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Herausgegeben

vom Deutschen
Akademischen
Austauschdienst
in Zusammenarbeit
mit dem
Fachverband
Deutsch als Fremdsprache

Nr. 4 34. Jahrgang August 2007

Inhalt
Artikel Wanna Saengaramruang
Deutschunterricht und Germanistikstudium in Thailand: früher,
heute und morgen 341

DaF im Ausland Jianpei Yang


Entwicklungsmerkmale der Fachsprachenvermittlung im chine-
sischen Deutschunterricht am Beispiel der Tongji-Universität 373
Daniel Jaeger, Martina Nied Curcio, Lisa Schlanstein
Handlungsorientierter Deutschunterricht im dreijährigen Curri-
culum an italienischen Hochschulen 390

Didaktik DaF / Markus Raith


Aus der Praxis »In der Ferne daheim«. Didaktische Überlegungen zum Verhält-
nis von Sprache, Musik und Identität 403
Almut Meyer
Fachfremdsprachenangebot zur deutschen Rechtssprache an der
Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Turku 409
Sabine Schmidt und Karin Schmidt
Erinnerungsorte – Deutsche Geschichte im DaF-Unterricht 418
Eva Neuland
Mündliche Kommunikation als Schlüsselkompetenz: Entwick-
lung eines Moduls für germanistische Studiengänge 428

(Fortsetzung umseitig)
340

Über die Autoren 439

Abstracts 441
341

Deutschunterricht und Germanistikstudium in


Thailand: früher, heute und morgen

Wanna Saengaramruang1

0. Einleitung Das zweite Ziel dieser Arbeit ist der Hin-


Seit mehr als 80 Jahren wird in Thailand weis auf die und eine Diskussion der in der
Deutsch gelehrt, aber die Entwicklung nahen Zukunft zu überwindenden Haupt-
des Deutschen als Fremdsprache ist bis probleme des Deutschen als Fremdspra-
heute noch nicht systematisch und konti- che in Thailand. Die Autorin versucht in
nuierlich untersucht und dokumentiert einer Schlussbetrachtung, diese Probleme
worden. Daher hat diese Arbeit als erstes anhand folgender Fragen zu erörtern:
das Ziel, einen Überblick über die Ent- – Fragen zur Interpretation des Konzepts
wicklung des Deutschen als Fremdspra- der Lernerzentriertheit in der aktuellen
che in Thailand sowohl an der Schule als Bildungsreform in Thailand und die
auch an der Universität von den Anfän- Wirkung der Reform auf den Deutsch-
gen bis in die Gegenwart zu geben. Die unterricht auf der Schulebene,
Untersuchung und Analyse des Deutsch- – Fragen nach den Gesichtspunkten der
unterrichts und des Germanistikstudi- Förderung des Fremdsprachenunter-
ums in Thailand befasst sich dabei mit richts in Thailand und schließlich
folgenden Aspekten: Geschichte, Lehr- – die wichtigste Frage, nämlich wer die
methoden, Curricula, die Entwicklung Politik des Fremdsprachenunterrichts
des Lehrmaterials, die Zahl der Deutsch- und damit des Deutschunterrichts in
lehrer, Schüler und Schulen, die Einstel- Thailand bestimmt.
lung der Deutschlehrer, Erwartungen der
Deutschlernenden und ihre Einstellung 1. Geschichte
zum Deutschunterricht, Forschungen zur Der erste Deutschunterricht in Thailand
Verbesserung des Deutschlernens in fand 1920 an der Chulalongkorn Univer-
Thailand, Organisationen und Aktivitä- sität in der Fakultät für Philologie und
ten zur Entwicklung des Deutschlernens Naturwissenschaften statt, also drei Jahre
in Thailand und ausländische Unterstüt- nach der Gründung der Chulalongkorn
zung. Universität im Jahre 1917.2 Phra Montri

1 Mein herzlicher Dank geht an Björn Laser, DAAD-Lektor an der Deutschen Abtei-
lung, für seine fruchtbaren Vorschläge. Diese Forschungsarbeit wurde vom »Faculty
Research Fund« der Philosophischen Fakultät, Chulalongkorn Universität finanziell
unterstützt.
2 Aus: »Bericht über Selbstevaluation des Department of Western Languages, Faculty of
Arts, Juli 2000«. Die englische Bezeichnung der Fakultät war ›Faculty of Arts and
Science‹. Angeboten wurden Studiengänge in Sprachen, Literatur und Naturwissen-
schaften; aus ihr ist die heutige Philosophische Fakultät der Chulalongkorn Universität
(Faculty of Arts) hervorgegangen.

Info DaF 34, 4 (2007), 341–372


342

Pochanakit war der erste Thai-Dozent, DAAD-Stipendium in Deutschland wei-


der Deutschunterricht gab.1 Der erste terstudierte und später Deutschlehrerin
deutsche Dozent für Deutsch an der an der Chulalongkorn Demonstration
Chulalongkorn Universität war Dr. phil. School wurde. Das Deutschlernpro-
Klaus Wagner; »er war wohl der erste gramm für Studierende der Philosophi-
hauptamtliche [sic!] Universitätsdozent schen Fakultät begann erst im Jahre 1962
für Deutsch in Siam« (vgl. Festschrift mit der Einschreibung von drei Studen-
1967: 1). Während des Krieges wurden tinnen. 1963 nahm die Deutsche Abtei-
die Deutschkurse eingestellt und sie wur- lung Studienanfänger mit zwei Jahren
den erst nach dem Zweiten Weltkrieg Deutschvorkenntnissen von der Ober-
wieder aufgenommen. Der erste vom schule ins Deutschprogramm auf. Die
Deutschen Akademischen Austausch- ersten Absolventen der Philosophischen
dienst an die Deutsche Abteilung ent- Fakultät schlossen ihr achtsemestriges
sandte DAAD-Lektor war 1957 Dr. Georg Deutschstudium mit Bakkalaureus-Grad
Heuser. Zu seiner Aufgabe gehörten der im April 1966 ab. Und seitdem entwi-
Wiederaufbau der deutschen Abteilung ckelte sich die Philosophische Fakultät in
und die Curriculumentwicklung in allen Thailand zur wichtigsten Institution, die
Stufen.2 Mit dem Ziel des Aufbaus des Deutschlehrende für den Schul- und
Deutschunterrichts in Thailand wurden Hochschulbereich ausbildet (vgl. Fest-
insgesamt zehn Dozenten mit einem Sti- schrift 1967: 9, 26).
pendium an das Goethe-Institut in Mün- 1968 kam Dr. Ampha Otrakul, die mit
chen geschickt. Zu ihnen gehörte Ampha DAAD-Stipendium in Marburg studiert
Otrakul, die 1959 mit einem Lehrdiplom hatte, mit einer Promotion in Germanis-
zurückkehrte. Sie wurde an der Chula- tik zurück. Sie arbeitete seitdem bis zu
longkorn Universität als beamtete Lehr- ihrer Pensionierung im Jahre 1995 als
kraft eingestellt und war damit die erste Leiterin der Deutschen Abteilung der
hauptamtliche thailändische Universi- Chulalongkorn Universität. Prof. Dr.
tätsdozentin für Deutsch (vgl. Festschrift Ampha Otrakul leistete Pionierarbeit bei
1967: 6). Im Jahre 1957 wurde das erste der Übersetzung der deutschen Literatur
Curriculum für Deutsch erstellt und Stu- ins Thai und auch der thailändischen ins
dierende der Pädagogischen Fakultät Deutsche, wie viele Übersetzungsarbei-
waren die ersten, die sich für dieses Pro- ten in beiden Sprachen zeigen3. Außer-
gramm einschrieben. Am Ende des Studi- dem hat sie das erste Thai-deutsche Wör-
enjahres 1962/63 gab es dann auch die terbuch erstellt. Sie initiiert und unter-
ersten drei Absolventen, die erfolgreich stützt Aktivitäten zum Deutschlernen in
den ersten B. A.-Studiengang mit allen Formen und ist bekannt und aner-
Deutsch als Hauptfach abgeschlossen kannt nicht nur in Thailand, sondern
hatten. Eine dieser drei Absolventen war auch im Ausland. Sie war die erste Präsi-
Chompit Saradatta, die mit einem dentin des Thailändischen Deutschleh-

1 Phra Montri Pochanakit studierte vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland Chemie und
Pharmazie und war dann Dozent an der Chulalongkorn Universität.
2 Zur Unterstützung der Wiedereinrichtung des Studiengangs durch thailändische und
deutsche Institutionen vgl. a. Festschrift 1967 und das 1. Thailändisches Germanisten-
treffen 2002.
3 Z. B. die Übersetzung von Goethes Faust, die Übersetzung der Werke von Böll und
Nöstlinger oder die Übersetzung des Reisetagebuches des Königs Chulalongkorn.
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rerverbands in Thailand (gegründet und andere Lehr- und Wörterbücher für


1993) und wurde fünfmal für jeweils den Bereich Deutsch als Fremdsprache in
zwei Jahre in dieses Amt gewählt (von Thailand). Sie betreut die Magisterarbei-
1993 bis 2000 und von 2003 bis 2006). ten im Fach Deutsch als Fremdsprache
Auch nach ihrer Pensionierung ist sie von Magisterstudenten, die hauptsäch-
sehr aktiv. Assoc. Prof. Surapee Sungha- lich Lehrkräfte für Deutsch an Universi-
pichai war die erste Dozentin an der täten und Oberschulen sind. Zur weite-
Pädagogischen Fakultät, die sich der ren Entwicklung des Germanistikstudi-
thailändischen Deutschlehrerausbildung ums gehört auch das zweite Magisterpro-
sehr gewidmet hat, und sie spielte eine gramm an der Ramkhamhaeng Universi-
große Rolle bei der Ausbildung der thai- tät im Jahre 1999, ein Magisterstudien-
ländischen Gymnasiallehrer für Deutsch. gang mit dem Abschluss ›Deutsch als
Assoc. Prof. Thanomnuan O’charoen hat Fremdsprache‹.
Pionierarbeit geleistet, als sie 1974 das
Curriculum für den ersten Magisterstu- 1.1 Deutschunterricht an der Ober-
diengang für Deutsch an der Chulalong- schule
korn Universität erstellte, später auch bei An der Oberschule wurde Deutsch als
der Erstellung des Curriculums für den zweite Fremdsprache zum ersten Mal
deutschen Magisterstudiengang für mit Bekanntmachung des Erziehungs-
Übersetzung und Dolmetschen (vgl. ministeriums im Wat Bhorphitpimuk
O’charoen 1998: 71–75)1 und des Promo- Gymnasium angeboten, mit Reinhold
tionsprogramms für Deutsch, das im Oswald Geisler als Deutschlehrer (do-
Wintersemester 2006 eröffnet wurde. Der kumentiert in der Geschichte der Bhor-
Magisterstudiengang für Übersetzung phitpimuk Schule, zum 108. Grün-
und Dolmetschen Deutsch gewinnt heut- dungsjahr; vgl. Taatloha 2002: 195). 1941
zutage immer mehr an Interesse bei thai- wurde an der Triam Udomsuksa
ländischen Absolventen und könnte in Deutsch als zweijähriges propädeuti-
Zukunft dem Bedarf der thailändischen sches Programm zum Deutschstudium
Deutschstudierenden besser entsprechen an der Faculty of Arts der Chulalong-
als das traditionelle Germanistikstu- korn Universität angeboten. Dr. phil.
dium. Mit einem DAAD-Stipendium an Hans Klein war dort Deutschlehrer und
der Universität Kassel war Assoc. Prof. zugleich auch Deutschdozent an der Fa-
Dr. Wanna Saengaramruang 1992 die culty of Arts.
erste Thailänderin, die im Fach Deutsch Srinanta Silapaswas, die ehemalige Bera-
als Fremdsprache promovierte, und sie terin für Deutschunterricht von der Bera-
ist seit Februar 2007 Präsidentin des Thai- tungsstelle (Supervisory Unit) im Erzie-
ländischen Deutschlehrerverbandes. Sie hungsministerium und Prisna Taatloha
ist Pionierin für die Erstellung von vom Goethe-Institut sind zwei thailändi-
Deutschlernmaterial für thailändische sche Deutschdozentinnen, die eine sehr
Lerner (z. B. Deutsche Grammatik für thai- große Rolle bei der Entwicklung des
ländische Lerner, 1. Band 1983, und das Deutschunterrichts in Thailand gespielt
Thai-deutsche Wörterbuch für Touristik 1988 haben. Sie haben sich der Betreuung der

1 Sie war Präsidentin der Curriculumskommission für Magisterstudiengänge für Überset-


zung und Dolmetschen in Deutsch, Englisch, Französisch und Japanisch. Das erste
Programm in Englisch wurde im Wintersemester 1999 eröffnet, das für Französisch im
darauf folgenden Jahr.
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Deutschlehrer und der Lehrmaterialge- schaft in Bangkok und der Deutsch-Thai-


staltung bzw. -produktion gewidmet, ins- ländischen Gesellschaft in Bonn durch
besondere bei der Erstellung des Regio- kulturelle Aktivitäten, die Vergabe von
nallehrwerks Viel Spaß mit Deutsch und Preisen an die besten Studierenden des
bei Freitagsseminaren zur Lehrerfortbil- Faches Deutsch von verschiedenen Uni-
dung am Goethe-Institut. Eine Person, versitäten und nicht zuletzt die Förde-
die durch Unterstützung mit Lehrmate- rung von Praktika in Deutschland zu
rialien und durch Stipendien zur Lehrer- erwähnen.
fort- und Weiterbildung ebenfalls eine
bedeutende Rolle gespielt hat, war Cle- 1.2 Germanistikstudium in Thailand
mens Terörde, der ehemalige Leiter der Das Studienprogramm Deutsch wurde
Spracharbeit und stellvertretende Leiter im ersten Curriculum 1957 mit unter-
des Goethe-Instituts in Bangkok (1990– schiedlicher Gewichtung für Studierende
1998).1 Er war auch der Initiator bei der verschiedener Fakultäten angeboten. Für
Gründung des Thailändischen Deutsch- Studierende der Philosophischen Fakul-
lehrerverbands 1993. Thailändische Or- tät lag das Gewicht des Studienpro-
ganisationen zur Unterstützung des gramms auf Sprache, Literatur und Ge-
Deutschunterrichts in Thailand sind, ab- schichte. Im ersten Curriculum gab es
gesehen von der Beratungsstelle des Er- folgende Studienprogramme:
ziehungsministeriums (Supervisory 1. ein 4-jähriges, 7–9 Wochenstunden um-
Unit)2, die Thai-deutsche Kulturstiftung fassendes Studium der deutschen
mit ihrer Vergabe der Stipendien an Sprache, Literatur und Geschichte für
Deutschlehrer zur Fortbildung in Studierende der Philosophischen Fa-
Deutschland seit 1996 und ihrer Unter- kultät mit Vorkenntnissen in der deut-
stützung bei kulturellen Veranstaltun- schen Sprache;
gen, z. B. bei dem Druck des Überset- 2. ein 3–4-jähriges, sich auf 5–7 Wochen-
zungsbandes »Deutschsprachige Kurz- stunden belaufendes deutsches
geschichten« anlässlich des 48. Geburts- Sprachstudium mit einigen ergänzen-
tags von Prinzessin Maha Chakri Sirind- den Literatur- und Geschichtskursen
horn 20033. Außerdem ist die Unterstüt- für Studierende der Pädagogischen Fa-
zung von der Thai-Deutschen Gesell- kultät (Deutsch als Haupt- oder Ne-

1 Vgl. TDLV-Forum 2/1997: 86; vgl. »Versuch einer Bilanz« in TDLV-Forum 6 (2001): 109–
115 und TDLV-Forum 8 (2003): 1–11. Zwischen 1990 und 1997 hat Clemens Terörde 108
Stipendien an thailändische Deutschlehrer vergeben, 18 an vietnamesische Deutschleh-
rer und neun an laotische Deutschlehrer. Die meisten Stipendien waren zur Fort-/
Weiterbildung in Deutschland, nur zwei waren zur Deutschlehrerfortbildung in Indone-
sien. Er ist sehr geschätzt unter den Deutschlehrern in Thailand und bekannt als Kenner
der asiatischen und europäischen Kulturen mit seiner mehr als 30-jährigen Erfahrung in
Asien (1967–1998), z. B. Bangladesch, Indonesien, Indien und in den letzten acht Jahren
vor seiner Pensionierung in Thailand.
2 Diese Einrichtung wurde abgeschafft, nachdem das Ministerium für universitäre
Angelegenheiten mit dem Erziehungsministerium verschmolzen wurde. Seit der Bil-
dungsreform der Regierung und der Umstrukurierung des Erziehungsministeriums
wurden Schulen in verschiedenen Ausbildungszonen neu gegliedert und als Folge
davon existierte seitdem keine Behörde mehr, die fürs Deutschlernen in Bangkok und
anderen Regionen zuständig ist.
3 Übersetzt von Dozenten der Deutschen Abteilung der Chulalongkorn Universität.
345

benfach zusätzlich zum Grundfach Die Ramkhamhaeng Universität dage-


Pädagogik); gen ist eine Fernuniversität und legt
3. ein 2-jähriger, auf 2–3 Wochenstunden daher das Hauptgewicht ihrer Studien-
berechneter deutscher Sprachlehrgang angebote auf Selbstlernen und Produk-
für Studierende der Naturwissen- tion des Materials zum Selbstlernen.
schaftlichen Fakultät (Deutsch als
freies Wahlfach neben Französisch und 2. Deutschunterricht in Thailand: eine
anderer Sprachen); Bestandsaufnahme
4. außerplanmäßige deutsche Sprach-
kurse für Dozenten und Studierende 2.1 Deutschunterricht an der Ober-
aller Fakultäten. schule in Thailand
Seit dem Beginn des Deutschpro-
gramms an der Chulalongkorn Univer- 2.1.1 Lehrmethoden und Lehrmaterial
sität bieten immer mehr staatliche und Hauptcharakteristik der Lehrmethoden
private Oberschulen und Universitäten im Deutschunterricht in Thailand ist,
Deutsch als Fremdsprache nach Eng- dass sie sich nach der Methodik und
lisch und neben Französisch und das Didaktik Deutsch als Fremdsprache in
Deutschprogramm als Hauptfach, Ne- Deutschland entwickelt haben, weil im
benfach oder Wahlfach an. Die meisten Deutschunterricht in Thailand vor allem
nachfolgenden Hochschulen mit Studi- importierte Deutschlehrbücher benutzt
engängen in Deutsch haben die curricu- wurden. Die verschiedenen Lehrbuchge-
lare Struktur des Deutschstudiums an nerationen spiegelten dann die verschie-
der Philosophischen Fakultät als Modell denen Fremdsprachenlehr- und -lernme-
genommen, nur mit unterschiedlicher thoden wider.
Gewichtung. Diese Gewichtung ist ab- Die Entwicklung der Unterrichtsmetho-
hängig von den unterschiedlichen Prin- den und der Deutschlehrwerke im
zipien der jeweiligen Universität und Deutschunterricht in Thailand kann in
dem Bedarf in der Region. Die Khon drei Phasen eingeteilt werden:
Kaen Universität (vgl. dazu
Weerananthanaphan 2000: 312) hat bei- Phase I (zwischen 1970–1974): Die Gramma-
spielsweise nach einer Studie über den tik-Übersetzungsmethode
Bedarf der Schüler im Nordosten Thai- Es fing mit der Einführung der ersten
lands 1997 ihr Curriculum für Deutsch Deutschlehrwerkgeneration im
abgeändert und Deutschkurse werden Deutschunterricht an der Oberschule in
jetzt an den Wünschen der Befragten Thailand an: Deutsche Sprachlehre für
hinsichtlich ihrer beruflichen Perspekti- Ausländer (Grundstufe in einem Band)
ven ausgerichtet: als wichtigstes angese- von Schulz/Griesbach. Hauptziel dieser
hen wird das Lehrangebot ›Deutsch für Methode ist die Vermittlung des Sprach-
Tourismus‹, dann ›Fachdeutsch für Hotel‹ systems, d. h. Lerneraktivitäten beste-
und ›Deutsch für Wirtschaftskommunika- hen hauptsächlich aus Auswendigler-
tion‹. Die sprachwissenschaftlichen und nen von grammatischen Regeln und
literaturwissenschaftlichen Kurse im Ausnahmen in der deutschen Gramma-
traditionellen Germanistikstudium wur- tik und Übersetzungsübungen zur Lern-
den zugunsten der berufsorientierten kontrolle. Typische Übungsformen sind
Kurse reduziert, damit die Absolventen z. B. korrekte Sätze nach einer Regel bil-
Deutsch in ihrem beruflichen Leben auf den, Sätze nach formalen Grammatikka-
dem Arbeitsmarkt gebrauchen können. tegorien umformen, Übersetzung von
346

der Muttersprache ins Deutsche und schen Situationen. Neues Sprachmaterial


vom Deutschen in die Muttersprache wird dialogisch in ›Alltagsituationen‹
etc. Das Lernkonzept war kognitiv. eingeführt und eingeübt. Typische
Sprachenlernen sollte die Entwicklung Übungsformen sind u. a. pattern drills,
des logischen und ordnenden Denkens Satzschalttafeln und Substitutionsübun-
fördern. Betont ist das Primat der gen. Dias, Filmstreifen, Tageslichtprojek-
Schriftsprache und nicht das Mündliche. tor verkörpern das visuelle Element, das
Als Folge davon werden Lerner die die Bedeutungsvermittlung in der Phase
Grammatik beherrschen, aber kaum die der Neueinführung und die Steuerung in
Kommunikation. Bei den Lernern wird der Übungs- und Transferphase erleich-
der Eindruck erweckt, Sprachlernen sei, tert.
das Sprachsystem einer Fremdsprache
zu lernen. Phase III (seit 1989): Die kommunikative
Methode
Phase II (zwischen 1975–1989): Die audio- Diese Methode fasste in Thailand zuerst
linguale/audiovisuelle Methode mit der Einführung der dreibändigen re-
Diese fing in Thailand mit der Einfüh- gionalen Lehrbuchreihe Viel Spaß mit
rung der Lehrbuchreihe Deutsch als Deutsch Fuß, erstellt von thailändischen
Fremdsprache von Braun/Nieder/Schmöe Deutschlehrern für thailändische
an. Die audiolinguale/audiovisuelle Me- Deutschlerner an der Oberschule (M4,
thode erwuchs aus einer Verbindung von M5 und M6)1 in Thailand, eine Zusam-
behavioristischer Lerntheorie und lingui- menarbeit zwischen Goethe-Institut und
stischem Strukturalismus. Als Lerntheo- der Supervisory Unit des Erziehungsmi-
rie liegt ihr die Stimulus-Response-Theo- nisteriums mit finanzieller Unterstüt-
rie zugrunde. Gefordert wird der natürli- zung und fachlicher Beratung von der
che Spracherwerb: Man soll eine Fremd- Zentralstelle des Goethe-Instituts in
sprache so lehren, wie die Mutter ihr München. Es ist das erste regionale
Kind die Muttersprache lehrt. Zu den Deutschlehrwerk in Thailand, d. h. das
wichtigsten Prinzipien gehören bevor- erste Deutschlehrwerk im Rahmen des
zugte Stellung des Mündlichen, Darbie- Konzepts der Lernerorientierung.2 Es
tung und Einübung von Sprache in typi- bietet Themenfelder, die im Interesse der

1 M4, M5, M6 sind die letzten drei Jahrgänge der Oberschulstufe vor dem Studium an der
Universität in Thailand. M = thail. Mathayomsuksa.
2 In den 80er Jahren spielten insbesondere die Fragen der Regionalisierung von
Lehrwerken und der Erstellung von regionalspezifischen Lehrwerken vor allem für
europaferne Länder eine zentrale Rolle in der fremdsprachendidaktischen Diskussion
über Deutschlehrwerke. Ein wesentlicher Aspekt des Regionallehrwerks besteht
darin, Bildungsziele und -inhalte, Methoden und Lehr-/Lernformen nicht mehr aus
der Bundesrepublik Deutschland zu importieren, sondern im Sprachunterricht auf
die spezifischen Bedürfnisse und Erfahrungen in der Region Bezug zu nehmen, aus
der Erfahrung, dass das sogenannte universelle oder universale Lehrwerk den
Bedürfnissen der Deutschlerner in verschiedenen Regionen aufgrund der unter-
schiedlichen sozialen und kulturellen Kontexte nicht entsprechen kann. Das Goethe-
Institut hat auf diesem Gebiet sehr produktive Arbeit geleistet und hat verschiedene
Regionallehrwerke finanziell und mit fachlicher Beratung unterstützt, z. B. Lernen Sie
Deutsch, ein Lehrwerk für koreanische Oberschulen, 2 Bände, mit Begleitbuch und
Tonmaterial 1980; Kontakte Deutsch, ein Lehrwerk für Oberschulen in Indonesien, 2
Bände, mit Arbeitsbüchern und Lehrerhandbüchern, 1982 und 1983.
347

thailändischen Deutschlerner an der 2.1.2 Die Zahl der Deutschlehrer, Schüler


Oberschule liegen und befähigt thailän- und Schulen
dische Deutschlerner zur Kommunika- Die Zahl der Deutschlehrer an der Ober-
tion mit Deutschsprachigen bezüglich schule, der Deutschlernenden in M4, M5
der thailändischen Kultur und Gesell- und M6, und der Schulen, die Deutsch
schaft. Dieses Konzept war in Thailand anbieten, ist in verschiedenen Untersu-
z. Zt. der Einführung sehr progressiv. Der chungen dokumentiert:
erste Band wurde 1989 im Deutschunter- 1989: 38 Deutschlehrer, 1.410 Deutsch-
richt an verschiedenen Oberschulen ein- lernende, 20 Schulen (Saengaram-
gesetzt und die Erstellung dauerte insge- ruang 1992: 39);
samt sechs Jahre. 1991: 38 Deutschlehrer, 2.265 Deutsch-
Durch einen Erlass des Erziehungsmi- lernende, 23 Schulen (Taarloha
nisteriums im Jahre 1981 wurde Fremd- 2002: 202–203);
sprachenlernen an der Oberschule in 1999: 53 Deutschlehrer, 32 Schulen
Thailand von zwei auf drei Jahre ausge- (Boonchim 1999: 70);2
dehnt (vgl. dazu Saengaramruang 1992: 2001: 58 Deutschlehrer, 3.347 Deutsch-
39). Heute können Schüler in M4, M5 lernende, 41 Schulen (Taarloha
und M6 im sprachlichen Zweig drei 2002: 203)3;
Jahre Deutsch als Hauptfach lernen, die 2004: 52 Deutschlehrer, 3.318 Deutsch-
Schüler im mathematisch-naturwissen- lernende, 39 Schulen;4
schaftlichen Zweig können Deutsch 2005: 54 Deutschlehrer, 3.744 Deutsch-
zwischen einem und drei Semestern als lernende, 42 Schulen;
Wahlfach lernen, daneben wird Deutsch 2006: 56 Deutschlehrer, 3.068 Deutsch-
an manchen Schulen von Schülern in lernende, 38 Schulen.
M2–M3 als Wahlfach gelernt.1 Außer- Die Aufstellung macht deutlich, dass sich
dem hat das Erziehungsministerium die Zahl der Deutschlehrer, Deutschler-
seine Rolle nach der Bildungsreform ge- nenden und Oberschulen mit Deutsch
ändert: Es bestimmt nurmehr die allge- von 1989 bis 2001 verdoppelt hat. 2004
meine Politik, ein Teil der Ziele und ging sie zurück. Die Zahl der Deutschleh-
Lerninhalte wird unter Anteilnahme rer, Deutschlernenden und Oberschulen
von Lernern und deren Eltern regional hat aber 2005 wieder zugenommen. Das
festgelegt. ist auf jeden Fall ein gutes Zeichen für die

1 Das thailändische Schulsystem hatte vor und hat auch nach der Reform zwölf Schuljahre
nur mit unterschiedlicher Einteilung. Das alte System hatte eine siebenjährige Grund-
schule (Pratom 1–7), eine dreijährige Sekundarstufe I (Mathayomsuksa 1–3 oder M1–3)
und eine zweijährige Sekundarstufe II (M4–5). Das neue System hat eine sechsjährige
Grundschule und eine je dreijährige Sekundarstufe I und II.
2 Boonchim hat in ihrer Studie 53 Deutschlehrer und 32 Oberschulen im Jahre 1999
angegeben, d. h. die Zahl der Deutschlehrer im Jahre 1999 ist gestiegen. Das ist nach
Boonchim auf die Zahl der geschulten Deutschlehrer zurückzuführen (20 von diesen 53
waren Lehrer im Umschulungsprogramm des Goethe-Instituts). In ihrer Studie wurde
die Zahl der Deutschlernenden nicht berücksichtigt.
3 35 von 41 Oberschulen standen unter der Aufsicht des »Department of General
Education«, zwei vom Ministerium für universitäre Angelegenheiten und drei von der
Behörde für private Schulen (vgl. Taarloha 2002: 200–201).
4 Herzlichen Dank an Frau Prisna Taatloha vom Goethe-Institut für die Informationen für
2004, 2005 und 2006.
348

Zukunft des Deutschlernens in Thailand. zu Lehrern anderer Fremdsprachen,


Diese Zunahme, welchen Grund sie auch etwa Englisch oder Französisch, Chan-
immer hat, sollte uns Anlass sein, die cen für einen Auslandsaufenthalt im
Qualität des Deutschunterrichts in Thai- Zielsprachenland haben.4 Das kommt
land weiter zu verbessern.1 Um das zu daher, dass die Zahl der Deutschlehrer
erreichen brauchen wir deutliche Ziele vergleichsweise gering ist und sie relativ
und genaue Pläne für Deutsch als Fremd- viel Unterstützung von deutschen Orga-
sprache in Thailand. Der Deutschunter- nisationen bekommen. Langjährige
richt in Thailand sollte sich weder belie- Hauptunterstützer des Deutschunter-
big vom jeweiligen Arbeitsmarkt bestim- richts und Germanistikstudiums in
men lassen noch ziellos und planlos vor- Thailand sind das Goethe-Institut und
gehen. Hier sind die zuständigen Institu- der DAAD.
tionen gefragt. Die Studie fragte nach Gründen für den
Deutschlehrermangel in Thailand. Nied-
2.1.3 Eine Studie über Deutschlehrer an der riges Einkommen der Deutschlehrer
Oberschule2 war nach Auffassung von 93,3 % der
1999 wurde unter Beteiligung von 45 befragten Deutschlehrer der Haupt-
Deutschlehrern3 (85 % der Gesamtzahl) grund (Boonchim 1999: 83). Als Folge
eine empirische Untersuchung durchge- davon tendierten Absolventen vorran-
führt. Bemerkenswert ist dabei die Tat- gig dazu, im privaten Sektor zu arbeiten
sache, dass nur eine Deutschlehrerin (95,6 % der befragten Deutschlehrer).
zum Zeitpunkt der Befragung noch kei- Darüber hinaus wurde ein Erlass des
nen Aufenthalt in Deutschland gehabt Erziehungsministeriums angeführt,
hatte. Die anderen 44 Deutschlehrer wa- nach dem nur Kandidaten mit mindes-
ren mindestens einmal zum Deutschler- tens 16 Creditstunden in Methodikkur-
nen, zu Seminaren oder auf Studienrei- sen als Lehrer eingestellt werden dür-
sen in Deutschland gewesen, 20 von 45 fen. Das führt dazu, dass Absolventen
befragten Deutschlehrer waren zwei bis mit Hauptfach Deutsch aus Philosophi-
drei Monate und zehn von 45 waren ein schen bzw. humanwissenschaftlichen
bis vier Jahre in Deutschland gewesen. Fakultäten als Deutschlehrer nicht in
Aus dieser Studie erkennt man, dass Frage kommen (Meinung der 91,1 % be-
Deutschlehrer in Thailand im Vergleich fragten).

1 Möglicherweise spielt die Entwicklung des Tourismus eine Rolle. Die Hochschulmarke-
ting-Politik des DAAD-Informationszentrums in Bangkok hat bislang ebenfalls dazu
beigetragen, dass viele thailändische Studierende ihr Studium in Deutschland fortsetzen
wollten, da das Studium in Deutschland bis 2006 gebührenfrei war.
2 Diese Studie wurde wie die meisten, die den noch folgenden Ausführungen zugrunde
liegen, im Rahmen des Magisterprogramms an der Chulalongkorn Universität durchge-
führt.
3 Von diesen 45 Deutschlehrern hatte einer einen M. A.-Abschluss, 28 einen B. A.-
Abschluss in Deutsch, 13 waren von anderen Fächern umgeschult, zwei davon hatten
eine Lehrerausbildung in Deutschland und einer hatte die ZMP (Zentrale Mittelstufen-
prüfung) als Qualifikation.
4 Z. B. haben nicht alle Englischlehrer in Thailand die Gelegenheit zur Ausbildung oder
Fortbildung in einem englischsprachigen Land. Auslandsaufenthalte haben großen
Einfluss auf Fremdsprachenlehrer insofern, als sie direkten Kontakt mit Sprache und
Kultur haben und dadurch Selbstsicherheit bekommen.
349

Der Mangel an Deutschlehrern führte in Zwei Gründe aus der Sicht der Deutsch-
den letzten Jahren zur Schließung des lerner:
Deutschprogramms an vielen Oberschu- 1. Globalisierung und wirtschaftliche Ent-
len, auch an renommierten, an denen wicklung in Asien
Deutsch über viele Jahre angeboten In Thailand wird Englisch als erste und
wurde, wie z. B. Sai Panya, Satri Maha- Französisch und Deutsch als zweite
pruttaram, Wat Makutkasatriyaram, San- Fremdsprache an Oberschulen und an
tirath und Prakanong Pittayalai.1 Gleich- einigen Berufsschulen gelernt. Wegen der
zeitig wurde Deutsch aber an einigen Globalisierung lernen Thailänder aktiv
staatlichen Oberschulen neu angeboten, noch andere Fremdsprachen außer Eng-
so dass die Zahl der Schulen mit Deutsch, lisch, um mindestens zwei Fremdspra-
wie gezeigt, zwischen 1991 und 2001 chen gleich gut zu beherrschen. Fernseh-
stark angestiegen und seither relativ sta- und Radioprogramme, Presse, Nachrich-
bil geblieben ist. Von 2001 auf 2004 gab es tensendungen und Filme mit Untertiteln
allerdings wieder einen Rückgang, für in Englisch oder Chinesisch tragen dazu
den folgende Ursachen angenommen bei, dass Thailänder sich im Alltag an
werden können: Fremdsprachen gewöhnt haben. Durch
Zwei Gründe aus der Sicht der Deutsch- die Globalisierung und die Wirtschafts-
lehrer: entwicklung des asiatischen Raumes
steigt das Interesse nicht nur an Englisch,
1. Pensionierung einiger Deutschlehrer sondern auch an Chinesisch und Japa-
In vielen Schulen wird nach einer Pensio- nisch. Wir können sagen, dass die meis-
nierung nicht neu besetzt, auch wenn der ten Thailänder mehr Interesse an diesen
Bedarf für Deutschunterricht besteht, da asiatischen Sprachen haben als an euro-
die Stellenbesetzung von der Schullei- päischen Sprachen, wie es früher der Fall
tung abhängt. Im Falle einer neuen Beset- war. Aus diesem Grund wird in Ober-
zung heißt es nicht immer, dass ein schulen Chinesisch und Japanisch zuneh-
Deutschlehrer in Frage kommt. mend neben oder an Stelle von Franzö-
2. Image des Lehrberufs sisch und Deutsch angeboten. Japanisch
Der Lehrberuf als solcher ist in Thailand gehört heute neben Französisch und
für Absolventen nicht attraktiv. Es ist ein Deutsch auch zu einer der Wahlsprachen
Beruf mit geringer Bezahlung, aber hoher bei der Aufnahmeprüfung zum Studium
Belastung. Pro Woche hat ein Schullehrer an der Universität.
zwischen 18 und 24 Unterrichtsstunden. 2. Geringe Berufschancen mit Deutsch
Hinzu kommen administrative Tätigkei- Man nahm an, dass mit zunehmenden
ten. Die Klassengröße von 40–60 Schü- Investitionen deutschsprachiger Unter-
lern verhindert oft den gewünschten nehmen in Thailand sich die Arbeitsaus-
Lernerfolg. Die ohnehin schon geringe sichten für Deutschstudenten bzw.
Zahl der Deutschabsolventen bevorzugt Deutschlernende automatisch verbessern
daher eher eine Arbeit in deutschen Fir- würden. Leider war das nicht der Fall, da
men oder deutschsprachigen Institutio- in den meisten deutschen Firmen in Thai-
nen wie Stiftungen und Botschaften, die land hauptsächlich auf Englisch kommu-
bessere Aussichten bieten. niziert wird und die Sprachkompetenz

1 Die meisten Deutschlehrer sind Beamte. Nach der Pensionierung wird eine Stelle nicht
immer für dasselbe Fach neu besetzt.
350

im Deutschen keinen vorrangigen Faktor Kenntnisse in Linguistik/Literatur und


für eine Einstellung darstellt. Im Gegen- in Geschichte, Sozialkunde und Politik.
satz dazu werden bei japanischen Firmen Von den Hochschuldozenten wurde da-
Kandidaten mit Japanischkenntnissen gegen mehr verlangt, da diese auf einer
bevorzugt. Manchen Studierenden mit höheren Ebene unterrichten. Von ihnen
Japanisch als Hauptfach wird sogar wird daher mehr Wissenschaftlichkeit er-
schon vor dem Abschluss ein Arbeits- wartet. Idealtypische Deutschdozenten
platz garantiert, hinzu kommen attrak- sollten in vier Eigenschaften »sehr gut«
tive Fortbildungs- und Forschungsange- sein (Boonchim 1999: 77):
bote in Japan. Aus dem oben genannten – Deutschkenntnisse
Grund ist Japanisch viel beliebter.1 – Wissen über Linguistik und Literatur
– Wissen über Geschichte, Sozialkunde
2.1.4 Einstellung der Deutschlehrer an der und Politik
Oberschule – Wissen über Landeskunde
Die schon erwähnte Studie fragte auch – gute Methodik und Didaktik.
nach der Einstellung der Deutschlehrer Gleich gewichtet wurde in der Untersu-
an der Oberschule und ergab, dass die chung für Schul- und Universitätslehrer
meisten Deutschlehrer eine gute Einstel- der Eifer (Enthusiasmus) im Lehren. Außer-
lung zum Lehrberuf haben (Boonchim dem sollte nach Meinungen der Deutsch-
1999: 70–85). Sie sind der Meinung, dass lehrer ein Schullehrer mindestens ein
Lehrer ein sicherer und ehrenvoller Beruf Jahr und ein Hochschullehrer mindes-
sei und gleichzeitig sind sie stolz auf den tens zwei bis drei Jahre Auslandserfah-
Erfolg ihrer Schüler. Außerdem zeigten rungen mitbringen.
sich alle bereit, sich weiter zu qualifizie-
ren. 2.1.5 Erwartungen der Deutschlernenden
Auf die Frage nach ihrer Vorstellung vom und ihre Einstellung zum Deutschunterricht
idealtypischen Deutschlehrenden nann- an der Oberschule
ten mehr als 90 % der befragten Deutsch- Eine andere Untersuchung wurde 1999 in
lehrer drei Eigenschaften als Hauptmerk- zehn Oberschulen in Bangkok mit insge-
male eines guten Deutschlehrers an der samt 533 Deutschlernenden in M4, M5
Schule: und M6 zu ihren Erwartungen und Ein-
– gute Deutschkenntnisse stellungen durchgeführt (Tienboonler-
– gute landeskundliche Kenntnisse und trat/Chanbanditnan 1999: 58–69). Die Be-
– gute Methodik und Didaktik. fragten waren zwischen 14 und 20 Jahre
alt, aber die meisten waren 16 und 17
Alle diese drei Eigenschaften mussten
Jahre alt.
»sehr gut« oder »gut« sein. Andere Ei-
genschaften konnten auf dem Niveau Die Untersuchung hatte folgende Ergeb-
»gut« bis »angemessen« bleiben, nämlich nisse:

1 Aufgrund der besseren Berufsaussichten mit anderen Fremdsprachen hören die meisten
Studienanfänger mit drei Jahren Deutschkenntnissen von der Oberschule mit dem
Deutschstudium an der Universität auf und fangen mit einer anderen Fremdsprache an,
die bessere Berufschancen bietet, wie etwa Japanisch, Chinesisch, Italienisch oder
Spanisch. Die Entscheidung für eine neue Fremdsprache hat verschiedene Gründe. Z. B.
wird Italienisch an der Philosophischen Fakultät der Chulalongkorn Universität ge-
wählt, weil es nur dort zu studieren ist. Spanisch dagegen, weil es eine Arbeitssprache
bei der UN ist und in vielen Ländern außerhalb Spaniens gesprochen wird.
351

Erwartungen an die deutsche Sprache: »Mit Deutsch haben Deutschlerner eine


Die Befragten fanden Deutsch so interes- größere Chance für ein Studium an der
sant, wie sie es erwartet hatten, aber Universität« und
dafür schwer. Sie erwarteten sich außer- »Deutschlernen erweitert das Weltbild
dem mehr Möglichkeiten bei der Berufs- des Lerners: Der Lerner hat einen weite-
wahl, z. B. als Deutschlehrer. Ihrer Erwar- ren Horizont.«
tung entsprach, dass gute Englischkennt- An zweiter Stelle gaben sie an:
nisse Voraussetzung zum Lernen des »Deutsch ist schwer und kompliziert,
Deutschen waren. Dagegen erfüllte sich trotzdem möchte der Lerner es lernen.«
die Erwartung, dass man im alltäglichen »Der Lerner hat noch Vorteile davon,
Leben mehr Möglichkeiten haben würde, obwohl es keinen Spaß macht.«
Deutsch zu verwenden, leider nicht. Zusammenfassend kann man sagen, dass
Erwartungen an die Deutschlehrer: die Deutschlerner an der Oberschule mit
1. Was nicht ihrer Erwartung entsprach, dem Deutschunterricht an der Schule
war, dass es keine deutschen Mutter- sehr zufrieden waren.
sprachler zum Üben der vier Fertigkei- Vorschläge zur Verbesserung des Deutschun-
ten Hören, Sprechen, Lesen und Schrei- terrichts an der Oberschule sind:
ben gab. 1. Schulen sollten mehr außerschulische
2. Was ihren Erwartungen entsprach, Aktivitäten für das Deutschlernen zu-
war: Thailändische Deutschlehrer lassen, um die Lernmotivation der
konnten gut Deutsch sprechen (94,2 %). Schüler zu fördern.
Sie hatten gute Kenntnisse in Landes- 2. In der Studie ist deutlich zu sehen,
kunde (88,7 %). Sie hatten einen dass die befragten Deutschschüler we-
Deutschlandaufenthalt (88,4 %) gehabt nig Interesse an Informationen über
und konnten Deutsch gut, klar, ver- D e u t s c h l a n d u n d d i e a n d e re n
ständlich und mit Spaß unterrichten deutschsprachigen Länder haben. Ein
(85,7 %). Außerdem waren sie freund- Bedürfnis nach Nachrichten aus Sport,
lich, kameradschaftlich und nicht so Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in
streng (84,6 %). Im Großen und Ganzen den verschiedenen Medien wird nicht
waren thailändische Deutschlehrer geäußert. Das ist ein zu verbessernder
sehr qualifiziert und ihre Kompetenz Aspekt, weil beim Fremdsprachenler-
entsprach den Erwartungen der Schü- nen Sprache und Kultur Hand in
ler. Hand gehen. Fremdsprachenlernen
Erwartungen an die Schulen: bedeutet auch das Kennenlernen einer
Kultur.
Die Schüler erwarteten von der Schullei-
3. Interesse an Informationen über
tung, dass sie außerschulische Aktivitä-
Deutschland und deutsche Kultur in
ten im Fach Deutsch mehr unterstützt.
verschiedenen Medien, auf Thai oder
Einstellung der Deutschlernenden und Stel- Deutsch, sollte bei den Deutschschü-
lenwert der deutschen Sprache im Deutsch- lern auch aus anderen Gründen ge-
unterricht an der Oberschule: weckt werden. Es ist einerseits eine
Die Untersuchung zeigt, dass die meisten Lese- bzw. Hörübung für sie und ande-
befragten Schüler eine eher positive Vor- rerseits können sie dabei ihre Deutsch-
stellung von der deutschen Sprache hat- kenntnisse anwenden. Zum Gebrauch
ten. Sie waren hauptsächlich der Mei- der deutschen Sprache bieten sich ver-
nung: schiedene außercurriculare Aktivitäten
352

an, in denen die Verwendung der deut- 2.1.6 Entwicklung eines Deutschlehrwerks
schen Sprache verlangt wird, wie für die Oberschule
Schreib- oder Erzählwettbewerbe, Aus- Das Regionallehrwerk Viel Spaß mit
stellungen, Einladung von deutschen Deutsch, insgesamt drei Bände, ist das
Lektoren aus anderen Institutionen zur erste Deutschlehrwerk, das von thailän-
Teilnahme an Aktivitäten, Brieffreund- dischen Deutschlehrern für thailändische
schaften, Praktika deutscher Studenten Deutschlerner an der Oberschule erstellt
im Fach Deutsch als Fremdsprache wurde, in Zusammenarbeit mit dem Goe-
oder Austausch von deutschen Schü- the-Institut in Bangkok und der Zentral-
lern bzw. Studenten, die Interesse an stelle des Goethe-Instituts in München.
thailändischer Sprache und Kultur ha- Das Lehrwerk ist seit mehr als fünfzehn
ben. Jahren im Einsatz. Die didaktisch-metho-
4. Im Deutschunterricht sollte Gramma- dische Konzeption dieses Regionallehr-
tiklernen nicht mehr betont werden, werks war zu seiner Zeit fortschrittlich.
sondern eher die vier Fertigkeiten. Ak- Es stellt nämlich das Konzept der Lerner-
orientierung in den Vordergrund:
tivitäten, in denen die Fertigkeiten inte-
1. Kommunikative Fähigkeiten werden
griert werden, ermöglichen die Ver-
mehr betont als Grammatiklernen.
wendung der deutschen Sprache in
2. Themen und Inhalte sind auf thailändi-
thailändischer Umgebung. Es muss
sche Lerner ausgerichtet und wurden
den Lernenden bewusst gemacht wer-
durch eine Umfrage unter thailändi-
den, dass Sprachsystem und Sprachge-
schen Deutschlernern ermittelt.
brauch zweierlei sind. Grammatisch
3. Betonung auf Kommunikation in ler-
korrekte Sätze bzw. Äußerungen könn-
nernahen Situationen und die Möglich-
ten auch in einer falschen kommunika-
keit der Sprachanwendung in kommu-
tiven Situation oder im falschen Kon- nikativen Situationen mit deutschspra-
text benutzt werden. Allein die Beherr- chigen Muttersprachlern
schung der deutschen Grammatik be- 4. Den thailändischen Deutschlernern
deutet noch nicht die Beherrschung soll ermöglicht werden, auf Deutsch
dieser Sprache. über Thai-Kultur mit einem Deutsch-
Durch Aktivitäten und gute Atmosphäre sprachigen zu kommunizieren. Sie
im Unterricht macht eine schwere Spra- werden auf verschiedene Kontaktmög-
che wie Deutsch mehr Spaß. Das haben lichkeiten vorbereitet und lernen Wort-
die Aussagen der Deutschschüler in der schatz und Äußerungen auf Deutsch
oben genannten Studie bestätigt. Die über Thai-Kultur und dadurch kann
Deutschlehrer sollten also darauf achten, eine interkulturelle Kommunikation1
dass die Lernenden ihre positive Einstel- zustande kommen. Außerdem haben
lung zu Deutsch und Deutschlernen be- Deutschlernende die Möglichkeit, die
halten. eigene Kultur mit der deutschen Kul-

