der Schule der Einheit des Seins ist alles, was als Sein beschrieben wird –
außer Gottes Wesen (adh-dhāt al-ilāhiyya) selbst – Erscheinung Gottes. Nur Gottes
Wesen hat echte oder wahre Existenz, da alles andere von Ihm abhängt und keine
eigene unabhängige Existenz hat.
Zur Lehre der Einheit des Seins gibt es unterschiedliche Haltungen und sie
wird durchaus auch kritisch beurteilt. So steht beispielsweise der Vorwurf im
Raum, dass Vereinigung (ittiḥād) und Auflösung (ḥulūl) ihre wichtigsten Elemente
seien, was mit dem wahren Geist des Islam nichts zu tun habe. Was im Islam
akzeptiert wird, ist eher die Lehre der Einheit der Schau (waḥdat ash-shuhūd),
die als Koran und Sunna näherstehend betrachtet wird. Diese beruht aber dem
Grundprinzip nach auf Dualismus, da Geschöpfe und Schöpfer nicht Eins sind; im
Gegensatz zur Einheit des Seins, wonach Schöpfer und Geschöpfe, also eigentlich
alles, eine einzige absolute Wahrheit bilden.6 Dabei ist es wichtig zu verstehen,
dass Einheit des Seins eben nicht bedeutet, dass Gott in allem ist, sondern dass
alles, was wir als Sein beschreiben, nur Erscheinungen von Gottes Wesen sind,
ohne wahre eigene Existenz. Ibn ͑Arabī selbst erläutert im Futūḥāt, wie alles Eins
sein kann, auch ohne Auflösung:
Wie man durch die Logik weiß, dass der Mond in sich nicht über dasselbe
Licht wie die Sonne verfügt und die Sonne selbst nicht in ihn versetzt ist,
sondern in ihm einen Erscheinungsort hat, denn die Eigenschaften kann man
nicht von ihrem Gegenstand trennen und den Namen (ism) nicht vom Benann-
ten (musammā), so ist auch in den Diener nichts von Gott versetzt und aufgelöst
(ḥulūl), sondern er ist der besondere Erscheinungsort und Seine Erscheinung.7
Auch Nāblusī erläutert die Bedeutung von Einheit des Seins weiter und erklärt,
dass die Beschreibung des gesamten Seins als Einheit nicht dahingehend verstan-
den werden sollte, dass alle Seienden (mauǧūdāt) Gott sind. Kern der Aussage ist
vielmehr, dass jenes einzige Sein, durch das die Seienden bestehen, Gott ist.8 Es
handelt sich also nicht um ein pantheistisches Verständnis wonach Gott mit der
Welt und allenfalls dem Universum identisch ist. Vielmehr ist alles Seiende ein

6 Fiktūr Saʿīd Bāsīl. Waḥdat al-wujūd ʿinda IbnʿArabī wa ʿAbd al-Ghanī an-Nāblusī. Beirut: Dār
al-Fārābī, 2006, 42–43.
7 Frei übersetzt nach: Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt, Bd. 2, 659. Kairo. Vgl.: Daro Alani. Das
Abraham-Opfer zwischen Lebensfreude und Todessehnsucht. Masterarbeit Universität Bern. Bern
2011, 88.
8 ʿAbd al-Ghanī an-Nāblusī. Iīḍāḥ al-maqṣūd min waḥdat al-wujūd. Damaskus: Maṭbaʿa al-ʿilm,
1969, 9.
466 Daro Alani

Erscheinungsort von Gottes Wesen. Gottes Wesen selbst ist aber unendlich viel
größer und unfassbarer als das uns zugängliche Sein.
Gemäß der Schule der Einheit des Seins ist der Mensch daher nicht in der
Lage das Wesen der Wirklichkeit bzw. die absolute Wahrheit zu erkennen, er kann
nur die Erscheinungen wahrnehmen, oder was ihm erscheint. So ist Gottes Wesen
an sich für den Menschen unmöglich zu erkennen, nur die Erscheinungen Gottes
sind erkennbar. Darum bezeichnen die Mystiker den absoluten Gott stets mit „Er“
(huwa), der uns ständig erscheint, als ob sie über Ihn nichts wüssten und nur
durch Verwendung dieses Pronomens darauf hinweisen könnten, dass sie über
Ihn reden. Sie äußern sich nur über Seine Namen und Eigenschaften und nicht
über Sein Wesen.9
Das Wesen Gottes ist so wenig erfassbar wie das eigentliche Wesen der Dinge
und entsprechend formen die Menschen verschiedene Narrative über Gott. Man
kann sagen, so viele Menschen es gibt, so viele Narrative und Beschreibungen von
Gott gibt es. Das ist auch der Grund, weshalb sich das, was Mohammed über Gott
gesagt hat, von dem unterscheidet, was beispielsweise Abraham, Jesus, Moses,
Buddha oder Zarathustra über Gott gesagt haben. So entstehen verschiedene Reli-
gionen und Wege zu Gott.
Nach der Darstellung Ǧīlīs ist aber Gottes Wesen an sich immer gleich, ewig
und unveränderlich, genauso wie Es war, bevor Es erschien. Gottes Wesen steht
außer oder über allem und ist nicht fassbar. Was sich dagegen ständig verändert
sind nur die Formen seiner Erscheinungen.10 Ǧīlī stützt seine theologische Posi-
tion diesbezüglich auf folgenden Koranvers, der nach seiner Interpretation die
Unveränderlichkeit des Wesens Gottes bestätigt: Es gibt keine Veränderung für das
Wesen Gottes.11
In der Lehre von der Schule der Einheit des Seins steht also Gottes Wesen
im Zentrum, das nicht erkennbar und unveränderlich ist. Alles außer Ihm, also
die sich in ständiger Veränderung befindenden Erscheinungen von Gottes Wesen,
die alle Formen des Seins umfassen, bezeichnet Ibn ͑Arabī als Wolke (ʿamāʾ).
Für diesen Begriff verwendet er auch andere Beschreibungen und andere Syno-
nyme, darunter „absolute Imagination“ (ḫayāl al-muṭlaq), „alle Seienden außer
Gott“ (kullu mauǧūd siwā Allāh), „die Substanz des Weltalls“ (ǧauhar al-ʿālam

9 Z. B.: ʿAbdulkarīm Ǧīlī. Insān al-kāmil, Bd. 1. Beirut: Dar Al-Kotob Al-Ilmiyah, 2010, 142.
10 ʿAbdulkarīm Ǧīlī. Insān al-kāmil, Bd. 1. Beirut: Dar Al-Kotob Al-Ilmiyah, 2010, 86. Sowie:
‘Abd al-Karim al-Jili. Universal Man, Extracts Translated with Commentary by Titus Burckhardt.
Übers. v. Angela Culme-Seymour. Roxburgh: Beshara Publications, 1983, 35.
11 Koran, Sure 30,30. Karimi, Bobzin, Paret und Khoury übersetzen „khalq“ alle mit Schöpfung
bzw. Erschaffung, aber im Universal Man 35: „There is no change for the nature of God“, wobei
auch Burckhardt auf die andere Übersetzung verweist.
Herz- und Vernunfterkenntnis in der islamischen Mystik 467

kullahu), „das Wahre, durch das Dinge geschaffen werden“ (ḥaqq al-maḫlūq
bihi), „das Eigentliche der Zwischenwelt“ (ʿain al-barzaḫ), „die Stufe des voll-
kommenen Menschen“ (martabat al-insān al-kāmil), „Wahrheit der Wahrheiten“
(ḥaqīqat al-ḫaqāʾiq). Die erste göttliche Erscheinung ist in ʿamāʾ erschienen und
dort erscheint alles außer Gottes Wesen selbst. Sie ist dasselbe wie der „Odem
des Barmherzigen“ (nafas ar-raḥmān).12 Demnach ist ʿamāʾ – im Gegensatz zu
Gottes Wesen – in ständiger Bewegung und Veränderung, das heißt, nichts in
ihr ist vollkommen, aber alles sucht und strebt nach der Vollkommenheit. Das
bedeutet auch, dass es in ihr stets Entwicklungen und Widersprüche gibt, und
keine festen, endgültigen Erkenntnisse.
In der Lehre der Einheit des Seins spielt die ʿamāʾ eine zentrale Rolle. Sie
ist die große Zwischenwelt (barzaḫ), in der sich das Sein oder die Welt befindet.
Auch wenn ʿamāʾ alles außer Gott ist, kann sie nicht einfach als Erschaffenes
beschrieben werden. Sie ist nicht allein nicht-Sein und nicht allein Sein, nicht
allein geschaffen und nicht allein nicht erschaffen. Aber in der ʿamāʾ entstehen
und vergehen die Seienden.13
Der Begriff ʿamāʾ wird im Koran nicht erwähnt, aber taucht in einem Hadith
auf und ist von Mystikern wie Ibn ͑Arabī aufgegriffen worden:
Als der Prophet gefragt wurde: „Wo war Gott vor der Erschaffung der
Geschöpfe?“, lautete seine Antwort: „Er war in einer Wolke (ʿamāʾ). Über und
unter dieser Wolke gab es keine Luft.“14
Die Ergänzung zur Luft erfolgt an dieser Stelle womöglich um das Risiko einer
Anthropomorphisierung, die ansonsten der Vorstellung von Gott, der in einer
Wolke sitzt, inhärent ist, durch die Abgrenzung zu vermeiden, da eine Wolke im
üblichen Verständnis von Luft umgeben ist.15
Nāblusī führt aus, dass das Wort ʿamāʾ im Hadith eine Metapher ist. In
derʿamāʾ befinden sich alle Formen von allem, was es auf der Welt gibt, außer
Gottes Wesen. Da ʿamāʾ die absolute Imagination ist, umfasst sie die Formen aller
Dinge, Wahrnehmbares (al-maḥsūs) und Plausibles (al-maʿqūl) und verschiedene
Stufen ohne Ende. Nāblusī betont, dassʿamāʾ nicht Gottes Wesen ist, sondern ein
Ort, in dem Gott erscheint.16 ʿAmāʾ ist damit im mystischen Verständnis der erste

12 Suʿād al-Ḥakīm. Muʿjam aṣ-ṣūfī. Beirut: Dandara lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 1981, 820–823.
13 Hīfrū Muḥammad ʿAlī Dīrakī. al-Maʿrifa wa ḥududuhā ʿinda Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Damas-
kus: at-Takwīn lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 2006, 68–69.
14 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 2, 310–311. Vgl.: Suʿād
al-Ḥakīm, Muʿjam aṣ-ṣūfī. Beirut: Dandara lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 1981, 449.
15 Ebd.
16 ʿAbd al-Ghanī an-Nāblusī. Iīḍāḥ al-maqṣūd min waḥdat al-wujūd. Damaskus: Maṭbaʿa al-ʿilm,
1969, 231–232.
468 Daro Alani

Erscheinungsort von Gottes Wesen, die Beschreibung der Erscheinung von Gottes
Wesen vor der Stufe der Göttlichkeit (al-ulūhiyya), also bevor Er Geschöpfe bzw.
Diener hervorgehoben hat.
In diese Lehre der Einheit des Seins fügt sich nun auch der Mensch als
Geschöpf, Diener und Erscheinungsort Gottes ein. Da im vorliegenden Artikel der
menschliche Erkenntnisprozess im Zentrum stehen soll, wird im nachfolgenden
Teil darauf eingegangen, welche Rolle dem Menschen in der Einheit des Seins
nach Ansicht der Mystiker zukommt.

