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Herausgegeben

vom Deutschen
Akademischen
Austauschdienst
in Zusammenarbeit
mit dem
Fachverband
Deutsch als Fremdsprache

Nr. 4 30. Jahrgang August 2003

Inhalt
Artikel Lutz Köster und Claudia Riemer
Vorwort 319
Gert Henrici
Laudatio 321
Ewald Reuter
Wissenschaftliches Schreiben im Umbruch. Über einige Folgen
der Globalisierung in den Fremdsprachenphilologien 323
Irma Hyvärinen
Kommunikative Routineformeln im finnischen DaF-Unterricht 335
Silke Ghobeyshi und Uwe Koreik
Kultur(en), Konflikt(e) und Unterricht(en) 352
Nilgün Yüce
Kulturökologische Überlegungen zum Fach Deutsch als Fremd-
sprache 365
Nicola Huson
Ein Terrain des Fremdsprachenunterrichts (Deutsch): Interkultu-
relle Kompetenz in der Tourismusausbildung 375
Lucrecia Keim
Übersetzung im DaF-Unterricht 383
Marion Niehoff
Ausgewählte Ergebnisse einer qualitativen Untersuchung zum
selbstorganisierten Fremdsprachenlernen mit Multimedia 395

(Fortsetzung umseitig)
318

Über die Autoren 406

Abstracts 408
319

Vorwort
Gut ein Vierteljahrhundert ist es her, daß müdliche Anbahnung und Betreuung
die anspruchsvolle Aufgabe in Angriff von Praktikumsmöglichkeiten für DaF-
genommen wurde, DaF-Lehrgebiete an Studierende in aller Welt oder die Beglei-
Universitäten zu akademischen Fächern tung vieler internationaler Studierender
zu erweitern, die Studiengänge anbieten bei ihren Examens- oder Promotionspro-
und Forschung vorantreiben. AkDaF und jekten.
heute FaDaF, DAAD und Vertreter deut- Als akademischer Lehrer war Rolf Ehnert
scher Hochschulen waren dabei die trei- an der Ausbildung insbesondere der er-
benden Kräfte. sten Generation von DaF-Absolventen
Rolf Ehnert ist ein Hauptrepräsentant beteiligt, allen hat er mit auf den Weg
dieser Entwicklung; daß die Universität gegeben, daß DaF-Unterricht über die
Bielefeld zu den ersten Universitäten ge- reine Sprachvermittlung hinaus mit Per-
hörte, die einen grundständigen Magi- sönlichkeitsentwicklung und Kulturaus-
sterstudiengang Deutsch als Fremdspra- tausch verbunden ist und an örtliche
che einrichteten, ist zu einem guten Teil Rahmenbedingungen anzupassen ist.
ihm zu verdanken. Seine Verbundenheit Auch hat er, bevor es zum allgemeinen
zum Fach – er hat längst »heimlich« die Trend wurde, wichtige fremdsprachendi-
Silberhochzeit gefeiert – spiegelt sich daktische Entwicklungen (z. B. interkul-
nicht nur wider in weit gestreuten Lehr- turelles Lernen, Neue Medien oder auto-
und Forschungsaktivitäten, die von Lan- nomes Lernen) auf den Weg gebracht.
des- und Kulturkunde, Fachsprache, Seine unterschiedlichen Schwerpunkte in
Phonetik, Medien, innovativen Lehr-/ Forschung und Lehre sind in seinen Pu-
Lernformen (insbesondere Tandem) bis blikationen, darunter zahlreiche Aufsät-
zu Migrationsliteratur und Sprachenpoli- ze und Editionen, nachzuvollziehen, von
tik reichen, sondern besonders auch in denen wir hier nur wenige exemplarisch
seinen Anstrengungen, Deutsch als nennen können: Den ersten Kontakt zum
Fremdsprache international zu vernet- akademischen Fach Deutsch als Fremd-
zen. sprache erleichterte er unzähligen Stu-
Sein eigener beruflicher Werdegang führ- dierenden mit seiner Einführung in das
te ihn als Fremdsprachenassistent, Sti- Studium des Faches Deutsch als Fremdspra-
pendiat und (DAAD-)Lektor an unter- che (1982, 2. Auflage 1989). Dieser Band
schiedliche Orte Europas (Frankreich, eröffnete zudem die wichtige »Werk-
Finnland, Italien). Als akademischer Leh- stattreihe Deutsch als Fremdsprache«,
rer übernahm er später regelmäßig Gast- die er als Mitherausgeber bis heute maß-
professuren (darunter Graz, Prag, Buda- gebend gestaltet. Stellvertretend für seine
pest, Turin, Western Cape, Stellenbosch, wichtigsten Arbeitsgebiete stehen Das
Debrecen). Ein besonderes Anliegen war Fach Deutsch als Fremdsprache in den
ihm dabei immer, internationale Koope- deutschsprachigen Ländern (Hrsg. zusam-
rationen und das neu entstehende ERAS- men mit Hartmut Schröder, 1990, 2. Auf-
MUS-Programm durch den Austausch lage 1994), Video im Fremdsprachenunter-
von Studierenden und Dozenten zu för- richt (Hrsg. zusammen mit Ralf Eppene-
dern. Seine legendären Turin-Workshops der, 1987) und Fremdsprachen lernen mit
an der Universität Bielefeld sind nur ein Medien (Hrsg. zusammen mit Hans-Eber-
Beispiel dafür, aber genauso seine uner- hard Piepho, 1986), Übersetzen im Fremd-

Info DaF 30, 4 (2003), 319–320


320

sprachenunterricht: Beiträge zur Überset- Arbeitsgebieten von Rolf Ehnert veran-


zungswissenschaft (Hrsg. zusammen mit kert: Sie behandeln Fragen der schriftli-
Walter Schleyer, 1987), Die emigrierte Kul- chen Wissenschaftskommunikation und
tur (Hrsg. zusammen mit Norbert Hop- der Förderung der kommunikativen
ster, 1988) und Wirtschaftskommunikation Kompetenz im DaF-Unterricht (Reuter,
kontrastiv (2000) und vielerlei entwickelte Hyvärinen), nehmen sich der brisanten
Materialien für die Lehrerfortbildung, Frage an, welcher Stellenwert Kulturaus-
wie zuletzt zum Postgraduiertenstudium in tausch und -konflikt im DaF-Unterricht
Deutsch als Fremdsprache in Griechenland zukommt und welche Probleme damit
(2001). Die zentrale Funktion, die er der verbunden sind (Ghobeyshi/Koreik,
Unterrichtspraxis in der DaF-Lehreraus- Yüce). Ein Beitrag fragt nach dem beson-
bildung zuschreibt, unterstreicht Die deren Status der Entwicklung interkultu-
Rolle der Praktika in der DaF-Lehrerausbil- reller Kompetenz im spezifischen Kon-
dung (Hrsg. zusammen mit Frank G. Kö- text DaF in der Tourismusausbildung
nigs, 2000). (Huson). Zwei Beiträge zur Rolle der
Neben diesen umfangreichen und vielfäl- Übersetzung im DaF-Unterricht (Keim)
tigen Funktionen in Lehre und For- und zum Fremdsprachenlernen mit Mul-
schung nahm sich Rolf Ehnert auch die timedia (Niehoff) runden das Themen-
Zeit, verantwortungsvolle Aufgaben in spektrum ab.
unterschiedlichen Wissenschaftsverbän- Rolf Ehnert hat sich entschlossen, nach
den und Organisationen zu übernehmen, seinem 63. Geburtstag in den Ruhestand
darunter dem Fachverband Deutsch als zu treten, an der Universität Bielefeld
Fremdsprache, dem Internationalen hinterläßt er eine schwer zu füllende
Deutschlehrerverband, dem Fachver- Lücke. Wir hoffen aber, ihm weiter an
band Moderne Fremdsprachen, der Ge- anderen Orten – insbesondere im Rah-
sellschaft für Interkulturelle Germani- men der Jahrestagungen des FaDaF und
stik. Dem DAAD und dem Goethe-Insti- bei den Internationalen Deutschlehrerta-
tut stand er lange als Berater und Gutach- gungen – gesund und vital zu begegnen.
ter zur Seite. Wir danken dem Verlag iudicium und
Alle Mitwirkenden an dieser Festgabe – der Redaktion von Info DaF für ihre spon-
Herausgeber wie Autoren – waren zu tane Bereitschaft und Mitwirkung, ihr
unterschiedlichen Zeitpunkten ihrer be- Redaktionsmitglied der ersten Stunde
ruflichen Entwicklung und an unter- auf diese besondere Weise zu ehren. Sa-
schiedlichen Orten Schüler und Kollegen bine Beyer danken wir für ihre große
von Rolf Ehnert. Wir alle möchten ihm Hilfe bei der Bearbeitung der Manu-
auf diese Weise unseren besonderen skripte.
Dank für langjährige Betreuung und Un-
terstützung ausdrücken. Die Beiträge Lutz Köster und Claudia Riemer
sind thematisch in den oben genannten Bielefeld, im Februar 2003
321

Laudatio
Lieber Rolf, tionsliste, Deine Herausgeberschaften,
erteilen Auskunft darüber, wie breit Dein
an Stelle des üblichen Fachbeitrags – in Arbeitsspektrum war.
Angelegenheiten wie dieser –, zu dem ich Als andere Fächer noch nicht daran
mich mit Unlust zwingen müßte und der dachten und die Universität als Theorie-
nichts wirklich Gutes erbrächte, schreibe Institut mit Negierung praktischer An-
ich Dir einen kleinen Brief, eine Gattung, teile in den Studienplänen definierten,
die Dir als Literaturkenner und -liebha- hast Du sehr früh erkannt und gefor-
ber vertraut ist. dert, daß theoretische und praktische
Eine lange arbeitsreiche und -intensive Ausbildung ein Bündnis eingehen müs-
Zeit geht nun auch für Dich zu Ende. sen. Realisiert ist dieses Konzept seit
Auch für Dich ist das offizielle Abschied- Beginn an im Studiengang Deutsch als
nehmen sicherlich mit einer Reihe ambi- Fremdsprache in Bielefeld. Du warst es,
valenter Gefühle verbunden. Lang haben der für die Bielefelder DaF-Studieren-
wir zusammengearbeitet. Ich denke, es den ein weltweites Netz von Praktikum-
war eine spannende und insgesamt er- splätzen geschaffen hat. Dir ist es gelun-
folgreiche Zeit, die ganz – immer unter gen, finanzielle Mittel einzuwerben, die
Volldampf stehend – dem Aufbau und es ermöglichten, die z. T. sehr weiten
der Stabilisierung des jungen akademi- Strecken zu den Praktikumsplätzen zu-
schen Fachs Deutsch als Fremdsprache rückzulegen.
galt.
Du gehörst zu denjenigen, die als Grün- Interkulturelles Verstehen und Handeln
dungsväter des Fachs als universitäre war für Dich von Anfang an eine Selbst-
Disziplin in der Bundesrepublik verständlichkeit, lange bevor es in aller
Deutschland höchste Anerkennung ver- Munde war und zu einem viel benutzten
dienen. Du warst es, der Ende der siebzi- und abgenutzten Schlagwort wurde.
ger Jahre die Initiative ergriffen hat, Nicht zu vergessen Dein Einsatz für eine
Deutsch als Fremdsprache als MA- und intensive und permanente Beratungstä-
Promotionsfach an der Universität Biele- tigkeit der Studierenden während der
feld zu etablieren, als erste Universität gesamten Studienzeit. Deine vielen MA-
unter Einbeziehung ausländischer und Absolventen und Doktoranden werden
deutscher Studierender, nach wie vor die sich stets daran erinnern und es Dir dan-
einzige in Nordrhein-Westfalen. ken. Du hast nie gezögert, wenn Notsi-
Du hast entscheidend zusammen mit an- tuationen in der Besetzung von Posten
deren dafür gesorgt, daß es national und oder bei der Schließung von Lücken im
international langsam aber stetig bekannt Lehrangebot auftraten, Dich zur Verfü-
wurde. Du hast durch unermüdlichen gung zu stellen. Wie oft hast Du Dein
Einsatz in zahlreichen Gremien, durch Lehrdeputat überschritten!
vielfältige Kontakte zu wichtigen Perso- Bewundert habe ich Deine Gelassenheit
nen und Institutionen weltweit dafür ge- in diesen Konfliktsituationen, auch wenn
sorgt, daß Deutsch als Fremdsprache im- es in Deinem Inneren nicht immer so war,
mer im Gespräch blieb und sich in der wie nach außen dokumentiert. Verletz-
wissenschaftlichen Gemeinschaft festset- lichkeit ist für Dich bestimmt keine
zen konnte. Deine umfangreiche Publika- fremde Kategorie.

Info DaF 30, 4 (2003), 321–322


322

Auch wenn wir beide konzeptionell und Deine liebe Frau Françoise, die ich in
wissenschaftlich nicht immer einer Mei- meine Laudatio mit einschließe, einen
nung waren – dies halte ich bei dem noch gewichtigeren Platz einnehmen
Geschäft, das wir eine lange Zeit gemein- werden als bisher schon.
sam und kollegial betrieben haben, für
normal –, meine Wertschätzung für Dich Herzlichst mit starken Wünschen für Ge-
ist keine bloße Phrase. sundheit und Glück!
Ich weiß nicht, wie Du Deine »Nachbe-
rufszeit« gestalten wirst; eines scheint Gert Henrici
mir sicher zu sein, daß Frankreich und Bielefeld, im Januar 2003
323

Wissenschaftliches Schreiben im Umbruch.


Über einige Folgen der Globalisierung
in den Fremdsprachenphilologien

Ewald Reuter

1. Licht und Schatten der Globalisie- untersucht. Das Verwertungsinteresse


rung richtet sich dabei nicht nur auf eine Ver-
Die Globalisierung beschleunigt und ver- besserung der Forschung, sondern auch
stärkt Modernisierungstendenzen, wozu auf eine Verbesserung der Lehre, die in
man die entfesselte Verwissenschaftli- den reflektierten Umgang mit solchen
chung aller Lebensbereiche rechnet. Da Erkenntnisprozessen einführt. For-
dies im Kern nicht neu ist, erzählen ihre schung verändert also Forschung und
Befürworter eine Erfolgsgeschichte und Lehre. In diesem Bereich der Bewußtma-
meinen, daß sich die Wissenschaft von chung und Steigerung von Prozeßratio-
der Kontrolle durch Kirche und Staat nalität sind Soziologie und Linguistik des
befreit hat und nur noch der Logik der wissenschaftlichen Schreibens angesie-
Forschung gehorcht. Es ist der Zwang delt. Auch ihr Beispiel lehrt, daß die
zum methodischen Zweifel, der über Kri- Erforschung der wissenschaftlichen Pra-
tik und Innovation zum wissenschaftli- xis vielfach auf diese Praxis zurückwirkt.
chen und gesellschaftlichen Fortschritt Dem Jubilar zu Ehren, der als einer der
führt. In dieser Unabschließbarkeit der Gründungsväter des Faches Deutsch als
Produktion, Zirkulation und Konsum- Fremdsprache, als Lehrer, Kollege und
tion wissenschaftlichen Wissens erken- Freund bereits früh Wege gewiesen hat,
nen Gegner eine kapitalistische Verwer- wie Formen der eigenen und fremden
tungslogik und erzählen eine Verfallsge- Wissenschafts- und Berufskommunika-
schichte. Statt zum guten Leben führt die tion zu untersuchen und zu vermitteln
freie Wissenschaft zur Zerrüttung der Ge- sind (vgl. Ehnert/Ehnert 1980, Ehnert
sellschaft, weil sie stets Ungewißheit, Wi- 2000), wird kurz dargelegt, wie einer phi-
dersprüchlichkeit, Unübersichtlichkeit lologisch verkürzten Beschäftigung mit
und Werteverfall hervorruft. dem wissenschaftlichen Schreiben vorge-
Tatsache ist, daß nicht nur die Gesell- beugt werden kann.
schaft, sondern auch die Wissenschaft
selbst von den Folgen ihrer Wissenspro- 2. Wissenschaftlich arbeiten lernen: for-
duktion erfaßt wird. So wirkt beispiels- schen und schreiben lernen
weise die Gewinnung neuer Erkennt- Internationale Mobilität und innerfachli-
nisse zurück auf die künftige Erkenntnis- che Differenzierung unterlaufen auch in
suche. Treten solche Rückkopplungen ins den Fremdsprachenphilologien immer
Bewußtsein, werden sie zur Steigerung häufiger die Grenzen von Organisatio-
der wissenschaftlichen Zweckrationalität nen und Nationen. Praktisches Beispiel

Info DaF 30, 4 (2003), 323–334


324

sind Universitäten, die inzwischen genau als Glanzstück studentischer Leistung


solche im Ausland erbrachten Studienlei- gefeiert und in einem anderen als unwis-
stungen anerkennen, welche sie unlängst senschaftlich verrissen werden kann.
noch als nicht anrechnungsfähig ablehn- Dennoch hat erst die methodisch kontrol-
ten (vgl. z. B. Kelletat 1992, 2003), oder lierte Verarbeitung solcher Fremdheits-
Studienfächer, die unter Druck neue Ge- und Kontrasterfahrungen die allmähli-
genstände und neue Methoden in For- che Erforschung kulturspezifischer For-
schung und Lehre aufnehmen (vgl. z. B. men der mündlichen und schriftlichen
Reuter 2001, Reuter/Piitulainen 2003). Wissenschaftskommunikation angesto-
Da die Muster von Umbruch und Über- ßen (vgl. z. B. Hermanns 1980, Mauranen
gang im Wissenschaftsalltag oft nur un- 1993, Ventola/Mauranen 1996, Eßer 1997,
deutlich wahrnehmbar sind (Wobbe Wiesmann 1999, Kaiser 2002).
2000: 55 ff., Kjørup 2001: 67 ff.), werden Neben diesen allgemeinen Einschätzun-
Studierende wie Lehrende nicht selten gen setzt sich insbesondere die Einsicht
verunsichert angesichts der fortschreiten- durch, daß die gründliche Kenntnis von
den Spezialisierung der Wissenschaften Textsortenkonventionen die Rezeption
und ihrer fast unüberwindbaren Distanz und Produktion von Texten wesentlich
zum breiten Publikum. Bis zur Orientie- erleichtert. Im Sog dieser Erkenntnis
rungslosigkeit können diese Probleme zeichnen sich wenigstens drei miteinan-
durch die Relativierungseffekte der inter- der zusammenhängende Richtungen bei
kulturellen Begegnung verschärft wer- der Erforschung der internationalen Wis-
den (vgl. z. B. Roggausch 1997, Ehlich senschaftskommunikation ab:
2001). 1. die Ermittlung, Beschreibung und Er-
Dennoch erweisen sich die Fremdspra- klärung von kulturspezifischen Text-
chenphilologien zunehmend als einer je- sortenkonventionen (siehe oben),
ner Reflexionsorte, an denen man globa-
len Transformationsprozessen auf die 2. die Ermittlung, Beschreibung und Er-
Spur zu kommen versucht. Als Wissen- klärung von Lese- und Schreibprozes-
schaften von Sprache, Text und Kommu- sen (z. B. Ehlers 1998; Baurmann/
nikation liefern sie wertvolle Aufschlüsse Weingarten 1995), und
darüber, welchen Bahnen wissenschaftli- 3. die Vorbereitung, Durchführung und
ches Arbeiten, das sich wesentlich durch Auswertung von Kursen und Trai-
die Rezeption und Produktion von Tex- ningsprogrammen zur Optimierung
ten auszeichnet, im internationalen Kon- der Rezeption und Produktion von
text folgt. Allgemeines Ergebnis ist, daß Texten (z. B. Bünting/Bitterlich/Pospi-
Wissenschaft trotz Berufung auf univer- ech 1996, Perrin/Böttcher/Kruse/
sale Vernunft in die geschichtliche Über- Wrobel 2002).
lieferung und die Normen und Werte Dieses Programm angewandter For-
einer Gesellschaft eingebunden ist. Daher schung wird sowohl auf dem Feld der
schlägt die Art und Weise, wie man sich mündlichen, der schriftlichen und der
in den Einzelwissenschaften bemüht, im technisierten Wissenschaftskommunika-
Rahmen der verfügbaren Begriffe und tion als auch im Bereich ihrer gegenseiti-
Verfahren die von der Gesellschaft ge- gen Überlappung betrieben werden. Es
setzten Ziele zu erreichen, durch bis auf zielt auf die Entdeckung von regelhaften
die Formen der Kommunikation. Aus Zusammenhängen, die sich hinter dem
diesem Grunde erstaunt es kaum, daß Eindruck von Zufall, Willkür und Chaos
dieselbe Abschlußarbeit in einem Land verbergen.
325

Trotz klarem Anwendungsbezug zeichnet klärt (Sokal/Bricmont 1999). Insofern


sich in den Fremdsprachenphilologien je- stellt sich die Abfassung des wissenschaft-
doch die Gefahr ab, daß sie mit der Erfor- lichen Textes als hochgradig selektiver,
schung der wissenschaftlichen Kommuni- strategischer Prozeß dar. Deshalb irrt, wer
kation auf halbem Wege stehenbleiben, annimmt, solche Texte bildeten nackte Tat-
wenn sie sich nur mit der sprachlichen sachen auf schlichteste Weise ab. Es liegt
Darstellung wissenschaftlichen Wissens auf der Hand, daß dieser komplexe Zu-
und nicht auch mit seiner Herstellung sammenhang von Forschung und ihrer
beschäftigen. Gerade in praktischer Ab- sprachlichen Darstellung nicht nur in den
sicht reicht es nicht, zunächst die zivili- Naturwissenschaften, sondern auch in
sierte Oberfläche wissenschaftlicher Texte den Geistes- und Sozialwissenschaften
zu untersuchen und danach die ermittelte vorzufinden ist (Reuter 1997: 114 ff.).
Regelästhetik in Kursen zum wissen- Wollen sich die Fremdsprachenphilolo-
schaftlichen Schreiben zu lehren. Viel- gien nicht erneut Sprachimmanenz und
mehr gilt es, das verschlungene Verhältnis Verbalismus vorwerfen lassen, so müssen
von Forschungs- und Darstellungspraxis sie in Forschung und Lehre bedenken,
zu erkunden, wenn man Studierende daß wissenschaftliche Texte nur der
wirklichkeitsnah in gängige Formen der schreiben lernt, wer zugleich auch For-
wissenschaftlichen Kommunikation ein- schungsfragen stellen und beantworten
üben will. So legt z. B. Knorr-Cetina (1981, lernt. Die Einübung in die Rezeption und
1991) in einer schon klassisch zu nennen- Produktion wissenschaftlicher Texte geht
den Studie dar, wie Naturwissenschaftler Hand in Hand mit der Einübung ins
eine Zufallsentdeckung im Forschungsbe- Forschen, d. h. in die gedankliche Durch-
richt als das Ergebnis gut geplanter Expe- dringung von Gegenstand und Methode.
rimente darstellen. Dem publizierten Arti- Das ist einfacher gesagt als getan. Doch
kel ist in keiner Weise anzumerken, daß kann man den wissenschaftlichen Artikel
der tatsächliche Forschungsverlauf durch als Grundeinheit der wissenschaftlichen
Einpassung in das hypothetisch-deduk- Kommunikation begreifen und ihn vom
tive Argumentationsmuster praktisch auf Studienbeginn an allmählich zu einer tra-
den Kopf gestellt wurde. Auch kann man genden Säule studentischen Lernens ma-
ihm nicht ansehen, daß z. B. die Einleitung chen, die Form, Inhalt und diskursiven
viele Male überarbeitet wurde, um nicht Kontext gleichermaßen im Auge behält.
nur das Fachpublikum, sondern auch po- Forschen lernen setzt ein mit einer Vor-
tentielle Geldgeber in Wirtschaft und Poli- verständigung über die Zweckbestim-
tik optimal auf Labor und Forscherteam mung von Wissenschaft und Einzelwis-
aufmerksam zu machen. Auf vergleich- senschaft, ihrer Gegenstände und Metho-
bare Weise liefert Ylönen (2001) am Bei- den sowie mit einer ersten Klärung der
spiel der Medizinischen Deutschen Wochen- Frage, was Wissenschaft leisten kann und
zeitschrift den Nachweis, daß Forschungs- was nicht: Wer, wie, was, wieso, weshalb,
paradigmen und Textsortenkonventionen warum; wer nicht fragt, bleibt dumm –
untrennbar verwoben sind und daß das reimt die deutsche Sesame Street. Die Lo-
eine nicht ohne das andere zu denken ist. gik der Forschung darf bei Schreibfor-
Auch die Frage nach dem Sinn und Un- schung und Schreibdidaktik nicht auf der
sinn der postmodernen Verquickung von Strecke bleiben. Vielmehr muß sie Be-
natur- und sozialwissenschaftlicher Theo- standteil der schrittweisen Erschließung
riebildung wird letztlich nur durch Re- wissenschaftlicher Denk- und Diskurs-
kurs auf relevante Wissensbestände ge- welten sein, die sich zunächst an kleinen,
326

stark reproduktiven Textsorten wie Mit- Forschungspraxis bilden Themenwahl,


schrift, Exzerpt, Thesenpapier, Referat, Methodenwahl, Fachlektüre, Datenerhe-
Protokoll und Hausarbeit erprobt (vgl. bung, Datenanalyse und Niederschrift
z. B. Ehlich/Graefen 2001). oft ein buntes Gemisch sich wechselseitig
beeinflussender Größen, das erst im Rah-
3. Eine einfachste Systematik des wis- men der sprachlichen Darstellung in eine
senschaftlichen Arbeitens geordnete Folge abgrenzbarer Schritte
Im modernen Hochschulsystem sind Ab- überführt wird (vgl. z. B. Hirsjärvi/Re-
schlußarbeiten in der Regel die ersten mes/Sajavaara 1997: 14 ff., 55 ff.). Da man
echten Prüfsteine des selbständigen wis- offenbar nur begrenzt von der Ordnung
senschaftlichen Arbeitens. Laut Verord- des Forschungsberichtes auf die Ord-
nung sollen Studierende meist nachwei- nung des Forschungsverlaufes oder um-
sen, daß sie die Grundkenntnisse ihres gekehrt von der Ordnung der Forschung
Faches beherrschen und gängige Metho- auf die Ordnung des Textes schließen
den auf relevante Fragestellungen an- kann, fragt sich, welches Mittel man Stu-
wenden können. Die Abschlußarbeit dierenden als Orientierungshilfe für die
wird dabei als der schriftliche Bericht Bewältigung der eigenen Lern-, For-
über in sich abgeschlossene Forschung schungs- und Schreibpraxis an die Hand
verstanden. Nun weiß jedoch bereits die geben kann. Eine Durchsicht der wichtig-
gut informierte Ratgeberliteratur, was die sten Ratgeber- und Forschungsliteratur
oben besprochenen Beispiele aus den Na- ergibt folgende einfachste Systematik,
turwissenschaften bekunden: Forschen deren Beachtung sowohl die Rezeption
und Schreiben erfolgen nicht nacheinan- und Produktion von wissenschaftlichen
der, sondern werden gleichzeitig abge- Texten als auch den eigenen Forschungs-
wickelt. Nicht nur in den Köpfen der prozeß immer wieder neu zu ordnen
Forscher, sondern auch in der konkreten vermag:

Ziel: Welche Frage(n) will ich mit meiner Arbeit beantworten?


Stand der Forschung: Wie ist die Frage bislang in der Forschung behandelt worden?
Welche Forschungslücke schließt meine Arbeit?
Methode: Auf welche Weise beantworte ich meine Frage? In welche
Teilfragen kann ich meine Frage zerlegen und methodisch
kontrolliert beantworten?
Durchführung: Datenerhebung und Datenanalyse
Ergebnis: Welche Antwort(en) und welche Anschlußfrage(n) habe ich
gefunden?

Aus dieser einfachsten Systematik kön- schung belegt, werden in Studium und
nen differenzierte Methodiken fürs Sprachkurs eher einzelne Techniken wie
Fachstudium wie für wissenschaftspro- Bibliographieren, Zitieren und Referie-
pädeutische Sprachkurse abgeleitet wer- ren vermittelt als daß ein ganzheitlicher
den, die unterschiedlichsten Anforde- Blick auf den Zusammenhang von Ler-
rungen genügen (vgl. z. B. Eggers/Mül- nen, Forschen und Kommunizieren ge-
ler-Küppers 2000: 128 ff.). Bedarf be- wagt wird (vgl. z. B. Poikela/Öystilä
steht, denn wie die einschlägige For- 2001, Reukauf 2001, Steets 2001).
327

4. Die studentische Lektüre einer Ab- zess und die Durchführung einer informati-
schlußarbeit ven Werbekampagne. Danach wird mehr
über eine spezifische Art von Werbung,
Die besondere heuristische bzw. metako- nämlich Imagewerbung, gesprochen. In
gnitive Tauglichkeit der Systematik kann diesem Kapitel werden auch solche Begriffe
man durch einen einfachen Versuch wie Unternehmensbild und PR-Tätigkeit
nachweisen. Im Rahmen eines Kurses genauer erklärt. Auch die Rolle der Image-
zum wissenschaftlichen Schreiben wur- werbung als Vermittler von Unternehmens-
bild einer Firma wird näher bearbeitet. Der
den finnische Studierende der Germani- zweite Teil der Arbeit besteht aus der empi-
stik gebeten, an relevanten Textauszügen rischen Untersuchung, die im Rahmen die-
die Stärken und Schwächen einer (anony- ser Pro Gradu-Arbeit gemacht wurde. (1)
men) Abschlußarbeit aus ihrem Fach zu Für die Untersuchung wurden zwei Inter-
beurteilen. Eine Versuchsgruppe wurde views bei zwei Papierfabriken von [XYZ]
durchgeführt. (2) Während der Interviews
in die Handhabung der einfachsten Sy- wurden den interviewten Personen Fragen
stematik eingewiesen, die Kontroll- über die Ideenentwicklung, die Planung,
gruppe nicht. Ergebnis war, daß die erste die Ausarbeitung und die Einführung des
Gruppe weit klarer die hinter der Text- Fabrikpräsentationsmodells vorgelegt. (3)
oberfläche verborgenen Probleme er- Das Ziel war, herauszufinden, wie der Pla-
kannte als die zweite. Thema der Arbeit nungsprozess für schriftliches Imagewerbe-
material bei einem Großunternehmen in
ist die Dokumentation und Analyse des Ent- Wirklichkeit abläuft und was dabei mitbe-
stehungsprozesses von Unternehmenswer- rücksichtigt wird. Es wurde auch unter-
bung eines finnischen Papierherstellers. sucht, aus welchen Gründen Unternehmen
Ziel und Durchführung der Untersu- gewisse Erneuerungen in dieser Art von
chung werden in der »Einleitung« wie Firmenkommunikation durchführen.
folgt dargestellt (meine Satzzählung in In der Linguistik gibt es viele frühere Arbei-
ten, die sich mit Werbesprache und Werbe-
eckigen Klammern, E. R.): kommunikation beschäftigen. Eine solche
»[…] Ausgangspunkt dieser Pro Gradu-Ar- Arbeit, die in erster Linie den Vorgang der
beit ist mein eigenes Interesse an den unter- Werbeplanung und seine Teilbereiche zu
schiedlichen Weisen der Informationsver- dokumentieren versucht, gibt es meines Er-
mittlung und des Imagewerbens bei ver- achtens jedoch nicht. Deswegen bin ich
schiedenen Großunternehmen in Finnland. selbst sehr davon angetan, die erste Arbeit
Besonders interessant finde ich die zahlrei- solcher Art anfertigen zu können. Ich hoffe,
chen Prospekte der Unternehmen, die ne- daß meine Arbeit vielleicht später Anre-
ben allerlei technischen Informationen über gungen für ähnliche Arbeiten geben kann.«
die Firma und ihre Produkte auch ein posi- Im Rückgriff auf die eingedeutschten Be-
tives Unternehmensbild vermitteln wollen.
In dieser Arbeit wird der Entstehungspro- griffe des kurstragenden Lehrwerkes
zess eines schriftlichen Fabrikpräsentati- Tutki ja kirjoita (Hirsjärvi/Remes/Saja-
onsmaterials, des sogenannten Mill Presen- vara 1997) teilten die kundigen Befragten
tation Material von [XYZ] dokumentiert. Mit mit, daß es sich bei dieser Arbeit um eine
dem neugestalteten Material versuchte man qualitative oder explorative Fallstudie
innerhalb der Sparte Druckpapier den ver-
schiedenen Werken dieser Sparte ein mög- handle, die aus der Sicht von Beteiligten
lichst einheitliches Bild zu geben. Die Ar- rekonstruiere, wie laut Satz 3 der Pla-
beit teilt sich in zwei Teile. Im ersten Teil nungsprozeß »in Wirklichkeit« ablaufe.
wird die theoretische Basis behandelt. Der Bei der weiteren Lektüre sei jedoch dar-
Begriff Werbekommunikation mit seinen auf zu achten, wie die in den Sätzen 1 und
verschiedenen Teilbereichen wird gründ-
lich durchgegangen. Aus der Sicht dieser 2 gemachten Angaben zur Methode ein-
Arbeit und der späteren Untersuchung ist gelöst würden. Einerseits falle auf, daß
dabei besonders wichtig der Planungspro- man mit »zwei Interviews« wohl kaum
328

den tatsächlichen »Entstehungs-« oder zwei untersuchten Prozessen gesucht. Mit


»Planungsprozeß« ›dokumentieren‹ kön- dieser Untersuchung wollte man herausfin-
ne, wie es Thema und Einleitung versprä- den, welche Diskrepanzen auf der allgemei-
nen Ebene, also der Konzernebene, vergli-
chen. Andererseits erfordere die Rekon- chen mit der spezifischen Ebene, d. h. auf
struktionsarbeit eine offene Interview- der Werkebene, bei der Planung und Aus-
form, weshalb zu beachten bleibe, wa- führung des Materials aufgetreten sind.
rum es zu den in Satz 2 erwähnten, […]«
offenbar nach Phasen geordneten Fragen Vorstehender Abschnitt belegt, daß die
komme. Arbeit und ihre studentischen LeserIn-
Erste Antworten auf diese kritischen Fra- nen über gemeinsame methodische Vor-
gen finden sich im empirischen Teil der kenntnisse verfügen. Deshalb erfahren
Arbeit unter der Kapitelüberschrift »Das sie bezüglich ihrer Fragen, daß der ein-
Untersuchungsverfahren«: gangs dargelegte Gang der Untersu-
»Das Untersuchungsverfahren dieser Ar- chung insofern abgeändert wird, als
beit ist eine Befragungserhebung. Die benö- keine offenen oder ›freien‹, sondern
tigten Informationen für die Verwirkli- »strukturierte« Interviews durchgeführt
chung dieses empirischen Teils der Pro
Gradu-Arbeit wurden in erster Linie mit werden. Als Grund wird angegeben, daß
Hilfe zweier Interviews beschafft, die im man für die Arbeit ein »Vergleichsobjekt«
Februar [Jahreszahl] gemacht worden sind. brauche, mit dem man die auf »Kon-
Die Gliederung und die Fragen dieser Inter- zern-« und »Werkebene« ermittelten Pha-
views stützen sich teilweise auf Anteile des senfolgen vergleichen könne. An dieser
Buches »Marketing« von Heribert Meffert
(1998). Es geht also nicht um eine freie, Stelle erweise sich aus studentischer Sicht
sondern um eine teilweise strukturierte Be- jedoch Satz 4 als besonders kommentie-
fragungserhebung, deren Ausgangsbasis renswert, denn er verrate Unsicherheit.
die Phasenaufteilung des Planungsprozes- Aus eigener Erfahrung wisse man, daß
ses von Meffert ist (vgl. Kapitel 1.4.1). […] sich das Problem des mangelnden Zu-
Die beiden Interviews wurden unter vier
Augen geführt und auf Band aufgenom- sammenhangs von Theorie und Empirie
men. Sie sind nachher transkribiert worden meist nur ergebe, wenn man den Theorie-
und diese Transkriptionen sind als Anhang teil schreibe, ohne die Empirie bedacht zu
2 (TR I) und 3 (TR II) am Ende der Arbeit zu haben. Beschäftige man sich gleich mit
sehen. Kleine, übersetzte Abschnitte der den konkreten Forschungsfragen, könne
Transkriptionen werden im Laufe der Ar-
beit als Hilfsmittel benutzt, wenn über ver-
man die Arbeit von Anfang an inhaltlich
schiedene Teilbereiche des Planungsprozes- zusammenhängend, also kohärent auf-
ses von Mill Presentation Material berichtet bauen. Folglich bleibe im konkreten Fall
wird. […] zu prüfen, wie die Untersuchung Schritt
Die Befragungserhebung wurde deshalb in um Schritt durchgeführt werde.
strukturierter Form durchgeführt, weil man
in der Untersuchung ein Vergleichsobjekt Diesbezüglich heißt es im Analyseteil der
benutzen wollte. (4) Auf diese Weise konnte Arbeit unter der Kapitelüberschrift »Der
man auch leicht den theoretischen Teil der strategische Prozess der Materialpla-
Arbeit mit dem empirischen Teil verbinden. nung« an der ersten relevanten Stelle:
Die zwei untersuchten Projekte, die zum
Teil simultan weitergekommen sind, wur- »[…] Der Prozess der strategischen Planung
den also mit dem Projektablaufplan von dieses Werbematerials ist ziemlich kompli-
Meffert verglichen. Es wurden mögliche ziert gewesen. Er hat schon lange gedauert
Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen und in der Praxis ist dieser Prozess gewis-
diesen zwei Vorgängen und Meffert ge- sermaßen immer noch in Gang. [5] Deswe-
sucht und analysiert. Es wurden daneben gen ist es auch schwierig, die verschiedenen
auch bestimmte Abweichungen in diesen Aspekte oder Teile des Prozesses zu konkre-
329

tisieren und voneinander zu trennen. [6] Es sächlich‹ bedeutsamen »Aspekte oder


ist jedoch möglich, einige wichtige Aspekte Teile des Prozesses« nicht zugetraut, da
auch in diesem Planungsprozess zu sehen. man sich bereits bei der Datenerhebung
[7] Als ich die Personen im Rahmen dieses
Projekts interviewt habe, habe ich sie nach stark an Mefferts Phasenmodell orien-
vier verschiedenen Aspekten eines allge- tiere, wie die Sätze 6 und 7 auswiesen.
meinen Planungsprozesses gefragt. Diese Mefferts Modell diene als Fischernetz, in
Aspekte habe ich eingehender im theoreti- dem »einige wichtige Aspekte« hängen-
schen Teil dieser Arbeit behandelt (vgl. Ka- blieben. Darauf deute auch der Umgang
pitel 1.4).«
mit dem Transkriptauszug hin, der eher
Der erste Aspekt war der sogenannte Pla- paraphrasiert denn analysiert werde. Wie
nungshorizont, womit das Volumen der Pla- man sich im Anhang der Arbeit außer-
nung gemeint ist. Laut der Befragten MVT
haben die Leute in diesem Projekt nicht so dem vergewissern könne, sei der Termi-
viel Rücksicht darauf genommen, weil die nus »Planungshorizont« (finn.: suunnit-
Zeit und die sogenannte Lebensdauer bei teluhorisontti) von dem Interviewer ein-
diesem Material eigentlich nicht so wichtig geführt worden. Der Fisch, der sich mit
ist. Der Grundgedanke des Projekts ist ge- diesem Wort im Netz verfange, sei also
wesen, das Material so zu formulieren, daß
es so leicht wie möglich zu erneuern ist. vom Interviewer ausgesetzt worden und
Deswegen besteht es also aus A4-Bögen mit stamme nicht aus dem Teich der Befrag-
verschiedenen Themen. Das Material kann ten. Daß dem wirklich so sei, bestätige
auf diese Weise sogar jahrelang verwendet auch die nächste relevante Stelle im Text:
werden. MVT hat sich zum Planungshori-
zont folgendermaßen geäußert: »[…] Der zweite Aspekt, nach dem ich
gefragt habe, ist die sogenannte Ist-Analyse,
»[… finnischsprachiger Transkriptauszug die besonders bei der Produktplanung
…; deutsche Übersetzung] wichtig ist. Dabei werden sowohl interne
0349 MVT gewissermaßen brauchte auf so als auch externe Bedingungen des Unter-
einen Planungshorizont nicht nehmens analysiert. (8) Der Begriff Ist-Ana-
etwa so viel Rücksicht lyse war der Befragten MVT nicht bekannt,
0350 genommen werden weil der aber sie meinte, daß diese Sache jedoch
eine Grundgedanke genau der interessant und wichtig ist. (9) Aus dem
war daß das Material dann Interview geht jedoch hervor, daß während
0351 leicht zu erneuern ist damit der Planung der Spartengruppe keine Ana-
wenn Änderungen auftauchen lyse, wenigstens nicht bewusst, gemacht
neue Dinge auftauchen und wurde. MVT hat Folgendes gemeint:«
0352 anderes dann dann aus denen (…finnischsprachiger Transkriptauszug;
kann ein völlig neuer Bogen ge- deutsche Übersetzung)
macht werden oder 0445 MVT Ist-Analyse als diese Art wie
0353 dann das alte Material kann da- könnte ich sagen tatsächlich
tiert werden und aaach gewis- nicht so analytisch aber
sermaßen in der Praxis 0446 mehr als eine Art aach könnte es
0354 aaach einige Sachen können an- dann entsprechend intuitiv ge-
tizipiert aber ganz viele können nannt werden oder in
nicht antizipiert werden
0447 die Richtung so so so würde ich
An dieser Stelle erhärtet sich aus studen- diese Arbeit einschätzen die in
tischer Sicht der bei der Lektüre der Ein- unserer Gruppe gemacht
leitung entstandene Verdacht. Mit Satz 5 0448 wurde am An Anfang als wie
ich sagte daß die historische und
gebe die Arbeit die in der Einleitung mit also die
Satz 3 angedeutete Rekonstruktion der 0449 unternehmenskulturelle Situa-
Beteiligtensicht im Grunde auf. Offenbar tion uns deutlich zu diesem
habe man sich eine Ermittlung der ›tat- Denken leitete daß daß also
330

0450 vielleicht die Fabriken wenn ich führe, könne man deutlich an der Rede
es jetzt aus der heutigen Per- von der ›unbewußten‹ Analyse erken-
spektive betrachte also nen, die ironischerweise in Satz 9 para-
0451 also aach unterschiedliche As-
pekte betonten phrasiert werde. Alles in allem belege
In dieser Passage werde mit Satz 8 offen das Transkript ganz deutlich, daß die
zugegeben, daß der Interviewer zentrale Befragte sich bemühe, Erfahrenes und
Kategorien zur Erfassung der Planungs- eben auch Nicht-Erfahrenes so umzufor-
vorgänge auf »Konzern-« und »Werk- mulieren, daß sie dem Anliegen des In-
ebene« im Gespräch vorgebe. Die Inter- terviewers gerecht werde. Diese Beob-
viewten hätten also keine Gelegenheit, achtungen würden vollends durch den
ihre Sicht der relevanten Vorgänge mit abschließenden Vergleich der Phasen-
eigenen Worten darzulegen, denn sie modelle belegt, aus dessen Anordnung
würden unter der Hand dazu aufgefor- bereits hervorgehe, daß die erhobenen
dert, mit ihren Antworten nach und Verlaufsformen aus Mefferts Modell ab-
nach ein Phasenschema aufzufüllen, das geleitet bzw. ihm durch fortwährende
nur dem Interviewer bekannt sei. Daß Umdeutung angeglichen worden seien
dies zur Verwirrung der Interviewten (vgl. Tabelle 1).

