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Kultur Dokumente
vom Deutschen
Akademischen
Austauschdienst
in Zusammenarbeit
mit dem
Fachverband
Deutsch als Fremdsprache
Inhalt
Artikel Wanna Saengaramruang
Deutschunterricht und Germanistikstudium in Thailand: früher,
heute und morgen 341
(Fortsetzung umseitig)
340
Abstracts 441
341
Wanna Saengaramruang1
1 Mein herzlicher Dank geht an Björn Laser, DAAD-Lektor an der Deutschen Abtei-
lung, für seine fruchtbaren Vorschläge. Diese Forschungsarbeit wurde vom »Faculty
Research Fund« der Philosophischen Fakultät, Chulalongkorn Universität finanziell
unterstützt.
2 Aus: »Bericht über Selbstevaluation des Department of Western Languages, Faculty of
Arts, Juli 2000«. Die englische Bezeichnung der Fakultät war ›Faculty of Arts and
Science‹. Angeboten wurden Studiengänge in Sprachen, Literatur und Naturwissen-
schaften; aus ihr ist die heutige Philosophische Fakultät der Chulalongkorn Universität
(Faculty of Arts) hervorgegangen.
1 Phra Montri Pochanakit studierte vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland Chemie und
Pharmazie und war dann Dozent an der Chulalongkorn Universität.
2 Zur Unterstützung der Wiedereinrichtung des Studiengangs durch thailändische und
deutsche Institutionen vgl. a. Festschrift 1967 und das 1. Thailändisches Germanisten-
treffen 2002.
3 Z. B. die Übersetzung von Goethes Faust, die Übersetzung der Werke von Böll und
Nöstlinger oder die Übersetzung des Reisetagebuches des Königs Chulalongkorn.
343
1 Vgl. TDLV-Forum 2/1997: 86; vgl. »Versuch einer Bilanz« in TDLV-Forum 6 (2001): 109–
115 und TDLV-Forum 8 (2003): 1–11. Zwischen 1990 und 1997 hat Clemens Terörde 108
Stipendien an thailändische Deutschlehrer vergeben, 18 an vietnamesische Deutschleh-
rer und neun an laotische Deutschlehrer. Die meisten Stipendien waren zur Fort-/
Weiterbildung in Deutschland, nur zwei waren zur Deutschlehrerfortbildung in Indone-
sien. Er ist sehr geschätzt unter den Deutschlehrern in Thailand und bekannt als Kenner
der asiatischen und europäischen Kulturen mit seiner mehr als 30-jährigen Erfahrung in
Asien (1967–1998), z. B. Bangladesch, Indonesien, Indien und in den letzten acht Jahren
vor seiner Pensionierung in Thailand.
2 Diese Einrichtung wurde abgeschafft, nachdem das Ministerium für universitäre
Angelegenheiten mit dem Erziehungsministerium verschmolzen wurde. Seit der Bil-
dungsreform der Regierung und der Umstrukurierung des Erziehungsministeriums
wurden Schulen in verschiedenen Ausbildungszonen neu gegliedert und als Folge
davon existierte seitdem keine Behörde mehr, die fürs Deutschlernen in Bangkok und
anderen Regionen zuständig ist.
3 Übersetzt von Dozenten der Deutschen Abteilung der Chulalongkorn Universität.
345
1 M4, M5, M6 sind die letzten drei Jahrgänge der Oberschulstufe vor dem Studium an der
Universität in Thailand. M = thail. Mathayomsuksa.
2 In den 80er Jahren spielten insbesondere die Fragen der Regionalisierung von
Lehrwerken und der Erstellung von regionalspezifischen Lehrwerken vor allem für
europaferne Länder eine zentrale Rolle in der fremdsprachendidaktischen Diskussion
über Deutschlehrwerke. Ein wesentlicher Aspekt des Regionallehrwerks besteht
darin, Bildungsziele und -inhalte, Methoden und Lehr-/Lernformen nicht mehr aus
der Bundesrepublik Deutschland zu importieren, sondern im Sprachunterricht auf
die spezifischen Bedürfnisse und Erfahrungen in der Region Bezug zu nehmen, aus
der Erfahrung, dass das sogenannte universelle oder universale Lehrwerk den
Bedürfnissen der Deutschlerner in verschiedenen Regionen aufgrund der unter-
schiedlichen sozialen und kulturellen Kontexte nicht entsprechen kann. Das Goethe-
Institut hat auf diesem Gebiet sehr produktive Arbeit geleistet und hat verschiedene
Regionallehrwerke finanziell und mit fachlicher Beratung unterstützt, z. B. Lernen Sie
Deutsch, ein Lehrwerk für koreanische Oberschulen, 2 Bände, mit Begleitbuch und
Tonmaterial 1980; Kontakte Deutsch, ein Lehrwerk für Oberschulen in Indonesien, 2
Bände, mit Arbeitsbüchern und Lehrerhandbüchern, 1982 und 1983.
347
1 Das thailändische Schulsystem hatte vor und hat auch nach der Reform zwölf Schuljahre
nur mit unterschiedlicher Einteilung. Das alte System hatte eine siebenjährige Grund-
schule (Pratom 1–7), eine dreijährige Sekundarstufe I (Mathayomsuksa 1–3 oder M1–3)
und eine zweijährige Sekundarstufe II (M4–5). Das neue System hat eine sechsjährige
Grundschule und eine je dreijährige Sekundarstufe I und II.
2 Boonchim hat in ihrer Studie 53 Deutschlehrer und 32 Oberschulen im Jahre 1999
angegeben, d. h. die Zahl der Deutschlehrer im Jahre 1999 ist gestiegen. Das ist nach
Boonchim auf die Zahl der geschulten Deutschlehrer zurückzuführen (20 von diesen 53
waren Lehrer im Umschulungsprogramm des Goethe-Instituts). In ihrer Studie wurde
die Zahl der Deutschlernenden nicht berücksichtigt.
3 35 von 41 Oberschulen standen unter der Aufsicht des »Department of General
Education«, zwei vom Ministerium für universitäre Angelegenheiten und drei von der
Behörde für private Schulen (vgl. Taarloha 2002: 200–201).
4 Herzlichen Dank an Frau Prisna Taatloha vom Goethe-Institut für die Informationen für
2004, 2005 und 2006.
348
1 Möglicherweise spielt die Entwicklung des Tourismus eine Rolle. Die Hochschulmarke-
ting-Politik des DAAD-Informationszentrums in Bangkok hat bislang ebenfalls dazu
beigetragen, dass viele thailändische Studierende ihr Studium in Deutschland fortsetzen
wollten, da das Studium in Deutschland bis 2006 gebührenfrei war.
2 Diese Studie wurde wie die meisten, die den noch folgenden Ausführungen zugrunde
liegen, im Rahmen des Magisterprogramms an der Chulalongkorn Universität durchge-
führt.
3 Von diesen 45 Deutschlehrern hatte einer einen M. A.-Abschluss, 28 einen B. A.-
Abschluss in Deutsch, 13 waren von anderen Fächern umgeschult, zwei davon hatten
eine Lehrerausbildung in Deutschland und einer hatte die ZMP (Zentrale Mittelstufen-
prüfung) als Qualifikation.
4 Z. B. haben nicht alle Englischlehrer in Thailand die Gelegenheit zur Ausbildung oder
Fortbildung in einem englischsprachigen Land. Auslandsaufenthalte haben großen
Einfluss auf Fremdsprachenlehrer insofern, als sie direkten Kontakt mit Sprache und
Kultur haben und dadurch Selbstsicherheit bekommen.
349
Der Mangel an Deutschlehrern führte in Zwei Gründe aus der Sicht der Deutsch-
den letzten Jahren zur Schließung des lerner:
Deutschprogramms an vielen Oberschu- 1. Globalisierung und wirtschaftliche Ent-
len, auch an renommierten, an denen wicklung in Asien
Deutsch über viele Jahre angeboten In Thailand wird Englisch als erste und
wurde, wie z. B. Sai Panya, Satri Maha- Französisch und Deutsch als zweite
pruttaram, Wat Makutkasatriyaram, San- Fremdsprache an Oberschulen und an
tirath und Prakanong Pittayalai.1 Gleich- einigen Berufsschulen gelernt. Wegen der
zeitig wurde Deutsch aber an einigen Globalisierung lernen Thailänder aktiv
staatlichen Oberschulen neu angeboten, noch andere Fremdsprachen außer Eng-
so dass die Zahl der Schulen mit Deutsch, lisch, um mindestens zwei Fremdspra-
wie gezeigt, zwischen 1991 und 2001 chen gleich gut zu beherrschen. Fernseh-
stark angestiegen und seither relativ sta- und Radioprogramme, Presse, Nachrich-
bil geblieben ist. Von 2001 auf 2004 gab es tensendungen und Filme mit Untertiteln
allerdings wieder einen Rückgang, für in Englisch oder Chinesisch tragen dazu
den folgende Ursachen angenommen bei, dass Thailänder sich im Alltag an
werden können: Fremdsprachen gewöhnt haben. Durch
Zwei Gründe aus der Sicht der Deutsch- die Globalisierung und die Wirtschafts-
lehrer: entwicklung des asiatischen Raumes
steigt das Interesse nicht nur an Englisch,
1. Pensionierung einiger Deutschlehrer sondern auch an Chinesisch und Japa-
In vielen Schulen wird nach einer Pensio- nisch. Wir können sagen, dass die meis-
nierung nicht neu besetzt, auch wenn der ten Thailänder mehr Interesse an diesen
Bedarf für Deutschunterricht besteht, da asiatischen Sprachen haben als an euro-
die Stellenbesetzung von der Schullei- päischen Sprachen, wie es früher der Fall
tung abhängt. Im Falle einer neuen Beset- war. Aus diesem Grund wird in Ober-
zung heißt es nicht immer, dass ein schulen Chinesisch und Japanisch zuneh-
Deutschlehrer in Frage kommt. mend neben oder an Stelle von Franzö-
2. Image des Lehrberufs sisch und Deutsch angeboten. Japanisch
Der Lehrberuf als solcher ist in Thailand gehört heute neben Französisch und
für Absolventen nicht attraktiv. Es ist ein Deutsch auch zu einer der Wahlsprachen
Beruf mit geringer Bezahlung, aber hoher bei der Aufnahmeprüfung zum Studium
Belastung. Pro Woche hat ein Schullehrer an der Universität.
zwischen 18 und 24 Unterrichtsstunden. 2. Geringe Berufschancen mit Deutsch
Hinzu kommen administrative Tätigkei- Man nahm an, dass mit zunehmenden
ten. Die Klassengröße von 40–60 Schü- Investitionen deutschsprachiger Unter-
lern verhindert oft den gewünschten nehmen in Thailand sich die Arbeitsaus-
Lernerfolg. Die ohnehin schon geringe sichten für Deutschstudenten bzw.
Zahl der Deutschabsolventen bevorzugt Deutschlernende automatisch verbessern
daher eher eine Arbeit in deutschen Fir- würden. Leider war das nicht der Fall, da
men oder deutschsprachigen Institutio- in den meisten deutschen Firmen in Thai-
nen wie Stiftungen und Botschaften, die land hauptsächlich auf Englisch kommu-
bessere Aussichten bieten. niziert wird und die Sprachkompetenz
1 Die meisten Deutschlehrer sind Beamte. Nach der Pensionierung wird eine Stelle nicht
immer für dasselbe Fach neu besetzt.
350
1 Aufgrund der besseren Berufsaussichten mit anderen Fremdsprachen hören die meisten
Studienanfänger mit drei Jahren Deutschkenntnissen von der Oberschule mit dem
Deutschstudium an der Universität auf und fangen mit einer anderen Fremdsprache an,
die bessere Berufschancen bietet, wie etwa Japanisch, Chinesisch, Italienisch oder
Spanisch. Die Entscheidung für eine neue Fremdsprache hat verschiedene Gründe. Z. B.
wird Italienisch an der Philosophischen Fakultät der Chulalongkorn Universität ge-
wählt, weil es nur dort zu studieren ist. Spanisch dagegen, weil es eine Arbeitssprache
bei der UN ist und in vielen Ländern außerhalb Spaniens gesprochen wird.
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an, in denen die Verwendung der deut- 2.1.6 Entwicklung eines Deutschlehrwerks
schen Sprache verlangt wird, wie für die Oberschule
Schreib- oder Erzählwettbewerbe, Aus- Das Regionallehrwerk Viel Spaß mit
stellungen, Einladung von deutschen Deutsch, insgesamt drei Bände, ist das
Lektoren aus anderen Institutionen zur erste Deutschlehrwerk, das von thailän-
Teilnahme an Aktivitäten, Brieffreund- dischen Deutschlehrern für thailändische
schaften, Praktika deutscher Studenten Deutschlerner an der Oberschule erstellt
im Fach Deutsch als Fremdsprache wurde, in Zusammenarbeit mit dem Goe-
oder Austausch von deutschen Schü- the-Institut in Bangkok und der Zentral-
lern bzw. Studenten, die Interesse an stelle des Goethe-Instituts in München.
thailändischer Sprache und Kultur ha- Das Lehrwerk ist seit mehr als fünfzehn
ben. Jahren im Einsatz. Die didaktisch-metho-
4. Im Deutschunterricht sollte Gramma- dische Konzeption dieses Regionallehr-
tiklernen nicht mehr betont werden, werks war zu seiner Zeit fortschrittlich.
sondern eher die vier Fertigkeiten. Ak- Es stellt nämlich das Konzept der Lerner-
orientierung in den Vordergrund:
tivitäten, in denen die Fertigkeiten inte-
1. Kommunikative Fähigkeiten werden
griert werden, ermöglichen die Ver-
mehr betont als Grammatiklernen.
wendung der deutschen Sprache in
2. Themen und Inhalte sind auf thailändi-
thailändischer Umgebung. Es muss
sche Lerner ausgerichtet und wurden
den Lernenden bewusst gemacht wer-
durch eine Umfrage unter thailändi-
den, dass Sprachsystem und Sprachge-
schen Deutschlernern ermittelt.
brauch zweierlei sind. Grammatisch
3. Betonung auf Kommunikation in ler-
korrekte Sätze bzw. Äußerungen könn-
nernahen Situationen und die Möglich-
ten auch in einer falschen kommunika-
keit der Sprachanwendung in kommu-
tiven Situation oder im falschen Kon- nikativen Situationen mit deutschspra-
text benutzt werden. Allein die Beherr- chigen Muttersprachlern
schung der deutschen Grammatik be- 4. Den thailändischen Deutschlernern
deutet noch nicht die Beherrschung soll ermöglicht werden, auf Deutsch
dieser Sprache. über Thai-Kultur mit einem Deutsch-
Durch Aktivitäten und gute Atmosphäre sprachigen zu kommunizieren. Sie
im Unterricht macht eine schwere Spra- werden auf verschiedene Kontaktmög-
che wie Deutsch mehr Spaß. Das haben lichkeiten vorbereitet und lernen Wort-
die Aussagen der Deutschschüler in der schatz und Äußerungen auf Deutsch
oben genannten Studie bestätigt. Die über Thai-Kultur und dadurch kann
Deutschlehrer sollten also darauf achten, eine interkulturelle Kommunikation1
dass die Lernenden ihre positive Einstel- zustande kommen. Außerdem haben
lung zu Deutsch und Deutschlernen be- Deutschlernende die Möglichkeit, die
halten. eigene Kultur mit der deutschen Kul-
tur zu vergleichen und können da- Ein B. A.-Curriculum für Deutsch hat
durch das Eigene besser verstehen. nach der Regelung des ehemaligen Mi-
Unglücklicherweise werden seit der Bil- nisteriums für universitäre Angelegen-
dungsreform in vielen Oberschulen neue heiten aus dem Jahr 1999 in den verschie-
Deutschlehrbücher in den Deutschunter- denen Universitäten dieselbe Grund-
richt eingeführt, z. B. Ping Pong, Delphin struktur; es muss nämlich mindestens
und Genial. Viele Deutschlehrer waren 120 Credits enthalten, und die Kurse tei-
der Meinung, dass das Regionallehrwerk len sich in drei Kategorien:
Viel Spaß mit Deutsch revisionsbedürftig 1. Studium generale
sei und bevorzugen daher Deutschlehr- mindestens 30 Credits
bücher, die neu auf dem Markt sind. 2. Fachkurse mindestens 84 Credits
3. Wahlkurse mindestens 6 Credits
2.2 Deutschunterricht an der Universität
Alle Hochschulen können auf der oben
genannten Struktur aufbauend eigene
2.2.1 Das Curriculum Studienprogramme mit eigenen Schwer-
Gegenwärtig bieten insgesamt zehn punkten gestalten. Jede Institution ist
staatliche und private Universitäten verpflichtet, das Curriculum fortdauernd
Deutsch als Hauptfach oder auch als Ne- nach einer gewissen Zeit, normalerweise
benfach an: nach 5 Jahren, zu revidieren. Hier das
Chulalongkorn Universität,1 B. A.-Curriculum der Philosophischen
Thammasat Universität, Fakultät der Chulalongkorn Universität
Silpakorn Universität, aus dem Jahr 2003 als Beispiel:
Chiang Mai Universität, Studium generale 30 Credits
Kasetsart Universität, Fachkurse 111 Credits
Srinakarinviroj Prasarnmit Universität, geteilt in
Prinz Sonkla Universität, Basiskurse der Fakultät 40 Credits
Ramkhamhaeng Universität,
Fachspezifische Kurse 71 Credits
Khon Kaen Universität,
Payap Universität (privat). (darin 51 Credits für
Deutsch als Hauptfach)
Die (staatliche) Mahidol Universität bie- Wahlkurse 6 Credits
tet Deutsch als Wahlfach für Studierende Insgesamt 147 Credits
der Naturwissenschaftlichen Fakultät an.