Eins im Anderen – Der Mensch in der Einheit des


Seins
Ibn ͑Arabī und die Mystiker im Allgemeinen gehen davon aus, dass das Sein oder
das Universum als Ganzes eine vernünftige Struktur hat. Sie versuchen zumin-
dest ihm eine vernünftig erklärbare Struktur zu geben und so eine schlüssige Ver-
bindung zwischen Vernunft und mystischem Erlebnis herzustellen. Allerdings
birgt es einige Schwierigkeiten, ein ewiges unbegrenztes Sein in einer relativen
begrenzten Form darzustellen. Ibn A͑ rabī und die Mystiker betrachten das gesamte
Sein bzw. die Seienden als ein Lebewesen. Einige Teile des Seins sind nun in der
Lage diese Struktur bewusster wahrzunehmen als andere. In diesem Zusammen-
hang von Sein und Bewusstsein geht Ǧīlī der Frage nach, ob Pflanzen oder sogar
Minerale eine Seele haben. Mit Bezug auf den Koranvers: Es gibt nichts, was nicht
Sein Lob preist.17 kommt er zum Schluss, dass alles beseelt sein muss, da nur
etwas lebendiges Gott lobpreisen kann.18
In Bezug auf die Erkenntnisfähigkeit steht der Mensch aus mystischer Sicht
aber über den anderen Geschöpfen. Ibn ͑Arabī hebt besonders den vollkommenen
Menschen hervor, den er als das Geschöpf mit dem höchsten Bewusstsein für die
Struktur des Seins sieht. Der Mensch an sich ist von Grund auf eine vernunft-
begabte Lebewesensexistenz,19 die sich als Einzige selbst als Teil dieser Struktur
wahrnimmt und als einziges Lebewesen bewusst lebt und denkt und sich ständig

17 Koran, Sure 17, 44, Bobzin.


18 ʿAbdulkarīm Ǧīlī. Marātib al-wuǧūd wa ḥaqīqat kull maūǧūd. Beirut: Dar Al-Kotob Al-Ilmiyah,
³2008, 60. Sowie: Bannerth, Ernst (Hg.). „Das Buch der Vierzig Stufen. Kitāb al-ʾarbaʿīn martaba.“
In Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Sitzungsbe-
richte, Bd. 230. Wien, 1956, 63.
19 Abū al-ʿAlā ʿAfīfī, al-Falsafa aṣ-Ṣūfiyya ʿinda Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Kairo: Dār al-kutub wa
al-wathāʾiq al-qaumiyya, 2009, 167.
Herz- und Vernunfterkenntnis in der islamischen Mystik 469

Fragen über sich und das gesamte Sein stellt. Das heißt, der Mensch strebt unab-
lässig danach, Wissen und Erkenntnis über dieses Sein zu erreichen. Dieses Vor-
haben gestaltet sich aber ausgesprochen anspruchsvoll und schwierig, denn der
Mensch versucht dabei etwas zu verstehen, von dem er selbst Teil ist, das gleich-
zeitig aber unendlich viel größer als er selbst ist.
Der Philosoph Karl Popper (1902–1994) stellt diesbezüglich ebenfalls eine
Hypothese auf die einen ähnlichen Ansatz zu verfolgen scheint. Seiner Ansicht
nach könnte Neugier oder der Wunsch zu erkennen der Auslöser dafür sein, dass
überhaupt ein Bewusstsein und schließlich ein Ich- oder Selbstbewusstsein ent-
wickelt wird. Selbstbewusstsein ist etwas hochkomplexes und braucht Zeit, sich
zu entwickeln. Eine gewisse Neugier oder Forscherdrang könnten seiner Meinung
nach essentiell dazu beigetragen haben, diese Entwicklung zu befördern.20
Während sich Poppers Überlegungen mehr auf Evolution und die Entwicklung
der Menschheit als Gesamtes fokussieren, gestehen beide Ansätze deutlich dem
Menschen mit seinem Bewusstsein und seinem Erkenntniswillen eine gewisse
Sonderstellung zu. Wenn nun Bewusstsein und das Streben nach Erkenntnis als
wichtige Alleinstellungsmerkmale des Menschen angenommen werden, so lässt
sich daraus folgern, dass es zum wahren Menschsein dazu gehört, diese Fähigkei-
ten zu pflegen und zu fördern. In den folgenden Teilen soll es nun darum gehen,
aufzuzeigen, wie Mystiker entsprechende Erkenntnisprozesse konzeptualisieren
und welche Probleme und Schwierigkeiten sie dabei ausmachen.

Verschiedene Wege der Erkenntnis


Die Mystiker stützen sich auf ihre eigene Methode, um Erkenntnis zu erreichen,
die sich grundlegend von der philosophischen Methode der Schlussfolgerung
unterscheidet. So grenzt Ibn ͑Arabī klar die übliche Methode der Vernunftschluss-
folgerung, die auf reinem Denken bzw. Meditation beruht, von der mystischen
Methode, die sich auf Erleben (dhauq) stützt, ab.
In einer Untersuchung zur Erkenntnis bei Ibn ͑Arabī beschreibt Muḥammad
Ghallāb21 unter dem Titel „metaphysische Erkenntnis“ zwei Arten der Vernunft
als Wege zur Erkenntnis: die rein auf die Sinne gestützte, weltliche Vernunft, die
abhängig vom Denken ist, und die transzendente Vernunft, die abhängig von

20 Karl Popper. Alle Menschen sind Philosophen. München, Berlin, Zürich: Piper, 72015, 74–78.
21 Die Lebensdaten zum Autor waren nicht auffindbar, sein Artikel erschien in einem Sammel-
band in Kairo, 1969.
470 Daro Alani

Axiomen ist und keine weltliche Kraft benötigt. Gotteserkenntnis kann nun nicht
durch die weltliche Vernunft erreicht werden, sondern nur durch die transzen-
dente Vernunft bzw. durch den transzendenten Teil in der Vernunft.22
Diese Unterscheidung Ibn ͑Arabīs von zwei Arten der Erkenntnis durch die
Vernunft hat René Descartes (1596–1650) später ebenfalls thematisiert. Seiner
Beschreibung nach besteht die Vernunft aus zwei Kräften: die weltliche Kraft,
die von den Sinnen oder Imagination abhängig ist und sich in erster Linie auf die
Wahrnehmung der sie umgebenden Welt stützt, sowie die transzendente Kraft,
die das Abstrakte an sich versteht, ohne irgendeinen Bedarf daran, Informatio-
nen über die Welt von den Sinnen zu bekommen. Die weltliche Kraft hat keinerlei
Möglichkeit Gott zu erkennen, während die transzendente in der Lage ist, Gottes
Existenz, Einzigartigkeit und absolute Vollkommenheit zu erkennen.23 Das wird
verknüpft mit der Vorstellung von angeborenen Ideen, im Gegensatz zu Ideen
aus dem Bewusstsein selbst oder von außen, über die Sinne wahrgenommenen
Ideen. Da die Ursache stets mehr Seinsgehalt haben muss als die Wirkung, muss
beispielsweise die Idee der Unendlichkeit von der Unendlichkeit selbst vermit-
telt worden sein, also von Gott dem Menschen als Idee eingepflanzt worden sein.
Solche eingepflanzten, einheitlichen Ideen gehen entsprechend mit höchster
Klarheit und Gewissheit einher.24
Ibn ͑Arabī nimmt also an, dass es zwei Wege gibt, wie man als Mensch zu
Wissen und Erkenntnis gelangen kann. Er beschreibt diese zwei Wege auch als:
1. aufsteigender Weg, der vom Menschen beginnt, der mittels seiner Ver-
nunft und seines Denkens die Angaben der Sinne empfängt und allmählich
Erkenntnis erreicht.
2. absteigender Weg, der die ständige göttliche Emanation (faiḍ) meint, die
der Mensch durch Inspiration (ilhām) empfängt; jeder entsprechend seiner
Bereitschaft. Es handelt sich um ein gegebenes Wissen. Der Empfänger emp-
fängt, wenn er den Empfangsapparat dafür vorbereiten kann. Dieser Emp-
fangsapparat ist das Herz und die Seele (nafs) und die Vorbereitung besteht
in der Reinigung des Selbst. Diese Art Inspiration kann nur durch Erleben
erfasst werden.25

22 Muḥammad Ghallāb. „al-Maʿrifa ʿinda Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī.“ In al-Kitāb at-tadhkāri Muḥyī
d-Dīn Ibn ʿArabī fī adh-dhikrā al-miʾawiyya li mīlādihi, hg. v. Ibrahīm Bayūmī Madkūr. Kairo: Dār
al-kātib al-ʿarabī lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 1969, 192.
23 Ebd., 193.
24 Peter Kunzmann und Franz-Peter Burkard. dtv-Atlas Philosophie. München: Deutscher Ta-
schenbuch Verlag, ²2013, 105.
25 Maysūn Musallātī. Qiraʾa muʿāṣira li afkār Ibn ʿArabī. Stockholm: Avanta Publications, 1997,
48–49.
Herz- und Vernunfterkenntnis in der islamischen Mystik 471

Wissen über Gott kann demnach nicht durch Sinne erfasst werden. Das bedeutet
auch, Wissen über Gott kann nicht das Ergebnis von Denken oder Vorstellung
sein, denn: Nichts ist Ihm gleich.26 Gott selbst gibt Erkenntnis über Sich, wem
Er will. In diesem Fall empfängt die Vernunft die Erkenntnis ohne Argument oder
Beweis, das heißt allein durch Glauben. Wenn dann die Vernunft, das was sie
geahnt bzw. was sie erlebt hat, einer anderen Vernunft erklären will, die dasselbe
noch nicht erlebt hat, ist Verständnis und Erkenntnis unmöglich.27
Unter dem Aspekt des erreichbaren Wissens bespricht Ibn ͑Arabī drei Arten
von Wissen, die auf unterschiedliche Art erreicht werden können:
1. Wissen der Vernunft (ʿilm al-ʿaql). Gemeint ist jenes Wissen, das der Mensch
durch Vernunftargumentation erreicht. Die Wahrheit dieses Wissens hängt
von der Richtigkeit der Argumentation ab. Dieses Wissen kann durch Stu-
dieren und Eifer erreicht werden und Fehler können durch Empirie laufend
korrigiert werden.
2. Wissen der Zustände (ʿilm al-aḥwāl). Wissen, das man nur durch Erleben
erhalten kann und für das die Vernunft kein Argument liefern kann. Dieses
Wissen kann der Mensch nur durch seine Gefühle (mashāʿir) erreichen.
Manchmal kann es auch nicht durch die Sprache ausgedrückt werden, auch
wenn es im tiefsten Innern erkannt wird. Von einem Individuum zum andern
besteht ein Unterschied, ob und wie diese Erkenntnis erlebt wird. Dieser
Unterschied ist das Ergebnis von der unterschiedlichen Bereitschaft jedes
Einzelnen.
3. Wissen der Geheimnisse (ʿilm al-asrār). Es ist eine Art des Wissens, das über
der Vernunft steht. Ibn ͑Arabī beschreibt es als ein Wissen, das der Heilige
Geist in Sinn oder Herz (rauʿ) legt. Wer dieses Wissen erhalten hat, kennt alles
Wissen, und wer dieses Wissen erhalten hat und es danach weiter vermittelt,
ist ein Unfehlbarer (maʿṣūm), Wahrhaftiger (ṣādiq), das heißt ein Prophet.28