Meffert Konzernebene Werkebene


(allgemeine Ebene) (spezifische Ebene)
1. Definitionsphase a) Richtungslinien- und
Rahmengestaltungs-
2. Vorentwicklungsphase phase

3. Prototypenphase
b) Pilotversionsphase
4. Erprobungs- und Pla-
nungsphase
c) weitere Planungsphase

5. Beschaffungsphase
d) endgültige Beschaffung

Tabelle 1: Vergleich der Phasenmodelle

Aufs Ganze betrachtet liege dieser Ab- 5. Aha-Erlebnisse und Lernfortschritte


schlußarbeit wohl ein Widerspruch zwi- Natürlich dürfen GermanistInnen etwas
schen Einzelfall und Verallgemeinerung von Erkenntnis- und Methodenkritik
zugrunde, der sogar ein Widerspruch wissen, kann man darauf nur antworten,
von Induktion und Deduktion sein könn- denn das betrifft ihr Kerngeschäft. So wie
te, wie man dem Lehrbuch entnommen sich ein konkretes Wort zur Wortart, ein
habe. Doch wie es sich damit genau ver- Satz zur Satzart, ein Text zur Textsorte
halte, sei nicht ganz klar, und auch nicht, oder ein Gespräch zur Gesprächssorte
ob GermanistInnen so etwas überhaupt verhält, so verhalten sich auch andere
wissen müßten. Größen zueinander wie Exemplar und
331

Muster – oder in umgekehrter Reihen- diese nicht unwesentlich durch die ein-
folge: wie type und token. Im Falle der fachste Systematik eingeleitet wurden,
erwähnten Abschlußarbeit wird es letzt- spricht für deren Tauglichkeit als Such-
lich unterlassen, die Beziehung zwischen und Orientierungsraster. Skeptikern
dem type, d. h. Mefferts Phasenmodell, kann man aufzeigen, daß Forschen und
und dem token, d. h. dem tatsächlichen Schreiben durch solch methodisch ange-
Planungsprozeß im Unternehmen, me- leitetes Lesen nachhaltig gefördert wird.
thodisch sauber zu klären. Im Sinne einer Dafür war im erwähnten Schreibkurs die
induktiven Schlußfolgerung hätten die Abschlußarbeit von Taina Laitinen (2000)
Merkmale des tokens zweifelsfrei ermit- ein positives Beispiel unter vielen. Im
telt werden müssen, bevor man sie mit elterlichen Ferienbetrieb erfragte sie per
den Merkmalen des types hätte verglei- Interview das Finnlandbild deutscher
chen können. Stimmen die am token Gäste und war entsetzt über die Nen-
wahrgenommenen Merkmale mit den nung zahlreicher negativer Stereotype.
Merkmalen des types überein, ist es ein Korrigiert wurde dieser Eindruck durch
token dieses types, wenn nicht, ist es das die Analyse eines langen Gesprächs, das
token eines anderen, womöglich neuen sie anläßlich eines gemeinsamen Kaffee-
types (vgl. z. B. Reichertz 1995). Mit dieser trinkens von Gastgebern und Gästen auf-
Möglichkeit rechnet die Arbeit jedoch zeichnete. Letztere erzählten plötzlich
nicht, denn Datenerhebung und -analyse von erfreulichen Ferienerlebnissen, und
sind so gearbeitet, daß sie die Merkmale zwar so, daß sie ihren Interviewaussagen
des tokens sogleich den Merkmalen des direkt widersprachen. Des Rätsels Lö-
types subsumieren. Damit bewegt sich die sung fand die Verfasserin in der situati-
Arbeit im Rahmen des deduktiven ven Relevanz jeglicher Kommunikation.
Schlußfolgerns und hätte folglich die Hy- Beim Interview hatten die Gäste wie im
pothese bestätigen oder verwerfen müs- Prüfungsgespräch artig Antworten gege-
sen, daß der untersuchte Einzelfall des ben, die, wie sich herausstellte, fast wort-
finnischen Papierherstellers das token zu wörtlich aus einem Reiseführer reprodu-
Mefferts type ist. Da aber auch dies nicht ziert worden waren. Beim geselligen Bei-
geschieht, verharrt die Arbeit seltsam un- sammensein berichteten sie über eigene
entschieden zwischen allen Optionen, Erlebnisse, wohl ohne die Regeln von
obwohl der Verweis auf Pogner (1997; Anstand und Höflichkeit außer acht zu
auch: 1999) nahelegt, daß sie besser hätte lassen. Und prognostiziert wird, daß die
informiert sein können. Neue Einsichten Gäste, wieder daheim, vielleicht mal die
in die Genese von Werbematerial liefert positive, mal die negative, mal eine ge-
diese Untersuchung also nicht. Im Ergeb- mischte Version zu Gehör bringen – je
nis hält man eine Arbeit in der Hand, die nach Situation. Methodisch gelungen ist
an der Textoberfläche wie eine muster- es dieser Arbeit, die types von Interview
gültige Studie mit allem empirischen und Alltagserzählung sowie ihre tokens
Drum und Dran erscheint, in der Tiefe auseinanderzuhalten, den widersprüch-
jedoch ungelöste Probleme birgt. lichen kommunikativen Zusammenhang
Es bedarf keiner großen Phantasie, um zu erschließen und den einen Sachverhalt
sich vorzustellen, daß eine schlichte, je- nicht auf den anderen zu reduzieren.
doch von Material gesättigte Erläuterung Dabei konnte internationales Grundwis-
des Zusammenhangs von type und token sen beachtet werden, das am Studienort
bei Studierenden Wiedererkennungsef- in vielen Sprachen nachlesbar ist (z. B.
fekte und Aha-Erlebnisse auslöst. Daß Alasuutari 1999, Arksey/Knight 1999,
332

Flick 1998, 2000, Hirsjärvi/Hurme 1995). Baurmann, Jürgen; Weingarten, Rüdiger


Im Ergebnis besteht auch an der berufli- (Hrsg.): Schreiben. Prozesse, Prozeduren
chen Relevanz kein Zweifel: An einem und Produkte. Wiesbaden; Opladen: West-
deutscher Verlag, 1995.
kleinen Beispiel zeigt die Arbeit, welche Bünting, Karl Dieter; Bitterlich, Axel; Pospi-
Fehler man bei der Marktbefragung bzw. ech, Ulrike (Hrsg.): Schreiben im Studium.
bei der Ermittlung von Kundenzufrie- Ein Trainingsprogramm. Mit einem Beitrag
denheit vermeiden kann und wie man von Gabriela Ruhmann. Berlin: Cornel-
dadurch der Vielfalt von Perspektiven sen Scriptor, 1996.
Eggers, Dietrich; Müller-Küppers, Evelyn:
gerecht wird.
»Der Aufgabenbereich ›Vorgabenorien-
tierte Textproduktion‹ in der Deutschen
6. Ausblick Sprachprüfung für den Hochschulzu-
gang ausländischer Studienbewerber
Dieser knappe Beitrag liefert einige An- (DSH)«. In: Bolton, Sibylle (Hrsg.): TEST-
haltspunkte, wie man im Zeitalter der DAF: Grundlagen für die Entwicklung eines
Globalisierung wissenschaftliche Texte neuen Sprachtests. Beiträge aus einem Exper-
lesen und schreiben lernen kann, ohne tenseminar. München: Goethe-Institut,
darüber den Inhalt dieser Texte bzw. ih- 2000, 107–130.
ren Forschungskontext aus den Augen zu Ehlers, Swantje: Lesetheorie und fremdsprach-
liche Lesepraxis aus der Perspektive des Deut-
verlieren. Geworben wird für die syste- schen als Fremdsprache. Tübingen: Narr,
matische Zusammenschau von For- 1998.
schung und ihrer sprachlichen Darstel- Ehlich, Konrad: »Deutsche Wissenschafts-
lung (oder: Repräsentation), die nicht nur kommunikation. Eine Vergewisserung«,
in speziellen Lese- und Schreibkursen, Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 27
(2001), 193–208.
sondern in fast jeder universitären Lehr-
Ehlich, Konrad; Graefen, Gabriele: »Sprach-
veranstaltung mehr oder weniger zu be- liches Handeln als Medium diskursiven
rücksichtigen ist. Obwohl manche Lese- Denkens. Überlegungen zur sukkursiven
rInnen vielleicht geneigt sind, in diesem Einübung in die deutsche Wissenschafts-
Beitrag das token eines utopischen types kommunikation«, Jahrbuch Deutsch als
Fremdsprache 27 (2001), 351–378.
zu erkennen, lehrt der Alltag, daß nur der
Ehnert, Rolf (Hrsg.): Wirtschaftskommunika-
wissenschaftlich erfolgreich arbeitet, der tion kontrastiv. Frankfurt/Main: Lang,
beide Seiten der Unterscheidung von 2000.
Form und Inhalt beherrscht. Indem die Ehnert, Helga; Ehnert, Rolf: Gespräch und
Fremdsprachenphilologien die engere Diskussion. Verwirklichen von Sprechabsich-
Lese- und Schreibpraxis auf die umfas- ten. Lehrbuch mit Tonkassette. Dort-
mund: Lensing, 1980.
sende Forschungspraxis beziehen, erar-
Eßer, Ruth: »Etwas ist mir geheim geblieben am
beiten sie Orientierungswissen, das befä- deutschen Referat«. Kulturelle Geprägtheit
higt, die kommunikativen Herausforde- wissenschaftlicher Textproduktion und ihre
rungen der Globalisierung innerhalb und Konsequenzen für den universitären Unter-
außerhalb der Wissenschaft zu meistern. richt von Deutsch als Fremdsprache. Mün-
chen: iudicium, 1997.
Flick, Uwe: An Introduction to Qualitative
Research. London: Sage, 1998.
Literatur
Flick, Uwe: Qualitative Forschung. Theorie,
Alasuutari, Pertti: Laadullinen tutkimus Methoden, Anwendung in Psychologie und
(Qualitative Forschung). 3., erneuerte Sozialwissenschaften. 5. Auflage. Reinbek:
Auflage. Tampere: Vastapaino, 1999. Rowohlt, 2000.
Arksey, Hilary; Knight, Peter: Interviewing Hermanns, Fritz: »Das ominöse Referat.
for Social Scientists. An Introductory Re- Forschungsprobleme und Lernschwie-
source with Examples. London: Sage, 1999. rigkeiten bei einer deutschen Textsorte«.
333

In: Wierlacher, Alois (Hrsg.): Fremdspra- Mit neuer Fallstudie VW Golf. 8., vollstän-
che Deutsch. Grundlagen der Germanistik als dig neubearbeitete und erweiterte Auf-
Fremdsprachenphilologie. Band II. Mün- lage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buch-
chen: Fink, 1980, 593–607. gesellschaft, 1998.
Hirsjärvi, Sirkka; Hurme, Helena: Teemahaa- Perrin, Daniel; Böttcher, Ingrid; Kruse, Otto;
stattelu (Das Themainterview). 7. Auf- Wrobel, Arne (Hrsg.): Schreiben. Von intui-
lage. Helsinki: Yliopistopaino, 1995. tiven zu professionellen Schreibstrategien.
Hirsjärvi, Sirkka; Remes, Pirkko; Sajavaara, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2002.
Paula: Tutki ja kirjoita (Forsche und Pogner, Karl-Heinz: »Text und Dynamik.
schreibe). 3. Auflage. Helsinki: Tammi, Beobachtungen zur Textproduktion an
1997. einem technischen Arbeitsplatz«. In:
Kaiser, Dorothee: Wege zum wissenschaftli- Antos, Gerd; Tietz, Heike (Hrsg.): Die
chen Schreiben. Eine kontrastive Untersu- Zukunft der Textlinguistik. Traditionen,
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334

Reuter, Ewald; Piitulainen, Marja-Leena schule? Einschätzungen und Ansichten


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Steets, Angelika: »Wie wichtig ist wissen- schrift (DMW). Frankfurt/Main: Lang,
schaftliches Schreiben in der Hoch- 2001.
335

Kommunikative Routineformeln im finnischen


DaF-Unterricht

Irma Hyvärinen

1. Einleitung Laufe des ganzen Sommers keine spezifi-


In seinem Artikel »Komm doch mal vor- zierte Einladung folgte, sah ich meine
bei. Überlegungen zu einer ›kulturkon- Vermutung bestätigt: Die Äußerung war
trastiven Grammatik‹« (Ehnert 1988) ver- wohl nur aus purer Freundlichkeit er-
anschaulicht der Jubilar am Beispiel des folgt.
mißlungenen Besuchs eines arabischen Zu Kommunikationsstörungen kann es
Studenten bei einem deutschen Studen- andererseits kommen, wenn in zwei Kul-
tenehepaar, zu was für enttäuschenden turen in einer parallelen Situation etwas
oder sogar peinlichen Situationen auf Bestimmtes gesagt wird, dieses Etwas
beiden Seiten mangelhafte Kenntnisse aber nicht wortwörtlich wiedergegeben
über den eigentlichen kulturell-pragma- werden kann. Jeltsch (1995: 113) exempli-
tischen Stellenwert von sog. Routinefor- fiziert diesen Fall mit dem finnischen
meln führen können: Der Araber hatte Wunsch Hyvää jatkoa!, dessen direkte
den deutschen Satz »Komm doch mal Übersetzung »Gute Fortsetzung« in deut-
vorbei« – wie aus seiner heimischen Kul- schen Ohren komisch klingt: In einer
tur gewohnt – wörtlich genommen, d. h. entsprechenden Situation sagen Deut-
ihn als offene Einladung aufgefaßt, der sche unter guten Freunden etwa Mach’s
man ohne genauere Vereinbarung jeder- gut und in offizielleren Zusammenhän-
zeit folgen kann; doch ließ ihn das junge gen z. B. Alles Gute (weiterhin)! Auf man-
deutsche Paar spüren, wie ungelegen er gelnde Vertrautheit mit den finnischen
kam, und wies ihn mit der Bitte ab, er Kommunikationsgepflogenheiten mußte
solle sich das nächste Mal vorher anmel- ich wiederum die Gewohnheit eines in
den. Auf eine ähnliche Art und Weise ist der Nachbarschaft wohnenden Italieners
es mir befremdlich vorgekommen, als ich zurückführen, der sich nach der täglichen
in der Studienzeit in den Sommerferien Fahrt mit dem gleichen Bus jedes Mal
in einer nordschwedischen Bank arbei- anstatt mit Hyvää jatkoa! mit Onnea!
tete, als ein paar Mitarbeiterinnen mir ›(Viel) Glück!‹ verabschiedete. Adäquat
gleich bei der Vorstellung sagten, ich wäre dieser Wunsch in der besagten Si-
solle »titta in någon kväll« – wieso sollte tuation im Finnischen nur, wenn man
ich abends mal bei ihnen reinschauen, gerade von einer bevorstehenden beson-
wußte ich doch nicht einmal, wo sie deren Herausforderung oder von einem
wohnten? Außerdem würde man nach erreichten Erfolg geredet hätte, oder als
meinem finnischen Verhaltenskode auf Gratulation zum Geburts- oder Namens-
keinen Fall Unbekannte sofort nach tag.
Hause einladen, und folglich sagt man so Mit Kulturemen bzw. Behavioremen (vgl.
etwas auch gar nicht erst. Als dann im Oksaar 1988) zusammenhängende kon-

Info DaF 30, 4 (2003), 335–351


336

ventionalisierte Äußerungen werden man bei Wortgruppenidiomen, z. B. Verb-


kommunikative Formeln bzw. Routinefor- idiomen wie im gleichen Boot sitzen ›ge-
meln genannt (siehe unten Kap. 2). Für meinsam in derselben schwierigen Lage
eine kulturkontrastive Grammatik, in der sein‹ (Duden Redewendungen 2002: 136)
Kultureme obiger Art bewußt gemacht oder eine Katze im Sack kaufen ›etw. unge-
werden, hat Ehnert (1988: 307) eine Ein- prüft übernehmen, kaufen (und dabei
teilung skizziert, in der Herstellung, Auf- übervorteilt werden)‹ (Duden Redewen-
rechthaltung und Beendigung einer Be- dungen 2002: 401), oft vom Kerngebiet
ziehung die Hauptklassen mit jeweils der Phraseologie bzw. von Phraseologie
mehreren Subklassen bilden. Die kom- im engeren Sinn spricht, werden nicht-
munikativ-intentional charakterisierten idiomatische Verbindungen wie etwa
sprachlichen Situationen einer solchen bleibende Schäden und Einheiten mit Satz-
Klassifikation dienen also als Tertium struktur – ob bildhaft, wie z. B. Da haben
comparationis eines interkulturellen Ver- wir den Salat! ›jetzt ist das eingetreten,
gleichs. was schon immer zu befürchten war‹
Ziel dieses Beitrags ist zu klären, in (Kempcke 2000: 844) oder nicht-bildhaft,
welchem Ausmaß die Routineformeln z. B. Das mußte einmal gesagt werden (Du-
im schulischen DaF-Unterricht in Finn- den Redewendungen 2002 842: »/sagt
land berücksichtigt werden und inwie- jmd., wenn er od. jmd. eine längst fällige
weit sich eine kulturkontrastive Sicht- kritische Äußerung getan hat/«) – oft zur
weise durchgesetzt hat. In Kapitel 2 Peripherie der Phraseologie bzw. Phra-
wird kurz auf die Terminologie sowie seologie im weiteren Sinn gezählt (vgl.
auf den Status von Routineformeln in Fleischer 1997: 23; Lüger 1999: 3). Die
der Phraseologie eingegangen. In Kapi- Sprichwortkunde (Parömiologie) wird
tel 3 werden bisherige finnisch-deutsch außerdem oft als eigenständige Disziplin
kontrastive Studien über Routinefor- neben der Phraseologie (i. e. S.) betrach-
meln vorgestellt. Kapitel 4 besteht aus tet.
einer Lehrwerkanalyse, die nach einem Wenn neben strukturellen und seman-
kurzen historischen Überblick drei tisch-metaphorischen Gesichtspunkten
Lehrwerkreihen für die erste Klasse der pragmatische Kriterien mit einbezogen
gymnasialen Oberstufe auf darin be- werden, spielt die Situationsgebunden-
rücksichtigte Routineformeln hin unter- heit von Äußerungen eine zentrale Rolle:
sucht. Kapitel 5 enthält die Zusammen- Für bestimmte, oft wiederkehrende Kom-
fassung und gibt einen Ausblick. munikationssituationen gibt es fest kon-
ventionalisierte Routineausdrücke. Bei-
2. Zur Definition und Abgrenzung von spiele dafür sind z. B. Gruß- und Dankes-
kommunikativen Routineformeln formeln oder metakommunikative Kom-
Sprachliche Fertigteile sind Forschungs- mentarformeln. Diese wurden z. B. von
gegenstand der Phraseologie. Phraseolo- Burger und Jaksche (1973) pragmatische
gismen sind festgeprägte Mehrwortein- Idiome und von Pilz (1978) phraseologische
heiten, die strukturell-semantisch u. a. Formeln genannt; Burger/Buhofer/Sialm
danach weiter subklassifiziert werden (1982) verwenden wiederum den Termi-
können, ob sie als Einheit wort- vs. satz- nus pragmatische Phraseologismen. Coul-
wertig sind sowie ob sie bildhaft-idioma- mas (1981) unterscheidet seinerseits un-
tisch sind oder aber auf Grund der litera- ter den verbalen Stereotypen neben Re-
len Bedeutung ihrer Komponenten auf- dewendungen, Sprichwörtern und Ge-
geschlüsselt werden können. Während meinplätzen Routineformeln, welchen Ter-
337

minus u. a. auch Burger (1998: 52–55) und scheidet er Routineformeln mit expliziter
Lüger (1999: 125–127) in Gebrauch ge- und impliziter Satzstruktur; unter beiden
nommen haben. Kempcke (1994) hat sich gibt es bildhafte und nicht-bildhafte Aus-
für den Terminus kommunikative Wendun- drücke (vgl. Lüger 1999: 129, 131). Die
gen entschieden, der dann auch in das kommunikative Funktion wird bei Flei-
Wörterbuch DaF (Kempcke 2000) Eingang scher (a. a. O.) entweder als Bedeutungs-
gefunden hat. Dort werden die besagten paraphrase in einfachen Anführungszei-
Wendungen mit Schrägstrichen markiert chen oder aber als Erklärung der kom-
und »einer Bedeutung des tragenden Le- munikativ-situationellen Funktion in ein-
xems dieser Wendungen zugeordnet und fachen Anführungszeichen und eckigen
dort im Kontext abgehandelt. Sie erhalten Klammern wiedergegeben:
neben der Bedeutungserklärung in der
1) Explizite Satzstruktur:
Regel auch einen Kommentar, der die a) Hauptsatz
situativen Verwendungsbedingungen Da liegt der Hund begraben! ›Das ist der
der Verbindung charakterisiert« (Kemp- Kern der Sache!‹ [+ bildhaft]
cke 2000: XIV). Bei Fleischer (1997: 125– Sei kein Frosch! ›[Aufforderung zum
130) findet sich wiederum der Terminus Mitmachen]‹ [+ bildhaft]
Das kannst du mir glauben! ›[Ausruf der
kommunikative Formeln. Für den Titel die- nachdrücklichen Versicherung]‹
ses Beitrags schien mir eine Kombination [– bildhaft]
der drei letztgenannten Termini geeignet, Wir sprechen uns noch! ›[Drohung]‹
wobei das Attribut als fakultative Expli- [– bildhaft]
kation fungiert. Somit wird weiter unten b) Verselbständigte Teilsätze:
von kommunikativen Routineformeln oder Nicht daß ich wüßte ›meiner Meinung
nach nicht‹ [– bildhaft]
schlicht nur von Routineformeln gespro- Wenn ich fragen darf … ›[in höflicher
chen. Rede, besonders einer Frage, Aufforde-
Bei der Abgrenzung der Routineformeln rung]‹ [– bildhaft]
von anderen satzwertigen Phraseologis- 2) Implizite Satzstruktur:
men stütze ich mich vor allem auf Lüger Schwamm drüber! ›Wir wollen nicht
(1999: 125–136): Die Situationsgebunden- mehr davon reden, das Geschehene
soll vergessen sein‹ [+ bildhaft]
heit unterscheidet die Routineformeln Hand aufs Herz! ›[Aufforderung zur
sowohl von Sprichwörtern (z. B. Es ist ehrlichen Meinungsäußerung]‹ [+ bild-
noch kein Meister vom Himmel gefallen), haft]
Gemeinplätzen (etwa Was zuviel ist, ist Bis dann! ›[Abschiedsformel mit Hin-
zuviel), geflügelten Worten, deren Ur- weis auf das nächste Wiedersehen]‹
[– bildhaft]
sprung auf eine bestimmte Person oder
Quelle zurückführbar ist (z. B. Biblizis- Die obigen Beispiele erfüllen die für
men wie Wer sucht, der findet, vgl. Matthä- Phraseologismen aufgestellte Bedin-
us 7 : 7) und Slogans (z. B. Citroën fahren gung der Mehrwortstruktur. Es läßt sich
ohne Gefahren), die alle auch als potentiell aber fragen, ob nicht aus kommunikati-
eigenständige Texte verständlich sind. ver Sicht, d. h. aufgrund der pragmati-
Um ein besseres Bild davon zu bekom- schen Funktion der Situationsgebun-
men, welche sprachlichen Strukturen un- denheit, auch einige Einwortausdrücke
ter den Routineformeln vorkommen, soll als Untergruppe von Routineformeln
hier die Strukturtypologie von Fleischer mit impliziter Satzstruktur betrachtet
(1997: 125–127) kurz vorgestellt werden, werden müßten, und zwar Einwortaus-
deren Hauptkriterium die Explizitheit drücke, die in keine Satzstruktur inte-
der Satzstruktur ist. Demnach unter- griert werden. Diese könnten als Satz-
338

äquivalente im Sinne von Helbig und – Grußformeln (Guten Tag! Meine Da-
Buscha (2001: 440–443) verstanden wer- men und Herren! Mach’s gut! Hals- und
den. So sollten die sogenannten Ge- Beinbruch!)
sprächspartikeln (vgl. Duden Gramma- – Konversationsformeln (wenn ich fra-
tik 1998: 380–383) wie Antworten auf gen darf; bitte mal herhören!)
Entscheidungsfragen (ja, nein, doch), – Tischformeln (Wohl bekomm’s!)
(auch einwortige) Grüße und Wünsche – Dankesformeln (Besten/herzlichen/schö-
(Servus!, Tschüs(s), Wiedersehen!, Prost!, nen/vielen Dank. Ich bedanke mich.)
Gesundheit!), Gliederungs- und Rück- 2) Schelt- und Fluchformeln (Verflixt und
meldungssignale (Genau!, Bitte?, oder?) zugenäht!)
sowie Interjektionen und Kraftwörter 3) Kommentarformeln (Reaktion auf Ver-
(Igitt!, ach, Donnerwetter!, Verflucht!) im halten des Partners oder sonstige Gege-
gleichen Zusammenhang mit den mehr- benheiten der Kommunikationssitua-
wortigen Routineformeln abgehandelt tion), u. a.
werden. Diesen und den mehrwortigen – Formeln des Zweifels, der Ableh-
Routineformeln ist gemeinsam, daß sie nung, der Kritik (Das fehlte gerade
als textgliedernde oder kommunikati- noch!)
onssteuernde bzw. beziehungsregulie- – Formeln des Erstaunens (Das haut
rende Signale, nicht als Benennungsein- den stärksten Seemann um!)
heiten fungieren (vgl. auch Lüger 1999: – Formeln der Zustimmung, Bestäti-
134). Besonders sinnvoll scheint dies un- gung (Und ob! Das will ich meinen!)
ter einem kontrastiven Aspekt, denn 4) Stimulierungsformeln (Aufforderung
das, was man in der einen Sprache als an den Partner zu bestimmtem Verhal-
Mehrwortverbindung realisiert, kann in ten, u. a.
einer anderen Sprache durchaus ein Ein- – Drohung, Warnung (Na, wird’s bald!?,
wortäquivalent haben. Man denke z. B. Wie oft soll ich das noch sagen!?)
an die finnische Höflichkeitsformel ole Weiter unten spielt das Kriterium der
hyvä (Sg. 2)/olkaa hyvä (Höflichkeitsform situationalen Gebundenheit eine größere
gegenüber einer Person)/olkaa hyvät (Pl. Rolle als die Komponentenzahl des je-
2), der einerseits bitte allein oder aber weiligen Ausdrucks. Dies scheint mir aus
die Verbindungen bitte sehr, bitte schön der Perspektive des heutigen kommuni-
entsprechen können. kativ orientierten Fremdsprachenunter-
Bei einer Betrachtung, der eine kultur- richts als sinnvoll, bei dem die Kernfrage
kontrastive kommunikativ-situationelle der kontrastiven Analyse nach wie vor
Typologie, wie sie Ehnert (1988) skizziert heißt: Was wird »in einer analogen Situa-
hat, zugrunde liegt, kann die Wortzahl tion bzw. in bezug auf den gleichen Sach-
des Ausdrucks nicht allein ausschlagge- verhalt« (Coseriu 1970: 12) bzw. zum
bend sein, auch wenn sich z. B. Fleischer Erzielen des gleichen Kommunikations-
(1997: 130) in seiner Differenzierung der effekts gesagt. Auch für Coulmas (1981:
kommunikativen (Routine-)Formeln 141) ist im Bereich der kommunikativen
wohl bewußt auf Mehrworteinheiten be- Stereotypen nur eine situationale Gliede-
schränkt. Er unterscheidet – ohne eine rung sinnvoll. Um realistisch zu sein,
erschöpfende Funktionstypologie auf- muß man allerdings einräumen, daß
stellen zu wollen – u. a. folgende zentrale eben deswegen, weil es sich um verschie-
Funktionsgruppen: dene Kulturen handelt, sowohl die
1) Höflichkeitsformeln (Kontaktformeln), Gleichheit der Situation als auch die
darunter Gleichheit des Kommunikationseffekts
339

nur approximative Werte sein können, suchten, konnten sie feststellen, daß die
die auf einem größeren oder geringeren Gebrauchsdomäne des finnischen terve-
Grad von Invarianz beruhen – wie es das tuloa umfassender ist als die des deut-
Ehnertsche Exempel so schön zeigt. Zum schen wörtlichen Äquivalents willkom-
Beispiel können sich Sprachkulturen da- men. In der ersten Situation (fi. etwa:
rin unterscheiden, welche Rolle die ei- Tervetuloa meille/käymään!) wird willkom-
gentliche inhalts-/botschaftsorientierte men nicht verwendet, sondern es stehen
Funktion, eine explizite metakommuni- bei sozialer Nähe Formeln wie Komm doch
kative Gliederung der Botschaft und die mal vorbei!, Besuch uns mal!, in offizielle-
Beziehungspflege zwischen den Kom- ren Zusammenhängen wiederum Aus-
munikationspartnern jeweils spielen drücke wie Wir möchten Sie gern einmal zu
(vgl. stellvertretend Tiittula 1993a und uns einladen; Wir würden uns freuen, Sie bei
House 1996). uns begrüßen zu dürfen zur Verfügung. In
der zweiten Situation wird ein deutscher
3. Kontrastive Analysen Finnisch- Ankommender, z. B. ein Gast, in formel-
Deutsch len, etwa in beruflichen und offiziellen
Unter den finnisch-deutschen kontrasti- Situationen, mit Herzlich willkommen! be-
ven Analysen, die in der Nachfolge des grüßt, wobei die Modifizierung durch
Strukturalismus mit phonetisch-phono- herzlich zur Norm gehört, während Ent-
logischen und grammatisch-syntakti- sprechendes im Finnischen zwar mög-
schen Vergleichen angesetzt haben, hat lich, aber selten ist. Bekannte werden
sich mit der kommunikativen Wende in dagegen etwa mit Formeln wie Schön, daß
der Linguistik seit ca. 1970 das Hauptge- du gekommen bist; Grüß dich! empfangen
wicht immer mehr auf kommunikativ- (vgl. Ehnert 1988: 302). In der dritten
pragmatische Fragestellungen verlagert Situation ist zu beachten, daß das Wort
(vgl. Hyvärinen 2001). Eine führende willkommen im Deutschen um eine Wo-
Rolle haben dabei Untersuchungen zur Lokalbestimmung ergänzt werden soll,
Wirtschaftskommunikation gespielt, wo- vgl. Willkommen in Berlin/im Palasthotel!
bei stellvertretend die zahlreichen Stu- Im Finnischen braucht der Ort nicht er-
dien von Liisa Tiittula zu erwähnen sind wähnt zu werden, und falls er miter-
(siehe z. B. Tiittula 1987, 1993a, 1993b, wähnt wird, steht er in einem Direktio-
1995a, 1995b; zu Fernsehgesprächen au- nalkasus – beides häufige Fehlerquellen.
ßerdem Nuolijärvi/Tiittula 2000). Unten Schellbach-Kopra (1991) hat in ihrer kon-
wird ein Überblick über die wichtigsten trastiven Studie zu Routineformeln für
Arbeiten gegeben, die für das Thema ›Danken‹, ›Dank honorieren‹ und für ›all-
Routineformeln relevant sind. gemeine Dankbezeugung‹ sowohl In-
Ihrer Untersuchung zu verschiedenen itial- als auch Reaktivformeln (für ›Dank
Formen von Willkommensgrüßen haben honorieren‹ etwa bitte, gern geschehen;
Pankow und Salminen (1987) eben die keine Ursache; nichts zu danken; nicht der
Situation und den Förmlichkeitsgrad in Rede wert; ich habe zu danken) berücksich-
der Beziehung der Kommunikanten als tigt. Eine der häufigsten Fallgruben für
Tertium comparationis zugrunde gelegt. Finnen ist die Tatsache, daß die Funktion
Indem sie 1) Einladungen zu einem Be- von kiitos – danke im folgenden Dialog-
such, 2) Begrüßungen eines Ankommen- paar jeweils eine umgekehrte ist: Wenn
den sowie 3) (schriftliche oder mündli- der Finne gefragt wird, ob er mehr Kaffee
che) Beziehungsaufnahmen mit Kunden haben möchte (z. B. Saako olla lisää kah-
in Restaurants, Hotels, Geschäften unter- via?; wörtlich ›Darf es mehr Kaffee ge-
340

ben?‹), kann er statt Kyllä kiitos/Kiitos kyllä fen geht, befaßt sich am Anfang ihres
einfach nur mit Kiitos! bejahen. In einem Beitrags zuerst ganz allgemein mit
deutschen Dialog (Darf ich nachgießen – schriftlichen und mündlichen Routine-
Danke!) führt die wortgetreue Wieder- formeln, und zwar auch unter einem
gabe der finnischen Antwort dagegen sprachdidaktischen Gesichtspunkt. Wie
dazu, daß der Finne sich wundern muß, Schellbach-Kopra (vgl. oben) hebt sie
warum er ohne Kaffee geblieben ist. So ist hervor, daß die Initial- und Reaktivfor-
es wichtig, sich des Unterschieds in der meln zusammen gelernt werden sollten.
Form der folgenden kommunikativen Dabei reicht es nicht aus, daß Routinefor-
Äquivalente bewußt zu werden: meln als solche erkannt werden, sondern
Bejahende Antwort: fi. (kyllä) kiitos – dt. sie müssen auch bewußt eingeübt wer-
ja bitte (gerne) den. In Lehrbüchern für den Fremdspra-
Ablehnende Antwort: fi. ei kiitos/kiitos ei – chenunterricht hat sie u. a. folgende Män-
dt. (nein) danke gel festgestellt: 1) Viele Routineformeln,
(vgl. Schellbach-Kopra 1991: 215) die in authentischen Gesprächen häufig
Muikku-Werner, die die deutsch-finni- sind, kommen in Unterrichtsmaterialien
schen Kulturunterschiede vor allem aus gar nicht vor. 2) Auf Unterschiede in der
der Perspektive von Finnisch als Fremd- Gebrauchsfrequenz von bestimmten
sprache untersucht hat (vgl. Muikku- Routineformeln wird nicht eingegangen.
Werner 1993, 1997 sowie Dufva/Muikku- In Finnland ist es z. B. bei weitem nicht so
Werner/Aalto 1993), ist in ihren Untersu- üblich wie in den deutschsprachigen
chungen zu impositiven Sprechakten Ländern, vor dem Essen Hyvää ruokaha-
(Muikku-Werner 1991, 1992, 1993) vor lua! ›Guten Appetit!‹ zu wünschen. Selte-
allem auf Höflichkeits- und Abmilde- ner ist ebenfalls das Loben während des
rungsindikatoren eingegangen, wobei sie Essens (vgl. dt. Lecker!). 3) Relevant ist es
Frequenzunterschiede im Gebrauch des auch zu wissen, ob gewisse Routinen in
Elements bitte – ole hyvä/olkaa hyvä(t) un- der anderen Sprachkultur völlig fehlen.
terstrichen hat. Als Einwortelement läßt Mit den Beispielen unter 2) hängt die
sich bitte sowohl am Satzanfang, am Satz- Gewohnheit der Finnen zusammen, sich
ende und parenthetisch in der Satzmitte nach dem Essen zu bedanken, d. h. die
gebrauchen. Das finnische olkaa hyvä(t) zeitliche Situierung des Lobs ist anders.
steht dagegen am häufigsten am Satzan- Ein Deutscher kann eine solche Danksa-
fang und wird mit ja ›und‹ an die eigent- gung als eine Abschiedsformel mißver-
liche Aufforderung gebunden; am Satz- stehen. Ein weiteres Beispiel für 3) ist z. B.
ende wird es asyndetisch angefügt. Da es die Routineformel Kiitos viimeisestä!
sich um eine flektierbare Einheit handelt, ›Danke für das letzte Mal‹, mit dem man
bei der die Personenkongruenz beachtet in Finnland dem Gastgeber beim näch-
werden muß, kann es z. B. in der Satz- sten Wiedersehen nochmals dankt.
mitte nicht so unbemerkt eingeschoben Yli-Renko (1993: 83–98) sowie Salo-Lee
werden wie das dt. bitte. Es mag mit und Winter-Tarvainen (1995) beschreiben
diesem strukturellen Unterschied zusam- in ihren Studien sogenannte kritische Si-
menhängen, daß das »Bitte-Defizit« bei tuationen (critical incidents), in denen es
finnischen Deutschsprechern gerade in wegen unterschiedlicher Sprechstrate-
der Satzmitte am deutlichsten zum Vor- gien zu Mißverständnissen kommen
schein kommt (vgl. Hyvärinen 2000: 292). kann, gehen aber auf die kommunikati-
Jeltsch (1995), der es in erster Linie um ven Routineformeln selbst nur am Rande
Konventionen für das Verfassen von Brie- ein. Dagegen enthält die Studie von Salo-
341