In den meisten Curricula für Deutsch in
Die private Assumption Universität bie-
verschiedenen Universitäten besteht das
tet Deutsch als Wahlfach an. Darüber
Deutschprogramm aus fünf Komponen-
hinaus erwägt die (staatliche) Mahidol
ten (Saengaramruang 1995: 281):
Universität, zuerst Deutsch als Haupt-
fach und Nebenfach und in Zukunft noch 1. Fertigkeitsorientierte Kurse
einen Magisterstudiengang und die Pro- 2. Landeskundliche Kurse
motion im Fach Deutsch anzubieten, 3. Literatur/Literaturwissenschaftliche
nachdem Deutsch als Wahlfach an der Kurse
Fakultät für Naturwissenschaften abge- 4. Sprachwissenschaftliche Kurse
schafft wurde. 5. Berufsorientierte Kurse
1 An zwei Fakultäten, nämlich an der Philosophischen Fakultät und der Fakultät für
Pädagogik.
354
2. Deutsch für Studenten der Politikwis- tur soll Anfängern gemeinsam mit der
senschaftlichen Fakultät 1–3, insge- deutschen Sprache vermittelt werden, da
samt drei Kurse mit jeweils drei Credits Sprache und Kultur als einander ergän-
für Studierende mit drei Jahren zend angesehen werden und zusammen
Deutschkenntnissen von der Schule die Grundlage zum Weiterstudium in
(nach Bedarf); den deutschsprachigen Ländern bieten.
3. Deutsch für Studierende der Musikab- Germanistikstudium in Thailand und die tra-
teilung der Faculty of Fine Arts, 1 ditionelle Germanistik in Deutschland
Credit (nach Bedarf); Bisher war das Studium der Germanistik
4. Deutsche Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland in der Regel ein Studium
(auf Thai) für alle Studierenden des der deutschen Linguistik und Literatur
Studium generale, drei Credits; mit einem M. A.-Abschluss. In Thailand
5. Fundamental German 1–2, jeweils drei wird das Deutsch- bzw. Germanistikstu-
Credits für Studierende im internatio- dium aber nach amerikanischem System
nalen Programm der Fakultät für Wirt- in zwei Stufen geteilt: B. A.-Studium (in
schaft, ohne Grundkenntnisse; der Regel vier Jahre) und M. A.-Studium
6. German for Communication für alle (in der Regel zwei Jahre). Insofern er-
Studierenden des Studium generale, kennt man den Unterschied des Germa-
drei Credits; nistikstudiums in Thailand und in
7. ab 2007: German Language and culture Deutschland schon an seiner formalen
1–2, jeweils drei Credits, für Studie- Struktur. Im Anfangsstadium entstand
rende der Ingenieurwissenschaft in in- das B. A.-Curriculum für Deutsch an der
ternationalen Programmen, der Abtei- Chulalongkorn Universität mit Hilfe von
lung für Automobiltechnik und der deutschen DAAD-Lektoren. Aus der Ein-
Abteilung für Nano-Technologie. sicht, dass Studienanfänger für Deutsch
Wir können mit Recht sagen, dass das (auch wenn sie schon drei Jahre Deutsch
Deutschprogramm seit 1957 auf Grund an der Oberschule gelernt haben) noch
des Bedarfs anderer Fakultäten erweitert mehr kommunikative Fertigkeiten und
wurde. Hervorzuheben an dieser Ent- landeskundliches Wissen brauchen, im
wicklung ist: Deutsch wird mehr für spe- Vergleich zu Studienanfängern der Ger-
zifische Gruppen oder zu einem spezifi- manistik in Deutschland, die meist deut-
schen Zweck angeboten, z. B. als Fach- sche Muttersprachler sind, wurden in
sprache für Politologie. Verlangt wird den ersten beiden Studienjahren fertig-
Deutsch hauptsächlich auch als Grund- keitsorientierte und landeskundliche
lage der Weiterbildung in Deutschland, Kurse angesetzt und Kurse für Ge-
für Fächer, für die Deutschland bekannt schichte und Literatur sowie Überset-
ist, etwa in der Ingenieurwissenschaft. zungskurse eher dem 3. und 4. Studien-
Die heute geforderten Deutschlernpro- jahr vorbehalten. Interessenten für deut-
gramme sind nicht mehr grammatikori- sche Linguistik und Literatur sollten ihr
entiert, sondern verwendungsorientiert. Studium im Magisterstudiengang fort-
Tiefgründige Literaturkenntnisse werden setzen. Die Auslandsgermanistik hat an-
heute vom Markt und von den Studieren- dere Schwerpunkte gesetzt als die tradi-
den des Faches Deutsch nicht mehr ge- tionelle Germanistik, insofern sie auf Ler-
fragt. Gefragt sein kann eine Einführung ner des Deutschen fokussiert ist. Das gilt
in die deutsche Literatur für Studierende natürlich auch für die Germanistik in
ohne Deutschkenntnisse. Deutsche Kul- Thailand:
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von Universitäten mit Deutsch als men und Institutionen haben und Be-
Fremdsprache, organisiert von der ziehungen für die zukünftige Berufstä-
Universität Kassel unter der Leitung tigkeit knüpfen können.
von Prof. Gerhard Neuner mit finanzi- Den Möglichkeiten des Selbstlernens
eller Unterstützung durch den DAAD. sind, ergänzend zum Deutschunterricht
Tagungen zu aktuellen Forschungsthe- an der Schule, an der Universität und am
men und Entwicklungen im Fachgebiet Goethe-Institut keine Grenzen gesetzt.
Deutsch als Fremdsprache werden ver- Solche Möglichkeiten zum Lernen der
anstaltet, Studien- und Forschungsvor- deutschen Sprache sind z. B.:
haben werden unterstützt; 1. Internet: heutzutage die wichtigste In-
3. durch Praktikumsmöglichkeiten in formationsquelle für Deutsch und an-
Deutschland: Studierende können mit deres mehr. Die Lerner müssen nur die
Unterstützung von deutschen und verschiedenen Kanäle (Links) zu ge-
thailändischen Organisationen Prakti- wünschten Fachrichtungen haben, z. B.
kumsplätze bekommen, z. B. beim Sprache, Literatur, Kultur. Deutschler-
DAAD in Bonn oder an der Universität ner kennen sicher www.goethe.de, es
Münster; bietet vielfältige Hilfen zum Deutsch-
4. durch DaF-Praktika für deutsche Stu- lernen;
dierende an Universitäten in Thailand. 2. Radiosendungen des Erziehungsmi-
Das ist eine Win-Win-Situation: thai- nisteriums: Deutschlernprogramme
ländische Studierende haben einerseits werden seit 1975 ausgestrahlt bei FM
die Möglichkeit, Deutsch bei einem 92 MHz oder AM 1161 kHz, jeden
Muttersprachler zu lernen und zu üben Dienstag zwischen 7.30 und 8.00 Uhr
und Hilfe bezüglich der deutschen und abends zwischen 18.30–19.00 Uhr.
Sprache und Kultur zu bekommen, an-
dererseits kann ein deutscher Prakti- 2.2.3 Hochschulen mit spezieller Deutschleh-
kant Lehrerfahrung sammeln und da- rerausbildung in Thailand
bei die thailändische Kultur kennen Folgende Hochschulen bilden Deutsch-
lernen; lehrer aus:
5. durch Unterstützung von außercurri-
cularen Aktivitäten: Studierende wer- 1. Die Pädagogische Fakultät der Chulalong-
den zur Übersetzung oder Dolmetsch- korn Universität
arbeit bei Verhandlungen oder Messen Diese Fakultät ist die erste Einrichtung
vermittelt, wo deutsche Kenntnisse mit einem pädagogischen Curriculum
verlangt werden. Die Studierenden zur Deutschlehrerausbildung in Thai-
können dabei nicht nur ihre Deutsch- land (vgl. Festschrift 1967: 5, 21).1 Studie-
kenntnisse praktisch anwenden, son- rende der Pädagogischen Fakultät besu-
dern auch reale Arbeitsverhältnisse chen in den ersten zwei Jahren die obliga-
kennen lernen und einschätzen. Wich- torischen Kurse in Deutsch gemeinsam
tig ist, dass sie vor dem Abschluss mit den Studenten der Philosophischen
direkten Kontakt mit deutschen Fir- Fakultät. Außerdem müssen sie Kurse in
1 Siehe die Bekanntmachung von der Chulalongkorn Universität bezüglich des Sonder-
aufnahmeprogramms der Pädagogischen Fakultät.
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Deutsch gelernten Sprachen Gebrauch Englisch gelernt haben, und die M6-
machen? Deutschlernenden, die 15 Jahre Englisch
Zum ersten Mal in der Geschichte des gelernt haben, von ihren Vorkenntnis-
Deutschlernens in Thailand wurde die sen im Englischen beim Lernen der
Sprachbewusstheit der thailändischen deutschen Sprache Gebrauch gemacht
Deutschlernenden untersucht: Sprachler- haben.2
nende beobachten den eigenen Lernpro- Die Untersuchung hat ergeben, dass die
zess, entwickeln eigene Sprachlernstrate- Hälfte der Deutschlernenden in M4 und
gien und verbessern ihre Sprachkompe- M6 kein und die andere Hälfte ein biss-
tenz durch Selbstevaluation. chen Vorwissen über die deutsche Spra-
Das Ergebnis dieser Untersuchung gibt che hatten, bevor sie Deutsch als Wahl-
einen entscheidenden Hinweis darauf, fach belegten. Aber im Laufe der Zeit
bemerkten fast 40 % aus beiden Gruppen
wie man Deutsch an der Oberschule in
die Ähnlichkeit des Deutschen mit dem
Thailand effizienter vermitteln bzw. ler-
Englischen in seiner formalen Erschei-
nen und damit die Tertiärsprachendidak-
nung.
tik Deutsch als Fremdsprache nach Eng-
lisch in Thailand entwickeln kann (Saen- Ähnlichkeit besteht
garamruang 2003: 165–190; siehe auch 1. im Hinblick auf die Aussprache:
Kusolrod 2003: 42–49). Dieser metho- Den Deutschlernenden in M4 haben ihre
disch-didaktische Ansatz gilt nicht nur Vorkenntnisse der Aussprache des Eng-
für Deutsch, sondern kann auch für an- lischen beim Lernen der deutschen Aus-
dere europäische Fremdsprachen in Thai- sprache geholfen. Sie versuchten, Esels-
land genutzt werden. brücken für sich zu bauen. So dachten
Die Untersuchung wurde im Januar sie beim ie-Laut im Deutschen nur an
2003 anhand von Fragebögen durchge- den Vokal ›e‹ im Englischen, beim ei-
führt. Befragt wurden 125 thailändische Laut im Deutschen an den Vokal ›i‹ im
Deutschlernende in M4 (im Alter zwi- Englischen. Es gibt aber auch Negativ-
schen 15 und 16 Jahren) und 80 in M6 transfer, da viele Wörter im Englischen
(im Alter zwischen 17–18 Jahren) aus und im Deutschen ähnlich sind, aber
fünf Oberschulen in Bangkok, in denen nicht gleich ausgesprochen werden.
Deutsch als zweite Fremdsprache ange- Mehr als die Hälfte der Befragten aus
boten wird.1 Die befragten Deutschler- M4 gaben an, dass ihre Gewöhnung an die
nenden in M4 lernten im zweiten Se- Aussprache und Sprachmelodie des Engli-
mester Deutsch und hatten bis zum schen dazu geführt habe, dass sie Ausspra-
Zeitpunkt der Befragung ungefähr 144 chefehler im Deutschen machen. Wörter
Stunden Unterricht gehabt. Die Schüler wie Fußball, Pizza, Buch, Bier, ist, Telefon,
in M6 befanden sich im sechsten Semes- Salat, Musik, Haus etc. sind z. B. deutsche
ter und hatten bis zum Zeitpunkt der Wörter, die leicht »englisch« ausgespro-
Befragung ungefähr 528 Stunden chen werden. Außerdem traten Schwie-
Deutsch gelernt. Mit der Untersuchung rigkeiten bei der Aussprache deutscher
sollte herausgefunden werden, ob die Wörter mit Umlaut auf. Beim Ausspra-
M4-Deutschlernenden, die 12 Jahre che-Training für thailändische Deutsch-
lernende ist daher darauf zu achten, 3. im Hinblick auf die Verwendung von
dass insbesondere Wörter, die Ähnlich- ›Internationalismen‹ als Lesestrategie:
keit mit dem Englischen haben wie Fa- Die Untersuchung hat ergeben, dass die
milie, Tee, Auto, Musik, Problem und deut- befragten Deutschlernenden aus M4
sche Wörter mit Umlaut von Anfang an eine höhere Sprachbewusstheit beim Le-
richtig gelernt werden (zu deutschen sen hatten als die aus M6: d. h. die aus
und englischen Wörtern siehe Saenga- M4 machten beim Lesen eines ihnen
ramruang 2003: 173–177). vorgelegten deutschen Textes mehr Ge-
brauch von ihrem Vorwissen aus ande-
2. im Hinblick auf Wortschatz:
ren Fremdsprachen. Eine Methode der
Deutschlernende aus M4 und M6 konn- Lesedidaktik für Deutschanfänger ist
ten die Bedeutung vieler Wörter durch daher: Textentschlüsselung anhand von
Vorwissen aus dem Englischen erraten, ›Internationalismen‹ als Lesestrategie,
z. B. Adresse, Apfel, Auto, Banane, Beginn, d. h. Erraten der Bedeutung durch das
Aktion, akzeptieren, kritisieren, Bank, Bier, Vorwissen aus einer anderen Fremd-
Buch, diskutieren usw. Bemerkenswert sprache wie Englisch, Französisch oder
ist, dass die Technik des Erratens an- Italienisch, Wörter wie Zeremonie, Präsi-
hand von englischen Vorkenntnissen bei dent, Olympiade, Beginn, Nation und Pa-
einer Vielzahl von deutschen Wörtern rade, können für den Prozess des effekti-
zum negativen Transfer bei der Bedeu- ven Lesenlernens von Deutschanfän-
tungserschließung und auch bei der gern genutzt werden. Diese Technik
Aussprache führen kann. Es sind »fal- sollte so viel geübt werden, dass
sche Freunde«, die den thailändischen Deutschlernende sie als Lesestrategie in-
Deutschlernenden Schwierigkeiten be- ternalisieren (Einzelheiten und Vor-
reiten: das deutsche Wort Gift bedeutet schläge zur Ausspracheschulung und
auf Englisch ›Geschenk‹; das deutsche Wortschatzvermittlung siehe Saenga-
Wort See bedeutet auf Englisch ›sehen‹ ramruang 2003). Diese Strategie kann
und wird im Deutschen auch anders thailändische Deutschlerner zum effek-
gelesen als im Englischen, nämlich: tiveren, d. h. schnelleren und besseren
deutsch /se:/ und englisch /si:/. Das Deutschlernen motivieren und ihr sollte
deutsche Wort die ist ein Artikelwort für daher im Deutschunterricht in Thailand
Femininum und wird /di:/ ausgespro- bzw. in Deutschlernbüchern für thailän-
chen, aber im Englischen bedeutet es dische Lerner mehr Bedeutung beige-
›sterben‹ und wird /dai/ ausgespro- messen werden (für einen Versuch, das
chen. Das deutsche Wort Gymnasium be- Konzept ›Deutsch als Tertiärsprache
deutet im Englischen ›Turnhalle‹. Von nach Englisch‹ in einem Lehrbuch für
diesem Befund können wir für die Wort- thailändische Deutschlernende umzu-
schatzvermittlung an thailändische setzen, siehe Deutsch für den Alltag von
Deutschlernende Gebrauch machen: Wir Wanna Saengaramruang).
müssen Übungen zur richtigen Ent-
schlüsselung und Aussprache des deut- 3.2 Meinungen der Deutschstudieren-
schen Wortschatzes erstellen und die den über das Deutschstudium an der
Lernenden von Anfang an üben lassen. Universität
Sprachbewusstheit und interlingualer Der oft mäßige Erfolg beim Erlernen des
Transfer müssen noch stärker in den Englischen als erster Fremdsprache in
Prozess des Deutschlernens einbezogen Thailand führt zu der Frage nach der
werden. richtigen Gewichtung der vier Sprachfer-
363
1 2003 hat der DAAD einen Sprachassistenten an die Chulalongkorn Universität gesandt
und vorher einen an die Deutsche Abteilung der Khon Kaen Universität.
367
1 Nach der Untersuchung im Jahre 2003 haben die meisten Oberschüler in M4, M5 und
M6 in fünf Oberschulen in Thailand Englisch als 1. Fremdsprache in der Grundeschule
(manche haben sogar Englisch schon im Kindergarten angefangen). D. h. bevor
Oberschüler mit Deutsch als 2. Fremdsprache anfangen, haben sie Englisch mindestens
12 Jahre an der Schule gelernt (Saengaramruang 2003: 169–171). Andere Fremdsprachen,
die sie lernen, sind Japanisch, Chinesisch, Spanisch und Französisch. Auch wenn die
Zahl der Lerner anderer Sprachen zusätzlich zu Englisch noch gering ist, so zeigt das
wenigstens, dass viele Thailänder Interesse an der 3. und 4. Fremdsprache haben.
371
DaF im Ausland
Jianpei Yang
der Absolventen versuche ich herauszu- thematischen Kategorien, mit der Frage,
arbeiten, welche Tendenz die Fachspra- welche fachsprachlichen Kenntnisse die
chenvermittlung aufweist und welche Studierenden erlangen und gerne in der
Bandbreite erreicht wurde. Darauf fol- Abschlussarbeit thematisch und wissen-
gend sollte ein Nachdenken über die Ver- schaftlich behandeln wollten. Implizit ist
mittlung der Fachsprachen im DaF-Be- zu entschlüsseln, welche Fachsprache ei-
reich angeregt werden. nen erfolgreichen Transfer vom Input
zum Output vollzogen hat. Daher wurde
3. Untersuchung der Fachsprachenver- nicht qualitativ auf die einzelnen Arbei-
mittlung an der Tongji-Universität ten eingegangen. Um die Entwicklung
In diese exemplarische Untersuchung genauer zu beobachten, wurden die her-
sind 514 Studienabschlussarbeiten von angezogenen Arbeiten in zwei Zeiträume
1979 bis 2001 einbezogen. Davon sind 398 eingeteilt, nämlich von 1979 bis 1990 und
Bachelorarbeiten und 116 Magisterarbei- von 1990 bis 2001. Die folgende Abbil-
ten. Betrachtet werden dabei eher die dung zeigt einen Überblick.