1 Von einem Deutschlehrbuch aus Deutschland können Deutschlerner hauptsächlich


deutsche Kultur erfahren, aber sie können sich nicht auf Deutsch über die eigene Kultur
äußern. Daher ist es wichtig, dass in einem Deutschlehrbuch für thailändische Lerner
Wortschatz über Thailand und Thaikultur eingebaut wird, um Deutschlerner zum
Deutschlernen anzuregen, da sie sich so in einer interkulturellen Kommunikation über
das eigene Land und die eigene Kultur mit Deutschsprachigen unterhalten bzw.
diskutieren können.
353

tur zu vergleichen und können da- Ein B. A.-Curriculum für Deutsch hat
durch das Eigene besser verstehen. nach der Regelung des ehemaligen Mi-
Unglücklicherweise werden seit der Bil- nisteriums für universitäre Angelegen-
dungsreform in vielen Oberschulen neue heiten aus dem Jahr 1999 in den verschie-
Deutschlehrbücher in den Deutschunter- denen Universitäten dieselbe Grund-
richt eingeführt, z. B. Ping Pong, Delphin struktur; es muss nämlich mindestens
und Genial. Viele Deutschlehrer waren 120 Credits enthalten, und die Kurse tei-
der Meinung, dass das Regionallehrwerk len sich in drei Kategorien:
Viel Spaß mit Deutsch revisionsbedürftig 1. Studium generale
sei und bevorzugen daher Deutschlehr- mindestens 30 Credits
bücher, die neu auf dem Markt sind. 2. Fachkurse mindestens 84 Credits
3. Wahlkurse mindestens 6 Credits
2.2 Deutschunterricht an der Universität
Alle Hochschulen können auf der oben
genannten Struktur aufbauend eigene
2.2.1 Das Curriculum Studienprogramme mit eigenen Schwer-
Gegenwärtig bieten insgesamt zehn punkten gestalten. Jede Institution ist
staatliche und private Universitäten verpflichtet, das Curriculum fortdauernd
Deutsch als Hauptfach oder auch als Ne- nach einer gewissen Zeit, normalerweise
benfach an: nach 5 Jahren, zu revidieren. Hier das
Chulalongkorn Universität,1 B. A.-Curriculum der Philosophischen
Thammasat Universität, Fakultät der Chulalongkorn Universität
Silpakorn Universität, aus dem Jahr 2003 als Beispiel:
Chiang Mai Universität, Studium generale 30 Credits
Kasetsart Universität, Fachkurse 111 Credits
Srinakarinviroj Prasarnmit Universität, geteilt in
Prinz Sonkla Universität, Basiskurse der Fakultät 40 Credits
Ramkhamhaeng Universität,
Fachspezifische Kurse 71 Credits
Khon Kaen Universität,
Payap Universität (privat). (darin 51 Credits für
Deutsch als Hauptfach)
Die (staatliche) Mahidol Universität bie- Wahlkurse 6 Credits
tet Deutsch als Wahlfach für Studierende Insgesamt 147 Credits
der Naturwissenschaftlichen Fakultät an.
In den meisten Curricula für Deutsch in
Die private Assumption Universität bie-
verschiedenen Universitäten besteht das
tet Deutsch als Wahlfach an. Darüber
Deutschprogramm aus fünf Komponen-
hinaus erwägt die (staatliche) Mahidol
ten (Saengaramruang 1995: 281):
Universität, zuerst Deutsch als Haupt-
fach und Nebenfach und in Zukunft noch 1. Fertigkeitsorientierte Kurse
einen Magisterstudiengang und die Pro- 2. Landeskundliche Kurse
motion im Fach Deutsch anzubieten, 3. Literatur/Literaturwissenschaftliche
nachdem Deutsch als Wahlfach an der Kurse
Fakultät für Naturwissenschaften abge- 4. Sprachwissenschaftliche Kurse
schafft wurde. 5. Berufsorientierte Kurse

1 An zwei Fakultäten, nämlich an der Philosophischen Fakultät und der Fakultät für
Pädagogik.
354

1. Fertigkeitsorientierte Kurse: ger Literatur. An der Universität könnten


Diese Kurse betonen die vier Sprachfer- Kurse wie ›Einführung in die deutsche
tigkeiten: Lesen, Hören, Sprechen und Literatur‹ bis zu Kursen wie ›Haupt-
Schreiben. Alle Fertigkeiten können ge- werke der deutschen Literatur nach spe-
trennt, paarweise oder integriert geübt zifischen Autoren, Epochen oder The-
werden. In allen Universitäten werden men‹ angeboten werden. Leider sind sie
solche Kurse angeboten, weil sie als in den letzten Jahren nicht sehr beliebt,
Grundlage zum Studieren inhaltlicher weil sie nach Ansicht der Studenten nicht
Kurse auf Deutsch, zur wissenschaftli- direkt zur Berufsausübung beitragen.
chen Arbeit und auch als Grundlage der
zukünftigen Berufsausübung angesehen 4. Sprachwissenschaftliche Kurse:
werden. Die meisten angebotenen Kurse Das sind Angebote zu folgenden Berei-
im 1. und 2. Studienjahr sind fertigkeits- chen: deutsche Syntax, deutsche Gram-
orientiert. Zusätzliche grammatische matik, Deutsch in der Presse, deutsche
Kenntnisse werden auch nach Bedarf an- Sprachwissenschaft, Textlinguistik usw.
geboten. Diese Kurse bieten die Grundlage zur
sprachwissenschaftlichen Analyse und
2. Landeskundliche Kurse: Forschung, auch in komparativen Aspek-
Dabei handelt es sich um Kurse wie »Ger- ten mit der thailändischen Mutterspra-
man Civilization«, »Germany Today«. Sie che.
basieren auf dem Grundgedanken, dass
man eine Sprache nicht getrennt von ih- 5. Berufsorientierte Kurse:
rer Kultur studieren kann. Kultur und Hier gibt es folgendes Angebot: Deutsch
Geschichte eines Landes spiegeln die für Tourismus, Wirtschaftsdeutsch, Über-
Mentalität der Menschen einer Nation setzung Deutsch-Thai und Thai-Deutsch.
wider, und ein tieferes Verstehen einer Übersetzungskurse gibt es im Curricu-
fremden Kultur führt zum besseren Ver- lum für Deutsch schon seit 1957. Berufs-
ständnis der Menschen. Solche Kurse orientierte Kurse bieten in der Regel
können außerdem zum friedlichen Mit- Sprachkompetenz für zukünftige Berufe,
einander, zur Wertschätzung der eigenen sind aber keine berufsspezifischen Kurse.
und fremden Kultur, zu Toleranz usw. Im Allgemeinen sind diese Kurse viel
beitragen. Sie sind darüber hinaus nütz- beliebter als Literatur- und Linguistik-
lich für Kommunikation, wirtschaftliche kurse, da sie konkret auf das zukünftige
Verhandlungen und die Zusammenar- Arbeitsleben vorbereiten.
beit in internationalen Beziehungen. In letzter Zeit gibt es die Tendenz, dass
3. Literatur/Literaturwissenschaftliche sich das Deutschstudium an den Univer-
Kurse: sitäten ausdehnt. Es beschränkt sich nicht
Sie gehören neben linguistischen Kursen mehr nur auf Studierende der philoso-
zu den traditionellen Fächern des Germa- phischen, pädagogischen oder naturwis-
nistikstudiums und sind Grundlage eines senschaftlichen Fakultäten. Das zeigt sich
humanistischen Studiums, da sie zum deutlich im Deutschprogramm der Chu-
besseren Verstehen der Kultur und Men- lalongkorn Universität: Angeboten wer-
talität der Menschen einer Nation führen. den gegenwärtig folgende Kurse:
Sie beschäftigen sich mit Prosa, Dichtung 1. Deutsch für Anfänger 1–4, insgesamt
und Dramen, Literaturgeschichte in ver- vier Kurse mit jeweils zwei Credits für
schiedenen Epochen, literarischer Ana- Studierende aller Fakultäten ohne
lyse und Interpretation deutschsprachi- Grundkenntnisse;
355

2. Deutsch für Studenten der Politikwis- tur soll Anfängern gemeinsam mit der
senschaftlichen Fakultät 1–3, insge- deutschen Sprache vermittelt werden, da
samt drei Kurse mit jeweils drei Credits Sprache und Kultur als einander ergän-
für Studierende mit drei Jahren zend angesehen werden und zusammen
Deutschkenntnissen von der Schule die Grundlage zum Weiterstudium in
(nach Bedarf); den deutschsprachigen Ländern bieten.
3. Deutsch für Studierende der Musikab- Germanistikstudium in Thailand und die tra-
teilung der Faculty of Fine Arts, 1 ditionelle Germanistik in Deutschland
Credit (nach Bedarf); Bisher war das Studium der Germanistik
4. Deutsche Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland in der Regel ein Studium
(auf Thai) für alle Studierenden des der deutschen Linguistik und Literatur
Studium generale, drei Credits; mit einem M. A.-Abschluss. In Thailand
5. Fundamental German 1–2, jeweils drei wird das Deutsch- bzw. Germanistikstu-
Credits für Studierende im internatio- dium aber nach amerikanischem System
nalen Programm der Fakultät für Wirt- in zwei Stufen geteilt: B. A.-Studium (in
schaft, ohne Grundkenntnisse; der Regel vier Jahre) und M. A.-Studium
6. German for Communication für alle (in der Regel zwei Jahre). Insofern er-
Studierenden des Studium generale, kennt man den Unterschied des Germa-
drei Credits; nistikstudiums in Thailand und in
7. ab 2007: German Language and culture Deutschland schon an seiner formalen
1–2, jeweils drei Credits, für Studie- Struktur. Im Anfangsstadium entstand
rende der Ingenieurwissenschaft in in- das B. A.-Curriculum für Deutsch an der
ternationalen Programmen, der Abtei- Chulalongkorn Universität mit Hilfe von
lung für Automobiltechnik und der deutschen DAAD-Lektoren. Aus der Ein-
Abteilung für Nano-Technologie. sicht, dass Studienanfänger für Deutsch
Wir können mit Recht sagen, dass das (auch wenn sie schon drei Jahre Deutsch
Deutschprogramm seit 1957 auf Grund an der Oberschule gelernt haben) noch
des Bedarfs anderer Fakultäten erweitert mehr kommunikative Fertigkeiten und
wurde. Hervorzuheben an dieser Ent- landeskundliches Wissen brauchen, im
wicklung ist: Deutsch wird mehr für spe- Vergleich zu Studienanfängern der Ger-
zifische Gruppen oder zu einem spezifi- manistik in Deutschland, die meist deut-
schen Zweck angeboten, z. B. als Fach- sche Muttersprachler sind, wurden in
sprache für Politologie. Verlangt wird den ersten beiden Studienjahren fertig-
Deutsch hauptsächlich auch als Grund- keitsorientierte und landeskundliche
lage der Weiterbildung in Deutschland, Kurse angesetzt und Kurse für Ge-
für Fächer, für die Deutschland bekannt schichte und Literatur sowie Überset-
ist, etwa in der Ingenieurwissenschaft. zungskurse eher dem 3. und 4. Studien-
Die heute geforderten Deutschlernpro- jahr vorbehalten. Interessenten für deut-
gramme sind nicht mehr grammatikori- sche Linguistik und Literatur sollten ihr
entiert, sondern verwendungsorientiert. Studium im Magisterstudiengang fort-
Tiefgründige Literaturkenntnisse werden setzen. Die Auslandsgermanistik hat an-
heute vom Markt und von den Studieren- dere Schwerpunkte gesetzt als die tradi-
den des Faches Deutsch nicht mehr ge- tionelle Germanistik, insofern sie auf Ler-
fragt. Gefragt sein kann eine Einführung ner des Deutschen fokussiert ist. Das gilt
in die deutsche Literatur für Studierende natürlich auch für die Germanistik in
ohne Deutschkenntnisse. Deutsche Kul- Thailand:
356

1. Deutsch als Fremdsprache: Methodik schen entwickelt (vgl. O’charoen 1998).


und Didaktik der Sprachlehre für Aus- Zunächst wurde der Studiengang für
länder, die Berücksichtigung äußerer Englisch eröffnet, später der für Franzö-
Faktoren bezüglich des Lerners wie z. B. sisch. Wegen Personalmangels konnten
Muttersprache, Lernverhalten, Lerntra- für Deutsch noch keine Studierenden
dition oder Lerngewohnheiten, spezifi- aufgenommen werden.
sche Lernprobleme aufgrund der mutter- Heutzutage versuchen alle Hochschu-
sprachlichen Interferenzen oder spezifi- len, die Studiengänge in Deutsch anbie-
scher Faktoren, Curriculumsentwicklung ten, mit verschiedenen Mitteln ihre Cur-
für verschiedene Lernstufen und regio- ricula zu revidieren und das Studium
nale Lernergruppen. attraktiv zu gestalten: mit aktuellen In-
2. Forschungen über die deutsche Sprache halten und möglichst praktischer An-
und Erstellung von Lehr- und Handbü- wendung der deutschen Sprache, mit
chern im Hinblick auf die Vermittlung Selbstlernzentren, medialen Ausstattun-
der deutschen Sprache an eine bestimmte gen wie Internet und Satellitenfernse-
Lernergruppe, damit diese das optimale hen, mit außercurricularen Aktivitäten,
Ziel erreicht, d. h. Deutsch in einer mög- wie z. B. Sprachcamps, Schreib- und
lichst kurzen Zeit lernen und es effektiv Singwettbewerben, Theateraufführun-
verwenden kann. gen, Filmvorführungen, Gedichtlesun-
gen usw.
2.2.2 Curriculumentwicklung auf der B. A.- Curriculumplanung und -entwicklung
Stufe und die Verbesserung des Deutschunter-
Seit der Einrichtung des ersten Studien- richts auf der Hochschulebene gehen
ganges an der Philosophischen Fakultät heutzutage Hand in Hand mit der Förde-
der Chulalongkorn im Jahr 1957 ist in rung der Qualität der Studierenden. Das
Thailand, heute auch an anderen Univer- geschieht in vielfältiger Weise:
sitäten, ein B. A.-Studium in Deutsch mit 1. durch partnerschaftliche Beziehungen
verschiedenen Schwerpunkten möglich. und wissenschaftliche Zusammenar-
Die Curricula werden kontinuierlich re- beit mit Hochschulen in Deutschland.
vidiert, ergänzt und weiterentwickelt. Zum Beispiel gibt es Partnerschaftsver-
Außerdem wurden weitere Studien- einbarungen zwischen der Deutschen
gänge eingerichtet. Abteilung der Chulalongkorn Univer-
Der erste Magisterstudiengang wurde sität mit der Universität Kassel, der
1974 an der Philosophischen Fakultät der Universität Siegen und der Universität
Chulalongkorn angeboten, gefolgt vom Heidelberg; Professoren aus Siegen
Magisterprogramm für Deutsch als waren als Kurzzeitdozenten an der
Fremdsprache der Ramkhamhaeng Uni- Chulalongkorn Universität und Magis-
versität 1999. Seit dem Wintersemester terstudenten mit Stipendien zu For-
2006 bietet die Chulalongkorn Universi- schungsaufenthalten in Siegen. Die
tät einen Promotionsstudiengang für Thammasat Universität kooperiert mit
Deutsch an. der Universität Hamburg und mit der
An der Chulalongkorn Universität Technischen Universität München, die
wurde auch durch die Zusammenarbeit Ramkhamhaeng Universität mit der
von vier Abteilungen der Philosophi- Universität Leipzig usw.;
schen Fakultät (Englisch, Deutsch, Fran- 2. durch internationale Vernetzung, z. B.
zösisch und Japanisch) ein Magisterstu- das IQN-Projekt (Internationales Qua-
diengang für Übersetzung und Dolmet- litätsnetz), ein weltweites Netzwerk
357

von Universitäten mit Deutsch als men und Institutionen haben und Be-
Fremdsprache, organisiert von der ziehungen für die zukünftige Berufstä-
Universität Kassel unter der Leitung tigkeit knüpfen können.
von Prof. Gerhard Neuner mit finanzi- Den Möglichkeiten des Selbstlernens
eller Unterstützung durch den DAAD. sind, ergänzend zum Deutschunterricht
Tagungen zu aktuellen Forschungsthe- an der Schule, an der Universität und am
men und Entwicklungen im Fachgebiet Goethe-Institut keine Grenzen gesetzt.
Deutsch als Fremdsprache werden ver- Solche Möglichkeiten zum Lernen der
anstaltet, Studien- und Forschungsvor- deutschen Sprache sind z. B.:
haben werden unterstützt; 1. Internet: heutzutage die wichtigste In-
3. durch Praktikumsmöglichkeiten in formationsquelle für Deutsch und an-
Deutschland: Studierende können mit deres mehr. Die Lerner müssen nur die
Unterstützung von deutschen und verschiedenen Kanäle (Links) zu ge-
thailändischen Organisationen Prakti- wünschten Fachrichtungen haben, z. B.
kumsplätze bekommen, z. B. beim Sprache, Literatur, Kultur. Deutschler-
DAAD in Bonn oder an der Universität ner kennen sicher www.goethe.de, es
Münster; bietet vielfältige Hilfen zum Deutsch-
4. durch DaF-Praktika für deutsche Stu- lernen;
dierende an Universitäten in Thailand. 2. Radiosendungen des Erziehungsmi-
Das ist eine Win-Win-Situation: thai- nisteriums: Deutschlernprogramme
ländische Studierende haben einerseits werden seit 1975 ausgestrahlt bei FM
die Möglichkeit, Deutsch bei einem 92 MHz oder AM 1161 kHz, jeden
Muttersprachler zu lernen und zu üben Dienstag zwischen 7.30 und 8.00 Uhr
und Hilfe bezüglich der deutschen und abends zwischen 18.30–19.00 Uhr.
Sprache und Kultur zu bekommen, an-
dererseits kann ein deutscher Prakti- 2.2.3 Hochschulen mit spezieller Deutschleh-
kant Lehrerfahrung sammeln und da- rerausbildung in Thailand
bei die thailändische Kultur kennen Folgende Hochschulen bilden Deutsch-
lernen; lehrer aus:
5. durch Unterstützung von außercurri-
cularen Aktivitäten: Studierende wer- 1. Die Pädagogische Fakultät der Chulalong-
den zur Übersetzung oder Dolmetsch- korn Universität
arbeit bei Verhandlungen oder Messen Diese Fakultät ist die erste Einrichtung
vermittelt, wo deutsche Kenntnisse mit einem pädagogischen Curriculum
verlangt werden. Die Studierenden zur Deutschlehrerausbildung in Thai-
können dabei nicht nur ihre Deutsch- land (vgl. Festschrift 1967: 5, 21).1 Studie-
kenntnisse praktisch anwenden, son- rende der Pädagogischen Fakultät besu-
dern auch reale Arbeitsverhältnisse chen in den ersten zwei Jahren die obliga-
kennen lernen und einschätzen. Wich- torischen Kurse in Deutsch gemeinsam
tig ist, dass sie vor dem Abschluss mit den Studenten der Philosophischen
direkten Kontakt mit deutschen Fir- Fakultät. Außerdem müssen sie Kurse in

1 In der Gründungszeit belegten Studierende der Pädagogischen Fakultät 3–4 Jahre


Deutsch als Hauptfach nach dem 1. Curriculum für Deutsch, erstellt von der Deutschen
Abteilung der Fakultät für Philologie und Naturwissenschaften (so hieß die Faculty of
Arts der Chulalongkorn früher) gemeinsam mit den Studenten von der Philosophischen
Fakultät.
358

Allgemeiner Pädagogik und Methodik 2. Die Deutsche Abteilung der Philosophi-


und Didaktik Deutsch als Fremdsprache schen Fakultät, Chulalongkorn Universität
belegen und ein Praktikum in einer Ober- Die Abteilung bietet seit 1974 ein Magis-
schule mit Deutsch als Fremdsprache terprogramm für Deutsch an. Magister-
machen. Deutsch ist für sie ein Hauptfach studenten haben die Möglichkeit, ihre
neben einem anderen Hauptfach, das sie Magisterarbeit in den Bereichen Linguis-
an der Pädagogischen Fakultät belegen tik, Literatur, Deutsch als Fremdsprache
müssen. oder Übersetzung zu machen. Viele Ma-
Aufgrund des Deutschlehrermangels an gisterstudenten sind Deutschlehrende
verschiedenen Oberschulen in den letz- von verschiedenen Oberschulen und
ten zehn Jahren bietet die Pädagogische Universitäten. Sie haben durch ihre Stu-
Fakultät seit 1997 ein Sonderprogramm dien und Magisterarbeiten im Bereich
an, das sogenannte »Kharu Tayaat«.1 Je- Deutsch als Fremdsprache viel für die
des Jahr werden fünf Deutschlernende Entwicklung des Deutschlernens in Thai-
von den Oberschulen mit einem Noten- land geleistet. Ihre Beiträge werden regel-
schnitt von wenigstens »gut« (3,0) zur mäßig in der Zeitschrift des Deutschleh-
Deutschlehrerausbildung in die Pädago- rerverbandes (TDLV-Forum) veröffent-
gische Fakultät aufgenommen. Die Kan- licht. Absolventen erhalten den M. A.-
didaten müssen auch die allgemeinen Abschluss in Deutsch. Seit dem Winterse-
Prüfungen zum Studium an der Univer- mester 2006 ist auch eine Promotion im
sität bestanden und das Ziel haben, Fachgebiet Deutsch als Fremdsprache an
Deutschlehrer zu werden. Es besteht für der Deutschen Abteilung der Chulalong-
sie die Möglichkeit, am Goethe-Institut korn Universität möglich.
Bangkok mit Unterstützung des Instituts 3. Die Deutsche Abteilung der Humanisti-
Deutschkurse bis zum Zertifikat Deutsch schen Fakultät, Ramkhamhaeng Universität
als Fremdsprache (ZDaF) zu besuchen Diese Abteilung bietet seit 1999 ein Wo-
und nach dem Berufseinstieg Fortbil- chenendprogramm mit M. A.-Abschluss
dungskurse in Deutschland zu machen. in Deutsch als Fremdsprache an. Der
Dies zeigt die gute Zusammenarbeit zwi- Schwerpunkt des Studiums liegt auf der
schen der Pädagogischen Fakultät und Verbindung von Theorie und Praxis. Die
dem Goethe-Institut Bangkok bei der Abteilung gibt seit 2002 die Zeitschrift
Überwindung des Lehrermangels in Die Brücke, Zeitschrift für Germanistik in
Thailand. Südostasien, heraus.
Aktuell gibt es eine große Veränderung in
der Lehrerausbildung in Thailand. Die 3. Forschungen zur Verbesserung des
Lehrerausbildung wurde landesweit von Deutschlernens in Thailand: Eine Be-
vier auf fünf Jahre ausgedehnt, damit zur standsaufnahme
Verbesserung der Lehrkompetenz im All- Versuche zur Verbesserung des Deutsch-
gemeinen in einem Referendariat mehr lernens in Thailand schlagen sich, vor
Lehrerfahrung gesammelt werden kann. allem in den letzten zehn Jahren, zuneh-
Absolventen erhalten einen B. A.-Ab- mend in Publikationen und Studien nie-
schluss. der. Im Überblick sind zu nennen:

1 Siehe die Bekanntmachung von der Chulalongkorn Universität bezüglich des Sonder-
aufnahmeprogramms der Pädagogischen Fakultät.
359

1. Lehrbücher für den Deutschunterricht 2. Handbücher und anderes Lehrmaterial


Anstelle von Deutschlehrbüchern aus Handbücher, Lehrmaterial und Veröf-
Deutschland wurde in den 80er Jahren fentlichungen zum Deutschlernen und
das selbst erstellte regionale Deutschlehr- zum Deutschlehren in Thailand sind in
werk Viel Spaß mit Deutsch mit dem Kon- letzter Zeit zunehmend publiziert wor-
zept der Lernerorientierung an allen den. U. a. gibt es deutsch-thailändische
Oberschulen in Thailand eingesetzt. Das Wörterbücher, thai-deutsche Wörterbü-
zeigte einen großen Fortschritt des cher, Fachwörterbücher (etwa für Touris-
Deutschlernens in Thailand und bedeu- mus und für Politikwissenschaften) und
tete auch, dass dieses regionale Lehrwerk ein Handbuch für Übersetzer. Außerdem
dem Reformkonzept des thailändischen werden zahlreiche Übersetzungsarbeiten
Erziehungsministeriums entsprach. Es von klassischer deutscher Literatur und
gibt den thailändischen Deutschlernen- deutscher Kinder- und Jugendliteratur
den an der Oberschule die Möglichkeit, veröffentlicht, durch die thailändische
auf Deutsch über die eigene Welt, die Deutschlernende den deutschen Alltag,
eigene Kultur und die eigene Gesellschaft deutsche Kultur und Weltanschauung
mit einem Deutschsprachigen zu kom- besser kennen lernen können.
munizieren, was eine zusätzliche Motiva- 3. Forschungen und Studien zum Sprachen-
tion darstellt. paar Deutsch/Thai, Thai/Deutsch
Unglücklicherweise bringt die jüngste In den letzten zehn Jahren sind eine Reihe
Reform eine Änderung bei der Lehrbuch- von Forschungsarbeiten zum Sprachen-
wahl; inzwischen werden andere Lehr- paar deutsch/thai, thai/deutsch vorge-
bücher aus Deutschland bevorzugt und legt worden. Sie lassen sich in folgende
in vielen Oberschulen verwendet in der Kategorien einteilen:
Annahme, sie seien lernerzentrierter.
3.1 Studien zu Sprache, Sprachstruktur
Man sollte aber wirklich gründlich erwä-
und Sprachvergleich deutsch/thai z. B.:
gen und ernsthaft diskutieren, welches
Nominalkomposita im Deutschen und im
Ziel mit Deutsch an der Oberschule ver-
Thai (Suriyajun 2003);
folgt werden soll, inwiefern das neu aus-
Die Negation im Deutschen und im Thai
gewählte Deutschlehrwerk für thailändi-
(Ralugmool 2001);
sche Lerner geeignet ist und ob nicht
Deutsche Abtönungspartikeln als Illokuti-
doch eine Revision des Regionallehr-
onsindikatoren: Von der Forschung in die
werks angestrebt werden sollte.
Praxis des Deutsch- und Übersetzungsunter-
Neben Viel Spaß mit Deutsch (Deutsch- richts in Thailand (Saengaramruang 2002,
lehrbuch für Jugendliche in Thailand) 2003).
sind inzwischen zwei andere Lehrwerke
für erwachsene Deutschlerner in Thai- 3.2 Studien über Sprachlernprobleme
land erstellt worden, nämlich Deutsch für und Lernschwierigkeiten thailändischer
Lerner, z. B.:
Anfänger I, Deutschunterricht für Thailän-
der von Phanda Tamura und Rudee Pala- Studie über den Artikelgebrauch der Studen-
nuwech an der Thammasat Universität, ten (Thienboonlertratana 2002).
und Deutsch für den Alltag, mit CD in 2 3.3 Studien und Untersuchung zur Curri-
Bänden (mit dem Lernkonzept »Deutsch culumsentwicklung des Deutschpro-
als Tertiärsprache für thailändische gramms in Thailand, z. B.:
Deutschlerner«) von Wanna Saengaram- Der neue Studiengang für Übersetzen und
ruang an der Chulalongkorn Universität. Dolmetschen (O’charoen 1998);
360

Zur Entwicklung eines Fernstudienangebots Deutschlernen angeregt werden. Diese


›Deutsch als Fremdsprache‹ für Studienan- Lehr- und Handbücher sollten dazu
fänger an der Ramkhamhaeng Universität führen, dass Thailänder schneller und
Bangkok (Kusolrod 2003). leichter, d. h. effektiver, Deutsch lernen
3.4 Studien und Untersuchungen zur me- und von ihren Deutschkenntnissen spä-
thodisch-didaktischen Verbesserung des ter in ihrem beruflichen Leben in Han-
Regionallehrwerks Viel Spaß mit Deutsch; del, Industrie oder Kultur wirklich Ge-
diese Arbeiten sind meistens im Magis- brauch machen können.
terprogramm für Deutsch an der Chula-
longkorn Universität entstanden, z. B.: 3.1 Studie über Sprachbewusstheit (lan-
Analyse des Deutschland- und Thailandbil- guage awareness) der Deutschlernenden
des im Lehrwerk Viel Spaß mit Deutsch an der Oberschule
(Plabpleung 1999); Der Einfluss des Englischen, besonders
Bildverwendung im Deutschunterricht mit des Amerikanischen, auf das Deutsche ist
dem regionalen Lehrwerk ›Viel Spaß mit heutzutage offensichtlich, zum Teil we-
Deutsch‹ (Boonchim 2002). gen der wirtschaftlichen Hilfe der Alliier-
3.5 Studien zum besseren Verständnis der ten nach dem 2. Weltkrieg, zum Teil auf-
und zwischen den Kulturen, z. B.: grund der technologischen Entwicklung
Deutsch-thailändische Zusammenarbeit: weltweit. Nicht nur der englische Wort-
Meinungen zum beruflichen Kommunikati- schatz, sondern auch englische Wendun-
onsverhalten von Deutschen und Thailän- gen sind populär; sie sind nicht nur unter
dern. Eine Untersuchung am Goethe-Institut deutschen Jugendlichen, sondern auch
Bangkok (Solgosoom 2001); im allgemeinen Sprachgebrauch zu hö-
Landeskundliches Wissen an den thailändi- ren, wie z. B. Internet, Wellness and Fit-
schen Universitäten (Maleehom 2002); ness-Center, last but not least, Hochschul-
Das Thailandbild in deutschen Medien (Siri- marketing.
mongkol 2002); Von diesem Phänomen machen Fremd-
Essen und Trinken im Wortschatz und in sprachendidaktiker Gebrauch: Englische
Redewendungen im Deutschen und im Thai Vorkenntnisse sollen das Lernen der
(Saengaramruang 2005). Fremdsprache Deutsch erleichtern. Eng-
Trotz der oben genannten Lehrbücher, lisch hat als Weltverkehrssprache schon
Forschungen und Studien im Bereich den ersten Rang eingenommen. In Asien
Deutsch als Fremdsprache kann man werden andere Fremdsprachen wie z. B.
sagen, dass in Thailand die Zahl der Deutsch oder Französisch zusätzlich
Grundlagenforschung bzw. grundle- nach Englisch gelernt. Auch in Thailand
gende Lehr- und Lernbücher für thai- ist Deutsch, nach der Muttersprache Thai
ländische Deutschlernende noch Man- und Englisch, »dritte Sprache«. Das be-
gelware sind, obwohl Deutsch seit mehr wusste Lernen des ›Deutschen als Ter-
als 80 Jahren in Thailand gelehrt wird. tiärsprache‹ stellt einen neuen Weg zum
Ziel sollte sein, dass thailändische effektiveren und leichteren Lernen der
Deutschlernende mit diesen Lehrbü- deutschen Sprache dar. Die Frage lautet:
chern im Deutschunterricht und außer- Wie kann man den methodisch-didakti-
halb des Deutschunterrichts beim schen Ansatz Deutsch als Tertiärsprache
Selbstlernen mehr über Deutschland, für Deutschlernende in Thailand entwi-
seine Kultur und seine Sprache erfahren ckeln? D. h. wie kann man von dem Vor-
und dass noch mehr Thailänder zum wissen des Lerners in Bezug auf die vor
361

Deutsch gelernten Sprachen Gebrauch Englisch gelernt haben, und die M6-
machen? Deutschlernenden, die 15 Jahre Englisch
Zum ersten Mal in der Geschichte des gelernt haben, von ihren Vorkenntnis-
Deutschlernens in Thailand wurde die sen im Englischen beim Lernen der
Sprachbewusstheit der thailändischen deutschen Sprache Gebrauch gemacht
Deutschlernenden untersucht: Sprachler- haben.2
nende beobachten den eigenen Lernpro- Die Untersuchung hat ergeben, dass die
zess, entwickeln eigene Sprachlernstrate- Hälfte der Deutschlernenden in M4 und
gien und verbessern ihre Sprachkompe- M6 kein und die andere Hälfte ein biss-
tenz durch Selbstevaluation. chen Vorwissen über die deutsche Spra-
Das Ergebnis dieser Untersuchung gibt che hatten, bevor sie Deutsch als Wahl-
einen entscheidenden Hinweis darauf, fach belegten. Aber im Laufe der Zeit
bemerkten fast 40 % aus beiden Gruppen
wie man Deutsch an der Oberschule in
die Ähnlichkeit des Deutschen mit dem
Thailand effizienter vermitteln bzw. ler-
Englischen in seiner formalen Erschei-
nen und damit die Tertiärsprachendidak-
nung.
tik Deutsch als Fremdsprache nach Eng-
lisch in Thailand entwickeln kann (Saen- Ähnlichkeit besteht
garamruang 2003: 165–190; siehe auch 1. im Hinblick auf die Aussprache:
Kusolrod 2003: 42–49). Dieser metho- Den Deutschlernenden in M4 haben ihre
disch-didaktische Ansatz gilt nicht nur Vorkenntnisse der Aussprache des Eng-
für Deutsch, sondern kann auch für an- lischen beim Lernen der deutschen Aus-
dere europäische Fremdsprachen in Thai- sprache geholfen. Sie versuchten, Esels-
land genutzt werden. brücken für sich zu bauen. So dachten
Die Untersuchung wurde im Januar sie beim ie-Laut im Deutschen nur an
2003 anhand von Fragebögen durchge- den Vokal ›e‹ im Englischen, beim ei-
führt. Befragt wurden 125 thailändische Laut im Deutschen an den Vokal ›i‹ im
Deutschlernende in M4 (im Alter zwi- Englischen. Es gibt aber auch Negativ-
schen 15 und 16 Jahren) und 80 in M6 transfer, da viele Wörter im Englischen
(im Alter zwischen 17–18 Jahren) aus und im Deutschen ähnlich sind, aber
fünf Oberschulen in Bangkok, in denen nicht gleich ausgesprochen werden.
Deutsch als zweite Fremdsprache ange- Mehr als die Hälfte der Befragten aus
boten wird.1 Die befragten Deutschler- M4 gaben an, dass ihre Gewöhnung an die
nenden in M4 lernten im zweiten Se- Aussprache und Sprachmelodie des Engli-
mester Deutsch und hatten bis zum schen dazu geführt habe, dass sie Ausspra-
Zeitpunkt der Befragung ungefähr 144 chefehler im Deutschen machen. Wörter
Stunden Unterricht gehabt. Die Schüler wie Fußball, Pizza, Buch, Bier, ist, Telefon,
in M6 befanden sich im sechsten Semes- Salat, Musik, Haus etc. sind z. B. deutsche
ter und hatten bis zum Zeitpunkt der Wörter, die leicht »englisch« ausgespro-
Befragung ungefähr 528 Stunden chen werden. Außerdem traten Schwie-
Deutsch gelernt. Mit der Untersuchung rigkeiten bei der Aussprache deutscher
sollte herausgefunden werden, ob die Wörter mit Umlaut auf. Beim Ausspra-
M4-Deutschlernenden, die 12 Jahre che-Training für thailändische Deutsch-

1 Nämlich Triam Udomsuksa Schule, Satri Withaya Schule, Surasakmontri Schule,


Bordindecha Schule, Taweethapisek Schule.
2 Schon im Kindergarten lernen viele Thais mindestens das englische Alphabet.
362

lernende ist daher darauf zu achten, 3. im Hinblick auf die Verwendung von
dass insbesondere Wörter, die Ähnlich- ›Internationalismen‹ als Lesestrategie:
keit mit dem Englischen haben wie Fa- Die Untersuchung hat ergeben, dass die
milie, Tee, Auto, Musik, Problem und deut- befragten Deutschlernenden aus M4
sche Wörter mit Umlaut von Anfang an eine höhere Sprachbewusstheit beim Le-
richtig gelernt werden (zu deutschen sen hatten als die aus M6: d. h. die aus
und englischen Wörtern siehe Saenga- M4 machten beim Lesen eines ihnen
ramruang 2003: 173–177). vorgelegten deutschen Textes mehr Ge-
brauch von ihrem Vorwissen aus ande-
2. im Hinblick auf Wortschatz:
ren Fremdsprachen. Eine Methode der
Deutschlernende aus M4 und M6 konn- Lesedidaktik für Deutschanfänger ist
ten die Bedeutung vieler Wörter durch daher: Textentschlüsselung anhand von
Vorwissen aus dem Englischen erraten, ›Internationalismen‹ als Lesestrategie,
z. B. Adresse, Apfel, Auto, Banane, Beginn, d. h. Erraten der Bedeutung durch das
Aktion, akzeptieren, kritisieren, Bank, Bier, Vorwissen aus einer anderen Fremd-
Buch, diskutieren usw. Bemerkenswert sprache wie Englisch, Französisch oder
ist, dass die Technik des Erratens an- Italienisch, Wörter wie Zeremonie, Präsi-
hand von englischen Vorkenntnissen bei dent, Olympiade, Beginn, Nation und Pa-
einer Vielzahl von deutschen Wörtern rade, können für den Prozess des effekti-
zum negativen Transfer bei der Bedeu- ven Lesenlernens von Deutschanfän-
tungserschließung und auch bei der gern genutzt werden. Diese Technik
Aussprache führen kann. Es sind »fal- sollte so viel geübt werden, dass
sche Freunde«, die den thailändischen Deutschlernende sie als Lesestrategie in-
Deutschlernenden Schwierigkeiten be- ternalisieren (Einzelheiten und Vor-
reiten: das deutsche Wort Gift bedeutet schläge zur Ausspracheschulung und
auf Englisch ›Geschenk‹; das deutsche Wortschatzvermittlung siehe Saenga-
Wort See bedeutet auf Englisch ›sehen‹ ramruang 2003). Diese Strategie kann
und wird im Deutschen auch anders thailändische Deutschlerner zum effek-
gelesen als im Englischen, nämlich: tiveren, d. h. schnelleren und besseren
deutsch /se:/ und englisch /si:/. Das Deutschlernen motivieren und ihr sollte
deutsche Wort die ist ein Artikelwort für daher im Deutschunterricht in Thailand
Femininum und wird /di:/ ausgespro- bzw. in Deutschlernbüchern für thailän-
chen, aber im Englischen bedeutet es dische Lerner mehr Bedeutung beige-
›sterben‹ und wird /dai/ ausgespro- messen werden (für einen Versuch, das
chen. Das deutsche Wort Gymnasium be- Konzept ›Deutsch als Tertiärsprache
deutet im Englischen ›Turnhalle‹. Von nach Englisch‹ in einem Lehrbuch für
diesem Befund können wir für die Wort- thailändische Deutschlernende umzu-
schatzvermittlung an thailändische setzen, siehe Deutsch für den Alltag von
Deutschlernende Gebrauch machen: Wir Wanna Saengaramruang).
müssen Übungen zur richtigen Ent-
schlüsselung und Aussprache des deut- 3.2 Meinungen der Deutschstudieren-
schen Wortschatzes erstellen und die den über das Deutschstudium an der
Lernenden von Anfang an üben lassen. Universität
Sprachbewusstheit und interlingualer Der oft mäßige Erfolg beim Erlernen des
Transfer müssen noch stärker in den Englischen als erster Fremdsprache in
Prozess des Deutschlernens einbezogen Thailand führt zu der Frage nach der
werden. richtigen Gewichtung der vier Sprachfer-
363

tigkeiten im Fremdsprachenunterricht: ben reduziert werden sollten. Die meis-


Welche Sprachfertigkeit sollte für den ten waren der Meinung, dass Universitä-
thailändischen Lerner Vorrang haben, ten die Fertigkeiten Sprechen und Hören
damit er eine Fremdsprache möglichst bisher vernachlässigt haben – ein An-
schnell und effektiv lernen und sie im haltspunkt für eine künftige Revision des
privaten und beruflichen Leben wirklich Studienprogramms;
benutzen kann? An Forschung über diese
2. bezüglich der zukünftigen Berufe
Frage, die eigentlich von nationaler Be-
An beiden Universitäten gaben die Stu-
deutung ist, fehlt es in Thailand noch.
dierenden die gleichen Berufswünsche
Im Januar 2005 wurde an zwei Universi- am häufigsten an, aber in unterschiedli-
täten (Chulalongkorn Universität und cher Reihenfolge: An der Silpakorn Uni-
Silpakorn Universität) eine Befragung al- versität waren die drei beliebtesten Be-
ler Studierenden mit Deutsch als Haupt- rufe: Angestellte bei einem Flugunter-
fach durchgeführt.1 56 von 58 der Studie- nehmen, Angestellte bei einer deutschen
renden der Chulalongkorn Universität (= Firma, Angestellte bei der Botschaft. Stu-
96,6 %) und 96 von 113 der Studierenden dierende von der Chulalongkorn Univer-
der Silpakorn Universität (= 85,95 %) be- sität ergab folgende Reihung der Berufs-
antworteten die Fragen. Das Ergebnis wünsche: Angestellte bei einer deutschen
dieser Untersuchung gibt signifikante Firma, Angestellte bei der Botschaft, An-
Hinweise für die Notwendigkeit einer gestellte bei einer Fluggesellschaft. Die
Revision des Curriculums für Deutsch im am wenigsten gewünschten Berufe wa-
Hochschulbereich: ren Deutschlehrer und Beamte. Es liegt
1. bezüglich der vier Fertigkeiten auf der Hand, dass die Hochschulen
künftig mehr Gewicht auf Sprachkennt-
Nach den Angaben der Studierenden von
nisse und Fertigkeiten für die drei als
beiden Universitäten sind Sprechen und
wichtig genannten Berufe legen sollten,
Hören die wichtigsten Fertigkeiten für
um so die Bedürfnisse der Deutschstu-
ihren zukünftigen Beruf (Sprechen ist ein
dierenden besser zu berücksichtigen;
bisschen wichtiger als Hören). Es folgen
dann Lesen und Schreiben (Lesen ist ein 3. bezüglich der Gewichtung des Lehrange-
bisschen wichtiger als Schreiben). D. h. bots
die vier Fertigkeiten wurden von den Nach Angabe der Studierenden der
Studierenden in dieser Reihenfolge ge- Chulalongkorn Universität waren fertig-
wichtet: Sprechen, Hören, Lesen, Schrei- keitsorientierte Kurse (= 30,4 %) die wich-
ben. Dabei sind gerade Lesen und Schrei- tigsten. An zweiter Stelle stehen die be-
ben die Sprachfertigkeiten, die heute in rufsorientierten Kurse (= 20,6 %), dann
den Universitäten verstärkt gefördert folgten landeskundliche Kurse (= 18 %),
werden. Möglicherweise wird Lesen als sprachwissenschaftliche Kurse (= 15,3 %)
Grundlage anderer Sprachfähigkeiten und zuletzt Literaturkurse (= 14,6 %).
angesehen. Studierende beider Universi- Studierende der Silpakorn Universität
täten waren derselben Meinung, dass kamen fast zum selben Ergebnis wie ihre
Kurse in den Bereichen Lesen und Schrei- Kommilitonen, nämlich: an erster Stelle

1 »Meinungen der Deutschstudierenden zur Gewichtung der Sprachfertigkeiten im


Deutschunterricht an der Universität«, eine empirische Untersuchung im Rahmen des
Kurses »Deutsch als Fremdsprache« im Magisterstudienprogramm der Chulalongkorn
Universität im Wintersemester 2004.
364

fertigkeitsorientierte Kurse (= 32,1 %), sicht in das Gedankengut der Menschen


dann berufsorientierte Kurse (= 22,3 %), dieser anderen Kultur. Wenn traditio-
sprachwissenschaftliche Kurse (= 17 %), nelle philologische Kurse wie Literatur
landeskundliche Kurse (= 15,7 %), und und Linguistik zugunsten der berufsori-
zuletzt Literaturkurse (= 12,9 %). entierten Lehrangebote aus dem Curri-
culum gänzlich entfernt werden, wird
4. Vorschläge für die Curriculumsrevision die Universität als Ort der intellektuel-
auf Hochschulebene len Aktivität aufhören zu bestehen und
Die vier Sprachfertigkeiten werden, wie mehr und mehr zu einer Berufsschule
oben gezeigt, von den betroffenen werden. Aus diesem Grund ist es wich-
Deutschstudierenden anders gewichtet, tig, auch die traditionellen humanisti-
als sie in den allgemeinen Studienpro- schen Werte zu bewahren.
grammen angeboten werden. Wenn das
Curriculum lernerorientiert gestaltet 4. Organisationen und Aktivitäten zur
werden soll, müssen Universitäten ihre Entwicklung des Deutschlernens in
Curricula für Deutsch revidieren und Thailand
ihre Lehrveranstaltungen auf die Be-
dürfnisse der Studierenden ausrichten. 4.1 Der Thailändische Deutschlehrer-
Die Einstellung eines philologischen verband
bzw. germanistischen Studierenden von Der Thailändische Deutschlehrerverband
heute hat sich, wie die Studie zeigt, (TDLV) wurde 1993 mit Unterstützung
gegenüber früher deutlich geändert: durch das Goethe-Institut gegründet, mit
Man studiert eine Fremdsprache nicht dem Ziel der Förderung des Deutschun-
mehr nur um des Wissens willen, son- terrichts in Thailand, des Austauschs von
dern vorrangig für den praktischen Ge- wissenschaftlichen Kenntnissen zwi-
brauch im zukünftigen Berufsleben. schen Deutschlehrern verschiedener In-
Fremdsprachenlerner bzw. Studierende stitutionen, der Vermittlung von sprach-
der Germanistik wollen nach dieser Stu- lichen und kulturellen Informationen,
die durch das Studium auf ihren zu- des Erfahrungs- und Meinungsaus-
künftigen Beruf vorbereitet werden. Ein tauschs zwischen thailändischen
akademisches Studium nach dem hu- Deutschlehrern und der Förderung der
manistischen Bildungsideal ist nicht sprachlichen und kulturellen Verständi-
mehr das Hauptziel der heutigen Stu- gung zwischen Thailand und Deutsch-
dierenden der Germanistik in Thailand land (Srikeaw 2002: 33). Um die genann-
und für sie ist nichts so wichtig, wie die ten Ziele zu erreichen, werden einerseits
kommunikative Sprachkompetenz für jedes Jahr das TDLV-Forum, eine Zeit-
ihren zukünftigen Beruf. schrift für Sprache, Literatur und Kultur
Trotz dieser veränderten Einstellung herausgegeben, andererseits bietet der
sollten wir die traditionelle Vorstellung Verband vielfältige Veranstaltungen und
eines philologischen Studiums nicht Aktivitäten, z. B. Förderung von
aufgeben. Fremdsprachenlehrende müs- Deutschlehrern mit Stipendien von der
sen die Lernenden von dem Wert der Thai-deutschen Kulturstiftung zur Fort-
literatur- und sprachwissenschaftlichen bildung in Deutschland; Der »Deutsche
Kurse als Zugang zur fremdsprachigen Tag«, eine alljährliche Versammlung der
Kultur überzeugen. Solche Lehrveran- Deutschlernenden und Deutschstudie-
staltungen sind wichtig für den inter- renden aus verschiedenen Oberschulen
kulturellen Brückenbau und geben Ein- und Universitäten in Thailand, zu der
365