Das Vernunftwissen wird über den aufsteigenden Weg durch Argumentation und
Schlussfolgerung der Vernunft erreicht. Die Vernunft hat bei Ibn ͑Arabī einen
wichtigen Stellenwert, sie trifft die Entscheidungen, wie ein Richter, der in jedem
Menschen existiert. Die Vernunft an sich hat von Natur aus ein grundlegendes,
angeborenes Wissen, aber um Entscheidungen zu treffen, genügt das nicht, weil

26 Koran, Sure 42, 11, Khoury.


27 Maysūn Musallātī. Qiraʾa muʿāṣira li afkār Ibn ʿArabī. Stockholm: Avanta Publications, 1997,
48.
28 Maysūn Musallātī. Qiraʾa muʿāṣira li afkār Ibn ʿArabī. Stockholm: Avanta Publications, 1997,
50–51.
472 Daro Alani

man immer neuen Ereignissen und Zuständen begegnet und die Vernunft daher
nach neuen Informationen verlangt um eine schlüssige Entscheidung treffen zu
können. In diesem Fall stützt sie sich notwendigerweise auf Quellen außerhalb
ihrer selbst und die Angaben, die sie empfangen kann, sollten eine abstrakte
Form haben, da die Vernunft die Angaben sonst nicht verstehen oder erhalten
kann. Die Angaben oder Informationen in abstrakte Form zu bringen, dafür ist
das Denken (fikr) zuständig.29 Um die Angaben in der von der Vernunft verlang-
ten Form zu liefern, greift das Denken durch seine Denkkraft (quwat al-mufakkira)
auf Vorstellung (ḫayāl) und Sinne (ḥawās) zu und verarbeitet die Angaben, die
es dort vorfindet. In Bezug auf Vorstellung und Sinne ist dabei zu beachten, dass
sie jeweils zwei Aspekte oder zwei Existenzen im Menschen haben: die funktio-
nale und die physische. Die funktionale Existenz von der Vorstellung ist, dass
sie eine erkennende (idrāk) und erschaffende (ḫallāq) Kraft ist und ein Mittel um
Erkenntnis zu erhalten, zu analysieren und anzuwenden (tauẓīf). Als physische
Existenz der Vorstellung wird der Wahrnehmungsapparat, wie Gehirn, Ohren,
Augen, Zunge, Nase usw. beschrieben. Auch die Sinne kann man entsprechend
betrachten. Beispielsweise ist der Augapfel die physische Existenz der Augen und
das Sehen die funktionale Existenz der Augen.30 Die Dinge werden entweder
durch die Vorstellung oder durch die Augen gesehen, wie Maria die Erscheinung
von Gabriel entweder durch die Augen oder durch die Vorstellung gesehen hat.31
Die Vorstellung ist durch ihre Kraft bemüht die abstrakten Formen zu sammeln
und die Sinne bemühen sich durch den Wahrnehmungsapparat die körperhaften
und spürbaren Dinge zu sammeln.
Vorstellung und Sinne schicken die Angaben dann zum Denken. Freilich ist
dieser Prozess (Erkennungs- bzw. Verstehensprozess) kompliziert und mehrere
Kräfte sind daran beteiligt, beispielsweise die Erinnerungskraft (quwat adh-
dhākira), die erkennt, was die Vernunft übersieht oder vergisst, oder die Speicher-
kraft (quwat al-ḥāfiẓa), die als Speicher der Vorstellung wirkt und die Gegebenhei-
ten von Sinnen und Vorstellung speichert.32 Außerdem gibt es die Illusionskraft
(quwat al-wāhima), die parallel mit der Vernunft aktiv ist und einen großen Ein-
fluss auf diese hat. Deswegen kann die Illusion (wahm) manchmal Trübungen
der Vernunft verursachen, die sich aber am Ende durch die Vernunft bereinigen

29 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 1, 94.
30 Sulaīmān al-ʿAṭṭār. al-Khayāl ʿinda Ibn ʿArabī. Kairo: Dār ath-thaqāfa lin-nashr wa at-tauzīʿ,
1991, 39.
31 Ebd., 66.
32 Ebd., 196–197.
Herz- und Vernunfterkenntnis in der islamischen Mystik 473

lassen.33 Ibn ͑Arabī betont immer wieder, dass die Vernunft in ihrem Aufgaben-
bereich korrekt arbeitet und an sich keine Fehler macht, sich aber für ihre Ent-
scheidungen auf andere Quellen stützt. Mehrere Organe spielen eine Rolle dabei,
ihr Angaben zu liefern, weswegen ihre Urteile manchmal nicht richtig sind. Auch
die Vorstellung und die Sinne als Zulieferer von Angaben erfüllen ihre Aufgabe im
Rahmen ihrer Möglichkeiten korrekt, sind aber nicht in der Lage wahre Erkennt-
nisse über Gott zu erfassen.
Der Mensch erkennt alle Informationen über die Welt durch die Sinne, also
durch Sehsinn, Hörsinn, Geschmackssinn, Geruchssinn und Tastsinn. In der
Vorstellungskraft (quwat al-ḫayāliyya) kann es demnach nur das geben, was die
Sinne an Formen vermittelt haben, also Formen von den sinnlich wahrnehmbaren
Dingen. Diese Wahrnehmung ist aber immer nur eine relative. Die wahrgenom-
menen Dinge sind beispielsweise vom Abstand zum Betrachter abhängig und von
welcher Seite sie betrachtet werden.34 Ibn ͑Arabī erklärt das folgendermaßen:

Der Sehsinn (baṣar) erkennt die Farben, Gefärbtes und Leute, entsprechend der Nähe und
Ferne, sodass das, was auf eine Meile erkannt wird, nicht das gleiche ist, wie das, was auf
zwei Meilen erkannt wird. […] Der Mensch wird auf zwei Meilen nicht von einem Baum
unterschieden, aber auf eine Meile erkennt man, dass es ein Mensch ist.35

Außerdem kann die Vorstellungskraft nur das wahrnehmen, was die Sinne ihr
weitergeben. Das heißt, sie hat nicht die Fähigkeit, Informationen ohne Vermittler
aufzunehmen. Sie bekommt also Informationen entweder in der Form, wie sie die
Sinne vermitteln, oder in der Form, wie sie das Denken vorgibt.36
Manchmal entstehen in der Vorstellung zwar neue Formen, die es so in der
uns umgebenden Welt nicht gibt, dabei handelt es sich aber lediglich um Formen,
die aus Teilen von den Formen kombiniert sind, die die Sinne vermittelt haben
oder das Denken ihr vorgegeben hat. So existiert beispielsweise der Kentaur in der
Vorstellung, obwohl niemand je einen solchen gesehen hat. Er existiert als Kom-
bination von Bildern, die die Sinne wahrgenommen haben: Mensch und Pferd.
Teilweise sind aber die Informationen der Sinne fehlerbehaftet,37 beispiels-
weise durch einen von einer Krankheit gestörten Geschmackssinn, bei optischen
Täuschungen oder einer Fata Morgana. Wenn sich nun aber die Vorstellung für

33 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī, Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 3, 364–365.
34 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 1, 94.
35 Ebd.
36 Ebd.
37 Hīfrū Muḥammad ʿAlī Dīrakī. al-Maʿrifa wa ḥududuhā ʿinda Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Damas-
kus: at-Takwīn lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 2006, 72–73.
474 Daro Alani

Informationen auf die Sinne und das Denken stützt, ist die Vorstellung dann in
der Lage solche Fehler zu korrigieren? Oder wie kann über einigermaßen korrekte
Informationen in der Vorstellung gesprochen werden?
Ibn ͑Arabī zufolge kommen die Fehler nicht von der Seite der Sinne. Diese
erfüllen ihre Aufgabe auf die beste Art, ohne einen Fehler zu machen. Konse-
quenterweise kann auch bei der Vorstellung, die die Formen der Wahrnehmung
der Sinne annimmt, nicht von Fehlern gesprochen werden. Wenn die Wahrneh-
mung beispielsweise durch Krankheit oder Täuschung gestört ist, dann ist es die
Aufgabe der Vernunft zu merken, dass die Wahrnehmung nicht ordnungsgemäß
funktioniert, das heißt, die Beurteilung muss durch die Vernunft erfolgen, nicht
durch die Wahrnehmung. Die Vernunft sollte in der Lage sein, den Unterschied
zwischen Fata Morgana und Wasser zu bemerken. Wenn der Geschmackssinn süß
mit bitter verwechselt, lügt er nicht, sondern hat Recht, dass Zucker bei ihm bitter
schmeckt, übermittelt er doch genau das, was er wahrnimmt. Demnach ist es die
Vernunft, die Fehler macht, wenn sie davon ausgeht, dass süß bitter schmeckt
und nicht merkt, dass die Wahrnehmung ein Problem hat.38 Ibn ͑Arabī macht
klar, dass er das Problem nicht bei den Sinnen ausmacht: „Eine Gruppe von den
Vernunftgelehrten (ʿuqalāʾ) führte den Fehler auf die Sinne zurück, aber es ist
nicht so, sondern der Richter [die Vernunft] ist verantwortlich.“39
Wie bereits ausgeführt, hat die Vernunft alleine in Ibn ͑Arabīs Konzept keinen
Zugang zu Informationen. Sie erhält diese von den Sinnen und vom Denken. Des-
wegen ist die Vernunft wiederum nicht selbst fehlerhaft, lediglich die Informatio-
nen, die sie erhält, können fehlerbehaftet sein. Wo liegt dann aber das Problem,
die Ursache für die Fehler, wenn Vorstellung, Sinne und Vernunft nicht die Fehler
verursachen? Ibn ͑Arabī betrachtet insbesondere das Denken kritisch und verortet
bei ihm die Verantwortung für die Fehler.
Ibn ͑Arabī ist der Auffassung, dass die Vernunft auf zwei Arten Informationen
erhält, um ihr Urteil über die Fälle, die dies verlangen, zu treffen: Einerseits das
wesentliche Erkennen (idrāk dhātī), also durch die Vernunft selbst, das wie die
Sinne keine Fehler macht, und andrerseits das nicht wesentliche Erkennen (idrāk
ghair dhātī), also nicht durch die Vernunft selbst, bei dem sich die Vernunft auf
das Denken verlässt. Das Denken ist ein Erkenntnismittel der Vernunft und ver-
sucht dem, was in der Vorstellung steht, eine Form zu geben und es dann der
Vernunft zu übermitteln. Hierbei ist es möglich, dass das, was vom Denken in