600 514
500
398
400
Gesamt
300
Fachsprache
200 116
74
100 27 47
0
Magister Bachelor Alle Arbeiten
Abbildung 1
Wie der Abbildung 1 entnommen wer- arbeiten einen Anteil von 23,3 % bzw.
den kann, kommt das Thema Fachspra- 11,8 % aus. Offensichtlich interessierten
che nur in einem kleinen Teil der Ab- sich Magisterstudenten stärker für Fach-
schlussarbeiten vor. Insgesamt haben 74 sprachen als Bachelorstudenten. In Ta-
Studienabschlussarbeiten Fachsprachen belle 1 sind die wichtigsten Zahlen, die
behandelt, was 14,4 % entspricht. Die die Entwicklung der Vermittlung von
fachsprachenbezogenen Abschlussarbei- Fachsprachen an der Tongji-Universität
ten machen bei Magister- und Bachelor- widerspiegeln, zusammengefasst.
Anhand Abbildung 2 ist festzustellen, chelorstudenten sich für ein Thema über
dass das Interesse an Fachsprachen bei Fachsprachen entschieden haben, waren
Magisterstudenten größer ist als bei Ba- 23,3 % der Magisterstudenten in ihren Ab-
chelorstudenten. Während 11,8 % der Ba- schlussarbeiten fachsprachlich orientiert.
Interesse an Fachsprachen
23,30%
25,00%
20,00%
11,80% Magister
15,00%
Bachelor
10,00%
5,00%
0,00%
Abbildung 2
Von 1979 bis 1990 haben 16 von 65 Magis- gensatz dazu nahm das Interesse bei Ba-
terstudenten Fachsprachen in den Ab- chelorstudenten leicht zu. Im ersten Zeit-
schlussarbeiten thematisiert. Von 1991 bis raum bezogen sich nur 10,1 % der Bachel-
2001 sind Fachsprachen in 11 aller 56 orarbeiten auf Fachsprachen und im zwei-
Magisterarbeiten das behandelte Thema. ten Zeitraum ist das Interesse an Fachspra-
Das Interesse an Fachsprachen ist somit chen deutlich auf 13,6 % angestiegen, wie
von 24,6 % auf 21,6 % gesunken. Im Ge- Tabelle 2 und Abbildung 3 verdeutlichen:
Magisterarbeiten Bachelorarbeiten
Zeitraum Gesamt Fachsprachen Anteil Zeitraum Gesamt Fachsprachen Anteil
1979–1990 65 16 24,6 % 1979–1990 199 20 10,1 %
1991–2002 51 11 21,6 % 1991–2002 199 27 13,6 %
Tabelle 2
Interesse an Fachsprachen
30,00%
25,00% 24,60%
21,60%
20,00%
Magisterarbeit
15,00% 13,60% Bachelorarbeit
10,00% 10,10%
5,00%
0,00%
1979-1990 1991-2001
Abbildung 3
378
Fachsprachen in Magisterarbeiten
120,00%
100,00%
80,00%
60,00%
40,00%
20,00%
0,00%
9
1
J7
J8
J8
J8
J8
J8
J9
J9
J9
J9
J9
J0
Abbildung 4
Aus der obigen Abbildung ist deutlich wicklung an der Tongji-Universität
zu sehen, dass die fachsprachliche Ent- sprunghaft ist. Im Vergleich zur Ent-
379
wicklung im ersten Zeitraum ist diese esse der Studierenden, zur Verfügung
sprunghafte Entwicklung im zweiten stehende Lehrkräfte für Fachsprachen-
Zeitraum noch deutlicher. Woran liegt vermittlung, der Bedarf auf dem Ar-
das? Hat dies mit einer chinatypischen beitsmarkt.
Entwicklung im DaF-Bereich zu tun? In Die fachsprachlichen Themen können in
Interviews wiesen deutsche Lektoren in die folgenden drei Kategorien eingeteilt
China darauf hin, dass die chinesische werden:
DaF-Entwicklung schon immer solch ei- – Natur- und Ingenieurwissenschaft,
nen Charakter, nämlich keine Kontinui- – Wirtschaftswissenschaft,
tät und Stabilität, besaß. Aus meiner – andere Wissenschaften (unter ande-
Sicht wird die fachsprachliche Entwick- ren Wissenschaften sind Geisteswis-
lung von mehreren Faktoren beeinflusst senschaften und andere allgemeine
und bestimmt, die den vorgestellten Fachsprachen zu verstehen; Tabelle 3
Entwicklungsstand zum Ergebnis ha- und Abbildung 5 zeigen diese Eintei-
ben. Solche Faktoren sind z. B. das Inter- lung).
80% 75%
70%
60% 54,50%
50%
40% 1979–1990
30% 27,30% 25% 1991–2001
18,20%
20%
10%
0%
0% Natur- und Wirtschaftswissenschaft Andere Wissenschaften
Ingenieurwissenschaft
Abbildung 5
Auffallend dabei ist, dass sich die Magis- Fachsprachen interessierten. Fachspra-
terstudenten im Zeitraum von 1979 bis chen in Wirtschaftswissenschaft wurden
1990 ausschließlich für technische und von keinem Studierenden behandelt. Im
naturwissenschaftliche oder andere Gegensatz dazu haben 54,5 % der Magis-
380
Fachsprachen in Bachelorarbeiten
40,00%
30,00%
20,00%
10,00%
0,00%
9
1
J7
J8
J8
J8
J8
J8
J9
J9
J9
J9
J9
J0
Abbildung 6
Die Themenbereiche der Bachelorarbei- drei Themengruppen eingeteilt, wie Ta-
ten wurden wie bei Magisterstudenten in belle 4 zeigt:
383
80% 74,10%
70%
60%
50%
50%
40% 35% 1979–1990
30% 1991–2001
20% 15% 14,80%
11,10%
10%
0% Natur- u. Wirtschaftswissenschaft Andere Wissenschaften
Ingenieurwissenschaft
Abbildung 7
Forschungsmethoden
95%
100%
74,00%
80%
60% analytisch
40% 26% kontrastiv
20% 5%
0%
1979–1990 1991–2001
Abbildung 8
Die analytische Orientierung der Bache- durch Vergleiche die Fachsprache besser
lorarbeiten legte einen Schwerpunkt auf zu beherrschen, wie z. B.:
Wortschatz, Wortbildung und Satzstruk- Wu, Lan (1992): Vergleichende Untersu-
tur, wie die folgenden Beispiele zeigen: chung der Höflichkeitsformen in chinesi-
Cai, Dongmin (1980): Zum Einfluss der schen und deutschen Geschäftsbriefen.
Fachsprache auf die Gemeinsprache – un- Bu, Yuanshi (1993): Kontrastive Untersu-
tersucht am Beispiel der Berichterstattung chung der Stilmerkmale chinesischer und
über Elektrotechnik. deutscher Gesetze und deren Überset-
Mao, Zhiheng (1980): Häufige Wortbil- zungsproblematik.
dungstypen in der Fachsprache Kraftwerk- Mao Jingyi (1993): Deutsche und chinesi-
Technik. sche Mahnungen – Ein Vergleich.
Das zweite Merkmal, nämlich von Lexik-
Chen, Min (1990): Untersuchung der brief- und Syntaxebene zur Textebene, spiegelt
lichen Außenhandelskorrespondenz unter sich ebenfalls bei den Bachelorarbeiten
Berücksichtigung stilistischer Merkmale. wider. In den achtziger Jahren konzen-
Zhu, Haoping (1990): Analyse der Nomi- trierte man sich auf die Wort- und Satz-
nalkomposita in wissenschaftlichen Texten. ebene. Die Übersetzung der fachspezifi-
In kontrastiv orientierten Bachelorarbei- schen sprachlichen Struktur wurde häu-
ten wurde Fachchinesisch einbezogen. fig diskutiert. In den neunziger Jahren ist
Der Einbezug muttersprachlicher Fach- der Fokus von Wortschatz und Syntax
texte erweitert m. E. den Wissenshorizont zur Textanalyse verschoben, wie Abbil-
der Studierenden und ermöglicht es, dung 9 darstellt:
385
70% 60%
60% 51,90%
50% 44,40%
40% Wortschatzebene
30% 20% Textebene
20%
10%
0%
1979–1990 1991–2001
Abbildung 9
1 Die Wortschatzarbeit hatte im Unterschied zu den anderen beiden Punkten den Vorteil,
dass sie erstens im Rahmen des Unterrichts stattfinden konnte und sich zweitens die
Prüfungsfixiertheit der Studierenden zunutze machte.
392
weil ich davon überzeugt bin, dass die gangen« ist in meiner Unterrichtspraxis
kommunikative Kompetenz – die Fehler- also nur der faktisch zutreffende gültig,
quote einmal außen vor gelassen – so- weil meiner Meinung nach nur dieser als
wohl hinsichtlich des produktiven als in Sprache gefasste reale Erfahrung erlebt
auch des rezeptiven Potentials direkt mit werden kann. Nur in ihm verliert die
der Größe des Wortschatzes zusammen- Sprache den Charakter eines theoreti-
hängt. Diese These konnte im Verlauf des schen Gegenstands und gibt stattdessen
Semesters und der sich anschließenden ihre eigentliche Funktion zu erkennen,
Prüfungen erhärtet werden. wodurch sie unmittelbar erfahrbar wird.
Die an das Lernen der Wörter anschlie- Für die persönlichen Kontakte organi-
ßende produktive Wortschatzarbeit be- sierte ich für die Studierenden E-Mail-
stand darin, die Studierenden mit dem Tandems, Brieffreundschaften, Treffen
neuen Vokabular – zumindest selektiv – mit Erasmusstudenten im und außerhalb
Sätze formen und dadurch ihren Ge- des Unterrichts und einen Stammtisch.
brauch in kommunikativen Situationen Dieser Austausch ist meiner Meinung
simulieren bzw. antizipieren zu lassen. nach die einzige wirkliche Möglichkeit,
Um dies zu erreichen, mussten die Sätze die kommunikative Kompetenz nachhal-
aus dem »Anführungszeichenmodus« ei- tig zu verbessern. Da er trotzdem nur von
nes lediglich korrekt produzierten deut- den wenigsten angenommen wurde,
schen Satzes in ihr Sprachgebrauchsre- scheint es mir für die Erreichung des
pertoire überführt werden, auf das sie in anvisierten Zielniveaus unerlässlich zu
künftigen kommunikativen Situationen sein, einen obligatorischen Auslandsauf-
zurückgreifen können. Im Detail bedeu- enthalt in Form eines Erasmus- bzw. So-
tete dies, dass sie wahr, authentisch, kon- kratessemesters oder Intensivsprachkur-
kret und sprecherdeiktisch sein, also ei- ses im Curriculum zu verankern.
nen realen Ich- und Lebensbezug zum
Sprecher haben sollten. 1.2 Projektarbeit im dritten Jahr
(Lisa Schlanstein)
Gültige Sätze z. B. zum gelernten Wort
»Schaf« wären demnach (sofern sie zutref- Dem Entschluss, im dritten Jahr des
fen): neuen BA-Studiengangs Projektarbeit
»Ich habe noch nie ein Schaf gesehen« oder durchzuführen, liegen folgende Überle-
»Ich esse gern Schafskäse«; gungen zugrunde:
nicht gültige: – Der traditionelle Unterricht (Auftei-
»Das Schaf ist ein Tier«. oder lung in die drei Module Textarbeit,
»Schafe sind kleiner als Kühe«. Grammatik, Übersetzung) lässt eine or-
Ebenso wie beim neuen Wortschatz kam ganische Verbindung kaum zu.
es mir auch bei den neuen grammati- – Die ministeriale Vorgabe, am Ende des
schen Mustern darauf an, den Studieren- dritten Jahres das Niveau C1 zu errei-
den die darin liegenden praktischen chen, erfordert eine Konzentration auf
kommunikativen Möglichkeiten bewusst Schwerpunkte.
zu machen und ihnen dadurch, dass sie – Handlungsorientierte und kommuni-
ihre eigenen Erfahrungen in die Fremd- kative Kompetenz, an der Universität
sprache fassen, das Sprachgebrauchspo- bisher oft vernachlässigt, sollten auch
tential unmittelbar bewusst zu machen. im Hinblick auf eine berufliche Qualifi-
Von den beiden konkreten Sätzen »Ich kation verstärkt gefördert werden.
bin gestern um elf ins Bett gegangen« Das Projekt mit dem Titel »Alle Wege
und »Ich bin um halb zwei ins Bett ge- führen nach Rom«, geplant für zwei Se-
393
mester mit je zehn Wochen und jeweils lektüre und -analyse, die durch ein ver-
zehn Stunden, hat zwei Hauptstränge: stärktes Wiedereinbringen der zu Hause
– Textarbeit, d. h. Lektüre und schriftli- geschriebenen Texte in den Unterricht
che Analyse von Texten, die sich mit verbessert werden muss.
dem Thema Italien und Rom aus der
Perspektive deutschsprachiger Reisen- 2. Die Linguistik im Römischen Modell
der beschäftigen; (Martina Nied Curcio)
– Durchführung eines Interviews mit Da ich seit 2001 Germanistische Linguis-
deutschsprachigen Touristen (1. Semes- tik an der Sapienza unterrichte, habe ich
ter) und deutschsprachigen Erasmus- mich in der Arbeitsgruppe intensiv damit
studenten (2. Semester) über ihre Ein- beschäftigt, in welcher Form der Linguis-
drücke und Erfahrungen in Italien und tikunterricht strukturiert werden kann,
bei Studierenden darüber hinaus beson- um bestmöglich mit dem Sprachunter-
ders an der italienischen Universität. richt verbunden zu sein. Es ging dabei
Über diese Interviews sollte in der Klasse auch um ganz praktische Fragen wie:
mündlich berichtet und zum Ende des – Soll die Linguistik mit dem Sprachun-
Semesters ein schriftlicher Report vorge- terricht überhaupt verbunden werden?
legt werden.
– Wenn ja, wie?
Textlektüre und Analyse erfolgten ver-
stärkt in der jeweils ersten Phase des Se- – Was kann die Linguistik für die Sprach-
mesters. Die Auseinandersetzung mit den didaktik leisten?
verschiedensten Textsorten zum Thema – Welche Rolle spielt das sprachwissen-
sollte für das Interview fruchtbar werden, schaftliche Wissen für den Spracher-
es sollte u. a. den Erwartungshorizont werb(sprozess) generell?
heutiger Italienreisender für die Studie- Von Anfang an war es mir ein Anliegen,
renden transparent machen und sie mit nicht nur das linguistische Wissen zu
dem geeigneten Wortschatz ausstatten. vermitteln, sondern zu versuchen, eine
In der zweiten Phase des Semesters wur- Verbindung des theoretisch-abstrakten
den vorwiegend die Berichte und Ergeb- Wissens über die deutsche Sprache mit
nisse der Interviews in der Klasse ausge- dem Sprachunterricht herzustellen und
tauscht und diskutiert. damit die Reflexion über die deutsche
Diese Vorgehensweise erlaubte es im Un- Sprache anzustoßen und zu fördern.
terschied zur Arbeit mit den traditionel- Mein persönlicher Eindruck war dabei,
len Modulen, die einzelnen Fertigkeiten dass die Studierenden, die über ihren
im Zusammenhang zu üben. eigenen Sprachgebrauch reflektierten,
Nach Abschluss der Erprobung des Pro- die also eine Art Brücke von der Sprach-
jektes kann man Folgendes feststellen: theorie zur Sprachpraxis hin schlagen
Die Durchführung der Interviews und konnten, häufig eine bessere Sprachver-
ihre Präsentation in der Klasse sowie wendung aufzeigten. Aus diesem Grund
auch die schriftlichen Berichte darüber habe ich mich dieser Thematik sowohl
zeugen von großem Engagement der Stu- empirisch genähert (2.1) als auch ver-
dierenden, die in einer ersten Evaluation sucht, den Stand der Forschung heraus-
des Projekts das Lösen dieser Aufgabe als zuarbeiten (2.2). Anschließend (2.3)
besonders produktiv bewertet haben. werde ich die aus 2.1 und 2.2 resultieren-
Nicht ausreichend gelungen dagegen er- den Funktionen und Aufgaben der Lin-
scheint mir die Verbindung mit der Text- guistik beschreiben.
394
2.1 Die Funktion der Linguistik aus der du der Meinung, dass die Linguistik
Sicht der Studierenden dir hilft, deine sprachlichen Kompeten-
Was dachten meine Studierenden nun zen zu verbessern?
über diese Art von Linguistikunterricht? Schon bei der 1. Frage wurden von den
An Hand einer Umfrage mit drei Fragen Probanden Begriffe und Themen ange-
sollte dies herausgefunden werden. Die sprochen wie:
Fragen waren folgende:1 – »besseres Verständnis einer Sprache«,
1. Was ist deiner Meinung nach die Funk-
– »Reflexion über Sprache«,
tion der Linguistik (des Linguistik-Un-
terrichts) an der Universität? – »das Verstehen der Funktion der Spra-
2. Glaubst du, dass dir die Linguistik che«,
hilft, Strukturen und Phänomene der – »eine Verbesserung der Sprachkompe-
deutschen Sprache besser zu verste- tenz«.
hen? In der nachfolgenden Tabelle sind die
3. Glaubst du, dass die Linguistik den verschiedenen Antworten thematisch
Sprachunterricht erleichtert, d. h. bist nach der Frequenz angegeben.