Ausstellungen, Wettbewerbe, Singen und 4. die Qualität des Deutschunterrichts in


Bühnenvorstellungen für und von Schü- Thailand auf der Hochschulebene und
lern und Studierenden veranstaltet wer- Schulebene zu verbessern;
den; Mitgliedschaft im Internationalen 5. wissenschaftliche Arbeiten im Fach
Deutschlehrerverband und Veranstal- Deutsch bzw. Germanistik in Thailand
tung des zweimonatlichen ›Lehrertreffs‹ zu fördern und alle Deutschlehrer in
im Goethe-Institut, usw. Thailand zu weiteren wissenschaftli-
chen Arbeiten anzuregen, der jetzigen
4.2 Thailändisches Germanistentreffen Schulreform in Thailand entsprechend,
Das ›Thailändische Germanistentreffen‹ die den lernerzentrierten Unterricht in
wird alle 2 Jahre veranstaltet. Das 1. Thai- den Vordergrund gestellt hat.
ländische Germanistentreffen1 wurde Grundgedanke dieser Tagung ist es, allen
vom 4.–5. Oktober 2001 von der Deut- Deutschlehrern in Thailand, sowohl im
schen Abteilung der Philosophischen Fa- Schulbereich als auch im Hochschulbe-
kultät, Chulalongkorn Universität, das 2. reich, ein Forum für eine gemeinsame
vom 7.–8. Oktober 2003 von der Ram- wissenschaftliche Entwicklung zu bieten.
khamhaeng Universität, das 3. vom 24.– Das Zustandekommen des Thailändi-
25. März 2005 von der Chiang Mai Uni- schen Germanistentreffens zeigt die gute
versität und das 4. vom 22.–24. März 2007 Zusammenarbeit zwischen deutschen
von der Thammasat Universität veran- und thailändischen Organisationen, na-
staltet. Das Thailändische Germanisten- mentlich zwischen dem Thailändischen
treffen hat sich Folgendes zum Ziel ge- Deutschlehrerverband, dem DAAD und
setzt (siehe den Bericht von der Leiterin dem Goethe-Institut, verschiedenen Uni-
der Deutschen Abteilung in: Saengaram- versitäten und Oberschulen und auch der
ruang 2002: 26–27): Beratungsstelle (Supervisory Unit) im Er-
1. allen Germanisten und Deutschlehrern ziehungsministerium.
in Thailand die Gelegenheit zu bieten,
ihre wissenschaftlichen Arbeiten in 5. Ausländische Unterstützung
verschiedenen Bereichen vorzustellen Bei der Unterstützung des Germanistik-
und bekannt zu machen; studiums in Thailand spielt der Deutsche
2. allen Germanisten und Deutschlehrern Akademische Austauschdienst (DAAD)
in Thailand die Möglichkeit zum fach- die größte Rolle. Die fachliche und finan-
lichen Meinungsaustausch zu bieten. zielle Förderung begann schon mit der
Sie können sich über den Stand der Gründung der ersten Deutschen Abtei-
bisherigen Forschungen im Fach lung in Thailand. Der erste DAAD-Lek-
Deutsch bzw. Germanistik in Thailand tor war im Jahre 1957 Dr. Georg Heuser
informieren; an der Deutschen Abteilung der Chula-
3. akademische Kontakte zu knüpfen; longkorn Universität. Seither wurden

1 Es haben insgesamt 100 Personen am 1. Thailändischen Germanistentreffen teilgenom-


men: 81 thailändische und deutsche Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer aus 30
Institutionen mit Angeboten eines Deutschprogramms (9 Universitäten, 20 Schulen und
das Goethe-Institut), 16 Magisterstudenten der Chulalongkorn Universität und Ram-
khamhaeng Universität und eingeladene Gäste sowie drei Kollegen aus Laos; eröffnet
wurde die Tagung von Assoc. Prof. Tatschai Sumitra, dem Rektor der Chulalongkorn
Universität, und Andreas von Stechow, dem Botschafter der Bundesrepublik Deutsch-
land (vgl. 1. Thailändisches Germanistentreffen, TDLV-Forum 2/2002).
366

auch an anderen Universitäten in Thai- Banchuen Thanakhom von der Triam


land DAAD-Lektorate eingerichtet, näm- Udomsuksa Schule und Frau Sudsa-
lich an der Thammasat Universität, der waeng Rakkhumkaew von der Suksana-
Ramkhamhaeng Universität, der Chiang ree Schule. In den Jahren 1993, 1995 und
Mai Universität und der Khon Kaen Uni- 1999 gab es eine zweite Welle der Um-
versität. Die Stellen der DAAD-Lektoren schulung, um dasselbe Problem des
wurden in letzter Zeit reduziert: Sie sind Deutschlehrermangels in Thailand zu lö-
heute nur an drei Universitäten tätig, sen. Insgesamt wurden 29 Lehrkräfte zu
nämlich an der Deutschen Abteilung der Deutschlehrern umgeschult und Deutsch
Chulalongkorn Universität, der Deut- wurde an 12 Oberschulen zusätzlich an-
schen Abteilung der Chiang Mai Univer- geboten. Um alle Deutschlehrenden an
sität und an der Fakultät für Jura der Schule und Universität auf dem Laufen-
Thammasat Universität.1 den zu halten, veranstaltet das Goethe-
Neben den DAAD-Lektoraten gewährt Institut jeden Freitag ein Lehrerseminar
der DAAD Promotionsstipendien an und vergibt Stipendien zur Fort-/Weiter-
thailändische Dozenten, nicht nur auf bildung und Hospitation in Deutschland.
dem Gebiet der Germanistik, sondern für Im Großen und Ganzen kann man sagen,
alle Fächer. Er arbeitet bei der Förderung dass DAAD und Goethe-Institut seit fast
thailändischer Wissenschaftler auch eng 50 Jahren die zwei wichtigsten Organisa-
mit dem ›Thailand Research Fund‹ zu- tionen zur Förderung und Unterstützung
sammen. Andere Förderungsprogramme des Germanistikstudiums und des
sind mehrmonatige Forschungsaufent- Deutschunterrichts in Thailand sind. Ihre
halte in Deutschland für Magisterstuden- Unterstützung umfasst folgende Berei-
ten, Wiedereinladungen ehemaliger che:
DAAD-Stipendiaten, Vergabe von Kurz- 1. Deutschlehrende
zeitdozenturen für deutsche Wissen-
schaftler an thailändischen Hochschulen DAAD: Vergabe von Stipendien zur Pro-
und Sommerkursstipendien für B. A.- motion oder zur Forschung in Deutsch-
Studenten. land;
Die bedeutendste Rolle bei der Förde- Goethe-Institut: Lehrerfortbildung oder
rung des Deutschlernens an der Schule Hospitation in Deutschland.
spielt das Goethe-Institut in Bangkok. 2. Deutschlernende
Am Anfang, als es noch keine Deutsch- DAAD und Goethe-Institut: Kurzzeitsti-
lehrer in Thailand gab, führte das Goe- pendien zur Teilnahme an Sprachkursen
the-Institut das erste Umschulungspro- des Instituts bzw. Sommerkursen in
gramm durch. Beamtete Lehrer anderer Deutschland.
Fremdsprachen wurden zur Deutschleh-
rerausbildung nach Deutschland ge- 3. Kurzzeitdozenturen und Sondervorträge
schickt. Es waren insgesamt sieben im DAAD: Kurzzeitdozenturen von Gast-
Jahre 1968, und sie haben einen großen professoren aus Deutschland;
Beitrag für den Deutschunterricht in Goethe-Institut: Sondervorträge und
Thailand geleistet, z. B. Frau Suwannee Workshops zu methodisch-didaktischen
Pratumrat von der Sai Panya Schule, Frau Themen.

1 2003 hat der DAAD einen Sprachassistenten an die Chulalongkorn Universität gesandt
und vorher einen an die Deutsche Abteilung der Khon Kaen Universität.
367

4. Lehr- und Lernmaterialien: Wenn man diese »Lernerorientierung«


DAAD und Goethe-Institut: Bücher, ernst nimmt, ergeben sich für die Pla-
Filme und andere Lehrmaterialien. nung und Gestaltung des fremdsprachli-
Ehemalige DAAD-Stipendiaten können chen Deutschunterrichts deutlich verän-
jährlich Bücher für ihre Forschungsarbeit derte Konzepte. Zwei Aspekte sollten
und ihre Lehrtätigkeit aus dem Fachlite- nach Neuner hervorgehoben werden:
raturprogramm des DAAD beziehen. »a) die Entfaltung von Lernstrategien:
Deutsch ist in den meisten Ländern – auch
6. Schlussfolgerung und Epilog: Wer in Thailand – die zweite Fremdsprache
nach Englisch, die man lernt. Die Lernen-
bestimmt die Politik des Deutschler- den haben also beim Erlernen der ersten
nens in Thailand? Eine unbeantwortete Fremdsprache Erfahrungen gemacht, wie
Frage man eine Fremdsprache lernt, also wie man
z. B. neuen Wortschatz lernt.
An diese Erfahrungen kann man ganz kon-
6.1 Konzept des lernerzentrierten Unter- kret anknüpfen, wenn man Deutsch als
richts: Hauptanliegen der Bildungsre- zweite Fremdsprache lernt und mit den
form in Thailand Lernenden immer wieder ganz bewusst be-
In der Sprachlehr- und -lernforschung sprechen, welche Erfahrungen mit dem
Fremdsprachenlernen sie schon haben und
hat sich in den letzten beiden Jahrzehn- wie man diese Erfahrungen nutzen, aus-
ten ein deutlicher Paradigmenwechsel bauen und dadurch den Lernprozess ver-
vollzogen, für den das Schlagwort der bessern kann. […] die enge sprachliche
›Lernerorientierung‹ geprägt wurde Verwandtschaft von Englisch und Deutsch
(siehe »Grußwort zum 1. Thailändischen beim Deutschlernen bewusst nutzen.«
Germanistentreffen« in: Neuner 2002: 45– (Neuner 2002: 50–51)
53). Bei der Ausarbeitung der Lehrpläne Auch die Bildungsreform 1999 in Thai-
und Lehrwerke steht nach Neuner nicht land hat das oben diskutierte Konzept
mehr das Sprachsystem bzw. die Gram- der Lernerorientierung als Hauptanlie-
matikprogression im Vordergrund, son- gen. Doch inwiefern ist das im Deutsch-
dern es wird zunächst nach den Beson- unterricht in Thailand bislang berück-
derheiten einer Lerngruppe gefragt: sichtigt worden?
»– nach den Lernvoraussetzungen: Was
bringt die Lerngruppe in den Lernprozess 6.2 Unbeantwortete Fragen
mit? Z. B.: Wie ist das Verhältnis der Mutter- 1. Frage:
sprache zur neu zu erlernenden Sprache?
Welche anderen Fremdsprachenkenntnisse Wie interpretieren wir die Bildungsreform im
sind schon vorhanden? Auf welchem Vor- Hinblick auf die Lernerzentriertheit und was
wissen – etwa im sprachlichen oder landes- bewirkt sie für den Deutschunterricht auf der
kundlichen Bereich – kann man aufbauen? Schulebene in Thailand?
Welche Erfahrungen mit dem Sprachenler- Seit mehr als 15 Jahren wird das erste
nen gibt es«? […]
thailändische regionale Deutschlehrwerk
»– nach den Bedürfnissen, Erwartungen Viel Spaß mit Deutsch im Deutschunter-
und Motiven zum Erlernen der neuen richt verwendet. Allein der derzeitige
Fremdsprache? Also: Wozu soll die neue
Sprache gelernt werden? Und Wechsel zu Deutschlehrwerken aus
Deutschland an vielen Oberschulen be-
– nach der Lernumgebung: Wo und unter deutet noch nicht, dass der Deutschun-
welchen Umständen wird die neue Sprache
gelernt? Wie sind etwa die Kontaktmöglich- terricht in Thailand lernerzentriert ist
keiten zur neuen Sprache in der eigenen und schon dem Konzept der Lernerzen-
Umwelt«? (Neuner 2002: 50) triertheit nach der neuen Bildungsreform
368

in Thailand entspricht. Wurden Pro und 2. Frage:


Kontra beim Wechsel des Lehrwerks Nach welchem Gesichtspunkt sollten wir den
gründlich genug überlegt? Wurde sorg- Fremdsprachenunterricht in Thailand för-
fältig mit dem alten Lehrwerk Viel Spaß dern?
mit Deutsch verglichen, das methodisch- Laut offizieller Statistik kamen im Jahre
didaktisch lernerorientiert konzipiert 2004 455.170 deutsche, 59.797 österreichi-
wurde? Könnte die Revision dieses regio- sche und 120.166 Schweizer Touristen
nalen Lehrwerks den Reformzielen bes- nach Thailand.2 Deutsch ist ihre Mutter-
ser entsprechen, insbesondere da inzwi- sprache bzw. Amtssprache in diesen Län-
schen Studien zu seiner Verbesserung dern. Die Gesamtzahl der Touristen aus
und wissenschaftliche Beiträge zum diesen Ländern in Thailand betrug 2004
Deutschlernen in Thailand als Ansatz also 635.133. Wenn man die Zahl der
vorliegen?1 Deutschschweizer unter den Touristen
aus der Schweiz nach ihrem Bevölke-
Dazu brauchen wir hauptsächlich die Zu-
rungsanteil schätzt, gab es 2004 über
sammenarbeit der thailändischen
590.000 deutschsprachige Touristen. Der
Deutschlehrer: Sie sind die Benutzer die-
Vergleich zur Gesamtzahl der Touristen
ses Lehrwerks und verstehen die Lerner
aus Europa macht deutlich, dass deutsch-
besser, daher können sie die Probleme im
sprachige Touristen ein Fünftel aller eu-
Deutschunterricht besser durchschauen ropäischen Touristen stellten. Von diesem
und bewältigen. Außerdem wird durch Gesichtspunkt her können wir sagen:
Teilnahme an der Revision aufgrund wis- Thailänder sollten Deutsch lernen.
senschaftlicher Diskussionen vielen Aber wenn wir Fremdsprachenlernen in
Deutschlehrern das Konzept eines lerner- Thailand nach der Zahl der Touristen
zentrierten Unterrichts einsichtiger und bestimmen, sollten die Thailänder eher
sie können es besser im Deutschunter- Chinesisch und Japanisch als zweite und
richt einsetzen. Ein lernerzentriertes dritte Fremdsprache nach Englisch ler-
Lehrwerk bzw. ein lernerzentrierter Un- nen. Denn: Die meisten asiatischen Tou-
terricht für thailändische Oberschüler als risten in Thailand sind Chinesen. 2004
Ergebnis des Revisions- und Diskussi- kamen 729.848 chinesische Touristen aus
onsprozesses könnte dazu führen, dass der Volksrepublik China nach Thailand,
thailändische Oberschüler Deutsch nach 489.171 aus Hongkong, 540.803 aus Tai-
der Schule im privaten oder beruflichen wan, und auch ein Großteil der 578.027
Leben effektiver benutzen können oder Touristen aus Singapur war chinesisch,
an einer thailändischen Universität oder insgesamt also über zwei Millionen. Die
im deutschsprachigen Ausland ihr Stu- Zahl der japanischen Touristen betrug
dium für ihren zukünftigen Beruf fortset- 1.212.213, die der koreanischen Touristen
zen können. 898.965. Es ist daher kein Wunder, dass

1 Z. B. Gebrauch machen von Englisch als 1. Fremdsprache in Thailand beim Deutschler-


nen (Saengaramruang 2003; Kusolrod 2003 (2). Siehe auch andere Studien: Saengaram-
ruang 1992, 1997, 2002, 2003, 2005; Sriuranpong 1997, 2002; Mahakusol 1999; Plabpleung
1999; Boonchim 1999, 2002; Tienboonlertrat/Charnbanditnan 1999; Ralugmool/Solgo-
soom 2000; Chunnasart/Sukruen 2000; Kanittapongrat 2001; Woraurai 2003; Tienboon-
lertrat 2002; Maleehom 2002; Kaewwipat 2001; Littmann/Weerananthanaphan 2002,
Ngaosuwan 1978.
2 http://service.nso.go.th/nso/data23/stat_23/toc_16/16.1–1.xls.
369

die Zahl der Chinesisch- und Japanisch- schen Deutschlernenden/Deutschstu-


lernenden an den Oberschulen und Uni- dierenden, sondern Fremdsprachenler-
versitäten in der letzten Zeit rapide steigt. nenden überall auf der Welt. Es sind in
Wenn wir die Zahl der Weltbürger, die der Tat auch nicht nur Fremdsprachen-
eine Fremdsprache als Muttersprache lernende, die noch kein bestimmtes Be-
sprechen, als Kriterium zur Förderung rufsziel vor sich haben. Sprache ist nur
dieser Fremdsprache in einem anderen ein Instrument zur Berufsausübung und
Land betrachten, können wir sagen, allein ihr Erlernen reicht nicht aus, sich
dass Thailänder Deutsch lernen sollten. erfolgreich im Berufsleben durchzuset-
In sieben Ländern Europas ist Deutsch zen. Lerner müssen wissbegierig sein
die einzige oder regionale Amtssprache und das Selbstlernen lernen, d. h. lernen
(D, A, CH, B, L, I, LIE) und über 100 für das Leben. Die meisten thailändi-
Millionen Menschen sprechen Deutsch schen Deutschlernenden in der Ober-
als Muttersprache. 1 Weltweit lernen schule erwarten von Deutsch haupt-
rund 15–16 Millionen Menschen sächlich, dass sie mit Deutsch als einer
Deutsch als Fremdsprache. Über 120.000 Fremdsprache die zentrale Aufnahme-
Lehrer unterrichten an Schulen außer- prüfung bestehen können und damit ei-
halb der deutschsprachigen Länder nen Studienplatz an einer Universität
Deutsch. Hinzu kommen 19.000 Hoch- bekommen.
schullehrer, die über 720.000 Germanis- Absolventen mit Deutsch können nach
tikstudenten und über 2 Millionen Stu- dem Studienabschluss verschiedene Be-
dierende in Hochschulsprachkursen un-
rufe ergreifen: Wissenschaftler bzw.
terrichten. Was auch wichtig ist:
Deutschdozent oder Deutschlehrer an ei-
Deutsch ist die meist gesprochene Spra-
ner Universität oder Oberschule, Ange-
che in Europa nach Russisch und eine
stellter in einer Firma oder einem Reise-
der 10 meist gesprochenen Sprachen auf
büro, einer Botschaft oder einer deutschen
der Welt.2
Stiftung wie der Konrad Adenauer Stif-
3. Frage: tung in Bangkok, Flugpersonal, Überset-
Wer bestimmt die Politik des Fremdsprachen- zer oder Dolmetscher. Hauptproblem der
unterrichts in Thailand, einschließlich der des Absolventen mit Deutsch ist aber, dass
Deutschunterrichts? deutsche Firmen oder Organisationen in
Sofern es in Thailand nicht klar ist, wer Thailand nicht Kandidaten mit deutschen
oder welche Behörde die Politik des Kenntnissen bevorzugen, wie es bei den
Fremdsprachenunterrichts in Thailand japanischen Firmen in Thailand der Fall
bestimmt, können wir die Zukunft des ist. Japanischlernende sind sich sicher,
Deutschunterrichts in Thailand nicht dass sie nach dem Studium einen Arbeits-
deutlich ersehen. platz bei einer japanischen Firma finden
Deutschlernende sowohl auf der Schul- können. Wenn deutsche Firmen in Thai-
ebene als auch der Hochschulebene sind land dieselbe Politik wie die japanischen
sich oft nicht im Klaren über ihr Ziel des verfolgen würden, würde die Zahl der
Deutschlernens bzw. Germanistikstudi- Deutschlernenden wahrscheinlich stei-
ums. Das passiert nicht nur thailändi- gen.

1 Aus: »Förderung der deutschen Sprache im Ausland« des Auswärtigen Amts in


http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/index_html.
2 Aus: http://www.deutscher-sprachrat.de.
370

Die Entwicklung des Deutschunterrichts Literatur


in Thailand hat nach der Bildungsreform Boonchim, Maneerat: »Bildverwendung im
noch keine feste Gestalt angenommen, Deutschunterricht mit dem regionalen
wie es sein sollte. Stattdessen gibt es noch Lehrwerk Viel Spaß mit Deutsch«, 1. Thai-
ländisches Germanistentreffen. TDLV-Forum
mehr Verwirrung. Das betrifft nicht nur 7 (2002), 129–144.
die allgemeinen Rahmenbedingungen, Boonchim, Maneerat: »Untersuchung über
die eine große Wirkung auf die Bestim- Deutschlehrer an den Oberschulen in
mung von Curricula, Inhalten, Lehrme- Thailand«, TDLV-Forum 4 (1999), 70–85.
thoden und Lehrmaterial haben, sondern Chunnasart, Paveena; Sukruen, Porntip:
auch einzelne Faktoren wie die zentrale »Untersuchung der Meinung von
Deutschlehrern über das regionale Lehr-
Aufnahmeprüfung zum Studium an der buch Lesen macht Spaß«, TDLV-Forum 5
Universität, bei der normalerweise (2000), 67–77.
Deutsch als Wahlmöglichkeit angeboten Festschrift zum 10. Jahrestage der Wiedereröff-
wird. Das Deutschlernen in Thailand nung der Deutschkurse an der Chulalong-
hängt einzig und allein von der Politik korn-Universität zu Bangkok am 12. Septem-
des Landes ab, genauer gesagt von einer ber 1967. Hrsg. von den Dozenten des
Germanistischen Seminars mit finanziel-
Instanz, die mit einem klaren Ziel und ler Unterstützung der Botschaft der Bun-
konkreten Plänen im Hinblick auf Lehr- desrepublik Deutschland. Bangkok, 1967.
personal und Bildungsziele des Fremd- Kusolrod, Prapawadee: Zur Entwicklung ei-
sprachenunterrichts in Thailand operiert. nes Fernstudienangebots »Deutsch als
Alle Institutionen wie Schulen, Universitäten Fremdsprache« für Studienanfänger an der
Ramkhamhaeng Universität Bangkok. Dis-
und Organisationen, die mit dem Deutschun- sertation 2003 an der Universität Kassel.
terricht bzw. Germanistikstudium in Thailand Kusolrod, Prapawadee: »Anglizismen und
zu tun haben, haben mit vollen und unermüd- Gallizismen in der deutschen Sprache:
lichen Kräften ihr Bestes gegeben. Konsequenzen für den Deutschunterricht
Aber auf der politischen Seite stellen sich in Thailand«, TDLV-Forum 8 (2003), 42–
49.
Fragen: Littmann, Michael; Weerananthanaphan,
– Wer bestimmt die Politik des Fremd- Kriengtape: »Thesen zur Entwicklung
sprachenunterrichts? des Faches Deutsch an thailändischen
– Wer bestimmt die Politik des Deutsch- Hochschulen – Analyse der aktuellen Si-
tuation und Konsequenzen für eine Ver-
unterrichts in Thailand? änderung der Curricula«, 1. Thailändi-
– In welche Richtung will man gehen sches Germanistentreffen. TDLV-Forum 7
und nach welchen Kriterien geht man (2002), 167–173.
vor? Mahakusol: Rattana: »Wortschatzvermitt-
lung im regionalen Lehrwerk Viel Spaß
– Wie soll der Unterricht in der ersten, mit Deutsch«, TDLV-Forum 4 (1999), 39–
zweiten und vielleicht dritten Fremd- 50.
sprache in Thailand aussehen, damit Maleehom, Chawan: »Landeskundliches
man nicht vergeblich lernt?1 Wissen an den thailändischen Universitä-

1 Nach der Untersuchung im Jahre 2003 haben die meisten Oberschüler in M4, M5 und
M6 in fünf Oberschulen in Thailand Englisch als 1. Fremdsprache in der Grundeschule
(manche haben sogar Englisch schon im Kindergarten angefangen). D. h. bevor
Oberschüler mit Deutsch als 2. Fremdsprache anfangen, haben sie Englisch mindestens
12 Jahre an der Schule gelernt (Saengaramruang 2003: 169–171). Andere Fremdsprachen,
die sie lernen, sind Japanisch, Chinesisch, Spanisch und Französisch. Auch wenn die
Zahl der Lerner anderer Sprachen zusätzlich zu Englisch noch gering ist, so zeigt das
wenigstens, dass viele Thailänder Interesse an der 3. und 4. Fremdsprache haben.
371

ten«, 1. Thailändisches Germanistentreffen. Ralugmool, Wilairat: Die Negation im Deut-


TDLV-Forum 7 (2002), 174–194. schen und im Thai. Bangkok: Chulalong-
Ngaosuwan, Narümon: Hauptschwierigkei- korn Universität, Philosophische Fakul-
ten der thailändischen Studenten beim Erler- tät, 2001 (Magisterarbeit).
nen der Zielsprache Deutsch. Bangkok: Ralugmool, Wilairat; Solgosoom, Ekbuttree:
Chulalongkorn Universität, Philosophi- »Interesse an deutschlandkundlichen
schen Fakultät, 1978 (Magisterarbeit). Themen von Deutschschülern in der zen-
Neuner, Gerhard: »Germanistikstudium an tralen Region und ihre Meinungen zum
ausländischen Hochschulen zwischen Lehrbuch Viel Spaß mit Deutsch (Band I, II
Allgemeinbildung und beruflicher Spezi- und III)«, TDLV-Forum 5 (2000), 59–66.
fizierung. Welchen Beitrag können die Saengaramruang, Wanna: »Abtönungspar-
Bezugsfächer an deutschen Hochschulen tikeln als Illokutionsindikatoren: Von der
zur Reformdiskussion leisten?«, Info DaF Forschung in die Praxis des Deutsch- und
13 (1986), 291–303. Übersetzungsunterrichts in Thailand«, 1.
Thailändisches Germanistentreffen. TDLV-
Neuner, Gerhard (Hrsg.): Internationales
Forum 7 (2002), 331–356.
Qualitätsnetz Deutsch als Fremdsprache –
Tagungsdokumentation 2003 (Tagungsbei- Saengaramruang, Wanna: »Aktuelle Ent-
träge und Arbeitsberichte zur 2. Tagung wicklung des Germanistikstudiums in
im IQN-Projekt 27.–29. Juni 2003 Univer- Thailand«. In: Reformdiskussion und curri-
sität Kassel). Kassel: University Press, culare Entwicklung in der Germanistik. Do-
2004. (Schriftenreihe Deutsch als Fremd- kumentationen der Internationlen Germanis-
sprache, II Tagungsdokumentation, 2). tentagung des DAAD, 24.–28. Mai 1995,
Kassel. Bonn: Deutscher Akademischer
Neuner, Gerhard: »Grußwort zum 1. Thai- Austauschdienst, 1995.
ländischen Germanistentreffen: Chancen Saengaramruang, Wanna: »Aufgabenstel-
und Perspektiven für Deutsch als Fremd- lung in einem thailandspezifischen
sprache und die Germanistik nach der Deutschlehrwerk im Hochschulbereich«,
Jahrhundertwende – auch in Thailand«, Info DaF 1 (1997), 51–57.
1. Thailändisches Germanistentreffen.
TDLV-Forum 7 (2002), 45–53. Saengaramruang, Wanna: »Bericht von der
Leiterin der Deutschen Abteilung zur Er-
O’charoen, Thanomnuan: »Germanistikstu- öffnung des 1. Germanistentreffens«, 1.
dium in Thailand: Geschichte-Stand- Thailändisches Germanistentreffen. TDLV-
Ausblick«. In: Germanistentreffen Deutsch- Forum 7 (2002), 26–27.
land-Indien-Indonesien-Philippinen-Taiwan- Saengaramruang, Wanna: »Die Überset-
Thailand-Vietnam, 3.–8.10.1999. Bonn: zung der deutschen Abtönungspartikeln
Deutscher Akademischer Austausch- in der Literatur ins Thailändische«. In:
dienst (DAAD), 2000, 17–29. Akten des X. Internationalen Germanisten-
O’charoen, Thanomnuan: »Der neue Studi- kongresses Wien 2000. »Zeitwende – Die
engang für Übersetzen und Dolmet- Germanistik auf dem Weg vom 20. ins 21.
schen«, 1. Thailändisches Germanistentref- Jahrhundert«. Hrsg. von Peter Wiesinger.
fen. TDLV-Forum 3 (1998), 71–75. Band 11: Übersetzung und Literaturwis-
Otrakul, Ampha: Ȇbersetzung deutscher senschaft. Frankfurt a. M. u. a.: Lang,
Literatur in Thailand – Eine Bestandsauf- 2003, 179–185.
nahme und Darstellung spezifisch Saengaramruang, Wanna: »Sprachbewusst-
deutsch-thailändischer Übersetzungs- heit der thailändischen Deutschlernen-
probleme«. In: Germanistentreffen den und Vorüberlegungen zu Deutsch als
Deutschland-Indien-Indonesien-Philippi- Tertiärsprache in Thailand«. In: Neuner
n e n - Ta i w a n - T h a i l a n d - Vi e t n a m , 3 . – (Hrsg.) (2004), 165–190.
8.10.1999. Bonn: Deutscher Akademi- Saengaramruang, Wanna: Ȇbersetzung
scher Austauschdienst (DAAD), 2000, Deutsch – Thai / Thai – Deutsch, keine
169–182. einfache Aufgabe. Was muß man berück-
Plabpleung, Supatcha: »Analyse des sichtigen«?, TDLV-Forum 2 (1997), 7–14.
Deutschland- und Thailandbildes im Saengaramruang, Wanna: Curriculare
Lehrwerk Viel Spaß mit Deutsch«, TDLV- Grundlegung eines thailandspezifischen
Forum 4 (1999), 51–57. Deutschlehrwerks für den Hochschulbereich.
372

Heidelberg: Groos, 1992 (Sammlung Suriyajun, Chanokpim: Nominalkomposita


Groos, 47). im Deutschen und im Thai. Bangkok: Chu-
Saengaramruang, Wanna: Deutsche Gram- lalongkorn Universität, Philosophische
matik. 3 Bände. Bangkok: Chulalongkorn Fakultät, 2003. (Magisterarbeit).
University Press. Taatloha, Prisna; Piyasinchart, Sombun: Viel
Saengaramruang, Wanna: Essen und Trinken Spaß mit Deutsch. Ein Lehrwerk für Jugend-
im Wortschatz und in Redewendungen im liche in Thailand. 3 Bde. 2. Auflage. Bang-
Deutschen und im Thai. Bangkok: Faculty kok: Duang Kamol, 1994.
of Arts, Chulalongkorn University, 2005.
Taatloha, Prisna: »Entwicklung des
Saengaramruang, Wanna: Thai-Deutsches
Wörterbuch für Touristik. 3. Auflage. Bang- Deutschunterrichts an der Oberschule in
kok: Chulalongkorn University Press, Thailand«, 1. Thailändisches Germanisten-
2003. treffen. Tagungsbeiträge. TDLV-Forum 7
Saengaramruang, Wanna: Thai-Deutsches (2002): 195–204 (in Thai).
Wörterbuch. 2 Bände. Bangkok: Chula- Tamura, Phanda; Palanuwech, Rudee:
longkorn University Press, 2005. Deutsch für Anfänger I. Deutschunterricht
Saengaramruang, Wanna: Deutsch für den für Thailänder. Ein Lehrbuch (i. Vorb.).
Alltag. Mit CD. Band 1 und Band 2. Bang- Tienboonlertrat, Walee: »Studie über den
kok: Chulalongkorn University Press, Artikelgebrauch der Studenten«, 1. Thai-
2006. ländisches Germanistentreffen. TDLV-Forum
Sirimongkol, Nirubol: Das Thailandbild in 7 (2002), 129–144.
deutschen Medien. Bangkok: Chulalong- Tienboonlertrat, Walee; Charnbanditnan,
korn Universität, Philosophische Fakul- Pornsawat: »Erwartung und Einstellung
tät, 2002 (Magisterarbeit). der Deutschlerner auf dem Gymnasium
Solgosoom, Ekbuttree: Deutsch-thailändische vom Deutschunterricht«, TDLV-Forum 4
Zusammenarbeit: Meinungen zum berufli- (1999), 58–69.
chen Kommunikationsverhalten von Deut-
schen und Thailändern. Eine Untersuchung Weerananthanaphan, Kriengtape: »Das
am Goethe-Institut Bangkok. Bangkok: Curriculum Deutsch an der Khon Kaen
Chulalongkorn Universität, Philosophi- Universität, Thailand«. In: Germanisten-
sche Fakultät, 2001 (Magisterarbeit). treffen Indien-Indonesien-Philippinen-Tai-
Srikeaw, Pussadee: »Die Rolle des Thailän- wan-Thailand-Vietnam, 3.–8.10.1999. Bonn:
dischen Deutschlehrerverbands«, 1. Thai- Deutscher Akademischer Austausch-
ländisches Germanistentreffen. TDLV-Forum dienst (DAAD), 2000, 309–315.
7 (2002), 33. Woraurai, Sornpram: »Die Relativsätze im
Sriuranpong, Wilita: »Internationalismen Deutschen und im Thai«, TDLV-Forum 8
im Deutschen und im Thai«, 1. Thailändi- (2003), 76–87.
sches Germanistentreffen. TDLV-Forum 7
(2002), 222–238. Aus dem Internet
Sriuranpong, Wilita: »Die Objektstellung im
Deutschen und im Thai. Eine kontrastive http://www.auswaertiges-amt.de/www/
Analyse«, TDLV-Forum 2 (1997), 15–23. de/index_html
Sriuranpong, Wilita: Wortstellung im Deut- http://www.deutscher-sprachrat.de
schen und im Thai. Heidelberg: Groos, http://www.nso.go.th/thai/stat/dw44/
1997. toc_16.htm
373

DaF im Ausland

Entwicklungsmerkmale der Fachsprachenver-


mittlung im chinesischen Deutschunterricht am
Beispiel der Tongji-Universität

Jianpei Yang

1. Einführung insgesamt 100–120 Unterrichtsstunden


Fachsprache bildet einen wichtigen Be- (vgl. Dai/Zhang 1996: 161). Eindeutig
reich im chinesischen Deutsch-als- wird mit der Umsetzung des Curricu-
Fremdsprache-Unterricht. An vielen chi- lums darauf abgezielt, Fachpersonal mit
nesischen Hochschulen werden Fach- guten deutschen Sprachkenntnissen aus-
sprachen vermittelt. Die Fachsprachen- zubilden. Demnach sollen Hochschulab-
vermittlung erfolgt nicht nur für Studie- solventen, die nicht Germanistik studie-
rende der Germanistik, sondern auch für ren, ebenso in die Lage versetzt werden,
diejenigen Studierenden, die beispiels- Fachbücher lesen und mit den Fachleu-
weise Natur-, Wirtschafts- oder Inge- ten in der Wissenschaft, die Deutsch als
nieurwissenschaft studieren. Schon im Arbeitssprache anwenden, kommunizie-
Mai 1991 wurde das »Curriculum ren zu können. In diesem Sinne könnte
Deutsch als erste Fremdsprache an chine- das Curriculum als Fachsprachencurricu-
sischen Hochschulen und Universitäten« lum für den DaF-Unterricht in China
offiziell veröffentlicht (vgl. Dai/Zhang betrachtet werden.
1996: 154). Zielgruppe sind Studierende Deutsch als Fachsprache wird heute an
naturwissenschaftlicher, technischer, mehreren chinesischen Hochschulen und
geistes- und sozialwissenschaftlicher Fä- Universitäten vermittelt und jede Uni-
cher an Hochschulen und Universitäten versität hat je nach den zur Verfügung
ohne Vorkenntnisse in der deutschen stehenden Lehrkräften eigene Schwer-
Sprache mit Ausnahme der Studierenden punkte entwickelt. An der Fremdspra-
der Germanistik. Neben Betonung der chenhochschule Sichuan (Chongqing)
Förderung grundlegender Sprachfähig- beispielsweise wird Fachsprache für die
keiten, z. B. Hören, Sprechen, Lesen, Rechtswissenschaften vermittelt. An der
Schreiben, werden in diesem Curriculum Shanghai International Studies Univer-
konkrete Anforderungen an die Grund- sity (SISU) orientiert man sich an Wirt-
stufe und die Aufbaustufe zum Lesen schaftsdeutsch. An der University of
von Fachtexten festgelegt (vgl. Dai/ Shanghai for Science and Technology
Zhang 1996: 154). Im Hauptstudium ist (USST) werden Fachsprachen in inge-
das Lesen der Fachtexte obligatorisch nieurwissenschaftlichen Bereichen ange-
und umfasst bei zwei Stunden pro Woche boten, wobei sich die fachsprachlich ori-

Info DaF 34, 4 (2007), 373–389


374

entierten Lehrveranstaltungen auf Hö- Angesichts der ständig steigenden Nach-


here Mathematik (2. Semester, 4 SWS), frage nach fachsprachlich qualifizierten
Physik I (3. Semester, 2 SWS), Physik II (4. Deutschabsolventen werde ich in der vor-
Semester, 2 SWS), Maschinenelemente I liegenden Arbeit auf die Frage eingehen,
(5. Semester, 4 SWS), Maschinenelemente wie sich Deutsch als Fachsprache im chi-
II (6. Semester, 3 SWS), Elektrotechnik (7. nesischen DaF-Bereich entwickelt hat und
Semester, 4 SWS) und Metalltechnik (8. sich zukünftig entwickeln sollte. Wegen
Semester, 3 SWS) beziehen (vgl. Wei 2003: der langen Geschichte der Fachwissenver-
178 f.). Es gibt keine landesweit einheitli- mittlung »nimmt die Tongji-Universität
chen Lehrbücher, so dass jede Universität diesbezüglich eine herausragende Rolle
eigene Lehrmaterialien entwickelt und ein und wird deshalb als Untersuchungs-
passende Unterrichtsmodelle für die Ver- gegenstand gewählt. Exemplarisch wer-
mittlung der Fachsprachen konzipiert den in dieser Untersuchung die Themen-
hat, z. B. das Modell »Fachdeutsch Tech- bereiche und Forschungsweisen der Ma-
nik« für Studierende der Ingenieurwis- gister- und Bachelorarbeiten an der deut-
senschaften an der Zhejiang-Universität schen Fakultät der Tongji-Universität von
(Steinmetz 1996: 163). 1979 bis 2001 analysiert, die sich mit Fach-
sprachen beschäftigen, und die Entwick-
Mit der Entwicklung wirtschaftlicher Zu-
lungstendenz der Fachsprachforschung
sammenarbeit zwischen China und
herausgearbeitet.
Deutschland werden an chinesische
Hochschulabsolventen immer höhere
2. Entwicklung der Fachsprachenver-
fachsprachliche Anforderungen gestellt,
mittlung an der Tongji-Universität
vor allem in technischen und naturwis-
Die Tongji-Universität entstand ur-
senschaftlichen Studiengängen. Hoch- sprünglich aus der deutschen Medizin-
schulabsolventen sollten nicht nur fach- schule, die im Oktober 1907 von dem
kompetent sein, sondern auch eine um- deutschen Arzt Erich Paulun gegründet
fassende fachsprachliche Kompetenz be- worden war. Ihre Aufgabe bestand darin,
sitzen. Für Studierende des Faches Krankenpfleger auszubilden. Neben der
Deutsch gehört die fachsprachliche Kom- medizinischen Ausbildung wurde auch
petenz ebenfalls zu ihrer Berufsqualifika- Deutsch in einer Sprachschule, die 1920
tion, die der Nachfrage des Arbeitsmark- zur »Tongji-Mittelschule« wurde, vermit-
tes Rechnung trägt. Nach einer Untersu- telt. Unterrichtssprache in allen sieben
chung des chinesischen Germanistikver- Fächern war Deutsch und die Anwen-
bandes im Jahr 1991 arbeiten 70 % aller dung der deutschen bildlichen Didaktik
Deutschabsolventen auf dem Gebiet der zeitigte positive Resultate. Die ab dem
technischen Kooperationen und 25 % der Jahr 1924 erschienene »Tung-Chi medizi-
Deutschabsolventen im Bereich des Tou- nische Monatszeitschrift« leistete erste
rismus (vgl. Steinmetz 1996: 167). Gu Beiträge dazu, Fachwörter vom Deut-
zufolge haben durchschnittlich 75 % der schen ins Chinesische zu übersetzen
Deutschabsolventen bis zum Jahr 1996 in (Huang 1996: 64). 1917 wurde Tongji in
der Industrie und in Forschungsinstitu- die »Tung-Chi Medizinschule und Tech-
ten als Dolmetscher oder Übersetzer ge- nische Hochschule« umbenannt. Bis 1950
arbeitet, während die restlichen 25 % als wurden sämtliche Fächer, z. B. Biologie,
Deutschlehrer an Hochschulen oder als Physik, Chemie, Jura, Maschinenbau,
Touristenführer in der Reisebranche be- Elektrotechnik auf Deutsch unterrichtet.
schäftigt waren (vgl. Gu 2003: 49). Die deutschen didaktischen Methoden
375

wurden bis 1952 eingesetzt. Im gleichen Studiengänge werden Fachseminare an-


Jahr wurden zwei wichtige Abteilungen geboten, in denen Deutsch als Unter-
an die Jaotong Universität Shanghai bzw. richtssprache angewandt wird. So ertei-
nach Wuhan verlegt: die Abteilung für len zum Beispiel am chinesisch-deut-
Maschinenbau und die Abteilung für schen Hochschulkolleg (CDHK) deut-
Medizin. Von 1907 bis 1952 war Deutsch sche Professoren und Dozenten aus den
die erste Fremdsprache an der Tongji. Bereichen Fahrzeugtechnik, Automati-
Von 1952 bis 1978 ersetzte Russisch sierung, Verkehrswesen Fachunterricht
Deutsch und die Unterrichtsgestaltung und die Studierenden lernen auf diese
orientierte sich entsprechend an russi- Weise indirekt Fachsprachen.
scher Didaktik. Mit der Öffnungspolitik Jährlich lernen durchschnittlich 300 Stu-
Chinas wurde Deutsch wieder die erste dierende technischer und naturwissen-
Fremdsprache an der Tongji-Universität schaftlicher Fächer Deutsch als erste
(Huang 1996: 66 f.) und in den achtziger Fremdsprache. Im ersten Studienjahr ler-
Jahren wurde ein Fachsprachenzentrum nen sie wöchentlich 18 Stunden Deutsch
gegründet, das als Weiterbildungsort für und erst im zweiten Studienjahr begin-
diejenigen Hochschulabsolventen konzi- nen sie mit dem Fachstudium (vgl. Ding
piert wurde, die gute Deutschkenntnisse 2003: 33). Bei der sprachlichen Vorberei-
besitzen. Das Ziel des Fachsprachenzen- tung auf das Fachstudium lernen viele
trums besteht darin, hoch qualifizierte Studierende in Intensivkursen, z. B.
Fachübersetzer, Dolmetscher oder Lehrer CDHK-Studierende oder in studienbe-
auszubilden (Huang 1996: 67). gleitenden Deutschkursen, z. B. Studie-
Das Fachsprachenzentrum erteilt einer- rende des chinesisch-deutschen Hoch-
seits Deutschunterricht, betreibt anderer- schulkollegs für Angewandte Wissen-
seits auch wissenschaftliche Forschung. schaft (CDHW), Deutsch. Was die Ver-
Seit Ende der neunziger Jahre wird kein mittlung der Fachsprachen anbelangt,
Fachsprachenunterricht mehr angeboten, werden an der Tongji-Universität wie an
was auf eine unzureichende personelle, anderen Universitäten die Fachmateria-
materielle und finanzielle Ausstattung lien, die vom Dozenten selbst ausgewählt
zurückzuführen ist. und verarbeitet wurden, als Unterrichts-
Heute werden Fachsprachen an der materialien eingesetzt. Solche Materia-
Tongji-Universität auf direkte und indi- lien stammen meistens aus wissenschaft-
rekte Weise vermittelt. An der deutschen lichen Zeitschriften und Berichten, der
Fakultät erwerben Studierende der Ger- Populärwissenschaft, fachspezifischen
manistik im Fachsprachenseminar fach- Artikeln. Ein passendes Lehrwerk für die
sprachliche Kenntnisse in Wirtschafts- Fachsprache Deutsch, das allgemeine
deutsch, die im Umfang von 2 Wochen- Anwendbarkeit in der Fachsprachenver-
stunden vermittelt werden. Für Magister- mittlung beanspruchen kann, gibt es
studenten wird eine Lehrveranstaltung trotz aller Bemühungen bis heute immer
angeboten, in der man sich mit sprachli- noch nicht. Daher geht jede Universität
chen Merkmalen sowie der Forschungs- ihren eigenen individuellen Weg.
entwicklung der Fachsprachen beschäf- Vor diesem Hintergrund werde ich in den
tigt. Während des Magisterstudiums folgenden Abschnitten die Entwicklung
wird diese Fachsprachenlehrveranstal- der Fachsprachenvermittlung an der
tung ein Semester lang mit vier Stunden Tongji-Universität aus der »Output-Per-
pro Woche angeboten. Im Fachunterricht spektive« untersuchen. Durch die Ana-
technischer- und naturwissenschaftlicher lyse der Bachelor- und Magisterarbeiten
376

der Absolventen versuche ich herauszu- thematischen Kategorien, mit der Frage,
arbeiten, welche Tendenz die Fachspra- welche fachsprachlichen Kenntnisse die
chenvermittlung aufweist und welche Studierenden erlangen und gerne in der
Bandbreite erreicht wurde. Darauf fol- Abschlussarbeit thematisch und wissen-
gend sollte ein Nachdenken über die Ver- schaftlich behandeln wollten. Implizit ist
mittlung der Fachsprachen im DaF-Be- zu entschlüsseln, welche Fachsprache ei-
reich angeregt werden. nen erfolgreichen Transfer vom Input
zum Output vollzogen hat. Daher wurde
3. Untersuchung der Fachsprachenver- nicht qualitativ auf die einzelnen Arbei-
mittlung an der Tongji-Universität ten eingegangen. Um die Entwicklung
In diese exemplarische Untersuchung genauer zu beobachten, wurden die her-
sind 514 Studienabschlussarbeiten von angezogenen Arbeiten in zwei Zeiträume
1979 bis 2001 einbezogen. Davon sind 398 eingeteilt, nämlich von 1979 bis 1990 und
Bachelorarbeiten und 116 Magisterarbei- von 1990 bis 2001. Die folgende Abbil-
ten. Betrachtet werden dabei eher die dung zeigt einen Überblick.

