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Metzler Lexikon

Fremdsprachendidaktik
Ansätze – Methoden –
Grundbegriffe

Herausgegeben von
Carola Surkamp

2., aktualisierte und


erweiterte Auflage

Mit 15 Grafiken und Tabellen

J. B. Metzler Verlag
IV

Die Herausgeberin Inhalt

Carola Surkamp ist Professorin für Englische Vorwort S. V–VI


Fachdidaktik an der Universität Göttingen. Artikel von A–Z S. 1–387
Abkürzungen S. 388
Verzeichnis der Artikel S. 389–391
Systematisches Verzeichnis
der Artikel S. 392–394
Die Autorinnen und Autoren S. 395–399

Bibliografische Information der Deutschen


Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese
Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-476-04473-0
ISBN 978-3-476-04474-7 (eBook)

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J. B. Metzler ist Teil von Springer Nature. Die eingetragene


Gesellschaft ist Springer-Verlag GmbH Deutschland.
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Einbandgestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart


(Foto: iStock, TommL)
Satz: typopoint GbR, Ostfildern

J. B. Metzler, Stuttgart
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
V

Vorwort

Ziel dieses Lexikons Fremdsprachendidaktik beobachtbaren Trend folgend, in Richtung ei-


ist es, einen Überblick über eine Disziplin zu ner stärker empirisch ausgerichteten Fremd-
geben, die sich durch vielfältige interdiszipli- sprachenforschung.
näre Bezüge auszeichnet und die in den letzten Das vorliegende Lexikon Fremdsprachen-
Jahrzehnten einschneidende Entwicklungen didaktik trägt diesen verschiedenen Entwick-
durchlaufen hat. Die Fremdsprachendidaktik lungen Rechnung, indem es die wichtigsten
erforscht die Prozesse des Lehrens und Lernens Forschungsgebiete der Fremdsprachendidaktik
fremder Sprachen in inner- und außerschuli- für den deutschsprachigen Raum lexikalisch er-
schen institutionalisierten Kontexten. Sie sieht fasst. Auf diese Weise soll eine Orientierungs-
es als ihre Aufgabe an, die Vermittlung und hilfe für ein Feld bereitgestellt werden, das selbst
Aneignung von Fremdsprachen zu beschreiben für Fachleute nur noch schwer überschaubar ist.
sowie inhaltliche, methodische und organisato- In 238 Artikeln von 105 Autor/innen liefert das
rische Vorschläge für fremdsprachliche Lehr-/ Lexikon eine kompakte Zusammenschau der
Lernprozesse zu entwickeln. zentralen Begriffe des Lehrens und Lernens
Während die Fremdsprachendidaktik in fremder Sprachen. Es umfasst die Bereiche der
Deutschland ihre Gegenstände bis in die 1970er Sprach-, Literatur-, Kultur- und Mediendidaktik
Jahre hinein vornehmlich aus der Unterrichts- und trägt dem dialogischen und multiperspekti-
praxis generierte, haben seit der zweiten Hälfte vischen Charakter der Disziplin durch seine
des 20. Jahrhunderts verschiedene Einflüsse zu Machart Rechnung: Die einzelnen Artikel
ihrer Ausdifferenzierung als eigenständiger • führen anschaulich und zuverlässig in die
wissenschaftlicher Disziplin beigetragen. Zu wichtigsten fremdsprachendidaktischen
den ausschlaggebenden Faktoren zählen u. a.: Ansätze ein,
• die Einrichtung von fremdsprachendidak- • berücksichtigen sowohl die Lehr- als auch
tischen Professuren an Pädagogischen die Lernperspektive,
Hochschulen und Universitäten, • verorten die Ansätze in der Geschichte der
• die damit einhergehende stärkere Berück- Disziplin,
sichtigung verschiedener Bezugsdisziplinen • stellen den gegenwärtigen Diskussions-
bei der Theoriebildung (z. B. der Linguistik, stand dar,
der Literatur-, Kultur- und Medienwissen- • formulieren noch zu bearbeitende For-
schaft, der Allgemeinen Didaktik, der Päd- schungsfragen und
agogik bzw. Erziehungswissenschaft und • nehmen erläuternd Bezug auf die konkrete
der Psychologie), Unterrichtspraxis.
• die Etablierung der Sprachlehr- und -lern-
forschung, Da das Lexikon interdisziplinär angelegt ist,
• fremdsprachendidaktische Konzepte aus wird der Stand der Forschung aus der Sicht
dem Ausland, verschiedener Fremdsprachendidaktiken reflek-
• die allgemeine Zunahme des Angebots an tiert – wo notwendig auch unter Nennung von
fremdsprachlichem Unterricht sowie Unterschieden zwischen den Einzeldisziplinen.
• bildungspolitische Vorgaben für den Insgesamt werden die folgenden Aspekte abge-
Fremdsprachenunterricht und die Lehrer/- deckt: Bezugsdisziplinen und Forschungsfelder
innenbildung auf europäischer und natio- der Fremdsprachendidaktik, Ansätze und Kon-
naler Ebene. zepte, Kompetenzen, Unterrichtsformen und
Methoden, Materialien und Medien sowie bil-
Im Laufe der letzten sechs Jahrzehnte ist so eine dungspolitische und institutionelle Rahmenbe-
Vielzahl unterschiedlicher fremdsprachendi- dingungen. Die Einträge sind alphabetisch ge-
daktischer Ansätze, Konzepte und Methoden ordnet. Ein detailliertes Verweissystem erlaubt
entwickelt worden. Zu Beginn des 21. Jahrhun- die Einordnung der einzelnen Begriffe in über-
derts wendet sich die Fremdsprachendidaktik, geordnete systematische und wissenschaftsge-
einem in den Bildungswissenschaften allgemein schichtliche Zusammenhänge.
Vorwort VI

Das Lexikon wendet sich an Studierende und haben, dass sich die Einzelartikel zu einem er-
Referendar/innen für das Lehramt einer frem- freulich einheitlichen Gesamtwerk zusammen-
den Sprache in verschiedenen Schulformen, an führen ließen. Für die zweite Auflage sind nicht
Fremdsprachenforschende, an Beschäftigte in nur 28 neue Einträge hinzugekommen, sondern
der Lehrer/innenbildung sowie an Fremdspra- alle Artikel der ersten Auflage wurden grund-
chenlehrende in Schulen, Universitäten und in legend überarbeitet, ergänzt und aktualisiert.
der Erwachsenenbildung. Es ersetzt nicht die Vielmals danken möchte ich auch Frau Ute
eingehende Auseinandersetzung mit einem An- Hechtfischer vom Verlag J. B. Metzler, die sich
satz, sondern dient vielmehr als Leitfaden für von Anfang an für dieses Projekt begeistert hat,
die Orientierung im Fach. Das schnelle Nach- für die ebenso kompetente wie kooperative ver-
schlagen einzelner Begriffe soll ermöglicht wer- legerische Betreuung bei beiden Auflagen.
den; für die vertiefte Beschäftigung mit einem Ein besonderes Dankeschön geht an mein
Forschungsfeld enthalten alle Artikel Hinweise unermüdliches Göttinger Team – namentlich an
auf ein- und weiterführende Literatur. Insge- Dana Brandt, Dario Brickart, Johanna Bruck,
samt sollen so die verschiedenen Akteur/innen Editha Ernst, Helga Güther, Adrian Haack,
des Fremdsprachenunterrichts Einblicke in die Carola Hecke, Johanna Löber, Leonie Tuitjer
vielfältigen Dimensionen ihrer Disziplin erhal- und v. a. Lotta König für die erste Auflage so-
ten können. wie Katharina Delius und Ina Gnauck für die
zweite – für anregende Diskussionen im Vorfeld
*** und während der Entstehung des Lexikons, für
Zum Gelingen dieses Lexikons hat sowohl bei kritische Lesedurchgänge und für sorgfältige
der ersten als auch bei der nun vorliegenden Korrekturen.
zweiten Auflage eine Vielzahl von Personen bei- Meiner Familie danke ich für liebevolle Un-
getragen. Bedanken möchte ich mich zu allererst terstützung und Ablenkung. Widmen möchte
ganz herzlich bei den Autorinnen und Autoren ich dieses Buch meinen Eltern – im stillen Ge-
der einzelnen Beiträge, die mit ihrer Expertise, denken.
ihrem Engagement und ihrer Bereitschaft zur
konstruktiven Zusammenarbeit bei Rückfragen Göttingen, im Mai 2017
und Änderungsvorschlägen dazu beigetragen Carola Surkamp
1 Aktivierung

A d. h. kulturspezifische Kommunikationsstrate-
gien (Konventionen des Sprecherwechsels, kom-
munikative Tabus, Höflichkeitsformeln usw.)
auf kulturabhängige Vorstellungen, Werte und
Abschlusszertifikate ä Zertifikate Normen (These der sprachlichen Relativität).
Für interkulturelle Kommunikation bedeutet
dieser Zusammenhang eine Quelle von Miss-
Abstufung ä Differenzierung verständnissen. Ein zentrales Ziel des FUs be-
steht darin, das Bewusstsein der Lernenden für
die Kulturabhängigkeit der eigenen Sichtweisen
Accuracy ä Sprechen der Welt und kommunikativen Strategien (z. B.
unterschiedliche Formen, Höflichkeit zum Aus-
druck zu bringen) zu schärfen, Voraussetzungen
Adaption ä Kinder- und Jugendliteratur für einen lösungsorientierten Umgang mit inter-
kulturellen Missverständnissen zu schaffen und
damit zur Entwicklung von ä interkultureller
Akkulturation. Im Prozess der Sozialisation und kommunikativer Kompetenz beizutragen. Der
dem damit einhergehenden Erwerb einer Erst- Erwerb einer Fremdsprache geht so mit dem
sprache eignen sich Individuen kulturelle Sche- durch ä Kontextualisierung im FU zu fördern-
mata, Werte und Normen an, die eine bestimmte den Erwerb interkultureller Kompetenz einher
Wahrnehmung und Kategorisierung der erleb- und bewirkt im Idealfall zumindest eine parti-
ten Wirklichkeit begründen und die von den elle A. in einer fremden Kultur.
Individuen in der Regel nicht bewusst wahrge- Lit.: A. DeCapua/A. C. Wintergerst: Crossing Cultures
nommen oder gar hinterfragt werden. Der FU in  the Language Classroom. Ann Arbor 2004. –
konfrontiert die Lernenden mit Kategorisierun- C.  Kramsch: Language and Culture. Oxford 1998. –
gen der Welt sowie mit Werten und Normen, L.  Volkmann: Fachdidaktik Englisch. Kultur und
Sprache. Tüb. 2010. MG
die sich von den im Prozess der Sozialisation in
der eigenen Kultur erworbenen mehr oder min-
der deutlich unterscheiden können, und fördert Aktivierung. Die A. der Lernenden wird insbe-
damit einen Lernprozess auf kognitiver und af- sondere im Rahmen handlungsorientierter Zu-
fektiver Ebene, in dem im Idealfall festgefah- gänge im FU betont (ä Handlungsorientierung).
rene, oft stereotype Vorstellungen (ä Stereotyp) Einerseits verknüpft sich mit dieser Zielsetzung
durch differenzierte, offene Sichtweisen (im der Aspekt der ä Lernerorientierung, bei der die
Sinne von ä Fremdverstehen und Alteritätskom- aktive Teilhabe am Unterrichtsgeschehen so-
petenz) ersetzt werden, denn der »Andere for- wohl aus motivationalen als auch aus lernpsy-
dert uns [… konstant zum Heraustreten aus chologischen Gründen als wünschenswert er-
vertrauten kulturellen Koordinaten auf« (Volk- scheint. Andererseits verweist der Begriff der A.
mann 2010, 132). Damit eignen sich die Ler- auf die Interaktion von Lehren und Lernen (vgl.
nenden ä Kompetenzen an, die gerade in der Doff/Klippel 2007, 270), eine Perspektive, die
aktuellen, zunehmend multikulturellen Gesell- die Interdependenz beider Bereiche betont. Mit
schaft von enormer Bedeutung sind (vgl. ebd.). der veränderten Lehrerrolle eines language
In der Auseinandersetzung mit einer fremden learning facilitator (ä Lehrer/in und Lehrerrolle)
Kultur wird A. in Abgrenzung von Assimilation kommt den Lernenden mehr Eigenständigkeit
(d. h. der völligen Anpassung an eine neue Kul- im Rahmen ihres Sprachlernprozesses zu, den
tur) einerseits und der Ablehnung einer frem- sie nicht passiv erleben oder gar konsumieren
den Kultur andererseits als Prozess aufgefasst, sollten. A. im FU kann dabei auf verschiedenen
der ein Individuum befähigt, sich in einem ur- Stufen umgesetzt werden, z. B. mit Blick auf die
sprünglich fremden kulturellen Kontext mit einzelnen ä Fertigkeiten oder aber im größeren
zunehmender Sicherheit zu bewegen, ohne da- Rahmen mit dem Ziel des ä autonomen Ler-
bei die eigene ä Identität aufzugeben. A. erfolgt nens. Die A. der Lernenden zum ä Sprechen
ebenso wie die Sozialisation im Kindesalter wird im Nachgang der ä DESI-Studie dezidiert
zu einem maßgeblichen Teil über Sprache, ver- gefordert und stellt eine Grundvoraussetzung
weisen doch sowohl sprachliche Zeichensys- für fremdsprachliche Interaktionen aller Art
teme (Wörter) als auch pragmatische Aspekte, dar. Der Zusammenhang von Lernen, Sprache

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_1, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
Aktivierung 2

und Bewegung wird auch von der Hirn- und Erziehung anwendete und ›D.‹ primär auf den
Lernforschung betont und kann sich im FU in Vorgang des Lehrens bezog. Allerdings ope-
unterschiedlichen methodischen Maßnahmen rierte Comenius mit den Komplementärbegrif-
manifestieren, die im Klassenzimmer zu mehr fen ›D.‹ und ›Mathetik‹, wobei ›D.‹ auf den
Aktivität führen können (z. B. Laufdiktate, ac- Vorgang schulischen Lehrens und ›Mathetik‹
ting games; ä Bewegter Unterricht). In diesem auf den Vorgang schulischen Lernens bezogen
Sinne ist A. »intentional, situativ und an ein war. Der Begriff ›Mathetik‹ hat sich zwar nicht
handelndes Subjekt gebunden« (Rampillon/ etablieren können, aber das Grundverständnis
Reisener 2005, 3), dem sich durch das Wahr- von D. als Lehren mit dem Zweck des Bewir-
nehmen mit allen Sinnen (ä Ganzheitliches Ler- kens von Lernen wurde in der Folgezeit beibe-
nen) Prozesse der Reflexion und des Lernens halten.
anschließen (vgl. Baur/Zarudko 2016). Das Das ursprüngliche enge D.verständnis (D. als
Arbeiten in Szenarien (ä Inszenierung) eröffnet Unterrichtstheorie) wurde erst in den 1920er
einen Weg, um die Lernenden stärker aktiv und und 30er Jahren durch Erich Weniger erweitert,
eigenverantwortlich an Prozessen des Unter- der D. als Theorie des ä Lehrplans und der Bil-
richtsgeschehens zu beteiligen. Der Ansatz der dungsinhalte interpretierte. In der Folge began-
performance-Orientierung im Kontext der nen in der Mitte des 20. Jh.s Didaktiker wie
ä Dramapädagogik und Methoden des ä koope- Wolfgang Klafki, Herwig Blankertz, Paul Hei-
rativen Lernens stellen weitere Möglichkeiten mann und Lothar Klingberg die didaktische
dar, der A. der Lernenden im FU einen größeren Modellbildung voranzutreiben. Sie erreichten
Raum zu geben, um sie durch Eigeninitiative damit die endgültige Anerkennung der D. als
und Interaktion sprachhandelnd aktiv werden eigenständige Wissenschaftsdisziplin. Aller-
zu lassen. dings ging mit der Entfaltung didaktischer
Lit.: R. S. Baur/M. Zarudko: Lernen durch Bewegung. Theoriebildung auch eine facettenreiche Inter-
In: Praxis FU 13/2 (2016), 14–15. – S. Doff/F. Klippel: pretation des Begriffes ›D.‹ einher, die beson-
Englischdidaktik. Praxishandbuch für die Sekundar- ders vom unterschiedlichen Verständnis des
stufe I und II. Bln 2007. – U. Rampillon/H. Reisener: Gegenstandsfeldes der D. herrührte. So entstan-
Lernen, Sprache und Bewegung. In: Der fremdsprach-
liche Unterricht Englisch 39/74 (2005), 2–5. ChL den didaktische Modelle, die D. wahlweise als
Wissenschaft von allen mit Bildung befassten
Problemen (bildungstheoretische D.en), als
Allgemeine Didaktik. Der Begriff ›D.‹ ist abgelei- Wissenschaft vom Lehren und Lernen im Allge-
tet von griech. didáskein und umfasst sowohl meinen (lerntheoretische D.en) oder als Wissen-
eine aktive (›lehren, belehren, unterweisen, un- schaft von menschlicher Kommunikation und
terrichten, bilden‹), eine passive (›belehrt wer- Interaktion (kommunikative D.en) verstanden.
den, unterwiesen werden, unterrichtet wer- Wesentliche bildungstheoretische Modelle sind
den‹)  wie auch eine mediale (›selbst lernen, Wolfgang Klafkis Bildungstheoretische D. wie
sich aneignen‹) Bedeutungskomponente. In sei- auch seine Kritisch-konstruktive D.. Einfluss-
ner pädagogischen Bedeutung wurde der Be- reiche lerntheoretische Ansätze sind Paul Hei-
griff didactica im 16. Jh. zusammen mit ersten manns »Berliner Modell«, Wolfgang Schulz’
wissenschaftlichen Darstellungen Wolfgang »Hamburger Modell«, die kybernetische D.
Ratkes (Ratichius; 1571–1635) und Jan Amos von Felix von Cube oder die Systemisch-konst-
Komenskys (Comenius; 1592–1670) einge- ruktivistische D. Kersten Reichs. Für die Leit-
führt. Ratke verwendete den Begriff erstmals in idee der Kommunikation sind z. B. die Kritisch-
seiner 1615 erschienenen Sammlung schul- und kommunikative D. von Schäfer/Schaller oder
bildungspolitischer sowie didaktisch-methodi- die Kommunikative D. von Walter Popp zu
scher Hinweise Allgemeine Anleitung in die nennen. All diese D.en erhoben den Anspruch,
Didacticam oder Lehrart H. Wolfgang Ratichii, unabhängig vom konkreten Unterrichtsgegen-
wie man Sprachen füglich und förmlich lehren stand (Schulfach) allgemeingültig zu sein und
und lernen solle. Interessant ist, dass der D. werden deshalb als ›A. D.‹ bezeichnet. A. D. ist
begriff zuerst in Verbindung mit Sprachunter- also ein rein theoretisches Konstrukt, da es ›die‹
richt verwendet wurde. Comenius war dann oder ›eine‹ A. D. an sich nicht gab oder gibt.
derjenige, der die Bedeutung von didactica in Vielmehr existiert eine schier unüberschaubare
seinem programmatischen Werk Didactica Ma- Vielzahl unterschiedlichster didaktischer An-
gna auf den gesamten Bereich von Bildung und sätze und Theorien, die häufig noch nicht ein-
3 Alternative Lehr-/Lernformen

mal den Anspruch integrativer Modellbildung ten alle didaktischen Disziplinen zwei wesentli-
erheben. Kron listet 2004 mehr als vierzig all- che Aufgaben erfüllen. Sie sollten zum einen die
gemeindidaktische Ansätze. Diese (unreflek- vorherrschende Unterrichtspraxis erforschen
tierte) Vielfalt erschwerte und erschwert eine und beschreiben (deskriptive Komponente) und
Vergleichbarkeit und somit auch den wissen- zum anderen daraus Aussagen über die Planung
schaftstheoretischen Diskurs, der derzeit kaum und Gestaltung guten Unterrichts ableiten
noch stattfindet. Es existiert heute eine Gemen- (normative Komponente). Während Fach- und
gelage alter und neuer Positionen nebeneinan- Bereichsdidaktiken ihre Aufgaben auch weiter-
der, die besonders von Lehramtsstudierenden hin stark auf ihr Fach bzw. ihre Fächergruppe
nicht mehr zu erfassen ist und die von Unter- beziehen, könnte eine neu interpretierte A. D.
richtspraktikern/innen weitgehend nicht mehr auf überfachlicher Ebene die Erkenntnisse der
zur Kenntnis genommen wird. Einige Autoren Fach- und Bereichsdidaktiken analysieren, re-
beschreiben deshalb, völlig zu Recht, eine post- flektieren, evaluieren, systematisieren, syntheti-
moderne Krise der A. D. und revitalisieren eine sieren und schlussendlich ihre Erkenntnisse in
Diskussion um ihre Berechtigung als Wissen- die Fach- und Bereichsdidaktiken zurückspie-
schaft. geln. Ein derart ausgestalteter interdisziplinär-
Neben der A. D. befassen sich die Fachdidak- integrativer Dialog zwischen allen didaktischen
tiken der klassischen Schulfächer bzw. die D.en Disziplinen wäre ein wichtiger Beitrag zur Qua-
einzelner Fächergruppen (z. B. die ä Fremdspra- litätsentwicklung schulischen Unterrichts.
chendidaktik) prinzipiell mit denselben, wenn Lit.: F. Haß: Zum Verhältnis von A. D. und Fach-
auch stärker eingegrenzten Gegenstandsfel- didaktik Englisch. Reflexionen, Desiderata und Per-
dern, wie die A. D. (Unterricht allgemein versus spektiven eines interdisziplinär-integrativen D.ver-
Unterricht im Fach). Ein interdisziplinärer Dia- ständnisses. Bln 2010. – F. W. Kron: Grundwissen D.
Mü. 2004. FH
log wäre zweifelsohne für den Bereich der For-
schung, ganz besonders aber für den Bereich
der Lehre im Zuge des Lehramtsstudiums drin- Alternative Lehr-/Lernformen. Unter dem Be-
gend angezeigt. Die bisherigen Formen der griff a.L. lassen sich eine Reihe von sehr unter-
universitären ä Lehrerbildung praktizieren in schiedlichen Sprachvermittlungsverfahren zu-
den meisten Fällen ein konsekutiv geordnetes sammenfassen. Bezeichnungen wie unkonventi-
Lernmodell der Didaktik: Der Schulpädagogik onelle, ganzheitliche oder holistische Methoden
obliegt in der Regel die Aufgabe, die A. D. zu sind in der Fachliteratur ebenfalls zu finden,
vermitteln. Der A. D. sind im Verlauf des Stu- haben sich aber nicht durchgesetzt. Während
diums die Didaktiken der Schulfächer zu- und diese Methoden mit mehr oder weniger Erfolg
nachgeordnet, ohne jedoch ihre heuristische in der Erwachsenenbildung (ä Andragogik) ein-
Sicht zwingend zu vermitteln. In vielen Fällen gesetzt werden, haben sie für den schulischen
sind Allgemeine Didaktiker/innen über Ent- FU nur geringe Bedeutung, auch wenn sie ei-
wicklungen in den einzelnen Fachdidaktiken nige gute Anregungen bieten (können). Alterna-
wenig oder nicht informiert. Viele Fachdidak- tiv sind diese Methoden in dem Sinne, dass sie
tiker/innen entwickeln andererseits ihre Theo- andere Schwerpunkte setzen als die zum Zeit-
rien weitgehend von den (mehr oder weniger punkt der Entstehung etablierten Fremdspra-
klar) zugeordneten Fachwissenschaften her, chenvermittlungsmethoden. Charakteristisch ist
ohne Bezug auf die facettenreichen Richtungen für alle, dass sie einzelne lerntheoretische, pä-
der A. D. zu nehmen. Die Gründe dafür sind dagogische oder psychische Aspekte isolieren
vielfältig. Während einerseits Vertreter/innen und zur Grundlage des Konzeptes machen. Für
der A. D. den Fachdidaktiken eine zu stark ein- die Begründung a.L. werden durchgängig man-
gegrenzte Sicht auf die Unterrichtswirklichkeit gelnde Effektivität des traditionellen schuli-
und Konzentration auf methodische Fragen schen FUs und Vernachlässigung der affektiven
unterstellen, wird der A. D. andererseits eine zu Komponenten (ä Emotion) gegenüber den kog-
große Praxisferne vorgeworfen. Ein Ausweg nitiven Faktoren genannt (vgl. Henrici/Zöffgen
aus der aktuell unbefriedigenden Situation kann 1995, 5). ä Community Language Learning
nur durch eine Intensivierung des fachlichen (CLL), ä Silent Way, ä Natural Approach, ä Sug-
Diskurses und eine Besinnung auf ein D.ver- gestopädie, Psychodramaturgie und ä Total
ständnis im engeren Sinne (D. als Unterrichts- Physical Response (TPR) verbindet der Ge-
theorie) gefunden werden. Grundsätzlich soll- danke, Lernen zu einem möglichst angenehmen
Alternative Lehr-/Lernformen 4

Vorgang zu machen und die unterschiedlichen lage für den Fremdsprachenerwerb, weshalb in
ä Lernertypen auf unterschiedlichen ›Kanälen‹ der Sprach-A. auch häufig auf kontrastive
möglichst ganzheitlich anzusprechen (ä Ganz- Sprachbetrachtung (ä Inferenz, ä Kontrastives
heitliches Lernen). Viele Vorschläge für kon- Lernen) zurückgegriffen wird. Die explizite
krete Vorgehensweisen im Unterricht sind aus Analyse sprachlicher Phänomene dient der Be-
der traditionellen ä Fremdsprachendidaktik be- friedigung des für erwachsene Lernende auf-
kannt, z. B. rigides Lehrerverhalten (Suggesto- grund ihrer kognitiven Reife typischen Bedürf-
pädie, TPR), Lehrende als Helfer (CLL, Silent nisses, Zusammenhänge zu verstehen (ä Verste-
Way), strenge Phasierungen (Suggestopädie, hen). Bei der Vermittlung von ä Wortschatz ist
TPR, Natural Approach, Silent Way), bekannte deshalb das bereits bestehende ä mentale Lexi-
traditionelle Übungsformen und Materialien kon bei der konzeptuellen Übertragung in eine
(Suggestopädie, Natural Approach) sowie Selb- andere Sprache die Basis, und bei der Gramma-
ständigkeit und Autonomie der Lernenden tikvermittlung (ä Grammatik und Grammatik-
(CLL, Silent Way) (vgl. Henrici/Zöfgen 1995, vermittlung) stehen entsprechende Maßnahmen
5 f.). der ä Kognitivierung im Vordergrund. Der Lern-
Lit.: G. Henrici/E. Zöfgen (Hg.): Themenheft »Inno- vorsprung erwachsener Lernender kann den
vativ-alternative Methoden« von Fremdsprachen Zugang zu neuen Inhalten aber auch erschwe-
Lehren und Lernen (FLuL) 25 (1996). – B. Ortner: ren, da ggf. verfestigte Routinen aufgebrochen
Alternative Methoden im FU. Lerntheoretischer Hin- werden müssen. Das fest verankerte Lautinven-
tergrund und praktische Umsetzung. Ismaning 1998.
AG tar der bereits erworbenen Sprachen gehört z. B.
zu den motorischen Routinen, die ggf. den ak-
kuraten Erwerb des Lautinventars einer neuen
Andragogik. Komplementär zur Pädagogik be- Sprache erschweren. Aufgrund der meist fehlen-
schäftigt sich die A. mit der Bildung von Er- den Sensibilisierung für Lautkombinationen an-
wachsenen. Für die Fremdsprachendidaktik derer Sprachen in jungen Jahren können etwaige
übernimmt die A. die Funktion einer ä Bezugs- Unterschiede zur Muttersprache vom Lernen-
wissenschaft, da das Alter eine grundlegende den teilweise gar nicht wahrgenommen bzw.
endogene Lernervariable ist. Die häufig propa- gehört werden. Die Perfektionierung der ä Aus-
gierte negative Korrelation von Alter und er- sprache, die elementar von differenzierter Wahr-
folgreichem Fremdsprachenlernen ist jedoch nehmung beim ä Hörverstehen sowie den moto-
differenziert zu betrachten. Eric Lennebergs rischen Fähigkeit bei der Lautproduktion ab-
Critical Period Hypothesis koppelt erfolgrei- hängt, wird aufgrund irreversibler biologischer
chen ä Spracherwerb an das Gehirnwachstum, Voraussetzungen am häufigsten vom Alter be-
welches mit Ende der Pubertät abschließt. Er- einflusst. Aber auch der Erwerb allgemeiner
wachsenen Fremdsprachenlernenden sollte es muttersprachen-ähnlicher Sprachkompetenz gilt
demnach nicht möglich sein, muttersprachen- grundsätzlich für jüngere Lernende als einfacher
ähnliche ä Kompetenzen zu erwerben, was in der zu erreichen. Bei erwachsenen Lernenden ist die
Fremdsprachenforschung mangels umfassender Hemmschwelle, ä Fehler zu machen oder mittels
empirischer Absicherung und vielfältiger wider- Fragen ggf. Schwächen zu zeigen, und damit die
sprechender Beispiele jedoch heftig diskutiert Angst vor Identitätsverlust viel höher, so dass
wird. Wenn es eine Korrelation zwischen Alter Kinder und Jugendliche viel eher authentische
und erfolgreichem Fremdsprachenlernen gibt, fremdsprachliche Kommunikation riskieren,
so ist diese nicht als linear zu begreifen, sondern damit ihre Sprachfertigkeit austesten und gemäß
wird von vielen weiteren Faktoren beeinflusst Feedback der Gesprächspartner/innen entspre-
(z. B. Bildungsstand, Lebenssituation, ä Motiva- chend verbessern können.
tion, ä Lernziele usw.). Bei erwachsenen Lernen- Die längeren individuellen Lernbiographien
den sind deshalb immer die allgemein kogniti- und die daraus resultierenden Vorstellungen,
ven und personalen, aber auch die soziokultu- ä Lernstrategien und Erwartungen erwachsener
rellen und sozioökonomischen Einflussfaktoren Lernender sowie deren unterschiedliche Le-
in Betracht zu ziehen. Des Weiteren sind beim benssituationen erfordern eine Reduzierung des
erwachsenen Lernenden Begrifflichkeiten aus- typischen schulartigen Lernens im Gleichschritt.
differenzierter sowie Welt- und Handlungswis- Während im Jugendalter schulisches Lernen
sen viel ausgeprägter vorhanden als beim jun- und damit auch curricular vorgesehener FU
gen Lernenden und dienen als wichtige Grund- noch verpflichtende Schwerpunktaktivität des
5 Andragogik

täglichen Lebens ist, organisieren erwachsene meist im Rahmen des Studium Generale zusätz-
Lernende ihr Fremdsprachenlernen meist als lich angebotenen Sprachunterricht zu unter-
Nebentätigkeit. Sie setzen ihre Lernziele oft scheiden. Alle diese Institutionen führen syste-
selbst und übernehmen so leichter Mitverant- misches Lernen bei jungen Erwachsenen bis ins
wortung für die Inhalte ihres Lernens. Diese Alter weiter, bedingen dabei aber große Unter-
Selbststeuerung des Lernprozesses (ä Autono- schiede, was die zielgruppenspezifische und
mes Lernen) prägt das grundlegende Rollenver- fachorientierte Didaktisierung der Unterrichts-
ständnis von Lerner/in und Lehrkraft (ä Lehrer/ inhalte anbetrifft.
in und Lehrerrolle), welches sich weitestge- Individuelle Lernerbiographien und Lebens-
hend  durch Gleichberechtigung auszeichnet. situationen evozieren divergierende Erwartun-
Ähnlich wie in der Schule, die als systemische gen an FU, was in unterschiedlichen Lernzielen
Rahmenbedingung des FUs in jungen Jahren resultiert, die vom Lernenden durch Rückgriff
fungiert, wird das Fremdsprachenlernen auch im auf bekannte Lernstrategien erreicht werden
Erwachsenenalter durch die gewählte Institution wollen. FU für Erwachsene zeichnet sich daher
bzw. Lernform (z. B. ä Fernunterricht, ä Blended durch sehr heterogene Gruppen aus (ä Diffe-
Learning, ä Tandemlernen) stark mitgeprägt. renzierung). Je nach institutioneller Rahmung
Insgesamt sind vier wichtige Institutions- eint die Teilnehmer/innen jedoch meist die in-
typen zu unterscheiden, die FU in der Er- trinsische oder extrinsische, wenn auch ggf.
wachsenenbildung gestalten: Volkshochschulen inhaltlich ganz unterschiedliche Motivation.
(ä Volkshochschulunterricht) und Hochschulen Zunächst bestimmt durch das in diesem Kon-
für die Gruppe der öffentlichen Einrichtungen text aufgrund subjektiv oder objektiv empfun-
und private Sprachschulen sowie betriebliche dener Zwänge umstrittene Prinzip der Frei-
Einrichtungen in der Gruppe der privatwirt- willigkeit (z. B. wenn das Beherrschen einer
schaftlichen Institutionen. In Deutschland Fremdsprache als Voraussetzung für bestimmte
übernehmen bei den öffentlichen Einrichtungen Tätigkeiten angenommen wird, obwohl es ob-
die Volkshochschulen eine flächendeckende jektiv nur begrenzt notwendig ist, oder wenn
Versorgung mit Sprachunterricht und erreichen es bei freier Studienfachwahl curriculare Fest-
damit auch gerade die älteren Fremdsprachen- schreibungen gibt usw.) sind Lerngruppen von
interessierten (ä Geragogik). Hinzu kommen Erwachsenen meist durch eine gewisse An-
eine Vielzahl privater Sprachschulen, in denen fangsmotivation mit ausgeprägtem Interesse
neben den gängigen (auch staatlich anerkann- an der Sprache gekennzeichnet. Die Art der
ten) Berufsabschlüssen zum Fremdsprachense- Motivation kann dabei je nach Institution von
kretär, -korrespondent, zur Übersetzerin oder reiner Pflichtausübung, über vermeintlich be-
Wirtschaftsdolmetscherin vorwiegend FU in rufliche Weiterbildung, über das Erlangen all-
Kleingruppen (ä Sozialformen) meist zur Vor- gemeiner gesellschaftlicher Anerkennung bis
bereitung auf standardisierte Sprachtestungen hin zur bloßen, anfangs eventuell unterbewuss-
(z. B. Cambridge-Prüfungen, TOEFL, TFI, ten, Kontaktsuche mit Gleichgesinnten variie-
DELF, DELE usw.) oder individuell zugeschnit- ren. Entsprechend tragen auch die Lernenden
tener Einzelunterricht angeboten wird. Als die Verantwortung für den ihnen individuell
dritte große Gruppe ist die meist fachspezifi- wichtigen ä Transfer des Gelernten selbst. Da
sche Sprachenaus- und -weiterbildung in be- Leistungsfortschrittsmessungen, außer ggf. in
trieblichen Einrichtungen zu nennen, welche prüfungsvorbereitenden Sprachkursen und
von Angeboten der Industrie- und Handels- auch dort meist nur in Form von Selbstkon-
kammern bis hin zu einzelnen maßgeschneider- trollen, eine nachgeordnete Rolle spielen, ist
ten, firmeninternen Angeboten reicht. An den der Arbeitsrahmen, welcher der Lehrkraft in
Hochschulen – der vierten Gruppe – gilt es, der Erwachsenenbildung zur Verfügung steht,
den  Sprachunterricht in den philologischen weitaus freier und nicht vorwiegend durch
Fächern, der integraler, prüfungsrelevanter kontinuierliche Verfolgung der ä Progression
Bestandteil des Studienfachs (z. B. Anglistik, mittels ä Leistungsbewertung geprägt. Entspre-
Romanistik, Sinologie) ist, den curricular vor- chend ist zwar auch die Wahl der Arbeitsfor-
gesehenen, aber meist als Wahlpflichtfach defi- men und ä Medien zunächst flexibler, sollte
nierten Fachsprachunterricht (ä Fachsprache) aber stets zielgruppenorientiert sein.
in den nicht-philologischen Fächern (z. B. Tech- Im aktuellen Diskurs zu Sprachangeboten für
nisches Englisch, Wirtschaftsspanisch) und den Geflüchtete steht auch die A. vor neuen Heraus-
Andragogik 6

forderungen: Die Anzahl der zu versorgenden viduellen Sprechzeit mittels entsprechender Di-
Lernenden übersteigt um ein Vielfaches die Ka- alogtechniken (z. B. flow charts, surveys) sind
pazität qualifizierter Lehrkräfte, so dass ehren- A. bestens geeignet. Im weitesten Sinne sind A.
amtliche Helfer/innen als Quereinsteiger ad hoc auch für ad hoc Lernstandsdiagnosen, für die
die Verantwortung von Sprachlehrkräften über- ä Leistungsermittlung und für die individuelle
nehmen (müssen) und entsprechend vorbereitet Lernfortschrittsdokumentation vorgesehen (self-
werden müssen. Sprachlernen wurde auch poli- assessment sheets). Um den Lernenden eine
tisch als wichtigste Maßnahme zur erfolgrei- echte Textarbeit zu ermöglichen, bieten die
chen Integration der Menschen in ihre neue Lehrkräfte Texte oftmals auf A.n an: Somit
Umgebung identifiziert und deshalb flächende- dürfen die Lernenden etwas unterstreichen
ckend organisiert, so dass Sprachenangebote oder farbig markieren, etwas zwischen die Zei-
umfassende Aufgaben erfüllen müssen. Die indi- len oder an den Rand schreiben und Pfeile zie-
viduellen Lernerbiographien und Lebenssituati- hen. Die didaktischen Einsatzmöglichkeiten
onen der Lernenden, welche die Erwartungen sind ebenfalls vielfältig: A. dienen der Vorberei-
an die Qualifizierungsmaßnahmen sowie die zu tung von Lerninhalten (Reaktivierung des do-
definierenden Lernziele beeinflussen, sind in mänenbezogenen Weltwissens und des sprach-
diesem Kontext jedoch überwiegend grundle- lichen Wissens), bieten Visualisierungshilfen
gend anders und bedürfen der Erarbeitung neuer (ä Visualisierung) an (z. B. Grammatikkartei-
Konzepte, die z. B. auch Methoden der Alphabe- karten, mindmaps) oder erweitern das Übungs-
tisierung miteinschließen. angebot (ä Übung) der ä Lehrwerke. Auch für
Lit.: G. Burger (Hg.): FU in der Erwachsenenbildung. das Lernen an Stationen, für den gezielten
Ismaning 1995. – D. Eggers (Hg.): Sprach-A. FfM ä Förderunterricht (adaptives Lernen), für Dif-
1997. – J. Quetz/S. Bolton/G. Lauerbach: Fremdspra- ferenzierungsaufgaben in Stillarbeitsphasen
chen für Erwachsene. Eine Einführung in die Didaktik (ä Differenzierung) und für die Feststellung der
und Methodik des FUs in der Erwachsenenbildung.
Bln 1981. – D. M. Singleton/L. Ryan: Language Acqui- individuellen Lernstände leisten sie Erhebliches.
sition. The Age Factor. Clevedon 2004. CJG Folgende Evaluierungskriterien sind zu beach-
ten: A. zeigen ein gefälliges Layout (Verhältnis
von Freiräumen, Abbildungen, Schrift und
Anfangsunterricht ä Früher Fremdsprachenun- Leerzeilen) und alle Anweisungen sind ver-
terricht ständlich und fehlerfrei formuliert. Auch hu-
morvolles bildliches Begleitmaterial, eindeutige
Kennungen, Anregungen für ä Sozialformen
Arbeitsblätter gehören zu den Hilfsmitteln im (Partner- oder Gruppenarbeit) und die Mög-
FU, die entweder von Schulbuchverlagen als lichkeit für SuS zur Beurteilung (Gefallen, Ar-
Kopiervorlage angeboten oder von Lehrkräften beitsaufwand, Machbarkeit) und alternative
selbst erstellt werden. Auch im Internet findet Aufgabenformate für unterschiedliche ä Ler-
man nach Schularten und Jahrgangsstufen ge- nertypen sollten auf einem Arbeitsblatt zu fin-
ordnete Sammlungen, immer häufiger auch als den sein. Damit die Lernenden die A. problem-
downloads. A. ermöglichen eine große Aufga- los verwalten können, bietet es sich an, sie
benvielfalt. Die SuS füllen z. B. Lücken aus, während eines Schuljahres durchzunummerie-
ordnen Textbausteine, beenden unvollständige ren, bereits gelocht anzubieten und z. B. in ei-
Sätze, heben gesuchte Informationen hervor, nem ä Portfolio abzuheften.
kreuzen die richtigen Lösungen bei Multiple- Lit.: Themenheft »Worksheets« von Der fremdsprach-
Choice-Aufgaben an, verbinden Frage- und liche Unterricht Englisch 44 (2000). – D. Seymour/
Antwortangebote, suchen nach ausgelassenen M. Popova: 700 Classroom Activities. Oxford 2003.
Wörtern, korrigieren inhaltliche Fehler, füllen WK
Sprechblasen aus oder zeichnen die Routen
entsprechend einer Wegebeschreibung in eine
Skizze ein (non-verbales Lösen von Hörverste- Arbeitsformen ä Sozialformen
hensaufträgen). Auch zum Ausmalen von Bil-
dern, zum Verändern von Bildinhalten nach
entsprechenden Anweisungen, zum Ausschnei- Audio-linguale Methode. Die in sprachwissen-
den von Bastelangeboten (z. B. Fingerpuppen schaftlicher Hinsicht auf dem amerikanischen
oder Daumenkino) und zur Erhöhung der indi- Strukturalismus und in lerntheoretischer Hin-
7 Audio Literacy

sicht auf dem Behaviorismus aufbauende a.M. sprachler, dadurch Nachahmung der ä Ausspra-
stellt eine Weiterentwicklung der sog. Army- che. (4) Einübung von Sprachmustern durch
Method dar. Mit Ausbruch des Zweiten Welt- Imitation und häufiges Wiederholen: Einschlei-
krieges wurde deutlich, dass es an Fremdspra- fen von Sprachgewohnheiten, begründet mit
chenkenntnissen mangelte. Insbesondere Spra- der behavioristischen ä Lerntheorie. (5) ä Ein-
chen wie Japanisch, Chinesisch usw. konnten sprachigkeit des Unterrichts: Ausschluss der
nur von wenigen Armeeangehörigen gespro- Erstsprache aus dem Unterrichtsgeschehen. (6)
chen und verstanden werden. Im Auftrag des Charakteristische Übungsformen sind Lücken-
Militärs wurden deshalb zwischen 1941 und texte, Auswendiglernen von Modelldialogen
1943 zahlreiche Sprachprogramme entwickelt, und Satzmusterübungen (Satzschalttafeln): Der
die später großen Einfluss auf die Konzeption Hauptzweck dieser stark gesteuerten ä Übun-
der a.M. hatten. In Deutschland hielt diese Me- gen bestand darin, dass die Lernenden angelei-
thode erst nach dem Erscheinen der deutschen tet wurden, korrekte Sätze zu produzieren,
Übersetzung von Robert Lados Buch Language wenngleich auf deren Inhalt kein Einfluss ge-
Teaching. A Scientific Approach (1964, dt. nommen werden konnte. Seit den 1960er Jah-
1967) Einzug. Im Gegensatz zu allen bis dahin ren wurde diese Methode in Frankreich zur
existierenden Methoden ist dieser Ansatz nach ä audio-visuellen Methode weiterentwickelt.
rein wissenschaftlichen Prinzipien organisiert Lit.: R. Lado: Moderner FU. Mü. 1967. – J. Roche:
(Strukturalismus und Behaviorismus). Die Fremdsprachenerwerb und Fremdsprachendidaktik.
Grundlage war eine strukturalistische Analyse Tüb. 2005. AG
der gesprochenen Sprache mit dem Ziel, die
Sprechfähigkeit durch das Einüben und Nach-
ahmen von Satzmustern zu entwickeln. Die am Audio Literacy. Kompetente Fremdsprachenler-
Alltagsgebrauch orientierte Sprache wird in di- ner/innen sind die umfänglich Bedeutung aus-
daktisch konstruierten (Mini-)Dialogen präsen- handelnden, kulturellen Aktanten, auch im
tiert. Grammatische Regeln werden nicht expli- akustisch-auditiven Bereich. Hören ist grundle-
zit vermittelt, induktive Grammatikarbeit wird gend für das Erlernen von Mutter- und Fremd-
hingegen nicht ausgeschlossen (ä Induktives sprache. Akustische Wahrnehmung und -verar-
Lernen). Die in möglichst alltäglichen Situatio- beitung beziehen sich im FU sowohl auf (fremd-)
nen eingebetteten Sprachmuster werden in sprachliche Hörimpulse (einschließlich Intona-
Sprechübungen im Sprachlabor unter Benut- tion, Prosodie und Rhythmus) als auch auf mu-
zung von Tonbandübungen eingeschliffen (pat- sikalische und klangliche Höranlässe (z. B. Lie-
tern drill). In diesem Kontext wurde ab den der, Instrumentalmusik, Filmmusik bzw. Geräu-
1960er Jahren in Deutschland das Sprachlabor sche und Klangbilder). Hören ist aktives kon-
bevorzugter Übungsort (ä Lehr- und Lernort). zentriertes Zu-Hören, Lauschen und Horchen.
Darauf wird auch heute noch in der Werbung Die Entwicklung von ä Hörverstehen wird
mit Slogans wie »in 30 Tagen Spanisch, Franzö- heute nicht mehr nur aus wahrnehmungs- und
sisch usw. lernen« Bezug genommen. Die älte- kognitionspsychologischer Perspektive betrach-
ren Medien wie Kassetten und CDs sind mitt- tet. Hören ist ebenso zentral für unser Verständ-
lerweile durch aktuellere ä Medien wie DVDs nis von kultureller Differenz und erfordert die
oder Internetkurse ersetzt worden. Das Lern- Ausbildung vielschichtiger Prozesse der Sinnbil-
schema dieser Programme bleibt aber das glei- dung und des ä Verstehens. Obwohl einige
che (vgl. Roche 2005, 16). grundlegende (z. B. sprachliche) Hörkomponen-
Die Unterrichtsprinzipien der a.M. lassen ten kulturübergreifende Aspekte tragen (z. B.
sich wie folgt zusammenfassen: (1) Vorrang des Stimmhaftigkeit und Stimmlosigkeit, Tonhöhen-
Mündlichen vor dem Schriftlichen: Daraus er- und Lautstärke-Veränderungen), gibt es genauso
gibt sich die Folge der Schulung der Teilkompe- viele akustische kulturelle Besonderheiten (z. B.
tenzen ä Hörverstehen, dann (Nach-)sprechen, das englische [th für den deutschen Hörer),
dann ä Leseverstehen und zum Schluss ä Schrei- auch allgemein klanglich-musikalischer Art (z. B.
ben. (2) Situativität des Unterrichts: Die chinesische 5-Tonmusik, fremde urbane oder
Sprachmuster der ä Grammatik werden in All- ländliche Klangräume). Ausgehend von einem
tagssituationen eingebettet und dialogisch prä- weiten Höransatz ist es angebracht, von der
sentiert. (3) ä Authentizität der Sprachvorbilder: Entwicklung von a.l. zu sprechen. Der literacy-
Möglichst Unterricht durch einen Mutter- Ansatz, der im Konzept der ä multiple literacy-
Audio Literacy 8

Didaktik verortet ist, berührt sowohl den Begriff Charakteristika der audio-lingualen Methode
der Literalität (hier eher bezogen auf elementare treten die visuelle Unterstützung des Sprach-
Hörereignisse und -wahrnehmungen) als auch lernprozesses durch ä Bilder, Dias und Filme,
den der ä Kompetenz (hier eher bezogen auf die der Einbezug von Kommunikationssituationen
kompetente Verknüpfung von Hörereignissen und eine strenge Phasierung des Unterrichts:
mit individuellem Weltwissen und Erfahrungen) Einführung in Dialogform – Erörterung von
und ist in seiner Ausrichtung medial und auch Einzelaspekten – Wiederholung und ä Übung –
kulturwissenschaftlich dimensioniert. Insbe- Auswertung – Anwendung und ä Transfer (vgl.
sondere der dreistufige Prozess des designs of Neuner 2003, 230). Obwohl die Wurzeln der
meaning (available design, designing und the audio-lingualen Methode und der a.M. diesel-
redesigned) wird zum Grundmuster kommuni- ben sind, lassen sich Unterschiede feststellen:
kativer, diskursiver, textueller und auch kultu- Das Unterrichtsprinzip der a.M. besteht darin,
reller performativer Aushandlungen (vgl. Hallet Sprache, wo immer möglich, mit optischem
2011). Damit schafft er für die Ausbildung von Anschauungsmaterial zu verbinden. Das heißt,
a.l. die wichtige sprachliche, materiell-mediale in einer Dialogsituation wird den Lernenden
und kulturelle Verankerung: gestützt zum einen zunächst der Inhalt der Situation durch visuelle
durch die Zunahme insbesondere elektronisch Mittel verdeutlicht (ä Visualisierung), dann erst
vermittelter multimodaler Formen weltweit folgen die entsprechenden sprachlichen Aus-
verbindender Kommunikation (Sprache, Mu- drucksformen (vgl. Abbildungen im ä Lehr-
sik, Bewegung oder Tanz) und zum anderen werk). Die Reihenfolge der Darbietung verläuft
durch migrationsbedingte Prozesse (sub-)kultu- also anders als in der audio-lingualen Methode.
reller und sozialer Diversifizierung. Teilkompe- Dort wird zunächst die sprachliche Form vor-
tenzen von a.l. sind (vgl. Blell 2006): Sensibili- gegeben (erst Hören, dann Nachsprechen) und
tät für Hörkontexte aller Art (Sprache, ä Musik, dann in ihrer Bedeutung erklärt. Eine Unter-
Klang); Bereitschaft und Fähigkeit, genau hin- richtseinheit beginnt bei der a.M. also mit der
zuhören, zu verstehen und über den eigenen Präsentation eines Bildes bzw. einer Bilderfolge
Hörprozess zu reflektieren; Fähigkeit, Nicht- und eines aufgezeichneten Dialogs. In der zwei-
verstehen von Gehörtem auszuhalten und in ten Unterrichtsphase werden die Bedeutungen
erhöhte Aufmerksamkeit umzuwandeln; Fähig- einzelner Gesprächseinheiten erklärt (durch
keit, andere Hörweisen und Interpretationen Deuten, wiederholtes Anhören einzelner Passa-
auszuhalten und eigene Wertungen hinauszu- gen, Fragen und Antworten). Durch mehrfaches
zögern oder gar auszusetzen; Fähigkeit zur ›Lü- Wiederholen von Bild und Text müssen die Dia-
cke‹ bzw. kontextuell angepasster Einsatz von loge in der dritten Phase auswendig gelernt wer-
sprachlichen, para- und nicht-sprachlichen Mit- den. Der Aufbau einer solchen Unterrichtseinheit
teln zum Ausgleich von ›Hörlücken‹ (ä Nonver- orientiert sich an der behavioristischen ä Lern-
bale Kommunikation); Fähigkeit, Gehörtes in theorie. Der Lernvorgang wird als Verbindung
kulturellen Bedeutungsstrukturen kritisch zu von Reiz (Bild) und Reaktion (sprachliche Äuße-
interpretieren und anzuwenden. rung) gesehen. Die Verwendung technischer Un-
Lit.: G. Blell: Musik im FU und die Entwicklung von terrichtsmedien unterstützt diesen Prozess.
a.l. In: U. H. Jung (Hg.): Praktische Handreichung für Viele der Prinzipien, die im Rahmen der a.M.
Fremdsprachenlehrer. FfM 2006, 112–119. – W. Hal- formuliert wurden, haben langfristige Auswir-
let: How to Do Things with Media. Mediennutzung kungen auf den FU gehabt. In ihrer ›Reinkultur‹
als performativer Akt. In: B. Schmenk/N. Würffel wurde die Methode aber – außer in Frankreich
(Hg.): Drei Schritte vor und manchmal auch sechs zu-
rück. Tüb. 2011, 231–243. GB als méthode structuro-globale audio-visuelle –
kaum praktiziert. Dazu trugen sicherlich die ri-
gide Unterrichtsphasierung und die einseitige
Audio-visuelle Methode. Die a.M. entstand in Steuerung durch visuelle Medien bei. Dadurch
den 1950er Jahren in Frankreich und stellt bestand kaum die Möglichkeit methodischer
ähnlich wie die ä audio-linguale Methode die Variation. Auch die fehlende Ausgewogenheit
ä kommunikative Kompetenz in den Mittel- im Hinblick auf die sprachlichen Kompetenzen
punkt. In Frankreich wurde die aus den USA mag in dieser Hinsicht eine Rolle gespielt ha-
stammende audio-linguale Methode zur audio- ben, z. B. geringe Bewusstmachung (ä Bewusst-
visuellen, struktural-globalen Methode weiter- heit/Bewusstmachung) von grammatischen Re-
entwickelt (vgl. Guberina 1964, 1 ff.). Zu den geln oder geringe Berücksichtigung des Schrift-
9 Aufgabenorientiertes Lernen

bildes. Trotzdem kommt der a.M. ebenso wie Für die Beschreibung einer Aufgabe werden
der audio-lingualen Methode der Verdienst zu, u. a. folgende Kriterien genannt: Eine (ideale)
dem Leitziel der kommunikativen Kompetenz Aufgabe (1) fördert den Gebrauch der Ziel-
im FU den Weg geebnet zu haben, denn beide sprache als kommunikative Tätigkeit; (2) stellt
methodischen Ansätze haben für die gespro- den Inhaltscharakter der Mitteilung in den
chene Sprache sensibilisiert. Außerdem haben Mittelpunkt (ä Inhaltsorientierung); (3) ermög-
beide Ansätze entscheidend zum Einzug akusti- licht einen hohen Grad an ä Authentizität des
scher und visueller ä Medien (Dialoge, Kasset- Sprachhandelns; (4) ist realitätsbezogen; (5)
ten, Bilder, Bildfolgen usw.) in Lehrwerke und fördert ä kooperatives Lernen und Arbeiten; (6)
FU allgemein beigetragen. unterstützt die integrative Verwendung mehre-
Lit.: P. Guberina: Die audio-visuelle, global-struktu- rer ä Fertigkeiten; (7) regt die Verwendung und
relle Methode. In: B. Libbish (Hg.): Neue Wege im Weiterentwicklung kognitiver ä Lernstrategien
Sprachunterricht. FfM 1964, 1–15. – G. Neuner: an; (8) führt zu einem konkreten Endprodukt.
Vermittlungsmethoden. Historischer Überblick. In: A.L. ist ein Versuch, die Trennung des Lernens
K.-R. Bausch et al. (Hg.): Handbuch FU. Tüb. 42003
[1989, 225–234. AG und Anwendens der Fremdsprache zu über-
winden. Dafür wird der Klassenraum zugleich
als Aktions- und Lernraum gesehen (ä Lehr-
Aufgaben ä Aufgabenorientiertes Lernen und Lernort). Im Sinne des a.L.s konzipiertes
Fremdsprachenlernen fördere, so die Annahme,
durch die Vorwegnahme von Anwendungssitu-
Aufgabenorientiertes Lernen (engl. task-based ationen im Klassenraum die spätere Bewälti-
learning, frz. approche par tâches) geht u. a. auf gung von Realsituationen außerhalb des Klas-
David Nunan (1989) und Jane Willis (1996) sen- und Lernkontextes.
zurück, die dem Konzept der Aufgabe im Un- Damit setzt a.L. eine starke Variante des
terricht eine zentrale Stellung einräumen. Unter kommunikativen Ansatzes um (ä Kommunika-
›Aufgabe‹ ist ein mehr oder weniger umfangrei- tiver FU), bei dem der Bedeutungsaspekt von
ches Lernarrangement zu verstehen, das die Sprache fokussiert wird und Lernende als sie
Lernenden mit realitätsnahen, alltagsbezogenen selbst zielsprachlich kommunizieren und agie-
Handlungssituationen konfrontiert, innerhalb ren sollen. Zentrale Aspekte dieses Ansatzes
derer Themen bearbeitet, Problemsituationen sind (1) der zugrunde liegende Sprachbegriff:
bewältigt und Ergebnisse erzielt werden sollen. Sprache wird in ihrer sich im Verwendungsakt
A.L. hat v. a. durch seine zentrale Stellung im manifestierenden Werkzeugfunktion gesehen,
ä Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen sie lässt die Sprechenden zu Sprachbenutzenden
für Sprachen (2001) inzwischen europaweit werden, wodurch das Sprachereignis dem Kri-
Eingang in Bildungs- und Rahmenpläne gefun- terium der authentischen Sprachverwendung
den und wird zunehmend auch in Lehrmateria- nahekommen soll; (2) die Sinnhaftigkeit der
lien berücksichtigt. Es sind dabei gegenwärtig Aufgabe: Es wird als positiv für den Spracher-
zwei Grundkonzeptionen unterscheidbar: (1) werbsprozess angenommen, dass er sich im
ein integrativer Ansatz, bei dem Aufbau (z. B. Rahmen für die SuS bedeutungsvoller Aufgaben
Vorschau auf die Aufgabe und anvisierte Kom- vollzieht, und dass die Lernenden sich an Auf-
petenzen, Text/e, Übungspool, Aufgabe/n) und gaben orientieren, die Tätigkeiten widerspie-
Inhalte (z. B. Arbeitstechniken, thematisch be- geln, denen sie in ihrem Umfeld begegnen oder
zogener/landeskundlicher Input, Textmodell/e, deren Umsetzung für sie von Bedeutung ist; (3)
Redemittel, Wortschatz, Grammatik usw.) einer die Outputorientierung: Im Gegensatz zu na-
Lektion (engl. unit, frz. unité/leçon) sich aus tivistisch geprägten Vorstellungen von Spra-
den Erfordernissen einer Aufgabe ableiten und chenlernen setzt das a.L. darauf, dass sich der
die Lernenden durch die Beschäftigung damit ä Spracherwerb im Zuge der Umsetzung von
in die Lage versetzt werden, die gestellte Auf- Aufgaben einstellt, die den Einsatz von Sprache
gabe umzusetzen; (2) ein additiver Ansatz, bei bedingt, d. h. die in Form eines konkreten Ergeb-
dem eine oder mehrere Aufgaben im Anschluss nisses erfolgt, das als solches sprachlicher Natur
an eine oder mehrere Lehrbuchlektionen ein- sein kann oder aber dessen Realisierung von
gefügt werden, wobei die konzeptionelle Ver- sprachlichen Aktivitäten begleitet sein muss.
knüpfung von Lektion und Aufgabe nur in ge- Im Hinblick auf die Umsetzung des a.L.s
ringerem Maße gegeben ist. wird eine Sequenzierung in drei Phasen vorge-
Aufgabenorientiertes Lernen 10

schlagen (vgl. Skehan 1996, Willis 1996), die erwerbsprozess anzusehen, die Prozesse anre-
mit pre-task activity (Vorbereitungsphase), du- gen, bei denen das dialogische Sprechen ange-
ring-task activity (Durchführungsphase) und regt wird, explizite Redebeiträge eingefordert
post-task activity (Nachbereitungsphase) be- werden und die Risikobereitschaft der SuS ge-
zeichnet werden. Die zentrale Phase der during- fördert wird. Zudem sollte es Phasen geben, in
task activity ist als einzige obligatorisch, so denen einzelne Sprachmittel gezielt formal be-
dass im Grunde a.L. aus der Bearbeitung der trachtet werden (z. B. Einführung einer Gram-
den Lernenden gestellten Aufgabe bestehen matikstruktur, die für die Umsetzung der Auf-
kann. Vielfach ist die Ausweitung des Konzepts gabe relevant ist). Weitere wesentliche Aspekte
auf die vor- und nachbereitenden Phasen im liegen darin, dass die Aufgabe kooperatives Ar-
Hinblick auf einen effektiven Spracherwerbs- beiten unterstützt und den Lernenden Unter-
prozess sinnvoll. Es wird gegenwärtig davon stützung für ihre kommunikativen Anstrengun-
ausgegangen, dass v. a. eine vorgeschaltete Phase gen zuteil wird – z. B. Bereitstellung von Rede-
die eigentliche Aufgabenlösungsphase fördert mitteln oder förderliches kommunikatives
und unterstützt. Als förderlich wird erachtet, Agieren der Lehrperson (ä Scaffolding).
die SuS in dieser Phase über den Zweck (»Was Im Hinblick auf die Entwicklung von ä Dis-
soll getan werden?«), den Nutzen (»Was bringt kursfähigkeit als Voraussetzung für »Selbstbe-
es?«) sowie das erwartete Ergebnis (»Was ist stimmtheit und soziale Partizipationsfähigkeit«
das Endprodukt?«) der Aufgabe zu informie- (Hallet 2013, 3) wird die komplexe Lernauf-
ren. Eine vorbereitende Phase ist somit im gabe von der ›einfachen‹ Lernaufgabe unter-
Hinblick auf die ä Motivation der Lernenden schieden. Der zentrale Unterschied liegt darin,
für die Aufgabe, auf die inhaltliche wie auch dass die Lernenden bei der komplexen Lernauf-
sprachliche Heranführung an die Aufgabe, die gabe als »kulturelle Aktanten und Subjekte von
Erarbeitung von ä Lerntechniken und die zeit- Diskursen und Prozessen« (ebd., 4) gesehen
liche Planung der Vorgehensweise zu betrach- werden. Die Bearbeitung der Aufgabe kommt
ten. Die Nachbereitung erstreckt sich in der einer Überwindung des schulischen Agierens
Regel auf die Vorstellung, Aus- und Bewertung gleich, womit das Konzept der Authentizität
der Ergebnisse sowie auf die Diskussion der eine zentrale Rolle erhält, die Orientierung an
Vorgehensweise. Zum Teil wird sie auch für sozialen Diskursen fokussiert und die Relevanz
fertigkeitsbezogene Sprachübungen genutzt des Tuns hervorgehoben wird. Der Lernerout-
(ä Übung), deren Notwendigkeit sich aus der put ist in der komplexen Aufgabe nicht vorbe-
Meta-Diskussion ergeben hat. Es gilt hier der stimmt, er kann aber zur Initiierung kognitiver,
Gefahr entgegenzuwirken, auf Kosten der sprachlich-diskursiver und interaktionaler Pro-
Sprachkorrektheit die Sprachflüssigkeit zu stark zesse unterstützt werden (Benennung von
zu betonen. Kompetenzzielen, Thematik, Input-Texte, Text-
Bei der Diskussion um das a. L. wird meist die Modelle, sprachliche Mittel, Übungsangebote,
Unterscheidung zwischen task-as-workplan und scaffolding, Planungshinweise). Der Lehrkraft
task-as-process getroffen. Dabei wird bei task- fällt innerhalb des a. L.s die Rolle zu, ihre Spra-
as-workplan unter task/tâche eine Abfolge von che so zu wählen, dass das Kriterium der Au-
Aktivitäten verstanden, die sich aus der Aufgabe thentizität erfüllt und dem Inhaltsbezug des
selbst ergeben können oder sich aus ihr ableiten sprachlichen Austausches Vorrang eingeräumt
lassen oder etwa in ihr expressis verbis formu- wird (durch die Art der ä Fragen, des ä Feed-
liert sind. Während bei dieser Lesart von task/ backs, der Sprachunterstützung, der Zuweisung
tâche der Aspekt der Planung im Vordergrund des Rederechts usw.).
steht, fokussiert task-as-progress die Phase der Während die Befürworter des a. L.s große
eigentlichen Umsetzung der Aufgabe bis zu de- Chancen für den Spracherwerbsprozess in die-
ren Realisierung. Im Zentrum der Betrachtung sem Ansatz sehen, ist u. a. noch ungeklärt, wie
stehen dabei vorrangig das erwünschte und als sich der Ansatz in ein Curriculum (ä Lehrplan)
begleitendes ä Lernziel verfolgte autonome Ar- einfügt, welche Rolle die Frage der Sprachkor-
beiten der Lernenden (ä Autonomes Lernen) wie rektheit spielt und wie mit verschiedenen Lern-
auch die Interaktionen der Lerngruppe unterei- begabungen umgegangen werden soll (vgl.
nander (ä Unterrrichtsinteraktion). Swan 2005). Auch scheint sich das Kriterium
In sprachlicher Hinsicht sind diejenigen Auf- der Authentizität in einer institutionellen Lern-
gaben als besonders förderlich für den Sprach- umgebung nur ansatzweise umsetzen zu lassen.
11 Aussprache

Lit.: K.-R. Bausch et al. (Hg.): Aufgabenorientie- tion mit digital literacy. In Lehr- und Lernkon-
rung als Aufgabe. Tüb. 2006. – R. Ellis: Task-based texten mit Texten findet sich traditionell eine
Language Learning and Teaching. Oxford 2003. –
Bevorzugung der print literacy, die analytisch-
W. Hallet: Die komplexe Kompetenzaufgabe. In: Der
fremdsprachliche Unterricht Englisch 124 (2013), logisches, lineares Denken favorisiert. Es spricht
2–9. – A. Müller-Hartmann/M. Schocker-von Ditfurth vieles dafür, dass diese Konzentrationsweise
(Hg.): Aufgabenorientierung im FU. Task-Based Lan- ihre zentrale gesellschaftliche Stellung verliert
guage Learning and Teaching. Tüb. 2005. – A. Müller- zugunsten eines stärker assoziativen, empathi-
Hartmann/M. Schocker-v. Ditfurth: Teaching English. schen und sinnlichen Impressionen zugewand-
Task-Supported Language Learning. Paderborn 2011.
– D. Nunan: Designing Tasks for the Communicative ten Denkens (vgl. Lanham 2006).
Classroom. Cambridge 1989. – E. Rosen (Hg.): La Im engeren Kontext des Fremdsprachenler-
perspective actionnelle et l’approche par les tâches en nens konkurrieren Theorien und Methoden
classe de langue. Sonderausgabe von Le français dans nicht zuletzt im Hinblick auf die jeweils not-
le monde 45. Paris 2009. – P. Skehan: A Framework wendigen Formen von A. (vgl. Schmidt 1995).
for the Implementation of Task-based Instruction. In:
Applied Linguistics 17/1 (1996), 38–62. – M. Swan:
Es wird unterschieden zwischen einer generellen
Legislation by Hypothesis. The Case of Task-based Form von A. unter der Bezeichnung noticing
Instruction. In: Applied Linguistics 26/3 (2005), 376– und einer stärker gerichteten Form als focal at-
401. – J. Willis: A Framework for Task-based Lear- tention. Konsens besteht zumindest darüber,
ning. Ldn 1996. JM dass jedes Sprachlernen eines grundlegenden
Levels an A. in Form von Beachtung (noticing)
bedarf. Eine Art ›gerichtete A.‹ (focal attention),
Aufmerksamkeit ist ein Schlüsselbegriff in die auf bewusstes Verstehen zielt, führt zu besse-
Psychologie, Neurowissenschaften und Lern- ren Lernergebnissen bei der Herausbildung sys-
theorie, aber auch z. B. in der Ökonomie und tematischer Sprachstrukturen, z. B. im Bereich
den Kulturwissenschaften. Aus einer generellen der Syntax und Morphologie. Demgegenüber
A.shaltung wählt der Mensch einen Fokus auf kann das Lernen von Wörtern und Wortkombi-
der Basis von Interesse und Intention. Dieser nationen bereits über noticing erreicht werden.
Fokus wird mit Gedächtnisinhalten abgeglichen
und als nützlich oder unterhaltsam bewertet. Lit.: K. Hayles: Hyper and Deep Attention. The Gene-
Von solchen Bewertungen hängt der wichtige rational Divide in Cognitive Modes. In: Profession
(2007), 187–199. – R. Lanham: The Economics of
Aspekt der A.sspanne ab. Die bildgebenden
Attention. Style and Substance in the Age of Informa-
Verfahren der Neurologie können A.sformen tion. Chicago 2006. – R. Schmidt (Hg.): Attention and
abbilden, somit auch ihre Verstärkung oder Awareness in Foreign Language Learning. Honolulu
Abschwächung. A. ist zu einem zentralen Kon- 1995. JD
zept der Psychologie, Pädagogik und Soziologie
geworden, nicht zuletzt über die Abwesenheit
von A. beim als ADS (attention deficit syn- Auslandsaufenthalt ä Begegnung und Begeg-
drome) bezeichneten psychischen Krankheits- nungssituationen
bild der Unfähigkeit zur Konzentration bei
Kindern und Jugendlichen.
In Lehr- und Lernkontexten wird das Kon- Aussprache gilt als zentraler Bestandteil ä kom-
zept der A. besonders im Rahmen der Kommu- munikativer Kompetenz. Darunter verstanden
nikationsmöglichkeiten alter und neuer Medien werden einzelne Laute sowie deren Kombina-
diskutiert, die um A. konkurrieren. Die Folge ist tion und Repräsentation in Lautschrift, Wort-
eine Konzentrationsweise, die als hyper atten- sowie Satzakzent, Intonation und die Verbin-
tion (vgl. Hayles 2007) beschreibbar ist. In den dung mehrerer Wörter in zusammenhängender
Anforderungen eines multi-tasking muss der Rede. Sprecher/innen mit einer guten, d. h. einer
Fokus schnell gewechselt werden, so dass letzt- im weiteren Sinne (vgl. Jenkins 2001) standar-
lich mehrere Informationsquellen nebeneinan- disierten, A. kommunizieren in der Fremdspra-
der bestehen können. Die gegenläufige Form che leicht verständlich mit anderen. Die A.
der A. kann man als deep attention charakteri- wirkt bewusst oder unbewusst enorm auf
sieren. Hier werden über einen längeren Zeit- Kommunikationspartner und dient häufig als
raum Fokus und Konzentration auf ein Objekt, Indikator für die allgemeine Sprachkompetenz.
z. B. einen längeren Text, gelegt. Deep attention Als fehlerhaft wahrgenommene A. kann sozial
wird mit print literacy korreliert, hyper atten- stigmatisierend wirken und zu Irritationen in
Aussprache 12

der Kommunikation führen. Diesen Argumen- rezeptive A.kompetenz der Lernenden ist ein
ten kommt im Kontext eines ä kommunikativen vielfältiger Input im Hinblick auf diverse A.va-
FUs, in dem gesprochene Sprache eine wichtige rianten wichtig, der über authentische Materia-
Bedeutung hat, besonderes Gewicht zu. Im Ge- lien mit Hilfe der digitalen ä Medien (z. B. Blogs)
gensatz dazu steht die heute eher vernachläs- heute oft einfacher als früher gewährleistet
sigte Rolle des A.trainings: War bis Mitte der werden kann. Wirksames produktives A.trai-
1970er Jahre häufig im Sprachlabor anhand ning in gezielten Übungsphasen (ä Übung) ge-
von pattern drills durchgeführte A.schulung ein rade in der Anfangsphase des FUs hat jedoch
ausgewiesenes ä Lernziel, so flaute danach das ebenfalls einen hohen Stellenwert. In solchen
Interesse daran deutlich ab. Seit Mitte der Phasen kann die A. neu eingeführter Wörter er-
1990er Jahre wird einer guten A. im Zuge der lernt, für die Lernenden (häufig aufgrund des
Stärkung der Mündlichkeit (ä Mündlichkeit Einflusses ihrer Muttersprache) kritische Laute,
und Schriftlichkeit) erhöhtes Interesse entge- Lautkombinationen und Intonationsmuster
gengebracht, doch ist der Stellenwert der A. im können geübt und A.fehler gezielt korrigiert
kommunikativen FU bisher nicht hinreichend werden. A.übungen dienen im Einzelnen u. a.
erforscht, und die umfassende Implementierung dazu, das Hördiskriminierungsvermögen der
entsprechender zeitgemäßer Präsentations- und Lernenden zu trainieren. Drillübungen können
Übungsmöglichkeiten steht bis dato noch aus. sich zur gezielten, zeitlich beschränkten Ein-
Eine Ursache hierfür liegt in der für die A. und übung neuer A.phänomene bzw. zur punktuel-
deren Training entscheidenden, allerdings bis- len Korrektur von A.fehlern (formbezogene
her ungelösten Standardfrage. Galt beispiels- Phase) anbieten. Im Anschluss daran folgt in
weise im Hinblick auf das Englische, dessen der Regel die Einbettung des Geübten in einen
Bedeutung als ä lingua franca beständig an- kommunikativen Kontext (mitteilungsbezogene
wächst, lange an deutschen Schulen Received Phase). A. und A.training im FU sind also Mit-
Pronunciation als der allgemein anerkannte tel zum Zweck einer verständlichen, möglichst
Standard, so sind heute das amerikanische reibungslosen Kommunikation in der Fremd-
Standardenglisch sowie andere Standardvari- sprache.
anten akzeptiert. Mögliche Reaktionen auf Lit.: J. Jenkins: The Phonology of English as an Inter-
diese und vergleichbare Entwicklungen auch in national Language. New Models, New Norms, New
anderen Sprachen reichen von einer restriktiven Goals. Oxford 2000. – B. Diehr/St. Frisch (Hg.): The-
Orientierung am L1-Sprecher als Modell bis zu menheft »Aussprache« von Der fremdsprachliche Un-
terricht Englisch 134 (2015). SD
einer Demokratisierung der A. in Form einer
Konzentration auf einen eher überschaubaren
Korpus von für die verständliche Kommunika- Authentizität wird als Konzept fremdsprachli-
tion unverzichtbaren Kernlauten. Für den FU chen Lehrens und Lernens in unterschiedlicher
und die ä Lehrerbildung ergeben sich aus der Weise verstanden, wobei sich eine zielkulturell
Aufweichung der A.standards entscheidende orientierte und eine lernkontextbezogene A.
Konsequenzen. So ist es bedeutend schwieriger unterscheiden lassen. In der ersten Lesart dient
geworden, festzulegen, welcher A.standard im der Begriff der A. am häufigsten zur Bezeich-
schulischen FU als Modell dienen soll. Ferner nung eines unveränderten Originaltexts aus der
ist es für Fremdsprachenlehrkräfte problema- Zielkultur (z. B. Speisekarte, Roman in Origi-
tisch, im Zuge einer mündlichen Interaktion nalausgabe). Dabei verkörpert der Text einen
spontan zu entscheiden, ob es sich auf Lerner- Teil einer Kommunikationssituation mit den
seite um einen A.fehler oder eher um eine unge- daran beteiligten Aktant/innen (Sprecher/in,
wöhnliche A.variante handelt. Im Sinne eines Adressat/in), die ebenfalls unter dem Aspekt
kommunikativen FUs dient Verständlichkeit als der A. zu beurteilen sind. In der zweiten Ausle-
Entscheidungsgrundlage in Zweifelsfällen. gung wird der Begriff der A. auf den jeweiligen
Gute A. wird nur zum Teil durch Lernen am Lernkontext bezogen, d. h. auf die Bedürfnisse
Modell erworben. Dies bedeutet im Hinblick und Kompetenzen der Lernenden in einem be-
auf die Lehrersprache, dass die A. der Lehrkraft stimmten Stadium des institutionellen Fremd-
modellhaft, das heißt korrekt und konsequent sprachenerwerbs. Im Spannungsfeld zwischen
an einer Standardvariante der Fremdsprache zielkultureller und lernkontextbezogener A. ist
ausgerichtet sein soll. Es impliziert auch, dass die Debatte um die sog. didaktisierten Texte
A. im FU gezielt geübt werden muss. Für die anzusiedeln, die von adaptierten Originaltexten
13 Autonomes Lernen