Erstaunlich war, dass bei der 1. Frage Auf die Frage 2, ob die Linguistik hilft, die
schon 8 der 23 Studierenden von einem Strukturen und Phänomene der (Fremd-)
positiven Einfluss der Linguistik auf den Sprache besser zu verstehen, antworteten
Spracherwerb sprachen. alle 23 Studenten mit »Sì« [Ja]. Bei der
Begründung des »Sì« werden auch wieder auch das Wiederaufgreifen von Phäno-
Begriffe und Themen wie bei Frage 1 menen aus dem Sprachunterricht wird
angesprochen. Wichtig sei die Linguistik als verstärkend empfunden.
für die Analyse der Sprache. Mehrere Stu- Sechs der Probanden beantworteten die
dierende sprachen das vertiefende Ver- Frage negativ. Ich hatte den Eindruck,
ständnis der Grammatik an; andere mein- dass es diesen Studierenden vielleicht
ten, dass durch die metasprachlichen Er- nicht gelungen war, das theoretische Wis-
klärungen Strukturen und Phänomene sen für ihr eigenes Sprachenlernen nutz-
besser im Gedächtnis haften blieben (»me- bar zu machen. Die Gründe können ver-
tasprachlich« meint hier, dass bei der The- schieden sein, wie z. B. das Verharren in
matisierung von sprachlichen Gescheh- alten Lerntraditionen und -strategien.
nissen – und zwar schon abgeschlossenen
oder noch im Prozess befindlichen – auf 2.2 Reflexion über Sprache – eine wich-
die verwendete Sprache reflektiert wird; tige Aufgabe im Linguistikunterricht?!
vgl. Seidel 1989: 20). Im Zuge der kognitiven Wende hat sich
Interessanterweise unterschieden die auch in der Linguistik die Frage nach der
Studierenden bei Frage 3, bei der sie Definition und der Rolle von Sprachge-
direkt nach der Verbindung von Linguis- fühl und Sprachbewusstsein und der me-
tikkenntnissen und Spracherwerb ge- tasprachlichen Reflexion neu gestellt
fragt wurden, ganz bewusst zwischen (vgl. Neuland 1993: 724) Mit Sprachbe-
passivem Sprachverständnis und aktiver wusstsein ist vor allem das bewusste, ex-
Sprachproduktion. Hatten Sie in Frage 2 plizite, deklarative Sprachwissen ge-
alle unterstrichen, wie wichtig die Lin- meint (vgl. Neuland 1992; Schlieben-
guistik für das Verstehen der Sprache sei, Lange 1975). Beiträge zu Sprachbewusst-
so war nur etwa die Hälfte uneinge- sein und dessen erste Definitionen stam-
schränkt der Meinung, dass die linguisti- men außerdem aus der romanistischen
schen Kenntnisse auch das aktive Spra- Sprachwissenschaft (vgl. Scherfer 1983;
chenlernen erleichtern würden; 5 der Stu- Fischer 1988; Seidel 1989). Theoretische
dierenden knüpften ihre positive Ant- Abhandlungen über Sprachbewusstsein
wort insbesondere an den Bezug zur und Sprachgefühl (vgl. Gauger 1976) stie-
Sprachpraxis: Anwendungs- und ßen weitere Überlegungen an. Coseriu
Übungsphasen wären für sie unabding- (1988) und auch später Hartenstein (2002)
bar. Für viele von ihnen war das Verbes- unterschieden verschiedene Niveaus von
sern der sprachlichen Kompetenzen eine Sprachbewusstsein. Ein weiterer Anstoß,
logische Konsequenz des theoretischen die Konzepte von Sprachwissen und
Wissens, auch wenn sie es meist nicht Sprachbewusstsein weiterzuentwickeln,
begründen konnten. Zwei der Studieren- kam seit den 1970er Jahren aus England.
den meinten, dass der Linguistik- und Von dort wurde auch zum Teil die Termi-
der Sprachunterricht sich gegenseitig er- nologie übernommen: language awareness,
gänzten. Sowohl die Applikation des metalinguistic awareness und knowledge
theoretischen Wissens auf die Praxis als about language.1 Ins Deutsche fand dieser
1 Einen besonders wichtigen Anstoß gab das Buch von Eric Hawkins: Awareness of
Language: An Introduction. Cambridge 1984 und 1987. Für den Begriff Language awareness
gibt es auf Grund der verschiedenen Konzeptionen auch heute noch keine einheitliche
verbindliche Definition. Dies wird auch durch viele sich überschneidende und konkur-
rierende Termini erschwert.
396
Begriff in seiner Übersetzung als Sprach- Der generelle Nutzen von language aware-
bewusstheit, gerade im Unterschied zu ness bzw. ein hohes Niveau von sprachli-
dem Wort Sprachbewusstsein, Eingang. cher Reflexion für den Sprachunterricht
Seit den 1980er Jahren entstanden im wird im Allgemeinen als positiv einge-
deutschsprachigen Raum verschiedene schätzt. Umstritten bleibt trotzdem, in-
Awareness-Konzepte mit dem Ziel, wieweit language awareness als explizites
durch eine systematische und kontinuier- (deklaratives) sprachliches Wissen zu ei-
liche Auseinandersetzung mit Sprachen ner Verbesserung der sprachlichen Kom-
sowohl die Sprachpraxis als auch die petenz beitragen kann. Empirisch konnte
Reflexion über Sprache zu verbessern. bisher noch nicht nachvollzogen werden,
Außerdem spielt der Vergleich mit der inwieweit bewusst angeeignetes Wissen
Muttersprache eine wichtige Rolle. (explizites sprachliches Wissen) später
unbewusst (implizites sprachliches Wis-
»Language-Awareness-Konzeptionen beto-
sen) werden kann (dies gilt sowohl für
nen den Wert des Nachdenkens über die
sprachlichen Besonderheiten der Zielspra- das explizite grammatikalische Wissen
che im Verhältnis zur Muttersprache, aber als auch für das explizite sprachwissen-
auch über die eigenen Lernstrategien und schaftliche Wissen. Ellis (1997) erklärt in
Lernerfahrungen und über soziokulturell einem Modell, dass explizites L2-Wissen
spezifische Bedeutungen und Handlungs- den Erwerb impliziten Wissens ermögli-
muster, die sich hinter manch fremdsprach-
licher Ausdrucksweise aufdecken lassen.« chen kann.) Portmann-Tselikas (2003) be-
(Fandrych 2005: 7) trachtet in seinem Aufsatz über die Rolle
des gesteuerten auf der Grammatik ba-
Sprachbewusstheit umfasst außerdem sierenden Unterrichts das explizite Wis-
die Aufmerksamkeit eines Individuums sen als »ein zusätzlich verfügbares In-
in Bezug auf Sprachen sowie die Fähig- strument der Steuerung und Kontrolle
keit, metasprachliche Reflexionen durch- von Verstehens- und Äußerungsprozes-
führen zu können. Man ist heute der sen« (11), das im natürlichen Spracher-
Überzeugung, dass beide Fähigkeiten, werb nicht gegeben ist. Die Studierenden
Sprachbewusstheit und Sprachaufmerk- können sich dadurch »viel besser orien-
samkeit, insbesondere auf der Spracher- tieren und sie können in ihren eigenen
fahrung basieren (vgl. Fremdsprache kommunikativen Äußerungen gewisse
Deutsch 31 (2004), 58). Als Ergebnis einer Dinge besser (komplexer, korrekter) sa-
verstärkten Lernerperspektive bildete gen, als sie es ohne dieses Wissen täten«
sich auch der Begriff language learning (11). Portmann-Tselikas stellt die Hypo-
awareness (Sprachlernbewusstheit) heraus these auf, dass Reflexion über Sprache
(vgl. Gnutzmann 2003: 336). Dieser be- durch explizites Wissen dem Studieren-
zieht sich vor allem auf die mentale Ver- den hilft, sprachliche Erscheinungen bes-
arbeitung von Sprache, auf Sprachlern- ser zu ordnen, d. h. er könne sich besser
prozesse und den Einsatz von Lernstrate- in der Sprache orientieren, was letztend-
gien. (Bei den Mehrsprachigkeitskonzep- lich zu einer besseren Sprachkompetenz
ten spielen außer neurophysiologischen, führe; dies jedoch nur unter der Bedin-
lernerexternen, emotionalen und fremd- gung, dass das Wissen über Sprache an-
sprachenspezifischen Faktoren die ko- wendbar sei und auch tatsächlich einge-
gnitiven Faktoren, und dazu gehören setzt werde.
Sprachbewusstheit, Sprachlernbewusst- Diese Anwendung scheint mir eine der
heit und Reflexion über Sprache, eine zentralen Bedingungen für den Einsatz
wichtige Rolle, vgl. Hufeisen 2004: 20.) von explizitem Wissen und der Reflexion
397
Natürlich führt die Reflexion über Spra- Da für mich im Grunde nur das Erreichen
che nicht automatisch zu einer Verbesse- des Niveaus relevant ist, erscheint es mir
rung des Spracherwerbs und kann nicht am sinnvollsten, nur zwei Bewertungen
als Allheilmittel deklariert werden. Es zu vergeben, nämlich »30« (wodurch
müssen selbstverständlich noch geeig- diese generelle universitäre Höchstnote
nete Methoden für die Einbindung von in diesem Fall durch die Bezeichnung
Sprachbewusstsein in den universitären »bestanden« erläutert werden würde)
Linguistik- und DaF-Unterricht entwi- und »nicht bestanden«, wobei das Zu-
ckelt, erprobt und optimiert werden. und Absprechen der festgelegten Kom-
petenzen bereits in hohem Grade Ausle-
3. Überlegungen zur mündlichen Prü- gungssache ist.
fung Aus diesem Grund habe ich als Grund-
(Daniel Jaeger) lage des freien Gesprächs in der mündli-
Ein prinzipielles Problem in der universi- chen Prüfung Fragen eingeführt, die sich
tären Prüfungspraxis besteht meiner direkt auf den im Semester behandelten,
Meinung nach darin, dass das System der wohl definierten Wortschatz beziehen
Kompetenzniveaus und die dazugehöri- und so neben dem subjektiven Eindruck
gen Kannbeschreibungen mit dem der aus dem Gespräch mit der Anzahl der
Benotung eigentlich inkompatibel sind. verstandenen und beantworteten Fragen
Im zweiten Jahr sollen die Studierenden auch einen quantifizierbaren Faktor als
das Niveau B1 erreichen, das dann für zweites Notenkriterium bereitstellen. Die
das dritte Jahr vorausgesetzt wird und Studierenden, die die Vokabelprüfungen
dort auch tatsächlich erforderlich ist, um während des Semesters bestanden hat-
am Unterricht teilnehmen zu können. Die ten, mussten stattdessen lediglich eine
Prüfung muss also einerseits dieses Ni- kurze mündliche Prüfung absolvieren,
veau feststellen, stellt andererseits aber um ihre allgemeine kommunikative
eine Leistung dar, die zu benoten ist; Kompetenz zu beweisen, die anderen
dabei ist 30 die beste Note und 18 die wurden mit Fragen konfrontiert, die den
niedrigste, die noch ein Bestehen und behandelten Wortschatz mit den geeigne-
also die »Versetzung« in das dritte Jahr ten Kannbeschreibungen des »Römi-
bedeutet. Wenn nun aber das Niveau B1 schen Modells« für dieses Niveau kombi-
als vorgegebenes Lernziel des zweiten nierten.
Jahres bei seinem Erreichen mit der Best- »Kann sich dank eines ausreichend großen
note 30 bewertet werden müsste, das Repertoires an Wörtern und Wendungen
Nichterreichen dieses Niveaus aber nicht und manchmal mit Hilfe von Umschreibun-
für die Versetzung ins dritte Jahr aus- gen über die meisten Themen des eigenen
reicht, also noch nicht einmal mit 18 Alltagslebens (z. B. Familie, Hobbys, Inter-
essen, Arbeit, Reisen, aktuelle Ereignisse)
bewertet werden kann, dann müsste die äußern.«
Benotung eine Binnendifferenzierung
des Niveaus leisten. Es hat aber keinen bzw.
Sinn zu sagen, mit 30 habe man die »Kann sich einfach und zusammenhängend
Kompetenz in sehr guter Weise, mit 18 über vertraute Themen und persönliche In-
aber immer noch in ausreichender Weise teressengebiete äußern.«
erlangt, wenn die Kompetenzen gerade Fragen, die sich demzufolge aus der
mit dem Ziel definiert sind, einen spezifi- praktischen Anwendung der Wörter aus
schen Sprachstand zu bestimmen, also dem Lernwortschatz ergaben, waren also
entweder vorhanden zu sein oder nicht. z. B.:
399
»Haben Sie Vorhänge in Ihrem Zimmer«? – Könntest du auch in Zukunft das Port-
»Sind Ihre Cousins und Cousinen alle voll- folio alleine weiter ausfüllen?
jährig«?
»Kennen Sie jemanden, der ein Klavier Das Feedback der Studierenden war sehr
hat«? positiv. Alle Studierenden unterstrichen,
wie wichtig die Vergleichbarkeit und
Vorausgesetzt, dass der Wortschatz vor-
Transparenz der Kompetenzen auf euro-
handen ist, kann jede der Fragen, von
päischem Niveau sei. Aber auch für den
denen ich ungefähr hundert vorbereitet
eigenen Lernprozess, für das eigene En-
hatte, in ein kleines Gespräch einführen.
gagement und das Unterrichtsgeschehen,
d. h. den Austausch mit dem Dozenten,
4. Das Europäische Sprachenportfolio –
sei das Portfolio sehr hilfreich. Positiv sei
ist ein Einsatz an der Universität sinn-
das Portfolio auch deshalb, weil man
voll?
seine Kompetenzen selbst einschätzen
(Martina Nied Curcio)
lerne. Es sei nicht nur feststellbar, was
Auf der Grundlage des »Römischen Mo- man schon könne, sondern auch, welche
dells« wurde Ende 2004 ein Sprachen- Lücken existierten, so dass man die Mög-
portfolio nach den Beschreibungen des lichkeit habe, gezielt daran zu arbeiten.
Europarats, nämlich mit Sprachenpass, Außerdem könne man dadurch die eige-
Sprachbiographie und Dossier, in deut- nen Lernziele feststecken, regelmäßig
scher Sprache ausgearbeitet. An einer kontrollieren und auch verändern sowie
Probephase haben 67 DaF-Studierende
seine Lerntraditionen und Lernmetho-
teilgenommen. Anschließend bewerteten
den neu reflektieren. Lediglich das Aus-
sie den Einsatz des Portfolios anhand
füllen auf Deutsch, so betonten die Stu-
eines Fragebogens; sechs Probanden
dierenden, sei ohne Unterstützung der
wurden zusätzlich interviewt. Der Frage-
Lehrperson sehr schwierig und nicht alle
bogen bestand aus verschiedenen Fragen
seien in der Lage, es alleine zu tun. Aus
zur generellen Nutzung, wie:
den Interviews geht außerdem explizit
– Glaubst du, dass das Portfolio nützlich hervor, wie sehr sich die Studierenden
ist? einen regelmäßigen Einsatz des Spra-
Wenn ja, wofür? chenportfolios im Unterricht wünschen.
– Glaubst du, dass es wichtig ist, deine
Sprachkenntnisse mit den europäi-
5. Über kulturelle Unterschiede bei den
schen Niveaustufen zu vergleichen?
kommunikativen Kompetenzen in der
Andere Fragen betrafen die Nützlichkeit L1
in Bezug auf die Sprachkenntnisse: (Daniel Jaeger)
– Kann das Portfolio dir helfen, dein Der GER unterteilt die Fremdsprachpro-
Sprachniveau festzustellen? gression und die in ihrem Verlauf erreich-
– Glaubst du, dass du dir nach dem ten Kompetenzniveaus in sechs Stufen.
Ausfüllen des Portfolios deiner Sprach- Die als C2 bezeichnete letzte Stufe wird
kenntnisse bewusster bist? auch als quasi muttersprachlicher Ge-
Weitere Fragen wurden in Bezug auf den brauch der Sprache umschrieben. Es ist in
Sprachlernprozess gestellt, wie Bezug auf die Definition der Niveaus
– Ist das Portfolio eine Hilfe um deinen zuweilen angemerkt worden, dass z. B.