Überblick der Abschlussarbeiten

600 514
500
398
400
Gesamt
300
Fachsprache
200 116
74
100 27 47
0
Magister Bachelor Alle Arbeiten
Abbildung 1
Wie der Abbildung 1 entnommen wer- arbeiten einen Anteil von 23,3 % bzw.
den kann, kommt das Thema Fachspra- 11,8 % aus. Offensichtlich interessierten
che nur in einem kleinen Teil der Ab- sich Magisterstudenten stärker für Fach-
schlussarbeiten vor. Insgesamt haben 74 sprachen als Bachelorstudenten. In Ta-
Studienabschlussarbeiten Fachsprachen belle 1 sind die wichtigsten Zahlen, die
behandelt, was 14,4 % entspricht. Die die Entwicklung der Vermittlung von
fachsprachenbezogenen Abschlussarbei- Fachsprachen an der Tongji-Universität
ten machen bei Magister- und Bachelor- widerspiegeln, zusammengefasst.

Magister (23,3 %) Bachelor (11,8 %)


1979–1990 1991–2001 1979–1990 1991–2001
Ges. Fachsprache Ges. Fachsprache Ges. Fachsprache Ges. Fachsprache
65 16 (24,6 %) 51 11 (21,6 %) 199 20 (10,1 %) 199 27 (13,6 %)
Tabelle 1
377

Anhand Abbildung 2 ist festzustellen, chelorstudenten sich für ein Thema über
dass das Interesse an Fachsprachen bei Fachsprachen entschieden haben, waren
Magisterstudenten größer ist als bei Ba- 23,3 % der Magisterstudenten in ihren Ab-
chelorstudenten. Während 11,8 % der Ba- schlussarbeiten fachsprachlich orientiert.

Interesse an Fachsprachen

23,30%
25,00%

20,00%
11,80% Magister
15,00%
Bachelor
10,00%

5,00%

0,00%

Abbildung 2

Von 1979 bis 1990 haben 16 von 65 Magis- gensatz dazu nahm das Interesse bei Ba-
terstudenten Fachsprachen in den Ab- chelorstudenten leicht zu. Im ersten Zeit-
schlussarbeiten thematisiert. Von 1991 bis raum bezogen sich nur 10,1 % der Bachel-
2001 sind Fachsprachen in 11 aller 56 orarbeiten auf Fachsprachen und im zwei-
Magisterarbeiten das behandelte Thema. ten Zeitraum ist das Interesse an Fachspra-
Das Interesse an Fachsprachen ist somit chen deutlich auf 13,6 % angestiegen, wie
von 24,6 % auf 21,6 % gesunken. Im Ge- Tabelle 2 und Abbildung 3 verdeutlichen:

Magisterarbeiten Bachelorarbeiten
Zeitraum Gesamt Fachsprachen Anteil Zeitraum Gesamt Fachsprachen Anteil
1979–1990 65 16 24,6 % 1979–1990 199 20 10,1 %
1991–2002 51 11 21,6 % 1991–2002 199 27 13,6 %
Tabelle 2

Interesse an Fachsprachen

30,00%
25,00% 24,60%
21,60%
20,00%
Magisterarbeit
15,00% 13,60% Bachelorarbeit
10,00% 10,10%
5,00%
0,00%
1979-1990 1991-2001

Abbildung 3
378

3.1 Ergebnisse der Magisterarbeitenana- ben 66,7 % der Magisterstudenten sich


lyse für ein fachsprachliches Thema in ihren
Die Magisterarbeiten, die Fachsprachen Abschlussarbeiten entschieden und 1995
zum Thema haben, weisen auf unter- hat der einzige Magisterstudent der deut-
schiedliche Entwicklungen in den beiden schen Fakultät Fachsprachen als Thema
Zeiträumen hin. Im Zeitraum von 1979 für seine Abschlussarbeit gewählt. Ange-
bis 1990 nahm das Interesse an Fachspra- sichts der eher literarischen und sprach-
chen tendenziell ab. Im Jahrgang 1979 wissenschaftlichen Orientierung an der
haben 44,4 % der Magisterarbeiten fach- deutschen Fakultät war diese fachsprach-
sprachliche Themen behandelt. 1980 war lich orientierte Abschlussarbeit aus-
diese Anzahl auf 28,6 % gesunken. Von schlaggebend, an die sich eine positive
1981 bis 1983 gab es keine fachsprachen- fachsprachliche Entwicklung im Jahr
bezogene Magisterarbeit. Erst im Jahr 1993 (25 %) und 1994 (28,6 %) anschloss.
1984 haben sich wieder 28,6 % der Magis- Von 1996 bis 1997 erfreuten sich fach-
terarbeiten fachsprachlich orientiert. Da- sprachliche Themen wachsender Beliebt-
nach setzte sich der Trend einer sinken- heit, die sich in einem Anstieg von 25 %
den Entwicklung erneut fort, so dass im auf 33,3 % zeigt. Danach gab es wieder
folgenden Jahr nur 16,7 % der Magister- einen Trend nach unten. Die Zahlen fie-
arbeiten fachsprachenorientiert waren. len von 1998 mit 14,3 % bis 2000 auf 0 %.
Nach weiteren zwei Jahren ohne fach- Seitdem erhöhte sich der fachsprachliche
sprachliche Themenstellungen erhöhte Anteil im Magisterstudium wieder und
sich die Anzahl 1988 leicht auf 14,3 %. die Zahl stieg im Jahr 2001 auf 10 %. Im
Danach gab es wieder keine Magisterar- zweiten Zeitraum gab es auch drei Jahre,
beiten, die sich mit den Fachsprachen in denen keine fachsprachlich orientierte
beschäftigten. Magisterarbeit entstand. Das war in den
Im Zeitraum von 1991 bis 2001 erlebten Jahren 1992, 1999 und 2000. Abbildung 4
Fachsprachen 1991 und 1995 jeweils ei- stellt die fachsprachliche Entwicklung im
nen nennenswerten Höhepunkt. 1991 ha- Magisterstudium dar.

Fachsprachen in Magisterarbeiten

120,00%
100,00%
80,00%
60,00%
40,00%
20,00%
0,00%
9

1
J7

J8

J8

J8

J8

J8

J9

J9

J9

J9

J9

J0

Abbildung 4
Aus der obigen Abbildung ist deutlich wicklung an der Tongji-Universität
zu sehen, dass die fachsprachliche Ent- sprunghaft ist. Im Vergleich zur Ent-
379

wicklung im ersten Zeitraum ist diese esse der Studierenden, zur Verfügung
sprunghafte Entwicklung im zweiten stehende Lehrkräfte für Fachsprachen-
Zeitraum noch deutlicher. Woran liegt vermittlung, der Bedarf auf dem Ar-
das? Hat dies mit einer chinatypischen beitsmarkt.
Entwicklung im DaF-Bereich zu tun? In Die fachsprachlichen Themen können in
Interviews wiesen deutsche Lektoren in die folgenden drei Kategorien eingeteilt
China darauf hin, dass die chinesische werden:
DaF-Entwicklung schon immer solch ei- – Natur- und Ingenieurwissenschaft,
nen Charakter, nämlich keine Kontinui- – Wirtschaftswissenschaft,
tät und Stabilität, besaß. Aus meiner – andere Wissenschaften (unter ande-
Sicht wird die fachsprachliche Entwick- ren Wissenschaften sind Geisteswis-
lung von mehreren Faktoren beeinflusst senschaften und andere allgemeine
und bestimmt, die den vorgestellten Fachsprachen zu verstehen; Tabelle 3
Entwicklungsstand zum Ergebnis ha- und Abbildung 5 zeigen diese Eintei-
ben. Solche Faktoren sind z. B. das Inter- lung).

Zeitraum 1979–1990 (16) 1991–2002 (11)


Natur- und Ingenieurwissenschaft 75 % 27,3 %
Wirtschaftswissenschaft 0% 54,5 %
Andere Wissenschaften 25 % 18,2 %
Tabelle 3

Themen der Magisterarbeiten

80% 75%
70%
60% 54,50%
50%
40% 1979–1990
30% 27,30% 25% 1991–2001
18,20%
20%
10%
0%
0% Natur- und Wirtschaftswissenschaft Andere Wissenschaften
Ingenieurwissenschaft

Abbildung 5
Auffallend dabei ist, dass sich die Magis- Fachsprachen interessierten. Fachspra-
terstudenten im Zeitraum von 1979 bis chen in Wirtschaftswissenschaft wurden
1990 ausschließlich für technische und von keinem Studierenden behandelt. Im
naturwissenschaftliche oder andere Gegensatz dazu haben 54,5 % der Magis-
380

terstudenten sich mit Wirtschaftsdeutsch den achtziger Jahren hauptsächlich


beschäftigt, z. B. mit der Sprache in Wirt- grammatisch orientiert war und die di-
schaftskommentaren, der Börsensprache. daktischen Methoden sich auf Gramma-
Das wachsende Interesse an Wirtschafts- tik-Übersetzungsmethoden beschränk-
deutsch geht auf die wirtschaftlichen Ko- ten. Das führte dazu, dass viele Studie-
operationen zwischen China und rende sich mit der Übersetzung fach-
Deutschland und auf die damit verbun- sprachlicher Literatur beschäftigten. In
dene steigende Nachfrage nach wirt- den Magisterarbeiten wurden Verben,
schaftlichen Kompetenzen der Absolven- Adjektive, Komposita und andere lingu-
ten im Fach Deutsch zurück. Die fach- istische Phänomene behandelt. Solche
sprachenorientierte Entwicklung bei Ma- Output-Lernleistungen der Fachspra-
gisterstudenten der Tongji-Universität chen spiegeln die Input-Ansätze wider.
lässt sich in folgenden Merkmalen zu- Implizit ist auch die didaktische Entwick-
sammenfassen, die auf die Didaktik der lung des DaF-Unterrichts sowohl an der
Fachsprachen an der deutschen Fakultät Tongji-Universität als auch an anderen
der Tongji-Universität zurückzuführen chinesischen Universitäten zu erkennen.
sind: Im Unterschied dazu spielten seit 1991
1. Von einer analytischen zur kontrastiven kontrastive Herangehensweisen an die
Perspektive Fachsprachen eine bedeutendere Rolle.
In vielen Magisterarbeiten wurde explizit
In den achtziger Jahren wurden Fach-
die kontrastive Analyse der Fachspra-
sprachen zu 100 % linguistisch analysiert.
chen betont. Insgesamt gingen 72,7 % al-
Man konzentrierte sich auf die Fachspra-
ler Magisterarbeiten im zweiten Zeit-
chen und legte den Schwerpunkt auf die
raum (von 1991 bis 2001) unter kontrasti-
sprachliche Struktur, Lexik sowie Syntax,
vem Aspekt auf die fachsprachlichen
z. B.:
Themen ein, z. B.:
Sui, Yaqin (1979): Zur Substantivzusam-
mensetzung im deutschen Fachwortschatz Ma, Xingyin (1991): Zur Untersuchung der
der Elektrotechnik. funktionalsprachlichen Merkmale von Be-
Li, Jianmin (1979): Zur Syntax in elektro- triebsanweisungen Fachbereich »Maschi-
technischen Fachtexten: Verbgebrauch. nenbau« im interlingualen Vergleich. –
Dargestellt an chinesisch- und deutsch-
Xiao, Jinlong (1979): Möglichkeiten der
sprachigen Anweisungen.
Komprimierung in elektrotechnischen
Fachtexten und ihre Übersetzung. Huang Xueyuan (1994): Textfunktionale
Fang, Jianguo (1980): Verben in einem Lehr- und -strukturelle Besonderheiten in deut-
buch der Architektur – Untersuchungen schen und chinesischen Wirtschaftskom-
der Frequenz, Motivationen und Ge- mentaren – Eine exemplarische Analyse.
brauchsvarianten. Yu, Ziyi (1995): Kontrastive Analyse der
Ruan, Yanhai (1980): Adjektive in der deut- deutschen und chinesischen Beipackzettel
schen Fachsprache der Architektur. aus textlinguistischer Sicht.
Han, Qing (1988): Autowerbung. – Exem- Guo, Yiwei (1996): Kontrastive Untersu-
plarische Untersuchung am Beispiel der chung zur Fachlexik in der deutschen und
Autowerbeanzeigen in der Zeitschrift »Der chinesischen Börsensprache am Beispiel
Spiegel«. der Metapher.
Aus den oben angegebenen Beispielen ist Qiao, Yan (1997): Kontrastive Analyse der
zu folgern, dass die Vermittlung der im Deutschen und Chinesischen gebräuch-
Fachsprachen im Deutschunterricht in lichen Marken.
381

Im Vergleich zu Magisterarbeiten in den He, Wenwei (1979): Untersuchungen zur


achtziger Jahren haben die Magisterstu- Wortschatzstruktur im Fachbereich Moto-
denten in den neunziger Jahren den For- renbau.
schungsgegenstand erweitert, indem sie Liang, Yong (1979): Probleme der natur-
die Beschränkung auf Fachdeutsch wissenschaftlich-technischen Überset-
durchbrachen. Mit dem Einbezug des zung vom Deutschen ins Chinesische –
Fachchinesischen wurde die Erforschung dargestellt an computertechnischen Fach-
der Fachsprachen auf eine kontrastive texten.
Ebene gebracht. Die kontrastive Analyse Shang, Xianghua (1980): Zum Einfluss des
der Fachsprachen fördert m. E. die Fach- Fachvokabulars auf die Gemeinsprache –
sprachenforschung und bietet Chancen, untersucht an Kommentaren der Wochen-
den Fachsprachenunterricht didaktisch zeitung »Die Zeit«.
vielfältiger zu gestalten. Darüber hinaus Zhang, Dingxian (1980): Probleme der na-
spiegeln diese Magisterarbeiten die di- turwissenschaftlich-technischen Überset-
daktische Entwicklung der Fachdidaktik zung Deutsch Chinesisch – dargestellt an
wider. Fachtexten der Metallurgie und anhand
einer Umfrage.
2. Von Lexik- und Syntaxebene zur Textebene In den 90er Jahren:
Inhaltlich gesehen erlebt die Fachspra- Li, Dongfang (1994): Chinesische und
chenvermittlung eine Entwicklung von deutsche Werbeanzeigen – Kontrastive
Lexik- und Syntaxorientierung zur Text- Analyse ausgewählter Kosmetikanzeigen
orientierung. Die Verschiebung der For- unter Berücksichtigung kommunikativ-
schungsschwerpunkte im Fachdeutsch funktionaler, textthematischer und text-
weist auf die Entwicklung der Fremd- struktureller Aspekte.
sprachenforschung hin. In den neunziger Yu, Ziyi (1995): Kontrastive Analyse der
Jahren wurden Stilistik, Pragmalinguistik deutschen und chinesischen Beipackzettel
und Textlinguistik den chinesischen For- aus textlinguistischer Sicht.
schern vertrauter und in die Fremdspra- Gao, Xun (1998): Kontrastive Textanalyse
chendidaktik integriert. Die gewöhnli- der deutschen und der chinesischen Text-
chen Forschungsgegenstände z. B. Lexik, sorte »Sportbericht« – aus textlinguisti-
Satzstruktur und Übersetzung wurden in scher Sicht.
den neunziger Jahren großteils durch
3. Von Natur- und Ingenieurwissenschaft
funktionale Analysen der Fachtexte er-
zur Wirtschaftswissenschaft
setzt. Die textlinguistisch orientierten
Wie Tabelle 3 und Abbildung 5 zeigen,
Magisterarbeiten in den neunziger Jah-
spielten Fachsprachen in Natur- und In-
ren nahmen einen Anteil von 54,5 % ein,
genieurwissenschaft in den achtziger
während die ähnlich angelegten Magis-
Jahren in den Magisterarbeiten eine
terarbeiten in den achtziger Jahren nur
wichtige Rolle. Sie befassten sich mit der
einen Anteil von 12,5 % ausmachten. Die
Elektrotechnik, der Computertechnik,
folgenden Beispiele zeigen jeweils die
der Silikattechnik, dem Motorenbau, der
Forschungsschwerpunkte in den achtzi-
Architektur, der Metallurgie und der
ger und neunziger Jahren. Nachrichtentechnik und machten einen
In den 80er Jahren: Anteil von 75 % aller Themen aus. Wirt-
Zhu, Jianhua (1979): Untersuchungen zur schaftwissenschaft erlebt seit den neunzi-
Wortzusammensetzung in der deutschen ger Jahren in China eine Blütezeit, und
Fachsprache der Silikattechnik. diese Entwicklung findet man auch in
382

den Magisterarbeiten wieder. Die Magis- Das Interesse an Wirtschaftsdeutsch ent-


terstudenten haben aus unterschiedli- spricht dem Trend der wirtschaftlichen
chen Perspektiven in ihren Abschlussar- Entwicklung in China. Trotzdem bin ich
beiten Wirtschaftsdeutsch behandelt, der Meinung, dass die Vermittlung ande-
z. B.: rer Fachsprachen nicht deshalb vernach-
Huang, Ruobing (1993): Metaphern im lässigt werden sollte. Sie sollte vielmehr
Wirtschaftsdeutschen – Untersuchung zur gefördert werden, denn die Nachfrage
Funktion und Bedeutung der Metapher im nach einer fachspezifischen Fremdspra-
Wirtschaftsteil der Zeitungspresse. chenkompetenz ist in den letzten Jahren
Zhao, Jin (1994): Lehrbücher des Wirt- gestiegen.
schaftsdeutschen im germanistischen Stu-
dium in China – Linguistische Analyse 3.2 Ergebnis der Bachelorarbeituntersu-
und didaktische Überlegungen. chung
Die Entwicklung der Fachsprachenver-
Guo, Yiwei (1996): Kontrastive Untersu-
mittlung bei Bachelorstudenten ist wie
chung zur Fachlexik in der deutschen und
bei Magisterstudenten sprunghaft. 1993
chinesischen Börsensprache am Beispiel
erreichte sie den höchsten Punkt und in
der Metapher.
diesem Jahr haben 35,7 % der Bachelor-
Qiao Yan (1997): Kontrastive Analyse der studenten Fachsprachen in ihren Bache-
im Deutschen und Chinesischen gebräuch- lorarbeiten behandelt. Danach zeigt sich
lichen Marken. eine sinkende Entwicklung bei der Fach-
Nur ein Magisterstudent hat sich mit der sprachenvermittlung, obwohl es 1997
Fachsprache der Maschinenbautechnik und 2000 einen Aufschwung gab. Im
beschäftigt und thematisiert die didakti- ersten Zeitraum herrschte überwiegend
schen Möglichkeiten der Fachtexte: ein negativer Entwicklungstrend vor. Der
Cui, Qinghua (1991): Didaktisierung von höchste Entwicklungspunkt wurde 1980
Fachtexten der Fachsprache der Maschi- erreicht, wo 22,7 % der Studierenden in
nenbautechnik – Gestaltung und Erpro- ihren Bachelorarbeiten fachsprachlich
bung der Leseverständnisübungen. orientiert waren.

Fachsprachen in Bachelorarbeiten

40,00%

30,00%

20,00%

10,00%

0,00%
9

1
J7

J8

J8

J8

J8

J8

J9

J9

J9

J9

J9

J0

Abbildung 6
Die Themenbereiche der Bachelorarbei- drei Themengruppen eingeteilt, wie Ta-
ten wurden wie bei Magisterstudenten in belle 4 zeigt:
383

Zeitraum 1979–1990 (20) 1991–2001 (27)


Natur- und Ingenieurwissenschaft 50 % 74,1 %
Wirtschaftswissenschaft 15 % 11,1 %
Andere Wissenschaften 35 % 14,8 %
Tabelle 4

Themen der Bachelorarbeit

80% 74,10%
70%
60%
50%
50%
40% 35% 1979–1990
30% 1991–2001
20% 15% 14,80%
11,10%
10%
0% Natur- u. Wirtschaftswissenschaft Andere Wissenschaften
Ingenieurwissenschaft

Abbildung 7

Im Vergleich zu der Themenverteilung Ähnlich wie bei den Magisterarbeiten


bei Magisterstudenten spielen Fachspra- haben die Bachelorarbeiten auch die er-
chen der Wirtschaftswissenschaft bei Ba- sten zwei Merkmale der Entwicklung der
chelorstudenten keine große Rolle. Sie Fachsprachenvermittlung an der Tongji-
interessierten sich eher für Natur- und Universität aufgezeigt, nämlich von einer
Ingenieurwissenschaft und ihre Bache- analytischen zur kontrastiven Perspek-
lorarbeiten weisen auf ein breites Spek- tive und von Lexik- und Syntaxebene zur
trum der Fachsprachen hin. Sie befassten Textebene. Abbildung 8 zeigt, dass die
sich mit Automobilindustrie, Politik, em- Bachelorarbeiten in den achtziger Jahren
bryonaler Stammzellforschung, Compu- hauptsächlich analytisch ausgerichtet
tersprache, Rechtswissenschaft, Mathe- waren, während in den neunziger Jahren
matik, Metalltechnik, Chirurgie, Elektro- die Zahl der kontrastiv orientierten Ar-
technik etc. beiten von 5 % auf fast 26 % stieg.
384

Forschungsmethoden

95%
100%
74,00%
80%
60% analytisch
40% 26% kontrastiv

20% 5%
0%
1979–1990 1991–2001
Abbildung 8

Die analytische Orientierung der Bache- durch Vergleiche die Fachsprache besser
lorarbeiten legte einen Schwerpunkt auf zu beherrschen, wie z. B.:
Wortschatz, Wortbildung und Satzstruk- Wu, Lan (1992): Vergleichende Untersu-
tur, wie die folgenden Beispiele zeigen: chung der Höflichkeitsformen in chinesi-
Cai, Dongmin (1980): Zum Einfluss der schen und deutschen Geschäftsbriefen.
Fachsprache auf die Gemeinsprache – un- Bu, Yuanshi (1993): Kontrastive Untersu-
tersucht am Beispiel der Berichterstattung chung der Stilmerkmale chinesischer und
über Elektrotechnik. deutscher Gesetze und deren Überset-
Mao, Zhiheng (1980): Häufige Wortbil- zungsproblematik.
dungstypen in der Fachsprache Kraftwerk- Mao Jingyi (1993): Deutsche und chinesi-
Technik. sche Mahnungen – Ein Vergleich.
Das zweite Merkmal, nämlich von Lexik-
Chen, Min (1990): Untersuchung der brief- und Syntaxebene zur Textebene, spiegelt
lichen Außenhandelskorrespondenz unter sich ebenfalls bei den Bachelorarbeiten
Berücksichtigung stilistischer Merkmale. wider. In den achtziger Jahren konzen-
Zhu, Haoping (1990): Analyse der Nomi- trierte man sich auf die Wort- und Satz-
nalkomposita in wissenschaftlichen Texten. ebene. Die Übersetzung der fachspezifi-
In kontrastiv orientierten Bachelorarbei- schen sprachlichen Struktur wurde häu-
ten wurde Fachchinesisch einbezogen. fig diskutiert. In den neunziger Jahren ist
Der Einbezug muttersprachlicher Fach- der Fokus von Wortschatz und Syntax
texte erweitert m. E. den Wissenshorizont zur Textanalyse verschoben, wie Abbil-
der Studierenden und ermöglicht es, dung 9 darstellt:
385

Inhaltsdimension der Bachelorarbeiten

70% 60%
60% 51,90%
50% 44,40%
40% Wortschatzebene
30% 20% Textebene
20%
10%
0%
1979–1990 1991–2001
Abbildung 9

In den achtziger Jahren spielte die Text- In den 90er Jahren:


ebene keine wichtige Rolle. Erst in den Yu, Xilei (1993): Der Wetterbericht als Fach-
90er Jahren erhöht sich der Anteil der text – eine vergleichende Untersuchung
textbezogenen Arbeiten von 20 % auf von schriftlichen und mündlichen Wetter-
44,4 %. Die Berücksichtigung des Wort- berichten.
schatzes und der Satzstruktur sanken nur Cheng, Zhen (1994): Untersuchung der
um 8,1 %, was darauf hinweist, dass Form und sprachlichen Merkmale der
Wortschatz und Syntax bei der Fachspra- deutschen Handelskorrespondenz.
chenvermittlung in China immer ein Yue, Feng (2001): Zur Analyse der äußeren
Schwerpunkt bleiben. Folgend sind ei- Form und linguistischen Besonderheiten
nige Beispiele aufgelistet, die diese Ent- der deutschen Handelskorrespondenz.
wicklung darstellen: Das dritte Merkmal bei Bachelorarbeiten
ist das erhöhte Interesse an Technik-
In den 80er Jahren: Deutsch, wie Abbildung 7 zeigt. Zwar
Lin, Rufu (1982): Substantivische Zusam- spielt die Fachsprache in den Wirtschafts-
mensetzungen in politischen Texten. wissenschaft im zweiten Zeitraum keine
Jie, Xiaolan (1983): Fugenelemente in Sub- überwiegende Rolle, aber das Interesse
stantivzusammensetzungen in Texten aus an Wirtschaftsdeutsch wächst ständig. In
der Fahrzeugtechnik. den fachsprachlichen Lehrveranstaltun-
gen des heutigen chinesischen DaF-Un-
Wang, Jian (1987): Übersetzung aus den
terrichts wird dem Wirtschaftsdeutsch
naturwissenschaftlich-technischen Fach-
eine höhere Aufmerksamkeit zuteil; an
texten.
der Deutschfakultät der Tongji-Universi-
Yang, Yi (1988): Der Gebrauch und die tät nimmt Wirtschaftsdeutsch einen gro-
Übersetzung der deutschen gebräuchlich- ßen Anteil des Unterrichtsinhalts ein und
sten Präpositionen – dargestellt an Fach- an weiteren chinesischen Universitäten
texten der Technik. wird Wirtschaftsdeutsch ebenfalls ange-
Zhu, Haoping (1990): Analyse der Nomi- boten, z. B. an der Fremdsprachenuniver-
nalkomposita in wissenschaftlichen Tex- sität Peking, der Nanjing Universität, der
ten. Zhejiang Universität etc.
386

3.3 Entwicklungsmerkmale der Fach- spiegeln die Fachsprachendidaktik des


sprachenvermittlung Deutschunterrichts in China wider. Sie
Aus den Untersuchungen bei Bachelor- beziehen sich auf inhaltliche Schwer-
und Magisterarbeiten an der Deutschfa- punkte, wissenschaftliche Herangehens-
kultät der Tongji-Universität ist ersicht- weisen und Verschiebung der fachbezo-
lich, dass die Fachsprachenvermittlung genen Fachsprachen. Angesichts der lan-
im chinesischen DaF-Bereich folgende gen Geschichte der Fachsprachenver-
drei Merkmale hat, mittlung an der Tongji-Universität
a) die Entwicklung der Fachsprachen- nehme ich an, dass diese Entwicklung für
vermittlung ist sprunghaft; die Fachsprachenvermittlung in China
b) die Vermittlungsmethode geht von ei- repräsentativ ist. Die Probleme, die bei
ner analytischen zur kontrastiven Per- der Fachdeutschdidaktik an der Tongji-
spektive über; Universität aufgetaucht sind, sind auch
c) die Inhaltsschwerpunkte der Vermitt- an anderen Universitäten zu finden (vgl.
lung gehen von der Lexik- und Syn- Wei 2003).
taxebene zur Textebene. Wie diese Untersuchung zeigt, ist die
Diese Merkmale sind aus der Output- Entwicklung der Fachsprachenvermitt-
Perspektive erschlossen und lassen Rück- lung in China sprunghaft und nicht kon-
schlüsse auf die Input-Perspektive zu, tinuierlich. Zwar gibt es ein Curriculum
das heißt, durch die Analyse der Lernleis- für Fachdeutsch in China, aber die Um-
tungen der chinesischen Studierenden setzung der vorgesehenen Lernziele wird
kann man implizit die Lehrschwer- je nach den konkreten Bedingungen der
punkte sowie Lehrmethoden ablesen. Universitäten praktiziert. Um diese Si-
Auf diese Weise kann man sehen, was die tuation zu verändern, sind m. E. folgende
Studierenden tatsächlich erworben ha- Maßnahmen zu ergreifen:
ben und wie sie wissenschaftlich geschult a) Ein Fortbildungs- und Ausbildungs-
sind. Die Forschungsergebnisse spiegeln system für Fachsprachenlehrer sollte
die DaF-Entwicklung in China wider und gegründet werden. Es mangelt an
lassen uns darüber nachdenken, wie wir Fachsprachenlehrkräften, die in der
diese Entwicklung künftig weiter voran- Lage sind, Fachsprachen didaktisch
treiben sollten. effektiv zu vermitteln. Die Lehrer, die
Diese Merkmale stehen unter dem Ein- Germanistik studiert haben, fühlen
fluss verschiedener Faktoren, z. B. der sich überfordert, wenn sie Fachspra-
Forschungsentwicklung in den Fach- chenunterricht erteilen sollen. Die an-
sprachen sowie institutionellen Bedin- deren Lehrer, die in Deutschland ein
gungen. Die sprunghafte Entwicklung natur- und ingenieurwissenschaftli-
der Fachsprachenvermittlung weist auf ches Fach studiert haben, sind für den
das Problem der Lehrerausbildung hin, DaF-Unterricht nicht hinreichend ge-
über die ernsthaft nachgedacht werden schult und solche Lehrkräfte möchten
muss. in der Regel keine Lehraufgaben für
Fachsprachenunterricht übernehmen.
4. Konsequenzen zur Verbesserung der Auf die Frage, wie man chinesische
Fachsprachenvermittlung Fachlehrer ausbilden kann, sollte
Die drei Merkmale der Entwicklung der möglichst schnell eine Antwort gefun-
Fachsprachenvermittlung, die sich aus den werden. Die Fachsprachen, die in
den Bachelor- und Magisterarbeiten der den achtziger Jahren noch zu lernen
Tongji-Universität herauskristallisieren, waren, kann man heute nicht kontinu-
387

ierlich lernen, z. B. Fachsprachen für lehrer wurden fachsprachlich wenig


Motorenbau, Architektur, Silikattech- gefördert und für Deutschabteilungen
nik, Medizin, Metallurgie usw. Aus ist es sehr schwer, fachsprachliche
meiner Sicht könnten diejenigen Leh- Lehrveranstaltungen anzubieten.
rer, die schon für eine bestimmte
Fachsprache im DaF-Bereich qualifi- 5. Schlussfolgerungen
ziert sind, nebenbei auch jüngere Die Vermittlung der Fachsprachen an der
Lehrkräfte ausbilden. In China gibt es Tongji-Universität hat schon eine Ge-
mehrere Fälle, in denen eine Fach- schichte von ungefähr siebzig Jahren,
sprache nicht weiter angeboten wird, aber aus unterschiedlichen Gründen ist
wenn eine Lehrkraft in Ruhestand ge- bis heute leider noch kein konsistentes
gangen ist. Ausbildungssystem für Fachsprachen-
b) Es ist anzustreben, ein einheitliches lehrer entstanden. Das führt dazu, dass
Lehrwerk für die Studierenden des der Fachsprachenunterricht für Studie-
Faches Deutsch zu entwickeln. Bis rende des Faches Deutsch nicht immer
heute besorgen Fachlehrer selbst die solide und methodisch konsequent ange-
Unterrichtsmaterialien, die quantita- boten wird. Wie können diese Studieren-
tiv und qualitativ stark beschränkt den nach dem Studium die fachsprachli-
sind. Es ist anzustreben, dass die chi- chen Anforderungen im Berufsleben er-
nesischen Fachlehrer sich zusammen- füllen? Die Studierenden in den techni-
tun, um ein landesweit geltendes schen Fächern erwerben zwar im ersten
Lehrwerk für Fachdeutsch zu verfas- Studienjahr grundlegende deutschspra-
sen. Jede Universität hat eigene fach- chige Kenntnisse, aber Fachdeutsch wer-
sprachliche Schwerpunkte und durch den sie erst im Fachstudium indirekt er-
die Entwicklung eines einheitlichen werben. Warum könnten sie nicht schon
Fachsprachlehrwerks könnten solche im ersten Jahr fachsprachlich unterrichtet
Schwerpunkte zu einem landesweit werden? Der heutige Arbeitsmarkt be-
anwendbaren Kanon entwickelt wer- vorzugt Absolventen technischer Studi-
den. Dies würde nicht nur den Studie- engänge, die zwar geringere allgemeine
renden des Faches Deutsch nützen, Sprachkenntnisse besitzen, Studierenden
sondern auch der Entwicklung in je- der Germanistik jedoch hinsichtlich ihrer
der Universität. Voraussetzung dafür fachsprachlichen Kompetenz überlegen
ist jedoch, dass von den Universitäten sind.
finanzielle und personale Mittel für Im Bereich Fachsprachen des chinesi-
diese Arbeit bereitgestellt werden. schen DaF-Unterrichts muss noch viel
c) Die Zusammenarbeit mit deutschen getan werden, um die Entwicklung des
Universitäten sollte im Bereich Fach- Deutschunterrichts in China voranzutrei-
sprachen intensiviert werden. Koope- ben. Den Fragen bezüglich der Qualifi-
rationen mit deutschen Universitäten zierung von Fachsprachenlehrkräften,
sind für viele chinesische Universitä- der Erarbeitung von Fachsprachenlehr-
ten nicht fremd. Viele chinesische Uni- werken sowie eines soliden Angebots
versitäten haben mindestens eine von Fachsprachenseminaren sollte eine
deutsche Institution oder Universität gründlich Konzeption zugrunde gelegt
als Kooperationspartner, aber für die werden, damit Fachdeutsch als eine Teil-
Fachsprachenvermittlung wird m. E. disziplin des chinesischen DaF-Unter-
zu wenig getan. Chinesische Deutsch- richts endlich begründet wird.
388

Literatur linguistik, Fachsprachendidaktik und inter-


Dai, Minzhong; Zhang, Shuliang: »Curri- kulturelle Kommunikation: Wirtschaft-Tech-
culum Deutsch als erste Fremdsprache nik-Medien. Frankfurt a. M.: Lang, 2003,
an chinesischen Hochschulen und Uni- 177–190.
versitäten: ein kommunikatives Curri- Zhu, Jianhua; Zimmer, Thomas (Hrsg.):
culum für den Deutschunterricht«. In: Fachsprachenlinguistik, Fachsprachendidak-
Fluck, Hans-Rüdiger; Saarbeck, Ursula; tik und interkulturelle Kommunikation:
Zhu, Jianhua; Zimmer, Thomas (Hrsg.): Wirtschaft-Technik-Medien. Frankfurt
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in a. M.: Lang, 2003.
Ost- und Zentralasien: Situationen,
Sprachbeschreibungen, didaktische Kon-
zepte. Heidelberg: Groos, 1996, 151–162. Anhang
Ding, Weixiang: »Konzeption und Didakti-
sierung eines fachsprachlichen Lehr- 1. Beispiele von Magisterarbeiten an der
werks für Technik-Studenten«. In: Zhu, Tongji-Universität im Zeitraum von 1979–
Jianhua; Zimmer, Thomas (Hrsg.): Fach- 2002
sprachenlinguistik, Fachsprachendidaktik
und interkulturelle Kommunikation: Wirt- (diese Magisterarbeiten sind nicht veröf-
schaft-Technik-Medien. Frankfurt a. M.: fentlicht)
Lang, 2003, 33–42.
Cui, Qinghua (1991): Didaktisierung von
Fluck, Hans-Rüdiger; Saarbeck, Ursula; Fachtexten der Fachsprache der Maschinen-
Zhu, Jianhua; Zimmer, Thomas (Hrsg.): bautechnik – Gestaltung und Erprobung der
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in Ost- Leseverständnisübungen.
und Zentralasien: Situationen, Sprachbe-
schreibungen, didaktische Konzepte. Heidel- Fang, Jianguo (1980): Verben in einem Lehr-
berg: Groos, 1996. buch der Architektur – Untersuchungen der
Frequenz, Motivationen und Gebrauchsvari-
Gu, Lijuan: »Fachsprachlicher Unterricht anten.
– Voraussetzungen, Ziele und Materia-
lien«. In: Zhu, Jianhua; Zimmer, Tho- Gao, Xun (1998): Kontrastive Textanalyse der
mas (Hrsg.): Fachsprachenlinguistik, deutschen und der chinesischen Textsorte
Fachsprachendidaktik und interkulturelle »Sportbericht« – aus textlinguistischer
Kommunikation: Wirtschaft-Technik-Me- Sicht.
dien. Frankfurt a. M.: Lang, 2003, 49–56. Guo, Yiwei (1996): Kontrastive Untersuchung
Huang, Huiying: »Bericht über die Ge- zur Fachlexik in der deutschen und chinesi-
schichte des Deutschunterrichts in China schen Börsensprache am Beispiel der Meta-
am Beispiel der Tongji-Universität«. In: pher.
Fluck, Hans-Rüdiger; Saarbeck, Ursula; Han, Qing (1988): Autowerbung. – Exempla-
Zhu, Jianhua; Zimmer, Thomas (Hrsg.): rische Untersuchung am Beispiel der Auto-
Deutsch als Fach- und Fremdsprache in Ost- werbeanzeigen in der Zeitschrift »Der Spie-
und Zentralasien: Situationen, Sprachbe- gel«.
schreibungen, didaktische Konzepte. Heidel- He, Wenwei (1979): Untersuchungen zur
berg: Groos, 1996, 61–70. Wortschatzstruktur im Fachbereich Motoren-
Steinmetz, Maria: »Der ›Diplomteilstudien- bau.
gang Fachdeutsch Technik‹: ein Modell Huang, Ruobing (1993): Metaphern im Wirt-
für Deutsch an Technischen Hochschulen schaftsdeutschen – Untersuchung zur Funk-
in China«. In: Fluck, Hans-Rüdiger; tion und Bedeutung der Metapher im Wirt-
Saarbeck, Ursula; Zhu, Jianhua; Zimmer, schaftsteil der Zeitungspresse.
Thomas (Hrsg.): Deutsch als Fach- und Huang Xueyuan (1994): Textfunktionale und
Fremdsprache in Ost- und Zentralasien: Si- -strukturelle Besonderheiten in deutschen
tuationen, Sprachbeschreibungen, didakti- und chinesischen Wirtschaftskommentaren
sche Konzepte. Heidelberg: Groos, 1996, – Eine exemplarische Analyse.
163–195. Li, Dongfang (1994): Chinesische und deut-
Wei Yuqing: »Fachsprache im Germanistik- sche Werbeanzeigen – Kontrastive Analyse
studium an der USST«. In: Zhu, Jianhua; ausgewählter Kosmetikanzeigen unter Be-
Zimmer, Thomas (Hrsg.): Fachsprachen- rücksichtigung kommunikativ-funktionaler,
389

textthematischer und textstruktureller 2. Beispiele von Bachelorarbeiten an der


Aspekte. Tongji-Universität im Zeitraum von 1979–
Li, Jianmin (1979): Zur Syntax in elektrotech- 2002
nischen Fachtexten: Verbgebrauch. (diese Bachelorarbeiten sind nicht veröf-
Liang, Yong (1979): Probleme der naturwis- fentlicht)
senschaftlich-technischen Übersetzung vom
Deutschen ins Chinesische – dargestellt an Bu, Yuanshi (1993): Kontrastive Untersu-
computertechnischen Fachtexten. chung der Stilmerkmale chinesischer und
deutscher Gesetze und deren Übersetzungs-
Ma, Xingyin (1991): Zur Untersuchung der problematik.
funktionalsprachlichen Merkmale von Be- Cai, Dongmin (1980): Zum Einfluß der Fach-
triebsanweisungen Fachbereich »Maschinen- sprache auf die Gemeinsprache – untersucht
bau« im interlingualen Vergleich. – Darge- am Beispiel der Berichterstattung über Elek-
stellt an chinesisch- und deutschsprachigen trotechnik.
Anweisungen. Chen, Min (1990): Untersuchung der briefli-
Qiao, Yan (1997): Kontrastive Analyse der im chen Außenhandelskorrespondenz unter Be-
Deutschen und Chinesischen gebräuchlichen rücksichtigung stilistischer Merkmale.
Marken. Cheng, Zhen (1994): Untersuchung der Form
Ruan, Yanhai (1980): Adjektive in der deut- und sprachlichen Merkmale der deutschen
schen Fachsprache der Architektur. Handelskorrespondenz.
Shang, Xianghua (1980): Zum Einfluss des Jie, Xiaolan (1983): Fugenelemente in Substan-
Fachvokabulars auf die Gemeinsprache – un- tivzusammensetzungen in Texten aus der
Fahrzeugtechnik.
tersucht an Kommentaren der Wochenzei-
Lin, Rufu (1982): Substantivische Zusammen-
tung »Die Zeit«.
setzungen in politischen Texten.
Sui, Yaqin (1979): Zur Substantivzusammen- Mao, Jingyi: (1993): Deutsche und chinesische
setzung im deutschen Fachwortschatz der Mahnungen – Ein Vergleich.
Elektrotechnik. Mao, Zhiheng (1980): Häufige Wortbildungs-
Xiao, Jinlong (1979): Möglichkeiten der Kom- typen in der Fachsprache Kraftwerk-Technik.
primierung in elektrotechnischen Fachtexten Wang, Jian (1987): Übersetzung aus den natur-
und ihre Übersetzung. wissenschaftlich-technischen Fachtexten.
Yu, Ziyi (1995): Kontrastive Analyse der deut- Wu, Lan (1992): Vergleichende Untersuchung
schen und chinesischen Beipackzettel aus der Höflichkeitsformen in den chinesischen
textlinguistischer Sicht. und deutschen Geschäftsbriefen.
Zhang, Dingxian (1980): Probleme der natur- Yang, Yi (1988): Der Gebrauch und die Über-
wissenschaftlich-technischen Übersetzung setzung der deutschen gebräuchlichsten Prä-
Deutsch Chinesisch – dargestellt an Fachtex- positionen – dargestellt an Fachtexten der
Technik.
ten der Metallurgie und anhand einer Um-
Yu, Xilei (1993): Der Wetterbericht als Fachtext
frage.
– eine vergleichende Untersuchung von
Zhao, Jin (1994): Lehrbücher des Wirtschafts- schriftlichen und mündlichen Wetterberich-
deutschen im germanistischen Studium in ten.
China – Linguistische Analyse und didakti- Yue, Feng (2001): Zur Analyse der äußeren
sche Überlegungen. Form und linguistischen Besonderheiten der
Zhu, Jianhua (1979): Untersuchungen zur deutschen Handelskorrespondenz.
Wortzusammensetzung in der deutschen Zhu, Haoping (1990): Analyse der Nominal-
Fachsprache der Silikattechnik. komposita in wissenschaftlichen Texten.
390

Handlungsorientierter Deutschunterricht im drei-


jährigen Curriculum an italienischen Hochschulen

Daniel Jaeger, Martina Nied Curcio, Lisa Schlanstein

Einleitung deren zentrales Anliegen es war, heraus-


Nach der Bologna-Erklärung wurde im zufinden, wie die kommunikative Kom-
Jahre 2001 in Italien eine Universitätsre- petenz, die im GER als maßgebliches Kri-
form durchgeführt, im Rahmen derer terium für das sprachliche Niveau fun-
sämtliche Studienfächer neu strukturiert giert, im Unterricht umgesetzt werden
wurden. Für das Studium der Fremdspra- könnte (Kapitel 1). Weiterhin sollte in der
chen bedeutete dies einerseits eine Loslö- Arbeitsgruppe die Frage geklärt werden,
sung von der Literaturwissenschaft, ande- auf welche Weise die Linguistik mit dem
rerseits eine engere Verbindung mit der Sprachunterricht verbunden werden kann
Linguistik (vgl. Moraldo 2003). Das neue und was das sprachwissenschaftliche Wis-
Fach »Lingua Tedesca« sollte eine Art Ver- sen für den Spracherwerbsprozess leisten
bindung von DaF-Unterricht, Didaktik kann (Kapitel 2). Außerdem sollte disku-
DaF und germanistischer Sprachwissen- tiert werden, welche Konsequenzen das
schaft darstellen, war aber zum Zeitpunkt Modell auf die Prüfungspraxis hat (Kapi-
der Reform völlig neu zu definieren. Do- tel 3). Aus Gründen der Transparenz und
zenten der Universität La Sapienza in der Selbstevaluation wurde auf der
Rom machten es sich zur Aufgabe, ein Grundlage des Römischen Modells für die
Curriculum für das Fach »Lingua Te- Studierenden ein Portfolio ausgearbeitet.
desca« zu erarbeiten, das sowohl die neu Hierzu werden die Erfahrungen der Stu-
entstandenen Rahmenbedingungen be- dierenden dokumentiert (Kapitel 4). Des
rücksichtigt als auch auf dem Gemeinsa- Weiteren wurde überlegt, inwieweit inter-
men Europäischen Referenzrahmen (GER) kulturelle Aspekte bei der Formulierung
und Profile deutsch beruht. So entstand im und Anwendungen von Kannbeschrei-
Jahre 2003 das »Römische Modell« (aus- bungen erwogen werden müssen (Kapitel
führliche Informationen zum »Römischen 5)2. Die Ergebnisse all dieser Überlegun-
Modell« vgl. Nied Curcio/Rößler/Schlan- gen sollten schließlich wieder in das »Rö-
stein/Schlicht/Serra Borneto 2003)1. Im mische Modell« einfließen, um es entspre-
Frühjahr 2004 gründete sich in Italien eine chend zu überarbeiten, zu korrigieren und
vom DAAD unterstützte Arbeitsgruppe, zu vervollständigen (Kapitel 6).