(ä Lektüren) bis zu spezifisch für den Unterricht oder idiomatische Ausdrücke durch ä Aufmerk-
erstellten Texten reichen; damit verknüpft ist samkeit, Nutzungsbedarf, Auswendiglernen
die Diskussion um die grundsätzliche Eignung und/oder didaktische Maßnahmen wie Drills
zielkulturell authentischer Texte für den Unter- automatisiert werden. Eine Erweiterung dieser
richt und den geeigneten Zeitpunkt ihrer Ein- ersten Form der A. ist die Möglichkeit, dass
beziehung. bestimmte, zuerst getrennte internalisierte
A. kann aber nicht nur als Eigenschaft von sprachliche Elemente zusammengesetzt und
Texten, sondern auch als Ergebnis eines Pro- später ohne kontrollierte Suchstrategien abge-
zesses der Authentisierung verstanden werden. rufen werden können. Hiermit geht die sprach-
Diese erfolgt im Fall der zielkulturellen A. liche Bearbeitung – aktiv oder passiv, schriftlich
durch den Muttersprachler meist unbewusst oder mündlich – noch schneller. Es ist jedoch
im   Kommunikationsakt. Die lernkontextbe- durchaus möglich, dass erwachsene Lernende,
zogene Authentisierung, d. h. die Anpassung die in ein fremdes Land ziehen und dort eine
von Texten und Materialien an die angenom- neue Sprache lernen, nach diesem Muster eine
mene Lernerkompetenz, wird dagegen von Art ›syntaktische A.‹ als allgemeine ä Lernstra-
Lehrkräften und insbesondere von Lehrwerk- tegie benutzen. Somit werden einige Realisie-
autor/innen bewusst angestrebt. Von besonde- rungen eines grammatischen Phänomens richtig
rem Interesse ist die Authentisierung jedoch, verwendet, andere jedoch nicht. (2) Zweitens
wenn man sie mit Henry G. Widdowson (1978) kann der Begriff auch benutzt werden, um den
auf den Lerner bezieht, der Texte, auch Ori- Prozess zu beschreiben, durch den prozedurel-
ginaltexte, selbständig an den ihm gemäßen les Wissen aus deklarativem Wissen gewonnen
Lernkontext anpasst. Dabei kann ein zielkul- wird, d. h., Kenntnisse von Merkmalen der Ziel-
turell authentischer Text wie z. B. eine Speise- sprache können durch Einsichten, ä Übungen
karte von dem bzw. der Lernenden je nach und weitere Verwendungen automatisiert wer-
Lernkontext (z. B. Simulation einer Restaurant- den. So wird z. B. explizites Wissen darüber, wie
situation oder Grammatikübung zu Mengen- deutsche Artikel ihre sprachliche Formen nach
angaben) und Zielen (ä kommunikative Kom- ihren syntaktischen Funktionen verändern, so
petenz oder sprachliche Korrektheit) unter- automatisiert, dass diese Flexionen in der
schiedlich authentisiert werden. Voraussetzung Sprachproduktion ›automatisch‹ vorkommen.
hierfür ist allerdings ein in hohem Maß auto- Ob und unter welchen Bedingungen implizites
nom und sprachbewusst (ä Bewusstheit/Be- Wissen aus explizitem Wissen gewonnen wer-
wusstmachung) handelnder Lerner (ä Autono- den kann – d. h. A. in diesem zweiten Sinne
mes Lernen). überhaupt möglich ist – bleibt jedoch kontro-
Lit.: A. Gilmore: Authentic Materials and Authenticity vers.
in Foreign Language Teaching. In: Language Teaching Lit.: W. Edmondson: Twelve Lectures on Second Lan-
40 (2007), 97–118. – M. Frings/E. Leitzke-Ungerer guage Acquisition. Tüb. 1999. WE
(Hg.): A. im Unterricht romanischer Sprachen. Stgt
2010. – H. G. Widdowson: Teaching Language as
Communication. Oxford 1978. ELU
Autonomes Lernen. In der ä Fremdsprachendi-
daktik versteht man unter a. L. das möglichst
Automatisierung ist ein kognitiver Prozess, eigenständige Fremdsprachenlernen ohne Lehr-
durch den vorhandenes sprachliches ä Wissen person. Oft wird a. L. auch als Synonym zum
expliziter, impliziter oder prozedureller Art in- Selbstlernen und zum selbstgesteuerten Lernen
tern bearbeitet wird, so dass dieses Wissen verstanden. Seit der flächendeckenden Einrich-
schnell und problemlos gefunden und eingesetzt tung von Sprachlaboren und später Selbstlern-
werden kann. Der Begriff kommt aus der ko- zentren gilt das a. L. als wichtiges Element in
gnitiven Psychologie und bezieht sich auf die der europäischen ä Sprachenpolitik und Fremd-
Verfügbarkeit schon vorhandenen Wissens und sprachendidaktik v. a. im Hinblick auf das Ler-
nicht direkt auf den Erwerb neuer Sprachkennt- nen von Erwachsenen (ä Andragogik, ä Gerago-
nisse. A. ist dennoch ein bedeutsamer Teil des gik).
Spracherwerbsprozesses (ä Spracherwerb und Wichtigste Voraussetzung für das a. L. ist die
Spracherwerbstheorien; vgl. Edmondson 1999, sog. Lernkompetenz, d. h. Lernende müssen in
229–257). Zwei Arten sind zu unterscheiden: der Lage sein, selbständig zu lernen. Die Förde-
(1) Erstens können lexikalische, kolloquiale rung des ›Lernen Lernens‹ und der Bereitschaft
Autonomes Lernen 14

zum lebenslangen Lernen ist somit eine zentrale terpretationen (pädagogische Bildungsideale
Aufgabe des FUs. Der Unterricht in modernen erfordern über die Förderung eigenständigen
Fremdsprachen sollte Lernende deshalb befähi- Lernens hinaus weitere Dimensionen, z. B. sozi-
gen, selbst auch nach oder außerhalb des for- ales Lernen (ä Sozialkompetenz), ä interkultu-
malen schulischen Unterrichts Sprachen (wei- relles Lernen sowie kritische Reflexion des
ter) zu lernen. Das schließt die Kenntnis der Lernens und des Gelernten). Gerade im FU ist
eigenen Lernvorlieben sowie geeigneter ä Lern- es möglich, beide Dimensionen von Autonomie
strategien mit ein. Lernende sollten über ein zu berücksichtigen, bietet dieser doch neben
Repertoire von Strategien verfügen, die sie ge- Wegen zur Förderung selbständigen Lernens
zielt und reflektiert einsetzen können, um mög- auch die Möglichkeit für SuS, in interkulturel-
lichst effizient zu lernen. Weiterhin ist erfolgrei- len Räumen die eigenen sprachlichen und kul-
ches Selbstlernen auch von geeigneten Lernma- turellen Grenzen zu überschreiten. Das wiede-
terialien und ä Medien abhängig. Im Zeitalter rum stellt einen zentralen Aspekt jeglicher Er-
des Computers und des Internets sind seit den ziehung zur Emanzipation oder Mündigkeit
1990er Jahren zahlreiche Selbstlernmaterialien dar und kann in einem FU, der die individuelle
speziell für self-access centres und die Arbeit Autonomie von Lernenden fördern möchte, in
am eigenen Rechner entwickelt worden (ä E- besonderer Weise realisiert werden.
Learning, ä Lernsoftware). Lit.: H. Holec: Autonomy and Foreign Language
In Anlehnung an Henri Holecs (1979) Defi- Learning. Strasburg 1980. – B. Schmenk: Lernerauto-
nition lässt sich das a. L. in fünf Bereiche glie- nomie. Karriere und Sloganisierung des Autonomie-
dern: (1) Lernende müssen die eigenen ä Lern- begriffs. Tüb. 2008. BaSch
ziele festlegen; (2) sie müssen die Inhalte und
die ä Progression festlegen sowie (3) entschei-
den, wie sie beim Lernen vorgehen möchten.
Zudem erfordert selbstgesteuertes Lernen (4)
die Überwachung des eigenen Lernprozesses
(monitoring) und schließlich (5) die Bewertung
des eigenen Lernerfolgs. A. L. ist dieser Auffas-
sung nach im schulischen FU nicht realisierbar;
dieser kann jedoch wichtige Grundsteine für
das Selbstlernen legen. Wichtig ist, den pädago-
gisch-erzieherischen Begriff der Autonomie (der
als Synonym zu Emanzipation und Mündigkeit
verstanden wird) vom a. L. oder Selbstlernen zu
unterscheiden (vgl. Schmenk 2008). Das päda-
gogische Ziel, SuS zu mündigen Individuen in
demokratischen Gesellschaften zu erziehen, ist
ein tradiertes europäisches Ideal von Schule,
dem auch der FU verpflichtet ist. Das a. L. kann
in diesem Zusammenhang zwar eine Möglich-
keit darstellen, Lernende institutionell zu
›emanzipieren‹ und ihre persönliche Autonomie
zu fördern; dies ist jedoch nicht das primäre
Ziel des a. L.s im engeren Sinn.
Für die Praxis des FUs sind deshalb mindes-
tens zwei Dimensionen bzw. Interpretationen
des a. L.s zu unterscheiden: technisch-situative
Interpretationen (die Aufgabe des Unterrichts,
das a. L. zu fördern, meint die Ausbildung der
Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen. Leh-
rende, die mit dieser Auffassung vom a. L. ar-
beiten, versuchen hauptsächlich, ihre SuS mög-
lichst durch Angebote zur ä Individualisierung
zu fördern); und pädagogisch-erzieherische In-
15 Begegnung und Begegnungssituationen

B der Austauschforschung und zahlreiche Erfah-


rungsberichte zeigen jedoch, dass internationale
B.en nicht automatisch zu ä interkulturellem
Lernen führen, da Interaktion immer zwischen
Balanced Teaching ä Lehrer/in und Lehrerrolle, Menschen mit ihren individuellen Persönlich-
ä Lehrerzentrierung, ä Offener Unterricht keiten, Erfahrungen und Rollen und nicht zwi-
schen modellhaften Vertreter/innen einer be-
stimmten Kultur stattfindet, so dass B.en dyna-
Bedeutungsaushandlung ä Content-based In- misch und unvorhersehbar sind und nie einen
struction, ä Kommunikativer Fremdsprachen- gewissen Risiko-Charakter verlieren (vgl. Bie-
unterricht, ä Kooperatives Lernen, ä Sprach- chele 2003, 8).
erwerb und Spracherwerbstheorien, ä Unter- Finanziell und oft auch konzeptionell geför-
richtsgespräch dert werden können BS. durch bilaterale Pro-
gramme wie das Deutsch-Französische Jugend-
werk (DFJW), die Stiftung Deutsch-Russischer
Bedingungsfeldanalyse ä Unterrichtsplanung Jugendaustausch (DRJA), das Deutsch-Polni-
sche Jugendwerk (DPJW), das Koordinierungs-
zentrum für deutsch-tschechischen Jugend-
Begegnung und Begegnungssituationen umfas- austausch Tandem, die EU (z. B. Erasmus+
sen direkte B.en wie den Schüleraustausch mit Programm), durch nationale Mittel, z. B. des
Familienunterbringung; B.en an einem dritten Bundesministeriums für Familie, Senioren,
Ort, bei denen SuS verschiedener Länder in der Frauen und Jugend in Deutschland, die Stiftung
Regel in einem Land der zu erlernenden Spra- West-Östliche B. (WÖB) sowie durch Instituti-
che aufeinandertreffen; internationale Projekt- onen und Vereine vor Ort. Empirische Arbeiten
wochen; Betriebspraktika im Ausland; multi- zu B.en liegen z. B. von Maike Grau (2001),
nationale Workcamps; Kontakte zu Mutter- Astrid Ertelt-Vieth (2005) und Gabriela Fell-
sprachler/innen im eigenen Land sowie medial mann (2015) vor, Materialien zur Aus- und
vermittelte B.en, z. B. per E-Mail, Internettele- Fortbildung von Fremdsprachenlehrkräften in
fon oder Videokonferenz (ä E-Learning). Ver- Bezug auf sprachliches und interkulturelles
schiedene B.ssituationen (BS.) können kombi- Lernen von den ILTIS-Projektpartnern (2002).
niert werden, indem z. B. einem Austauschbe- Andreas Thimmel et al. (2007) untersuchen
such eine E-Mail-Phase vorgeschaltet wird, die Langzeitwirkungen der Teilnahme an interna-
ein erstes Kennenlernen der Partner ermöglicht, tionalen Jugendaustauschprogrammen auf die
oder indem nach dem Treffen eine weitere Zu- Persönlichkeitsentwicklung der Teilnehmer/in-
sammenarbeit über die Distanz erfolgt. Dabei nen und finden die stärksten Wirkungen in den
können Elemente von ä Tandemlernen und Kategorien selbstbezogene Eigenschaften und
ä Projektunterricht integriert werden. Typisch Kompetenzen; Offenheit, Flexibilität, Gelassen-
für BS. ist das Überschreiten von Kultur- und heit; soziale Kompetenz; interkulturelles Ler-
Landesgrenzen, die Gegenseitigkeit und ein er- nen; Beziehungen zum Gastland; Förderung
fahrungsorientiertes (ä Erfahrungsorientierung), der Fremdsprachenkompetenz sowie des Inter-
ä entdeckendes, kontrastives Lernen, das den esses und der Bereitschaft, eine Fremdsprache
Blick auf die eigene Kultur mit einbezieht und zu sprechen, zu erlernen und zu vertiefen. Da-
auf ä Kommunikation ausgerichtet ist. bei schneiden Schüleraustauschprogramme in
Von internationalen B.en erhofft man sich Bezug auf die Förderung der Fremdsprachen-
einen Motivationsschub (ä Motivation) für das kompetenz und der ä interkulturellen kommu-
Erlernen der Fremdsprachen, da die SuS im in- nikativen Kompetenz besser ab als andere Pro-
tensiven Kontakt mit authentischen Sprecher/- grammformate. Spezifisch für den trilateralen
innen und Muttersprachler/innen die Möglich- Austausch ist die Möglichkeit, das Eigen- und
keit haben, Sprache als echtes Kommunikati- Fremdbild durch die Konfrontation mit gleich
onsmittel zu erleben. Schüler- und Jugend-B.en je zwei anderen ä Perspektiven leichter zu re-
sollen zum gegenseitigen Verständnis, zum Ab- flektieren und stereotype Vorstellungen von
bau von Ängsten und Vorurteilen unter jungen den Anderen (ä Stereotyp) leichter zu erkennen,
Menschen und zur Bereicherung des individuel- in Frage zu stellen und zu überwinden. Gefah-
len Erfahrungsschatzes beitragen. Ergebnisse ren von multilateralen Programmen bestehen

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_2, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
Begegnung und Begegnungssituationen 16

in der Ausgrenzung einer Ländergruppe und und Interessengefälle zwischen Ost und West,
dem einseitigen Sprechen einer Sprache. unterschiedliche Vorstellungen von Gastfreund-
Die Ausgabe »Schüler-B.en über Grenzen« schaft, die Konfliktfähigkeit der Teilnehmer/in-
der Zeitschrift Fremdsprache Deutsch (2003) nen sowie die verschiedenen Interessen von
bietet eine fundierte Bedingungsanalyse erfolg- jüngeren und älteren SuS, von Mädchen und
reicher Schüler-B.en und Erfahrungsberichte Jungen.
mit Ideen, wie Schüler-B.en gestaltet werden Im FU wird die B. inhaltlich vorbereitet, wo-
können. Ertelt-Vieth (2003) beschreibt an- bei man sich an den Interessen der SuS orientie-
schaulich, wie der Besuch einer Partnerklasse ren sollte, die im Gastland sprachlich und kul-
in  Deutschland vorbereitet und gestaltet wer- turell zurechtkommen müssen. Im Rahmen von
den kann, und gibt zahlreiche nützliche Hin- Projekten recherchieren die SuS eigenverant-
weise organisatorischer, sprachlicher und inter- wortlich Informationen zum Gastland, planen
kultureller Art. »Eurobridge« (Hauff 2007) ist gemeinsame Aktivitäten mit den Partnern, In-
eine umfassende, viersprachige Arbeitshilfe für formationsveranstaltungen über den eigenen
internationale Jugend-B.en (auf Deutsch, Wohnort und die Schule und erarbeiten Mög-
Polnisch, Tschechisch, Russisch) mit Informati- lichkeiten der Dokumentation und Aufberei-
onen über Fördermöglichkeiten, erste Schritte, tung der B. Über das Internet können erste au-
Planung, Durchführung, Nachbereitung so- thentische Kontakte mit Gleichaltrigen im
wie ausführlichen Länderinformationen und Zielsprachenland geknüpft und Schülerarbeiten
Checklisten. Weitere praxisorientierte Beiträge, (z. B. Vorstellungsbriefe per E-Mail, selbstge-
konkrete Planungs- und Handlungsempfehlun- drehte Videos über die eigene Schule) ausge-
gen zu allen Phasen der Jugend-B. für bi- und tauscht werden. Wenn den Jugendlichen zusätz-
multilaterale Treffen bieten z. B. die Veröffentli- liche Verantwortung für die B. übertragen wird,
chungen des DPJW, DRJA und DFJW. besteht eine größere Chance, dass sie das Pro-
Die Organisation von Schülerkontakten er- gramm auch als ihres ansehen. Bei der Aufga-
fordert langfristige Planung, Beharrlichkeit, benverteilung sollten Kolleg/innen, Eltern und
Empathie, Verhandlungsgeschick und viel orga- SuS eingebunden werden, wobei die musischen,
nisatorischen Aufwand, der von einer einzigen sportlichen und künstlerischen Interessen und
Lehrkraft allein fast nicht zu bewältigen ist. Kompetenzen der SuS für gemeinsame Aktivi-
Notwendig ist die Unterstützung der Schullei- täten mit den Partnern genutzt werden sollten.
tung, die Einbeziehung der SuS und ihrer Eltern Ein permanenter Kontakt und Informations-
in die Vorbereitung und klare Absprachen mit fluss der Ansprechpartner und Schulen ist un-
der Partnerinstitution. Dafür sollte ein festes abdingbar, so dass alle Seiten über den Stand
Leitungsteam gebildet werden, an dem sich jede der Vorbereitungen informiert sind.
Nation und Organisation mit mindestens einer Damit B.en tatsächlich zu einem Ort des
Person beteiligt. Über dieses Team erfolgt die interkulturellen Lernens werden, empfiehlt
Verständigung über die Rahmenbedingungen sich die Zusammenstellung gemischtnationaler
(Termin, Ort, Dauer, Zielgruppe), die themati- Kleingruppen nach gemeinsamen Interessen,
sche Ausrichtung, Aufgabenverteilung und z. B. in Bezug auf Hobbys, musikalische Stil-
Programmgestaltung der B. Hilfreich für den richtungen oder Sportarten. In diesen Konstel-
Aufbau erster Kontakte und die Suche nach lationen sollten gemeinsame Aktivitäten wie
Jugendlichen mit gemeinsamen Interessen sind eine Stadtrallye (eine mit bestimmten Aufgaben
Regional- und Schulpartnerschaftsbörsen; wich- verbundene Erkundung des B.sortes) oder ge-
tig für die inhaltliche Arbeit ist ein Thema, das meinsame Recherche- oder Beobachtungsauf-
sich für internationale Jugend-B.en eignet. Als gaben durchgeführt werden, die sich die SuS
nächste Schritte erfolgen Teilnehmersuche und gegenseitig stellen. Statt eines übervollen tou-
Werbung, Öffentlichkeitsarbeit, Beantragung ristischen Programms während der B. sollten
von Fördermitteln und fund-raising. Zu den ad- gemeinsame Projekte der SuS im Vordergrund
ministrativen Vorarbeiten gehört auch die Zu- stehen, z. B. künstlerische und musische Aktivi-
ordnung der Austauschschüler/innen entspre- täten, ein Theaterprojekt, die Organisation ei-
chend gemeinsamer Interessen und Lebensge- ner Ausstellung, sprachliches Arbeiten an rele-
wohnheiten, die man am besten gemeinsam mit vanten Texten, gemeinsames Kochen. Besichti-
dem Partner im Gastland vornimmt. Im Vorfeld gungen können so gestaltet werden, dass sich
bedacht werden sollte auch das Wohlstands- einige SuS gemeinsam mit ihren Partnern in der
17 Berufsorientierter Fremdsprachenunterricht

Zielsprache darauf vorbereiten und ihre Infor- ist die Fähigkeit zu lernen, die eigenen Überzeu-
mationen dann an die Mitschüler/innen weiter- gungen von außen zu sehen, anders wahrzu-
geben. Die Aktivitäten am Zielort sollten die nehmen, sich in die Partnerlehrer/innen und
Chance geben, sich auf individueller Ebene -schüler/innen hineinzuversetzen und in Kon-
kennenzulernen. Bei gemeinsamen Schulbesu- fliktsituationen zu vermitteln. Die ä Lehrerbil-
chen können die Partner im Unterricht gemein- dung sollte Möglichkeiten bieten, das interkul-
sam an bestimmten Themen und Inhalten ar- turelle Lernen in Projektform selbst auszupro-
beiten. Da das Sprachniveau der Teilnehmer/- bieren und diese Erfahrungen sowie das eigene
innen oft sehr unterschiedlich ist, muss versucht Projektmanagement, Kulturwissen und -han-
werden, Sprachbarrieren durch die Programm- deln didaktisch gestützt (selbst)kritisch zu re-
gestaltung möglichst gut zu überbrücken. So flektieren (vgl. z. B. Ehrenreich 2004).
kann Sprachanimation (vgl. Bojanowska 2008)
Lit.: M. Biechele (Hg.): Schüler-B.en über Grenzen.
ein wichtiger Bestandteil der Aktivitäten zum Stgt 2003. – J. Bojanowska: Praxisbuch zur Sprach-
Kennenlernen, aber auch zum Aufbau und der animation. Animacja językowa. Potsdam/Warschau
Vertiefung des Dialogs werden. Wichtig ist eine 2008. – S. Ehrenreich: Auslandsaufenthalt und Fremd-
Kommunikation der Jugendlichen in der sprachenlehrerbildung. Das assistant-Jahr als ausbil-
Fremdsprache ohne Angst vor Bewertung. Da- dungsbiographische Phase. Mü. 2004. – A. Ertelt-
Vieth: Privetstvie russkich druzej [Begrüßung der rus-
bei steigt die Lust am Sprechen, wenn die SuS
sischen Freunde. Schüleraustausch gut vorbereitet. In:
ihre Themen selbst wählen können. Von den Dies. (Hg.): Russisch in Projekten lernen. Bln 2003,
Lehrenden ist hier eher die Rolle der Modera- 77–102. – A. Ertelt-Vieth: Interkulturelle Kommuni-
toren und Berater gefragt (ä Lehrer/in und Leh- kation und kultureller Wandel. Eine empirische Studie
rerrolle), die einerseits den Rahmen für die zum russisch-deutschen Schüleraustausch. Tüb. 2005.
Kommunikation, mögliche Themen und For- – G. Fellmann: Schüleraustausch und interkulturelle
Kompetenz. Modelle, Prinzipien und Aufgabenfor-
mulierungshilfen anbieten und Gespräche an- mate. FfM 2015. – M. Grau: Arbeitsfeld B. Eine Studie
stoßen, andererseits genügend Freiraum bei der zur grenzüberschreitenden Lehrertätigkeit in europäi-
Ausgestaltung lassen, die ablaufenden Prozesse schen Schulprojekten. Tüb. 2001. – S. Hauff: Euro-
beobachten und sich nur bei Bedarf bzw. auf bridge. Arbeitshilfe für internationale Jugend-B.en.
Anfrage einschalten. In täglichen Teamsitzun- Düsseldorf 2007. – ILTIS-Projektpartner (Hg.): Spra-
chen lernen. Interkulturelles Lernen in Schüler-B.en.
gen während der B. sollten Gelungenes und Module zur Aus- und Fortbildung von Fremdspra-
Probleme reflektiert und die Verantwortlichkei- chenlehrkräften. Mü./Ismaning 2002. – Themenheft
ten für den nächsten Tag durchgegangen wer- »Schüler-B.en über Grenzen« von Fremdsprache
den. Interkulturelle Missverständnisse und auf- Deutsch 29 (2003). – A. Thimmel/H. Abt/C. Chang:
tretende Konflikte sollten nach Möglichkeit vor Internationale Jugend-B.en als Lern- und Entwick-
lungschance. Erkenntnisse und Empfehlungen aus der
Ort besprochen und in der Gruppe geklärt
Studie »Langzeitwirkungen der Teilnahme an interna-
werden. Zu jeder B. und BS. gehört auch eine tionalen Jugendaustauschprogrammen auf die Persön-
Nachbereitung. Das kann z. B. durch von den lichkeitsentwicklung«. Bensberg 2007. GM
SuS erstellte Dokumentationen (z. B. einen Film,
eine Website oder einen Artikel in der lokalen
Presse) geschehen, aber auch durch die weitere Behaviorismus ä Geschichte des Fremdspra-
Kontaktpflege mit den Partnern. Der FU sollte chenunterrichts, ä Lerntheorien, ä Nativistische
den SuS die Gelegenheit geben, von ihren Erfah- Ansätze, ä Spracherwerb und Spracherwerbs-
rungen zu berichten, erlebte Gemeinsamkeiten theorien
und Unterschiede sowie ihr eigenes sprachliches
und interkulturelles Verhalten während der BS.
im Nachhinein zu reflektieren. Benotung ä Leistungsbewertung
Unabdingbare Voraussetzung für gelungene
B.en sind gute sprachliche, organisatorische
und interkulturelle Kompetenzen der beteilig- Berufsorientierter Fremdsprachenunterricht stellt
ten Lehrenden, Flexibilität, Offenheit und Am- einen wichtigen Bereich der ä Fremdsprachen-
biguitätstoleranz. Das alleinige Wissen über didaktik dar, der weiterhin stetig wächst. Im
erfolgreiche B.sprojekte bedeutet nicht, dass Schuljahr 2015/2016 haben von knapp
automatisch ein Transfer in die eigene Unter- 2,5 Mio. Schüler/innen an beruflichen Schulen
richtspraxis stattfindet und Lehrende als kom- etwa 1,6 Mio. FU erhalten. ä Englisch, ä Spa-
petente kulturelle Mittler auftreten. Notwendig nisch, ä Französisch und ä Russisch sind dabei
Berufsorientierter Fremdsprachenunterricht 18

in der genannten Reihenfolge die wichtigsten zahlen zu sehen. Die andauernde ä Globalisie-
Fremdsprachen (Statistisches Bundesamt 2016). rung mit ihren Migrationsbewegungen, Kapi-
Dabei wird b. F. nicht nur in der beruflichen talflüssen und der weltweiten beruflichen Mo-
Schule erteilt, sondern auch in tertiären Bil- bilität von Fachkräften hat gemeinsam mit der
dungsinstitutionen, privaten Sprachenschulen, technologischen Weiterentwicklung Auswir-
Unternehmen und anderen Institutionen der kungen auf den berufsorientierten FU. Globali-
Erwachsenenbildung (ä Andragogik, ä Volks- sierungstendenzen insbesondere von Märkten
hochschulunterricht). Er ist auch Teil des Curri- und damit verbundenen Berufsfeldern und Ar-
culums an allgemeinbildenden Schulen. beitsplätzen lassen dem Konzept Englisch als
Eine eindeutige Begriffsbestimmung ist ä lingua franca (ELF) eine größere Bedeutung
schwierig, weil wenig konsensfähig. Für den zukommen, als es im allgemeinsprachlichen
deutschen Sprachgebrauch definiert Vogt (2011, Unterricht erfährt. Als genuines Kommunika-
153) berufsorientierten FU als »eine[n eigen- tionsmittel in berufsorientierten Diskursen ist
ständige[n, thematisch und pragmatisch zweck- ELF unverzichtbar, wobei fremdsprachliche
orientierte[n Sprachunterricht […, den Ler- Bedarfsanalysen für Europa zeigen, dass andere
nende mit dem vorrangigen Ziel der beruflichen Fremdsprachen durchaus auch bedeutsam sind,
Handlungsfähigkeit in der Fremdsprache erler- wenn auch mit einigem Abstand.
nen, der jedoch auf Grund der Unteilbarkeit Die Möglichkeiten des Web 2.0 für interak-
von fremdsprachlicher Kompetenz auch auf tive und kollaborative Lernszenarien zusam-
nicht-berufliche Handlungszusammenhänge vor- men mit der alltäglichen Verfügbarkeit von
bereitet«. Andere Begrifflichkeiten (berufsspe- mobilen Endgeräten sorgen nicht nur für die
zifischer, berufsbezogener FU) werden teils syn- (potenzielle) Entkopplung des Lernens von
onym verwendet oder spiegeln den Grad der Raum und Zeit, die besonders berufstätigen
Spezifizität von Fachsprache, Zielgruppe usw. Lernenden entgegenkommt, sondern auch für
wider (z. B. Spanisch für Jurist/innen). Ähnlich neue Arten der Zusammenarbeit wie ä blended
vielfältig ist die Terminologie in der internatio- learning, informelles Lernen, der Darstellung
nalen Literatur mit einer als problematisch zu von Lernergebnissen und (für Lehrende) der
sehenden Abgrenzung von Allgemein- und Fach- Erstellung von authentischen Lernmaterialien
sprache (Languages for Specific Purposes), die (ä Computer Assisted Language Learning, ä E-
für das Englische (English for Specific Pur- Learning). Gleichzeitig entsteht durch neue hy-
poses) noch unterschieden wird in English for bride Genres bzw. das Verschwimmen oder
Academic Purposes (EAP) und English for Oc- Mischen von Genres gerade im beruflichen Be-
cupational Purposes (EOP). Dem Konzept des reich eine multimodale Komplexität von Kom-
berufsorientierten FUs am nächsten kommt der munikationsabläufen, die zwar den Lernenden
Begriff Vocationally Oriented Language Learn- bekannt sein dürfte, die aber im Sinne einer
ing, der im Kontext des Europarates in den kritischen Nutzung entsprechend aufgearbeitet
1990er Jahren aufkam. Dabei wird von einem werden muss (ä Generisches Lernen).
Konzept des FUs ausgegangen, das sich lerner- B. F. unterscheidet sich von allgemeinbilden-
orientiert (ä Lernerorientierung) an den aktuel- dem FU insofern, dass Fremdsprachenlernen
len oder zukünftigen fremdsprachlichen Kom- immer kontextuell eingebettet ist, etwa in
munikationsbedarfen in beruflichen Kontexten den  Kontext der beruflichen Situation oder
ausrichtet, das aber auch allgemeinsprachliche der  professionellen Diskursgemeinschaft, die
und berufliche i. S. v. berufsfeldübergreifenden bestimmte Kommunikationsregeln ihr Eigen
Komponenten beinhaltet. Fachsprache spielt nennt.
bei diesem Begriff eine eher untergeordnete Methodisch gesehen bedingt die Wichtigkeit
Rolle. Funk (2010) differenziert auf der Grund- der Kontextualisierung von Fremdsprachenler-
lage der beruflichen Erfahrungen, die Lernende nen eine lange Tradition von handlungs- und
mitbringen, zwischen berufsvorbereitendem, aufgabenorientierten Lernszenarien (ä Hand-
berufsbegleitendem und berufsqualifizierenden lungsorientierung, ä Aufgabenorientiertes Ler-
FU, wobei die berufsvorbereitende Funktion nen), die mit Rollenspielen, Simulationen (ä Si-
bereits früh im allgemeinbildenden FU ange- mulation Globale) usw. den Anspruch haben,
bahnt werden kann. so nahe wie möglich an der realen beruflichen
Die Relevanz berufsorientierten FUs ist nicht Kommunikationssituation zu sein und damit
nur quantitativ in Form von steigenden Lerner- eine größtmögliche ä Authentizität zu gewähr-
19 Bewegter Unterricht

leisten. Auch die sofortige bzw. zeitnahe An- oder Institutionen vollzieht. Dies ist in Zusam-
wendung des Gelernten und die Zielgerichtet- menhang zu setzen mit sprachlichen Faktoren
heit des FUs im Sinne eines unmittelbaren Pra- wie aus der technologischen Entwicklung neu
xisbezugs sind Spezifika des berufsorientierten entstehenden Genres, aber auch mit kommuni-
FUs. Gleichzeitig besteht insbesondere bei be- kativen Prozessen und neu entstehenden hybri-
rufsorientiertem FU außerhalb von schulischen den Lernszenarien, die effektiv für den berufso-
Institutionen eine Unabhängigkeit von Lehrplä- rientierten FU einzusetzen sind.
nen (ä Lehrplan) oder anderen bildungspoliti- Lit.: H. Funk: Berufsorientierter Deutschunterricht.
schen Vorgaben. Daher ist die fremdsprachliche In: H.-J. Krumm et al. (Hg.): Deutsch als Fremd- und
Bedarfsanalyse ein wichtiger Bestandteil bei der Zweitsprache. Ein internationales Handbuch. Bln/
Curriculum- bzw. Kursplanung im berufsorien- N. Y. 2010, 1145–1151. – S. Gollin-Kies/D. Hall/S.
Moore: Language for Specific Purposes. Basingstoke
tierten FU (ä Unterrichtsplanung). Insbesondere 2015. – M. Huhta et al.: Needs Analysis for ESP
wenn Lernende sich bereits im Erwachsenen- Course Design. Cambridge 2013. – Statistisches Bun-
alter befinden, bringen sie unterschiedliche desamt. Bildung und Kultur. Berufliche Schulen. Fach-
fremdsprachliche Lernerfahrungen mit, so dass serie 11, Reihe 2. https://www.destatis.de/DE/Publika
Lerngruppen i. d. R. deutlich heterogener sind tionen/Thematisch/BildungForschungKultur/Schulen/
BeruflicheSchulen2110200167004.pdf?__blob=
als im allgemeinsprachlichen FU. Hinzu kom- publicationFile – K. Vogt: Fremdsprachliche Kompe-
men häufig unterschiedliche berufliche Erfah- tenzprofile. Tüb. 2011. KV
rungen bzw. Fachkenntnisse, denen Rechnung
getragen werden muss. Damit ist auch eine
Verschränkung von Fach- und Sprachkompe- Bewegter Unterricht ist eine Form des Fachun-
tenz gegeben, die in der Verschiebung von Ler- terrichts und damit auch des FUs, in der die
ner- und Lehrerrollen resultieren kann (ä Leh- körperliche Bewegung als ein zentrales Element
rer/in und Lehrerrolle), wenn etwa die Lehrkraft schulischen Lehrens und Lernens betrachtet
eine Expertin für die sprachliche ä Kompetenz wird. Ansätze finden sich bereits im 18. und
ist, aber die Lernenden ihr in der Fachkompe- 19. Jh. in der Pädagogik von Pestalozzi (ä ganz-
tenz und/oder beruflichen Erfahrung überlegen heitliches Lernen mit Kopf, Herz und Hand),
sind. In diesem Fall lernen im Idealfall alle Par- im Erziehungsmodell seines Schülers Séguin, in
teien voneinander. Die Qualifizierung von Lehr- der ä Reformpädagogik des 19. und 20. Jh.s
kräften mit Kompetenzen in beiden Bereichen (taktil-kinästhetisches Lernen bei Montessori,
stellt jedoch einen Problembereich dar. Die In- Freinet, Petersen u. a.), im 20. Jh. in Fremdspra-
halte betreffend, zeichnet sich berufsorientierter chenlehr- und -lernmethoden wie Ashers ä Total
FU einerseits durch einen Grad der Spezifität Physical Response (Reaktion auf sprachlichen
der berufsorientierten Kommunikation aus (mit Input durch Bewegung und einfache Handlun-
Parametern wie Situation, Gesprächspartner, gen), Lozanovs ä Suggestopädie und dem dar-
Genres, Ziel der Kommunikation usw.; vgl. auf basierenden Superlearning von Ostrander/
auch Huhta et al. 2013); andererseits wird in Schroeder (Kombination visueller, auditiver
neuerer Zeit auch in spezialisierten Kontexten und kinästhetischer Reize). B. U. wird heute im
die Wichtigkeit von Interdisziplinarität, Diver- umfassenden Konzept der ›Bewegten Schule‹
sität und des holistischen Charakters von Kom- verortet (vgl. Regensburger Projektgruppe
munikation in beruflichen Kontexten betont 2001, 29 f.). Dieses Konzept wurde in den
(vgl. Gollin-Kies et al. 2015). 1980er Jahren auf Initiative des Schweizer
Die Forschungsbedarfe im berufsorientierten Sportpädagogen Urs Illi als Reaktion auf die
FU konzentrieren sich zum einen auf die Wei- bewegungsfeindliche, zu gesundheitlichen Be-
terentwicklung und Anpassung von fremd- einträchtigungen (Haltungsschäden, Konzen-
sprachlichen Bedarfsanalysen an die mehrspra- trationsstörungen) führende ›Sitzschule‹ ent-
chigen Realitäten der multimedialen und multi- wickelt. Seitdem wird es in zahlreichen, von
modalen beruflichen Kommunikation auch von den Kultusministerien der Bundesländer ge-
multidisziplinären Gesprächspartnern (ä Mehr- förderten Projekten und Modellversuchen für
sprachigkeit). Zum anderen wissen wir analog den Primar- und Sekundarbereich umgesetzt
zum Bereich der Weiterbildung allgemein noch (vgl. www.bewegteschule.de). Neben dem b. U.
zu wenig über die fremdsprachlichen Prozesse und einem verstärkten Sportunterricht um-
beim informellen berufsbezogenen Fremdspra- fasst  die Bewegte Schule die ›Bewegte Pause‹
chenlernen, das sich jenseits von Anbietern (reguläre Pausenzeiten mit Spiel- und Bewe-
Bewegter Unterricht 20

gungsangeboten), das ›Bewegte Schulleben‹ tik, Sach- und literarischen Texten, Bewegungs-
(Spiel- und Sporttage/-feste, bewegungsorien- lieder, bewegte ä Sprachlernspiele, szenisches
tierte Klassenfahrten) sowie die von schuli- Spiel (ä Dramapädagogik), Tanzen von Tänzen
schen Bewegungsangeboten unterstützte ›Be- aus den Zielkulturen, wobei häufig die natürli-
wegte Freizeit‹ und reagiert damit auch auf das che Verbindung von Sprechen/Hören und Be-
von  zunehmender Bewegungsarmut gekenn- wegung (ä Nonverbale Kommunikation) sowie
zeichnete außerschulische Leben der SuS. Ab- von Bewegung, Sprache, Rhythmus und ä Mu-
gesehen vom Aspekt der Gesundheitserziehung sik genutzt wird.
werden die bewegte Schule und der b. U. v. a. Lit.: U. Rampillon/H. Reisener: Lernen, Sprache und
anthropologisch (Bewegung als menschliches Bewegung. In: Der fremdsprachliche Unterricht Eng-
Grundbedürfnis), lerntheoretisch (Bewegung lisch 74 (2005), 2–6. – Regensburger Projektgruppe:
als Mittel der Informationsverarbeitung, als Bewegte Schule. Anspruch und Wirklichkeit. Schorn-
dorf 2001. ELU
eine »wesentliche Form der Auseinanderset-
zung mit und Aneignung von Welt«, Ram-
pillon/Reisener 2005, 3), neurophysiologisch Bewusstheit/Bewusstmachung. Der Gegensatz
(Aktivierung miteinander vernetzter Hirnareale zwischen bewusstem bzw. kognitivem und un-
durch Bewegung) und motivational (Bewegung bewusstem, mechanischem und imitativem,
als innovatives Element des Fachunterrichts) Lernen durchzieht die Geschichte des FUs.
begründet. Sprachliche Bewusstheit ist das ›Sich-im-Kla-
Für sich betrachtet umfasst der b. U. drei ren-Sein‹ über die Struktur(en) einer oder meh-
Komponenten: Bewegungsanlässe (die vom rerer Sprachen sowie über die Verwendung von
Unterrichtsgegenstand unabhängige Integration Sprache in verschiedenen Kommunikations-
von Bewegung in das Sitz- und Arbeitsverhal- kontexten, um bestimmte kommunikative
ten, unterstützt durch ergonomisches Mobiliar); Absichten zu erreichen. B. beruht auf der Wahr-
Bewegungspausen zum Ausgleich zwischen nehmung und geistigen Verarbeitung von Spra-
Aktivität und Ruhe (kurze Unterbrechungen che und ist das Resultat eines Erkenntnis-
zur körperlichen und geistigen Regeneration prozesses, der an sprachliche Interaktion ge-
durch Gymnastik, mentales Training, Entspan- bunden ist. Die Bewusstmachung sprachlicher
nungsübungen); schließlich das aus fachdidak- Erscheinungen dient als Lernhilfe und tritt in
tischer Sicht zentrale Bewegte Lernen (hier unterschiedlichen Sprachlehrmethoden auf, ist
dient die Bewegung dazu, den Lernprozess zu aber selbst keine Sprachlehrmethode. Sprach-
begleiten, zu unterstützen und somit zu opti- lehr- und -lernkonzepte, die einen Schwerpunkt
mieren). Funktional ist zwischen zwei Varianten auf das ä Leseverstehen und ä Schreiben legen
zu unterscheiden: der eher indirekten Unter- und eine eher bildungsorientierte Zielsetzung
stützung, die die Bewegung als begleitende verfolgen, tendieren dazu, den Lernenden
Aktivität zur Steigerung der geistigen Leis- sprachliche Inhalte und Strukturen so zu ver-
tungsfähigkeit und der ä Motivation beinhaltet mitteln, dass sie ihnen durch Einsicht zugäng-
(Beispiel: Laufdiktat), sowie der direkten Un- lich werden. Dies geschieht häufig durch den
terstützung des Lernprozesses durch Bewegung, Rückgriff auf metasprachliche Beschreibungen
die mit dem Lerngegenstand inhaltlich ver- wie den Gebrauch von grammatischer Termi-
knüpft ist. Diese für den Fachunterricht viel nologie, beispielsweise der Verwendung von
bedeutendere Form kann in allen Phasen des Wortarten oder Satzgliedern wie Subjekt, Prä-
Lernprozesses (Aufnahme, Verarbeitung, Spei- dikat, Objekt oder Adverbialbestimmungen. An
cherung von Informationen) zum Tragen kom- Lehr- und Lernverfahren, die stark kognitiv
men. So gibt z. B. die pantomimische Darstel- ausgerichtet sind, ist kritisiert worden, dass sie
lung von Verben wie engl. jump, frz. sauter, die Spontaneität des Sprechens und den Rede-
span. saltar die Bedeutung als den zentralen fluss beeinträchtigen. Methoden der Sprach-
Lerninhalt durch die Bewegung des Hüpfens vermittlung, die v. a. auf mündliche Kommu-
wieder; dies ist in der Aufnahme- und Verarbei- nikationsfähigkeit abheben und sich in ihrer
tungsphase (Semantisierung bei Erstbegegnung) Zielsetzung als eher anwendungsorientiert ver-
und/oder in der Speicherungsphase (Memorie- stehen, messen Verfahren der Bewusstmachung
rung) möglich. Weitere Anwendungsmöglich- nur wenig Bedeutung zu. Als idealtypischen
keiten im FU ergeben sich durch die bewegte Vertreter kann man hier die ä audio-linguale
Rhythmisierung von ä Wortschatz, ä Gramma- Methode anführen, die lerntheoretisch auf dem
21 Bezugswissenschaften

Behaviorismus basiert und somit von einem kann, wenn auch auf Kosten einer nicht ganz
auf Stimulus-Response-Verstärkung beruhen- zufriedenstellenden theoretischen Grundlage.
den mechanischem Lernbegriff zum Aufbau Lit.: C. Gnutzmann: Sprachenbewusstheit und Sprach-
von Sprachgewohnheiten ausgeht. Sowohl in lernkompetenz. In: E. Burwitz-Melzer et al. (Hg.):
der Theorie der Fremdsprachenforschung wie Handbuch FU. Tüb./Basel 62016 [1989, 144–149. –
auch in der Praxis des FUs ist jedoch festzu- W. Tönshoff: Kognitivierende Verfahren im FU. For-
men und Funktion. Hbg 1992. CG
stellen, dass es zu Vermischungen von bewuss-
tem und unbewusstem Lernen kommt, wobei
die jeweiligen Anteile entsprechend den Bezugswissenschaften. Die ä Fremdsprachendi-
Sprachlehrmethoden erheblich variieren kön- daktik untersucht ihren Gegenstandsbereich,
nen. Die Spracherwerbsforschung (ä Spracher- das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweit-
werb und Spracherwerbstheorien) hat gezeigt, sprachen, in interdisziplinärer Verquickung
dass es sich bei dem Wortpaar bewusst/unbe- mit  anderen Disziplinen, wobei das Verhältnis
wusst nicht um einen kontradiktorischen, Ent- zu diesen B. jeweils unterschiedlich definiert
weder-oder-Gegensatz handelt, sondern dass es wird. Zu den B. gehören u. a. die Sprach- und
zutreffender ist, auf einer Skala mit den Endpo- Literaturwissenschaft, die Kulturwissenschaft,
len ›bewusst‹ und ›nicht-bewusst‹ unterschiedli- die Sozialwissenschaften und auch die Erzie-
che Gradierungen von Bewusstheit anzuneh- hungswissenschaften (vgl. Bausch et al. 2016).
men. Für die Entwicklung fremdsprachlicher Fachwissenschaftliche Bezüge bestehen zu Lite-
Kommunikationsfähigkeit und des dazugehöri- ratur- und Sprachwissenschaft sowie zu Kultur-
gen sprachlichen Regelapparates wird die ko- und Landeswissenschaften, vermittlungswissen-
gnitive Aneignung phonetischer, lexikalischer schaftliche Bezüge u. a. zu Erziehungswissen-
und grammatischer Elemente und Strukturen schaft und Lernpsychologie (vgl. Fäcke 2007).
häufig als wichtige Voraussetzung für die Re- Aus der ä Literaturwissenschaft lassen sich
zeption und Produktion von Sprache angese- zahlreiche Diskurse für die Fremdsprachendi-
hen, wobei die Frage der Schnittstelle von Ken- daktik fruchtbar machen (ä Literaturdidaktik).
nen und Können, des Übergangs von deklara- Hierzu gehören Fragen zu den Besonderheiten
tivem zu prozeduralem ä Wissen, weiterhin literarischer Texte, zu ihrer Fiktionalität oder
strittig ist. Die kognitive Wende hat in der zum Verhältnis zwischen Autor/in, Text und
Fremdsprachendidaktik zu einer Betonung der Textrezipient/innen. So sind gerade in der jün-
individuellen, bewussten Sprachverarbeitung geren Geschichte etliche literaturwissenschaftli-
geführt und Bewusstmachung sprachlicher che Ansätze für den FU relevant geworden.
Phänomene stärker in den Vordergrund ge- Sichtweisen des New Criticism, die den Text in
rückt, nicht selten mit der Konsequenz, dass den Mittelpunkt stellen und Überlegungen zu
andere Dimensionen des Fremdsprachenler- möglichen Intentionen des Autors oder zu Re-
nens dadurch nicht gebührend berücksichtigt aktionen der Rezipient/innen ablehnen, haben
wurden. Es ist das Verdienst des aus Großbri- in Gestalt der textimmanenten Interpretation
tannien stammenden Konzepts der language Eingang in den FU gefunden. Positionen der
awareness, das als Vorlage für den Begriff ideologiekritischen Literaturwissenschaft finden
›Sprachbewusstheit‹ in seiner jüngeren didakti- sich z. B. in der unterrichtlichen Einbettung von
schen Verwendung diente, die Komplexität des Texten in ihre historischen, politischen und ge-
Sprachenlernens aufgeschlüsselt und in eine di- sellschaftlichen Kontexte wieder. Den größten
daktische Konzeption integriert zu haben. So Einfluss auf die Literaturdidaktik hat die Re-
werden unter language awareness nicht nur die zeptionsästhetik ausgeübt. Ihr geht es insbeson-
(kognitive) menschliche Sprachfähigkeit und dere um die Interaktion zwischen Text und Re-
deren Bedeutung für das Denken, Lernen und zipient/innen als Bedeutung konstituierendes
Handeln verstanden, sondern auch die affekti- Moment.
ven, politischen und sozialen Zusammenhänge Auch die ä Sprachwissenschaft ist für die
von sprachlicher Kommunikation wie auch Fremdsprachendidaktik wichtig. Ein grundle-
von mutter- und fremdsprachlichem Lernen gender Unterschied zwischen Linguistik und
subsumiert. Der Vorteil eines solchen eklekti- Fachdidaktik besteht darin, dass die Linguistik
schen Konzepts ist darin zu sehen, dass es un- Kenntnisse über die Fremdsprache zum Gegen-
terschiedliche Standpunkte integrieren und so- stand hat, während die Fachdidaktik auf
mit ein hohes Anwendungspotenzial erzielen Kenntnisse in der Fremdsprache, d. h. primär
Bezugswissenschaften 22

auf die Anwendung der jeweiligen Fremdspra- und ä DESI veränderte Lernbedingungen disku-
che und auf Kommunikation in der Fremdspra- tiert, was auch ein verändertes Verständnis des
che, zielt (ä Sprachdidaktik). Dabei erweisen FUs nach sich zieht. So mehren sich Stimmen,
sich Diskussionen innerhalb der verschiedenen die den lehrer-, lernziel- und leistungsorientier-
linguistischen Teildisziplinen als für die Fremd- ten FU (ä Lehrerzentrierung, ä Lernziel) zuneh-
sprachendidaktik relevant. Dazu gehören So- mend durch selbst ä entdeckendes Lernen und
ziolinguistik, Ethnolinguistik, Pragmalinguistik selbst gesteuertes, also ä autonomes Lernen er-
oder auch Psycholinguistik. Die Linguistik hat setzen und stärker die Vermittlung von ä Lern-
in den letzten Jahren zahlreiche unterrichtsrele- strategien und language awareness (ä Bewusst-
vante Forschungsbereiche bearbeitet, u. a. die heit/Bewusstmachung) berücksichtigen wollen.
Analyse von Diskurstraditionen in Bezug auf Darüber hinaus ist auch die Diskussion um die
die gesprochene und geschriebene Sprache, die Einführung von Bildungsstandards (ä Stan-
Kontrastive Linguistik, die Textlinguistik, die dards), um Evaluation und Outputorientierung
Korpuslinguistik und die Varietätenlinguistik von Bedeutung. Sie impliziert ein verändertes
(vgl. Kabatek 2011). Verständnis von FU, das sich sowohl am ä Ge-
Gegenstand der ä Kultur- und Landeswissen- meinsamen europäischen Referenzrahmen für
schaften sind die Kultur(en) der jeweiligen Sprachen als auch am Konzept des ä aufgaben-
Zielsprachenländer, die die Fremdsprachendi- orientierten Lernens orientiert.
daktik auf Möglichkeiten zur Behandlung im Die Lernpsychologie analysiert in psycholo-
Unterricht reflektiert (ä Kulturdidaktik). Die gischer und neurowissenschaftlicher Perspek-
Vermittlung einer Fremdsprache wird stets mit tive Mechanismen des Lernens, des Behaltens
der Auseinandersetzung mit den Kulturen der und Vergessens. Verschiedene ä Lerntheorien
Zielländer verknüpft. Aus den Landeswissen- versuchen die Fragen, was Lernen ist und wie
schaften mit einem Fokus auf geografische, es funktioniert, jeweils neu zu beantworten
historische oder politische Zusammenhänge (behavioristisch, kognitiv, konstruktivistisch).
hat sich die ä Landeskunde in der Fremdspra- Weitere Schwerpunkte der Lernpsychologie
chendidaktik entwickelt, die zunächst Wissen sind die Evolutionspsychologie, die Fragen
über das jeweilige Land vermitteln will. Dabei nach Zusammenhängen zwischen Lernen und
können kulturkundliche Perspektiven in phi- biologischen Grundlagen des Gehirns stellt, die
lologisch-hermeneutischer Tradition verfolgt Gedächtnisforschung mit ihren Fragen nach
werden oder auch eher alltagskulturelle Per- Lernen und Erinnern oder die Motivationsfor-
spektiven in der Tradition der Cultural Studies. schung (vgl. Lefrançois 2015; ä Neurodidak-
Die Kulturwissenschaften vertreten insgesamt tik). Fragen nach den Funktionsweisen des Ge-
einen weiten Begriff von ä Kultur, der jegliche hirns und nach der Aufnahme von Informatio-
Form von Kultur als materielle und symboli- nen werden empirisch untersucht und im Blick
sche Praktiken umfasst (vgl. Mäder et al. 2016). auf Gedächtnismodelle reflektiert. Dabei wird
Die Fremdsprachendidaktik ist auch durch ein Zusammenhang zwischen der Intensität
vermittlungswissenschaftliche Bezüge geprägt. und Dauer der Aufnahme von Informationen
So thematisiert z. B. die Erziehungswissenschaft und der Behaltensleistung des Gehirns gesehen.
Erziehung in jeglichen Zusammenhängen und Diese Gedächtnismodelle sind von unmittelba-
Formen. Dazu gehören der Sozialisations- und rer Relevanz für die Fremdsprachendidaktik,
der Erziehungsprozess ebenso wie Institutionen der es ebenfalls um die Aufnahme und das Be-
und Organisationsformen im Erziehungswesen halten z. B. von ä Wortschatz geht. Hier werden
oder didaktische Fragestellungen und die Refle- Fragen zur Unterstützung und Erleichterung
xion des Zusammenhangs von Lehren und von Lernen reflektiert und auf mögliche metho-
Lernen (vgl. Kron 2013). Die Schulpädagogik dische Umsetzungen bezogen.
konzentriert sich auf Erziehungszusammen- Lit.: K.-R. Bausch et al.: Interdisziplinarität. In: E. Bur-
hänge in der Schule, ohne jedoch primär inhalt- witz-Melzer et al. (Hg.): Handbuch FU. Tüb. 62016
liche Zusammenhänge des Lehrens und Lernens [1989, 20–24. – C. Fäcke: Fachdidaktik und Unter-
zu reflektieren. Die ä Allgemeine Didaktik the- richtsqualität. Spezifische Aspekte im Bereich Franzö-
sische Sprache. In: K.-H. Arnold (Hg.): Unterrichts-
matisiert didaktische Fragen in Hinsicht auf qualität und Fachdidaktik. Bad Heilbrunn 2007,
alle Schulfächer (vgl. Porsch 2016). In der Er- 155–176. – J. Kabatek: Spanische Sprachwissenschaft.
ziehungswissenschaft werden gerade vor dem Tüb. 22011 [2009. – F. W. Kron: Grundwissen Päda-
Hintergrund von Bildungsstudien wie ä PISA gogik. Mü. 82013 [1988. – G. R. Lefrançois: Psycholo-
23 Bilder

gie des Lernens. Bln 2015. – M.-T. Mäder et al. (Hg.): daktik ein, und es wurde die Instrumentalisie-
Brücken bauen. Kulturwissenschaft aus interkultureller rung von B.n für die Fremdsprachenlehre ohne
und multidisziplinärer Perspektive. Bielefeld 2016. –
die Ausbildung einer ä visuellen Kompetenz in
R. Porsch (Hg.): Einführung in die Allgemeine Didak-
tik. Stgt 2016. ChF Frage gestellt. Es entwickelte sich in den Fremd-
sprachendidaktiken (allen voran in der DaF-
Didaktik) ein Bewusstsein für die Notwendig-
Bilder sind visuelle Medien (ä Visualisierung). keit, visuelle Kompetenz im FU auszubilden,
Die Idee, B. in der deutschen Fremdsprachen- denn viele der für den FU wichtigen Bildfunk-
lehre einzusetzen, ist keineswegs neu: Bereits tionen beruhen darauf, dass die SuS in der Lage
1658 veröffentlichte der böhmische Didaktiker sind, einen Bildsinn zu konstituieren. Beim
Johann A. Comenius (1592–1670) ein bebil- ä interkulturellen Lernen wurden und werden
dertes Lateinlehrbuch, das Orbis sensualium B. dazu eingesetzt, den SuS Einsichten in die
pictus. Mit den Textillustrationen setzte Come- Zielkulturen zu verschaffen. Der Fokus lag da-
nius seine eigene Forderung in die Tat um, den bei lange primär auf dem Bildinhalt, während
SuS das nachhaltige Lernen durch die Aktivie- Prozesse des Bildverstehens und Strategien der
rung aller Sinne zu ermöglichen. Comenius’ Bilddeutung eher außen vor blieben. Heute
Buch und seine Methode waren zwar ein Er- wird verstärkt diskutiert, wie sich visuelle
folg, doch B. wurden noch nicht zum festen Kompetenz im interkulturellen FU ausbilden
Bestandteil des FUs. Im 18. Jh. befürworteten lässt, d. h. wie sich die ä Lernziele ä interkultu-
die Vertreter des anschaulichen Unterrichts wie relle kommunikative Kompetenz und visuelle
die Dessauer Philanthropen um Johann B. Ba- Kompetenz verbinden lassen (vgl. Badstübner-
sedow (1724–1790) den Bildeinsatz in der Kizik 2006). Dabei wird mit dem früher ver-
Fremdsprachenlehre. B. galten ihnen nicht als breiteten Irrglauben aufgeräumt, dass der bloße
vulgäre Belustigung, sondern als Lehr- und Bildkontakt die Entwicklung von visueller
Lernhilfe. Im reformierten Unterricht des 19. Kompetenz bewirkt. Diese Entwicklung weg
Jh.s (ä Reformpädagogik) sollten Veranschauli- von der reinen Bildinstrumentalisierung hin zu
chungen die verbale Belehrung ersetzen, und B.n einem Modus der Bildarbeit, bei der visuelle
wurden landeskundliche, motivierende, seman- Kompetenz ausgebildet werden soll, beginnt
tisierende und sprachinduzierende Funktionen sich in den Curricula niederzuschlagen. Mit
attestiert. Bedingt durch technische Entwick- dem instrumentalisierenden Bildeinsatz ver-
lungen (z. B. die Erfindung der Lithografie als folgt die Fremdsprachendidaktik die Ziele der
kostengünstiges Druckverfahren) hatte der Grammatisierung (Bilder veranschaulichen
Bildeinsatz im FU ab 1800 stetig zunehmen grammatische Strukturen und Funktionen), des
können. Ab 1830 hielten Wand-B. Einzug in interkulturellen Lernens (Bilder geben Einblick
Schulen. Für den FU wurden dazu Handrei- in fremde Lebenswelten und simulieren in-
chungen veröffentlicht, die fremdsprachige terkulturelle Begegnungssituationen), der Ver-
Texte und Vokabellisten enthielten. Ende des balisierung (Bilder dienen als Sprechanlass),
19. Jh.s wurden Wand-B. speziell für den FU der Mnemonisierung (Bilder unterstützen die
geschaffen. Bis 1930 kamen die Wand-B. lang- Erinnerung an Unterrichtsinhalte), der ä Mo-
sam aus der Mode. Im FU nach der ä audio- tivation (Bilder steigern die Bereitschaft zur
lingualen Methode seit den 1940er Jahren Unterrichtsbeteiligung und zum Lernen), der
spielten B. keine Rolle. Sie kehrten erst in den Organisation (Bilder strukturieren Informatio-
1960er Jahren in den FU zurück als fester nen) und der Semantisierung (Bilder veran-
Bestandteil der ä audio-visuellen Methode. Da- schaulichen die Bedeutung einer Sache). Für ei-
rin wurden B. zusammen mit Tonmedien zum nen solchen instrumentalisierenden Modus der
Erlernen der Fremdsprache präsentiert. Sie soll- Bildarbeit ist der Bildbegriff zu differenzieren,
ten Texte kontextualisieren (ä Kontextualisie- denn die Wirkung eines Bildes wird durch seine
rung) und Anlässe für die Sprachproduktion Eigenschaften bedingt (Formen, Farben, Kom-
schaffen. Im ä kommunikativen FU der 1970er position usw.) und entsteht in Abhängigkeit
und 1980er Jahre wurden B. verstärkt als Aus- vom Unterrichtskontext (Unterrichtsthema,
löser von Sprachhandlungen instrumentalisiert. Dauer/Zeitpunkt der Betrachtung usw.) sowie
Vorreiterin war hier die DaF-Didaktik. von den Eigenschaften der SuS (Sehgewohnhei-
Ende der 1970er Jahre setzte die Diskussion ten, Grad der Ausbildung von visueller Kompe-
um das Sehverstehen in der ä Fremdsprachendi- tenz usw.).
Bilder 24

Durch die Vielzahl der Funktionen, die B. er- Schreibanlässe zur Anwendung der Fremdspra-
füllen können, sind diese ein nützliches und che (z. B. bestimmter Vokabeln, Grammatikphä-
flexibel einsetzbares Medium im FU. Erstens nomene) und führen durch die visuelle Konkre-
können B. in allen Phasen des Unterrichts ver- tisierung von Sprachstrukturen (logische Bilder)
wendet werden: In der Einstiegsphase können oder Kommunikationskontexten (Abbildun-
sie die ä Aufmerksamkeit der SuS für den gen) zu einem besseren Verständnis von Sprache
Unterrichtsinhalt wecken (dazu sollte es sich und deren Funktionen.
um ein interessantes Bild handeln) sowie ä Vor- Drittens kann mit B.n abwechslungsreich ge-
wissen aktivieren oder schaffen. In der Erarbei- arbeitet werden, nämlich sowohl analytisch als
tungsphase können vorgefertigte, unterrichts- auch kreativ: Für eine Bilddeutung – z. B. bei
bezogene B. neue Informationen konkretisieren, der Arbeit mit Bildkunst – müssen die SuS die
semantisieren und die Erinnerung an sie unter- formalen Eigenschaften eines Bildes feststellen,
stützen sowie den SuS über eigene bildbezogene um ihre Interpretation darauf zu begründen.
Assoziationen einen weiteren Zugang zum Un- Das gleiche Analyseergebnis kann erzielt wer-
terrichtsstoff ermöglichen. Ebenso können die den, wenn die SuS zunächst kreativ zu einem
SuS selbst B. anfertigen. In der Transfer- sowie Bild arbeiten (z. B. einen Dialog zwischen zwei
Sicherungsphase können die SuS aufgefordert abgebildeten Personen verfassen), und dann
werden, Unterrichtsinhalte in der Form von unter Bezugnahme auf das Bild ihr Produkt be-
Abbildungen, logischen B.n oder visuellen Ana- gründen. Hierbei müssen unweigerlich die for-
logien (z. B. als ä Poster) bildlich darzustellen malen Bildeigenschaften miteinbezogen wer-
und Unterrichtsergebnisse einprägsam zu do- den.
kumentieren. Durch die Bildproduktion lässt Bildkunst spielt seit der Phase des kommuni-
sich der FU abwechslungsreich und handlungs- kativen FUs eine wichtige Rolle in der Fremd-
orientiert gestalten (ä Handlungsorientierung). sprachenlehre. Zu den Kunstgattungen, die
Die SuS können z. B. als Reaktion auf einen heute im FU zum Einsatz kommen, zählen die
Text und zu seiner Interpretation eine Collage Collage, der Film, das Foto, das Gemälde, die
anfertigen, filmen, fotografieren, malen, dar- Grafik, die Skulptur und die jeweiligen Unter-
stellend spielen oder zeichnen. Der Einsatz von gattungen. Bedingt durch ihre Eigenschaften
B.n sowie die Bildproduktion in der Erarbei- eignen sie sich zu verschiedenen Zwecken: Mit
tungs- und Sicherungsphase intensivieren die der Collage lassen sich leicht Diskussionsan-
Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsthema lässe schaffen, da sie fragmentiert und offen ist,
und fördern das ä autonome Lernen: Visuelle d. h. verschiedene Deutungsmöglichkeiten zu-
Lernstrategien (z. B. das Unterstreichen bei der lässt. Der Film bietet Identifikations- sowie
Textarbeit, das Anlegen visueller Figurenkon- Empathiepotenzial, weil er simultan mehr In-
stellationen usw.) erweitern das Strategiereper- formationen über die beiden Zeichensysteme
toire der Lernenden (ä Lernstrategien). von Text und Bild vermitteln kann als ein reiner
Zweitens können B. in allen Bereichen des Schrifttext. Darüber hinaus ist das Medium
FUs eingesetzt werden: Im Kulturunterricht ›Film‹ beliebt, so dass die Unterrichtsmotiva-
(ä Kulturdidaktik) können an Bildquellen In- tion durch den Filmeinsatz steigen kann
formationen über die Zielkulturen erarbeitet (ä Filmdidaktik). Da die Fotografie ein Abbil-
werden (z. B. an Karikaturen), und Abbildungen dungsverfahren ist, eignet sie sich einerseits
tragen dazu bei, den SuS eine Vorstellung der zum Zeigen von Dingen, die sich außerhalb des
zielkulturellen Wirklichkeit zu vermitteln. Beim Klassenzimmers befinden, andererseits fordert
interkulturellen Lernen können B. zur Weckung sie zum Hinterfragen von Bildaussagen auf,
von Emotionen, zur Simulation von interkultu- und es lässt sich an ihr das kritische Sehen trai-
rellen Interaktionssituation (Aufeinandertreffen nieren, weil Fotos bedingt durch die subjektive
von SuS mit fremdkulturellen B.n) und zur An- Wahl von Motiv, Perspektive usw. nie objektive
regung von Perspektivenwechseln Verwendung Wiedergaben sind und sogar inszeniert oder
finden (ä Perspektive und Perspektivenwechsel). nachträglich bearbeitet sein können. Das glei-
Im Literaturunterricht (ä Literaturdidaktik) che gilt für gegenständliche Gemälde, die
können B. die Textreflexion initiieren und bie- scheinbar Abbildcharakter besitzen, obwohl es
ten zusätzliche Textzugänge sowie Identifi- sich bei ihnen in der Regel um mit Hilfe kultur-
kationsmöglichkeiten. Im Sprachunterricht spezifischer Darstellungskonventionen gezielt
(ä Sprachdidaktik) schaffen sie Sprech- und gestaltete Kunstprodukte handelt. Durch die
25 Bilder