Lee (1991) auch konkrete Listen von Rou- Primarstufe der Gesamtschule der lange
tineformeln, die im Fremdsprachenun- Lehrgang in Deutsch entweder als erste
terricht eingesetzt werden sollten (vgl. Fremdsprache, d. h. als sog. A1-Sprache,
weiter unten). die üblicherweise ab dem dritten Schul-
Somit kann man sagen, daß kommunika- jahr einsetzt, oder aber als freiwillige sog.
tive Routinen in den letzten fünfzehn A2-Sprache, die je nach der Schule ab
Jahren auch in der kontrastiven Analyse dem vierten oder fünften Schuljahr ange-
reges Interesse erweckt haben. Hand in boten wird, immerhin von insgesamt ca.
Hand damit ist die Entwicklung in den 6,9 % aller Schüler gewählt. Außerdem
Zielen des schulischen Sprachunterrichts hat sich Deutsch als die beliebteste fakul-
gegangen, worauf im folgenden einge- tative Fremdsprache in den höheren
gangen werden soll. Klassen profiliert. Fakultative Sprachfä-
cher können heute in der Sekundarstufe
4. Kommunikative Routineformeln in der Gesamtschule (ab dem 8. Schuljahr;
finnischen DaF-Lehrwerken früher C-Sprache und heute B2-Sprache
In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg genannt) und/oder in der gymnasialen
hat sich die Stellung von Deutsch als Oberstufe (ab dem 10. Schuljahr; früher
Fremdsprache in Finnland radikal verän- D-Sprache, heute B3-Sprache genannt1)
dert. Während Englisch als erste Fremd- gewählt werden. Insgesamt hat heute fast
sprache früher eher eine Ausnahme war, jeder zweite Abiturient in irgendeinem
nimmt es seit den siebziger Jahren des 20. Umfang Deutsch gelernt (siehe genauer
Jahrhunderts eine deutliche Vorrangstel- Hyvärinen 2003, im Druck, und die dort
lung ein. Wenn von Schwedisch als zwei- angeführte Literatur). Im folgenden kon-
ter Landessprache abgesehen wird, kann zentriere ich mich in erster Linie auf den
man sagen, daß sich das Verhältnis der DaF-Unterricht in der gymnasialen Ober-
Anteile von Englisch und Deutsch als stufe.
erster Fremdsprache in wenigen Jahr- Abgesehen von wenigen Schulen mit ex-
zehnten völlig verkehrt hat. Während in perimentellem Sprachunterricht herrschte
den Jahren 1945–1947 sogar 94,4 % der im finnischen DaF-Unterricht bis in die
Abiturienten Deutsch und nur 2,8 % Eng- 70er Jahre hinein die sogenannte Gram-
lisch als erste Fremdsprache belegt hat- matik-Übersetzungsmethode vor. Erste
ten, konnten im Jahre 1980 für Englisch Tendenzen der Berücksichtigung einer
sogar 96,5 % und für Deutsch nur noch kommunikativeren Ausrichtung konnten
2,8 % verbucht werden (siehe Yli-Renko mit dem Lehrwerk Deutsch für die Ober-
1985: 14 und die dort angeführte Litera- stufe von Kaski und Mäkinen (1966) fest-
tur). Gewissermaßen eine neue Chance gestellt werden, das für den in der gymna-
wurde der deutschen Sprache durch die sialen Oberstufe anfangenden fakultati-
Einführung eines zweiten, freiwilligen ven dreijährigen Lehrgang vorgesehen
›langen‹ Lehrgangs in bestimmten war. Bezeichnend ist, daß die Autoren es
Fremdsprachen ab dem Jahre 1993 gege- für notwendig hielten, im Vorwort darauf
ben. Im Schuljahr 2000–2001 wurde in der hinzuweisen, daß jetzt auch alltagssprach-

1 Die zweite Landessprache, die je nach der Muttersprache des Schülers Schwedisch oder
Finnisch ist, wurde früher B-Sprache genannt, heute nennt man diesen mittellangen
Lehrgang B1. Die zweite Landessprache ist für alle obligatorisch: Falls sie nicht schon als
alternativer A1/A2-Lehrgang belegt wurde, kommt sie ab dem 7. Schuljahr obligato-
risch in den Stundenplan.
342

liche Dialoge als Novum in das Lehrwerk verzeichnis wurde bei jeder Lektion extra
mit aufgenommen wurden und daß es angegeben, welche Strukturen bei der
nicht sinnvoll sei, diese in der herkömmli- Behandlung der Texte durchgenommen
chen Weise ins Finnische zu übersetzen. werden sollten. Dies wiederum war da-
Dabei waren die Dialoge noch weit von durch bedingt, daß die Lernziele bis
authentischen Gesprächen entfernt; dem Mitte der 1980er Jahre landesweit durch
heutigen Leser kommen sie eher steif und die Schulbehörde festgelegt wurden, wo-
papieren vor. In zehn Jahren wurden dann bei für den langen und kurzen Lehrgang
schon große Fortschritte erreicht: Mit der jeweis die wichtigsten grammatischen
Grundschulreform in den siebziger Jahren Strukturen, die aktiv oder passiv zu be-
wurden sowohl die längeren als auch die herrschen waren, aufgezählt waren, vgl.
kürzeren Lehrgänge in den Fremdspra- z. B. Lukion opetussuunitelman perusteet
chen um einige Jahre vorverlegt, so daß es (1985). Die Erwähnung dieser Strukturen
u. a. möglich wurde, genau wie heute im Inhaltsverzeichnis eines Lehrbuchs
schon im 8. Schuljahr ein fakultatives hatte als ›Produktinformation‹ also eine
Sprachfach zu wählen. Die Vorverlegung Art Garantie-Funktion. Erst in den neue-
des Unterrichts hatte natürlich auch Ein- sten Richtlinien für die schulischen Lehr-
fluß auf die Lernstoffe, so daß in dieser pläne vom Jahre 1994 wurde auf solche
Phase alltägliche Dialoge als Schul- Strukturlisten verzichtet, und die Ziele
buchtexte gang und gäbe wurden. Ein sind viel flexibler bzw. pauschaler formu-
gutes Beispiel dafür ist die Lehrwerkreihe liert, was sich auch an dem verringerten
Bitte auf deutsch 1–4, deren erster Band Textumfang des neuen Lukion opetussuu-
1971 und deren letzter Band 1976 erschien nitelman perusteet (1994) bemerkbar
(vgl. Hirvinen et al. 1971; Jacobs et al. machte. Die an sich gute Idee einer Be-
1976). Nachdem der Sprachunterricht in wußtmachung der Lernziele hatte sich
der gymnasialen Oberstufe nicht mehr allerdings inzwischen durchgesetzt, nur
nach Schuljahren bzw. Klassen, sondern in sind die Inhaltsbeschreibungen heute
acht Kurse gegliedert war, wurde der teilweise von einer anderen Art. Typisch
Lehrstoff des Gymnasiums neu organi- ist, daß heute für jeden Kurs ein bestimm-
siert und modernisiert (vgl. Jacobs et al. ter Lebensbereich als Haupthema in den
1984). Bis vor wenigen Jahren wurden die Mittelpunkt gestellt wird, weiter die zu
Kurse 1–3 in der ersten, die Kurse 4–6 in übenden Kommunikationssituationen
der zweiten und die Kurse 7–8 in der expliziert und eventuell auch noch die
dritten und zugleich letzten Klasse der jeweils zu fokussierenden grammati-
gymnasialen Oberstufe angeboten; heute schen Strukturen genannt werden, und
können die Gymnasiasten im eigenen dies nicht nur im Inhaltsverzeichnis, son-
Rhythmus Kurse belegen, was ein langsa- dern auch auf dem Titelblatt jedes einzel-
meres oder beschleunigtes Fortschreiten nen Kurses.
ermöglicht. Bei einer kursorischen Lektüre der mo-
Auch wenn die Lehrbuchtexte und dernen Deutschlehrbücher fällt auf, daß
Übungen schon Mitte der 1980er Jahre der Anteil von Dialogen mit dem Fort-
kommunikativen Anforderungen weit- schreiten des Lernens abnimmt. Dies hat
gehend gerecht wurden, verriet das In- eine natürliche Erklärung darin, daß die
haltsverzeichnis der Lehrbücher immer Lektüre von längeren durchgehenden
noch, daß die Lernziele vor allem in der Texten gute Grundkenntnisse in der
Beherrschung von grammatischen Kon- Fremdsprache voraussetzt. Außerdem ist
struktionen bestanden, denn im Inhalts- es besonders wichtig, im Anfangssta-
343

dium des Fremdsprachenlernens die Ler- (2000): Kurz und gut. Texte. Lyhyen sak-
ner durch möglichst jugendnahe Szenen, san kurssit 1–3 (1. Auflage). Helsinki:
mit denen man sich leicht identifizieren Otava. (Druckort: Keuruu).
kann, zu motivieren. Als zusätzlichen – Hier besagt sowohl das Titelblatt als
Faktor kann man jedoch den durch die auch die Begrüßung im Vorwort
Zusammensetzung der Abiturprüfung (Servus, uusi saksanopiskelija! ›Ser-
bedingten ›geheimen Lehrplan‹ verdäch- vus, Deutschanfänger‹), daß es sich
tigen: Da die Prüfung neben einem Hör- um den B3-Lehrgang handelt.
verständnistest nur schriftliche Aufga- 2) Jaakamo, Pirjo; Junni, Antje; Martikai-
ben beinhaltet, Fertigkeiten in der münd- nen, Marja; Vaakanainen, Marjut; Vi-
lichen Interaktion aber nicht geprüft wer- lenius-Virtanen, Pirkko (1997): Neue
den, muß man sich auf dem Fortgeschrit- Adresse. Lukion kurssit 1–3. Textbuch (1.
tenenniveau zunehmend eben auf länge- Auflage einer revidierten Ausgabe).
re Sachtexte konzentrieren, die sowohl Helsinki: Otava. (Druckort: Keuruu).
das Hör- als auch das Leseverständnis – Die Autorinnen nennen in ihrem
sowie das Aufsatzschreiben fördern. Eine Vorwort explizit, daß es sich um
unerwünschte Folge dieser Gewichtung Deutsch als B2-Lehrgang handelt,
kann aber sein, daß die mündlichen Fer- d. h. die Lernenden haben vorher
tigkeiten der Lernenden nie über eine auf der Sekundarstufe der Gesamt-
pubertäre Phase hinausreichen, so daß schule schon zwei Jahre Deutsch
sie im späteren Berufsleben die Kommu- gelernt.
nikationsnormen eines sachorientierten 3a)Huju, Leena; Kellas, Leena; Kuikka,
fremdsprachigen Arbeitsdiskurses nicht Tarja; Domisch, Rainer (1997): Mosaik.
beherrschen und z. B. bei Einstellungsge- Texte 3 (2., durchgesehene Auflage).
sprächen negativ auffallen. Helsinki: Kirjayhtymä Oy. (Druckort:
Für eine Bestandsaufnahme zur Klärung Jyväskylä).
der Stellung von kommunikativen Rou- – Auf dem hinteren Buchdeckel wird
tineformeln in der neuesten Deutsch- die Lehrwerkreihe als eine in der
lehrwerkgeneration habe ich drei Lehr- Gesamtschule anfangende und auf
werkreihen für verschiedene Lehrgänge der gymnasialen Oberstufe fortge-
auf der gymnasialen Oberstufe ausge- setzte Reihe charakterisiert, ohne
wählt, die um die Jahrtausendwende als daß ein bestimmter Lehrgang er-
Neuerscheinungen oder Neuausgaben wähnt wird. Aus den späteren Tei-
auf den Markt kamen. Aus diesen habe len der Reihe ist zu schließen, daß
ich die drei ersten Kurse der gymnasi- das Werk (u. a.) für den B2-Lehrgang
alen Oberstufe im Hinblick auf die Prä- in den ersten drei Kursen der gym-
sentation von Kommunikationssituatio- nasialen Oberstufe vorgesehen ist,
nen und den Gebrauch von kommuni- d. h. es handelt sich um einen Kon-
kativen Formeln in groben Zügen kurrenten des unter 2) genannten
durchgesehen. Die Konzentration auf Werks.
die drei ersten Kurse hängt eben mit der 3b)Huju, Leena; Kellas, Leena; Kuikka,
Feststellung zusammen, daß die Zahl Tarja; Domisch, Rainer (2002): Mosaik.
der Dialoge in den späteren Kursen Texte 4 (2.–3. Auflage). Helsinki: Kus-
sinkt. Es handelt sich um folgende Lehr- tannusosakeyhtiö Tammi. (Druckort:
werke: Jyväskylä).
1) Kelkka, Perttu; Pihkala-Posti, Laura; – Diesmal geht aus dem Vorwort her-
Schatz, Roman; Tiisala-Heiskala, Eija vor, daß der Band für die drei ersten
344

Kurse der A-Lehrgänge oder aber für oder ›sich nach einem Streit versöhnen‹,
die Kurse 4–6 des B2-Lehrgangs durchgenommen.
konzipiert wurde. Hier wird er in Vor dem ersten Kurs wird in einer fin-
der erstgenannten Funktion analy- nischsprachigen Einleitung zuerst die Be-
siert, d. h. die Zielgruppe lernt ziehung des Lernenden zur deutschen
Deutsch schon seit mindestens fünf Sprache und Kultur mittels sechs Fragen
Jahren. problematisiert und bewußt gemacht (7).
Mit diesen Werken haben wir für jeden Auf Seite 8 folgt ein kurzer Bericht über
der drei möglichen Lehrgänge auf der deutsch-finnische Kulturunterschiede;
gymnasialen Oberstufe zumindest einen etwa ein Viertel dieses Berichts befaßt
Vertreter und für die üblichste Deutsch- sich mit Unterschieden in der Kommuni-
Alternative, den B2-Lehrgang, sogar kationskultur. Die deutsche Sprechkultur
zwei Vertreter mit in unsere Betrachtun- wird aus finnischer Sicht durch ein kom-
gen einbezogen. Es wurden nur die Text- munikatives Mehr charakterisiert, die
bücher nach Augenmaß beurteilt; eine Rolle des aktiven Feedbacks beim Zuhö-
Frequenzuntersuchung oder eine Mitein- ren wird hervorgehoben, das für Deut-
beziehung der Zusatzmaterialien wie Ar- sche typische Ins-Wort-Fallen und die
beitshefte und zusätzliche Hörszenen Lust, die Aussage des Partners zu kom-
war aus Zeit- und Raumgründen nicht mentieren, werden dem finnischen Usus,
möglich. ausreden zu dürfen, gegenübergestellt.
Unterschiede im Duzen und Siezen oder
darin, wie oft Hände geschüttelt werden,
1) Kurz und gut
kommen ebenfalls zur Sprache.
Das Inhaltsverzeichnis ist in zwei Spalten Ein ganz besonderes Lob verdient das
gegliedert, von denen die erste mit Buch für die Konzipierung und Anord-
»Kommunikationssituationen und The- nung der Anhänge: Nach dem Textteil
menbereiche«, die zweite mit »Struktu- befindet sich vor der Lehrbuchgramma-
ren« (Übersetzung von mir – I. H.) über- tik und dem alphabetischen Wörterver-
schrieben ist. Die Kommunikationssitua- zeichnis ein Überblick über Sprechstrate-
tionen werden stichwortartig vorgestellt. gien und Spielregeln des Dialogs, der als
Angefangen wird mit Grüßen, Anrede eine Art Miniwörterbuch von Routine-
und Selbstvorstellung (Lektion 1), wo- formeln verfaßt ist (118–125). Der erste
nach Formen von Meinungsäußerungen Teil dieses Routineformel-Verzeichnisses
sowie Bitten um Dienstleistungen, Ver- ist nach dem zeitlichen Ablauf bzw. nach
halten am Telefon, Ausdrücken von Uhr- den Gesprächsphasen konzipiert (vgl.
zeiten sowie Verabredungen an die Reihe den Vorschlag Ehnerts (1988), siehe oben
kommen (Lektion 2). In Lektion 6 z. B. Kap. 1). Zwischen Gesprächsanfang und
werden affektive Reaktionsphrasen, in -beendigung nimmt die Gesprächsmitte
Lektion 7 Wünsche und Mittel zur Ge- (Aufrechterhaltung der Beziehung) den
staltung einer kleinen Rede thematisiert. breitesten Raum ein mit Unterrubriken
Während der drei Kurse mit jeweils sie- wie ›Zeit gewinnen‹, ›Indizieren des akti-
ben Lektionen wird eine breite Skala von ven Zuhörens‹, ›Unterbrechen‹, ›höfliche
sowohl praktischen Situationen wie Rücksichtnahme auf den Kommunikati-
›Fahrkarten kaufen‹, ›Wegbeschreibung‹, onspartner‹ sowie ›Meinungsäußerung‹.
›Restaurantbesuch‹, ›Einkaufen‹ als auch Bei der letzteren werden neben allgemei-
von Beziehungsaspekten, etwa ›vom nen Formeln wie Ich finde/glaube/meine/
Wetter reden‹, ›um Verzeihung bitten‹ denke …; Ich bin der Meinung, daß …;
345

Meiner Meinung nach … noch gesondert mit der Mutter nach Deutschland gezo-
Routineformeln des Einverständnisses gen ist, wird in Lektion 1 vom Gymnasi-
(z. B. Du hast Recht/Sie haben Recht; Genau! allehrer geduzt, und genauso wird der
Einverstanden!) und der Meinungsdiffe- gleichaltrige Hatte in Lektion 6 vom Fri-
renz (etwa Ich bin ganz anderer Meinung; sör geduzt. Folglich tauchen eben auch
Auf keinen Fall!, Unsinn!, Quatsch!) ange- familiär-saloppe Routineformeln am
geben. Der zweite Teil des »Routinefor- häufigsten auf. Auch Ausdrücke wie Ach
mel-Wörterbuchs« ist mit »Situations- du Scheiße (30) und Halt die Klappe (53)
phrasen« (übersetzt von mir – I. H.) über- kommen vor. Beispiele für das Siezen
schrieben und nach einer Situationstypo- und damit harmonierende höfliche Rou-
logie der zwischenmenschlichen Bezie- tineformeln sind m. E. ein wenig unterre-
hungen geordnet. Zum Teil sind neben präsentiert, sie kommen aber in den Lek-
initialen Formeln auch reaktive gegeben, tionen 8 (Fahrkartenverkauf), 18 (Karten-
so daß sich Paarsequenzen bilden. Als verkauf) und 20 (Peters Gespräch mit
Unterrubriken erscheinen ›Sich-Begeg- dem Klowärter) vor.
nen und Grüßen‹, ›Auseinandergehen Insgesamt möchte ich, was das Angebot
und Abschied nehmen‹, ›um Hilfe oder an kommunikativen Routineformeln an-
Rat bitten‹, ›höfliche Bitte‹, ›Danksa- belangt, das besprochene Lehrbuch mit
gung‹, ›um Verzeihung bitten‹, ›Bedau- einer sehr guten Note auszeichnen.
ern« ›Beruhigen‹ sowie ›Wünschen‹. Der
dritte Teil schließlich ist nach praktischen 2) Neue Adresse
Handlungsaufgaben (fi. »Asioimistilan- Auch in diesem Werk wird die Inhalts-
teita«, etwa ›Besorgungs-, Dienstlei- übersicht in zwei Spalten gegeben, von
stungssituationen‹) konzipiert. Hier be- denen die eine über Kommunikationssi-
gegnen einander Unterrubriken wie ›Ein- tuationen und Themenbereiche, die an-
kaufen‹, ›Zimmerreservierung‹, ›Fahr- dere über grammatikalische Strukturen
karten kaufen‹, ›Eintrittskarten kaufen‹, informiert, die wiederholt (mit K = Ker-
›Nach dem Weg fragen und darauf ant- taus ›Wiederholen‹ gekennzeichnet) oder
worten‹, ›Briefmarken kaufen‹, ›Restau- neu gelernt werden sollen. Es könnte
rantbesuch‹, ›Besuch beim Arzt‹. Beson- sein, daß das Zwei-Spalten-Konzept den
ders ausführlich ist der Situationsablauf allgemeinen Anweisungen des Verlags
beim ›Telefongespräch‹ beschrieben. Otava entspricht, in dem die beiden Lehr-
Auch in den Lehrbuchtexten kommen werke 1) und 2) erschienen sind. Dabei
die kommunikativen Routineformeln gut sind die Kommunikationssituationen der
zum Tragen, denn abgesehen von ganz Lektionen im Inhaltsverzeichnis nicht so
wenigen Ausnahmen – etwa einem Brief systematisch von den Inhaltsangaben
in der Lektion 5 und einer Konzert-Info über die Handlung im Text abgehoben
in der Lektion 15 – bestehen die sog. wie in dem unter Punkt 1) besprochenen
Haupttexte der Lektionen aus Dialogen. Werk. Dieser Band enthält kein gesonder-
(zusätzliche sogenannte Bonus-Kapitel tes »Hilfsmittel-Paket« mit kommunika-
enthalten auch längere monologisch-be- tiven Routineformeln oder Hinweisen zu
richtende bzw. informative Texte). Da die Unterschieden in der Gesprächskultur.
meisten Dialoge im familiären Kreis oder Neben den Haupttexten wird in der Ab-
unter Freunden geführt werden, wird in teilung »Schatzkammer« zusätzliche Ne-
der Regel geduzt. Der siebzehnjährige benlektüre angeboten.
Protagonist Peter, gebürtiger Österrei- Auch hier dominieren in den Lehr-
cher, der nach der Scheidung der Eltern buchtexten Dialoge, neben denen Selbst-
346

vorstellungen oder monologische Ant- dem obigen zurück. Vielmehr wird hier
worten auf (fiktive) Interviewfragen so- allein schon durch die Tatsache, daß die
wie einige längere informationsbetonte fünfjährigen Zwillingsjungen der Gastfa-
Berichte erscheinen. Das Gesamtkonzept milie, besonders Fridolin, enfants terribles
ist also dem in 1) sehr ähnlich. Was die sind, die allerlei Wendungen aufschnap-
Dialoge selbst angeht, so kann gesagt pen, das Spektrum von Routineformeln
werden, daß sie abwechslungsreich und erweitert (vgl. z. B. Igitt!; 83). Dagegen
echt klingen und sehr viele Routinefor- fehlt hier eine bewußte, zusammenfas-
meln enthalten. Da im Mittelpunkt der sende Fokussierung auf die Routinefor-
finnische Austauschschüler Olli, 17, und meln. Die Lenkung der Aufmerksamkeit
seine deutsche Gastfamilie mit drei Kin- der Schüler auf den kommunikativen
dern stehen, sind die meisten Dialoge Charakter der Routineformeln – bzw. daß
wiederum familiären Charakters. Siezen es sich überhaupt um solche handelt –
kommt u. a. in der Lektion 6 vor, wo sich bleibt somit dem Lehrer überlassen. Al-
Olli der Oma der Gastfamilie vorstellt lerdings müßten die früheren Bände und
und sie dabei siezt; die Oma wiederum Arbeitsbücher dieser Lehrwerkreihe ge-
schwankt zwischen Du und Sie (Und du nauer daraufhin untersucht werden, ob
bist der Olli, oder soll ich schon »Sie« sagen, sie diesbezügliche Informationen enthal-
so ein stattlicher junger Bursche; 32). In der ten.
Lektion 11 wird wiederum beim Einkau-
fen gesiezt (vgl. Haben Sie sonst noch einen 3a, b) Mosaik
Wunsch?; 53). In der gleichen Lektion In Mosaik 3 werden auf Seite 3 zunächst
wird das Danken vs. Abdanken themati- die Hauptziele der drei Kurse vorge-
siert: Während Olli in der Lektion 2 den stellt. Dabei liegt der Schwerpunkt –
Satz des Gastvaters Meine Frau wartet genau wie im Inhaltsverzeichnis auch –
schon mit dem Abendbrot auf uns mit Danke auf der Thematik der Lektionen. In den
erwidert hat (14), was als Abdanken auf- zwei letzten Zeilen wird auf das Ar-
gefaßt wird (vgl. das Wörterverzeichnis beitsbuch verwiesen, auf dessen letzter
S. 16, wo für danke sowohl kiitos als auch Seite Hinweise zu den besonderen Cha-
ei kiitos als Äquivalent angegeben wird), rakteristika der deutschen Gesprächs-
in der Lektion 3 auf das Angebot des kultur aufgelistet werden. Diese Liste,
Klassenlehrers … du bist herzlich willkom- die unverändert auch noch in den Ar-
men … Dann bis später! aber schon explizit beitsbüchern der späteren Kurse bege-
mit Ja, danke! antworten konnte, bleibt die gnet, hat das Lehrbuch-Team auf der
Intentionalität des neuerlichen bloßen Basis der Studien von Salo-Lee (1991: 9–
Danke! in der folgenden Szene prinzipiell 14) zusammengestellt.
offen. Es liegt nahe, daß Olli wieder eine Im Inhaltsverzeichnis des Textbuchs sind
kommunikative Panne passiert und daß nach den eigentlichen Rubriken und den
sich Sandra darüber lustig macht: Inhaltsangaben grammatikalische
Oma Gerda:(…) Du kannst mich auch gern Schwerpunkte, soweit vorhanden, in
allein besuchen, wenn du möch- Kursivschrift erwähnt. Kommunikative
test. Situationen werden nicht eigens angege-
Olli: Danke! Auf Wiedersehen! ben, abgesehen von Lektion 11 mit der
Sandra: Diesmal, Olli, hast du wohl mit Rubrik »Es tut mir soo leid!« und dem
Absicht nur »danke« gesagt?
kursivierten Zusatz Opitaan kohteliasta
Auf der Ebene der Haupttexte der Lektio- kielenkäyttöä (-isi-muoto) ›Wir lernen höfli-
nen bleibt dieses Lehrbuch kaum hinter ches Sprachverhalten (die würde-Form)‹.
347

Der Anteil von Dialogen scheint in Mo- nicht. In der sechsten Episode werden
saik 3 kleiner als in den zwei oben bespro- Gruß- und Vorstellungsformeln noch ein-
chenen Werken. Dies kann damit zusam- mal wiederholt.
menhängen, daß es sich um ein Buch für In Mosaik 4 werden im Inhaltsverzeich-
den A-Lehrgang handelt, das auch für nis nur die eigentlichen Rubriken der
das B2-Deutsch umfunktioniert werden Texte erwähnt. Im Vorwort findet sich
kann: Mit umfangreicheren Vorkenntnis- wieder ein Verweis auf die Liste von
sen kommt man auch mit längeren Tex- Routineformeln im Arbeitsbuch; diese
ten klar. Im Vergleich zu den zwei ande- werden als »nützliche Tipps« bezeich-
ren Büchern finden wir hier gute Bei- net, mit denen man das Gespräch leben-
spiele für das Siezen, z. B. den Spiegel-Test diger gestalten kann (3). Unter den Tex-
»Die Deutschen von morgen« (84–86). ten bilden Dialoge allerdings eine Aus-
Neue Adresse 1–3 enthält zwar in der nahme. Sie kommen als sporadische
Abteilung »Schatzkammer« auch einen Einschübe in längeren narrativen Texten
ähnlichen Test, der aber aus einem Ju- vor, und außerdem gibt es Passagen in
gendmagazin stammt und von der Du- der Ich-Form als Teile von Sammelinter-
Form Gebrauch macht. views. Es kann angenommen werden,
Ein gutes Beispiel für Routineformeln daß die kommunikativen Formeln bei
und auch kommunikative Unterschiede der Diskussion der Themen in der Klas-
bietet Lektion 3 (86–88). In der ersten sensituation eingesetzt werden sollen.
Episode kommen Begrüßungsformeln Der Grund für die Dominanz von länge-
vor: Mervi, Austauschschülerin aus Ka- ren monologischen bzw. informativen
jaani in Nordfinnland, und Michael be- Texten kann wieder darin vermutet wer-
grüßen sich (Hallo, Michael! – Grüß dich, den, daß es sich um ein Lehrbuch han-
Mervi!). In der zweiten Episode wundert delt, das in erster Linie für Lerner der A-
sich die Mutter, wieso Michael es erlaubt, Sprache vorgesehen ist, die schon im-
daß Mervi ihn herumkommandiert – stande sind, mit größeren Texteinheiten
Mervi hat nämlich vergessen, in ihre Bitte umzugehen.
das Wörtchen bitte einzufügen. Bei der
dritten Episode geht es um einen Besuch. 5. Zusammenfassung und Ausblick
Frau Bauer fragt Mervi, ob sie noch ein Aus den obigen Ausführungen geht her-
Stück Torte möchte. Diese antwortet ah- vor, daß in Finnland sowohl die theoreti-
nungslos mit Danke, wonach Frau Bauer schen Grundlagen für den kommunikati-
fragt, ob die Torte Mervi nicht schmeckt. ven Sprachunterricht als auch die prak-
Erst dann kommt sie darauf, zu sagen: tisch-didaktische Umsetzung des Wis-
Ach, Frau Bauer, ich meine, ich möchte noch sens um kulturkontrastiv relevante Kom-
ein Stück, bitte. In der vierten Episode munikationsgewohnheiten ein hohes Ni-
kann Mervi schon zwischen Ja, bitte und veau aufweisen. Kommunikative Routi-
Nein, danke unterscheiden. In der fünften neformeln, die insbesondere im Anfän-
Episode entschlüpft ihr dann doch wie- gerunterricht ganz zentral sind (vgl.
der ein Xenismus, indem sie auf finnische Pankow/Salminen 1987: 237), sind im
Art und Weise (…) vielen Dank für das Lehrbuch-Input zumindest im Anfangs-
Essen sagt. In der sechsten Episode wird stadium der gymnasialen Oberstufe gut
ganz deutlich, daß beim Begrüßen auch vertreten. Eine andere Frage ist, inwie-
der Name des Angesprochenen dazu ge- weit die zeitlichen Ressourcen es erlau-
hören sollte: Der Name wird von allen ben, auf die Routineformeln systematisch
anderen ausgesprochen, nur von Mervi einzugehen. Eine gute Hilfe für den Leh-
348

rer – und für das selbständige Lernen – noch auf der Strecke bleiben, mag mit
bieten Bücher, die die wichtigsten Routi- dem ›heimlichen Lehrplan‹ der gymnasi-
neformeln zusammenfassend darstellen. alen Oberstufe zusammenhängen: Eine
Listen, wie sie sich in dem Textbuch Kurz mündliche Sprachprüfung im Abitur
und gut oder in dem Arbeitsbuch zu steht zwar schon lange zur Diskussion,
Mosaik finden, sind ein Schritt in die ist aber noch nicht eingeführt worden.
richtige Richtung. Es reicht aber noch Solange aber mündliche Fertigkeiten
nicht, Routineformeln in einer solchen nicht getestet werden, wird man sich im
Auflistung anzubieten, wenn sie nur mit letzten und teilweise schon vorletzten
vagen Situationsbeschreibungen verse- Schuljahr bei der Vorbereitung auf das
hen sind. Oft gehört ein bestimmter Aus- Abitur notgedrungen auf schriftliche Fer-
druck nicht zu nur einer Situation; viele tigkeiten konzentrieren. So werden die
Routineformeln sind polyfunktional. Um mündlichen Fertigkeiten oft auf der
herauszubekommen, »wer (eine kommu- Ebene einer pubertären Jugendsprache
nikative Routineformel) wann und unter fossilisiert.
welchen zwischenmenschlichen Voraus- Bei der weiteren Entwicklung des kom-
setzungen zu wem sagt und was er damit munikativen Unterrichts sollte auf eine
bezweckt« (Kempcke 1994: 311), ist eine Hierarchisierung der Routineformeln
genauere pragmatische Gebrauchsan- mehr Gewicht gelegt werden. Am An-
weisung nötig. Herkömmliche ein- und fang sollten Gruß- und Dankesformeln,
zweisprachige Wörterbücher geben sel- sonstige Höflichkeitsformeln sowie Rou-
ten genug Informationen, und außerdem tineformeln zur Bewältigung von alltäg-
sind in ihnen die Routineformeln oft un- lichen Dienstleistungssituationen im Vor-
ter Kollokationen und sonstigen Beispie- dergrund stehen. Dieses Ziel wird, wie
len versteckt. Eine Abhilfe für Lehrer und wir gesehen haben, heute schon relativ
Schüler bietet neuerdings das Wörterbuch gut erreicht. Im Fortgeschrittenenunter-
Deutsch als Fremdsprache von Kempcke et richt wären metakommunikative und ar-
al. (2000); ein zweisprachiges deutsch- gumentative Routineformeln vermehrt
finnisches bzw. finnisch-deutsches Wör- zu üben. Hier gibt es noch ein weites Feld
terbuch der Routineformeln bleibt aber zu beackern!
nach wie vor ein Desiderat. Für die finni- Meinen Beitrag möchte ich – trotz allem!
sche Germanistik wäre es ein sinnvolles – mit einem Spezifikum der finnischen
Ziel, auf der Grundlage der bisherigen Kommunikationskultur abschließen. Wir
Forschungen zu Kommunikationsunter- modifizieren die Abschlußphrase in Brie-
schieden ein ähnliches zweisprachiges fen viel öfter als Deutsche, und zwar
Wörterbuch der Routineformeln zu ver- insbesondere durch Bemerkungen zur
Wetterlage (vgl. Jeltsch 1995: 122), also
fassen, wie es im Bereich der Idiomatik
demnach:
schon von meinem Kollegen an der Uni-
versität Helsinki und ehemaligen Kom-
militonen an der Universität Oulu – und Mit herzlichen Grüßen an den Jubilar aus
somit auch einem ehemaligen Studenten dem winterlichen Helsinki
des Jubilars – Prof. Jarmo Korhonen Irma Hyvärinen
(2001) vorliegt.
Daß die Kommunikationsfertigkeiten der Literatur
finnischen DaF-Schüler trotz des hervor- Burger, Harald: Phraseologie. Eine Einfüh-
ragenden Lehrwerkangebots oft doch rung am Beispiel des Deutschen. Berlin:
349

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352

Kultur(en), Konflikt(e) und Unterricht(en)

Silke Ghobeyshi und Uwe Koreik

1. Einführung rer Welt bereits gegeben, und der Titel


Mit dem sogenannten interkulturellen des inzwischen zum Bestseller avancier-
Ansatz oder gar der interkulturellen ten Buches von Huntington Kampf der
Methode seit Mitte der achtziger Jahre Kulturen ist ein Thema, das von den Me-
hat das Thema Kultur einen hohen Stel- dien gern und oft komplexitätsbereinigt
lenwert für den DaF-Unterricht – und aufgegriffen wird. Davon zeugt beispiels-
dort nicht nur bei einer expliziten Lan- weise auch der Artikel aus dem Wirt-
deskundevermittlung – bekommen schaftsteil einer Zeitung, der das Schei-
(z. B. Müller-Jacquier 2001, Casper- tern von Unternehmensfusionen behan-
Hehne 1999, ein Überblick über neueste delt, das »Aufeinandertreffen von ver-
Veröffentlichungen unter: www.ual- schiedenen Kulturen« beklagt und der
berta.ca/~german/ejournal/an- allen Ernstes mit »Kampf der Kulturen«
derswo.htm). Das Ziel des interkulturel- überschrieben ist (Neue Westfälische vom
len Ansatzes ist, um es sehr knapp zu 11.12.2002). Das Bild des konfliktreichen
formulieren: die Entwicklung von Aufeinanderprallens völlig unvereinba-
Handlungskompetenz für interkultu- rer Mentalitäten begegnet uns allerorten
relle Kontaktsituationen auf der Basis und überlagert nicht selten eine tieferge-
einer geschulten Wahrnehmungs- und hende politische und ökonomische Ana-
Aneignungsfähigkeit fremder Bedeu- lyse der den Konflikten zugrundeliegen-
tungen in unterschiedlichen verbalen den tatsächlichen Ursachen.
und nonverbalen Zeichensystemen; dies Es wäre naiv anzunehmen, daß sich die
mit dem Ziel, die Grenzen der eigenkul- zum großen Teil nicht nur das Indivi-
turell geprägten Wahrnehmung erken- duum bedrohenden Konflikte in unserer
nen und überschreiten zu können, was Welt nicht auch latent oder auch offen in
zu einer erhöhten Empathiefähigkeit der DaF-Unterrichtssituation widerspie-
und Ambiguitätstoleranz führen soll. geln könnten, auch wenn das Primat aller
Dies nun wiederum hat zum Ziel, Miß- Sprachkursteilnehmer sicherlich das Er-
verständnisse vermeiden bzw. erkennen lernen der deutschen Sprache ist und
zu können, und somit auf der Basis nicht selten vielleicht auch das Bedürfnis
einer Komplementarität von erworbe- überwiegt, mit den aus der Heimat mit-
nem Wissen und einer erweiterten und gebrachten Problemen hier nun nichts zu
geschulten Wahrnehmung Konflikte tun haben zu wollen.
vermeiden bzw. besser mit ihnen umge- Der Fachverband Deutsch als Fremdspra-
hen zu können. che hat unter dem Einfluß des 11. Septem-
Nun sind Konflikte aber in z. T. erschrek- ber mit der Schaffung des Programm-
kendem und auch hinsichtlich der Zu- schwerpunktes »Spannungen in der Welt
kunft beängstigendem Ausmaß in unse- – Spannungen im Klassenzimmer« auf der

Info DaF 30, 4 (2003), 352–364


353

FaDaF-Jahrestagung 2002 versucht, dem ischen Studierenden, welches die Lehr-


komplexen Problem Rechnung zu tragen, person an die Grenzen der Möglichkeiten
was in dem dazu veranstalteten Work- brachte, schlichtend bzw. überhaupt ein-
shop auf große Resonanz stieß. zugreifen und sie es in Kauf nehmen
mußte, daß andere Studierende sich ab-
2. Kulturen und Konflikte im DaF-Un- wandten bzw. den Raum verließen. Es
terricht wird von vehementen Auseinanderset-
Selbst wenn wir davon ausgehen, daß zungen über den Israel-Palästina-Kon-
DaF-Lehrende durch ihre Ausbildung flikt berichtet, bei denen es schwierig
und ihre Berufspraxis über eine ausrei- war, nach den kaum zu kontrollierenden
chende interkulturelle Kompetenz verfü- Auseinandersetzungen wieder eine ak-
gen, um dem oft mißbräuchlichen und zeptable Arbeitsatmosphäre im Kurs her-
fahrlässigen Umgang mit dem Begriff zustellen. Und die zahlreichen uns bisher
»Kampf der Kulturen« kritisch gegen- bekannt gewordenen Beispiele aus Un-
überzustehen, ist bei manchen Teilneh- terrichtssituationen für Konflikte über
mern unserer Sprachkurse eine kritische Religion, die Rolle des Islam und unter-
Distanz solchen Simplifizierungen ge- schiedlich gelagerte Auseinandersetzun-
genüber nicht unbedingt zu erwarten. gen über eine von vielen tatsächlich als
Erfahrungsgemäß trifft häufig eher das unauflöslich wahrgenommene Kontro-
Gegenteil zu: Die mediale Aufbereitung verse zwischen der arabischen und der
von oft doch eher politischen Konflikten westlichen Welt lassen erahnen, daß auch
beeinflußt die Sprachkursteilnehmer in in der mittelfristigen Zukunft dieses Kon-
vielfältiger Weise. Durch die Tatsache, fliktpotential weiterhin bestehen wird.
daß viele unserer Lernenden aus Ländern Spannungen und Konflikte, die durch un-
kommen, in denen die Massenmedien terschiedliche »Wahrnehmungsstruktu-
und hier insbesondere das Fernsehen ren und Kommunikationsbedingungen«
nicht nur mit ethnischen und/oder kultu- (Krumm 1994: 29) oder, etwas abstrakter,
rellen Stereotypen, sondern auch mit veri- durch die Verletzung bzw. Infragestellung
tablen Feindbildern nicht anders als ver- von selbst wahrgenommenen Selbstver-
antwortungslos umgehen, kann eine ko- ständlichkeiten entstehen, bleiben in natio-
gnitiv geleitete kritisch-distanzierte Aus- nal heterogenen Gruppen, wie wir sie in
einandersetzung mit Gegenständen wie den studienvorbereitenden und -beglei-
etwa der eigenen ethnozentrischen tenden Deutschkursen an deutschen
Wahrnehmung in der Unterrichtspraxis Hochschulen antreffen, nicht vor der Tür.
zu einer wahren Herausforderung wer- Sie werden latent und manchmal auch
den. Vor dem Hintergrund der aktuellen offenkundig in den Klassenraum herein-
politischen Weltlage scheint das Ziel getragen und könnten sich immer dann
»transnationale Kommunikationsfähig- für eine Reflexion im DaF-Unterricht an-
keit« (Krumm 1994) noch ein Stück wei- bieten, wenn sie den Status des subjektiv
ter in die Ferne gerückt zu sein. Verborgenen verlassen, bergen aber ande-
Die konkreten Beispiele für diesbezügli- rerseits genau das Konfliktpotential in
che Konflikte im DaF-Unterricht aus der sich, was von Lehrkräften häufig auch aus
Fachliteratur oder unseren Befragungen gutem Grund umgangen wird.
(s. u.) sprechen für sich: Schroth-Wiechert Konflikten, die durch vermeintliche kul-
(2001: 46) berichtet über ein sich aus der turelle Unterschiede oder deren Kon-
Unterrichtssituation ergebendes Streitge- struktion entstehen, liegen die drei fol-
spräch zwischen russischen und litau- genden Beobachtungen zu Grunde:
354