38 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 1, 214. Vgl.: Daro Alani.
Das Abraham-Opfer zwischen Lebensfreude und Todessehnsucht. Masterarbeit Universität Bern.
Bern 2011, 122.
39 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 1, 213.
Herz- und Vernunfterkenntnis in der islamischen Mystik 475

der Vorstellung eine Form erhalten hat, nicht so an die Vernunft vermittelt wird,
wie es wirklich ist. Daraus ergibt sich die Möglichkeit von Richtig und Falsch. Das
Denken steht zwar der Vernunft zur Verfügung und unterliegt der Kontrolle der
Vernunft, aber die Vernunft bekommt die Informationen vom Denken und ahmt
es nach. Demnach ist das Urteil der Vernunft abhängig von den Daten, die sie vom
Denken empfängt.40
Der Platz des Denkens befindet sich nach Ibn ͑Arabī in der Vorstellungskraft.
Die Vorstellungskraft hat eine umfassende Kapazität, sie empfängt aber die Bilder
und Informationen nur von den Sinnen und von der Denkkraft.41 Das Problem
beginnt nun damit, dass die Vorstellung umfassend ist, während das Denken
begrenzt ist. Die Denkkraft kann nicht in einer unbegrenzten, umfassenden
Umgebung wie der Vorstellung, logische Urteile und schlüssige Unterscheidungen
über die Bilder und Informationen treffen, die in der Vorstellung sind, denn die
Denkkraft begrenzt die Bilder und Informationen in der Vorstellung, so dass sie
für die Vernunft verwendbar sind. Und bei diesem Prozess entstehen Fehler. Die
Vernunft an sich muss sich auf eine andere Kraft stützen, um an Informationen
zu kommen und diese Kraft ist die Denkkraft, die von Grund auf fehlerbehaftet
ist. So verursacht die Denkkraft Fehler in der Vernunft. Darum beschreibt Ibn
͑Arabī an einer anderen Stelle die Denkkraft als Fluch: „Von den Flüchen, die Gott
[den Menschen] als Prüfung auferlegt, hat Er in ihm eine Kraft geschaffen namens
Denken. Diese Kraft steht im Dienst einer anderen Kraft namens Vernunft.“42
Vermeiden lässt sich das aber nicht, denn die Vernunft kann für sich alleine
keine Form von Körperlichem (mujassamāt) und Bildlichem (ṣuwar) wahrneh-
men. Denn während die Stufe der Imagination (ḥaẓrat al-ḫayāl) die umfassendste
Stufe ist, die zwei Welten in sich vereint, nämlich die verborgene (ghaib) und die
augenscheinliche (shahāda) Welt, und darum beide Welten umfassen kann, kann
die augenscheinliche Stufe für sich alleine keine abstrakten Bedeutungen bzw.
allegorischen Ausdrücke (maʿānī al-mufaṣil) wahrnehmen, wenn diese Bedeu-
tungen nicht in einer Form verkörpert werden. Umgekehrt kann die verborgene
Stufe die augenscheinliche nicht erfassen. Das heißt, die Vernunft kann nur Abs-
traktes erfassen, aber nicht direkt Formen von der Vorstellung übernehmen, weil

40 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 2, 628–629. Vgl.: Daro
Alani. Das Abraham-Opfer zwischen Lebensfreude und Todessehnsucht. Masterarbeit Universität
Bern. Bern 2011, 122.
41 Aḥmad aṣ-Ṣādiqī. Ishkāliyyat al-ʿaql wa al-wuǧūd fī fikr Ibn ʿArabī. Beirut: Dār al-madār al-
islāmī, 2010, 190.
42 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 1, 125.
476 Daro Alani

sie selbst nicht die Fähigkeit besitzt, die Bilder in der Vorstellung zu verstehen.43
Die Vernunft braucht sozusagen einen Übersetzer und die Denkkraft übernimmt
diese Aufgabe. Allerdings heißt das eben auch, dass die Vernunft in ihren Urtei-
len fehleranfällig ist, nicht weil sie selbst Fehler macht, sondern weil sie sich
auf Informationen aus Denken, Vorstellung und von den Sinnen stützen muss,
die fehlerbehaftet sein können.44 Wenn man sich ausschließlich auf die Vernunft
verlassen will, kann man auch nur bis zur Grenze der Kräfte, auf die sie sich
stützt, Wissen und Erkenntnis erreichen. Das ist einer von mehreren Gründen,
weshalb sich Mystiker nicht mit der Vernunfterkenntnis allein begnügen wollen.
Im folgenden Teil wird weiter ausgeführt, inwiefern die Vernunfterkenntnis als
begrenzt verstanden wird.

Begrenztheit der Vernunfterkenntnis


Nach Ibn ͑Arabī kann uns die Vernunft wohl die Existenz des einzigen Gottes
erfahren lassen, aber die Erkenntnisfähigkeit der Vernunft mit ihren Methoden
der Deduktion und Induktion ist begrenzt, denn die Vernunft ist Teil des Men-
schen, der neuerschaffen ist, und ist darum auch selbst neuerschaffen. Der
Mensch möchte mit der Vernunft alles gerne möglichst genau beschreiben, ein-
teilen und definieren. Er versucht daher oft durch die Vernunft die beschränkten
menschlichen Eigenschaften auf Gott zu projizieren. Gott aber ist uralt-ewig und
durch die neuerschaffene Vernunft der neuerschaffenen Menschen nicht voll-
ständig fassbar.45 Die Vernunft kann wohl erkennen, dass Gott existiert, aller-
dings nur ex negativo, insofern sie nicht beweisen kann, dass es Ihn nicht gibt,
und nicht von der Seite der Bestätigung. Das ist alles, was die höchste Vernunft
erreichen kann.46
Mit allem Eifer und allen Bemühungen kommt die Vernunft also nur so weit,
zu wissen, dass Gott existiert und einzig ist in Seiner Göttlichkeit. Erkenntnisse
über Ihn zu erlangen, ist der Vernunft aber nach Auffassung Ibn ͑Arabīs nicht
möglich. Das höchste, was erreicht werden kann, ist das Eingeständnis des Unver-

43 Sulaīmān al-ʿAṭṭār. al-Khayāl ʿinda Ibn ʿArabī. Kairo: Dār ath-thaqāfa lin-nashr wa at-tauzīʿ,
1991, 36.
44 Hīfrū Muḥammad ʿAlī Dīrakī. al-Maʿrifa wa ḥududuhā ʿinda Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Damas-
kus: at-Takwīn lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 2006, 75.
45 Ebd., 102–104.
46 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Rasāʾil Ibn ʿArabī. Risāla ilā al-Imām ar-Rāzī. Beirut: Dar Al-Kotob
Al-Ilmiyah, 22010, 185.
Herz- und Vernunfterkenntnis in der islamischen Mystik 477

mögens Gott zu erkennen. Der Grund dafür liegt auch darin, dass die Erwartung
besteht, Ihn so zu erkennen, wie wir erwarten alle Dinge in ihrer Wirklichkeit
zu erkennen. Nun ist Er aber einer, dem nichts ähnlich ist und darum gibt es
keine Vergleichsgröße in Vorstellung, Denken oder Vernunft. Da nichts ähnlich
wie Er ist und Erkenntnis über Ihn nicht erreichbar ist, muss man sich darauf
beschränken, dass es „keinen Gott außer Gott“ gibt und versuchen, wenigstens
zu verstehen, was überhaupt das Wissen ist.47 Wenn wir also in unserer Existenz
zum Ursprung zurück gehen, ist Gott da und es gibt nichts, das Ihm ähnlich ist.
So wie Seine Wirklichkeit keine Ähnlichkeit akzeptiert, muss auch jede Substanz
der Einzelnen in der Welt keine Gleichheit akzeptieren. Tatsächlich gibt es im Sein
kein Ding das genau gleich wie ein anderes ist, vielmehr unterscheidet sich jeder
Seiende vom anderen, nach dieser Wirklichkeit, in der er sich befindet.48
Gemäß der Schule der Einheit des Seins ist das Hauptmerkmal der Vernunft
im Umgang mit dieser unendlichen Vielfalt, Einstufung und Einteilung. Die Ver-
nunft ist nicht in der Lage, die umfassende Wirklichkeit vollkommen zu erfassen
und sie kann sich auch nicht von analytischen Merkmalen lösen, das heißt, sie
versucht das Umfassende in Teile einzuteilen und die Dinge Stück für Stück zu
verstehen. So wie jemand, der nicht den ganzen Weg vor sich sieht, diesen in
kleine Einheiten teilt, um ihn Schritt für Schritt gehen zu können. Das heißt, die
Vernunft versucht stets die Dinge zu begrenzen und in eine für sie verständliche
Form zu bringen, weil das Absolute über der Fähigkeit ihres Fassungsvermögens
steht.49 Was also die Vernunft vom Sein erfasst, ist so, wie wenn wir vor einem
großen Bild stehen und es Punkt für Punkt betrachten, dabei aber nicht mehr das
gesamte Bild erfassen können.
Ibn ͑Arabī und die Mystiker stellen die Bedeutung der Vernunft nicht in
Abrede, es scheint ihnen vielmehr darum zu gehen, das idealisierte Bild von Ver-
nunft und Rationalität etwas zu relativieren und die Rolle der Vernunft auf ihren
angemessenen Platz zu verweisen. So kritisiert Ibn ͑Arabī beispielsweise die Phi-
losophen:

Der Philosoph bedeutet, der der Weisheit liebt. Weil Sophia auf Griechisch Weisheit bedeu-
tet. […] Denn die Philosophie bedeutet Liebe zur Weisheit und jeder vernünftige liebt die
Weisheit. Aber die Denker haben in der Theologie (ilāhiyāt) mehr Fehler gemacht als das

47 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 1, 93.
48 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt al-makkiyya, hg. v. ʿUthmān Yaḥyā. Kairo: al-Majlis al-aʿlā li
ath-thaqāfa, 21985, Buch 3, Kapitel 35, Teil 20, 346–347, Abschnitt 313.
49 Fiktūr Saʿīd Bāsīl. Waḥdat al-wujūd ʿinda IbnʿArabī wa ʿAbd al-Ghanī an-Nāblusī. Beirut: Dār
al-Fārābī, 2006, 53.
478 Daro Alani

Richtige zu treffen, ob sie Philosophen, Mutaziliten, Aschariten oder andere waren. Ich
habe die Philosophen nicht getadelt wegen ihres Namens, sondern wegen der Fehler im
Bereich des göttlichen Wissens, das die Gesandten Gottes gebracht haben.50

Die Mystiker wollen sich also nicht mit der Vernunfterkenntnis begnügen. Sie
sehen diese als zu eingeschränkt an. Denn Sinne und Vorstellung können gemäß
Ibn ͑Arabī keine Verbindung zu Gott haben. So kann der Mensch auch nur über
Dinge nachdenken, die seiner Denkkraft durch Sinne, Vorstellung und a priori
Vernunft zugänglich sind. Das Denken erhält über die Vorstellung Informationen
über die Dinge, mit denen eine Verbindung besteht und über die es nachdenkt.
Zwischen Gott und den Geschöpfen gibt es aber keine Verbindungsebene, die von
der Seite des Denkens erkannt werden könnte. Deswegen haben Gelehrte sogar
verboten, an Gottes Wesen zu denken.51 Wenn nun die Sinne und das Denken
Gottes Wesen nicht erkennen können, dann kann es die Vernunft erst recht nicht.
Denn die Vernunft nimmt nur auf, was sie als Axiom erkannt hat, oder was sie
vom Denken erhält. Gottes Wesen kann aber durch Denken und damit durch die
Vernunft, die über das Denken verläuft, nicht erkannt werden. Die reine Vernunft
ist in der Lage zu verstehen, was sie erhalten hat, nämlich ihr von Gott selbst
gewährte Erkenntnis über Ihn. Auf diesem Weg kann die Vernunft Ihn kennen,
weil dieser Weg direkt über die Vernunft geht, nicht über das Denken. Diese
direkte Vernunfterkenntnis wird von Ibn ͑Arabī nicht abgelehnt, da Gott diese
Erkenntnis jenen Dienern gewährt, denen Er will. Die Vernunft ist nicht selbst in
der Lage Gottes Wesen zu erkennen, sie kann nur empfangen.52
Wie bereits festgestellt sind die Sinne die Quelle der Vernunfterkenntnis,
aber die geistigen Dinge sind nicht durch die Sinne wahrnehmbar. Wie soll die
Vernunft etwas erkennen, das von den Sinnen überhaupt nicht wahrgenommen
werden kann? Die Mystiker geben sich nicht damit zufrieden, dass die Vernunft
und die fünf Sinne als einzige und letzte Instrumente und Mittel zur Erkenntnis
betrachtet werden; um dann alles, was auf diesem Weg nicht verstanden wird, als
falsch zu bezeichnen.53
Die Vernunft gibt keine Gewissheit, weil durch die Vernunft immer wieder
Widersprüche entstehen. Die Menschen können sich nicht auf etwas einigen,
insbesondere in Bezug auf Erkenntnisse über Gott, aber auch bei einfacheren