Möglichkeit, Bezüge zwischen einem Bild und daher zunehmend positive Berichte über die
seinem historischen Kontext herzustellen, kön- Arbeit mit Comic-Romanen im Literaturunter-
nen Gemälde als historische Quellen eingesetzt richt. Gerade Jungen scheinen darauf positiv zu
werden, sollten jedoch nicht unkritisch als Ab- reagieren.
bilder Verwendung finden. Die Grafik als di- Wiederentdeckt von der Fremdsprachendi-
daktisiertes Bild eignet sich zur Fokussierung daktik wurde die Funktion der Vorstellung
auf wesentliche Unterrichtsinhalte, da sie als bzw. des Bildens von mentalen Modellen für
Abbildung in der Regel nicht so komplex ist das interkulturelle Lernen und den fremdspra-
wie ein Foto und durch die Reduzierung der chigen Literaturunterricht (vgl. Hallet 2008).
Darstellung auf das Wesentliche weniger ablen- Mentale Modelle entstehen im Geist der SuS
kende Details enthält. Die Skulptur schließlich und resultieren aus der Integration von neuen
kann den SuS bewusst machen, dass ihnen ein Informationen in bestehende Wissenskonzepte.
Perspektivenwechsel hilft, jemanden oder etwas Sie sind essenzieller Bestandteil des Perspekti-
besser zu verstehen, denn durch die Dreidimen- venwechsels, denn Vorstellungen ermöglichen
sionalität der Skulptur bietet diese eine Vielzahl es den SuS, fremde Szenarien – etwa die in lite-
verschiedener Ansichten, d. h. sie sieht von un- rarischen Texten evozierten – zu konkretisieren,
terschiedlichen Standpunkten aus betrachtet neue Situationen im Kopf durchzuspielen und
immer anders aus, und die SuS verstehen sie auf der Basis individueller Erfahrungen und ei-
immer besser, aus je mehr Perspektiven sie sie genen Weltwissens zu bewältigen. Neu von
betrachtet haben. Interesse ist der Einsatz von B.n im Kontext der
Neben Kunst-B.n kommen im FU auch Ge- ä Inklusion als Hilfsmittel für SuS mit besonde-
brauchsbilder zum Einsatz, z. B. Grafiken als ren Bedürfnissen und für den Nachteilsaus-
logische Bilder wie Tabellen oder Diagramme, gleich (vgl. Hecke in Michler/Reimann 2016).
die eine (übersichtliche) Visualisierung von ab- Lit.: C. Badstübner-Kizik: Fremde Sprachen, fremde
strakten Mustern und Zusammenhängen erlau- Künste? Bild- und Musikkunst im interkulturellen FU.
ben, sowie Medien, die Bild und Text verbinden Gdańsk 2006. – J. Balser: Die Welt der B. und die Welt
(können). Dazu zählen der Comic, das Compu- der Sprache. In: Der fremdsprachliche Unterricht Spa-
nisch 36 (2012), 4–7. – H. Bartels: B. im FU. In: Der
terbild, die Karikatur, die Karte, das Poster und fremdsprachliche Unterricht Französisch 25 (1997),
die Werbeanzeige sowie der schon oben ge- 4–9. – K. Dirscherl/A. Polletti: Bildtexte im Franzö-
nannte Film. Wenn diese Medien textuelle Ele- sischunterricht. In: Der fremdsprachliche Unterricht
mente besitzen, müssen Rezipient/innen für ihr Französisch 46 (2000), 4–12. – W. Hallet: Literari-
Verständnis Bild- und Textaussage zusammen- sches Verstehen und Kognition. Mentale Modelle und
Visualisierungsaufgaben im Literaturunterricht. In:
fügen, da sich Bild und Text gegenseitig bedin- P. Bosenius et al. (Hg.): Verstehen und Verständigung.
gen. Daraus resultiert die Forderung, bei SuS Interkulturelles Lehren und Lernen. Trier 2008, 137–
im FU nicht nur ein Leseverstehen auszubilden, 170. – C. Hecke (Hg.): Themenheft »Bilderwelten«.
sondern eine ä multiple literacy, d. h. die Fähig- Praxis FU 6 (2013). – C. Hecke/C. Surkamp (Hg.): B.
keit, nicht nur reine Texte in der Fremdsprache im FU. Neue Ansätze, Kompetenzen und Methoden.
Tüb. 22015 [2010. – S.  Hilger: Lernen mit B.n. In:
zu verstehen, sondern z. B. auch Bild/Text-
Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 38 (1999),
Kombinationen (vgl. Blell in Hecke/Surkamp 4–9. – D. Macaire/W. Hosch: B. in der Landeskunde.
2010). Die didaktischen Vorteile der Arbeit mit Bln 1996. – C. Michler/D. Reimann (Hg.): Sehverste-
Bild/Text-Kombinationen im FU gegenüber hen im FU. Tüb. 2016. – M.  Reinfried: Das Bild im
reinen Texten bestehen darin, dass der Textan- Französischunterricht. Eine Geschichte der visuellen
teil in der Regel eher gering ist, so dass die SuS Medien am Beispiel des Französischunterrichts. Tüb.
1992. – M. Reinfried: Vom ›Stellvertreter‹ zum ›Tür-
weniger Textmasse zu verarbeiten haben, und öffner‹. B. in Fremdsprachenlehrwerken. In: G. Lieber
dass die B. Textinhalte konkretisieren und Kon- (Hg.): Lehren und Lernen mit B.n. Ein Handbuch zur
textinformationen liefern können, die den SuS Bilddidaktik. Baltmannsweiler 2008, 198–211. –
das Textverstehen erleichtern. So können M.  Reinfried (Hg.): Themenheft »B. im Französisch-
Schwierigkeiten der SuS bei der Behandlung unterricht«. Französisch heute 4 (2010). – A. Rössler:
Im Bilde sein. In: Der fremdsprachliche Unterricht
komplexer Themen mittels Bild/Text-Kombina- Spanisch 9 (2005), 4–9. – T. Scherling/H.-F. Schuckall:
tionen reduziert werden. Zudem scheinen die Mit B.n lernen. Handbuch für den FU. Bln 1992. –
B. als interaktive und/oder dekorative Elemente M. Seidl: Visual Culture. B. lesen lernen, Medienkom-
die Aufmerksamkeit und Motivation der SuS petenz erwerben. In: Der fremdsprachliche Unterricht
zu fördern, was sich wiederum positiv auf die Englisch 87 (2007), 2–7. CaH
Textrezeption auswirken kann. Es finden sich
Bilderbuch 26

Bilderbuch ä Kinder- und Jugendliteratur Vor dem Hintergrund des soziokulturellen


Wandels in postindustriellen Gesellschaften
(Pluralisierung der Lebenswelten im Gefolge
Bildung. Der B.sbegriff entstammt einer rein von Migration und ä Globalisierung), des
deutschsprachigen Tradition, in deren Verlauf Scheiterns aller Ideologien (aller »Meta-Erzäh-
er sich als äußerst vielschichtig erwiesen hat. lungen« in der Diktion Jean-François Lyotards)
Noch heute gibt er vielfach Anlass zu wissen- sowie der Erosion von Vorstellungen des Men-
schaftlichen Kontroversen. Ähnlich wie ›Ent- schen als eines autonomen Subjekts (linguistic
wicklung‹ ist ›B.‹ sowohl im transitiven als auch turn) konvergieren aktuell diskutierte, von der
im intransitiven Sinn zu verstehen: Jemand/et- Postmoderne beeinflusste Strömungen in einem
was wird gebildet (tr.) und jemand/etwas bildet Abschied von traditionellen Einheits- und Tota-
sich (intr.). Dieser Gegensatz weist Verbindun- litätsvorstellungen und somit in der Anerken-
gen zu dem Gegensatz zwischen materialer und nung von Differenz und Pluralität. Letzteres
formaler B. auf. Während erstere von gesell- bildet zugleich den Grundpfeiler einer »Mini-
schaftlichen Anforderungen und von einer malethik«, die laut Koller (1999) als B.sziel al-
Kanonisierung bestimmter zu vermittelnder lein intersubjektive Gültigkeit beanspruchen
B.sinhalte ausgeht, ist letztere v. a. auf die auto- kann. B.sprozesse sind demzufolge gekenn-
nome Entfaltung prozessualer Fähigkeiten des zeichnet von einer steten Transformation der
Denkens, Urteilens und Wertens gerichtet. Sie Selbst- und Weltverhältnisse (vgl. Koller 2012).
macht den emanzipatorischen Gehalt des B. Ausgelöst werden sie vielfach von Erfahrungen
sbegriffs aus, der v. a. von Wilhelm von Hum- des Scheiterns in Krisensituationen, in denen
boldt entwickelt wurde. Im Geiste der Aufklä- sich alte Muster der Lebensbewältigung als
rung und eines zu politischer Mündigkeit nicht mehr tauglich erweisen. Ähnlich wie Kol-
drängenden Bürgertums vertraut Humboldt ler (ebd.) greift Brinkmann (2014) auf das von
auf den Einzelnen und dessen Bildsamkeit. Buck (1989) geprägte Konzept ›negativer Er-
Über eine möglichst umfassende, gleichmäßig- fahrungen‹ zurück, mit dem Unterschied aller-
gleichberechtigte Entfaltung aller in ihm ange- dings, dass er den phänomenologischen Erfah-
legten Kräfte, zugleich aber auch in einer han- rungsbegriff ins Zentrum seines Denkens rückt.
delnden Auseinandersetzung mit der auf ihn Fremdsprachliches Lernen kann vor diesem
wirkenden Welt vermag dieser zu einem selb- Hintergrund insofern besondere Erfahrungs-
ständigen und zugleich sozial verantwortungs- und B.sräume eröffnen, als es den Einzelnen
vollen Wesen zu reifen. Humboldts Vorstellung mit der Fremdheit sprachlicher und kultureller
ist daher von einem Harmonie-Ideal bestimmt. Codices konfrontiert und ihn dazu anregt, die
Individualität und Sozialität fügen sich ebenso Prämissen des eigenen Denkens und Handelns
zu einer Einheit wie transitive und intransitive, in Frage zu stellen und zu transformieren (ä In-
formale und materiale Aspekte von B. Medium terkulturelles Lernen). Dies geschieht jedoch
der B. ist für Humboldt – in Fortführung der nicht automatisch, sondern bedarf der Bereit-
Gedanken Gottfried Herders – die Sprache. schaft bzw. der Anleitung zur Reflexivität. Erst
Über sie gewinnt der Mensch eine fragende wenn der Einzelne seine Konstruktionen von
Fremdheit gegenüber der Welt, welche erst Er- Welt-, Selbst- und Fremdbildern hinterfragt
fahrung ermöglicht (vgl. Benner 1995). und für Veränderungen offenhält, ist von B.
Die in den vergangenen drei Jahrzehnten sprozessen zu sprechen (ä Identität und Identi-
diskutierten B.stheorien umfassen ein weites tätsbildung). B. ist daher notwendigerweise
Spektrum. Während Wolfgang Klafki am auf- stets unabgeschlossen. Neben diesen Aspekten
klärerisch-rationalistischen Erbe der Moderne einer formalen B. erfüllt Fremdsprachenlernen
festhielt, betonte Käte Meyer-Drawe einem auch die Funktion materialer B., indem es zur
phänomenologischen Ansatz folgend die Be- Teilhabe an einer mehrsprachigen Welt befähigt
deutung sinnlicher Wahrnehmung für eine als (ä Mehrsprachigkeit).
ganzheitlich gedachte B. Systemtheoretische Lit.: D. Benner: Wilhelm von Humboldts B.stheorie.
Ansätze (v. a. der von Niklas Luhmann) wie- Eine problemgeschichtliche Studie zum Begründungs-
derum verzichteten auf jegliche anthropologi- zusammenhang neuzeitlicher B.sreform. Weinheim/
Mü. 32003 [1990. – M. Brinkmann: Verstehen, Ausle-
sche Spekulationen, beschränkten sich auf eine gen, Beschreiben zwischen Hermeneutik und Phäno-
Analyse des Gegebenen und deckten beste- menologie. Zum Verhältnis und zur Differenz herme-
hende Dilemmastrukturen und Paradoxien auf. neutischer Rekonstruktion und phänomenologischer
27 Bildungsgangforschung

Deskription am Beispiel von Günter Bucks Herme- sich die Englischdidaktik nicht mehr in gleicher
neutik der Erfahrung. In: S. Schenk/T. Pauls (Hg.): Aus Weise mit Legitimationsfragen wie die Fachdi-
Erfahrung lernen. Anschlüsse an Günther Buck. Pa-
daktiken anderer Fremdsprachen zu beschäfti-
derborn 2014, 199–222. – G. Buck: Lernen und Er-
fahrung: Epagogik. Zum Begriff der didaktischen In- gen. Aus Sicht der B. allerdings ist das nur die
duktion. Darmstadt 1989. – H. C. Koller: B. und Wi- Hälfte der Geschichte. Studien zur Perspektive
derstreit. Zur Struktur biographischer B.sprozesse in der Lernenden auf ihr eigenes Englischlernen
der (Post-)Moderne. Mü. 1999. – H. C. Koller: B. an- und ihren Englischunterricht zeigen, dass die
ders denken. Eine Einführung in die Theorie transfor- Schüler/innen schon zu einem sehr frühen Zeit-
matorischer B.sprozesse. Stgt 2012. LuK
punkt über ein Bewusstsein der Bedeutung des
Englischen verfügen. Wichtiger für ihr Handeln
Bildungsgangdidaktik ä Bildungsgangforschung in formellen (Englischunterricht) und informel-
len Lernkontexen (z. B. Internet) aber ist ihre
individuelle Sinnkonstruktion (z. B. Bauer 2015).
Bildungsgangforschung. Seit der kommunikati- In Übereinstimmung mit zentralen Befunden
ven Wende der ä Fremdsprachendidaktik (ä kom- der Motivationsforschung haben auch Studien
munikativer FU) sind die Lernenden zuneh- der B. gezeigt, dass Lernende sich am intensivs-
mend ins Zentrum der Aufmerksamkeit ge- ten mit Gegenständen befassen, die ihnen re-
rückt. Versteht man Fremdsprachenerwerb als levant erscheinen. Dabei hat sich die (mittler-
aktiven Konstruktionsprozess der Lernenden, weile empirisch recht gut substanziierte) Kern-
der an ihre je individuelle Ausgangssituation annahme der B. verfestigt, dass diese Relevanz
anknüpft, so ist es für die Inszenierung von FU wesentlich durch das Anknüpfen an die Ent-
erforderlich, diese Ausgangssituation möglichst wicklungsaufgaben der Lernenden entsteht.
gut zu kennen. Die Forschungen zu individuel- Das in den 1950er Jahren in der amerikani-
lem Fremdspracherwerb (ä Spracherwerb), schen Soziologie entwickelte Konzept der Ent-
ä Motivation oder Lernerbiographien haben wicklungsaufgabe wurde in den 1980er Jahren
hier angesetzt, und in diesem Kontext verortet zunächst psychologisch und dann erziehungs-
sich auch die B., sowie nachfolgend die Bil- wissenschaftlich in die B. integriert und dort
dungsgangdidaktik. In den 1980er Jahren im aktualisiert und ausgeschärft (vgl. z. B. Traut-
Kontext des nordrhein-westfälischen Kolleg- mann 2004). Entwicklungsaufgaben, wie z. B.
schulversuchs entstanden und in den 2000er die Entwicklung einer eigenen Geschlechter-
Jahren mit dem Hamburger Graduiertenkolleg rolle, eines Verhältnisses zum eigenen Körper
konsolidiert, fragt sie nicht nur nach den kog- oder der Ablösung von den Eltern, sind unhin-
nitiven, sondern v. a. nach den emotionalen und tergehbar und fungieren generell als ›Motor des
insbesondere biographischen Lern- und Bil- Lernens‹. Werden sie im Unterricht berücksich-
dungsvoraussetzungen der Schüler/innen. In tigt, kann daraus Motivation erwachsen und
dieser Perspektive wird der Erwerb von ä Kom- deren Dynamik genutzt werden. Berücksichtigt
petenzen im FU als Prozess der Sinnkonstruk- der Unterricht sie nicht, muss er mit ihnen um
tion verstanden. Ziel ist erstens die Aneignung das investment (Norton 2013) der Lernenden
fremdsprachlichen Könnens (bzw. im ä bilingu- – vereinfacht gesagt um deren ä Aufmerksam-
alen Unterricht auch sachfachlichen Könnens) keit – konkurrieren. Entwicklungsaufgaben
zum Zweck gesellschaftlicher Teilhabe, zwei- stehen in enger Beziehung zu den Identitätsent-
tens die Reflexion auf Sprache zur Einsicht in würfen der Schüler/innen (ä Identität und Iden-
ihre sozio-kulturellen Funktionen und drittens titätsbildung). So kann die Entwicklungsauf-
die Bewusstwerdung der Bedeutung der Wis- gabe ›Entwicklung einer kulturellen Positionie-
sensdomäne Fremdsprachen für die Gestaltung rung‹ durch Identifikation der Lernenden mit
des jeweils eigenen Lebensentwurfs. In dieser einer von ihnen konstruierten imagined com-
Programmatik liegt zunächst eine Anerkennung munity als (möglicherweise hochgradig stereo-
zur Individualität von Lernprozessen, denen die typisierter) angenommener Zielsprachenge-
B. insbesondere in ihrer Anfangsphase mit der meinschaft bearbeitet werden, was wiederum
empirischen Rekonstruktion individueller Bil- die Motivation für den Unterricht stützen kann
dungsgänge in Form von Lernerbiographien (vgl. Bauer 2015). Daraus resultieren Dilem-
Rechnung getragen hat. mata auf Lehrerseite: Ist es hier vordringlich,
Mit der zunehmenden Bedeutung von ä Eng- stereotype Kulturvorstellungen zu dekonstruie-
lisch als internationaler ä lingua franca scheint ren oder ist es vordringlich, dass die Motiva-
Bildungsgangforschung 28

tion nicht nachlässt? Kann die Lehrkraft die Lehrende stellt dies generell, und im FU auf-
Ausgangslage ihrer Lernenden überhaupt so grund des immer bestehenden und besonders
gut kennen, dass sie ihren Unterricht daran an- betonten sprachlichen Kompetenzgefälles zwi-
schließend konzipieren kann? Die Forschung schen Schüler/innen und Lehrer/innen in beson-
zum transformatorischen Bildungsbegriff (z. B. derer Weise, eine große Anforderung dar, die die
Peukert 1998), auf den die B. intensiv Bezug Professionsforschung im Bereich der B. (ä Lehr-
nimmt, verneint dies und sieht in genau diesem erforschung) aufgreift. Diese ist in besonderer
Problem die zentrale Herausforderung für die Weise biographisch orientiert und integriert so
Inszenierung von Unterricht generell. Die un- kompetenz- und strukturtheoretische Zugänge
terliegende Gesellschaftsanalyse sieht in tech- zur Lehrerprofessionalisierung (vgl. Hericks et
nologischem und sozialem Wandel, Migration al. 2017). Professionalität bedeutet, Anforde-
und Relativität wissenschaftlichen Wissens rungen in vier Bereichen durch Bearbeitung der
zentrale Entwicklungen, die Kontingenz und entsprechenden Entwicklungsaufgaben auf Sei-
damit Ungewissheit erzeugen. Dies führt dazu, ten der Lehrenden zu erfüllen: eine professio-
dass die jetzt erwachsene Generation nur be- nelle Identität entwickeln, den eigenen Unter-
grenzt wissen kann, worin die zentralen Anfor- richt gestalten, sich mit der Institution Schule
derungen an die nachwachsende Generation auseinandersetzen, eine tragfähige Beziehung zu
liegen werden. den Schüler/innen aufbauen.
Daraus folgt, dass Erziehung und darauf be- Diese Anforderungen sind in Bezug auf FU
zugnehmend Unterricht als intergenerationelle noch nicht umfassend untersucht. Erste Studien
Kommunikation konzeptualisiert werden müs- (z. B. Bonnet/Hericks 2013 zum Englischunter-
sen, in der Lehrende und Lernende flexibler als richt) zeigen aber, dass Lehrer/innen in beson-
bisher zwischen Experten- und Novizenrolle derer Weise mit durch das Lehrbuch transpor-
wechseln und gemeinsam die Ziele des Unter- tieren Strukturzwängen konfrontiert sind und
richts bestimmen. Dies führt einerseits dazu, die Komplexität des lernerseitigen Spracher-
dass die Konzeptualisierung von Unterricht als werbsprozesses die jedem Lernprozess inne-
Bedeutungsaushandlung über die spracher- wohnende Ungewissheit in besonderer Weise
werbstheoretische Sicht auf diesen Begriff hin- zur Geltung bringt. Die Gestaltung offener
ausgeht, und in einem umfassenderen Sinne die Lernarrangements, in denen Lernende sich in-
partizipative Gestaltung von Unterricht meint, dividuelle Lerngelegenheiten schaffen, sich
in der die Lernenden über Inhalte und Metho- durch Kooperation unmittelbarer Kontrolle
den mitentscheiden. Andererseits bedeutet es entziehen und in denen längerfristige Erwerbs-
auch, dass Unterrichtsarrangements so offen prozesse ablaufen, ohne kurzfristig in unter-
angelegt werden (ä offener Unterricht), dass die richtlicher Initiation-Response-Feedback-Inter-
Schüler/innen sich darin Lerngelegenheiten aktion (IRF) unmittelbare Sprachproduktion
schaffen können, die an ihre individuellen Inte- abzurufen, stellt eine besondere Herausforde-
ressen und aktuellen Entwicklungsbedarfe an- rung an die Ungewissheitstoleranz der Lehren-
knüpfen. Für den FU eignen sich dazu beson- den, die hier ein hohes Maß an Vertrauen in
ders Inszenierungsformen, die gezielt Be- selbstläufige Spracherwerbsprozesse und in die
deutungsaushandlung in einem umfassenderen Eigenständigkeit ihrer Schüler/innen aufbrin-
Sinne hervorbringen, wie z. B. literarische gen, aber auch Strategien zu deren produktiver
Anschlusskommunikation, insbesondere mit Begleitung aufbauen müssen.
deutungsoffenen Texten (ä Literaturdidaktik), Auch zukünftig wird es darum gehen, die
kulturelle Dilemmasituationen (ä interkulturel- Perspektive der Lernenden und damit die Aus-
les Lernen) oder dramapädagogische Ansätze gangslage ihrer Lern- und Bildungsprozesse
(ä Dramapädagogik) und Simulationen (ä Simu- durch Beforschung ihrer subjektiven Bildungs-
lation Globale; vgl. Bonnet/Breidbach 2007). gänge und Sinnkonstruktionen weiter zu klä-
Die dazu notwendige professionelle Haltung ren. Der besondere Beitrag dieser Forschung
nennt Peukert »elementare Solidarität« (1998, zur Fremdsprachendidaktik ist die Aufklärung
21). Sie bezeichnet die Bereitschaft, als Lehren- einer durch zunehmende Migration und Anfor-
der offen für die Relevanzsetzungen der Schüler/- derung zur ä Inklusion intensivierten ä Hetero-
innen zu sein, ihre Partizipation bewusst herbei- genität auf Seiten der Lernenden jenseits der
zuführen und grundsätzlich bereit zu sein, das Kategorie Leistung. Darin erschöpfen sich aber
Experten-Novizen-Verhältnis umzukehren. Für zukünftige B. und Bildungsgangdidaktik nicht.
29 Bilingualer Unterricht

Mit den Bildungsstandards der Kultusminister- Bildungsstandards ä Standards


konferenz (ä Standards) ist eine Orientierung
an den ä Fertigkeiten in den FU getragen wor-
den, die offene Lernarrangements und ganz- Bilingual Triangle ä Bilingualer Unterricht
heitlichen Spracherwerb (ä ganzheitliches Ler-
nen) unwahrscheinlich macht. Umso wichtiger
ist es, Unterrichtsarrangements, z. B. im Bereich Bilingualer Unterricht. Unter b. U. wird eine
des ä kooperativen Lernens und der Dramapä- Form des Sachfachunterrichts verstanden, in
dagogik, und neue Bewertungsformen, wie z. B. dem fachliche Inhalte und Kompetenzen in ei-
die Arbeit mit ä Portfolios, zu entwickeln, um ner fremden Sprache vermittelt und erworben
ernsthaft lernerorientierten FU zu ermöglichen werden. Der etwas unpräzise Begriff ›bilingual‹
(ä Lernerorientierung). Derartiger Unterricht geht zum einen darauf zurück, dass man sich
erfordert aber auch Lehrer/innen, die die da- von dieser Art des fremdsprachigen Lernens ei-
durch intensivierten Dilemmata und Wider- nerseits bilingual ausgebildete, also (beinahe)
sprüche zwischen (sehr wohl von den ä Lehr- zweisprachige Absolvent/innen der weiterfüh-
plänen geforderter) Partizipation der Schüler/- renden Schulen erwartete. Zum anderen sehen
innen und (von derselben Bildungsadministra- wichtige curriculare Modelle dieser Unter-
tion in Rahmenplänen, Abschlussprüfungen richtsform neben den fremdsprachigen auch
und evaluativer Schulbegleitung verordneter) weiterhin deutschsprachige Unterrichtsanteile,
Orientierung an den Fertigkeiten nicht nur aus- also einen zweisprachigen Unterricht vor.
halten, sondern produktiv wenden und sich In Deutschland und Frankreich ist die erste
kritisch dazu positionieren zu können. Dies zu Phase der Einrichtung bilingualer Unterrichts-
stützen und zu begleiten, ist Aufgabe zukünfti- angebote mit dem deutsch-französischen Ver-
ger Professionsforschung, die im Bereich FU trag von 1963 und dem dort niedergelegten
intensiviert werden muss, um die Entwick- Ziel der partnerschaftlichen Verständigung
lungsaufgaben der Lehrenden spezifizieren zu verbunden (vgl. Breidbach 2007, 50 ff.). Trotz
können. So liegt es nahe, dass es um explizites dieses historischen Ursprungs ist ä Englisch ge-
Wissen wie z. B. eine gut entwickelte individu- genüber ä Französisch die dominierende Spra-
elle Theorie des Fremdspracherwerbs, genauso che in bilingualen Angeboten (vgl. KMK 2013,
aber um die Überzeugungen der Lehrenden 43 ff.). Wenngleich zuverlässige Zahlen wegen
geht. Hier ist wesentlich reflexive, fallorien- der zunehmenden Diversifizierung bilingualer
tierte ä Lehrerbildung geboten. Modelle und der zahlreichen föderalen Unter-
Lit.: V. Bauer: Englischlernen, Sinnkonstruktion, Iden- schiede im Schulsystem sowie in den statisti-
tität. Eine Interviewstudie mit Schülerinnen und Schü- schen Angaben schwer zu ermitteln sind, kann
lern der Sek II. Opladen 2015. – A. Bonnet/St. Breid- man von ca. 700 allgemeinbildenden bilingua-
bach: Reflexion inszenierbar machen. Die Bedeutung len Schulen deutschlandweit ausgehen, davon
der B. für die Fremdsprachendidaktik. In: H. Decke-
Cornill et al. (Hg.): Sprachen lernen und lehren. ca. 630 mit einem bilingualen Zug, die übrigen
Die  Perspektive der B. Opladen 2007, 251–270. – mit anderen bilingualen Sachfach- und modu-
A.  Bonnet/U. Hericks: ›Kam grad am Anfang an laren Angeboten. Zwar überwiegt das Gymna-
die  Grenzen …‹. Potenziale und Probleme von Ko- sium als Schulart, aber immerhin sind auch ca.
operativem Lernen für die Professionalisierung von 200 Real- und Gesamtschulen mit bilingualem
Englischlehrer/innen. Zeitschrift für Interpretative
Schul- und Unterrichtsforschung 3 (2013), 86–100. –
Zug zu finden. Es ist aber zu beachten, dass die
U. Hericks/M. Keller-Schneider/A. Bonnet: Lehrerpro- Unterschiede zwischen den Bundesländern sehr
fessionalität in berufsbiographischer Perspektive. In: groß sind; so weist Nordrhein-Westfalen z. B.
M. Gläser-Zikuda et al. (Hg.): Handbuch Schulpäda- bilinguale Züge für 45 Realschulen, 107 Gym-
gogik. Münster 2017. – B. Norton: Identity and Lan- nasien und 18 Schularten mit drei Bildungsgän-
guage Learning. Extending the Conversation. Bristol
gen aus, Mecklenburg-Vorpommern jedoch nur
et al. 2013. – H. Peukert: Zur Neubestimmung des
Bildungsbegriffs. In: M. A. Meyer/A. Reinartz (Hg.): für ein Gymnasium. In den meisten Bundeslän-
Bildungsgangdidaktik. Denkanstöße für pädagogische dern finden sich mittlerweile auch bilinguale
Forschung und schulische Praxis. Opladen 1998, 17– Unterrichtsangebote an Grundschulen (KMK
29. – M. Trautmann (Hg.): Entwicklungsaufgaben im 2013, 27 ff.). Neben dem anfänglich dominie-
Bildungsgang. Wiesbaden 2004. AB/StB renden Modell der curricular orientierten bilin-
gualen Züge haben nun auch andere Angebots-
modelle Fuß gefasst, z. B. die Einrichtung eines
Bilingualer Unterricht 30

bilingualen Sachfachs für ein Schuljahr oder Bundesland stark; in manchen Bundesländern
bilinguale Module, also zeitlich begrenzte Un- gibt es gar keine bilingualen Angebote in den
terrichts- oder Themensequenzen. Naturwissenschaften, in Niedersachsen jedoch
Eine zweite Phase verstärkter bilingualer Ini- z. B. 36 Schulen mit Biologie, zwei mit Physik
tiativen und v. a. didaktischer Theoriebildung und sechs mit Chemie im Vergleich zu 155
ist mit der Mehrsprachigkeitsinitiative der Eu- Schulen mit Geographie oder Geschichte. Im
ropäischen Union Mitte der 1990er Jahre ver- berufsbildenden Schulwesen spielen technische
bunden (vgl. Breidbach 2007, 53 ff.). Auf euro- und wirtschaftswissenschaftliche Fächer eine
päischer Ebene stand die Etablierung des b. U.s zunehmend wichtige Rolle im Hinblick auf zu-
von Beginn an in Zusammenhang mit dem Ziel kunftsfähige Qualifikationen im Bereich der
der ä Mehrsprachigkeit aller europäischen Bür- Dienstleistungs-, der technischen und der Wirt-
ger/innen und deren Qualifikationen für beruf- schaftsberufe (ä Berufsorientierter FU).
liche europäische Mobilität. Mit der Mehrspra- Nach und nach haben sich bildungstheore-
chigkeit ist auch das sprachenpolitische Ziel tische Begründungen für den b. U. herausge-
der Erhaltung und Förderung der sprachlichen bildet. Aus den historischen Anfängen des b. U.s
Diversität in Europa verbunden; dadurch ge- erklärt sich eine starke Dominanz des ä in-
rieten besonders in früheren Grenzregionen terkulturellen Lernens als Begründungspara-
ä Minderheiten- und Nachbarsprachen in den digma. In der Tat haben zahlreiche Unterrichts-
Fokus, ein Augenmerk, das sich schulisch in der vorschläge und -versuche gezeigt, dass sich un-
Etablierung binationaler und bilingualer Schu- ter dem Gesichtspunkt der interkulturellen
len niederschlug. In diesem sprachenpolitischen Differenz aufschlussreiche Perspektivierungen
Kontext entwickelte sich das europäische Kon- von fachlichen Inhalten und Weisen des Welt-
zept des Content and Language Integrated verstehens ergeben. Allerdings ist in der jünge-
Learning (CLIL bzw. EMILE, frz. für Enseigne- ren Diskussion betont worden, dass die kultu-
ment d’une Matière par l’Intégration d’une rellen Prägungen von unterrichtswirksamen
Langue Étrangère), das verstanden wird als »a fachlichen Konzepten häufig um ein Vielfaches
generic umbrella term which would encompass komplexer sind als im herkömmlichen Begriff
any activity in which a foreign language is used der Interkulturalität unterstellt. Denn die jewei-
as a tool in the learning of a non-language sub- ligen Modelle und Modi der Welterklärung
ject in which both language and the subject sind auch durch fachwissenschaftliche Kultu-
have a joint curricular role« (Marsh 2002, 58). ren, Diskurs- und Denktraditionen bestimmt
Diese offene Definition von CLIL sollte mög- (vgl. Breidbach 2007, 212 ff.; Bonnet et al.
lichst alle Formen der schulischen Integration 2013; Hallet 2015; ä transkulturelles Lernen).
von inhaltlichem und sprachlichem Lernen in In der Tradition des eher angloamerikanisch
Europa erfassen. geprägten literacy-Konzepts (ä multiple liter-
Trotz aller Öffnungsbestrebungen ist die Do- acy) hat sich zuletzt v. a. das Leitziel der fach-
minanz der gesellschaftswissenschaftlichen Fä- basierten fremdsprachigen ä Diskursfähigkeit
cher ungebrochen. Sie erklärt sich aus dem his- durchgesetzt, das sich bildungstheoretisch auf
torischen Ursprung des b. U.s, denn Erdkunde, gesellschaftliche Teilhabe und schulisch auf die
Geschichte oder Sozialkunde scheinen für die Erziehung einer fremdsprachigen Sachfachlite-
Möglichkeit des tieferen Eindringens in anders- ralität richtet (vgl. Vollmer 2010, Zydatiß
sprachige Kulturen und die Teilhabe an beidsei- 2010a). Ziel des b. U. s ist es demzufolge, den
tigen diskursiven Verhandlungen besonders ge- SuS »Zugänge zu einem fachlich verankerten
eignet. Obwohl man davon ausgehen kann, Verständnis von Lebenswirklichkeit« und zu
dass der naturwissenschaftliche Unterricht auf- dem »in den verschiedenen Wissenschaften
grund der gleichzeitigen Verfügbarkeit formaler produzierten Wissen« zu eröffnen (Zydatiß
Symbolsprachen und der auf Problemlösung 2007, 44 f.). Hiermit ist unmittelbar ein reflexi-
orientierten Unterrichtsverfahren mindestens ver Begriff von ä Bildung verbunden, dessen
ebenso gut für den b. U. geeignet ist wie die ver- Kern das Bewusstsein von der Konstruktivität
balsprachlich geprägten gemeinschaftskundli- und Historizität fachlichen Wissens ist (vgl.
chen Fächer (vgl. z. B. Bonnet 2004), wird na- ebd.; Breidbach 2007, 212 ff. und 2015; Bonnet
turwissenschaftlicher Unterricht immer noch an et al. 2013).
vergleichsweise wenigen Schulen bilingual ange- Seit den späten 1990er Jahren gibt es ver-
boten. Die Zahlen variieren allerdings je nach stärkte Bemühungen um eine eigenständige bi-
31 Bilingualer Unterricht

linguale Sachfachdidaktik, die sich zunächst als sche Fundierungen und Reflexionen der Unter-
die Suche nach integrativen Planungs- und richtspraxis vorliegen (vgl. Doff 2010, Kap. 1;
Prozessmodellen darstellte. Otten und Wild- Diehr/Schmelter 2012; Biederstädt 2013). (2)
hage (2009) integrierten die Felder ›interkultu- Das ›bilinguale‹ Konzept ist in jüngerer Zeit
relles Lernen‹, ›fachliche Konzepte‹, ›fachlicher wieder stärker auf die Integration der Schul-
Diskurs‹ und ›fachliche Methoden‹ in ein Pla- sprache in den Fachunterricht und damit auf
nungsmodell. Coyle (Coyle et al. 2010, 41 ff.) die gleichzeitige Ausbildung eines fachlichen
modellierte die Integration von content, com- Begriffssystems in der deutschen und in der
munication, cognition und culture in einem Fremdsprache bezogen worden (vgl. Diehr/
griffigen ›4Cs‹-Modell; und Thürmann (2008) Schmelter 2012). (3) Ein Kernanliegen der bi-
entwickelte in seiner Methodik die Grundlagen lingualen Sachfachdidaktik ist die Modellie-
einer präziseren Erfassung und Beschreibung rung der bilingual-spezifischen Kompetenzen
der Integration von sprachlichem und inhaltli- (vgl. Doff 2010, Kap. 3), z. B. durch die Unter-
chem Lernen. Damit rückte zum einen das scheidung einer kognitiv-konzeptualen, einer
fremdsprachige Begriffslernen in den Mittel- diskursiven, einer methodischen und einer re-
punkt bilingualer didaktischer Ansätze, da es flexiven Dimension (vgl. Bonnet et al. 2013).
sich bei den fachspezifischen Konzepten um die Das vermutlich komplexeste Modell stellt Zy-
sprachliche Repräsentation kognitiver Struktu- datiß’ (2010a sowie 2013, 132 ff.) Vorschlag
ren und zugleich um den Kern fachlicher Syste- der generalisierbaren Diskurskompetenzen dar,
matiken handelt (Zydatiß 2002; Heine 2010). dessen vier Dimensionen (Diskursfunktionen,
Zum anderen wurde der Erwerb fachspezifi- verbale Operationen, Wissensstrukturen und
scher Diskursfunktionen wie z. B. ›Beschrei- kognitive Operationen) durch die Ausbildung
bung‹, ›Hypothesenbildung‹ oder ›chronologi- textueller, methodischer und objektsprachlicher
sche Sequenzierung‹ systematisiert (vgl. Dalton- Kompetenzen sowie kommunikativer ä Fertig-
Puffer 2007; Zydatiß 2007, 447 ff.), mit deren keiten entwickelt werden sollen. (4) In einer
Hilfe sich fachliche Zusammenhänge sowohl logischen Erweiterung des Konzepts der Dis-
kognitiv als auch generisch und diskursiv erfas- kursfunktionen hat Zydatiß auch die zentrale
sen lassen. Bedeutung fachlicher Genres für die Entwick-
Der Begriffsbildung, der fachlich-diskursiven lung einer »academic CLIL proficiency« (Zy-
Sprachverwendung und den mit dem fachlichen datiß 2013, 134) hervorgehoben. Im Anschluss
Lernen verbundenen Aushandlungsprozessen an das Konzept der Diskursfunktionen und an
(z. B. Bonnet 2004; Dalton-Puffer 2007; Zyda- die australische fachübergreifende Genre-Di-
tiß 2007; Heine 2010) sowie dem fremdsprach- daktik liegt dafür nun ein umfassender Entwurf
lichen Zuerwerb (Rumlich 2016) sind auch die vor, zu dem auch eine Genre-Matrix für den
wichtigsten empirischen Forschungen gewid- Fachunterricht gehört (vgl. Hallet 2016, 140 ff.;
met. Insgesamt lässt sich eine starke Zunahme ä generisches Lernen). (5) Über die Textgenres
der Zahl der empirischen Studien ausmachen, hinaus haben sich auch andere fachspezifische
die sich für so gut wie alle Facetten der Prozesse symbolische Darstellungsformen als zentral für
und der Erträge des bilingualen Lernens und das bilinguale Fachlernen herausgestellt. Dem-
Lehrens interessieren (vgl. z. B. Breidbach/Vie- gemäß wurde deren systematische Vermittlung
brock 2013). zu einem wichtigen Bestandteil in neueren bi-
Seit der Jahrtausendwende schlägt sich die lingual-didaktischen Ansätzen (vgl. Leisen
Entwicklung einer eigenständigen bilingualen 2013; Vollmer 2013, 126 ff.; Zydatiß 2013,
Sachfachdidaktik zunehmend nicht nur in kom- 135). (6) Mit dem Fokus auf Diskursfunktio-
plexeren didaktischen Modellierungen nieder, nen, Genres und symbolischen Darstellungsfor-
sondern auch in der Herausbildung verschie- men tut sich ein breites Repertoire an Unter-
dener didaktischer Entwicklungsstränge und stützungsmöglichkeiten für das fremdsprachige
Ausdifferenzierungen. Beim gegenwärtigen fachliche Lernen auf. Ein darin integriertes
Stand lassen diese sich wie folgt systematisie- sprachliches ä scaffolding ist deshalb so bedeut-
ren: (1) Es lässt sich eine Ausweitung des b. U.s sam, weil der Fachunterricht per definitionem
auf alle Schulfächer und Schularten feststellen nicht zum FU mutieren darf und eigene Wege
(vgl. Hallet/Königs 2013, 265 ff.; KMK 2013, des fachbezogenen Sprachlernens finden muss
10 ff.), so dass nunmehr für so gut wie alle Fä- (vgl. Thürmann 2008; Zydatiß 2010b). (6) Zy-
cher, Schularten und Schulstufen fachdidakti- datiß’ (2013, 131 ff.) Kompetenzmodell ist um
Bilingualer Unterricht 32

fachliche Lernaufgaben herum zentriert. Dieser Potential. Jyväskylä 2002. – E. Otten/M. Wildhage:
Ansatz ist mit neueren Konzepten der Aufga- Content and Language Integrated Learning. Eck-
punkte einer ›kleinen‹ Didaktik des bilingualen Sach-
benbasierung in den Fachdidaktiken kompati-
fachunterrichts. In: Wildhage/Otten 2009, 12–45. –
bel (ä Aufgabenorientiertes Lernen), die für die B. Rüschoff/J. Sudhoff/D. Wolff (Hg.): CLIL Revisited.
bilinguale Didaktik weiterzuentwickeln und Eine kritische Analyse zum gegenwärtigen Stand des
fremdsprachig zu realisieren sind (zu ersten bilingualen Sachfachunterrichts. FfM 2015. – D. Rum-
Ansätzen vgl. Böwing/Hallet 2017). (7) Die lich: Evaluating Bilingual Education in Germany. CLIL
Ausdifferenzierungen und Systematisierungen Students’ General English Proficiency, EFL Self-Con-
cept and Interest. FfM 2016. – E. Thürmann: Eine ei-
der bilingualen Didaktik verlangen nach einer genständige Methodik für den bilingualen Sachfachun-
weiteren Professionalisierung der ä Lehrerbil- terricht? In: G. Bach/S. Niemeier (Hg.): B. U. Grund-
dung. Diese ist an einer zunehmenden Zahl von lagen, Methoden, Praxis, Perspektiven. FfM 42008
Lehramts- oder Masterstudiengängen an den [2000, 71–90. – H. J. Vollmer: Fachkompetenz als
Universitäten mit ›bilingualen‹ Elementen so- fachbasierte Diskursfähigkeit am Beispiel Geographie.
In: Doff 2010, 242–257. – H. J. Vollmer: Das Verhält-
wie in ›bilingualen‹ Qualifizierungsangeboten nis von Sprach- und Inhaltslernen im b. U. In: Hallet/
der Ministerien in der zweiten Ausbildungs- Königs 2013, 124–131. – M. Wildhage/E. Otten (Hg.):
phase und in der Lehrerfort- und -weiterbil- Praxis des b. U. s. Bln 32009 [2003. – W. Zydatiß:
dung erkennbar (vgl. Coyle et al. 2010, 161 ff.; Konzeptuelle Grundlagen einer eigenständigen Didak-
KMK 2013, 104 ff.; Gnutzmann 2015). tik des bilingualen Sachfachunterrichts. Forschungs-
stand und Forschungsprogramm. In: S. Breidbach/
Lit.: A. Bonnet: Chemie im bilingualen Sachfachunter- G. Bach/D. Wolff (Hg.): Bilingualer Sachfachunter-
richt. Kompetenzerwerb durch Interaktion. Opladen richt. Didaktik, Lehrer-/Lernerforschung und Bil-
2004. – A. Bonnet/S. Breidbach/W. Hallet: Fremd- dungspolitik zwischen Theorie und Empirie. FfM
sprachlich handeln im Sachfach. Bilinguale Lernkon- 2002, 31–62. – W. Zydatiß: Deutsch-Englische Züge in
texte. In: G. Bach/J.-P. Timm (Hg.): Englischunterricht. Berlin (DEZIBEL). Eine Evaluation des bilingualen
Grundlagen und Methoden einer handlungsorientier- Sachfachunterrichts an Gymnasien. Kontext, Kompe-
ten Unterrichtspraxis. Tüb./Basel 52013 [1989, 172– tenzen, Konsequenzen. FfM 2007.– W. Zydatiß: Die
198. – W. Biederstädt (Hg.): Bilingual unterrichten. Überprüfung fächerübergreifender Diskurskompeten-
Englisch für alle Fächer. Bln 2013. – C. Böwing/ zen im bilingualen Sachfachunterricht. In: Doff 2010a,
W. Hallet (Hg.): Themenheft »CLIL Tasks. Aufgaben- 258–272. – W. Zydatiß (Hg.): Themenheft »Scaffold-
basierter b. U.«. Der fremdsprachliche Unterricht Eng- ing im B. U.«. Der fremdsprachliche Unterricht Eng-
lisch 148 (2017). – S. Breidbach: Bildung, Kultur, Wis- lisch 106 (2010b). – W. Zydatiß: Kompetenzerwerb im
senschaft. Reflexive Didaktik für den bilingualen B. U. In: Hallet/Königs 2013, 131–138. WH
Sachfachunterricht. Münster 2007. – S. Breidbach/
B. Viebrock (Hg.): Content and Language Integrated
Learning (CLIL) in Europe. Research Perspectives on Bilinguale Vorschulerziehung. Seit den 1990er
Policy and Practice. FfM 2013. – D. Coyle/Ph. Hood/ Jahren gibt es in Europa zahlreiche Vorschul-
D. Marsh: CLIL. Content and Language Integrated einrichtungen mit bilingualer Orientierung. In
Learning. Cambridge 2010. – C. Dalton-Puffer: Dis- Deutschland sind es im Jahr 2016 ca. 500. Sie
course in Content and Language Integrated Learning
(CLIL) Classrooms. Amsterdam 2007. – S. Doff (Hg.): existieren in zwei verschiedenen Formen mit
Bilingualer Sachfachunterricht in der Sekundarstufe. unterschiedlichen Intentionen. Zu deren Cha-
Eine Einführung. Tüb. 2010. – B. Diehr/L. Schmelter rakterisierung bieten sich die von Fthenakis et
(Hg.): B. U. weiterdenken. Programme, Positionen, al. (1985) vorgeschlagenen Bezeichnungen ›Be-
Perspektiven. FfM 2012. – C. Gnutzmann: Kritische reicherungsprogramm‹ und ›Integrationspro-
Überlegungen zur Ausbildung von CLIL-Lehrern. In:
Rüschoff et al. 2015, 331–352. – W. Hallet: Transkul-
gramm‹ an.
turelles Lernen im CLIL-Unterricht. In: Rüschoff et al. Die Bereicherungsprogramme basieren auf
2015, 289–308. – W. Hallet: Genres im fremdsprachli- der hinreichend bekannten Fähigkeit von Kin-
chen und b. U. Formen und Muster der sprachlichen dern zur Aneignung von Sprachen. Eltern und
Interaktion. Seelze 2016. – W. Hallet/F. G. Königs Erzieher haben aus Erkenntnissen der Neuro-
(Hg.). Handbuch B. U. Content and Language Integra-
physiologie und der Psycholinguistik die Kon-
ted Learning. Seelze 2013. – L. Heine: Fremdsprache
und konzeptuelle Repräsentation. B. U. in kognitiver sequenz gezogen, eine zweite Sprache in das
Perspektive. In: Doff 2010, 199–212. – [KMK Sekre- Curriculum der V. einzuführen. Sie wollen die
tariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der frühkindliche Bildung durch die Hinzunahme
Länder und der Bundesrepublik Deutschland: Kon- einer anderen Sprache (als der Muttersprache)
zepte für den b. U. Erfahrungsbericht und Vorschläge bereichern und den Kindern eine Basiskompe-
zur Weiterentwicklung. 2013. – J. Leisen: Darstellungs-
und Symbolisierungsformen im b. U. In: Hallet/Königs tenz (ä Kompetenz) im Verstehen und Gebrauch
2013, 152–160. – D. Marsh (Hg.): CLIL/EMILE. The des ä Englischen, ä Französischen, ä Russischen
European Dimension. Actions, Trends, and Foresight oder ä Spanischen vermitteln. Über diese sprach-
33 Blended Learning

liche Intention hinaus verfolgen die Bereiche- fremd ist. Dabei kommt die jeweils höhere
rungsprogramme das Ziel, eine Grundlage für Kompetenz der Muttersprachler ins Spiel. Sie
das ä interkulturelle Lernen zu schaffen, auf der fungiert als das kommunikative Vorbild. Au-
die Schule später aufbauen kann. Die einschlä- ßerdem werden sich die Kinder ihrer eigenen
gigen Richtlinien postulieren eine Erziehung zu muttersprachlichen Kompetenz bewusst, wenn
Toleranz und einer positiven Einstellung zu an- sie die Kinder der anderen Gruppe bei deren
deren Kulturen. Bemühen um eine zweite Sprache unterstützen,
Das zentrale methodische Prinzip bei der die ihre Erstsprache ist. Die Gleichstellung der
Vermittlung der zweiten Sprache ist das der beiden Sprachen ist das andere Merkmal. Beide
ä Immersion. Nach diesem in Kanada entwi- in der Kindertagesstätte vertretenen Sprachen
ckelten Prinzip werden die sachlichen Inhalte werden in gleichem Maße gepflegt. Dies wird
des Lernens über die Zielsprache vermittelt. v. a. dadurch gesichert, dass in jeder Gruppe je
Damit ist diese nicht wie im späteren FU Ob- eine Erzieherin aus beiden Kulturen tätig ist.
jekt, sondern Medium für die Vermittlung der Sie spricht mit den Kindern (fast) ausschließlich
außersprachlichen Gegenstände. Das Prinzip ist in ihrer ä Herkunftssprache und vertritt auch
für die V. besonders gut geeignet, weil es die für inhaltlich das Land, aus dem sie kommt.
den Kindergarten wichtige Einheit von Sachler- Lit.: P. Doyé: Didaktik der b. V. Tüb. 2009. – W. Fthe-
nen und Sprachlernen wahrt. nakis et al.: Bilingual-bikulturelle Entwicklung des
Die Integrationsprogramme sind die bil- Kindes. Mü. 1985. – H. Wode: Fremdsprachenlernen
dungspolitisch wichtigere Variante der b. V. Sie in bilingualen Kindergärten und Grundschulen. Braun-
schweig 2009. PD
bieten eine Antwort auf die seit dem Zweiten
Weltkrieg zahlreichen und umfangreichen Mi-
grationsbewegungen in Europa. Junge Familien Bilingualität ä Zweisprachigkeit
wandern in Länder aus, deren Kultur und v. a.
Sprache ihren Kindern fremd ist. Das bedeutet,
dass diese Kinder nicht ohne Stützmaßnahmen Binnendifferenzierung ä Differenzierung
die Schulen des Aufnahmelandes besuchen kön-
nen. Genau hier liegt der Wert der Integrations-
programme. Die immigrierten Kinder werden Blended Learning. Allein die Nutzung digitaler
gemeinsam mit einheimischen Kindern erzogen ä Medien garantiert noch nicht ein erfolgreiche-
und in die Aufnahmegesellschaft integriert, wo- res Lehren und Lernen. Mit diesem Ergebnis
bei die einheimischen Kinder mit Blick auf ihre wurde nach dem Hype des ä E-Learning in den
ä interkulturelle kommunikative Kompetenz 1990er Jahren Bilanz gezogen, mit dem Resul-
profitieren. Solche Einrichtungen gibt es v. a. in tat, dass es nötig sei, sich weiterhin auf die Vor-
deutschen Städten mit hohem Ausländeranteil teile, die digitale Medien mit sich bringen, zu
wie Berlin, Köln und Wolfsburg. Bilingual sind besinnen und gleichzeitig auf altbewährte Lehr-
sie in dreierlei Hinsicht: Die Gruppen der Kin- formen zurückzugreifen. Seither gelten Lernar-
der setzen sich aus Angehörigen der beiden rangements in Form von b.l. als Hoffnungsträ-
Sprachgemeinschaften zusammen, und zwar in ger. Es handelt sich dabei um eine didaktisch
möglichst gleicher Zahl; die Erzieher/innen sinnvolle Verknüpfung von Präsenzlernen,
kommen aus den entsprechenden Herkunfts- Selbststudium und elektronischen Lehr-/Lern-
kulturen der Kinder; die Lerngegenstände stam- konzepten im Rahmen einer organisierten und
men aus beiden Kulturen. durchgängig betreuten Aus-, Fort- und Weiter-
Über die Immersion hinaus sind zwei weitere bildung. Beim b.l. werden die unterschiedlichen
Merkmale für die Integrationsprogramme cha- Lernformen so miteinander verbunden, dass die
rakteristisch: das ä Tandemlernen und die Vorteile der einen Lernform verstärkt und die
Gleichstellung der beiden Sprachen. Beim Tan- Nachteile der jeweils anderen Lernform kom-
demlernen profitieren die Kinder von der stän- pensiert werden sollen. Durch das Zusammen-
digen Präsenz von Sprecher/innen der zu ler- wirken dieser Aspekte soll das Ganze mehr als
nenden Sprache, und zwar je nach Organisa- die Summe seiner Teile werden und einen gestei-
tionsform einzeln oder in der Gruppe. Die gerten Lernerfolg ermöglichen. Aufgrund der
Erzieher/innen bilden Paare von Kindern, die Mischung von Präsenz- und virtuellem Lernen
einander bei der Aneignung ihrer eigenen Spra- verwendet man auch den Begriff ›hybrides Ler-
che helfen, welche aber für die Partner bis dato nen‹. B.l. spielt beim Fremdsprachenlernen in
Blended Learning 34

der Schule sicher eine untergeordnete Rolle. In


der Erwachsenenbildung (ä Andragogik, ä Ger-
agogik) wird es aufgrund der dadurch zu erzie-
C
lenden zeitlichen Flexibilität vermehrt nach-
gefragt; auch in der ä Lehrerbildung sind b.l.- CALL ä Computer-Assisted Language Learning
Seminarkonzepte vermehrt anzutreffen (vgl.
Grünewald 2008). Neben spezifischen Angebo-
ten in regulären Studiengängen werden mittler- CBI ä Content-Based Instruction
weile auch ganze Studienprogramme in Form
des b.l. angeboten, z. B. der Fern-/Kontaktstudi-
engang Didaktik des frühen Fremdsprachenler- Chanson ä Musik
nens ›E-Lingo‹ (ä Fernunterricht).
Michael Kerres kritisiert die bereits seit den
1970er Jahren bezweifelte Hypothese »dass Chat ä E-Learning
bestimmte Medien oder Vermittlungsformen an
sich im Vergleich zu anderen irgendwie vorteil-
haft seien« (Kerres/Petschenka 2002, 242), und Chunk learning. Als ch. l. bezeichnet man die in-
stellt dem gegenüber, dass die optimale Zusam- tegrierte Vermittlung von ä Wortschatz und
mensetzung eines hybriden Lernarrangements ä Grammatik. Sie wird auch als lexikalischer
von dem jeweiligen didaktischen Problem ab- oder lexiko-grammatikalischer Ansatz bezeich-
hängig ist. Die qualitative Bereicherung beruht net (vgl. Lewis 1993). Lange war die Trennung
seiner Meinung nach auf der Kombination der der sprachlichen Mittel in Grammatik und
unterschiedlichen Medien und Methoden, die Wortschatz das nicht hinterfragte Sprachmodell
in dem Lernangebot integriert sind. Im Vorfeld des FUs. Denn klare, präskriptive Grammatik-
der Planung eines b.l.-Lehrarrangements stellt regeln geben den Lehrenden Sicherheit im so
sich die entscheidende Frage nach dem didakti- eher planbaren Unterrichtsdiskurs. Diese tra-
schen Mehrwert. Denn dieser ist die Grundprä- dierte Praxis führt aber oft dazu, dass die Spra-
misse, um ein aufwändiges Handeln zu recht- che, die aus der Bearbeitung von Aufgaben mit
fertigen. Unabhängig davon darf jedoch nicht einem Grammatikfokus resultiert, oft ›gestelzt‹
der hohe Gewinn von räumlicher und zeitlicher klingt und so in einer authentischen Kommuni-
Flexibilität vergessen werden, den digitale Me- kationssituation in der Zielsprache nicht vor-
dien insbesondere bei virtueller Arbeit zweifel- kommen würde (vgl. Müller-Hartmann et al.
los bieten. Insbesondere in Zeiten von Teilzeit- 2013, Kap. II.2). Zudem ist die englische Sprache
studiengängen und unflexiblen Studienstruktu- (ä Englisch) z. B. reich an sog. multi-word items
ren, die durch das Bachelor- und Mastersystem (Lewis 1993, 92), lexical phrases (Hatami 2014,
entstanden sind, beinhaltet dieser Gesichts- 115) oder auch ganz allgemein chunks, die von
punkt ein enormes Potenzial für die Fremd- festen bis flexiblen Wortverbindungen reichen.
sprachenlehrerausbildung. Hatami (2014, 114) belegte, dass im Durch-
schnitt mehr als die Hälfte der geschriebenen
Lit.: A. Grünewald: B.l.-Seminar in der Lehrerbildung.
In: R. Arntz/B. Kühn (Hg.): Autonomes Fremdspra- und gesprochenen Texte aus chunks bestehen,
chenlernen in Hochschule und Erwachsenenbildung. d. h. sie umfassen u. a. Kollokationen, Präpositio-
Bochum 2008, 74–86. – M. Kerres/A. Petschenka: Di- nalphrasen, idiomatische Komposita, Verben mit
daktische Konzeption des Online-Lernens in der Wei- Partikeln oder Sprichwörter. Durch ihre Berück-
terbildung. In: B. Lehmann/E. Bloh (Hg.): Online-Pä- sichtigung wird die Sprache der Lernenden nicht
dagogik. Hohengehren 2002, 240–256. AG
nur flüssiger und idiomatischer, sondern eine zu-
nächst häufige Verwendung in einem kommuni-
Blog ä E-Learning kativen Kontext trägt auch zur Gewöhnung an
komplexere Wortverbände bei. So kann z. B. das
englische If I were you I would … von Lernen-
Bottom-up Processing ä Leseverstehen, ä Hör- den zunächst als chunk verwendet werden, um
verstehen, ä Verstehen jemandem einen Rat zu erteilen, und die Struk-
turmerkmale (also als conditional II) können
erst zu einem späteren Zeitpunkt analysiert wer-
Brief ä Korrespondenz den (vgl. Schocker 2011).

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_3, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
35 Community Language Learning

Die Spracherwerbsforschung (ä Spracherwerb Classroom Discourse ä Unterrichtsinteraktion


und Spracherwerbstheorien) unterstützt dieses
Vorgehen. Auch in ihrem Erstsprachenerwerb
gehen Kinder zunächst holistisch vor und set- CLIL (Content and Language Integrated Lear-
zen chunks als Lernstrategie ein (z. B. I wanna ning) ä Bilingualer Unterricht
cookie). Mit der Zeit erkennt (analysiert) das
Kind, dass sich dahinter die grammatische
Struktur I wanna + Substantiv verbirgt mit der CLL ä Community Language Learning
sich weitere Wünsche ausdrücken lassen. Diese
Erkenntnis wird durch einen rein analytisch
angelegten Grammatikunterricht nicht berück- Cloze-Verfahren ä Tests
sichtigt. Auch die angewandte Linguistik
(ä Sprachlehrforschung, ä Sprachwissenschaft)
hat gezeigt, dass das ä mentale Lexikon Wör- Code-Switching ä Zweisprachigkeit
ter  in assoziativen Netzwerken speichert, die
eine integrierte Entwicklung von Wortschatz
und Grammatik nahelegen. Ein Aufenthalt im Comic ä Bilder, ä Medien, ä Populärkultur
englischsprachigen Ausland, ein regelmäßiger
medial vermittelter Austausch mit Sprecher/in-
nen der Zielsprache sowie ein entsprechendes Community Language Learning (CLL, auch
Sprachvorbild der Lehrperson im Unterricht Counseling Language Learning) wurde von
tragen zu einer besseren Intuition bei der Nut- Charles A. Curran in den 1970er Jahren be-
zung von Kollokationen bei. gründet. Die Methode verfolgt einen humanis-
Spracharbeit beinhaltet also mehr als gram- tischen Ansatz und stellt die Lerngruppe (com-
matisches Regelwissen, zudem ist die Verwen- munity) und deren kommunikative Bedürfnisse
dung einer Struktur je nach den Anforderungen in den Mittelpunkt. Die Lehrkraft übernimmt
einer Diskurssituation unterschiedlich relevant: die Rolle eines Moderators (counselor oder
Gibt man in formalisierten Kontexten Rat, ist knower), der reflektiert und unterstützt (ä Leh-
im   Englischen vermutlich ein If I were you I rer/in und Lehrerrolle). Der bzw. die Lernende
would … angemessen, informeller geht es jedoch wendet sich mit seinen bzw. ihren Lernbedürf-
auch mit einem Why don’t you …? Ein induktiv nissen zunächst an die Gruppe. Im Mittelpunkt
arbeitender aufgabenorientierter Ansatz (ä Auf- steht die Aufhebung des klassischen Lehrer-
gabenorientiertes Lernen) sensibilisiert Lernende Schüler-Verhältnisses mit dem Ziel, negative
für diese heterogenen Verwendungskontexte, ä Emotionen im Lernprozess abzubauen. Die
anstatt sie in erster Linie an eine präskriptive Lehrkraft moderiert und ist diejenige, die den
grammatikalisch korrekte Regelorientierung zu Lerngegenstand bereits beherrscht (knower).
gewöhnen. Chunks im Unterricht lassen sich am Die Lerngruppe bestimmt Themen und Inhalte
besten im Rahmen von lebensweltlich relevan- des Lernprozesses. Eine typische Unterrichts-
ten Aufgaben fokussieren, bei denen die auszu- sequenz, die sich an dem Ansatz des CLL an-
wählenden chunks je nach Mitteilungsabsicht lehnt, verläuft in folgenden Phasen: (1) invest-
verschieden, genre-spezifisch (ä generisches Ler- ment: Maximal 8–12 Lernende sitzen im Kreis,
nen) und kontextabhängig sind. in der Mitte befindet sich ein Aufnahmegerät.
Lit.: S. Hatami: Teaching Formulaic Sequences in the Der Moderator befindet sich außerhalb des
ESL Classroom. In: TESOL Journal 6/1 (2014), 112– Kreises. Der erste Lerner, der etwas sagen
129. – M. Lewis: The Lexical Approach. The State of möchte, flüstert dem Moderator in seiner Erst-
ELT and a Way Forward. Hove 1993. – A. Müller- sprache einen Satz ins Ohr. Der Moderator
Hartmann/M. Schocker: Let’s Chunk It! Wortschatz
und Grammatik integriert entwickeln. In: Der Fremd- wiederholt diese Aussage in der Fremdsprache.
sprachliche Unterricht Englisch 50/140 (2016), 2–12. Der Lerner hat nun die Gelegenheit, diese Aus-
– A. Müller-Hartmann et al. (Hg.): Kompetenzent- sage zu wiederholen, bei Bedarf mit Hilfe des
wicklung in der Sek I. Lernaufgaben Englisch aus der Moderators. Schließlich wird diese Aussage
Praxis. Braunschweig 2013. – M. Schocker: Gramma- aufgenommen. Alle weiteren Lernenden, die
tik und Fremdsprachenkompetenzen. Plädoyer für ein
lernaufgabenorientiertes Verständnis. In: Praxis FU 8
diese Aussage einüben möchten, wiederholen
(2011), 8–11. AMH/MScho diese. Weitere Aussagen von Lernenden entste-
hen in gleicher Weise, bis ein ganzes Gespräch
Community Language Learning 36

aufgenommen wurde. (2) analysis: Der Mode- Computer ä Computer-Assisted Language Lear-
rator transkribiert die gesamte Unterhaltung ning (CALL), ä E-Learning, ä Lernsoftware,
der Lernenden, die das Transkript lesen, wäh- ä Medien
rend sie die gesamte Unterhaltung erneut anhö-
ren. Daraufhin haben sie die Gelegenheit, auf
Nachfrage Erklärungen vom Moderator zu er- Computer-Assisted Language Learning (CALL).
halten. Wenn sie möchten, können Sprach- Die Entwicklung des computergestützten
übungen zu spezifischen Strukturen erfolgen Sprachlernens, das im anglo-amerikanischen
(ä Übung). (3) reflection: Die Lernenden und Sprachraum als CALL bezeichnet wird, ist eng
der Moderator tauschen sich über den Lern- verknüpft mit der hohen Geschwindigkeit des
prozess aus. Der Moderator berät die Lernen- technischen Fortschritts im Bereich der Hard-
den hinsichtlich ihres Lernprozesses. und Software. Laut der JIM-Studie (2016, 6 f.)
Curran (1976) definiert fünf Stadien des Lern- ist die viel zitierte Mediengesellschaft mit der
prozesses: inzwischen erreichten Ausstattung fast aller Ju-
• birth: Der Lerner hat kein Wissen über die gendlichen mit Smartphones Wirklichkeit ge-
Fremdsprache und ist in vollem Umfang worden. Die Durchdringung sämtlicher Le-
abhängig vom Moderator. bensbereiche mit Produkten und Praktiken der
• self: Der Lerner entwickelt eigene Hypo- Informations- und Kommunikationstechnolo-
thesen darüber, wie die Fremdsprache gie ist die Realität, zumindest für die 12- bis
funktioniert, benötigt aber noch immer die 19-jährigen SuS. Mit den Möglichkeiten, die
Hilfe des Moderators. In diesem Stadium ein Smartphone in Verbindung mit dem Inter-
ist er schon in der Lage, selbst zielsprachli- net bietet, steht eine sehr große Auswahl an
che Äußerungen zu verfassen, und wird unterschiedlichen medialen Angeboten zur
nur bei Bedarf durch den Moderator be- Verfügung: Man kann über ein Gerät in ver-
stätigt oder korrigiert. schiedenen Sprachen (E-)Bücher und Zeitung
• separate existence: In dieser Phase sind die lesen, Radio und Musik hören, Fernsehsendun-
Lernenden in der Lage, die Zielsprache gen und Videos ansehen, Computerspiele spie-
unabhängig vom Moderator zu verwen- len, im Internet surfen, recherchieren, Nach-
den. Die Hilfe des Moderators wird immer richten senden, navigieren, fotografieren, fil-
häufiger nicht in Anspruch genommen. men oder Ton aufzeichnen und schließlich auch
• adolescence: Die Lernenden erweitern ihre noch telefonieren. Die Hälfte der Haushalte
Kenntnisse und sind zunehmend in der verfügt über ein Tablet-PC und nahezu allen
Lage, sich selbständig in der Zielsprache SuS (99 %) steht zu Hause ein PC zur Verfü-
auszudrücken. Nur noch auf Nachfrage gung (vgl. ebd., 8). 94 % der jugendlichen SuS
wird die Hilfe des Moderators in Anspruch nutzen das Internet und 93 % das Smartphone
genommen. regelmäßig an mehreren Tagen in der Woche
• independence: Die Lernenden können die (vgl. ebd.). Digitale Medien haben also für die
Zielsprache unabhängig vom Moderator SuS eine beachtliche Bedeutung erlangt, was
verwenden. Sie können ihrerseits selbst die nicht zuletzt auch bildungspolitisch zu berück-
Rolle eines Moderators in weniger fortge- sichtigen ist. Somit ist die Schule aufgefordert,
schrittenen Lerngruppen übernehmen. den sinnvollen Umgang mit diesen Technolo-
gien in möglichst vielen Fächern zu fördern, zu
CLL stellt hohe Ansprüche an die Lehrkraft. begleiten und zu üben. Eine entscheidende Her-
Im institutionalisierten FU mit jugendlichen ausforderung für Lehrer/innen liegt sicherlich
SuS spielt dieser Ansatz keine Rolle. Er wird darin, pädagogisch sinnvolle Unterrichtsszena-
jedoch bis heute in den USA vereinzelt im Er- rien unter Nutzung der Kommunikations- und
wachsenenunterricht (ä Andragogik, ä Gerago- Informationstechnologien zu entwickeln und
gik) angewendet. die neuen ä Medien als Bereicherung und Er-
Lit.: Ch. Curran: Counseling-Learning in Second Lan- weiterung des bisherigen Medienrepertoires im
guages. Apple River, Ill. 1976. – E. W. Stevick: Teaching FU einzusetzen.
Languages. A Way and Ways. Boston 1980. – E. Ste- Die Abgrenzung des Akronyms CALL vom
vick: Humanism in Language Teaching. A Critical Begriff ä E-Learning ist schwierig, weil beide
Perspective. Oxford 1990. AG einen ähnlichen Bereich beschreiben, aber zu
unterschiedlichen Zeiten entstanden sind (vgl.
37 Computer-Assisted Language Learning