1 Das gesamte »Römische Modell« kann unter http://www.uni-kassel.de/fb9/daf/iqn/


eingesehen werden.
2 Es muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass der Artikel eine extrem gekürzte
Fassung des AG-Berichts darstellt. Der vollständige Bericht kann beim DAAD oder auf
der Internetseite der Italien-Lektoren http://www.deutschlektoren.it/beitraege/bei-
tragsliste.htm eingesehen werden.

Info DaF 34, 4 (2007), 390–402


391

1. Kommunikativ orientierter Sprach- Das wichtigste Ziel meines Unterrichts


unterricht war es, den Studierenden zu verdeutli-
chen, dass es sich bei dem, was sie lernen,
1.1 Das 2. Studienjahr um eine lebendige Sprache handelt, d. h.
(Daniel Jaeger) um ein Werkzeug, das nur in der prakti-
Die eingehende Betrachtung der Lehr- schen Kommunikation seinen Zweck er-
voraussetzungen an der Sapienza macht füllt und auch nur durch den Gebrauch
deutlich, dass fast alle Faktoren einem erlernt werden kann – im Unterschied zu
kommunikativen Unterricht entgegen- theoretischen Gegenständen, die in ir-
stehen: Gruppengröße, Zeit, Unterrichts- gendeiner Weise auswendig gelernt wer-
räume und die Erwartungshaltung der den können.
Studierenden. Die einzige Möglichkeit, ihnen das un-
Darüber hinaus wird deutlich, dass mittelbar zu verdeutlichen und sie mit
Kannbeschreibungen und Kompetenzni- der Erfahrung zu konfrontieren, bestand
darin, konsequent nur Deutsch mit ihnen
veaus von GER und Profile deutsch (es
zu sprechen, und zwar sowohl im wie
handelt sich dabei im Wesentlichen um
außerhalb des Unterrichts und besonders
ein Softwareprogramm auf CD-ROM),
dann, wenn sie mit Fragen und Anliegen
die den Progressionsverlauf auch für un-
zu mir kamen, in Situationen also, in
sere Studierenden skizzieren sollten, sich
denen ihnen die kommunikative Not-
an Lernern orientieren, die in einem ziel-
wendigkeit unmittelbar bewusst war. In
sprachlichen Umfeld Deutsch lernen,
meiner Unterrichtspraxis hatte ich neben
also das Gelernte jederzeit praktisch an-
der Arbeit mit dem Lehrwerk Delfin drei
wenden können. Es muss also zwischen
Schwerpunkte:
einem L1- und einem L2-Umfeld diffe-
renziert werden, was in den Deskriptoren – die Hinführung der Studierenden zu
des »Römischen Modells« auch gemacht einem praktischen Sprachaustausch
wurde, wo besonders solche kommuni- mit Deutschen,
kativen Situationen beschrieben wurden, – die Sensibilisierung für das kommuni-
die im universitären Kontext realisiert kative Potential der Lerngegenstände
werden können. Trotzdem werden die und
darin aufgeführten Kannbeschreibungen – eine intensive Arbeit am Wortschatz1.
in der Regel nicht praktisch eingelöst. Ich arbeitete im Laufe des Studienjahres
Es bleibt also das Problem bestehen, dass den Zertifikatslernwortschatz von Hueber
die Kommunikation im Unterricht star- durch (Lübke 2001) und prüfte die zu
ken Übungscharakter hat statt authenti- lernenden Vokabeln wöchentlich in ei-
sche Kommunikation zu sein, so dass die nem Vokabeltest ab, wobei die Studieren-
Studierenden oft eher theoretisches Wis- den die Möglichkeit hatten, sich durch
sen anhäufen als praktisches Können er- das Bestehen von vier weiteren, umfas-
werben. Das wird durch ihre Lernge- senden Tests einen Bonus für die mündli-
wohnheiten und insbesondere ein in Ita- che Prüfung zu erwerben. Die Wort-
lien besonders stark ausgeprägtes prü- schatzarbeit nahm bei mir vor allem aus
fungsorientiertes Lernen noch verstärkt. dem Grund eine so gewichtige Rolle ein,

1 Die Wortschatzarbeit hatte im Unterschied zu den anderen beiden Punkten den Vorteil,
dass sie erstens im Rahmen des Unterrichts stattfinden konnte und sich zweitens die
Prüfungsfixiertheit der Studierenden zunutze machte.
392

weil ich davon überzeugt bin, dass die gangen« ist in meiner Unterrichtspraxis
kommunikative Kompetenz – die Fehler- also nur der faktisch zutreffende gültig,
quote einmal außen vor gelassen – so- weil meiner Meinung nach nur dieser als
wohl hinsichtlich des produktiven als in Sprache gefasste reale Erfahrung erlebt
auch des rezeptiven Potentials direkt mit werden kann. Nur in ihm verliert die
der Größe des Wortschatzes zusammen- Sprache den Charakter eines theoreti-
hängt. Diese These konnte im Verlauf des schen Gegenstands und gibt stattdessen
Semesters und der sich anschließenden ihre eigentliche Funktion zu erkennen,
Prüfungen erhärtet werden. wodurch sie unmittelbar erfahrbar wird.
Die an das Lernen der Wörter anschlie- Für die persönlichen Kontakte organi-
ßende produktive Wortschatzarbeit be- sierte ich für die Studierenden E-Mail-
stand darin, die Studierenden mit dem Tandems, Brieffreundschaften, Treffen
neuen Vokabular – zumindest selektiv – mit Erasmusstudenten im und außerhalb
Sätze formen und dadurch ihren Ge- des Unterrichts und einen Stammtisch.
brauch in kommunikativen Situationen Dieser Austausch ist meiner Meinung
simulieren bzw. antizipieren zu lassen. nach die einzige wirkliche Möglichkeit,
Um dies zu erreichen, mussten die Sätze die kommunikative Kompetenz nachhal-
aus dem »Anführungszeichenmodus« ei- tig zu verbessern. Da er trotzdem nur von
nes lediglich korrekt produzierten deut- den wenigsten angenommen wurde,
schen Satzes in ihr Sprachgebrauchsre- scheint es mir für die Erreichung des
pertoire überführt werden, auf das sie in anvisierten Zielniveaus unerlässlich zu
künftigen kommunikativen Situationen sein, einen obligatorischen Auslandsauf-
zurückgreifen können. Im Detail bedeu- enthalt in Form eines Erasmus- bzw. So-
tete dies, dass sie wahr, authentisch, kon- kratessemesters oder Intensivsprachkur-
kret und sprecherdeiktisch sein, also ei- ses im Curriculum zu verankern.
nen realen Ich- und Lebensbezug zum
Sprecher haben sollten. 1.2 Projektarbeit im dritten Jahr
(Lisa Schlanstein)
Gültige Sätze z. B. zum gelernten Wort
»Schaf« wären demnach (sofern sie zutref- Dem Entschluss, im dritten Jahr des
fen): neuen BA-Studiengangs Projektarbeit
»Ich habe noch nie ein Schaf gesehen« oder durchzuführen, liegen folgende Überle-
»Ich esse gern Schafskäse«; gungen zugrunde:
nicht gültige: – Der traditionelle Unterricht (Auftei-
»Das Schaf ist ein Tier«. oder lung in die drei Module Textarbeit,
»Schafe sind kleiner als Kühe«. Grammatik, Übersetzung) lässt eine or-
Ebenso wie beim neuen Wortschatz kam ganische Verbindung kaum zu.
es mir auch bei den neuen grammati- – Die ministeriale Vorgabe, am Ende des
schen Mustern darauf an, den Studieren- dritten Jahres das Niveau C1 zu errei-
den die darin liegenden praktischen chen, erfordert eine Konzentration auf
kommunikativen Möglichkeiten bewusst Schwerpunkte.
zu machen und ihnen dadurch, dass sie – Handlungsorientierte und kommuni-
ihre eigenen Erfahrungen in die Fremd- kative Kompetenz, an der Universität
sprache fassen, das Sprachgebrauchspo- bisher oft vernachlässigt, sollten auch
tential unmittelbar bewusst zu machen. im Hinblick auf eine berufliche Qualifi-
Von den beiden konkreten Sätzen »Ich kation verstärkt gefördert werden.
bin gestern um elf ins Bett gegangen« Das Projekt mit dem Titel »Alle Wege
und »Ich bin um halb zwei ins Bett ge- führen nach Rom«, geplant für zwei Se-
393

mester mit je zehn Wochen und jeweils lektüre und -analyse, die durch ein ver-
zehn Stunden, hat zwei Hauptstränge: stärktes Wiedereinbringen der zu Hause
– Textarbeit, d. h. Lektüre und schriftli- geschriebenen Texte in den Unterricht
che Analyse von Texten, die sich mit verbessert werden muss.
dem Thema Italien und Rom aus der
Perspektive deutschsprachiger Reisen- 2. Die Linguistik im Römischen Modell
der beschäftigen; (Martina Nied Curcio)
– Durchführung eines Interviews mit Da ich seit 2001 Germanistische Linguis-
deutschsprachigen Touristen (1. Semes- tik an der Sapienza unterrichte, habe ich
ter) und deutschsprachigen Erasmus- mich in der Arbeitsgruppe intensiv damit
studenten (2. Semester) über ihre Ein- beschäftigt, in welcher Form der Linguis-
drücke und Erfahrungen in Italien und tikunterricht strukturiert werden kann,
bei Studierenden darüber hinaus beson- um bestmöglich mit dem Sprachunter-
ders an der italienischen Universität. richt verbunden zu sein. Es ging dabei
Über diese Interviews sollte in der Klasse auch um ganz praktische Fragen wie:
mündlich berichtet und zum Ende des – Soll die Linguistik mit dem Sprachun-
Semesters ein schriftlicher Report vorge- terricht überhaupt verbunden werden?
legt werden.
– Wenn ja, wie?
Textlektüre und Analyse erfolgten ver-
stärkt in der jeweils ersten Phase des Se- – Was kann die Linguistik für die Sprach-
mesters. Die Auseinandersetzung mit den didaktik leisten?
verschiedensten Textsorten zum Thema – Welche Rolle spielt das sprachwissen-
sollte für das Interview fruchtbar werden, schaftliche Wissen für den Spracher-
es sollte u. a. den Erwartungshorizont werb(sprozess) generell?
heutiger Italienreisender für die Studie- Von Anfang an war es mir ein Anliegen,
renden transparent machen und sie mit nicht nur das linguistische Wissen zu
dem geeigneten Wortschatz ausstatten. vermitteln, sondern zu versuchen, eine
In der zweiten Phase des Semesters wur- Verbindung des theoretisch-abstrakten
den vorwiegend die Berichte und Ergeb- Wissens über die deutsche Sprache mit
nisse der Interviews in der Klasse ausge- dem Sprachunterricht herzustellen und
tauscht und diskutiert. damit die Reflexion über die deutsche
Diese Vorgehensweise erlaubte es im Un- Sprache anzustoßen und zu fördern.
terschied zur Arbeit mit den traditionel- Mein persönlicher Eindruck war dabei,
len Modulen, die einzelnen Fertigkeiten dass die Studierenden, die über ihren
im Zusammenhang zu üben. eigenen Sprachgebrauch reflektierten,
Nach Abschluss der Erprobung des Pro- die also eine Art Brücke von der Sprach-
jektes kann man Folgendes feststellen: theorie zur Sprachpraxis hin schlagen
Die Durchführung der Interviews und konnten, häufig eine bessere Sprachver-
ihre Präsentation in der Klasse sowie wendung aufzeigten. Aus diesem Grund
auch die schriftlichen Berichte darüber habe ich mich dieser Thematik sowohl
zeugen von großem Engagement der Stu- empirisch genähert (2.1) als auch ver-
dierenden, die in einer ersten Evaluation sucht, den Stand der Forschung heraus-
des Projekts das Lösen dieser Aufgabe als zuarbeiten (2.2). Anschließend (2.3)
besonders produktiv bewertet haben. werde ich die aus 2.1 und 2.2 resultieren-
Nicht ausreichend gelungen dagegen er- den Funktionen und Aufgaben der Lin-
scheint mir die Verbindung mit der Text- guistik beschreiben.
394

2.1 Die Funktion der Linguistik aus der du der Meinung, dass die Linguistik
Sicht der Studierenden dir hilft, deine sprachlichen Kompeten-
Was dachten meine Studierenden nun zen zu verbessern?
über diese Art von Linguistikunterricht? Schon bei der 1. Frage wurden von den
An Hand einer Umfrage mit drei Fragen Probanden Begriffe und Themen ange-
sollte dies herausgefunden werden. Die sprochen wie:
Fragen waren folgende:1 – »besseres Verständnis einer Sprache«,
1. Was ist deiner Meinung nach die Funk-
– »Reflexion über Sprache«,
tion der Linguistik (des Linguistik-Un-
terrichts) an der Universität? – »das Verstehen der Funktion der Spra-
2. Glaubst du, dass dir die Linguistik che«,
hilft, Strukturen und Phänomene der – »eine Verbesserung der Sprachkompe-
deutschen Sprache besser zu verste- tenz«.
hen? In der nachfolgenden Tabelle sind die
3. Glaubst du, dass die Linguistik den verschiedenen Antworten thematisch
Sprachunterricht erleichtert, d. h. bist nach der Frequenz angegeben.

Rang I-Funktion der Linguistik Anzahl der


Studierenden
1. Nützlich für ein vertieftes bzw. komplettes Verständnis der Fremd- 15
sprache
2. Nützlich um die Funktion der Sprache (das »Warum«) zu verstehen 13
3. Nützlich, um die Struktur einer Sprache besser zu verstehen 9
4. Nützlich, da der Spracherwerb verbessert wird 8
5. Nützlich für eine wissenschaftliche Analyse der Sprache 5
5. Nützlich, um den Ursprung und die Entwicklung einer Sprache zu 5
verstehen (diachrone Sprachbetrachtung)
5. Nützlich, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede der L1 und L2 zu 5
verstehen (synchrone Sprachbetrachtung)
6. Hilft über die Struktur der Sprache zu reflektieren 2
7. Zeigt, wie eine Sprache durch ihre Kultur geprägt ist (interkulturelle 1
Sprachbetrachtung)

Erstaunlich war, dass bei der 1. Frage Auf die Frage 2, ob die Linguistik hilft, die
schon 8 der 23 Studierenden von einem Strukturen und Phänomene der (Fremd-)
positiven Einfluss der Linguistik auf den Sprache besser zu verstehen, antworteten
Spracherwerb sprachen. alle 23 Studenten mit »Sì« [Ja]. Bei der

1 Die Untersuchung wurde im Dezember 2004 mit 23 Studierenden des 2. Studienjah-


res durchgeführt. Die 3 Fragen wurden auf Italienisch in voneinander abgeschlosse-
nen Schritten gestellt, d. h. erst nachdem die Frage 1 beantwortet war und die
Studierenden die ausgefüllten Blätter abgegeben hatten, wurde Frage 2 ausgeteilt
usw., so dass die nachfolgende Frage, die differenzierter war, die Antwort der
vorherigen, allgemeiner formulierten Fragen nicht mehr beeinflussen bzw. ändern
konnte. Außerdem war es wichtig, dass sich die Studierenden in der 1. Frage völlig
frei äußern konnten.
395

Begründung des »Sì« werden auch wieder auch das Wiederaufgreifen von Phäno-
Begriffe und Themen wie bei Frage 1 menen aus dem Sprachunterricht wird
angesprochen. Wichtig sei die Linguistik als verstärkend empfunden.
für die Analyse der Sprache. Mehrere Stu- Sechs der Probanden beantworteten die
dierende sprachen das vertiefende Ver- Frage negativ. Ich hatte den Eindruck,
ständnis der Grammatik an; andere mein- dass es diesen Studierenden vielleicht
ten, dass durch die metasprachlichen Er- nicht gelungen war, das theoretische Wis-
klärungen Strukturen und Phänomene sen für ihr eigenes Sprachenlernen nutz-
besser im Gedächtnis haften blieben (»me- bar zu machen. Die Gründe können ver-
tasprachlich« meint hier, dass bei der The- schieden sein, wie z. B. das Verharren in
matisierung von sprachlichen Gescheh- alten Lerntraditionen und -strategien.
nissen – und zwar schon abgeschlossenen
oder noch im Prozess befindlichen – auf 2.2 Reflexion über Sprache – eine wich-
die verwendete Sprache reflektiert wird; tige Aufgabe im Linguistikunterricht?!
vgl. Seidel 1989: 20). Im Zuge der kognitiven Wende hat sich
Interessanterweise unterschieden die auch in der Linguistik die Frage nach der
Studierenden bei Frage 3, bei der sie Definition und der Rolle von Sprachge-
direkt nach der Verbindung von Linguis- fühl und Sprachbewusstsein und der me-
tikkenntnissen und Spracherwerb ge- tasprachlichen Reflexion neu gestellt
fragt wurden, ganz bewusst zwischen (vgl. Neuland 1993: 724) Mit Sprachbe-
passivem Sprachverständnis und aktiver wusstsein ist vor allem das bewusste, ex-
Sprachproduktion. Hatten Sie in Frage 2 plizite, deklarative Sprachwissen ge-
alle unterstrichen, wie wichtig die Lin- meint (vgl. Neuland 1992; Schlieben-
guistik für das Verstehen der Sprache sei, Lange 1975). Beiträge zu Sprachbewusst-
so war nur etwa die Hälfte uneinge- sein und dessen erste Definitionen stam-
schränkt der Meinung, dass die linguisti- men außerdem aus der romanistischen
schen Kenntnisse auch das aktive Spra- Sprachwissenschaft (vgl. Scherfer 1983;
chenlernen erleichtern würden; 5 der Stu- Fischer 1988; Seidel 1989). Theoretische
dierenden knüpften ihre positive Ant- Abhandlungen über Sprachbewusstsein
wort insbesondere an den Bezug zur und Sprachgefühl (vgl. Gauger 1976) stie-
Sprachpraxis: Anwendungs- und ßen weitere Überlegungen an. Coseriu
Übungsphasen wären für sie unabding- (1988) und auch später Hartenstein (2002)
bar. Für viele von ihnen war das Verbes- unterschieden verschiedene Niveaus von
sern der sprachlichen Kompetenzen eine Sprachbewusstsein. Ein weiterer Anstoß,
logische Konsequenz des theoretischen die Konzepte von Sprachwissen und
Wissens, auch wenn sie es meist nicht Sprachbewusstsein weiterzuentwickeln,
begründen konnten. Zwei der Studieren- kam seit den 1970er Jahren aus England.
den meinten, dass der Linguistik- und Von dort wurde auch zum Teil die Termi-
der Sprachunterricht sich gegenseitig er- nologie übernommen: language awareness,
gänzten. Sowohl die Applikation des metalinguistic awareness und knowledge
theoretischen Wissens auf die Praxis als about language.1 Ins Deutsche fand dieser

1 Einen besonders wichtigen Anstoß gab das Buch von Eric Hawkins: Awareness of
Language: An Introduction. Cambridge 1984 und 1987. Für den Begriff Language awareness
gibt es auf Grund der verschiedenen Konzeptionen auch heute noch keine einheitliche
verbindliche Definition. Dies wird auch durch viele sich überschneidende und konkur-
rierende Termini erschwert.
396

Begriff in seiner Übersetzung als Sprach- Der generelle Nutzen von language aware-
bewusstheit, gerade im Unterschied zu ness bzw. ein hohes Niveau von sprachli-
dem Wort Sprachbewusstsein, Eingang. cher Reflexion für den Sprachunterricht
Seit den 1980er Jahren entstanden im wird im Allgemeinen als positiv einge-
deutschsprachigen Raum verschiedene schätzt. Umstritten bleibt trotzdem, in-
Awareness-Konzepte mit dem Ziel, wieweit language awareness als explizites
durch eine systematische und kontinuier- (deklaratives) sprachliches Wissen zu ei-
liche Auseinandersetzung mit Sprachen ner Verbesserung der sprachlichen Kom-
sowohl die Sprachpraxis als auch die petenz beitragen kann. Empirisch konnte
Reflexion über Sprache zu verbessern. bisher noch nicht nachvollzogen werden,
Außerdem spielt der Vergleich mit der inwieweit bewusst angeeignetes Wissen
Muttersprache eine wichtige Rolle. (explizites sprachliches Wissen) später
unbewusst (implizites sprachliches Wis-
»Language-Awareness-Konzeptionen beto-
sen) werden kann (dies gilt sowohl für
nen den Wert des Nachdenkens über die
sprachlichen Besonderheiten der Zielspra- das explizite grammatikalische Wissen
che im Verhältnis zur Muttersprache, aber als auch für das explizite sprachwissen-
auch über die eigenen Lernstrategien und schaftliche Wissen. Ellis (1997) erklärt in
Lernerfahrungen und über soziokulturell einem Modell, dass explizites L2-Wissen
spezifische Bedeutungen und Handlungs- den Erwerb impliziten Wissens ermögli-
muster, die sich hinter manch fremdsprach-
licher Ausdrucksweise aufdecken lassen.« chen kann.) Portmann-Tselikas (2003) be-
(Fandrych 2005: 7) trachtet in seinem Aufsatz über die Rolle
des gesteuerten auf der Grammatik ba-
Sprachbewusstheit umfasst außerdem sierenden Unterrichts das explizite Wis-
die Aufmerksamkeit eines Individuums sen als »ein zusätzlich verfügbares In-
in Bezug auf Sprachen sowie die Fähig- strument der Steuerung und Kontrolle
keit, metasprachliche Reflexionen durch- von Verstehens- und Äußerungsprozes-
führen zu können. Man ist heute der sen« (11), das im natürlichen Spracher-
Überzeugung, dass beide Fähigkeiten, werb nicht gegeben ist. Die Studierenden
Sprachbewusstheit und Sprachaufmerk- können sich dadurch »viel besser orien-
samkeit, insbesondere auf der Spracher- tieren und sie können in ihren eigenen
fahrung basieren (vgl. Fremdsprache kommunikativen Äußerungen gewisse
Deutsch 31 (2004), 58). Als Ergebnis einer Dinge besser (komplexer, korrekter) sa-
verstärkten Lernerperspektive bildete gen, als sie es ohne dieses Wissen täten«
sich auch der Begriff language learning (11). Portmann-Tselikas stellt die Hypo-
awareness (Sprachlernbewusstheit) heraus these auf, dass Reflexion über Sprache
(vgl. Gnutzmann 2003: 336). Dieser be- durch explizites Wissen dem Studieren-
zieht sich vor allem auf die mentale Ver- den hilft, sprachliche Erscheinungen bes-
arbeitung von Sprache, auf Sprachlern- ser zu ordnen, d. h. er könne sich besser
prozesse und den Einsatz von Lernstrate- in der Sprache orientieren, was letztend-
gien. (Bei den Mehrsprachigkeitskonzep- lich zu einer besseren Sprachkompetenz
ten spielen außer neurophysiologischen, führe; dies jedoch nur unter der Bedin-
lernerexternen, emotionalen und fremd- gung, dass das Wissen über Sprache an-
sprachenspezifischen Faktoren die ko- wendbar sei und auch tatsächlich einge-
gnitiven Faktoren, und dazu gehören setzt werde.
Sprachbewusstheit, Sprachlernbewusst- Diese Anwendung scheint mir eine der
heit und Reflexion über Sprache, eine zentralen Bedingungen für den Einsatz
wichtige Rolle, vgl. Hufeisen 2004: 20.) von explizitem Wissen und der Reflexion
397

über Sprache im Fremdsprachenunter- systematisch von einem naiven, alltäg-


richt zu sein. Auch Portmann-Tselikas lichen Sprachbewusstsein oder auch
meint, dass solange diese Vermittlung Sprachgefühl hin zum kognitiven
mit dem Sprachmaterial nicht gelinge, Sprachbewusstsein oder – wie es in der
Begriffe und abstraktes Wissen weitge- Sprachlehrforschung auch genannt
hend Stroh seien. Der wichtigste Zweck wird – zur Sprachbewusstheit führen.
von Übungen sei es deshalb, das Wissen Die heutigen Forschungsschwer-
über Sprache praktisch und anwendbar punkte ›Mehrsprachigkeit‹ und ›Ler-
zu machen und damit Vertrautheit zu nerautonomie‹ fördern eine zuneh-
erzeugen. Neuland (2002) formuliert dies mende Konzentration auf die Reflexion
ähnlich: über Sprache. Außerdem sind die Stu-
»Bedeutsam erscheint in jedem Fall die Ver- dierenden in der Regel höchst moti-
bindung von sprachlichem Wissen und viert, über die Sprache zu reflektieren.
sprachlichem Können, wie es in der Formu- Natürlich kann nicht von einem Auto-
lierung des reflektierten Sprachgebrauchs matismus ausgegangen werden, doch
seinen Ausdruck findet.« (Neuland 2002: 9) wurde festgestellt, dass die Förderung
der metasprachlichen Bewusstheit
2.3 Funktionen und Aufgaben für die durchaus sprachlernfördernde Effekte
Linguistik im universitären Fach Lin- hat.
gua Tedesca in Italien 3. Die Reflexion über Sprache soll durch
Aus den oben aufgeführten sprachtheo- eine kontrastive Ausrichtung unterstützt
retischen und didaktischen Überlegun- werden. Eine linguistische Beschrei-
gen resultieren verschiedene Funktionen bung des Deutschen, konsequent unter
und Aufgaben für die Linguistik im uni- kontrastivem Gesichtspunkt, kann ge-
versitären Fach Lingua Tedesca in Italien. winnbringend eingesetzt werden, auch
1. Universitäre Linguistik in Italien soll gerade weil der Sprachvergleich eine
für die einzelnen Fremdsprachen wie wichtige Lernstrategie für erwachsene
Lingua Tedesca vorwiegend als Ange- Fremdsprachenlerner ist.
wandte Linguistik verstanden werden. 4. Es ist äußerst wichtig, zwischen Linguis-
Der Linguistikunterricht soll hier den tik- und Sprachunterricht eine enge Ver-
Sprachunterricht bzw. den Spracherwerbs- bindung und Transparenz herzustellen,
prozess unterstützen und fördern, was auch um Synergien zu schaffen. The-
aber nicht bedeutet, dass das Wissen men der Linguistik sollten im Sprach-
über Sprache ausschließlich dieser unterricht angewandt und geübt wer-
Funktion untergeordnet sein soll. Es ist den, aber auch Phänomene aus dem
jedoch unabdingbar, dass linguistische Sprachunterricht sollten im Linguistik-
Beschreibungen so klar und transpa- unterricht reflektiert werden. Die Re-
rent wie möglich sind und zudem ei- flexion über sprachliche Phänomene
nen Transfer in den Sprachunterricht im Linguistikunterricht ist als zusätz-
erfahren. Ist das Wissen für die Studie- lich verfügbares Instrument zur Orien-
renden nicht anwendbar, verliert es tierung und Verbesserung der sprachli-
seine Bedeutung und Funktion für den chen Kompetenz zu betrachten. Er ist
Spracherwerb. nicht identisch mit der Reflexion über
2. Der Linguistikunterricht soll die refle- grammatische Phänomene und ist des-
xive Auseinandersetzung mit der Sprache halb keinesfalls als Ersatz für die Refle-
und damit das metasprachliche Bewusst- xion sprachlicher Phänomene im
sein fördern und somit die Studierenden Sprachunterricht zu betrachten.
398

Natürlich führt die Reflexion über Spra- Da für mich im Grunde nur das Erreichen
che nicht automatisch zu einer Verbesse- des Niveaus relevant ist, erscheint es mir
rung des Spracherwerbs und kann nicht am sinnvollsten, nur zwei Bewertungen
als Allheilmittel deklariert werden. Es zu vergeben, nämlich »30« (wodurch
müssen selbstverständlich noch geeig- diese generelle universitäre Höchstnote
nete Methoden für die Einbindung von in diesem Fall durch die Bezeichnung
Sprachbewusstsein in den universitären »bestanden« erläutert werden würde)
Linguistik- und DaF-Unterricht entwi- und »nicht bestanden«, wobei das Zu-
ckelt, erprobt und optimiert werden. und Absprechen der festgelegten Kom-
petenzen bereits in hohem Grade Ausle-
3. Überlegungen zur mündlichen Prü- gungssache ist.
fung Aus diesem Grund habe ich als Grund-
(Daniel Jaeger) lage des freien Gesprächs in der mündli-
Ein prinzipielles Problem in der universi- chen Prüfung Fragen eingeführt, die sich
tären Prüfungspraxis besteht meiner direkt auf den im Semester behandelten,
Meinung nach darin, dass das System der wohl definierten Wortschatz beziehen
Kompetenzniveaus und die dazugehöri- und so neben dem subjektiven Eindruck
gen Kannbeschreibungen mit dem der aus dem Gespräch mit der Anzahl der
Benotung eigentlich inkompatibel sind. verstandenen und beantworteten Fragen
Im zweiten Jahr sollen die Studierenden auch einen quantifizierbaren Faktor als
das Niveau B1 erreichen, das dann für zweites Notenkriterium bereitstellen. Die
das dritte Jahr vorausgesetzt wird und Studierenden, die die Vokabelprüfungen
dort auch tatsächlich erforderlich ist, um während des Semesters bestanden hat-
am Unterricht teilnehmen zu können. Die ten, mussten stattdessen lediglich eine
Prüfung muss also einerseits dieses Ni- kurze mündliche Prüfung absolvieren,
veau feststellen, stellt andererseits aber um ihre allgemeine kommunikative
eine Leistung dar, die zu benoten ist; Kompetenz zu beweisen, die anderen
dabei ist 30 die beste Note und 18 die wurden mit Fragen konfrontiert, die den
niedrigste, die noch ein Bestehen und behandelten Wortschatz mit den geeigne-
also die »Versetzung« in das dritte Jahr ten Kannbeschreibungen des »Römi-
bedeutet. Wenn nun aber das Niveau B1 schen Modells« für dieses Niveau kombi-
als vorgegebenes Lernziel des zweiten nierten.
Jahres bei seinem Erreichen mit der Best- »Kann sich dank eines ausreichend großen
note 30 bewertet werden müsste, das Repertoires an Wörtern und Wendungen
Nichterreichen dieses Niveaus aber nicht und manchmal mit Hilfe von Umschreibun-
für die Versetzung ins dritte Jahr aus- gen über die meisten Themen des eigenen
reicht, also noch nicht einmal mit 18 Alltagslebens (z. B. Familie, Hobbys, Inter-
essen, Arbeit, Reisen, aktuelle Ereignisse)
bewertet werden kann, dann müsste die äußern.«
Benotung eine Binnendifferenzierung
des Niveaus leisten. Es hat aber keinen bzw.
Sinn zu sagen, mit 30 habe man die »Kann sich einfach und zusammenhängend
Kompetenz in sehr guter Weise, mit 18 über vertraute Themen und persönliche In-
aber immer noch in ausreichender Weise teressengebiete äußern.«
erlangt, wenn die Kompetenzen gerade Fragen, die sich demzufolge aus der
mit dem Ziel definiert sind, einen spezifi- praktischen Anwendung der Wörter aus
schen Sprachstand zu bestimmen, also dem Lernwortschatz ergaben, waren also
entweder vorhanden zu sein oder nicht. z. B.:
399

»Haben Sie Vorhänge in Ihrem Zimmer«? – Könntest du auch in Zukunft das Port-
»Sind Ihre Cousins und Cousinen alle voll- folio alleine weiter ausfüllen?
jährig«?
»Kennen Sie jemanden, der ein Klavier Das Feedback der Studierenden war sehr
hat«? positiv. Alle Studierenden unterstrichen,
wie wichtig die Vergleichbarkeit und
Vorausgesetzt, dass der Wortschatz vor-
Transparenz der Kompetenzen auf euro-
handen ist, kann jede der Fragen, von
päischem Niveau sei. Aber auch für den
denen ich ungefähr hundert vorbereitet
eigenen Lernprozess, für das eigene En-
hatte, in ein kleines Gespräch einführen.
gagement und das Unterrichtsgeschehen,
d. h. den Austausch mit dem Dozenten,
4. Das Europäische Sprachenportfolio –
sei das Portfolio sehr hilfreich. Positiv sei
ist ein Einsatz an der Universität sinn-
das Portfolio auch deshalb, weil man
voll?
seine Kompetenzen selbst einschätzen
(Martina Nied Curcio)
lerne. Es sei nicht nur feststellbar, was
Auf der Grundlage des »Römischen Mo- man schon könne, sondern auch, welche
dells« wurde Ende 2004 ein Sprachen- Lücken existierten, so dass man die Mög-
portfolio nach den Beschreibungen des lichkeit habe, gezielt daran zu arbeiten.
Europarats, nämlich mit Sprachenpass, Außerdem könne man dadurch die eige-
Sprachbiographie und Dossier, in deut- nen Lernziele feststecken, regelmäßig
scher Sprache ausgearbeitet. An einer kontrollieren und auch verändern sowie
Probephase haben 67 DaF-Studierende
seine Lerntraditionen und Lernmetho-
teilgenommen. Anschließend bewerteten
den neu reflektieren. Lediglich das Aus-
sie den Einsatz des Portfolios anhand
füllen auf Deutsch, so betonten die Stu-
eines Fragebogens; sechs Probanden
dierenden, sei ohne Unterstützung der
wurden zusätzlich interviewt. Der Frage-
Lehrperson sehr schwierig und nicht alle
bogen bestand aus verschiedenen Fragen
seien in der Lage, es alleine zu tun. Aus
zur generellen Nutzung, wie:
den Interviews geht außerdem explizit
– Glaubst du, dass das Portfolio nützlich hervor, wie sehr sich die Studierenden
ist? einen regelmäßigen Einsatz des Spra-
Wenn ja, wofür? chenportfolios im Unterricht wünschen.
– Glaubst du, dass es wichtig ist, deine
Sprachkenntnisse mit den europäi-
5. Über kulturelle Unterschiede bei den
schen Niveaustufen zu vergleichen?
kommunikativen Kompetenzen in der
Andere Fragen betrafen die Nützlichkeit L1
in Bezug auf die Sprachkenntnisse: (Daniel Jaeger)
– Kann das Portfolio dir helfen, dein Der GER unterteilt die Fremdsprachpro-
Sprachniveau festzustellen? gression und die in ihrem Verlauf erreich-
– Glaubst du, dass du dir nach dem ten Kompetenzniveaus in sechs Stufen.
Ausfüllen des Portfolios deiner Sprach- Die als C2 bezeichnete letzte Stufe wird
kenntnisse bewusster bist? auch als quasi muttersprachlicher Ge-
Weitere Fragen wurden in Bezug auf den brauch der Sprache umschrieben. Es ist in
Sprachlernprozess gestellt, wie Bezug auf die Definition der Niveaus
– Ist das Portfolio eine Hilfe um deinen zuweilen angemerkt worden, dass z. B.
Lernprozess besser kennen zu lernen? folgende Beschreibung dieses Niveaus
Die letzten Fragen gingen um die prakti- selbst von vielen Muttersprachlern nicht
sche Handhabung des Portfolios wie z. B. erreicht wird:
400

»Kann praktisch alles, was er/sie liest oder frei wählen. So ist das, was in Amerika,
hört, mühelos verstehen. Kann Informatio- Deutschland oder Italien als korrekte
nen aus verschiedenen schriftlichen und Wegbeschreibung gilt, unter Umständen
mündlichen Quellen zusammenfassen und
dabei Begründungen und Erklärungen in sehr verschieden, weil die Einhaltung von
einer zusammenhängenden Darstellung Kriterien wie Exaktheit, Nützlichkeit und
wiedergeben. Kann sich spontan, sehr flüs- Wahrung einer Fassade unterschiedlich
sig und genau ausdrücken und auch bei gewichtet werden.
komplexeren Sachverhalten feinere Bedeu- Die Deskriptoren der europäischen Kom-
tungsnuancen deutlich machen.«
petenzniveaus scheinen mir genau aus
Ähnliches gilt sogar auch für die Be- diesem Grund zwar grundsätzlich wich-
schreibungen niedrigerer Niveaus. Es tig und richtig, aber in vielen Punkten
scheint auf jeden Fall unstrittig zu sein, auch fragwürdig und irreführend zu
dass die vom europäischen Referenzrah- sein. Das nämlich insofern, als sie dem
men und Profile deutsch verwendeten Lehrer unter Umständen suggerieren,
Kompetenzumschreibungen neben der dass er kommunikative Handlungen in
Vertrautheit mit der Sprache auch mit einen grammatikalisch-lexikalischen und
allgemeinen kognitiven Kompetenzen einen kognitiv-performativen Anteil zer-
zusammenhängen. legen könne, den Lernenden jedoch nur
Genauso wie man obige Kompetenz, die den ersten vermitteln müsse, den zwei-
eigentlich jeder Muttersprachler haben ten aber immer schon als von der L1 her
sollte, verschiedenen Personen in unter- gegebenen voraussetzen könne.
schiedlichem Maße zu- oder völlig ab- Dass es im Rahmen des universitären
sprechen würde, werden sie meiner Mei- Deutschunterrichts nicht möglich ist, spe-
nung nach innerhalb der einzelnen zifische kulturelle Verhaltensmuster zu er-
Sprachgemeinschaften und Sprachen auf arbeiten, liegt auf der Hand. Die obigen
unterschiedliche Weise gefordert und Überlegungen können jedoch für die vie-
folglich auch erbracht. len Ebenen sensibilisieren, auf denen es
Man attestiert verschiedenen Sprachen Schwierigkeiten geben kann, die einem
und der in ihnen erfolgenden mündlichen Standardsprachgebrauch im Weg stehen.
und schriftlichen Textproduktion völlig
zu Recht, dass sie gewisse sprachlich- 6. Notwendige Ergänzungen im »Römi-
gedankliche Aufgaben besser als andere schen Modell«
bewerkstelligen. (So gelten englische Die Studierenden nähern sich im 1. Jahr
Lehrwerke z. B. als verständlicher und ein Semester lang dem Bereich der Pho-
klarer geschrieben als etwa deutsche, was nologie/Phonetik im Linguistikunter-
natürlich nicht die Existenz von Gegenbei- richt aus einer sprachwissenschaftlichen
spielen leugnet.) Hinsichtlich derartiger Perspektive. Eine zur Linguistik gehö-
sprachlich-kultureller Phänomene besteht rende Kannbeschreibung ist z. B.:
wohl eine Wechselwirkung zwischen den
»Der Student soll beispielsweise die Unter-
sprachlichen Eigenschaften und dem kul- schiede zwischen dem deutschen und dem
turellen Kontext, in dem eine Einzelspra- italienischen Lautsystem erkennen und zur
che gebraucht wird. Und genauso wenig, Verbesserung der Aussprache als kogniti-
wie ein Sprecher ein Wort völlig losgelöst ves Hilfsmittel benutzen können. Es geht
von der Bedeutung gebrauchen kann, die hier also eher um den Erwerb von theoreti-
schem Wissen und nicht so sehr um die
durch die Sprachgemeinschaft geprägt ist, Kompetenz der korrekten Aussprache.«
kann er die pragmatischen Äußerungsty- ( N i e d C u rc i o / R ö ß l e r / S c h l a n s t e i n /
pen losgelöst von kulturellen Vorgaben Schlicht/Serra Borneto 2003)
401

Man fragt sich, warum denn die Phonetik Literatur


oder die Ausspracheschulung nicht ins Butzkamm, Wolfgang: Psycholinguistik des
»Römische Modell« integriert wurde. Im Fremdsprachenunterrichts. Von der Mutter-
sprache zur Fremdsprache. 3., neu bearbei-
Europäischen Referenzrahmen findet tete Auflage. Tübingen; Basel: UTB, Fran-
man unter den Linguistischen Kompe- cke, 2002.
tenzen auch nur eine halbseitige Be- Butzkamm Wolfgang; Butzkamm, Jürgen:
schreibung der Phonologischen Kompe- Wie Kinder sprechen lernen. Kindliche Ent-
tenz, bei der es um »Kenntnisse und wicklung und die Sprachlichkeit des Men-
schen. 2., neu bearbeitete Auflage. Tübin-
Fertigkeiten der Wahrnehmung und der gen: Francke, 2004.
Produktion« geht (Trim/North/Coste Coseriu, Eugenio: Sprachkompetenz. Grund-
2001: 117). In Profile deutsch fehlen die züge der Theorie des Sprechens. Tübingen;
Beschreibungen zur Phonetik gänzlich. Basel: UTB, Francke, 1988.
Aussprache und Intonation werden nicht Ellis, Rod: »Explicit Knowledge and Second
als erforderliche Kompetenzen detailliert Language Pedagogy«. In: Van Lier; Cor-
son (Hrsg.): Encyclopedia of Language and
beschrieben. Education, 6. Knowledge about Language.
Jeder DaF-Lehrende wird bemerken, London 1997, 109–118.
dass die Aussprache bzw. das Ausspra- Fandrych, Christian: »Ordnung und Varia-
chetraining zum Sprachunterricht ge- tion in Satz und Text. Wortstellung ent-
decken, erkunden, erproben«, Fremdspra-
hört und deshalb eine korrekte Ausspra- che Deutsch 32 (2005), 5–11.
che zu den angestrebten Kompetenzen Fischer, Mathilde: Sprachbewusstsein in Pa-
zu zählen ist. Zudem ist – wie beim ris. Eine empirische Untersuchung. Wien:
frühkindlichen Spracherwerb (vgl. Butz- Böhlau, 1988.
kamm 2004: 51) – davon auszugehen, Gauger, Hans-Martin: Sprachbewußtsein und
Sprachwissenschaft. München: Piper, 1976.
dass eine korrekte Aussprache einen po- Gnutzmann, Claus: »Language Awareness,
sitiven Einfluss auf den Spracherwerbs- Sprachbewußtheit, Sprachbewusstsein«.
prozess hat. Genau aus diesem Grund In: Bausch, Karl-Richard; Christ, Herbert;
ist es äußerst sinnvoll, Kannbeschrei- Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch
bungen in Bezug auf die Phonetik zu Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Fran-
cke, 2003, 335–339.
formulieren und in das »Römische Mo- Hartenstein, Klaus: »Zur Rolle von explizi-
dell« zu integrieren. Eine Möglichkeit tem Wissen beim instruktionsgeleiteten
wäre, den pragmatisch ausgerichteten L2-Grammatikerwerb – eine empirische
Phonetikunterricht bzw. das Hör- und Untersuchung am Beispiel der Lang- und
Aussprachetraining im Block gleich zu Kurzformen der russischen Adjektive«.
In: Riemer, Claudia: Kognitive Aspekte des
Beginn des 1. Semesters (im 1. Jahr) zu Lehrens und Lernens von Fremdsprachen.
unterrichten. Danach sollten mit den Tübingen: Narr, 2000, 263–280.
Studierenden regelmäßig kleinere Ein- Lübke, Diethard: Lernwortschatz Deutsch.
heiten zur Aussprache geübt werden Imparare le parole tedesche. Ismaning: Hue-
(zumindest im 1. Jahr). Da im 1. Semes- ber, 2001.
Moraldo, Sandro: »Zur Entwicklung der
ter des ersten Jahres in der Linguistik deutschen Sprache und der Germanistik
auf metasprachlicher Ebene das Thema in Italien«, Jahrbuch für Internationale Ger-
Phonetik behandelt wird, können Theo- manistik. Frankfurt a. M., Berlin: Lang,
rie und Praxis hier sehr gut miteinander 2003, 13–18.
verbunden werden. Aussprachepro- Neuland, Eva: »Sprachgefühl, Sprachein-
stellungen, Sprachbewußtsein«. In:
bleme und mögliche Fehlerquellen kön- Mattheier, Klaus J.; Wegera, Klaus-Peter;
nen dort auf der kognitiven Ebene erör- Hoffman, Walter; Macha, Jürgen; Solms,
tert werden. Hans-Joachim (Hrsg.): Vielfalt des Deut-
402

schen. Festschrift für Werner Besch. Frank- Quetz, Jürgen: »Der Gemeinsame Europäi-
furt a. M., Berlin: Lang, 1993, 723–747. sche Refernzrahmen«, Info DaF 28 (2001),
Neuland, Eva: »Vielfältiges Deutsch und 553–563.
eine eigene Sprache. Anmerkungen zum Scherfer, Peter: Untersuchungen zum Sprach-
Lernziel ›Reflexiver Sprachgebrauch‹«, bewußtsein der Patois-Sprecher in der Fran-
ide (Informationen zur Deutschdidaktik) che-Comté. Tübingen: Narr, 1983.
4 (1994), 28–41. Schlieben-Lange, Brigitte: »Metasprache
Neuland, Eva: »Sprachbewußtsein – eine und Metakommunikation«. In: Schlie-
zentrale Kategorie für den Sprachunter- ben-Lange, Brigitte (Hrsg.): Sprachtheorie.
richt«, Der Deutschunterricht 3 (2002), 4– Hamburg: Hoffmann und Campe, 1975,
10. 189–205.
Nied Curcio, Martina; Rößler, Elke; Schlan-
stein, Lisa; Schlicht, Michael; Serra Bor- Seidel, Brigitte: Wörter im Sprachbewußtsein.
neto, Carlo: »Ein ›Europäisches Curricu- Sprachkunde in der Sekundarstufe 1. Han-
lum‹ für Deutsch als Fremdsprache an nover: Schroedel, 1989.
den italienischen Universitäten. Das Rö- Serra Borneto, Carlo: »Wie schwer ist
mische Modell«, Deutsch als Fremdsprache Deutsch – wie ist Deutsch schwer?
41 (2005), 136–142. Schwierigkeiten bei der Erlernung des
Portmann-Tselikas Paul R.; Schmölzer-Ei- Deutschen (aus italienischer Sicht)«, Info
binger, Sabine: Grammatik und Sprachauf- DaF 27 (2000), 565–583.
merksamkeit. Innsbruck: Studienverlag, Trim, John; North, Brian; Coste, Daniel (in
2001. Zusammenarbeit mit Joseph Sheils): Ge-
Portmann-Tselikas, Paul R.: »Aufmerksam- meinsamer europäischer Referenzrahmen
keit statt Automatisierung. Überlegun- für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen.
gen zur Rolle des Wissens im Gramma- (Übersetzung: Jürgen Quetz in Zusam-
tikunterricht«, German as a foreign lan- menarbeit mit Raimund Schieß und Ul-
guage, 2003. http://www.qfl-journal.de/ rike Sköries) Berlin et al.: Langen-
2–2003/portmann-tselikas.pdf scheidt, 2001.
403

Didaktik DaF / Praxis

»In der Ferne daheim«

Didaktische Überlegungen zum Verhältnis von Sprache,


Musik und Identität

Markus Raith

Bei der Analyse von Liedern beziehungs- gung, die es im Folgenden an einem
weise Songs – so ist im Vorwort der konkreten Beispiel zu erörtern gilt.
Mitteilungen des Deutschen Germanisten- Dabei ist von den zentralen Kompeten-
verbandes zu lesen – kommt der philolo- zen, die im Fremdsprachenunterricht
gisch ausgerichtete Interpret in eine pre- vermittelt werden, sprachlichen, diskur-
käre Situation, wenn er sich zuvorderst siven und soziokulturellen (vgl. Demou-
am Liedtext orientiert: gin/Dumont 1999) vor allem letztere von
»Ganz generell gilt, dass Theorien, Metho- Interesse. Mit ihr werden Kenntnisse
den und Instrumente der Lyrikanalyse auch über das Unausgesprochene einer Kultur,
im Falle der Songtexte zu relevanten Ergeb- über ihre inhärente kulturelle »Gramma-
nissen kommen. Und ebenso wenig sind tik« (Demougin/Dumont 1999: 17) er-
rhetorische oder narratologische Verfahren, worben. Anders formuliert:
motivgeschichtliche Analysen, sozial- und
kulturhistorische Erläuterungen sowie an- »Lerner müssen in die Lage versetzt wer-
dere Ansätze von vornherein verfehlt oder den, die in Texte [im Sinne eines weiten
unangemessen. Gleichzeitig aber dürfen Textbegriffs: Text als kommunikative Hand-
Fragen nach der musikalischen Faktur, der lung; M. R.] implizit eingehenden und von
Performanz, der Inszenierung und der spe- Texten als selbstverständlich verfügbar vor-
zifischen Vermarktung nicht unbeachtet ausgesetzten kulturellen Deutungsmuster
bleiben, sind sie doch in vielen Fällen und als solche zu identifizieren, zu aktivieren
mit guten Gründen für relevanter als die und im Prozess des Verstehens für die Her-
eigentliche Textanalyse zu erachten.« stellung eines kohärenten Textsinns frucht-
(Achermann/Naschert 2005: 211) bar zu machen.« (Altmayer 2004: 459)
Eben dieses philologisch problematische Auf diesem didaktisch höchst anspruchs-
Widerspiel von Liedtext und Musik/In- vollen und komplexen Gebiet, wo es um
szenierung kann für den DaF-Unterricht den imaginären Haushalt einer Sprecher-
im Bereich der Landeskunde didaktisch gemeinschaft geht, der nicht unbedingt
fruchtbar gemacht werden, indem alle explizit thematisiert wird, kommt dem
Komponenten eines Liedes miteinbezo- Lied genauso wie dem Film eine wichtige
gen werden: so zumindest unsere Anre- Rolle zu.