Lernprozess besser kennen zu lernen? folgende Beschreibung dieses Niveaus
Die letzten Fragen gingen um die prakti- selbst von vielen Muttersprachlern nicht
sche Handhabung des Portfolios wie z. B. erreicht wird:
400
»Kann praktisch alles, was er/sie liest oder frei wählen. So ist das, was in Amerika,
hört, mühelos verstehen. Kann Informatio- Deutschland oder Italien als korrekte
nen aus verschiedenen schriftlichen und Wegbeschreibung gilt, unter Umständen
mündlichen Quellen zusammenfassen und
dabei Begründungen und Erklärungen in sehr verschieden, weil die Einhaltung von
einer zusammenhängenden Darstellung Kriterien wie Exaktheit, Nützlichkeit und
wiedergeben. Kann sich spontan, sehr flüs- Wahrung einer Fassade unterschiedlich
sig und genau ausdrücken und auch bei gewichtet werden.
komplexeren Sachverhalten feinere Bedeu- Die Deskriptoren der europäischen Kom-
tungsnuancen deutlich machen.«
petenzniveaus scheinen mir genau aus
Ähnliches gilt sogar auch für die Be- diesem Grund zwar grundsätzlich wich-
schreibungen niedrigerer Niveaus. Es tig und richtig, aber in vielen Punkten
scheint auf jeden Fall unstrittig zu sein, auch fragwürdig und irreführend zu
dass die vom europäischen Referenzrah- sein. Das nämlich insofern, als sie dem
men und Profile deutsch verwendeten Lehrer unter Umständen suggerieren,
Kompetenzumschreibungen neben der dass er kommunikative Handlungen in
Vertrautheit mit der Sprache auch mit einen grammatikalisch-lexikalischen und
allgemeinen kognitiven Kompetenzen einen kognitiv-performativen Anteil zer-
zusammenhängen. legen könne, den Lernenden jedoch nur
Genauso wie man obige Kompetenz, die den ersten vermitteln müsse, den zwei-
eigentlich jeder Muttersprachler haben ten aber immer schon als von der L1 her
sollte, verschiedenen Personen in unter- gegebenen voraussetzen könne.
schiedlichem Maße zu- oder völlig ab- Dass es im Rahmen des universitären
sprechen würde, werden sie meiner Mei- Deutschunterrichts nicht möglich ist, spe-
nung nach innerhalb der einzelnen zifische kulturelle Verhaltensmuster zu er-
Sprachgemeinschaften und Sprachen auf arbeiten, liegt auf der Hand. Die obigen
unterschiedliche Weise gefordert und Überlegungen können jedoch für die vie-
folglich auch erbracht. len Ebenen sensibilisieren, auf denen es
Man attestiert verschiedenen Sprachen Schwierigkeiten geben kann, die einem
und der in ihnen erfolgenden mündlichen Standardsprachgebrauch im Weg stehen.
und schriftlichen Textproduktion völlig
zu Recht, dass sie gewisse sprachlich- 6. Notwendige Ergänzungen im »Römi-
gedankliche Aufgaben besser als andere schen Modell«
bewerkstelligen. (So gelten englische Die Studierenden nähern sich im 1. Jahr
Lehrwerke z. B. als verständlicher und ein Semester lang dem Bereich der Pho-
klarer geschrieben als etwa deutsche, was nologie/Phonetik im Linguistikunter-
natürlich nicht die Existenz von Gegenbei- richt aus einer sprachwissenschaftlichen
spielen leugnet.) Hinsichtlich derartiger Perspektive. Eine zur Linguistik gehö-
sprachlich-kultureller Phänomene besteht rende Kannbeschreibung ist z. B.:
wohl eine Wechselwirkung zwischen den
»Der Student soll beispielsweise die Unter-
sprachlichen Eigenschaften und dem kul- schiede zwischen dem deutschen und dem
turellen Kontext, in dem eine Einzelspra- italienischen Lautsystem erkennen und zur
che gebraucht wird. Und genauso wenig, Verbesserung der Aussprache als kogniti-
wie ein Sprecher ein Wort völlig losgelöst ves Hilfsmittel benutzen können. Es geht
von der Bedeutung gebrauchen kann, die hier also eher um den Erwerb von theoreti-
schem Wissen und nicht so sehr um die
durch die Sprachgemeinschaft geprägt ist, Kompetenz der korrekten Aussprache.«
kann er die pragmatischen Äußerungsty- ( N i e d C u rc i o / R ö ß l e r / S c h l a n s t e i n /
pen losgelöst von kulturellen Vorgaben Schlicht/Serra Borneto 2003)
401
schen. Festschrift für Werner Besch. Frank- Quetz, Jürgen: »Der Gemeinsame Europäi-
furt a. M., Berlin: Lang, 1993, 723–747. sche Refernzrahmen«, Info DaF 28 (2001),
Neuland, Eva: »Vielfältiges Deutsch und 553–563.
eine eigene Sprache. Anmerkungen zum Scherfer, Peter: Untersuchungen zum Sprach-
Lernziel ›Reflexiver Sprachgebrauch‹«, bewußtsein der Patois-Sprecher in der Fran-
ide (Informationen zur Deutschdidaktik) che-Comté. Tübingen: Narr, 1983.
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Neuland, Eva: »Sprachbewußtsein – eine und Metakommunikation«. In: Schlie-
zentrale Kategorie für den Sprachunter- ben-Lange, Brigitte (Hrsg.): Sprachtheorie.
richt«, Der Deutschunterricht 3 (2002), 4– Hamburg: Hoffmann und Campe, 1975,
10. 189–205.
Nied Curcio, Martina; Rößler, Elke; Schlan-
stein, Lisa; Schlicht, Michael; Serra Bor- Seidel, Brigitte: Wörter im Sprachbewußtsein.
neto, Carlo: »Ein ›Europäisches Curricu- Sprachkunde in der Sekundarstufe 1. Han-
lum‹ für Deutsch als Fremdsprache an nover: Schroedel, 1989.
den italienischen Universitäten. Das Rö- Serra Borneto, Carlo: »Wie schwer ist
mische Modell«, Deutsch als Fremdsprache Deutsch – wie ist Deutsch schwer?
41 (2005), 136–142. Schwierigkeiten bei der Erlernung des
Portmann-Tselikas Paul R.; Schmölzer-Ei- Deutschen (aus italienischer Sicht)«, Info
binger, Sabine: Grammatik und Sprachauf- DaF 27 (2000), 565–583.
merksamkeit. Innsbruck: Studienverlag, Trim, John; North, Brian; Coste, Daniel (in
2001. Zusammenarbeit mit Joseph Sheils): Ge-
Portmann-Tselikas, Paul R.: »Aufmerksam- meinsamer europäischer Referenzrahmen
keit statt Automatisierung. Überlegun- für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen.
gen zur Rolle des Wissens im Gramma- (Übersetzung: Jürgen Quetz in Zusam-
tikunterricht«, German as a foreign lan- menarbeit mit Raimund Schieß und Ul-
guage, 2003. http://www.qfl-journal.de/ rike Sköries) Berlin et al.: Langen-
2–2003/portmann-tselikas.pdf scheidt, 2001.
403
Markus Raith
Bei der Analyse von Liedern beziehungs- gung, die es im Folgenden an einem
weise Songs – so ist im Vorwort der konkreten Beispiel zu erörtern gilt.
Mitteilungen des Deutschen Germanisten- Dabei ist von den zentralen Kompeten-
verbandes zu lesen – kommt der philolo- zen, die im Fremdsprachenunterricht
gisch ausgerichtete Interpret in eine pre- vermittelt werden, sprachlichen, diskur-
käre Situation, wenn er sich zuvorderst siven und soziokulturellen (vgl. Demou-
am Liedtext orientiert: gin/Dumont 1999) vor allem letztere von
»Ganz generell gilt, dass Theorien, Metho- Interesse. Mit ihr werden Kenntnisse
den und Instrumente der Lyrikanalyse auch über das Unausgesprochene einer Kultur,
im Falle der Songtexte zu relevanten Ergeb- über ihre inhärente kulturelle »Gramma-
nissen kommen. Und ebenso wenig sind tik« (Demougin/Dumont 1999: 17) er-
rhetorische oder narratologische Verfahren, worben. Anders formuliert:
motivgeschichtliche Analysen, sozial- und
kulturhistorische Erläuterungen sowie an- »Lerner müssen in die Lage versetzt wer-
dere Ansätze von vornherein verfehlt oder den, die in Texte [im Sinne eines weiten
unangemessen. Gleichzeitig aber dürfen Textbegriffs: Text als kommunikative Hand-
Fragen nach der musikalischen Faktur, der lung; M. R.] implizit eingehenden und von
Performanz, der Inszenierung und der spe- Texten als selbstverständlich verfügbar vor-
zifischen Vermarktung nicht unbeachtet ausgesetzten kulturellen Deutungsmuster
bleiben, sind sie doch in vielen Fällen und als solche zu identifizieren, zu aktivieren
mit guten Gründen für relevanter als die und im Prozess des Verstehens für die Her-
eigentliche Textanalyse zu erachten.« stellung eines kohärenten Textsinns frucht-
(Achermann/Naschert 2005: 211) bar zu machen.« (Altmayer 2004: 459)
Eben dieses philologisch problematische Auf diesem didaktisch höchst anspruchs-
Widerspiel von Liedtext und Musik/In- vollen und komplexen Gebiet, wo es um
szenierung kann für den DaF-Unterricht den imaginären Haushalt einer Sprecher-
im Bereich der Landeskunde didaktisch gemeinschaft geht, der nicht unbedingt
fruchtbar gemacht werden, indem alle explizit thematisiert wird, kommt dem
Komponenten eines Liedes miteinbezo- Lied genauso wie dem Film eine wichtige
gen werden: so zumindest unsere Anre- Rolle zu.
Das Lied umfasst dabei, wie bereits er- Er ist nur ein Charmeur,
wähnt, die Aspekte Text, Musik und In- Sein Lächeln und sein Flair,
szenierung, also das Auftreten der Musi- Sind sein ganzes Kapital,
Was braucht er mehr?
ker und ihre öffentliche Präsenz, auch via
Bild in Presse und Fernsehen. Diese Ohne Sinn, ohne Ziel,
Aspekte lassen sich grob drei Bereichen Ohne Regeln ist sein Spiel,
zuordnen: Und er spielt es nonchalant
Im großen Stil
1. dem sprachlichen Bereich, das ist in [Hervorhebungen vom Verfasser]
erster Linie der Liedtext;
2. dem parasprachlichen Bereich, etwa Wendet man das oben vorgestellte, drei-
die Stimme des Sängers und seine Art gliedrige Schema auf Tommy Mammels
zu singen; Der Flaneur an, ergibt sich folgendes
3. dem außersprachlichen Bereich: dazu Bild: Seine Art zu singen – die raue
zählen Musik und Instrumentation, Stimme und das Sprechen mancher Pas-
aber auch die öffentliche Inszenierung sagen – verweist genauso wie die Instru-
und alle thematischen beziehungs- mentation, vor allem die Dominanz des
weise intertextuellen Bezüge. Akkordeons, auf die musikalische Tradi-
tion des französischen Chansons. Dazu
Diese drei Bereiche, die hier aus Gründen
kommt der auffallend häufige Gebrauch
der analytischen Übersichtlichkeit ge-
trennt aufgezählt werden, sind bei der französischer Begriffe wie nonchalant,
Arbeit mit Liedern selbstredend nur in Flair etc., ein Phänomen, das sich bereits
ihrem beständigen Widerspiel zu erfas- im Titel Der Flaneur andeutet. Während
sen. Sie generieren zusammen jene kom- Musik, Stimme und französische Lehn-
plexe »Redundanz« (vgl. Demougin/Du- wörter allesamt auf das Nachbarland
mont 1999) von Text, Musik und Insze- verweisen, wird allerdings ausgerechnet
nierung, die sich didaktisch als äußerst in diesem Lied das Thema der Heimat
ergiebig erweist. behandelt, gewissermaßen ein schlecht-
Gezeigt werden soll dies am Beispiel eini- hin deutscher Begriff, der zumindest ins
ger Lieder des südwestdeutschen Musi- Französische nicht adäquat übersetzt
kers Tommy Mammel1 und namentlich werden kann. Verstärkt wird diese
an Der Flaneur. Der Liedtext lautet: Spannung dadurch, dass Heimat im sel-
ben Vers – dem ersten des Refrains – mit
Er ist nur ein Flaneur, dem französischen Begriff Café nicht nur
Nimmt das Leben nicht so schwer,
Er ist nur ein Badegast im Menschenmeer in syntaktische, sondern vor allem auch
semantische Nähe gebracht wird: »Seine
Wie das Treibgut am Strand Heimat sind die Straßencafés«. Offen-
Spült’s ihn hier und da an Land,
Er ist überall zuhaus’, unerkannt sichtlich geht es in diesem Lied um (un-
ausgesprochen deutsche) Identitäten,
Seine Heimat sind die Straßencafés,
Die Boulevards, die Promenaden am See, die vor der Folie einer anderen Kultur,
Die Straßen mit den Bars und Stundenho- der französischen, evoziert werden. Al-
tels, lerdings ist ihre Thematisierung allge-
Die große und die kleine Welt mein gehalten und beschränkt sich auf
1 Informationen zu Tommy Mammel finden sich auf seiner Internet-Seite unter www.tom-
mymammel.de. Die erwähnten Lieder sind Songs für ein Leben in Color und In der Ferne
daheim entnommen, welche in den neunziger Jahren als Soloalben erschienen sind.
Musikalisch war Tommy Mammel zuvor schon länger als Bandmitglied tätig.
405
wie er paradigmatisch 1851 in Henri Ferne daheim scheint ein nachgerade pa-
Murgers La vie de la bohème erscheint radigmatischer Titel für das schwierige
(vgl. Murger 1988) und häufig in ein deutsche Selbstverständnis nach dem
erotisches Verhältnis zu seiner weibli- Zweiten Weltkrieg zu sein, für das der
chen Muse gesetzt wird. So heißt es bald massenhafte Tourismus ins Aus-
denn auch bei Tommy Mammel: »Be- land eine Möglichkeit wenn nicht des
täube mich sanft mit deinem Kuß und Vergessens, so doch des vorübergehen-
einem Glas Absinth«. den Ausblendens drängender Fragen
Tommy Mammels Lieder verweisen an- darstellt: »Die Flut des Tourismus be-
dererseits aber auch auf eine folgenreiche deute«, so Hans Magnus Enzensberger
kulturhistorische Phase nach 1945, in der in seiner Theorie des Tourismus von 1958,
Frankreich zur bevorzugten Referenz »eine einzige Fluchtbewegung aus der
deutscher Künstler und Intellektueller Wirklichkeit, mit der unsere Gesell-
wurde: schaftsverfassung uns umstellt«
(Enzensberger 1958: 712). Auch wenn
»Herausragender ›Start- und Sattelplatz‹ Enzensbergers Essay allgemein kultur-
für intellektuelle, dann modisch-populari-
sierte Neugierde auf raffiniertes Leben war kritisch gehalten ist und bisweilen stark
das ›existentialistische Paris‹. […] Der Exis- simplifiziert, so trifft er doch die spezi-
tentialismus (im weitesten Sinn des Wortes fisch deutsche Situation zur Zeit des
verstanden) war vor allem bei der Jugend »Wirtschaftswunders«, die zugleich ge-
Mode, Attitüde und Kontrastfolie zum bun- prägt ist von kultureller beziehungs-
desrepublikanischen deodoranten Schön-
heitskult.« (Glaser 1997: 224 f.) weise politischer Neuorientierung und
Kontinuität, ja Rückbesinnung auf äl-
Dies betrifft besonders die 50er und noch tere, bildungsbürgerliche Traditionen.
die 60er Jahre – etwa die Begeisterung für Das Verhältnis von Heimat und Fremde
die Bohème von St. Germain, die franzö- vor dem Hintergrund der Reise sowie
sische zeitgenössische Literatur etc. –, ist deutsch-französische Kulturkontakte,
aber in abgeschwächter Form weiter vor allem durch Intellektuelle und
wirksam. Neben dem französischen Vor- Künstler, sind dabei nur zwei wenn-
bild, in den 50er Jahren sehr dominant, gleich zentrale Themen, die den Kontext
findet man freilich auch Spuren der als- der Lieder Tommy Mammels bilden.
bald bestimmenden amerikanischen Kul- Mit Bildern und Texten aller Art ließen
tur in den Liedern Tommy Mammels, sich die hier nur angedeuteten und wei-
wenn es beispielsweise in Karl und Linda tere, nicht erörterte Bezüge detaillierter
heißt, dass die beiden Protagonisten des herstellen, um profunde landeskundli-
Liedes bei ihrer spontanen Reise das Ra- che und hier vor allem kulturhistorische
dio auf den amerikanischen Sender AFN Kenntnisse zu vermitteln. Für das 19.
stellen. und frühe 20. Jahrhundert könnten Bil-
Viele seiner Lieder mit ihren Referenzen der zum Verhältnis von Künstler und
auf Fremdkulturelles und der Themati- Modell/Muse – auch vor dem Hinter-
sierung des Reisens, des Aufbruchs, grund von Puccinis Oper La Bohème –
zeugen gleichsam retrospektiv vom oft genauso verwendet werden wie Aus-
latenten bundesrepublikanischen Be- züge aus den Texten Benjamins und
dürfnis, dem eigenen Land (und somit Kracauers, oder poetische Texte, etwa
auch der eigenen jüngeren Geschichte) Georg Heyms Gedicht Eine Heimat wüßte
zu entfliehen, das sich vor allem in den ich uns beiden… (1912), dessen Titel ganz
50er und 60er Jahren manifestiert. In der explizit auf die Strophe »Doch hier wie
407
dort gibt es Platz für uns zwei« verweist Mammels bieten im landeskundlichen
(vgl. Heym 1993). Für Bezüge zur Zeit- DaF-Unterricht ein hervorragendes Mit-
geschichte nach 1945 könnten neben tel, Sprache und Kultur als soziale Pra-
Zeugnissen zur deutschen Rezeption xen zu zeigen. Dabei können kognitive
des Existentialismus und französischer und sinnlich-emotionale Zugänge im
Bestseller wie Bonjour Tristesse von Fran- Sinne einer »Schwerpunktverlagerung
çoise Sagan (vgl. Sagan 1990) auch der von der ›kognitiven‹ oder ›faktischen‹
deutsche Schlager der Wirtschaftswun- zur ›interkulturellen Landeskunde‹«
derzeit vorgestellt und die weit verbrei- (Altmayer 2004: 36) kombiniert werden.
tete Sehnsucht nach einem anderen ro- Die Arbeit mit Liedern ergänzt auf diese
manischen Kulturraum, nach Italien mit Weise nicht nur den dominanten Bereich
seinen Capri-Fischern, thematisiert wer- der fast ausschließlich kognitiv gelehr-
den. Gerade Italien wird zu einem der ten sog. Institutionen- und Realien-
ersten touristischen Ziele nach dem kunde, sondern lässt fremdkulturelle
Zweiten Weltkrieg, als es der stetig Phänomene in ihrem konstitutiven
wachsende Wohlstand immer breiteren Spannungsverhältnis deutlich werden,
Bevölkerungsschichten erlaubt, (meist so wie dies hier am Beispiel deutscher
mit dem Auto) in den Urlaub zu fahren. Identitätskonstruktionen vor französi-
Es wird daher in der Wirtschaftswun- scher Folie gezeigt wurde.
derzeit – im Anschluss an eine lange
Dabei lässt sich die Vielzahl der Didakti-
deutsche Tradition der Italienreise – von
sierungsmöglichkeiten, die etwa Rodri-
Goethe bis Heinrich Mann – zum Sym-
guez vorschlägt (vgl. Schmitt 2005: 507),
bol für mediterranen Lebensgenuss und
gezielt einsetzen. So kann das Hören von
dolce vita, besungen in dem berühmten
Der Flaneur nach den ersten Takten – es
Schlager von Rudi Schuricke. Vor allem
spielt das Akkordeon – unterbrochen
die Strände der Adria werden allerdings
werden, um die Frage nach der (musika-
auch zum berüchtigten »Teutonengrill«,
lisch) kulturellen Verortung des Liedes
wo deutsche Urlauber unter südlicher
zu stellen. Dann bietet sich Vokabelarbeit
Sonne massenhaft auf ihre eigenen
Landsleute und ihre eigene (Ess-)Kultur an, die von den französischen Lehnwör-
treffen. Gerhard Polt hat dieses Phäno- tern her operiert und mit einer kombi-
men in seinem Film Man spricht deutsch nierten Hörverstehens-/Lückentextauf-
(1988) karikiert. Dieser Film könnte im gabe auf das zentrale kulturelle Schlüs-
DaF-Unterricht die Arbeit mit Liedern selwort (vgl. Altmayer 2004: 223 ff.) Hei-
um eine visuelle Komponente berei- mat hinsteuern sollte und schließlich
chern. könnte die Einbettung des Liedes in sei-
Diese Vorschläge ließen sich natürlich nen bereits skizzierten historischen Kon-
um viele weitere Themen ergänzen. Di- text via Bild- und Textdokument erfol-
daktisch wichtig an Liedern im Fremd- gen.
sprachenunterricht ist, dass sie erlau- Was hier am Beispiel Tommy Mammels
ben, sedimentierte kulturelle Deutungs- ausgeführt wurde, lässt sich selbstredend
muster einer Sprechergemeinschaft auch auf andere Lieder im Landeskunde-
gleichsam schichtenweise freizulegen, unterricht anwenden. Von großer Bedeu-
weil sie in ihrer Verfasstheit mehrdi- tung ist dabei freilich deren Auswahl.
mensional daherkommen: Musik, Spra- Nach Demougin/Dumont (1999: 190 ff.)
che und Bilder (der Musiker) greifen kann grob zwischen zwei Typen unter-
ineinander. Lieder wie die Tommy schieden werden:
408
1 Vgl. etwa das Lied Jessica Simpson. Informationen und Rezensionen zu Adam Green
finden sich beispielsweise bei: http://www.zeit.de/2005/03/Adam-Green.