Grünewald 2016, 464). Unter CALL versteht blick über mögliche Anwendungsszenarien
man keine Sprachlernmethode, sondern viel- von  CALL zu verschaffen, bietet es sich an,
mehr ein computergestütztes Lernarrangement, zwischen internetbasierten (online) und soft-
in dessen Mittelpunkt das interaktive und waregestützten (offline) Lernszenarien zu
individualisierte Fremdsprachenlernen (ä Indi- unterscheiden. Softwaregestütztes Fremdspra-
vidualisierung) steht. Wesentliche Bereiche des chenlernen findet beispielsweise mit ä Lern-
computergestützten Sprachenlernens sind der software statt, oder es werden Nachschlage-
Einsatz von Fremdsprachenlernsoftware und werke auf DVD zum Fremdsprachenlernen
digitalen Schulbüchern, die Integration von verwendet. Internetbasierte Anwendungsszena-
Multimedia durch CD-ROM und DVD, die rien umfassen z. B. WebQuests (erkundungsori-
Nutzung des Internet und die Nutzung von E- entierte Web-Aktivitäten), Online-Kurse oder
Learning-Angeboten. Das Spektrum ist breit: Videostreaming.
Es umfasst sowohl tangible, materielle (Com- Unter Computer-Based Training wird soft-
puter, E-Book-Reader, Smartphone, Speicher- waregebundenes Fremdsprachenlernen verstan-
medien usw.) als auch immaterielle Artefakte den, bei dem der Computer bzw. die Software
(Internet, Lernsoftware usw.). Die technologi- als Tutor eingesetzt wird. Der Computer bzw.
sche Weiterentwicklung führte in den vergange- die Software präsentiert Informationen, stellt
nen Jahren vermehrt dazu, dass digitale Medien Aufgaben, gibt dem Lerner bzw. der Lernerin
im FU neben anderen Medien regelmäßig ein- Rückmeldungen zur Lösung und bestimmt den
gesetzt werden. Es gibt kaum noch Primar- oder nächsten Lernschritt. Aufgrund von programm-
Sekundarschulen, die neben dem Zugang zum technischen Restriktionen und wirtschaftlichen
Internet nicht auch über einen Computerraum Überlegungen der Verlage ist die Software oft
bzw. einige Computer in den Klassenräumen nur eingeschränkt interaktiv und bietet nur
verfügen. wenige Möglichkeiten, den Lernprozess selbst
Auch für die Unterrichtsvorbereitung bietet zu steuern. Eine didaktisch-methodische Aufbe-
die Nutzung des Computers bzw. des Internet reitung für die schulische Nutzung ist meist
neue Möglichkeiten. Der Arbeitsalltag von notwendig, denn Computer sind weder im
Lehrkräften ist komplex, digitale Werkzeuge Stande, adäquat auf unerwartete Eingaben zu
können dabei helfen, diesen besser zu organi- reagieren, noch mit halbfertigen Aussagen oder
sieren (vgl. Klemm 2016). Es gibt mittlerweile verschwommenen Andeutungen umzugehen,
zahlreiche Apps und Software-Angebote, die es und sie können nicht die Darstellung eines
Lehrerinnen und Lehrern erlauben einen digita- Sachverhaltes auf das Sprachniveau eines indi-
len Workflow ihrer alltäglichen Arbeit zu orga- viduellen Lerners bzw. einer individuellen Ler-
nisieren – angefangen bei dem digitalen Lehrer- nerin transferieren. Ferner können sie nicht an-
kalender (z. B. Teachertool oder Schulfix), in gemessen auf Begeisterung, Ungeduld und Ent-
dem alltagsrelevante Informationen wie Stun- täuschung der mit ihnen Arbeitenden reagieren,
denpläne, Schülerdaten, Fehlzeiten, Unter- und außerdem können sie nicht ›von selbst‹
richtsbeobachtungen, Noten, Termine usw. ge- diskursiv und kooperativ Wissen mit dem bzw.
sammelt werden, über plattformübergreifende der Lernenden erarbeiten.
Notizendienste (z. B. Evernote oder Google- Web-Based Training (WBT) ist eine spezielle
Notizen) bis hin zum Speichern und Freigeben Form des CALL. Die Informationen und
digitaler Materialien über plattformübergrei- Übungsmodule werden dabei über das Internet
fende Cloudsysteme (z. B. Dropbox). Im Inter- oder ein Intranet zur Verfügung gestellt. Neben
net finden Lehrkräfte zudem eine Vielfalt von herkömmlichen Webseiten und den webba-
authentischen (ä Authentizität), nicht-didakti- sierten Kommunikationstools stehen durch
sierten Materialien (Texte, ä Bilder, Töne, Filme) die Entwicklung des Web 2.0 Podcasts, Video-
zu ä Landeskunde, Literatur, Grammatik usw., pods und eine Menge an Plattformen zur
die neue Arbeitsmöglichkeiten im FU eröffnen. unterrichtlichen Nutzung zur Verfügung. Zu
Das Internet bietet schnellen und ortsunabhän- den netzbasierten Kommunikationswerkzeu-
gigen Zugang zu Webseiten in der jeweiligen gen zählen Webforen, E-Mail und Mailinglis-
Fremdsprache, zu Podcasts, Videopods, Radio- ten, Chat, Newsgroups und Diskussionsforen,
sendern, Tageszeitungen usw. und leistet damit Groupware, Videokonferenzen, Wikis usw. Da-
einen Beitrag zu einem lernerorientierten und bei unterscheidet man synchrone von asynchro-
ä kommunikativen FU. Um sich einen Über- nen Kommunikationsformen. Bei synchroner
Computer-Assisted Language Learning 38

ä Kommunikation sind zwei oder mehrere Per- Nachteile des Einsatzes des interaktiven White-
sonen gleichzeitig an der Kommunikation be- boards werden die hohen Anschaffungskosten,
teiligt (z. B. Chat), während die asynchrone der Wartungsaufwand und die Gefahr, den
zeitlich versetzt stattfindet (z. B. E-Mail). Der Frontalunterricht zu perfektionieren und des-
Einsatz von webbasierten Unterrichtssequen- sen Phasen unverhältnismäßig zu verlängern,
zen ist v. a. im Wechsel mit anderen Lernformen angeführt. In der Tat wird weder Partner- noch
sinnvoll. Beispielsweise können sich Lernende Gruppenarbeit durch den Einsatz des interakti-
im Rahmen einer Lernplattform auf anstehende ven Whiteboards gefördert. Aber interaktive
Präsenzschulungen vorbereiten, in denen sich Whiteboards ermöglichen einen besseren, me-
die Teilnehmer/innen dann mit der Thematik diengestützten Frontalunterricht.
eingehender beschäftigen und Übungsformen Die digitalen Medien bieten gute Werkzeuge
durchführen, bei denen eine direkte Kommuni- und Hilfsmittel an, die es den SuS erleichtern,
kation zwischen Teilnehmenden und Lehren- beim Erlernen der Fremdsprache zunehmend
den notwendig ist. selbständig zu sein und einen individuellen Lern-
CALL kann Vorteile gegenüber herkömmli- weg zu beschreiten. Entscheidend für die ä Moti-
chen Medien bieten: Die Sprachbarriere sinkt, vation der SuS sind allerdings die Lerninhalte
obwohl es sich in der Regel um authentische und die Frage, ob die Lernenden selbst ein Lern-
Materialien in der Fremdsprache handelt. Web- motiv in dem zu lernenden Gegenstand erken-
seiten beschränken sich zumeist nicht nur auf nen (vgl. Grünewald 2006). Der Computer kann
verbalen Text bzw. Hypertext, sondern umfassen unter bestimmten Umständen lediglich die Ein-
auch Bilder, Grafiken, Videosequenzen oder stiegsmotivation bieten, wohingegen die Moti-
Tondokumente. Die multimediale Darbietung vationspersistenz in der Regel von den Lernin-
erleichtert das Verständnis und die Semantisie- halten abhängt. Als besonders wichtig hat sich
rung unbekannter Lexik. Zudem kommt diese dabei herausgestellt, dass SuS v. a. die Kommuni-
Art der Präsentation von Inhalten unterschiedli- kation in der Zielsprache während des Compu-
chen ä Lernertypen entgegen. Es ist mittlerweile tereinsatzes vermissen. Daher sollten computer-
Standard, dass ein ä Lehrwerk mit einem digi- basierte Unterrichtsphasen immer wieder mit
talen Unterrichtsassistenten ausgeliefert wird. kommunikativen Phasen alternieren.
Dieser umfasst zumindest das Schülerbuch so- Lit.: A. Grünewald: Multimedia im FU. Motivations-
wie das Arbeitsheft in digitalen Versionen, die verlauf und Selbsteinschätzung des Lernfortschritts
dazugehörigen Lösungen und meist auch Me- von Schülern der Sek. II im computergestützten Spa-
dien wie Tondokumente, Bilder, Folien usw. Die nischunterricht. FfM 2006. – A. Grünewald: Digitale
Medien und soziale Netzwerke im Kontext des Ler-
Vorteile liegen auf der Hand: nens und Lehrens von Sprachen. In: E. Burwitz-Melzer
• zeitsparende Unterrichtsvorbereitung et al. (Hg.): Handbuch FU. Tüb. 62016 [1989, 463–
• ohne Aufwand mit dem interaktiven White- 466. – Medienpädagogischer Forschungsverbund Süd-
board arbeiten west: JIM-Studie. Jugend, Information, (Multi-)Media.
• alle verfügbaren Medien zu den Lektionsin- Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in
Deutschland. 2016. – U. Klemm (Hg.): Themenheft
halten unter einer Oberfläche, »Lehrerarbeit digital organisieren«. Computer + Un-
• Medienintegration (Audio, Film etc.) terricht 101 (2016). – D. Rösler: E-Learning und das
• unterrichten mit differenzierendem Aufga- Fremdsprachenlernen mit dem Internet. In: W. Hal-
benangebot (ä Differenzierung) let/F. G. Königs (Hg.): Handbuch Fremdsprachen-
didaktik. Seelze 2010, 285–289. – T. Schmidt: Multi-
mediale Lernumgebungen für das Fremdsprachenler-
Als Vorteile des interaktiven Whiteboards wer-
nen. In: W. Hallet/F. G. Königs (Hg.): Handbuch
den der Zugang zu einer Vielzahl unterschiedli- Fremdsprachendidaktik. Seelze 2010, 280–284.
cher Medien unter einer Präsentationsfläche AG
aufgezählt, die Interaktivität, also die Tatsache,
dass SuS die Lehrbuchübungen an der elektro-
nischen Tafel lösen können, die Anbindung an Content-Based Instruction (CBI) versteht sich als
das Internet und die Möglichkeit, Tafelbilder zu eigenständige Lehr- und Lernmethode für schuli-
entwickeln, diese abzuspeichern und in der sches Fremdsprachenlernen. Es folgt der Grund-
nächsten Stunde wieder aufzurufen oder sogar idee, ä Spracherwerb über die Beschäftigung mit
per Mail an die SuS zu senden. Auf diese Weise fachlichen Inhalten zu vermitteln. CBI verbindet
sollen unterschiedliche Lernkanäle angespro- Elemente aus dem kommunikativen Ansatz und
chen und differenziert unterrichtet werden. Als der Methode der ä Immersion, die je nach Pra-
39 Curriculum

xiskontext unterschiedlich gewichtet sind. Im nenden. Folglich wirbt Roy Lyster (2007) für
anglo-amerikanisch-kanadischen Raum wird einen counterbalanced approach, der die fachbe-
CBI eher als Immersionsansatz für Lernende mit zogene Interaktion durch gezielte sprachform-
einer anderen Erstsprache als der ortsüblichen bezogene Interventionen durchbricht. Dagegen
Schul- und Unterrichtssprache gesehen und da- ist die Debatte gerade erst angestoßen, inwiefern
mit in die Zielsetzung allgemeiner Grundbildung FU und damit auch CBI die subjektiven kommu-
(literacy education) eingebunden. Im kontinen- nikativen und fachlichen Lern- und Bildungsbe-
taleuropäischen Raum wird CBI meist als Vari- dürfnisse von Lernenden sinnvoll berücksichti-
ante des ä kommunikativen FUs aufgefasst und gen kann (ä Bildungsgangforschung). Ein CBI-
entsprechend mit strukturell ähnlichen Ansätzen Programm, das einer fachlichen Abbilddidaktik
wie dem ä aufgabenorientierten Lernen, dem folgte, wäre hier ebenso ungenügend wie ein
ä bilingualen Unterricht (CLIL) sowie dem Prin- strikter Sprachlehrgang. Als zentrale Frage für
zip des ä Language Across the Curriculum (LAC) die Konzeptualisierung von CBI bleibt folglich
in Verbindung gebracht. Wie diesen liegt CBI ein das für jeden Kontext zu klärende und in Curri-
funktionales Verständnis von Sprache zugrunde, cula zu übersetzende Verhältnis von fachspezifi-
wobei sich das sprachliche Curriculum (Struktu- schen und sprachlichen Kompetenzmodellen.
ren, Funktionen, Formen, Vokabular) von den Hierzu sind zwei Denkrichtungen zu finden: zum
Erfordernissen der fachlichen Gegenstände, stär- einen die semiotisch-sprachliche Interpretation
ker aber noch vom aktuellen Unterrichtsprozess der verschiedenen Dimensionen fachlicher Kom-
her bestimmt. Dieses situationsbezogene Element petenz, wie sie im Bereich von CLIL vorliegt
unterscheidet CBI grundsätzlich von behavioris- (z. B. Bonnet et al. 2009), und zum anderen die
tischen und strukturalistischen Sprachlehrgän- von Jim Cummins (2000) vertretene, dem empo-
gen sowie graduell von solchen kommunikativen werment-Gedanken verpflichtete Konzeption ei-
Ansätzen, denen ein strukturierter Katalog kom- nes Bildungsgangs, der die sprachlich-kognitiven
munikativer Funktionen unterliegt. Entwicklungsbedingungen und -bedürfnisse
CBI fußt auf der sozialkonstruktivistischen mehrsprachiger Lernender (ä Mehrsprachigkeit)
Überzeugung, dass Wissensstrukturen das Er- beim Übergang von der außerschulischen zur ra-
gebnis sozialer Interaktion darstellen. Als tionalisierenden Sprache der Schule im Blick hat.
wichtige Gelingensbedingung gilt daher eine Lit.: A. Bonnet: Fach, Sprache, Interaktion. Eine
Interaktionsstruktur, die eine freie, prozessual Drei-Säulen-Methodik für CLIL. In: Fremdsprachen
bestimmte Bedeutungsaushandlung aller Betei- Lehren und Lernen 36 (2007), 126–141. – A. Bonnet/
ligter auf gleicher Augenhöhe ermöglicht. Dabei S. Breidbach/W. Hallet: Fremdsprachlich Handeln im
bilingualen Sachfachunterricht. In: G. Bach/J.-P. Timm
ist die sprachliche, fachliche bzw. interaktionale (Hg.): Englischunterricht. Tüb. 52013 [1989, 172–
Ebene des Unterrichts durch entsprechende 198. – J. Cummins: Language, Power, and Pedagogy.
sprachlich-symbolische und/oder kognitive bzw. Bilingual Children in the Crossfire. Clevedon 2000. –
soziale Stützmaßnahmen (ä Scaffolding) so zu P. Lightbown/N. Spada: How Languages are Learned.
gestalten, dass die Gesamtkomplexität des Un- Oxford 32006 [1993. – R. Lyster: Learning and
Teaching Languages Through Content. A Counter-
terrichtsgeschehens für die Lernenden zu be- balanced Approach. Amsterdam/Philadelphia 2007. –
wältigen bleibt (vgl. Bonnet 2007, Mohan B. Mohan: Language and Content. Reading, MA 1986.
1986). Methodisch umfasst CBI die Bandbreite StB
vom isoliert-exemplarischen Umgang mit
Fachtexten über Aufgaben zum Erlernen fach-
methodischer Arbeits- und Kommunikations- Creative Writing ä Kreativität, ä Schreiben
weisen (z. B. Herstellung eines Präparats zum
Mikroskopieren) bis zu offenen Verfahren wie
Simulationen, Planspielen oder außerschuli- Critical Incident ä Interkulturelle kommunika-
schen Projekten (ä Offener Unterricht). tive Kompetenz, ä Interkulturelles Lernen
Kontrovers diskutiert wird die explizite The-
matisierung von Sprache in CBI. Patsy Light-
bown und Nina Spada (2006) verweisen auf po- Cultural Awareness ä Bewusstheit/Bewusstma-
sitive Effekte bei der expliziten Bewusstmachung chung, ä Interkulturelles Lernen
(ä Bewusstheit/Bewusstmachung) von Formen
und Strukturen auch in kommunikativen Lern-
umgebungen bei Jugendlichen und älteren Ler- Curriculum ä Lehrplan
Darstellendes Spiel 40

D der Kultusministerkonferenz (KMK) 2003/04


durchgeführte D. galt der Deutsch- und Englisch-
Kompetenz von Lernenden der 9. Jahrgangsstufe
in allen Schulformen. Erfasst wurden die vier
Darstellendes Spiel ä Dramapädagogik ä Fertigkeiten des ä Hör- und ä Leseverstehens,
des ä Sprechens und ä Schreibens sowie Sozio-
Pragmatik, Sprachbewusstheit (ä Bewusstheit/
Deduktives Lernen. Das Konzept des d.L.s be- Bewusstmachung) und (ansatzweise) ä interkul-
zeichnet im Gegensatz zum ä induktiven Lernen turelle kommunikative Kompetenz. Die D. ist
ein wissenschaftliches und lerntechnisches Vor- als Ergänzung zur ersten ä PISA-Studie zu sehen.
gehen, welches auf Grundlage logischer und Wie bei PISA wurden Rahmenbedingungen über
kognitivierender Erschließungstechniken von umfangreiche Befragungen (Lehrerschaft, Schul-
allgemeinen (eher abstrakten) Gesetzmäßigkei- leitungen, Eltern) erhoben. Es wurden gängige
ten und Paradigmen zum Besonderen und Spe- Testformate (ä Tests) benutzt, wobei kommuni-
ziellen hinführt. In der schulischen Praxis be- kativ ausgerichteten Formaten der Vorzug gege-
deutet d.L. das Voranschreiten »von einer ben wurde. Einzelne Formate wurden im Rah-
grundsätzlichen Klärung des Unterrichtsthemas men des Projekts weiterentwickelt (C-Test,
[inhaltlich und/oder sprachlich zu vielfältigen semi-kreatives Schreiben, Sozio-Pragmatik, in-
Beispielen und Anwendungen« (Meyer 2007, terkulturelle Kompetenz). Untersucht wurde
110). Im Rahmen neuerer fremdsprachendi- eine repräsentative Stichprobe von 11.000 Ler-
daktischer Erkenntnisse und Theorien zeichnet nenden (alle Bundesländer). Eine Sonderstich-
sich zunehmend eine deutliche Verschiebung probe (Nordrhein-Westfalen) galt SuS mit Sach-
vom d.L. hin zu induktiven und damit entde- fachunterricht Englisch (ä Bilingualer Unter-
ckenden sowie handlungs- und schülerorien- richt). Einzelne Teilkompetenzen (Hörverstehen,
tierten Lernprozessen ab (ä Entdeckendes Ler- C-Test) wurden zu Beginn und am Ende des
nen, ä Handlungsorientierung, ä Lernerorien- Schuljahrs erhoben, um mögliche Lernfort-
tierung). Grund hierfür ist das gesteigerte schritte sichtbar zu machen. Die Studie wurde
Lernpotenzial und – damit verbunden – lang- ergänzt durch eine Video-Studie (Videographie,
zeitiger Sprach- und Wissenserwerb durch die Transkription und Auswertung von 105 Dop-
emotionale Involvierung (ä Emotion) der Ler- pelstunden Englischunterricht). Das DESI-Ge-
nenden in den Unterrichts- und Lernprozess samtbudget lag bei rund 4 Mio. Euro. Der Eng-
(vgl. Segermann 2001, 199). Dennoch kommt lisch-Teil wurde von Günter Nold (Uni Dort-
dem d.L. im FU weiterhin eine nicht zu ver- mund) und Konrad Schröder (Uni Augsburg)
nachlässigende Rolle zu – zum einen hinsicht- betreut; die Video-Studie von Andreas Helmke
lich pragmatischer Erfordernisse, zum anderen (Uni Koblenz-Landau). Die Federführung inner-
auf Grundlage lerntheoretischer Überlegungen halb des Konsortiums hatte Eckhard Klieme
(ä Lerntheorien). So gilt lehrergesteuertes d.L. (DIPF, Frankfurt).
als effektives Unterrichtsverfahren, welches Die D. ergab folgende zentralen Befunde:
»einen einheitlichen Orientierungsrahmen für Hauptschule, Realschule, Gymnasium und Ge-
alle schafft« (Doff/Klippel 2007, 63) und damit samtschule zeigen deutliche Leistungsprofile.
auch die Lernenden involviert, die die Vorgabe Das Gymnasium liegt an der Spitze, dicht ge-
eindeutiger Regel- und Gesetzmäßigkeiten be- folgt von der Realschule. Das Leistungsprofil
vorzugen (ä Lernertypen). der Gesamtschule ist zwischen Haupt- und Re-
Lit.: S. Doff/F. Klippel: Englischdidaktik. Praxishand- alschule angesiedelt, mit geringerem Abstand
buch für die Sekundarstufe I und II. Bln 2007. – zur Hauptschule. Die Ergebnisse der Haupt-
M. Meyer. Unterrichtsmethoden. Praxisband. Bln 122007 schule liegen deutlich unterhalb der Erwartun-
[1987. – K. Segermann. Wie kann ›Grammatik‹ ge- gen der KMK (Niveau A1+ / A2 des ä Gemein-
lernt werden? In: W. Börner/K. Vogel (Hg.): Gramma-
tik lehren und lernen. Didaktisch-methodische und samen europäischen Referenzrahmens). Alle
unterrichtspraktische Aspekte. Bochum 2001, 193– Schulformen, auch das Gymnasium, weisen
207. NG eine erhebliche Leistungs-Heterogenität auf; die
Profile überlappen deutlich.
Die ganzheitliche Sicht auf die Schülerkom-
DESI-Studie (Abkürzung für Deutsch-Englisch- petenzen (C-Test, hohe Korrelation mit den
Schülerleistungen-International). Die im Auftrag sprachpraktischen Einzelbefunden) ergab fünf

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_4, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
41 DESI-Studie

empirisch validierte Kompetenzniveaus (A – B über solide Englisch-Grundkenntnisse: Alltägli-


– C – D – E), die auf der Skala des Referenz- che Kommunikation bezogen auf bekannte
rahmens etwa zwischen A1- und B2 anzusie- Sachverhalte ist möglich. An Haupt- und Ge-
deln sind. Lediglich 64 % der Lernenden sind samtschule zeichnet sich ein anderes Bild ab:
oberhalb des DESI-Niveaus A angesiedelt. An der Hauptschule befinden sich 70 % (Ge-
Diese SuS  sind mindestens in der Lage, kurze samtschule: 61 %) der Lernenden auf Niveau A
Texte zu  rezipieren, sie zu rekonstruieren und oder darunter; 21 % (Gesamtschule: 23 %) er-
dabei fremdsprachliches Wissen und Text- reichen das Niveau B; auf Niveau C und darü-
erschließungsstrategien in unterschiedlichem ber befinden sich lediglich 8 % (Gesamtschule
Maße anzuwenden. 20 % der Lernenden ins- 16 %) der Lernenden. Dabei sind beachtliche
gesamt erreichen das DESI-Niveau B. Sie kön- Überschneidungen vorhanden: Die besten
nen leichte, konkrete Texte, die sich auf alltäg- Haupt- und Gesamtschüler/innen schneiden
liche Themen beziehen, rekonstruieren. Ihr da- besser ab als die schwächsten Schüler/innen am
bei eingesetztes sprachliches Können bezieht Gymnasium. Die Leistungsstreuung ist in der
sich auf hochfrequenten Wortschatz der All- Gesamtschule am größten. Hauptschule und
tagssprache und gebräuchliche grammatische Realschule weisen in etwa dieselbe Streubreite
Strukturen. Das DESI-Niveau C erreichen 30 % auf, wohingegen sich am Gymnasium die ge-
der Lernenden. Sie beherrschen über Grund- ringste Streuung zeigt. Doch ist auch das Gym-
wortschatz und -grammatik hinaus auch weni- nasium weit von einer leistungshomogenen
ger frequente Phänomene. Sie können unkom- Schülerschaft entfernt: Alle Niveaus von A bis
plizierte Texte auch jenseits des eigenen Interes- E sind vorhanden, wobei Niveau C den breites-
sengebietes rezipieren und rekonstruieren. ten Raum einnimmt.
Immerhin 12 % der Lernenden (DESI-Niveau Schulformunabhängig ergeben sich im Ver-
D) verfügen über ausgeprägte Lese- und Inter- lauf der 9. Jahrgangsstufe deutliche Lernzu-
polationstechniken; sie können ihr sprachliches wächse. So sinkt etwa die Zahl der unter Niveau
Wissen teilautomatisiert und so effizient ein- A angesiedelten Hauptschüler/innen ebenso wie
setzen, dass sie auch komplexe Texte jenseits die der Gesamtschüler/innen um annähernd
der eigenen Lebenswelt erschließen und, einmal 10 %; deutlicher noch sinkt die Zahl der auf
rekonstruiert, auf ihren Sinn überprüfen kön- Niveau C angesiedelten Gymnasiast/innen. Lag
nen. Auf dem obersten Niveau E, für das eine am Gymnasium der Mittelwert zu Beginn der
weitgehend automatisierte Sprachverarbeitung 9.  Jahrgangsstufe noch im mittleren Kompe-
(ä Automatisierung) und die gekonnte Nutzung tenzniveau C, so verschiebt er sich bis zum Ende
verschiedenster Lese- und Sinnerschließungs- des Jahres in dessen oberen Bereich. Am Gym-
techniken angesetzt wird, sind 3 % der Lernen- nasium nimmt die Zahl der SuS auf den Kom-
den zu finden: Sie können praktisch alle Arten petenzniveaus D und E um mehr als 15 % zu.
von Texten erschließen und rekonstruieren. Erschreckend sind die Befunde im Bereich
Vermehrte pädagogische Aufmerksamkeit sollte Hörverstehen. Zu Beginn der 9. Jahrgangsstufe
den 36 % Lernenden zukommen, die auf Kom- befindet sich rund ein Drittel der SuS unterhalb
petenzniveau A oder darunter angesiedelt sind: des untersten von drei für diese Fertigkeit empi-
Während die 24 % auf Niveau A zumindest risch ermittelten Kompetenzniveaus: Sie kön-
basale Sprachverarbeitungskapazitäten nutzen nen noch nicht einmal konkrete Einzelinforma-
können und in der Lage sind, hochfrequente tionen im Rahmen alltäglicher Kommunikation
Phänomene aus einem teils auswendig gelern- verstehen, wenn diese explizit an der Textober-
ten Repertoire sprachlich darzustellen, verfügen fläche liegen und in einfacher Sprache deutlich
die 12 % unterhalb dieses Niveaus nach fünf präsentiert werden, und sie sind allenfalls parti-
bis sieben Jahren Englischunterricht nicht ein- ell in der Lage, eine begrenzte Anzahl von In-
mal über einfachste Anfangskenntnisse. formationen beim Hören zu verknüpfen, um
90 % der Gymnasiast/innen befinden sich, übergreifende Hauptaussagen zu verstehen. In
holistisch betrachtet, auf oder über dem DESI- der Hauptschule liegt die Zahl der Lernenden
Niveau C, knapp 44 % auf oder über Niveau D. in dieser Kategorie bei 80 %, in der Gesamt-
An der Realschule sind 44 % der Lernenden auf schule bei 70 %. Bis zum Ende der 9. Klasse
oder über dem Niveau C angesiedelt, 28 % auf sinken diese Werte um etwa 10 %.
Niveau B, aber auch 28 % darunter. Die Mehr- Ähnlich problematisch sind die Befunde für
heit der Realschüler/innen verfügt demnach das Leseverstehen (vier empirisch ermittelte
DESI-Studie 42

DESI-Niveaus A bis D): 44 % der Lernenden nur grobmaschig erreicht wird. Ein Viertel der
insgesamt können die Aufgaben des Niveaus A Proband/innen (Niveau C) kann unkomplizierte
nicht hinreichend lösen. Noch für das Ende der Texte in hinreichend korrekter und meist ange-
9. Klasse gilt, dass 70 % der Haupt- und Ge- messener Sprache verfassen und die kommuni-
samtschüler/innen, 40 % der Realschüler/innen, kative Botschaft insgesamt wirksam vermitteln.
aber auch 10 % der Gymnasiast/innen unter- 4 % der Lernenden (Niveau D) verfügen über
halb des Niveaus A angesiedelt sind. Auch und ein recht ausgeprägtes Sprachvermögen, das sie
gerade hier zeigt sich erneut die völlige Hetero- befähigt, klare und detaillierte Texte zu ver-
genität der Schulformen: An allen Schulfor- schiedenen Themen zu verfassen, wobei Forma-
men – selbst an der Hauptschule – finden sich lia eingehalten werden und ein breit ausgefä-
alle vier Kompetenzniveaus, wobei die Niveaus chertes und angemessenes Sprachvermögen ge-
C und D an Haupt- und Gesamtschule nur mit zeigt wird. 0,1 % der Lernenden (Niveau E)
wenigen Prozenten vorkommen, während sie zeichnen sich durch angemessene, gut struktu-
am Gymnasium 50 %, an der Realschule 20 % rierte, flüssige Texte zu komplexen Themen in
der Schülerschaft betreffen. lesergerechtem Stil aus. Aufmerken lässt auch
Positiver fallen die (an den ä Gemeinsamen hier wieder der auf Kompetenzniveau A und
europäischen Referenzrahmen angebundenen darunter angesiedelte Teil der Schülerschaft
und daher international vergleichbaren) Ergeb- (38 %). Ein Viertel der Lernenden insgesamt
nisse für die mündliche Produktion aus. Dies ist (unter Niveau A) kann zwar einfache Wendun-
ein Zeichen dafür, dass dieser Bereich im Unter- gen und Sätze zu bekannten Themen schreiben,
richt weit im Vordergrund steht: Gymnasium doch eine kommunikativ wirksame Botschaft
und Realschule reichen bis in das Abiturniveau oder gar eine Adressatenorientierung kommen
B2 hinein, Hauptschule und Gesamtschule er- nicht zustande.
reichen zumindest B1. An Haupt- und Gesamt- Die D. hat eine Fülle weiterer wichtiger Er-
schule liegt die Zahl der SuS unterhalb von A1 gebnisse erbracht. So besteht im gesamten Be-
bei 15 % bzw. 10 %, an der Realschule bei we- reich der Englisch-Kompetenzen ein zumeist si-
niger als 5 % (Gymnasium: 0 %). Rechnet man gnifikanter Vorsprung der Mädchen. Am ge-
die SuS auf A1-Niveau hinzu, so verdüstert sich ringsten ausgeprägt ist er im Hörverstehen, am
allerdings das Bild: Fast zwei Drittel der deutlichsten in der Textproduktion (dicht ge-
Hauptschüler/innen und gut die Hälfte der Ge- folgt vom C-Test). SuS mit nicht-deutscher
samtschüler/innen befinden sich auf A1 und Muttersprache (mehrheitlich in Haupt- oder
darunter, für die Realschule liegt diese Zahl der Gesamtschule angesiedelt) schneiden aufgrund
A1-Lerner/innen bei etwa 30 % (Gymnasium ihrer ä Mehrsprachigkeit tendenziell besser ab
immerhin noch 5 %). Damit entsprechen nur als vergleichbare monolingual deutsch aufge-
etwa 30 % der Hauptschüler/innen in ihrer wachsene SuS. Wie bei PISA 1 deuten auch die
mündlichen Leistung dem von der KMK für die- DESI-Befragungen darauf hin, dass die soziale
sen Bildungsgang als Abschluss-Niveau genann- Indikation Leistungsverhalten hochgradig be-
ten Niveau A2 (Gesamtschule: rund 40 %). Ein einflusst.
Viertel der Gymnasiast/innen erreicht bereits in Die Video-Studie zeigt, dass der Englischun-
der 9. Klasse das Niveau B2, 2 % sind sogar auf terricht weit von seinem didaktisch und auch
Niveau C1 (oberes Niveau Abitur) angesiedelt. methodisch wünschbaren Niveau entfernt ist:
Die Befunde für semi-kreatives Schreiben Der Sprechanteil der Lehrerschaft ist mit 70 %
(fünf empirisch gewonnene DESI-Kompetenz- der Unterrichtszeit viel zu hoch und dabei kei-
niveaus A bis E) spiegeln die Ergebnisse für die neswegs immer sprachlich vorbildlich; die Leh-
übrigen Fertigkeiten: 62 % der Lernenden lie- rerschaft verfügt nicht durchgängig über ad-
gen auf oder über Niveau B und sind damit in äquate ä Kompetenzen im Bereich der kommu-
der Lage, einen persönlichen Brief oder einen nikativen Mündlichkeit, sie ist daher nicht in
Schülerzeitungsbericht mehr oder weniger der Lage, einen classroom discourse zu pflegen,
kommunikativ wirksam zu verfassen. Etwa die der, kommunikativ anspruchsvoll, deutlich über
Hälfte dieser Lernenden schafft es allerdings ein schmales Korpus von stereotypen classroom
nur, einen kurzen und einfachen Text zu erstel- phrases hinausgeht.
len und darin in meist linearer Reihung persön- Lit.: B. Beck/E. Klieme (Hg.): Sprachliche Kompe-
lich Erlebtes oder Alltägliches darzustellen, tenzen. Konzepte und Messung. D. Weinheim/Basel
wobei die gewünschte kommunikative Wirkung 2007. – DESI-Konsortium (Hg.): Unterricht und Kom-
43 Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

petenzerwerb in Deutsch und Englisch. Ergebnisse der die sprachliche Verfasstheit von Gesellschaften
D. Weinheim/Basel 2008. – K. Schröder/C.  Harsch/ geht.
G. Nold: DESI. Die sprachpraktischen Kompetenzen
In seinen historischen Darstellungen unter-
unserer Schülerinnen und Schüler im Bereich Englisch.
Zentrale Befunde. In: Neusprachliche Mitteilungen scheidet Glück (2002) zwischen der ›Sache‹
aus Wissenschaft und Praxis 59 (2006), 11–32. DaF und ihrer Institutionalisierung als Schul-
KoSch fach oder aber als akademisches Fach. Als
Fremdsprache in Europa seit dem Mittelalter
gelernt, finden wir DaF als Schulfach erstmals
Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Von den im 19. Jh., als ›akademisches Hilfsmittel‹ exis-
knapp 130 Mio. Sprecher/innen, die Ethno- tiert es seit 1900, als akademisches Fach seit
logue (eine vom Summer Institute of Linguis- den 1970er Jahren. Für DaZ gilt, dass es als
tics, SIL, betriebene Datenbank zur Erfassung Modalität der Sprachaneignung im Zuge von
der Sprachen der Welt) für das Deutsche ver- (Im-)Migrationsprozessen verstärkt in den Blick
zeichnet, werden 52,7 Mio. als L2 Sprecher/in- kommt. In den deutschsprachigen Ländern wird
nen – hier ohne Differenzierung in Zweit- und es in den 1970er Jahren Gegenstand der gesell-
Fremdsprache – geführt. Die Zahl der Deutsch- schaftlichen und wissenschaftlichen Aufmerk-
lernenden weltweit beläuft sich laut einer Erhe- samkeit. In der Fachentwicklung konnte DaZ
bung des Netzwerks Deutsch von 2015 auf auf den Erfahrungen des Faches DaF aufbauen
rund 15,4 Mio., ist vielerorts konstant bzw. und trägt umgekehrt auch zur Weiterentwick-
zeigt einen positiven Trend. Gleichzeitig bestä- lung des Gesamtfaches bei, dessen Thema die
tigt sich die Entwicklung, dass Deutsch mehr- Rolle der deutschen Sprache in einer zuneh-
heitlich als zweite Fremdsprache gelernt wird, mend durch Mehrsprachigkeit und Migration
wodurch die Förderung von ä Mehrsprachig- gekennzeichneten Welt ist, so dass Sprachver-
keit in Bildungssystemen für Deutsch eine ent- mittlung außerhalb der amtlich deutschsprachi-
scheidende Bedeutung erhält (vgl. Auswärtiges gen Regionen nicht losgelöst von der sprach-
Amt 2015). Eine erste Unterscheidung zwischen lichen Verfasstheit der Einwanderungsgesell-
DaF und DaZ wird meist dahingehend getrof- schaften gesehen werden kann.
fen, dass DaF auf die spezifische Situation des In den Publikationsorganen, die von zentra-
Fremdsprachenlernens außerhalb des deutschen len Akteuren des Fachs, Instituten, Mittlerorga-
Sprachraums und DaZ auf den Erwerb des nisationen und ä Verbänden (mit)herausgege-
Deutschen im deutschsprachigen Kontext bezo- ben werden (ä Zeitschriften), findet sich das
gen wird. Fach in seiner wissenschaftshistorischen Ent-
Neben der Gegenüberstellung von Sprachen- wicklung und seiner disziplinären Breite abge-
lernen und Spracherwerb, die in den 1990er bildet. Die Organe beinhalten programmatische
Jahren in der Bundesrepublik Deutschland zu und theoretische Beiträge ebenso wie Beiträge
einer institutionellen Trennung von Zweitsprach- zur Curriculumsdiskussion, zu Prüfungen und
erwerbsforschung (ä Spracherwerb und Sprach- ä Zertifikaten sowie zur Vermittlungspraxis
erwerbstheorien) und ä Sprachlehrforschung und verweisen in ihren Bezeichnungen auch auf
geführt hatte, werden im Versuch der Abgren- die jeweilige fachliche Ausrichtung. Zu nennen
zung von DaF und DaZ – oft auch in Konstel- sind das Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache/
lationen mit Deutsch als Muttersprache – die Intercultural German Studies, die vom Herder
Differenzierung nach Lernorten, d. h. innerhalb Institut Leipzig herausgegebene Zeitschrift
oder außerhalb der amtlich deutschsprachigen Deutsch als Fremdsprache: Zeitschrift zur
Regionen, ebenso bemüht wie die spezifischen Theorie und Praxis des Faches Deutsch als
Charakteristika der Lernsituation, für die man Fremdsprache, die vom Goethe Institut heraus-
eine Unterscheidung in existentiell notwendig gegebene Zeitschrift Fremdsprache Deutsch:
versus distanziert instrumentell trifft. Jenseits Zeitschrift für die Praxis des Deutschunter-
der Unterscheidung entlang dieser Differenz- richts, die vom DAAD in Zusammenarbeit mit
linien herrscht jedoch weitgehend Konsens dem Fachverband Deutsch als Fremdsprache
darüber, dass eine isolierte Betrachtung der herausgegebene Zeitschrift Info DaF sowie die
Fremd- oder Zweitsprache den Gegenstand ex- Zeitschrift Zielsprache Deutsch.
trem verkürzt und es abgesehen von den didak- Lit.: U. Ammon: Die Stellung der deutschen Sprache
tischen und methodischen Notwendigkeiten in der Welt. Bln et al. 2015. – Auswärtiges Amt (Hg.):
der Verwendung der Begriffe immer auch um DaF weltweit. Datenerhebung 2015: www.daad.de/
Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 44

medien/der-daad/unsere-aufgaben/deutsche-sprache/ Frage, wie D.en sprachlich erzeugt, angefochten


pdfs/daad_germanistik_netzwerk-deutsch_datener und verworfen werden können. In der ä Kultur-
hebung_2015.pdf – H. Barkowski/H.-J. Krumm (Hg.):
und ä Literaturdidaktik spielt D. eine zentrale
Fachlexikon Deutsch als Fremd- und Zweitsprache.
Tüb./Basel 2010. – H. Glück: DaF in Europa vom Rolle z. B. in Ansätzen des ä Fremdverstehens
Mittelalter bis zur Barockzeit. Bln/N. Y. 2002. – H.-J. und des ä interkulturellen Lernens, wo SuS
Krumm et al. (Hg.): Deutsch als Fremd- und Zweit- durch die Begegnung mit D.en ethnozentrische
sprache. Ein internationales Handbuch. Bln/N. Y. Wahrnehmungen und Normen relativieren so-
2010. AnB wie die Perspektiven- und Stimmenvielfalt
fremdsprachiger Kulturräume kennenlernen.
Diagnose ä Leistungsermittlung Begründen lässt sich der kritische und offene
Umgang mit D. auch über die ä Inhaltsorientie-
rung des FUs. D.en als Knotenpunkte soziokul-
Didaktik ä Allgemeine Didaktik, ä Methodik tureller Bedeutungsaushandlungen bieten dem
an ä Standards orientierten FU bildungsrele-
vante (ä Bildung), nicht-triviale Inhalte. Gleich-
Didaktische Analyse ä Unterrichtsplanung zeitig ist die Pluralität von D.en ein zentraler
Aspekt persönlicher Lebensumgebungen von
SuS in einer durch ä Globalisierung, Migration
Differenz. Als kulturelles Phänomen beschreibt und dem Aufbrechen traditioneller Strukturen
D. das Ergebnis sozialer und diskursiver Prak- geprägten Welt. Insgesamt wird D. im FU nicht
tiken des Unterscheidens entlang von Demar- als ontologisch-absolutes, sondern als relatio-
kationslinien wie Gender, sexueller Orientie- nal-dynamisches Phänomen begriffen, das durch
rung, sozioökonomischem Status, ethnischer Lern- und Verstehensprozesse wandelbar ist.
und religiöser Zugehörigkeit, Behinderung, Al- Für den FU ergibt sich die unmittelbare Frage,
ter oder nationaler Herkunft. Im Strukturalis- welche D.linien in der Theoriebildung und der
mus sind solche D.kategorien als binäre Oppo- Unterrichtspraxis aktiv sind. Die traditionell im
sitionen artikuliert und organisiert, wobei rela- Mittelpunkt des FUs stehende D.linie zwischen
tionale Begriffspaare (z. B. weiblich-männlich) der Ausgangskultur der SuS und der fremdspra-
als grundlegend für die Herausbildung sprach- chigen Zielkultur (z. B. UK, USA, Frankreich,
licher Bedeutung und sozialer Identitäten gel- Spanien) ist in der kulturdidaktischen Entwick-
ten. Aus poststrukturalistisch-dekonstruktivis- lung von der ä Landeskunde und dem interkul-
tischer Sicht wird die vermeintliche Neutralität turellen Lernen hin zum ä transkulturellen Ler-
binär gedachter D. kritisiert und ihre Tendenz nen und zur ä Global Education zunehmend
zu Vereinheitlichung, Stereotypisierung (ä Ste- dekonstruiert worden. Zum einen gilt ein binär-
reotyp), Hierarchisierung und Marginalisie- essentialistisches und monolithisches Verständ-
rung herausgearbeitet, die im Extremfall D. als nis von Eigen- und Fremdkultur in Anbetracht
otherness in Abweichung zu dominanten gesell- kultureller Komplexitäten und globaler Ver-
schaftlichen Normen konstruiert. Daraus ergibt knüpfungen als unhaltbar. Zum anderen wird
sich auch für den FU, das Verständnis von D. zu ein vorrangig national geprägtes Verständnis
pluralisieren und das ausgeschlossene ›Andere‹ von ä Kultur zugunsten eines vielfältigeren An-
im Diskurs zu repräsentieren, um die Komple- satzes aufgegeben, der auch D.kategorien wie
xität soziokultureller Wirklichkeiten zu erfas- Gender, sexuelle Orientierung oder Ethnizität
sen. Aushandlungen des D.begriffs finden sich als kulturell begreift (ä Genderorientierte An-
in verschiedenen ä Bezugsdisziplinen des FUs sätze). Daraus leitet sich die Herausforderung
(z. B. in Philosophie, Soziologie und Pädagogik ab, D. als kulturelle Diversität im FU zu reprä-
oder postkolonialen, queeren und Gender-The- sentieren und zu thematisieren (z. B. über neue
orien). Schwerpunkte im ä Kanon literarischer Texte
Die Erfahrung, Thematisierung und Refle- oder in ä Lehrwerken). Unter Rückgriff auf
xion kultureller D. kann als konstitutives Ele- Kumashiros (2002) kritische Pädagogik lässt
ment des FUs konzeptualisiert werden, da die sich konstatieren, dass D. im Unterricht nicht
Begegnung mit fremden Sprachen, Kulturen nur education for the other (ä Heterogenität)
und Literaturen immer auch einen Umgang der bedeutet, sondern auch einen Zweiklang aus
SuS mit D.en einfordert. Im Kontext fremd- education about the other und education that is
sprachiger ä Diskursfähigkeit ergibt sich z. B. die critical of privileging and othering einfordert,
45 Differenzierung

in dem SuS reflexiv und dialogisch etwas über finden kann, sind vielfältig. SuS könnten prinzi-
(marginalisierte) D.en lernen und jene Normen piell nach allen eingangs genannten Lernervari-
und Privilegien hinterfragen, die D. soziokultu- ablen wie Alter, Geschlecht, Religion, ethni-
rell und diskursiv herstellen. schem Hintergrund usw. gruppiert werden.
Lit.: M. Currie: Difference. Ldn 2004. – K. Kuma- Praktisch bedeutsam ist in Deutschland aller-
shiro: Troubling Education. Queer Activism and Anti- dings in den meisten Fällen die D. nach Leis-
oppressive Pedagogy. N. Y. 2002. – T. Merse: Other tungsfähigkeit oder seltener nach Interessen
Others, Different Differences. Queer Perspectives on (wahlobligatorische bzw. wahlfreie Lehr- und
Teaching English as a Foreign Language. Münster
2017. ThM Lernangebote).
Um Unterricht durchführen zu können, der
Individualisierung von Lernprozessen möglich
Differenzierung. In pluralistischen Gesellschaf- macht, müssen einige Voraussetzungen erfüllt
ten mit divergierenden Lebensstilen und Wert- sein: (1) Die neurobiologische Forschung hat
vorstellungen werden auch Schülerpopulatio- unter anderem zu einem neuen Verständnis des
nen immer heterogener. SuS einer Lerngruppe Zusammenwirkens von kognitiven und emoti-
können sich beträchtlich in ihren Persönlich- ven Prozessen geführt (vgl. z. B. Caspary 2009).
keitsmerkmalen unterscheiden. Dies betrifft Es wurde z. B. nachgewiesen, dass sich emotio-
(sich bedingend) sowohl anthropogen-psycho- nale Erregungszustände stark förderlich oder
logische wie auch soziokulturelle Variablen wie hinderlich auf Lernprozesse auswirken (ä Emo-
Alter und individueller Entwicklungsstand, ge- tion). Die Gestaltung einer angenehmen, ent-
netisches Potenzial, intellektuelles Leistungsver- spannten und anregenden Lernumgebung hat
mögen (Fähigkeiten/Begabungen, Lerntempo, auf den Erfolg von Lernprozessen großen Ein-
Lernmodi), differentielle Lebensumwelten und fluss (ä Neurodidaktik). Positive oder negative
damit unterschiedliche Erfahrungen und Vor- Gefühle richten sich auch auf die Lernpartner;
kenntnisse, soziale und kulturelle Hintergründe, besonders in heterogenen Lerngruppen ist da-
(mutter)sprachliche Fertigkeiten, Interessen her ein von gegenseitiger Achtung, Anerken-
und Bedürfnisse, Arbeitshaltung und Selbst- nung und Wertschätzung getragenes Klima
konzept (Motivation, Ausdauer, Konzentrati- Grundvoraussetzung erfolgreichen Arbeitens.
onsfähigkeit, Belastbarkeit), Disziplin (Bereit- (2) Die zentrale Rolle der Lehrperson für den
schaft sich anzustrengen und einzuordnen), so- Lernprozess der SuS wird nach Jahren starker
ziale Fähigkeiten im Umgang mit Lehrenden Methodenorientierung wieder deutlicher arti-
und Mitschüler/innen und vieles andere mehr. kuliert. Lehrende, die über ein psychogenes
Aus lernpsychologisch-konstruktivistischer Gleichgewicht und hohe Berufszufriedenheit
Sicht (ä Konstruktivismus/Konstruktion) ist verfügen, übertragen dieses positive Befinden in
ä Heterogenität bei Lernprozessen der Normal- hohem Maße auf ihre SuS. (3) Wenn Lernende
fall. Lernen wird als ein hochgradig individuel- zunehmend selbständig an interindividuell un-
ler und subjektiver Prozess gesehen. Lernpro- terschiedlichen Lerngegenständen arbeiten sol-
zesse laufen in Abhängigkeit von der kognitiven, len (ä Autonomes Lernen), dann setzt das eine
emotionalen und motivationalen Struktur des ausgeprägte ä Methodenkompetenz voraus. SuS
Einzelnen bei jedem Menschen unterschiedlich müssen lernen, das eigene Lernen zunehmend
ab. Eine Implikation für die Gestaltung fremd- selbständig zu planen und zu gestalten, zu re-
sprachenunterrichtlicher Lehr-Lern-Prozesse ist flektieren, zu regulieren und zu bewerten. Da-
die Notwendigkeit der stärkeren ä Individuali- für sind sowohl indirekte (fachunabhängig bzw.
sierung des Lernens. Individualisierung in die- fächerübergreifend auf das Lernverhalten im
sem Sinne heißt »jeder Schülerin und jedem Allgemeinen gerichtete) als auch direkte (kon-
Schüler die Chance zu geben, ihr bzw. sein mo- kret auf den Lerngegenstand Sprache bezogene)
torisches, intellektuelles, emotionales und sozi- ä Lernstrategien zu entwickeln.
ales Potenzial umfassend zu entwickeln und sie Um jedem und jeder Lernenden Möglichkei-
bzw. ihn durch geeignete Maßnahmen zu un- ten der optimalen Entwicklung bieten zu kön-
terstützen« (Meyer 2004, 97). Ein pragmati- nen und Unter- bzw. Überforderungen zu ver-
sches Mittel zur Individualisierung des Lernens meiden, ist es nötig, den jeweiligen aktuellen
im schulischen Kontext stellen Maßnahmen Entwicklungs- und Leistungsstand, Lernpoten-
differenzierten Unterrichtens dar. Die Kriterien, ziale und eventuelle Lernhindernisse im Hin-
nach denen D. in Schule und Unterricht statt- blick auf das fachspezifische Vorwissen, das
Differenzierung 46

bereichsspezifische Vorwissen und das vorhan- ner konkreten Lernsituation einen konkreten
dene relevante Weltwissen zu ermitteln und zu Lerngegenstand schwieriger oder leichter
überprüfen (ä Vorwissen). Deshalb ist es unum- macht, fehlen jedoch bislang. Erkenntnisse der
gänglich, im Unterricht den nötigen Freiraum ä Bezugswissenschaften, wie der ä Sprachwis-
für diagnostische Verfahren wie z. B. gezielte senschaft oder der Spracherwerbsforschung
Beobachtung (Beobachtungsbögen), diagnosti- (ä Spracherwerb und Spracherwerbstheorien),
sche Gespräche und Befragungen einzelner SuS sind auf den Spezialfall schulischen Fremdspra-
oder von Schülergruppen, Fehleranalyse schrift- chenlernens sicher nur bedingt unreflektiert zu
licher Texte (ä Fehler), gezielte Auswertung von übertragen. Eine pragmatische Vorgehensweise
Arbeitsprodukten (Inhaltsanalyse komplexer wäre, die SuS selbst das für sie vermeintlich
Leistungen, ä Portfolios, Lerntagebücher usw.) richtige Niveau auswählen und im Nachgang
bis hin zu ä Tests (standardisiert oder nichtstan- über Schwierigkeiten im Lernprozess reflektie-
dardisiert) zu schaffen (ä Leistungsermittlung). ren zu lassen. D. in den Aufgaben kommt häufig
Auf der Basis der diagnostizierten Lernausgangs- als erstes in den Sinn, wenn von D. im Unter-
lage lassen sich unter Beachtung der schuli- richt die Rede ist. Allerdings ist auch hier bisher
schen Rahmenbedingungen dann unterschiedli- noch unzureichend untersucht worden, was
che Verfahren differenzierten Unterrichts ein- genau den Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe
setzen. Wenn Individualisierung im FU wirklich ausmacht. Unterrichtspraktische Erfahrungen
ernst genommen werden soll, dann ist es eine zeigen, dass textinternale, linguistische Fakto-
logische Konsequenz, basierend auf der Dia- ren z. B. die Komplexität des Textes, die Menge
gnose des aktuellen individuellen Entwick- und Dichte (vermeintlich) unbekannter Lexik,
lungsstandes für den einzelnen Lerner auch rea- die Dichte grammatischer Strukturen usw. al-
listische, differenzierte ä Lernziele festzuschrei- lein nicht die Kriterien für das angenommene
ben und deren Erreichung durch differenzierte oder tatsächliche Anforderungsniveau sind.
Lernzielkontrollen zu überprüfen. An die Stelle Gerade textexternale Faktoren, wie z. B. das
interindividueller Leistungsvergleiche (Orien- Interesse und Vorwissen der Lernenden spielen
tierung am angenommenen Durchschnitt der eine erhebliche Rolle bei der subjektiven Ein-
Klasse) müssen häufiger intraindividuelle Leis- schätzung des Schwierigkeitsgrades. Weitere
tungsvergleiche (Kompetenzentwicklung des differenzierende Merkmale können die für die
oder der einzelnen Lernenden) treten. Die indi- Bearbeitung einer Aufgabe zur Verfügung ge-
viduelle Bezugsnorm (tatsächlich erreichter stellte Zeit und der Grad der gewährten Hilfe
Lernfortschritt in Bezug auf die Lernausgangs- bei der Bewältigung der Aufgaben sein. Da
lage) ist dann die legitime Grundlage der Leis- ä Hausaufgaben in der Regel in häuslicher Ein-
tungsbeurteilung. Für Lehrende und Lernende zelarbeit erledigt werden, sind gerade sie geeig-
bedeutet das, individuelle Fortschritte der Ein- net, auf ganz spezielle Neigungen und die indi-
zelnen in ihrer persönlichen Spezifik stärker zu viduelle Leistungsfähigkeit einzelner Lernender
akzeptieren und in ihrer Individualität zu re- oder von Lernergruppen zugeschnitten zu wer-
spektieren. den. Die D. kann dabei sowohl quantitativ
Die vermeintlich einfachste Form der D. ist (Anzahl und/oder Umfang der Aufgaben) als
die Vorgabe unterschiedlicher Komplexitäts- auch qualitativ (Schwierigkeitsgrad) erfolgen.
grade der Lerninhalte (Themen, Texte, Aufga- Um möglichst viele SuS über ihre bevorzug-
ben). Schule und Lehrenden wird immer wieder ten Wahrnehmungskanäle und Lernstile zu er-
vorgeworfen, Interessen und natürliche Neugier reichen (ä Lernertypen), ist es nötig, Arbeitswei-
der SuS durch das Vorschreiben von Unter- sen und Methoden des Unterrichtes vielfältig
richtsinhalten nicht genügend zu berücksichti- zu variieren. Dies betrifft sowohl die metho-
gen. Dabei ist gerade ein Lernen, das die Fragen dischen Großformen (ä Methodik) als auch
und Neigungen der Lernenden zum Ausgangs- unterschiedliche ä Sozialformen und Hand-
punkt nimmt (Interessen-D.), geeignet, indivi- lungsmuster (Lehrervortrag, Schülervortrag,
dualisiertes Lernen zu ermöglichen. Die meisten Diskussion, gelenktes ä Unterrichtsgespräch,
moderneren ä Lehrwerke für den FU bieten be- Rollenspiel usw.). Lehrmethodische D. lässt
reits differenzierte Aufgaben und ä Übungen, sich sowohl in geschlossenen als auch in offe-
seltener Texte unterschiedlichen Niveaus an. nen Unterrichtsformen durchführen (ä Offener
Zuverlässige, empirisch ermittelte Befunde Unterricht). Wichtigstes Kriterium für erfolg-
darüber, was für einen konkreten Lerner in ei- reiches Lernen ist der situationsangemessene
47 Direkte Methode

und intentionale Einsatz der jeweiligen Me- Diktat ä Schreiben


thode.
Eine weitere Möglichkeit der Individualisie-
rung des Lernens eröffnet sich durch den Ein- Direkte Methode. Am Ausgang des 19. Jh.s
satz vielfältiger Arbeitsmittel und Unterrichts- existierten Reformbestrebungen gegen die im
medien. Die Bandbreite der ä Medien reicht alt- und neusprachlichen Gymnasialunterricht
dabei vom differenzierenden ä Arbeitsblatt bis vorherrschende ä Grammatik-Übersetzungs-Me-
zu moderner ä Lernsoftware. D. kann dabei so- thode. Die neuen Ansätze wurden u. a. als die
wohl in den Unterrichtsmedien als auch durch natürliche, imitative, induktive und d.M. ge-
die Unterrichtsmedien initiiert werden (vgl. kennzeichnet. In Deutschland wurde zunächst
Stadtfeld 2005, 262). Bei der D. in den Medien, die Bezeichnung ›Reformmethode‹ bevorzugt,
erhalten die Lernenden die Möglichkeit, mit die keine der Neuerungen aus dem Bündel von
dem gleichen Ziel an den gleichen Inhalten aber Phonetik, Lautschrift, Mündlichkeit, Einspra-
mit unterschiedlichen Medien zu arbeiten. Im chigkeit, zentraler Rolle des Textes und induk-
zweiten Fall, der D. durch die Medien, werden tiver Grammatik speziell hervorhebt. Die Be-
Ziele, Inhalte und Methoden differenziert. Dies zeichnung d.M. setzte sich durch, weil sie eine
lässt sich natürlich besonders gut durch den radikale Neuerung markant benennt, nämlich
Einsatz der sog. Neuen Medien, also elektroni- das Prinzip des (angeblich) direkten, nicht
scher Medien erreichen (ä E-Learning). durch die Muttersprache vermittelten Zugangs
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass zur Fremdsprache. Der Ausschluss der Mutter-
es keine Hinweise darauf gibt, dass Lernende in sprache bezog sich auf drei Aspekte: Die Be-
homogenen Lerngruppen grundsätzlich bessere deutung neuer Wörter, Wendungen und Kon-
Lernfortschritte erreichen als in heterogenen struktionen sollte ohne Zuhilfenahme der
Gruppen. Allerdings bedeutet die Akzeptanz Muttersprache erfolgen, die Übersetzung als
von Heterogenität der Lerngruppen konse- Übungsform wegfallen und der Unterricht in
quenterweise auch die Akzeptanz eines verän- der Fremdsprache selbst durchgeführt werden.
derten Unterrichts. Die stärkere Kopplung von Ersteres setzte sich in der Schulpraxis nicht
kognitivem und sozialem Lernen ist dabei ein durch, zumal die Klassiker der Reform wie
wesentliches Merkmal solch veränderten Un- Henry Sweet und Wilhelm Viëtor keine grund-
terrichts. Ein stärker differenzierender und in- sätzlichen Einwände gegen die muttersprachli-
dividualisierender Unterricht verlangt also auch che Bedeutungsvermittlung hatten. Für die
ein verändertes Rollenverständnis seitens der neuen Lehrverfahren kamen deshalb Bezeich-
Unterrichtenden (ä Lehrer/in und Lehrerrolle), nungen wie ›vermittelnde Methode‹ und ›eklek-
das sich je nach Situation und intendierter Ziel- tische Methode‹ (engl. compromise method,
stellung im Spannungsfeld zwischen Initiator oral method) auf. In Frankreich gelang es einer
und Stimulator, Informant und Experte, Regu- Handvoll Pariser Aktivisten, die méthode di-
lator und Katalysator und Berater und Beurtei- recte in einem schulpolitischen »Staatsstreich«
ler bewegt. (vgl. Puren 1988) zu inthronisieren, die aber
Lit.: R. Caspary (Hg.): Lernen und Gehirn. Der Weg nach einem Jahrzehnt der Proteste von einer
zu einer neuen Pädagogik. Freiburg i.Br. 62009 [2006. méthode active abgelöst wurde. Der Name
– Friedrich Jahresheft XXII: Heterogenität. Unter- d.M. verbindet sich aber v. a. mit dem kauf-
schiede nutzen, Gemeinsamkeiten stärken. Seelze männisch versierten Deutschamerikaner Maxi-
2004. – H. Gardner: Intelligenzen. Die Vielfalt des
menschlichen Geistes. Stgt 32008 [2002. – F. Haß: milian D. Berlitz, der eine Reihe von Sprach-
Keiner wie der andere. Im differenzierenden Unterricht schulen gründete und Lehrmaterialien heraus-
Lernprozesse individualisieren. In: Der Fremdsprach- gab. Hier wird das direkte Prinzip in Reinkultur
liche Unterricht Englisch 94 (2008), 2–9. – H. Meyer: gepflegt: Das ganze Lehrmaterial und seine
Was ist guter Unterricht? Bln 62009 [2004. – P. Stadt- ä Progression werden kompromisslos der Ein-
feld: Heterogenität als Chance. Einsatzmöglichkeiten
Neuer Medien in heterogenen Lerngruppen. In:
sprachigkeit untergeordnet. So wird in den ers-
Ders./B. Dieckmann (Hg.): Allgemeine Didaktik im ten Stunden ein reiner Anschauungsunterricht
Wandel. Bad Heilbrunn 2005, 252–268. FH (object lessons) in einem Frage-und-Antwort-
Spiel betrieben: »Das ist ein Buch. Was ist das?
Das Buch ist gelb. Wie ist das Buch? Das Buch
Digitalisierung ä E-Learning, ä Lernsoftware, ist auf dem Tisch. Wo ist das Buch?« usw.
ä Medien Heute weiß man aus der Hirnforschung, dass
Direkte Methode 48

die ›Zeigedefinition‹ nicht ›direkter‹ ist als die kleinem ›d‹) interindividuelle, übergreifende
muttersprachliche Bedeutungsangabe. »The di- Redezusammenhänge herausbilden (›diskursive
rect method, then, is a misnomer« (Butzkamm/ Formation‹; ebd., 115), die eine thematische
Caldwell 2009, 75). Die ›Naturmethode‹ ist Kohärenz aufweisen und auf diese Weise das
anfangs zweisprachig, um bei entsprechenden in  einer Gesellschaft vorhandene Wissen und
Fortschritten in eine weitgehende Einsprachig- vorherrschende politische und ethische Vor-
keit zu münden. Die ä Immersion wird zum stellungen repräsentieren sowie das soziale
Hauptweg. Das Kernprinzip der d.M. lebt ter- Zusammenleben und die Herausbildung von
minologisch verjüngt im Prinzip der ä Einspra- Institutionen erzeugen. Fremdsprachige Kom-
chigkeit fort. munikationsakte schließen demnach durch Be-
Lit.: C. Puren: Histoire des méthodologies de l’en- zugnahme auf diese »existing prior language,
seignement des langues. Paris 1988. – A. P. R. Howatt/ accumulated over the life of a discourse com-
H. Widdowson: A History of English Language munity« (Kramsch 1998, 61) auch kulturell an
Teaching. Oxford 22004 [1984. – W.  Butzkamm/ die Verhandlungen fremdsprachiger Diskursge-
J. A. W. Caldwell: The Bilingual Reform. A Paradigm
Shift in Foreign Language Teaching. Tüb. 2009. meinschaften an.
WB Bildungstheoretisch erlaubt dieser ›große‹
Diskursbegriff eine genauere Füllung des für
die schulische Bildung geltenden allgemeinen
Diskursfähigkeit. Der Begriff der D. hat erst in Ziels der gesellschaftlichen, kulturellen und so-
jüngerer Zeit durch seine Aufnahme in die Bil- zialen Partizipation und der Entwicklung der
dungsstandards für das Abitur (ä Standards) ei- Lernenden zu mündigen Bürger/innen durch
nen zentralen Platz in den übergreifenden Be- die Ableitung der fremdsprachigen D. als Leit-
gründungen für das Fremdsprachenlernen ge- ziel des FUs. Darin findet der Zusammenhang
funden. Dort wird sie verstanden als eine von sprachlich-diskursiven Fähigkeiten einer-
»Verstehens- und Mitteilungsfähigkeit, die in- seits und inhaltlich-thematischer Verhandlung
haltlich zielführend, sprachlich sensibel und dif- über die Welt andererseits seinen Ausdruck (vgl.
ferenziert, adressatengerecht und pragmatisch Hallet 2011, 54 ff.; Bonnet/Decke-Cornill 2016).
angemessen ist« (KMK 2012, 9 f.). Mit dem Fremdsprachendidaktisch hat die Verpflichtung
Verweis auf »Themen, die fachlich, motivato- auf das Schlüsselkonzept der fremdsprachigen
risch und gesellschaftlich relevant sind«, und Teilhabe und der citizenship weitreichende Fol-
mit der Zielsetzung der »Befähigung zum münd- gen: Die Lernenden müssen als kulturelle Ak-
lichen und schriftlichen Diskurs« (ebd.) führen tant/innen betrachtet werden, die immer auch
die Bildungsstandards eine Ambiguität des Be- an realen gesellschaftlichen Prozessen partizi-
griffs mit, die auf dessen lange Geschichte und pieren; die Themen und Aufgaben sowie die
verschiedene disziplinäre Ursprünge verweist Unterrichtsdiskurse müssen realweltliche Dis-
(vgl. Hallet 2008). kurse modellieren; darüber hinaus müssen jen-
In der Bezugnahme auf mündliche oder seits des traditionellen Lesens und Schreibens
schriftliche Formen des Diskurses scheint die auch all jene semiotischen Modi vermittelt
Begriffstradition der Angewandten Linguistik werden, die an realweltlichen Diskursen betei-
durch, wo eine einzelne zusammenhängende ligt sind (ä Multiple Literacy, ä Intertextualität
(monologische oder dialogische) Äußerung als und Intermedialität). Schließlich erfordert die
discourse (mit kleinem ›d‹) aufgefasst wird. Sie Teilhabe an den Diskursen fremdsprachiger Kul-
ist also auf der Ebene oberhalb des einzelnen turen stets eine mehrsprachige und mehrkul-
Satzes angesiedelt als »conversation or [… turelle Dimension (ä Mehrsprachigkeit, ä Mehr-
larger units of talk, such as stories or songs« sprachigkeitsdidaktik) sowie die Fähigkeit zu
(Cameron 2001, 37; ä kommunikative Kompe- inter- und transkulturellen Aushandlungen
tenz). Dem steht ein Diskursbegriff mit großem (ä Interkulturelles Lernen; ä Transkulturelles Ler-
›D‹ gegenüber, der sich auf den größeren, kultu- nen).
rellen Zusammenhang zwischen einzelnen Äu- Lit.: A. Bonnet/H. Decke-Cornill: Inhalte zur Entwick-
ßerungen (oder ›Texten‹) in einer discourse lung sprachlicher und literarischer Kompetenzen. In:
community bezieht. Dieser ›große‹ Diskursbe- E. Burwitz-Melzer et al. (Hg.): Handbuch FU. Tüb.
6
2016 [1989, 157-162. – L. Cameron: Teaching Lan-
griff geht auf Michel Foucault (1981) zurück, guages to Young Learners. Cambridge 2001. –
der die Vorstellung entwickelt hat, dass sich M.  Foucault: Archäologie des Wissens. FfM 1981. –
jenseits einzelner Äußerungsakte (discourse mit W. Hallet: D. heute. Der Diskursbegriff in Piephos
49 Dramapädagogik