1) Grundsätzlich kann sich an jedem Ge- gemäß zunächst auf die mit Sprache zu-
genstand ein Konflikt entzünden. Auf- sammenhängenden Manifestationen von
tauchende unterschiedliche Überzeu- Kultur, auf linguistischer Ebene insbeson-
gungen und Einstellungen sind primär dere auf sprachkontrastive Grammatik,
individuell zu verstehen, vor vor- Semantik und Pragmatik, allgemein auf
schnellen »kulturalistischen Konflikt- eine kontrastiv angelegte Erforschung
deutungen« (Auernheimer 1990) ist zu und Vermittlung der in Sprache abgebil-
warnen. deten und transportierten kulturellen
2) Es gibt Konflikte, die durch die Kon- Selbstverständlichkeiten.
frontation eigener, meist unbewußter Daneben stehen seit den Kindheitstagen
und selbstverständlicher Deutungs- der Interkulturellen Germanistik die
und Handlungsmuster mit fremden, höchst abstrakt verhandelten Konzepte
›unbekannten‹ Deutungs- und Hand- von Alois Wierlacher (»Das Eigene und
lungsmustern entstehen. Konflikte die- das Fremde«) und Hans Hunfeld (»Dop-
ser Art sind kulturbezogen. pelte Normalität des Fremden«), an die
3) Die Art der öffentlichen Auseinander- zu Recht die Frage gestellt werden kann,
setzung und Desiderate in der Lehren- wie weit sie »uns tragen« können, im
denausbildung DaF erschweren oder Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht
verhindern, daß kulturbezogene Kon- und in der Lehrendenausbildung (Ehnert
flikte von individuell, politisch oder 1997: 46).
ideologisch motivierten Konflikten ad-
Von zentraler Bedeutung war und ist der
äquat unterschieden werden. Fähigkei-
Kulturbegriff auch in den oft selbstrefe-
ten, Strategien und Fertigkeiten im
rentiellen Debatten um Stellenwert und
Umgang mit (Kultur-)Konflikten wer-
Funktion der Landeskunde. Hier hat sich
den in der Lehrendenausbildung nicht
oder nicht ausreichend vermittelt. »(m)it dem Wandel von Landeskunde als
einer reinen Institutionenkunde mit Ausflü-
3. »Kulturalität« im Fach DaF gen in die Hochkultur über oberflächliches
›Überlebenswissen‹ zur Bewältigung des
Anders als in der öffentlichen und medi- fremdkulturellen Alltags bis hin zu einem
alen Auseinandersetzung mit ›Kultur- tieferen Verstehen der anderen Kultur(en)
konflikten‹ wird in der umfangreichen, in einem deutschsprachigen Raum der Re-
teilweise höchst elaborierten und diffe- gionen (DACHL) […] nun ein entscheiden-
renzierenden Fachliteratur die Einfluß- der Paradigmenwechsel vollzogen« (Fi-
scher 2002: 92).
größe Kultur präzise eingegrenzt. Wäh-
rend der gesellschaftliche Diskurs als Zu- Auch wenn der Begriff des Paradigmen-
schreibungsprozeß bezeichnet werden wechsels etwas zu hoch gegriffen sein
kann, in dem Kultur als statische, situati- sollte, gilt, daß dem Anspruch des Inter-
onsunabhängige und homogene Entität kulturellen Lernens folgend die nunmehr
gehandelt und jeder relationale Charak- verstehensorientierte (nicht rein kogni-
ter vergessen wird, gehört es etwa in der tive!) Landeskunde die »Einbeziehung
soziologischen oder der internationalen beider Kulturen« fordert (Fischer 2002:
pädagogischen Forschung dazu, den je 93), die des Zielsprachenlandes gleichbe-
zugrundeliegenden Kulturbegriff zu rechtigt neben der des Herkunftslandes
konturieren und zu kontextualisieren. (was folgerichtig die Einbeziehung aller
Die Forschungen im vergleichsweise im- vertretenen »Kulturen« in heterogenen
mer noch jungen Fach Deutsch als Gruppen bedeutet). Vor dem Hinter-
Fremdsprache konzentrieren sich natur- grund der Tatsache, daß Kulturen und
355

Gesellschaften viel zu komplex sind, »um den: Der von Alexander Thomas unseres
– sei es aus der Innen-, sei es aus der Wissens nach im Deutschen eingeführte
Außenperspektive – gültig beschrieben Begriff des Kulturstandards ist wohl nur
werden zu können« (Ehnert 1997: 46), verfeinert zu gebrauchen. Gerade DaF-
drängt sich hier einmal mehr die Frage Unterricht und -Forschung, die dem An-
nach dem Kulturbegriff im Fach Deutsch satz nach kulturkontrastiv angelegt sind,
als Fremdsprache auf. laufen leicht Gefahr, die gruppenspezifi-
Daß in die Fachdiskussionen unter- schen, ›geteilten‹ Standards im Wahrneh-
schiedliche Auffassungen von Kultur men, Deuten und Handeln überzubewer-
hineinwirken, versteht sich von selbst. ten und die Wirksamkeit intersubjektiver
Nicht selbstverständlich und unter Um- und individueller Handlungs- und Be-
ständen irritierend ist jedoch, wie oft auf wertungsmodelle zu marginalisieren.
jegliche Konturierung des Begriffs ver- Dennoch ist das Konzept der ›Kultur-
zichtet wird. Auch in der Auseinander- standards‹ deswegen nicht zu verwerfen.
setzung mit dem Interkulturellen wird der Das Ignorieren von Elementen, die als
Komplexität des kognitiven Konstrukts kulturbezogen einzuschätzen sind, ist
Kultur gerne aus dem Wege gegangen, ebenso kritikwürdig wie die Dichoto-
scheint die Anwendung des Kulturbe- mien eigen und fremd. Neuere (pädagogi-
griffs zu häufig beliebig zu sein. sche) Ansätze, in denen Individuen nicht
Kultur ist wichtig, soviel steht fest, wenn als Kulturvertreter, sondern als »Reprä-
z. B. Fischer (2002: 91) konstatiert, daß sentanten vielfältig zusammengesetzter
der »Umgang mit fremden Kulturen in Identitäten« (Ledoux, Leemann, Lei-
und mittels fremder Sprachen« zu der precht 2001: 180) angesehen werden,
»Kernkompetenz des global village übersehen womöglich, daß kulturbezo-
schlechthin geworden« ist. gene Elemente für das Selbst selbstverständ-
lich und unbewußt sind und daß die
»Doch wie erkenne und beschreibe ich mannigfaltigen Unterschiede dieser un-
heute meine oder eine andere Kultur? Es bewußten Selbstverständlichkeiten erst
hängt ja wieder mit der bedauernswerten
Globalisierung zusammen, daß es zumin- in sprach- und/oder kultur(!)kontrastiv
dest oberflächlich betrachtet kaum mehr angelegten Reflexionen zu Tage treten.
Kulturunterschiede gibt. Überall begegnen Und wenn es das Ziel ist, »die Grenzen
wir den gleichen Verhaltensweisen beson- der eigenen ethnozentrischen Prägung
ders Jugendlicher, Musik, Kleidung, Nah- zu überschreiten« (Krumm 1994: 31),
rung sind vereinheitlicht bis zum Über-
druss. Unterschiede gibt es im wechselseiti- sollte zunächst der Grenzverlauf geklärt
gen Hass, Unterschiede werden erkennbar, werden.
wenn man die Chance hat, dem einzelnen
Kulturvertreter in seinem Alltagsleben zu 4. »Kulturthemen«
begegnen, ihm genau zuzuhören, wenn In interkulturellen Kontaktsituationen
man den Menschen auf die Finger, aufs
›Maul‹, auf den Körper schaut. Dann wer- und somit auch im Unterricht für
den plötzlich Feinheiten kultureller Stan- Deutsch als Fremdsprache treten Kon-
dards als Basis für Weltbewältigung sicht- flikte auf, deren Genese sich allem An-
bar, die im Umgang mit dem Anderen sehr schein nach von der Konfliktgenese in
große Schäden anrichten können.« (Ehnert intrakulturellen Kontaktsituationen un-
2002: 9–10).
terscheidet. Bereits ›herkömmliche‹ Mo-
Was Ehnert hier vorsichtig »Feinheiten tivationsstörungen, wie sie in »westlich-
kultureller Standards« nennt, kann viel- liberalen« Kursen nun einmal (sic!) vor-
leicht folgendermaßen interpretiert wer- kommen (Unaufmerksamkeit, explizites
356

oder implizites Äußern von Unlust, das funktionen, Eß- und Tischgewohnheiten
Ablenken von Mitschülern/Kommilito- und Aberglaube an die Bedeutung von
nen usw.) können innerhalb eines hetero- Zahlen, Farben, Tieren (Schröder 1995,
gen zusammengesetzten Kurses zu enor- 1998). Daß auch historische Ereignisse ta-
men Irritationen führen, die sich z. B. mit buisiert werden können, darf in Deutsch-
einer gänzlich anders regulierten gesell- land als bekannt und internalisiert voraus-
schaftshierarchischen Stellung des Leh- gesetzt werden (Ghobeyshi 2002).
rers in den Herkunftsländern erklären Tabus sind, einer Bezeichnung Schröders
lassen. Das südkoreanische Sprichwort, (1995: 16) folgend, »latente Kulturthe-
demzufolge »students should not step on men«, d. h. sie gehören zu den oben er-
even a shadow of his or her teacher« wähnten unbewußten Selbstverständlichkei-
(Weaver 1995: 23), spricht hier für sich. ten. Es gibt mehr oder weniger stark
Solche unterschiedlichen kulturbezoge- ausgeprägte Tabus in jeder Gesellschaft,
nen Status- und Distanzregulierungen doch was tabuisiert wird, ist sowohl
gehen einher mit anderen Vorstellungen gruppen- und kulturbezogen als auch
von den Voraussetzungen und Realisie- zeitspezifisch. Aufgrund des Verände-
rungen des (expliziten oder impliziten) rungsprozesses, dem Tabus unterliegen,
Ausübens von Kritik, des (expliziten kann es keinen »Katalog« geben (Schrö-
oder impliziten) Aussprechens von Lob der 1998: 197). Eine Vermittlung der dos
und, nicht zu vergessen, des Sprechens and don’ts ist sehr hilfreich (s. die Auf-
oder des Schweigens über Tabuthemen. nahme in Lehrwerken, z. B. Hansen/Zu-
Daß die Stellung der Lehrenden ebenso ber 1998), wird aber erst in einer durch
wie die Lehr- und Lerngewohnheiten offene Atmosphäre charakterisierten Un-
kulturspezifisch sind, ist bekannt, doch terrichtssituation geführten Diskussion
welche Konsequenzen hat dies für die weiterführend, denn »[e]rst im Kontrast
Lernenden in unseren Kursen? In wel- der Kulturen, d. h. aus der Fremdper-
chem Ausmaß die Unterrichtsatmosphä- spektive bzw. im interkulturellen Kon-
re durch die Nichtbeachtung kulturspezi- takt, werden Tabus auffällig« (Schröder
fischer Erwartungen gestört, ja vergiftet 1997: 105). Bezeichnend ist, daß Tabus für
werden kann, sich auf die Lernmotiva- ›entferntere Kulturen‹ oder für die Ver-
tion und folgerichtig auch auf den Erfolg gangenheit als typisch angesehen wer-
des Spracherwerbs auswirkt, wird u. a. den, während die eigenkulturellen
von de Courcy (1997) beschrieben. Unse- ebenso wie die individuellen Tabuberei-
res Erachtens bedarf es hier neben weiter- che gar nicht bewußt sind und erst dann
führenden unterrichtsevaluierenden For- wahrgenommen werden, wenn sie ge-
schungsarbeiten einer fachspezifischen brochen werden oder wenn nicht ad-
Auseinandersetzung mit dem Ziel der äquat über sie kommuniziert wird
diesbezüglichen Qualitätssicherung des (Schröder 1998: 197).
Unterrichts. Vor dem Hintergrund, daß Tabuthemen
Das Kritisieren der Lehrerperson ist bei am ehesten entsprochen wird, wenn man
alledem nur ein Beispiel für Handlungen, über sie schweigt, ergibt sich eine schwie-
die auszuüben für einige der Studieren- rige Situation für den Fremdsprachenun-
den zumindest ungehörig und oft auch terricht. In interkulturellen Kontaktsitua-
tabu sind. Daneben stehen eine Reihe von tionen sind Tabuthemen und Tabuberei-
Themen, über die zu sprechen tabu ist. Als che des anderen häufig nicht nur unbe-
»tabuträchtige Bereiche« gelten z. B. Reli- wußt und unbekannt, sie sorgen bei ihrer
gion, Sexualität, Tod, Krankheit, Körper- Entdeckung während der Kommunika-
357

tion oftmals für Befremden, Irritation führt (s. Fragebogen im Anhang). Auf-
und ein hohes Maß an Emotionalität. Auf grund des zeitlich sehr eingegrenzten
die enorme Wichtigkeit der Sensibilität Untersuchungsrahmens sowie der be-
bei Themenwahl, Themenpräsentation grenzten Streuung des Fragebogens kann
und der methodisch-didaktischen The- der Rücklauf von 39 ausgefüllten Frage-
menbehandlung im Unterricht kann da- bögen in kurzer Zeit als hoch gewertet
her gar nicht genug hingewiesen werden. werden, wobei gleichzeitig klar ist, daß
Dabei darf keineswegs unberücksichtigt die Ergebnisse aufgrund der zu geringen
bleiben, daß »die Vorurteilsforschung in- Probandenzahl nicht als repräsentativ
zwischen darauf aufmerksam gemacht gelten können.
hat, daß hartnäckige Klischees und Ste- Es wurden Angaben zur Lehrperson sta-
reotype, die insbesondere bei der Beurtei- tistisch erfaßt, quantifizierbare Daten er-
lung anderer Völker oftmals wirksam hoben sowie auch mangels vorangegan-
werden […], nicht allein durch Informa- gener Studien, die fundierte Kategorisie-
tion abgebaut werden können« (Ehnert/ rungen erlaubt hätten, verschiedene of-
Wazel 1994: 274). fene Fragen gestellt.
Die von Krumm (1994: 31) vom Fremd- Ein erstes Ergebnis ist die Beobachtung
sprachenunterricht geforderte »Fähig- (auch gespeist durch zahlreiche Rück-
keit, Verschiedenheit zu akzeptieren«, meldungen), daß etwas mehr als die
kann nur dann erfolgreich umgesetzt Hälfte der Probanden den Fragebogen
werden, wenn die verschiedenen Mög- eher widerwillig, vielleicht aus Pflichtbe-
lichkeiten der ›Weltbewältigung‹ bewußt wußtsein gegenüber den Autoren und
gemacht werden und eine Auseinander- teilweise mit Kritik an den (bewußt) nicht
setzung mit Unterschieden gezielt einge- näher erklärten Begriffen ›Konflikt‹ und
übt wird, auch wenn sich dadurch Kon- ›Kultur‹ ausgefüllt haben, und daß etwas
frontationen und Konflikte mitunter mehr als ein Drittel den Fragebogen als
nicht vermeiden lassen. Für die Ausein- eine interessante und spannende Heraus-
andersetzung mit Tabuthemen fordert forderung gesehen und z. T. in Kommen-
Schröder in diesem Sinne die taren von über einer Seite Länge geant-
wortet hat.
»Vermittlung von Euphemismen und ande-
ren sprachlichen Strategien, die es dem Bei der Frage nach im Unterricht wahrge-
Fremdsprachenlernenden ermöglichen, nommenen Konflikten, die nach Mei-
sich über tabuisierte Handlungen, Objekte, nung der Lehrenden auf kulturelle Un-
Sachverhalte und Wörter überhaupt ver- terschiede zurückzuführen waren (Ant-
ständigen zu können, ihn also dazu befähi- wortspektrum von »nie« bis »sehr häu-
gen, sich auf der Mitte zwischen den beiden
Polen eines völlig transparenten Diskurses fig«), fällt auf, daß die Mittelposition
und eines totalen Kommunikationsverbotes »mir nicht bewußt« nicht einmal ange-
sprachlich souverän zu bewegen« (Schrö- kreuzt wurde (weswegen sie aus der
der 1995: 33). Auswertung herausgenommen wurde).
Möglicherweise können Lehrende sich
5. Kulturbezogene Konflikte im DaF- aufgrund ihres eigenen Anspruchs dies
Unterricht – eine Umfrage auch nicht eingestehen.
Um erste Hinweise auf die Konfliktthe- Weiter fällt auf, daß sich bei der Frage nach
men-Problematik aus Sicht der DaF-Leh- der Häufigkeit der beobachteten Konflikte
renden zu erhalten, haben wir im Herbst zwei Gruppen herausbilden: 16 beobach-
2002 eine kleine Umfrage an verschiede- ten diese selten bis nie und 23 gelegentlich
nen deutschen Hochschulen durchge- bis häufig (»nie« = 2, »sehr häufig« = 0).
358

Der Versuch, Korrelationen zwischen die- zwischen der Häufigkeit von erlebten
sen Antworttendenzen und Faktoren wie Konflikten im Unterricht und der Bereit-
Geschlecht, Dauer der Berufspraxis, Lehr- schaft, konfliktträchtige Themen im Un-
erfahrung in ausschließlich Hochschulen terricht zu behandeln, ergibt sich erneut
oder auch anderen Institutionen und ge- kein Zusammenhang. Es deutet sich an,
machten und nicht gemachten Aus- daß der Umgang mit Konflikten im Unter-
landserfahrungen herzustellen, führte zu richt bei Lehrenden von subjektiven Ein-
keinem bzw. nur einem vagen Ergebnis. stellungen (sowie Erfahrungen?) und
Es scheint sich lediglich anzudeuten, daß nicht von äußeren Faktoren abhängig ist.
Lehrende mit mehr Lehrerfahrung (Mit- Bei einer näheren Analyse der Antworten
telwert 13,64 Jahre) eher bereit sind, Kon- der 15 Probanden, die zwar generell
fliktthemen im Unterricht zu behandeln, keine Themen vermeiden würden, dies
als Lehrende mit weniger Lehrerfahrung allerdings von bestimmten Vorausset-
(Mittelwert 8,24 Jahre). Angesichts der zungen abhängig machen, läßt sich für
hohen Standardabweichungen muß aber die Gesamtprobandengruppe feststellen,
auch diese Aussage mit Vorsicht betrach- daß eine deutliche Mehrheit sich der Sen-
tet werden. Letztlich bleibt festzuhalten, sibilität und Problematik potentieller
daß angesichts der mit einer Ausnahme Konfliktthemen sehr bewußt ist und sie
sehr deutlich festzustellenden Streuung entweder zu vermeiden versucht oder
bei den Antworten die Hypothese nahe- deren Behandlung an intensiv reflektierte
liegt, daß auch bei einer erheblich größe- Bedingungen knüpft.
ren Untersuchungsgruppe hinsichtlich Wie sehr allerdings bei der Frage »Gibt es
der Wahrnehmung von Konflikten und Themen, die Sie im DaF-Unterricht gezielt
anderen Variablen keine Zusammenhän- zu vermeiden versuchen?« die Positionen
ge bestehen. auseinandergehen, läßt sich an folgenden
Die am häufigsten genannten Themen, Zitaten verdeutlichen: »Nein, ich behan-
die Konflikte auslösten, sind: unter- dele gerade solche Themen«, »Nein, es
schiedliche Lerntraditionen und damit sollte grundsätzlich keine ›Schere im
verknüpfte Erwartungen an die Rolle der Kopf‹ geben« oder dem Hinweis darauf,
Lehrenden, die Rolle der Frau sowie poli- daß sich ausländische Studierende auf
tisch brisante ›Importthemen‹ wie der eine offenere Diskurskultur in Deutsch-
Konflikt auf dem Balkan, der Israel-Palä- land einzustellen hätten und es deswegen
stina-Konflikt oder der Themenkomplex auch aus politischen Gründen falsch sei,
›Terror, Afghanistan und Irak‹. »wenn sich DaF-Lehrer/innen ständig
Bei der für uns wichtigen Frage, ob Leh- selbst eine Zensur auferlegen würden, aus
rende bestimmte Themen im DaF-Unter- Angst vor einem (eventuellen) kulturbe-
richt zu vermeiden versuchen und den dingten Konflikt«. Demgegenüber steht
Gründen dafür, zeigt sich, daß etwa knapp exemplarisch folgende prägnante Aus-
ein Drittel hier dezidiert vorsichtig vor- sage, nach der versucht wird, Themen aus
geht (9 konkrete Einschränkungen und 2 folgenden Bereichen zu vermeiden: »Poli-
allgemeine Einschränkungen) und etwa tik, Religion, Sexualität, Hunger, Folter,
zwei Drittel sich offener verhalten (11 Elend, Krankheit, Tod und Gewalt. Ver-
keine Einschränkungen und 15 keine Ein- mieden werden soll die inhaltliche Kon-
schränkungen, allerdings mit metho- troverse, wenngleich Vokabular und Idio-
disch-didaktischen und pädagogisch-psy- matik durchaus einmal vermittelt werden
chologischen Hinweisen). Hinsichtlich kann. Durch die Themen können einzelne
der Frage nach eventuellen Korrelationen KT [Kursteilnehmer, G./K.] unangenehm
359

berührt werden. Wer will das denn auffan- Auslandsaufenthalte zwar das Verhalten
gen? Sprachunterricht ist keine Therapie- der Lehrenden hinsichtlich des Umgangs
veranstaltung für Trauma- und Angstbe- mit Konfliktthemen beeinflussen, die Art
wältigung. Er ist auch kein Agitationsfo- und Weise des Einflusses aber offensicht-
rum.« lich stark von subjektiven Faktoren ab-
Bei der qualitativen Analyse der Antwor- hängig ist.
ten wird folgendes deutlich: Begründun- In einem ist sich aber die Gruppe der
gen für die Vermeidung oder einge- Befragten mehrheitlich deutlich einig:
schränkte Behandlung konfliktträchtiger Die Behandlung von Konfliktthemen im
Themen lassen Schwerpunkte erkennen. DaF-Unterricht kann Veränderungen be-
Dies sind die Sorge um das ›Kursklima‹ wirken. Nur vier sind gegenteiliger An-
oder die ›Verletzung einzelner‹ sowie der sicht und ein weiterer vermutet zwar
gehäufte Hinweis auf die vom Thema Veränderungen, aber eher zum Negati-
abhängige fehlende eigene tiefgehende ven: »Man ist genervt, fühlt sich indoktri-
Kompetenz (z. B. bei den Themen ›Islam‹, niert. Es kann zur Reaktanz führen und
›Israel-Palästina-Konflikt‹ oder ›Reli- zum Irrtum, in Deutschland müsse man
gion‹). Mehrfach wird die Besorgnis for- sich immer kontrovers streiten.« Offen-
muliert, daß ausgelöste Emotionen durch sichtlich gehen wir Lehrenden im Bereich
die Lehrenden nicht entsprechend aufge- DaF mit deutlicher Mehrheit – und ein
fangen werden können. Und nicht nur in ähnliches Ergebnis wäre bei einer erheb-
diesem Zusammenhang wird häufig der lich ausgeweiteten Umfrage zu erwarten
Hinweis auf eine fehlende Ausbildung in – davon aus, daß die Behandlung von
diesem Bereich gegeben und werden ent- Konflikt- und Tabuthemen Perspektiven
sprechende Verankerungen in den Lehr- erweitert, Relativierungen eigener (kul-
plänen oder gezielte Weiterbildungsmaß- turbezogener) Standpunkte erlaubt, die
nahmen gefordert. Toleranz erhöht und damit die Bedingun-
Bei dem Abgleich der Antworten zur gen für ein friedliches Mit- bzw. Neben-
Behandlung von Konfliktthemen im Un- einander erhöht werden. Dies kann mit
terricht mit dem Faktor Auslandserfah- einem notwendigen Berufsoptimismus
rung ist das Ergebnis allerdings auffällig: erklärt werden oder, negativ gewendet,
Diejenigen, die über Auslandserfahrung mit einer spezifischen déformation profes-
verfügen (22), teilen sich im Vergleich zur sionelle; es kann aber auch als der Beleg
›reinen Inlandsgruppe‹ bei ihren Ant- für die vielfach gemachte – und unseres
worten mehrheitlich in zwei größere Wissens nach nicht erhobene – Erfahrung
Gruppen, was bei einem Chi-Quadrattest gesehen werden, daß sich im DaF-Unter-
eine zumindest tendenzielle Signifikanz richt auf neutralem Territorium positive
ergibt. Zwei Pole sind erkennbar: die eine Kontakte zwischen Angehörigen einan-
Gruppe der ›Auslandserfahrenen‹ be- der in z. T. sehr problematischen Kontex-
handelt Konfliktthemen, »wenn es sich so ten verquickter Nationen und »Kulturen«
ergibt«, die andere »möglichst oft«. Alle entwickeln, die hoffnungsfroh stimmen
Versuche, hier Korrelationen zu anderen können. Zu bedenken ist dabei, daß viele
Faktoren wie Berufserfahrung, Ge- dieser Kursteilnehmer mit diesen diffe-
schlecht, Länge des Auslandsaufenthalts renzierten und positiven Erfahrungen in
oder auch des Aufenthalts in bestimmten ihr Heimatland zurückkehren und dort
Ländern bzw. Ländergruppen herzustel- relativ häufig in gesellschaftlich wichti-
len, schlugen fehl. Auch hier bleibt nur gen Positionen, d. h. Mittlerfunktionen,
die Hypothese, daß längere berufliche einen Beruf ausüben.
360

6. Konfliktthemen im DaF-Unterricht nicht nur Konflikte analysiert und ge-


Die wichtigste Voraussetzung für die Be- handhabt werden, sondern auch argu-
handlung potentieller Konfliktthemen ist mentatives Verhalten eingeübt werden
die Kompetenz der Lehrenden, wobei kann. Voraussetzung ist auch hier, daß die
diese Kompetenz besonders dann auf Lehrenden auf die Konfliktthemen ent-
dem Prüfstein steht, wenn es darum geht, sprechend vorbereitet sind, vor einer Aus-
Diskussionsverläufe richtig einzuschät- einandersetzung nicht zurückscheuen
zen und Diskussionen abzubrechen (wel- und gleichzeitig aber die möglichen –
ches u. U. ein gehöriges Maß an Autorität unter Umständen zu vermeidenden –
erfordert), bevor die Emotionen und Af- Konsequenzen im Blick haben.
fekte nicht mehr zu kontrollieren sind. Problematisch ist in diesem Zusammen-
Die Auffassung, daß es unter ›gebildeten hang die Gefahr, daß zukünftige DaF-
Leuten‹ und demnach auch in der uni- Lehrende im Verlauf ihrer Ausbildung
versitären Erwachsenenbildung eigent- gar nicht oder nicht ausreichend darauf
lich nicht zu unkontrollierbaren Gefühl- vorbereitet werden, auf komplexe und
sausbrüchen kommen dürfte, ist unserer konfliktanfällige Themen adäquat zu rea-
Erfahrung nach und den zahlreichen gieren bzw. reagieren zu können oder
Fallschilderungen in den Fragebögen zu- daß, wie Koreik (2001) beobachtet, zu-
folge unbegründet. Tatsächlich ist die Af- nehmend Defizite im »Weltwissen« der
fektbewältigung das zentrale Problem, DaF-Studierenden festzustellen sind, was
denn bekanntlich entstehen Emotionen wiederum einen adäquaten Umgang mit
eben da, wo die eigenen – unter anderem potentiellen Konfliktthemen erschwert.
kulturbezogenen – Grundwerte in Frage Wie problematisch und gleichzeitig we-
gestellt werden. So weist auch Hesse nig neu die Frage nach der Gratwande-
(2001) in seiner Beschreibung der »Ak- rung zwischen dem Aufgreifen von Kon-
tualgenese interkultureller Konflikte« ex- fliktthemen und deren Behandlung im
plizit darauf hin, daß in der »vehementen DaF-Unterricht einerseits und der Ge-
Phase« eines Konflikts jede der Parteien fahr, Probleme dadurch derart zu verstär-
bestrebt ist, der »anderen Position die ken, daß normal ausgebildete DaF-Lehr-
Verletzung eines höheren Wertes nachzu- kräfte ihnen nicht mehr gewachsen sind,
weisen« (ebd.: 155). andererseits ist, zeigt die dokumentierte
Um hier den eingangs aufgeführten Zie- und höchst interessante Diskussion nach
len des interkulturellen Ansatzes folgen einem Referat von Sabine Großkopf
und die Grenzen der eigenkulturell ge- (1987) mit dem bezeichnenden Titel »Er-
prägten Wahrnehmung erkennen und fahrungen mit interkulturellen Lernsi-
überschreiten zu können, bedarf es daher tuationen zwischen Angst, Aggression
vor allem des Wissens über die tatsächliche und Lust«. Der Diskussionsteilnehmer
und konstruierte Entstehung von Konflik- Dausendschön (ebd.: 162) wirft die Frage
ten (Konfliktgeschichte), über tatsächliche auf, inwieweit weniger gut ausgebildete
und konstruierte Konfliktzusammenhän- Lehrkräfte hinsichtlich der vorgestellten
ge, über die Konfliktparteien, die Konflikt- Unterrichtsmaterialien und -verfahren
dynamik und über praktizierte Konflikt- »Konflikte auslösen, Selbstreflexionen,
regelungen. Im Rahmen erprobter Metho- Selbstanalysen bei Kursteilnehmern und
den wie dem »fact-finding« (Jäger 1997) Kursteilnehmerinnen in Gang setzen,
oder der »Themenzentrierten Interaktion« selbst aber nicht über die therapeutischen
(Cohn 1980) kann eine inhaltliche Ausein- Erfahrungen und Möglichkeiten verfü-
andersetzung gelingen, in deren Verlauf gen, um diese dann auch aufzufangen«.
361

7. Schlußfolgerungen lich ist dabei auch kritisch zu fragen, ob


Sprachunterricht dient in erster Linie der es im Kulturvergleich nicht vielleicht
Vermittlung von Sprachkompetenz. Nun eher »typisch deutsch« ist, immer Pro-
ist es aber seit langem unbestritten, daß bleme in den Vordergrund zu rücken,
mit Sprachunterricht automatisch ein ge- oder wie es ein Fragebogenteilnehmer
wisses Maß an Kulturvermittlung einher- formulierte, »aus kleinen Problemen
geht und auch einhergehen muß. Dabei gleich eine ›Staatskrise‹ (zu machen), wo
ist bisher im wesentlichen – und dies zu in anderen Ländern viel lockerer mit um-
Recht – die Zielkultur im Fokus aller gegangen wird?« Man darf auch in die-
Überlegungen. Gleichzeitig ist jedoch of- sem Kontext die provokant formulierte
fensichtlich, daß vor dem Hintergrund Frage aufwerfen, »Soll am deutschen
einer zumeist national heterogenen Zu- pädagogischen Wesen die Welt gene-
sammensetzung in den Sprachkursen an sen?« (Klockow 1990), sollte dabei aber
deutschen Hochschulen (und dies gilt nicht übersehen, daß die fachwissen-
selbstverständlich und möglicherweise schaftliche Thematisierung von Kultur-
erst recht auch für andere Institutionen) konflikten im Unterricht nun wirklich
ganz andere kulturelle Differenzen den keine deutsche Erfindung ist.
Unterricht maßgeblich beeinflussen Die Bundesrepublik Deutschland strebt
(können). Themenorientierte Auseinan- nicht nur eine Erhöhung des Anteils aus-
dersetzungen mit auftauchenden Kon- ländischer Studierender an, sondern ist
flikten müssen verstärkt erprobt und eva- aufgrund der demographischen Ent-
luiert werden, und zwar nicht nur aus wicklung zunehmend darauf angewie-
achtungs- und akzeptanzorientierten sen, hochqualifizierte ausländische
Gründen, die dem »friedlichen Zusam- Hochschulabsolventen in die eigene Ge-
menleben der Menschen im Sinne der sellschaft zu integrieren. Dabei kann es
Charta der vereinten Nationen« (ABCD- nur von Vorteil sein, wenn diese zukünf-
Thesen 1990: 306) geschuldet sind, son- tigen Mitbürger eine Diskussionskultur
dern auch sprachfunktional und sprach- erlebt und erlernt haben, wie sie in ent-
systematisch als Übung zur Diskursfä- sprechenden gesellschaftlichen Kreisen
higkeit, in deren Verlauf Argumentati- der deutschen Gesellschaft gepflegt wird.
onslinien entwickelt werden können. Es ist also tatsächlich eine Verbesserung
Die Umfrage unter Lehrenden legt den der interkulturellen Kompetenz auf Sei-
Schluß nahe, daß der Umgang mit Kon- ten der Lehrenden wie Lernenden anzu-
flikten (vielleicht sogar schon deren streben, wobei gleichzeitig folgendes of-
Wahrnehmung) und vor allem die Bereit- fensichtlich ist:
schaft, intensiver auf sie einzugehen, bei »In Zeiten der Zertifizierung, der Portfolios
Lehrenden stark von subjektiven Einstel- und der Qualitätssicherung fehlt zur Zeit
lungen – und nicht etwa anderen Fakto- noch völlig ein Instrumentarium zur Mess-
ren wie Berufserfahrungen, Geschlecht barkeit (inter)kultureller Kompetenz.« (Fi-
oder Unterricht in national homogenen scher 2002: 94)
oder heterogenen Gruppen – abhängig Wir sind uns bewußt, daß wir letztlich
ist. Eine Konfliktbereitschaft ist dabei – mehr Fragen aufgeworfen als Antworten
uneingeschränkt oder mit gewissen Ein- gegeben haben. Dies nehmen wir aber in
schränkungen – sehr hoch. Dabei dürfen, Kauf, da wir zu wissen glauben bzw.
wie viele der Befragten auch hervorgeho- spüren, daß zumindest einige der Fragen
ben haben, die damit verbundenen Ge- tatsächlich dringend der Antwort bedür-
fahren nicht unterschätzt werden. Sicher- fen.
362

Literatur hausen, Josef; Seel, Peter C. (Hrsg.): Aspekte


»ABCD-Thesen zur Rolle der Landeskunde einer interkulturellen Didaktik. Dokumenta-
im Deutschunterricht«, Deutsch als Fremd- tion eines Werkstattgesprächs des Goethe-
sprache 2 (1990), 303–308. Instituts München vom 16.–17. Juni. Mün-
Aguado, Karin; Riemer, Claudia (Hrsg.): chen: Goethe-Institut, 1987, 134–169.
Wege und Ziele: zur Theorie, Empirie und Hansen, Margarete; Zuber, Barbara: Zwi-
Praxis des Deutschen als Fremdsprache (und schen den Kulturen: Strategien und Aktivitä-
anderer Fremdsprachen). Festschrift für Gert ten für landeskundliches Lehren und Lernen.
Henrici zum 60. Geburtstag. Baltmannswei- Berlin u. a.: Langenscheidt, 1998.
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Schoah als landeskundliche Themen im DaF- Hans-Jürgen (Hrsg.) 2001, 1230–1234.
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kulturellen Lernsituationen zwischen Schröder, Hartmut: »Tabus, interkulturelle
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363

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Tabuforschung für die Fremdsprachendi- chenland unter besonderer Berücksichtigung
daktik«. In: Knapp-Potthoff, Annelie; des interkulturellen Ansatzes. Frankfurt
Liedke, Martina (Hrsg.) 1997, 93–106. a. M.: Lang, 2001 (Werkstattreihe Deutsch
Schröder, Hartmut: »Interkulturelle Tabu- als Fremdsprache, 70).
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che«, Deutsch als Fremdsprache 35 (1998), Conflict in the multicultural classroom«,
195–198. Adult Learning 6,5 (1995), 23–24.
Schroth-Wiechert, Sigrun: Deutsch-als- (www.ualberta.ca/~german/ejournal/an-
Fremdspracheunterricht ohne Lehrwerk für derswo.htm)

Anhang

Fragebogen:
Kulturbedingte Konfliktthemen im Klassenraum (DaF-Unterricht)

Angaben zur Lehrperson:


s weiblich DaF-Unterrichtspraxis seit ______ Jahr(en)
s männlich

DaF-Unterrichtspraxis
s an der Hochschule:
s außerhalb der Hochschule:
s bei der VHS
s sonstigen freien Kursanbietern, nämlich _______________________________________
im Ausland s nein s ja
Wenn ja: in _________________ für _________ Monat(e)
_________________ für _________ Monat(e)
_________________ für _________ Monat(e)
Haben Sie auch national homogene Gruppen unterrichtet?
Wenn ja, welche? __________________________________
Bitte kennzeichnen Sie bei den folgenden Fragen, wenn es sich um Erfahrungen in
national/kulturell homogenen Gruppen handelte.
1. In den von mir geleiteten DaF-Kursen tauch(t)en Konflikte auf, von denen ich meine,
daß sie auf kulturelle Unterschiede zurückzuführen sind.
nie sehr selten selten mir nicht bewußt gelegentlich häufig sehr häufig
* bitte ankreuzen
Wenn kulturbedingte Konflikte auftauch(t)en, betrafen sie:
s Studierende und mich s Studierende und andere Kursteilnehmer s alle im Kurs
Solche Konflikte beruhten auf folgenden Anlässen bzw. Themen:
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
bitte ggf. die Rückseite nutzen
364

Wenn Sie selbst (mit) betroffen waren, warum?


___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
bitte ggf. die Rückseite nutzen
2. Sollten im DaF-Unterricht gezielt Themen behandelt werden, die auch zu einer
konfliktreichen Diskussion führen könnten?
auf keinen Fall möglichst selten wenn es sich so ergibt gelegentlich möglichst oft

Warum haben Sie so entschieden?


___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
bitte ggf. die Rückseite nutzen
3. Kann sich Ihrer Meinung nach durch die Behandlung von Konfliktthemen im DaF-
Unterricht etwas ändern? s ja s nein
Wenn ja, was?
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
bitte ggf. die Rückseite nutzen
4. Gibt es Themen, die Sie im DaF-Unterricht gezielt zu vermeiden versuchen?
Wenn ja, welche und warum? (z. B. politische, religiöse, Sexualität u. a.)
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
bitte ggf. die Rückseite nutzen
365

Kulturökologische Überlegungen zum Fach


Deutsch als Fremdsprache

Nilgün Yüce

Wir leben in einer Übergangszeit, in der Entwicklung‹, ›Stärkung der Partner-


das kartesianisch-Newtonsche Weltbild schaft‹ und ›Mittel zur Umsetzung‹ zu-
stetig an Überzeugungskraft verliert. Die sammen. Den Bereichen ›Internationale
Einsicht, daß der Glaube an Fortschritt Zusammenarbeit‹, ›Erziehung, Ausbil-
und Wirtschaftswachstum ohne Berück- dung und Sensibilisierung‹ sowie ›Wis-
sichtigung der globalen, ökologischen Fol- senschaft und nachhaltige Entwicklung‹
gen weder von den bisherigen führenden wurde dabei ein wichtiger Platz einge-
Industrienationen noch von den aufstre- räumt. Hier liegt auch der Berührungs-
benden neuen Wirtschaftsmächten hin- punkt zur Ausbildung im Bereich Fremd-
sichtlich der Zukunft unseres Planeten zu sprachendidaktik.
verantworten ist, wird von immer mehr Welche Aufgaben fallen in der Sorge um
Menschen geteilt. Zugleich sind wir noch eine gemeinsame Zukunft der Fremdspra-
nicht so weit, daß ein neues Weltbild – chenausbildung zu – und in diesem Falle
man könnte es das ökologische nennen – speziell dem Fach Deutsch als Fremdspra-
auf breiter Ebene einhellig akzeptiert wer- che? In einem Europa, das durch den
den kann. Umweltkatastrophen, Überbe- Vereinigungsprozeß immer stärker zu-
völkerung der Welt, knapper werdende sammenwächst, haben Sprachen wie Eng-
Ressourcen, sensibler werdende welt- lisch, Französisch und Deutsch große Be-
weite Interdependenzen in Wirtschaft und deutung im Sinne einer interkulturellen
Politik sowie zusätzlich eine durch die Kompetenz der europäischen Bürger. In
Entwicklung der Informationssysteme Ländern außerhalb Europas aber, vor al-
immer enger zusammenrückende Welt lem in den Ländern der heute sogenann-
stellen die Menschheit vor ganz neue und ten Dritten Welt sowie den Schwellenlän-
akute Herausforderungen. dern, etablierten sie sich ursprünglich im
Im Anschluß an den Erdgipfel in Rio im Zuge der Kolonialisierung in den einzel-
Jahre 1992 wurde ein weltweiter Aktions- nen Bildungssystemen. Heute sind es
plan zur Lösung der schwierigsten Pro- mehr die Aspekte der internationalen Be-
bleme, vor denen die Weltgemeinschaft ziehungen, und damit auch der internatio-
steht, verabschiedet: die Agenda 21 (vgl. nalen Kooperation und Kommunikation,
Center for our Common Future 1993). Der die vor dem Hintergrund der wirtschaftli-
Aktionsplan faßt die vereinbarten chen Machtgefälle ausschlaggebend dafür
Schritte in den vier Gruppen ›Sozial- und sind, daß bestimmte Fremdsprachen in
Wirtschaftsfragen‹, ›Erhaltung und Be- solchen Ländern auf breiter Ebene gelehrt
wirtschaftung von Ressourcen für die und gelernt werden1.

1 So hat Deutsch als Fremdsprache vor allem in den Transformationsländern in Mittel-


und Osteuropa seit der Wende Ende der 80er Jahre einen dominierenden Stellenwert
eingenommen, da die BRD für diese Länder der wichtigste Wirtschaftspartner und
zugleich ein starker europäischer Partner ist.