50 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī, Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 2, 523.
51 Ebd., Bd. 1, 94.
52 Ebd.
53 Nājī Ḥussain Jauda. al-Maʿrifa aṣ-ṣūfiyya. Beirut: Dār al-hādī, 2006, 132–133.
Herz- und Vernunfterkenntnis in der islamischen Mystik 479

Dingen. Durch vernünftige Argumentation erreichte Erkenntnisse werden immer


wieder von anderen Schlussfolgerungen umgestoßen.54 Ein bekanntes Beispiel zu
diesem Punkt liefert auch Immanuel Kant (1724–1804). In den von ihm aufgewor-
fenen Antinomien werden der Vernunft Grenzen aufgezeigt, wenn grundlegende
Thesen und Antithesen gleichermaßen mit Beweis angeführt werden, die durch
Vernunftschlüsse nicht aufgelöst werden können.55
Dass die Mystiker Vernunfterkenntnis als begrenzt betrachten, hat außerdem
viel mit ihrer Perspektive auf die göttliche Einheit (tauḥīd) zu tun. Reynold A.
Nicholson (1868–1945) beschreibt das folgendermaßen: Bei den Mystikern ist die
Einheit Gottes eine Angelegenheit, die die Vernunft überhaupt nicht erkennen
kann, weil die Vernunft als Mittel zur Erreichung der Erkenntnis darauf beruht,
dass es ein Subjekt und ein Objekt gibt. Daraus ergibt sich gezwungenermaßen
immer ein Dualismus.56 Ein Ich versucht mit seiner Vernunft Erkenntnisse über
etwas anderes, zum Beispiel über Gott, zu erlangen. In diesem Prozess besteht
demnach ein ständiger Dualismus von Ich und Gott. Das heißt, die absolute gött-
liche Einheit würde dadurch in Frage gestellt. Nach mystischer Auffassung hebt
Gott für einen nach Erkenntnis Eifernden selbst den Schleier und der Dualismus
wird im Zustand der Entwerdung (fanāʾ) aufgehoben. Darauf wird im nächsten
Teil nochmals eingegangen.
Da die menschliche Vernunft selbst relativ ist, können ihre Erkenntnisse in
den Augen der Mystiker auch nur begrenzt sein. Nach Jalāl ad-Dīn Rumi (1207–
1273) ist die Vernunft erst Lehrer, dann aber Schüler des Menschen. Das wird
beispielsweise dadurch verdeutlicht, dass Gabriel, als Symbol der Vernunft, als
Lehrer zum Propheten Mohammed, Symbol des Herzens, kommt, ihn dann zu
Gott begleitet, aber zurückbleiben muss, während sich Mohammed Gott weiter
nähern kann.57
Nur die Vernunft zu kritisieren, führt aber nicht zu einer mystischen Erfah-
rung. Die Mystiker sind sehr wohl der Ansicht, dass die Vernunft und die Sinne
zwei Wege sind, um wichtige Erkenntnisse zu erreichen, was sie aber zurück-
weisen, ist die Ansicht, dass Vernunft alleine das einzige Mittel zur Erreichung

54 Ebd.
55 Peter Kunzmann und Franz-Peter Burkard. dtv-Atlas Philosophie. München: Deutscher Ta-
schenbuch Verlag, ²2013, 141.
56 Hīfrū Muḥammad ʿAlī Dīrakī. al-Maʿrifa wa ḥududuhā ʿinda Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Damas-
kus: at-Takwīn lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 2006, 103–104. Sowie: Nājī Ḥussain Jauda. al-Maʿrifa aṣ-
ṣūfiyya. Beirut: Dār al-hādī, 2006, 131.
57 Saʿīd ash-Shiblī. Naẓariyyat al-insān wa al-ḥurriyya fī ʿirfān Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Beirut:
Maktaba Ḥasan al-ʿaṣriyya, 2010, 157.
480 Daro Alani

menschlicher Erkenntnis ist,58 also die aufklärerische Tendenz, sich nur und aus-
schließlich auf die Vernunft zu verlassen und alles zu rationalisieren.
Mystiker suchen nach weiteren Erkenntnismöglichkeiten. Die Vernunft kann
die veränderliche Realität dieser Welt nicht überschreiten. Um zu erkennen,
was hinter dieser Welt steht, muss man nach Meinung der Mystiker auf das Herz
zurückgreifen. Wie sie sich diesen Prozess vorstellen, wird im folgenden Teil aus-
geführt.

Herzerkenntnis
Als Erstes ist es wichtig, zu sehen und zu verstehen, dass das Herz nicht wie die
Vernunft ist. Ibn ͑Arabī führt dazu zwei Koranverse an:

Bedenken sie nicht den Koran ’ oder sind ihre Herzen versiegelt?59

und:

Wahrlich, darin ist eine Ermahnung für den, ’ der ein Herz hat oder hinhört und anwesend
ist.60

In beiden Fällen wird das Herz angeführt, nicht die Vernunft. Ibn ͑Arabī unter-
streicht in diesem Zusammenhang, dass „Herz“ nicht als „Vernunft“ interpretiert
werden sollte.61 In den Koranversen ist nicht die Rede von dem, der Vernunft hat,
weil sich Bilder und Eigenschaften in ständiger Veränderung befinden, aber die
Vernunft wie eine Fessel ist, die die Dinge auf ein einziges Attribut beschränken
will. Die Wahrheit erträgt solche Beschränkungen nicht. Darum heißt es nicht
„für jene, die Vernunft haben“, was nämlich die Gläubigen, die sich gegenseitig
zu Ungläubigen erklären und einander verfluchen, sehr wohl haben, sondern es
heißt „für den, der ein Herz hat“.62 Denn der Glaube hat nicht in erster Linie mit
Vernunft zu tun, sondern mit dem Herzen.

58 Nājī Ḥussain Jauda. al-Maʿrifa aṣ-ṣūfiyya. Beirut: Dār al-hādī, 2006, 201.
59 Koran, Sure 47,24, Karimi.
60 Koran, Sure 50,37, Karimi.
61 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī, Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 3, 198.
62 Abū al-ʿAlā ʿAfīfī. Taʿlīqāt ʿalā al-Fuṣūṣ al-ḥikam. Beirut: Dār iḥyāʾ al-kutub al-ʿarabiyya, 1946,
122.
Herz- und Vernunfterkenntnis in der islamischen Mystik 481

Ibn ͑Arabī erklärt auf der sprachlichen Ebene weiter, dass sich das Wort Herz
(qalb) auf die arabische Wurzel qa-la-ba (yaqlibu, qālib, maqlūb) bezieht, was
„ändern, wenden, verändern“ bedeutet. Das Herz wird deswegen qalb genannt,
weil es sich ständig ändert und von einem zum andern Zustand wechselt.63 Die
Bedeutung und Differenzierung von Herz und Vernunft wird von Ibn ͑Arabī mit
großem Nachdruck vertreten: „Deswegen wird es Herz genannt. Wer qalb als Ver-
nunft interpretiert, hat über die Wirklichkeiten keine Ahnung.“64
Wie im ersten und zweiten Teil erläutert wurde, hat das ganze Sein viele
Formen und befindet sich in ständiger Veränderung. Auch wurde bereits festge-
stellt, dass die Vernunft nicht darauf eingestellt ist, diese Veränderungen ständig
mit nachzuvollziehen. Das Herz dagegen ist dafür bereit, geradezu dafür ausge-
legt, und darum geeigneter, Erkenntnisse über das wahre Sein zu erlangen.65 Die
Mystiker bemühen sich also darum, Erkenntnisse über das Wesen Gottes und das
Wesen des Seins zu erlangen, indem sie einen direkten, unmittelbaren Zugang
zum Wesen der Dinge durch Gott suchen, der als Herzerkenntnis beschrieben
wird. Gemäß Ibn ͑Arabī können Bilder, die sich ständig wandeln und verändern,
nur durch Enthüllung (kashf), bei der der Sehsinn eine wichtige Rolle spielt,
oder manchmal durch das wahre Denken wahrgenommen werden. Das Denken
ist diesbezüglich beschränkt, weil die Bilder sich ohne Unterlass und bis in alle
Ewigkeit verändern.66
Ibn ͑Arabī und Mystiker im Allgemeinen wollen also an Stelle des Denkens
eine andere Kraft als Quelle für die Vernunft nutzen, damit die Vernunft wahre
Informationen erhalten kann. Diese Kraft, die in der Lage ist, wahre Informatio-
nen zu empfangen, ist das Herz. Das Herz ist das Mittel, durch das Erkenntnis
über Gott und göttliche Geheimnisse erreicht werden kann. Es ist das Mittel des
Erkennens und Erlebens. Sein Platz ist im Glauben.67 Dieses Verständnis der
Mystiker bezieht sich auch auf den Koranvers:

Das sind die, in deren Herzen geschrieben Gott den Glauben.68

63 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī, Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, o. J., Bd. 3, 198.
64 Ebd.
65 Hīfrū Muḥammad ʿAlī Dīrakī. al-Maʿrifa wa ḥududuhā ʿinda Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Damas-
kus: at-Takwīn lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 2006, 144.
66 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī, Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 3, 198.
67 Abū al-ʿAlā ʿAfīfī: Taʿlīqāt ʿalā al-Fuṣūṣ al-ḥikam. Beirut: Dār iḥyāʾ al-kutub al-ʿarabiyya,
1946, 139.
68 Koran, Sure 58,22, Karimi.
482 Daro Alani

Die zentrale Rolle zum Verständnis des Prozesses der Herzerkenntnis kommt der
Vorstellung oder Imagination zu. Wie bereits ausgeführt, nimmt die Vorstellung
des Menschen eine Mittelstelle ein zwischen seinen Sinnen und seinem Denken
und schließlich der Vernunft. Die Vorstellung ist somit die Kraft, die der Vernunft
hilft, Dinge zu erkennen.
Gemäß Ibn ͑Arabī umfasst Imagination/Vorstellung (ḫayāl) mehrere Stufen:
1. Stufe der absoluten Imagination (ḥaẓrat al-ḫayāl al-muṭlaq). Absolute Imagi-
nation, die Ibn ͑Arabī als ʿamāʾ beschreibt, ist eine Verallgemeinerungsstufe,
die alle hergestellten unterschiedlichen Formen der Seienden beinhaltet.
2. Verwirklichte (muḥaqqaq) Imagination. Gemeint ist ʿamāʾ aber in dem
Moment, als ihr die Bereitschaft gegeben wurde, die Form anderer Seienden
anzunehmen.
3. Abtrennbare Imagination (ḫayāl al-munfaṣil), eine autonome Stufe, unab-
hängig von der Vorstellung der Menschen.
4. Verbundene Vorstellung (ḫayāl al-muttaṣil): Gemeint ist die Vorstellung der
Menschen.69
Wie im ersten Teil aufgezeigt wurde, ist für Ibn ͑Arabī prinzipiell alles, was es
außer Gott gibt, im Vergleich zum göttlichen Wesen nur Imagination. Die
absolute Imagination ist ʿamāʾ, die Zwischenwelt, nicht Sein und nicht Nicht-
Sein, und sie trägt alles in sich.70 Die absolute Imagination entspricht somit
dem Begriff des Logos bei den Philosophen, dem Engel Gabriel oder eben der
göttlichen Erkenntnis bei den Mystikern.