Theorie der kommunikativen Kompetenz und seine che Ausbildung angeboten wird, kamen Ende
zeitgemäße Weiterentwicklung für die Fremdspra- der 1970er/Anfang der 80er Jahre erste Impulse
chendidaktik. In: M. K. Legutke (Hg.): Kommunika-
für eine dramapädagogische Gestaltung von
tive Kompetenz als fremdsprachendidaktische Vision.
Tüb. 2008, 76–96. – W. Hallet: Lernen fördern. Eng- FU.
lisch. Kompetenzorientierter Unterricht in der Sekun- Mit Manfred Schewes Veröffentlichung
darstufe I. Seelze 2011. – KMK (Sekretariat der Stän- Fremdsprache inszenieren. Zur Fundierung ei-
digen Konferenz der Kultusminister der Länder in der ner dramapädagogischen Lehr- und Lernpraxis
BRD) (Hg.): Bildungsstandards für die fortgeführte (1993) wurde erstmalig der Versuch unternom-
erste Fremdsprache (Englisch/Französisch) für das
Abitur. Bln 2012. – C. Kramsch: Language and Cul- men, das Forschungsfeld D. im Fremd- und
ture. Oxford 1998. WH Zweitsprachenlehren und -lernen zu markieren.
Dieses wurde in einer Folgeveröffentlichung
(Schewe/Shaw 1993) aus internationaler Per-
Dolmetschen ä Sprachmittlung spektive weiter beleuchtet. Seither hat eine in-
tensivere wissenschaftliche Auseinandersetzung
stattgefunden (vgl. etwa den Forschungsüber-
Dramapädagogik. Seit den 1990er Jahren wird blick von Schewe 2007 und 2015 sowie Tschur-
in der deutschen fremdsprachendidaktischen tschenthaler 2013, Fleiner 2016 und Even/
Fachdiskussion in Anlehnung an das engl. Schewe 2016), und es ist zu beobachten, dass
Drama in Education (vgl. z. B. Bolton 1979) an diesem fachlichen Austausch verschiedene
der Begriff D. verwendet. Er bezieht sich auf die Fachdidaktiken intensiv beteiligt sind. Es gibt
Theorie und Praxis eines ästhetisch-ganzheitlich eine Fülle von zielgruppenspezifischen Praxis-
orientierten FUs (ä Ganzheitliches Lernen), in vorschlägen für verschiedene Teilbereiche des
dem die dramatische Kunst (insbesondere als fremdsprachlichen Unterrichts (Sprache, Lite-
Theaterkunst, aber durchaus im Zusammen- ratur, Kultur) wie auch etliche theoretisch de-
spiel mit anderen Kunstformen wie z. B. Film, tailliert ausgearbeitete Konzepte. Die einander
Performance Art, Storytelling, Oper) zur In- ergänzenden theoretischen Fundierungen dieser
spirationsquelle und zur Orientierung für das Konzepte umfassen u. a. Erkenntnisse aus der
pädagogische Handeln wird. Zugrunde liegt britischen Drama- und deutschen Theater-
ein Menschenbild, welches den Lernenden als pädagogik, den Sprach-, Literatur-, Landes-
ganzen Menschen ernst nimmt. Dieser An- kundewissenschaften und -didaktiken sowie
spruch spiegelt sich etwa in dem Leitsatz: »Im Forschungsperspektiven aus weiteren Bezugs-
dramapädagogischen Fremdsprachenunterricht feldern, etwa der Lernpsychologie, Neuropsy-
wird mit Kopf, Herz, Hand und Fuß gelernt chologie, Sozial- und Individualpsychologie,
und gelehrt!« (Schewe 1993, 8). Das im Psycholinguistik, Soziologie, Sozialpsychologie,
Adjektiv ›dramapädagogisch‹ enthaltene Wort Anthropologie, Intelligenz- und Kreativitäts-
›drama‹ geht etymologisch auf griech. dran in forschung. Für den Bereich Deutsch als Fremd-
der Bedeutung ›tun, handeln‹ zurück und hebt sprache sei beispielhaft die Drama Grammatik
damit den Aspekt der ä Handlungsorientierung von Susanne Even (2003) genannt, in der es um
besonders hervor. Lehrpersonen, die ihren FU eine dramatische Effektivierung des Gramma-
dramapädagogisch gestalten, haben nicht nur tikunterrichts geht, speziell um die Aufhebung
einen wissenschaftlichen, sondern auch einen der Diskrepanz zwischen Regelwissen und
explizit künstlerischen Anspruch an ihr päda- Sprachkönnen, sowie Ruth Hubers (2003)
gogisches Handeln und erwerben in Aus- und/ Konzept eines »aisthetisch-ästhetisch orientier-
oder Fortbildungsmaßnahmen entsprechende ten FUs«. In diesem ist die Freisetzung von
theoretische und praktische Grundlagen, z. B. ä Kreativität durch gezielte Wahrnehmungs-
in den Kernbereichen Schauspiel, Spielleitung schulung und Aktivierung aller Sinne der
und Szenisches Schreiben. Allerdings fehlt es fruchtbare Boden, auf dem Persönlichkeiten
dabei noch an einer adäquaten Infrastruktur in wachsen und ihre fremdsprachlichen Kompe-
den fremdsprachlichen Fächern bzw. in der tenzen entwickeln. Aus dem Blickwinkel der
Allgemeinen Pädagogik. Aus Großbritannien, Fachdidaktik ä Englisch veranschaulicht Bene-
wo das eigenständige Schulfach Drama bereits dikt Kessler (2008) durch sein Konzept einer
seit den 1950er Jahren etabliert ist und an be- »interkulturellen D.«, wie durch die Nutzung
stimmten Universitäten im Rahmen der Lehrer- des Potenzials der D. speziell das ä interkultu-
bildung eine entsprechende fachwissenschaftli- relle Lernen effektiv gefördert werden kann
Dramapädagogik 50

und in fiktiven Handlungskontexten ›dritte Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo
Orte‹ geschaffen werden als Orte der Vermitt- er spielt.« Seit der Antike reagiert die Kunst-
lung zwischen Eigenem und Fremdem (zu die- form Theater auf dieses Grundbedürfnis, indem
sem Schwerpunkt vgl. auch Crutchfield/Schewe sie Menschen die Möglichkeit gibt, aus ver-
2017). Darüber hinaus seien Beispiele aus an- schiedenen Blickwinkeln ihrem eigenen Han-
deren Fachdidaktiken erwähnt: Im Fach ä Spa- deln zuzuschauen, um die Ursachen und Wir-
nisch haben sich Ariza et al. (2007) intensiv mit kungen vergangenen und gegenwärtigen Han-
der Beziehung zwischen Theaterarbeit, Überset- delns besser zu verstehen und (zur Vorbereitung
zungstätigkeit (ä Sprachmittlung) und interkul- auf die Zukunft) im Schutzraum der Fiktion
turellem Lernen auseinandergesetzt und aus alternative Handlungsentwürfe zu erproben
übersetzungstheoretischer Perspektive beleuch- bzw. ›durchzuspielen‹. Dieses enorme Potenzial
tet, wie während der Inszenierungsarbeit (ä In- des Theaters kann in vielfältiger Weise für
szenierung) bereits im Spanisch-Anfängerunter- pädagogische Zwecke fruchtbar genutzt wer-
richt die Grundlagen für ein tieferes Verstehen den, gerade auch im FU, indem vergangene und
von Fremdkultur gelegt werden können. Im gegenwärtige fremdkulturelle Realität (in der
Fach ä Französisch entstand der auf Grundla- Wechselbeziehung zur eigenen) ›szenisch er-
gen des Psychodramas und der Dramaturgie forscht‹ bzw. auch Zukünftiges, beispielsweise
aufbauende Ansatz der »Psychodramaturgie das bevorstehende Auslandsjahr, vorerkundet
Linguistique« bzw. »Sprachdramaturgie« (Du- wird. Ein FU mit solchem Anspruch kann, je
feu 2003), der einen teilnehmer- und gruppen- nach Ansatz, stärker prozess- oder produktori-
orientierten FU favorisiert, in dem sorgfältig entiert sein (ä Prozessorientierung, ä Produkt-
aufeinander abgestimmte Projektions-, Assozi- orientierung), wobei eine explizit produktori-
ations- und Identifikationsübungen den Aus- entierte Ausrichtung, etwa im Sinne der Vorbe-
druckswunsch der Teilnehmer/innen stimulie- reitung einer Aufführung vor einem Publikum,
ren und in dem die Entwicklung der Lernerper- entsprechende institutionelle Rahmenbedingun-
sönlichkeit und systematischer Spracherwerb gen erfordert (vgl. Marini-Maio/Ryan-Scheutz
Hand in Hand gehen. In dem verwandten 2010; speziell in Bezug auf die kreative
Konzept von Daniel Feldhendlers (2009) »Re- Erarbeitung von eigenen Szenencollagen und
lationeller Dramaturgie« wird ein besonderer Theaterstücken vgl. Huber 2003). In den Un-
Schwerpunkt auf die Form des Playback-Thea- terrichtsalltag leichter zu integrieren ist die
ters gelegt, bei dessen Anwendung im FU z. B. dramapädagogische Gestaltung von kurzen
der Aufbau einer kommunikativen Atmo- Unterrichtssequenzen, Unterrichtsstunden bzw.
sphäre, der Abbau von Lern- und Sprechhem- evtl. auch mehrstündigen Unterrichtseinheiten
mungen sowie ein aktives Lernen angestrebt (über die genannten Konzepte hinaus finden
werden und das auf die Mitteilung biographi- sich entsprechende Praxisbeispiele für verschie-
scher, persönlicher Erlebnisse gerichtet ist. Im dene Zielgruppen z. B. in Tselikas 1999, Hallet/
Fach Italienisch haben Marini-Maio/Ryan- Surkamp 2015 sowie in den Ausgaben der
Scheutz (2010) aufgearbeitet, inwiefern speziell Fachzeitschrift Scenario). Zum Zweck einer
ein aufführungsbezogener FU zu curricularer inhaltlich anspruchsvollen Unterrichtsarbeit
Innovation führen und SuS das Tor zur frem- können im Sinne von »process drama« (Kao/
den Sprache, Literatur und Kultur öffnen kann. O’Neill 1998) diverse Materialien, z. B. Zeich-
Anhand der genannten Beispiele wird deut- nungen, Fotos, Texte, Gegenstände bzw. auch
lich, dass Fremdsprachendidaktiker/innen in Geräusche, Bewegungen oder Gesten den An-
Bezug auf die Theorie und Praxis eines drama- stoß geben für ineinandergreifende (performa-
pädagogischen FUs unterschiedliche Akzente tive) Unterrichtsaktivitäten, die auf die Schaf-
setzen, doch ist das dramapädagogische Lehren fung eines fiktiven Rahmens zielen, innerhalb
und Lernen auf dem folgenden allgemeinen dessen eine dramatische Handlung vorangetrie-
Hintergrund zu sehen: Spielen ist ein menschli- ben wird. Mittels entsprechender methodischer
ches Grundbedürfnis. Auf die dem Spiel inne- Mittel bzw. »dramatischer Konventionen« (vgl.
wohnenden besonderen Möglichkeiten für eine Neelands/Goode 2000) wird dabei immer wie-
ganzheitliche Entwicklung bezieht sich Fried- der Überraschung und Spannung erzeugt, wo-
rich Schiller in seinen Briefen zur Ästhetischen durch das Lernerinteresse wachgehalten wird.
Erziehung, wenn es dort heißt: »Der Mensch An diesem ›kreativen Improvisationsprozess‹
spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes (ä Improvisation) sind die Lehrperson und die
51 Dritter Ort

Lernenden in wechselnden Funktionen als Ak- (vgl. hierzu auch die Studie von Haack 2017 zu
teur/innen, Regisseur/innen, Dramatiker/innen einer performativen Lehrer/innenbildung).
bzw. auch Zuschauer/innen beteiligt. Im Laufe Lit.: M. Ariza et al.: The Madness of Imagining New
des Unterrichts entstehen immer wieder Hand- Worlds. In: Scenario 1/2 (2007). – G. Bolton: Towards
lungsprodukte in Form ›sinnlich erfahrbarer Drama as a Theory of Drama in Education. Harlow
Gestaltungen‹ (z. B. pantomimische Darstel- 1979. – J. Crutchfield/M. Schewe (Hg.): Going Perfor-
lung, Standbild, akustische Collage), bei deren mative in Intercultural Education. International Con-
texts, Theoretical Perspectives, Models of Practice.
Vorbereitung, Präsentation und Reflexion ver- Clevedon 2017. – B. Dufeu: Wege zu einer Pädagogik
bal und nonverbal intensiv gehandelt wird des Seins. Mainz 2003. – S. Even: Drama Grammatik.
(ä Nonverbale Kommunikation) und Lernende Dramapädagogische Ansätze für den Grammatikun-
in vielfältiger Weise ihr fremdsprachenbezoge- terricht Deutsch als Fremdsprache. Mü. 2003. –
nes Wissen und Können einbringen bzw. auch S. Even/M. Schewe (Hg.): Performatives Lehren, Ler-
nen, Forschen. Performative Teaching, Learning, Re-
systematisch erweitern können (vgl. z. B. die search. Bln 2016. – D. Feldhendler: Das Leben in
Praxisbeispiele und Forschungsergebnisse in Szene setzen. Wege zu einer relationellen Sprachdra-
Even 2003). maturgie. In: Scenario 3/1 (2009). – A. Haack: D.,
Entwicklungstendenzen in verschiedenen Selbstkompetenz und Professionalisierung. Performa-
Fachzusammenhängen lassen erwarten, dass tive Identitätsarbeit mit werdenden Englischlehrer/in-
nen im Studium. Stgt 2017. – W. Hallet/C. Surkamp
die D. verstärkt mit einer neuen, die Körper-
(Hg.): Dramendidaktik und D. im FU. Trier 2015. – G.
lichkeit stark akzentuierenden Lehr-/Lernkul- Helbig: Gibt es eine ›performative Wende‹ in der Lin-
tur assoziiert wird. Dass das Interesse an ihr guistik? Anspruch, Möglichkeiten und Grenzen. In:
stetig zunimmt, lässt sich z. B. daran erkennen, Deutsch als Fremdsprache 44/1 (2007), 6–10. –
dass auf Konferenzen häufiger ein Schwerpunkt R. Huber: Im Haus der Sprache wohnen. Wahrnehmung
D. vertreten ist, entsprechende Berufsverbände und Theater im FU. Tüb. 2003. – S. Kao/C. O’Neill:
Words Into Worlds. Learning a Second Language
entstehen und seit der Gründung der bilin- Through Process Drama. Stamford, Connecticut/Ldn.
gualen (Englisch-Deutsch) Online-Zeitschrift 1998. – B. Kessler: Interkulturelle D. Dramatische Ar-
Scenario im Jahre 2007 ein Forum für fachli- beit als Vehikel des interkulturellen Lernens im FU.
chen Austausch existiert (http://scenario.ucc. FfM 2008. – N. Marini-Maio/C. Ryan-Scheutz (Hg.):
ie). In den ä Kulturwissenschaften allgemein Set the Stage. Teaching Italian Through Theater. New
Haven 2010. – J. Neelands/T. Goode: Structuring
wird die Veränderung der Forschungsperspek- Drama Work. A Handbook of Available Forms in
tive von einem ›Text-Modell‹ hin zu einem Theatre and Drama. Cambridge 2000. – M. Schewe:
›Performance Modell‹ immer deutlicher. In der Fremdsprache inszenieren. Zur Fundierung einer dra-
fremdsprachenbezogenen Fachdiskussion ist mapädagogischen Lehr- und Lernpraxis. Oldenburg
diesbezüglich noch Zögerlichkeit zu registrie- 1993. – M. Schewe: Drama und Theater in der Fremd-
und Zweitsprachenlehre. Blick zurück nach vorn. In:
ren, zumal das Verständnis von ›performativ‹
Scenario 1 (2007). – M. Schewe: Fokus Fachge-
(im Rückgriff auf Chomsky) zumeist auf eine schichte. Die D. als Wegbereiterin einer performativen
linguistische Sicht verengt wird (z. B. Helbig Fremdsprachendidaktik. In: Hallet/Surkamp 2015,
2007). Performativität aber geht über die Zei- 21–36. – M. Schewe/P. Shaw (Hg.): Towards Drama
chentheorie hinaus, konzentriert sich auf Mate- as a Method in the Foreign Language Classroom. FfM
rialität und Körperlichkeit und betont das be- 1993. – H. Tschurtschenthaler: Drama-based Foreign
Language Learning. Encounters between Self and
sondere Kommunikationsverhältnis von Dar- Other. Münster et al. 2013. – E. Tselikas: D. im
steller und Zuschauer. Eine derartige Sichtweise, Sprachunterricht. Zürich 1999. MSch
die sich v. a. auch auf Erkenntnisse aus den
theaterbezogenen Wissenschaften und damit
auch auf die D. stützt, hat in den letzten Jahren Dramendidaktik ä Literaturdidaktik
der Diskussion um eine ›performative Wende‹
in den fremdsprachlichen Fächern zwar wich-
tige neue Impulse gegeben (ä Performative Kom- Drill ä Lerntheorien
petenz), aber es bleibt abzuwarten, inwieweit
sich in den nächsten Jahren eine performative
Fremd- und Zweitsprachendidaktik weiter eta- Dritter Ort ä Identität und Identitätsbildung,
blieren kann und ob sich nach und nach in ä Kulturdidaktik, ä Transkulturelles Lernen
Schulen und Universitäten eine neue, die Kör-
perlichkeit stärker akzentuierende performa-
tive Lehr- und Lernkultur herausbilden kann
Einsprachigkeit 52

E dactical correctness gehörte. Mit der E. wurde


eine Rücksichtslosigkeit zum methodischen
Prinzip erhoben, denn sie enthält den SuS wirk-
same Lernhilfen vor. Auch die Übersetzung in
Einsprachigkeit ist das Kernprinzip der ä direk- die Muttersprache als separate Übungsform
ten Methode und bedeutet, dass der Unterricht (ä Sprachmittlung) findet wieder ihre Fürspre-
so weit wie möglich (bis hin zur absoluten E.) cher, einmal wegen ihres unmittelbaren Ge-
in der Fremdsprache selbst verbleibt. Es soll brauchswerts und weil sie darüber hinaus mit
am Ausschluss der Muttersprache festgehalten kommunikativen Aufgaben verbunden werden
werden, ohne sich dabei an eine bestimmte kann. Da die Mithilfe der Muttersprache – ein-
Methode zu binden, v. a. nicht an den Anschau- schließlich anderer, früh erworbener und ge-
ungsunterricht nach Berlitz: »This is a pen. wachsener Sprachen – in fast alle Unterrichts-
That is a table. Is this a pen?« usw. Mit dem bereiche hineinspielt, ist nichts weniger als ein
Aufkommen der ä audiovisuellen Methode aus- Paradigmenwechsel angesagt (vgl. Butzkamm/
gehend von Frankreich in den 1960er Jahren Caldwell 2009; Hall/Cook 2012). Geblieben ist
wurde die E. erneut stark propagiert. Mit Text vom Prinzip der E. die Forderung nach fremd-
begleitenden Bildstreifen, Illustrationen und sprachlicher Unterrichtsführung. Nach wie vor
Grafiken aller Art (ä Bilder, ä Visualisierung), ist allgemeiner Konsens, dass die Fremdsprache
modernem Layout, ausgeklügelter lexikalischer als Arbeitssprache des Unterrichts durchzuset-
Stufung und unter Inkaufnahme inhaltlicher zen ist. Als bleibender Ertrag muss auch die
Ausdünnung der Texte sollte v. a. den Lehren- Fülle einsprachiger ä Übungen und Aufgaben
den die einsprachige Bedeutungsvermittlung gewertet werden, die entwickelt wurden. Heute
leicht gemacht werden. Der Weg wurde zum muss die Lehrperson je nach Unterrichtssitua-
Ziel und vorschnell wurde das Ende der tion zwischen einsprachigen und zweisprachi-
zweisprachigen Vokabelgleichung angekündigt. gen Arbeitsformen wählen.
Spätere empirische Studien belegen jedoch die Lit.: W. Butzkamm: Lust zum Lehren, Lust zum Ler-
Überlegenheit sowohl des zweisprachigen Vo- nen. Eine neue Methodik für den FU. Tüb. 32012
kabellernens wie muttersprachlicher Glossare [2004. – W. Butzkamm/J. A. W. Caldwell: The Bilin-
bei der Lektüre. Während international ohnehin gual Reform. A Paradigm Shift in Foreign Language
Teaching. Tüb. 2009. – G. Hall/G. Cook: Own-Lan-
rein englischsprachige ä Lehrwerke, die sich in guage Use in Language Teaching and Learning. In:
alle Länder verkaufen ließen, den Markt domi- Language Teaching 45/3 (2012), 271–308. WB
nierten, wurden auch in Deutschland von füh-
renden Verlagen Lehrwerke angeboten, die kein
deutsches Wort mehr enthielten – weder im Einzelarbeit ä Sozialformen
Grammatik- noch im Vokabelteil –, die aber
bald wieder vom Markt genommen wurden.
Zu Beginn des 21. Jh.s ist der Durchbruch zur E-Learning ist ein weit verbreiteter, jedoch pro-
Neubewertung der Muttersprache als größter blematischer und nicht klar eingegrenzter Be-
Aktivposten des Fremdsprachenlerners vollzo- griff: »In einem ganz umfassenden Sinne könnte
gen. Das Wertvollste, das ein Kind mit in die man von E-Learning schon sprechen, wenn in
Schule bringt, ist seine Muttersprache. In ihr den Lernprozess überhaupt irgendeine Art von
und durch sie hat es Erfahrungen gemacht, digitalem Material oder eine Verwendung von
Kenntnisse erworben und ein Netz von Begrif- digitalen Kommunikationskanälen eingebracht
fen geknüpft, in das jederzeit neue Begriffe hin- wird« (Rösler 2010, 285). Diese Definition be-
eingeknüpft werden können. So trifft jede neue zieht sich dementsprechend im weitesten Sinne
Sprache auf die schon vorhandene Mutterspra- auf die eigentliche Wortbedeutung, also auf das
che, in der das Kind artikulieren und sprechen, elektronisch gestützte Lernen von Fremdspra-
kommunizieren und denken, schreiben und le- chen. Rösler präzisiert, dass im Kontext des
sen gelernt hat. In diesem Prozess hat es auch – Fremdsprachenlernens von E-L. nur die Rede
noch unbewusst – grammatische Kategorien sein kann, wenn tatsächlich die kommunika-
gebildet, mit deren Hilfe das Tor zu fremdspra- tions- und informationstechnologischen Me-
chigen Grammatiken aufgestoßen werden kann dien in den Lernprozess eingebunden werden
(ä Interkomprehension). Damit wird ein Grund- und auf diese Weise sowohl Phasen des Online-
irrtum korrigiert, der Jahrzehnte lang zur di- als auch des Offline-Lernens, synchrone und

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_5, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
53 E-Learning

asynchrone Kommunikation sowie die Beschaf- beide einen ähnlichen Bereich beschreiben,
fung von Lernmaterialien und Informationen aber  zu unterschiedlichen Zeiten entstanden.
verstanden wird. Für fremdsprachliche Lern- Ausführliche Beschreibungen der historischen
prozesse reichen E-L.-Szenarien also von einem Entwicklung des computergestützten Fremd-
Sprachkurs an einer Schule oder Universität, sprachenlernens finden sich bei Chapelle (2001,
bei dem Online-Komponenten oder ä Lernsoft- 1–26). Für die vorliegende Unterscheidung
ware eine über die das ä Lehrwerk begleitende werden unter CALL die möglichen internetba-
Funktion hinausgehende Rolle spielen, über sierten und softwaregestützten Realisierungs-
Formen des ä blended learning bis hin zu aus- formen verstanden und unter E-L. auch deren
schließlich virtuellen Kursen. In diesem Kon- didaktisch-methodische Einbindung in fremd-
text versteht man unter blended learning ein sprachliche Lernprozesse sowie die Inhalte und
hybrides Lernarrangement, in dem Präsenzler- der Lernprozess selbst. Daher werden im Fol-
nen und virtuelles Lernangebot miteinander genden internetbasierte und softwaregestützte
vermischt werden. Realisierungsformen in konkreten fremdsprach-
Mit elektronischen Lehr- und Lernhilfen lichen Lernszenarien beschrieben. Zu den netz-
werden im Allgemeinen folgende Charakteris- basierten Kommunikationswerkzeugen zählen
tika verbunden: auf die Inhalte kann überall Webforen, E-Mail und Mailinglisten, Chat,
und jederzeit zugegriffen werden (Unabhängig- Newsgroups und Diskussionsforen, Group-
keit von Ort und Zeit); die Inhalte sind leicht ware, Videokonferenzen, social media, Wikis
und schnell veränderbar (Flexibilität); die In- usw. Dabei unterscheidet man synchrone von
halte können in andere Lernumgebungen über- asynchronen Kommunikationsformen. Bei syn-
nommen werden (Wiederverwertbarkeit); die chroner Kommunikation sind zwei oder meh-
Inhalte können leicht verteilt werden (Distribu- rere Personen gleichzeitig an der Kommunika-
ierbarkeit); die Inhalte können gespeichert und tion beteiligt (z. B. Chat), während die asyn-
katalogisiert werden (Archivierbarkeit); die chrone zeitlich versetzt stattfindet (z. B. E-Mail
Teilnehmer/innen können selbständig Parame- oder WhatsApp).
ter verändern und auf das Lerngeschehen Ein- Zu Beginn der 2000er Jahre wurden zahlrei-
fluss nehmen (Interaktivität); Informationen che E-Mail-Projekte in den FU integriert. Um
können vernetzt werden (Hypertextualität). Bei die Chancen der authentischen ä Kommunika-
der Realisierung von E-L. kann zunächst zwi- tion mit Sprecher/innen der Zielsprache über-
schen dem Fremdsprachenlernen selbst (im in- haupt nutzen zu können, muss eine Koopera-
stitutionalisierten Kontext oder als Selbstler- tion mit einer fremdsprachigen Partnerklasse
nen) und der fremdsprachendidaktischen Aus- initiiert werden. Das EU-Programm eTwinning
bildung für angehende Fremdsprachenlehrende vernetzt Schulen aus ganz Europa über das In-
unterschieden werden. In der ä Lehrerbildung ternet miteinander. Die Teilnahme an eTwin-
existieren mittlerweile E-L.-Angebote, die von ning ist kostenlos und für alle Schulformen,
einzelnen Online-Modulen über blended learn- Fächer und Jahrgangsstufen gedacht. Wer also
ing-Seminare bis hin zu ganzen Onlinestudien- eine Partnerklasse im fremdsprachigen Ausland
gängen reichen. Hier ist auf den Masterstudien- sucht und an einem gemeinsamen Projekt in ei-
gang »E-Lingo – Didaktik des frühen Fremd- nem virtuellen Klassenzimmer arbeiten möchte,
sprachenlernens« der pädagogischen Hochschule der kann diese Partnerschaft über eTwinning
Freiburg hinzuweisen (http://www.e-lingo.eu). anbahnen. Der Einsatz der im Folgenden be-
Im Zusammenhang mit E-L. wird häufig auf schriebenen Werkzeuge und Medien im Rah-
die Individualität des Lernens (ä Individualisie- men einer solchen Partnerschaft ist dann für die
rung), die Selbststeuerung des Lernprozesses, Kommunikation mit der Partnergruppe sinn-
die Möglichkeit der virtuellen Kooperation voll und notwendig. Eine erste Anbahnung
(ä Kooperatives Lernen) und die Förderung von kann zunächst über E-Mail erfolgen. Da die
Lernerautonomie hingewiesen (ä Autonomes SuS aber kaum noch mit E-Mail kommunizie-
Lernen). Diese Prinzipien sind jedoch keines- ren, ist die Weiterführung über einen plattform-
falls an E-L.-Szenarien gebunden und lassen unabhängigen Messenger wie WhatsApp sinn-
sich ebenso in Präsenzlernphasen fördern und voll. Dabei nutzen die SuS ihr internetfähiges
realisieren. Die Abgrenzung des Begriffes E-L. Smartphone und kommunizieren direkt oder in
von dem Begriff/Akronym CALL (ä Computer- Gruppen miteinander. Der Messenger erlaubt
Assisted Language Learning) ist schwierig, weil neben Textnachrichten auch das Versenden von
E-Learning 54

Videos, Sprachnachrichten, Bildern und Hyper- zusetzen, durchaus reizvoll sein. »Hierfür ist
links. natürlich ein entwickeltes Sprach- und Lernbe-
Die Weiterentwicklung zum Web 2.0 eröffnet wusstsein Voraussetzung: Wie funktioniert
neue Kommunikationswege. Soziale Netzwerke Sprache auf den verschiedenen Ebenen (Syntax/
oder Apps wie Facebook, Twitter, Instagram, Morphologie, Anwendungsbezug, sozio-/inter-
Snapchat oder WhatsApp werden sowohl auf kulturelle Dimension) und wie funktioniert
dem Computer und auf Tablets als auch mit Sprachenlernen«? (Handt 2002, 5).
Smartphones von den Lernenden in privaten Ein Chat ist eine textbasierte synchrone
Kontakten mit großer Selbstverständlichkeit Kommunikationsform, bei der nicht nur zwei
genutzt. Der Begriff ›soziales Netzwerk‹ be- Gesprächspartner, sondern gleichzeitig sehr
zeichnet in diesem Zusammenhang eine online viele Nutzer/innen interagieren können. Für
community, in der Nutzer/innen, die im Inter- Ungeübte wirken Chats im ersten Moment
net über bestimmte Plattformen miteinander verwirrend, da sich die Nutzer/innen Spitzna-
vernetzt sind, interagieren. Auch in unterricht- men geben und die Sprache mit Akronymen
lichen Bezügen bietet der Einsatz von News- und Emoticons (z. B. ☺) durchsetzt ist. Der
groups und Foren, Chats, Wikis und sozialen Einsatz des Chats im FU muss daher sprachlich
Netzwerken einen Mehrwert. vorbereitet werden, ist aber ein lohnendes Sze-
Virtuelle soziale Netzwerke wie Facebook, nario, z. B. als Begleitung zu einem E-Mail-Pro-
Xing oder Twitter sind aus dem Leben vieler jekt mit einer Partnergruppe in England, Spa-
Jugendlicher und Erwachsener nicht mehr weg- nien oder Frankreich. Die SuS chatten in ihrer
zudenken. Jeder Nutzer verfügt über eine Pro- Freizeit, sind also in der Regel mit den techni-
filseite, auf der er sich vorstellen sowie Fotos schen Abläufen vertraut. Arbeitet man bei-
und Videos hochladen kann. Auf der Pinnwand spielsweise mit einer Partnergruppe an einem
des Profils können Besucher/innen öffentlich gemeinsamen Projekt, besteht die Möglichkeit,
sichtbare Nachrichten hinterlassen oder Noti- sich darüber im Chat auszutauschen, Termine
zen veröffentlichen. Alternativ zu öffentlichen abzusprechen, Vereinbarungen zu treffen usw.
Nachrichten können sich Benutzer/innen per- Die Lerngruppe lernt auf diese Weise, die spezi-
sönliche Nachrichten schicken oder chatten. fischen Merkmale der Chatsprache zu benen-
Freunde können zu Gruppen und Events einge- nen und den Zusammenhang zwischen den
laden werden. Durch eine Beobachtungsliste netzspezifischen Kommunikationsbedingungen
wird man über Neuigkeiten, z. B. über neue und der Chatsprache zu erkennen.
Pinnwandeinträge auf den Profilseiten von Neuere Entwicklungen, die zunehmend für
Freunden, informiert. Der Kontakt mit Freun- den FU genutzt werden, sind Web 2.0, Podcasts
den auf der ganzen Welt kann auf diese Weise und Videopods. Am Ende des Jahres 2001 zo-
sehr einfach aufrechterhalten werden, neue gen sich zahlreiche Kapitalgeber aus internet-
Kontakte können schnell geknüpft werden. So- basierten Angeboten zurück. Im Zuge einer
ziale Netzwerke stehen für Kommunikation, Umorientierung wurden neue Wege gesucht,
Interaktion, Vernetzung, Gruppenbildung − As- die Nutzer/innen möglichst interaktiv an der
pekte, die auch im FU eine tragende Rolle spie- Gestaltung des Internet zu beteiligen. Die Be-
len. griffe community und Web 2.0 umschreiben
Eine weitere Möglichkeit zur authentischen das Gestaltungsprinzip, in dem die Nutzer/in-
Kommunikation (ä Authentizität) bieten Foren. nen auch die Inhalte mitbestimmen oder selbst
Es handelt sich dabei um thematisch gegliederte erstellen. Typische Beispiele hierfür sind Wikis,
elektronische Diskussionsplattformen, deren Weblogs sowie Bild- und Videoportale. Ein
Beiträge auf öffentlichen Servern allen Internet- Wiki, auch WikiWiki genannt, ist ein asynchro-
nutzer/innen zugänglich sind. Es existieren nes webbasiertes Kommunikationsinstrument,
mehr als 15.000 unterschiedliche Foren zu allen vergleichbar mit Content Management-Syste-
vorstellbaren Themen. Jede Tageszeitung oder men (CMS). Der Begriff WikiWiki (Kurzform
Zeitschrift bietet ein Forum an. Die verwendete ›Wiki‹) ist ein hawaiianisches Wort und steht
Sprache weicht mitunter sehr von dem ab, was für ›schnell‹ oder ›sich beeilen‹. Es bildet eine
als ä Standardsprache im Unterricht verwendet Sammlung verlinkter Seiten, die über das Inter-
wird. Gleichwohl kann die Aufgabe, sich im FU net nicht nur gelesen, sondern auch verändert
mit dem soziolinguistischen Phänomen der bzw. bearbeitet werden können. Der Name be-
netzspezifischen Kommunikation auseinander- zeichnet die Programmatik der Wiki-Software,
55 E-Learning

schnell und unkompliziert Inhalte zur Verfü- interessante Variante ist die Eigenproduktion
gung zu stellen. Das bekannteste Wiki ist si- von Podcasts mit den Lernenden. Der techni-
cherlich Wikipedia. Wikis eigenen sich beson- sche Aufwand ist relativ gering, die nötige
ders gut zur virtuellen Kooperation im FU oder Software ist frei verfügbar und für die Veröf-
in der Fremdsprachenlehrerausbildung, da man fentlichung im Internet gibt es eine Reihe von
an einem gemeinsamen Dokument arbeitet und Plattformen. Man kann auf diese Weise auch
die Änderungen der einzelnen Nutzer/innen je- ein Austauschprojekt bereichern, bei dem zu-
derzeit nachvollziehbar sind. Auf diese Weise nächst nur das ä Leseverstehen und die Schreib-
lässt sich z. B. ein gemeinsames Wiki zu einem kompetenz (ä Schreiben) gefördert wurden. Ein
Spielfilm oder einer Lektüre verfassen, in dem selbst erstelltes Porträt der eigenen Region als
die Personenkonstellation dargelegt wird, In- Audiodatei kann per WhatsApp oder E-Mail an
formationen zum Autor bzw. Regisseur gege- eine Partnergruppe geschickt werden, welche
ben werden oder Texte zum Inhalt und zur dann mit diesem Hörmaterial weiterarbeitet.
zeitlichen Einbettung des Plots entstehen. Neben Podcasts als Hörmaterialien bieten sich
Für den FU bergen diese Entwicklungen neue mittlerweile auch online verfügbare Videos für
Möglichkeiten. Es lassen sich viele Audio- und den Einsatz im FU an. Es handelt sich dabei um
Videomaterialien finden, die sehr gut im Unter- sog. Video-Blogs. Ein Weblog, häufig abgekürzt
richt einzusetzen sind, z. B. Podcasts. Podcasts als Blog (Wortkreuzung aus engl. web und log),
sind Tondateien (in der Regel im MP3-Format), ist ein auf einer Webseite geführtes und damit
die Zeitungen, Radiosender, private Nutzer/in- öffentlich einsehbares Tagebuch oder Journal.
nen usw. auf einen Internetserver laden und Wird dieser Blog statt durch textbasierte Ein-
dadurch verbreiten. Internetnutzer/innen kön- träge durch periodisch neu eingestellte Video-
nen diese Quellen abonnieren; auch dazu gibt aufzeichnungen gestaltet, spricht man von einem
es spezielle Software (iTunes, ipodder, jpodder). Video-Blog. Weitere Quellen für den FU sind
Im Regelfall kann der aus dem Netz empfan- Videobörsen wie z. B. YouTube, Clipfish, My
gene Podcast automatisch auf den MP3-Player Video usw. Es lohnt sich, dort nach Stichwor-
geladen werden, um ihn dann z. B. auf dem Weg ten wie inmigración/immigration oder nach
in die Schule zu hören. Natürlich können die Namen von Musikbands zu suchen. Auf diese
Audiodateien auch auf dem heimischen Com- Weise erhält man zahlreiche Videos, die teil-
puter gehört werden. Wie bei anderen Internet- weise gut für den Unterricht geeignet sind, je-
materialien lassen sich auch bei Podcasts sehr doch noch didaktisch aufbereitet werden müs-
große Qualitätsunterschiede beobachten. Ne- sen, d. h., dass entsprechende Arbeitsblätter
ben inhaltsreichen Dateien finden sich weitge- und je nach Lernziel entsprechende Aufgaben
hend sinnentleerte Selbstdarstellungen oder erstellt werden müssen. Auch die großen Fern-
werbeorientierte Angebote. Etablierte Me- sehsender bieten mittlerweile die neuesten
dienanbieter nutzen Podcasts in steigendem Nachrichtensendungen als videostream an.
Maße zur Verbreitung ihrer Inhalte und als Al- Forschungsergebnisse zeigen, dass schwache
ternative zur herkömmlichen Rundfunkaus- Lernende besser in einer gut strukturierten
strahlung. Für den FU sind verschiedene An- Lernsituation lernen, während starke Lerner/-
sätze der Nutzung denkbar. Podcasts können innen von einer weniger strukturierten Lernsi-
als authentische Hörtexte den FU bereichern. tuation profitieren (vgl. Grünewald 2006). Dies
Hier ist besonders auf Angebote großer Zeitun- gilt besonders für hypertextuelle Anwendungen
gen sowie Radio- und Fernsehsender zu achten wie das Internet, die den Lernenden zwar die
oder auf bereits für den Unterricht aufbereitete Möglichkeit geben, sich selbst einen Lernweg
Podcasts zurückzugreifen. Der technische Ein- zu wählen, die aber schwache Lerner/innen vor
satz im Unterricht ist denkbar einfach: Im die schwierige Aufgabe der Strukturierung des
günstigsten Fall lädt man sich den betreffenden Angebots stellen. Nach ihrem Grad der Ge-
Podcast auf den MP3-Player und schließt in der lenktheit unterscheidet man daher z. B. im Hin-
Schule geeignete Aktivboxen (PC-Zubehör) an blick auf die Internetrecherche vier Aufgaben-
den Kopfhörer-Ausgang an. Eine andere Mög- typen: die gelenkte Suche, die Internetrallye, die
lichkeit besteht darin, die Audiodatei auf dem freie Suche und das WebQuest. Bei der gelenk-
PC zu speichern und dann auf eine CD-ROM ten bzw. angeleiteten Recherche beschränken
zu brennen. Auf diese Weise ist die Audiodatei sich die Sichtung und Bearbeitung der durch
auf allen CD-Abspielgeräten einsetzbar. Eine den Lehrenden ausgewählten URL-Adressen
E-Learning 56

bewusst darauf, dass die SuS möglichst schnell (ä Lernziel) bis hin zur Planung und ä Präsen-
zu einem Erfolgserlebnis gelangen. Die gelenkte tation eines eigenen Produkts eine Vielzahl
Recherche hat sich v. a. deshalb durchgesetzt, von eigenständigen Entscheidungen treffen. Im
weil sie eine gute Heranführung der Lernenden Kern geht es um das Lösen einer Aufgabe
an den Umgang mit zielsprachigen Webseiten (ä Aufgabenorientiertes Lernen) oder das Pla-
darstellt. In der Regel erhalten die SuS einige nen eines komplexen Ereignisses über ein klar
eindeutige Fragen oder eine Aufforderung zur definiertes methodisches Gerüst, das auf einer
Informationsrecherche auf vorgegebenen Web- von den Lehrenden erstellten Webseite oder ei-
seiten. Die fremdsprachlichen Seiten müssen nem ä Arbeitsblatt seinen Ausgangspunkt hat.
dann auf die zu suchenden Informationen hin Eigenverantwortung und Selbststeuerung des
gelesen und ausgewertet werden (unter Einsatz Lernprozesses sind dabei wichtige Elemente,
von Lesestrategien wie z. B. scanning und welche die Lerngruppe anzuwenden lernt.
skimming). Beispielsweise kann man den Ler- Mobiles Lernen (mobile learning) stellt eine
nenden die Adresse des aktuellen Kinopro- Weiterentwicklung von E-L. dar, welche die
gramms in London vorgeben und konkrete örtliche Ungebundenheit des Lernens als zentra-
Suchaufträge erteilen. Das kann sich auf An- les Merkmal aufweist (vgl. Hethey 2013). Mo-
fangszeiten, Filmtitel und Schauspieler o. Ä. bile Endgeräte, die hier zum Einsatz kommen,
beziehen. Die nächste Stufe, die Internetrallye, sind beispielsweise Smartphones, Netbooks,
formuliert eine Problemstellung, welche die Tablets, MP3/4-Player usw. Während E-L. v. a.
ä Kreativität der Lernenden anspricht. Den SuS mit der Arbeit in schuleigenen PC-Räumen in
wird auch hier ein konkreter und überschau- Verbindung gebracht wird, zielt das mobile
barer Arbeitsauftrag gestellt, doch wird von Lernen auf eine Unterstützung des Lehrens und
ihnen mehr erwartet als das bloße Herausfil- Lernens durch mobile Endgeräte und drahtlose
tern einer bestimmten Information. Dies lässt Netzwerke ab. Die mit dem mobilen Lernen in
ihnen die Möglichkeit, eigene Lösungswege Verbindung gebrachte Erwartung der persona-
einzuschlagen, diese ggf. wieder zu verwerfen len, zeitlichen und räumlichen Entgrenzung des
und letztlich zu einer individuellen Lösung zu Lernens wird aber in der Praxis nicht eingelöst.
gelangen. Beispielsweise könnten die SuS die Die bloße meist unsystematische Integration der
Aufgabe erhalten, einen Kurzaufenthalt in Ma- Endgeräte in den FU kann das nicht leisten. Die
drid zu organisieren oder aber einen virtuellen Arbeit mit mobilen Endgeräten müsste vielmehr
Einkauf durchzuführen. Bei der freien Suche Teil einer einsetzenden Umgestaltung der Unter-
recherchieren die Lernenden Informationen richtsorganisation sein, die problemlösende und
ohne einen vorgegebenen Lösungsweg und produktorientierte Ansätze und Formen des
ohne jegliche Hinweise auf Quellen. Vorausset- kooperativen Arbeitens favorisiert (ä Produkt-
zung hierfür sind selbstverständlich gute orientierung, ä Kooperatives Lernen). So kön-
Kenntnisse in der Bedienung eines Browsers nen neben universellen Anwendungen, wie
und in der Benutzung von Suchmaschinen. Textverarbeitungsprogrammen, fachspezifische
Anfänglich führt dieser Aufgabentyp häufig Applikationen zum Einsatz kommen, wie z. B.
nicht zu den gewünschten Ergebnissen. Erst Online-Wörterbücher (auch als App, z. B. Pons,
mit viel Erfahrung und mit einem guten Langenscheidt) oder Apps, die das Vokabeller-
Sprachniveau bewältigen die SuS die freie Su- nen unterstützen (z. B. phase6). Auch Lernspiele
che erfolgreich. Dabei ist es von Vorteil, wenn werden mittlerweile als Apps angeboten, kos-
die SuS bereits das kritische Bewerten von In- tenlose Beispiele sind Babbel (Lexik, Dialoge)
formationen und Materialien aus dem Internet oder Duolingo (Lexik, Grammatik). Dazu kom-
beherrschen. Der Aufgabentyp des WebQuest men etliche Angebote von kommerziellen An-
umfasst schließlich auf Fragen basierende Re- bietern. Gerade im Bereich der inhaltsspezifi-
chercheprojekte, bei denen Teile oder alle In- schen Anwendungen steht die Entwicklung von
formationen aus Internetangeboten stammen. geeigneten Angeboten für den Einsatz im FU je-
Bernie Dodge (1997) definiert WebQuest als doch noch am Anfang.
»inquiry-oriented activity«. Es ist eine von
der Lerngruppe eigenverantwortlich gesteuerte Lit.: C. A. Chapelle: Computer Applications in Second
Language Acquisition. Cambridge 2001. – B. Dodge:
Recherche, bei der die Lernenden von der Sich- Some Thoughts About WebQuests. In: The Distance
tung und Auswahl der Materialien über deren Educator 1/3 (1997), 12–15. – A. Grünewald: Multi-
Bewertung hinsichtlich der Lernzielrelevanz media im FU. Motivationsverlauf und Selbsteinschät-
57 Emotion

zung des Lernfortschritts von Schülern der Sek. II im men. Von besonderem Interesse ist die Frage,
computergestützten Spanischunterricht. FfM 2006. – wie Inhalte des Arbeitsgedächtnisses mittels der
A. Grünewald: Digitale Medien und soziale Netz-
E. in das Langzeitgedächtnis übertragen wer-
werke im Kontext des Lernens und Lehrens von Spra-
chen. In: E. Burwitz-Melzer et al. (Hg.): Handbuch den. Die erlebende Person bewertet jede Le-
FU. Tüb. 62016 [1989, 459–463. – M. Hethey: Vom benssituation nach Bezugsnähe und Interesse,
E-L. zum M-Learning. Mobiles Lernen im FU. In: Wirklichkeitsgehalt und situationsbedingter
französisch heute 3 (2013), 105–108. – D. Rösler: Schwierigkeit. Eine derartige Bewertung ist
E-L. und das Fremdsprachenlernen mit dem Internet. Grundlage von Handeln und auch Lernen
In: W. Hallet/Frank G. Königs (Hg.): Handbuch
Fremdsprachendidaktik. Seelze 2010, 285–289. – (ä Neurodidaktik). Ein großer Teil des emotio-
G. v. d. Handt: Neue Medien für das Sprachenlernen. nalen Musters (vgl. Roth 2008, 90 ff.) ist gene-
Kurzes Plädoyer für eine differenzierte Bewertung. In: tisch und frühkindlich festgelegt worden und
FMF-Mitteilungen 14 (2002). AG kann im späteren Leben kaum beeinflusst wer-
den. Es wirkt sich als Bedingungsfaktor auf die
Lernbereitschaft und Lernfähigkeit aus.
E-Mail-Projekt ä E-Learning Da viele SuS den Unterricht als getrennt von
ihrer privaten Wirklichkeit erleben, fehlt der
Schule oftmals die sonst mit Wirklichkeit ver-
Emotion. Im europäischen Denken gibt es eine bundene und für das Lernen wichtige emotio-
lange Tradition, Rationalität im Gegensatz zur nale Komponente (vgl. Willingham 2009). Um
E. zu verstehen und gleichzeitig die E. zuguns- diese Distanz zu überwinden, hat die Fremd-
ten des rationalen Denkens abzuwerten. Nur in sprachendidaktik methodisch und thematisch
bestimmten Epochen wie etwa in der Roman- Gegenstrategien entworfen. Methodisch kann
tik gewann die E. ein Übergewicht. V. a. die im man auf ein Repertoire von Möglichkeiten ver-
19. Jh. aufsteigenden Naturwissenschaften be- weisen, die fremde Sprache in einen realen Le-
günstigten eine rationale Grundhaltung. Erst bensbezug zu bringen (ä Authentizität, ä Erfah-
seit den 1990er Jahren erforschten Psychologie, rungsorientierung). Stellvertretend seien etwa
Neurologie und Evolutionsbiologie die mensch- Interview-Projekte, E-Mail-Korrespondenzen,
lichen Denkprozesse als ein Zusammenspiel Skype-Telefonie, Chat-Rooms (ä E-Learning)
von E. und Kognition, in Teilen sogar mit einer sowie die in der ä Dramapädagogik entwickel-
Dominanz emotionaler Prozesse. Zwar sind ten lerner- und handlungsorientierten Metho-
beide Seiten des Denkens in unterschiedlichen den genannt. Diese Methoden eignen sich ins-
Gehirnarealen verankert, aber sie wirken viel- besondere deshalb für eine Einbeziehung emo-
fach auch ohne die bewusste Intention des tionaler Aspekte in den FU, weil das sprachliche
Menschen zusammen (vgl. Roth 2008). Handeln deutlich nach einer emotionalen Aus-
Die Psychologie unterscheidet in der Regel druckskomponente verlangt. In der Diskussion
zwischen Emotionen, Stimmungen und Dispo- um die Berücksichtung von E.en im FU haben
sitionen. Das Kriterium der Unterscheidung in thematischer Hinsicht außerdem literarische
liegt in der zeitlichen Dauer der jeweiligen Zu- Texte verstärkt Beachtung gefunden. Sie sind in
stände. Eine E. tritt plötzlich auf, ist von be- besonderer Weise mit emotionalem Handeln in
grenzter Dauer und hat eine deutliche Ursache der Welt befasst und rufen gerade unter dem
(Trauer, Freude); eine Stimmung ist demgegen- wichtigen Aspekt des ä interkulturellen Lernens
über von längerer Dauer (Traurigkeit, Angst, engagierte Stellungnahmen hervor (ä Literatur-
Glück); eine Disposition ist ein Persönlichkeits- didaktik). Damit diese Funktion von Literatur
merkmal und somit eine langfristige emotionale im Unterricht entfaltet und eine emotionale
Prägung. Die Klassifizierung von E.en wirft die Komponente eingebracht werden kann, müssen
Frage nach der kulturellen Bedingtheit von E. Sympathie und Empathie mit den literarischen
auf. Vieles spricht für emotionale Universalien, Figuren Beachtung finden (vgl. Zunshine 2006).
die nur in ihrer Ausdrucksweise kulturellen Der Literaturunterricht darf sich also nicht auf
Regelungen unterliegen. kognitiv-analysierende Beschreibungen von
Die für die E. verantwortlichen limbischen Textstrukturen beschränken.
Bereiche des Gehirns bilden auf der Grundlage
Lit.: W. Börner/K. Vogel (Hg.): E. und Kognition im
unseres Erfahrungsgedächtnisses das zentrale FU. Tüb. 2004. – G. Roth: Persönlichkeit, Entschei-
Bewertungsinstrument für alle Bereiche der dung und Verhalten. Warum es so schwierig ist, sich
Wirklichkeit, mit denen wir in Berührung kom- und andere zu ändern. Stgt 2008. – D. T. Willingham:
Emotion 58

Why don’t Students like School? A Cognitive Scientist munikationsabsichten durchzusetzen« (Krumm
Answers Questions About How the Mind Works 2003, 118), sowie die dabei notwendigen Kom-
and What It Means in the Classroom. San Francisco
petenzen, im interkulturellen Bereich um proze-
2009. – L. Zunshine: Why We Read Fiction. Theory of
Mind and the Novel. Columbus 2006. JD durales Wissen als »interkulturelle Handlungs-
fähigkeit« (ebd., 119) und im interdisziplinä-
ren  Bereich um ä Schlüsselqualifikationen wie
Empathie ä Begegnung und Begegnungssituatio- ä Medien- oder ä Sozialkompetenz. Unabhängig
nen, ä Emotion, ä Global Education, ä Lern- vom Modell wird seit der sog. ›kommunikati-
strategien, ä Literaturdidaktik, ä Perspektive und ven Wende‹ Wert auf anwendbares und damit
Perspektivenwechsel prozedurales ä Wissen gelegt. Mit zunehmender
ä Globalisierung rückt in den letzten Jahren die
interkulturelle Kompetenz zunehmend ins Zen-
Empirie heißt wörtlich ›Erfahrung‹ und bezeich- trum, wie dies z. B. im Modell der ä interkultu-
net wissenschaftstheoretisch Strömungen, die rellen kommunikativen Kompetenz von Mi-
diese Erfahrung als Quelle der Erkenntnis ge- chael Byram abgebildet wird. Um dieses Ziel zu
genüber anderen Verfahren favorisieren. Man erreichen, verwendet die Fremdsprachendidak-
geht davon aus, dass nur über die Erzeugung tik theoretische und empirische Erkenntnisse
von Daten geklärt werden kann, welche Theo- zahlreicher ä Bezugswissenschaften wie z. B. der
rien gegenüber anderen erklärungsmächtiger Psychologie, Soziologie, Erziehungswissen-
und dem Gegenstand angemessener sind. Am schaft, ä Sprachwissenschaft, ä Literaturwissen-
Beginn des 21. Jh.s befindet sich die ä Fremd- schaft und ä Kulturwissenschaft. Sie entwickelt
sprachendidaktik auf dem Weg von einer nor- daraus eigene Forschungsansätze und For-
mativen und stark geisteswissenschaftlich-phi- schungsmethoden, um damit die für das For-
lologisch geprägten Disziplin zu einem interdis- schungsfeld zentralen Begriffe wie z. B. Fremd-
ziplinären empirischen Forschungsfeld. Sie sprachenkompetenz zu konstruieren. Im Sinne
trägt dieser Entwicklung Rechnung, indem der der Selbstaufklärung gehört es schließlich eben-
Begriff ›Fremdsprachenforschung‹ immer wei- falls zu den Aufgaben der Fremdsprachendi-
tere Verbreitung findet. Auf diesem Weg spielt daktik, für Reflexivität zu sorgen. Die systema-
die E. eine zentrale Rolle, ist aber keinesfalls tische Rekonstruktion der eigenen konzeptua-
alternativlos (ä Forschungsmethoden und For- len und historischen Grundlagen ist daher
schungsinstrumente). unverzichtbar.
Das übergeordnete Ziel der Fremdsprachen- In der Fremdsprachendidaktik kommt der E.
didaktik ist das Verstehen von Prozessen fremd- v. a. die Aufgabe zu, die bei Prozessen fremd-
sprachlicher ä Bildung in institutionellen und sprachlicher Bildung wirksamen Bedingungs-
nicht-institutionellen Kontexten. Was das hei- faktoren und Resultate zu erfassen und daraus
ßen kann, wird unterschiedlich gefasst. Im Modelle zu entwickeln. Diese Modelle machen
deutschsprachigen Raum ist eine Dreiteilung Aussagen über die drei Stufen Input, Prozess
kanonisch. Im sprachlichen Bereich geht es um und Output. Dies kann sich jeweils auf einen
»die Fähigkeit, in konkreten Situationen Kom- der drei Bereiche konzentrieren (z. B. Output

Gegenstand Bezugsdisziplin Empirische Tradition in diesem Bereich


Kompetenz Psychologie hypothesenprüfend-quantitativ
Linguistik hypothesenprüfend-quantitativ
Emotion, Einstellung, Psychologie hypothesenprüfend-quantitativ
Selbstkonzept
Akteursperspektive Psychologie hypothesenprüfend-quantitativ und
rekonstruktiv-qualitativ
Soziologie rekonstruktiv-qualitativ
Bildung Erziehungswissenschaft rekonstruktiv-qualitativ
Institutionelle Effekte Erziehungswissenschaft rekonstruktiv-qualitativ
Soziologie rekonstruktiv-qualitativ
59 Empirie

bei Großstudien wie der ä DESI-Studie oder Zur Kennzeichnung der beiden hauptsächli-
Prozess bei biographisch orientierter ä Lehrer- chen und lange als sich ausschließende Paradig-
forschung), oder man kann versuchen, ver- men betrachteten methodologischen Grundpo-
schiedene Bereiche in Verbindung zu bringen. sitionen wird häufig des Gegensatzpaar quali-
Inhaltlich hat sich ein Katalog von Faktoren tativ vs. quantitativ verwendet. Man findet
entwickelt, die man auf verschiedenen Stufen auch alternative Paare wie z. B. erklärend vs.
der beforschten Prozesse für wirksam hält (vgl. verstehend, analytisch vs. ganzheitlich oder
Vollmer et al. 2001). Zur Modellierung dieser Kausalerklärung vs. Handlungserklärung. In
Faktoren sind Konzepte aus verschiedenen Dis- der Sozialwissenschaft wird auch die Gegen-
ziplinen erforderlich, durch deren Verwendung überstellung Hypothesenprüfung vs. Rekon-
wiederum unterschiedliche methodische Tradi- struktion verwendet. Die Problematik all dieser
tionen in die Fremdsprachendidaktik einge- Begriffspaare ist, dass sie je verschiedene Facet-
führt werden. ten der beiden Vorgehensweisen beschreiben.
Diese enorme methodologisch-methodische Am griffigsten wird der Unterschied auf der
Breite ist Fluch und Segen zugleich. Zum einen Ebene der Forschungsstrategie. Bei der Hypo-
ermöglicht erst dieser Horizont der Fremdspra- thesenprüfung wird vor dem Eintritt in das Feld
chendidaktik, ihren komplexen Gegenstandsbe- aus den zur Verfügung stehenden formalen
reich zu erfassen. Mit dieser inter- und sogar Theorien ein Modell für die Zusammenhänge
transdisziplinären Ausrichtung ist sie Vorreiterin der erwarteten Phänomene konstruiert. Dieses
eines Trends, der am Beginn des 21. Jh.s selbst aus den Theorien deduzierte Modell wird auf
scheinbar fest gefügte Disziplinen wie die Natur- Hypothesen reduziert (daher auch der Name
wissenschaften erfasst. Der Erkenntnis in die hypothetiko-deduktives Vorgehen), in denen
Komplexität der zu lösenden Probleme folgend, die zu testenden Variablen miteinander in Be-
bilden sich immer komplexere Forschungsfelder, ziehung gesetzt sind. Weitere Variablen, die
die im Verbund mehrerer Disziplinen bearbeitet ebenfalls für das Phänomen relevant sind, müs-
werden. Da die Fremdsprachendidaktik dies sen kontrolliert oder eliminiert werden. Da-
schon immer getan hat, kann sie wertvolle Ex- durch ergibt sich ein setting, das nur noch einen
pertise beisteuern und sich zu recht als struktu- kleinen Ausschnitt aus dem relevanten For-
rell innovatives Forschungsfeld betrachten. Dies schungsfeld repräsentiert. Im Feld werden
allerdings setzt voraus, dass die Disziplin selbst quantifizierte Daten erhoben. Dazu dienen ent-
diese Komplexität reflektiert, die Vielfalt der weder feste Kategoriensysteme zur Kodierung
Ansätze als Potenzial begreift und deren Integra- von komplexen Ereignissen (z. B. zur Unter-
tion vorantreibt, denn die Breite des Horizonts richtsbeobachtung) oder geschlossene Fragen
muss durch die Kooperation der aktiven For- und Skalen in Fragebögen. Ziel der empirischen
scher/innen aufrecht erhalten werden. Die dazu Arbeit ist es, das deduzierte Modell zu falsifi-
notwendige Selbstaufklärung entsteht durch die zieren. Insgesamt geht es bei diesem Ansatz da-
intensive Beschäftigung mit der eigenen For- rum, gültige Theorien über die Kausalzusam-
schungspraxis, die mit Hilfe der beiden Begriffe menhänge im Feld abzuleiten.
›Methodologie‹ und ›Methode‹ reflektiert wer- Bei der Rekonstruktion verläuft der For-
den kann. Während sich die Methodologie mit schungsprozess anders. Je nach Ansatz wird
dem theoretischen Fundament der E. beschäftigt, auch hier mehr oder weniger offen Vorwissen
beschreibt die Methodik die eingesetzten Erhe- an das Feld herangetragen. Dieses Vorwissen
bungsinstrumente und Analyseverfahren. Ge- wird aber nicht deduktiv und vor Eintritt in das
speist aus v. a. Wissenschafts- und Erkenntnis- Feld in reduktionistische Modelle und Hypo-
theorie klärt die Methodologie, unter welchen thesen umgesetzt, sondern die empirische Arbeit
Bedingungen welche Art von Erkenntnis zu er- zielt darauf ab, die Komplexität der Phänomene
zielen ist. Räumt man ihr einen präskriptiven möglichst weitgehend einzufangen. Entspre-
Status ein, so werden die Methoden aus der chend werden offene Interviews, Tagebücher
Methodologie deduziert. Versteht man sie pra- oder Videoaufnahmen als Datenquellen heran-
xeologisch, so wird die Methodologie aus dem gezogen. Erst in der Analyse der Daten zeigt
im Forschungsprozess entstandenen Methoden- sich, welche Kategorien für die beobachteten
repertoire rekonstruiert. In beiden Fällen macht Phänomene tatsächlich relevant sind, eine Tat-
sie Aussagen zu Qualität und Reichweite der sache, die dazu geführt hat, diesen Ansatz auch
entstandenen Modelle und Theorien. ›entdeckend‹ (Gerhard Kleining) zu nennen.
Empirie 60

Außerdem liegt der Fokus darauf, die Perspek- insbesondere unter longitudinaler Perspektive
tive der Beforschten zu rekonstruieren (daher eine beeindruckende Vielfalt der nebeneinander
auch der Name dieses Vorgehens). Mit Alfred existierenden und sich über die Zeit entwi-
Schütz spricht Bohnsack auch von »Konstruk- ckelnden Sprache(n) zu Tage. Das anhand die-
tionen zweiter Ordnung«: Rekonstruktiv arbei- ses Datenmaterials empirisch gegründete Kon-
ten bedeutet, dass die Forschenden Konstrukti- zept der Lerner- bzw. Interimssprache (ä Inter-
onen der Sinnkonstruktionen und Relevanzsys- language) ist bis heute gültig und einflussreich.
teme der Beforschten methodisch kontrolliert Das umfangreiche Datenmaterial öffnete den
hervorbringen. Blick dafür, dass die von institutionellen und
Der folgende historische Überblick ist keine sozialen Rahmen sowie von individuellen Le-
umfassende Darstellung der Geschichte der benswelten geprägte Kommunikation ein hohes
empirischen Fremdsprachenforschung, sondern Maß an Unterschiedlichkeit erzeugt. Scheinbar
stellt einschneidende Paradigmenwechsel dar, Vertrautes erscheint unter dem Brennglas zeit-
um zu zeigen, dass methodologische Positionen lupenartiger Analyse plötzlich fremd, faszinie-
nicht linear fortentwickelt werden, sondern rend oder gar beängstigend, und die Wirkmacht
wellenartig wiederkehren. Die ersten Versuche, sozialer Regeln wird greifbar. Unter der Prä-
FU wissenschaftlich zu untersuchen, wurden misse, dass ä Spracherwerb auch stets ein Pro-
Ende des 19. Jh.s gemacht; erst unter dem Ein- zess der Sozialisation ist, wurde schließlich die
fluss der vom Behaviourismus in der Psycholo- Ethnographie im engeren Sinne importiert, die
gie etablierten experimentellen Methode wur- sich mit dem Einfluss der herrschenden Ver-
den diese Versuche jedoch systematisiert. Mit hältnisse auf Lehrende und Lernende beschäf-
dem Anspruch, die effektivste Lehrmethode für tigt (vgl. Watson-Gegeo 1988).
den FU zu finden, wurden das individuelle Un- In den 1980er und 90er Jahren entwickelten
terrichtsgeschehen als black box ausgeklam- sich qualitative und quantitative Ansätze ne-
mert und lediglich Input und Output erfasst. beneinander weiter. Die qualitativ orientierten
Eine der bedeutendsten derartigen Untersu- Forscher/innen argumentierten mit der Gegen-
chungen war das vierjährige Pennsylvania Pro- standsangemessenheit ihres Ansatzes, während
ject, das in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre die quantitative Forschung darauf verwies, dass
die ä audiolinguale Methode mit der kognitiven ihre Möglichkeiten der statistischen Analyse
Methode verglich. Aufgrund der Uneindeutig- komplexer Szenarien noch lange nicht ausge-
keit der Ergebnisse wurde der Fokus von der reizt seien. Die Third International Mathema-
Ebene der Methoden immer mehr verengt, bis tics and Science Study läutete 1993 auch in
man zu den Lehr-Lern-Techniken als unabhän- Deutschland das Zeitalter des large-scale-as-
gigen Variablen gelangte. Auch dies blieb er- sessment, also der quer- und längsschnittsartig
folglos. Als Konsequenz wurde die black box angelegten, international vergleichenden Groß-
in zweierlei Richtungen geöffnet. Einerseits be- studien ein. Insbesondere die Diskussion der
gann man, sich den tatsächlichen Geschehnis- Ergebnisse der Studien ä PISA, IGLU und DESI
sen im Klassenraum zuzuwenden. Unter der mit ihrer hohen medialen Präsenz und der an-
Annahme, dass FU ein von seinen Teilnehmer/- gekoppelten Debatte über die Bildungsstan-
innen in sozialer Interaktion konstruiertes Ge- dards (ä Standards) haben die öffentliche Dis-
schehen ist, stand zunächst die Erforschung der kussion der letzten Jahre geprägt und den Me-
ä Kommunikation im Vordergrund, die einen thodendiskurs in der Fremdsprachendidaktik
ersten Höhepunkt Mitte der 1970er Jahre mit überschattet. Zu Beginn des 21. Jh.s gewinnt
der Diskursanalyse erreichte. Durch Aufzeich- diese Diskussion glücklicherweise ihre Eigen-
nung, Transkription und nachträgliche Analyse ständigkeit zurück. Es setzt sich die Erkenntnis
wurde eine zuvor nicht erreichbare Auflösung durch, dass die Output-orientierten Großstu-
erzielt, so dass Fragen im Hinblick auf z. B. die dien zwar Aufgaben des Bildungsmonitoring
ä Korrektur von ä Fehlern oder die Partizipation erfüllen, aber wenig zur fremdsprachendidakti-
in neuartiger Komplexität betrachtet werden schen Theoriebildung beitragen. Dazu werden
konnten. Andererseits wurden diese Aufzeich- aktuell zwei Wege favorisiert. Zum einen geht
nungen genutzt, um die tatsächlich gesprochene man davon aus, dass keiner der beiden (früher
Sprache der Lehrenden und der Lernenden zu als sich ausschließende Paradigmen betrachte-
analysieren. Dieser dezidiert linguistische und ten) Ansätze universell überlegen ist. Vielmehr
zunächst normativ orientierte Ansatz förderte handelt es sich dabei um unterschiedliche Vor-
61 Englisch

gehensweisen, die je nach Fragestellung, Gegen- ation. Tüb. 2006, 451–464. – L. Schmelter: ›Nach
stand und zugrunde liegendem Menschenbild Vorschrift sammle Lebenselemente // Und füge sie mit
Vorsicht eins ans andre‹ (Goethe – Faust). Konsequen-
gewählt werden (vgl. Schmelter 2007). Auf-
zen anthropologischer Kernannahmen in der Fremd-
grund dabei entstehender methodologischer sprachenforschung. In: Vollmer 2007, 59–72. – H. J.
Probleme ist eine nachträgliche Vermischung Vollmer (Hg.): Synergieeffekte in der Fremdsprachen-
der Ansätze nicht sinnvoll (vgl. Riemer 2006). forschung. Empirische Zugänge, Probleme, Ergeb-
Umso wichtiger ist es, die methodologischen nisse. FfM 2007. – H. J.  Vollmer et al.: Lernen und
und methodischen Prämissen der gewählten Lehren von Fremdsprachen. Kognition, Affektion, In-
teraktion. Ein Forschungsüberblick. In: Zeitschrift für
Konzepte zu rekonstruieren und zum Maßstab Fremdsprachenforschung (ZFF) 12/2 (2001), 1–145.
des eigenen Vorgehens zu machen (vgl. Dirks – K. Watson-Gegeo: Ethnography in ESL. Defining the
2007). Instrumente und Methoden aus beiden Essentials. In: TESOL Quarterly 22/4 (1988), 575–
dargestellten empirischen Ansätzen wiederum 592. AB
verwendet die Aktionsforschung (vgl. z. B. Co-
hen et al. 2011). Sie versucht, lokale Hand-
lungsprobleme, wie z. B. die Einführung neuer Englisch entwickelte sich aus dem weitgehend
Unterrichtsformen, durch aufeinander folgende germanisch geprägten Altenglisch, das auf den
Zyklen von Intervention und Evaluation zu lö- britischen Inseln zwischen 450 und 1150 ge-
sen. Dabei wird versucht, eine Balance zwischen sprochen wurde, über ein stark lateinisch und
lokaler Angemessenheit der entwickelten Kon- französisch beeinflusstes Mittel- und Frühneu-
zepte und über den Einzelfall hinaus gültigen englisch hin zu einer ä lingua franca, der am
Einsichten in bestehende Zusammenhänge zu weitesten verbreiteten globalen Verkehrs- und
finden. Insgesamt liegt es nahe, qualitative und Handelssprache des 21. Jh. s. Die Zahl derer,
quantitative Forschung von vornherein als die E. heute als Erstsprache sprechen, wird auf
komplementär zu betrachten, denn die sich da- ca. 350 Mio. geschätzt, während vorsichtige
raus ergebende polymethodologische Vorge- Schätzungen von über einer Milliarde Zweit-
hensweise, bei der Triangulation auf mehreren und Fremdsprachensprecher/innen ausgehen,
Ebenen stattfindet, scheint dem komplexen eine Menge, die aufgrund der Nutzung des In-
Forschungsgegenstand der Fremdsprachendi- ternets beständig wächst. Die steigende Anzahl
daktik in besonderer Weise angemessen zu sein der Sprecher geht mit einer wachsenden Zahl
(vgl. Grotjahn 2003). Die Ausarbeitung dieses von Varietäten des E.en einher. Diese Entwick-
Ansatzes dürfte inhaltlich und für die strategi- lung führt immer wieder zu Kontroversen dar-
sche Positionierung der Fremdsprachendidak- über, ob es eine Standardvarietät gibt, die als
tik als Fremdsprachenforschung in Zukunft Richtschnur für Sprachrichtigkeit z. B. auch im
eine wichtige Rolle spielen. Innovatives Poten- Kontext des Fremdsprachenlernens gelten kann.
zial liegt darüber hinaus darin, aktuell wichtige Im Laufe seiner Geschichte ist E. zu einer
Bereiche wie Szenarioansatz (ä Dramapäda- hochgradig durchmischten Sprache geworden,
gogik), ä scaffolding oder Praxisphasen in der die oft als Amalgam bezeichnet wird. Zunächst
ä Lehrerbildung forschungsmethodologisch und durch Eroberung und Kolonialisierung, später
-methodisch zu reflektieren, sowie die informa- durch internationalen Handel und Globalisie-
tionstechnischen Möglichkeiten (u. a. Web 2.0) rung floss fortlaufend neuer Wortschatz aus
auch in der Forschung auszuschöpfen. anderen Sprachen in das E.e ein, z. B. sky aus
Lit.: L. Cohen et al. (Hg.): Research Methods in Edu- dem Skandinavischen, propose aus dem Latei-
cation. Ldn/N. Y. 2011, 344–361. – U. Dirks: Fremd- nischen, biscuit aus dem Französischen, pyja-
sprachenforschung als ›Entdeckungsreise‹. Im Span- mas aus dem Indischen. Infolge von Assimila-
nungsfeld von Abduktion, Deduktion und Induktion. tion und Dissoziierung wuchs das E.e mit über
In: Vollmer 2007, 43–58. – R. Grotjahn: Konzepte für
600.000 Einträgen im Oxford English Diction-
die Erforschung des Lehrens und Lernens fremder
Sprachen. Forschungsmethodologischer Überblick. In: ary zur wohl wortreichsten Sprache weltweit.
K.-R. Bausch et al. (Hg.): Handbuch FU. Tüb. 42003 Die zahlreichen lexikalischen Zwillinge (vgl.
[1989, 493–499. – H.-J. Krumm: Lehr- und Lernziele. Crystal 2003, 124), z. B. ask/question oder pig/
In: K.-R. Bausch et al. (Hg.): Handbuch FU. Tüb. pork, die eine große semantische Nähe, aber
4
2003 [1989, 116–121. – C. Riemer: Entwicklungen keine vollständige Bedeutungsäquivalenz auf-
in der qualitativen Fremdsprachenforschung. Quanti-
fizierung als Chance oder Problem? In: J.-P. Timm weisen, bringen diesen Reichtum zum Aus-
(Hg.): Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenfor- druck; gleichzeitig verweisen sie auf eine hohe
schung. Kompetenzen, Standards, Lernformen, Evalu- Hürde für Fremdsprachenlerner/innen, die nicht
Englisch 62

nur die Grundbedeutung eines Lexems erfassen auf die Kommunikation mit anderen Sprecher/-
müssen, sondern auch Bedeutungsnuancen, innen vorbereitet werden. Mit einer abwechs-
Registerunterschiede und Kollokationen, um lungsreichen Auswahl von Inhalten und Texten,
ein Wort situativ angemessen verwenden zu insbesondere aus den New English Literatures,
können. können zudem die diaphasischen Varietäten
Während die Lexik durch Expansion gekenn- wie z. B. formales E. vs. Slang und diastratische
zeichnet ist, trat in der Grammatik im Laufe Varietäten wie z. B. verschiedene Soziolekte
der Sprachgeschichte eine Reduktion ein. Das thematisiert und bewusstgemacht werden.
heutige E. gilt aufgrund seines reduzierten Fle- Lit.: D. Crystal: The Cambridge Encyclopedia of
xionssystems landläufig als einfach, weil man the English Language. Cambridge 22003 [1995. –
mit wenigen grammatischen Endungen und B. B. Kachru et al. (Hg.): The Handbook of World
nur  einem Artikel (z. B. cat/cats; paint/paints/ Englishes. Mass. 2009. – R. C. Major et al.: The Ef-
fects of Nonnative Accents on Listening Comprehen-
painted/painting; the/a) bereits in frühen Lern- sion. Implications for ESL Assessment. In: TESOL
stadien viel ausdrücken kann. Dabei wird oft Quarterly 36/2 (2002), 173–190. – Statistisches Bun-
übersehen, dass andere grammatische Phä- desamt. Bildung und Kultur. Allgemeinbildende Schu-
nomene wie z. B. Präpositionalphrasen, Satz- len. Schuljahr 2015/2016. Wiesbaden 2016. BD
stellung, Tempussystem, ä Orthographie sowie
ä Aussprache und Intonation Lernende vor er-
hebliche Herausforderungen stellen. Entdeckendes Lernen (auch forschendes Ler-
E. ist mit Abstand die am häufigsten unter- nen) ist ein lerner- und handlungsorientiertes
richtete Fremdsprache im deutschen Schulwe- methodisches Vorgehen (ä Lernerorientierung,
sen (7.221.222 SuS im Schuljahr 2015/2016; ä Handlungsorientierung), das einen For-
vgl. Stat. Bundesamt 2016, 92), die zudem für schungsprozess simuliert. Es basiert auf Neu-
die Mehrheit die erste Fremdsprache darstellt, gierde und Eigenaktivität der SuS und nimmt in
die seit Beginn des 21. Jh.s bereits ab der der Variante des ä forschenden Lernens Prinzi-
Grundschule angeboten wird. Daraus folgt eine pien wissenschaftlicher Forschung auf. Maß-
besondere Verantwortung der Lehrkräfte für geblich für das e.L. ist die Grundannahme, dass
die Vermittlung von Sprachlernmotivation eine rein darbietende Vermittlung vorstruktu-
(ä Motivation) und ä Lernstrategien mit dem rierter Wissensinhalte durch die Lehrperson
Ziel ä Mehrsprachigkeit. Für die Gestaltung des häufig nur ›träges ä Wissen‹ (inert knowledge)
E.unterrichts stellt sich v. a. angesichts der dia- ausbildet, das für die Lösung unbekannter Pro-
topischen Varietäten (z. B. British, Canadian, bleme irrelevant bleibt. Im Gegensatz dazu
Indian English) und der hohen Zahl nicht-erst- wird in kognitionspsychologischen Theorien
sprachiger Nutzer des E.en die Frage nach den (David Ausubel, Jerome Bruner) Lernen als
Zielen und Standards des FUs. Während aus kreativer, konstruktiver Prozess handelnder
wissenschaftlicher Sicht die normative Festle- Problemlösung verstanden: E.L. wird über die
gung nur eines Standards angesichts der World Formulierung von Hypothesen zu einer Frage-
Englishes kritisch betrachtet wird (vgl. z. B. stellung und den Einsatz selbstgewählter Me-
Kachru et al. 2009), erfordert das Prinzip der thoden zu deren Überprüfung realisiert. Der
kommunikativen Verständlichkeit im Lernkon- Wissenserwerb ist somit in einen situativen
text die Orientierung an einem standardsprach- Kontext eingebettet, und das neue Wissen wird
lichen Modell, das den Erwerb der Aussprache in bereits vorhandene Strukturen verankert
und Intonation (Major et al. 2002) ebenso er- (anchored instruction). Auf diese Weise Gelern-
leichtert wie den der Orthographie, des ä Wort- tes ist besser memorisierbar und transferierbar,
schatzes und der ä Grammatik. Die moderne weil es in einem Kontext erworben wird, der
ä Sprachdidaktik betont für die didaktisch-me- von den Lernenden selbst als bedeutsam wahr-
thodische Gestaltung des FUs die herausra- genommen wird.
gende Rolle von Kollokationen, Konstrukti- E.L. wird verstärkt in den naturwissenschaft-
onen und generischen Formen, die weit über das lichen Fächern rezipiert, deren experimenteller
Einzelwort hinausweisen (ä Chunk Learning, Charakter in entdeckende und forschende Un-
ä Generisches Lernen). Gleichzeitig ermöglicht terrichtsverfahren übertragen wird. Im FU ist
der Einsatz digitaler ä Medien die Begegnung das e.L. insbesondere im Verfahren der indukti-
mit nicht-standardisierten Varietäten, durch die ven Grammatikvermittlung zu finden (ä Gram-
SuS auf die Vielfalt der englischen Sprache und matik und Grammatikvermittlung, ä Induktives
63 Erfahrungsorientierung