Info DaF 30, 4 (2003), 365–374


366

Es stellt sich angesichts der oben geschil- modifiziert werden kann (vgl. Yüce
derten globalen Entwicklungen zuneh- 2003).
mend die Frage, ob das Studium einer Es kommen noch andere, die Zukunft der
Sprache – in diesem Falle des Deutschen Studierenden betreffende Probleme
als Fremdsprache – nicht mehr bedeuten hinzu, z. B. die Frage, inwieweit ein Stu-
kann, als das Ziel, später mit mutter- dium tatsächlich hilft, in ein angemesse-
sprachlichen Vertretern des jeweiligen nes Beschäftigungsverhältnis einzumün-
Ursprungslandes adäquat und korrekt zu den. Oftmals müssen sich Studierende
kommunizieren (und dadurch die Zu- geisteswissenschaftlicher Fächer von
sammenarbeit zu erleichtern) bzw. an- vornherein im Klaren darüber sein, daß
dere in dieser Sprache unterrichten zu die Arbeitsmöglichkeiten für Absolven-
können. Natürlich kann der Fremdspra- ten sehr knapp bemessen sind und daß
chenunterricht als Raum und Medium sie eventuell mit einer ganz anderen Tä-
genutzt werden, um einen Austausch zu tigkeit als der bei Studienbeginn ange-
den oben genannten Themen anzuregen. strebten ihr Brot verdienen müssen. Eine
Inwiefern kann aber das Lehren und Ler- Lösung der prekären Arbeitsmarktsitua-
nen des Deutschen als Fremdsprache tion kann das Studium selbst nicht er-
auch einen Beitrag leisten zur Sensibili- möglichen. Der angemessene Umgang
sierung für den jeweiligen kulturellen mit dieser Situation muß oftmals der
Standort inmitten des globalen, ökologi- Kreativität und Findigkeit der Absolven-
schen Netzes, im physischen wie auch ten überlassen bleiben. Was die Ausbil-
geistigen Sinne (vgl. Bateson 1994; Capra dung aber beinhalten kann, ist die Mög-
1996a; Finke 1995)? lichkeit, sich der augenblicklichen und in
Zukunft zu erwartenden Arbeitssituation
Jeder einzelne Punkt innerhalb dieses schon während des Studiums auf kon-
ökologischen Netzes erlaubt eine ganz struktive Weise gegenwärtig zu sein und
bestimmte Perspektive auf die Gesamt- zugleich ein Gefühl für den eigenen
heit des Lebens – und damit auch ganz Standort, mit den persönlichen Fähigkei-
einzigartige Erkenntnisse und Beiträge ten und Neigungen, innerhalb des ökolo-
für alle anderen Kulturen. Ich möchte im gischen Netzes (vgl. Finke 1995) des ge-
folgenden versuchen, einen Weg zu skiz- samten internationalen Beziehungsge-
zieren, wie Lehrende und Lernende je- flechtes zu bekommen.
weils vor dem Hintergrund ihrer eigenen Eine Ausbildung, welche sowohl die
Herkunftskultur Blicke aus dieser spezi- Kenntnis der Kulturbeziehungen als
ellen Perspektive auf das ökologische auch des studierten Faches inmitten der
Netz, dessen Bestandteil und Beobachter Fülle von Beziehungen und Verknüpfun-
wir alle zugleich sind, werfen können, gen kultureller Gegebenheiten beinhal-
um dadurch einen bestimmten Aus- tet, kann vielleicht keine berufliche Zu-
schnitt der sehr komplexen Realität ge- kunftsperspektive oder einen Arbeits-
nauer zu betrachten. Meine Überlegun- platz ersetzen bzw. in Aussicht stellen.
gen basieren auf einem didaktischen Aber dieser Versuch könnte beizeiten ein
Konzept, einem experimentellen Semi- Bewußtsein dafür schaffen, ob die jewei-
nar, das ich im Rahmen meiner Disserta- lige Person inmitten einer komplexen
tion für den Bereich der deutsch-türki- Realität mit allen Anforderungen bereit
schen Kulturbeziehungen erarbeitet habe ist, sich aus der Perspektive der Sprache
und vorstelle, das aber für die jeweiligen und Kultur mit dem Leben zu beschäfti-
Herkunftskulturen von Studierenden gen, in dem Wissen, daß die Ausbildung
367

selbst – hier im Kern die Beschäftigung mand ist in der Lage zu beschreiben,
mit der deutschen Sprache – nur eine was Kulturkunde, Landes-/Länderkun-
Phase der Vorbereitung auf die Suche de, German Studies, civilisation alles
nach dem eigenen Berufsweg ist. Dies gilt umfassen« (Ehnert/Schröder 1990: 226).
auch dann, wenn konkrete Vorstellungen So erscheint es naheliegend, auch The-
bereits existieren, da deren Erreichen men wie internationale Kulturbeziehun-
ebenfalls nicht immer gewährleistet ist. gen und Kooperation, bezogen auf den
Es sollte aber keineswegs nur intendiert fremdsprachlichen Unterricht, im Be-
werden, Studierende auf den Arbeits- reich ›Landeskunde‹ anzusiedeln. Wäh-
markt vorzubereiten. Vielmehr soll eine rend laut Rolf Ehnert als Bezugswissen-
Sensibilisierung dieser Art dazu dienen, schaften »auf jeden Fall die Kulturan-
das Beziehungsgeflecht um das spezielle thropologie, Politik, Sozial-, Rechts- und
Studium herum sowie eine erweiterte Wirtschaftswissenschaften, Geschichte,
Perspektive der Bedeutung einer Be- Kunstgeschichte, Geographie« (Ehnert/
schäftigung mit Sprache und Kultur Schröder 1990: 226) zur allgemeinen
wahrzunehmen. Am geeignetsten Landeskunde dazugehören, ist die Be-
scheint hierfür der Schwerpunkt ›Lan- schäftigung mit der noch jungen wissen-
deskunde‹ innerhalb des Deutschen als schaftlichen Disziplin der Kulturökolo-
Fremdsprache als Lehr- und Lernfor- gie als potentielle neue Bezugswissen-
schungsbereich, da er die Vermittlung schaft bislang noch nicht reflektiert wor-
von Kontextwissen durch das Medium den. In den folgenden Ausführungen
Sprache impliziert. Auch aus einem wei- lege ich den erweiterten Kulturbegriff
teren Grund ist der landeskundliche zugrunde, demzufolge mit Mühlmann
Schwerpunkt bedeutsam: Immer wieder (1972: 479) Kultur als »die Gesamtheit
wird das Fach Deutsch als Fremdsprache der typischen Lebensformen einer Be-
vor einen Rechtfertigungszwang gestellt, völkerung, schließlich der sie tragenden
vor allem in Zeiten der Finanzknappheit Geistesverfassung, insbesondere der
und aufgrund divergierender Ansichten Werteinstellungen« verstanden werden
darüber, wie diese Ausbildung im Kon- kann. Bei der Ökologie handelt es sich
trast zu den traditionellen Fächern Ger- um eine naturwissenschaftliche Diszi-
manistik und Deutsch für das Lehramt plin, die sich »mit den vielfältigen Bezie-
einzuordnen sei.1 hungen der Lebewesen untereinander
Allerdings ist der Versuch nicht unpro- und zu ihrer unbelebten Umwelt« be-
blematisch, zumal es bereits seit über schäftigt (vgl. Bargatzky 1986: 14), die
100 Jahren eine heftige Debatte und Kulturökologie aber bezieht »den Men-
zahlreiche divergierende Meinungen schen in die Erörterung mit ein und
über Inhalte und Erscheinungsformen interessiert sich für die besonderen Aus-
des Landeskundeunterrichts gibt. »Nie- prägungen dieser Beziehungsnetze als

1 So heißt es beispielsweise im DAAD Studienführer, Germanistik in Deutschland (1992: 75),


daß Deutsch als Fremdsprache eine Disziplin sei, »die bei der wissenschaftlichen
Fortbildung ausländischer Germanistikstudentinnen und -studenten tätig wurde«. Dies
mag zwar in der Anfangsphase des Faches an einzelnen Studienorten so gewesen sein,
aber tatsächlich existierten 1993 grundständige Magisterstudiengänge im Fach Deutsch
als Fremdsprache an 18 deutschen Hochschulen und von weiteren 15 Hochschulen
wurden Zusatzstudiengänge mit eigenem geprüften Abschluß angeboten (vgl. Henrici/
Koreik 1994 und Koreik 1995: 11).
368

Folge ihrer Gestaltung durch die Deutsch als Fremdsprache zu spiegeln.


menschlichen kulturellen Leistungen« An derselben Stelle wird dies deutlich
(vgl. Bargatzky 1986: 14). zur Sprache gebracht:
Es erscheint von besonderem Interesse, »Diese Vielfalt beeinflußt die Benennung
die kulturökologische Perspektive mit der Disziplin bzw. der Komponente, die für
landeskundlichen Gesichtspunkten zu die landeskundliche Unterrichtung verant-
verbinden, denn der Fremdsprachenun- wortlich zeichnet; man spricht von Landes-
kunde, Deutschlandkunde, Deutschland-
terricht bedeutet für die Lerner eine Form studien, German Studies, civilisation, Kul-
der Begegnung mit einer fremden Kultur, turkunde, Regional- und Länderwissen-
die sich in der Sprache ausdrückt. Neben schaften, transnationaler Kulturkunde.«
den Lehrmaterialien, die Lehrende dabei (Ehnert/Wazel 1994: 273)
verwenden, ist der konkrete Unterricht Die Lehrziele und die Auswahl der The-
für die Lerner oftmals die einzige Quelle, men innerhalb der Landeskunde richten
über die sie sich Kenntnisse über das sich nach zielgruppenspezifischen Be-
Land bzw. die Länder der Zielsprache dürfnissen bezüglich der späteren Praxis,
sowie die Menschen, die jene als Mutter- für die Fremdsprachenkenntnisse erfor-
sprache sprechen, aneignen können. Da- derlich sind.
her ist die landeskundliche Komponente
»Um die Verwirrung noch größer zu ma-
im Fremdsprachenunterricht ein wichti- chen, versteht man darunter entweder ein
ger und äußerst komplexer Bereich (vgl. spezifisches Forschungs- und Lehrgebiet,
Ehnert 1989 und 1994; Ehnert/Schröder das vor allem im Stundenplan von Fremd-
1994). Die Komplexität wird zusätzlich sprachenphilologen zu finden ist, meistens
dadurch verstärkt, daß es sich im Grunde jedoch eine bzw. die inhaltliche Kompo-
nente eines jeden Fremdsprachenunter-
um eine »Dreiländerkunde« (vgl. Eh- richts, die auch verschieden benannt wird:
nert/Wazel 1994: 275) – und zwar um die landeskundliches Prinzip, implizite,
der drei deutschsprachigen Länder – sprachbezogene, sprachlich orientierte Lan-
handelt. Die Aufgabe des Lehrenden, die deskunde, Glottopragmatik etc.« (Ehnert/
Vielschichtigkeit des kulturellen Kontex- Wazel 1994: 273)
tes der Zielsprache unter besonderer Be- Bezogen auf das »Profil eines idealen (!)
rücksichtigung der speziellen Bedürfnis- Fremdsprachenlehrers« führt Rolf Ehnert
se und Interessen der Lernergruppe in aus:
den Unterricht zu integrieren, macht es »Man könnte meinen, daß das Wissen im
Rolf Ehnert und Gerhard Wazel zufolge Mittelpunkt steht. Es betrifft die klassischen
(1994: 273) erforderlich, Wissensgebiete, die durch die Ausbildung
vermittelt werden: vor allem das Wissen
»daß Erkenntnisse aus einer nahezu un- über die Struktur und den Gebrauch der
übersehbaren Fülle von Wissenschaften als betreffenden Sprache und der sich in ihr
Bezugsquellen für die Lehre heranzuziehen äußernden Kultur und Wissen, das eine
sind, angefangen von der Geographie, der Reihe von Zubringerwissenschaften an die
Soziologie, der Geschichte, Anthropologie/ Hand geben, wie die Pädagogik, Psycholo-
Ethnologie, der Ökonomie, der politischen gie, die Sozialwissenschaften, Geschichte,
und der Kulturgeschichte, der Textlingui- Literaturwissenschaft und -geschichte,
stik bis hin zur Fremdsprachenlehr- und Kunstgeschichte, überhaupt Kulturge-
-lernforschung, um nur die wichtigsten zu schichte, aber auch die Biologie und Medi-
nennen«. zin (Neurophysiologie), Medien- und Test-
wissenschaft, Lehrmaterialforschung. Na-
Die Pluralität der Bezugsquellen scheint türlich ist auch Wissen über die Fremdspra-
sich auch in den Bezeichnungen für die- chendidaktik und -methodik unabdingbar
sen spezifischen Schwerpunkt im Fach […].« (Ehnert 2002: 11)
369

In allen wissenschaftlichen Disziplinen Beziehung stehen, nicht im Gesamtzu-


geht es unzweifelhaft vornehmlich um sammenhang überschauen können –
das Erfassen und Begreifen, das Erfor- oder nur, soweit das jeweilige (geistige)
schen und Verstehen von Phänomenen, Auge reicht. Dennoch ist die Möglich-
die in ihrer Komplexität unter den einen keit vorhanden, diesen ›toten Punkt‹
gemeinsamen Begriff ›Leben‹ gefaßt durch Überlagerung der Wahrnehmun-
werden können. Im Fach Deutsch als gen und Erfahrungen zumindest sche-
Fremdsprache ist es nicht anders, nur menhaft zu umreißen. Dies wird in der
daß hierbei versucht wird, anhand der Fremdsprachendidaktik durch Landes-
Beschäftigung mit der Sprache und al- kundevermittlung versucht und im Ide-
lem, was sich durch sie ausdrücken und alfall erreicht – man umschreibt es mit
verstehen läßt, ›das Leben‹ in einzelnen dem Begriff interkulturelle Kompetenz.
Facetten und Momentaufnahmen fest- Durch das ›Ertasten‹ und Verdeutlichen
zuhalten und näher zu betrachten. In der Unterschiede werden die jeweiligen
diesem Fall ist es die Beschäftigung mit Eigenheiten der Kulturen und die Grün-
der deutschen Sprache, wodurch natür- de für sprachliche und kulturelle Inter-
lich der Bezug zu den deutschsprachi- ferenzen deutlicher. Dennoch werden
gen Ländern und ihren kulturellen Be- die globale Perspektive und das Zusam-
sonderheiten gegeben ist. Letztlich geht menwirken natürlicher und kultureller
es auch darum, durch den Erwerb spezi- Systeme – die nicht voneinander ge-
eller Kenntnisse und Fertigkeiten einen
trennt werden können– nicht immer
eigenen produktiven Beitrag zu der Ge-
greifbar. Eine Veranstaltung, die sich ge-
samtheit des Lebens zu leisten. Die inne-
nau dieser Thematik annimmt und als
ren Welten von interagierenden, spre-
Methode der Betrachtung kultureller
chenden, denkenden und schreibenden
Entwicklungen einen ökologischen Fil-
Menschen spielen hierbei mindestens
ter verwendet, könnte ›Kulturökologi-
eine ebenso große Rolle wie die kultu-
rellen Erscheinungen in der äußeren sche Deutschlandstudien‹ genannt wer-
Welt. So, wie es in der Natur zu beob- den (vgl. Yüce 2003). Mit ›kulturökolo-
achten ist, wenn man aufmerksam ge- gisch‹ ist somit eine ökologische Be-
nug ist, gibt es auch in der Kultur be- trachtung kultureller Phänomene ge-
stimmte Beziehungsmuster und -ge- meint. Sie bietet durch »den wissen-
flechte (vgl. Finke 1996 und 1997). schaftlichen Versuch, Konzepte und
Während wir als Philologen bzw. Denkmethoden der Ökologie in behut-
Fremdsprachendidaktiker bemüht sind, samer und sachangemessener Form auf
diese aus einer spezifischen Perspektive die Beschreibung und Erklärung kultu-
– aus einer bestimmten Warte innerhalb reller Phänomene und Systeme zu über-
eines geistigen Netzwerks – zu beobach- tragen« (Finke 1995: 2), die Chance zu
ten und zu verstehen, darf nicht verges- neuen Erkenntnissen und Assoziations-
sen werden, daß unser Blick zumeist räumen im Umgang mit landes- und
eingeschränkt ist, da es durch die Tatsa- kulturkundlichem Kontextwissen.
che, daß wir zugleich ein Teil dieses Durch die Möglichkeit, ökologisches,
geistigen Netzwerkes sind, einen ›toten vernetztes Denken im Bereich der Kul-
Punkt‹ in der Wahrnehmung gibt: Es ist tur – und damit auch der Kulturbezie-
gleichsam unmöglich, den ganzen Hori- hungen – anzuwenden, erlaubt die Kul-
zont zu überblicken, da wir immer den turökologie ein vertieftes, interkulturel-
Teil, mit dem wir selbst sehr eng in les Lernen und dadurch interkulturelle
370

Kompetenz, ein erklärtes Ziel des systems thinking. It is based on the funda-
Fremdsprachenunterrichts1. mental shift of perception the world as a
machine to the world as living system. This
In anderen Worten: Sie ermöglicht eine
shift concerns our perception of nature, of
größere ›Durchlässigkeit‹ im geistigen the human organism, and of society.«
Ökosystem, da sie Kultur auf eine neue (Capra 1996b: 6)
und umfassendere Art zu betrachten
hilft. Die kulturökologische Vorgehens- Fritjof Capra erläutert, daß ›ökologisch
weise sollte hierbei mit der Methode der alphabetisiert‹ zu sein bedeutet, die Prin-
ecoliteracy (die wörtliche Übersetzung zipien der Ökologie sowie das System-
dieses Begriffes lautet ›Ökoalphabetisie- denken zu kennen und zu verstehen. Es
rung‹, freier könnte man ihn mit ›Öko- ist ihm wichtig, diese Prinzipien in allen
pädagogik‹ wiedergeben) verknüpft Bereichen des Lebens wirksam werden
werden. Bei dieser handelt es sich um zu lassen, nicht nur im Bereich der Natur.
den Versuch, ökologisches, systemisches Dieser Ansatz stellt eine grundlegende
Denken zu vermitteln. Wie in der Kultu- Gemeinsamkeit zwischen ecoliteracy und
rökologie werden dabei ökologische Be- Kulturökologie dar, da es auch bei der
griffe in erweiterter Form auch auf kultu- Kulturökologie darum geht, eine ökolo-
relle Zusammenhänge und Erscheinun- gische Denk- und Sichtweise nicht nur
gen angewandt. Im Center for Ecoliteracy auf naturwissenschaftliche Zusammen-
in Berkeley/Kalifornien (dem früheren hänge zu beschränken, sondern auf den
Elmwood Institute) wird daran gearbeitet, gesamten Bereich der Kultur – und damit
diese Methode in Theorie und Praxis zu auch der Alltagskultur – zu erweitern.
erproben und weiter zu entwickeln. Der Das Systemdenken, das hierbei Hilfestel-
Begründer Fritjof Capra sieht die lung leisten soll, faßt Fritjof Capra folgen-
Hauptherausforderung unseres Zeital- dermaßen zusammen:
ters in der Schaffung und Erhaltung ein- »Systems thinking involves shifting our at-
ander bedingender und unterstützender tention from the parts to the whole, from
menschlicher Gemeinschaften, die er als objects to relationships, from structures to
grundlegende Lebensmuster erachtet, processes, from hierarchies to networks. It
welche ihre Vorbilder in den Gesetzen also includes shifts of emphasis from the
rational to the intuitive, from analysis to
der Natur und den acht Prinzipien einan-
synthesis, from linear to nonlinear think-
der unterstützender lebendiger Systeme ing.« (Capra 1996b: 6)
haben und mit deren Hilfe wir ein Bild
unserer Zukunft entwerfen können (Ca- Ökologie sollte seiner Ansicht nach nicht
pra 1996b: 4–10; vgl. auch Redfield/Adri- nur ein Studienbereich sein, sondern zu
enne 1995: 299–304). einer Lebensweise werden, die in be-
stimmten Werten verwurzelt ist. Diese
»We need a new way of seeing the world
and a new way of thinking – thinking in könnte man als ökologische Werte be-
terms of relationships, connectedness, con- zeichnen, da sie sich direkt von den Prin-
text. We may call this ecological thinking or zipien der Ökologie ableiten.

1 Dieter Buttjes (1989: 117) schreibt bezogen auf Landeskunde im Fremdsprachenunter-


richt: »Interkulturelles Lernen bedeutet nicht nur, einen Prozeß interkultureller Entwick-
lungsstufen zu durchlaufen. Interkulturelle Kompetenz bedeutet auch, eine Handlung
und Wissen integrierende Identität auszubilden. In ihrer allgemeinsten Bestimmung
bedeutet interkulturelle Erziehung die Vermittlung der Pluralität von Denkerfahrungen
und der Historizität kultureller Erscheinungen (Borrelli 1986).«
371

»They are values like cooperation, conser- einander verbunden und arbeiten zu-
vation, quality, and partnership.« (vgl. sammen, um das Lernen zu ermöglichen
Capra 1996b: 7) bzw. zu erleichtern.
Bezogen auf ein experimentelles Semi-
narkonzept für Studierende des Faches 2. Nachhaltigkeit
Deutsch als Fremdsprache würde dies Lehrende sind sich der Langzeitwirkung,
bedeuten, daß eine solche Denkweise die sie auf Lernende haben, bewußt. Die
und solche Werte in einem Studium, das begrenzte Menge an Wissen und Erfah-
sich der Sprache und Kultur eines Landes rungen, die Lehrende in der Zeit, die
widmet, zumindest ein einziges Mal vor- ihnen mit den Lernenden zur Verfügung
kommen sollten – wobei diese Thematik steht, vermitteln können, bildet eine gei-
auch die bilateralen Kulturbeziehungen stige Ressource, auf welche die Lernen-
aus landeskundlicher Doppelperspektive den langfristig in der Zukunft zurück-
miteinschließt. Im Elmwood Institute bzw. greifen können. Zugleich bildet dieses
dem Center for Ecoliteracy wird ›ökologi- bestimmte Wissen die geistige Basis für
sche Alphabetisierung‹ aus drei Aspek- den Erwerb weiteren Wissens und für die
ten bestehend verstanden: Entwicklung von neuen Gedanken und
a) Kenntnis der Prinzipien der Ökologie Ideen. Da neue Gedanken und Ideen von
b)Systemdenken entscheidender Bedeutung für Problem-
c) Praxis ökologischer Werte lösungen und innovative Prozesse inner-
Es wird dort versucht, mit Hilfe der halb der Gemeinschaft sein können, ist es
Kenntnis und Anwendung der oben be- sehr wichtig, daß Lehrende ihr Wissen in
schriebenen Aspekte eine Reform in der diesem Bewußtsein vermitteln.
Auffassung und Praxis von Bildung und
Erziehung zu bewirken. 3. Ökologische Zirkel
»The Ecoliteracy Project (›Ecoliteracy‹)
Jeder ist Lehrender und Lernender zu-
combines the principles and values of ecol- gleich. Durch das Verarbeiten dessen,
ogy with pedagogical concepts and prac- was Menschen lernen, kommen sie in die
tices to develop a unique, integrated strat- Lage, ihr Wissen weiterzugeben, zu leh-
egy for educational reform. Fundamental ren. Dieser Prozeß wird nie abgeschlos-
to this strategy is the participation of all
sen, sondern erneuert sich ständig. Leh-
stakeholders in its success – teachers, ad-
ministrators, parents, students, and com- rende können dies Lernenden vermitteln,
munity members. In the resulting learning indem sie ihnen Freiräume für eigene
community, the principles of ecology are Ideen und eigenverantwortliche Projekte
reflected as principles of education.« einräumen. Durch eigene, aktive Erfah-
(Capra 1996b: 8) rung erwerben sie authentisches Wissen,
Die Prinzipien der Ökologie und ihre das sie ebenfalls authentisch weitergeben
Bedeutung, auch für den tertiären Bil- können. In diesem Fall lernen Lehrende
dungsbereich, lassen sich sinngemäß fol- auch von jenen, die sie unterrichten. Es ist
gendermaßen zusammenfassen: ein sich stets erneuernder, wachsender
Kreislauf des Wissens.
1. Wechselseitige Abhängigkeit
In einer Lerngemeinschaft sind Leh- 4. Energiefluß
rende, Lernende, Administratoren, El- Lehr- und Lerngemeinschaften sind of-
tern, Wirtschaftszweige und Gemeinde- fene Gemeinschaften mit fluktuierender
mitglieder durch ein Netzwerk von per- Population, wobei jeder innerhalb des
sönlichen und Arbeitsbeziehungen mit- Systems seine eigene Nische findet.
372

Durch die in der jeweiligen Nische er- rer Mitglieder bewußt ist, wird die Vielfalt
möglichten Erfahrungen, durch erforder- alle Beziehungen bereichern und damit die
liche Kenntnisse und Fähigkeiten, kön- Gemeinschaft als Ganzes ebenso wie jedes
einzelne Mitglied bereichern. In einer der-
nen Mitglieder einer Gemeinschaft ande- artigen Gemeinschaft fließen Informationen
ren Mitgliedern wichtige Informationen frei durch das gesamte Netzwerk, und die
sowie Sichtweisen und Ideen zukommen Vielfalt der Interpretationen und der Lern-
lassen, durch die immer wieder neue stile – sogar die Vielfalt der Fehler – wird
Problemlösungen gefunden werden kön- die gesamte Gemeinschaft bereichern.« (Ca-
pra 1996a: 350 ff.)
nen, so daß das System der Gemeinschaft
ständig mit physischer und psychischer
Energie versorgt wird, um sich immer 8. Koevolution
wieder erneuern bzw. am Leben erhalten Durch zunehmende partnerschaftliche
zu können. Zusammenarbeit von Geschäfts- und Ge-
meindegruppierungen sowie Eltern und
5. Partnerschaft Schulen werden sich alle Beteiligten ge-
Alle Mitglieder einer Lehr- und Lernge- meinsam und zeitgleich entwickeln (ko-
meinschaft arbeiten zusammen. Dies be- evolvieren). Durch eine Haltung, die an-
deutet Demokratie und Stärkung des dere Mitglieder als Partner innerhalb der
Einzelnen, da jedes Mitglied eine Rolle Gemeinschaft respektiert, wird ein freie-
von großer Wichtigkeit für den Fortbe- res Fließen psychischer Energie in Form
stand der Gemeinde innehat. von schöpferischen Ideen, Erkenntnissen
und Einsichten ermöglicht, was wie-
6. Flexibilität derum das geistige Netzwerk der Bezie-
Es existieren dynamisch fließende Verän- hungen stärkt und das individuelle
derungen. Der tägliche Terminkalender Wachstum jedes einzelnen fördert. Damit
ist flexibel, jedesmal wenn eine Ände- wächst auch zeitgleich die gesamte Ge-
rung im Programm erforderlich ist, wird meinschaft. Die Kenntnis dieser Prinzi-
ein neues, dem Lernen förderliches Um- pien der Ökologie ist u. a. für Studierende
feld dafür geschaffen. des Faches Deutsch als Fremdsprache
deshalb von Bedeutung, da sie zumeist
7. Vielfalt ebenfalls eine Lehrtätigkeit ergreifen
Lernende werden ermutigt, vielfältige bzw. anstreben, oder aber in einem
Lernmethoden und -strategien auszupro- Dienstleistungsbereich arbeiten, in dem
bieren. Unterschiedliche Lernstile sind nicht nur Deutschkenntnisse und fachli-
bereichernd für die Lernsituationen. Kul- che Kompetenz, sondern auch Sinn für
turelle Vielfalt ist außerordentlich wich- Gemeinschaft und kooperativer Umgang
tig für eine wahre Gemeinschaft. Capra mit Kollegen und Partnern (man denke
stellt fest: auch an die Schlagwörter ›emotionale
und soziale Kompetenz‹) sehr wichtig
»Allerdings ist Vielfalt nur dann ein strate- sind. Dabei sind sie jeweils Mitglieder
gischer Vorteil, wenn es sich um eine wahr-
haft dynamische Gemeinschaft handelt, die spezifischer Gemeinschaften, so daß ih-
durch ein Netz von Beziehungen aufrecht- nen Kenntnisse über lebendige Systeme
erhalten wird. Wenn die Gemeinschaft in und deren Besonderheiten von großem
isolierte Gruppen und Individuen zersplit- Nutzen, zumindest aber nicht von Scha-
tert ist, kann aus der Vielfalt leicht eine den sein können.
Quelle von Vorurteilen und Reibungen
werden. Aber wenn sich die Gemeinschaft Es kommt bei einem solchen experimen-
der wechselseitigen Abhängigkeit aller ih- tellen Seminar nicht darauf an, fertige
373

Anleitungen zur Erfassung der Realität Hüllen, Werner; Krumm, Hans-Jürgen


zu liefern, sondern einen neuen Weg zu (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunter-
skizzieren, der jeden einzelnen dazu er- richt. Tübingen: Francke, 1989, 112–118.
mutigt und darauf neugierig macht, die- Capra, Fritjof: Lebensnetz. Ein neues Ver-
ständnis der lebendigen Welt. Bern u. a.:
sen Weg auch eigenverantwortlich zu Scherz, 1996a.
erkunden – und dabei mehr über die Capra, Fritjof: »What is Ecological Liter-
eigenen Möglichkeiten, Perspektiven acy?« In: Center for Ecoliteracy 1996b, 4–
und Wünsche zu erfahren, und zwar 10.
inmitten aller kulturellen Stränge, die Center for Ecoliteracy: Guide to Ecoliteracy. A
das Muster des geistigen Netzwerkes new Context for School Restructuring. Ber-
der jeweils persönlichen Realität bilden, keley: Center for Ecoliteracy, 1996b.
das wahrzunehmen er aus seiner spezi- Center for our Common Future: Agenda für
eine nachhaltige Entwicklung. Eine allge-
ellen individuellen Warte aus imstande mein verständliche Fassung der Agenda 21
ist. und der anderen Abkommen von Rio. Genf:
Über das Wie werden die Erfahrungen Center for our Common Future, 1993.
aus einem ersten durchgeführten Semi- DAAD (Hrsg.): DAAD Studienführer, Germa-
nar dieser Art Aufschluß geben können. nistik in Deutschland. Bonn: DAAD, 1992.
Es ist als eine erste ›Reise‹ in ein Neu- Ehnert, Rolf (Hrsg.): Einführung in das Stu-
dium des Faches Deutsch als Fremdsprache.
land gedacht, wobei auf dieser ›Reise‹
Frankfurt/Main u. a.: Lang, 1989.
tatsächlich jeder einzelne Lehrender Ehnert, Rolf: »Deutsch als Fremdsprache –
und Lernender zugleich ist und es nicht Gestalt des Faches und seine möglichen
von Anfang an klar ist, welcher geistige Beziehungen zur ›Auslandsgermani-
Horizont diese kleine Lerngemeinschaft stik‹«. In: Henrici, Gert; Koreik, Uwe
erwartet – daher auch der Zusatz ›expe- (Hrsg.): Deutsch als Fremdsprache. Wo
rimentell‹. Hier konnte nur versucht warst Du, wo bist Du, wohin gehst Du? Zwei
Jahrzehnte der Debatte über die Konstituie-
werden, gleichsam den Weg bis zum rung des Fachs Deutsch als Fremdsprache.
Antritt dieser ›Reise‹ und die Notwen- Baltmannsweiler: Schneider Verlag Ho-
digkeit, sie überhaupt anzutreten, zu be- hengehren, 1994, 139–145.
leuchten. Ehnert, Rolf: »Einige Gedanken zur Lehrer-
ausbildung für das Fach Deutsch als
Fremdsprache«, Mitteilungsblatt des fmf
Literatur Westfalen-Lippe 20,1 (2002), 7–12.
Bargatzky, Thomas: Einführung in die Kul- Ehnert, Rolf; Schröder, Hartmut (Hrsg.):
turökologie. Umwelt, Kultur und Gesell- Das Fach Deutsch als Fremdsprache in den
schaft. Berlin: Reimer, 1986. deutschsprachigen Ländern. Frankfurt/
Bateson, Gregory: Ökologie des Geistes. An- Main u. a.: Lang, 1990 (Werkstattreihe
thropologische, psychologische, biologische Deutsch als Fremdsprache, 26).
und epistemologische Perspektiven. 5. Auf- Ehnert, Rolf; Schröder, Hartmut (Hrsg.):
lage. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1994. Das Fach Deutsch als Fremdsprache in den
Bausch, Karl-Richard; Christ, Herbert; Hül- deutschsprachigen Ländern. 2., korrigierte
len, Werner; Krumm, Hans-Jürgen Auflage. Frankfurt/Main u. a.: Lang,
(Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunter- 1994 (Werkstattreihe Deutsch als Fremd-
richt. Tübingen: Francke, 1989. sprache, 26).
Borrelli, Michele (Hrsg.): Interkulturelle Er- Ehnert, Rolf; Wazel, Gerhard: »Landes-
ziehung in Praxis und Theorie. Baltmanns- kunde«. In: Henrici, Gert; Riemer, Clau-
weiler: Schneider Verlag Hohengehren, dia (Hrsg.): Einführung in die Didaktik des
1986. Unterrichts Deutsch als Fremdsprache mit
Buttjes, Dieter: »Landeskunde-Didaktik Videobeispielen. 2 Bände. Baltmannswei-
und landeskundliches Curriculum«. In: ler: Schneider Verlag Hohengehren, 1994,
Bausch, Karl-Richard; Christ, Herbert; 273–281.
374

Fill, Alwin (Hrsg.): Sprachökologie und Öko- Henrici, Gert; Koreik, Uwe (Hrsg.): Deutsch
linguistik: Referate des Symposions Sprach- als Fremdsprache. Wo warst Du, wo bist Du,
ökologie und Ökolinguistik an der Universi- wohin gehst Du? Zwei Jahrzehnte der De-
tät Klagenfurt, 27.–28. Oktober 1995. Tübin- batte über die Konstituierung des Fachs
gen: Stauffenburg, 1996. Deutsch als Fremdsprache. Baltmannswei-
Finke, Peter: An die Nachgeborenen: Wissen- ler: Schneider Verlag Hohengehren, 1994.
schaftliche Aspekte eines bemerkenswerten Henrici, Gert; Riemer, Claudia (Hrsg.): Ein-
Projekts. Manuskriptkopie des Einfüh- führung in die Didaktik des Unterrichts
rungsreferats zur Konferenz der Deut- Deutsch als Fremdsprache mit Videobeispie-
schen Gesellschaft/Club of Rome. Ham- len. 2 Bände. Baltmannsweiler: Schneider
burg 18.–20.08.1995 (Haus Rissen). Verlag Hohengehren, 1994.
Finke, Peter: »Sprache als missing link zwi- Koreik, Uwe: Deutschlandstudien und deut-
schen natürlichen und kulturellen Öko- sche Geschichte. Die deutsche Geschichte im
systemen. Überlegungen zur Weiterent- Rahmen des Landeskundeunterrichts. Balt-
wicklung der Sprachökologie«. In: Fill, mannsweiler: Schneider Verlag Hohen-
Alwin (Hrsg.): Sprachökologie und Ökolin- gehren, 1995.
guistik: Referate des Symposions Sprachöko-
logie und Ökolinguistik an der Universität Mühlmann, Wilhelm E.: »Kultur.« In: Berns-
Klagenfurt, 27.–28. Oktober 1995. Tübin- dorf, Wilhelm (Hrsg.): Wörterbuch der So-
gen: Stauffenburg, 1996, 27–48. ziologie. Band 2. Stuttgart: Enkel, 1972,
Finke, Peter: Die vergessene Innenwelt. Über 479–482.
Wissenschaft und den Umgang der Kultur Redfield, James; Adrienne, Carol: »Von den
mit sich selbst. Manuskriptkopie der über- Systemen der Natur lernen.« In: Redfield,
arbeiteten und erweiterten Fassung der James; Adrienne, Carol: Die Erkenntnisse
Antrittsvorlesung zur Übernahme der von Celestine. München: Heyne, 1995,
Stiftungsprofessur für Evolutionäre Kul- 299–304.
turökologie (Gregory-Bateson-Professur) Yüce, Nilgün: Kulturökologische Deutschland-
an der Fakultät für das Studium funda- studien. Frankfurt/Main u. a.: Lang, 2003
mentale der Universität Witten-Her- (Werkstattreihe Deutsch als Fremdspra-
decke, gehalten am 26.06.1997. che, 75).
375

Ein Terrain des Fremdsprachenunterrichts


(Deutsch): Interkulturelle Kompetenz in der
Tourismusausbildung

Nicola Huson

1. Ausgangslage Einen solchen fachspezifischen Lernkon-


Zum Selbstverständnis des Fremdspra- text fand ich an der School of Tourism and
chenunterrichts (Deutsch) gehört neben Hospitality Management der Eastern Medi-
bzw. mit der Vermittlung fremdsprachli- terranean University in Nord Zypern vor,
cher Kommunikationsfähigkeit auch die an der ich von 1998–2001 als Koordinato-
Vermittlung von kulturellen und interkul- rin und Deutschlehrerin arbeitete. In ei-
turellen Kompetenzen. Im Alltag des nem zwei- bzw. vierjährigen Studium
Fremdsprachenunterrichts (Deutsch) werden Studierende für Berufe in der
wird jedoch leider allzu häufig die Ver- Tourismusindustrie ausgebildet, wobei
mittlung von interkultureller Kompetenz mit die Anforderungen im Berufsleben sich
der Vermittlung von kulturspezifischen vom Kellner bis zum Direktor bzw. vom
und kulturkontrastiven Inhalten gleichge- Tour-Guide bis zum Reiseveranstal-
setzt, die den Rahmen einer verkürzten, tungsleiter erstrecken können.
oft stereotypisierenden Kulturwahrneh- Die Notwendigkeit einer wissenschaftli-
mung kaum überwinden können. chen Begleitung des Deutschunterrichts
Die Gründe hierfür sind vielfältig. Häu- an der School of Tourism and Hospitality
fig mangelt es an einem ausgearbeiteten Management ergab sich aus der Gesamt-
zielgruppenspezifischen Konzept, da das unterrichtssituation heraus und wurde in
Lernziel Interkulturelle Kompetenz nur ei- Form meiner Dissertation realisiert (Hu-
nes von vielen darstellt und mit anderen son 2002). Im Rahmen dieser Dissertation
Lernzielen, die es zu erreichen gilt, kon- stellte ich mir u. a. die Frage, ob und wie
kurrieren muß. So entwickeln Lehrende interkulturelle Kompetenzen in der Tou-
zwar gut gemeinte Ansätze zur Sensibili- rismusausbildung vermittelt werden und
sierung der Lernenden für kulturelle Un- welchen Beitrag der Fremdsprachenun-
terschiede und Gemeinsamkeiten und terricht im allgemeinen und insbeson-
bewirken sicherlich somit einiges, meines dere Deutsch leisten kann, um mit sei-
Erachtens kann jedoch vor allem in fach- nem Selbstverständnis – »nicht nur
spezifischen Lernkontexten mehr erreicht fremde Sprache, sondern auch fremde
werden und der Fremdsprachenlehrende Kultur zu vermitteln, und dem Lernen-
könnte als kompetente Fachperson für inter- den somit Möglichkeiten zu interkultu-
kulturelle Kompetenzen ganz andere Lei- rellem Handeln zu bieten« (Huson 2002:
stungen vorweisen, die durchaus den 184) – zu der Entwicklung der berufsrele-
Rahmen (bzw. die ›Fesseln‹) des Fremd- vanten persönlichen interkulturellen Fer-
sprachenunterrichtes sprengen sollten. tigkeiten von zukünftigen Tourismusex-