Die Herzerkenntnis besteht aus einer Verbindung der individuellen, verbundenen


Vorstellung mit der absoluten Imagination, indem die verbundene Vorstellung
sich auflöst und eintritt in die Zwischenwelt genannte absolute Imagination. Die
von den Mystikern angestrebte Erkenntnis des Innerlichen, also Herzerkennt-
nis, kann dann erreicht werden, wenn die Vernunft und auch die Sinne und das
Denken nicht aktiv sind. Da es in jedem Menschen die Kraft der Vorstellung gibt,
kann grundsätzlich jeder mit der absoluten Imagination in Kontakt kommen und
entsprechende Erkenntnisse erreichen. Bei den Mystikern finden sich verschie-
dene Beschreibungen und Wege um den Zustand dieser Erkenntnisfähigkeit zu
erreichen, sie sind sich aber einig, dass der Erkenntnismechanismus das Herz

69 Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Futūḥāt. Kairo: Dār al-Kutub al-ʿArabiyya, Bd. 2, 310–311. Vgl.: Suʿād
al-Ḥakīm. Muʿjam aṣ-ṣūfī. Beirut: Dandara lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 1981, 449.
70 Hīfrū Muḥammad ʿAlī Dīrakī. al-Maʿrifa wa ḥududuhā ʿinda Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Damas-
kus: at-Takwīn lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 2006, 68–69.
Herz- und Vernunfterkenntnis in der islamischen Mystik 483

sein muss und alle anderen Kräfte ausgeschaltet sein müssen. Der Zustand dieser
Erkenntnisbereitschaft wird generell als Entwerdung (fanāʾ) beschrieben.
In seiner 1930 in Cambridge vorgelegten Dissertation über die sufische Phi-
losophie Ibn ͑Arabīs beschreibt Abū al-ʿAlā ʿAfīfī (1897–1966) das Erreichen des
Zustands der Entwerdung gemäß Ibn ͑Arabī beispielhaft in sieben Stufen:
1. Entwerdung von der Sünde (fanāʾ ʿan al-maʿāṣī), der Mystiker ist auf der
reinen Lichtstufe (ḥaẓrat an-nūr al-maḥḍ)
2. Entwerdung von jeder Tätigkeit (fanāʾ ʿan al-afʿāl), so dass nur Gott handelt
im Menschen
3. Entwerdung von den Eigenschaften, in diesem Zustand sieht Gott sich im
Menschen
4. Entwerdung vom Wesen. In diesem Zustand hat der Mystiker kein äußerliches
Wesen mehr, nur seine Substanz bleibt
5. Entwerdung von der ganzen Welt. Man hört auf, an die äußerliche Welt zu
denken, nimmt nur noch wahr, was dahinter steht.
6. Entwerdung von allem außer Gott. In diesem Zustand ist der Mystiker über-
haupt nicht mehr bewusst bei sich, Gott selbst denkt, ist das Thema des
Denkens und beherrscht das Denken.
7. Entwerdung von göttlichen Eigenschaften, das heißt, der Mystiker sieht das
Universum nicht auf der Basis Ursache-Wirkung, wie Philosophen denken,
sondern er sieht das Universum als Äußerliches von Gott.71

Die genaue Beschreibung oder Erfassung von dem, was im Zustand der Entwer-
dung, der Verbindung der individuellen Vorstellung mit der absoluten Imagina-
tion, geschieht, ist ausgesprochen schwierig. Im ersten Teil wurde bereits ausge-
führt, dass ʿamāʾ (die absolute Imagination) nicht Gott selbst ist, dieser vielmehr
noch darüber steht. Ein Grund, weshalb viele Mystiker in dieser Beschreibung
so genau differenzieren, ist wahrscheinlich der, dass sie klarstellen wollen, dass
sie auch im höchsten Trancezustand der vollständigen Entwerdung nie eine Ver-
bindung mit dem göttlichen Wesen selbst erreichen, sondern allerhöchstens mit
dem ersten Erscheinungsort des göttlichen Wesens.
Wenn sich ein Mystiker in diesem Zustand der Entwerdung befindet, enthüllt
sich ihm die Allsubstanz (das Wirkliche). Ibn ͑Arabī beschreibt, dass Erkenntnis,
die im Zustand der Entwerdung erreicht wird, von unfehlbarer Art ist. Die Herz-
erkenntnis ist direkt, wahrhaftig und bringt dem Erkennenden selbst Gewiss-

71 Abū al-ʿAlā ʿAfīfī. al-Falsafa aṣ-Ṣūfiyya ʿinda Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Kairo: Dār al-kutub wa
al-wathāʾiq al-qaumiyya, 2009, 221–223.
484 Daro Alani

heit.72 Im Gegensatz dazu verbleiben theoretische Erkenntnisse aus der Vernunft,


sowie deren Wahrheiten und Erfahrungen, meist im Zustand von Möglichkeit,
Wahrscheinlichkeit oder sehr großer Wahrscheinlichkeit. Das beschreibt auch
Karl Popper, wenn er erklärt, dass Wissen heute in der Regel nichts weiter heißen
kann, als eine Theorie solange als gültig zu betrachten, bis ein Gegenbeweis
erbracht wird, wobei jeder gescheiterte Versuch, die Theorie zu widerlegen als
zusätzliche Bestätigung gelten kann.73
Das mystische Erlebnis der Entwerdung oder der Herzerkenntnis ist von aus-
gesprochen individueller Art, das heißt, man kann es nicht logisch einordnen
und nur sehr begrenzt in Worte fassen, wie es beispielsweise auch mit der Liebe
der Fall ist – glaub dem nicht, der über Liebe redet, aber noch nie verliebt war.
Mystische Erfahrungen werden gerade darum oft künstlerisch verarbeitet.
Während die eigentliche Erkenntnis in der absoluten Imagination, mit der
der Mystiker in der Entwerdung verbunden ist, eine einzige ist, ist der Zugriff
ein individueller. Was dann berichtet wird, ist noch stärker persönlich geprägt,
weil es durch Denken und Vernunft verarbeitet werden muss, da es anders nicht
weitergegeben werden kann. So unterscheiden sich die Beschreibungen und Ver-
arbeitungen schließlich unweigerlich voneinander. Die eigene Erkenntnis, die
durch das Herz erreicht wurde, kann einem anderen nur begrenzt vermittelt oder
weitergegeben werden und kann darum niemandem als Wahrheit aufgezwungen
werden.74
Die mystische Herzerkenntnis überschreitet demnach die Vernunft, deswe-
gen kann sie durch die Vernunft auch nicht immer überprüft werden. Wenn die
Schlussfolgerungen der eigenen Vernunft und die persönliche Herzerkenntnis
nicht zusammen passen, sollte die Vernunft nach Ansicht der Mystiker zuguns-
ten der Herzerkenntnis aufgegeben werden. Diese Erkenntnis taucht als Licht
im Herzen des Mystikers auf, wenn er im reinen Geisteszustand der Entwerdung
ist. Ibn ͑Arabī betont aber auch, dass es eine Brücke geben sollte zwischen Herz
und Vernunft, das heißt auch zwischen Mystikern und Nichtmystikern. Was ein
Mystiker in der Entwerdung empfängt und versteht, sollte dann im nüchternen
Zustand zu erklären versucht werden,75 damit die Vernunft vollkommener wird,
auch wenn absolute Vollkommenheit nie erreicht werden kann.

72 Ebd. 219.
73 Karl Popper. Alle Menschen sind Philosophen. München, Berlin, Zürich: Piper, 72015, 18–19.
74 Saʿīd ash-Shiblī. Naẓariyyat al-insān wa al-ḥurriyya fī ʿirfān Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Beirut:
Maktaba Ḥasan al-ʿaṣriyya, 2010, 200.
75 Hīfrū Muḥammad ʿAlī Dīrakī. al-Maʿrifa wa ḥududuhā ʿinda Muḥyī d-Dīn Ibn ʿArabī. Damas-
kus: at-Takwīn lliṭ-ṭibāʿa wa an-nashr, 2006, 145.
Herz- und Vernunfterkenntnis in der islamischen Mystik 485

Fazit
Zum Schluss soll noch mal zusammengeführt werden, was aus den bisherigen
Ausführungen wichtig erscheint und damit erläutert werden, dass es hier um
mehr geht, als nur um eine individuelle Suche nach Erkenntnissen über Gott von
einigen spirituellen Meistern.
Grundsätzlich benennen Mystiker zwar in der Regel Gotteserkenntnis als aus-
drückliches Ziel. Wenn man die Lehre der Einheit des Seins aber ernst nimmt,
so muss Gotteserkenntnis immer auch Wissen und Erkenntnis vom Sein, also
von der Welt bedeuten. Es geht also um das Streben danach, tiefere Wahrheiten
darüber zu erfahren, was die Welt im Innersten zusammenhält. Der Mensch ist
Teil eines komplexen großen Seins, das weit über das hinaus geht, was durch
menschliche Vernunft verstanden werden kann. Bei den Mystikern wird dieses
große, umfassende Sein mit dem Begriff der ʿamāʾ gefasst und als sich ständig
und unablässig verändernd beschrieben, um eine Idee davon zu vermitteln, wie
unfassbar es für den Menschen ist. Das bedeutet auch, dass so etwas wie absolute
Sicherheit, Gewissheit oder endgültige Urteile durch Vernunfterkenntnis allein
nicht erreicht werden können.
Aber auch wenn durch Herzerkenntnis Zugänge zu wahrem Wissen über
das Sein gefunden werden können, sind diese Zugänge immer einmalig und
persönlich. Was auf dem Weg der Herzerkenntnis erfahren wird, kann nur
beschränkt weitergegeben und mit anderen geteilt werden; keinesfalls aber kann
eine solche Erkenntnis den Anspruch absoluter Wahrheit für alle Menschen
erheben.
Trotz dieser Einschränkungen strebt der Mensch nach immer mehr und
immer zuverlässigerem Wissen. Anscheinend erwartet er auch, Dinge zu erfahren,
die sich auf etwas beziehen, das über ihn hinausgeht, sonst würde er nicht immer
wieder danach fragen.
Gerade in der Theologie ist es wichtig, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln,
dass sich letztlich alles in ständiger Entwicklung und Veränderung befindet und
dass Methoden und Zugänge zum Umgang mit dieser Tatsache gefunden werden
müssen.