409
Almut Meyer
mal wiederholt werden kann. In diesen und zentral organisierte Staatsformen ge-
Prüfungen werden kursbezogen haupt- genüberstellen. Meist liegen aber die Un-
sächlich Leseverstehen und fachtextspe- terschiede zwischen den Rechtssystemen
zifische Grammatikkenntnisse getestet. nicht so deutlich auf der Hand, wie z. B.
Zusätzlich zu diesen beiden Wahlpflicht- beim »Eigentumsvorbehalt« im Kontext
kursen gibt es noch fakultative Spezial- der Konkursmasseverwaltung bei Insol-
kurse, die in enger inhaltlicher Koopera- venzen im deutsch-finnischen Wirt-
tion mit rechtswissenschaftlichen Semi- schaftsverkehr. Dieser Rechtsbegriff exis-
naren angeboten werden. Diese Lehran- tiert zwar in beiden Sprachen, wird aber
gebote werden von den Studierenden nicht mit einem identischen Rechtskon-
zum einen deshalb angenommen, weil zept verbunden, so dass gerade für den
diese Sprachkurse eine Ergänzung zu deutschen Handelspartner negative
den auf Finnisch gehaltenen Seminaren Überraschungen auftreten können, wenn
darstellen. Zum anderen ist der zeitliche er sein Eigentum nicht aus der Konkurs-
Aufwand für die Studierenden wesent- masse in Finnland ausgliedern kann.
lich geringer, da diese Veranstaltungen
als Blockkurse stattfinden, die höchstens 2. Aufgaben des Sprachunterrichts
vier Wochen dauern. Attraktiv scheinen Dem folgenden Abschnitt möchte ich ei-
neben der zeitlich geringeren Belastung nige allgemeine Überlegungen zur Fach-
auch die Kursinhalte zu sein, die sich auf sprache Recht voranstellen.
ein bestimmtes Rechtsgebiet konzentrie- Der Rechtssprache wird innerhalb der
ren. Für die Studierenden sind offensicht- Fachsprachen eine gewisse Sonderrolle
lich gegen Ende ihres Jurastudiums so- zugeschrieben, die hier vor dem Hinter-
wohl Urheberrecht, Strafrecht als auch grund der textlinguistisch geprägten
Gesellschaftsrecht interessante Rechtsbe- Rechtslinguistik ansatzweise in einigen
reiche. Die erworbenen Leistungspunkte zentralen Punkten dargestellt werden
werden formal entweder als Extrakurs soll.
angerechnet oder bilden einen Teil der Das Recht ist eine gesellschaftliche Insti-
Note des rechtswissenschaftlichen Semi- tution, deren wesentliche Aufgabe darin
nars. besteht, gesellschaftliche Konflikte zu lö-
Bei der inhaltlichen Ausgestaltung aller sen, vorausgesetzt, dass ein Bedürfnis
Deutschkurse spielen kulturkontrastive nach einer Lösungsstrategie vorhanden
und rechtsvergleichende Momente eine ist (Busse 2004: 8–9). Den Texten dieser
entscheidende Rolle. Zwar gehören das Institution – den Rechtstexten – werden
finnische und deutsche Rechtssystem institutionell gebundene Funktionen zu-
zum gleichen Rechtskulturkreis, aber gewiesen (Busse 1992: 115). Wird nach
dennoch bestehen Unterschiede zwi- den Adressaten eines Textes gefragt, so
schen diesen beiden Systemen. Darüber hat z. B. ein Urteil für den Verurteilten
hinaus ist die Orientierung auf die Be- wegen seiner enthaltenen rechtlichen
rufspraxis ein Ausgangspunkt für die di- Konsequenzen eine andere Funktion als
daktische Arbeit. für einen Richter oder Rechtswissen-
Ein konkretes Beispiel sind hier die ge- schaftler, der den Urteilstext als Teil des
setzlichen Regelungen für den Laden- richterlichen bzw. wissenschaftlichen
schluss. Daran lassen sich nicht nur kul- Diskurses betrachtet.
turelle Unterschiede aufzeigen, die die Rechtstexte, vor allem normative Texte,
Kursteilnehmer teilweise schon selbst er- erhalten ihre Bedeutung erst wesentlich
lebt haben, sondern auch föderalistisch aus ihrer intertextuellen Verknüpfung
412
mit anderen Rechtstexten. Dadurch er- Rechtstexten bezieht sich nicht nur auf
halten Rechtstexte selbst eine gesell- die Textrezeption, sondern auch auf die
schaftlich institutionelle Funktion. Um Textproduktion.
Rechtstexte verstehen zu können, muss Zwar ist noch die Vorstellung anzutref-
also das dazugehörige intertextuelle fen, dass Normtexte im »Wortlaut« lü-
Netz in den Verstehensprozess einbezo- ckenlos, alle Eventualitäten erfassend,
gen werden, da die Wirkung von Norm- klar, bestimmt und präzise formuliert
texten durch die Vernetzung mit anderen seien, so dass sie keiner Auslegung mehr
Normtexten beeinflusst, d. h. erweitert, bedürfen. Aber dieser Vorstellung steht
eingeschränkt, modifiziert werden kann inzwischen die Einsicht gegenüber, dass
(Busse 1992: 118). Beispiele für die Inter- jeder »Wortlaut« auslegungsfähig und
textualität von Rechtstexten sind die fünf auslegungsbedürftig ist (Nussbaumer
Bücher des Bürgerlichen Gesetzbuches 2005: 57). Da es sich bei Gesetzen um
(BGB), in dessen erstem Teil allgemeine generelle und abstrakte sprachliche For-
Bestimmungen enthalten sind, die für die mulierungen handelt, die in kürzester
anderen Teile (Sachenrecht, Schuldrecht, Form eine theoretisch unendliche Menge
Familienrecht, Erbrecht) gelten und ih- an konkreten Fällen erfassen und regeln
nen zur Vermeidung von Wiederholun- müssen, ist eine gewisse Offenheit und
gen vorangestellt sind. Gutachten, Kom- Flexibilität notwendig. Nussbaumer
mentare und wissenschaftliche Aufsätze (2005: 47) spricht in diesem Zusammen-
zu Gesetzen bilden ebenfalls intertextu- hang von Vagheit, die im Kontext des
elle Vernetzungen von Rechtstexten. Sprachunterrichts vom Lerner einen
Neben ihrer intertextuellen Verknüpfung selbstbewussten Umgang mit der Fremd-
untereinander weisen Rechtstexte auch sprache und dem anderen Rechtssystem
einen gesellschaftlichen Bezug auf. Ent- verlangt.
scheidungs- oder Normtexte, einschließ- Im Fachfremdsprachunterricht begegnen
lich ihrer Kommentare, beziehen sich auf die Lerner nicht nur der Fremdsprache,
gesellschaftliche Lebensverhältnisse, die sondern vor allem einem anderen Rechts-
nicht statisch sind, sondern sich verän- system. Meine Unterrichtserfahrungen
dern können (Busse 1992: 118). Der Ge- haben gezeigt, dass die deutsche Rechts-
setzgeber reagiert z. B. auf Technologie- sprache für finnische Lerner im Vergleich
entwicklung (e-commerce, Datenschutz), zur englischen hinsichtlich rechtlicher In-
veränderte Umweltbedingungen (Emis- halte eigentlich leichter zu lernen ist, da
sionskauf) oder gesellschaftliche Pro- beide Systeme zur gleichen Rechtskultur
bleme im Zusammenhang mit der Ein- gehören. So haben deutsche und finni-
wanderung. Damit wird das Sprachler- sche rechtliche Fachwörter bedeutungs-
nen auch zu einem gesellschaftlichen identische bzw. bedeutungsähnliche
Lernen. Konzepte, wohingegen das common law
Der Umgang mit Rechtstexten ist immer die Auseinandersetzung mit einem völlig
interpretierend. Das heißt sprachlich fi- anderen Rechtssystem erfordert.
xierte Normen existieren oder erlangen Beim Deutschlernen können die Lernen-
ihre Gültigkeit nur durch die Vermittlung den also aufgrund der rechtskulturellen
von Sprache. Damit geht der Anwen- Ähnlichkeiten von ihrem erworbenen ju-
dung von Recht immer ein Auslegen, ein ristischen Wissen profitieren, indem sie
Interpretieren der sprachlich gefassten sich durch ihr Vorwissen rechtliche In-
Norm voraus (Busse 1993: 9). Der subjek- halte in der Fremdsprache teilweise oder
tive interpretierende Umgang mit vollständig erschließen können. Der Ab-
413
lauf eines Strafprozesses ist in Finnland gen, sowohl in der Grammatik als auch
und Deutschland sehr ähnlich, so dass im Alltagswortschatz (z. B. Flektion unre-
die Lerner ohne Probleme einen diesbe- gelmäßiger Verben).
züglichen Sachtext zumindest im We- Im Zusammenhang mit der Rechtsspra-
sentlichen verstehen können.1 che wird häufig auf Verständnisspro-
Vor diesem theoretischen Hintergrund bleme hingewiesen, die u. a. durch juristi-
möchte ich die Aufgabe des Fachspra- sche Terminologie, Umdeutungen all-
chenunterrichts an einer Jurafakultät in tagssprachlicher Ausdrücke, Nominalstil
folgender Weise formulieren: Der und komplexe Satzstrukturen bedingt
Deutschunterricht soll die Lernenden sind (Kühn 2001: 583). Probleme der Ver-
wesentlich zu einer reflektierenden Aus- ständlichkeit stellen »fast ausschließlich«
einandersetzung mit der gesellschaftli- den Gegenstand rechtslinguistischer Un-
chen Institution Recht anleiten, wozu tersuchungen dar (Kühn 2001: 583; siehe
zentral ein kritischer Umgang mit dem z. B. auch Lerch 2004 oder Simonnæs
deutschen Rechtssystem gehört. Eine 2005). Schendera (2004: 322) stellt dazu
derartige Begegnung mit einem anderen fest: »Die Unverständlichkeit von Rechts-
Rechtssystem impliziert auch eine Refle- texten hat eine fast schon sprichwörtlich
xion des eigenen, finnischen Systems. zu nennende Tradition«.
Voraussetzungen dafür sind ausrei- Diese traditionelle Charakterisierung der
chende Kenntnisse der deutschen Rechts- Rechtssprache bedarf m. E. einer Diffe-
sprache und vor allem Vertrauen der renzierung, die den Sprachbenutzer und
Studierenden in ihre fremdsprachlichen seine Ausgangssprache berücksichtigt.
Fertigkeiten. Die Umsetzung dieser Auf- Er ist zwar ein Sprachlerner, aber kein
gabe bedeutet für den Sprachlehrer, dass juristischer Laie (Schendera 2004 gibt zur
er sich (selbst als Nicht-Jurist) mit der Verständlichkeitsforschung einen aus-
Materie Recht auseinandersetzen muss, führlichen Überblick). Nominalstil, Geni-
um in fremdsprachendidaktischer Hin- tivkonstruktionen und komplexe Satz-
sicht einen der Rechtssprache gerecht strukturen sind finnischen Lernern aus
werdenden Unterricht entwerfen zu kön- ihrer eigenen Rechtssprache wohl be-
nen. kannt und verursachen weniger Verste-
hensprobleme. Vermutlich können feh-
3. Zum fachsprachlichen Unterricht lende Sprachkenntnisse großenteils
Bei der Arbeit mit Rechtstexten sind zu- durch juristisches Wissen ersetzt werden,
nächst sprachliche Probleme zu klären, indem sprachlichen Ausdrücken recht-
die in der Regel im Wesentlichen auf der lich bedeutungsvolle Konzepte zugeord-
morphologisch-syntaktischen und se- net werden.
mantischen Ebene liegen. Damit unter- Schwierigkeiten bereiten finnischen Ler-
scheidet sich der Fachfremdsprachenun- nern eher z. B. die Bedeutungen von Ver-
terricht Recht wohl kaum von demjeni- ben mit Präfix wie erlassen, erheben, erlö-
gen, der nicht fachspezifisch ausgerichtet schen oder unpersönliche Konstruktionen
ist. Teilweise liegen die Verstehens- wie es bedarf oder es obliegt. Auch Kon-
schwierigkeiten im Bereich der Grundla- junktionen und Funktionswörter wie
1 Peter Kühn kritisiert diese gängige Praxis in Lehrwerken Deutsch als Fremdsprache in
seinem Aufsatz »Juristische Fachtexte« (2001). Sein Lehrwerk Jura stellt eine Alternative
dar, weil in ihm die rechtslinguistische Forschung berücksichtigt wird. Anhand ver-
schiedener, juristisch relevanter Textsorten werden sprachliche Phänomene der Rechts-
sprache textsorten- und institutionsgerecht erarbeitet. Allerdings müssen veraltete Texte
durch aktuelle ersetzt werden.
415
1 Zur Arbeitsgruppe gehören: Reinhard von Bernus, Catharina Clemens, Frank Fischer,
Regine Grosser, Jakob Hörtreiter, Dr. Benedikt Jager, Manfred Kaluza, Amadeus Kramer,
Dr. Detlef Otto, Jürgen Röhling, Karin Schmidt, Dr. Sabine Schmidt, Dr. Thomas
Schwarz, Susanne Schulz, Dr. Marina Vollstedt, Jana Walter.
Dazu führt Wierlacher aus, es könne dass historische Themen für das Ver-
ständnis einer fremden Kultur konstitu-
»die Geschichtlichkeit menschlicher Exis-
tenz derzeit in selten konzentrierter Dosie- tiv sind, und der praktischen Umsetzung
rung erfahren und gelehrt werden. Die Le- in Lehrmaterialien. Wir sehen die Gründe
bensbedingungen eines großen Teils der dafür in folgenden Punkten:
Welt haben sich innerhalb einer einzigen – Die Vielfalt historischer Ansätze und
Generation teilweise fundamental verän- die Widersprüchlichkeit von For-
dert. […] Diese weltpolitischen Zusammen-
hänge wirken auf Deutschland zurück; es schungsergebnissen erschweren den
ist nach der Vereinigung zum Transformati- raschen Blick auf das Wesentliche his-
onsstaat geworden und das einzige Land in torischer Themen. Hilfreich könnte da-
Europa, das westliche Strukturen in Politik, bei die Konzentration auf alltags- und
Staat und Gesellschaft aufweist und gleich- mentalitätsgeschichtliche Aspekte (vgl.
zeitig die Folgen von sowjetisch-kommu-
nistischer Unterdrückung und Staatssozia-
Koreik 1995, 2001) gegenüber einer sich
lismus überwinden muss.« (Wierlacher in Daten und Fakten erschöpfenden
2003: 511) Geschichtsvermittlung sein.