Info DaF 34, 4 (2007), 403–408


404

Das Lied umfasst dabei, wie bereits er- Er ist nur ein Charmeur,
wähnt, die Aspekte Text, Musik und In- Sein Lächeln und sein Flair,
szenierung, also das Auftreten der Musi- Sind sein ganzes Kapital,
Was braucht er mehr?
ker und ihre öffentliche Präsenz, auch via
Bild in Presse und Fernsehen. Diese Ohne Sinn, ohne Ziel,
Aspekte lassen sich grob drei Bereichen Ohne Regeln ist sein Spiel,
zuordnen: Und er spielt es nonchalant
Im großen Stil
1. dem sprachlichen Bereich, das ist in [Hervorhebungen vom Verfasser]
erster Linie der Liedtext;
2. dem parasprachlichen Bereich, etwa Wendet man das oben vorgestellte, drei-
die Stimme des Sängers und seine Art gliedrige Schema auf Tommy Mammels
zu singen; Der Flaneur an, ergibt sich folgendes
3. dem außersprachlichen Bereich: dazu Bild: Seine Art zu singen – die raue
zählen Musik und Instrumentation, Stimme und das Sprechen mancher Pas-
aber auch die öffentliche Inszenierung sagen – verweist genauso wie die Instru-
und alle thematischen beziehungs- mentation, vor allem die Dominanz des
weise intertextuellen Bezüge. Akkordeons, auf die musikalische Tradi-
tion des französischen Chansons. Dazu
Diese drei Bereiche, die hier aus Gründen
kommt der auffallend häufige Gebrauch
der analytischen Übersichtlichkeit ge-
trennt aufgezählt werden, sind bei der französischer Begriffe wie nonchalant,
Arbeit mit Liedern selbstredend nur in Flair etc., ein Phänomen, das sich bereits
ihrem beständigen Widerspiel zu erfas- im Titel Der Flaneur andeutet. Während
sen. Sie generieren zusammen jene kom- Musik, Stimme und französische Lehn-
plexe »Redundanz« (vgl. Demougin/Du- wörter allesamt auf das Nachbarland
mont 1999) von Text, Musik und Insze- verweisen, wird allerdings ausgerechnet
nierung, die sich didaktisch als äußerst in diesem Lied das Thema der Heimat
ergiebig erweist. behandelt, gewissermaßen ein schlecht-
Gezeigt werden soll dies am Beispiel eini- hin deutscher Begriff, der zumindest ins
ger Lieder des südwestdeutschen Musi- Französische nicht adäquat übersetzt
kers Tommy Mammel1 und namentlich werden kann. Verstärkt wird diese
an Der Flaneur. Der Liedtext lautet: Spannung dadurch, dass Heimat im sel-
ben Vers – dem ersten des Refrains – mit
Er ist nur ein Flaneur, dem französischen Begriff Café nicht nur
Nimmt das Leben nicht so schwer,
Er ist nur ein Badegast im Menschenmeer in syntaktische, sondern vor allem auch
semantische Nähe gebracht wird: »Seine
Wie das Treibgut am Strand Heimat sind die Straßencafés«. Offen-
Spült’s ihn hier und da an Land,
Er ist überall zuhaus’, unerkannt sichtlich geht es in diesem Lied um (un-
ausgesprochen deutsche) Identitäten,
Seine Heimat sind die Straßencafés,
Die Boulevards, die Promenaden am See, die vor der Folie einer anderen Kultur,
Die Straßen mit den Bars und Stundenho- der französischen, evoziert werden. Al-
tels, lerdings ist ihre Thematisierung allge-
Die große und die kleine Welt mein gehalten und beschränkt sich auf

1 Informationen zu Tommy Mammel finden sich auf seiner Internet-Seite unter www.tom-
mymammel.de. Die erwähnten Lieder sind Songs für ein Leben in Color und In der Ferne
daheim entnommen, welche in den neunziger Jahren als Soloalben erschienen sind.
Musikalisch war Tommy Mammel zuvor schon länger als Bandmitglied tätig.
405

einen Typus, der kulturhistorisch vom drei oben genannten Bereichen: im


Französischen ins Deutsche übertragen sprachlichen (Lehnwörter), im para-
wurde. sprachlichen (die Spezifika des Gesangs)
Dieses Thema – Identitätskonstruktio- und im außersprachlichen Bereich (Mu-
nen, die sich an den Polen »Bewegung/ sik, öffentliche Inszenierung).
Reise« und »fremdkultureller Bilder- All dies ist für französische Deutschler-
bzw. Sprachfundus« orientieren – findet ner zumindest potentiell irritierend. In-
sich variiert auch in anderen Liedern szenierung, Musik und semantische Fel-
Tommy Mammels. In der Ferne daheim der verweisen auf die eigene, französi-
stellt ebenso die Frage nach der Heimat sche Kultur, aber dennoch wird auf
wie Der Flaneur. Und die Antwort, die deutsch und über »Heimat« gesungen.
darauf gegeben wird, betont ebenso das Diese Bezüge entsprechen nicht unbe-
Ziel- und Ruhelose, die Reise, und ver- dingt einem Erwartungshorizont, der
wendet fast ebenso ausgiebig französi- sich häufig aus einer Mischung von alt-
sche Lehnwörter. In einem weiteren hergebrachter Volksmusik und einigen
Lied schließlich, Das Leben der Bohème, Neuheiten aus dem HipHop-Bereich
wird das semantische Feld des Flaneurs konstituiert, die im Schulunterricht be-
aufgenommen und in einen weiterrei- handelt wurden. An diesem Moment
chenden kulturgeschichtlichen Kontext der Irritation hat die landeskundliche
gebracht: Didaktik anzusetzen. Im Spannungsfeld
von Musik, Text und Inszenierung zei-
Es ist nicht Paris vor unserer Tür gen sich latente, implizite Vorstellungen
Da fließt der Neckar und nicht die Seine
Doch hier wie dort gibt es Platz für uns zwei
einer kulturellen »Grammatik« oder – in
Und für das Leben der Bohème (Refrain) anderer Terminologie – »kulturelle Deu-
tungsmuster« (Altmayer 2004: 147 ff.),
Auch in diesem Lied geht es um franzö- die im Medium Lied wirksam werden.
sisch-deutsche Kulturkontakte, symboli- Die Lieder (oder Chansons?) Tommy
siert durch die beiden Flüsse Neckar und Mammels evozieren einerseits einen äs-
Seine. Und auch hier geht es um die thetizistischen europäischen Kosmopo-
Konstruktion nun explizit deutscher litismus, wie er sich kulturhistorisch
Identitäten, geht es um »einen Platz«, diesseits und jenseits des Rheins mani-
dessen geographischer Kontext zwar der festiert und ein Gegenmodell zu den seit
Neckar ist, dessen kultureller Kontext dem 19. Jahrhundert erstarkenden Na-
allerdings von der Seine, von der franzö- tionalismen darstellt. Dabei stehen vor
sischen Kultur her bestimmt wird. allem französische Konzepte des späten
Der Kulturraum Frankreich und der Ge- 19. Jahrhunderts im Mittelpunkt des In-
stus des Flaneurs/Bohémiens charakteri- teresses, die europaweit ihre Wirkung
sieren allerdings nicht nur die Lieder, entfalteten; neben dem poète maudit,
sondern auch die öffentliche Darstellung dem von der Gesellschaft ausgegrenzten
Tommy Mammels. Er tritt vorzugsweise Künstler, etwa die Figur des Flaneurs,
in Bars und Cabarets auf, das Plattenco- wie er von Baudelaire glorifiziert (vgl.
ver zu Songs für ein Leben in Color ist eben Baudelaire 1994) und von so bedeuten-
nicht farbig, sondern zeigt ein Bild des den deutschen Theoretikern wie Walter
Künstlers in melancholisch dekadenter Benjamin und Siegfried Kracauer reflek-
Pose und auf Fotos, etwa im Internet, tiert wurde (vgl. Benjamin 1984 bzw.
posiert er mit dem Akkordeon. Verweise Kracauer 1994); aber auch die ganz ähn-
auf Frankreich finden sich also in allen lich ausgestattete Figur des Bohémien,
406

wie er paradigmatisch 1851 in Henri Ferne daheim scheint ein nachgerade pa-
Murgers La vie de la bohème erscheint radigmatischer Titel für das schwierige
(vgl. Murger 1988) und häufig in ein deutsche Selbstverständnis nach dem
erotisches Verhältnis zu seiner weibli- Zweiten Weltkrieg zu sein, für das der
chen Muse gesetzt wird. So heißt es bald massenhafte Tourismus ins Aus-
denn auch bei Tommy Mammel: »Be- land eine Möglichkeit wenn nicht des
täube mich sanft mit deinem Kuß und Vergessens, so doch des vorübergehen-
einem Glas Absinth«. den Ausblendens drängender Fragen
Tommy Mammels Lieder verweisen an- darstellt: »Die Flut des Tourismus be-
dererseits aber auch auf eine folgenreiche deute«, so Hans Magnus Enzensberger
kulturhistorische Phase nach 1945, in der in seiner Theorie des Tourismus von 1958,
Frankreich zur bevorzugten Referenz »eine einzige Fluchtbewegung aus der
deutscher Künstler und Intellektueller Wirklichkeit, mit der unsere Gesell-
wurde: schaftsverfassung uns umstellt«
(Enzensberger 1958: 712). Auch wenn
»Herausragender ›Start- und Sattelplatz‹ Enzensbergers Essay allgemein kultur-
für intellektuelle, dann modisch-populari-
sierte Neugierde auf raffiniertes Leben war kritisch gehalten ist und bisweilen stark
das ›existentialistische Paris‹. […] Der Exis- simplifiziert, so trifft er doch die spezi-
tentialismus (im weitesten Sinn des Wortes fisch deutsche Situation zur Zeit des
verstanden) war vor allem bei der Jugend »Wirtschaftswunders«, die zugleich ge-
Mode, Attitüde und Kontrastfolie zum bun- prägt ist von kultureller beziehungs-
desrepublikanischen deodoranten Schön-
heitskult.« (Glaser 1997: 224 f.) weise politischer Neuorientierung und
Kontinuität, ja Rückbesinnung auf äl-
Dies betrifft besonders die 50er und noch tere, bildungsbürgerliche Traditionen.
die 60er Jahre – etwa die Begeisterung für Das Verhältnis von Heimat und Fremde
die Bohème von St. Germain, die franzö- vor dem Hintergrund der Reise sowie
sische zeitgenössische Literatur etc. –, ist deutsch-französische Kulturkontakte,
aber in abgeschwächter Form weiter vor allem durch Intellektuelle und
wirksam. Neben dem französischen Vor- Künstler, sind dabei nur zwei wenn-
bild, in den 50er Jahren sehr dominant, gleich zentrale Themen, die den Kontext
findet man freilich auch Spuren der als- der Lieder Tommy Mammels bilden.
bald bestimmenden amerikanischen Kul- Mit Bildern und Texten aller Art ließen
tur in den Liedern Tommy Mammels, sich die hier nur angedeuteten und wei-
wenn es beispielsweise in Karl und Linda tere, nicht erörterte Bezüge detaillierter
heißt, dass die beiden Protagonisten des herstellen, um profunde landeskundli-
Liedes bei ihrer spontanen Reise das Ra- che und hier vor allem kulturhistorische
dio auf den amerikanischen Sender AFN Kenntnisse zu vermitteln. Für das 19.
stellen. und frühe 20. Jahrhundert könnten Bil-
Viele seiner Lieder mit ihren Referenzen der zum Verhältnis von Künstler und
auf Fremdkulturelles und der Themati- Modell/Muse – auch vor dem Hinter-
sierung des Reisens, des Aufbruchs, grund von Puccinis Oper La Bohème –
zeugen gleichsam retrospektiv vom oft genauso verwendet werden wie Aus-
latenten bundesrepublikanischen Be- züge aus den Texten Benjamins und
dürfnis, dem eigenen Land (und somit Kracauers, oder poetische Texte, etwa
auch der eigenen jüngeren Geschichte) Georg Heyms Gedicht Eine Heimat wüßte
zu entfliehen, das sich vor allem in den ich uns beiden… (1912), dessen Titel ganz
50er und 60er Jahren manifestiert. In der explizit auf die Strophe »Doch hier wie
407

dort gibt es Platz für uns zwei« verweist Mammels bieten im landeskundlichen
(vgl. Heym 1993). Für Bezüge zur Zeit- DaF-Unterricht ein hervorragendes Mit-
geschichte nach 1945 könnten neben tel, Sprache und Kultur als soziale Pra-
Zeugnissen zur deutschen Rezeption xen zu zeigen. Dabei können kognitive
des Existentialismus und französischer und sinnlich-emotionale Zugänge im
Bestseller wie Bonjour Tristesse von Fran- Sinne einer »Schwerpunktverlagerung
çoise Sagan (vgl. Sagan 1990) auch der von der ›kognitiven‹ oder ›faktischen‹
deutsche Schlager der Wirtschaftswun- zur ›interkulturellen Landeskunde‹«
derzeit vorgestellt und die weit verbrei- (Altmayer 2004: 36) kombiniert werden.
tete Sehnsucht nach einem anderen ro- Die Arbeit mit Liedern ergänzt auf diese
manischen Kulturraum, nach Italien mit Weise nicht nur den dominanten Bereich
seinen Capri-Fischern, thematisiert wer- der fast ausschließlich kognitiv gelehr-
den. Gerade Italien wird zu einem der ten sog. Institutionen- und Realien-
ersten touristischen Ziele nach dem kunde, sondern lässt fremdkulturelle
Zweiten Weltkrieg, als es der stetig Phänomene in ihrem konstitutiven
wachsende Wohlstand immer breiteren Spannungsverhältnis deutlich werden,
Bevölkerungsschichten erlaubt, (meist so wie dies hier am Beispiel deutscher
mit dem Auto) in den Urlaub zu fahren. Identitätskonstruktionen vor französi-
Es wird daher in der Wirtschaftswun- scher Folie gezeigt wurde.
derzeit – im Anschluss an eine lange
Dabei lässt sich die Vielzahl der Didakti-
deutsche Tradition der Italienreise – von
sierungsmöglichkeiten, die etwa Rodri-
Goethe bis Heinrich Mann – zum Sym-
guez vorschlägt (vgl. Schmitt 2005: 507),
bol für mediterranen Lebensgenuss und
gezielt einsetzen. So kann das Hören von
dolce vita, besungen in dem berühmten
Der Flaneur nach den ersten Takten – es
Schlager von Rudi Schuricke. Vor allem
spielt das Akkordeon – unterbrochen
die Strände der Adria werden allerdings
werden, um die Frage nach der (musika-
auch zum berüchtigten »Teutonengrill«,
lisch) kulturellen Verortung des Liedes
wo deutsche Urlauber unter südlicher
zu stellen. Dann bietet sich Vokabelarbeit
Sonne massenhaft auf ihre eigenen
Landsleute und ihre eigene (Ess-)Kultur an, die von den französischen Lehnwör-
treffen. Gerhard Polt hat dieses Phäno- tern her operiert und mit einer kombi-
men in seinem Film Man spricht deutsch nierten Hörverstehens-/Lückentextauf-
(1988) karikiert. Dieser Film könnte im gabe auf das zentrale kulturelle Schlüs-
DaF-Unterricht die Arbeit mit Liedern selwort (vgl. Altmayer 2004: 223 ff.) Hei-
um eine visuelle Komponente berei- mat hinsteuern sollte und schließlich
chern. könnte die Einbettung des Liedes in sei-
Diese Vorschläge ließen sich natürlich nen bereits skizzierten historischen Kon-
um viele weitere Themen ergänzen. Di- text via Bild- und Textdokument erfol-
daktisch wichtig an Liedern im Fremd- gen.
sprachenunterricht ist, dass sie erlau- Was hier am Beispiel Tommy Mammels
ben, sedimentierte kulturelle Deutungs- ausgeführt wurde, lässt sich selbstredend
muster einer Sprechergemeinschaft auch auf andere Lieder im Landeskunde-
gleichsam schichtenweise freizulegen, unterricht anwenden. Von großer Bedeu-
weil sie in ihrer Verfasstheit mehrdi- tung ist dabei freilich deren Auswahl.
mensional daherkommen: Musik, Spra- Nach Demougin/Dumont (1999: 190 ff.)
che und Bilder (der Musiker) greifen kann grob zwischen zwei Typen unter-
ineinander. Lieder wie die Tommy schieden werden:
408

1. Liedern, die allgemeine Normen und Bibliographie


Wertvorstellungen nur wiederholen Achermann, Eric; Naschert, Guido (Hrsg):
und bekräftigen, Mitteilungen des Deutschen Germanisten-
2. Liedern, die gesellschaftliche Muster verbandes 2 (2005): Songs. Bielefeld:
Aisthesis, 2005.
unterlaufen, ironisieren, problematisie-
Altmayer, Claus: Kultur als Hypertext. Zu
ren. Theorie und Praxis der Kulturwissenschaft
Oft geschieht dies dadurch, dass ein im Fach Deutsch als Fremdsprache. Mün-
Spannungsverhältnis zwischen sprachli- chen: iudicium, 2004.
chen und außersprachlichen Elementen Baudelaire, Charles: Der Künstler und das
erzeugt wird, was im Unterricht als di- moderne Leben. Leipzig: Reclam, 1994.
daktischer Impuls genutzt werden kann. Benjamin, Walter: Charles Baudelaire. Ein Ly-
riker im Zeitalter des Hochkapitalismus.
Dies gilt natürlich für die Vermittlung Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1984.
aller Fremdsprachen. Im Bereich des Demougin, Françoise; Dumont, Pierre: Ci-
französischen Chansons findet sich eine néma et Chanson: Pour enseigner le français
Vielzahl an Liedern des zweiten Typs, im autrement. Une didactique du français langue
Bereich der amerikanischen Popmusik seconde. Paris: Delgrave, 1999.
sei hier exemplarisch auf einen aktuellen Enzensberger, Hans Magnus: »Vergebliche
Musiker verwiesen: Adam Green, dessen Brandung der Ferne. Eine Theorie des
Tourismus«, Merkur 12 (1958), 701–720.
Lieder ihr Potential aus der bisweilen
Glaser, Hermann: Deutsche Kultur. Ein histo-
extremen Spannung zwischen sanfter, rischer Überblick von 1945 bis zur Gegen-
eingängiger Musik einerseits und zyni- wart. München; Wien: Hanser, 1997.
schen, brutalen Texten andererseits be- Heym, Georg: Gedichte 1910–1912. Histo-
ziehen.1 risch-kritische Ausgabe aller Texte in geneti-
Vorzugsweise wird man vor allem bei scher Darstellung. Tübingen: Niemeyer,
fortgeschrittenen Lernern mit Liedern 1993.
Kracauer, Siegfried: Jacques Offenbach und
des zweiten Typs arbeiten, die darüber das Paris seiner Zeit. Frankfurt a. M.: Suhr-
hinaus – wie im Falle Tommy Mammels – kamp, 1994.
musikalischen und/oder sprachlichen Murger, Henri: Scènes de la vie de bohème.
Bezug auf die Ausgangskultur nehmen. Paris: Gallimard, 1988 [1851].
Dies hat den Vorteil, dass bestimmte Re- Sagan, Françoise: Bonjour tristesse. Rastatt:
ferenzen bereits vertraut sind und ein Moewig, 1990.
echter interkultureller Brückenschlag Schmitt, Andrea: »Lieder im DaF-Unter-
versucht werden kann. Die Lerner erfah- richt – Konzepte und Lehrmaterialien«,
Info DaF 32, 5 (2005), 500–507.
ren nicht nur etwas über die ihnen
fremde Kultur, sondern zugleich über Verzeichnis der erörterten Musik
deren Perspektive auf ihre eigene. Sie Tommy Mammel: Songs für ein Leben in
werden mit einem Blickwinkel konfron- Color. Inside Records.
tiert, der ihnen Eigenes gleichsam gefil- Tommy Mammel: In der Ferne daheim. Inside
tert, oft verfremdet zurückwirft. Records.

1 Vgl. etwa das Lied Jessica Simpson. Informationen und Rezensionen zu Adam Green
finden sich beispielsweise bei: http://www.zeit.de/2005/03/Adam-Green.
409

Fachfremdsprachenangebot zur deutschen


Rechtssprache an der Rechtswissenschaftlichen
Fakultät der Universität Turku

Almut Meyer

1. Ausgangslage nen Rechtsgebieten wie z. B. der Rechts-


An der Universität Turku (Finnland) bil- geschichte und dem Strafrecht seine Be-
den seit der Gründung der rechtswissen- deutung im wissenschaftlichen Kontext
schaftlichen Fakultät (1960) Fremdspra- bewahrt. Inzwischen spielt die deutsche
chen einen festen Bestandteil des Lehran- Rechtssprache im Rahmen der EU eine
gebots. Sowohl für Schwedisch, die zweite wichtige Rolle.
Landessprache, als auch für Englisch und Das Jurastudium wird in Finnland dem
Deutsch wurden Ende der 60er Jahre an Bologna-Prozess entsprechend ab dem
der Fakultät eigene Lektorate eingerichtet, Studienjahr 2006/07 als Masterstudien-
um den Jurastudierenden ein auf ihre gang angeboten. Für einen Universitäts-
Bedürfnisse zugeschnittenes Fach(fremd) abschluss müssen die Studierenden die
sprachenprogramm anzubieten. Da in sei- gesetzlich vorgeschriebenen Kenntnisse
ner verwaltungstechnischen und inhaltli- in der zweiten Landessprache Schwe-
chen Gestaltung in Finnland kein ver- disch1 und auch in einer Fremdsprache
gleichbares Angebot existiert, profiliert ihrer Wahl durch die erfolgreiche Teil-
sich Turku mit seiner Sprachpolitik gegen- nahme an jeweils viersemestrigen Kur-
über anderen rechtswissenschaftlichen sen (drei Semesterwochenstunden Kon-
Fakultäten des Landes. taktunterricht) nachweisen. Die Studie-
Das Interesse an Deutsch ist zunächst renden empfinden die obligatorischen
historisch zu begründen, da der deutsche Sprachkurse mehrheitlich als belastend,
Einfluss auf die finnische Rechtswissen- zeitraubend und leider manchmal eigent-
schaft, u. a. auf die Rechtssystematik, be- lich nicht notwendig zum Studium gehö-
achtlich war. Nach dem Zweiten Welt- rig. Die Sprachen nehmen im Rahmen
krieg hat zwar eine Orientierung hin zur des Jurastudiums, gemessen an den Leis-
anglo-amerikanischen Rechtswissen- tungspunkten, eindeutig eine unterge-
schaft eingesetzt, wodurch Englisch auch ordnete Rolle ein, so dass die meisten
hier zu einer wichtigen Sprache gewor- versuchen, so schnell wie möglich diese
den ist. Allerdings hat Deutsch in einzel- Pflicht zu erledigen.2

1 Schwedisch ist als zweite Landessprache obligatorisch.


2 Viele erwarten vom Jurastudium, dass ihnen Fakten vorgelegt werden, die für die
spätere Anwendung im Rechtsleben zu erlernen sind. Diese Einstellung wird insbeson-
dere auch durch die Aufnahmeprüfung gefördert, in der vor allem diese Fähigkeiten
getestet werden.

Info DaF 34, 4 (2007), 409–417


410

In der Regel wählen die Studierenden mündliche Fertigkeiten im Mittelpunkt


Englisch als Fremdsprache, weil ihnen des Unterrichts.
Englisch im Verhältnis zu Deutsch als die Für die Kursteilnehmer ist Deutsch in der
attraktivere, für den Beruf nützlichere Regel L4 oder L5, was in Finnland keine
und vor allem als die leichtere Sprache Seltenheit darstellt. Hinsichtlich des ge-
erscheint. Diese Sprachenwahl ist nach- meinsamen kulturellen und schulischen
vollziehbar, da finnische Abiturienten Bildungshintergrunds der Teilnehmer
nach zehn Jahren Englischunterricht bes- bestehen die Sprachkurse an der Fakultät
ser Englisch können. Dennoch gibt es ein aus homogenen Lernergruppen.1 Die
breites Angebot an Deutschkursen, das Kursteilnehmer sind auch davon ge-
besonders von motivierten Studierenden prägt, dass das Jurastudium in Finnland
angenommen wird. wegen seiner schweren Aufnahmeprü-
Auch wenn Deutsch traditionell zu den fung und stark begrenzten Anzahl von
für Juristen nützlichen Fremdsprachen Studienplätzen die Stellung eines Elitefa-
zählt, werden die Bedeutung und der ches besitzt.2
Nutzen von Deutschkenntnissen nur mit Die Fakultät gibt für die Fremdsprachen
Bedarfsannahmen begründet. Man geht sehr allgemein formulierte Lernziele vor,
davon aus, dass Deutschkenntnisse in die sich didaktisch mit dem Lernziel be-
der Wissenschaft, in der Wirtschaft und ruflicher Handlungskompetenz beschrei-
vor allem auf der europäischen Ebene auf ben lassen. Was genau darunter zu ver-
jeden Fall nützlich, bisweilen notwendig stehen ist und mit welchen Inhalten und
sind oder gar für die Karriere förderlich. Methoden diese Lernziele erreicht wer-
Eine Bedarfsanalyse darüber, wozu finni- den, liegt in der Eigenverantwortlichkeit
sche Juristen im Beruf die deutsche Spra- der Lektoren.
che wirklich brauchen, liegt bislang nicht Die Deutschkurse gliedern sich in zwei
vor. Ebenso stellt eine auf diese Ziel- aufeinander aufbauende Jahreskurse mit
gruppe ausgerichtete Bestimmung rele- je drei Semesterwochenstunden Kontakt-
vanter Textsorten und Inhalte bzw. unterricht. Die Kurse richten sich an fort-
Sprachfertigkeiten in der Fachsprachen- geschrittene Lerner (nach mindestens
forschung und -lehre ein Desiderat dar. drei Jahren Schuldeutsch) und beginnen
Kühn stellt z. B. fest, dass textsortenbezo- auf dem Niveau B1. Im ersten Kurs »Ge-
gene rechtslinguistische Untersuchungen sellschaft, Recht und Kultur im Alltag«
zu wichtigen juristischen Textsorten bis- stehen vor allem landeskundliche Inhalte
lang noch nicht vorliegen. Eine Aus- mit gesellschaftlich-politischer Ausrich-
nahme stellt Busse 1992 mit seinen Unter- tung im Vordergrund. Im Folgekurs (B2
suchungen zu Gesetzestexten dar (vgl. bis C1) »Einführung in die deutsche
Kühn 2001: 586). Rechtssprache« stehen dann hauptsäch-
Dennoch lässt sich zumindest teilweise lich rechtliche Inhalte im Mittelpunkt.
der Bedarf aus dem Fakultätsalltag und Um die jeweils sechs Leistungspunkte
den juristischen Berufsfeldern ableiten. für die Deutschkurse zu erreichen, muss
Im Kursangebot für Deutsch stehen des- am Ende jedes Semesters eine schriftliche
halb entsprechend juristischen Tätigkei- Prüfung bestanden werden, die entspre-
ten sowohl Leseverstehen als auch chend der Prüfungsordnung bis zu zwei-

1 Studierende mit Migrationshintergrund gibt es selten.


2 Es gibt ungefähr fünfmal mehr Bewerber als Studienplätze.
411

mal wiederholt werden kann. In diesen und zentral organisierte Staatsformen ge-
Prüfungen werden kursbezogen haupt- genüberstellen. Meist liegen aber die Un-
sächlich Leseverstehen und fachtextspe- terschiede zwischen den Rechtssystemen
zifische Grammatikkenntnisse getestet. nicht so deutlich auf der Hand, wie z. B.
Zusätzlich zu diesen beiden Wahlpflicht- beim »Eigentumsvorbehalt« im Kontext
kursen gibt es noch fakultative Spezial- der Konkursmasseverwaltung bei Insol-
kurse, die in enger inhaltlicher Koopera- venzen im deutsch-finnischen Wirt-
tion mit rechtswissenschaftlichen Semi- schaftsverkehr. Dieser Rechtsbegriff exis-
naren angeboten werden. Diese Lehran- tiert zwar in beiden Sprachen, wird aber
gebote werden von den Studierenden nicht mit einem identischen Rechtskon-
zum einen deshalb angenommen, weil zept verbunden, so dass gerade für den
diese Sprachkurse eine Ergänzung zu deutschen Handelspartner negative
den auf Finnisch gehaltenen Seminaren Überraschungen auftreten können, wenn
darstellen. Zum anderen ist der zeitliche er sein Eigentum nicht aus der Konkurs-
Aufwand für die Studierenden wesent- masse in Finnland ausgliedern kann.
lich geringer, da diese Veranstaltungen
als Blockkurse stattfinden, die höchstens 2. Aufgaben des Sprachunterrichts
vier Wochen dauern. Attraktiv scheinen Dem folgenden Abschnitt möchte ich ei-
neben der zeitlich geringeren Belastung nige allgemeine Überlegungen zur Fach-
auch die Kursinhalte zu sein, die sich auf sprache Recht voranstellen.
ein bestimmtes Rechtsgebiet konzentrie- Der Rechtssprache wird innerhalb der
ren. Für die Studierenden sind offensicht- Fachsprachen eine gewisse Sonderrolle
lich gegen Ende ihres Jurastudiums so- zugeschrieben, die hier vor dem Hinter-
wohl Urheberrecht, Strafrecht als auch grund der textlinguistisch geprägten
Gesellschaftsrecht interessante Rechtsbe- Rechtslinguistik ansatzweise in einigen
reiche. Die erworbenen Leistungspunkte zentralen Punkten dargestellt werden
werden formal entweder als Extrakurs soll.
angerechnet oder bilden einen Teil der Das Recht ist eine gesellschaftliche Insti-
Note des rechtswissenschaftlichen Semi- tution, deren wesentliche Aufgabe darin
nars. besteht, gesellschaftliche Konflikte zu lö-
Bei der inhaltlichen Ausgestaltung aller sen, vorausgesetzt, dass ein Bedürfnis
Deutschkurse spielen kulturkontrastive nach einer Lösungsstrategie vorhanden
und rechtsvergleichende Momente eine ist (Busse 2004: 8–9). Den Texten dieser
entscheidende Rolle. Zwar gehören das Institution – den Rechtstexten – werden
finnische und deutsche Rechtssystem institutionell gebundene Funktionen zu-
zum gleichen Rechtskulturkreis, aber gewiesen (Busse 1992: 115). Wird nach
dennoch bestehen Unterschiede zwi- den Adressaten eines Textes gefragt, so
schen diesen beiden Systemen. Darüber hat z. B. ein Urteil für den Verurteilten
hinaus ist die Orientierung auf die Be- wegen seiner enthaltenen rechtlichen
rufspraxis ein Ausgangspunkt für die di- Konsequenzen eine andere Funktion als
daktische Arbeit. für einen Richter oder Rechtswissen-
Ein konkretes Beispiel sind hier die ge- schaftler, der den Urteilstext als Teil des
setzlichen Regelungen für den Laden- richterlichen bzw. wissenschaftlichen
schluss. Daran lassen sich nicht nur kul- Diskurses betrachtet.
turelle Unterschiede aufzeigen, die die Rechtstexte, vor allem normative Texte,
Kursteilnehmer teilweise schon selbst er- erhalten ihre Bedeutung erst wesentlich
lebt haben, sondern auch föderalistisch aus ihrer intertextuellen Verknüpfung
412

mit anderen Rechtstexten. Dadurch er- Rechtstexten bezieht sich nicht nur auf
halten Rechtstexte selbst eine gesell- die Textrezeption, sondern auch auf die
schaftlich institutionelle Funktion. Um Textproduktion.
Rechtstexte verstehen zu können, muss Zwar ist noch die Vorstellung anzutref-
also das dazugehörige intertextuelle fen, dass Normtexte im »Wortlaut« lü-
Netz in den Verstehensprozess einbezo- ckenlos, alle Eventualitäten erfassend,
gen werden, da die Wirkung von Norm- klar, bestimmt und präzise formuliert
texten durch die Vernetzung mit anderen seien, so dass sie keiner Auslegung mehr
Normtexten beeinflusst, d. h. erweitert, bedürfen. Aber dieser Vorstellung steht
eingeschränkt, modifiziert werden kann inzwischen die Einsicht gegenüber, dass
(Busse 1992: 118). Beispiele für die Inter- jeder »Wortlaut« auslegungsfähig und
textualität von Rechtstexten sind die fünf auslegungsbedürftig ist (Nussbaumer
Bücher des Bürgerlichen Gesetzbuches 2005: 57). Da es sich bei Gesetzen um
(BGB), in dessen erstem Teil allgemeine generelle und abstrakte sprachliche For-
Bestimmungen enthalten sind, die für die mulierungen handelt, die in kürzester
anderen Teile (Sachenrecht, Schuldrecht, Form eine theoretisch unendliche Menge
Familienrecht, Erbrecht) gelten und ih- an konkreten Fällen erfassen und regeln
nen zur Vermeidung von Wiederholun- müssen, ist eine gewisse Offenheit und
gen vorangestellt sind. Gutachten, Kom- Flexibilität notwendig. Nussbaumer
mentare und wissenschaftliche Aufsätze (2005: 47) spricht in diesem Zusammen-
zu Gesetzen bilden ebenfalls intertextu- hang von Vagheit, die im Kontext des
elle Vernetzungen von Rechtstexten. Sprachunterrichts vom Lerner einen
Neben ihrer intertextuellen Verknüpfung selbstbewussten Umgang mit der Fremd-
untereinander weisen Rechtstexte auch sprache und dem anderen Rechtssystem
einen gesellschaftlichen Bezug auf. Ent- verlangt.
scheidungs- oder Normtexte, einschließ- Im Fachfremdsprachunterricht begegnen
lich ihrer Kommentare, beziehen sich auf die Lerner nicht nur der Fremdsprache,
gesellschaftliche Lebensverhältnisse, die sondern vor allem einem anderen Rechts-
nicht statisch sind, sondern sich verän- system. Meine Unterrichtserfahrungen
dern können (Busse 1992: 118). Der Ge- haben gezeigt, dass die deutsche Rechts-
setzgeber reagiert z. B. auf Technologie- sprache für finnische Lerner im Vergleich
entwicklung (e-commerce, Datenschutz), zur englischen hinsichtlich rechtlicher In-
veränderte Umweltbedingungen (Emis- halte eigentlich leichter zu lernen ist, da
sionskauf) oder gesellschaftliche Pro- beide Systeme zur gleichen Rechtskultur
bleme im Zusammenhang mit der Ein- gehören. So haben deutsche und finni-
wanderung. Damit wird das Sprachler- sche rechtliche Fachwörter bedeutungs-
nen auch zu einem gesellschaftlichen identische bzw. bedeutungsähnliche
Lernen. Konzepte, wohingegen das common law
Der Umgang mit Rechtstexten ist immer die Auseinandersetzung mit einem völlig
interpretierend. Das heißt sprachlich fi- anderen Rechtssystem erfordert.
xierte Normen existieren oder erlangen Beim Deutschlernen können die Lernen-
ihre Gültigkeit nur durch die Vermittlung den also aufgrund der rechtskulturellen
von Sprache. Damit geht der Anwen- Ähnlichkeiten von ihrem erworbenen ju-
dung von Recht immer ein Auslegen, ein ristischen Wissen profitieren, indem sie
Interpretieren der sprachlich gefassten sich durch ihr Vorwissen rechtliche In-
Norm voraus (Busse 1993: 9). Der subjek- halte in der Fremdsprache teilweise oder
tive interpretierende Umgang mit vollständig erschließen können. Der Ab-
413

lauf eines Strafprozesses ist in Finnland gen, sowohl in der Grammatik als auch
und Deutschland sehr ähnlich, so dass im Alltagswortschatz (z. B. Flektion unre-
die Lerner ohne Probleme einen diesbe- gelmäßiger Verben).
züglichen Sachtext zumindest im We- Im Zusammenhang mit der Rechtsspra-
sentlichen verstehen können.1 che wird häufig auf Verständnisspro-
Vor diesem theoretischen Hintergrund bleme hingewiesen, die u. a. durch juristi-
möchte ich die Aufgabe des Fachspra- sche Terminologie, Umdeutungen all-
chenunterrichts an einer Jurafakultät in tagssprachlicher Ausdrücke, Nominalstil
folgender Weise formulieren: Der und komplexe Satzstrukturen bedingt
Deutschunterricht soll die Lernenden sind (Kühn 2001: 583). Probleme der Ver-
wesentlich zu einer reflektierenden Aus- ständlichkeit stellen »fast ausschließlich«
einandersetzung mit der gesellschaftli- den Gegenstand rechtslinguistischer Un-
chen Institution Recht anleiten, wozu tersuchungen dar (Kühn 2001: 583; siehe
zentral ein kritischer Umgang mit dem z. B. auch Lerch 2004 oder Simonnæs
deutschen Rechtssystem gehört. Eine 2005). Schendera (2004: 322) stellt dazu
derartige Begegnung mit einem anderen fest: »Die Unverständlichkeit von Rechts-
Rechtssystem impliziert auch eine Refle- texten hat eine fast schon sprichwörtlich
xion des eigenen, finnischen Systems. zu nennende Tradition«.
Voraussetzungen dafür sind ausrei- Diese traditionelle Charakterisierung der
chende Kenntnisse der deutschen Rechts- Rechtssprache bedarf m. E. einer Diffe-
sprache und vor allem Vertrauen der renzierung, die den Sprachbenutzer und
Studierenden in ihre fremdsprachlichen seine Ausgangssprache berücksichtigt.
Fertigkeiten. Die Umsetzung dieser Auf- Er ist zwar ein Sprachlerner, aber kein
gabe bedeutet für den Sprachlehrer, dass juristischer Laie (Schendera 2004 gibt zur
er sich (selbst als Nicht-Jurist) mit der Verständlichkeitsforschung einen aus-
Materie Recht auseinandersetzen muss, führlichen Überblick). Nominalstil, Geni-
um in fremdsprachendidaktischer Hin- tivkonstruktionen und komplexe Satz-
sicht einen der Rechtssprache gerecht strukturen sind finnischen Lernern aus
werdenden Unterricht entwerfen zu kön- ihrer eigenen Rechtssprache wohl be-
nen. kannt und verursachen weniger Verste-
hensprobleme. Vermutlich können feh-
3. Zum fachsprachlichen Unterricht lende Sprachkenntnisse großenteils
Bei der Arbeit mit Rechtstexten sind zu- durch juristisches Wissen ersetzt werden,
nächst sprachliche Probleme zu klären, indem sprachlichen Ausdrücken recht-
die in der Regel im Wesentlichen auf der lich bedeutungsvolle Konzepte zugeord-
morphologisch-syntaktischen und se- net werden.
mantischen Ebene liegen. Damit unter- Schwierigkeiten bereiten finnischen Ler-
scheidet sich der Fachfremdsprachenun- nern eher z. B. die Bedeutungen von Ver-
terricht Recht wohl kaum von demjeni- ben mit Präfix wie erlassen, erheben, erlö-
gen, der nicht fachspezifisch ausgerichtet schen oder unpersönliche Konstruktionen
ist. Teilweise liegen die Verstehens- wie es bedarf oder es obliegt. Auch Kon-
schwierigkeiten im Bereich der Grundla- junktionen und Funktionswörter wie

1 Trotz aller Ähnlichkeiten bestehen zwischen den Rechtssystemen Unterschiede: Z. B.


kann nach finnischem Strafprozessrecht in einem Strafprozess auch gleichzeitig eine
Zivilklage des Opfers auf Schadensersatz behandelt werden, was nach deutschem Recht
getrennter Verfahren bedarf.
414

z. B. insofern, inwieweit oder mithin, durch bei Transformationsübungen der Ein-


die in Texten Kohärenz hergestellt wird, druck der semantischen Identität der
sind für die Lernenden oft schwierig. Aussagen vermieden und generell vor
Gerade diese »kleinen« Wörter, die nicht allem das Textverständnis gefördert (vgl.
nur auf naheliegende sprachliche Aus- Kühn 2001: 585, 589).
drücke verweisen, sondern die sich auch Diese Einzelphänomene isoliert behan-
z. B. auf Argumentationslinien oder meh- delnden Übungstypen werden in der
rere Zeilen umfassende Begründungen rechtslinguistischen Literatur kritisiert,
beziehen, sind nicht immer leicht zu ver- da sie verstehenstheoretisch problema-
stehen. tisch sind und insbesondere der institu-
Vor dem Hintergrund der o. a. traditio- tionelle Charakter der Rechtssprache un-
nellen Auffassung von der Unverständ- berücksichtigt bleibt.1 Denn nach Busse
lichkeit der Rechtssprache sollte das (1992: 319) ist die Fachsprachlichkeit der
Übungsmaterial, das in den wenigen Rechtssprache
neueren Lehr- und Übungsbüchern zur »nicht nur eine Angelegenheit eigener Ter-
deutschen Rechtssprache (Deutsch als minologie, sondern sie erwächst aus der
Fremdsprache) angeboten wird, nicht un- Eigenständigkeit der rechtlich-institutionel-
kritisch im Unterricht übernommen wer- len Wirklichkeitskonstruktion, die gegen-
über den Wirklichkeitsformen der Alltags-
den. Zu den neueren Lehrwerken gehö- welt bedeutende Unterschiede aufweist«.
ren Funk-Baker/Simon 1999; Cebulla/
Rodenbeck 2001 und Sander 2004. In ih- Damit gehören Rechtstexte in einen insti-
nen werden auch Übungstypen angebo- tutionellen Zusammenhang, in dem sie
ten, in denen die vermeintlich Verste- eine Funktion besitzen und in den sie
hensschwierigkeiten verursachenden eingebunden sind (Busse 1992: 115).
sprachlichen Besonderheiten isoliert be-
handelt werden. Die formale Einübung 3.1 Auswahl zielgruppenspezifischer
grammatisch korrekter Genitivattribute Textsorten und Inhalte
(Funk-Baker 1999b: 11), von Aktiv-Pas- Zur konkreten didaktischen Arbeit kom-
siv-Transformationen (Cebulla/Roden- men die nützlichsten Hinweise m. E. aus
beck 2001: 62) oder Nominalisierungen der rechtslinguistischen Literatur, auch
(Sander 2004: 117) ist wichtig. Leider fehlt wenn die wenigsten dieser Publikationen
diesen Übungen der nächste Lernschritt, fremdsprachendidaktisch ausgerichtet
der diese Einzelphänomene in den Kon- sind.
text einordnet. So wie z. B. die Unter- Bei der Auswahl von Unterrichtsmaterial
scheidung in possessive und objektive spielen folgende Kriterien eine wichtige
Genitivattribute (vgl. Kühn 1992: 20) oder Rolle: Einmal sollte eine der juristischen
der (kon)text-bedingte Gebrauch von Tätigkeit entsprechende Textauswahl ge-
Passivkonstruktionen bzw. Nominalisie- troffen und zum anderen sollten die
rungen. Erst mit der Kontextualisierung Funktionen, Bedingungen, Aufgaben der
einzelner sprachlicher Phänomene wird Institutionen, in denen diese Texte zur

1 Peter Kühn kritisiert diese gängige Praxis in Lehrwerken Deutsch als Fremdsprache in
seinem Aufsatz »Juristische Fachtexte« (2001). Sein Lehrwerk Jura stellt eine Alternative
dar, weil in ihm die rechtslinguistische Forschung berücksichtigt wird. Anhand ver-
schiedener, juristisch relevanter Textsorten werden sprachliche Phänomene der Rechts-
sprache textsorten- und institutionsgerecht erarbeitet. Allerdings müssen veraltete Texte
durch aktuelle ersetzt werden.
415

Wirkung kommen, berücksichtigt wer- rem gesellschaftlich-politischen Kontext


den (Busse 1992: 118). dargestellt. Die Einbeziehung derartiger
Weiterhin ist zu bedenken, welche Texte Kontexte stellt zugleich einen Ansatz-
für die Studierenden und Juristen rele- punkt für weitere kultur- bzw. rechtsver-
vant sind. Für finnische Juristen gehören gleichende Überlegungen dar, wie also
z. B. neben einschlägigen Monographien gleiche Fragen in anderen Gesellschaften
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, gelöst werden.
Aufsätze und Urteilskommentare in ju- Außerdem erhält die innerinstitutionelle
ristischen wissenschaftlichen Zeitschrif- juristische Diskussion über Auslegungs-
ten zu den wichtigsten Textsorten. fragen, die der Weg durch mehrere In-
In den Unterricht können auch solche stanzen verursacht, explizit eine Entspre-
Texte integriert werden, die nicht eigent- chung auf gesellschaftlich-politischer
lich als Rechtstexte zu bezeichnen sind. Ebene. Damit wird einmal der oben er-
Zeitungsartikel und andere Medientexte wähnte soziale Lernaspekt unterstützt
zu rechtlichen Themen sind dafür geeig- und zum anderen ein Gegengewicht zum
net, weil sie aus interkultureller Per- reinen Faktenlernen gesetzt.
spektive einen Einblick in die gesell-
schaftliche Diskussion über Rechtstexte 3.2 Beispiele für zielgruppenspezifi-
vermitteln, also über Themen, an denen sches Fachsprachentraining
ein öffentliches Interesse besteht. In die- Bestimmte sprachliche Phänomene wie
ser Hinsicht kommt den Medien allge- z. B. die Umschreibung des Modalverbs
mein eine wichtige Aufgabe zu, z. B. müssen mit ist / hat + zu + Infinitiv ist den
über gesellschaftlich relevante Gerichts- meisten finnischen Lernern zunächst un-
entscheidungen zu informieren, vor al- bekannt. Naheliegend wäre es, die Er-
lem über letztinstanzliche Urteile wie satzkonstruktion mit dem Modalverb se-
die des Bundesverfassungsgerichts. mantisch gleichzusetzen. Diese Gleich-
Denn werden Urteile unterer Instanzen setzung wird kritisiert, weil die in den
verworfen, entsteht durch unterschiedli- sprachlichen Formulierungen implizier-
che Auslegungen innerhalb des Systems ten Hierarchien im Rechtssystem unbe-
Diskussion, d. h. dass im Rechtssystem rücksichtigt bleiben. Die ist + zu-Formu-
Dynamik entsteht. Gerade diese Dyna- lierung wird dem rechtsunterworfenen
mik bietet im Unterricht Raum für das Bürger gegenüber seltener verwendet
Hinterfragen von Inhalten und Stellung- und kommt häufiger in Anweisungen
nahmen der Studierenden. vor, die sich an Richter wenden (Busse
Bei Gerichtsentscheidungen handelt es 1992: 112).
sich um Interpretationen von Rechtstex- Im Bereich der Wortschatzarbeit ist es
ten, die aber nicht im philologischen Sinn genauso möglich, rechtssystematische
rückwirkend Ausdruck eines tiefgehen- bzw. staatstheoretische Bezüge herzustel-
den Verständnisses sind, sondern viel- len. Für die Beschreibung des Vorgangs
mehr über den Text hinausweisend Kon- der Produktion eines Gesetzes hat Busse
sequenzen enthalten, auf die in der Folge folgende gebräuchliche Kollokationen
die Gesellschaft reagiert. Um ein inter- festgestellt: Gesetze erlassen, verabschie-
kulturelles Verständnis der anderen den, verkünden (1992: 99). Dieser legisla-
Rechtskultur bei den Lernern zu fördern, tive Vorgang kann im Deutschen nur mit
werden Rechtsfälle wie z. B. das Kopf- Nominalprädikaten ausgedrückt wer-
tuchverbot für Lehrer muslimischen den. Durch die Frage nach den semanti-
Glaubens oder Terrorismusgesetze in ih- schen Bezugsstellen der Verben kann der
416

parlamentarisch-demokratische Kontext menhang mit rechtswissenschaftlichen


von Gesetzgebungsverfahren, ein zentra- Lehrveranstaltungen als selbständige
ler Bestandteil des Rechtssystems über- Kurse stattfinden. Für die Lerner bietet
haupt, thematisiert werden. sich damit eine Möglichkeit, gezielt zu
Bisweilen können z. B. Verständnis- einem Rechtsbereich eine Art Intensiv-
schwierigkeiten mit BGB-Paragraphen, kurs zu absolvieren.
die aufgrund von EU-Richtlinien geän- Meine Erfahrung hat gezeigt, dass die
dert wurden, durch intertextuelle bzw. Lerner in diesen Kursen sehr motiviert
interkulturelle Arbeit gelöst werden, in- sind, in den Prüfungen gute Leistungen
dem sowohl die betreffende EU-Richtli- erzielen und sie das inhaltliche Lernen
nie (auf Deutsch) und auch, wenn mög- dem sprachlichen voranstellen. Aus Letz-
lich, Gesetzentwürfe der Bundesregie- terem folgt für die Fachsprachen-Lehr-
rung hinzugezogen werden. Deutsch- kraft, dass sie sich intensiv mit den juris-
sprachige EU-Richtlinien sind erfah- tischen Inhalten auseinanderzusetzen
rungsgemäß einfacher zu verstehen, da hat, wozu die Unterstützung durch die
sie im Vergleich zur implementierten Fas- Juristen notwendig ist.
sung im BGB eine verständlichere Text-
Wichtig erscheint mir auch, ein Sprach-
struktur aufweisen.1 Mit dieser intertex-
tuellen Arbeit macht der Lerner die Er- programm anzubieten, das das gesamte
fahrung, dass Verstehensprobleme nicht Jurastudium begleitet. Denn so ließe sich
immer eine Frage von Wissenslücken ein einmal erworbenes Kompetenzni-
sind, sondern auch durch Schreibtradi- veau erhalten bzw. erweitern, und die
tionen verursacht werden können. Studierenden könnten dann in der End-
phase des Studiums, wenn sie ihre Ma-
4. Perspektiven für die Unterrichtsent- gisterarbeiten schreiben, gegebenenfalls
wicklung in der Fachsprache Recht ihre Sprachkenntnisse einsetzen. Denn
Für einen erfolgreichen und effektiven für Magisterarbeiten werden auch solche
Fachfremdsprachenunterricht ist eine in- Themen vergeben, die rechtsverglei-
terdisziplinäre Zusammenarbeit wün- chend z. B. neben der deutschen Gesetz-
schenswert, die in Ansätzen an der Tur- gebung und Rechtsprechung auch die
kuer Fakultät im Fach Deutsch in Form von Österreich, Liechtenstein und der
von integrierten Sprachkursen existiert. Schweiz behandeln.
Bislang wurden schon Kurse zum Straf- Von daher sollte der Fachsprachenunter-
recht, Gesellschaftsrecht und Urheber- richt Deutsch nicht nur auf das deutsche
recht erfolgreich durchgeführt. Recht beschränkt bleiben, sondern sollte
Unter integrierten Sprachkursen werden ebenso die anderen deutschsprachigen
solche, höchstens vierwöchigen Kom- Länder mit ihren Sprachvarianten und
paktkurse verstanden, die im Zusam- anderen Rechtssystemen einbeziehen.