Info DaF 30, 4 (2003), 375–382


376

perten als kompetente Kraft mit beizutra- In jeder Urlaubsbroschüre, in jedem Fern-
gen. sehspot, in jeder Postkarte etc. spiegelt
In einem dem Thema gewidmeten Kapitel sich jedoch eine existierende interkultu-
erfolgte die Betrachtung folgender Frage- relle Kompetenz wider. Am deutlichsten
stellungen (vgl. Huson 2002: 161 ff.): wird ihr Bedarf und ihre Existenz jedoch
– Was ist unter interkultureller Kompetenz in der folgenden Aussage dokumentiert:
zu verstehen?
»In offiziellen Verlautbarungen, wie z. B.
– Werden interkulturelle Fähigkeiten den Vereinbarungen von Helsinki (Konfe-
von Angestellten und Arbeitgebern in renz für Sicherheit und Zusammenarbeit in
der Tourismusbranche gebraucht, und Europa), wird der Tourismus häufig als ein
wenn ja, welche? wichtiges Mittel der Völkerverständigung
– Wie können interkulturelle Kompeten- und Friedenssicherung dargestellt.«
zen im Tourismusstudium vermittelt (Schmeer-Sturm 1992: 94)
werden, und wie könnte der Beitrag des Während hier noch von »Mittel« gespro-
Fremdsprachenunterrichts zum Erwerb chen wird, halte ich es – nicht erst, aber
von interkulturellen Kompetenzen in spätestens – nach dem 11. September
der Tourismusausbildung aussehen? 2001 für wichtig, dem Tourismus auch
Da hier aus Platzgründen eine kompri- eine Verantwortung zuzuteilen.
mierte Fassung des entsprechenden Kapi-
tels erfolgen muß, möchte ich auf die 2. Interkulturelle Kompetenz als wahr-
Beantwortung der ersten Frage gänzlich zunehmende Verantwortung
verzichten, nicht zuletzt, weil ich einer
verkürzten und dadurch möglicherweise Diese Verantwortung stellt kein neues Kri-
zusammenhanglosen Definition von inter- terium dar. Offene Kritik an dem Wirt-
kultureller Kompetenz vorbeugen möchte. schaftssektor Tourismus, der vor allem in
Für die vorliegende Definition von inter- den sogenannten Entwicklungsländern
kultureller Kompetenz verweise ich daher negative Spuren hinterläßt, gibt es schon
auf den entsprechenden Absatz in meiner länger. Die kulturellen, sozialen und
Arbeit (vgl. Huson 2002: 163–170), dem wirtschaftlichen Veränderungen werden
das Verständnis von Knapp-Potthoffs zwar als bedeutsam betrachtet, jedoch
»interkultureller Kommunikationsfähig- wird der wirtschaftliche Fortschritt durch
keit« (vgl. Knapp-Potthoff 1997) und das den Tourismus – speziell für die Entwick-
Modell der »kulturellen Skripts« von lungsländer durch den Rückfluß des Tou-
Flechsig (1996) zugrunde liegt. ristengeldes in die Entsendeländer – in
Die Beantwortung der zweiten Frage Frage gestellt. Schmeer-Sturm (1992) be-
»Werden interkulturelle Fähigkeiten von trachtet auch die soziokulturellen Effekte
Angestellten und Arbeitgebern in der des Tourismus kritisch. Demnach erfolgt
Tourismusbranche gebraucht, und wenn zwar einerseits »eine Verbreitung west-
ja, welche?« mit einem »Ja« erscheint fast lich-europäischer Werthaltungen, z. B.
selbstverständlich. Dennoch gelang es was die Gleichberechtigung der Frau und
mir nicht, in den von mir recherchierten der unteren Schichten betrifft, anderer-
Ausbildungsleitlinien eine explizite For- seits kann ›die unmittelbare Konfronta-
mulierung zu finden, die interkulturelle tion mit Menschen aus den privilegierten
Fähigkeiten als einschlägige berufliche Industrieländern, die die scheinbare At-
Kompetenz anstrebt und zugleich als traktivität eines fremden Lebensstils de-
Lernziel in der Tourismusausbildung monstrieren, sehr oft unreflektierte Nach-
auflistet (hierzu später mehr). ahmungseffekte auslösen.‹« (Zitat im Zi-
377

tat: Egbert Waschulewski (1982), zitiert in der souveräne Mensch. […] Jedenfalls
Schmeer-Sturm 1992: 95). schließt sie die wahrgenommene Verant-
wortung ein für das, was durch den Tou-
»Gerade im Urlaub hat ja der Tourist ein
anderes Konsumverhalten als zu Hause, rismus geschieht« (Krippendorf 1984, zi-
einen erhöhten Lebensstandard, er ist mo- tiert in Kramer 1993: 58).
disch gekleidet, untätig, wohnt in prächti-
gen Hotels, zeigt oft ein überhebliches Auf- 2.1 Das Vier-Kulturen-Modell
treten und gibt damit der einheimischen
Bevölkerung ein ›Gefühl von Minderwer- Wie kann nun in diesem Zusammenhang
tigkeit [und] verstärkt die ohnehin vorhan- ›zwischenmenschliche Begegnung‹ unter
dene Identitätskrise‹.« (ebd.) dem Aspekt einer ›humanen Reisekultur‹
begriffen und ihre Entwicklung im Sinne
Es gab und gibt Länder, die sich dem
einer interkulturellen Kommunikation
Einfluß des Tourismus auf die eigene
gefördert werden?
Kultur bewußt entziehen:
Während im Alltagsverständnis von der
»Ritter (1975) discussing the attitudes of ›Kultur der Reisenden‹ und der ›Kultur
Islamic countries towards foreign tourists, der Bereisten‹ gesprochen wird, teilen
observes that Saudi Arabia, Libya, Iraq and Müller/Thiem (1993) in ihrer Diskussion
a number of southern Arab states are fran-
kly not interested in having non-Islamic um kulturelle Identität bei der Touristen-
visitors. Again it appears that tourists are kultur diese in vier Kulturen ein (vgl.
viewed as agents of cultural change, with Abb. 1).
the dress of women, the use of alcohol, and
the mixing of the sexes being particularly
sensitive areas of potential influence.«
(Pearce 1988: 8)
Dem Wirtschaftssektor entziehen können
sich arme Länder jedoch nur sehr schwer,
da sie von den Einnahmen und Beschäfti-
gungsmöglichkeiten durch die Touris-
musindustrie abhängig sind. So halte ich
auch die Forderung von einigen Touris-
muskritikern, auf Reisen in die soge-
nannten Dritte-Welt-Ländern gänzlich zu
verzichten (vgl. Schmeer-Sturm 1992: 95),
für problematisch und begrüße das Be-
mühen, dem Tourismus Positives abzu-
gewinnen, indem man ihn unter dem
Aspekt des humanen Reisens gestaltet,
welches »den Kompensations- und son-
stigen Wünschen der Touristen, ihren
Hoffnungen und Erwartungen in bezug
auf Glück, Bereicherung und Erlebnis-
werte entgegenkommt, aber gleichzeitig
kulturverträglich, sozialverantwortlich
und umweltbewußt ist« (Mäder 1985, zi-
tiert in Kramer 1993: 58). »Der Schlüssel Abb. 1: Das Vier-Kulturen Modell nach
zu einer Humanisierung des Reisens ist« Thiem (1992: 23, zitiert in Müller/Thiem
– nach Krippendorf (1984) – »der neue, 1993: 280)
378

Dieses Modell umfaßt nach Müller/ Kommunikationssituationen führen, de-


Thiem (1993: 280): nen sich Tourismusstudierende gegen-
a) Die Kultur der Quellregion: das, was für übergestellt sehen könnten. Mit den Er-
alle Einwohner eines touristischen Ent- klärungen und Deutungen der Interkul-
sendegebietes typisch ist; turen Ferienkultur und Dienstleistungskul-
b)Die Ferienkultur (Touristenkultur): das, tur lassen sich Vorurteile und Stereoty-
was für die Touristen während ihrer pen leichter auseinanderflechten und in-
Reisen typisch ist; terkulturelle Kommunikationskontexte
c) Die Dienstleistungskultur: das, was für und die zu erlernenden fremdsprachli-
die vom Tourismus Betroffenen in ei- chen Kompetenzen bestimmen.
ner bestimmten touristischen Zielre- Demnach ist die entscheidende Aufgabe
gion typisch ist; des Fremdsprachenlehrenden, die Aus-
d)Die Kultur der Zielregion: das, was für gangs- bzw. Quellkultur des Fremdspra-
alle Bewohner eines touristischen chenlandes nicht zum alleinigen Bezugs-
Empfangsgebietes typisch ist. punkt für die Vermittlung von Hinter-
Diese Vierteilung bietet einen Erklä- grundwissen im Unterricht zu machen
rungs- und Deutungsansatz für interkul- (vgl. Huson 2002: 173 f.).
turelle Kontaktsituationen im Tourismus
und kommt somit dem näher, was tat- 3. Tourismusangestellte in der Verant-
sächlich durch den Tourismus auf wortung als Kulturmittler
menschlicher Ebene geschieht (vgl. Hu- Es sind nun einmal die Angestellten in der
son 2002: 173). Ferienkultur und Dienstlei- Tourismusindustrie, die in den meisten
stungskultur stellen »Interkulturen« (Ten Fällen den ersten und häufigsten Kontakt
Thije 1999: 138) dar, die in Kontaktsitua- zu den Reisenden haben. Diesem Kontakt
tionen zwischen Reisenden und Bereisten kommt somit eine zentrale Funktion in
entstehen. Somit muß zwischen dem der Bildung, Festigung und Korrektur
›normativen‹ Verhalten der Menschen in vorhandener Vorstellungen (Stereotypen)
der Quell- bzw. Zielregion und ihrem der Reisenden über das Land und ihre
interkulturellen Verhalten in der Ferien- Einwohner zu. Angestellte sind zugleich
kultur und der Dienstleistungskultur un- auch gesellschaftliche Mitglieder des Ur-
terschieden werden. Alleiniger Bezugs- laubslandes und können so als »Kultur-
punkt für die Vermittlung von Hinter- mittler« (Schmeer-Sturm 1992) zwischen
grundwissen (vgl. Flechsig 1997: 3) im beiden Seiten agieren und helfen, diese
Fremdsprachenunterricht darf daher einander näherzubringen. Anzumerken
nicht nur die Ausgangs- bzw. Quellkul- ist, daß dieser Prozeß ohne das Medium
tur des Fremdsprachenlandes sein, von der Sprache weitestgehend einseitig wäre,
weitaus größerer Bedeutung sind die Fe- was die Relevanz der Fremdsprachen-
rien- und Dienstleistungskulturen. kenntnisse betont (vgl. ebd.: 102).
Daß es sich hierbei um komplexe Inter- So dürfte deutlich geworden sein, daß
kulturen mit vielfältigen Beziehungsebe- Grundlagen zur Wahrnehmung der Ver-
nen (vgl. Huson 2002: 173) handelt, die antwortung – für das, was durch den
von der wirtschaftlichen Gewichtung des Tourismus geschieht – in der Tourismus-
Tourismus abhängig und von Wider- ausbildung vermittelt werden sollten.
sprüchlichkeit und Ungleichheit geprägt Diese Verantwortung spiegelt sich in ei-
sind, sollte nicht zu der Vermeidung, ner Sensibilisierung für die Wahrneh-
sondern – im Gegenteil – gerade zu einer mung von interkulturellen Diskursabläu-
Thematisierung der interkulturellen fen, wie sie im Tourismusalltag vorzufin-
379

den sind, wider und zeichnet sich aus mulierung dieses Lernziels in der Ausbil-
durch die Entwicklung von »individuel- dung von Tourismusstudierenden. Die-
len Kompetenzen – nämlich als Mensch ses kann nicht nur für die School of Tou-
souverän zu agieren, und in der Begeg- rism and Hospitality and Management in
nung mit anderen diese auch als souve- Nordzypern, sondern auch in den Aus-
rän zu betrachten und den Kontakt mit bildungsleitlinien von Tourismusinstitu-
ihnen als Möglichkeit zu einem Kultur- tionen mit europäischem Standard fest-
austausch zu betrachten (und zwar paral- gestellt werden (vgl. Huson 2002: 178 f.).
lel zu den Dienstleistungen, die zu er- Betrachtet man das von Nahrstedt et al.
bringen sind)« (Huson 2002: 176). (1994) aufgestellte Kompetenzmodell
Der Leitgedanke muß das Interkulturelle (vgl. Abb. 2), welches sich meines Erach-
Lernen sein, d. h. die Erkennung und Ak- tens generell auf die Fertigkeiten von
zeptanz von kulturellen Unterschieden Tourismusexperten übertragen läßt,
und Gemeinsamkeiten sowie Toleranz, dann sind es insbesondere persönliche
Empathie, Neugierde und Takt, um eine Fertigkeiten sowie übergreifende Basis-
positive wirtschaftliche und soziokultu- kenntnisse, die neben der touristischen
relle Entwicklung im jeweiligen Land Fachkompetenz für leitende Tätigkeiten
und in der Konsequenz »den Aufbau im Tourismus gefordert werden.
einer solidarischen bzw. partnerschaftli- »Als Kernbereich werden Kommunikations-
chen statt einer Art Hegelschen ›Herr- fähigkeit, Fähigkeit zum vernetzten Denken
und Knecht-Beziehung‹« (Kramer 1993: sowie soziale Kompetenz angesehen, dicht
58) zwischen den Reisenden und Berei- gefolgt von Teamfähigkeit, Führungskom-
sten zu fördern. petenz, Organisationskompetenz, Kulturbe-
Studierende sollten somit als zukünftige wußtsein sowie Selbständigkeit und Flexibi-
lität.« (Nahrstedt et al. 1994: 90)
Angestellte oder Arbeitgeber in der Tou-
rismusindustrie in ihrer Ausbildung die Kompetenzen, die in Anbetracht des
Fähigkeit entwickeln, ihre eigene Kultur Selbstverständnisses der Tourismusbran-
repräsentieren und auch mögliche Reak- che, für ein internationales Publikum tä-
tionen (positive und negative) von Rei- tig zu sein, immer mit dem Additiv inter-
senden auf diese antizipieren zu können. kulturell ergänzt werden müßten.
Es bedarf dazu eines Bewußtseins für die Anzunehmen ist, daß sich interkulturelle
eigene Kultur und eines Wissens über die Kompetenz im o. g. Kernbereich verstreut
Kultur der Reisenden. Diese Fähigkeit wiederfinden läßt und nicht als explizite
sollte es ihnen ermöglichen, interkultu- Qualifikation und damit möglicherweise
relle Handlungskontexte im Tourismus als ausdrückliches Lernziel in der Touris-
zu verstehen und interkulturelle Mißver- musausbildung verstanden wird. Ver-
ständnisse und Konflikte professionell gleichbar unpräzise ist auch die Stellung
einordnen und lösen zu können. der Fremdsprachenkompetenzen, die
zwar im obigen Kompetenzmodell er-
4. Die Vermittlung von interkulturellen wähnt werden und in der Ausbildung
und fremdsprachlichen Kompetenzen und in der Praxis eine sehr hohe Bedeu-
in der Tourismusausbildung tung zugesprochen bekommen (vgl.
Es gilt noch einmal zu der Frage nach der Nahrstedt et al. 1994, Yüce 1997), sie
Vermittlung von interkulturellen Kompe- werden jedoch als isoliert zu erlernende
tenzen in der Tourismusausbildung zu- Fächer betrachtet und eine nähere Aus-
rückzukehren. Wie eingangs festgestellt einandersetzung mit bzw. Überlegungen
wurde, fehlt es an einer expliziten For- zu den sprachlichen und möglichen in-
380

Abb. 2: Kompetenzmodell für Tourismusexperten (Nahrstedt et al. 1994: 90)

terdisziplinären Aufgaben des Fremd- So stellt sich die Frage, »wie interkultu-
sprachenunterrichts finden nicht statt. relle Kompetenzen im Tourismusstu-
Das Fehlen von interkulturellen Fähig- dium vermittelt werden könnten und wie
keiten im Qualifikationsprofil von Tou- der Beitrag des Fremdsprachenunter-
rismusexperten und das selbstverständli- richts zum Erwerb von interkulturellen
che Potential des Fremdsprachenunter- Kompetenzen in der Tourismusausbil-
richts für die Vermittlung eben dieser – dung aussehen könnte«.
und dagegen betrachte man ihre armse- Die Überlegung liegt nahe, interkulturelle
lige isolierte Position, die ihnen in der Kompetenz als integrativen Prozeß in die
Tourismusausbildung zugewiesen wird – Gesamtausbildung einfließen zu lassen
schreit in Anbetracht der Verantwortung und den Fremdsprachenunterricht als Be-
bei der Bearbeitung einer der wider- zugsrahmen zur Verfügung zu stellen, aus
sprüchlichsten und komplexesten Sozial- dem heraus Ansätze an die Gesamtausbil-
beziehungen überhaupt – die zwischen dung herangetragen werden. Somit könn-
Gast und Gastgeber bzw. zwischen Ein- te der Fremdsprachenunterricht seinen
heimischen und Fremden (vgl. Mundt zugewiesenen Rahmen sprengen – sich
1998: 209) – geradezu nach der Notwen- lediglich auf »die Vermittlung der Sprache
digkeit einer interdisziplinären Herange- und die Thematisierung landeskundlicher
hensweise; vergleichbare Phänomene Inhalte auf einer traditionellen Art und
lassen sich übrigens auch in der Kombi- Weise und der Hervorhebung tourismus-
nation von Wirtschaft und Deutsch fest- relevanter kulturkontrastiver Phänomene
stellen (vgl. hierzu Bolten 1999). reduzieren [zu lassen]« (Huson 2002: 185)
381

– und könnte sich in das »Geschäft« der Während die Ideen und Inhalte solch
Tourismusausbildung einmischen und fe- einer Zusammenarbeit zwischen den zu-
derführend für die interkulturelle Bildung ständigen Lehrenden zu diskutieren
der Studierenden sein. sind, soll ein Beispiel für ein mögliches
Dieses bedarf einer systemtheoretischen Projektthema im Rahmen der Tourismus-
Herangehensweise, die von einer ganz- ausbildung an der School of Tourism and
heitlich orientierten Lernkonzeption aus- Hospitality Management in Nord Zypern
geht, in der die »gesamte Persönlichkeit der Anschauung dienen. So wäre für das
des Lernenden« angesprochen wird (vgl. Fach Geographie folgender Arbeitsauf-
Bolten 1999, Einhoff 1993), um »ihn ko- trag an die Studierenden möglich:
gnitiv und affektiv kommunikative Geographie: Entwerfen Sie eine Informati-
Handlungssituationen seiner beruflichen onsbroschüre zu einem fiktiven Hotel in
Praxis in der Fremdkultur oder im Kon- Deutschland oder England (oder…), in das
Sie nordzypriotische (oder türkische) Touri-
takt mit Vertretern einer fremden Kultur sten einladen möchten. Achten Sie beson-
antizipieren zu lassen« (Bolten 1999: 521). ders auf eine Beschreibung der Landschaft,
In der Tourismusausbildung ist ein sol- des Klimas usw. und heben Sie dabei die
cher Ansatz sehr sinnvoll, da »die Kom- geographischen Gemeinsamkeiten und Un-
terschiede zwischen den Ländern hervor.
plexität des beruflichen Handelns in die-
sem Sektor groß und die Antizipation 5. Fazit
möglicher Kommunikationssituationen Die Relevanz der interkulturellen Kompe-
mit ausländischen Gästen erst in einem tenz als Lernziel in der Tourismusausbil-
realitätsbezogenen Kontext erfahrbar ist« dung ergibt sich aus der Verantwortung,
(Huson 2002: 186). Die praxisorientierte im 21. Jahrhundert für eine humanitäre
Ausbildung bietet zudem sehr gute Mög- Entwicklung des Tourismus Sorge zu tra-
lichkeiten, um fremdsprachliche und in- gen. Die Verantwortung aller am Touris-
terkulturelle Fertigkeiten in die instituti- mus beteiligten Personen und Institutio-
onsgeleiteten Tourismuseinrichtungen nen liegt in der Bereitschaft, »die Welt als
und ausbildungsrelevanten Praktika ein- eine gemeinsame, vielfältige Welt zu be-
zubinden. trachten und nicht als eine geteilte Welt, in
Eine kooperative Zusammenarbeit zwi- der die ökonomischen, sozialen und psy-
schen den Fremdsprachenfächern einer- chologischen Defizite privilegierter Indu-
seits und den nicht-sprachenbezogenen strienationen auf die armen Länder abge-
Fächern auf der anderen Seite ist gefor- wälzt werden« (Huson 2002: 177); und so
dert. So könnten die einzelnen Fremd- gehört es selbstverständlich in die Verant-
sprachen innerhalb ihres Unterrichts für wortung von Staat und Industrie, einen
die Vermittlung von ›Hintergrundwis- humanitären Tourismus im jeweiligen Ur-
sen‹ verantwortlich sein, um dann in laubsland zu fördern und durch die Nach-
kooperativer Arbeit mit anderen Fachleh- frage nach dem ›souveränen Tourismus-
renden voranzuschreiten und unter An- experten‹ in den entsprechenden Ausbil-
wendung von authentischen Improvisa- dungsleitlinien zu verankern.
tions- und technischen Verarbeitungs- Das Potential der Fremdsprachenlehren-
möglichkeiten (z. B. Video, PC etc.) und den, genau für diese Qualifikation in der
in Form von Projektarbeit kulturelle, kul- Tourismusausbildung verantwortlich zu
turkontrastive und interkulturelle As- werden, dürfte deutlich und die Diskus-
pekte zu thematisieren und zu bearbeiten sion um ihre Beitragsmöglichkeiten an-
(vgl. Huson 2002: 187). geregt worden sein.
382

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383

Übersetzung im DaF-Unterricht

Lucrecia Keim

In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren rung für kontrastive Aspekte sowohl auf
sind einige Arbeiten zum Thema Überset- morpho-syntaktischer wie auf textueller
zung und Fremdsprachenunterricht erschie- und diskursiver Ebene und als hilfreiches
nen (Ehnert 1987, Königs 1989, Krings Werkzeug im lexiko-semantischen Be-
1989, Rodrigues 2000, House 2001), in reich) zuerkannt, sie hat aber noch lange
denen Übersetzungsdidaktiker und nicht die Anerkennung einer »fünften Fer-
Fremdsprachendidaktiker sich zu diesem tigkeit«, wie u. a. Nord (1999: 81) verlangt,
›alten Thema‹ äußern. Darüber hinaus ist erhalten. Charakteristisch für die Empfeh-
selbstverständlich das Thema Übersetzen lungen ist, daß sie in den wenigsten Fällen
auch in anderen Didaktikveröffentlichun- auf empirischer Forschung basieren. Des
gen präsent gewesen. Die sogenannte weiteren fällt auf, daß die Übersetzung im
›aufgeklärte Einsprachigkeit‹ sowie das DaF-Unterricht vor allem in bzgl. der Mut-
allgemein gewachsene Interesse an der tersprachen homogenen Gruppen, also
Didaktik der Übersetzung und des Dol- hauptsächlich in den nicht deutschspra-
metschens haben den wissenschaftlichen chigen Ländern, eine Rolle spielt1. Einige
Austausch zwischen den beiden Fachge- Verlage haben sich der Sache angenom-
bieten gefördert. Allen Beiträgen gemein- men und machen vorsichtige Versuche in
sam ist allerdings die Empfehlung eines diese Richtung. Abgesehen von den regio-
behutsamen Umgehens mit Übersetzung nal ausgerichteten Arbeitsbüchern ist hier
im Fremdsprachenunterricht sowie auch Blaue Blume (Eichheim et al. 2002) zu nen-
der Hinweis auf die Notwendigkeit, die nen. Zumindest in der für den spanischen
verschiedenen Möglichkeiten der Über- Markt bestimmten Fassung sind einige
setzung und deren Merkmale zu berück- Übersetzungsübungen enthalten. Es han-
sichtigen. Darauf möchte ich weiter unten delt sich allerdings entweder um die
ausführlicher eingehen. Die wichtigste Übersetzung von Wörtern eines bestimm-
Unterscheidung, die vorgenommen wird, tes Wortfeldes (z. B. Familie, S. 66) oder von
ist diejenige der professionellen und der Komposita (S. 159) oder Sätzen (z. B. S.
pädagogischen Übersetzung. Der pädago- 189). Ich gehe hier nicht auf die Gesamt-
gischen Übersetzung im Fremdsprachen- konzeption des Lehrwerkes ein, die auf
unterricht werden Vorteile (Sensibilisie- bewußtem Einsatz der Muttersprache auf-

1 Das soll nicht heißen, daß nicht auch in heterogenen Gruppen, und selbst wenn die
Lehrkraft die Muttersprache der Lernenden nicht kennt, bestimmte Übersetzungsaktivi-
täten sinnvoll wären. Möglich sind insbesondere Aktivitäten der Übersetzung in die
Fremdsprache, in diesem Fall ins Deutsche. Die didaktischen Vorschläge, die in diesem
Beitrag vorgestellt werden, sind jedoch nur für den DaF-Unterricht in bzgl. der
Muttersprache homogenen Gruppen bzw. sehr nahen Muttersprachen (wie es der Fall
von Spanisch und Katalanisch sein kann) konzipiert worden.

Info DaF 30, 4 (2003), 383–394


384

baut. Eine Einschätzung, ob der Versuch Lernenden vor ein potentielles Problem
gelungen ist, würde einer genaueren Dar- stellen, für dessen Lösung der Einsatz von
stellung bedürfen und vom Thema weg- Strategien benötigt wird. In beiden Fällen
führen. werden außerdem die verlangten Wörter
Im vorliegenden Beitrag möchte ich mich in einem Textkontext stehen, sei es ein
dem Gegenstand aus der Sicht der DaF- schriftlicher Text oder sei es im mündli-
Didaktik nähern. Ausgangspunkt sollen chen Diskurs. Und in beiden Fällen wird
die Kompetenzen bilden, die jeweils in die Übersetzung eine Funktion ausüben.
der Übersetzungsdidaktik und in der Hat der Lernende aber übersetzt, wenn er
Fremdsprachendidaktik als Lernziel for- als Antwort im Wörterbuch den folgenden
muliert werden, sowie deren Erwerbs- Eintrag findet?
möglichkeiten. Die Frage dabei ist er- eigentlich adj verdadero / propio / ◊der -e
stens, ob die vorliegenden Forschungser- Grund el verdadero motivo / ein -er Kenner
gebnisse genügend Anhaltspunkte für un verdadero conocedor / im -en Sinne (des
die Entwicklung einer Didaktik für den Wortes) en el sentido propio (de/a palabra) /
Einsatz der Übersetzung im DaF-Unter- der -e Wert el valor efectivo od real <Corn>
bzw intrinseco <fig> / -adv [recht -] por
richt bieten, und zweitens, welche didak- excelencia. por antonomasia / [im Grunde
tischen Vorschläge unabhängig vom genommen] en el fondo / [strenggenom-
Stand der Forschung trotzdem gemacht men] bien mirado od considerado. mirándolo
werden können. bien / rigurosamente. … / [ausdrücklich]
expresamente / [genau gesagt] propiamente

dad / ◊-ich bin Elektriker en realidad soy


dicho / a decir verdad / hablando con propie-
1. Vorüberlegungen
In der Linie von Krings’ (1989) Empfeh- electricista / was willst du -? ¿qué es lo que
lungen sollen hier einige Differenzierun- quieres? / was ist denn eigentlich los? pues
¿qué ocurre?
gen vorgenommen werden. Fangen wir
mit dem Verständnis dessen, was mit Hat der Lernende übersetzt, wenn er als
Übersetzung gemeint ist, an. Antwort auf seine Frage seitens der Lehr-
Wird übersetzt, wenn die Frage gestellt kraft »das kommt darauf an« hört? Er hat
wird, »was bedeutet ›eigentlich‹ auf Spa- lediglich einen Schritt vollführt. Erst
nisch …« oder »wie sagt man ›bocadillo‹ wenn er zurück zum Text geht und die
auf Deutsch«? Die Übersetzung als Hilfs- volle Bedeutung des Wortes im Kontext
mittel bei der Semantisierung bzw. bei der des Textes und mit Hilfe des Kontextes
Suche eines neuen Wortes ist eine übliche erschließt, wird er »eigentlich« in dem
Praxis im DaF-Unterricht mit bzgl. der Text erschließen und dann ausgehend
Muttersprache homogenen Gruppen un- von der Aufgabe funktionsgerecht über-
abhängig davon, ob die Fragen an die setzen können.
Lehrperson gerichtet werden oder die Ler- Wollen wir die Möglichkeiten der Über-
nenden selbst mit Wörterbüchern ihre Fra- setzung im Fremdsprachenunterricht in
gen zu lösen versuchen1. Schauen wir uns vollem Umfang nutzen, sollten wir uns
aber genauer an, was hier passieren kann. zunächst dessen bewußt sein, was Über-
Ob es sich um eine Hinübersetzung oder setzen bedeutet und uns auch mit den
eine Herübersetzung handelt, in beiden neueren Ansätzen in der Übersetzungs-
Fällen werden Prozesse ausgelöst, die die didaktik auskennen.

1 Hurtado (2001: 55) verwendet dafür den Ausdruck »traducción interiorizada« (verin-
nerlichte Übersetzung).
385

Laut Nord (1999) muß der/die professio- de comprensión y luego la reexpresión, y así
nelle Übersetzer/Übersetzerin über sucesivamente, sino que se producen con-
Sprachkompetenz, Sach- oder Fachkom- stantes vaivenes entre ambas« (Hurtado
2001: 368)
petenz, Recherchierkompetenz, Theorie-
und Methodenwissen und Überset- Für uns als Fremdsprachendidaktiker
zungskompetenz verfügen. Zu einer all- von besonderem Interesse ist die schein-
gemeinen Übersetzungskompetenz ge- bar ausreichend empirisch erprobte Tat-
hören u. a. folgende Aspekte: sache, daß Verständnisprozeß und Pro-
– »Sensibilität gegenüber der Kulturgebun-
duktion der Übersetzung keine Prozesse
denheit jedes Verstehens, sind, die nacheinander ablaufen. Zumin-
– Kenntnis der kulturspezifischen sprachli- dest nicht das Detailverständnis. Nach
chen und nicht-sprachlichen Verhaltens- einer ersten Lektüre des Textes und ei-
konventionen der fremden im Kontrast nem ersten globalen Erfassen des Inhal-
zur eigenen Kultur und tes fängt die Interaktion (vgl. Kiraly 2000
– eine Methodik für eine funktionale Text-
analyse auf allen Rängen der Sprachver- u. a.) zwischen allen am Übersetzungs-
wendung. […] prozeß beteiligten Komponenten an, so
Eine übersetzerische Grundkompetenz daß man sagen kann, daß der Überset-
müßte […] auch folgende Fähigkeiten um- zungsprozeß als retrospektiv-prospek-
fassen: tive Aktivität bezeichnet werden kann,
– die Fähigkeit, Übersetzungsprobleme zu während derer der Ausgangstext mehr-
erkennen und konsistente, funktionsge-
rechte Strategien [meine Hervorhbg.] zu mals gelesen und neuinterpretiert wird.
ihrer Lösung zu entwerfen, und Hurtado (2001) weist allerdings darauf
– die Fähigkeit, das Wissen um die Kultur- hin, daß die empirische Forschung über
spezifik von Textsorten und Funktionssi- den Erwerb der Übersetzungskompetenz
gnalen bei der Produktion funktionsge- und, was für uns als Fremdsprachendi-
rechter Texte einzusetzen.« (Nord 1999:
82–83) daktiker sehr wichtig ist, über den Prozeß
des Einsatzes von Strategien beim Über-
Aus diesem Katalog an Kompetenzen setzungsprozeß noch einen langen Weg
und Fähigkeiten läßt sich leicht erken- vor sich hat.
nen, daß Übersetzen komplexe kognitive
Einig sind sich die Übersetzungsdidakti-
Prozesse beinhaltet, die nur z. T. bewußt
ker allerdings darin, daß auch die päd-
ablaufen. Dabei spielen die fremdsprach-
agogische Übersetzung eine kommuni-
liche, die muttersprachliche und die
kative Funktion ausüben soll. Der Über-
übersetzerische Kompetenz eine Rolle.
setzungsauftrag kann didaktisch mani-
Zudem werden diese Kompetenzen nicht
puliert werden, aber er sollte stets die
linear erworben (vgl. Hurtado 2001) und
kommunikative Funktion der jeweils
auch nicht linear aktiviert:
auszuführenden Übersetzung beibehal-
»Este carácter no lineal se refiere: 1) a las ten. Nur so werden im Unterrichtsraum
fases esenciales, comprensión y reexpre- die komplexen kognitiven und affektiven
sión, ya que cada una de ellas son procesos
interactivos en los que interactúan todos los Prozesse in Gang gesetzt, die die realen
elementos que intervienen; 2) al procesami- Übersetzungsaufträge beinhalten. Der
ento de las unidades del texto original, que Ausgangstext und die Aufgabe müssen
en algunas modalidades de traducción jedoch dem jeweiligen Stand der Überset-
(como la traducción escrita) no sigue nece- zungskompetenz der Lernenden ange-
sariamente una progresión lineal; 3) al
desarrollo conjunto del proceso traductor, paßt werden, um den für das Lernen
que tampoco sigue estrictamente un orden nötigen sicheren und vertrauensstiften-
lineal en el que primero se efectuaría la fase den Raum bieten zu können, der wie-
386

derum die Grundlage für das Eingehen hat, erleichtert nicht unbedingt die Ant-
von Risiken darstellt. wort auf die oben gestellte Frage bzgl.
Macht es Sinn, unsere DaF-Lerner dieser der Übersetzung, die lautete: Macht es
»kognitiven Anstrengung« zu unterzie- Sinn, die DaF-Lernenden explizit der
hen? Die Ausgangsfrage aus der Per- komplexen kognitiven ›Anstrengung‹
spektive der Fremdsprachendidaktikerin der Übersetzungsaufgaben zu unterzie-
ist, ob pädagogisch orientierte Überset- hen? Um die Komplexität der Antwort
zungsaufgaben kognitive und affektive auf diese Frage zu reduzieren, gehe ich
Prozesse bei den Lernenden in Gang set- jetzt kurz nur auf einige Annahmen zum
zen können, die den Erwerb der neuen Erwerb von Fremdsprachen ein, die m. E.
Sprache unterstützen. das Aufstellen von Hypothesen bzgl. der
Rufen wir uns zunächst kurz ins Bewußt- Nützlichkeit der Übersetzung ermögli-
sein, was von einem kompetenten chen.
Fremdsprachensprecher erwartet wird. – Es gilt wohl als allgemein anerkannte
Hier gibt der Gemeinsame Europäische Re- Erkenntnis, daß Lernen und somit
ferenzrahmen einen guten Anhaltspunkt. auch der Erwerb von Fremdsprachen
Aus ihm ersehen wir, daß die einstweilig mittels der Restrukturierung von
alleinstehende kommunikative Kompetenz neuem und altem Wissen geschieht.
nun nicht mehr ausreicht. Mehrere Kom- Als altes Wissen gelten im Fall der
petenzen, die jeweils in Subkompetenzen Fremdsprachen sowohl die bereits vor-
unterteilt werden, sind nun nötig. Extrem handenen Kenntnisse in der Fremd-
zusammengefaßt können wir den folgen- sprache wie auch das Wissen über an-
den Katalog aufstellen: dere Fremdsprachen und die eigene
Allgemeine Kompetenzen: Muttersprache. Auch das Wissen über
– deklaratives Wissen (Weltwissen, so- das Lernen von Sprache wird aktiviert.
ziokulturelles Wissen, interkulturelles Das trifft auf den Erwerb von deklara-
Bewußtsein) tivem als auch auf den Erwerb von
– Fertigkeiten und Fähigkeiten für das prozeduralem Wissen zu.
Alltagsleben und im interkulturellen – Für die Restrukturierung des neuen
Bereich Wissens ist die Aktivierung von Regu-
– Wissen über Werte, Haltungen, kogni- lierungsmechanismen entscheidend.
tive Stile u. a. Dabei spielt der Faktor der Aufmerk-
– Lernkompetenz (Sprachsystem, Lern- samkeit eine wichtige Rolle, und zwar
techniken, strategisches Wissen) sowohl bei der Verarbeitung des Inputs
wie bei der Bewertung des Outputs. Es
Kommunikative Kompetenzen:
gibt aber noch nicht genügend empiri-
– linguistische
sche Belege dafür, wie die Aufmerk-
– soziolinguistische
samkeit und die Interaktion genau ge-
– pragmatische
steuert werden sollen, damit der Er-
Daß der Weg bis hin zur höchsten Stufe werb gefördert wird. U. a. sind nämlich
der Kompetenz in all diesen Bereichen die individuellen Lernervariablen zu
komplex ist und die Fremdsprachener- berücksichtigen, welche die Moni-
werbsforschung uns noch nicht ausrei- toringprozesse der Lernenden und so-
chende empirische Befunde zum ge- mit auch ihre subjektiven Theorien und
nauen Vorgang und zur Überlegung, wie Bereitschaft, Risiken einzugehen, be-
dieser gefördert werden kann, geliefert einflussen (Rohmann 2001: 206).
387