– Es besteht ein Mangel an historischen
Erstaunlicherweise hat sich aber an dem
Kenntnissen und Methoden im gesam-
Manko an guten historischen Materialien
ten Berufsfeld DaF: Dabei ist ein ausrei-
für den DaF-Unterricht, das Uwe Koreik
chend breites Faktenwissen bei Lehren-
in seiner Dissertation 1995 festgestellt
den und Lernenden Voraussetzung für
hat, dennoch nicht viel geändert: Histori-
die fruchtbare Auseinandersetzung
sche Themen finden höchstens sehr
mit der Geschichte: Nur so kann man
knapp Eingang in DaF-Lehrwerke und begründet urteilen und eine eigene
dienen häufig primär dem Transport Perspektive auf die fremde Realität fin-
sprachlicher Lernziele. Etwas anders den.
stellt sich die Situation in Bezug auf Zu- Wir konstatieren dies in Abgrenzung
satzmaterialien für den Bereich Landes- zu den ABCD-Thesen, in denen es
kunde dar, etwa in kulturkontrastiv an- heißt:
gelegten Büchern wie Spielarten (Polen- »Primäre Aufgabe der Landeskunde ist
Deutschland) und Typisch Deutsch (USA- nicht die Information, sondern Sensibili-
Deutschland). In den Geschichtskapiteln sierung sowie die Entwicklung von Fä-
beider Werke werden gerade die Teile der higkeiten, Strategien und Fertigkeiten im
deutschen Geschichte thematisiert, die Umgang mit fremden Kulturen«. (These
4)
für beide Länder eine Bedeutung hatten
Hier ist der Stellenwert dessen, was
(und haben) und für das Verständnis der
vermittelt wird, gegenüber der Frage,
deutschen Kultur besonders wichtig wie das geschehen soll, extrem zurück-
sind. Fakten spielen hierbei eine geringe getreten. Ohne Faktenbasis bliebe in-
Rolle (vgl. zur Lehrwerkanalyse Koreik terkulturelles Lernen ein Weg »zu ei-
1995, 2001; Thimme 1996). Vorteil wie nem netten Miteinander« (Koreik 1995:
Nachteil dieser Landeskundematerialien 194), eben oberflächlich:
gleichermaßen ist die kulturkontrastive »Eine einseitige Betonung interkulturel-
Ausrichtung auf zwei Länder, die dazu len Lernens mit dem vorrangigen Ziel,
führt, dass die Materialien nicht ohne sich und andere besser verstehen zu kön-
weiteres in anderen regionalen Kontex- nen, wird ohne angemessenes Wissen al-
ten eingesetzt werden können. lenfalls zu einem netten Miteinander füh-
ren, bei dem man lernt, Missverständ-
Es besteht demnach ein Missverhältnis nisse zu erahnen und mit Strategien an-
zwischen der theoretischen Erkenntnis, zugehen.« (Koreik 1995: 194)
420
Die insgesamt 120 Erinnerungsorte der Austausch mit diesem. Eingebunden ist
dreibändigen Sammlung von François das individuelle Gedächtnis in weitere
und Schulze umfassen ein breites The- Gedächtniskreise: in das Gedächtnis der
menspektrum von Stalingrad über Bun- Familie, der Generation, der Gesellschaft,
desliga und Neuschwanstein bis zur Fa- der Nation – diese sind Bestandteile des
milie Mann. kollektiven Gedächtnisses.
Wir wollen die Überlegungen, auf denen Wesentlich für den Fortbestand von Erin-
das populär gewordene Konzept der »Er- nerungen ist die Form ihrer Tradierung.
innerungsorte« ganz allgemein fußt, zu- Das kommunikative Gedächtnis oder Gene-
nächst kurz skizzieren, und anschließend rationengedächtnis zeichnet sich da-
ausführen, warum uns ein solcher Ansatz durch aus, dass Zeitzeugen selbst Erleb-
– in einer adaptierten Version – nicht nur tes weitergeben. Naturgemäß ist es ent-
für die Erforschung und Darstellung von sprechend zeitlich limitiert und kann als
Geschichte, sondern auch für die Vermitt- Kurzzeitgedächtnis der Gesellschaft auf-
lung von Geschichte im Bereich Deutsch gefasst werden: Eine Spanne von drei
als Fremdsprache geeignet erscheint. Generationen (80–100 Jahren) bildet die
maximale Ausdehnung (Jan Assmann
4
2.1 Grundlagen und Grundbegriffe 2002: 50 ff.).2
In den zwanziger Jahren entwickelte der Nach Ablauf der Drei-Generationen-
französische Soziologe Maurice Halb- Spanne kommt es entweder zu einem
wachs den Begriff des »kollektiven Ge- Vergessen oder einer Verschiebung der
dächtnisses«. Seine z. T. erst posthum Erinnerungen oder es werden Maßnah-
veröffentlichten Schriften – Halbwachs men zur Aufbewahrung der Erinnerun-
ist in Buchenwald ums Leben gekommen gen getroffen. Erinnerungen an Ereig-
– wurden in Deutschland seit den achtzi- nisse oder Personen können in verschie-
ger Jahren zunehmend rezipiert.1 Die auf dener Weise »haltbar« gemacht und ins
Halbwachs zurückgehenden Konzepte soziale Langzeitgedächtnis, ins kulturelle
wurden von verschiedenen Autoren wei- Gedächtnis, überführt werden. Besondere
terentwickelt, wobei in Deutschland vor Bedeutung kommt hierbei der Erfindung
allem die Schriften von Jan und Aleida der Schrift und der digitalen Medien zu,
Assmann einflussreich waren, auf die wir die eine Auslagerung der Erinnerungen
uns hier ebenfalls berufen. ermöglichen. Erinnerungen können auch
Erinnern – Kehrseite des Vergessens – ist durch Rituale und Feste oder durch die
zunächst ein individueller Akt der Re- Schaffung bestimmter Orte lebendig ge-
konstruktion vergangener Geschehnisse halten werden, und genau hier liegt der
und Erlebnisse. Rekonstruiert werden Er- Anknüpfungspunkt für Halbwachs,
innerungen im sozialen und kommuni- wenn er die Beziehung zwischen Erinne-
kativen Austausch mit anderen; aufbe- rungen und Orten erläutert.
wahrt werden sie im individuellen oder Erinnerungen, so die These von Halb-
biographischen Gedächtnis. Das individu- wachs, bedürfen bestimmter Halte-
elle Gedächtnis wird somit durch das punkte, an denen sie sich festmachen
Kollektiv geformt und entsteht nur im können. An der Entstehung der Heiligen
1 Die Rezeption wurde auch dadurch verstärkt, dass einige der zentralen französischspra-
chigen Werke Halbwachs’ erstmals ins Deutsche übertragen wurden.
2 In Deutschland beispielsweise dürfte es kaum noch Zeitzeugen geben, die den Ersten
Weltkrieg (1914–1918) als Erwachsene miterlebt haben.
422
Stätten (des Christentums) in Israel zeigt »Von einer konsistenten Identität zu spre-
er, wie selbst im Nachhinein – mehr als chen birgt nicht nur die Gefahr der Verein-
100 Jahre nach Christus – Stätten als fachung, sondern vielleicht auch eines tota-
litären Anspruches.« (Möller 2001: 11)
Erinnerungsorte ge- und vor allem erfun-
den werden (denn Zeitzeugen gab es zu Die Pluralität von Identitäten und die
diesem Zeitpunkt keine mehr).1 Die Eta- Perspektivität von Erinnerungen gilt es
blierung dieser Stätten sollte dazu beitra- theoretisch, aber vor allem auch bei einer
gen, dass abstrakte Glaubensinhalte sich Adaption für den Unterricht stets kennt-
nicht so leicht auflösen und aus dem lich zu machen.
kommunikativen Gedächtnis entweichen
konnten, sondern fest angebunden, kon- 2.2 Erinnerungsorte im DaF-Unterricht
kretisierbar waren (Halbwachs 2003: Aus didaktischer Perspektive kann Erin-
163 ff.). Erinnerungsorte stehen dabei, nern als menschliche Grundkonstante
wie das Beispiel der Heiligen Stätten ver- zum Ausgangspunkt im und für den
deutlicht, grundsätzlich nicht für sich – Unterricht genommen werden. So wie
ihre Bedeutung muss zusätzlich durch jeder von uns sich an individuelle Ereig-
sprachliche Überlieferung abgesichert nisse erinnert, die wesentlich für sein
werden (A. Assmann 1999: 309). Gewordensein sind, brauchen und ge-
brauchen Gruppen Erinnerungen zur De-
Warum aber müssen und wollen wir uns
finition ihrer selbst. Die immanente Per-
erinnern und unsere Erinnerungen »fest-
spektivgebundenheit von Erinnerungen
machen« und verräumlichen? Erinnerun-
– eigenen wie fremden – gilt es zu erken-
gen haben – für Individuen wie für Grup-
nen und nachzuvollziehen, um eine Kul-
pen – die Funktion, eine Brücke von der
tur verstehen zu können. Ein Ort wie
Vergangenheit in die Gegenwart und
»Versailles« evoziert in Frankreich eine
möglicherweise in die Zukunft zu schla-
andere Perspektive auf Geschehnisse in
gen. Sie bilden so eine konnektive Struk-
der Vergangenheit als in Deutschland;
tur, die Menschen über die Zeit hinweg ebenso werden mit dem Ort »Stalingrad«
mit ihren Vor- und Nachfahren und in- in Deutschland und Russland konträre
nerhalb einer Gruppe untereinander ver- Erinnerungen und Interpretationen
bindet. Erinnerungen dienen der indivi- wachgerufen. Die räumlich gebundene
duellen und kollektiven Sinnstiftung, in- Perspektivierung von und auf Ereignisse
dem sie Identität und Kontinuität schaf- erkennen und kritisch hinterfragen zu
fen. können ist ein wesentliches Ziel eines
Gewarnt sei allerdings vor dem vereinfa- interkulturellen Fremdsprachenunter-
chenden Singular der »Identität«: Jedes richts. Analoges gilt für die zeitliche Ge-
Individuum übernimmt und entwickelt bundenheit: Der Kölner Dom gegen Ende
im Laufe seines Lebens mehrere Identitä- des 19. Jahrhunderts ist mit anderer Sym-
ten – als Tochter oder Mutter, Schüler bolhaftigkeit verknüpft als im Mittelalter
oder Lehrer, als Katholik, als Städter etc. oder zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Die
Identität ist nichts Statisches – nicht für Interpretation (und Inszenierung) von
ein Individuum und weniger noch für Orten und Ereignissen unterliegt also ste-
Kollektive. Wie Möller dazu anmerkt: tem Wandel, ist dynamisch und nicht
1 Z. B. die Stelle, an der Christus geboren wurde, die Stelle, an der er in den Himmel fuhr,
etc.
423
1 Ohne Kenntnis der Vergangenheit ist das Verständnis der Gegenwart jedoch oft
erschwert, wenn nicht sogar unmöglich, wie das Beispiel usbekischer Studierender
zeigt, die einen Zeitungsartikel nicht verstanden, da der dort verwendete Begriff des
»Dritten Reiches« ihnen völlig unbekannt war. Ähnliche Beispiele zur Relevanz der
Vergangenheit für das Verstehen heutiger Diskussionen wird jeder Deutschlehrer aus
seiner Unterrichtspraxis ergänzen können.
2 Außerdem müssen die verwendeten Materialien anschaulich sein, Anreize und Ge-
sprächsanlässe bieten und selbstgesteuertes, persönliche Schwerpunkte setzendes Ler-
nen ermöglichen. So kann die aktive Auseinandersetzung mit der fremden Kultur und
ihrer Geschichte gefördert werden.
3 Dies gilt auch für konstruierte Orte (vgl. Halbwachs’ »Heilige Stätten«), die im
Nachhinein gefunden bzw. erfunden werden.
424
sich dies besonders deutlich, jedoch Schulze, die bei ihrer Ortauswahl vor
auch bei anderen Ortstypen wie Bur- allem das 19. und 20. Jahrhundert beto-
gen, Schlössern, Denkmälern etc.1 nen (vgl. Popp 2004: 27 zum Verlust an
»historischer Tiefenschärfe« durch eine
3. Materialsammlung: Inhalt und Struk- überproportionale Präsenz moderner
tur Geschichte).
Bei der Adaption eines Konzeptes in An- – Berücksichtigung der Außenperspek-
lehnung an die »Erinnerungsorte« tive, d. h. die Einbeziehung von Erinne-
kommt der Auswahl geeigneter Orte so- rungsorten, die eher im Ausland als
mit eine große Bedeutung zu. Folgende solche wahrgenommen werden denn im
Kriterien waren dabei für uns leitend: Inland, wie z. B. Schloss Neuschwan-
Zentral ist die Einschränkung des Ortsbe- stein (vgl. zu den Auswahlkriterien
griffs auf materielle Orte. Orte sind für uns ausführlicher Schmidt/Schmidt 2006).
topographisch und lokalisierbar, »imma- Aus dem oben Ausgeführten wird die
terielle« Orte (wie z. B. die D-Mark, »Kin- Vielfältigkeit, die ein solcher Ansatz für
der, Küche, Kirche«) wurden von uns die Geschichtsvermittlung im DaF-Un-
ausgeschlossen.2 Weitere Kriterien für terricht haben kann, deutlich. Dennoch:
die Ortsauswahl waren: Eine Auswahl von gut einem Dutzend
– die Vielzahl von Erinnerungsorttypen Erinnerungsorten aus der Gesamtheit
(also Schloss, Kirche, Museum, Denk- möglicher Orte bleibt (auch unter Be-
mal etc.); rücksichtigung der oben angeführten
– die regionale Ausgewogenheit, um unter- Kriterien) immer angreifbar und kann nie
schiedliche Binnenperspektiven be- so vielfältig sein, wie es angesichts des
rücksichtigen zu können; riesigen »Angebots« deutscher Erinne-
– das Einbeziehen von sowohl positiven rungsorte wünschenswert wäre. Leitend
Erinnerungsorten, z. B. für demokrati- für unsere Ortsauswahl ist, dass wir eine
sche Traditionen (Paulskirche), als Vielzahl von Erinnerungsorten einbezie-
auch negativen Erinnerungsorten, die an hen möchten, die sich für die Vermittlung
die dunklen Seiten der deutschen Ge- unterschiedlichster historischer Epochen
schichte erinnern (Mahnmal zur Bü- und Schwerpunkte im DaF-Unterricht
cherverbrennung); eignen. Ein repräsentativer Querschnitt
– die Möglichkeit zu historischen Längs- ist nicht angestrebt.
schnitten (zumindest bei einigen Orten) Unsere Materialsammlung ist für die
und damit auch explizit ein Hinaus- Hand der Lehrenden gedacht, soll mög-
greifen über das im kommunikativen lichst breit einsetzbar sein und ist deshalb
Gedächtnis Aufbewahrte (Wartburg). auch nicht länderspezifisch ausgerichtet
Dies abweichend von François und (wie z. B. Spielarten, Typisch Deutsch?!).3
1 Der Erinnerungsorte-Ansatz bietet demnach auch Potential für die Vermittlung von
kunstgeschichtlichen Themen, für die bis dato noch weniger Material existiert als für die
Geschichtsvermittlung allgemein.
2 Unseres Erachtens entfernt sich ein Ortsbegriff der »immateriellen« Orte zu weit vom
Halbwachs’schen Konzept, da er nicht auf Orte rekurriert, sondern nur noch Topoi
umfasst.
3 Es erscheint uns jedoch ein durchaus reizvolles Folgeprojekt zu sein, gegebenenfalls bi-
oder trinationale Adaptionen bzw. Fortschreibungen der Materialsammlung, gemein-
sam mit KollegInnen aus den jeweiligen Ländern, zu erarbeiten.
425
Halbwachs, Maurice: Stätten der Verkündi- und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochen-
gung im Heiligen Land. Eine Studie zum zeitung Das Parlament, B 38 (2004), 23–
kollektiven Gedächtnis. Französisches Ori- 31.
ginal 1941. Konstanz: UVK, 2003 (édition Schmidt, Sabine; Schmidt, Karin: »Erinne-
discours, 21; Maurice Halbwachs in édi- rungsorte im DaF-Unterricht: Kulturwis-
tion discours Band 6). senschaftliche Ansätze und ihre An-
Koreik, Uwe: Deutschlandstudien und deut- wendbarkeit für den DaF-Unterricht«. In:
sche Geschichte. Die deutsche Geschichte im Hahn, Angelika; Kippel, Fiederike
Rahmen des Landeskundeunterrichts für (Hrsg.): Sprachen schaffen Chancen. Doku-
Deutsch als Fremdsprache. Baltmannswei- mentation zum 21. Kongress für Fremd-
ler: Schneider Verlag Hohengehren, 1995. sprachendidaktik der Deutschen Gesell-
Koreik, Uwe: »Große Töne, wenig Musik. schaft für Fremdsprachenforschung
Zur Rolle der Landeskunde im Fach (DGFF), München, Oktober 2005. Mün-
Deutsch als Fremdsprache«. In: Aguado, chen: Oldenbourg, 2006, 279–286.
Karin; Riemer, Claudia (Hrsg.): Wege und
Ziele. Zur Theorie, Empirie und Praxis des Schmidt, Sabine; Schmidt, Karin (Hrsg.):
Deutschen als Fremdsprache (und anderer Erinnerungsorte – Deutsche Geschichte im
Fremdsprachen). Festschrift für Gert Hen- DaF-Unterricht. Buch mit Kopiervorlagen
rici zum 60. Geburtstag. Baltmannswei- auf Dokumenten-CD-ROM und Audio-
ler: Schneider Verlag Hohengehren, 2001, CD. Berlin: Cornelsen (i. Vorb.).
39–49. Thimme, Christian: Geschichte in Lehrwerken
Müller, Horst: »Erinnerung(en), Geschichte, Deutsch als Fremdsprache und Französisch
Identität«, Aus Politik und Zeitgeschichte. als Fremdsprache für Erwachsene. Ein
Beilage zur Wochenzeitschrift Das Parla- deutsch-französischer Lehrbuchvergleich.
ment, B 21 (2001), 8–14. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Ho-
Nora, Pierre (Hrsg.): Les lieux de mémoire. 7 hengehren, 1996.
Bände. Paris: Gallimard, 1984–1992. Wierlacher, Alois; »Landeskunde als Lan-
Nora, Pierre (Hrsg.): Erinnerungsorte Frank- desstudien«. In: Wierlacher, Alois; Bo-
reichs. München: Beck, 2005. gner, Andrea (Hrsg.): Handbuch interkul-
Popp, Susanne: »Auf dem Weg zu einem turelle Germanistik. Stuttgart; Weimar:
europäischen Geschichtsbild«, Aus Politik Metzler, 2003, 504–513.