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Namensregister
ʿAbd al-Ğabbār al-Hamadhānī (Abdulǧabbār) al-Ašʿarī, Abū al-Ḥasan 171 f., 247 f., 260,
86, 90, 92, 169 ff., 176, 178 ff., 243 f., 267, 300, 303, 313, 325 ff., 331 f., 336,
246, 250, 255 ff., 262 f., 271, 279, 286 f., 338 f., 341 f., 347 ff.
313 al-ʿAsqalānīI Ibn Ḥağar 205 f., 219 f.
ʿAbd al-Jabbār al-Hamadhānī 226 ff., 232 ff. al-Awzāʿī 218, 267
ʿAbd al-Karīm Aḥmad Ğadbān 189 ff. al-Baġdādī 34, 164, 172, 196, 212, 224,
ʿAbd al-Karīm ʿUṯmān 185, 197 440
ʿAbd al-Qādir Al-ʿĀnī 116 al-Bāqir, Muḥammad Ibn ʿAlī 11
ʿAbdallāh Ibn Abī Umayya 110 al-Baṣrī, Abū ʿAbdallah 172
Abī Muḥammad al-Ḥussain 332, 338 al-Baṣrī, al-Ḥasan 3 ff., 10 ff., 17 ff., 31, 33,
Abraham 13, 40, 54 ff., 460, 466 169, 196 f., 260, 331, 411
Abrahamov, Binyamin 188, 198 al-Baṣrī, Abū al-Ḥusaīn 174 f., 177, 271, 273,
Abū al-Ḥadīd 173 279
Abū az-Zinād 413 al-Bazdawī 125, 327
Abū Bakr 32, 42, 103, 106, 344 ff. al-Buḫārī 100, 102 f., 105, 107 ff., 121, 219 ff.,
Abū Bakr Ibn Abī Uwais 189 223 f., 350
Abū Bakr Ibn Masrūḥ 416 al-Ḍabbī al-Iṣfahānī, Abū Muḍar Maḥmūd Ibn
Abū Dāwūd 218, 221 Ğarīr 272
Abū Ǧʿafar Muḥammad 283 al-Ḏahabī 216
Abū Ǧahl 109 f. al-Ḍaḥḥāk, Ibn Muzāḥim al-Hilālī 12
Abū Hanīfa 130 al-Dāʿī, Muḥammad Ibn Zayd 206
Abū Ḥayyān al-Andalusī 8 al-Dāmiġānī, Abū al-Ḥasan 273
Abū Huraira 219 al-Fārābī, Abū Naṣr 139 f., 163 f., 231 f., 486
Abū l-Qāsim Maḥmūd Ibn ʿUmar 173, al-Farrāʾ, Yaḥīya Abū Zakariyyah 13, 33, 84 f.,
176 97, 249
Abū Manṣūr Naṣr al-Ḥārṯī 273 al-Fwaṭī, Hišām 198
Abū MūsāʿIsā Ibn Ṣubaiḥ Al-Mirdār 169 al-Ǧaḥdarī, ʿĀṣim 8
Abū Nawwās 413 al-Ğāḥiẓ, Abī ʿUṯmānʿAmrū Ibn Baḥr 264
Abū Rašīd Saʿīd an Nīsābūri 172 f. al-Ğāḥiẓ, ʿAmr Ibn Baḥr 169, 171, 198
Abū Šimr 196 al-Ğaṣṣāṣ, Abū Bakr Ahmad Ibn ʿAlī 85 ff.,
Abū Sufyān Ibn Ḥarb Ibn Umayya 43, 46, 48, 94, 97
51, 54, 60 al-Ğawālīqī, Hišām Ibn Sālim 196
Abū Ṭalḥa Zayd Ibn Sahl 43 ff., 54, 59 f. al-Ğawālīqī Ibn Aḥmad Abū Manṣūr 273
Abū Yūsuf 122 al-Ǧazarī ar-Raqqī Maymūn Ibn Mihrān 12
Abū Zaid Ibn ʿAlī 69 al-Ġazmīnī 176
Aḥmad Ibn Ibrāhim 218 al-Ghazālῑ, Abū Ḥamid 121, 133 f., 164, 172,
ʿĀʾiša 220 f., 412 f., 415 235, 355, 373 f., 431, 434, 440, 445–462
al-ʿAǧǧāǧ Ibn Ruʾba 18 al-Ǧīlī, ʿAbdulkarīm Ibn Ibrāhīm Ibn
al-ʿAllāf, Abū al-Ḥuḏail 169, 200, 202, 244, ʿAbdulkarīm 464, 466, 468, 486 f.
246 al-Ğubbāʾī, Abū ʿAli (al-Djubbā’ī, Abū
al-Alūsī, Abī aṯ-Ṯanāʾ 77 ʻAlī) 171, 175, 181, 206, 244, 247 ff.
al-Alūsī, Maḥmūd 85 al-Ğubbāʾī, Abū Hāšim 171, 248, 267
al-Āmidī, Sayf al-Dīn 373 al-Ǧuhanī Maʿbad 3
al-Aṣamm, Abū Bakr ʿAbd ar-Raḥmān Ibn al-Ğurğānī, ʿAbd al-Qāhir 264, 270, 278
Kaysān 195, 246 f. al-Ǧuwainī, Abū al-Maʿālī 172, 335
Namensregister 489

al-Hādī 194, 203 al-Naḍr Ibn al-Ḥāriṯ 110, 114


al-Ḥāfiẓ al-ʿIrāqī 121 al-Naǧrānī ʿAtiyya 174 f.
al-Ḥākim al-Ğišumī (al-Ḥākim al-Ğušamī) 173, al-Naǧrānī, Taqī ad-Dīn Muḫtār Ibn Maḥmūd
194, 245 f., 248, 264, 273 al-ʿUǧālī al-Muʿtazilī 172 ff., 186
al-Hārūnī, Abū Ṭālib 195, 198 al-Nasafī Ğaʿfar al-Mustġfirī 206
al-Ḥasan Ibn ʿAlī 179, 193 al-Nasafī, Abū l-Muʿīn 326, 340, 353 f., 358 f.,
al-Ḫaṭīb al-Baġdādī 212, 224 364 ff.
al-Ḫaṭīb, Muḥammad Ibn Hamza 333 al-Nasafī, Naǧm ad-Dīn Abū Ḥafṣ ʿUmar Ibn
al-Ḫayyāṭ, Abū l-Ḥusain 195, 207, 216, 224 Muḥammad 354
al-Ḥillī, Ibn Muṭahhar 373 al-Nasāʾī 217, 221, 224
al-Huḏalī, Yūsuf b. ʿAlī b. Ǧubāra al-Biskirī 4, al-Nāṭiq, Abū Ṭālib 191 ff., 195
15, 33 al-Naysābūrī, Abū al-Ḥasan ʿAlī Ibn
al-Ḥusain Ibn al-Faḍl 111 al-Muẓafar 273, 440
al-Ḫuwārizmī, al-Qāsim Ibn al-Ḥusain 272 al-Naẓẓām, Abū Ishāq Ibrāhīm 74, 155, 169 f.,
al-Ḫuwārizmī, Rukn ad-Dīn Maḥmūd Ibn 175, 198, 202, 232 f., 246 f., 358
al-Malāḥmī 173 ff., 273 al-Qāḍī ʿIyāḍ 10
al-Ḫuzāʿī, Aḥmad Ibn Naṣr 218 al-Qaffāl al-Marwazī 335
ʿAlī Ibn Abī Ṭālib 11, 30 ff., 219, 330, 345, 411 al-Qalānisī, Abū l-ʿAbbās 327, 350
ʿAlī Ibn al-Madīnī 100 al-Qazwīnī, Abū Ḥātim 127 f.
ʿAlī Ibn Muḥammad Ibn ʿAbdullāh 193 al-Qummī, ʿAlī Ibn Ibrāhīm 89, 98
ʿAlī Muḥammad Zaid 197 al-Qurṭubī, Abū ʿAbdallāh Ibn Muḥammd Ibn
al-Iṣfahānī, Abū Muslim Muḥammad 250, 272 Aḥmad al-Anṣārī 10, 110 f., 117
al-Iskāfī, Abū Ğaʿfar Muḥammad Ibn al-Rassī, al-Qāsim Ibn Ibrahīm 188 f., 194,
ʿAdallāh 169, 201 196, 199 f., 203
al-Iṣṭakharī, Abū Saʿīd 415 al-Rāzῑ, Fakhr al-Dῑn 78, 97 f., 118, 245, 355,
al-Kaʿbī al-Balḫī, Abū al-Qāsim ʿAbdullāh b. 373–390
Aḥmad b. Maḥmūd 175, 204 ff., 211 ff., al-Rumī, Jalāl ad-Dīn 479
215, 217 ff., 221 f. al-Rummānī, ʿAlī Ibn ʿĪsā 250 ff., 264
al-Kaʿbī, Abū Rašīd 177 al-Šāfiʿī, Muḥammad 34, 79, 123 f., 126, 130,
al-Karābīsī 219 208 ff., 212, 225, 267, 337 f., 440
al-Kulainy 288 al-Ṣāḥib Ibn ʿAbbād 173, 226, 354
al-Lālikāʾī 218, 224 al-Šahrastānī, ʿAbd l-Karīm 166, 172, 196
al-Maḥallī, Ğalāl ad-Dīn 97 al-Šaibānī, Muḥammad Ibn al-Ḥasan 122 f.,
al-Makkī, ʿUbayd Ibn ʿUmayr 11 f. 127, 130, 332, 440
al-Māturīdī, Abū Manṣur Muḥammad Ibn al-Sakandarī, Ibn al-Munīr 274
Muḥammad 85 f., 91 f., 97, 247, 293 ff., al-Sālimī, Abū Šakūr 324, 326 ff., 348 ff.
325, 327, 332, 341 f., 348 ff., 353 f., al-Samarqandī Shams al-Dīn 110, 117, 374
357 ff., 365 f., 371 f., 374 al-Sanūsī, Muḥammad Ibn Yūsuf 375
al-Māwardī, Abū Ḥasan 10, 391 ff., 428 ff. al-Šaqqānī Abū Saʿd 273
al-Muġīra Ibn Šuʿba 416 al-Šaʿrī, Zaynab bt. 273
al-Muqtadir 415 al-Subkī, Tāǧ ad-Dīn 356, 366
al-Murādī, Muḥammad Ibn Manṣūr 189, 201 al-Sulamī, Muʿammar Ibn ʿAbbād 169, 185 f.
al-Mustaẓhir 15 al-Suyūṭī, Ğalāl ad-Dīn 79, 82, 84 f., 88, 96,
al-Muʿtaṣim 171 98, 100, 113, 115, 118, 120, 130
al-Mutawakkil 171 al-Ṭabarī, Muḥammad Ibn Ğarīr 66, 76 f., 80,
al-Nāblusī, ʿAbd al-Khanī Ibn Ismāʿīl 464 f., 111, 118, 224 f., 249, 440
467, 486 al-Ṭabarsī, al-Faḍl 89, 98
490 Namensregister