– Ebenso wird dem Prozeß des Hypothe- gabe/des Konfliktes/des Problems in-
sentestens mittels der Interaktion mit teressiert sein und das Ziel vor Augen
Muttersprachlern oder anderen nicht verlieren. Dafür soll auch die
Fremdsprachenlernern eine zentrale Lehrperson sorgen.
Rolle zugeschrieben. Denn die Interak- Obwohl diese Darstellung wichtiger An-
tion kann den Lernenden Feedback- nahmen zum Erwerb von Fremdspra-
Möglichkeiten bieten und diese sind chen im vorliegenden Rahmen nur skiz-
für die Restrukturierung des neuen zenhaft bleiben kann, bietet sie m. E. je-
Wissens entscheidend. Eine genauso doch eine ausreichende Grundlage, um
wichtige Rolle spielt die Interaktion Schlüsse bzgl. des möglichen Nutzens
des Lerners mit sich selbst. In der Lite- von Übersetzungsaufgaben zu ziehen.
ratur wird zum Teil der Begriff inner Da meines Wissens kaum empirische Un-
speech dafür verwendet (Lantolf/Ap- tersuchungen zu den Konsequenzen auf
pel 1994: 14). Die Lernenden setzen den Erwerb eines systematischen Einsat-
dadurch Regulierungsprozesse in zes von Übersetzung im DaF-Unterricht
Gang, die ihnen die Bewertung des vorhanden sind, werden wir uns aus der
Outputs ermöglichen. didaktischen Sicht zunächst mit Arbeits-
– Eine weitere Annahme im Rahmen der hypothesen begnügen müssen. Meine
soziokonstruktivistisch orientierten Arbeitshypothesen, auf deren Hinter-
Fremdsprachenerwerbsforschung und grund die unten vorgestellten Aufgaben
-didaktik ist, daß die kooperative Lö- entwickelt wurden, lauten:
sung von Aufgaben unter Gleichen po- – Übersetzung im DaF-Unterricht sollte
tentiell erwerbsfördernd ist. Donato den allgemeinen Zielen des DaF-Un-
(1994) und van Lier (1996) weisen dar- terrichts untergeordnet sein. Trotzdem
auf hin, daß die in einem solchen Kon- sollten die Übersetzungsaufgaben/
text entstehende Interaktion eher die Übersetzungsaufträge eine kommuni-
Merkmale der Symmetrie und der Un- kative Funktion ausüben. Darauf soll
vorhersehbarkeit (contingency) auf- bei der Formulierung der Aufgaben
weist, die potentiell erwerbsfördernd geachtet werden.
sind. Der Nicht-Experte fühlt sich in – Übersetzung kann als ein weiteres
einer sicheren Umgebung und kann, Werkzeug u. a. eingesetzt werden, um
angeregt von einem Mitlerner, der in Aufmerksamkeitsprozesse in Gang zu
dem Moment die Rolle des Experten setzen. Die Durchführung von Über-
innehat, das für das Lernen nötige Ri- setzungsaufträgen führt zu einer inten-
siko eingehen (scaffolding). Die Rollen siven Auseinandersetzung mit sprach-
der Experten und Nicht-Experten kön- lichen Phänomenen und somit zur Ak-
nen in diesem Kontext eher im Laufe tivierung metakognitiver Strategien.
der Interaktion geändert werden, als Die Lerner übernehmen hierbei die
bei einer asymmetrischen Interaktion. Rolle des Sprachforschers (vgl. zu die-
Wichtig ist, daß der Nicht-Experte in sem Begriff Wolff 2002 und Esteve i. V.).
der Gruppe Raum für das individuelle Durch die Auswahl des Ausgangstex-
Generieren von Hypothesen und Feed- tes und den konkreten Auftrag kann
back beim Hypothesengenerieren be- die Aufmerksamkeit der Lernenden
kommt (Esteve i. V.). Damit die oben gelenkt werden. Interessant ist, daß die
genannte Aufmerksamkeit auch in die- Lernenden diejenigen sind, die eine
sem Kontext erhalten bleibt, sollten die bestimmte Textstelle als Übersetzungs-
Teilnehmer an der Lösung der Auf- problem kategorisieren werden. Von
388

daher kann die Reflexion von ihnen abhängen. In einem nach dem Prinzip
initiiert werden. der Autonomie ausgerichteten Unter-
– Übersetzung kann als Auslöser für Mo- richt kann die Entscheidung auch zusam-
tivation und interkulturelles Lernen men mit den Lernenden ausgehandelt
eingesetzt werden. Voraussetzung ist, werden. Als Beispiel dafür eignet sich die
daß die Formulierung der Aufgabe ge- folgende Situation, die ich in einem
nügend Raum für die Debatte über den Grundstufenkurs erlebte. Nach dem Hö-
Prozeß und das Produkt der Überset- ren eines vom Text her recht schweren
zung läßt sowie auch für das Experi- Liedes (Spieluhr von Rammstein) fragte
mentieren mit Sprache. Letzteres dürf- ich die Lerner, ob ihnen das Lied gefallen
te bei der Hinübersetzung besonders habe. Die Musik würden sie toll finden,
ergiebig sein. Eine kooperative Lösung den Text hätten sie leider nicht verstan-
der Aufgabe in Dreiergruppen könnte den. Auf die Frage, ob sie sich weiter
für eine intensive Interaktion beson- damit befassen wollten, äußerten sich die
ders geeignet sein (Esteve i. V.). meisten positiv. Nach einem ersten globa-
– Übersetzung in die Muttersprache der len Lesen des Textes wurde das Interesse
Lernenden kann bei halbfortgeschritte- am Text noch größer und sie schlugen
nen und fortgeschrittenen Lernern zu vor, ob man den Text nicht übersetzen
einer intensiven Auseinandersetzung könne. Sie bekamen daraufhin den fol-
mit dem Ausgangstext führen und von genden Auftrag: »Stellt euch vor, ihr
daher die Prozesse des Leseverständ- wollt nicht deutsch sprechenden Freun-
nisses unterstützen. Dabei scheint sich den das Lied vorspielen und den Text des
eine Aufgabenformulierung zu bewäh- Liedes erklären«. Damit wurde eine reale
ren, welche die Aufmerksamkeit der Situation für den Einsatz einer Überset-
Lerner sowohl auf die die Textualität zung skizziert sowie auch die Funktion
konstituierenden Elemente lenkt wie der Übersetzung bestimmt. Das Ergebnis
auf den Einsatz von Übersetzungsstra- war wirklich hervorragend. Die Motiva-
tegien. Beim jetzigen Stand der For- tion war hoch und die als »Erklärung«
schung sollte allerdings dieser Bereich bezeichnete Übersetzung ließ genug Frei-
besonders vorsichtig behandelt wer- raum, um einen an die potentiellen Le-
den. ser/Hörer dieser Übersetzung angepaß-
– Die Förderung des bewußten Einsatzes ten Zieltext zu produzieren.
von Strategien kann sich positiv aus- Die Übersetzungsaktivität kann einen
wirken sowohl auf den Prozeß des Er- Teil einer Aufgabe darstellen oder, als
werbs von Übersetzungskompetenz Aufgabe an sich, als Sequenz konzipiert
wie auf den von Fremdsprachenkom- sein. Ausgehend von den oben darge-
petenz. stellten Anforderungen an die Gestal-
tung der Übersetzungsaufgaben und den
2. Methodische Aspekte aufgestellten Hypothesen liegt der Sinn
Aus den obigen Ausführungen dürfte der pädagogischen Übersetzung in der
deutlich geworden sein, daß m. E. die Förderung der Reflexion über Sprache,
Übersetzung im DaF-Unterricht im Ge- der Sensibilisierung für die Vielfalt an
samtgeschehen der jeweiligen Einheit in- Sprachstrukturen, der Sensibilisierung
tegriert sein muß. Von daher wird die für die Verbindung von Sprache und Kul-
Entscheidung des Einsatzes einer Über- tur u. a. Eine kontextlose Übersetzung
setzungsaufgabe und, wenn ja, welcher von Wortlisten, als extremes Beispiel,
Art, vom jeweiligen Ziel im Unterricht wird in keinem Fall dazu beitragen. Des
389

weiteren sollte man bei der Formulierung 1. Schaut euch die Wörterbucheinträge an
der Übersetzungsaufgabe die allgemei- und macht zwei Listen: welche Bedeu-
nen pädagogischen Prinzipien berück- tungen und Beispiele sind in beiden Spra-
chen vergleichbar und welche nicht? Be-
sichtigen, nach denen sich die Lehrkraft rücksichtigt auch die angegebenen deut-
im DaF-Unterricht richtet. Nehmen wir schen Komposita (z. B. Heimatlied).
die oben genannten Annahmen zum Er- 2. Stellt eure Ergebnisse im Plenum vor.
werb ernst, soll sich auch die Überset- 3. Geht jetzt an die Computer und und
zungsaufgabe danach richten und u. a. sucht z. B. bei yahoo.de und yahoo.es die
Elemente enthalten, die interaktionsför- ersten 10–15 Einträge für »Heimat« bzw.
dernd sind. »patria«: Welche Unterschiede könnt ihr
bei den gewählten Kategorien feststellen?
Anhand exemplarisch ausgewählter Auf-
gaben werden jetzt einige Möglichkeiten Die Suche in den beiden Suchmaschinen
für Übersetzungsaufgaben dargelegt, die nach den ersten zehn Einträgen macht
im Dienste des DaF-Unterrichts stehen deutlich, daß die Schwerpunkte in bei-
und die oben behandelten Aspekte be- den Kulturkreisen anders gelagert sind.
rücksichtigen. Die Aufgaben sind für den Bei der Vorstellung im Plenum kann über
Grundstufenunterricht mit universitären die Gründe dafür diskutiert werden, so
DaF-Lernern konzipiert worden und be- daß der interkulturelle Austausch geför-
rücksichtigen die Übersetzung und das dert wird. Die Aufgabe zeigt den Lernen-
Stegreifübersetzen. Auf die Möglichkei- den auch eine der Möglichkeiten für den
ten des Einsatzes von Dolmetschaufga- Gebrauch von Internet als Ressource bei
ben gehe ich nicht ein. Da oftmals darge- der Wortschatzerweiterung und evtl.
stellt, gehe ich auch nicht auf vorberei- beim Textverständnis. Entscheidend ist
tende Aufgaben ein, die den Gebrauch die Entdeckung der vom Kontext abhän-
des Wörterbuchs berücksichtigen (vgl. gigen Bedeutungsvarianz. Schließlich er-
dazu die hervorragenden Vorschläge von möglicht die Arbeit an den Komposita
Peter Bimmel in: Bimmel/Van de Ven und deren Übersetzungsmöglichkeiten
2000). bereits im Grundstufenunterricht Ein-
sicht in die unterschiedlichen Wortbil-
2.1 Arbeit mit Wortfeldern, Wörterbuch dungsmöglichkeiten der beiden Spra-
und Internetsuchbegriffen chen (Heimatstadt – ciudad de origen/ciudad
Es gibt bestimmte Begriffe, an denen mit de nacimiento; Heimatmuseum – museo lo-
Hilfe einer kontrastiven Arbeit gezeigt cal; Heimatlied – canción folclórica u. a.).
werden kann, daß durch die vermeintli- Im Anschluß an die Aufgabe bietet sich,
che Eins-zu-eins-Übersetzung die volle ausgehend von folgenden Fragen, ein
semantische Dimension des Wortes nicht Gespräch an:
entdeckt werden kann. Ein interessantes
Was bedeutet für dich »Heimat«? Kannst
Paar bilden im deutsch-spanischen Fall du dich mit den Informationen aus den
Heimat und patria. Die Lerner erhalten Wörterbucheinträgen identifizieren? Ist
Kopien mit verschiedenen Wörterbuch- »Heimat« wichtig für dich? Wärst du bereit,
einträgen aus deutschen und spanischen etwas für deine Heimat zu tun? Was? Was
einsprachigen und deutsch-spanischen fühlst du, wenn du nicht in deiner Heimat
bist?
zweisprachigen Wörterbüchern und sol-
len die folgende Aufgabe durcharbeiten: Die Aufgabe kann dem Lesen eines Tex-
Aufgabe: tes vorgeschaltet werden, in dem das
Was steckt hinter den Begriffen »Heimat« Thema Heimat eine bedeutende Rolle
und »patria«? spielt.
390

2.2 Fokussierung auf strukturelle As- Die Korrektur des Satzes »Er gab das
pekte Geschenk zu Maria« verursacht oftmals
Übersetzungsaufgaben können dazu ein- regelrechte ›Aha-Erlebnisse‹. Zunächst
gesetzt werden, die Aufmerksamkeit der wird nicht erkannt, was am Satz falsch
Lernenden auf bestimmte Strukturen zu sein soll. Es schließt sich deswegen mei-
lenken und die metasprachliche Reflexion stens eine Reflexion über die Funktion der
zu fördern. In der folgenden mehrschritti- verschiedenen Elemente im Satz an, bis
gen Aufgabe sollen sie den Gebrauch von die Lösung durch den Einsatz des Dativs
zu und um … zu wiederholen und auf gefunden wird. Im Laufe der Gesamtauf-
kontrastive Aspekte achten. Die fehlerhaf- gabe wird hin- und herübersetzt. Die Sät-
ten Konstruktionen stammen aus Produk- ze wurden zwar aus dem Kontext der
tionen der Lernenden. Somit sind sie dem Lernerproduktionen herausgenommen
jeweiligen Sprachstand angepaßt. und von der Lehrkraft rückübersetzt, der
Eine Wiederholungsübung für den Gebrauch Rückgriff auf den Kontext ist jedoch, wenn
von »zu« nötig, gewährleistet. Der Vergleich der
1. Welche Funktion hat »zu« in diesen Sät- Lösungsvorschläge fördert die Interaktion
zen? Besprecht/überlegt zuerst, wo ihr und die Bewertung der eigenen Produk-
die Antwort auf diese Frage finden könn- tion. Die Aufgabe kann potentiell Regulie-
tet.
a. Ich habe Lust zu essen.
rungsprozesse auslösen.
b. Er fährt nach Deutschland, um dort
Deutsch zu lernen. 2.3 Stegreifübersetzung und mündliche
c. Ich bleibe heute abend zu Hause. synthetische Rückübersetzung
d. Morgen muß er zum Arzt gehen.
Die Lernenden erhalten eine Kopie mit
e. Wir gehen heute zu Maria.
2. In diesen Sätzen ist der Gebrauch von mehreren kurzen Texten (jeweils ca. 100
»zu« nicht korrekt bzw. nicht üblich. Wie Wörter) zu einem vorher bereits bearbei-
könntet ihr sie korrigieren? teten Thema. Der vorkommende Wort-
a. Er gab das Geschenk zu Maria. schatz sollte nicht allzu große Schwierig-
b. Er will heute einen Film zu sehen. keiten bereiten. Sie bekommen die fol-
c. Sie ging mit Cardillac zu reden. gende Aufgabe:
d. Er ruft zu Maria an.
(Vergleicht jetzt eure Lösungsvorschläge) 1) Bildet Dreiergruppen und verteilt euch
3. Übersetze die untenstehenden Sätze ins die Texte.
Deutsche. Achte auf alle möglichen Aus- 2) Es geht darum, den eigenen Text zu lesen,
drucksformen in der deutschen Sprache so daß man anschließend einer anderen
für »a«: Person aus der Gruppe den Inhalt des
a. Avui anem al cinema. gelesenen Textes in der Muttersprache
b. Li dóna un pastís al nen. wiedergeben kann.
c. Tinc ganes de prendre una cervesa. Dann geht die Übung los:
d. Ha anat a parlar amb el professor. A macht eine Sichtübersetzung des
e. Avui ens quedem a casa. deutschen Textes in die Muttersprache.
f. En Pere va cada mes al metge. B hört zu und macht sich Notizen.
g. He de trucar la meva mare. Anschließend erzählt sie C auf
h. Els nens li fan un regal a la mare. Deutsch, was sie verstanden hat. A
i. Jürgen va a parlar amb la policia. hört zu und hilft wenn nötig.
(Vergleicht jetzt eure Lösungsvorschläge) C macht sich Notizen.
4. Schreib dir einen Merksatz auf. A, B und C vergleichen die Notizen in
5. Schreibt alle Schritte auf, die ihr zur Lö- beiden Sprachen mit dem Originaltext
sung dieser Aufgaben durchlaufen habt. und klären offene Fragen
Wann könntet ihr eine solche Aufgabe 3) Tauscht jeweils die Rollen bis jeder alle
wieder einsetzen? Rollen übernommen hat.
391

Der Aufbau der Aufgabe ermöglicht die 3. Welche Fehler könnt ihr in den von
Aktivierung von Vorwissen, Verantwor- Nichtmuttersprachlern auf deutsch ge-
tungsübernahme (die erste Aufgabe ist schriebenen Texten entdecken?
die Grundlage für die zweite), Evaluation 4. Welche Korrekturvorschläge habt ihr?
Das Ergebnis könnt ihr im unteren
durch die Mitlerner (der Originaltext Schema eintragen.
kann mit der synthetischen Hinüberset-
zung verglichen werden), aktive Grup- Konven- Konven- Fehler im Ände-
pendynamik und Manipulation von tionen in tionen in Text der rungs-
Sprache. deut- spani- Lernen- vorschlä-
schen schen den ge
Mails Mails
2.4 Arbeit an Textkonventionen mit An-
fängern
Man teilt die Lernenden in Gruppen auf.
Jede Gruppe erhält zwei Mails (Kontakt-
aufnahme und Antwort). Eine der Mails
ist von einem deutschsprachigen Mutter-
sprachler geschrieben worden, die an-
dere von einem spanischsprachigen Ler-
ner auf deutsch. Diese Information erhal-
ten sie aber zunächst nicht. Beide Grup-
pen erhalten den folgenden Überset- Die Vorschläge werden, wenn nötig, im
zungsauftrag: Plenum besprochen und anschließend er-
Übersetzt die Briefe in eure Muttersprache. halten die Lernenden einen anderen
Beachtet die in eurer Muttersprache übli- Grußtext auf deutsch mit dem Auftrag,
chen Textkonventionen. Benutzt Parallel- darauf zu antworten.
texte.
Beispiele für Mailtexte:
Nach der Anfertigung der Übersetzun-
gen werden die Lernenden zuerst darum Hallo Gemma!
gebeten, subjektiv zu bewerten, welche Hallo Carme!
Übersetzung ihnen einfacher gefallen ist. Ich freue mich als eure Tutorin schon dar-
Dabei wird deutlich, daß der Text des auf mit euch zusammen an dem Projekt zu
Nichtmuttersprachlers ›einfacher‹ ist, da arbeiten. Mehr über mich erfahrt ihr auf
dem BSCW Server im Ordner »Materialien
er auf allen Textebenen Merkmale ihrer Salzburg«.
eigenen Muttersprache durchschimmern Da ihr beide in euren Vorstellungstexten
läßt. Anschließend werden die Lernen- geschrieben habt, daß ihr gerne Musik
den aus den verschiedenen Gruppen ge- hört, interessiert euch vielleicht folgende
mischt und darum gebeten, die Merk- Internetseite eines großen österreichischen
Musikradiosenders: http://oe3.orf.at
male aller Texte zu analysieren. Sie sollen
die folgende Aufgaben bearbeiten: Liebe Grüße aus Salzburg,
Inge
1. Arbeitet in der Gruppe mit euren Origi- Danke für deine E-mail. Ich habe gesehen,
naltexten (deutschsprachige Mailtexte daß du auch Gemmas Tutorin bist.
und spanische Paralleltexte) und euren Ich bin sehr froh, weil ich denke, daß wir
Übersetzungen. Vergleicht die Textkon- gute Freundinen können sein. Ich denke,
ventionen in allen Texten. daß wir sehr gemeinsam haben.
2. Welche Unterschiede stellt ihr in den von
deutschsprachigen Muttersprachlern ge- auf wiedersehen. Grüssen,
schriebenen Texten fest? Carme
392

2.5 Sensibilisierung für kulturelle Be- a: aquest que està a la Rambla on estava la
griffe facu abans?
Für diese Aufgabe wurden die Möglich- b: no, bueno, aquest també, però/
a: però què hi venen?
keiten der sogenannten eingebürgerten b: venen cafè tambè però també hi fan cafés
Übersetzung (oder verdeckte Übersetzung in a: com de degustació
der Terminologie von House 2001) für die b: si, això hauria de ser això, saps també qui
Zwecke des Sprachunterrichts genutzt. ho fa? Hi ha una cadena a Barcelona que
Als eingebürgerte Übersetzungen werden es diu. mhm, n’hi ha a tot arreu (¿)
solche professionell angelegten Überset- a: d’aquestes que són franquícies (¿)
b: són verds, algo italià (¿)bueno, és igual, ja
zungen bezeichnet, in denen die Spuren ho descubrirem (¿) vaig a mirar en el
der kulturellen Herkunft des Ausgangs- google a veure si ho trobem
textes möglichst ausgelöscht werden. So a: Kaiser’s – Kaffee – Geschäft (soroll de
werden z. B. die Eigennamen der Zielkul- teclat)
tur angepaßt. Im DaF-Unterricht habe ich (pausa curta)
diese Möglichkeit gewählt, um zuerst b: dios, que sí, no?
a: si, no?
einmal die Aufmerksamkeit der Lernen-
b: això és una cadena
den auf eben solche kulturell geprägten a: ah què maco el tomàquet
Begriffe zu lenken, und zweitens, um b: ha ha/entrem no?
eine intensive Auseinandersetzung mit a: si
ihnen zu erzwingen. Anhand eines Ex- b: això és una cadena dee
zerptes der Transkription der bei einer a: d’alimentació?
konkreten Aufgabe entstandenen Inter- b: això no és un bar, ah, eh, una cafeteria
això
aktion soll das Ziel der Aufgabe deutli- a: això és una marca de café i és la botiga del
cher werden. café, d’això, del café de Kaiser
Zwei Studierende erhalten den Auftrag, b: deu ser, com si aqui Marcilla, no?
eine eingebürgerte Übersetzung des unten- a: Marcilla
stehenden Textes anzufertigen: b: però és clar, no és ben bé Marcilla perquè
Marcilla no té altres productes que no
»Im Kleinstädtchen Donaueschingen am siguin cafè
Rande des Schwarzwaldes ist alles beschau- a: ah és clar, espera espera
lich und überschaubar. Kaiser’s Kaffee-Ge- b: alguna cosa que tingui cafè […]
schäft liegt gegenüber den Redaktionsstu-
ben des Südkurier, der schon seit fast drei Der Übersetzungsauftrag erzwingt hier
Jahrzehnten dpa-Funkbilder aus aller Welt eine Bedeutungssuche für einen kulturell
im Schaufenster aushängt […]. Vis-a-vis markierten Begriff, die weiter geht als
gibt’s das Bistro ›Schinderhannes‹. Vor dem eine einfache Wörterbuchbedeutungszu-
Eingang stehen die Gastarbeiter im Sonn-
tagsanzug. […] Sie bleiben wie immer unter schreibung. Gemeinsam nähern sich die
sich. […]« (In: Behal-Thomsen 1993: 109) beiden Studierenden der Bedeutung des
Ich dokumentiere hier die Interaktion1, Realiums, indem sie auf ihr Weltwissen
die sich bzgl. »Kaiser’s Kaffee-Geschäft« und auf die Hilfe des Internets zurück-
ergibt: greifen. Das gemeinsame laute Formulie-
ren ihrer Hypothesen macht deutlich,
a: i un Kaffee-Geschäft no és el mateix que daß die Fokussierung auf die Lösung
un café nostre
b: és un café-botiga, ah, saps com? aqui n’hi eines Problems ihnen hilft, eine nuancen-
ha un, el/com es deia/hi treballava una volle Bedeutungszuschreibung aufzu-
amiga meva bauen. Die zunächst sicher formulierte

1 Die gewählte Transkriptionsform soll lediglich dem oben genannten Ziel entsprechen.
393

Hypothese »café-botiga« wird peu a peu estrangeres«, Quaderns. Revista de Traduc-


gefüllt mit weiteren Inhaltsdeskriptoren, ció 7 (2002), 155–165.
die mit Hilfe der graphischen Darstel- Behal-Thomsen, Heinke; Lundquist-Mog,
lung im Internet aufgebaut werden. Die Angelika; Mog, Paul: Typisch Deutsch?
Arbeitsbuch zu Aspekten deutscher Mentali-
Aufgabenstellung forciert den Vergleich tät. München: Langenscheidt, 1993.
mit der eigenen Kultur und die Gegen- Bimmel, Peter; van de Ven, Mariet: »Man
überstellung von Inhaltsdeskriptoren. nehme ein Wörterbuch…«, Fremdsprache
Deutsch 23 (2000), 38–39.
b: però és clar, no és ben bé Marcilla perquè
Marcilla no té altres productes que no Donato, Richard: »Collective Scaffolding in
siguin cafè Second Language Learning«. In: Lantolf,
James; Appel, Gabriela (Hrsg.): Vygots-
a: ah és clar, espera espera kian Approaches to Second Language Re-
Die beiden Studierenden kommen so zu search. Norwood: Ablex Publishing Com-
dem Ergebnis, daß »Kaiser’s Kaffee-Ge- pany, 1994, 33–55.
schäft« ein breiteres Produktangebot hat Ehnert, Rolf; Schleyer, Walter: Übersetzen im
Fremdsprachenunterricht. Beiträge zur
als die in letzter Zeit in Spanien häufig Übersetzungswissenschaft – Annäherungen
anzutreffenden Franchiselokale, in denen an eine Übersetzungsdidaktik. Regensburg:
im Café auch Kaffee gekauft werden AKDAF, 1987.
kann. Des weiteren wird hier deutlich, Eichheim, Hubert; Bovermann, Monika;
daß Übersetzen keine individuelle Auf- Tesarova, Lea; Hollerung, Marion: Blaue
gabe im stillen Kämmerlein zu sein Blume. Kursbuch. Spanische Ausgabe. Mün-
chen: Hueber, 2002.
braucht. Daß die Interaktion in der Mut-
Esteve, Olga; Borras, Josep; Naval-Surribes,
tersprache abläuft, sollte m. E. in dieser Eva; Vilaseca, Lidia: Los aprendientes como
Phase des Unterrichts kein Problem dar- analistas del discurso. Lleida: Servei de
stellen. Die Lernenden sind dabei, kultu- Publicacions de la Universitat de Lleida
relle Bedeutung auszuhandeln, und ge- (in Vorb.).
hen vom Eigenen zum Fremden und wie- González-Davies, María: »Translation in Fo-
der zurück zum Eigenen. Was ist ihnen reign language Learning: Sleeping with
the Enemy? APAC-ELT Convention
eigener als die Muttersprache? Mit fort- 2001«, APAC of News 44, 1 (2002), 64–74.
geschrittenen Lernern kann man die Auf- Hönig, Hans: Konstruktives Übersetzen. Tü-
gabe auch als Hinübersetzung gestalten. bingen: Stauffenburg, 1995.
Zu erwarten ist, daß in diesem Fall zu- House, Juliane: »Übersetzen und Deutsch-
mindest ein Teil der Interaktion in der unterricht«. In: Helbig, Gerhard; Götze,
Fremdsprache geschieht, so wie es auch Lutz; Henrici, Gert; Krumm, Hans-Jürgen
(Hrsg.): Deutsch als Fremdsprache. Ein in-
der Fall ist bei gemeinsam erstellten Pro-
ternationales Handbuch. 1. Teilband. Berlin;
duktionen. New York: de Gruyter (Handbücher zur
Sprach- und Kommunikationswissen-
schaft, 19.1), 2001, 258–268.
Literatur Hurtado Albir, Amparo: Traducción y Tra-
Aguado, Karin; Riemer, Claudia (Hrsg.): ductología. Ma drid: Cátedra, 2001.
Wege und Ziele: Zur Theorie, Empirie und Kiraly, Don: A Socialconstructivist Approach
Praxis des Deutschen als Fremdsprache (und to Translator Education. Manchester: St.
anderer Fremdsprachen). Festschrift für Gert Jerome, 2000.
Henrici zum 60. Geburtstag. Baltmanns- Königs, Frank: »Übersetzen und Fremd-
weiler: Schneider Verlag Hohengehren, sprachenunterricht«. In: Goethe-Institut
2001. (Hrsg.): Übersetzungswissenschaft und
Andreu, Maribel; Berenguer, Olga; Otero, Fremdsprachenunterricht. Neue Beiträge zu
Pilar; Ripoll, Odile: »Competència tra- einem alten Thema. München: Goethe In-
ductora i ensenyament de llengües stitut, 1989, 7–14.
394

Krings, Hans: »Übersetzen und Dolmet- Rodrigues, Cassio: »Warum hast du das so
schen«. In: Bausch, K.-Richard; Christ, und nicht anders übersetzt? Übersetzen
Herbert; Krumm, Hans-Jürgen; Hüllen, als Übungsform: praktische Beispiele aus
Werner (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachen- dem brasilianischen Deutschunterricht«,
unterricht. Tübingen; Basel: Francke, 1989, Fremdsprache Deutsch 23 (2000), 25–32.
273–280. Rohmann, Heike: »Selbstorganisation und
Lantolf, James; Appel, Gabriela: »Theoreti- Fremsprachenerwerb«. In: Aguado, Ka-
cal Framework: An Introduction to Vy- rin; Riemer, Claudia (Hrsg.) 2001, 201–
gotskian Approaches to Second Lan- 212.
guage Research«. In: Dies. (Hrsg.): Vy- Van Lier, Leo: Interaction in the Language
gotskian Approaches to Second Language Re- Curriculum. Awareness, Autonomy & Au-
search. Norwood: Ablex Publishing Com- thenticity. London: Longman, 1996.
pany, 1994, 13–31. Wolff, Dieter: Fremdsprachenlernen als Kon-
Nord, Christiane: Fertigkeit Übersetzen. Er- struktion. Grundlagen für eine konstruktivi-
probungsfassung. München: Goethe-In- stische Fremdsprachendidaktik. Frankfurt:
stitut, 1999 (Fernstudieneinheit 39). Lang, 1992.
395

Ausgewählte Ergebnisse einer qualitativen Unter-


suchung zum selbstorganisierten Fremdsprachen-
lernen mit Multimedia

Marion Niehoff

1. Einleitung zum Fremdsprachenlernen mit Multi-


Seit Mitte der neunziger Jahre ist multi- media waren in der Literatur nicht zu
mediale Lernsoftware zu einem Stan- finden. Zudem zeigte sich die mediendi-
dardprodukt insbesondere auch für das daktische Tendenz zur Fixierung auf das
selbstorganisierte Fremdsprachenlernen Produkt, wobei handelsübliche Sprach-
geworden. Die in diesem Beitrag darge- lernsoftware – wenn sie angesichts der
stellte Untersuchung betrifft handelsüb- zunehmenden Orientierung auf das In-
liche multimediale Lernsoftware, die ternet überhaupt Beachtung fand – mit
auf CD-ROM vertrieben und zum Urteilen wie »Alter Quark noch viel
selbstorganisierten Fremdsprachenler- breiter« (Hess 1998: 54) in der Regel
nen verwendet wird. Im Gegensatz zu vernichtend beurteilt wurde. Der Prozeß
den meisten Studien und Diskussionen, des alltäglichen außerunterrichtlichen
die das Produkt Lernsoftware in den Vor- Lernens mit diesen breit verfügbaren
dergrund stellen, konzentriert sich die und populären Medien schien hingegen
darzustellende Untersuchung auf den kaum berücksichtigt zu werden. Daher
Prozeß des Lernens mit Multimedia. Das wurde die Fragestellung der Untersu-
allgemeine Interesse daran, den Prozeß chung folgendermaßen spezifiziert:
des selbstorganisierten mediengestütz- Welche Anforderungen lassen sich an
ten Fremdsprachenlernens zu untersu- das selbstorganisierte Fremdsprachen-
chen, wurde insbesondere auch durch lernen mit Multimedia aus der (rekon-
die langjährige theoretische und prakti- struierten) Perspektive der NutzerInnen
sche Auseinandersetzung mit dem Kon- bestimmen? Die Untersuchung zielte
zept des autonomen Lernens nach Rolf darauf ab, zu einem besseren theoreti-
Ehnert (1978) gefördert, dem ich an die- schen Verständnis des außerunterrichtli-
ser Stelle für seine freundliche Unter- chen, mediengestützten Fremdspra-
stützung der Untersuchung herzlich chenlernens zu gelangen und somit
danken möchte. auch zu einer Verbesserung entspre-
Die konkrete Motivation, eine empiri- chender Angebote zum Fremdsprachen-
sche Studie zum selbstorganisierten lernen beizutragen.
Fremdsprachenlernen durchzuführen,
entstand im Rahmen der Mitarbeit an 2. Theoretischer Hintergrund
einem Projekt, in dem ein multimediales Anhand der Begriffsdefinitionen, die
Fachsprachenlernprogramm entwickelt der Untersuchung zugrunde liegen,
wurde. Empirisch begründete Kriterien werden im folgenden einige zentrale

Info DaF 30, 4 (2003), 395–405


396

theoretische Aspekte darlegt1. Charakte- chenerwerbs fehlt, sie andererseits je-


ristisch für multimediale Texte ist die doch ein operationalisierbares Modell
Möglichkeit, verschiedene Medien, ver- benötigt. Obwohl angesichts der Ergeb-
schiedene Codierungsarten (abbildhaft/ nisse der Neurobiologie und der Kogni-
symbolisch) und verschiedene Sinnes- tionswissenschaften davon ausgegan-
modalitäten (auditiv/visuell) zu kombi- gen werden kann, »daß unser Gehirn,
nieren (Aufenanger 1999). Der derart auch beim Sprachenlernen, simultan
gefaßte Begriff Multimedia wird in der mehrdimensional, eben nichtlinear ar-
vorliegenden Studie im Sinne einer beitet« (Bleyhl 1997: 234), fehlen er-
Kurzform für multimediale Lernumge- probte und operationalisierbare Mo-
bungen verwendet. Der Begriff der Ler- delle, die geeignet sind, die von Bleyhl
numgebung ist aus der Perspektive der beschworene Gefahr, in der Spracher-
konstruktivistischen Lernphilosophie werbsforschung einem »simplen Input-
begründet und legt die Annahmen zu- Output-Schema« anzuhängen (Bleyhl
grunde, »daß Lernen ein aktiver und 1997: 234), vollständig abzuwenden. Die
konstruktiver Prozess ist, das (sic!) Ler- Untersuchung legt daher das von Rie-
nen in Kontexte und Situationen einge- mer (1997) entwickelte Modell des
bettet sein sollte und daß Lernen ein Fremdsprachenerwerbs zugrunde, das
selbstgesteuerter und sozialer Prozess auf dem Referenzmodell von Gass und
ist« (Aufenanger 1999: 6). Selinker basiert (1994: 295 ff.). Für den
Der Begriff Fremdsprachenlernen fun- fortlaufenden Fremdsprachenerwerb ist
giert laut Riemer »als Markierung von danach »neuer« Input relevant. Zwei
durch Fremdsprachenunterricht gesteu- Ausleseprozesse, die Input von der wei-
erten Lernprozessen« (1997: 1). Die be- teren Verarbeitung ausschließen, sind
griffliche Trennung zwischen Zweit- dafür verantwortlich, daß aus neuem
sprachenerwerb als ›natürlichem‹ Er- Input in geringerem Maße Intake wird
werb und Fremdsprachenlernen als ins- (Riemer 1997: 235). Als »input filters«
besondere unterrichtlich gesteuertem gelten u. a. Inputfrequenz, Affekt (z. B.
Erwerb lasse sich nur begrenzt aufrecht- soziale Distanz, Motivation), Vorkennt-
erhalten, daher sei es sinnvoll, unter- nisse (z. B. L1, L2), Erfahrungen im Ziel-
schiedliche Perspektiven auf Erwerbs- sprachenland oder der Aufmerksam-
prozesse nicht als sich ausschließende keitsgrad (231). Im nächsten Schritt fin-
zu verstehen (ebd.). Ein derartiges Ver- det nach Gass und Selinker der Intake
ständnis wird für die vorliegende Unter- statt, d. h. die kognitive Assimilierung
suchung auch deshalb als notwendig des linguistischen Materials in die Ler-
erachtet, da die alltäglichen Praktiken, nerInnengrammatik. Riemers auf dem
informelles Lernen und die allgemeine Referenzmodell von Gass und Selinker
Lernsituation der Fremdsprachenler- basierendes Modell ist im Hinblick auf
nenden im Mittelpunkt stehen. Eine em- seine differenzierte Berücksichtigung in-
pirische Untersuchung zum Fremdspra- dividueller Variablen sowie hinsichtlich
chenlernen sieht sich mit dem Dilemma der Annahme von »input filters« her-
konfrontiert, daß bisher einerseits eine vorzuheben. Durch diese erfaßt das Mo-
umfassende Theorie des Fremdspra- dell in einem gewissen Maße auch die

1 Für die ausführliche Diskussion des theoretischen und empirischen Forschungsstandes


sei verwiesen auf Niehoff (2003).
397

mehrdimensionale, nichtlineare Funkti- lichen Verwendung handelsüblicher


onsweise des Gehirns beim Lernen. CD-ROMs im Zentrum des Erkenntnis-
Im Grunde genommen weist (fast) jeder interesses steht. Auf eine methodologi-
Lernvorgang die Eigenschaft der Selbst- sche Diskussion (s. Niehoff 2003: 97 ff.)
steuerung auf. Dieser Aspekt tritt bei wird an dieser Stelle verzichtet, um statt
Konzepten des selbstorganisierten Ler- dessen die praktische Durchführung
nens in den Vordergrund, das als eigen- und die verwendeten Methoden in den
verantwortliches, planvolles Handeln zu Vordergrund zu stellen.
begreifen und zu fördern ist (vgl. Edel-
mann 1996; Ehnert 1978). Die vorliegende 3.1 TeilnehmerInnen und Durchfüh-
Untersuchung legt die Definition nach rung der Untersuchung
Straka und Stöckl (1999) zugrunde; sie Die Untersuchung wurde im Selbstlern-
integrieren in ihrer Begriffsbestimmung studio der Brandenburgisch Techni-
die grundlegenden Unterscheidungs- schen Universität Cottbus im Zeitraum
merkmale Fähigkeit und Bereitschaft von Mai 1999 bis März 2000 durchge-
zum selbstorganisierten Lernen sowie führt. An der Untersuchung nahmen
die damit verbundenen Strategien. neun deutsche MuttersprachlerInnen
Selbstorganisiertes Lernen ist demnach teil, die freiwillig zu verschiedenen
»ein Prozeß, in dem Individuen die Initia- Fremdsprachen ihrer Wahl – Chinesisch,
tive ergreifen, um mit oder ohne Hilfe Englisch, Französisch, Isländisch, Nie-
anderer ihren Lernbedarf festzustellen, derländisch, Spanisch – auf dem Niveau
ihre Lernziele zu formulieren, menschli- der Grundstufe I arbeiteten. Bei den
che und materielle Lernressourcen zu Fremdsprachenlernenden handelte es
identifizieren, angemessene Lernstrate- sich um sechs Frauen und drei Männer
gien auszuwählen und einzusetzen so- im Alter von 20 bis 58 Jahren, die mit
wie ihre Lernergebnisse zu bewerten« Ausnahme einer Geisteswissenschaftle-
(Straka/Stöckl ebd., Übersetzung d. V., rin über einen beruflichen Schwerpunkt
Original: Knowles 1975: 18). Als Vorteil in den Bereichen Naturwissenschaft,
des Konzeptes und der Begriffsbestim- Technik und Wirtschaft verfügten. Dies
mung von Straka und Stöckl ist dessen hängt mit dem Ort der Datenerhebung,
empirische Fundierung und Erprobung einer Technischen Universität, zusam-
anzuführen. men, obwohl auch zwei Fremdspra-
chenlernende, die weder an der Univer-
3. Methodisches Design sität studierten noch arbeiteten, an der
Aufgrund fehlender Forschungsergeb- Untersuchung teilnahmen. Leitend für
nisse zum Fremdsprachenlernen mit die Durchführung der Untersuchung
Multimedia ist die Wahl eines qualitati- war der Gesichtspunkt, daß es zu einer
ven Forschungsdesigns besonders ge- längeren Kontaktzeit der Lernenden mit
eignet. Zudem ist die ›natürliche‹ Lern- den multimedialen Lernumgebungen
situation Gegenstand der Untersu- kommen sollte (min. sechs Monate bzw.
chung, da das Lernen und Handeln der sechs Sitzungen), um Einmaleffekte zu
TeilnehmerInnen im Kontext der alltäg- vermeiden1.

1 Eine amerikanische Metastudie ermittelte und kritisierte, daß die durchschnittliche


Kontaktzeit der ProbandInnen mit den Lernumgebungen bei nur ca. 30 Minuten liegt
(Aufenanger 1999: 4).
398