428
Eva Neuland
skription der Gesprächsverläufe und die munikation rückte seit den 70er Jahren die
Rekonstruktion kommunikativer Hand- Förderung der kommunikativen Kompetenz
lungsmuster einschließlich der Probleme und des kommunikativ angemessenen
von Verständigungsschwierigkeiten und Sprachgebrauchs in den Mittelpunkt des
Missverständnissen. Unterrichts Deutsch als Muttersprache
sowie Deutsch als Fremdsprache. Er-
2. Anwendungsorientierung kenntnisse der Kommunikationsfor-
Nach der Konsolidierung der Gesprächs- schung, der linguistischen Pragmatik
forschung als relativ junge linguistische und der Soziolinguistik wurden für die
Disziplin, deren Hauptgewicht zunächst Auswahl von Lerngegenständen und Be-
auf die Entwicklung von Beschreibungs- gründung von Lernzielen genutzt. In die
kategorien und Verfahrensweisen gelegt Lehrwerke fanden lebensnahe Ge-
wurde, wird heute im Rahmen der ange- sprächssituationen und der Wirklichkeit
wandten Gesprächsforschung als wichtiges nachempfundene alltagsrelevante Ge-
Ziel bezeichnet, die Analysen in verschie- sprächsbeispiele Einzug. Trotz der Kritik
denen Anwendungsfeldern zu konkreti- eines zu engen zweck- und alltagsorien-
sieren, Kommunikationsprobleme zu tierten Verständnisses von Kommunika-
identifizieren und zu ihrer Behebung und tion bleibt festzuhalten, dass seitdem im
somit zur Optimierung von Kommunika- muttersprachlichen Deutschunterricht
tionsprozessen beizutragen (vgl. dazu der mündliche Sprachgebrauch als vier-
zuletzt Becker-Mrotzek/Brünner 2004 ter wesentlicher Lernbereich etabliert
sowie Brünner/Fiehler/Kindt 1999). In- werden konnte. Für den Unterricht
dem z. T. eine Entwicklung von zielgrup- Deutsch als Fremdsprache gilt dies nach
pen- und bereichsspezifischen Bera- wie vor allerdings nur mit gewissen Ein-
tungsvorschlägen angestrebt wird, erge- schränkungen.
ben sich unmittelbare Berührungspunkte
zwischen Sprachforschung und Sprach- 2.2.2 Förderung von Sprechfertigkeiten im
didaktik. DaF-Unterricht
Für den Unterricht Deutsch als Fremdspra-
2.2 Mündlicher Sprachgebrauch als Ge- che wird im Rahmen des Fertigkeitenkon-
genstandsfeld der Sprachdidaktik zepts auch das Sprechen als eine Fertig-
Die systematische und wissenschaftlich keit beschrieben. Bei der Förderung der
fundierte Berücksichtigung der mündli- Sprechfertigkeiten geht es vor allem um die
chen Kommunikation hat aber auch in Einübung der Aussprache, wobei oft –
der Sprachdidaktik noch keine lange Ge- noch als Folge der audiolingualen Me-
schichte aufzuweisen. thoden der 60er und 70er Jahre – unver-
hältnismäßig großes Gewicht auf die Re-
2.2.1 Die Sprech- und Gesprächserziehung produktion der korrekten Aussprache-
Diese Erziehung war das vorherrschende normen im Unterricht gelegt wird (so
Konzept der muttersprachlichen Metho- auch im Handbuch Fremdsprachenunter-
dik und Didaktik der 50er bis 70er Jahre richt hrsg. von Bausch/Christ/Krumm
in Deutschland; sie folgte dem Lernziel 2003). Problematisch bleibt darüber hin-
des lautreinen und gestaltenden Spre- aus aber auch in stärker kommunikati-
chens und vertrat normativ-präskriptive ons-orientierten Ansätzen das in der Un-
Vorstellungen der »Pflege des gesproche- terrichtspraxis oft noch vorherrschende
nen Wortes« und des »richtigen« Spre- isolierte Einüben einzelner Fertigkeiten
chens. Die Didaktik der mündlichen Kom- sowie die Konzentration auf das Spre-
431
chen und die Aussprache gegenüber dem und interkultureller Verständigung im-
Zuhören und der sprachlichen Interak- plizieren kann.
tion (vgl. dazu kritisch auch Rösler 1994: Damit ergeben sich aber gerade auch aus
118). Erst die systematische Berücksichti- der Perspektive der fachlichen Entwick-
gung von Interaktionskompetenzen im lung viele Anknüpfungsmöglichkeiten
Europäischen Referenzrahmen und in für innovative Konzepte der linguisti-
Profile Deutsch (Glaboniat u.a. 2002) hat schen wie didaktischen Fundierung
hier entscheidende Akzente gesetzt, doch mündlicher Kommunikation.
bleibt die konkrete didaktische, methodi-
sche und auch mediale Umsetzung noch 3. Kommunikative Schlüsselkompeten-
ein Desiderat für die Zukunft. zen im Kontext der aktuellen Studienre-
formen
2.2.3 Förderung von Gesprächskultur heute: Während das Thema bislang aus der Per-
Kommunikatives Können und kommunikati- spektive der Fachentwicklung diskutiert
ves Wissen wurde, sei nun die Perspektive der Stu-
»Mündliche Kommunikation kann man dien- und der Ausbildungssituation und
heute als Stiefkind des Fremdsprachen- der fachlichen Qualifikationen aufgegrif-
unterrichts bezeichnen« (so Bolte 1996, fen, die den Absolventen unseres Faches
zitiert nach Schreiter 2001: 914), und noch vermittelt werden sollen. Im Kontext der
kürzlich wurde der geringe unterrichtli- aktuellen Studienreformen, die von der
che Stellenwert der gesprochenen Spra- Bologna-Erklärung und den europawei-
che bedauernd konstatiert (Günthner ten Umsetzungen der konsekutiven BA/
2000, Richter 2002). Diese immer noch MA-Ausbildung ausgelöst wurden, ist
aktuelle Entwicklung ist deshalb bemer- derzeit viel von Wissenschafts- und Be-
kenswert, weil die Relevanz mündlicher rufsfeldorientierung, v. a. in den polyva-
Kommunikationskompetenz, wie einlei- lenten BA-Studiengängen unseres Fa-
tend angeführt, immer höher einge- ches, die Rede. Im Unterschied zu man-
schätzt und als Qualifikationsziel zuneh- chen Germanistiken im nicht-deutsch-
mend von Deutschlernenden und -stu- sprachigen Ausland bedeutet dies für die
dierenden selbst eingefordert wird. Im Inlandsgermanistik eine erhebliche Um-
Bereich Deutsch als Muttersprache wird orientierung von einer Universitätsaus-
in den derzeitigen Lehrplänen und Richt- bildung, die allenfalls das traditionelle
linien von einer Förderung der Gesprächs- zentrale Berufsfeld des Deutschunter-
kultur gesprochen (vgl. dazu Neuland richts vor Augen hatte. Dies soll kurz am
2001). Im Unterschied zu verkürzten Beispiel eines deutschen Studienreform-
Konzepten einer kommunikativen Di- projekts skizziert werden.
daktik geht es hier nicht mehr allein um
das kommunikative Können und um das 3.1 Sprecherziehung in der traditionel-
effektive, wirkungsorientierte Kommuni- len Universitätsausbildung
zieren und Durchsetzen der eigenen In- Im Rahmen der herkömmlichen Lehr-
teressen. Vielmehr sollen kommunikati- amtsstudiengänge in Deutschland bis
ves Können und kommunikatives Wis- zum 1. Staatsexamen musste eine Pflicht-
sen, produktive und reflexiv-analytische veranstaltung Sprecherziehung im Um-
Kompetenzen so miteinander verbunden fang von 2 Semesterwochenstunden
werden, dass die Förderung von Ge- (SWS) absolviert werden. Diese Veran-
sprächskultur auch Aspekte von kom- staltungen wurden (und werden z. T.
munikativer Ethik, Höflichkeitsmaximen noch) zumeist von geprüften Sprecher-
432
Projekt, was dazu führte, dass das Projekt Hochschulen, wo die wenigen Übungen
in der zweiten Hälfte der Laufzeit als Teil zur Sprecherziehung bzw. zur Sprechfer-
des Wuppertaler Interdisziplinären Stu- tigkeit in der Regel zur Optimierung der
dienangebots (WISA-Projekt) mit Koope- mündlichen Kommunikationskompeten-
rationspartnern aus wirtschafts- und in- zen der Studierenden nicht ausreichen
genieurwissenschaftlichen Fachberei- und theoretische und praktische Lehrver-
chen weitergeführt wurde. Ein Teilpro- anstaltungen zumeist unverbunden ne-
jekt beschäftigte sich mit der Beurteilung beneinander her laufen. Für die germanis-
von Präsentationsformen wissenschaftli- tischen Studiengänge der beteiligten
cher Arbeitsergebnisse im akademischen Hochschulen stellt ein solches Modul eine
Bereich; ein weiteres Teilprojekt widmete bedeutsame Innovation dar, indem die
sich der Analyse und Optimierung von bisherigen Studienangebote insbesondere
Arbeitsbesprechungen in einem Wirt- um Veranstaltungen zur praktischen Ein-
schaftsunternehmen. übung fachbezogener kommunikativer
Fähigkeiten und zur theoretischen Refle-
4. Modul Mündliche Kommunikation xion von Kommunikationssituationen in
im Germanistikstudium künftigen Berufsfeldern der Absolventen
Die Erfahrungen aus dem Wuppertaler ergänzt und erweitert werden.
Studienreformprojekt haben auch Inter-
esse bei germanistischen Kooperations- 4.1 Ziele
partnern im europäischen Ausland ge- Insgesamt wurden mit dem Projekt fol-
funden, die im Rahmen der Neuordnung gende Zielperspektiven verfolgt:
der Studienstrukturen und der Modulari- – Das Modul Mündliche Kommunikation
sierung von Studiengängen auch die in- soll der Qualifizierung der Germanisti-
haltliche Studienreform weiterentwi- kabsolventInnen für deren spätere Be-
ckeln wollten. Daher sei nun von Erfah- rufstätigkeit in Institutionen der Wirt-
rungen des deutsch-italienischen Koope- schaft, Verwaltung, Vermittlung (insbe-
rationsprojekts zwischen der Universität sondere Schule) und Kultur dienen
Wuppertal und der Universität Rom III und damit ihre Chancen auf dem Ar-
berichtet, das von 2002 bis 2004 im Rah- beitsmarkt verbessern.
men des Vigoni-Programms des DAAD – Die Förderung der kommunikativen
unterstützt wurde. Fähigkeiten sowie der Fremdsprachen-
In diesem Projekt wurde in einer zweijäh- kompetenz allgemein soll bereits im
rigen Entwicklungsarbeit ein Modul Studium die Qualität der mündlichen
Mündliche Kommunikation auf sprachwis- Leistungen der Studierenden (z. B. For-
senschaftlicher und sprachdidaktischer mulierung von Diskussionsbeiträgen,
Grundlage geplant, durchgeführt und Präsentationen von Arbeitsergebnis-
evaluiert, das nun auch von anderen eu- sen, Gesprächsführung, Moderation)
ropäischen und vielleicht auch außereu- steigern.
ropäischen Universitäten mit regionaler – Die Förderung von Spracherwerb und
Spezifizierung in germanistischen BA- Fachsprachenkompetenz soll – in Abstim-
oder MA-Studiengängen übernommen mung mit den Standards im Gemeinsa-
werden kann. men europäischen Referenzrahmen für
Ausgangspunkt und Begründung für Sprachen und in Profile Deutsch – beson-
diese Neuentwicklung bilden gewisse dere Berücksichtigung (Stufen B2, C1),
Mängel an den bisherigen germanisti- und zwar in separater wie auch in
schen Studiengängen vieler europäischer integrativer Form finden.
434
Wanna Saengaramruang: Deutschunterricht und Germanistikstu- Daniel Jaeger, Martina Nied Curcio, Lisa Schlanstein: Handlungsori-
dium in Thailand: früher, heute und morgen entierter Deutschunterricht im dreijährigen Curriculum an italie-
nischen Hochschulen
Seit mehr als 80 Jahren wird Deutsch in Thailand gelehrt, aber seine Abstracts
Entwicklung ist bis heute noch nicht systematisch und kontinuier- 2004 gründete sich eine vom DAAD unterstützte Arbeitsgruppe
lich untersucht und dokumentiert worden. Daher hat diese Arbeit mit dem Anliegen, den GER und das in Italien ausgearbeitete
als erstes das Ziel, einen Überblick über die Entwicklung des Curriculum für Germanistik (»Römisches Modell«) auf seine An-
Deutschen als Fremdsprache in Thailand sowohl an der Schule als wendbarkeit zu überprüfen und Beispiele der Umsetzung aufzu-
auch an der Universität von den Anfängen bis in die Gegenwart zu zeigen. Im vorliegenden Artikel werden Möglichkeiten eines kom-
geben. Das zweite Ziel dieser Arbeit ist der Hinweis auf die und munikativ orientierten Sprachunterrichts in der Grundstufe sowie
eine Diskussion der in der nahen Zukunft zu überwindenden Projektunterricht für fortgeschrittene Studierende vorgestellt und
Hauptprobleme des Deutschen als Fremdsprache in Thailand. eine kontinuierliche Verbindung von Sprachunterricht und Lingu-
istik für das 3-jährige Curriculum diskutiert. Weitere Themen sind
die Auswirkungen des GER auf die universitäre Prüfungspraxis in
Italien, der mögliche Einsatz eines Portfolios sowie die kulturellen
Unterschiede bei den kommunikativen Kompetenzen in der L1.
Info DaF 34, 4 (2007), 373–389 Info DaF 34, 4 (2007), 403–408
Jianpei Yang: Entwicklungsmerkmale der Fachsprachenvermitt- Markus Raith: »In der Ferne daheim«. Didaktische Überlegungen
lung im chinesischen Deutschunterricht am Beispiel der Tongji- zum Verhältnis von Sprache, Musik und Identität
Universität
Im Zentrum der Überlegungen steht die Arbeit mit Liedern im
Durch eine exemplarische Untersuchung der Fachsprachenvermitt- landeskundlichen Bereich. Am Beispiel einiger Chansons des Mu-
lung an der Tongji-Universität, die eine lange Geschichte in diesem sikers Tommy Mammel wird gezeigt, wie Lieder in ihrem Zusam-
Bereich hat, werden drei Merkmale der Fachsprachenvermittlung im menspiel von Text, Musik und Inszenierung für die Vermittlung
chinesischen DaF-Unterricht ermittelt: 1. die Fachsprachenvermitt- komplexer landeskundlicher Themen verwendet werden können.
lung in China entwickelt sich sprunghaft; 2. die Vermittlungsmetho- Im Spannungsfeld von verbalen und non-verbalen Elementen
de tendiert von einer analytischen hin zur kontrastiven Perspektive; treten kulturelle Deutungsmuster zutage, die es im DaF-Unterricht
3. die Inhaltsschwerpunkte verschieben sich von der Lexik- und Syn- didaktisch fruchtbar zu machen gilt. Im Falle der vorgestellten
tax- zur Textebene. 398 Bachelorarbeiten und 116 Magisterarbeiten Lieder Der Flaneur, In der Ferne daheim und Das Leben der Bohême
bildeten die Grundlage der Untersuchung. Anschließend werden geht es dabei vor allem um französisch-deutschen »Ideentransfer«
notwendige Konsequenzen zur Verbesserung der Fachsprachenver- vom 19. Jahrhundert bis zur Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, der
mittlung in China diskutiert und zum Nachdenken über die Konzep- um Identitätskonstruktionen und das kulturelle Schlüsselwort
tionierung des Fachsprachenunterrichts angeregt. »Heimat« kreist.
441
Info DaF 34, 4 (2007), 409–417 Info DaF 34, 4 (2007), 428–438
Almut Meyer: Fachfremdsprachenangebot zur deutschen Rechts- Eva Neuland: Mündliche Kommunikation als Schlüsselkompe- 442
sprache an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität tenz: Entwicklung eines Moduls für germanistische Studiengän-
Turku ge
An der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Univ. Turku gehört das Der mündlichen Kommunikation wird in zahlreichen Berufsfel-
Fach Deutsch zum festen Bestandteil des Lehrangebots. Die Rechts- dern europaweit eine wachsende Bedeutung als Schlüsselkompe-
sprache hat aufgrund ihrer Verankerung in der Institution Recht so- tenz zugewiesen. In den herkömmlichen Studiengängen der Ger-
wie der konstitutiven Funktion von Rechtstexten eine Sonderrolle. manistik im In- und Ausland wird solchen Entwicklungen noch
Die Arbeit mit Rechtstexten ist zentraler Bestandteil juristischer Tä- kaum Rechnung getragen. Im Kontext der aktuellen europaweiten
tigkeit, weshalb die Auswahl zielgruppenspezifischer Textsorten von Studienstrukturreformen und insbesondere für die BA-Studien-
wesentlicher Bedeutung ist. Im Beitrag werden äußere Bedingungen gänge der Germanistik spielen kommunikative Schlüsselkompe-
eines teilnehmerorientierten und fachspezifischen Unterrichts sowie tenzen allerdings eine bedeutsame Rolle. Auf der Grundlage von
Didaktisierungsmöglichkeiten am Beispiel des Unterrichtsangebots Erfahrungen aus einem Studienreformprojekt an der BU Wupper-
der Turkuer Fakultät dargestellt. Entwicklungsperspektiven für den tal sowie eines deutsch-italienischen Studienreformprojekts in Zu-
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und Varianten mit verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkten un-
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Geschichte im DaF-Unterricht angepasst werden können.