Lernen): Eine Grammatikregel wird nicht von tete Reflexion der unterrichtlichen Praxis, die
der Lehrkraft dargeboten, sondern von den Bewusstmachung subjektiver Theorien zum
SuS selbst aus dem kommunikativen Kontext Lehren und Lernen von Fremdsprachen und die
hergeleitet, abstrahiert und in neue Anwen- Entwicklung begründeter Handlungsalternati-
dungsfälle transferiert. E.L. ist jedoch auch in ven für die Praxis.
anderen Bereichen des schulischen FUs an- Lit.: U. Hameyer: E.L. In: J. Wiechmann (Hg.): Zwölf
wendbar, und kognitionspsychologisch bzw. Unterrichtsmethoden. Vielfalt für die Praxis. Wein-
konstruktivistisch ausgerichtete Fremdspra- heim/Basel 42008 [1999, 114–129. – M. Schocker-v.
chendidaktiken (ä Konstruktivismus/Konstruk- Ditfurth: Forschendes Lernen in der fremdsprachli-
chen Lehrerbildung. Grundlagen, Erfahrungen, Per-
tion) nehmen verstärkt Prinzipien des e. L.s auf: spektiven. Tüb. 2001. BSch
die Arbeit mit authentischem, nicht didaktisier-
tem Material (z. B. mit ä Kinder- und Jugendli-
teratur, historischer Literatur, Pressetexten, Fil- Entwicklungsaufgabe ä Bildungsgangforschung
men, ä Musik); die Formulierung komplexer
Aufgaben, für die es mehrere Lösungswege und
Darstellungsformen gibt (z. B. die Erstellung ei- Erfahrungsorientierung bezeichnet das Prinzip
nes ä Posters oder der Aufbau eines Internetfo- unterrichtlichen Handelns, nach dem zum einen
rums); die Betonung kooperativer Lernformen an der Lebenswelt der Lernenden, ihren Fähig-
(z. B. Gruppen- oder ä Projektarbeit); das Ler- keiten und ihrem ä Vorwissen angeknüpft wird
nen über verschiedene Sinneskanäle (z. B. ä Vi- und zum anderen der Lehr-/Lernprozess derart
sualisierungen bei der Wortschatzarbeit); oder gestaltet wird, dass er Raum für neue Erfah-
motorisch orientierte Ansätze (z. B. ä Inszenie- rungen bietet. Der Ansatz von E., beim Er-
rungen und ä Dramapädagogik). ä Aufgaben- schließen neuer Inhalte auf bereits vorhandene
orientiertes Lernen mit entdeckenden bzw. for- Strukturen aufzubauen, wird durch lernpsy-
schenden Anteilen eignet sich bei der Arbeit mit chologische Befunde, v. a. durch konstruk-
literarischen Texten besonders zur Sensibilisie- tivistische ä Lerntheorien (ä Konstruktivismus/
rung für interpretatorische Vielfalt. Entschei- Konstruktion), gestützt: Durch die Vernetzung
dend beim e.L. ist die bewusste Reflexion des von Neuem mit Bekanntem werden Sachver-
eigenen Lernprozesses (z. B. über Lernproto- halte nachhaltig im Gedächtnis verankert. Die
kolle oder -tagebücher) und der konstruktive bessere Behaltensleistung steht in engem Zu-
Umgang mit ä Fehlern (Förderung von ä Me- sammenhang mit der ä Motivation, die durch
thodenkompetenz und ä Metakognition). Die den Bezug auf die Erfahrung der Lernenden
aktuelle Diskussion um die Ausrichtung des gefördert wird. E. beinhaltet also sowohl eine
FUs an kompetenzbasierten Curricula (ä Kom- kognitive als auch eine affektive Komponente
petenz) und eine stärkere Akzentuierung der (ä Emotion).
Aufgabenorientierung als Unterrichtsprinzip Neben der Bedeutung, die E. daher für den
tragen zu einem erhöhten Interesse am e.L. bei. sprachlichen Lernzuwachs zukommt, ist E.
Eine Herausforderung für die Unterrichts- auch an anderer Stelle im FU von hoher Rele-
praxis bleibt beim e.L. dessen hoher Autono- vanz: ä Interkulturelles Lernen besteht maßgeb-
mieanspruch: Es erfordert auf der Seite der lich darin, eigene Erfahrungen kritisch zu re-
Lernenden ein hohes Maß an Ausdauer, intrin- flektieren und andere Perspektiven darauf ein-
sischer ä Motivation und Ungewissheitstole- zunehmen. Gleichzeitig bedeutet E., dass neue
ranz, was nicht bei allen ä Lernertypen gleicher- Erfahrungen gemacht werden sollen. Hierfür
maßen vorausgesetzt werden kann. Auf der bieten sich für den FU das Aufsuchen außer-
Seite der Lehrperson erfordert die Begleitung schulischer Lernorte (ä Lehr- und Lernort) und
der Lernenden die Fähigkeit, binnendifferen- jede Form (interkulturellen) Austauschs an so-
zierte, individualisierte Aufgaben zu formulie- wie allgemein handlungs- und produktionsori-
ren (ä Differenzierung, ä Individualisierung) entierte Zugangsformen (ä Handlungsorientie-
und die subjektiven Ideen der Lernenden an die rung), die ein ä ganzheitliches Lernen ermögli-
objektiven Ziele des FUs anzubinden. In Zu- chen. E. kann sich darüber hinaus auch auf
sammenhängen der ä Lehrerbildung ist das e.L. ästhetische Erfahrungen beziehen, wie sie z. B.
zu einem maßgeblichen Ansatz für eine stärker in einem rezeptionsästhetisch angelegten Lite-
empirische Ausrichtung der Ausbildung gewor- raturunterricht gemacht werden können (vgl.
den (ä Empirie). Ziel ist hierbei die theoriegelei- Delanoy 2002).
Erfahrungsorientierung 64

E. ist eng verknüpft mit ä Lernerorientierung Erstsprache und Erstspracherwerb ä Spracher-


und bedeutet eine Vielfalt an Herangehenswei- werb und Spracherwerbstheorien
sen im Klassenzimmer. Dies wird dem Anspruch
von ä Differenzierung gerecht, verlangt aber viel
Flexibilität von Seiten der Lehrperson und be- Erwachsenenbildung ä Andragogik, ä Gerago-
deutet eine Aufweichung genau planbarer In- gik
halte und klar definierter Bewertungskriterien.
Diese letztgenannten Aspekte verweisen auf die
starren Grenzen, die E. in der Schule gesetzt sind. Europäisches Sprachenportfolio ä Portfolio
Wie viel E. kann in einem System erfolgen, dass
zeitlich, örtlich, inhaltlich und in Bezug auf das
soziale Miteinander so stark vorstrukturiert ist Evaluation ä Leistungsermittlung, ä Leistungs-
und zugleich eine starke Selektionsfunktion inne bewertung
hat? An diesem Punkt setz(t)en verschiedene re-
formpädagogische Bemühungen an (ä Reform-
pädagogik). Dass sich eine Auseinandersetzung Exkursion ä Lehr- und Lernort
mit den strukturellen Bedingungen von E. loh-
nen könnte, zeigt die Diskussion um den Stellen-
wert von E. für aktuelle gesellschaftliche Ent- Extensives Lesen ä Leseverstehen
wicklungen. Wenn es das Ziel von E. ist »den
Menschen, das Bildungssubjekt, in einen frucht-
baren Austausch mit seiner Mit- und Umwelt zu
bringen« (Pongratz 1994, 438), mag dies aus
Sicht postmoderner Theorie unmöglich sein,
denn diese stellt ein einheitliches, Erfahrungen
machendes Subjekt ebenso in Frage wie den Be-
zug zu einer vermeintlichen Lebenswirklichkeit.
Doch wenn Subjekt und Umwelt als konzeptu-
elle Größen beibehalten werden, zeigt sich das
Potenzial von E. im Umgang mit einem fragmen-
tiert erscheinenden, orientierungsarmen und
isolierendem Alltagserleben. Ludwig Pongratz
(1994, 441 ff.) verweist auf die »verhinderten
Erfahrungen«, die in Form von ä Stereotypen,
Alltagsmythen und Routine-Handlungen häufig
als Reaktion auf eine solche Wahrnehmung ent-
stehen. Die Aufgabe eines erfahrungsorientierten
Unterrichts sei es, diese ›verhinderten Erfahrun-
gen‹ durch Brechung zunächst bewusst zu ma-
chen, um dann E. erst richtig zu erlernen. Eine
solche Dynamik von E. wird auch von Werner
Delanoy (2002, 25 f.) als eine Antwort auf ge-
sellschaftliche Herausforderungen gesehen, da
bei immer komplexeren Identitätskonstruktio-
nen (ä Identität und Identitätsbildung) und weg-
fallenden übergreifenden Deutungsmustern ein
an Bekanntem anknüpfendes Lernen und Wei-
terentwickeln zu Neuem eine Bewältigungsmög-
lichkeit bietet.
Lit.: W. Delanoy: Fremdsprachlicher Literaturunter-
richt. Theorie und Praxis als Dialog. Tüb. 2002. –
L. A.  Pongratz: E. Überlegungen zum Verhältnis von
Bildung und Erfahrung. In: Pädagogik und Schulalltag
49/4 (1994), 438–445. LK
65 Fächerübergreifender Unterricht

F prägte Lernende sind letztlich bereit, eventuelle


fachliche Lücken des bzw. der Lehrenden aus-
zugleichen und ihn bzw. sie ohne Gesichts-
verlust aufzufangen. Die Annahme, dass Termi-
Fachsprache. Während F. in einem allgemeinen nologievermittlung einschließlich des damit
Verständnis häufig mit ›Terminologie‹ oder verbundenen Fachwissens nicht zum Aufgaben-
›Fachwortschatz‹ gleichgesetzt wird, ist unter F. bereich der F.nlehre im engeren Sinne, sondern
tatsächlich die Gesamtheit aller sprachlichen zur fachwissenschaftlichen Ausbildung gehör-
Mittel zu verstehen, die in fachlichen Kommu- ten, würde eine realistische Erwartungshaltung
nikationskontexten verwendet werden, um die zur F.nlehre zum Ausdruck bringen. Als eine
Verständigung zwischen den in diesen Berei- besondere Form des fachbezogenen FUs an all-
chen tätigen Menschen zu ermöglichen. Gegen- gemeinbildenden Schulen kann der ä bilinguale
stand einer von ihrem Wesen her interdiszipli- Unterricht angesehen werden. Es erscheint ab-
när ausgerichteten F.nforschung ist die Erfor- sehbar, dass diese Fach und Sprache verbin-
schung von Fachtexten in ihren sprachlichen dende Form des Lernens sich stimulierend auf
und fachlichen Zusammenhängen. F.n verfügen den F.nunterricht im Hochschulbereich auswir-
nicht über spezifische morpho-syntaktische ken und ebenso die Einrichtung fremdsprachi-
Charakteristika, ihre Besonderheiten ergeben ger, mehrheitlich englischsprachiger Studien-
sich vielmehr aus der Häufigkeit und der spezi- gänge begünstigen wird.
fischen Verwendung von Formen und Struktu- Lit.: T. Dudley-Evans/M. J. St John: Developments
ren der Gemeinsprache. In diesem Sinne können in  English for Specific Purposes. Cambridge 1998. –
Nominalisierung und Passivierung als typische C. Gnutzmann: F.n und fachbezogener FU. In: U. O. H.
Merkmale fachsprachlicher Syntax angesehen Jung (Hg.): Praktische Handreichung für Fremdspra-
chenlehrer. FfM 42006 [1992, 196–204. – C. Gnutz-
werden. Bei der F.nforschung haben wir es mit mann: Language for Specific Purposes vs. General
einem Fach(-disziplin) und Sprache integrieren- Language. In: K. Knapp/B. Seidlhofer (Hg.): Hand-
den Teilgebiet der Angewandten Linguistik zu book of Foreign Language Communication and Learn-
tun, dessen Forschungsergebnisse für die Ter- ing. Bln/N. Y. 2009, 517–544. CG
minologienormung, die Fachübersetzung, die
Verständlichkeitsforschung und Sprachkritik
sowie den fachbezogenen FU relevant sind. Im Fächerübergreifender Unterricht bezeichnet
Gegensatz zum herkömmlichen FU geht der Lehr-/Lernsituationen, die die Grenzen traditio-
F.nunterricht noch mehr von den Bedürfnissen neller Schulfächer überschreiten und die Ko-
der Lernenden aus, die maßgeblich die Zielset- operation mehrerer Fächer als konstitutiv er-
zungen und Inhalte des Unterrichts bestimmen. achten. Dies erfordert eine umfangreiche Ko-
Gemäß dem interdisziplinären Charakter der operation aller an diesem Unterricht Beteiligten,
F.ndidaktik ergibt sich ein komplexes und an- v. a. der Lehrer/innen und Schüler/innen. Inhalte
spruchsvolles Qualifikationsprofil für F.nleh- und Methoden des f.U.s sind nicht an der Syste-
rende mit den folgenden Merkmalen: sehr gute matik der Schulfächer orientiert, sondern an
Beherrschung der Fremdsprache und ihrer komplexen lebensweltlichen Fragestellungen
fachbezogenen Verwendungen; Fachkompetenz sowie an Fragen und Interessen der Lernenden,
in einer wissenschaftlichen Disziplin bzw. einer die gemeinsam erarbeitet werden. F.U. geht
Fächergruppe und entsprechende F.nkompe- häufig einher mit Lernerautonomie (ä Autono-
tenzen; Kenntnisse der F.nlinguistik (Lexik, mes Lernen), ä Handlungsorientierung, ä Pro-
Grammatik, Textkonstitution und -pragmatik); jektunterricht und ä ganzheitlichem Lernen.
Fähigkeit zur didaktischen Aufbereitung fach- F.U. ist damit charakterisiert durch Situations-
sprachenlinguistischer Erscheinungen im Hin- bezug, Orientierung an den Interessen der Be-
blick auf kommunikative ä Fertigkeiten und teiligten, Selbstorganisation und Selbstverant-
›passende‹ Inhalte; pädagogische Kompetenz wortung, gesellschaftliche Praxisrelevanz, ziel-
zur Sprachvermittlung. gerichtete Planung, ä Produktorientierung, die
Da diese Anforderungen insbesondere im Einbeziehung vieler Sinne, soziales Lernen und
Bereich der Fachkompetenzen kaum zu erfüllen Interdisziplinarität (vgl. Gudjons 2008). Damit
sind, sollte das Verhältnis zwischen Unterrich- steht dieses Konzept in der Tradition der ä Re-
tenden und Lernenden von Partnerschaft und formpädagogik. Lehrkräfte werden als Lernbe-
Kooperation bestimmt sein, denn nur so ge- gleiter und Lernberater verstanden. Die Vernet-

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_6, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
Fächerübergreifender Unterricht 66

zung der genannten Charakteristika führt auch bindung von FU mit zahlreichen anderen Fä-
zu neuen Formen der ä Leistungsbewertung, die chern vorstellbar, so u. a. mit dem Deutschun-
Lernprozesse vorrangig vor Lernprodukten terricht, mit Sport, Musik, Biologie oder Reli-
bzw. Lernergebnissen betrachten sowie selbste- gion. Den Ausgangspunkt bildet die gemeinsame
valuative Elemente mit aufnehmen. Neben f.U. Bearbeitung eines Themenfelds aus der Per-
finden sich weitere Bezeichnungen für ähnliche spektive unterschiedlicher Fächer. So könnte
Konzepte und Organisationsformen, so u. a. f.U. beispielsweise zum Thema ›Rassismus‹ die
vorfachlicher Unterricht, Fächer verbindender parallele Lektüre verschiedener Texte zu diesem
Unterricht, überfachlicher Unterricht, Fächer Thema in verschiedenen Sprachen ebenso bein-
überschreitender Unterricht oder auch interdis- halten (vgl. Fäcke/Rösch 2002) wie die Analyse
ziplinärer Unterricht. F.U. wird vorwiegend in rassistischer Strukturen im Geschichtsunter-
den Sekundarstufen I und II praktiziert und richt oder die Auseinandersetzung mit dem
bezeichnet eine phasenweise Aufbrechung des Themengebiet aus der Sicht der Biologie.
Fachunterrichtsprinzips. Es lassen sich zahlreiche Argumente für fä-
Begründungen und Zielsetzungen des fächer- cherverbindendes Lernen auf didaktischer und
übergreifenden Prinzips im FU visieren eine bildungspolitischer Ebene benennen. Bereits
Überwindung der Begrenzungen durch Schulfä- seit Jahren wird von Seiten verschiedener Bil-
cher an, um komplexeren Themen in einer dungspolitiker aller Bundesländer auf eine zu
komplexeren Wirklichkeit gerecht werden zu enge Abgrenzung zwischen einzelnen Unter-
können und den Interessen der Lernenden mehr richtsfächern hingewiesen und die Umsetzung
zu entsprechen (ä Global Education). Gesell- interdisziplinären und fächerübergreifenden
schaftliche Veränderungen ziehen veränderte Lernens in der Schule durch curriculare Vorga-
Anforderungen an ä Bildung nach sich. Darüber ben unterstützt. So wird in Curricula (ä Lehr-
hinaus ist die Entwicklung des Fächerkanons plan) für die gymnasiale Oberstufe die Durch-
gesellschaftlichen Setzungen unterworfen und führung fächerübergreifender Unterrichtsein-
weist zunehmend mehr Spezialisierungen auf. heiten empfohlen und die Bedeutung von
Schulfächer nehmen somit kaum interdiszipli- fächerverbindendem und fachübergreifendem
näre Aspekte auf, reduzieren komplexe Frage- Lernen für moderne Fremdsprachen unterstri-
stellungen auf die Dimensionen des eigenen chen (vgl. z. B. Hessisches Kultusministerium
Fachs und decken nicht alle relevanten gesell- 2011, 16). Begründungen für f.U. verweisen
schaftlichen Probleme oder querschnittsorien- darauf, dass Schule und Unterricht auf die
tierte Fragen ab. Dementsprechend sind Ler- Komplexität des Lebens vorbereiten wollen,
nende kaum in der Lage, fächerübergreifende das in seiner Vielschichtigkeit kaum durch ein-
Problemstellungen zu analysieren und zu lösen. zelne, klar voneinander abgegrenzte Schulfä-
Somit zielt f.U. auf problemorientiertes Lernen, cher mit ihren strikt definierten Inhalten um-
auf eine Vertiefung und Ergänzung fachlichen fassend erahnt werden könne. Die Betonung
Lernens, auf Perspektivenwechsel und wissen- fächerverbindender Aspekte (vgl. Duncker 1998,
schaftspropädeutisches Arbeiten sowie auf den Klafki 1998) ermöglicht, bestimmte Themen
Erwerb von ä Schlüsselqualifikationen (vgl. aus verschiedenen Perspektiven unterschiedli-
Forsbach 2008, 17–23). F.U. geht von Alltags- cher Fächer zu betrachten und sich durch je-
problemen und deren Bewältigung sowie von weils andere Zugänge und Schwerpunktsetzun-
den Erfahrungen der Lernenden aus. Probleme gen der Diversität und Vielfalt dieser Themen
des f.U.s liegen in der fachlichen Ausbildung anzunähern.
der Lehrenden, die für f.U. kaum ausgebildet Lit.: L. Duncker (Hg.): F. U. in der Sekundarstufe I und
sind, oder auch in organisatorischen Schwierig- II. Prinzipien, Perspektiven, Beispiele. Bad Heilbrunn
1998. – C. Fäcke/H. Rösch: Le racisme expliqué à ma
keiten in einer von Schulfächern geprägten In-
fille. Papa, was ist ein Fremder? Tahar ben Jelloun im
stitution Schule. fächerübergreifenden Deutsch- und Französischunter-
F.U. realisiert sich im Blick auf den FU häufig richt. In: Praxis des neusprachlichen Unterrichts 49/2
als konzeptionelle Ausweitung seiner landes- (2002), 186–195. – B. Forsbach: Fächerübergreifender
und kulturkundlichen Elemente, d. h. in Projek- Musikunterricht. Konzeption und Modelle für die
ten, die die Fremdsprache mit Geschichte, Sozi- Unterrichtspraxis. Augsburg 2008. – H. Gudjons:
Handlungsorientiert lehren und lernen. Schülerakti-
alkunde oder Erdkunde kombinieren. Eine be- vierung, Selbsttätigkeit, Projektarbeit. Bad Heilbrunn
sondere Ausprägung stellt der ä bilinguale 2008. – Hessisches Kultusministerium: Bildungsstan-
Unterricht dar. Darüber hinaus ist f.U. als Ver- dards und Inhaltsfelder. Das neue Kerncurriculum
67 Feedback

für  Hessen. Sekundarstufe I, Gymnasium. Moderne ermöglicht, die ä Aufmerksamkeit auf be-
Fremdsprachen. Wiesbaden 2011. https://kultusminis stimmte Aspekte der Äußerung zu lenken und
terium.hessen.de/sites/default/files/media/kerncurricu
auf diese Weise einen Lernfortschritt zu initiie-
lum_moderne_fremdsprachen_gymnasium.pdf – W.
Klafki: F.U. Begründungsargumente und Verwirkli- ren. Ziel ist v. a. die Verhinderung der ä Fossili-
chungsstufen. In: S. Popp (Hg.): Grundrisse einer hu- sierung, also des ›Einschleifens‹ von Fehlern.
manen Schule. Innsbruck/Wien 1998, 41–57. – W. H. Die Bewusstmachung (ä Bewusstheit/Bewusst-
Peterßen: Fächerverbindender Unterricht. Begriff, machung) von Fehlern durch F. trägt zum Auf-
Konzept, Planung, Beispiele. Ein Lehrbuch. Mü. 2000. bau fachlicher Heuristiken (»Wie kann ich et-
ChF
was Neues über den Gegenstand herausfin-
den?«), metakognitiver Strategien (»Wie gehe
Feedback ist ursprünglich ein Begriff aus der ich methodisch dabei vor?«; ä Metakognition)
Kybernetik und bedeutet ›Rückkoppelung‹. Im und language awareness bei. Die Wirksamkeit
Kontext von Lehren und Lernen bezeichnet F. einzelner Verfahren des Korrekturverhaltens ist
eine Information an eine Person oder Gruppe jedoch empirisch kaum belegt. F. zu Fehlern
darüber, wie deren Verhalten von einer anderen kann in verschiedener Form geschehen: Die
Person oder Gruppe wahrgenommen wird. In Lehrperson kann die fehlerhafte Äußerung als
der ä Fremdsprachendidaktik ist der Begriff mit ›Lehrerecho‹ wieder aufnehmen und dabei kor-
den Bereichen ä Übung und Fehlerkorrektur rigieren (S: »*Il a allé«/L: »Il est allé«), der
(ä Fehler) verbunden. Im allgemeindidaktischen Schüler bzw. die Schülerin kann die Möglich-
Kontext (ä Allgemeine Didaktik) gilt F. als Ver- keit zur Selbstkorrektur erhalten (L: »Il  …?«)
fahren der Unterrichts- und Schulentwicklung. und/oder explizit auf die Kategorie des Fehlers
In behavioristischen Theorien des Fremd- aufmerksam gemacht werden (L: »Tu t’es
sprachenlernens wird F. als Impuls zur Verhal- trompé de l’auxiliaire du verbe ›aller‹«). Bei der
tensänderung (Konditionierung) verstanden. Korrektur schriftsprachlicher Äußerungen wird
Im Programmierten Unterricht der 1960er entweder die Fehlerkategorie markiert (z. B. ›T‹
Jahre wird es als Verstärkung einer sprachlich für ›Tempusfehler‹) oder ein verbessernder Lö-
korrekten Äußerung eingesetzt (Schüleräuße- sungsvorschlag neben die fehlerhafte Äußerung
rungen werden mit programmierten Rück- notiert. Es lässt sich mittlerweile eine generelle
meldungen wie »Die Lösung ist richtig!« oder Abkehr von der Defizitorientierung (es wird nur
»Bravo!« bedacht), wodurch die jeweilige auf Fehler fokussiert) im FU beobachten und
sprachliche Struktur memorisiert und auto- eine stärkere Betonung dessen, was bereits ge-
matisiert werden soll. Während behavioristi- konnt ist und sprachlich gelungen ausgedrückt
sche Drill&Practice-Verfahren mittlerweile als wurde (Positivkorrektur). Auch besonders mu-
sprachlehr-/lerntheoretisch überholt gelten dür- tige Formulierungen können mit einem positi-
fen, überlebt das Prinzip des programmierten ven F. bedacht werden, um die Tendenz zur
F.s in zahlreichen multimedialen (Selbst-)Lern- Fehlervermeidung durch den Gebrauch allzu
programmen (ä Lernsoftware) als maßgebliches einfacher Strukturen zu durchbrechen. Dieser
Gestaltungsinstrument, v. a. beim Einüben von Ansatz entspricht dem kompetenzorientierten
Vokabeln und grammatischen Strukturen. Neu Verständnis von Evaluation, wie es im ä Ge-
ist hingegen der Ansatz, Übungen mit automa- meinsamen europäischen Referenzrahmen ent-
tisiertem F. von SuS selbst entwickeln zu lassen, worfen wird. Die genaue Beschreibung der
wobei sie auf Autorensoftware zu interaktiven ä Kompetenzen in Form von Kann-Beschrei-
Übungen zurückgreifen können, die Kreuzwort- bungen (z. B. »kann Wortgruppen durch einfa-
rätsel, Multiple-Choice-Aufgaben oder Lücken- che Konnektoren wie ›und‹, ›aber‹ und ›weil‹
texte generieren. verknüpfen«) ermöglicht die Ableitung konkre-
In der Lehrer-Schüler-Interaktion (ä Unter- ter Bewertungskriterien: Evaluiert wird in ers-
richtsinteraktion) wird F. im Sinne von Fehler- ter Linie das, was ein Schüler bzw. eine Schüle-
korrektur verstanden. Fehler – als Verstöße ge- rin bereits kann, noch nicht erreichte Kompe-
gen diejenige standardsprachliche Norm, die tenzen werden im F. nicht als Fehler, sondern
dem FU zugrunde liegt – sind unumgänglicher als Entwicklungsperspektive aufgezeigt. SuS
Bestandteil der Lernersprache (ä Interlanguage) nehmen korrigierendes F. in offenen Unter-
und stellen Lerngelegenheiten dar: Der Begriff richtssituationen als Lernchance wahr, wäh-
der ä Korrektur bezeichnet hier das F. zu einer rend es in Leistungssituationen eher als persön-
fehlerhaften Äußerung in der Zielsprache. Es licher Misserfolg gewertet wird. Es sollte daher
Feedback 68

darauf geachtet werden, Fehlerkorrekturen nicht Fehler. Der Begriff F. gehört seit der Antike zu
mit negativen Sanktionen (Noten, Tadel) zu ver- den zentralen Begriffen im Bereich von Erzie-
binden, sondern sie als natürlichen Anteil der hung und Bildung. F. werden ›geahndet‹, ›ange-
Unterrichtskommunikation konstruktiv zu be- kreidet‹, ›ausgetrieben‹, ja ›ausgemerzt‹; auf der
handeln. Basis der F.zahl werden Leistungen bewertet
Seit ca. den 1990er Jahren bildet sich eine (ä Leistungsbewertung). Der traditionelle Sprach-
allgemeindidaktische F.kultur heraus, die sich gebrauch zeigt eine gewisse Nähe zu Sünde und
auf sämtliche Aspekte des Unterrichts und des persönlicher Schuld: F. sind offenbar vom Teufel,
Schullebens bezieht. F. bedeutet hier wechselsei- und Gnade kann es folglich nicht geben. Die
tige Rückmeldungen von SuS, Lehrkräften, El- aber, die die F. nachweisen und zählen, haben die
tern und Schulleitung. Ziel ist die Evaluation Macht; allerdings sollte Machtausübung kein
(und Steigerung) von Unterrichtsqualität Instrument der Pädagogik sein.
(ä Qualität) und die Schaffung eines positiven Erst relativ spät, in Hermann Weimers Klei-
Lernklimas, wobei davon auszugehen ist, dass nen fehlerkundlichen Schriften (1920–1942),
eine angstfreie Atmosphäre als Voraussetzung wurden Versuche unternommen, F. nach psy-
für erfolgreiche Lernprozesse fungiert. Als chologischen Gesichtspunkten zu klassifizieren.
gruppendynamisches Verfahren zur Verbesse- Dies geschah auch, um eine didaktisch begrün-
rung der Selbst- und Fremdwahrnehmung wer- dete F.prophylaxe (Entwicklung von Strategien
den F.methoden v. a. im Unterricht selbst einge- zur F.vermeidung) und F.therapie entwickeln zu
setzt. Das Geben und Nehmen von F. orientiert können. Die Ansätze des Englischlehrers und
sich an verbindlichen Regeln: Der Gebende Pädagogen Weimer wurden aber im Gefolge
formuliert konstruktiv (z. B. »Ich würde mir in von Nationalsozialismus und Zweitem Welt-
Zukunft mehr Übungen wünschen« statt »Du krieg nicht weiterverfolgt. Erst die frühen
hättest mehr Übungen einbeziehen sollen«), 1970er Jahre brachten eine allgemein akzep-
beschreibend, subjektiv und möglichst konkret tierte Klassifikation, die F. nach ihrem Zustan-
(»Ich habe mich bei der Wortschatzübung ge- dekommen in vier Kategorien einteilte: slip (of
langweilt« statt »Der Unterricht ist langweilig«). the tongue/the pen), mistake, error und attempt.
F. sollte nur gegeben werden, wenn es aus- Slip und mistake wurden als Performanz-F.
drücklich erwünscht ist. Der Nehmende lässt klassifiziert (Versprecher/Verschreiber bzw.
den Gebenden ausreden, ohne zu unterbrechen Nicht-Beachten einer bereits erworbenen/ge-
oder sich zu verteidigen. Er stellt vergewissernde lernten, aber noch nicht automatisierten Regel-
Nachfragen und formuliert seinerseits die Reak- haftigkeit), error und attempt als Kompetenz-F.
tion auf das F. Etablierte Methoden des F.s sind (systematischer Regelverstoß, bezogen auf be-
z. B. das 3×3-F., die F.-Zielscheibe, das Aquarium reits erworbene/erlernte Regelhaftigkeiten bzw.
(fish-bowl) und das Blitzlicht. Als Evaluationsin- Regelverstoß angesichts noch nicht erworbener/
strument zielt F. auf die Messung und Bewertung gelernter Regelhaftigkeiten). Die Klassifikation
der Wirkung unterrichtlicher Verfahren. Lehr- enthielt eine implizite Aussage hinsichtlich der
kräften kann es helfen, das eigene unterrichtliche Schwere der F.typen: Slip und mistake waren
Handeln zu reflektieren und Handlungsalterna- nicht der sprachlichen Tiefenstruktur im
tiven zu entwickeln (Prinzip des reflective practi- Chomskyschen Sinne zuzuordnen; sie waren
tioner). Typische Szenarien sind hier Schüler-F. von der Tagesform abhängig und daher weniger
(z. B. Fragebögen, Bewertungsskalen), kollegiale gravierend als errors, die ein Umlernen im Be-
Rückmeldungen (z. B. über gegenseitige Unter- reich der Tiefenstruktur implizierten. Die aus
richtsbesuche) oder Supervisionen. In der For- heutiger Sicht interessanteste Kategorie, der
schung unbestritten ist mittlerweile, dass F. zur attempt, fristete zunächst, zumindest in schuli-
Verbesserung der Unterrichtsatmosphäre beitra- scher Perspektive, ein Schattendasein, was der
gen kann. Offen bleibt häufig die Frage, in wel- durchaus revolutionären Natur des Konzepts
cher Form Ergebnisse von F. in den Unterricht nicht gerecht wurde: Da sollte ein System-F.,
zurückfließen sollten. potenziell also ein ›schwerer‹ F., nicht mehr
Lit.: J. Bastian/A. Combe/R. Langer: F.-Methoden. Er- ›gezählt‹ werden, da er im Rahmen des mutigen
probte Konzepte, evaluierte Erfahrungen. Weinheim/ Versuchs zustande gekommen war, eine vom
Basel 22005 [2003. – K. Kleppin: Fehler und Fehler- Lerner bzw. von der Lernerin aufgrund fehlen-
korrektur. Bln 72008 [1998. BSch der ä Kompetenz kommunikativ noch nicht
lösbare Aufgabe dennoch zu bewältigen. Tat-
69 Fehler

sächlich ist die Kategorie attempt der erste ohnehin gar nicht oder allenfalls halb bewusst
Schritt zu einer Abkehr von den oben skizzier- wahrgenommen (Beispiele aus dem Englischen:
ten traditionellen Prinzipien, ein Meilenstein Futur oder Konditional im if-Satz, Verwechs-
auf dem Weg zu einer positiveren Sicht der – lung von past und present perfect). Und wenn
notwendigerweise fehlerhaften – Lernersprache der F., gemessen an der Sprachkompetenz des-
(ä Interlanguage). Der nach 1980 entwickelte sen, der ihn produziert, außergewöhnlich ist, so
ä kommunikative FU bzw. die kommunikative sucht das Gegenüber nach einer entschuldigen-
Didaktik hat den Ansatz übernommen; der den Erklärung. Schwerwiegend sind hingegen
ä Gemeinsame europäische Referenzrahmen und F., wie sie im klassischen FU kaum eine Rolle
das Europäische ä Portfolio der Sprachen als gespielt haben: Verstöße im pragmatischen oder
Evaluationsinstrumente des Europarates erhe- kulturellen Bereich (›Kultur-F.‹). Sie führen zu
ben den positiven Umgang mit Lernersprache affektiven Reaktionen, die das Miteinander der
auf allen Kompetenzstufen zum Grundprinzip. in unmittelbarem oder mittelbarem Kontakt
Traditionell gilt im FU der Grammatik-F. als stehenden Partner untergraben. Freilich benö-
schwerer F. Dies hängt mit dem Lateinunterricht tigt die Lehrkraft adäquate Kenntnisse der
des 19. Jh.s zusammen, der in nach-neuhuma- Zielsprachenkultur, um solche F. überhaupt zu
nistischer Zeit für die neueren Sprachen zum entdecken. Die in Deutschland produzierten
Bezugspunkt wird. Im Lateinischen gilt Gram- ä Lehrwerke noch der 1980er Jahre sind reich
matikunterricht als zentrale Aufgabe der an Pragmatik- und Kultur-F.n, und das Video-
Sprachpraxis; er gibt dem Fach seine angeblich material der ä DESI-Studie legt nahe, dass die
vorhandene denkschulende Kraft und damit meisten Nicht-Muttersprachler in der Fremd-
seinen (im Urteil der Zeitgenossen) überdurch- sprachenlehrerschaft mehr oder minder gehäuft
schnittlichen Bildungswert. Grammatikbeherr- selbst entsprechende F. produzieren: Ihre prag-
schung suggeriert fachliches Können und zeugt matisch-stilistischen und kulturellen Fertigkei-
von Bildung. Kommunikative Gesichtspunkte ten im Bereich der zu vermittelnden Fremdspra-
sind im post-neuhumanistischen Lateinunter- che reichen nicht aus. Dies ist ein Problem der
richt ohne Belang, denn Latein hat seine Rolle Lehrerausbildung und -fortbildung. Deutsche
als internationale Sprache wissenschaftlicher Firmen, deren Prosperität vom Export und Im-
und politischer Kommunikation längst einge- port von Waren und Dienstleistungen abhängt,
büßt. Der hier skizzierte Zusammenhang wird geben nachweislich sehr viel Geld dafür aus, um
im Verlauf des 20. Jh.s nicht mehr durchschaut, ihre im Auslandseinsatz tätigen Mitarbeiter/in-
das Phänomen Grammatik-F. nur noch entste- nen in situationsadäquater Höflichkeit, aber
hungsdiagnostisch reflektiert. Die kommunika- beispielsweise auch in der Äußerung vorsichti-
tive Wende der 1980er und 1990er Jahre führt ger, wohldosierter Kritik zu schulen, ihnen die
vor dem Hintergrund veränderter Anforderun- deutsche Direktheit im Diskurs abzugewöhnen
gen an das Sprachkönnen der Schulabsolvent/- und ihre interkulturellen Fähigkeiten wie auch
innen (plurilinguisme, compétence transfronta- ihr diesbezügliches Problembewusstsein zu ent-
lière, ä Globalisierung) zu dem oben angedeute- wickeln – freilich im Kontakt mit entsprechend
ten Umdenken im Bereich der F.kategorien und ausgebildeten, hochdotierten Muttersprachler/-
der F.gewichtung. Die Schwere eines F.s hängt innen, zumeist an ausgesuchten ausländi-
nun nicht mehr von sprachlichen Kategorien ab, schen Sprachenschulen. In der globalisierten
aber eben auch nicht von der (vermeintlichen) Welt sind pragmatische Adäquatheit und kultu-
Art seines Zustandekommens, sondern von sei- relle Angemessenheit zentrale Bereiche einer
ner potenziellen Wirkung auf das Gegenüber. Ist ä kommunikativen Kompetenz, die dann auch
ein F. geeignet, negative Affekte hervorzurufen, entsprechende kommunikative Reperaturtech-
so handelt es sich um einen gravierenden F. Ist niken für den Krisenfall mit beinhaltet.
die abzusehende Reaktion hingegen lediglich Der FU in Deutschland steht am Ausgang ei-
kognitiver Natur (Motto: »no negative fee- ner 200 Jahre währenden Epoche, in der er die
lings!«), so handelt es sich um einen leichten F. leichten F. zu schweren deklarierte, die wirklich
Aus der kommunikativen Perspektive sind weit- schweren aber weitgehend unbeachtet ließ. Der
aus die meisten Grammatik-F. leichte F., denn Umdenkungsprozess seit Ende der 1990er Jahre
sie werden im Kopf des Gegenübers richtig- geht allerdings noch weiter: Der Gemeinsame
gestellt, ohne dass Affekte ausgelöst werden. europäische Referenzrahmen und das Portfo-
Manche Grammatik-F. werden vom Gegenüber lio-Format verzichten auf jedes Auszählen von
Fehler 70

F.n. Stattdessen werden empirisch gewonnene daktische Maßnahmen. Allerdings ist der Ansatz
Kompetenzniveaus (sechs Niveaus, von A1 bis des traditionellen FUs, dass nämlich Regel-Ler-
C2) beschrieben, wobei positive Deskriptoren nen das probateste Mittel der F.vermeidung sei,
zur Anwendung kommen (can do-statements). heute umstritten: Praktisch alle SuS kennen die
Dabei wird die Möglichkeit fehlerhafter Äuße- Vers gewordene Regel »he, she, it, das ›s‹ muss
rungen passend zu den unterschiedlichen Kom- mit«. Dennoch gibt es genug Lernende, die zwi-
petenzniveaus der Lernenden durchaus einge- schen der 5. und 10. Klasse das ›s‹ in der 3. Per-
räumt: Kommunikationsprozesse und erst recht son Präsens vergessen. Man kann dies als Sys-
kommunikative Lernprozesse sind fehlerfrei temzwang, als eine Form der Übergeneralisie-
nicht möglich. Auch Muttersprachler/innen pro- rung, deuten (Englisch hat wenige Endungen,
duzieren F. In der Regel sind dies Performanz- also lässt man auch die weg, die noch vorhan-
F., doch es kommen auch Kompetenz-F. vor (im den sind) oder auch als Einfluss populärer So-
Englischen beispielsweise: falscher Gebrauch ziolekte des angelsächsischen Sprachraums, in
von Latinismen und Gräzismen). Interims-F. denen diese Endung ebenfalls fehlt. Wichtig ist,
begleiten als integrativer Bestandteil jedes dass Lernende dazu gebracht werden, über die
sprachlich-kulturellen Lernprozesses die Annä- Ursache ihrer F., aber auch über ihre Wirkung,
herung der Lernenden an Zielsprache und Ziel- nachzudenken. Dazu bedarf es Hilfestellungen
sprachenkultur. Sie verschwinden von selbst in Gestalt von Hypothesen, schon weil der glei-
wieder, wenn die Lernenden erst genügend che F. bei unterschiedlichen Lernenden unter-
sprachlichen Input bekommen haben, der es schiedliche Gründe haben kann und nur der
ihnen gestattet, weiter in das System vorzudrin- oder die individuelle Lernende selbst zu einer
gen und zu komplexeren Hypothesenbildun- plausiblen Erklärung zu finden vermag. Eine
gen, die Zielsprache und die Zielsprachenkul- solche Erklärung ist dann auch ein Stück F.pro-
tur betreffend, zu gelangen. Dabei wird Lernen phylaxe und wesentlich wirksamer als das
als ein komplexer Konstruktionsprozess begrif- gleichgerichtete Auswendiglernen von Regeln,
fen (ä Konstruktivismus/Konstruktion), den die die dann doch nicht angewandt werden, weil
oder der Lernende weitgehend selbständig und der Transfer von der Regel zur Anwendung
auf individuelle Weise durchläuft. nicht gegeben ist. Zu bedenken ist, dass die
Lernende der Anfangsstadien einer Sprache Konsequenzen von F.n für Nicht-Muttersprach-
neigen zu ä Übergeneralisierungen. Die Zahl ler nicht immer einsichtig sind. So wissen
dieser falschen Verallgemeinerungen (»*I goed« deutschsprachige Lernende des Englischen bei-
parallel zu »I walked«) nimmt mit fortschrei- spielsweise nur selten, dass eine fehlerhafte In-
tendem Lernprozess ab. Lernende transferieren tonation gravierende kommunikative Folgen
auch aus ihrer Muttersprache (negativer haben kann und insofern viel problematischer
ä Transfer: »I become« für »ich bekomme«) ist als eine falsche grammatische Form oder eine
oder aus einer anderen gelernten Sprache. Da- fehlende Vokabel. Im Zusammenhang mit der
bei können auch Dialekte eine Rolle spielen. Thematisierung der kommunikativen Konse-
Ein pfälzisches »isch han gebrung« kann im quenzen von F.n ist die Vermittlung von Repa-
Englischen zu einem »*I’ve brung« (statt raturtechniken bedeutsam.
»brought«) führen. F. haben mitunter auch F. müssen korrigiert werden, die kommuni-
nicht-sprachliche Ursachen, etwa Traumata, kativ gravierenden zuerst, schon um ä Fossili-
Ängste, negativen Stress: Ein Schüler hat Angst, sierungen zu vermeiden – aber stets im Rahmen
dass er einen ganz bestimmten F. machen eines Ansatzes, der selbst wieder das Adjektiv
könnte; er ›verheddert‹ sich und macht den F. ›kommunikativ‹ verdient. Ein F. sollte freund-
Ist der Schüler gelöst, steigt seine kommunika- lich, aber bestimmt, ohne Ironie oder gar Sar-
tive Leistung, auch die Flüssigkeit, mit der er die kasmus, aber doch anschaulich, vielleicht thea-
Fremdsprache produziert, und gleichzeitig sinkt tralisch überzeichnet, v. a. aber stets wohlwol-
die Zahl der vom Gegenüber bemerkten F. lend gekennzeichnet und korrigiert werden. F.
Auch innerhalb eines FUs, der kommunika- korrektur bedarf auf Lehrerseite also der kom-
tive und ä interkulturelle kommunikative Kom- munikativen Übung (conversational approach),
petenz als oberste ä Lernziele verfolgt, sind F.- gerade auch dann, wenn die Lehrkraft die Ler-
prophylaxe (als Strategie, die das gehäufte Auf- nenden bei der ä Korrektur einschaltet (peer
treten bestimmter F. vermeidet), F.analyse und correction). Starre Handlungsanweisungen, wie
F.therapie (bei ›hartnäckigen‹ F.n) wichtige di- sie mitunter in der Lehrerausbildung gegeben
71 Fernunterricht

werden, sind unter kommunikativen Gesichts- terricht. Grundlagen und Methoden einer handlungs-
punkten eher kontraproduktiv. Quantitativ ge- orientierten Unterrichtspraxis. Tüb. 42009 [1989,
161–186. KoSch
sehen ist eine zu häufige, unterbrechende F.
korrektur ebenso problematisch wie eine zu
seltene, von der dann das Signal ausgeht, An- Fernsehen ä TV-Didaktik
strengung im Prozess der Sprachproduktion sei
nicht vonnöten. Die Korrekturhäufigkeit hängt
dabei ebenso von den Zielsetzungen der Unter- Fernsehkompetenz ä TV-Didaktik
richtsphase ab (etwa: Flüssigkeitstraining vs.
ä Übung von Strukturen), wie vom Naturell der
oder des zu korrigierenden Lernenden und von Fernunterricht ist als Gegenteil zur Präsenzlehre
der Problematik des F.s. Insgesamt sollte die eine spezifische Form der »Vermittlung von
Lehrerschaft, wo immer didaktisch vertretbar, Kenntnissen und Fähigkeiten, bei der der Leh-
mehr Gelassenheit im Umgang mit F.n entwi- rende und der Lernende ausschließlich oder
ckeln. Sie sollte sich klar darüber sein, dass – überwiegend räumlich getrennt sind, und der
menschlich verständlich – F. im Kontext von Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg
Schule und Unterricht nicht nur als sprachliche überwachen« (FernUSG §1 Abs. 1; vgl. www.
Verstöße aufscheinen, sondern oft auch als Af- zfu.de). Zur Überbrückung der charakteristi-
front gesehen werden, zeigt der oder die Ler- schen Distanz zwischen Lernenden und Leh-
nende (angeblich) doch, dass er bzw. sie mal renden werden ä Medien eingesetzt, die zum
wieder nicht zugehört oder nichts gelernt hat. Hauptmerkmal von F. avancieren. Klassisch
Das löst dann die oben beschriebenen ›Rache- zeichnet sich F. durch die Bereitstellung von
mechanismen‹ (Motto: »Dir werde ich’s zei- Druckerzeugnissen (sog. Lehr- oder Studien-
gen!«) aus, womit die Lehrkraft ihre neutrale briefe) aus, mit denen der bzw. die Lernende
Rolle als Lerninitiator/in und -berater/in ver- sich Wissen zunächst selbst aneignen kann. Zur
lässt. Kaum ein Schüler will F. machen, mög- Förderung der Distanzbewältigung ist dieses
lichst noch, um die Lehrkraft zu ärgern. Was F.-Material häufig in Form eines didaktischen
SuS und Lehrkräfte unterscheidet, ist die (viel- Gesprächs (Studienbrief) aufbereitet und ent-
leicht ja gespielte) Lässigkeit, mit der SuS F.n hält erkenntnisleitende Fragen und Aufgaben-
begegnen, eine nonchalance, die der oder die stellungen, die bearbeitet und zur Kontrolle
Lehrende klassischerweise nicht teilt. Mit dem zurückgeschickt bzw. eingereicht werden müs-
neuen Blick auf die Lehrerrolle (ä Lehrer/in und sen (sog. Einsendeaufgaben). In regelmäßigen
Lehrerrolle) jedoch, die ihren Grund in einer Abständen finden meist zusätzlich Präsenzter-
gewandelten Perspektive auf den Lernprozess mine statt, die einerseits die Möglichkeit bieten,
selbst hat, ändert sich auch der Umgang mit Inhalte zu vertiefen und Fragen zu klären, an-
dem Phänomen F. Sicher führt das in Einzelfäl- dererseits aber auch die soziale Interaktion
len dazu, dass mehr F. gemacht werden als frü- zwischen den Lernenden sowie mit dem Leh-
her, dafür aber steigt die Flüssigkeit und mit ihr renden fördern. Diese ä Blended Learning-Sze-
nicht zuletzt die kommunikative Leistungsfä- narien sind zwar eine Mischform aus F. und
higkeit insgesamt. Präsenzunterricht, entsprechen aber dem Groß-
Lit.: P. Corder: The Significance of Learners’ Errors.
teil der heute unter F. subsumierten Angebote.
In: International Review of Applied Linguistics 5 1856 führte Gustav Langenscheidt in Berlin
(1967), 161–170. – K. Hecht/P. Green: Zur kommuni- Korrespondenzbriefe für Französisch ein, die
kativen Wirksamkeit von fehlerhaften Schüleräuße- als Ursprung des F.s in Deutschland überhaupt
rungen. In: Praxis des neusprachlichen Unterrichts 36 gelten. Traditionell konzentrierte sich der F. für
(1989), 3–9. – K. Kleppin: F. und F.korrektur. 72008
Fremdsprachen auf die ä Fertigkeiten ä Lesen
[1998. – H. J. Krumm: Ein Glück, dass Schüler F.
machen! In: E. Leupold/Y. Petter (Hg.): Interdiszipli- und ä Schreiben, die problemlos mittels Lehr-
näre Sprachforschung und Sprachlehre. Tüb. 1990, briefen und Einsendeaufgaben geschult werden
99–105. – H. Raabe: Der F. beim Fremdsprachener- können. Mit der technischen Entwicklung,
werb und im Fremdsprachengebrauch. In: D. Cheru- welche die Einbindung auditiver (beginnend
bim (Hg.): F.linguistik. Tüb. 1980, 61–93. – L. Selin- mit Radio und Tonkassette und heute z. B. Pod-
ker: Interlanguage. In: International Review of Applied
Linguistics 10 (1972), 209–231. – J.-P. Timm: F.kor- casts) und dann auch visueller Medien (zu-
rektur zwischen Handlungsorientierung und didakti- nächst Fernseher, vgl. Telekolleg, oder heute
scher Steuerung. In: G. Bach/Ders. (Hg.): Englischun- YouTube) ermöglichte, konnten die rezeptiven
Fernunterricht 72

Fertigkeiten um das ä Hörverstehen erweitert Netz verknüpft werden. Beim Fremdsprachen-


werden. Neue Medien (z. B. Videokonferenz, lernen ist dies insbesondere interessant zur
Skype) erlauben auch das für das Fremdspra- Einbindung verschiedener Online-Ressourcen
chenlernen essentielle Training des ä Sprechens (z. B. ä Wörterbücher, Vokabellern-Apps oder
und der ä Aussprache. F. ist zwar immer noch Referenzgrammatiken) oder authentischer ta-
grundsätzlich von Schriftlichkeit geprägt, die gesaktueller Medien (z. B. Zeitungsartikel, Pod-
Technik ermöglicht aber neue Formen der In- casts oder Blogeinträge).
teraktion sowie Kollaboration und allgemeinen Lit.: B. Holmberg: Distance Teaching of Modern Lan-
Organisation des Lernprozesses. Auch heute guages. Hagen 1989. – P. Sharma/B. Barrett: Blended
bestimmen Fremdsprachen noch einen Großteil Learning. Using Technology in and beyond the Lan-
des angebotenen F.s. Die staatliche Zentralstelle guage Classroom. Oxford 2007. CJG
für F. (ZFU) verzeichnet mehr als hundert
Sprachkurse für die gängigen Fremdsprachen
ä Englisch, ä Französisch, ä Spanisch, ä Rus- Fertigkeiten (skills) sind Handlungsabläufe, die
sisch, Italienisch und Türkisch; zusätzlich eine zunächst erlernt und durch ä Übung automati-
große Zahl ä DaF-Kurse und auch einige La- siert werden (ä Automatisierung), um schließlich
teinkurse. Neben der Fernuniversität Hagen unbewusst zu erfolgen. Die Abgrenzung von F.
bieten auch immer mehr Präsenzhochschulen zu Fähigkeiten erfolgt je nach Disziplin unter-
zusätzlichen F. an (z. B. LMU München: DUO schiedlich; für die ä Fremdsprachendidaktik lässt
für DaF; TU Dresden: Scioviam für Latein). sie sich am ehesten folgendermaßen veranschau-
Struktur, ä Lernziele, Lernabschnitte sowie lichen: F. sind Bestandteile der Fähigkeit zum
die zeitliche Reglementierung (Kursdauer, Ter- Sprachhandeln, welche jedoch darüber hinaus
mine der Präsenzen und Prüfungen) sind im F. viele von der Kommunikationssituation abhän-
zwar festgeschrieben, darüber hinaus entschei- gige Faktoren beinhaltet (vgl. Krumm 2001b).
det der bzw. die Lernende jedoch selbst über Als die vier Grund-F., die für das Sprachenlernen
Lernzeit, -ort und -tempo, was den F. als ideale seit langem als zentral erachtet werden und da-
berufsbegleitende Weiterbildung auszeichnet. durch gewissermaßen zu eigenständigen ä Lern-
F. erfordert jedoch ein großes Maß an Selbst- zielen des FUs geworden sind, gelten das ä Spre-
disziplin und Durchhaltevermögen, kann je chen, das ä Hörverstehen, das ä Leseverstehen
nach ä Lernertyp aber auch zur Überforderung und das ä Schreiben. In jüngerer Zeit sind das
oder Vereinsamung im Lernprozess führen. In nonverbale Sehverstehen (ä Visuelle Kompe-
Abgrenzung zum Selbststudium zeichnet sich tenz), v. a. aber die ä Sprachmittlung als grund-
F. jedoch durch pädagogische Begleitung durch legende F. des FUs hinzugekommen.
Lehrende oder Tutor/innen aus: Einsendaufga- Es gilt jedoch, ein Verständnis von klar trenn-
ben werden korrigiert und kommentiert, indi- baren (und damit unabhängig voneinander ein-
viduelle Beratung findet per Telefon oder auch zuübenden) F. zu überdenken. Ursprünglich be-
mittels neuerer Medien (z. B. per E-Mail, Chat, ruhte die Aufschlüsselung verschiedener F. auf
Videokonferenz) statt und Präsenzphasen bie- psycholinguistischen Vorstellungen von jeweils
ten Beratungs- und Austauschmöglichkeiten. spezifisch aktivierten Hirnarealen – ein Ansatz,
Die Bildung lokaler Lerngruppen und fester der inzwischen durch den neurowissenschaftli-
persönlicher oder virtueller Kontaktzeiten so- chen Nachweis einer weitläufiger vernetzten
wie die Sicherstellung technischen Supports Aktivierung ebenso abgelöst wurde wie durch
können dabei Problemen vorbeugen. Neben die Erkenntnis, dass es sich bei Sprachhandlun-
der klassischen Bereitstellung von Printmedien gen um komplexe Abläufe handelt, die sich
geht der Trend im F. zum CBT (computer- kaum trennscharf in einzelne Bereiche aufteilen
based training; ä Computer-Assisted Language lassen (vgl. Krumm 2001a). So beinhaltet z. B.
Learning), wobei die Distribution der Lern- das Halten einer Rede auch Elemente des Hö-
inhalte über elektronische Speichermedien er- rens, indem auf Signale der Zuhörenden reagiert
folgt, und zum WBT (web-based teaching), bei wird; jegliche Form der mündlichen oder
dem der Lerner einen Zugangscode erhält und schriftlichen ä Kommunikation bedeutet ohne-
virtuell auf einer Plattform (z. B. Moodle, Ilias hin ein eng verzahntes Zusammenspiel ver-
oder OLAT) auf die Inhalte zugreifen kann. So schiedener F. Hier zeigt sich auch, dass sich die
können Inhalte vernetzt dargestellt und direkt Einteilung in rezeptive und produktive F. durch
mit aktuellen externen Wissensbeständen im die Bedeutung von Interaktion auflöst bzw.
73 Filmdidaktik

durch letztere Komponente ergänzt werden sche Disziplin nach ersten Anfängen in den
sollte (die zuvor übliche Dichotomie ›passive/ 1980er Jahren (vgl. z. B. Buchloh 1983) erst seit
aktive F.‹ wurde aus diesem Grund bereits auf- Beginn der 1990er Jahre etabliert. Dazu hat
gegeben; vgl. Nieweler 2006). Während ein v. a. Inge Schwerdtfeger mit ihrer Forderung
Verständnis von klar isolierbaren F. zu einem beigetragen, dass im FU neben dem ä Hörver-
FU führt, der diese systematisch und getrennt stehen, dem ä Sprechen, dem ä Leseverstehen
einzuüben sucht, bevor es zu einer kommunika- und dem ä Schreiben als fünfte ä Fertigkeit das
tiven Anwendung kommt, legt ein ganzheitli- Sehverstehen (ä Visuelle Kompetenz) gefördert
ches Konzept von Sprachhandlungen ein von werden sollte, eine Fertigkeit, die laut Schwerdt-
vornherein stärker integratives bzw. die F. kom- feger (1989, 24) nicht nur für das Sprachverste-
binierendes Sprachenlehren und -lernen nahe hen wichtig sei, sondern die auch eine zentrale
(vgl. ebd.). Dem wird teilweise auch im Bedeutung für die Ausbildung der individuellen
ä Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen Sprechfähigkeit und Sprechlust habe. Des Wei-
(GeR) Rechnung getragen, indem die F. in kon- teren haben Einsichten aus der Kulturwissen-
krete Sprachhandlungszusammenhänge einge- schaft – wie die Skepsis gegenüber einem tradi-
ordnet werden. Andererseits spielt auch im GeR tionellen Text- bzw. Literaturbegriff und gegen-
ebenso wie in den Bildungsstandards und den über der Trennung zwischen Hochliteratur und
Kerncurricula der Länder das Konstrukt ein- ä Populärkultur – dazu geführt, dass Filme ver-
deutig unterscheidbarer F. weiterhin eine Rolle, stärkt im FU eingesetzt und zunehmend Fragen
allerdings nicht länger aus sprachpsychologi- nach ihrer Vermittlung bearbeitet wurden. Zu-
schen, sondern vielmehr aus funktionalen Grün- sätzlich hat das Trägermedium DVD Lehrenden
den im Sinne einer Leistungsmessung und -ab- neue Möglichkeiten für die Beschäftigung mit
stufung (vgl. Krumm 2001a). Die Interdepen- Filmen im FU eröffnet. Die DVD liefert nicht
denz der verschiedenen F. sollte jedoch nicht nur eine ausgezeichnete Bild- und Tonqualität,
aus den Augen verloren werden, zumal eine sondern erleichtert auch den genauen Zugriff
isolierende Betrachtung im Zuge einer starken auf ausgewählte Filmsequenzen und ermöglicht
Output-Orientierung die Gefahr birgt, Kompo- die freie Sprachwahl sowie das zusätzliche Ein-
nenten des Sprachhandelns jenseits der messba- blenden von fremdsprachigen Untertiteln, was
ren F. zu vernachlässigen. das Verstehen erleichtert und das Lernen neuer
Lit.: H.-J. Krumm: Die sprachlichen F., isoliert, kom- Wörter fördert. Außerdem bieten DVDs viel
biniert, integriert. In: Fremdsprache Deutsch 24 Zusatzmaterial wie z. B. den Trailer eines Films,
(2001a), 5–13. – H.-J. Krumm: Fähigkeiten, F. In: Dokumentationen zu technischen und künstle-
Fremdsprache Deutsch 24 (2001b), 61–62. – A. Nie- rischen Details, ausgelassene Szenen, alterna-
weler. Schulung der Grund-F. In: Ders. (Hg.): Fachdi-
daktik Französisch. Stgt 2006, 106–125. LK tive Enden, das making of oder Interviews mit
Produzent/in, Regisseur/in und einzelnen Schau-
spieler/innen. Dieses Zusatzmaterial lässt sich
Film ä Filmdidaktik, ä Filmkompetenz gerade im Kontext eines handlungs- und pro-
duktionsorientierten FUs gewinnbringend ein-
setzen. Durch die Möglichkeiten des Internets
Filmdidaktik. Die F. ist eine vergleichsweise hat sich das Angebot an Filmen auch für den
junge Teildisziplin der ä Fremdsprachendidaktik. FU in den letzten Jahren noch einmal deutlich
Sie untersucht, welche ä Lernziele durch die erweitert.
Beschäftigung mit Filmen in institutionell orga- Die fremdsprachliche F. diskutiert den Nut-
nisierten fremdsprachlichen Lehr- und Lern- zen von Filmen für die Bereiche des Sprach-,
prozessen verfolgt und welche ä Kompetenzen Literatur- und Kulturunterrichts bzw. der
ausgebildet werden können, welche audiovisu- ä Landeskunde. So wird z. B. für den ä kommu-
ellen Genres bzw. Formate sich für den FU be- nikativen FU das Potenzial von Filmen als
sonders anbieten und welche Methoden der Auslöser für Sprechhandlungen hervorgehoben.
Arbeit mit Filmen sinnvoll sind. Auch wenn Dies wird u. a. dadurch begründet, dass Ler-
Filme seit dem Aufkommen der ä audio-visuel- nende durch die ä Visualisierung von Gesche-
len Methode in den 1950er Jahren schon über hensabläufen im Film häufig stärker als bei
einen relativ langen Zeitraum (mehr oder weni- schriftsprachlichen Texten zu emotionalen Re-
ger häufig) im FU eingesetzt werden, hat sich aktionen und persönlichen Stellungnahmen in
die F. als eigenständige fremdsprachendidakti- Bezug auf das dargestellte Geschehen herausge-
Filmdidaktik 74

fordert werden (vgl. ebd., 23). Neben der För- munikativ ausgerichteten FU besonders darauf
derung des ä Sprechens dienen Filme in der geachtet, dass die Lernenden zunächst mit ih-
Sprachausbildung als ä Medien für die Ent- ren persönlichen Reaktionen und Stellungnah-
wicklung des Hör-/Sehverstehens (vgl. Thaler men zu Wort kommen – z. B. in einer Art
2007) – und dies auch schon im ä frühen FU (vgl. Rezeptionsgespräch (ä Unterrichtsgespräch), das
Becker/Roos in Blell et al. 2016). Fremdspra- mit offenen Fragen wie »Was hat dir an dem
chige Filme sind authentische Kulturprodukte Film (nicht) gefallen?« oder »Was hat dich be-
(ä Authentizität), in denen die Zielsprache durch sonders beeindruckt?« beginnt. Für die Zielset-
ä Bilder, konkrete Situationen und menschliche zungen eines lerner- und handlungsorientierten
Begegnungen sowie durch Geräusche und ä Mu- FUs (ä Lernerorientierung, ä Handlungsorien-
sik kontextualisiert ist (ä Kontextualisierung). tierung) wurden zudem kreative Methoden
Da bei ihrer Rezeption zudem unterschiedliche (ä Kreativität) im Umgang mit Filmen entwi-
Sinne gleichzeitig angesprochen werden, er- ckelt: So können SuS durch das Nachspielen
leichtern Filme den Zugang zur und das Ver- von Schlüsselszenen oder die Gestaltung eines
ständnis der fremden Sprache. In Filmdialogen eigenen Filmposters ästhetisch-künstlerisch tä-
kommen außerdem neben verbalen auch non- tig werden oder sich schriftsprachlich produk-
verbale und paralinguistische Aspekte von tiv betätigen und fremdsprachliche Texte wie
Kommunikation wie Mimik, Gestik und Kör- innere Monologe zu den Gedanken der Figuren
persprache bzw. Intonation, Sprechtempo, oder eine Rezension zum Film entwerfen.
Sprechpausen usw. zur Geltung (ä Nonverbale Über den wichtigen Beitrag hinaus, den Filme
Kommunikation), die Bestandteil jeder mündli- für die Entwicklung ä kommunikativer Kompe-
chen ä Kommunikation und für das Verstehen tenzen leisten können, hat die F. weitere Ver-
einer fremden Sprache hilfreich sind. wendungszusammenhänge von audiovisuellen
Um das Potenzial von Filmen für die visuelle Texten im FU aufgezeigt. Nicht zuletzt durch
Unterstützung des Sprachlernprozesses nutzen die Initiative der Bundeszentrale für politische
zu können, wurde innerhalb der F. eine Reihe Bildung, die im Jahr 2003 mit ihrer Filmkom-
von methodischen Zugangsweisen entwickelt. petenzerklärung die Diskussion um ein film-
Im Unterricht bewährt hat sich die Aufteilung schulisches Kerncurriculum entfachte, wird zu
der Filmarbeit in die unterschiedlichen Phasen Beginn des 21. Jh.s auch in der fremdsprachli-
vor, während und nach dem Sehen. In der sog. chen F. gefordert, bei den Lernenden ä Film-
pre-viewing phase wird bei den Lernenden kompetenz (film literacy) auszubilden, d. h. die
durch Einstimmungsübungen im Vorfeld des Fähigkeit, bewegte Bilder zu lesen und bewusst
Filmsehens (z. B. Assoziationsübungen anhand mit dem Medium Film umzugehen. Außerdem
des Filmtitels, des Filmplakats oder des Trailers) soll dem Kunstcharakter von Filmen mehr
eine thematische Erwartungshaltung geschaffen Rechnung getragen werden, »indem die Beschäf-
und auf den ä Wortschatz des Films vorbereitet. tigung mit den dargestellten Inhalten und mit
Aufgaben, die während des Sehens eines Films den Mitteln der filmischen Gestaltung ins Zen-
bearbeitet werden (while-viewing activities), trum des Unterrichts rückt« (Wilts 2001, 211 f.).
dienen sowohl der Verständnissicherung als Es gilt, der ästhetischen Besonderheit von Film
auch der Erfassung filmspezifischer Darstel- als plurimedialer Textsorte gerecht zu werden.
lungsformen. Neben Fragen zum Inhalt, zu den Das Lernziel ist es daher, dass die SuS Filme se-
Figuren und den verwendeten ästhetischen hen und auch hören lernen, um das Zusammen-
Mitteln sind dabei ganz unterschiedliche spiel von visuellen und akustischen, sprachlichen
Übungsformen denkbar, wie das Zeigen eines und außersprachlichen Zeichen in seiner Kom-
Filmausschnittes ohne Ton (silent viewing) oder plexität für das Wirkungs- und Funktionspoten-
das Verfolgen der Tonspur ohne Bild (für wei- zial eines Films deuten zu können.
tere Aufgabenbeispiele vgl. Stempleski/Tomalin Das Methodenspektrum zur Erreichung die-
2001, Henseler et al. 2011). Dabei ist es sinn- ses Lernziels reicht von analytischen Filmbe-
voll, arbeitsteilige Sehaufträge (sog. split view- trachtungen (u. a. mit Hilfe von Sequenzproto-
ing tasks) zu vergeben, bei denen die SuS wäh- kollen und durch den Erwerb filmspezifischen
rend des Filmesehens auf unterschiedliche As- Wissens bzw. Vokabulars) bis hin zur produkti-
pekte achten und daher insgesamt weniger ven, kreativen Filmarbeit. Für Filmanalysen im
Informationen verarbeiten müssen. Nach dem FU liefern Alan Teasley und Ann Wilder (1997,
Filmesehen (post-viewing phase) wird im kom- Kap. 2) einen hilfreichen, dreigeteilten Bezugs-
75 Filmdidaktik

rahmen, der literarische von dramatischen und Güldner 1996). Das Drehen eines Films bietet
cineastischen Aspekten unterscheidet und sich aufgrund des damit verbundenen Aufwan-
Lehrenden wie Lernenden ermöglicht, bei der des insbesondere für den ä Projektunterricht
Interpretation audiovisueller Texte auch auf an. Ein wesentlicher Vorteil des filmprodukti-
vertrautes literar-ästhetisches Wissen zurück- ven Arbeitens besteht darin, dass die Lernenden
zugreifen. Bei der Analyse der literarischen As- aktiv Filmkompetenz erwerben. Sie müssen sich
pekte eines Films geht es um Fragen nach dem z. B. überlegen, wie der literarische Text in die
Plot, nach den Figuren, nach wiederkehrenden Sprache des Films übersetzt werden kann, was
Themen, nach der Raum- und Zeitdarstellung als Text erhalten bleiben und welche Informati-
sowie nach der Erzählweise. Unter die dramati- onen über Bilder und Geräusche vermittelt
schen Aspekte eines Films fallen die Rollenbe- werden sollen (vgl. ebd., 62).
setzung, Gestik und Körpersprache der Figuren, Im Kontext Landeskunde bzw. Kulturunter-
Maske und Kostüme sowie die Ausstattung des richt (ä Kulturdidaktik) werden Filme v. a. des-
Schauplatzes und die Requisiten. Mit den film- halb eingesetzt, weil sie Einblicke in andere
spezifischen Aspekten sind die Bild- und Tonge- Länder und Kulturen, deren Wirklichkeitsvor-
staltung gemeint, es wird also u. a. nach Kame- stellungen und Denkweisen gewähren. Dadurch
raeinstellungen und -bewegungen, nach dem ermöglichen sie die Erweiterung des kulturellen
Einsatz von Musik sowie nach Schnitttechniken Horizonts der Lernenden, die Reflexion über
gefragt. eigen- und fremdkulturelle Aspekte und die
Ein weiterer wichtiger Verwendungszusam- Förderung von ä Fremdverstehen. Weder Spiel-
menhang von Filmen im FU ist die Beschäfti- noch Dokumentarfilme sollten im FU jedoch
gung mit Literaturverfilmungen. Neuere Ent- für die bloße Entnahme von Informationen
wicklungen innerhalb der F. versuchen, der vie- über ein anderes Land oder eine andere Kultur
lerorts gängigen Praxis entgegenzuwirken, nach instrumentalisiert werden. Filme sind kein Spie-
der Behandlung eines Dramas oder Romans gel von Wirklichkeit. Sie bilden nicht die Wirk-
quasi als Belohnung am Ende einer Unterrichts- lichkeit ab, sondern liefern durch die Selektion
einheit die Verfilmung des Textes ohne weitere dessen, was dargestellt wird, sowie die Art und
Einbindung in den Unterrichtsverlauf zu zeigen. Weise, wie das Geschehen dargestellt wird, ei-
Mit dem Ziel, eine integrative ä Mediendidak- nen bestimmten Blick auf die Wirklichkeit.
tik zu verfolgen und die besondere Ästhetik li- Diese kulturwissenschaftliche Einsicht erfor-
terarischer und filmischer Texte einander ge- dert, dass ein fremdsprachlicher Filmunterricht
genüberzustellen, soll nicht das Kriterium der mit landeskundlichen Zielen bzw. mit dem Fo-
Werktreue, sondern der Medienwechsel selbst kus auf ä (inter)kulturellem Lernen auch die
im Vordergrund stehen (vgl. Surkamp 2009). Machart der Filme, also ihre besondere Ästhe-
Bei einem Vergleich von Buch und Film, bei tik, näher in den Blick nimmt und nach der
dem in der Regel abwechselnd mit Filmsegmen- medialen Konstruiertheit und Inszeniertheit der
ten und Auszügen aus der literarischen Vorlage dargestellten Wirklichkeit fragt (vgl. Surkamp
gearbeitet wird (sog. ›Sandwichverfahren‹), 2004). Darüber hinaus hat die F. gezeigt, wie
wird also gefragt, wie unterschiedlich die Me- fruchtbar die Einbeziehung des Produktions-
dien vorgehen, um eine Geschichte zu erzählen, und Rezeptionskontexts eines Films im Unter-
um Informationen zu vergeben, Spannung zu richt ist. Die Auseinandersetzung mit dem Me-
erzeugen oder die Sympathien der Leser/innen dienbetrieb und der Einblick in die Realisierung
bzw. Zuschauer/innen zu lenken. Durch ein eines Filmprojekts sind insbesondere deshalb
solches Vorgehen kann auch die ä narrative wichtig, weil sich z. B. Spannungsverhältnisse
Kompetenz der Lernenden gefördert werden. zwischen ökonomischen Vorgaben und künst-
Methodisch lassen sich die Charakteristika lerischen Vorstellungen auf die Ästhetik audio-
der beiden Medien auch durch kreative und visueller Texte auswirken (vgl. ebd.). Auch der
prozessorientierte Herangehensweisen erarbei- Rezeptionskontext hat Auswirkungen auf die
ten. Eine für SuS motivierende Aufgabe besteht Gestaltung von Filmen: Die durch Einschalt-
darin, sie in die Rolle von Filmemachern quoten im Fernsehen und Besucherzahlen in
schlüpfen zu lassen, indem sie Überlegungen Kinos ermittelten Vorlieben der Zuschauer/in-
zur Verfilmung der literarischen Vorlage, z. B. nen werden bei der Filmproduktion vielfach
einer Kurzgeschichte, anstellen, um dann am aufgegriffen, reproduziert und bisweilen sogar
Ende ihren eigenen kleinen Film zu drehen (vgl. verstärkt.
Filmdidaktik 76