al-Ṭabrisī, Abū ʿAlī al-Faḍl Ibn al-Ḥasan 264 Ḍirār Ibn ʿAmr al-Ġaṭafānī 187, 200, 207,
al-Taimī, Abū ʿUbaida Maʿmar Ibn-al- 223
Muṯannā 269, 281 Diyaʾ ad-Dīn al-Makkī 273
al-Tirmiḏī, Muḥammad Ibn ʿĪsā Ibn Saura Ibn Elder, Edgar 355, 372
Mūsā Ibn aḍ-Ḍaḥḥāk 92, 104, 106 f., Ess, Joseph van 3, 33, 65, 166, 187, 198, 203,
114 f., 118 207, 223, 241, 264, 322, 350, 372
al-Ṭūsī, Abū Ǧaʿfar Muḥammad Naṣīr
ad-Dīn 34, 89 f., 245 f., 248, 373 Fatḥallāh aš-Širwānī 353
al-Ṭūsī, Naṣīr al-Dīn 374 Fāṭima bint Muḥammad 346
al-Uswārī ʿAmr Ibn Fāʾid 4, 16, 19 Fudge, Bruce 245, 247 f., 264
al-Uswārī, Abū ʿAli 169
al-Wāḥidī, Abū l-Ḥassan ʿAlī Ibn Ǧābir Ibn ʿAbdallāh 103 ff.
Aḥmad 100 f., 107, 117 Ǧaʿfar aṣ-Ṣādiq 31
al-Walīd Ibn Muslim 218 Ğaʿfar Ibn Ḥarb 169, 195 ff., 200 ff., 244
al-Warrāq, Abū ʿIsā 283 Ğaʿfar Ibn Mubaššar 169, 201
al-Warrāq, al-Ḥasan 244 Ganj-i Shakar, Farīduddīn 326
al-Zahidī al-Ġazmīnī, Naǧm ad-Dīn Muḫtār Ibn Ġaznī, Maḥmūd von 335
Maḥmūd 176 Gimaret, Daniel 245, 248, 264, 336, 350,
al-Zailaʿī 121 366, 372, 388
al-Zamaḫšarī 31, 34, 90 f., 98, 107, 109 f., Goldziher, Ignaz 187, 243, 264
118, 173, 176, 245, 266, 273 ff., 368, 372 Grünschloss, Andreas 56, 65
al-Zamaḫšarī, Maḥmūd Ibn Umar 266, 271 f. Gutas, Dimitri 132, 164
al-Zarkašī, Badr ad-Dīn 111, 115, 118
al-Zuhrī, ʿUrwa 220, 222 Ḥafṣ al-Fard 189, 195, 200, 354
Ansari, Zafar 371 f. Ḥaǧjjāgj Ibn ʿUbayd 416
Aristotle 132, 134, 136 f., 139, 144 ff., 148, Hāshim Maʿrūf al-Ḥasanī 284, 288
152 ff., 156, 163 ff., 228, 230 f., 240, 456 Heinrichs, Wolfhart 269, 281, 486
Avicenna 445 Hišām Ibn al-Ḥakam 196, 232, 283
Hishām Ibn ʿUrwa 413
Badawī, ʿAbd ar-Raḥmān 163, 169, 240 Höfner, Maria 40, 65
Bauer, Thomas 74, 97, 344, 350 Horten, Max 176, 187
Berger, Lutz 35, 62, 64, 372 Hourani, G. F. 169, 183, 238, 240
Berque, Jacques 75 f., 97 Hourani, George Fadlo 187
Bišr Ibn Al-Muʾtamir 169, 244 Hume, David 293, 322
Blanc, Haim 164 Ḥurūfīya 337
Bobzin, Hartmut 33, 71, 97, 372, 486
Brockelmann, Carl 65, 174 f., 186 Ibn ʿAbbās 7, 12, 21, 81, 85, 111, 114 ff., 249
Brodersen, Angelika 294, 322, 324, 350 Ibn ʿAbd al-ʿAzīz, ʿUmar 3
Buddha Siddhartha Gautama 58 Ibn Abī Ḫayṯamah 218
Ibn Abī Surayǧ 17
Cerić, Mustafa 325, 350 Ibn Abī Uwais, Ismā’il 189
Ibn Abī Waqqāṣ, Saʿd 10
Daiber, Hans 173 f., 186 Ibn ʿAffān, ʿUṯmān 32
Democritus 228 Ibn ʿĀʾiša 220 f., 412 f., 415
Dere, Ali 436 f., 440 Ibn al Malāḥmī 173 f., 176 f.
Descartes, René 293 f., 312, 322, 470 Ibn al-ʿArabī Abū Bakr Muḥammad 92, 94
Dhanani, Alnoor 240, 313, 322 Ibn al-Ašras, Ṯumāma 169
Namensregister 491

Ibn al-Ğawzī, ʿAbd ar-Raḥmān Abū Ibn Qutaiba, Abū Muḥammad 77, 88 ff., 97,
al-Farağ 97 224, 264
Ibn al-Ḥağğāg, Šuʿba 218 Ibn Sallām, Abū ʿUbaid al-Qāsim 97
Ibn al-Ḥanafiyya, al-Ḥasan Ibn Muḥammad 3 Ibn Sīnā 140, 232, 235, 374 f., 384, 449
Ibn al-Ḫaṭṭāb, ʿUmar (ʿOmar) 32, 175 Ibn Taymiyah, Taqī ad-Dīn Aḥmad 97
Ibn al-Malāḥmī, Rukn ad-Dīn Maḥmūd 173 ff., Ibn Taymiyya, Aḥmad Ibn ʿAbd al-Ḥalīm 186,
273 266
Ibn al-Murtaḍā, Aḥmad Ibn Yaḥyā 226, 247, Ibn ʿUbayd, Ziyād 416
264 Ibn ʿUbayd, ʿAmr 3 ff., 16, 19
Ibn al-Musayyib, Saʿīd 10 f., 222 Ibn ʿUyayna, Sufyān 218
Ibn al-Rāwandī 283 Ibrāhīmī Dīnānī 286, 289
Ibn al-Wazīr, Muḥammad Ibn Ibrāhīm 176 f. ʿIkrima 12
Ibn al-Zubayr, ʿUrwa 11, 219, 426
Ibn an-Nadīm al-Warrāq 165, 207, 224, 264 Kant, Immanuel 293 f., 322, 479
Ibn ʿArabī 97, 389, 485 ff. Krawietz, Birgit 126, 130
Ibn ar-Rabī,ʿ Saʿd 104 ff. Küng, Hans 122, 130
Ibn ʿAšūr, Muḥammad aṭ-Ṭāhir 100, 118, 221,
224 Madelung, Wilfert 188, 191 ff., 198, 200 f.,
Ibn ʿAtā,'Wāṣil 169 203, 273 ff., 282 f., 288 f., 325, 350,
Ibn ʿAyyāsh, Abū Isḥāq 226 372
Ibn Bābūya 287 f. Madkour, Ibrahim 133, 165
Ibn Daqīq al-ʿĪd 120 Maḥğūb Ben Milād 74
Ibn Ğinnī 265, 269, 279 Maitham Tammār 283
Ibn Ǧubayr, Saʿīd 7, 12 Mālik Ibn Anas 20, 109 f., 124, 183, 189, 218,
Ibn Ǧurayǧ 11 f. 220, 437, 440
Ibn Ḫalaf, Ubayy 222 McAuliffe, Dammen Jane 72, 88, 97 f.
Ibn Ḫallikān, Aḥmad Ibn-Muḥammad 272 ff., Montgomery Watt, William 53, 322
281, 335, 350 Motzki, Harald 210, 224
Ibn Ḥanbal, Aḥmad 104 f., 124, 207 Muʿādh Ibn Jabal 424
Ibn Ḥazm 33, 132, 134 ff., 205, 212, 223 f. Muḥammad ʿAbduh 98, 185 f.
Ibn Ḥuzayfa, Sālim 220 Muḥammad Ibn Šabīb 196
Ibn Kaʿb, Ubayy 18, 30 Muḥammad Ibn Sīrīn 11
Ibn Kaṯīr 90, 97, 107 f., 110, 115 ff., 281 Muḥammad Kamāl ad-Dīn Imām 429, 432
Ibn Kullāb 241, 322, 327 Muḫtār Ibn Maḥmūd 172, 176 f.
Ibn Ma ͑bad, Sahl 416 Muʿizz ad-Dīn Kart 352
Ibn Mālik, Anas 20, 109 f., 124, 130, 183, 189, Muqātil Ibn Sulaimān 80 ff., 98, 100, 246
218, 220, 267, 423, 440 Mūsā Ibn Sayyār al-Uswārī 4
Ibn Manẓūr, Muḥammad Ibn ʿAlī Ibn Aḥmad Mwais IbnʿImran 196
Ibn Mukarram 97
Ibn Masʿūd 17 f., 21, 114 f., 117 Nader, Albert Nasri 169, 203
Ibn Mattawaih, al-Ḥassan Ibn Aḥmad 173, Nafiʿ Ibn al-Ḥārith 416
179, 187 Nagarjuna 58
Ibn Muǧāhid, Aḥmad Ibn Mūsā Nagel, Tilman 53, 65, 287, 350
al-Baġdādī 11 f., 34 Nicholson, Reynold A. 479
Ibn Muṭahhar al-Ḥillῑ 373 Niẓāmuddīn Auliyā 326
Ibn Qais, Ṯābit 107 Noth, Albrecht 51, 64 ff.
Ibn Qanbar, ʿAmr Ibn ʿUṯmān 268 Nuʿmān Kūfī, Bin ʿAlī bin 283
492 Namensregister

Özcan, Hanifi 293 ff., 322 Strothmann, Rudolf 188, 195, 197 f.,
203
Paret, Rudi 34, 54, 66, 71, 98, 118, 130, 486
Peters, J. R. T. M. 187, 227, 229, 240 Ṭāshköprüzāda, Aḥmed Ibn Muṣṭafā 372
Plato 154, 166, 231 f., 293 Tillschneider, Hans-Thomas 101, 103, 118
Plotinus 166, 231 Turki, Abdel-Magid 166
Popper, Karl 469, 484, 486
ʿUmar Kaḥḥāla 174 f.
Qatāda Ibn Diʿāma as-Sadūsī 3, 12, 69 Umm Ḥabība 36, 43, 46 ff., 53, 59 f.
Umm Jamīl bint al-Afqam 416
Raǧā Ibn Ḥaywa 15 Umm Salama 221
Rebstock, Ulrich 128, 130 Umm Sulaym bint Milḥān 36, 43 ff., 56, 59 ff.
Reinert, Benedikt 268, 281 ʿUqba Ibn Abī Muʿaiṭ 114
Reiß, Katharina 395, 440
Rudolph, Ulrich 65, 294 f., 302 ff., 308, 313, Vermeer, Hans J. 395, 440
315, 323, 325, 333, 350, 372 Versteegh, C.H.M. 273, 275, 282

Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī 351 ff., 359 ff. Wansbrough, John E. 72 f., 87, 98
Sahla bint Suhayl 220 Watt, W. Montgomery 53, 66, 206, 225, 241,
Saint-Exupéry, Antoine de 463, 486 322
Sander, Paul 288 f. Welch, Alford T. 53, 66
Šawkānī, Muḥammad Ibn ʿAli 352, 372 Wild, Stefan 72, 98
Šayba Ibn Niṣāḥ 8
Sayyid Murtaḍā Alamulhudā 284 ff. Yāqūt, Ibn ʿAbd Allāh al-Ḥamawī 164, 272 f.,
Schacht, Joseph 127, 131 282
Scheich Mufīd 284 ff.
Sharaf al-Dīn Ibn al-Tilimsānī 375, 383, 387, Zarzūr, ʿAdnān 98, 256, 264
389 Zayd Ibn ʿAlī 69
Sībawaih (=ʿAmr Ibn ʿUṯmān Ibn Qanbar) Zayd ibn ʿAmr 57
267 f., 278, 282 Zinnīra 36, 41 f., 46 f., 49 f., 53, 59

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