1 In der EU-Richtlinie über den Verbraucherschutz im Fernabsatz 1997/7 werden zunächst


Definitionen der zentralen Begriffe angeführt und erst in einem darauf folgenden
Artikel die dazugehörigen Ausnahmen festgelegt. Im entsprechenden BGB-Paragra-
phen werden die Begriffe einschließlich ihrer Ausnahmen nicht vergleichsweise linear
dargestellt, sondern vielmehr einzeln definiert und teilweise im selben Satz mit ihren
Ausnahmen verknüpft, so dass – auch inhaltlich betrachtet – komplexe Strukturen
entstehen.
417

Literatur Deutsch als Fremdsprache. Ein internationa-


Busse, Dietrich: Recht als Text. Linguistische les Handbuch. 2 Bände. Berlin: de Gruyter,
Untersuchungen zur Arbeit mit Sprache in 2001, 582–594.
einer gesellschaftlichen Institution. Tübin- Nussbaumer, Markus: »Zwischen Rechts-
gen: Niemeyer, 1992. grundsätzen und Formularsammlung.
Busse, Dietrich: Juristische Semantik. Grund- Gesetze brauchen (gute) Vagheit zum At-
fragen der juristischen Interpretationstheorie men«. In: Bhatia, Vijay K.; Engberg, Jan;
in sprachwissenschaftlicher Sicht. Berlin: Gotti, Maurizio; Heller, Dorothee (Hrsg.):
Duncker Humblot, 1993. Vagueness in Normative Texts. Frankfurt
Busse, Dietrich: »Verstehen und Auslegung a. M. u. a.: Lang, 2005, 49–71.
von Rechtstexten – institutionelle Bedin- Sander, Gerald G.: Deutsche Rechtssprache.
gungen«. In: Lerch, Kent D. (Hrsg.): Recht Ein Arbeitsbuch. Tübingen: Francke, 2004.
verstehen. Verständlichkeit, Missverständ- Schendera, Christian F. G.: »Die Verständ-
lichkeit und Unverständlichkeit von Recht. lichkeit von Rechtstexten. Eine kritische
Berlin: de Gruyter, 2004, 7–20. Darstellung der Forschungslage«. In:
Cebulla, Mario; Rodenbeck, Rolf: Deutsches Lerch, Kent D. (Hrsg.): Recht verstehen.
Wirtschaftsrecht. Eine Einführung mit inte- Verständlichkeit, Missverständlichkeit und
griertem Fachsprachenkurs. Beck: Mün- Unverständlichkeit von Recht. Berlin: de
chen, 2001. Gruyter, 2004, 321–373.
Funk-Baker, Gisela; Simon, Heike: Einfüh- Simonnæs, Ingrid: »Verstehensprobleme
rung in die deutsche Rechtssprache. Mün- bei Fachtexten: zu Begriffssystemen und
chen: Beck, 1999a. Paraphrasen als Visualisierungs- bzw.
Funk-Baker, Gisela; Simon, Heike: Übungs- Verbalisierungsinstrumente in der Kom-
buch zur Einführung in die deutsche Rechts- munikation zwischen Fachmann und
sprache. In Kommission beim Verlag der Laien. Eine Untersuchung anhand ge-
Buchhandlung Eckhard Bodner. Press- richtlicher Entscheidungen«. In: Schrö-
rath, 1999b. der, Hartmut (Hrsg.): Nordeuropäische Bei-
Kühn, Peter: »Juristische Fachtexte«. In: träge aus den Human- und Gesellschaftswis-
Helbig, Gerhard; Götze, Lutz; Henrici, senschaften Band 26. Frankfurt a. M. u. a.:
Gert; Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Lang, 2005.
418

Erinnerungsorte – Deutsche Geschichte im DaF-


Unterricht

Sabine Schmidt und Karin Schmidt

0. Vorbemerkung »Eine Fremdkulturwissenschaft bleibt ohne


Im Oktober 2004 initiierte der DAAD im historische Grundkenntnisse letztlich leer.«
Rahmen seiner Nachkontaktarbeit erst- (Wierlacher 2003: 505)
mals eine verstärkte Zusammenarbeit Ein wichtiger Ausgangspunkt für diese
zwischen zurückgekehrten ehemaligen Erkenntnis ist auch in den ABCD-Thesen
DAAD-LektorInnen im Berliner Raum. aus dem Jahr 1990 formuliert:
Vereint in der Erfahrung, wie schwierig »Landeskunde ist in hohem Maße auch
sich Geschichtsvermittlung im in- und Geschichte im Gegenwärtigen, daher ergibt
ausländischen DaF-Unterricht gestalten sich die Notwendigkeit, auch historische
kann, und vereint in dem Wunsch, diesen Themen und Texte im Deutschunterricht zu
Zustand zu verbessern, konstituierte sich behandeln. Solche Texte sollten Aufschluß
daraufhin im Januar 2005 eine Arbeits- geben über den Zusammenhang von Ver-
gangenheit, Gegenwart und Zukunft, über
gruppe »Geschichtsvermittlung im DaF- unterschiedliche Bewertungen sowie über
Unterricht«1. Ziel der Arbeitsgruppe – die Geschichtlichkeit der Bewertung
bestehend aus Theoretikern und Prakti- selbst.« (ÖdaF-Mitteilungen 2 (1990): 26–29;
kern im Bereich Deutsch als Fremdspra- Deutsch als Fremdsprache 24,5 (1990): 306–
che, mit unterschiedlichem wissenschaft- 308; auch: www.dachl.net)
lichen Hintergrund (Geschichte, Linguis- Der in diesem Zitat enthaltene Verweis auf
tik, Literatur-, Kultur-, Musik- und Wirt- die Zukunft, der sich ähnlich auch im
schaftswissenschaft) – war es, eine Mate- Begriff »Vorsorgewissen« (Wierlacher
rialsammlung zur Geschichtsvermittlung 2003: 511) findet, gibt einen zusätzlichen
für den Landeskundeunterricht zu erstel- Hinweis auf die pädagogische Bedeutung
len. Das Konzept und die auf dieser der Beschäftigung mit Geschichte. Die Be-
Grundlage entstandenen Unterrichtsma- deutsamkeit der Anbindung von Ge-
terialien möchten wir in unserem Beitrag schichte an die Gegenwart und für die
vorstellen und zur Diskussion stellen. Zukunft gilt heute angesichts der politi-
schen Umwälzungen der »Wende« in vie-
1. Geschichte und Landeskunde len Ländern in besonderem Maße – Ge-
Der Stellenwert der Geschichte innerhalb schichte wurde erlebbar, ist stärker in das
der Landeskunde ist inzwischen völlig Bewusstsein vieler Menschen gerückt und
unbestritten; stellvertretend sei hier nur zeigt damit auch ihren Einfluss auf die
Wierlacher zitiert: gegenwärtige gesellschaftliche Situation.

1 Zur Arbeitsgruppe gehören: Reinhard von Bernus, Catharina Clemens, Frank Fischer,
Regine Grosser, Jakob Hörtreiter, Dr. Benedikt Jager, Manfred Kaluza, Amadeus Kramer,
Dr. Detlef Otto, Jürgen Röhling, Karin Schmidt, Dr. Sabine Schmidt, Dr. Thomas
Schwarz, Susanne Schulz, Dr. Marina Vollstedt, Jana Walter.

Info DaF 34, 4 (2007), 418–427


419

Dazu führt Wierlacher aus, es könne dass historische Themen für das Ver-
ständnis einer fremden Kultur konstitu-
»die Geschichtlichkeit menschlicher Exis-
tenz derzeit in selten konzentrierter Dosie- tiv sind, und der praktischen Umsetzung
rung erfahren und gelehrt werden. Die Le- in Lehrmaterialien. Wir sehen die Gründe
bensbedingungen eines großen Teils der dafür in folgenden Punkten:
Welt haben sich innerhalb einer einzigen – Die Vielfalt historischer Ansätze und
Generation teilweise fundamental verän- die Widersprüchlichkeit von For-
dert. […] Diese weltpolitischen Zusammen-
hänge wirken auf Deutschland zurück; es schungsergebnissen erschweren den
ist nach der Vereinigung zum Transformati- raschen Blick auf das Wesentliche his-
onsstaat geworden und das einzige Land in torischer Themen. Hilfreich könnte da-
Europa, das westliche Strukturen in Politik, bei die Konzentration auf alltags- und
Staat und Gesellschaft aufweist und gleich- mentalitätsgeschichtliche Aspekte (vgl.
zeitig die Folgen von sowjetisch-kommu-
nistischer Unterdrückung und Staatssozia-
Koreik 1995, 2001) gegenüber einer sich
lismus überwinden muss.« (Wierlacher in Daten und Fakten erschöpfenden
2003: 511) Geschichtsvermittlung sein.
– Es besteht ein Mangel an historischen
Erstaunlicherweise hat sich aber an dem
Kenntnissen und Methoden im gesam-
Manko an guten historischen Materialien
ten Berufsfeld DaF: Dabei ist ein ausrei-
für den DaF-Unterricht, das Uwe Koreik
chend breites Faktenwissen bei Lehren-
in seiner Dissertation 1995 festgestellt
den und Lernenden Voraussetzung für
hat, dennoch nicht viel geändert: Histori-
die fruchtbare Auseinandersetzung
sche Themen finden höchstens sehr
mit der Geschichte: Nur so kann man
knapp Eingang in DaF-Lehrwerke und begründet urteilen und eine eigene
dienen häufig primär dem Transport Perspektive auf die fremde Realität fin-
sprachlicher Lernziele. Etwas anders den.
stellt sich die Situation in Bezug auf Zu- Wir konstatieren dies in Abgrenzung
satzmaterialien für den Bereich Landes- zu den ABCD-Thesen, in denen es
kunde dar, etwa in kulturkontrastiv an- heißt:
gelegten Büchern wie Spielarten (Polen- »Primäre Aufgabe der Landeskunde ist
Deutschland) und Typisch Deutsch (USA- nicht die Information, sondern Sensibili-
Deutschland). In den Geschichtskapiteln sierung sowie die Entwicklung von Fä-
beider Werke werden gerade die Teile der higkeiten, Strategien und Fertigkeiten im
deutschen Geschichte thematisiert, die Umgang mit fremden Kulturen«. (These
4)
für beide Länder eine Bedeutung hatten
Hier ist der Stellenwert dessen, was
(und haben) und für das Verständnis der
vermittelt wird, gegenüber der Frage,
deutschen Kultur besonders wichtig wie das geschehen soll, extrem zurück-
sind. Fakten spielen hierbei eine geringe getreten. Ohne Faktenbasis bliebe in-
Rolle (vgl. zur Lehrwerkanalyse Koreik terkulturelles Lernen ein Weg »zu ei-
1995, 2001; Thimme 1996). Vorteil wie nem netten Miteinander« (Koreik 1995:
Nachteil dieser Landeskundematerialien 194), eben oberflächlich:
gleichermaßen ist die kulturkontrastive »Eine einseitige Betonung interkulturel-
Ausrichtung auf zwei Länder, die dazu len Lernens mit dem vorrangigen Ziel,
führt, dass die Materialien nicht ohne sich und andere besser verstehen zu kön-
weiteres in anderen regionalen Kontex- nen, wird ohne angemessenes Wissen al-
ten eingesetzt werden können. lenfalls zu einem netten Miteinander füh-
ren, bei dem man lernt, Missverständ-
Es besteht demnach ein Missverhältnis nisse zu erahnen und mit Strategien an-
zwischen der theoretischen Erkenntnis, zugehen.« (Koreik 1995: 194)
420

– Angesichts der Komplexität geschicht- Bildmedien (S. Mbondobari, Universi-


licher Themen ist eins der größten Pro- tät Bayreuth);
bleme bei deren Einbeziehung in den – Deutsch-französisch-luxemburgisches
DaF-Unterricht die didaktische Reduk- Projekt zu den Lieux de la mémoire
tion und damit auch die Materialaus- transfrontalière (Universität Leipzig);
wahl und deren Aufbereitung. – Johann Wolfgang von Goethe – Denk-
– Ein letzter wesentlicher Punkt ist, ne- mäler und Erinnerungsorte auf Post-
ben der Komplexität der historischen karten (Universität München);
Themen selbst, auch deren Relevanz – Nationale und europäische Erinne-
für den DaF-Unterricht heute: Damit rungsorte im Mittelalter; Adlige Herr-
ist einerseits die oben bereits erwähnte schaft und Erinnerungskulturen in ver-
Erklärungsleistung der Geschichte für gleichender Perspektive (Universität
die Gegenwart angesprochen. Die Heidelberg) (vgl. auch Frevert 2003).
Frage, warum sich DaF-Lernende Ausgelöst wurde der Boom der Erinne-
heute mit diesem Thema intensiv be- rungsorte u. a. auch durch eine sieben-
schäftigen sollen, sollte stets beantwor- bändige essayistische Sammlung zu be-
tet werden können. Andererseits ist deutsamen französischen Erinnerungsor-
das Ziel auch der Beschäftigung mit ten, die unter der Herausgeberschaft des
Geschichte im DaF-Unterricht das in- französischen Historikers Pierre Nora in
terkulturelle Verstehen und damit eine den achtziger und neunziger Jahren er-
Vermittlung zwischen Fremd- und Ei- schien. Vor allem seiner Umsetzung des
genperspektive: So sollen »kulturelle Konzeptes des Erinnerungsortes ist es zu
Deutungsmuster explizit und sichtbar verdanken, dass der Begriff des lieu de
und auf diese Weise für die Angehöri- mémoire zunehmend populär wurde. An-
gen anderer Kommunikationsgemein- geregt durch das Beispiel von Nora über-
schaften nachvollziehbar« werden nehmen die beiden Historiker Etienne
(Altmayer 2004: 154). François und Hagen Schulze dessen An-
Dies ist ein ehrgeiziger Anspruch, der satz für eine ähnliche Zusammenstellung
nicht einfach einzulösen ist. Vielleicht deutscher Erinnerungsorte.
auch deshalb wird der Bereich Ge- Diese Zusammenstellung unterscheidet
schichte bisher so stiefmütterlich be- sich natürlich an zentralen Punkten von
handelt. der französischen Version. Dies hat auch
mit den unterschiedlichen Erinnerungs-
und Gedächtniskulturen zu tun: In
2. Zur theoretischen Begründung der
Frankreich finden wir die ungebrochene
»Erinnerungsorte«
Tradition eines Siegergedächtnisses,
Auf der Suche nach einer geeigneten während die deutsche Geschichte seit
Klammer zur Formgebung unseres Pro- 1871 zwischen Formen eines Sieger-, ei-
jekts stießen wir auf das Konzept der nes Verlierer- und eines Tätergedächtnis-
»Erinnerungsorte«. Dieser Ansatz erfreut ses wechselt (A. Assmann 1999: 41–49).
sich in den letzten Jahren einer großen Die unterschiedlichen Dynamiken der
Popularität, wie die Vielzahl an Projekten Gedächtnisarten – auf die wir hier nicht
zu nationalen, bi- und multinationalen detailliert eingehen können (sie wohl
Erinnerungsorten zeigt. Genannt seien aber in den einzelnen Modulen der ge-
hier exemplarisch folgende Projekte: planten Materialsammlung aufgreifen) –
– Europäisch-afrikanische Erinnerungs- bieten interessantes Potential für einen
orte in den europäischen Text- und interkulturellen Landeskundeunterricht.
421

Die insgesamt 120 Erinnerungsorte der Austausch mit diesem. Eingebunden ist
dreibändigen Sammlung von François das individuelle Gedächtnis in weitere
und Schulze umfassen ein breites The- Gedächtniskreise: in das Gedächtnis der
menspektrum von Stalingrad über Bun- Familie, der Generation, der Gesellschaft,
desliga und Neuschwanstein bis zur Fa- der Nation – diese sind Bestandteile des
milie Mann. kollektiven Gedächtnisses.
Wir wollen die Überlegungen, auf denen Wesentlich für den Fortbestand von Erin-
das populär gewordene Konzept der »Er- nerungen ist die Form ihrer Tradierung.
innerungsorte« ganz allgemein fußt, zu- Das kommunikative Gedächtnis oder Gene-
nächst kurz skizzieren, und anschließend rationengedächtnis zeichnet sich da-
ausführen, warum uns ein solcher Ansatz durch aus, dass Zeitzeugen selbst Erleb-
– in einer adaptierten Version – nicht nur tes weitergeben. Naturgemäß ist es ent-
für die Erforschung und Darstellung von sprechend zeitlich limitiert und kann als
Geschichte, sondern auch für die Vermitt- Kurzzeitgedächtnis der Gesellschaft auf-
lung von Geschichte im Bereich Deutsch gefasst werden: Eine Spanne von drei
als Fremdsprache geeignet erscheint. Generationen (80–100 Jahren) bildet die
maximale Ausdehnung (Jan Assmann
4
2.1 Grundlagen und Grundbegriffe 2002: 50 ff.).2
In den zwanziger Jahren entwickelte der Nach Ablauf der Drei-Generationen-
französische Soziologe Maurice Halb- Spanne kommt es entweder zu einem
wachs den Begriff des »kollektiven Ge- Vergessen oder einer Verschiebung der
dächtnisses«. Seine z. T. erst posthum Erinnerungen oder es werden Maßnah-
veröffentlichten Schriften – Halbwachs men zur Aufbewahrung der Erinnerun-
ist in Buchenwald ums Leben gekommen gen getroffen. Erinnerungen an Ereig-
– wurden in Deutschland seit den achtzi- nisse oder Personen können in verschie-
ger Jahren zunehmend rezipiert.1 Die auf dener Weise »haltbar« gemacht und ins
Halbwachs zurückgehenden Konzepte soziale Langzeitgedächtnis, ins kulturelle
wurden von verschiedenen Autoren wei- Gedächtnis, überführt werden. Besondere
terentwickelt, wobei in Deutschland vor Bedeutung kommt hierbei der Erfindung
allem die Schriften von Jan und Aleida der Schrift und der digitalen Medien zu,
Assmann einflussreich waren, auf die wir die eine Auslagerung der Erinnerungen
uns hier ebenfalls berufen. ermöglichen. Erinnerungen können auch
Erinnern – Kehrseite des Vergessens – ist durch Rituale und Feste oder durch die
zunächst ein individueller Akt der Re- Schaffung bestimmter Orte lebendig ge-
konstruktion vergangener Geschehnisse halten werden, und genau hier liegt der
und Erlebnisse. Rekonstruiert werden Er- Anknüpfungspunkt für Halbwachs,
innerungen im sozialen und kommuni- wenn er die Beziehung zwischen Erinne-
kativen Austausch mit anderen; aufbe- rungen und Orten erläutert.
wahrt werden sie im individuellen oder Erinnerungen, so die These von Halb-
biographischen Gedächtnis. Das individu- wachs, bedürfen bestimmter Halte-
elle Gedächtnis wird somit durch das punkte, an denen sie sich festmachen
Kollektiv geformt und entsteht nur im können. An der Entstehung der Heiligen

1 Die Rezeption wurde auch dadurch verstärkt, dass einige der zentralen französischspra-
chigen Werke Halbwachs’ erstmals ins Deutsche übertragen wurden.
2 In Deutschland beispielsweise dürfte es kaum noch Zeitzeugen geben, die den Ersten
Weltkrieg (1914–1918) als Erwachsene miterlebt haben.
422

Stätten (des Christentums) in Israel zeigt »Von einer konsistenten Identität zu spre-
er, wie selbst im Nachhinein – mehr als chen birgt nicht nur die Gefahr der Verein-
100 Jahre nach Christus – Stätten als fachung, sondern vielleicht auch eines tota-
litären Anspruches.« (Möller 2001: 11)
Erinnerungsorte ge- und vor allem erfun-
den werden (denn Zeitzeugen gab es zu Die Pluralität von Identitäten und die
diesem Zeitpunkt keine mehr).1 Die Eta- Perspektivität von Erinnerungen gilt es
blierung dieser Stätten sollte dazu beitra- theoretisch, aber vor allem auch bei einer
gen, dass abstrakte Glaubensinhalte sich Adaption für den Unterricht stets kennt-
nicht so leicht auflösen und aus dem lich zu machen.
kommunikativen Gedächtnis entweichen
konnten, sondern fest angebunden, kon- 2.2 Erinnerungsorte im DaF-Unterricht
kretisierbar waren (Halbwachs 2003: Aus didaktischer Perspektive kann Erin-
163 ff.). Erinnerungsorte stehen dabei, nern als menschliche Grundkonstante
wie das Beispiel der Heiligen Stätten ver- zum Ausgangspunkt im und für den
deutlicht, grundsätzlich nicht für sich – Unterricht genommen werden. So wie
ihre Bedeutung muss zusätzlich durch jeder von uns sich an individuelle Ereig-
sprachliche Überlieferung abgesichert nisse erinnert, die wesentlich für sein
werden (A. Assmann 1999: 309). Gewordensein sind, brauchen und ge-
brauchen Gruppen Erinnerungen zur De-
Warum aber müssen und wollen wir uns
finition ihrer selbst. Die immanente Per-
erinnern und unsere Erinnerungen »fest-
spektivgebundenheit von Erinnerungen
machen« und verräumlichen? Erinnerun-
– eigenen wie fremden – gilt es zu erken-
gen haben – für Individuen wie für Grup-
nen und nachzuvollziehen, um eine Kul-
pen – die Funktion, eine Brücke von der
tur verstehen zu können. Ein Ort wie
Vergangenheit in die Gegenwart und
»Versailles« evoziert in Frankreich eine
möglicherweise in die Zukunft zu schla-
andere Perspektive auf Geschehnisse in
gen. Sie bilden so eine konnektive Struk-
der Vergangenheit als in Deutschland;
tur, die Menschen über die Zeit hinweg ebenso werden mit dem Ort »Stalingrad«
mit ihren Vor- und Nachfahren und in- in Deutschland und Russland konträre
nerhalb einer Gruppe untereinander ver- Erinnerungen und Interpretationen
bindet. Erinnerungen dienen der indivi- wachgerufen. Die räumlich gebundene
duellen und kollektiven Sinnstiftung, in- Perspektivierung von und auf Ereignisse
dem sie Identität und Kontinuität schaf- erkennen und kritisch hinterfragen zu
fen. können ist ein wesentliches Ziel eines
Gewarnt sei allerdings vor dem vereinfa- interkulturellen Fremdsprachenunter-
chenden Singular der »Identität«: Jedes richts. Analoges gilt für die zeitliche Ge-
Individuum übernimmt und entwickelt bundenheit: Der Kölner Dom gegen Ende
im Laufe seines Lebens mehrere Identitä- des 19. Jahrhunderts ist mit anderer Sym-
ten – als Tochter oder Mutter, Schüler bolhaftigkeit verknüpft als im Mittelalter
oder Lehrer, als Katholik, als Städter etc. oder zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Die
Identität ist nichts Statisches – nicht für Interpretation (und Inszenierung) von
ein Individuum und weniger noch für Orten und Ereignissen unterliegt also ste-
Kollektive. Wie Möller dazu anmerkt: tem Wandel, ist dynamisch und nicht

1 Z. B. die Stelle, an der Christus geboren wurde, die Stelle, an der er in den Himmel fuhr,
etc.
423

statisch. Auch diese Wechselhaftigkeit zu diale Vielfältigkeit in der Materialaus-


erkennen ist Ziel einer Geschichtsver- wahl, -bearbeitung und -präsentation.2
mittlung, die Geschichte als (Re-) Kon- Orte als Kristallisationspunkte für Erin-
struktion deutlich machen will. Mithin nerungen zum Ansatzpunkt zu nehmen,
sollen die Lernenden trainieren, Interpre- bietet sich vor allem für die Vermittlung
tationen historischer Fakten, Ereignisse von Geschichte im Fremdsprachenunter-
und Orte zu erkennen und die Bedingun- richt – hier dem DaF-Unterricht – an:
gen nachzuvollziehen, denen diese Inter- – Orte können besucht werden – und
pretationen unterworfen sind. Der An- gerade in den geographisch näherlie-
satz der Erinnerungsorte erscheint be- genden Ländern sind Vorerfahrungen
sonders reizvoll für den DaF-Unterricht, (auch touristischer Art) bei Lernenden
weil die Studierenden dadurch üben, vorhanden, an die angeknüpft werden
nicht fremde, fertige Interpretationsmus- kann. Dies gilt übrigens auch für geo-
ter oder Geschichtsbilder zu überneh- graphisch weiter entfernte Länder wie
men, sondern sich mit deren Perspektiv- z. B. Japan oder die USA, wo Neu-
gebundenheit (räumlich und zeitlich) schwanstein häufig zum festen Be-
auseinanderzusetzen. standteil der Europareisen gehört.
Analog können die Orte und die mit
Das Konzept der Erinnerungsorte be-
ihnen behandelten Themen auch im
inhaltet durch die Komponente des Erin-
Rahmen von Studienreisen nachberei-
nerns stets eine Bewegung vom Heute
tend vertieft werden.
zum Gestern, von der Gegenwart in die
– Orte bieten durch ihre topographische
Vergangenheit. Der zu Recht oftmals ge- und materielle Realität einen konkre-
forderte Gegenwartsbezug ist somit stets ten Anknüpfungspunkt für abstraktere
in der Didaktisierung zu verwirklichen Themen.3 Geschichte wird (an)fassbar.
und Ausgangs- oder Endpunkt für den Diese Anfassbarkeit erscheint uns als
Unterricht. Geschichtsvermittlung im eine wirksame Konstruktion, um den
Landesstudienunterricht darf kein Luxus mehr oder weniger großen sprachli-
sein – sie soll die Gegenwart erklären und chen Schwierigkeiten etwas Konkretes
verstehen helfen.1 entgegensetzen zu können.
Erinnerung ist per se mehrkanalig: wir – Orte können kulturell variieren und so
erinnern uns an Erlebnisse, an Bilder, einen direkten Ausgangspunkt für in-
Geräusche, Gerüche, Emotionen, Berüh- terkulturelle Vergleiche bieten. Bei Sa-
rungen. Die Komplexität des Erinne- kralbauten – Kirche versus Synagoge
rungsvorgangs fordert und erfordert me- versus Tempel versus Moschee – zeigt

1 Ohne Kenntnis der Vergangenheit ist das Verständnis der Gegenwart jedoch oft
erschwert, wenn nicht sogar unmöglich, wie das Beispiel usbekischer Studierender
zeigt, die einen Zeitungsartikel nicht verstanden, da der dort verwendete Begriff des
»Dritten Reiches« ihnen völlig unbekannt war. Ähnliche Beispiele zur Relevanz der
Vergangenheit für das Verstehen heutiger Diskussionen wird jeder Deutschlehrer aus
seiner Unterrichtspraxis ergänzen können.
2 Außerdem müssen die verwendeten Materialien anschaulich sein, Anreize und Ge-
sprächsanlässe bieten und selbstgesteuertes, persönliche Schwerpunkte setzendes Ler-
nen ermöglichen. So kann die aktive Auseinandersetzung mit der fremden Kultur und
ihrer Geschichte gefördert werden.
3 Dies gilt auch für konstruierte Orte (vgl. Halbwachs’ »Heilige Stätten«), die im
Nachhinein gefunden bzw. erfunden werden.
424

sich dies besonders deutlich, jedoch Schulze, die bei ihrer Ortauswahl vor
auch bei anderen Ortstypen wie Bur- allem das 19. und 20. Jahrhundert beto-
gen, Schlössern, Denkmälern etc.1 nen (vgl. Popp 2004: 27 zum Verlust an
»historischer Tiefenschärfe« durch eine
3. Materialsammlung: Inhalt und Struk- überproportionale Präsenz moderner
tur Geschichte).
Bei der Adaption eines Konzeptes in An- – Berücksichtigung der Außenperspek-
lehnung an die »Erinnerungsorte« tive, d. h. die Einbeziehung von Erinne-
kommt der Auswahl geeigneter Orte so- rungsorten, die eher im Ausland als
mit eine große Bedeutung zu. Folgende solche wahrgenommen werden denn im
Kriterien waren dabei für uns leitend: Inland, wie z. B. Schloss Neuschwan-
Zentral ist die Einschränkung des Ortsbe- stein (vgl. zu den Auswahlkriterien
griffs auf materielle Orte. Orte sind für uns ausführlicher Schmidt/Schmidt 2006).
topographisch und lokalisierbar, »imma- Aus dem oben Ausgeführten wird die
terielle« Orte (wie z. B. die D-Mark, »Kin- Vielfältigkeit, die ein solcher Ansatz für
der, Küche, Kirche«) wurden von uns die Geschichtsvermittlung im DaF-Un-
ausgeschlossen.2 Weitere Kriterien für terricht haben kann, deutlich. Dennoch:
die Ortsauswahl waren: Eine Auswahl von gut einem Dutzend
– die Vielzahl von Erinnerungsorttypen Erinnerungsorten aus der Gesamtheit
(also Schloss, Kirche, Museum, Denk- möglicher Orte bleibt (auch unter Be-
mal etc.); rücksichtigung der oben angeführten
– die regionale Ausgewogenheit, um unter- Kriterien) immer angreifbar und kann nie
schiedliche Binnenperspektiven be- so vielfältig sein, wie es angesichts des
rücksichtigen zu können; riesigen »Angebots« deutscher Erinne-
– das Einbeziehen von sowohl positiven rungsorte wünschenswert wäre. Leitend
Erinnerungsorten, z. B. für demokrati- für unsere Ortsauswahl ist, dass wir eine
sche Traditionen (Paulskirche), als Vielzahl von Erinnerungsorten einbezie-
auch negativen Erinnerungsorten, die an hen möchten, die sich für die Vermittlung
die dunklen Seiten der deutschen Ge- unterschiedlichster historischer Epochen
schichte erinnern (Mahnmal zur Bü- und Schwerpunkte im DaF-Unterricht
cherverbrennung); eignen. Ein repräsentativer Querschnitt
– die Möglichkeit zu historischen Längs- ist nicht angestrebt.
schnitten (zumindest bei einigen Orten) Unsere Materialsammlung ist für die
und damit auch explizit ein Hinaus- Hand der Lehrenden gedacht, soll mög-
greifen über das im kommunikativen lichst breit einsetzbar sein und ist deshalb
Gedächtnis Aufbewahrte (Wartburg). auch nicht länderspezifisch ausgerichtet
Dies abweichend von François und (wie z. B. Spielarten, Typisch Deutsch?!).3

1 Der Erinnerungsorte-Ansatz bietet demnach auch Potential für die Vermittlung von
kunstgeschichtlichen Themen, für die bis dato noch weniger Material existiert als für die
Geschichtsvermittlung allgemein.
2 Unseres Erachtens entfernt sich ein Ortsbegriff der »immateriellen« Orte zu weit vom
Halbwachs’schen Konzept, da er nicht auf Orte rekurriert, sondern nur noch Topoi
umfasst.
3 Es erscheint uns jedoch ein durchaus reizvolles Folgeprojekt zu sein, gegebenenfalls bi-
oder trinationale Adaptionen bzw. Fortschreibungen der Materialsammlung, gemein-
sam mit KollegInnen aus den jeweiligen Ländern, zu erarbeiten.
425

Als Adressaten des DaF-Unterrichts sind – Rosa-Luxemburg-Gedenkorte


primär (junge) Erwachsene angespro- – Wartburg
chen, vornehmlich im universitären Kon- – Weimar: nach Buchenwald
text im In- und Ausland, wie auch Teil-
– Zeche Zollverein
nehmerInnen an Sprachkursen des Goe-
the-Instituts oder anderer Träger. Eine Die Einheiten sind in sich abgeschlossen
Veröffentlichung ist für 2007 anvisiert. und können wie Bausteine unterschied-
Die Materialsammlung versteht sich als lich miteinander kombiniert werden. Es
Fundus für einen Landeskundeunterricht, ist dementsprechend weder eine themati-
der Auswahlmöglichkeiten anbietet. Die sche noch eine sprachliche Progression
konkrete Auswahl durch Lehrende (und geplant, so dass es für den Kursleiter/die
idealerweise auch Lernende) wird immer Kursleiterin gut möglich sein sollte, ziel-
auch von Standortfaktoren bestimmt sein gruppenspezifisch eine Auswahl zu tref-
– so stößt die Einheit zu den »Hansestäd- fen. Die Einheiten decken die histori-
ten« unter Umständen in Skandinavien schen Zeiträume vom Mittelalter bis zur
auf größeres Interesse als in Kanada. Aber Gegenwart ab; eine genaue Übersicht fin-
auch der Reiz des völlig Anderen kann det sich am Ende des Beitrags.
ausschlaggebend dafür sein, den Kölner Die Module bieten Material für durch-
Dom zu wählen, um einen typisch christli- schnittlich ca. 6–8 Unterrichtseinheiten
chen Sakralbau und seinen Stellenwert im an, richten sich an jeweils ein Sprachni-
Kontrast zu Sakralbauten der eigenen veau zwischen B.1.2 und C.1 gemäß Eu-
Kultur zu behandeln. ropäischem Referenzrahmen und zeich-
Didaktisierungen wurden zu den folgen- nen sich durch Materialvielfalt und
den Erinnerungsorten erarbeitet (in al- handlungsorientierte Aufgabenstellun-
phabetischer Reihenfolge): gen aus. Die drei Hauptgesichtspunkte
– Berlin in den 20er Jahren für unsere Arbeit – Erinnerungsthematik,
– Berliner Mauer Verbindungslinien in die Gegenwart, inter-
– Denkmal Friedrich II. kulturelle Anknüpfungspunkte – werden
– Dresden bei der Didaktisierung jedes einzelnen
– Führerbunker Ortes explizit berücksichtigt.
– Hansestädte Abschließend soll in einer Übersicht
– Kölner Dom deutlich werden, wie die Einarbeitung
– Neuschwanstein der Erinnerungsthematik in den jeweili-
– Paulskirche gen Einheiten geschieht:

Ort Erinnerungsaspekt Niveau


Berlin in den 20er Jahren Formen öffentlichen Erinnerns und Gedenkens B.1/B.2
Berliner Mauer Erinnerung und Emotion B.2
Denkmal Friedrich II. Erinnerung an Personendenkmäler B.1/B.2
Dresden Unterschiedliche Erinnerungsdiskurse: Sieger- und B.2/C.1
Verlierergedächtnis
Führerbunker problematische Erinnerung B.2/C.1
Hansestädte regionale Erinnerungsräume: Ostseeraum B.2
426

Ort Erinnerungsaspekt Niveau


Kölner Dom politische Inszenierung und Instrumentalisierung B.1/B.2
eines sakralen Erinnerungsgebäudes
Neuschwanstein inszenierte Erinnerung B.1/B.2
Paulskirche Entstehung und Erinnerungswert von Nationalsym- B.1/B.2
bolen
Rosa-Luxemburg- Erinnerung und Instrumentalisierung von Erinne- B.2
Gedenkorte rung bei einer umstrittenen Persönlichkeit
Wartburg globalisiertes Erinnern: Weltkulturerbe B.2
Weimar: nach Buchenwald Strategien des Erinnerns/Nicht-Erinnerns B.2/C.1
Zeche Zollverein Erinnerungen und Identität in einer Industrieregion B.2/C.1

4. Schlussbemerkung Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. For-


Wir hoffen natürlich, dass die Beispiele men und Wandlungen des kulturellen Ge-
Lust auf mehr machen und unsere Mate- dächtnisses. München: Beck, 1999a.
rialsammlung auf Interesse stößt. Außer- Assmann, Aleida: »Drei Formen von Ge-
dächtnis«. In: Assmann, Aleida; Frevert,
dem möchten wir KollegInnen und Kol- Ute (Hrsg.): Geschichtsvergessenheit – Ge-
legen Mut machen, sich auch zu größeren schichtsversessenheit. Vom Umgang mit
Arbeitsgruppen zusammenzuschließen, deutschen Vergangenheiten nach 1945. Stutt-
um ähnliche Projekte anzugehen. Trotz gart: Deutsche Verlagsanstalt, 1999, 57–
aller Schwierigkeiten, die natürlich das 66.
Miteinander von mehr als einem Dut- Assmann, Aleida; Frevert, Ute (Hrsg.): Ge-
zend Autoren mit sich bringt, haben nicht schichtsvergessenheit – Geschichtsversessen-
heit. Vom Umgang mit deutschen Vergan-
nur wir AutorInnen, sondern hat auch genheiten nach 1945. Stuttgart: Deutsche
unsere Materialsammlung von der Ko- Verlagsanstalt, 1999.
operation vieler Kollegen und Kollegin- Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis.
nen mit unterschiedlicher Lehrerfahrung Schrift, Erinnerung und politische Identität
und unterschiedlichem fachlichem Hin- in frühen Hochkulturen. 4. Auflage 2002.
tergrund profitiert. München: Beck, 1992 (Beck’sche Reihe,
1307).
Für Rückmeldungen, Kritik, Anregungen
François, Etienne; Schulze, Hagen (Hrsg.):
und Kommentare, auch für Ideen zur Deutsche Erinnerungsorte. 3 Bände. Mün-
Erweiterung oder Adaption unseres Pro- chen: Beck, 2001.
jektes und unserer Materialsammlung Frevert, Ute: »Geschichtsvergessenheit und
sind wir dankbar (kschmidt@germani- Geschichtsversessenheit revisited. Der
stik.fu-berlin.de und sabinesc@zedat.fu- jüngste Erinnerungsboom in der Kritik«,
berlin.de). Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur
Wochenzeitschrift Das Parlament, B 40–
41 (2003), 6–13.
Literatur Halbwachs, Maurice: Das Gedächtnis und
»ABCD-Thesen«. Fremdsprache Deutsch 3 seine sozialen Bedingungen. Frankfurt
(1990) (auch: http://www.dachl.net). a. M.: Suhrkamp, 1985a. Französisches
Altmayer, Claus: Kultur als Hypertext. Zu Original 1925.
Theorie und Praxis der Kulturwissenschaft Halbwachs, Maurice: Das kollektive Gedächt-
im Fach Deutsch als Fremdsprache. Mün- nis. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1985b.
chen: iudicium, 2004. Französisches Original 1950.
427

Halbwachs, Maurice: Stätten der Verkündi- und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochen-
gung im Heiligen Land. Eine Studie zum zeitung Das Parlament, B 38 (2004), 23–
kollektiven Gedächtnis. Französisches Ori- 31.
ginal 1941. Konstanz: UVK, 2003 (édition Schmidt, Sabine; Schmidt, Karin: »Erinne-
discours, 21; Maurice Halbwachs in édi- rungsorte im DaF-Unterricht: Kulturwis-
tion discours Band 6). senschaftliche Ansätze und ihre An-
Koreik, Uwe: Deutschlandstudien und deut- wendbarkeit für den DaF-Unterricht«. In:
sche Geschichte. Die deutsche Geschichte im Hahn, Angelika; Kippel, Fiederike
Rahmen des Landeskundeunterrichts für (Hrsg.): Sprachen schaffen Chancen. Doku-
Deutsch als Fremdsprache. Baltmannswei- mentation zum 21. Kongress für Fremd-
ler: Schneider Verlag Hohengehren, 1995. sprachendidaktik der Deutschen Gesell-
Koreik, Uwe: »Große Töne, wenig Musik. schaft für Fremdsprachenforschung
Zur Rolle der Landeskunde im Fach (DGFF), München, Oktober 2005. Mün-
Deutsch als Fremdsprache«. In: Aguado, chen: Oldenbourg, 2006, 279–286.
Karin; Riemer, Claudia (Hrsg.): Wege und
Ziele. Zur Theorie, Empirie und Praxis des Schmidt, Sabine; Schmidt, Karin (Hrsg.):
Deutschen als Fremdsprache (und anderer Erinnerungsorte – Deutsche Geschichte im
Fremdsprachen). Festschrift für Gert Hen- DaF-Unterricht. Buch mit Kopiervorlagen
rici zum 60. Geburtstag. Baltmannswei- auf Dokumenten-CD-ROM und Audio-
ler: Schneider Verlag Hohengehren, 2001, CD. Berlin: Cornelsen (i. Vorb.).
39–49. Thimme, Christian: Geschichte in Lehrwerken
Müller, Horst: »Erinnerung(en), Geschichte, Deutsch als Fremdsprache und Französisch
Identität«, Aus Politik und Zeitgeschichte. als Fremdsprache für Erwachsene. Ein
Beilage zur Wochenzeitschrift Das Parla- deutsch-französischer Lehrbuchvergleich.
ment, B 21 (2001), 8–14. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Ho-
Nora, Pierre (Hrsg.): Les lieux de mémoire. 7 hengehren, 1996.
Bände. Paris: Gallimard, 1984–1992. Wierlacher, Alois; »Landeskunde als Lan-
Nora, Pierre (Hrsg.): Erinnerungsorte Frank- desstudien«. In: Wierlacher, Alois; Bo-
reichs. München: Beck, 2005. gner, Andrea (Hrsg.): Handbuch interkul-
Popp, Susanne: »Auf dem Weg zu einem turelle Germanistik. Stuttgart; Weimar:
europäischen Geschichtsbild«, Aus Politik Metzler, 2003, 504–513.
428