Zusammenfassend kann festgehalten werden, selbstverständlich wird wie die Analyse anderer
dass die F. sowohl filmanalytische als auch ver- ästhetischer Texte, sollte mit der Förderung des
schiedene handlungs- und produktionsorien- Hör-/Sehverstehens und der Ausprägung film-
tierte Aufgaben für die Arbeit mit Filmen ent- analytischer Fertigkeiten viel früher begonnen
wickelt hat, um nicht nur rezeptive und kogni- werden, als dies bisher in der Regel der Fall ist.
tive, sondern auch imaginative, affektive und So könnte es durch die Heranführung an die
(inter)kulturelle Fähigkeiten auf Seiten der Ler- Filmarbeit durch vereinfachte, sich an ein bis
nenden zu fördern (für eine Zusammenfassung zwei Leitfragen orientierende Aufgaben anhand
der verschiedenen Lernziele des fremdsprachli- klar strukturierter, kurzer Filme im Laufe der
chen Filmunterrichts vgl. Blell/Lütge 2004, 404 Schulzeit zu komplexeren Analysen auch länge-
und Henseler et al. 2011, 15–24). Die verschie- rer Spiel- und Dokumentarfilme sowie Fernseh-
denen Zugangsweisen sollten dabei nicht als serien kommen (zu Lernaufgaben für die Film-
Alternativen verstanden, sondern je nach ver- arbeit in den Fremdsprachen vgl. Blell/Surkamp
folgtem Lernziel individuell ausgewählt werden. 2016). Auf diese Weise würde auf die stetige
Trotz aller Vorteile des Filmeinsatzes im FU Entwicklung von film literacy als Teil einer all-
und trotz aller bisher schon entwickelten Kon- gemeinen ä Medienkompetenz hingewirkt, die
zepte und Methoden gibt es innerhalb der F. nicht zuletzt der Allgegenwärtigkeit des Me-
noch einige Fragen zu klären. So werden bis- diums ›Film‹ in der Lebenswelt der SuS im 21.
lang die Aktivität des Zuschauers bzw. der Zu- Jh. angemessen wäre.
schauerin bei der Filmrezeption und das sub- Lit.: G. Blell et al. (Hg.): Film in den Fächern der
jektive Filmerleben im FU nicht genügend be- sprachlichen Bildung. Baltmannsweiler 2016. – G. Blell/
rücksichtigt (vgl. Decke-Cornill/Luca 2007), C. Surkamp (Hg.): Themenheft »(Fremd-)Sprachen-
bzw. Filmanalyse und Filmerleben werden als lernen mit Film«. Fremdsprachen Lehren und Lernen
zwei einander entgegengesetzte Pole angesehen, 45/1 (2016). – P. G. Buchloh: Englischsprachige Lite-
ratur im Film. Philologische Methoden der Filmana-
an denen sich die Diskussion um analytische lyse. In: H. Groene et al. (Hg.): Medienpraxis für den
und kreative Filmarbeit entspinnt. Dabei hat Englischunterricht. Paderborn 1983, 256–281. –
das Filmerleben erheblichen Einfluss auf die G. Blell/C. Lütge: Sehen, Hören, Verstehen und Han-
Interpretation filmästhetischer Elemente. Die deln. Filme im FU. In: Praxis FU 1/6 (2004), 402–405.
persönlichen und kulturellen Voraussetzungen – H. Decke-Cornill/R. Luca: Filmanalyse und/oder
Filmerleben? Zum Dualismus von Filmobjekt und
der Rezipient/innen spielen beim ä Verstehen
Zuschauersubjekt. In: Dies. (Hg.): Jugendliche im
des dargestellten Geschehens eine große Rolle. Film, Filme für Jugendliche. Medienpädagogische,
Die Erkenntnisse der Rezeptionsästhetik, wie bildungstheoretische und didaktische Perspektiven.
sie in die Diskussion um den Einsatz schrift- Mü. 2007, 11–30. – G. Güldner: Vom Text zum Film.
sprachlicher Texte im FU innerhalb der ä Lite- Schüler drehen Videofilme nach literarischen Vorla-
raturdidaktik inzwischen selbstverständlich gen. In: Praxis Deutsch 23/140 (1996), 62–64, 67. –
R.  Henseler/St. Möller/C. Surkamp: Filme im Eng-
einbezogen werden, sind in Bezug auf Filme – lischunterricht. Grundlagen, Methoden, Genres.
im Sinne einer aktiven Mitarbeit der Zuschauer/- Seelze-Velber 2011. – C. Lütge: Kinowelten erkunden.
innen bei der Sinnfindung – noch nicht genü- Fremdsprachliche Begegnungen im audiovisuellen
gend ins Bewusstsein gedrungen. Zukünftig Lernraum. In: W. Gehring/E. Stinshoff (Hg.): Außer-
sollten daher Konzepte wie ä Erfahrungs- und schulische Lernorte des FUs. Braunschweig 2010,
113–124. – I. Schwerdtfeger: Sehen und Verstehen.
ä Lernerorientierung im Filmunterricht einen Arbeit mit Filmen im Unterricht Deutsch als Fremd-
höheren Stellenwert erlangen und das Filmerle- sprache. Bln 51993 [1989. – S. Stempleski/B. Tomalin:
ben mehr in den Mittelpunkt gestellt werden, Film. Oxford 2001. – C. Surkamp: Spielfilme im
z. B. über die Einbeziehung des Kinos als außer- fremdsprachlichen Literaturunterricht. Beitrag zu
schulischem Lernort (vgl. Lütge 2010). einer kulturwissenschaftlichen Filmdidaktik. In:
L.  Bredella et al. (Hg.): Literaturdidaktik im Dialog.
Eine weitere Herausforderung für die F. ist
Tüb.  2004, 239–267. – C. Surkamp: Literaturverfil-
die Entwicklung eines (idealerweise fächerüber- mungen im Unterricht. Die Perspektive der Fremd-
greifenden) Filmcurriculums (zu einem ersten sprachendidaktik. In: E. Leitzke-Ungerer (Hg.): Film
Vorschlag mit Bezug auf die sprachlichen Fä- im FU. Literarische Stoffe, interkulturelle Ziele, medi-
cher vgl. Blell et al. 2016). Detaillierte Filmana- ale Wirkung. Stgt 2009, 61–80. – A. B. Teasley/A. Wil-
lysen und die kulturwissenschaftliche Untersu- der: Reel Conversations. Reading Films with Young
Adults. Portsmouth 1997. – E. Thaler: Film-based
chung von audiovisuellen Medien sind eher für Language Learning. In: Praxis FU 1 (2007), 9–14. –
den FU der Sekundarstufe II geeignet. Damit die J.  Wilts: Grundzüge einer Spielfilmdidaktik für den
Analyse eines Films für Lernende aber ebenso Französischunterricht. In: Neusprachliche Mitteilun-
77 Filmkompetenz

gen aus Wissenschaft und Praxis 54/4 (2001), 210– Genuss ein entscheidender Faktor für den Zu-
221. CS gang zur Medienrezeption. Zwei Dimensionen
spielen dabei eine wichtige Rolle (vgl. ebd.):
zum einen eine kognitive Dimension – in die-
Filmkompetenz (auch film literacy) bezeichnet sem Fall handelt es sich um den Genuss, der
die Fähigkeit, bewegte Bilder lesen, die akusti- durch das Wissen über das Medium und eine
schen Signale von audio-visuellen Formaten, intensive Analyse zustande kommt; und zum
auch in ihrem Zusammenspiel mit den Bildern, anderen eine affektive Dimension – hier geht es
deuten sowie das Medium ›Film‹ (kritisch) nut- um Genussmöglichkeiten, die durch die Identi-
zen und gestalten zu können. Unter Rückgriff fikation mit den Filmcharakteren entstehen. (5)
auf die von Norbert Groeben (2004) konturier- Sowohl das Filmwissen als auch die filmspezifi-
ten Dimensionen von Medienkompetenz lässt schen Reaktionsmuster sollten schließlich prak-
sich der Begriff der F. weiter ausdifferenzieren tische Anwendung in einer filmbezogenen Kri-
(vgl. Surkamp 2010): (1) Eine wichtige Teil- tikfähigkeit finden. (6) Neben diesen rezeptiven
kompetenz von F. ist Medialitätsbewusstsein. Kompetenzen ist eine sechste Teilfertigkeit im
Lernenden sollte bewusst werden, dass es sich Erwerb einer produktiven F. zu sehen, d. h. Ler-
bei Filmen um konstruierte Bilder von Wirk- nende sollten Filmformate auch selbst gestalten
lichkeit aus einer bestimmten Perspektive han- können, um zu erfahren, wie Filme entstehen
delt. Diese Differenzierung ist wichtig für den und inwiefern mit filmspezifischen Strategien
FU, weil Filme im Kontext ä Landeskunde dazu bestimmte Wirkungseffekte erzielt werden kön-
eingesetzt werden, SuS einen Einblick in die nen. (7) Eine letzte Teilkompetenz von F. ist die
gesellschaftliche Wirklichkeit anderer Länder Fähigkeit der Lernenden zur Anschlusskommu-
und Kulturen zu vermitteln (ä Filmdidaktik). nikation. Nach Groeben (ebd., 178) ermöglicht
(2) Zur F. gehört des Weiteren Filmwissen, d. h. erst die Kommunikation der Lernenden über
Kenntnisse über die Strukturen, Bedingungen die eigenen Rezeptionserfahrungen sowohl eine
sowie Wirkungsmechanismen filmischer Ver- filmbezogene Kritik- als auch Genussfähigkeit
fahren. Da es sich beim Film um ein Verbund- sowie die Entwicklung von Medialitätsbe-
medium handelt, das Bilder, Sprache, Musik wusstsein. Erst über Anschlusskommunikatio-
und Geräusche miteinander verknüpft, versetzt nen spüren Lernende Ähnlichkeiten und Unter-
Filmwissen Lernende in die Lage, die optischen schieden zwischen der medialen Wirklichkeit
und akustischen Codes eines Films in ihrer und ihrer eigenen Lebenswelt nach und entwi-
(auch simultanen) Informationsvielfalt zu lesen. ckeln Strategien zur Verarbeitung und Bewer-
Filmwissen schließt außerdem Kenntnisse über tung des Dargestellten.
die Rahmenbedingungen des Mediums ein, z. B. Da es an deutschen Schulen kein eigenes Fach
die Sensibilisierung für den Einfluss von Pro- zur Film- bzw. Medienerziehung gibt, wird die
duktions- und Rezeptionsbedingungen auf äs- Schulung von F. als fächerübergreifende Auf-
thetische Formate (ä TV-Didaktik) sowie für gabe angesehen. V. a. in den Fächern Deutsch,
das Produkt Film als wirtschaftsbestimmenden Musik, Kunst, Geschichte, Politik und Ethik
Faktor (Productplacement, Werbeaktionen von sowie in den Fremdsprachen soll F. ausgebildet
Filmstars). (3) Mit filmspezifischen Reaktions- werden. Dies zieht nach sich, dass weitere, fach-
mustern wird drittens die Fähigkeit bezeichnet, spezifische Teilkompetenzen zu den schon ge-
unterschiedliche Verarbeitungsstrategien bei der nannten Aspekten von F. hinzukommen (vgl.
Filmrezeption entsprechend dem jeweiligen Blell/Lütge 2004, 404 sowie Blell et al. 2016).
Genre anzuwenden. Das Wissen um die typi- Für den FU mit seinem obersten ä Lernziel der
schen Merkmale eines Westerns, Kriminalfilms Entwicklung ä interkultureller kommunikativer
oder einer romantischen Komödie ist hilfreich Kompetenz ist dies v. a. eine fremdsprachliche
für einen adäquaten Erwartungsaufbau, da die ä Handlungs- und Kommunikationskompetenz
Lernenden dadurch gezielt bestimmte Rezep- im Hinblick auf audio-visuelle Formate: Es gilt,
tionsmuster aktivieren können, die das Film- das Seh-/Hörverstehen in der Fremdsprache zu
verständnis (gerade auch in der Fremdsprache) schulen (ä Hörverstehen, ä Visuelle Kompetenz)
erleichtern können. (4) Aus motivationaler und die sprachproduktive Selbständigkeit bei
Perspektive (ä Motivation) kommt der filmbe- der Filmarbeit zu fördern. Zudem sollen Ler-
zogenen Genussfähigkeit ein wichtiger Stellen- nende im Sinne des ä interkulturellen Lernens
wert zu. Groeben (2004, 170) zufolge ist der Reflexionsfähigkeit über eigen- und zielkultu-
Filmkompetenz 78

relle Aspekte bei der Interpretation fremd- Schullaufbahn, v. a. beim ä Übergang zwischen
sprachiger Filme erlangen. Eine der zukünfti- Schulformen, ermöglichen. Vor Ort entwickeln
gen  Herausforderungen der fremdsprachlichen die Schulen in den Fachbereichen speziell auf
Filmdidaktik besteht in der Beantwortung der ihre Rahmenbedingungen abgestimmte För-
Frage, wie F. auf unterschiedlichen Niveaus ge- derkonzepte. Ein so eingeleiteter ›Förderkreis-
stuft und beschrieben sowie ab dem Anfangsun- lauf‹ gestaltet sich wie folgt: Während einer
terricht bis in die Sekundarstufe II hinein konti- Diagnosephase werden die SuS zunächst genau
nuierlich entwickelt werden kann (vgl. ebd.). beobachtet und ihre individuelle Lernausgangs-
Lit.: G. Blell et al.: Film in den Fächern Deutsch, lage wird ermittelt (ä Leistungsermittlung). Die
Englisch, Französisch und Spanisch. Ein Modell detaillierten Informationen geben Auskunft
zur  sprach- und kulturübergreifenden Filmbildung. über die Bereiche, in denen Leistungsdefizite,
In: Dies. (Hg.): Film in den Fächern der sprachlichen besondere Begabungen oder Interessen vor-
Bildung. Baltmannsweiler 2016, 11–61. – G. Blell/
C.  Lütge: Sehen, Hören, Verstehen und Handeln. handen sind, und enthalten Hinweise, die ein
Filme im FU. In: Praxis FU 1/6 (2004), 402–405. – Leistungsversagen erklärbar machen. Die be-
N.  Groeben: Dimensionen der Medienkompetenz. troffenen SuS und, wenn möglich, auch deren
Deskriptive und normative Aspekte. In: Ders./B. Hur- Eltern, werden in diesen Prozess mit einbezo-
relmann: Medienkompetenz. Voraussetzungen, Di- gen. F. impliziert Kooperation, Transparenz und
mensionen, Funktionen. Weinheim/Mü. 2004, 160–
197. – C. Surkamp: Zur Bedeutung der Schulung
Kontinuität und setzt die Bereitschaft der SuS
filmästhetischer Kompetenz aus der Sicht unterschied- voraus, die festgestellten Defizite beheben und/
licher Fächer. In: M. Kepser (Hg.): Fächer der schuli- oder die Stärken ausbauen zu wollen. Der von
schen Filmbildung. Deutsch, Englisch, Kunsterziehung der Lehrkraft in Zusammenarbeit mit den Kol-
und Geschichte. Mü. 2010. CS leg/innen in Förderkonferenzen erstellte För-
derplan enthält einen Katalog der besonderen
Fördermaßnahmen, die benötigt werden. Hier-
Fluency ä Sprechen bei darf es für die Lehrkraft kein Widerspruch
sein, die staatlichen curricularen Vorgaben
(ä Lehrplan) mit dem persönlichen Lernstil der
Förderunterricht wird im allgemeinen Sprach- SuS (ä Lernertypen) in Einklang zu bringen.
gebrauch als Nachhilfeunterricht verstanden, Am Ende einer Fördereinheit wird in einer
der Unterrichtsinhalte erneut aufbereitet und Evaluationsphase überprüft, ob sich die Wis-
den Abbau von Lernschwierigkeiten unter- senslücken geschlossen haben, wie groß der
stützt. Schulentwicklungen seit Beginn des Lernzuwachs ist und ob das Arbeits- und Sozi-
21.  Jh.s definieren (auch hervorgerufen durch alverhalten (ä Sozialkompetenz) sich verbessert
die ä PISA-Studie) F. neu: SuS werden in ihrer haben. Wichtig ist auch hier der Dialog aller
Einzigartigkeit fokussiert, ihre ä Heterogenität Beteiligten. Je nach Ergebnis wird der Förder-
wird bejaht und ihre individuellen Stärken und plan beendet oder die Fördermaßnahmen ent-
Schwächen werden aufgedeckt. Diese gezielte sprechend korrigiert und fortgeführt. Zensierte
und individuelle Förderung (und Forderung) Lernkontrollen werden im F. nicht durchge-
gewinnt auch deshalb zunehmend an Bedeu- führt.
tung, da »alle internationalen Schulvergleichs- Gezielte Förderplanung und deren konse-
studien eindeutig gezeigt haben, dass integrative quente Umsetzung erfordert von den Lehrkräf-
Schulsysteme, in denen differenziert diagnosti- ten einen hohen Grad an pädagogischer Profes-
ziert und – darauf aufbauend – individuell ge- sionalität. Diagnostische Kenntnisse standardi-
fördert und gefordert wird, unserem deutschen sierter ä Tests sowie methodische Kenntnisse
Schulsystem in vielen Beziehungen überlegen zur Schaffung differenzierter Lernangebote
sind« (Paradies/Linser/Greving 2007, 9). (ä Differenzierung) verändern auch hier das
Das Recht auf individuelle Förderung ist in Aufgabengebiet der Lehrkraft hin zum Lernbe-
vielen Schulgesetzen der einzelnen Bundeslän- rater (ä Lehrer/in und Lehrerrolle), der durch
der bereits festgeschrieben. Die Grundsatzer- sein pädagogisches Handeln das ä autonome
lasse der einzelnen Schulformen konkretisieren Lernen seiner Schülerschaft unterstützt. Schul-
diesen Auftrag. Lernbiographien (Dokumenta- rechtliche Entwicklungen berücksichtigen dies,
tionen der individuellen Lernentwicklung) sol- indem sowohl die KMK als auch die Kultus-
len die gezielte Lernentwicklung und bruchlose ministerien der einzelnen Bundesländer daran
Förderung der SuS während ihrer gesamten arbeiten, Kompetenzbereiche, Fähigkeiten und
79 Forschendes Lernen

neue Aufgaben für alle deutschen Lehrkräfte im sowie der Erwerb internationaler Fremdspra-
Bereich des pädagogischen Diagnostizierens chenzertifikate (ä Zertifikate). Zudem zeigt die
sowie des individuellen Förderns/Forderns fest- integrative Beschulung behinderter und nicht
zuschreiben (vgl. Paradies/Linser/Greving 2007, behinderter SuS in Modellversuchen erstaunli-
22). Für die praktische Umsetzung bieten che Ergebnisse für beide Seiten (ä Inklusion). F.
Schulbuchverlage in zunehmendem Maße Dia- in der hier skizzierten Form konkret in den
gnoseverfahren (auch online) und darauf abge- Schulalltag einzugliedern und mit der Realität
stimmte Fördermaterialien an, Fachliteratur vor Ort (Klassenfrequenzen, Lehrerversorgung,
liefert anhand vielfältiger Kopiervorlagen (z. B. Vertretungsunterricht, zentrale Prüfungen, ver-
Förderpläne) ebenfalls diagnostische Hilfeleis- bindliche ä Standards) erfolgreich zu verbinden,
tungen. bedeutet jedoch zunächst einen Kraftakt für
Im FU muss v. a. Binnendifferenzierung den alle Beteiligten.
heterogenen Voraussetzungen und dem indivi- Lit.: L. Paradies/H. J. Linser/J. Greving: Diagnostizie-
duellen ä Vorwissen der Schülerschaft, z. B. den ren, Fordern und Fördern. Bln 52011 [2007. – K. Re-
SuS aus bilingualen Kindergärten (ä bilinguale bel (unter Mitarb. von W. Saßnick-Lotsch): Lernkom-
Vorschulerziehung), gerecht werden. ä Einspra- petenz entwickeln, modular und selbstgesteuert.
Braunschweig 2008. MHW
chigkeit und ä alternative Lehr- und Lernformen
stärken die zu vermittelnden ä Kompetenzen.
Angestrebtes selbständiges Lernen wird beson- Forschendes Lernen ist ein (hochschul-)didak-
ders durch Formen des ä offenen Unterrichts tisches Prinzip, bei dem der Wissenserwerb in
(Lernen an Stationen, Freiarbeit, Wochenpläne) einen wissenschaftlichen Forschungsprozess
unterstützt. Effektiver F. setzt somit sprachlich eingebettet ist. Dabei kann der Forschungspro-
und methodisch qualifizierte Fachlehrkräfte zess entweder teilweise (forschungsbasiertes
auch und besonders im ä frühen FU voraus, die und -orientiertes Lernen) oder komplett durch-
neben Sprachbewusstheit (ä Bewusstheit/Be- laufen werden (Huber 2014, 24 ff.). Beim for-
wusstmachung) auch ä interkulturelle kommu- schungsbasierten Lernen liegt der Fokus auf
nikative Kompetenz als Anspruch und Ziel des dem Nachvollzug und dem Verstehen von For-
Unterrichts anstreben. Die Arbeit mit einem schung und ihren Ergebnissen; forschungsori-
ä Portfolio (Grundportfolio für das 3./4. Schul- entiertes Lernen beinhaltet ein Einüben von
jahr) führt die Grundschulkinder an selbständi- Forschungsmethoden und somit eine Vorberei-
ges Erkennen und Überprüfen der eigenen, indi- tung auf eigene Forschung. F. L. schließt den
viduellen Fortschritte heran. Im Aufbauportfolio kompletten Prozess ein: Recherche, das Finden
wird dieses Instrument zur Selbsteinschätzung einer Forschungsfrage, die eigenständige Erhe-
bis ins Erwachsenenalter fortgeführt. In der Se- bung und Auswertung von Daten sowie eine
kundarstufe I erfolgt eine erneute Lernstandsdi- kritische Reflexion des Forschungsprozesses.
agnose in Zusammenarbeit mit den abgebenden Die Lernenden können entweder eigene Pro-
Grundschulen. Eine gelungene Fortführung des jekte durchführen oder in ein größeres For-
FUs setzt zum einen ausreichende Kenntnisse schungsprojekt einbezogen werden. Konstitutiv
über die Unterrichtsmethoden und -inhalte der ist in jedem Fall, dass sie »kognitiv, emotional
jeweils anderen Schulform voraus. Außerdem und sozial [den ganzen Bogen [erfahren, der
müssen Lernfreude und ä Motivation für das sich vom Ausgangsinteresse, den Fragen und
Erlernen von Fremdsprachen über die Grund- Strukturierungsaufgaben des Anfangs über die
schulzeit hinaus erhalten bleiben. Nach dem Höhen und Tiefen des Prozesses, Glücksgefühle
Durchlaufen erneuter Diagnoseverfahren wird und Ungewissheiten, bis zur selbst (mit-)gefun-
der Förderkreislauf wie oben skizziert wieder denen Erkenntnis oder Problemlösung spannt«
aufgenommen, neue Fördermaßnahmen werden (ebd., 18).
eingeleitet. Die Forderung nach f. L. im Studium steht in
Weitere Aspekte fallen unter den Begriff von der Tradition der Humboldt’schen Vorstellung
F.: Im Bereich der Begabten- und Hochbegab- von »Bildung durch Wissenschaft« und der
tenförderung greifen Möglichkeiten der Akze- »Einheit von Forschung und Lehre« (ebd.,
leration (vorzeitiges Einschulen, Überspringen, 19 f.) und wurde schon 1970 von der Bundes-
›Drehtürmodell‹), Zusatzangebote durch en- assistentenkonferenz postuliert. Im Zuge des
richment (zusätzliche Kurse, Teilnahme an Bologna-Reformprozesses und der Kompetenz-
Wettbewerben, Kooperation mit Universitäten) orientierung (ä Kompetenz) in der universitären
Forschendes Lernen 80

Ausbildung gewinnt das f. L. weiter an Bedeu- schungsfrage bzw. das zu behandelnde Problem
tung. Die universitäre ä Lehrerbildung soll »die selbst gewählt und das Forschungsergebnis soll
Haltung forschenden Lernens einüben und för- relevant für Dritte sein (Huber 2006, 18), wor-
dern, um die zukünftigen Lehrer/innen zu befä- unter sowohl die scientific community als auch
higen, ihr Theoriewissen für die Analyse und interessierte Kolleg/innen oder die eigene Schü-
Gestaltung des Berufsfeldes nutzbar zu machen lerschaft verstanden werden können.
und auf diese Weise ihre Tätigkeit nicht wis- Lit.: D. Caspari: Subjektive Theorien von Fremdspra-
senschaftsfern, sondern in einer forschenden chenlehrenden. Für Studierende ein relevantes Thema?
Grundhaltung auszuüben« (Wissenschaftsrat In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 27 (1998),
2001, 41). 122–145. – L. Huber: F. L. in Deutschen Hochschulen.
Zum Stand der Diskussion. In: A. Obolenski/H. Meyer
Eben diese ›forschende Grundhaltung‹, auch (Hg.): F. L. Theorie und Praxis einer professionellen
›forschender Habitus‹ genannt, umfasst einer- LehrerInnenausbildung. Oldenburg 2006, 15–38. –
seits forschungsbezogene Kompetenzen wie L. Huber: Forschungsbasiertes, Forschungsorientier-
Kenntnisse über empirische Forschung in den tes, F. L. Alles dasselbe? In: Das Hochschulwesen 1/2
Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften. (2014), 22–28. – M. Schocker-v. Ditfurth: F. L. in der
fremdsprachlichen Lehrerbildung. Grundlagen, Erfah-
Forschungsergebnisse sollen nachvollzogen und rungen, Perspektiven. Tüb. 2001. – Wissenschaftsrat:
kritisch reflektiert werden. Zudem sollen Lehr- Empfehlungen zur künftigen Struktur der Lehrerbil-
kräfte ihren Unterricht theoriegeleitet planen dung. Bln 2001. CSp
und evaluieren können. Andererseits beinhaltet
der forschende Habitus einen distanzierten, re-
flektierten Blick auf das Geschehen in der Forschungsethik bezeichnet ein relativ neues
Klasse, welcher für professionelles Handeln Themenfeld in der Fremdsprachenforschung
unabdinglich ist. F. L. soll zudem zur eigenen (vgl. Legutke/Schramm 2016; Viebrock 2015).
Durchführung eines Forschungsvorhabens be- Es beschäftigt sich mit der Frage, wie man als
fähigen und somit – insbesondere in Form von Forscher/in in wissenschaftlichen Kontexten,
Aktionsforschung (ä Empirie, ä Forschungsme- aber auch darüber hinaus, handeln soll und
thoden und -instrumente) – einen Brücken- wem gegenüber man in welcher Weise verant-
schlag zwischen Handlungswissen und theore- wortlich ist. F. umfasst eine pragmatisch-prak-
tischem Wissen leisten. tische Dimension, die mithilfe von Regeln guter
Eine solche Theorie-Praxis-Verknüpfung wissenschaftlicher Praxis wissenschaftliches
durch f. L. findet spätestens mit Schocker-v. Fehlverhalten verhindern will. Sie umfasst au-
Ditfurth (2001) Einzug in die Ausbildung von ßerdem eine systemische Dimension, welche die
Fremdsprachenlehrenden. Eigenes Erfahrungs- Rolle und Funktion von Wissenschaft und For-
wissen, theoretischer Input und erste Umset- schung in ihrem gesamtgesellschaftlichen Kon-
zungen in der Praxis können so in Beziehung text in den Blick nimmt und die Handlungsop-
gesetzt, die daraus resultierenden ›Diskrepan- tionen des einzelnen Forschers/der einzelnen
zerfahrungen‹ empirisch überprüft und Rück- Forscherin prüft (vgl. v. a. Nida-Rümelin 2005).
schlüsse für das eigene Lehrerhandeln gezogen Die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis
werden. Ebenfalls auf den Prinzipien des f. L.s beziehen sich in erster Linie auf das wissen-
basiert das von Caspari (1998) entworfene schaftliche Arbeiten im engeren Sinne, z. B. den
Lehrforschungsprojekt zur Selbst- und Fremd- Umgang mit Forschungsteilnehmer/innen im
erforschung subjektiver Theorien von Lehr- Forschungsprozess, die Einhaltung von Güte-
kräften. Im Rahmen der Qualitätsoffensive kriterien (z. B. Freiwilligkeit der Teilnahme, in-
Lehrerbildung des BMBF wird darüber hinaus formed consent) oder die Sicherung und Ver-
seit 2016 an einigen Standorten (z. B. an der traulichkeit von Daten. Zum wissenschaft-
Universität Göttingen) die Eignung von f. L. lichen Arbeiten im engeren Sinne gehört auch
für  die Lehrerausbildung in Lehr-Lern-Labo- die Publikation von Forschungsergebnissen. As-
ren  überprüft. In seiner ä Lernerorientierung, pekte von forschungsethischer Relevanz sind
ä Handlungsorientierung und der Fokussierung hier die Frage der Autorenschaft, der Umgang
auf ä autonomes Lernen weist das f. L. große mit dem geistigen Eigentum anderer und Plagi-
Ähnlichkeiten zum ä entdeckenden Lernen so- arismus sowie die Auswahl und Darstellung
wie dem ä Projektunterricht auf. Zudem beste- von Daten.
hen Überschneidungen mit problemorientier- Die systemische Dimension von F. fokussiert
tem Lernen. Allerdings ist im f. L. die For- die Frage der wissenschaftlichen Folgeverant-
81 Forschungsmethoden und Forschungsinstrumente

wortung: Inwieweit ist der einzelne Forscher/ greift die Fremdsprachenforschung auf die the-
die einzelne Forscherin für die Verwendung oretischen und empirischen Erkenntnisse zahl-
seiner/ihrer Ergebnisse verantwortlich? Kann reicher ä Bezugswissenschaften zurück. Zur Be-
er/sie aufgrund der Verwobenheit der Wissen- antwortung ihrer Forschungsfragen verwendet
schaft mit anderen gesellschaftlichen Teilberei- sie in diesen Bezugsdisziplinen etablierte Werk-
chen individuell verantwortlich gemacht wer- zeuge, entwickelt aber auch eigene Forschungs-
den? Sollte – anders herum – gute Forschung ansätze und FM., um damit die für das For-
immer auch politisch sein und auf soziale schungsfeld zentralen Begriffe zu konstruieren.
Transformationsprozesse abzielen (im Sinne ei- Die enorme methodische Spannweite kommt
ner advocacy-Forschung, welche Unterprivile- nicht einfach dadurch zustande, dass ganz ver-
gierten eine Stimme verleihen will)? Auf diese schiedene Objekte in den Blick genommen
Fragen gibt es keine einfachen und eindeutigen werden. Vielmehr ergibt sie sich aus der Kom-
Antworten, es lässt sich aus ihnen aber die Auf- plexität jedes einzelnen Gegenstands: So reicht
forderung ableiten, dass jede/r Einzelne diese die Spanne allein der ä Literaturdidaktik von
Aspekte ausführlich und sorgfältig mitreflektie- geisteswissenschaftlichen Ansätzen wie der Text-
ren muss. Sie sind zudem ein Hinweis darauf, hermeneutik über sozialwissenschaftlich empiri-
dass – wie insbesondere in den Sozialwissen- sche Verfahren wie der Rezeptionsforschung bis
schaften sichtbar wird – Forscherrolle und Per- zu neurowissenschaftlichen Methoden in der
sönlichkeit nicht zu trennen sind und die Inte- Leseprozessforschung. Dies verdeutlicht, warum
grität und Redlichkeit des einzelnen Forschers/ das zu Beginn des 21. Jh.s starke Übergewicht
der einzelnen Forscherin seine/ihre zentralen der ä Empirie im Wissenschaftsbetrieb nicht ein-
Wesensmerkmale sein sollten (vgl. Dörnyei fach auf die Fremdsprachenforschung übertra-
2007). Damit ist ausdrücklich nicht nur eine gen werden kann. Texte und ihre Sprache lassen
formalistische Anpassung an Regeln guter wis- sich nicht vollständig durch die empirische Er-
senschaftlicher Praxis gemeint, sondern die forschung ihrer Produktion oder Rezeption er-
Orientierung an solchen Tugenden wie Mut, fassen. Sie erfordern gleichermaßen hermeneuti-
Respekt, Entschlossenheit, Ernsthaftigkeit, Be- sche Verfahren, um ihre möglichen Bedeutungen
scheidenheit und Reflexivität. Diese kommen durch semiotische Analyse und historische
insbesondere auch im Kontakt mit Proband/in- ä Kontextualisierung zu re- und dekonstruieren.
nen zum Tragen, mit denen ein tragfähiges Dementsprechend enthält der Werkzeugkasten
»Arbeitsbündnis« (Legutke/Schramm 2016) zu der Fremdsprachenforschung sowohl empirische
entwickeln ist und die nicht nur als ›Datenliefe- und als auch nicht-empirische FM. und FI., die
ranten‹ ausgenutzt werden sollten. im Folgenden nacheinander dargestellt werden
Lit.: Z. Dörnyei: Research Methods in Applied Lin- (vgl. auch Caspari et al. 2016).
guistics. Quantitative, Qualitative and Mixed Metho- Das Begriffspaar ›Methoden und Instru-
dologies. Oxford 2007. – M. Fuchs et al.: F. Eine Ein- mente‹ ist deshalb günstig, weil es jene Polarität
führung. Stgt 2010. – M. Legutke/K. Schramm: F. In: der Bedeutung aufschlüsselt, die im zurzeit sehr
D.  Caspari et al. (Hg.): Forschungsmethoden in der
Fremdsprachenforschung. Ein Handbuch. Tüb. 2015, oft verwendeten Modebegriff tool zusammen-
108–117. – J. Nida-Rümelin: Angewandte Ethik. Die fällt. Am einen Ende des Spektrums verweist
Bereichsethiken und ihre theoretische Fundierung. Ein das Wort ›Instrument‹ darauf, dass Forschungs-
Handbuch. Stgt 22005 [1996. – B. Viebrock: Ethik in werkzeuge vielseitig verwendbar sind und da-
der Fremdsprachenforschung. Eine systemische Be- mit für ganz verschiedene Fragestellungen und
trachtung. FfM 2015. BV
im Rahmen unterschiedlicher empirischer oder
nicht-empirischer Forschungsdesigns verwen-
Forschungsmethoden und Forschungsinstru- det werden können – dass sie somit für ganz
mente. Eine ä Fremdsprachendidaktik, die sich verschiedene Zwecke ›instrumentalisiert‹ wer-
als Fremdsprachenforschung versteht, ist durch den können. Der Begriff ›Methode‹ hingegen
Methodenpluralität und interdisziplinäre Viel- macht deutlich, dass diese Vielseitigkeit keines-
falt geprägt. Dadurch entsteht eine große Breite falls Universalität und Zweckfreiheit bedeutet.
und Tiefe des Fachs, die sich nicht zuletzt in ih- Seine ursprüngliche griechische Bedeutung
ren FM. und FI.n offenbart. Um ihr übergeord- (methodos: Weg auf ein Ziel hin) betont, dass
netes Ziel, das Verstehen von Prozessen fremd- Werkzeuge eben nicht beliebig verwendbar
sprachlicher ä Bildung in institutionellen und sind, sondern ihre Verwendung bestimmte Ent-
nicht-institutionellen Kontexten zu erreichen, scheidungen auf höheren Ebenen des For-
Forschungsmethoden und Forschungsinstrumente 82

schungsprozesses voraussetzt. Ihre Auswahl (a) Das Untersuchungsdesign wird v. a. durch


rückt somit einzelne Aspekte eines Gegenstands die zugrundeliegende Forschungsstrategie
in den Vordergrund und blendet andere aus. bestimmt, für die zwei Extrempole exis-
Dies bedeutet wiederum, dass eine überzeu- tieren. Folgt man dem hypothesenprüfen-
gende Begründung für den Einsatz bestimmter den Ansatz, so sind Experimentaldesign
Forschungswerkzeuge nicht auf der Ebene der und Vergleichsgruppen sowie die Kontrolle
Methoden und Instrumente selbst verbleiben oder Eliminierung intervenierender Varia-
kann. Sie muss vielmehr die Ebene der Metho- blen einschlägig. Entscheidet man sich hin-
dologie einschließen, wobei für jedes Projekt gegen für den Ansatz der Rekonstruktion,
neu entschieden werden muss, ob vor Untersu- so ist die Fallstudie das meist verwendete
chungsbeginn Methoden aus Methodologien Design.
deduziert oder im Laufe des Forschungsprozes- (b) Die Auswahl der Instrumente zur Konstruk-
ses aus den verwendeten FM. und FI.n die Me- tion der verschiedenen Daten wird durch
thodologie praxeologisch rekonstruiert wird. die methodologische Kategorie des Daten-
Als übergeordnetes Gütekriterium empiri- typs geleitet. Möchte man quantitative Da-
scher Forschung ist die Gegenstandsangemes- ten erheben, so bieten sich geschlossene
senheit zu nennen, also Passung von Gegen- Fragebögen oder entsprechende Testformate
stand und Forschungswerkzeug, die wiederum wie z. B. der C-Test an (ä Tests). Bevorzugt
stark vom zugrundeliegenden Menschenbild man qualitative Daten, so sind offene Fra-
abhängt (vgl. Grotjahn 2005). Die Unterschei- gebögen, Interviewformate oder Videogra-
dung zwischen quantitativen und qualitativen phie realer Interaktion sinnvoll.
Ansätzen ermöglicht eine erste Orientierung. (c) Die Entscheidung für oder gegen konkrete
Für die Methodenwahl ist aber eine genauere Methoden zur Analyse der Daten schließlich
Differenzierung sinnvoll, bei der man den em- wird auf methodologischer Ebene wesent-
pirischen Forschungsprozess in Schritte aufteilt lich von der anzuwendenden Schlusslogik
und für jeden Abschnitt die methodologische beeinflusst. Entscheidet man sich für die
und methodische Ebene getrennt betrachtet. deduktive Subsumtionslogik, so greift man
Unabhängig vom gewählten Gegenstand müs- bei der Kodierung der Daten auf vor der
sen bei empirischer Forschung drei Schritte ge- Analyse erzeugte Kategorienraster zurück
macht werden. Auf der methodischen Ebene, und unterwirft die Daten statistischen Ver-
also der Ebene der konkreten Arbeit, sind dies fahren wie z. B. Korrelationsberechnungen.
(1) die Erstellung des Untersuchungsdesigns, (2) Folgt man einer abduktiven Schlusslogik
die Konstruktion der empirischen Daten und (3) mit ihren ex-post-facto Hypothesen (vgl.
die Analyse des erhobenen Datenmaterials. Auf Kelle 2008), so werden die Daten durch in-
methodologischer Ebene werden die bei diesen terpretative Verfahren wie z. B. die objektive
Schritten erforderlichen Auswahlentscheidungen Hermeneutik oder die dokumentarische
ebenfalls durch drei Kategorien geleitet. Methode aufgeschlossen.

Metho- Schritt 1 Methode


dologie Forschungs- Hypothesen- Experimentalstudie Untersuchungs-
strategie prüfung design
Rekonstruktion Fallstudie
Schritt 2
Datentyp Quantitativ z. B. C-Test Erhebungs-
Qualitativ z. B. narratives instrument
Interview
Schritt 3
Schlusslogik Deduktion/ Kodierung mit Analysemethode
Subsumtion Kategoriensystem
Abduktion Interpretation /
Typenbildung
83 Forschungsmethoden und Forschungsinstrumente

Nachdem lange Zeit die beiden methodologi- Seite betonen und erfahrungsgemäß mit Kin-
schen Pole als einander ausschließende Paradig- dern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen
men betrachtet wurden, sieht man sie aktuell nur kurze Erzählungen erzeugen, bietet das
mindestens komplementär und hält Methoden- episodische Interview die Möglichkeit, Erzäh-
pluralität dem komplexen Gegenstand der lungen und eigentheoretische Äußerungen glei-
Fremdsprachenforschung für besonders ange- chermaßen anzuregen. Diese offenen Interview-
messen. Unter der Bedingung sorgsamer metho- formate eignen sich auch, um Berufsbiographien
dologischer Reflexion des eigenen Vorgehens ist und Unterrichtsbilder von Lehrenden zu befor-
es dabei möglich, Designs, Datenformate und schen (ä Lehrerforschung). Sollen die Relevanz-
Analysemethoden so zu kombinieren, dass die setzungen der Forschenden dabei noch stärker
Grenzen zwischen Rekonstruktion und Hypo- betont werden, ist ein problemzentriertes Inter-
thesenprüfung überwunden werden (vgl. Kelle view möglich, das sich im Bereich der Aufklä-
2008). So liefern beispielsweise die subsumti- rung subjektiver Theorien bewährt hat. Sollen
onslogischen Output-Daten der ä DESI-Studie schließlich konjunktive Erfahrungen und deren
einen umfassenden Überblick, erhellen aber Sinngebung durch Kollektive erfasst werden,
keine Zusammenhänge zwischen Wirkungen eignet sich die Gruppendiskussion. Sie ist eine
und Prozessen des Unterrichts. Die subsumti- Interaktionsform eigenen Rechts und darf kei-
onslogische Videostudie ermöglicht hier erste nesfalls als zeitökonomischer Ersatz für Ein-
Einsichten, kann aber nicht zu den Relevanzset- zelbefragungen verwendet werden. Für ihre
zungen der Akteure vordringen. Dazu wären Analyse sind Verfahren, die die kollektiven Ori-
eine rekonstruktive Re-Analyse der Videodaten entierungen rekonstruieren (wie z. B. die doku-
sowie deren Interpretation durch die betreffen- mentarische Methode), geboten.
den Lehrenden und Lernenden notwendig. Die Für die Erfassung nicht-reflexiver Teilkom-
folgende exemplarische Betrachtung der wich- petenzen sind v. a. hypothesenprüfend-subsum-
tigsten Methodentypen bietet eine erste Orien- tionslogische Verfahren angemessen. Besonders
tierung und deutet die Vielzahl der Verknüp- zeitökonomisch sind quantitative Methoden,
fungsmöglichkeiten an (vgl. z. B. Vollmer 2007; die zuverlässige Aussagen über globale (C-Test)
Aguado et al. 2010). Kognitive Prozesse sind oder bereichsspezifische (Batterie mit Subtests
nur indirekt zugänglich, indem Proband/innen zu den vier ä Fertigkeiten) Sprachkompetenz
die von ihnen produzierten Bedeutungen im ermöglichen. Für Analysen mündlicher Sprach-
Prozess oder nachträglich verbalisieren. Derar- produktion, ä kommunikativer Kompetenz und
tige Laut-Denk-Verfahren beruhen darauf, dass zum Zwecke morpho-syntaktischer Analysen
ihre Prozesshaftigkeit eine Eigendynamik ent- gesprochener Sprache eignen sich Interviews.
wickelt, durch die die Mitteilungen der Pro- Kommunikations- und Interaktionsverhalten
band/innen unwillkürlich werden. Dadurch re- der Proband/innen werden allerdings wesent-
duziert sich deren Autonomie, aber gleichzeitig lich besser in Partner- oder Kleingruppenge-
erhöht sich die Validität der Daten, da Lerner- sprächen erfasst. Diese Gespräche können über
äußerungen nur so überhaupt als Korrelat ko- prompt cards oder vorgegebene Dilemmasitua-
gnitiver Prozesse interpretiert werden können. tionen angeregt und gesteuert werden. Für reale
Emotiv-motivationale Faktoren können quanti- Interaktionsprozesse oder die Rekonstruktion
tativ-hypothesenprüfend sehr gut über Frage- institutioneller Strukturen dient die Beobach-
bögen mit geschlossenen Fragen zugänglich ge- tung.
macht werden, indem man die in der pädagogi- Der Grad der Beeinflussung des Feldes ist
schen Psychologie verwendeten Konstrukte und abhängig vom Grad der Teilnahme der Beob-
deren Operationalisierungen verwendet. Sollen achtenden. Aufgrund des großen Einflusses bei
von den Proband/innen auch Erläuterungen der teilnehmenden Beobachtung müssen die
abgegeben werden, kommen Leitfadeninter- dabei entstehenden Daten (Tagebuch, Video-
views in Frage. Bei rekonstruktivem Vorgehen aufzeichnungen, Audioaufzeichnungen) ethno-
kommen zum einen Fragebögen mit offenen graphisch analysiert werden, indem die Per-
Fragen in Betracht. Sollen dabei auch biogra- spektive des Beobachtenden systematisch re-
phische Zusammenhänge und die Relevanzset- und dekonstruiert wird. Durch die weniger
zungen der Akteure erhellt werden, bieten of- beeinflussende Videographie mittels fester Ka-
fene Interviewformen eine größere Tiefe. Wäh- meras gewonnene Daten können transkribiert
rend narrative Interviews die biographische und dann mit strukturanalytischen Verfahren
Forschungsmethoden und Forschungsinstrumente 84

Methode Untertyp Instrument (Bsp.) Mögl. Gegenstand


Introspektion Lautes Denken Audio-/Videographie/Transkript Problemlöseprozesse
Selbstbeobachtung Probanden-, Forschungstagebuch Lernbewusstheit
Schriftliche Subsumtionslogisch Fragebogen: geschlossene Fragen Emotiv-motivationale
Befragung Rekonstruktiv Fragebogen: offene Fragen Faktoren
Test Informell Offene Fragen Deklaratives Wissen,
Multiple Choice Auswahlantworten Fachkompetenz
Sprachfragmente C-Test Sprachkompetenz
Interview Prompt cards Sprachkompetenz
Gruppendiskussion Dilemmaaufgabe Sprachkompetenz
Mündliche Standardisiertes I. Befragungsbogen Soziale Daten
Befragung Problemzentriertes I. Audio-/Videographie/Transkript Subjektive Theorien
Episodisches I. Unterrichtsbilder
Narratives I. Berufsbiographie
Gruppendiskussion Bildungsprozesse
Beobachtung Teilnehmend Forschungstagebuch, Interaktionsprozesse,
Beobachtungsbogen Unterrichtsstruktur,
Nicht-teilnehmend Videographie/Transkript Lernkultur

wie z. B. der objektiven Hermeneutik analysiert sem Bereich geht. Mehr als jeder andere dürfte
werden. dabei der Begriff ›Text‹ im Mittelpunkt stehen.
Grundsätzlich gilt, dass die Wahl der Me- Welcher Gegenstand auch immer betrachtet
thode Einfluss auf die Gültigkeit und Relevanz wird, stets spielen Texte die zentrale Rolle:
der Daten hat. Während qualitativ-rekonstruk- schriftliche, mündliche oder (audio)visuelle;
tiv orientierte Methoden Relevanzsetzungen der kontinuierliche oder diskontinuierliche; doku-
Beteiligten ermöglichen, sind deren Partizipati- mentarische oder fiktionale. All diese Varietä-
onsmöglichkeiten bei quantitativ-hypothesen- ten dienen als Unterrichtsgegenstände. In Form
prüfenden Verfahren sehr eingeschränkt. Durch des ä Lehrwerks sind sie Leitmedium, und als
Letzteres wird daher eine statistische Auswert- Website, Selbstlern-DVD oder Web 2.0 bilden
barkeit der Daten erreicht. Sie führt aber zu ei- sie die dazu komplementären Neuen ä Medien.
ner potenziell reduzierten Relevanz für die Be- Insbesondere als kontinuierliche oder diskonti-
teiligten und damit zu einer reduzierten ökolo- nuierliche Sachtexte sind sie aber nicht nur als
gischen Validität der Daten. Dieser scheinbare Unterrichtsgegenstände interessant, sondern
Gegensatz kann durch verschiedene Formen der bilden nach wie vor das bei weitem überwie-
Triangulation produktiv gewendet werden. gende Medium der Wissenschaft selbst. Sie sind
Auch in der nicht-empirischen Forschung damit Produkt und Objekt der Forschung zu-
gilt, dass Erkenntnisinteresse, Fragestellung und gleich.
gewählte FM. zueinander passen müssen. Noch Gleichgültig ob das Forschungsobjekt Unter-
mehr als in der empirischen Forschung findet richtsgegenstand oder wissenschaftliche Publi-
sich in diesem Bereich allerdings eine Vielfalt kation ist, die Forschungsaufgabe besteht stets
von Bezugsdisziplinen (Geschichtswissenschaft, darin, die Bedeutung von Texten zu erschließen,
ä Literaturwissenschaft, ä Kulturwissenschaft Querbeziehungen u. a. zu anderen Texten her-
oder Erziehungswissenschaft) und entsprechend zustellen und diese schließlich erneut als Text
eine beinahe unüberschaubare Methodenplura- darzustellen. Die dazu zur Verfügung stehenden
lität. Diese Vielfalt lässt sich auf engem Raum Methoden lassen sich in zwei Kategorien eintei-
nicht kartieren. Wohl aber kann man die Frage len. Zum einen versuchen aus der Linguistik
stellen, ob es nicht quer zu den Disziplinen wie- entlehnte Verfahren wie z. B. die generative
derkehrende Begriffe und Konzepte gibt, die Grammatik oder Sprechakttheorie, Texte sub-
exemplarisch verdeutlichen, worum es in die- sumtionslogisch bestehenden Kategoriensyste-
85 Forschungsmethoden und Forschungsinstrumente

men unterzuordnen. Zum anderen können weitere Betrachtung weiterer Teile geprüft und
Texte aber auch als dynamische, offene und verändert.
nicht letztgültig bestimmbare Phänomene be- Um dies zu verdeutlichen, sollen drei Bereiche
trachtet werden. Offene und mit den Mitteln näher betrachtet werden. (1) Die Analyse von
der Montage vorgehende Techniken wie Fou- Einzeltexten versucht, den einzelnen Text durch
caults Diskursanalyse oder Derridas Dekon- das Erzeugen immer neuer Lesarten und Prü-
struktion versuchen daher nicht, Texte auf eine fung von deren Plausibilität zum Sprechen zu
Bedeutung festzulegen, sondern durch Erzeu- bringen. Diese werden durch eine sich verän-
gung neuer Lesarten auch konkurrierende Be- dernde Haltung der oder des Interpretierenden
deutungen herauszuarbeiten. zum Teil radikal verändert. Dies ist aber keines-
Unabhängig von dieser analytischen Diffe- falls ein Makel, sondern notwendiger Bestand-
renzierung spielt der Begriff der Geschichte eine teil der Analyse (vgl. z. B. Geier 1983). Diese
zentrale Rolle. Er ist zum einen als Erzählung Arbeit gerät sowohl als Vorbereitung auf als
im Sinne einer Form der thematischen Entfal- auch im Prozess des Unterrichts selbst (vgl. z. B.
tung eines Textes bzw. als literarischer Gattung Bredella/Burwitz-Melzer 2004) in den Blick der
präsent. Zum anderen hat ›Geschichte‹ Bedeu- Forschung. Neben der Interpretation literari-
tung als tatsächliche historische Entwicklung scher Texte kommt diese Vorgehensweise be-
von Denkweisen oder materiellen Strukturen, sonders bei der ä Lehrwerkanalyse zum Einsatz.
die mit Methoden der Geschichtswissenschaft Auch hier geht es darum, die latenten Ideen
zugänglich wird. Diese Grenze wird in der hinter den konkreten Texten zu erschließen, um
Postmoderne gezielt aufgelöst, indem mit dem zu ermitteln, welche Sinnkonstruktionen über-
Begriff des grand récit Ideengeschichte als kon- haupt möglich sind. Betrachtet man das Lehr-
tingente Erzählung aufgefasst und mit diesem werk als Vehikel kultureller Muster, ist diese
Konzept das Verschwinden universaler Deu- Analyse insbesondere für den Aspekt des ä inter-
tungssysteme rekonstruiert wird. kulturellen Lernens bedeutend. Hier zeigt sich
Insgesamt lässt sich daher sagen, dass Texte auch die Komplementarität empirischer und
im Zentrum nicht-empirischer Forschung in hermeneutischer Verfahren, denn mit rezepti-
der Fremdsprachendidaktik stehen. Betrachtet onsästhetischen Mitteln kann nun empirisch
man den Text somit als zentralen Gegenstand, geprüft werden, welche der latenten Texte und
dann kommen Werkzeuge und Instrumente damit welche der möglichen Sinnkonstruktio-
zum Verstehen von Texten als Methoden in nen von welchen Lernenden in welchem Kon-
Frage. Die Größe der dazu in den Geisteswis- text bevorzugt erzeugt werden. In Bezug auf
senschaften vorhandenen Bandbreite ist nahezu beide Gegenstände ist selbstverständlich die Be-
unüberschaubar. Auch aufgrund ihrer histori- trachtung intertextueller Bezüge eine Notwen-
schen Bedeutung und wegen ihres Ranges als digkeit (ä Intertextualität und Intermedialität).
geisteswissenschaftliche Methode par excel- (2) Bei der historischen Analyse verschiebt
lence erscheint es aber berechtigt, den Begriff sich der Bezugspunkt dieser Kontextualisierung
der Hermeneutik in einem generischen Sinne in die Vergangenheit. Diese Methode bildet in
als Oberbegriff der Bemühung, den Sinn von Form der begriffsgeschichtlichen Analyse den
Texten zu erschließen, zu betrachten. In diesem Kern disziplinrekonstruktiver Studien (vgl. z. B.
Bemühen bedient sich der oder die Interpre- Doff 2008), ist aber als diachroner Bestandteil
tierende je nach Schwerpunktsetzung real kon- des Literaturberichts routinemäßig in beinahe
textualisierender (z. B. sozialgeschichtlicher), jeder wissenschaftlichen Arbeit zu finden. Dabei
textlich kontextualisierender (z. B. intertextuell stehen nicht Texte in ihrer Ganzheit, sondern
komparatistischer), textimmanenter (z. B. struk- vielmehr die von ihnen entfalteten Begriffe im
turalistischer) oder supplementierender (z. B. Zentrum der Analyse. Die Textanalyse wird also
dekonstruktivistischer) Instrumente. Immer genau dann beendet, wenn die darin entwickel-
geht es dabei um die Entschlüsselung der Sym- ten Begriffe ausreichend expliziert erscheinen.
bolik des Texts, verstanden als der Erschließung Umso wichtiger ist es, diese Bedeutung des Tex-
des Latenten hinter dem konkreten Text durch tes in seiner Zeit und die Betrachtung seiner ak-
(De-) oder (Re-)Konstruktion. Dabei spielt das tuellen Relevanz sauber zu trennen (vgl. ebd.,
Verhältnis von Teil und Ganzem eine zentrale 53 ff.): Dabei soll der oder die Interpretierende
Rolle, denn die an Teilen erzeugten Bedeutungs- gerade zurücktreten, um abgeschlossene Phasen
hypothesen für das Ganze werden durch immer der disziplinären Begriffsbildung festzuhalten.
Forschungsmethoden und Forschungsinstrumente 86

Das hermeneutische Moment der Ruhepunkte plinrekonstruktiver Arbeiten, sondern in Form


(Jacques Lacan) steht hier im Vordergrund, in- des Literaturberichts konstitutiver Teil nahezu
dem aus dem historischen und intertextuellen jeder wissenschaftlichen Arbeit sind. Um den
Bedeutungskontinuum eine in einer bestimmten Anspruch der Relevanz der jeweiligen Arbeit
Phase vorherrschende Bedeutung fokussiert einzulösen, wird dabei auch regelmäßig eine
wird. Die Begriffsgeschichte wird also angehal- Geltungskritik vorgenommen, ohne dass dabei
ten, um – strukturalistisch gesprochen – das Si- explizit reflektiert würde, dass dafür methodi-
gnifikat dingfest zu machen und eine Bedeutung sche Kriterien existieren. Wollte man dazu einen
einzufrieren. Mindeststandard formulieren, käme sicherlich
(3) Die Bedeutung dieses Vorgehens zeigt sich die saubere Trennung der diachronen und syn-
schließlich bei der geltungskritischen Rekon- chronen Betrachtung in Frage.
struktion (vgl. z. B. Breidbach 2007, 45 f.), die Lit.: K. Aguado/K. Schramm/H. J. Vollmer (Hg.):
nicht nur die Entwicklung von Begriffen be- Fremdsprachliches Handeln beobachten, messen und
schreibt, sondern auch die Legitimität damit evaluieren. FfM 2010. – L. Bredella/E. Burwitz-Melzer:
konstruierter theoretischer Positionen prüft. Rezeptionsästhetische Literaturdidaktik mit Beispielen
aus dem FU Englisch. Tüb. 2004. – S. Breidbach: Bil-
Insbesondere Konzepte, die sich seit längerer dung, Kultur, Wissenschaft. Reflexive Didaktik für
Zeit als Leitideen halten und damit im Sinne den bilingualen Sachfachunterricht. Münster 2007. –
von Thomas S. Kuhn in die Nähe von Paradig- D. Caspari et al. (Hg.): FM. in der Fremdsprachen-
men gelangen, werden mittels historischer Be- didaktik. Ein Handbuch. Tüb. 2016. – S. Doff: Eng-
griffsanalyse nicht nur auf ihre Erklärungs- lischdidaktik in der BRD 1949–1989. Mü. 2008. –
M. Geier: Methoden der Sprach- und Literaturwissen-
macht, sondern auch auf ihre Begründungszu- schaft. Mü. 1983. – R. Grotjahn: Subjektmodelle.
sammenhänge befragt. Daraus kann folgen, Implikationen für die Theoriebildung und For-
dass bestimmte Begriffe aus Theorien deduziert schungsmethodologie der Sprachlehr- und Sprachlern-
werden, die zwar zu ihrer Zeit Bestand hatten, forschung. In: Zeitschrift für Fremdsprachenfor-
im Lichte aktueller Erkenntnis aber nicht mehr schung 16/1 (2005), 23–56. – U. Kelle: Die Integration
qualitativer und quantitativer Methoden in der em-
tragbar sind. Dies enthält dann zugleich die
pirischen Sozialforschung. Wiesbaden 2008. – H. J.
Aufforderung, neue Begründungszusammen- Vollmer (Hg.): Synergieeffekte in der Fremdsprachen-
hänge aufzubauen. forschung. FfM 2007. AB
Als Ausblick lassen sich abschließend Berüh-
rungspunkte und Synergien verschiedener Me-
thoden und Instrumente feststellen. Am augen- Fortbildung ä Lehrerbildung
fälligsten ergeben sich diese zwischen den em-
pirisch-rekonstruktiven und nicht-empirischen
Verfahren, da beide sich mit der Interpretation Fossilisierung. Larry Selinker (1972) hat den
von Texten beschäftigen. Der wesentliche Un- Begriff F. als einen Ausdruck für den Mechanis-
terschied liegt in der Herkunft der Texte. Im mus eingeführt, der dafür sorgt, dass sich die
Zentrum der Analyse steht in beiden Fällen die Merkmale der Lernersprache (ä Interlanguage)
interpretative Entwicklung von Bedeutungshy- unabhängig vom Alter der Zweitsprachener-
pothesen an Teilen eines Textes, die dann syste- werber/innen, der Länge des Kontakts mit der
matisch – bei empirischen Methoden wie der Zielsprache und der Quantität zusätzlicher
objektiven Hermeneutik und der dokumentari- Lehre nicht verändern. Es geht nicht darum,
schen Methode dient dazu die Sequenzanalyse dass Fremdsprachenlernende relativ selten eine
– an anderen Textteilen falsifiziert werden. Da- Zielsprache wie Muttersprachler beherrschen
mit wird deutlich, dass die im empirischen Be- (eine Zielsetzung, die sowieso kaum noch gültig
reich mittlerweile etablierte Auffassung von der ist – v. a. im Bereich ä Englisch als ä lingua
Komplementarität der Methoden sich auch auf franca), sondern darum, dass zu einem nicht
den nicht-empirischen Bereich ausdehnen lässt. vorhersehbaren Zeitpunkt keine Fortschritte
Lehrwerkanalyse und Rezeptionsgespräch sind mehr stattfinden. Der Begriff bezieht sich
nur zwei Beispiele, die zeigen, dass der Vergleich hauptsächlich auf syntaktische Aspekte der
textanalytisch erzeugter und empirisch erhobe- Zielsprache und nicht auf kommunikative und
ner Lesarten eines Textes ein vertieftes Ver- strategische Fähigkeiten. Das Konzept betrifft
ständnis des Gegenstands ermöglicht. Drittens auch phonologische Aspekte der sprachlichen
ist deutlich geworden, dass diachrone Begriffs- Performanz, die jedoch in der fachlichen Dis-
analysen keinesfalls eine Spezialmethode diszi- kussion kaum berücksichtigt werden.
87 Fragen

Die Idee scheint zunächst kompatibel mit Fragen müssen im FU aus zweifacher Perspek-
den bekannten Fällen von Erwachsenen, die tive betrachtet werden: Zum ersten erfüllen
nach Erreichen eines ›kritischen‹ Alters in ein Lehrer-F. wie in jedem Fachunterricht be-
fremdes Land ziehen und dort zwar eine be- stimmte didaktische und pädagogische Funkti-
grenzte, aber effektive kommunikative Fähig- onen; zum zweiten sind F. ein wesentlicher Be-
keit in der neuen Sprache erreichen, danach je- standteil menschlicher ä Kommunikation und
doch keine weitere sprachliche Entwicklung müssen daher in ihren fremdsprachigen Formen
durchmachen. Das Konzept ist intensiv kriti- und Funktionen (Lern-) Gegenstand eines auf
siert worden (vgl. Long 2003). So liegt eine Kommunikationsfähigkeit ausgerichteten FUs
empirische Bestätigung der Theorie nicht vor, sein. Lehrer-F. sind der Motor des Unterrichts-
auch wenn Einzelfälle dokumentiert werden, geschehens. Sie sollten u. a. vorhandenes Wissen
die mit der Hypothese kompatibel sind. Variati- aktivieren, Interesse an Themen wecken, die
onen in der Performanz beim Zweitsprachener- ä Aufmerksamkeit der Lernenden lenken, eine
werb kommen vor, d. h., auch nach mehreren aktive Auseinandersetzung mit dem Lerngegen-
Jahren alltäglicher Verwendung der Zielsprache stand fördern, ä Verstehen sichern, Lernergeb-
werden bestimmte grammatische Phänomene nisse festigen, Schüler-F. stimulieren, Lernaufga-
manchmal konsistent mit und manchmal ab- ben strukturieren, Lernprobleme diagnostizie-
weichend von zielsprachlichen Normen ver- ren helfen, Lernhilfen geben, zur Reflexion von
wendet (z. B. die Wortstellung im Deutschen als Zusammenhängen einladen, kognitive Prozesse
Zielsprache). Hier kann man jedoch nicht von anregen, Schüler/innen zur Mitarbeit aktivieren,
einer F. sprechen. Schülermeinungen als wichtig anerkennen und
Die F.shypothese erklärt individuelle Unter- Interesse an Schülerreaktionen bekunden. An-
schiede zwischen Lernenden nicht. Andere Er- gesichts dieser Fülle von unterrichtlichen Ver-
klärungen für die empirischen Zustände ma- wendungssituationen für F. und deren bedeut-
chen den Begriff überflüssig: (1) Individuen er- samer Rolle für den Unterrichtsverlauf erstaunt
reichen eine kommunikative Effektivität in der es, dass F. im FU bisher zum einen in der ä Leh-
Zielsprache, die sie als ausreichend für die eige- rerbildung kaum eine Rolle spielen, zum an-
nen kommunikativen Bedürfnisse betrachten. deren selten Gegenstand der Forschung sind,
Dies führt zu dem Paradox, dass kommunikati- wenngleich neuere videogestützte Untersuchun-
ver Erfolg der Entwicklung des zugrundeliegen- gen erfolgen (vgl. Kirchhoff/Klippel 2014).
den Sprachproduktionssystems entgegenwirkt. Unterschiedliche Arten von F. führen zu je-
(2) Faktoren wie ä Motivation, berufliche weils anderen mentalen Prozessen auf Seiten
Zwänge, Vorkommen, Zeitpunkt und Art even- der Befragten. Eine einfache Klassifizierung
tueller Sprachlehre, Intelligenz sowie weitere unterteilt F. in Wissens-F. und Denk-F.; erstere
interne, soziale und externe Faktoren können dienen dazu, vorhandene Kenntnisse abzufra-
dafür mitverantwortlich sein, dass eine Art F. gen (recall), Text- und Sprachverstehen zu
stattfindet. Es ist aber durchaus plausibel, an- überprüfen (comprehension) und Lernenden
zunehmen, dass bei einigen Individuen eine Art Gelegenheit zu verschaffen, Sprachkönnen zu
kognitive Barriere existiert, die mitverantwort- demonstrieren (application). Aufbauend auf
lich dafür ist, dass Input nicht so verarbeitet Benjamin Bloom (1956) bezeichnet man die
werden kann, dass daraus ein Zuwachs an beiden Kategorien auch als lower-order cogni-
ä Kompetenz stattfindet. Es ist auch möglich, tive questions (Wissens-F.) und higher-order
dass Lernende bewusst oder unbewusst ihre ei- cognitive questions (Denk-F.). Die komplexen
gene kulturelle Identität behalten wollen und mentalen Tätigkeiten, die durch Denk-F. ausge-
dass dies die Einstellung zum und Offenheit für löst werden, umfassen etwa Analyse, Synthese
Fremdsprachenerwerb beeinflusst. Für die und Evaluation. Darüber hinaus werden im FU
ä Fremdsprachendidaktik scheint das Konzept auch F. nach Einstellungen, Vorlieben, Motiven
daher irrelevant zu sein. und Ablehnungen gestellt, wenn es um Schüler-
Lit.: M. H. Long: Stabilization and Fossilization. In: reaktionen auf Informationen, ä Bilder oder
C. J. Doughty/M. H. Long (Hg.): The Handbook of Texte geht. Lehrer-F., die darauf abzielen, vor-
Second Language Acquisition. Malden 2003, 487– handenes Wissen oder Textverstehen zu über-
535. – L. Selinker: Interlanguage. In: International prüfen oder die korrekte Verwendung einer
Review of Applied Linguistics in Language Teaching
(IRAL) 10/3 (1972), 209–231. WE Struktur oder eines Wortes auszulösen, sind in
der Regel solche, für die der Fragesteller die
Fragen 88