3.2 Datenerhebung dium wird den Lernenden die Frage ge-


Als Methoden der Datenerhebung wur- stellt: »Was geht Ihnen/Dir durch den
den das Verfahren des Lauten Denkens Kopf?« Diese allgemeine Instruktion
und Leitfadeninterviews kombiniert, um bzw. Leitfrage sollte für alle Teilnehmen-
»die Breite, Tiefe und Konsequenz im den gleich sein und über eben diese For-
methodischen Vorgehen« zu erhöhen mulierung nicht hinausgehen (ebd.). Im
(Flick 1996: 251). Verlauf der Datenerhebung wurde dieses
Prinzip grundlegend berücksichtigt;
3.2.1 Lautes Denken gleichzeitig wurde jedoch im Sinne der
Das Laute Denken ist eine Methode der teilnehmenden Beobachtung (Frieberts-
Datengewinnung, die sowohl in den häuser 1997: 503 ff.) auf die »Natürlich-
Übersetzungswissenschaften, in der keit« der Kommunikationssituation gro-
Spracherwerbsforschung (vgl. Herrmann ßer Wert gelegt und aufkommende Ver-
1994) als auch in der Medienrezeptions- ständnisschwierigkeiten wurden umge-
forschung (vgl. Luca 1999) Anwendung hend zurückgemeldet. Das Laut-Denk-
findet. Während der Arbeit am Computer Verfahren erfordert eine einfühlsame und
wurden die Fremdsprachenlernenden vor allem nicht wertende Gesprächslei-
dem Laut-Denk-Verfahren entsprechend tung (Luca 1999: 46).
aufgefordert, ihre Gedanken und Emo-
tionen zu äußern. Eine Videokamera, die 3.2.2 Leitfadeninterviews
so positioniert war, daß sie den Lernen- Die Interviews zielten auf die für Exper-
den quasi ›über die Schulter sah‹, diente tInneninterviews übliche Wissenselizi-
dazu, die Äußerungen der Lernenden tierung ab (vgl. Meuser/Nagel 1997:
und das Geschehen am Bildschirm 481ff.) und wurden jeweils nach einer
gleichzeitig aufzuzeichnen. Das entschei- größeren Zahl von Sitzungen mit den
dende Merkmal des Lauten Denkens ist Lernenden durchgeführt, so daß bereits
der Versuch, die Gedanken und Emotio- eine Vertrautheit und offene Gesprächs-
nen zu dokumentieren, die die Lern- haltung zwischen Interviewerin und In-
handlung bzw. Medienrezeption beglei- terviewten bestand. Es wurde (in der
ten. Im Gegensatz zur Medienrezeptions- Rekonstruktion) darauf abgezielt, eine
forschung wird in der prozeßorientierten chronologische Darstellung sämtlicher
Spracherwerbsforschung stärker das bisheriger Aktivitäten zum Fremdspra-
gruppengesteuerte Laut-Denk-Verfahren chenlernen anzufertigen. Am Beginn
favorisiert. Individuelles lautes Denken des Interviewleitfadens steht die offene
wird z. B. von Legenhausen als eine »un- Erzählaufforderung »Erzählen Sie/Er-
natürlich-ungewohnte Aktivität« (1993: zähl doch mal von Ihren/Deinen Erfah-
219) mit hohen kognitiven Anforderun- rungen mit dem Fremdsprachenlernen
gen an die jeweiligen ProbandInnen be- bisher«. Es wurde für jede bisher ge-
zeichnet. In der Medienrezeptionsfor- lernte Fremdsprache versucht zu ermit-
schung wird die Methode auch mit der teln, wann, wo, wie (Medien/Metho-
Bezeichnung des »Nachträglich Lauten den) sie gelernt wurde. Darüber hinaus
Denkens« verwendet (Luca 1999: 46), wo- wurde angestrebt, die auf das betref-
bei vergleichbar zur vorliegenden Unter- fende Fremdsprachenlernen bezogenen
suchung von einer begrenzten Paralleli- Einstellungen (im Sinne von Ansätzen
tät von Medienrezeption bzw. Lernhand- einer subjektiven Theorie) sowie die je-
lung und Lautem Denken ausgegangen weilige(n) Motivation(en) zu ermitteln.
wird. Während der Arbeit mit dem Me- Neben den Nachfragen zur Vervollstän-
399

digung dieser Informationen wurden nennenden) Bedingungen passiert die-


zwei Nachfragen zur Selbsteinschät- ses, wogegen unter jenen Bedingungen
zung im Umgang mit einem PC sowie jenes vorkommt« (Strauss/Corbin 1990:
zu den Vorkenntnissen hinsichtlich der 130 f.; nach Flick 1996: 203). Das Kodieren
Verwendung von Lernsoftware gestellt. beinhaltet im Verständnis der Grounded
Von den Interviews wurden in der Aus- Theory also den ständigen Vergleich zwi-
wertung Zusammenfassungen vom schen Fällen, Begriffen etc. sowie das
Band angefertigt. Formulieren von Fragen an den Text, um
die »theoretische Sensibilität« zu erhöhen
3.3 Datenauswertung (Strauss/Corbin 1996: 56 f.). Das For-
Für die Datenauswertung wurde das Ver- schungsdesign wurde anhand der von
fahren des theoretischen Kodierens der Steinke (1999: 205 ff.) auf Grundlage des
Grounded Theory angewendet. Durch die Konstruktivismus formulierten Kernkri-
Anwendung der verschiedenen Kodier- terien zur Bewertung qualitativer For-
formen (offenes Kodieren, axiales Kodie- schung diskutiert und überprüft. Steinke
ren und selektives Kodieren) wird – aus- betrachtet (qualitative) Forschungstätig-
gehend von den Daten – in einem Prozeß keiten als einen sukzessiven Prozeß von
der Abstraktion die bereichsspezifische Konstruktionsleistungen, der zur Quali-
Theorie entwickelt. In einem ersten tätssicherung daraufhin überprüft wer-
Schritt zielt das offene Kodieren durch den sollte, inwieweit die einzelnen Kon-
das Segmentieren der Daten darauf ab, struktionsprozesse den folgenden Quali-
ein tieferes Verständnis für den Text zu tätsanforderungen genügen: Das Krite-
entwickeln und das Aufbrechen, Unter- rium der intersubjektiven Nachvollziehbar-
suchen, Vergleichen, Konzeptualisieren keit (207 ff.) beinhaltet die Forderung, den
und Kategorisieren der Daten zu errei- Forschungsprozeß umfassend zu doku-
chen (Strauss/Corbin 1996: 43). Das axi- mentieren. Weiterhin gelten Interpreta-
ale Kodieren beinhaltet eine Reihe von tionen in Gruppen als eine diskursive
Verfahren, durch die die Daten auf neue Form der Herstellung von Intersubjekti-
Art zusammengesetzt werden, indem vität und Nachvollziehbarkeit. Die Her-
Verbindungen zwischen Kategorien kon- stellung intersubjektiver Nachvollzieh-
struiert werden (75). Das umfaßt den barkeit in der qualitativen Forschung
Einsatz eines Kodierparadigmas, das sich wird außerdem durch die Anwendung
aus Bedingungen, Kontext, Handlungs- kodifizierter Verfahren ermöglicht, d. h.
und interaktionalen Strategien sowie Verfahren, die in einem gewissen Maße
Konsequenzen zusammensetzt. Das se- kanonisiert sind. Das Kriterium der Indi-
lektive Kodieren setzt das axiale Kodie- kation des Forschungsprozesses und der Be-
ren auf einem höheren Niveau fort und wertungskriterien (215 ff.) beinhaltet die
integriert die gesamte interpretative Ar- jeweilige Indikation des qualitativen Vor-
beit, wobei die Auswahl einer Kernkate- gehens, der Methodenwahl, der Tran-
gorie und das In-Beziehung-Setzen aller skriptionsregeln, der Samplingstrategie
Hauptkategorien zur Kernkategorie und der Bewertungskriterien sowie die Indi-
untereinander im Zentrum des Verfah- kation der methodischen Einzelentschei-
rens steht (117). Durch die Anwendung dungen im Kontext der gesamten Unter-
des Kodierparadigmas und die entspre- suchung. Das Kriterium der empirischen
chende Gruppierung der Daten wird der Verankerung (221 ff.) wird u. a. gesichert
Theorie Spezifität verliehen und ermög- durch das Ableiten und Testen von Pro-
licht es zu »sagen: Unter diesen (zu be- gnosen aus bzw. in der generierten Theo-
400

rie und die Anwendung des Verfahrens und die ihm zugeordneten Kodierungen.
der analytischen Induktion, und indem Die Beschreibung der Kernkategorie ›Be-
hinreichende Textbelege die Theorieprü- dürfnis- und erfolgsorientiertes Fremd-
fung ermöglichen. Das Kriterium der Li- sprachenlernen mit Multimedia‹ wird
mitation (227 ff.) macht das Ausweisen durch die tabellarische Übersicht über
der Grenzen der Untersuchung notwen- die Strategiekodierungen ergänzt und
dig, d. h. die Beschreibung der Kontexte, versucht so, zentrale Untersuchungser-
auf die die Ergebnisse anwendbar sind, gebnisse aufzuzeigen.
und macht die Beschreibung des Kontex- Es gilt zu berücksichtigen, daß Bedürfnis-
tes und relevanter Aspekte für das Unter- se der Fremdsprachenlernenden, wie
suchungsphänomen erforderlich. Das z. B. die Verfügbarkeit von Übersetzun-
Kriterium der reflektierten Subjektivität gen, in den Lernumgebungen nicht im-
(231 ff.) bezieht sich einerseits auf den mer berücksichtigt werden, so daß ge-
gesamten Forschungsprozeß und ande- wisse Aspekte daher nur über die Nicht-
rerseits auf die Reflexionen während des Erfüllung eines Bedürfnisses zu themati-
Feldeinstiegs, die Reflexionen der per- sieren sind bzw. insbesondere in diesen
sönlichen Voraussetzungen und der Be- Fällen von den TeilnehmerInnen benannt
ziehung zwischen Forschenden und In- werden. Zudem muß von einer individu-
formantInnen. Die Kohärenz (239 ff.) der ellen Ausprägung der Bedürfnisse auf-
Daten und der Interpretationen sowie die grund von Faktoren wie Alter, Vorkennt-
logische Stimmigkeit bzw. die Folgerich- nissen, Zielen und Persönlichkeitsvariab-
tigkeit der entwickelten Theorie sowie len ausgegangen werden.
schließlich die Relevanz (241 ff.) der Fra- Die starke Orientierung der Teilneh-
gestellung und der Beitrag der entwickel- merInnen auf die je individuellen Bedürf-
ten Theorie sind als weitere Gütekriterien nisse beim Fremdsprachenlernen zeigt
zu nennen. sich insbesondere beim Treffen einer
Auswahl aus dem Angebot: Durch das
4. Ausgewählte Untersuchungsergeb- Vergleichen und Auswählen von Lern-
nisse umgebungen und innerhalb einer Lern-
Die Auswertung der Tätigkeiten, Interes- umgebung sowie das Kombinieren wer-
sen und Bedürfnisse aus Sicht der Ler- den die Angebote entsprechend dem ei-
nenden zeigt, daß sie durch die im Ver- genen Bedarf bearbeitet, um eine subjek-
lauf ihrer Biographie erworbenen Kom- tive Optimierung des Lernprozesses zu
petenzen hinsichtlich des eigenen Fremd- erreichen. Im Hinblick auf die verschie-
sprachenlernens über Selbststeuerungs- denen medialen Darbietungsformen und
kompetenzen verfügen, die sie als bil- Methodenvarianten treffen die Fremd-
dungsgewohnte »LernexpertInnen« sprachenlernenden auf Basis einer immer
kennzeichnen. Das im folgenden darge- wieder zu gewinnenden Orientierung
stellte theoretische Modell ist als ein be- komplexe Entscheidungen, die dem indi-
reichsbezogenes theoretisches Modell zu viduellen Lernbedarf, dem angestrebten
charakterisieren, d. h. es wird nicht der Ziel, der Spezifik der jeweiligen Fremd-
Anspruch einer formalen Theorie erho- sprache und Kultur gerecht werden, was
ben. Das differenzierte Modell kann an z. B. beinhaltet, daß sie Übungen auslas-
dieser Stelle nur als Graphik in seiner sen oder abwandeln und die Funktion
Gesamtheit präsentiert werden (siehe von Texten erweitern (z. B. lautes Lesen).
Abb. 1). Die Abbildung vermittelt einen Die Fremdsprachenlernenden wägen die
ersten Überblick über die Kernkategorie Kosten – hier im Sinne von Arbeits- und
401

Persönliche Bedingungen
• Motivation
Strategien
• Ziel
• “Sich Vertraut Machen“
• Erfahrung mit dem
Fremdsprachenlernen • Suchen
Äußere Voraussetzungen
• Andere Aktivitäten zum
• Zugang zu Hardware/ • Strategien der Lernorganisation
Fremdsprachenlernen
Software
• Lernbedarf kennen/ benennen • Wahrnehmen und Verstehen
• Verfügbarkeit von
• Kenntnisse zur Bedienung von Lernumgebungen • Integrieren und Elaborieren
Computern/ Affinität zum
Medium • (Technische) Beratung • Erfolgsorientiertes Üben

Bedürfnis- und erfolgsorientiertes


Fremdsprachenlernen mit Multimedia

Hinderliche Bedingungen Konsequenzen


der Lernumgebung
• Aktivierung, Festigung und
• Mangelnde Information und Förderliche Bedingungen
Erweiterung der Kenntnisse
Transparenz der Lernumgebung und Fertigkeiten
• Mangelnde • Unterstützung von
• Subjektives
Kontrollmöglichkeiten Installation und Konfiguration
Erfolgsempfinden
• Kontextarme Sprache • Zugriffsmöglichkeiten auf • Aufrechterhaltung der
bestimmte Inhalte Motivation
• Unzureichende Angebote
zur Semantisierung • Vielfältige Modalitäten der • Akzeptanz der
• Mangelnde Präsentation und der Übung Lernumgebung
Sprachkontrastiviät • Individuelle • Transfer
• Mangelnde Fehleranalyse Ergebnissicherung
• Förderung von
Metakognitionen

• Interaktivität und
Personalisierung

• Redundanz und Effizienz

Abb. 1: Theoretisches Modell zum selbstorganisierten Fremdsprachenlernen mit Multimedia

Zeitaufwand zu verstehen – und den die Fremdsprachenlernenden bestimmen


Nutzen im Hinblick auf das angestrebte können, inwieweit die Lernumgebung
Ziel gegeneinander ab. Das Wissen oder ihren Bedürfnissen entspricht. Sind die
mindestens Annahmen über die Ziele der Fremdsprachenlernenden daran interes-
Lernumgebung sind erforderlich, damit siert, bestimmte Lernvorhaben zu reali-
402

sieren, die mit anderen Aktivitäten, wie Einprägen sowie das Überprüfen der
z. B. der Teilnahme an einem Sprachkurs, Wortschatzkenntnisse als nötig empfin-
zusammenhängen, favorisieren sie die den. Die Fremdsprachenlernenden zei-
Möglichkeit, zielgerichtet auf entspre- gen ein ausgeprägtes Interesse daran,
chende Inhalte zugreifen zu können. Ver- eine Bestätigung über die erfolgreiche
fügen die Lernenden über einen wenig Erweiterung, Festigung oder Aktivie-
spezifischen Lernbedarf, sind sie beson- rung ihrer Kenntnisse und Fertigkeiten in
ders daran interessiert, für die Arbeit mit der Fremdsprache zu erreichen. Von ho-
dem Lernangebot Informationen über her Bedeutung sind für sie daher die
Lernwege zu erhalten. Die erfolgsorien- Möglichkeiten, innerhalb der Lernumge-
tierte Verwendung multimedialer Lern- bung eine Rückmeldung zu erhalten und
umgebungen kennzeichnet sich des wei- sich selbst zu überprüfen. Die Lernenden
teren durch das Interesse der Fremdspra- erleben durch das Überprüfen potentiell
chenlernenden, Lernorganisation zu be- Erfolgserlebnisse, die wiederum die Mo-
treiben. Dies umfaßt vor allem den tivation fördern, und es ermöglicht ih-
Wunsch nach Orientierung über bereits nen, im Hinblick auf ihr Fremdsprachen-
bearbeitete Inhalte, gezieltes Wiederho- lernen strategisch zu handeln, indem sie
len durch individuelles Speichern von z. B. Wiederholungen planen können. Ir-
Vokabular sowie die Bilanzierung des ritationen entstehen für die Lernenden
Erreichten. Die Planung weiterer Lern- insbesondere dann, wenn das System
schritte, wie z. B. gezieltes Wiederholen, nicht in der Lage ist, intelligente Rück-
kann darauf aufbauen. Die Lernenden meldungen zu geben. Dies betrifft vor
verfügen über einen Rezeptionsstil, der allem die Variabilität sprachlicher Mittel,
ausschließlich das Detailverstehen zum wenn es nur eine richtige Antwort gibt,
Ziel hat, daher reagieren sie ablehnend
sowie die Genauigkeit der Fehlerangabe
auf Lernumgebungen, die sie aufgrund
und die Qualität der Rückmeldung hin-
mangelnder Übersetzungsangebote hier-
sichtlich der Unterstützung der Fremd-
bei nicht unterstützen. Es zeigt sich, daß
sprachenlernenden bei der Fehlerana-
die Lernenden auf muttersprachliche,
lyse. Für die TeilnehmerInnen stellen die
fallweise auch auf Übersetzungen in eine
Aktivitäten in einer multimedialen Lern-
andere Fremdsprache, angewiesen sind,
umgebung eine Möglichkeit unter ande-
wobei sie zum Erschließen der Fremd-
sprache eine wortgenaue bzw. zeichenge- ren dar, ihr Ziel der Entwicklung von
naue Übersetzung benötigen. Eine einsei- Kommunikationsfähigkeit in der Fremd-
tig symbolhaft-bildlich kodierte Reprä- sprache zu verfolgen, d. h. das zentrale
sentation fremdsprachigen Wortschatzes Anliegen der Fremdsprachenlernenden
wird von den Fremdsprachenlernenden ist die Integration des Mediums in eine
zum Erreichen von Verstehenserfolgen erfolgreiche Gesamtstrategie.
als unzureichend betrachtet, da ihr Bild- Die folgende Zusammenfassung (Tab. 1)
verstehen in der Regel von Zweifeln ge- zeigt die zentralen Kodierungen, die zur
prägt ist, als visuelle Gedächtnisstütze Bezeichnung der Strategien der Fremd-
werden sie jedoch begrüßt. Die NutzerIn- sprachenlernenden verwendet werden
nen sind zum Erreichen von Erfolgen und an dieser Stelle aus Gründen der
beim Fremdsprachenlernen zudem auch Platzökonomie nicht weiter beschrieben
auf die schriftliche Darstellung von Über- werden können. Die Übersicht soll auch
setzung und Fremdsprache angewiesen, dazu beitragen, den Aufbau der bereichs-
da sie die schriftliche Darstellung für das spezifischen Theorie zu verdeutlichen.
403

Tabelle 1: Tabellarische Übersicht über die Die Strategien der Lernenden weisen
Strategiekodierungen zeitlich gesehen Parallelität und Über-
schneidungen auf. Zudem sind bei den
»Sich Vertraut Machen« Strategien, die als ein Geflecht aus Zielen,
– Orientieren Wegen und Mitteln zu kennzeichnen
– Anklicken sind, über den rationalen Prozeß hinaus-
– Handlungskonzepte entwickeln gehend emotionale Prozesse in Betracht
Suchen zu ziehen. Für den Einsatz der Strategien
– Suchen nach Informationen zum In- lassen sich als grundlegende Zielsetzun-
halt gen der Fremdsprachenlernenden auf
– Suchen nach bestimmten Inhalten/ den Ebenen der Nutzung des Mediums
Methoden (Aktivitäten) sowie des Fremdsprachenlernens die Be-
– Suchen eines Weges (Navigation) herrschung der Bedienung der Lernum-
– Beiläufiges Suchen gebung, das Wissen über Inhalte und
– Suchen nach einer Möglichkeit zum Funktionsweisen der Lernumgebung, die
Speichern der Ergebnisse Orientierung in der Lernumgebung so-
Strategien der Lernorganisation wie die Erweiterung, Festigung und Ak-
– Planen tivierung der Kenntnisse und Fertigkei-
– Erinnern des Bearbeiteten ten in der Fremdsprache bestimmen. Die
– Punkte o. ä. sammeln individuell ausgeprägte Erfahrenheit der
Wahrnehmen und Verstehen Lernenden mit dem Fremdsprachenler-
– Überforderung der Wahrnehmung nen und der Bedienung von Computern
– Unterforderung der Wahrnehmung zeigt sich durch einen in unterschiedli-
– Filtern anhand persönlicher Rele- chem Maße flexiblen Einsatz verschiede-
vanz ner Strategien, z. B. des Monitoring.
– Hörverstehen Diese bei allen TeilnehmerInnen zu beob-
– Leseverstehen achtende Strategie wird unterschiedlich
– Übersetzen ausgeprägt eingesetzt. Lernende mit we-
– Sehverstehen niger Bedienungserfahrung benötigen
Integrieren und Elaborieren mehr Zeit/(technische) Beratung als er-
– Monitoring und Reflexion fahrenere NutzerInnen.
– Selbstüberwachung, -kontrolle
– Bewußte Sprachbetrachtung 5. Resümee und Ausblick
– Sprechen – Aussprache Neue Formen des Lernens mit Online-/
– Imitierendes Sprechen/Nachspre- Offline-Medien konfrontieren die Fremd-
chen sprachen- und Mediendidaktik mit einer
– Lautes Lesen Vielzahl von Fragen, die das Spektrum
– Vergleichen (Audio-Aufnahme/ ihrer bisherigen Problemkreise bei wei-
Musterbeispiel) tem sprengt. Auf der einen Seite betreffen
– Wortschatzstrategien diese Fragen die lern- und wahrneh-
Erfolgsorientiertes Üben mungspsychologischen Aspekte der
– Ausführen von Übungen neuen Aneignungsformen und ihre mög-
– Korrekturen/Lösungen abrufen lichen, insbesondere längerfristigen Aus-
– Selbstkorrektur wirkungen auf die Kognitionsstrukturen
– Fehleranalyse der NutzerInnen (vgl. Hüther 1997: 214).
– Antizipieren des Transfers Auf der anderen Seite sind es Fragen
– Gezieltes Wiederholen nach der lernwirksamen und nutzerIn-
404

nenadäquaten Gestaltung multi- und hy- Literatur


permedialer Vermittlungsprozesse. Aufenanger, Stefan: »Lernen mit neuen Me-
Ebenso sind aber Fragen nach der Bil- dien. Forschungsergebnisse und Lern-
dungs- und Sozialschichtabhängigkeit philosophien«, Medien praktisch 23 (1999),
4–9.
ihrer Akzeptanz und Zugriffsmöglich-
Bleyhl, Werner: »Fremdsprachenlernen als
keiten betroffen sowie schließlich und dynamischer und nichtlinearer Prozeß
grundsätzlich Fragen nach ihrem päd- oder: weshalb die Bilanz des traditionel-
agogischen, sozialen und bildungsöko- len Unterrichts und auch die der Fremd-
nomischen Ertrag (vgl. ebd.; Issing/ sprachenforschung ›nicht schmeichel-
Klimsa 1997; Schulmeister 1996). haft‹ sein kann.«, Fremdsprachen Lehren
und Lernen (FLuL) 26 (1997), 219–239
Die bildungsgewohnten TeilnehmerInnen (Themenschwerpunkt: Language Aware-
der hier in Ausschnitten dargestellten Un- ness)
tersuchung verfügten in der Regel minde- Edelmann, Walter: Lernpsychologie. Wein-
stens über Erfahrungen mit drei Fremd- heim: Beltz, 1996.
sprachen, die sie im Lernprozeß nutzten. Ehnert, Rolf: »Beschäftigung mit Fachtex-
Daher wäre es für zukünftige Forschungs- ten: Video und ›autonomes Lernen‹«. In:
und Entwicklungsarbeiten sinnvoll, An- Eggers, Dietrich (Red.): Studienbeglei-
tende Lehrveranstaltungen Deutsch als
sätze der Mehrsprachigkeitsdidaktik im Fremdsprache; mündliche Leistungen
Kontext medienunterstützten, selbstorga- und deren Beurteilung. Mainz: AKDaF,
nisierten Fremdsprachenlernens zu be- 1978, 146–156 (Materialien Deutsch als
rücksichtigen (vgl. Hufeisen/Neuner Fremdsprache 11).
2000). Es ist davon auszugehen, daß bei Flick, Uwe: Qualitative Forschung. Theorie,
Beginn einer neuen Fremdsprache fakti- Methoden, Anwendung in Psychologie und
Sozialwissenschaften. Reinbek: Rowohlt,
sche Sprachkenntnisse, Strategien und an- 1996.
dere Fertigkeiten von den Lernenden in Friebertshäuser, Barbara: »Feldforschung
den Lernprozeß einbezogen werden. Jen- und teilnehmende Beobachtung«. In:
seits der Frage der Interferenzen sind Friebertshäuser, Barbara; Prengel, Anne-
diese bestehenden Wissensstrukturen für dore (Hrsg.): Handbuch Qualitative For-
Lernende im Prozeß des selbstorganisier- schungsmethoden in der Erziehungswissen-
schaft. Weinheim; München: Juventa,
ten Lernens elementare Ressourcen, deren 1997, 503–534.
Aktivierung die Integration neuen Wis- Friebertshäuser, Barbara; Prengel, Anne-
sens erst möglich macht. dore (Hrsg.): Handbuch Qualitative For-
Auch im Kontext dieser Untersuchung schungsmethoden in der Erziehungswissen-
zeigt sich im Hinblick auf die verwende- schaft. Weinheim; München: Juventa Ver-
ten Lernumgebungen die zentrale Pro- lag, 1997.
blematik der Theorie-Praxis-Spanne, die Gass, Susan; Selinker, Larry: Second lan-
guage acquisition. An introductory course.
sich als Kluft zwischen didaktischen An- Hillsdale, NJ: Lawrence Erlbaum, 1994.
sprüchen in der Theorie einerseits und Herrmann, Josef: »Datengewinnung in der
breit verwendeten kommerziellen Pro- Zweitsprachenforschung. Einige empiri-
dukten in der Praxis andererseits kenn- sche Befunde zur Effizienz verschiedener
zeichnen läßt. Zur Integration von Theo- Verfahren«, Die Neueren Sprachen 93, 6
rie und Praxis kann insbesondere eine (1994), 564–587.
praxisorientierte Forschung »aus der Pra- Hess, Hans Werner: »DaF-Software in der
Anwendung. – ›Alter Quark noch brei-
xis für die Praxis« beitragen, die jedoch ter‹?«, Info DaF 25, 1 (1998), 54–71.
auch die übereilte Anwendung ungesi- Hüther, Jürgen: »Mediendidaktik.« In:
cherter Befunde in didaktischen Konzep- Hüther, Jürgen; Schorb, Bernd; Brehm-
ten kritisch hinterfragen sollte. Klotz, Christiane (Hrsg.): Grundbegriffe
405

der Medienpädagogik. München: KoPäd, sche Voraussetzungen und methodische


1997, 210–215. Durchführung.« In: Friebertshäuser, Bar-
Hüther, Jürgen; Schorb, Bernd; Brehm- bara; Prengel, Annedore (Hrsg.): Hand-
Klotz, Christiane (Hrsg.): Grundbegriffe buch Qualitative Forschungsmethoden in der
der Medienpädagogik. München: KoPäd, Erziehungswissenschaft. Weinheim; Mün-
1997. chen: Juventa, 1997, 481–491.
Hufeisen, Britta; Neuner, Gerhard: Mehr als Niehoff, Marion: Fremdsprachenlernen mit
eine Fremdsprache effizient lernen: Tertiär- Multimedia – Anforderungen aus Sicht der
sprachen lehren und lernen in Europa. Bei- NutzerInnen. Eine qualitative Untersuchung
spiel: Deutsch als Folgefremdsprache nach zum selbstorganisierten Lernen. Frankfurt
Englisch. Workshopbericht Nr. 11/2000. am Main: Lang, 2003 (Werkstattreihe
Graz, 28. November–2. Dezember 2000. Deutsch als Fremdsprache, 74).
Issing, Ludwig J.; Klimsa, Paul (Hrsg.): In- Riemer, Claudia: Individuelle Unterschiede im
formation und Lernen mit Multimedia. Fremdsprachenerwerb: eine Longitudinalstu-
Weinheim: Psychologie Verlags Union, die über die Wechselwirksamkeit ausgewähl-
1997. ter Einflußfaktoren. Baltmannsweiler:
Knowles, Malcolm S.: Self-directed learning. Schneider Verlag Hohengehren, 1997.
A guide for learners and teachers. Chicago: Schulmeister, Rolf: Grundlagen hypermedialer
Follet, 1975. Lernsysteme. Theorie – Didaktik – Design.
Legenhausen, Lienhard: »Textproduktion Bonn u. a.: Addison-Wesley, 1996.
in Kleingruppen: Zum Problem der Date-
nerhebung in der L2-Forschung«, Die Steinke, Ines: Kriterien für die Bewertung
Neueren Sprachen 92, 3 (1993), 215–227. qualitativer Forschung. Ansätze zur Bewer-
tung qualitativ-empirischer Sozialforschung.
Luca, Renate: »Titanic – Filmerleben in psy-
Weinheim; München: Juventa, 1999.
choanalytischer Sicht: Beispiele der Film-
rezeption und medienpädagogische Straka, Gerald A.; Stöckl, Markus: For-
Überlegungen.« In: Gemeinschaftswerk schungs- und Praxisbericht Nr. 3. Bremen
der Evangelischen Publizistik e. V. (GEP) 1999. (http://www.user.uni-bremen.de/
(Hrsg.): TEXTE – Sonderheft der Zeitschrift ~los/) (09.01.2002).
medien praktisch. Themenschwerpunkt: Strauss, Anselm L.; Corbin, Juliet: Basics of
Filmerleben: Zur emotionalen Dramaturgie Qualitative Research. London: Sage, 1990.
von Titanic. Frankfurt am Main: GEP 2 Strauss, Anselm L.; Corbin, Juliet: Grounded
(1999), 41–51. Theory: Grundlagen Qualitativer Sozialfor-
Meuser, Michael; Nagel, Ulrike: »Das Ex- schung. Weinheim: Psychologie Verlags
pertInneninterview – Wissenssoziologi- Union, 1996.
406

Über die Autoren/Abstracts

Silke Ghobeyshi Philologie, Universität Helsinki; 1990–91


Geb. 1969; Studium der Fächer Deutsch stellvertr. ao. Prof. der deutschen Spra-
als Fremdsprache, Linguistik, Spanien- che, Wirtschaftsuniversität Helsinki;
und Lateinamerikastudien und Soziolo- 1991–1999 ao. Prof. an den Universitäten
gie an der Universität Bielefeld. Seit 2000 Joensuu/Savolinna, Jyväskylä und Tur-
Moderatorin des DaF-Forums der For- ku; seit 1999 Ordinaria für germanische
schungs- und Arbeitsstelle »Erziehung nach/ Philologie und Direktorin des Germani-
über Auschwitz« (www.fasena.de). Pro- stischen Instituts der Universität Helsin-
motion 2002 zu den Themen Nationalso- ki. Studien-, Stipendien- u. Forschungs-
zialismus und Holocaust im DaF-Unter- aufenthalte im Ausland: Humboldt-Sti-
richt. Mehrjährige Unterrichtserfahrung pendiatin an der Universität Passau
im DSH-Bereich der Universität Biele- 1989–1990; Gastprofessorin an der Uni-
feld. E-Mail: silke.ghobeyshi@uni-biele- versität Augsburg 1996; seit 2002 Mit-
feld.de. glied der Finnischen Akademie der Wis-
senschaften. Forschungsschwerpunkte
Nicola Huson und Veröffentlichungen: Monographien,
Geb. 1963; Studium des Deutschen als Artikel und Rezensionen im Bereich der
Fremdsprache, Anglistik und Pädagogik; kontrastiven Linguistik, Syntax, Wortbil-
Promotion (2002) in Deutsch als Fremd- dung, Phraseologie und Lexikographie.
sprache an der Universität Bielefeld; Mitherausgeberin (zusammen mit Jarmo
1998–2001 als Deutschlehrerin und Koor- Korhonen) der Reihe Finnische Beiträge
dinatorin an der Eastern Mediterranean zur Germanistik, Frankfurt am Main: Lang
University in Nordzypern tätig; seit Okt. (gegründet 1998). E-Mail: ikhyva-
2002 Koordinatorin an der Bielefeld Gra- ri@cc.helsinki.fi.
duate School for Economics and Manage-
ment, Universität Bielefeld. Forschungs- Lucrecia Keim Cubas
interessen: Interkulturelles Lernen, Dia- Geb. 1959; Studium der Germanistik an
log der Kulturen Arabisch–Deutsch, der Universitat de Barcelona und
Deutsch als zweite Fremdsprache nach Deutsch als Fremdsprache in Bielefeld;
Englisch. E-Mail: nicola@huson.de. Promotion in DaF an der Universität Bie-
lefeld. DaF-Lehrerfahrung an der Univer-
Irma Hyvärinen sität Bielefeld und an verschiedenen Ein-
Geb. 1949 in Helsinki/Finnland; 1968–73 richtungen der Erwachsenenbildung; seit
Studium der Germanistik, Nordistik und 1994 Dozentin an der Fakultät für Über-
Allgemeinen Phonetik, Universität Oulu; setzung und Dolmetschen der Universitat
Promotion 1989; 1972–79 Lehrbeauftragte de Vic (Barcelona); Mitarbeit am Fernstu-
und Assistentin der germanischen Philo- dienprojekt des Goethe-Instituts/Ge-
logie an der Universität Oulu; 1979–84 samthochschule Kassel; Mit-Koordinato-
Forschungsassistentin der Akademie von rin des postgraduierten Studiengangs in
Finnland; 1983–91 Assistentin (1985–86 »Didaktik des Deutschen als Fremdspra-
stellvertr. ao. Prof.) der germanischen che« (Fernstudium mit Präsenzphasen)
407

der Universitat Autònoma de Barcelona Ewald Reuter


(ICE-UAB); z. Zt. Leiterin der Sprachen- Seit 1999 Prof. für Germanische Philolo-
abteilung der Fakultät für Übersetzung gie an der Universität Tampere/Finn-
und Dolmetschen der Universitat de Vic. land. Studium der Linguistik, Soziologie
E-Mail: lucrecia.keim@uvic.es. und Anglistik in Bielefeld und Jyväs-
kylä/Finnland sowie der Angewandten
Uwe Koreik Linguistik in Reading/England und
Geb. 1957, Studium der Germanistik und Vaasa/Finnland. 1993 Lizentiat und 1997
Geschichtswissenschaft in Bonn, Biele- Doktorat zu Fragen der Erforschung und
feld und Köln. Promotion in DaF an der Vermittlung der interkulturellen mündli-
Universität Bielefeld (Zweitgutachter: chen Fachkommunikation. Von 1983 bis
Rolf Ehnert). Weitreichende DaF-Lehrer- 1999 Lektor für deutsche Sprache am
fahrung: im Ausland an der University of Sprachenzentrum der Universität Tam-
Durham (England), TU Sofia (Bulgarien), pere, davon 1983 bis 1989 als DAAD-
Karls-Universität Prag (Tschechien) und Lektor. Leiter zahlreicher Projekte zur
Universität Nangjing (China), im Inland Erstellung von Unterrichts- und Trai-
an den Universitäten Bonn, Bielefeld und ningsmaterial für den Bereich der fin-
Hannover sowie anderen Institutionen. nisch-deutschen Wirtschaftskommunika-
Z. Zt. Leiter des Fachsprachenzentrums tion. Leitung vieler Fortbildungsmaß-
an der Universität Hannover. E-Mail: nahmen von DeutschlehrerInnen und
koreik@fsz.uni-hannover.de. AuslandsgermanistInnen in Nord-, West-
und Osteuropa. Gegenwärtige Arbeitsge-
Marion Niehoff biete: Gesprächs- und Textlinguistik, in-
Geb. 1969; Studium Deutsch als Fremd- terkulturelle (Fach-) Kommunikation
sprache, Anglistik, Soziologie an der Uni- und Mediation, internationale Wissen-
versität Bielefeld. Promotion an der Kul- schaftskommunikation, finnisch-deut-
turwissenschaftlichen Fakultät der Euro- sche Kulturb eziehungen. E-Mail:
pa-Universität Viadrina in Frankfurt a. d. ewald.reuter@uta.fi.
Oder. Lehrtätigkeit in DaF an der Univer-
sity of Melbourne, Freiberufliche Dozentin
für DaF. Wissenschaftliche und freie Mit- Nilgün Yüce
arbeiterin in der Entwicklung und Eva- Geboren 1965 in Nazilli/Türkei. 1984 Ab-
luation von e-Learning-Angeboten (zum itur in Izmir, danach Studium der Germa-
Fremdsprachenlernen) und im Feld qua- nistik in Izmir und 1989 Abschluß Lisans
litativer Sozialforschung. Assoziierte Diplomasi. Tätigkeiten als Übersetzerin,
Herausgeberin der Rubrik »FQS-Tagun- Reiseleiterin und Dolmetscherin in der
gen« im Online-Journal Forum Qualitative Türkei und in Großbritannien. Seit 1992
Sozialforschung/Forum: Qualitative Social Lektorin für Türkisch an der Universität
Research. E-Mail: marion.niehoff@szil- Bielefeld. 1998 Promotion im Fach Lin-
la.in-berlin.de. guistik. E-Mail: nyuece@gmx.de.
408
Info DaF 30, 4 (2003), 323–334 Info DaF 30, 4 (2003), 335–351

Ewald Reuter: Wissenschaftliches Schreiben im Umbruch. Über Irma Hyvärinen: Kommunikative Routineformeln im finnischen
einige Folgen der Globalisierung in den Fremdsprachenphilolo- DaF-Unterricht
gien
Beim Erlernen einer Fremdsprache spielen Routineformeln von
Der Globalisierungsdruck führt in den Fremdsprachenphilologien Anfang an eine zentrale Rolle. Ziel dieses Beitrags ist es, auf einer
zur Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Formen der inter- kontrastiven Basis zu klären, ob finnische Deutschlehrwerke genü-
nationalen Wissenschaftskommunikation. Praktisches Ziel dieser gend Input an Routineformeln bieten. Das untersuchte Lehrmateri-
Aktivitäten ist eine Steigerung der wissenschaftlichen Prozeßratio- al genügt durchaus den Ansprüchen des kommunikativen Fremd-
nalität: Forschungsergebnisse sollen effizient dargestellt und ver- sprachenunterrichts, im Unterrichtsalltag dominieren aber – u. a.
mittelt werden. Dieses Ziel kann jedoch nur erreicht werden, wenn deswegen, weil in der Abiturprüfung mündliche Fertigkeiten nicht
neben der Darstellung des wissenschaftlichen Wissens auch seine getestet werden – schriftliche Übungen. Der Bedarf an einem
Herstellung angemessen berücksichtigt wird. Am Beispiel von zweisprachigen Wörterbuch der Routineformeln wird als For-
studentischen Abschlußarbeiten werden Anhaltspunkte geliefert, schungsdesiderat postuliert.
wie Forschungs- und Darstellungspraxis systematisch aufeinander
bezogen werden können. Indem dies gelingt, entziehen sich die

Fremdsprachenphilologien dem Vorwurf des Verbalismus und der Info DaF 30, 4 (2003), 352–364
Sprachimmanenz.
Silke Ghobeyshi und Uwe Koreik: Kultur(en), Konflikt(e) und Unter-
richt(en)

Eines der erklärten Ziele des Interkulturellen Ansatzes ist es, durch
erworbenes Wissen und eine geschulte Wahrnehmung Konflikte
vermeiden bzw. besser mit ihnen umgehen zu können. Konflikte
sind aber in z. T. erschreckendem Ausmaß in unserer Welt gegeben,
und es wäre naiv anzunehmen, daß Spannungen und Konflikte in
national heterogenen Gruppen, wie wir sie an unseren Hochschu-
len antreffen, immer vor der Tür blieben. In unserem Beitrag gehen
wir der Frage nach, ob und wie Lehrende des Faches Deutsch als
Fremdsprache auf Konfliktsituationen reagieren und inwieweit
eine konfrontative Auseinandersetzung ihrer Meinung nach sinn-
voll ist. Vor dem Hintergrund der aktuellen Weltlage erscheint es
dabei wichtig, auf eine gewisse Überstrapazierung des Kulturbe-
griffs im Zusammenhang mit Konflikten hinzuweisen.
Info DaF 30, 4 (2003), 365–374 Info DaF 30, 4 (2003), 383–394

Nilgün Yüce: Kulturökologische Überlegungen zum Fach Deutsch Lucrecia Keim: Übersetzung im DaF-Unterricht
als Fremdsprache
Die Übersetzung im DaF-Unterricht scheint wieder salonfähig zu
Der Beitrag beschäftigt sich mit der Bedeutung der Landeskunde sein, auch wenn sie noch nicht den Status einer fünften Fertigkeit
im Fremdsprachenunterricht sowie den Möglichkeiten und Chan- erhält. Ausgehend von der Gegenüberstellung einiger Annahmen
cen, die durch die Einführung ökologischen Denkens im Bereich aus der Forschung zum Erwerb der Übersetzungskompetenz und
Kultur in die Ausbildung im Fach Deutsch als Fremdsprache aus der Fremdsprachenerwerbsforschung werden Arbeitshypothe-
einfließen könnten. Es wird dafür plädiert, hierfür die noch junge sen zu den Einsatzmöglichkeiten für die Übersetzung im DaF-
wissenschaftliche Disziplin der Kulturökologie als Bezugswissen- Unterricht aufgestellt. Dabei wird stets die didaktische Perspekti-
schaft einzubeziehen. Auf dieser Basis werden Überlegungen zur ve, und zwar im Hinblick auf den Grundstufenunterricht, einge-
kulturökologischen Ergänzung der Ausbildung in der BRD sowie nommen. Abschließend werden Aufgaben, die für Hochschulstu-
im Ausland formuliert. dierende (Grundstufenunterricht) in Spanien entwickelt wurden,
vorgestellt und kommentiert.

Info DaF 30, 4 (2003), 375–382 Info DaF 30, 4 (2003), 395–405

Nicola Huson: Ein Terrain des Fremdsprachenunterrichts (Deutsch): Marion Niehoff: Ausgewählte Ergebnisse einer qualitativen Unter-
Interkulturelle Kompetenz in der Tourismusausbildung suchung zum selbstorganisierten Fremdsprachenlernen mit
Multimedia
Interkulturelle Kompetenzen mögen für Angestellte oder Arbeitgebe-
rInnen im Tourismusgeschäft als selbstverständlich angesehen wer- Der Beitrag präsentiert ausgewählte Ergebnisse einer qualitativen
den. Häufig werden sie als Schlüsselqualifikationen betrachtet, die Studie zum selbstorganisierten Fremdsprachenlernen mit handels-
sich mit dem Fremdsprachenerwerb und den interkulturellen Kon- üblicher Lernsoftware, die insbesondere für vergleichbare Kontex-
takten in der alltäglichen Arbeit entwickeln. In der Tourismusausbil- te – Selbstlernzentren o. ä. – von Interesse sind. Vor dem theoreti-
dung besteht jedoch neben der Fremdsprachenausbildung die Not- schen und methodischen Hintergrund der Untersuchung wird ein
wendigkeit eines geleiteten interkulturellen Kompetenzerwerbs, der Modell des ›Bedürfnis- und erfolgsorientierten Fremdsprachenler-
sich aus der Verantwortung des Tourismus im 21. Jahrhundert nens mit Multimedia‹ vorgestellt, das die Strategien der Lernenden
ableitet, und das Potential der Fremdsprachenlehrenden, genau für systematisch zu den Bedingungen des Lernens in Beziehung setzt.
diese Qualifikation in der Tourismusausbildung ist groß. Im dem
Beitrag wird »Interkulturelle Kompetenz« als Ausbildungsziel erör-
tert und als Terrain des Fremdsprachenunterrichts (Deutsch) disku-

409
tiert.
313

KOMMUNIKATION,
KULTUR
UND KONTRAST
IM DAF-UNTERRICHT
Festgabe für Rolf Ehnert

zusammengestellt von
Lutz Köster und Claudia Riemer
Grußwort
Wenn ein geschätzter Kollege wie Rolf
Ehnert, ohne dessen ideenreiches Wir-
ken das Fach Deutsch als Fremdsprache
sich vielleicht anders entwickelt hätte,
mit Sicherheit aber um manche Facette
ärmer wäre, sich entschlossen hat, in
den Ruhestand zu treten, ist es geboten,
das Tagesgeschäft einen Augenblick mit
einem Zwischenruf des Dankes anzu-
halten und Rolf Ehnert auch mit dieser
Festgabe zu danken.
Eine dieser Facetten ist die Notwendig-
keit, akademische Arbeit in wissenschaft-
lichen Publikationsorganen darzustellen,
und mit diesen Publikationsmöglichkei-
ten für Forschung und Lehre eine Platt-
form für wissenschaftliche Diskussionen
anzubieten. Die Zeitschrift Informationen
Deutsch als Fremdsprache (Info DaF) ist ein
solches Publikationsorgan, das ohne die Foto: Andreas Zobe
konzeptionelle und inhaltliche Mitwir-
kung Rolf Ehnerts in fast 30 Jahren ihrer
Existenz wohl nicht den Stellenwert im hat schon vor längerer Zeit in einer Re-
Reigen der Publikationsmöglichkeiten daktionsbesprechung festgestellt, er
unseres Faches erreicht hätte, den Info freue sich auf den Ruhestand, um dann
DaF heute hat. Rolf Ehnert gibt der Zeit- um so intensiver für Info DaF weiterarbei-
schrift Impulse, indem er die Aufmerk- ten zu können.
samkeit auf wissenschaftliche Brenn- Wir – die Mitglieder der Redaktion –
punkte lenkt. Er bereichert die Internatio- freuen uns in gleicher Weise auf eine hof-
nalität unseres Organs, indem er immer fentlich noch lange andauernde Zusam-
wieder dafür sorgt, daß Bereiche, die im menarbeit mit Rolf Ehnert, danken ihm
besten Sinne des Wortes der Hilfe und für die schöne und erfolgreiche Zusam-
wissenschaftlichen Förderung bedürfen, menarbeit in den vergangenen Jahren und
bei Info DaF eine Plattform finden. Und er wünschen ihm alles Gute für die Zukunft.
setzt sich als akademischer Lehrer immer
dafür ein, den akademischen Nachwuchs Das Redaktionsteam
zu fördern, indem er ihm die Möglichkei- Joachim Buscha
ten des Publizierens aufzeigt. Fritz Neubauer
Rolf Ehnert ist in den Ruhestand gegan- Gabriele Neuf-Münkel
gen. Mit Bedacht gibt es an dieser Stelle Werner Roggausch
nur einen Zwischenruf: denn Rolf Ehnert Armin Wolff

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