Mündliche Kommunikation als Schlüsselkompe-


tenz: Entwicklung eines Moduls für germanisti-
sche Studiengänge

Eva Neuland

1. Zur Einführung: Germanistik und strukturreformen entscheidend verän-


deutsche Sprache im Kontext globaler dern. In diesem Kontext spielen kommu-
Herausforderungen nikative Schlüsselkompetenzen insbe-
Der mündlichen Kommunikation wird sondere für die polyvalenten BA-Studi-
heute in Schule, Hochschule und zahlrei- engänge eine bedeutsame Rolle.
chen Berufsfeldern europaweit eine An dieser Stelle sollen einige grundle-
wachsende Bedeutung als Schlüsselkom- gende Überlegungen und Erfahrungen
petenz zugewiesen. Im Kontext aktueller aus einem deutschen sowie aus einem
Veränderungen der gesellschaftlichen deutsch-italienischen Studienreformpro-
Kommunikationspraxen, vor allem im jekt zur mündlichen Kommunikation als
Bereich institutioneller und berufsbezo- Schlüsselkompetenz vorgestellt werden,
gener Gespräche, nehmen Anzahl und das sich die Entwicklung und Erprobung
Ansprüche kommunikationsintensiver eines entsprechenden linguistisch und
Berufsprofile deutlich zu. In Wirtschaft didaktisch fundierten Moduls in germa-
und Dienstleistung, in der öffentlichen nistischen Studiengängen zum Ziel ge-
Verwaltung, aber auch in juristischen, setzt hat. Dieses Projekt fand in Zusam-
medizinischen und therapeutischen Be- menarbeit der Universitäten Wuppertal
reichen wird der Rede- und Gesprächs- und Roma III statt; Projektleiterinnen wa-
kompetenz ein immer größerer Stellen- ren Giuli Liebman-Parrinello und Eva
wert beigemessen. Das gleiche gilt aber Neuland (dazu Neuland/Liebmann-Par-
auch für Bereiche der privaten Kommu- rinello 2005). Wertvolle Hinweise für die
nikation zwischen Freunden und Fami- Entwicklung eines europäischen Moduls
lien, zwischen Generationen und Ge- verdanken wir Frau Prof. Dr. Madeline
schlechtern und nicht zuletzt zwischen Lütjeharms, VU Brüssel.
Angehörigen verschiedener Kulturen.
Daraus resultiert insgesamt ein steigen-
der Bedarf an wissenschaftlich fundier- 2. Mündliche Kommunikation als For-
ten Aus- und Weiterbildungsangeboten. schungs- und Lehrgebiet1
In den herkömmlichen Studiengängen
der Germanistik im In- und Ausland 2.1 Mündlicher Sprachgebrauch als Ge-
wird solchen Entwicklungen noch kaum genstandsfeld der Sprachforschung
Rechnung getragen. Dies kann sich durch Die linguistische Beschäftigung mit der
die aktuellen europaweiten Studien- Mündlichkeit weist noch keine allzu

1 Dazu ausführlicher Neuland 1996.

Info DaF 34, 4 (2007), 428–438


429

lange Forschungsgeschichte in der Ger- zweckbestimmter und daher häufig


manistik auf: gleichförmig ablaufender halb-öffentli-
cher oder privater Gespräche (z. B.
2.1.1 Forschungen zur gesprochenen Sprache Dienstleistungsgespräche und vor allem
Systematische Forschungen zur gesproche- Wegauskünfte).
nen Sprache wurden in Deutschland und
in der Schweiz erst seit den 60er Jahren 2.1.3 Linguistische Gesprächsforschung
unternommen, und zwar zunächst vor- heute: Empirische Grundlegung und Anwen-
wiegend im kontrastiven Vergleich mit dungsorientierung
grammatischen Strukturen der Schrift- Die heutigen Forschungen zum gespro-
sprache. Die strukturellen Besonderhei- chenen Deutsch haben ihr Gegenstands-
ten gesprochener Sprache traten dann feld weit über die überregionale und
mit den Erhebungen und Dokumentatio- übergruppale deutsche Standardsprache
nen umfangreicher Korpora gesproche- hinaus ausgeweitet; sie berücksichtigen
ner Sprache ins Blickfeld, wie sie vor Prozesse der Sprachproduktion und
allem mit den Freiburger Textbänden ge- Funktionen des Sprachgebrauchs, Ein-
sprochener deutscher Standardsprache flüsse sozialer und situativer Faktoren,
(1971 ff.) dokumentiert wurden. Ausgleichsprozesse von Mündlichkeit
und Schriftlichkeit im Kontext neuer Me-
2.1.2 Diskurs- und Gesprächsanalyse dien und Textsorten u. a. m. (vgl. dazu
Der Spezifik des Dialogischen in der ge- Schwitalla 2003). Einführungen zur lin-
sprochenen Sprache wandte sich die Dia- guistischen Gesprächsanalyse (z. B. Brin-
loglinguistik der 70er Jahre zu. Ihr Inter- ker/Sager 2006, Henne/Rehbock 2001)
esse galt vorwiegend der Beschreibung sowie die HSK-Bände zur Text- und Ge-
allgemeiner Ablaufmuster und der Klas- sprächslinguistik (2000/2001) dokumen-
sifikation von Textsorten gesprochener tieren nachdrücklich den Erkenntnisfort-
Sprache, z. B. in Form des Freiburger Re- schritt und die Bandbreite der Gegen-
dekonstellationskonzepts. Für Detailana- standsfelder der linguistischen Ge-
lysen von Dialogen griff die linguistische sprächsforschung seit den 90er Jahren.
Pragmatik häufig auf fundamentale Dabei erscheinen vor allem zwei Grund-
Sprechakttypen und Sprechaktsequen- züge bemerkenswert, und zwar die em-
zen zurück. pirische Grundlegung und die Anwen-
Erst die unterschiedlichen Ansätze der dungsorientierung.
Dialog- bzw. Diskursanalyse und der eth-
nomethodologischen Konversationsana- 1. Empirische Grundlegung
lyse, die sich seit den 80er Jahren unter Die verschiedenen Forschungsfelder der
dem Begriff der linguistischen Gesprächs- gesellschaftlichen Kommunikationspra-
forschung subsumieren lassen, erarbeite- xis im Berufs- und Alltagsleben sind be-
ten weitere Differenzierungen der Ge- reits ansatzweise empirisch erschlossen
sprächsführung in unterschiedlichen und in Form von Korpora authentischer
Kontexten. Sie konzentrierten sich u. a. Gespräche aus natürlichen Kommunika-
auf die sequenzielle Abfolge und spezifi- tionssituationen in den Bereichen des
sche Ausformung einzelner Gesprächs- Rechtswesens und der Verwaltung, des
schritte und auf die Beschreibung des Gesundheitswesens und des Dienstleis-
Phasenablaufs zumeist zweckbestimmter tungssektors, der Medien und der Bil-
öffentlicher Gespräche (z. B. Rundfunk- dungsinstitutionen dokumentiert. Diese
interviews, Parlamentsdebatten) sowie bilden eine empirische Basis für die De-
430

skription der Gesprächsverläufe und die munikation rückte seit den 70er Jahren die
Rekonstruktion kommunikativer Hand- Förderung der kommunikativen Kompetenz
lungsmuster einschließlich der Probleme und des kommunikativ angemessenen
von Verständigungsschwierigkeiten und Sprachgebrauchs in den Mittelpunkt des
Missverständnissen. Unterrichts Deutsch als Muttersprache
sowie Deutsch als Fremdsprache. Er-
2. Anwendungsorientierung kenntnisse der Kommunikationsfor-
Nach der Konsolidierung der Gesprächs- schung, der linguistischen Pragmatik
forschung als relativ junge linguistische und der Soziolinguistik wurden für die
Disziplin, deren Hauptgewicht zunächst Auswahl von Lerngegenständen und Be-
auf die Entwicklung von Beschreibungs- gründung von Lernzielen genutzt. In die
kategorien und Verfahrensweisen gelegt Lehrwerke fanden lebensnahe Ge-
wurde, wird heute im Rahmen der ange- sprächssituationen und der Wirklichkeit
wandten Gesprächsforschung als wichtiges nachempfundene alltagsrelevante Ge-
Ziel bezeichnet, die Analysen in verschie- sprächsbeispiele Einzug. Trotz der Kritik
denen Anwendungsfeldern zu konkreti- eines zu engen zweck- und alltagsorien-
sieren, Kommunikationsprobleme zu tierten Verständnisses von Kommunika-
identifizieren und zu ihrer Behebung und tion bleibt festzuhalten, dass seitdem im
somit zur Optimierung von Kommunika- muttersprachlichen Deutschunterricht
tionsprozessen beizutragen (vgl. dazu der mündliche Sprachgebrauch als vier-
zuletzt Becker-Mrotzek/Brünner 2004 ter wesentlicher Lernbereich etabliert
sowie Brünner/Fiehler/Kindt 1999). In- werden konnte. Für den Unterricht
dem z. T. eine Entwicklung von zielgrup- Deutsch als Fremdsprache gilt dies nach
pen- und bereichsspezifischen Bera- wie vor allerdings nur mit gewissen Ein-
tungsvorschlägen angestrebt wird, erge- schränkungen.
ben sich unmittelbare Berührungspunkte
zwischen Sprachforschung und Sprach- 2.2.2 Förderung von Sprechfertigkeiten im
didaktik. DaF-Unterricht
Für den Unterricht Deutsch als Fremdspra-
2.2 Mündlicher Sprachgebrauch als Ge- che wird im Rahmen des Fertigkeitenkon-
genstandsfeld der Sprachdidaktik zepts auch das Sprechen als eine Fertig-
Die systematische und wissenschaftlich keit beschrieben. Bei der Förderung der
fundierte Berücksichtigung der mündli- Sprechfertigkeiten geht es vor allem um die
chen Kommunikation hat aber auch in Einübung der Aussprache, wobei oft –
der Sprachdidaktik noch keine lange Ge- noch als Folge der audiolingualen Me-
schichte aufzuweisen. thoden der 60er und 70er Jahre – unver-
hältnismäßig großes Gewicht auf die Re-
2.2.1 Die Sprech- und Gesprächserziehung produktion der korrekten Aussprache-
Diese Erziehung war das vorherrschende normen im Unterricht gelegt wird (so
Konzept der muttersprachlichen Metho- auch im Handbuch Fremdsprachenunter-
dik und Didaktik der 50er bis 70er Jahre richt hrsg. von Bausch/Christ/Krumm
in Deutschland; sie folgte dem Lernziel 2003). Problematisch bleibt darüber hin-
des lautreinen und gestaltenden Spre- aus aber auch in stärker kommunikati-
chens und vertrat normativ-präskriptive ons-orientierten Ansätzen das in der Un-
Vorstellungen der »Pflege des gesproche- terrichtspraxis oft noch vorherrschende
nen Wortes« und des »richtigen« Spre- isolierte Einüben einzelner Fertigkeiten
chens. Die Didaktik der mündlichen Kom- sowie die Konzentration auf das Spre-
431

chen und die Aussprache gegenüber dem und interkultureller Verständigung im-
Zuhören und der sprachlichen Interak- plizieren kann.
tion (vgl. dazu kritisch auch Rösler 1994: Damit ergeben sich aber gerade auch aus
118). Erst die systematische Berücksichti- der Perspektive der fachlichen Entwick-
gung von Interaktionskompetenzen im lung viele Anknüpfungsmöglichkeiten
Europäischen Referenzrahmen und in für innovative Konzepte der linguisti-
Profile Deutsch (Glaboniat u.a. 2002) hat schen wie didaktischen Fundierung
hier entscheidende Akzente gesetzt, doch mündlicher Kommunikation.
bleibt die konkrete didaktische, methodi-
sche und auch mediale Umsetzung noch 3. Kommunikative Schlüsselkompeten-
ein Desiderat für die Zukunft. zen im Kontext der aktuellen Studienre-
formen
2.2.3 Förderung von Gesprächskultur heute: Während das Thema bislang aus der Per-
Kommunikatives Können und kommunikati- spektive der Fachentwicklung diskutiert
ves Wissen wurde, sei nun die Perspektive der Stu-
»Mündliche Kommunikation kann man dien- und der Ausbildungssituation und
heute als Stiefkind des Fremdsprachen- der fachlichen Qualifikationen aufgegrif-
unterrichts bezeichnen« (so Bolte 1996, fen, die den Absolventen unseres Faches
zitiert nach Schreiter 2001: 914), und noch vermittelt werden sollen. Im Kontext der
kürzlich wurde der geringe unterrichtli- aktuellen Studienreformen, die von der
che Stellenwert der gesprochenen Spra- Bologna-Erklärung und den europawei-
che bedauernd konstatiert (Günthner ten Umsetzungen der konsekutiven BA/
2000, Richter 2002). Diese immer noch MA-Ausbildung ausgelöst wurden, ist
aktuelle Entwicklung ist deshalb bemer- derzeit viel von Wissenschafts- und Be-
kenswert, weil die Relevanz mündlicher rufsfeldorientierung, v. a. in den polyva-
Kommunikationskompetenz, wie einlei- lenten BA-Studiengängen unseres Fa-
tend angeführt, immer höher einge- ches, die Rede. Im Unterschied zu man-
schätzt und als Qualifikationsziel zuneh- chen Germanistiken im nicht-deutsch-
mend von Deutschlernenden und -stu- sprachigen Ausland bedeutet dies für die
dierenden selbst eingefordert wird. Im Inlandsgermanistik eine erhebliche Um-
Bereich Deutsch als Muttersprache wird orientierung von einer Universitätsaus-
in den derzeitigen Lehrplänen und Richt- bildung, die allenfalls das traditionelle
linien von einer Förderung der Gesprächs- zentrale Berufsfeld des Deutschunter-
kultur gesprochen (vgl. dazu Neuland richts vor Augen hatte. Dies soll kurz am
2001). Im Unterschied zu verkürzten Beispiel eines deutschen Studienreform-
Konzepten einer kommunikativen Di- projekts skizziert werden.
daktik geht es hier nicht mehr allein um
das kommunikative Können und um das 3.1 Sprecherziehung in der traditionel-
effektive, wirkungsorientierte Kommuni- len Universitätsausbildung
zieren und Durchsetzen der eigenen In- Im Rahmen der herkömmlichen Lehr-
teressen. Vielmehr sollen kommunikati- amtsstudiengänge in Deutschland bis
ves Können und kommunikatives Wis- zum 1. Staatsexamen musste eine Pflicht-
sen, produktive und reflexiv-analytische veranstaltung Sprecherziehung im Um-
Kompetenzen so miteinander verbunden fang von 2 Semesterwochenstunden
werden, dass die Förderung von Ge- (SWS) absolviert werden. Diese Veran-
sprächskultur auch Aspekte von kom- staltungen wurden (und werden z. T.
munikativer Ethik, Höflichkeitsmaximen noch) zumeist von geprüften Sprecher-
432

ziehern in Form von Lehraufträgen aber transferierbaren und generalisier-


durchgeführt. Inhaltlich beschränken baren Schlüsselqualifikationen die Rede
sich solche Kurse weitgehend auf Sprech- (vgl. dazu ausführlicher Neuland
und Stimmbildungsübungen oder auch 1999). Philologische Kompetenz als ein
auf das gestaltende Sprechen, d. h. den Ziel des Germanistikstudiums kann
sprecherischen Vortrag von zumeist lite- mithin neben dem fachbezogenen Wis-
rarischen Texten. sen Darstellungs- und Deutungskom-
So bedeutsam diese Übungen auch sein petenz, Analyse- und Vermittlungs-
mögen, so wenig waren sie doch in das kompetenz umfassen, und zwar in his-
übrige Studienangebot integriert; sie bil- torischer, interkultureller und auch in-
deten daher eher eine Nische der prakti- termedialer Differenzierung.
schen Einübungen ohne Verbindung zu Solche Überlegungen bildeten wesentli-
wissenschaftlich einschlägiger Theorie che Voraussetzungen für das im Fach Ger-
und Empirie, z. B. den Seminaren zur manistik der Bergischen Universität Wup-
gesprochenen Sprache und Gesprächs- pertal 1999 initiierte Studienreformpro-
forschung oder auch zur Unterrichts- jekt: Mündliche Kommunikation, das vier
kommunikation. Jahre lang vom Land NRW als ein
»Leuchtturmprojekt« von exemplarischer
3.2 Kommunikationskompetenz im und überregionaler Bedeutung mit einer
Kontext von Wissenschafts- und Berufs- Anschubfinanzierung unterstützt wurde.
feldorientierung: das Wuppertaler Im Rahmen dieses Studienschwerpunkts
Leuchtturmprojekt wurde ein erweitertes Studienangebot
Die aktuellen Studienreformen eröffnen zum Lehrgebiet der mündlichen Kommu-
dagegen für unser Fach und für das hier nikation für Lehramtsstudierende, aber
thematisierte Gegenstandsfeld weitere auch Magisterstudierende entwickelt. Ein
Perspektiven: besonderes Kennzeichen dieses Projekts
– Die Erweiterung des Berufsspektrums war die Verbindung theoriebezogener Se-
der Germanistikabsolventen: Kommu- minarveranstaltungen mit sprachprakti-
nikationskompetenz wird nicht nur für schen Übungen, die vorwiegend von Ex-
das – zumal in der Inlandsgermanistik perten aus verschiedenen Berufsfeldern
– traditionelle Berufsfeld der Deutsch- (Schule, Journalismus, Unternehmensbe-
lehrer und des Deutschunterrichts als ratung) in Form von Lehraufträgen durch-
relevant angesehen; vielmehr wird geführt wurden. Den Studierenden wurde
kommunikative Kompetenz auch für nach gewissen Leistungsvoraussetzungen
andere »sprechende« Berufe in den Be- ein besonderes Zertifikat ausgestellt, das
reichen von Bildung und Kultur, Wirt- ihre vertieften Leistungen in diesem Be-
schaft und Verwaltung als wichtige reich bescheinigte. Wie wir von vielen
Qualifikation betrachtet. Absolventen erfahren haben, hat gerade
– Die Erweiterung des Lehrangebots im dieses Zertifikat bei ihren Bewerbungen
Germanistikstudium: Hochschulcurri- eine besondere Rolle gespielt und den
cula orientieren sich heute nicht mehr Eintritt in die Berufspraxis erleichtert.
ausschließlich an Katalogen von mehr Dieses Projekt wurde von den Studieren-
oder minder kanonisierten Bildungsin- den äußerst positiv evaluiert; die Kurse
halten mit dem Ziel einer auf fachliche fanden regen Zuspruch und waren gleich
Spezialisierung ausgerichteten Ausbil- nach ihrer Ankündigung ausgebucht.
dung; vielmehr ist heute verstärkt von Auch andere Fächer und andere Fachbe-
auf Fachkompetenzen beruhenden, reiche zeigten großes Interesse an diesem
433

Projekt, was dazu führte, dass das Projekt Hochschulen, wo die wenigen Übungen
in der zweiten Hälfte der Laufzeit als Teil zur Sprecherziehung bzw. zur Sprechfer-
des Wuppertaler Interdisziplinären Stu- tigkeit in der Regel zur Optimierung der
dienangebots (WISA-Projekt) mit Koope- mündlichen Kommunikationskompeten-
rationspartnern aus wirtschafts- und in- zen der Studierenden nicht ausreichen
genieurwissenschaftlichen Fachberei- und theoretische und praktische Lehrver-
chen weitergeführt wurde. Ein Teilpro- anstaltungen zumeist unverbunden ne-
jekt beschäftigte sich mit der Beurteilung beneinander her laufen. Für die germanis-
von Präsentationsformen wissenschaftli- tischen Studiengänge der beteiligten
cher Arbeitsergebnisse im akademischen Hochschulen stellt ein solches Modul eine
Bereich; ein weiteres Teilprojekt widmete bedeutsame Innovation dar, indem die
sich der Analyse und Optimierung von bisherigen Studienangebote insbesondere
Arbeitsbesprechungen in einem Wirt- um Veranstaltungen zur praktischen Ein-
schaftsunternehmen. übung fachbezogener kommunikativer
Fähigkeiten und zur theoretischen Refle-
4. Modul Mündliche Kommunikation xion von Kommunikationssituationen in
im Germanistikstudium künftigen Berufsfeldern der Absolventen
Die Erfahrungen aus dem Wuppertaler ergänzt und erweitert werden.
Studienreformprojekt haben auch Inter-
esse bei germanistischen Kooperations- 4.1 Ziele
partnern im europäischen Ausland ge- Insgesamt wurden mit dem Projekt fol-
funden, die im Rahmen der Neuordnung gende Zielperspektiven verfolgt:
der Studienstrukturen und der Modulari- – Das Modul Mündliche Kommunikation
sierung von Studiengängen auch die in- soll der Qualifizierung der Germanisti-
haltliche Studienreform weiterentwi- kabsolventInnen für deren spätere Be-
ckeln wollten. Daher sei nun von Erfah- rufstätigkeit in Institutionen der Wirt-
rungen des deutsch-italienischen Koope- schaft, Verwaltung, Vermittlung (insbe-
rationsprojekts zwischen der Universität sondere Schule) und Kultur dienen
Wuppertal und der Universität Rom III und damit ihre Chancen auf dem Ar-
berichtet, das von 2002 bis 2004 im Rah- beitsmarkt verbessern.
men des Vigoni-Programms des DAAD – Die Förderung der kommunikativen
unterstützt wurde. Fähigkeiten sowie der Fremdsprachen-
In diesem Projekt wurde in einer zweijäh- kompetenz allgemein soll bereits im
rigen Entwicklungsarbeit ein Modul Studium die Qualität der mündlichen
Mündliche Kommunikation auf sprachwis- Leistungen der Studierenden (z. B. For-
senschaftlicher und sprachdidaktischer mulierung von Diskussionsbeiträgen,
Grundlage geplant, durchgeführt und Präsentationen von Arbeitsergebnis-
evaluiert, das nun auch von anderen eu- sen, Gesprächsführung, Moderation)
ropäischen und vielleicht auch außereu- steigern.
ropäischen Universitäten mit regionaler – Die Förderung von Spracherwerb und
Spezifizierung in germanistischen BA- Fachsprachenkompetenz soll – in Abstim-
oder MA-Studiengängen übernommen mung mit den Standards im Gemeinsa-
werden kann. men europäischen Referenzrahmen für
Ausgangspunkt und Begründung für Sprachen und in Profile Deutsch – beson-
diese Neuentwicklung bilden gewisse dere Berücksichtigung (Stufen B2, C1),
Mängel an den bisherigen germanisti- und zwar in separater wie auch in
schen Studiengängen vieler europäischer integrativer Form finden.
434

– Das Modul soll hochschuldidaktische In- 6. Leistungsprüfungen zu den theoreti-


novationen und Qualitätssteigerungen schen und praktischen Veranstaltun-
in der Lehre durch eine stärkere Ge- gen (zum Teil auch in integrierter
wichtung praxisbezogener Fähigkeiten Form)
im Studium und neue Lehr- und Lern- 7. ggf. Ausstellung eines entsprechen-
formen durch die Integration theorie- den Zertifikats
und praxisbezogener Ausbildungsbe-
standteile (z. B. Kleingruppenarbeit, Die Erprobung des Grundmodells im
Videoeinsatz) ermöglichen. Rahmen des deutsch-italienischen Ko-
– Die Kooperation der beteiligten Leh- operationsprojekts an der Universität
renden soll eine die Fachkompetenz Roma III sah eine Gleichverteilung der
und die Lehrerfahrungen der einzel- Programmteile 1–4 im Umfang von je 4
nen überschreitende gemeinsame Lehr- Veranstaltungsstunden und zusätzlichen
planentwicklung bewirken, wobei die Vor- und Nachbereitungsaufgaben der
Entwicklungsarbeit Multiplikatorwir- Studierenden vor. Der fachspezifische
kung für germanistische Studien an Spracherwerb (5) erfolgte überwiegend
weiteren Hochschulen ausüben kann. vorbereitend, und zwar in Form der Lek-
türe von Vorbereitungstexten, die in den
4.2 Curriculare Strukturen Veranstaltungen wieder aufgegriffen
wurden.
4.2.1 Grundmodell Für die Leistungsprüfungen (6) zur Errei-
Die Modulstruktur des Lehrprogramms chung der benötigten Creditpunkte wur-
sieht folgendes Grundmodell vor, das den verschiedene Formen erprobt: Im
sich ohne weiteres regional- und stand- Rahmen der praktischen Übungen zu 3
ortspezifischen Gegebenheiten anpassen und zu 4 wurden Rollenspiele integriert,
lässt. Das gleiche gilt für die Berechnung wobei die produktiven Leistungen der
des Workloads und die Anzahl der zu Studierenden von den Lehrenden beur-
vergebenden Leistungspunkte: teilt wurden. Die erworbenen Kenntnisse
aus den theoretischen Veranstaltungen
1. Einführung in die linguistischen wurden hingegen in Form einer Klausur
Grundlagen der mündlichen Kom- mit einem gewissen zeitlichen Abstand
munikation (Vorlesung oder Seminar zwecks weiterer Prüfungsvorbereitung
mit Beispielanalysen) durchgeführt. Beide Prüfungsteile sind
2. theoretische Vertiefung in exemplari- nötig, um sowohl das erworbene kom-
schen Gegenstandsfeldern der Ge- munikative Wissen in schriftlicher Form
sprächsforschung (Vorlesung oder Se- als auch das erworbene kommunikative
minar mit Beispielanalysen) Können in mündlicher Form zu überprü-
3./4. praktische Übungen in verschiede- fen.
nen Anwendungsfeldern und Er-
scheinungsweisen mündlicher Kom- 4.2.2 Varianten des Modells
munikation Die vorgestellte Modulstruktur weist ei-
3. Gespräche im Alltag nerseits eine klare curriculare Gliederung
4. Gespräche im Beruf und Progression auf; andererseits können
5. fachspezifischer Spracherwerb für aber Flexibilität und Polyvalenz als gene-
DaF einschließlich des autonomen relle Vorzüge der hier vorgestellten Mo-
Lernens (integrativ sowie vor- und dellentwicklung geltend gemacht wer-
nachbereitend) den: Durch die modularisierte Form er-
435

weist sich ein solches Lehrangebot als sprächsforschung können v. a. folgende


hinreichend flexibel für die Anpassung Aspekte herausgegriffen und an Bei-
an unterschiedliche curriculare Rahmen- spielen vorgestellt werden: Merkmale
bedingungen: und Definitionen von Gespräch, Ge-
– Für ein germanistisch-linguistisches sprächsrollen und Gesprächsregeln, Ge-
Fachstudium kann z. B. für die zwei- sprächseinheiten, Gesprächsphasen so-
jährige Masterphase die theoretische wie Typen von Gesprächen. Als Litera-
Vertiefung (Teil 2) mit verschiedenen turgrundlage dazu können Auszüge aus
Akzenten ausgebaut werden. Neben gängigen Einführungen in die linguisti-
der theoretischen wissenschaftlichen sche Gesprächsanalyse (z. B. Henne/
Vertiefung kann ein Modul mündliche Rehbock 2001; Brinker/Sager 2006;
Kommunikation in der Masterphase HSK-Bände zur Text- und Gesprächslin-
aber auch Gelegenheit zur Entwick- guistik 2001) dienen.
lung der empirischen Forschungskom- Für die theoretische Vertiefung können
petenz der Studierenden bieten. So verschiedene inhaltliche Schwerpunkte
können fortgeschrittene Studierende gewählt werden: So könnten unter-
angeleitet werden, eigene Erhebungen schiedliche Kommunikationstheorien
und Analysen zur mündlichen Kom- (z. B. aus Psychologie oder aus Universal-
munikation im Alltag oder im Beruf pragmatik) vorgestellt werden oder un-
zu erproben und die Ergebnisse in terschiedliche Konzepte kommunikati-
einer kleinen Forschungsarbeit zu prä- ver Ethik bzw. Formulierungen von Kon-
sentieren. versationsmaximen. Erprobt haben wir
– Für eine eher begleitende Sprachausbil- weiterhin die Vorstellung von Höflich-
dung (für Juristen, Wirtschaftswissen- keitstheorien, die für die interkulturelle
schaftler, für Journalisten oder Touris- Kommunikation von besonderer Bedeu-
musfachleute) hingegen kann eine ent- tung sind, sowie theoretische Zugänge
sprechende Schwerpunktbildung, vor zur interkulturellen Kommunikation
allem in den praktischen Übungen (z. B. kontrastiv-pragmatische oder inter-
(Teile 3, 4), in der Binnendifferenzie- aktionale Konzepte).
rung des Moduls vorgenommen wer-
den. So können bestimmte Textsorten 4.3.1 Berufsfeldbezogene Kommunikation
und Handlungsmuster (z. B. Bera-
tungsgespräche, Verkaufsverhandlun- Inhaltliche Schwerpunktsetzungen kön-
gen, Interviews, Reklamationsgesprä- nen insbesondere in den praktischen An-
che) eingeübt werden. wendungsfeldern vorgenommen wer-
den. Im Zentrum stehen dabei die zweck-
4.3 Inhaltliche Schwerpunkte orientierten Formen der beruflichen Kom-
Im Folgenden seien einige mögliche in- munikation:
haltliche Schwerpunkte des Programms – Beratungs-, Informations- und Ver-
vorgestellt: kaufsgespräche im Bereich von Handel
Für die erste Modulphase der Einfüh- und Wirtschaft, z. B. Messegespräche,
rung in die linguistischen Grundlagen Tourismus, Verkehr;
der mündlichen Kommunikation ist – Lehr-Lern-Dialoge und Unterrichtsge-
eine Einführung in die Grundbegriffe spräche in der Hochschule, z. B. kon-
von Kommunikation, Mündlichkeit und trastive Formen von Kurzvorträgen
Schriftlichkeit sowie Rede und Gespräch und Referaten, Vorstellung von Ar-
vorgesehen. Aus der linguistischen Ge- beitsergebnissen;
436

– Formen der Präsentation und Modera- 4.3.3 Soziolinguistische Schwerpunkte


tion oder Interviews im Bereich inter- Zum Abschluss sei nur noch kurz darauf
kultureller Vermittlung, z. B. Ausstel- verwiesen, dass in Varianten der Grund-
lungseröffnung, Diskussionsleitung. struktur auch soziolinguistische Schwer-
punktsetzungen vorgenommen werden
4.3.2 Private Alltagskommunikation können, und zwar v. a.:
Mit dem Einbezug von nicht unmittelbar – Geschlechtstypische Kommunikation;
zweckgerichteten Formen privater All- – Generationstypische Kommunikation;
tagskommunikation soll schon in der – Interkulturelle Kommunikation.
Grundstruktur des Moduls einer Verkür-
zung der Anwendungsperspektive vor-
5. Ausblick
gebeugt und einer realitätsgerechten Mi-
schung der unterschiedlichen Gesprächs- Abschließend sei festgehalten, dass wir
typen in der Dynamik von Gesprächsver- uns von den vorgestellten Überlegungen
läufen Rechnung getragen werden. Zur für die Germanistik und die deutsche
Förderung von Kommunikationskompe- Sprache innovative Impulse für die Stu-
tenz in privaten Kontexten gehört z. B. dien- und Curriculumreform erhoffen.
Dies betrifft insbesondere die folgenden
auch, sich auf noch unbekannte Ge-
Aspekte:
sprächspartner einzustellen, geeignete
Gesprächsthemen auszuwählen und das – Bedeutung des Gegenstandsfelds
Gespräch durch eigene Initiativen aktiv Mündliche Kommunikation für germa-
zu unterstützen. Dabei ist z. B. an Ge- nistische Studiengänge im Hinblick
sprächssituationen wie Erstbegegnungen auf die Vermittlung gesprächslinguis-
oder private Einladungen zu denken. Da- tischen Fachwissens und im Hinblick
bei können Textsorten und Handlungs- auf die Entwicklung von Gesprächs-
muster wie z. B. Situationsschilderungen kompetenzen;
und anekdotisches Erzählen eingeübt – Verbindung von Wissenschafts- und
werden. Berufsfeldorientierung durch die Be-
Andererseits zeigt sich aber auch, dass rücksichtigung der kommunikativen
Handlungsmuster, die zwar überwie- Anforderungen möglicher späterer Be-
gend dem Bereich des privaten Alltags- rufsfelder der Germanistikabsolven-
gesprächs zugerechnet werden, zuneh- tInnen;
mend auch in berufsbezogener Ge- – Vernetzung von sprachwissenschaftli-
sprächsführung bedeutsam und sogar zu chen und sprachunterrichtlichen Be-
den »soft skills« gerechnet werden, insbe- standteilen des Curriculums und da-
sondere das Erzählen. Voll ausgebaute mit eine Verbindung von theoretischen
sowie fraktionierte narrative Muster las- Kenntnissen und praktischen Übungen
sen sich nicht nur in Beratungs-, sondern im Germanistikstudium;
sogar auch in Reklamationsgesprächen in – Integration des Spracherwerbs im
beruflichen Kontexten wiederfinden. In- Rahmen des fachlichen Gegenstands-
sofern kann das Modul auch Gelegenheit felds;
bieten, unterschiedliche Erscheinungs- – Entwicklung geeigneter Material-
formen von mündlicher Kommunikation sammlungen und medialer Präsentati-
im Alltag und in beruflichen Kontexten onsformen möglichst authentischer
in ihren je spezifischen Ausprägungsfor- bzw. wirklichkeitsnaher didaktisch
men zu vergleichen. aufbereiteter Texte.
437

Literatur rung für Deutsch als Fremdsprache?«,


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439

Über die Autoren/Abstracts

Martina Nied Curcio Markus Raith


Studium der Germanistik/DaF und Ro- Dr. phil.; Studium der Germanistik und
manistik in Karlsruhe und Konstanz (Dr. Romanistik in Stuttgart, Montpellier und
phil. in Italienischer Sprachwissen- Bordeaux; Referendariat; derzeit DAAD-
schaft). Nach DAAD-Lektorat und diver- Lektor für deutsche Sprache, Literatur
sen Lehraufträgen seit 2005 Professorin und Landeskunde an der Universität
an der Universität Roma Tre. E-Mail: Poitiers/Frankreich. Arbeitsgebiete: Me-
nied@uniroma3.it diendidaktik, kulturwissenschaftliche
Landeskunde im DaF-Unterricht (insbe-
Daniel Jaeger sondere Fremd- und Selbstbilder, Kultur-
Studium der Germanistik und Philoso- transfer), deutsche Literatur des 19. und
phie sowie DaF in Berlin und Ithaca, NY 20. Jahrhunderts im europäischen Kon-
(M. A.). DAAD-Lektor in Neapel und text und ihre Didaktik.
Rom (Universität ›La Sapienza‹). Seit
2006 wieder in Berlin. E-Mail: jae- Wanna Saengaramruang
ger.dan@web.de Assoc. Prof. Dr. phil.; Studium der Fächer
Deutsch, Geschichte und Bibliothekswis-
senschaft an der Chulalongkorn Univer-
Almut Meyer sität. 1979 Lehrstuhl für Deutsch bzw.
Lic. phil.; Studium der Germanistik so- Germanistik an der Deutschen Abteilung
wie Musik und Musikwissenschaft in der Chulalongkorn Universität, Bang-
Deutschland und Finnland; 1994–2000 kok. 1992 Promotion bei Gerhard Neuner
Forschungsstipendien und Lehraufträ- an der Universität Kassel, Fachgebiet
ge an den Universitäten Jyväskylä und Deutsch als Fremdsprache. Seit 2000 Lei-
Turku; 2000 Lizenziatenarbeit zum The- terin der Deutschen Abteilung der Chu-
ma Musikkulturen im DaF-Unterricht. lalongkorn Universität und seit 2007 Prä-
Seit 2002 Lektorin für Deutsch (Fach- sidentin des Thailändischen Deutschleh-
sprache Recht) an der Rechtswissen- rerverbandes. Forschungsgebiete:
schaftlichen Fakultät der Universität Deutsch als Tertiärsprache nach Englisch
Turku/Finnland. Arbeitsschwerpunkte: in Thailand, Lernergrammatik/Deutsch-
Fachsprache Recht und Curriculument- lehrwerk für thailändische Deutschler-
wicklung. nende; Thai-Deutsche Wörterbücher,
Übersetzungswissenschaft der Sprachen-
Eva Neuland paare Deutsch/Thai.
Professorin für Germanistik, Didaktik
der deutschen Sprache und Literatur an Lisa Schlanstein
der Bergischen Universität Wuppertal. Studium der Germanistik und Geschich-
Arbeitsschwerpunkte: Deutsche Gegen- te in Freiburg (M. A.). Seit 1988 Lektorin
wartssprache, Soziolinguistik, Prag- an der Universität ›La Sapienza‹ in Rom
malinguistik, Gesprächsforschung, Ju- (Facoltà di Scienze Umanistiche). Seit
gendsprachforschung, Sprachdidaktik, 1990 Mitarbeiterin am Goethe-Institut
Deutsch als Fremdsprache. Rom. E-Mail: lschlanstein@libero.it
440

Karin Schmidt Sprachenzentrum der FU Berlin, Be-


DAAD-Lektorin Usbekistan 1995–2001; reich DaF; seit 2004/05 Koordinatorin
seit 2001 Wiss. Mitarbeiterin am Studien- der AG »Erinnerungsorte im DaF-Un-
gebiet Deutsch als Fremdsprache der FU terricht«.
Berlin; seit 2004/05 Koordinatorin der
AG »Erinnerungsorte im DaF-Unter- Jianpei Yang
richt«. Weitere Arbeitsschwerpunkte: M. A., geb. 1975; 1994–1998 Studium der
Grammatikvermittlung; Schreibentwick- Germanistik an der Fremdsprachenhoch-
lung; Lernerkorpus »Falko« (http:// schule Sichuan; 1998–1999 Dolmetscher
www2.huberlin.de/korpling/projekte/ und Übersetzer bei der deutschen Firma
falko/). Happy Arts & Crafts (Ningbo) Co. Ltd.;
1999–2002 Magisterstudium an der
Sabine Schmidt Fremdsprachenhochschule Xi’an; seit
Dr. phil.; DAAD-Lektorin Polen 1991– 2002 DaF-Dozent am Deutsch-Kolleg der
1995; 1998–2001 Freie Mitarbeiterin am Tongji-Universität; seit 2004 Promotion
Deutschen Kulturinstitut/Goethe-Insti- im Fach Deutsch als Fremdsprache an der
tut Tallinn; seit 2002 Mitarbeiterin am TU Berlin.
Info DaF 34, 4 (2007), 341–372 Info DaF 34, 4 (2007), 390–402

Wanna Saengaramruang: Deutschunterricht und Germanistikstu- Daniel Jaeger, Martina Nied Curcio, Lisa Schlanstein: Handlungsori-
dium in Thailand: früher, heute und morgen entierter Deutschunterricht im dreijährigen Curriculum an italie-
nischen Hochschulen
Seit mehr als 80 Jahren wird Deutsch in Thailand gelehrt, aber seine Abstracts
Entwicklung ist bis heute noch nicht systematisch und kontinuier- 2004 gründete sich eine vom DAAD unterstützte Arbeitsgruppe
lich untersucht und dokumentiert worden. Daher hat diese Arbeit mit dem Anliegen, den GER und das in Italien ausgearbeitete
als erstes das Ziel, einen Überblick über die Entwicklung des Curriculum für Germanistik (»Römisches Modell«) auf seine An-
Deutschen als Fremdsprache in Thailand sowohl an der Schule als wendbarkeit zu überprüfen und Beispiele der Umsetzung aufzu-
auch an der Universität von den Anfängen bis in die Gegenwart zu zeigen. Im vorliegenden Artikel werden Möglichkeiten eines kom-
geben. Das zweite Ziel dieser Arbeit ist der Hinweis auf die und munikativ orientierten Sprachunterrichts in der Grundstufe sowie
eine Diskussion der in der nahen Zukunft zu überwindenden Projektunterricht für fortgeschrittene Studierende vorgestellt und
Hauptprobleme des Deutschen als Fremdsprache in Thailand. eine kontinuierliche Verbindung von Sprachunterricht und Lingu-
istik für das 3-jährige Curriculum diskutiert. Weitere Themen sind
die Auswirkungen des GER auf die universitäre Prüfungspraxis in
Italien, der mögliche Einsatz eines Portfolios sowie die kulturellen
Unterschiede bei den kommunikativen Kompetenzen in der L1.

Info DaF 34, 4 (2007), 373–389 Info DaF 34, 4 (2007), 403–408

Jianpei Yang: Entwicklungsmerkmale der Fachsprachenvermitt- Markus Raith: »In der Ferne daheim«. Didaktische Überlegungen
lung im chinesischen Deutschunterricht am Beispiel der Tongji- zum Verhältnis von Sprache, Musik und Identität
Universität
Im Zentrum der Überlegungen steht die Arbeit mit Liedern im
Durch eine exemplarische Untersuchung der Fachsprachenvermitt- landeskundlichen Bereich. Am Beispiel einiger Chansons des Mu-
lung an der Tongji-Universität, die eine lange Geschichte in diesem sikers Tommy Mammel wird gezeigt, wie Lieder in ihrem Zusam-
Bereich hat, werden drei Merkmale der Fachsprachenvermittlung im menspiel von Text, Musik und Inszenierung für die Vermittlung
chinesischen DaF-Unterricht ermittelt: 1. die Fachsprachenvermitt- komplexer landeskundlicher Themen verwendet werden können.
lung in China entwickelt sich sprunghaft; 2. die Vermittlungsmetho- Im Spannungsfeld von verbalen und non-verbalen Elementen
de tendiert von einer analytischen hin zur kontrastiven Perspektive; treten kulturelle Deutungsmuster zutage, die es im DaF-Unterricht
3. die Inhaltsschwerpunkte verschieben sich von der Lexik- und Syn- didaktisch fruchtbar zu machen gilt. Im Falle der vorgestellten
tax- zur Textebene. 398 Bachelorarbeiten und 116 Magisterarbeiten Lieder Der Flaneur, In der Ferne daheim und Das Leben der Bohême
bildeten die Grundlage der Untersuchung. Anschließend werden geht es dabei vor allem um französisch-deutschen »Ideentransfer«
notwendige Konsequenzen zur Verbesserung der Fachsprachenver- vom 19. Jahrhundert bis zur Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, der
mittlung in China diskutiert und zum Nachdenken über die Konzep- um Identitätskonstruktionen und das kulturelle Schlüsselwort
tionierung des Fachsprachenunterrichts angeregt. »Heimat« kreist.
441
Info DaF 34, 4 (2007), 409–417 Info DaF 34, 4 (2007), 428–438

Almut Meyer: Fachfremdsprachenangebot zur deutschen Rechts- Eva Neuland: Mündliche Kommunikation als Schlüsselkompe- 442
sprache an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität tenz: Entwicklung eines Moduls für germanistische Studiengän-
Turku ge

An der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Univ. Turku gehört das Der mündlichen Kommunikation wird in zahlreichen Berufsfel-
Fach Deutsch zum festen Bestandteil des Lehrangebots. Die Rechts- dern europaweit eine wachsende Bedeutung als Schlüsselkompe-
sprache hat aufgrund ihrer Verankerung in der Institution Recht so- tenz zugewiesen. In den herkömmlichen Studiengängen der Ger-
wie der konstitutiven Funktion von Rechtstexten eine Sonderrolle. manistik im In- und Ausland wird solchen Entwicklungen noch
Die Arbeit mit Rechtstexten ist zentraler Bestandteil juristischer Tä- kaum Rechnung getragen. Im Kontext der aktuellen europaweiten
tigkeit, weshalb die Auswahl zielgruppenspezifischer Textsorten von Studienstrukturreformen und insbesondere für die BA-Studien-
wesentlicher Bedeutung ist. Im Beitrag werden äußere Bedingungen gänge der Germanistik spielen kommunikative Schlüsselkompe-
eines teilnehmerorientierten und fachspezifischen Unterrichts sowie tenzen allerdings eine bedeutsame Rolle. Auf der Grundlage von
Didaktisierungsmöglichkeiten am Beispiel des Unterrichtsangebots Erfahrungen aus einem Studienreformprojekt an der BU Wupper-
der Turkuer Fakultät dargestellt. Entwicklungsperspektiven für den tal sowie eines deutsch-italienischen Studienreformprojekts in Zu-
Fachfremdsprachenunterricht ergeben sich aus der interdisziplinä- sammenarbeit der Universitäten Wuppertal und Roma III wird die
ren Zusammenarbeit und integrierten Fachsprachenkursen. Entwicklung eines Moduls Mündliche Kommunikation für germanis-

Info DaF 34, 4 (2007), 418–427 tische Studiengänge vorgestellt. Dabei werden ein Grundmodell
und Varianten mit verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkten un-
Sabine Schmidt und Karin Schmidt: Erinnerungsorte – Deutsche terschieden, die flexibel an regionalspezifische Bedürfnislagen
Geschichte im DaF-Unterricht angepasst werden können.

Der Beitrag stellt ein Projekt ehemaliger LektorInnen vor, in dem


eine Materialsammlung zur Geschichtsvermittlung im DaF-Unter-
richt erstellt wird. Theoretischer Ausgangspunkt ist das Konzept
der »Erinnerungsorte« (Nora, François/Schulze, Assmann), das im
Rahmen des Projektes nicht für historiographische oder For-
schungszwecke, sondern für die fremdsprachige Kulturvermitt-
lung nutzbar gemacht wird. Nach einem kurzen Abriss zur Stel-
lung der Geschichte innerhalb der Landeskunde werden die theo-
retischen Grundlagen der »Erinnerungsorte« skizziert und die
Vorteile eines solchen Ansatzes für die Vermittlung herausgestellt.
Abschließend wird die Struktur unserer Materialsammlung darge-
legt; die einzelnen Erinnerungsorte werden vorgestellt und die
Kriterien für unsere Ortsauswahl begründet.

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