Antwort bereits kennt; man nennt sie daher di- duktives Lernen) oder auch vom individuellen
daktische F. Diese Art von F. umfasst die Mehr- Beispiel zur Verallgemeinerung (ä Induktives
heit aller F. auch im Sprachunterricht (vgl. Lernen). Die Lehrperson kann dann, wenn eine
Long/Sato 1983). Demgegenüber sind echte F. F. nicht verstanden wird, durch Umformulie-
solche, deren Antwort der Fragesteller nicht rung oder Denkanstöße Hilfestellung leisten.
kennt. Bei Wissens-F. im Unterricht handelt es Wichtig ist es, Monotonie durch stets gleich
sich fast ausschließlich um didaktische F., wäh- formulierte F. und Verwirrung durch Mehrfach-
rend Denk-F. durchaus neue, der Lehrkraft un- F. bzw. Frageketten zu vermeiden.
bekannte Antworten hervorrufen können. Af- Da ein Lernerfolg nur dann gegeben ist, wenn
fektive F. sind in der Regel echte F., es sei denn, sich die Lernenden intensiv mit einer F. ausein-
sie dienen nur der Reproduktion relevanter, andersetzen, sollten Techniken gewählt werden,
zuvor eingeübter Sprechakte. Da echte F. in der die bei anspruchsvollen F. möglichst viele Ler-
sprachlichen Kommunikation außerhalb des nende aktiv werden lassen. Dazu zählen buzz
Unterrichts überwiegen, folgt daraus für den groups, in denen eine F. zunächst in Kleingrup-
ä kommunikativen FU, dass man diese Art der pen erörtert wird, ehe die Antworten gesammelt
F. ausreichend berücksichtigen sollte, damit die werden. Bei einer Pyramiden-Diskussion be-
Lernenden sie später in der Realsituation be- ginnt man mit der Bearbeitung einer F. in Part-
herrschen. Eine letzte Unterscheidung trifft nerarbeit, ehe die Lösungen in schrittweise
man im Hinblick auf die Offenheit: Offene F. wachsenden Lerner-Gruppen diskutiert und
erlauben eine Vielzahl von Antworten; demge- abgeglichen werden. Auch bei weniger komple-
genüber gibt es für geschlossene F. meist nur xen F. sollten Lehrkräfte das Aufrufen variieren,
eine richtige Antwort. Es liegt nahe, dass didak- indem sie entweder diejenigen drannehmen, die
tische F. oft geschlossen sind. sich freiwillig melden, oder namentlich aufru-
Die Tatsache, dass die Lehrkraft die Antwort fen oder Lernende bitten, jemand zu benennen,
zu einer gestellten F. oftmals bereits im Kopf der antwortet. Wenn als Regel gilt, dass jeweils
hat, führt dazu, dass den Lernenden dann zu mehrere Lernerantworten gehört werden und
wenig Zeit für die Beantwortung gelassen wird Lernende die Antworten der anderen kommen-
(z. T. weniger als zwei Sekunden; vgl. White/ tieren, erreicht man gerade bei offenen F. eine
Lightbown 1984). Eine um wenige Sekunden größere Beteiligung am ä Unterrichtsgespräch.
längere Wartezeit führt beispielsweise zu länge- Im FU dient zudem die Fragestellung durch den
ren und komplexeren Antworten, zu mehr dif- Lehrenden als sprachliches Modell, so dass ne-
ferenzierten Unterrichtsbeiträgen der Lernen- ben der didaktischen Funktion der Frage auch
den und zu einer stärkeren Beteiligung der ihre sprachliche Form bedacht sein sollte. An-
Schüler/innen (vgl. Nunan 1991, 193). Die Be- gesichts der zentralen Rolle von F. für außer-
antwortungszeit sollte daher der Art der F. und schulische Kommunikationsprozesse ist es im
deren Komplexität angepasst werden. Wenn F. FU unabdingbar, dass die Lernenden das F.stel-
sinnvoll eingesetzt werden sollen, müssen Lehr- len lernen und üben (ä Übung), und zwar nicht
kräfte sich zunächst bewusst sein, welche Erin- nur implizit durch ein Modelllernen anhand
nerungs- oder Denkprozesse bestimmte Typen der Lehrersprache, sondern v. a. auch gezielt
von F. auslösen. Mit Hilfe von guten, aufeinan- durch die Begegnung mit unterschiedlichen
der aufbauenden F. ist es möglich, das übliche Frageformen und -realisierungen. Ziele des Un-
Schema des fragend-entwickelnden Unterrichts terrichts sollten darin liegen, dass F. bewusst
(Lehrerfrage – Schülerantwort – Lehrer-Feed- eingesetzt werden, dass zu deren Beantwortung
back) zu erweitern und miteinander in ein ech- ausreichend Zeit und zu deren Formulierung
tes Gespräch zu kommen, was gerade für den notwendige Hilfen gegeben werden.
kommunikativen Sprachunterricht zielführend
Lit.: B. Bloom: Taxonomy of Educational Objectives.
ist. Allgemein gelten die pädagogischen Prinzi- Bd. 1, Cognitive Domain. N. Y. 1956. – P. Kirchhoff/
pien ›vom Leichten zum Schweren‹, ›abwechs- F. Klippel: On the Role of Teacher Questions in EFL
lungsreich in Inhalt und Methode‹ und ›Ler- Classrooms. Analysing Lesson Videos. In: M. Pawlak
nende fordern und fördern‹ auch für den Um- et al. (Hg.): Classroom-oriented Research. Achieve-
gang mit F. Dabei kann abhängig vom Inhalt ments and Challenges. Dordrecht 2014, 87–100. –
M. H. Long/C. J. Sato: Classroom Foreigner Talk Dis-
und von der Art der F. eine gewisse ä Progres- course. Forms and Functions of Teacher’s Questions.
sion der F. auf mehrfachem Wege erreicht wer- In: H. W. Seliger/M. H. Long (Hg.): Classroom Orien-
den: vom Allgemeinen zum Speziellen (ä De- ted Research in Second Language Acquisition. Rowley
89 Französisch

1983, 268–286. – T. Lynch: Questioning Roles in the erste Fremdsprache in der Grundschule ange-
Classroom. In: ELT Journal 45 (1991), 201–210. – boten wird, ist der frühbeginnende F.-Unter-
D.  Nunan: Language Teaching Methodology. N.Y.
richt in anderen Bundesländern eher marginal
1991. – J. White/P. Lightbown: Asking and Answering
in ESL Classes. In: Canadian Modern Language Re- vertreten (ä Früher FU). Aufgrund der Verein-
view 40 (1984), 228–244. FK barungen des Deutsch-französischen Freund-
schaftsvertrages von 1963 genießt F. in Deutsch-
land eine besondere staatliche Unterstützung;
Fragend-entwickelnder Unterricht ä Fragen, dies manifestierte sich nicht zuletzt in der
ä Unterrichtsgespräch Gründung bilingualer Angebote im staatlichen
Schulwesen (ä Bilingualer Unterricht) und in
der Implementierung des ABI-BAC. (vgl. Christ
Französisch ist eine romanische Sprache, die ca. 2015, 41 ff.).
vom 17. bis ins 19. Jh. hinein in Kreisen von Für deutschsprachige Lernende sind einige
Politik, Wissenschaft und Kultur in Europa Aussprachemerkmale des F.en wie die Nasale
vorherrschend war. Heute ist ihre globale Be- oder die Unterscheidung des stimmhaften und
deutung ihrer Funktion als zweitwichtigste stimmlosen Konsonanten ›s‹ zunächst unge-
Verhandlungssprache in internationalen Orga- wohnt, auch die ä Orthographie des F.en stellt
nisationen wie z. B. der Uno und ihrem Status Lernanfänger/innen vor besondere Herausfor-
als Verkehrssprache in einer Reihe von Ländern derungen. Als lernerleichternd erweisen sich
geschuldet, von denen viele zuvor zum fran- demgegenüber die Kenntnisse der zumeist vor-
zösischen Kolonialreich gehörten. Eine erst- gelernten Fremdsprache Englisch, dies aller-
sprachliche Verbreitung besitzt das F.e außer in dings aufgrund gemeinsamer lateinischer Wur-
Frankreich und seinen überseeischen Départe- zeln v. a. im Bereich der Lexik, kaum jedoch in
ments und Territorien v. a. in Teilen der Schweiz, Bezug auf die Grammatik. Dass F. in dieser
Belgiens und Kanadas. Die Zahlen der aktuel- Hinsicht komplexer strukturiert ist, wurde
len Nutzer/innen des F.en schwanken zwischen lange Zeit zum Anlass einer stark grammati-
220 und 274 Mio. Als schulische Fremdsprache kalischen Ausrichtung der Unterrichtspraxis
nimmt F. mit ca. 120 Mio. Lernenden hinter genommen. Heute hat sich die Einsicht durch-
ä Englisch weltweit den zweiten Rang ein (vgl. gesetzt, dass der Grammatik eine dienende
France Diplomatie 2014). Zur Verbreitung des Funktion für den Kompetenzerwerb (ä Kompe-
F.en trägt das Institut français bei, das in tenz) zukommt und dass diese eingebettet in
Kooperation mit staatlichen Organisationen chunks mit dem lexikalischen Lernen verknüpft
vielerorts zudem eine Zertifizierung erworbe- sein sollte (ä chunk learning). Eine besondere
ner Sprachkompetenzen über das Diplôme Bedeutung erhält das F.e als zumeist erstge-
d’Études de Langue Française (DELF) und Dip- lernte romanische Sprache im Hinblick auf die
lôme Approfondi de Langue Française (DALF) Entwicklung individueller ä Mehrsprachigkeit,
anbietet (ä Zertifikate). da es als Brücke zum Erlernen anderer romani-
Für Deutschland gibt das Statistische Bun- scher Sprachen fungieren kann. Nicht zuletzt
desamt (2017) die Zahl derer, die im Schul- vermag der F.-Unterricht einen Zugang zu spe-
jahr  2015/16 F. als erste, zweite oder dritte zifischen kulturellen Kontexten zu eröffnen, die
Fremdsprache an Allgemeinbildenden Schulen sich von denen einer vorrangig anglophon ge-
und Berufsschulen lernen, mit ca. 1,6 Mio. an prägten Welt unterscheiden.
(gegenüber dem Vorjahr leicht fallend) und Ein spezifisches Phänomen des schulischen
deutlich hinter Englisch mit über 8,5 Mio., F.-unterrichts stellt die Verweiblichung des Lehr-
aber noch vor Latein und ä Spanisch mit je ca. körpers und der Schülerschaft dar. Jugendliche
0,5 Mio. Lernenden (gegenüber dem Vorjahr männlichen Geschlechts fühlen sich mehrheit-
jeweils steigend). Insbesondere in der Sekun- lich weder von der vielfach als feminin wahrge-
darstufe II ist ein deutlicher Rückgang der Ler- nommenen Prosodie des F. noch von den Inhal-
nerzahlen zu verzeichnen. Der Stellenwert der ten und den sozialen Kontexten eines weiblich
Schulfremdsprache F. variiert unter den einzel- dominierten Klassenraums angesprochen (vgl.
nen Bundesländern allerdings erheblich. Wäh- Bonin 2009). Diese Schülerschaft zurückzu-
rend F. aufgrund seiner geographischen Nähe gewinnen ist sicherlich eine wesentliche Ent-
zu Frankreich in Rheinland-Pfalz, Baden-Würt- wicklungsaufgabe des Faches. Zu den Haupt-
temberg und dem Saarland teilweise schon als tendenzen jüngerer Forschung der F.-didaktik
Französisch 90

insbesondere zu Fragen der ä Kultur- und ä Lite- hänge des FUs sowie mit dem ä Spracherwerb
raturdidaktik oder der Standard- und Kompe- außerhalb dieser Rahmenbedingungen ein wei-
tenzorientierung sei auf Schmelter (2016) ver- teres Forschungsfeld.
wiesen. Ein wesentliches Charakteristikum der F. be-
Lit.: J. Bonin: Jungenförderung im F.unterricht? In: F. steht darin, dass es sich dabei – wie bei allen
heute 40/1 (2009), 15–21. – I. Christ: Zur heutigen Fachdidaktiken – um eine angewandte Wissen-
Situation des F.unterrichts in Deutschland. In: H.-L. schaft handelt. F. ist die Wissenschaft vom Ler-
Krechel (Hg.): F.didaktik. Bln 2015, 33–49. – France nen und Lehren fremder Sprachen, »eine die
Diplomatie: Francophonie et la langue française. Paris
2017. – L. Schmelter: Entwicklungen der französisch- Praxis reflektierende, wissenschaftlich fundierte
didaktischen Forschung. Ein subjektiver Blick auf die Theorie des Fremdsprachenunterrichts, aus der
Zeit zwischen 2005 und 2015. In: Fremdsprachen begründete Vorschläge und Empfehlungen für
Lehren und Lernen 45/1 (2016), 114–129. – Statisti- die Gestaltung [von Unterricht in Fremdspra-
sches Bundesamt: Schüler/innen im fremdsprachlichen chen abgeleitet werden« (Timm 1998, 3). Die F.
Unterricht. Wiesbaden 2017. LuK
beschäftigt sich u. a. mit dem übergeordneten
Ziel, (zukünftige) Fremdsprachenlehrkräfte aus-
Freiarbeit ä Offener Unterricht bzw. weiterzubilden. Im gesellschaftlichen Kon-
text übernimmt die F. als angewandte Wissen-
schaft neben der Lehrer(aus)bildung vorrangig
Fremdsprachendidaktik. Die F. ist eine mit dem die Funktion »im gegenseitigen Wechselspiel von
Lehren und Lernen von Fremdsprachen in ins- Lebenswelt, Institutionen und Bezugswissen-
titutionellen, primär in schulischen Kontexten schaften die Belange des gesteuerten Lehrens und
befasste Wissenschaftsdisziplin. F. ist nicht als Lernens von Fremdsprachen« (Zydatiß 1988,
Fachdidaktik oder ein Konglomerat mehrerer 109) zu vertreten. Damit definiert sich diese Wis-
Fachdidaktiken zu verstehen, sondern als eine senschaftsdisziplin primär anwendungsorientiert
Ebene zwischen den Fachdidaktiken der einzel- von ihrem Praxisfeld und ihren eigenständigen
nen Fremdsprachen, bezogen auf gemeinsame Aufgabenbereichen her. Zu diesen zählen u. a. die
Zielsetzungen, Inhalte und Methoden einer Verdeutlichung des Stellenwerts des FUs in der
Gruppe von benachbarten fremdsprachendi- Gesellschaft sowie Durchsetzung der Daseinsbe-
daktischen Einzeldisziplinen. Letztere sind die rechtigung der fremdsprachlichen Fächer gegen-
Fachdidaktiken der Einzelsprachen (z. B. Eng- über anderen gesellschaftlichen Kräften, die
lisch-, Französisch-, Spanisch-, Russischdidak- Mitwirkung an Entscheidungen über die Ziele
tik oder Didaktik des Deutschen als Zweit- und Inhalte fremdsprachlicher Curricula (ä Lehr-
oder Fremdsprache), deren Genese sich auf un- plan), die Entwicklung zielgruppenspezifischer
terschiedliche Weise und in unterschiedlichen Methoden (ä Methodik) sowie die Durchführung
Geschwindigkeiten vollzog. von Forschungsvorhaben empirischer (ä Empi-
Den Gegenstandsbereich der F. konstituieren rie), hermeneutischer und/oder ideologiekriti-
fünf zentrale Forschungsfelder (vgl. Christ/Hül- scher Natur (vgl. ebd.). Demzufolge beschäftigt
len 1995): (1) Einen ersten Schwerpunkt bilden sich die F. im Spannungsfeld von Theorie und
Vorgänge des Lehrens fremder Sprachen sowie Praxis u. a. mit Lehr- und Lernprozessen, mit In-
die ä Lehrerbildung. (2) Ein zweites Forschungs- halten, Fragen der Stoffauswahl und der Metho-
feld sind Lernende und Lernprozesse, (3) ein dik, sowie mit Zielen des FUs. Die Unterrichts-
drittes die (Einzel-)Sprachen und Kulturen, u. a. wirklichkeit als Objektbereich und die daraus
Fragen der Nichtübereinstimmung zur ä Her- entwickelten Gegenstandstheorien spielen idea-
kunftssprache sowie der kulturellen Dimension lerweise eine ebenso wichtige Rolle wie die Leit-
des FUs. (4) Ein vierter Schwerpunkt fremd- ziele, die für die Gestaltung eines optimalen FUs
sprachendidaktischer Forschung beruht auf der gelten sollen.
Tatsache, dass die Fremdsprache zugleich Me- Im Zusammenhang mit dem Erlernen von
dium und Inhalt des FUs ist; eine besondere Fremdsprachen spielte der Terminus ›Didaktik‹
Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang früh eine Rolle (ä Allgemeine Didaktik). Come-
dem Literaturunterricht sowie der Beschäfti- nius, dessen Didactica Magna bis heute als Ba-
gung mit kulturellen Inhalten zu (ä Literaturdi- sis für frühe Bücher zum Erlernen fremder
daktik, ä Kulturdidaktik). (5) Fünftens schließ- Sprachen (sog. Methodiken) gilt, forderte, die
lich bildet die Beschäftigung mit Eigenschaften Muttersprache sowie die lebenden Nachbar-
und Wirkung der institutionellen Zusammen- sprachen im Sprachunterricht (»Unterrricht für
91 Fremdsprachendidaktik

alle«) angemessen zu berücksichtigen. Im 18. Jh. der Mathematik, der Geographie und der Bio-
setzte sich diese Forderung langsam durch; zu- logie. Zwischen Ende der 1950er und Ende der
nächst behaupteten sich im Schulunterricht 60er Jahre entwickelte sich aus der fachlichen
noch die alten Sprachen. Sukzessive gewannen Unterrichtslehre die Fachdidaktik, u. a. auf der
jedoch die Nationalsprachen sowohl in der lite- Grundlage der Erkenntnis, dass Inhalte, Ziele
rarischen Produktion als auch in der Schulpra- und Methoden der sog. Fachwissenschaften im
xis an Bedeutung; in Deutschland stieg im Kontext der Lehrerbildung hochschul- und
Laufe des 18. Jh.s die Begeisterung für und da- schuldidaktisch reflektiert werden müssen (vgl.
mit Verbreitung des ä Französischen und zeit- Roth 1980, 24 f.). Parallel zu den Fachdidakti-
versetzt auch des ä Englischen. In theoreti- ken der einzelnen neueren Sprachen entwickelte
schen Studien sowie im schulischen Unterricht sich das Konzept der übergeordneten Wissen-
rückten damit die lebenden neben die alten schaft der F., ein erst ab den 1960er Jahren
Fremdsprachen. Dies bedeutete, dass Fremd- gängiger Terminus. Noch in den 1950er Jahren
sprachenkenntnisse auch zur Bewältigung le- war vorzugsweise von ›Didaktik der neueren
benspraktischer Aufgaben erlernt wurden und Sprachen‹ oder ›Neusprachendidaktik‹ die Rede.
das Argument der Nützlichkeit unter didakti- Darunter wurden in der Regel die Didaktik des
schen Gesichtspunkten einen wichtigen Stellen- Englischen und des Französischen zusammen-
wert erlangte. Carl Mager entwickelte in sei- gefasst, da andere neuere Sprachen im schuli-
nem Essay über die Philologie (1840) eine sog. schen Regelunterricht in diesem Zeitraum noch
Schulwissenschaft, deren Umrisse durchaus den so gut wie keine Rolle spielten. Die unmittel-
heutigen Vorstellungen von Fachdidaktik ent- bare Nachkriegszeit war geprägt von einem
sprechen, und benutzte dazu sogar den Namen starken Dogmatismus, in dem Sprachlehr- und
›Didaktik‹. Ein weiterer früher Beleg von ›Di- lernprozesse als erforscht bzw. unerforschbar
daktik‹ im Kontext des Unterrichts in den le- und Unterrichtsmethoden daher als fest etabliert
benden Fremdsprachen, d. h. Englisch und galten (vgl. Hüllen 2005, 145 f.).
Französisch, findet sich in einem Buchtitel aus Ab Mitte der 1960er Jahre setzte jedoch ein
dem Jahr 1895 (Münch/Glauning 1895). Die seither anhaltender Prozess der Verwissenschaft-
Anfänge der F. als Wissenschaftsdisziplin liegen lichung und Partikularisierung von Wissen über
in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s, auch wenn fremdsprachliche Lehr- und Lernprozesse ein,
die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem der durch die inhaltliche Neuorientierung im
Lehren und Lernen von Sprachen eine bedeu- Zuge der sog. Kommunikativen Wende in den
tend längere Tradition hat. In diese Gründungs- 1970er Jahren bedeutend an Zugkraft gewann
phase fallen die Einrichtung erster Professuren (ä Kommunikativer FU). Erste Schritte der In-
für neuere Philologien an Universitäten, die stitutionalisierung fremdsprachendidaktischer
Gründung erster Fachzeitschriften (ä Zeitschrif- Disziplinen waren geprägt durch allgemeine
ten) und ä Verbände sowie anderer wissen- Bildungsdebatten und Reformen sowie durch
schaftlicher Vereinigungen. die wichtige Rolle des schulischen FUs in der
Die Wiedereinführung der F. erfolgte nach BRD der Nachkriegszeit. So stand z. B. die Legi-
dem Zweiten Weltkrieg unter Rückgriff auf die timation und Etablierung der Englischdidaktik
Didactica Magna von Comenius durch Auto- in engem Zusammenhang mit der Einführung
ren wie G. Hausmann, W. Klafki und P. Hei- von »Englisch für alle« durch das Hamburger
mann (vgl. Hüllen 2004). Die Begriffe ›Fachdi- Abkommen von 1964, das den bereits gefestig-
daktik‹ und ›F.‹ setzten sich in der BRD, nicht ten Status des Englischen als wichtigste Schul-
aber in der DDR durch, in der eher der (nicht fremdsprache weiter ausbaute. Auf diesem
ganz deckungsgleiche) Begriff ›Fremdsprachen- Hintergrund kann die Entwicklung der Eng-
methodik‹ verwendet wurde, und wirkten in lischdidaktik bis zu Beginn der 1980er Jahre als
den 1960er Jahren bei der Gründung Wissen- modellbildend für andere fremdsprachendidak-
schaftlicher Pädagogischer Hochschulen nor- tische Disziplinen gelten, da es sich dabei in
mierend. In dieser Phase begann im Kontext dieser Phase um die am weitesten verbreitete
einer grundlegenden Reform der Lehrerbildung und in ihrer Genese wohl am stärksten ausdif-
in der BRD die Genese der Fachdidaktiken ferenzierte fremdsprachendidaktische Disziplin
verschiedener Schulfächer als Wissenschaftsdis- handelte.
ziplinen, also neben den Fachdidaktiken der In diesen Jahrzehnten begann mit der Ein-
neueren Sprachen z. B. auch der Fachdidaktiken richtung einer nennenswerten Zahl von Profes-
Fremdsprachendidaktik 92

suren für Fachdidaktiken der neuen Sprachen renzierung der Fachdidaktiken der einzelnen
an PHs und Universitäten die institutionelle Schulfächer hatte bereits in den 1970er Jahren
Verankerung fremdsprachendidaktischer Wis- begonnen; diese Tendenz setzte sich in den
senschaftsdisziplinen in der BRD. Die in den nächsten Jahrzehnten weiter fort. Für die F. be-
meisten Bundesländern vollzogene Integration deutete dies u. a., dass neben der Englisch- und
der PHs in die Universitäten bedeutete eine Französischdidaktik auch die Fachdidaktiken
Anpassung von gymnasialer und nicht-gymna- weiterer Fremdsprachen, z. B. des ä Spanischen,
sialer Lehrerausbildung und legte ein Überden- des ä Deutschen als Fremd- und Zweitsprache
ken des Stellenwertes der Fachdidaktiken in sowie der slawischen Sprachen (ä Russisch) zu-
Kooperation mit den Erziehungswissenschaften nehmend an Bedeutung gewannen. Die konzep-
und den Fachwissenschaften innerhalb dieser tuelle Erweiterung des Feldes »Lernen und Leh-
Studiengänge nahe. Für die fremdsprachendi- ren von Fremdsprachen« wurde sichtbar an der
daktischen Fachdisziplinen bedeutete dies, dass Entstehung neuer benachbarter Disziplinen wie
sie ihren zentralen Stellenwert in einer inhaltli- der Spracherwerbs- (ä Spracherwerb und Sprach-
chen und methodischen Neukonzeption einer erwerbstheorien) und der ä Sprachlehrfor-
wissenschaftlich fundierten universitären Aus- schung sowie am Ausbau und an der Profes-
bildung von Fremdsprachenlehrkräften für alle sionalisierung der F. innerhalb dieses Feldes.
Schularten definieren musste. Die fremdspra- Letztere unterscheidet sich von ersteren u. a.
chendidaktischen Disziplinen sahen ihre Haupt- wesentlich dadurch, dass sie ihren Gegen-
aufgaben dabei im Wesentlichen in den folgen- standsbereich sprachenspezifisch erfasst und die
den drei im Fachdiskurs kontrovers erörterten Fremdsprachenlehrerausbildung zu ihren Kern-
Bereichen (vgl. Doff 2008, 198 ff.): (1) Ent- aufgaben zählt.
wicklung bzw. Vervollkommnung einer Theorie Ein weiteres Signal für die Etablierung und
des FUs in enger Kooperation mit der Praxis, Konsolidierung ist die in dieser Phase zuneh-
(2) Relevanzfilterfunktion innerhalb der uni- mende Aktivität auf der Ebene der Verbands-
versitären Lehrerausbildung, d. h. Auswahl un- und Tagungsarbeit (vgl. Doff 2008, 202–207).
terrichtsrelevanter Studieninhalte aus der fach- Einerseits ist eine Ausdifferenzierung der ein-
wissenschaftlichen Lehre im Hinblick auf eine schlägigen Berufsverbände zu beobachten, die
Stärkung der Berufsbezogenheit sowie (3) Re- sich beispielsweise in der Schärfung des Profils
flexion der Fachwissenschaft auf sich selbst des »Fachverbands Moderne Fremdsprachen«
im Hinblick auf praktische Verwendungs-, d. h. (primäres Bezugsfeld: Schulen und Studien-
in der Regel Vermittlungszusammenhänge un- seminare aller Schulformen) und der Gründung
ter den Gesichtspunkten der gesellschaftlichen der »Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachen-
Relevanz und des individuellen Bildungsan- forschung« (primäres Bezugsfeld: Wissenschaft)
spruchs. niederschlägt. Verfolgt man die Entwicklung
Die Diskussion um Aufgaben und Zustän- der in den 1960er Jahren begonnenen Tagun-
digkeiten prägten schon zu diesem frühen Zeit- gen für Fremdsprachendidaktiker/innen, so wird
punkt das Wissenschaftsverständnis als im We- neben dem stetigen Anwachsen der Teilnehmer-
sentlichen anwendungsorientierte Disziplin mit zahl eine zunehmende Internationalisierung so-
einem spezifischen Theorie-Praxis-Bezug (vgl. wie eine deutliche Wissenschaftsorientierung
u. a. Müller 1979). Ebenfalls bereits Mitte der erkennbar; letztere wird durch das 1981 einge-
1960er Jahre beginnt die für die F. typische führte Format der jährlichen »Frühjahrskonfe-
ausgeprägte wissenschaftsmethodische Diskus- renzen zur Erforschung des FUs« unterstrichen.
sion um die Beziehung zu und die (konzep- Mit der 1989 gegründeten DGFF erhielten die
tuelle) Abhängigkeit von wechselnden sog. mit dem Lernen und Lehren von neuen (Fremd-)
ä Bezugswissenschaften. Hierzu gehören neben Sprachen befassten Wissenschaften schließlich
den Erziehungswissenschaften (u. a. Allgemeine eine offizielle Interessensvertretung, unter de-
Didaktik, Lehr-Lernforschung) in besonderer ren Trägerschaft fortan die Tagungen für
Weise die ä Sprach-, ä Kultur- und ä Literatur- Fremdsprachendidaktiker/innen im zweijähri-
wissenschaften. gen Turnus durchgeführt und das wissenschaft-
Seit den 1980er Jahren lässt sich eine Phase liche Organ, die Zeitschrift für Fremdsprachen-
der Etablierung und Konsolidierung der F. als forschung, herausgegeben wurden.
Wissenschaftsdisziplin sowohl institutionell als Der in den 1970er Jahren begonnene und bis
auch konzeptionell konstatieren. Die Ausdiffe- heute andauernde Prozess der Ausweitung und
93 Fremdverstehen

Ausdifferenzierung der F. spiegelt sich noch auf mund 1979, 132–148. – W. Münch/F. Glauning: Di-
einer dritten Ebene, nämlich der der Qualifika- daktik und Methodik des englischen und französi-
schen Unterrichts. Mü. 1895. – L. Roth: Erziehungs-
tionsarbeiten und einschlägigen Publikationen
wissenschaft, Allgemeine Didaktik, Fachdidaktik,
zur Erfassung des anwachsenden fremdspra- Fachwissenschaft. In: Ders. (Hg.): Handlexikon zur
chendidaktischen Wissens (vgl. dazu Doff 2008, Didaktik der Schulfächer. Mü. 1980, 19–36. – K. Schrö-
207 f.). Dazu gehören u. a. Fachbibliographien der/T. Finkenstaedt (Hg.): Reallexikon der englischen
und Handbücher, mittels derer eine Systemati- Fachdidaktik. Darmstadt 1977. – J.-P. Timm (Hg.):
sierung der Sprache und Terminologie der F. Englisch lernen und lehren. Didaktik des Englischun-
terrichts. Bln 1998. – W. Zydatiß: F. und Linguistik.
und des FUs ab Anfang der 1970er Jahre ein- Plädoyer für eine fremdsprachendidaktisch orientierte
setzte. In die späten 1960er und frühen 70er Linguistik. In: P. Doyé et al. (Hg.): Die Beziehung der
Jahre fallen die ersten ganz oder in Auszügen F. zu ihren Referenzwissenschaften. Tüb. 1988, 107–
publizierten Dissertationen in der F. nach 1945 123. SD
(häufig in der Englischdidaktik). Während der
1970er Jahre wuchs die Zahl der Promotionen
in den mit dem Lernen und Lehren fremder Fremdsprachenerwerb ä Spracherwerb und
Sprachen befassten Wissenschaften langsam Spracherwerbstheorien
aber stetig an, während sie sich in den 1980er
Jahren nahezu vervierfachte. Zur Systematisie-
rung des beständig anwachsenden fremdspra- Fremdsprachenzertifikate ä Zertifikate
chendidaktischen Wissens leisteten Bibliogra-
phien (u. a. »Bibliographie Moderner FU«, ge-
gründet 1969 von Reinhold Freudenstein oder Fremdverstehen unterscheidet sich vom ä Ver-
die seit 1972 unter Federführung von Konrad stehen im Allgemeinen dadurch, dass es sich
Schröder und Thomas Finkenstaedt erscheinen- auf eine fremde Kultur und Sprache bezieht
den Informationen zur Didaktik des Englisch- und somit den eigenen Kontext überschreitet.
unterrichts und der Anglistik) einen ebenso Im Gießener Graduiertenkolleg »Didaktik des
wichtigen Beitrag wie einschlägige Lexika und F.s« (1991 bis 2001) wurde aus sehr unter-
Nachschlagewerke. Einen bis dahin beispiel- schiedlichen Perspektiven untersucht, was
losen Versuch zur Systematisierung des Wis- fremdsprachliches und fremdkulturelles Verste-
sensbestands und der Terminologie dieser jun- hen kennzeichnet und wie es gefördert werden
gen Wissenschaftsdisziplin stellt das 1977 von kann. Das Konzept gewann in den 1990er Jah-
Schröder und Finkenstaedt herausgegebene ren an Bedeutung, weil es sich gegen Rassismus
Reallexikon dar, das einen großen Fortschritt und Fremdenfeindlichkeit wendet und die An-
gegenüber früheren Versuchen markierte, und erkennung des Anderen in den Mittelpunkt
auf das erst zwölf Jahre später mit dem Hand- stellt, weil es die Bedeutung des F.s in einer
buch FU (Bausch et al. 1989) ein signifikant globalisierten Welt (ä Globalisierung) hervor-
weiter entwickeltes Werk in dieser Kategorie hebt und weil es aufzeigt, dass fremdsprachli-
folgte. An den erweiterten und überarbeiteten ches Lernen auch ä interkulturelles Lernen ist.
Auflagen dieses Handbuchs (zuletzt völlig Wenn es bei der Komplexität des Begriffs ›F.‹
überarbeitete und erweiterte Auflage 2016) ein einheitliches Moment gibt, so besteht es
lassen sich bis heute Entwicklung und Status darin, dass F. sich im Wechselspiel zwischen
quo der F. als Wissenschaftsdisziplin eindrucks- dem Einnehmen einer Innen- und einer Außen-
voll nachvollziehen. perspektive vollzieht (ä Perspektive und Per-
Lit.: K.-R. Bausch et al. (Hg.): Handbuch FU. Tüb./ spektivenwechsel). Das Einnehmen von Innen-
Basel 1989 [Burwitz-Melzer et al. 62016. – H. Christ/ perspektiven ist für das F. konstitutiv, weil es
W. Hüllen: F. In: Bausch et al., 31995 [1989, 1–7. –
ermöglicht, die Dinge von innen, d. h. mit den
S. Doff: Englischdidaktik in der BRD 1949-1989. Mü
2008. – W. Hüllen: Linguistik und Didaktik revisited. Augen der Fremden zu sehen; die Innenper-
In: J. Appel (Hg.): Aufschwung im Rückblick. Bln et spektive verhindert, dass fremde Äußerungen
al. 2004, 87–98. – W. Hüllen: Kleine Geschichte des und Handlungen nach eigenen Deutungsmus-
Fremdsprachenlernens. Bln 2005. – C. W. Mager: Die tern interpretiert und dadurch evtl. missver-
moderne Philologie und die deutschen Schulen. In: standen werden. Zum F. gehört jedoch auch
Ders.: Gesammelte Werke, Bd. 2 (hg. von H. Kronen).
Baltmansweiler 1985 [1840, 84–168. – R.-M. Mül- das Einnehmen einer Außenperspektive, d. h.,
ler: Das Wissenschaftsverständnis der F. In: H. Heuer man muss die Fremden auch mit den eigenen
et al. (Hg.): Dortmunder Diskussionen zur F. Dort- Augen sehen. Dies ist schon deshalb notwendig,
Fremdverstehen 94

weil Verstehen ein dialogischer Prozess ist (vgl. ferenziert und reflektiert mit dem eigenen Vor-
Bredella et al. 2000, XIX–XXVI). Zudem kön- verständnis umzugehen.
nen die Fremden sich über sich selbst täuschen, Lit.: L. Bredella et al. (Hg.): Wie ist F. lehr- und lern-
so dass deren Selbstverständnis kritisch beur- bar? Tüb. 2000. – L. Bredella: Narratives und inter-
teilt werden sollte. Und nicht zuletzt geht es kulturelles Verstehen. Zur Entwicklung von Empa-
beim F. auch um eine kritische Betrachtung des thie-, Urteils- und Kooperationsfähigkeit. Tüb. 2012.
– L. Bredella/H. Christ (Hg.): F. und interkulturelle
eigenen Selbstverständnisses: Verstehen ge- Kompetenz. Tüb. 2007. – G. Figal: Der Sinn des Ver-
schieht nie voraussetzungslos; der Blick muss stehens. Stgt 1996. – A. Nünning: ›Intermisunderstan-
daher auch auf die Voraus- und Zielsetzungen ding‹. Prolegomena zu einer literaturdidaktischen
des Verstehens gelenkt werden. Es handelt sich Theorie des F.s. Erzählerische Vermittlung, Perspekti-
beim Wechsel von Innen- und Außenperspek- venwechsel und Perspektivenübernahme. In: Bredella
et al. 2000, 84–132. LB
tive also nicht um ein Nacheinander, sondern
beide Perspektiven greifen ineinander und kor-
rigieren sich gegenseitig. Diese Einsicht kann Friedenserziehung ä Global Education
bei der Rezeption literarischer Texte besonders
anschaulich erfahren werden (vgl. Nünning
2000 sowie die Beiträge in Bredella et al. 2000 Frontalunterricht ä Sozialformen
und Bredella/Christ 2007).
Zum F. gehört auch, seine Grenzen und Ge-
fahren zu erkennen. Diese können darin beste- Früher Fremdsprachenunterricht. Englischkennt-
hen: (1) dass wir Missverständnisse und Kon- nisse gehören weltweit zu den Kernkompeten-
flikte bei interkulturellen Begegnungen auf zen für eine persönliche Entwicklung ebenso
kulturelle Unterschiede zurückführen, obwohl wie für die Entwicklung eines Staates im 21. Jh.
sie ganz andere Ursachen haben; (2) dass das F. Für Fremdsprachenexperten und -lernende steht
selbst die kulturellen Unterschiede produziert, das sprachliche, interkulturelle und akademi-
die es überwinden will; (3) dass das F. den sche Lernen im Vordergrund. Die politischen
Fremden auf einen Vertreter seiner Kultur redu- Umwälzungen und die ä Globalisierung führten
ziert und damit seine Individualität ignoriert in den 1990er Jahren zum Ziel der ä Mehrspra-
(deshalb ist es notwendig, den Fremden im chigkeit in Europa und damit zur Vorverlegung
Wechsel von kollektiven und individuellen des Englischunterrichts in die Primarstufe und
Identitäten zu sehen) und (4) dass das F. das zur Einführung des bilingualen Sachfachunter-
Fremde essentialisiert. Das Fremde erscheint richts (ä Bilingualer Unterricht). Auch in Osteu-
dann als das prinzipiell Unverständliche. Dabei ropa, Asien und Lateinamerika wurde der Eng-
wird jedoch verkannt, dass das Fremde und das lischunterricht in der Primarstufe eingeführt
Eigene relationale Begriffe sind: Sie sind für das und bald von Klasse 3 auf 1 vorverlegt, um den
Verstehen unverzichtbar, »nichts ist von Natur Weg in die globalisierte Welt zu finden. Eng-
aus fremd oder gehört ein für allemal zum Eige- lischkompetenzen gelten heute weltweit als Vo-
nen« (Figal 1996, 102). F. geht zunächst davon raussetzung für Wohlstand, ä Bildung, Berufs-
aus, dass der Fremde vom Eigenen unterschie- chancen, Lebensqualität, internationale Mobi-
den ist und dass es deshalb notwendig ist, eine lität und globale Wettbewerbsfähigkeit.
Innenperspektive einzunehmen. Damit wird Die Hürden sind auf unterschiedlichen Ni-
eine Distanzierung vom Eigenen erreicht. Erst veaustufen trotz aller nationaler Unterschiede
vor dem Hintergrund dieser Differenzierung ähnlich, und die Vorverlegung in die Grund-
wird es möglich, im Fremden das Eigene und schule kann so lange keine besseren Ergebnisse
das Eigene im Fremden zu erkennen. F. respek- erbringen, wie es an fremdsprachlich und fremd-
tiert damit die Grenze zwischen Fremdem und sprachendidaktisch ausgebildeten Lehrkräften,
Eigenem und ermöglicht das Überschreiten lerngruppenadäquaten Unterrichtstechniken und
dieser Grenzen, so dass es zur Verständigung geeignetem Unterrichtsmaterial mangelt (vgl.
führen kann. Aus dem Wechselspiel der beiden Spolsky/Moon 2012, xvi). Die Lösungsstrate-
Perspektiven ergibt sich die Bildungsrelevanz gien, Ausbildungsmodelle und Schulversuche
des F.s, die darin besteht, dass wir lernen, Ge- variieren entsprechend der historischen Vorer-
meinsamkeiten mit den Fremden zu erkennen, fahrungen, dem Zugang zur englischen Spra-
sie in ihrer Verschiedenheit anzuerkennen, un- che, den Ausbildungsmöglichkeiten, Lernervor-
seren Erfahrungshorizont zu erweitern und dif- aussetzungen und bildungspolitischen Rahmen-
95 Früher Fremdsprachenunterricht

bedingungen der verschiedenen Länder und im Auftrag der Europäischen Kommission mit
Kontinente stark, und die Debatten entzünden Ergebnissen aus 30 Ländern vor. In ihrer Re-
sich regelmäßig aufs Neue. Die bildungspoli- cherche stellten die Autor/innen sowohl die pä-
tischen Rahmenbedingungen für einen erfolg- dagogischen Prinzipien im europäischen Früh-
reichen f.F. sind von der internationalen For- beginn wie auch die wichtigsten 14 Einflussfak-
schung gleichwohl seit den 1990er Jahren iden- toren zusammen. Dazu gehört u. a., dass f.F.
tifiziert: language exposure und language use, dem späteren Beginn des FUs vorzuziehen ist,
eine grundständige ä Lehrerbildung (vgl. Wil- dass er eine lernunterstützende Umgebung und
den/Porsch 2017), genügend qualifizierte Lehr- Anschluss an das Gelernte von Jahr zu Jahr er-
kräfte und ein alle Schularten und -stufen um- fordert; dass er beim ä Übergang auf weiterfüh-
fassendes Sprachenkonzept. rende Schulen entsprechend honoriert wird;
In der Bundesrepublik Deutschland wurde dass Kinder über das Produzieren vorgefertigter
der f.F. flächendeckend zum Schuljahr 2003/04 Sprachäußerungen hinaus gefordert und an das
eingeführt. Diese bildungspolitische Maßnahme Schreiben und Lesen herangeführt werden
hat Vorläufer und stellt somit keine radikale müssen, anstatt den Unterricht nur auf Spre-
Innovation dar. Historisch ist die Entwicklung chen und Hören zu beschränken. Ein Training
des Frühbeginns seit Comenius detailreich be- von ä Lernstrategien muss angeboten werden,
legt (vgl. Kubanek-German 2001, 41 ff.). Zu und es sei von großer Wichtigkeit, Wege zu fin-
Beginn des 20. Jh.s waren es die Freien Wal- den, negativen Faktoren eines niedrigen sozio-
dorfschulen, deren Frühbeginn mit ä Englisch/ ökonomischen Status entgegen zu treten. Im
ä Französisch vom 1. bzw. 2. Schuljahr an seit Jahr 2017 stellt sich die Situation in den Bun-
1920 kontinuierlich zum Programm gehört. In desländern folgendermaßen dar: 13 Bundes-
den USA erlebten erste Versuche mit dem f.F. in länder unterrichten flächendeckend das Lernen
den 1960er Jahren eine intensive Wiederbele- einer Fremdsprache in der Grundschule ab
bung, als der sog. ›Sputnikschock‹ vielfältige Klasse 3, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz
Reformen im Bildungswesen auslöste. Etwa und Nordrhein-Westfalen erteilen f.F. ab
zeitgleich kam es in England zu einem groß an- Klasse  1. Zehn Bundesländer bieten vorwie-
gelegten Versuch zu French in the Primary gend Englisch an. Aufgrund seiner geographi-
School. Für die Bundesrepublik Deutschland schen Nähe zu Frankreich unterrichtet das
gaben zwei UNESCO-Konferenzen in den Saarland in der Grundschule nur Französisch,
1960er Jahren wesentliche Impulse. Durch sol- das wahlweise auch in einer Reihe von Bundes-
che Anstöße entstanden in den 1970er Jahren ländern neben Englisch angeboten wird. An
an deutschen Hochschulen einige Forschungs- Unterrichtsstunden erreichen 12 Bundesländer
gruppen, welche die Anfänge des frühen Fremd- eine mittlere Unterrichtszeit von 120 Zeitstun-
sprachenlernens wissenschaftlich begleiteten, den zusammen; 1 Bundesland liegt darunter,
insbesondere in Niedersachsen und Hessen. In Rheinland-Pfalz höher und Baden-Württem-
dieser ersten Hochphase des Frühbeginns war berg und Nordrhein-Westfalen doppelt so hoch.
jedoch nicht die Besonderheit der notwendigen In allen 16 Bundesländern liegen verbindliche
Einbettung in die Grundschulpädagogik aus- ä Lehrpläne bzw. Rahmenlehrpläne, Kerncurri-
schlaggebend. Es sollten eher die Möglichkeiten cula oder Bildungspläne für den f.F. an Grund-
geprüft werden, durch die Nutzung der Fähig- schulen vor. Gegen eine Benotung der Leistun-
keiten des Kindesalters fremdsprachliche Leis- gen in der Fremdsprache haben sich von den 16
tungen zu verbessern und zu steigern. Ende der Bundesländern nur das Saarland (im Fach
1990erJahre hingegen sah man die Intensivie- Französisch) und Thüringen entschieden. Sie
rung und Diversifizierung des Fremdsprachen- sehen stattdessen einen verbalen Kommentar
erwerbs als notwendigen Weg zur Erhaltung der im Zeugnis vor. Zusammenfassend lässt sich
kulturellen Vielfalt in Europa; als Konsequenz für alle Bundesländer der Konsens feststellen,
wurde eine Erziehung zur Mehrsprachigkeit ge- dass das Lernen einer fremden Sprache mit de-
fordert. So gehört seit den 1990er Jahren die ren kultureller Einbindung im Grundschulalter
gesamteuropäische Ausbreitung des f.F.s zu den begonnen werden soll, mit angemessenen
bemerkenswerten Veränderungen im Bildungs- sprachlichen und interkulturellen ä Lernzielen,
system aller betroffenen Länder. ergebnisorientiert sowie altersgerecht und
Für das frühe 21. Jh. legten Edelenbos et al. grundschulspezifisch. Seit Beginn der 1990er
(2006) einen repräsentativen Forschungsbericht Jahre hat sich der f.F. in der EU auf vielfältige
Früher Fremdsprachenunterricht 96

Weise etabliert. Dabei variiert das Alter der strategien, sozio-kulturellen Hintergründen und
Grundschüler/innen zu Beginn des f.F.s, die dem Sozialverhalten der Kinder, aber auch auf
Grundlagen und Methoden des Unterrichts die Einflüsse gesundheitlicher Barrieren, ver-
unterscheiden sich und auch die Lehreraus- schiedener Erstsprachen sowie der Migrations-
und -fortbildung findet von Staat zu Staat in und Fluchthintergründe. Angesichts dieser stän-
unterschiedlichen Formen statt. So ist die Frage dig wachsenden Herausforderungen werden
berechtigt, was diese diversifizierte Situation seit 17 Jahren Studiengänge (weiter-)entwickelt,
inzwischen an gesicherten Erkenntnissen zum die die vielfältigen Übergangsformen der Wei-
Frühbeginn erbracht habe. Helmut Sauer, einer terbildung ablösen und der Spezifik des f.F.s in
der erfahrensten Wegbegleiter der Entwicklung der Grundschule gerecht werden. Die professi-
seit den 1970er Jahren, fasst das Ergebnis em- onell vielseitigen und kreativ unterrichtenden
pirischer Forschung der frühen Hochphase der Lehrkräfte sorgen unter Berücksichtigung des
1970er Jahre zusammen: »Die Schulversuche ä scaffolding nun im f. F. für erste beindru-
führten eindeutig zu dem Ergebnis, dass es für ckende Ergebnisse (vgl. BIG 2007, 2015).
das schulische Fremdsprachenlernen keine all- Die Sprache zu erlernen, verlangt angesichts
gemeine Überlegenheit des frühen Kindesalters des knappen Zeitbudgets an Unterrichtsstun-
gibt. Der auch heute noch immer wiederholte den methodisch grundlegend den Einsatz der
Satz ›Je früher desto besser‹ kann so allgemein Fremdsprache, in Lehrplänen meistens das
nur für das natürliche Fremdsprachenlernen ›Prinzip der ä Einsprachigkeit‹ oder auch ›die
mit hohen Kontaktzeiten zur Zielsprache gel- authentische Verwendung der Zielsprache‹
ten« (Sauer 2000a, 3). Sauer belegt diese Aus- (ä Authentizität) genannt. Damit sind hohe An-
sage zusätzlich durch das Ergebnis einer 10-jäh- sprüche an die Lehrkräfte gestellt, besonders,
rigen schwedischen Untersuchung zum Thema, wenn es um das Einführen neuer Aufgaben,
in der sich zeigte, dass die Summe der Lernzei- Aktivitäten oder Lernarrangements geht. »Ihr
ten für den Erfolg von größerer Bedeutung ist Input ist lexikalisch und phonologisch sicher
als die Nutzung einer angenommenen optima- und strukturell variantenreich. [… Entschei-
len frühen Altersphase (Sauer 2000b, 72). Im dend ist, dass die Sprache in eindeutig er-
Weiteren stellt Sauer fest, dass f.F. sehr wohl schließbare Kontexte eingebettet ist« (BP Ba-
eine Überlegenheit der Frühbeginnenden bis in Wü, 7). Da die Anstrengungsbereitschaft leis-
das 7. Schuljahr hinein bringt, wenn drei Lern- tungsschwächerer SuS, fremdsprachlichem
voraussetzungen erfüllt sind: Es muss grund- Input zu folgen, schnell nachlässt, wenn Lehr-
schulgemäßes Lernen gesichert sein; es müssen kräfte auf Deutsch ausweichen oder ein lern-
sprachlich und methodisch qualifizierte Lehr- stärkeres Kind übersetzen lassen, werden neue
kräfte unterrichten; es muss eine bruchlose Aufgaben, Unterrichtstechniken oder ä Lern-
Kontinuität des Lernens in den Sekundarschu- spiele mit wenigen Worten kontextuell demons-
len erfolgen. triert und in anderen Fächern weiter eingeübt,
Die ä Heterogenität der Klassenzusammen- so dass der f.F. einsprachig verlaufen kann.
setzung ist besonders in der Grundschule ein Gespräche über Mitteilenswertes, kulturell Be-
konstituierendes Merkmal. Der Unterricht pro- deutsames oder z. B. vorgelesene Bilderbücher
fitiert zwar häufig vom lebhaften Enthusiasmus können im Anschluss an die Stunde in einen
und der ungebrochenen ä Motivation der Kin- anderen Fachunterricht integriert werden. Ein
der sowie von geringeren Hemmungen gegen- Ritual legt hierbei sowohl den Beginn als auch
über einer neuen Sprache und möglichen ä Feh- den Abschluss der fremdsprachlichen Phase
lern. Besonders Letzteres sowie die Bereitschaft fest. Damit ist aber noch nicht die Kernsitua-
zu hoher Identifikation mit der Lehrkraft schei- tion des FUs in den Blick genommen: die
nen neben der Bereitschaft zum ä interkulturel- ä Handlungsorientierung und Semantisierung.
len Lernen den Erwerb einer guten ä Ausspra- »Ein zentraler Aspekt ist die Handlungsorien-
che zu fördern. Schon darin liegt die Anforde- tierung: sprachliches Handeln erfolgt in au-
rung an einen hohen Standard der sprachlichen thentischen, interaktiven Kommunikationssitu-
Qualifikation der Lehrkraft begründet. Sie muss ationen [… mit altersgerechten, motivierenden
jedoch auch reagieren können auf die Normali- und kontextbezogenen Aufgaben, deren Bear-
tät der Unterschiede (vgl. Schmid-Schönbein beitung die aktive Verwendung von Sprache
2008, 24 ff.) in individuellen Persönlichkeits- erfordert. ä Ganzheitliches Lernen ›mit allen
strukturen, Lernstilen (ä Lernertypen) und Lern- Sinnen‹ ermöglicht außerdem eine Verknüp-
97 Früher Fremdsprachenunterricht

fung von sprachlichem und außersprachlichem zum Schuljahr 2017/18. Zu bemerken sind
Handeln und bietet neben kognitiven auch af- tendenziell einheitlichere curriculare Vorgaben,
fektive, haptische und kreative Zugänge zur pädagogische Rahmenkonzepte für alle Fächer
Sprache. Hierfür eignen sich besonders spiele- sowie eine höhere Verbindlichkeit der Vorga-
rische oder musisch-künstlerische Situationen ben (http://www.bildungsserver.de/Rahmenricht
sowie der Einsatz vielfältiger Medien« (BP Ba- linien-Lehrplaene-fuer-die-Grundschule-1660.
Wü, 8). Diese können beispielsweise durch Lie- html). Einen guten Überblick der Intentionen
der, Reime, Rollenreimspiele und Sprechgesang, gibt die KMK (2005), die die Auffassung der
Musik-, Tanz- und Bewegungsspiele (ä Musik, Länder zu allgemein-pädagogischen und sprach-
ä Dramapädagogik) und andere Formen des lich-fachlichen Zielen wie folgt wiedergibt:
ä total physical response, Brett-, Karten- und Freude und Motivation für das Lernen fremder
Sprachspiele, Bilderbücher und Geschichten, Sprachen sollen als Basis einer Erziehung zur
Handpuppen als Dialogpartner, Rollenspiele Mehrsprachigkeit geweckt und damit eine
sowie Filme und neue ä Medien, z. B. iPads für aufgeschlossene Haltung gegenüber anderen
das digital storytelling, realisiert werden. »Die Sprach- und Kulturgemeinschaften gefördert
Kinder werden emotional angesprochen und werden; Voraussetzungen für das weitere fach-
erleben Sprache in einem größeren Sinnzusam- liche Lernen sollen gestärkt und eine grund-
menhang. Die Kontextualisierung des Gehörten legende fremdsprachliche ä Kompetenz ange-
erfolgt durch Stimmmodulation, Mimik, Ges- strebt werden, so dass am Ende der Klasse 4 ein
tik, Blickkontakt, Körpersprache oder Hand- verlässliches Abschlussprofil erreicht wird, auf
lungen sowie durch die Betonung von Schlüs- dem der Unterricht in der Sekundarstufe I auf-
selwörtern, bewusst gewählte Sprechpausen bauen kann (KMK 2005, 2 f.). Weitere überge-
und Wiederholungen« (ebd.). ordnete Dokumente sind der ä Gemeinsame
Da Themen mit konkretem Lebensweltbezug europäische Referenzrahmen für Sprache (GeR)
auch in den Sachfächern der Grundschule un- und das Europäische Sprachenportfolio (ESP;
terrichtet werden, liegt es nahe, die Fremdspra- ä Portfolio). Der GeR (2001) beschreibt mit
che nicht nur im FU, sondern transcurricular in can-do Deskriptoren sechs Niveaustufen der
Form von CLIL/EMILE auch in Sachfächern four skills (A1–C2) und ist eine der einfluss-
einzusetzen. Hierdurch werden die Kontaktzeit reichsten Publikationen des Europarats; das
mit der Fremdsprache und das erreichbare Ni- Europäische Sprachenportfolio (2001) entwi-
veau an Fremdsprachenkenntnissen weiterhin ckelte besonders das Prinzip der Lernerautono-
erhöht. Auch kann die Fremdsprache in Ar- mie weiter, wurde aber weniger genutzt. Der
beitsformen wie Freiarbeit und Wochenplan- GeR fiel in Deutschland nach den Befunden
arbeit sowie in Arbeitsgemeinschaften und an von PISA (2001), IGLU (2003) und DESI (2008)
außerschulischen Lernorten integriert werden auf fruchtbaren Boden. Die Schulministerien
(BP Ba-Wü, 8). Normalität ist dies bereits an der Bundesländer nutzten den GeR als Grund-
den 287 bilingualen Grundschulen (Statistik lage für Lehrpläne und die Überprüfung von
von 2014). Neben deutsch-englischen Grund- Ergebnissen des Unterrichts. Das ESP diente als
schulen (44 %) gibt es inzwischen auch deut- Vorlage für die Entwicklung länderspezifischer
sche und französische, dänische, sorbische, ita- Sprachenportfolios für die Grundschule, wie sie
lienische, griechische, spanische, japanische, inzwischen in allen Bundesländern in unter-
russische, türkische und niederländische. »Un- schiedlichen Formaten vorliegen. Später wur-
ter 1 % rangieren Plattdeutsch, Chinesisch, den für den GeR weitere Deskriptoren in ande-
Polnisch, Portugiesisch, Saterfriesisch und ren Bereichen (ä Sprachmittlung, Kommunika-
Schwedisch. 2 % der Grundschulen bieten zwei tion im Internet, Literatur) erarbeitet, auch die
Fremdsprachen als Unterrichtssprachen an« grobe 6er-Skala wurde um feinere Deskriptoren
(www.fmks-online.de). In allen Bundesländern und Zwischenstufen erweitert. Die 2015 von
liegen Lehrpläne, Rahmenpläne oder Bildungs- der Mediengruppe Pearson herausgebrachte
pläne für Englisch in der Grundschule vor. Fast »Global Scale of English Learning Objectives«
alle erschienen seit dem Jahr 2004; Hessen er- (English.com/gse) baute hierauf auf und diffe-
gänzte seinen Rahmenplan von 1995 im Jahr renziert nach vier Alters- bzw. Adressatengrup-
2011 um ein Kerncurriculum; Baden-Württem- pen und 90 Kompetenzstufen. Die »Global Scale
berg setzt mit seinem Bildungsplan 2016/17 of English Learning Objectives for Young Lear-
ebenfalls hohe Maßstäbe, Brandenburg folgt ners« fokussiert die Lernziele für 6 bis 14-Jäh-
Früher Fremdsprachenunterricht 98

rige mit 420 weltweit getesteten Deskriptoren; genüber dem Fremdsprachenlernen, dem inter-
eine Datenbank stellt pro Stufe Unterrichts- kulturellen Lernen und der Akzeptanz von
inhalte und Evaluationswerkzeuge bereit – für Vielfalt sind Ergebnisse des f.F.s, die in der
A1 bis Stufe 29 (https://www.english.com/blog/ heutigen Gesellschaft nicht mehr verzichtbar
download-gse-young-learners). Die Erprobungs- erscheinen. Auch die fremdsprachlichen Basis-
phase begann im Frühjahr 2017. Den Lehrplä- kompetenzen in den Kompetenzbereichen ä Hör-
nen der Bundesländer ist gemeinsam, dass sie verstehen, ä Leseverstehen, ä Schreiben und
am Übergang zur Sekundarstufe verlässliche ä Sprechen von SuS am Ende von Klasse 4 rei-
Kenntnisse und Kompetenzen zum übergeord- chen inzwischen von ›sehr akzeptabel‹ bis ›sehr
neten Ziel der Kommunikation in der Fremd- erfreulich‹ und im Bereich Sprechen bisweilen
sprache erwarten. Das bedeutet entweder eine auch über das A1-Niveau hinaus (vgl. Engel et
zeitraubende Unterrichtsvorbereitung, um si- al. 2009; Porsch et al. 2013; BIG 2015). Bundes-
cherzustellen, dass unter Berücksichtigung von weite (Mindest-)Abschlussstandards (ä Stan-
spiral teaching und Sequenzialität ä Fertigkeiten dards) für das Ende der Klasse 4 sowie schlüs-
gezielt aufgebaut werden, oder aber den Ein- sige, Schulart und Schulstufen übergreifende
satz von ä Lehrwerken, die mit eigenen Ideen Gesamtkonzepte könnten für eine Konsolidie-
und Materialien ergänzt werden. Dafür ist eine rung dieser Ergebnisse sorgen und wären ein
Reihe verschiedener Lehrwerke erschienen, für Schritt hin zu mehr Bildungsgerechtigkeit im
den Beginn in Jahrgangsstufe 3 und für den Fach Englisch (Global Citizenship Education)
Beginn in der ersten Jahrgangsstufe. Auf der – und damit eine Brücke zu weitergehenden
Internetseite des jeweils zuständigen Ministeri- Bildungsgelegenheiten.
ums werden die für den FU in Grundschulen Lit.: BIG Kreis der Stiftung Lernen: FU in der Grund-
zugelassenen Lehrwerke aufgeführt. schule. Standards für die Lehrerbildung. Mü. 2007. –
Mit dem durch die Diskussion um die PISA- BIG Kreis der Stiftung Lernen: Der Lernstand im
Englischunterricht am Ende von Klasse 4. Ergebnisse
Studie und den GeR erfolgten bildungspoliti- der BIG-Studie. Mü. 2015. – Bildungsplan Baden-
schen und pädagogischen Mentalitätswandel Württemberg Grundschule Englisch: www.bildungs
hat sich die Gesamtsituation verändert. In den plaene-bw.de – J. Bland: Teaching English to Young
neuen Lehrplänen und Richtlinien für den f.F. Learners. Critical Issues in Language Teaching with
wurden verbindliche Lernziele gesetzt. Leistung 3–12 Year Olds. Ldn 2016. – H. Böttger/N. Schlüter
(Hg.): Fortschritte im Frühen Fremdsprachenlernen.
und Lernzielorientierung wurden positive Be-
Braunschweig 2016. – Bund-Länder-Kommission
griffe. Zum Teil wurden auch die Lehrpläne (Hg.): Europäisches Portfolio der Sprachen. Grund-
und ansatzweise die Lehrwerke für die 5. Klas- portfolio. Bln et al. 2007. – J. Brewster/G. Ellis: The
sen an die neue Situation angepasst. Wegen des Primary English Teacher’s Guide. Harlow 2002. –
durchgängigen Bildungskontinuums, als das der P. Burmeister/U. Massler: CLIL und Immersion. Fremd-
gesamte Schulbesuch und Ausbildungsgang sprachlicher Sachfachunterricht in der Grundschule.
Braunschweig 2010. – L. Cameron: Teaching Langua-
heute gesehen werden, befinden sich abgebende ges to Young Learners. Cambridge 2001. – H. Dau-
und aufnehmende Schule in einer gemeinsamen send: Fremdsprachen transcurricular lehren und ler-
Verantwortung für jedes einzelne Kind, der sich nen. Ein methodischer Ansatz für die Grundschule.
viele Schulen durch neue Kooperationen ge- Tüb. 2014. – B. Diehr/S. Frisch: Mark Their Words.
stellt haben. Die globale Tendenz der Jahre Sprechleistungen im Englischunterricht der Grund-
schule fördern und beurteilen. Braunschweig 2008. –
2000–2015, die Stundentafeln im f.F. durch B. Diehr/J. Rymarczyk: Current Developments in
Vorverlegung zu erhöhen, wird in der BRD ak- Teaching English as a Foreign Language in German
tuell durch neue ä Vergleichsarbeiten und Ran- Primary Schools. In: Anglistik 23/1 (2012), 13–23. –
kings (IQB und Vera 8) wieder kontrovers P. Edelenbos/R. Johnstone/A. Kubanek: Die wichtigs-
diskutiert und mag auch in Konkurrenz zu an- ten pädagogischen Grundsätze für die fremdsprach-
liche Früherziehung. Sprachen für die Kinder Europas.
deren Herausforderungen wie dem ä DaZ-Un-
Forschungsveröffentlichungen, gute Praxis und zent-
terricht für Flüchtlingskinder, der Einführung rale Prinzipien. Endbericht der Studie EAC 89/04
der ä Inklusion oder des Lernbereichs Medien- (Lot  1) (2006). – G. Engel/B. Groot-Wilken/E. Thür-
bildung (ä Medienkompetenz) stehen. Gleich- mann (Hg.): Englisch in der Primarstufe. Chancen und
zeitig ist der f.F. gerade für Kinder mit Migra- Herausforderungen. Bln 2009. – KMK (Sekretariat
tionshintergrund oder Inklusionskinder eine der ständigen Konferenz der Kultusminister der Län-
der in der Bundesrepublik Deutschland) (Hg.): Bericht
Möglichkeit, sich zumindest in diesem Fach auf Fremdsprachen in der Grundschule. Sachstand und
Augenhöhe mit ihren Mitschüler/innen aufzu- Konzeptionen 2004. Beschluss der Kultusminister-
stellen, und der positive mind-set der SuS ge- konferenz vom 10.2.2005. – M. Kötter/J. Rymarczyk
99 Ganzheitliches Lernen

(Hg.): Englischunterricht auf der Primarstufe. FfM


2015. – A. Kubanek-German: Kindgemäßer FU. Teil 1
Ideengeschichte. Mü. 2001. – M. Legutke/A. Müller-
Hartmann/M. Schocker-v.-Ditfurth: Teaching English
G
in the Primary School. Stgt 2009. – R. Porsch/
M.  Ritter/E. Wilden: Je früher desto besser? Frühbe- Ganzheitliches Lernen meint in traditioneller Be-
ginnender Englischunterricht ab Klasse 1 oder 3 und deutung das konkrete Erleben mit allen Sinnen,
seine Auswirkungen auf das Hör- und Leseverstehen. welches alle Facetten menschlichen Daseins
In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 24/2 ansprechen soll. Johann Heinrich Pestalozzi ver-
(2013), 171–201. – H. Sauer: Frühes Fremdsprachen-
lernen in Grundschulen. Ein Irrweg? In: Neusprach- steht unter g.L. das Lernen mit »Kopf, Herz
liche Mitteilungen 53/1 (2000a), 2–7. – H. Sauer: und Hand«, also kognitives sowie emotional-
Fremdsprachenlernen in Grundschulen. Der Weg ins affektives Lernen, verbunden mit körperlichem
21. Jh. Eine annotierte Bibliographie. Lpz. et al. Erfahren. Ganzheitlichkeit legt ein Menschen-
2000 b. – G. Schmid-Schönbein: Didaktik und Metho- bild zugrunde, das aus der humanistischen Päd-
dik für den Englischunterricht. Bln 2008. – B. Spol-
sky/Y. Moon (Hg.): Primary School English. Language
agogik (u. a. Pestalozzi, Freinet und Goodman)
Education in Asia. N. Y. 2012. – E. Wilden/R. Porsch und Psychologie (u. a. Rogers) hervorgeht.
(Hg.): The Professional Development of Primary EFL Konkret umgesetzt werden kann g.L. im FU
Teachers. National and International Research. auf verschiedenen Ebenen: Neben einer aktivie-
Münster 2017. GSch/IM renden Wirkung (ä Aktivierung) ganzheitlich-
bewegter Methoden (ä Bewegter Unterricht), die
insbesondere im ä frühen FU geeignet sind (bei-
spielsweise ä Total Physical Response sowie
motivations- und konzentrationsfördernde Be-
wegungsspiele oder gesungene und gestisch be-
gleitete nursery rhymes) können auch die Pha-
sierung und Raumgestaltung als Bestandteile
einer ganzheitlichen Gestaltung des FUs gesehen
werden. Der bewusste Wechsel von Konzentra-
tions- und regelmäßigen Entspannungsphasen
(z. B. auch unter Einsatz von ä Musik, wie in der
ä Suggestopädie) sowie eine sinnlich anregende
(thematisch passende) Gestaltung des Klassen-
zimmers wirken sich generell lernförderlich aus.
Besonders bedeutend wird das Prinzip der
Ganzheitlichkeit aber im FU, wenn das ›Lernen
mit allen Sinnen‹ auch als ›sinn-volles‹ Lernen
gestaltet wird, indem Sprachhandlungen in
möglichst authentische Kontexte (ä Authentizi-
tät) eingebunden werden. Diese lassen sich im
ä Projektunterricht herbeiführen, z. B. durch die
Begegnung mit Muttersprachler/innen an ver-
schiedenen Lehr- und Lernorten. Eine erlebnis-
reiche »L2-Welt« (Timm 1995, 69) kann aber
auch virtuell (ä E-Learning) oder rein gedank-
lich erschaffen werden – stimuliert durch an-
sprechende Lese- und Hörtexte oder im Rollen-
spiel. Eine besondere Bedeutung für g.L. wird
daher dem szenischen Spiel und Theatermetho-
den in der Fremdsprache zugeschrieben, da
durch dramapädagogisches Arbeiten (ä Drama-
pädagogik) einer »Trennung von ›Sprech[-…
und Körpersprache‹« (Bludau 2000, 15) entge-
gengewirkt wird. Sprache kommt somit eben-
falls in ihrer Ganzheit zum Einsatz, wenn im
Spiel ›echte Sprachnotsituationen‹ und ein rea-

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_7, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
Ganzheitliches Lernen 100

les Mitteilungsbedürfnis entstehen. Hierbei ner ›harmonischen Ganzheit‹ eine romantisierte


muss eine hohe Fehlertoleranz (ä Fehler) gelten: Vereinfachung gesehen wird (vgl. Schmenk
Der Fokus liegt auf der Kommunikation und 2015). Insbesondere mit Blick auf identitäts-
der fluency der SuS, während die sprachliche konstitutive Prozesse des Sprachenlernens
Richtigkeit (accuracy) auf spätere Unterrichts- (ä Identität und Identitätsbildung) wird statt-
phasen verlagert wird. Beim Spracherwerb im dessen für eine poststrukturalistische Sicht-
Sinne von Ganzheitlichkeit stehen zuerst das weise plädiert, die Identitäten als im Fluss, un-
globale Verständnis und die Entwicklung von abschließbar und fragmentarisiert beschreibt –
ä Sprachgefühl im Vordergrund, auch die Freude also als »dezidiert ›unholistisch‹« (ebd., 117).
an Ästhetik und Klang von Sprache erfährt z. B. G. L. erscheint in einer überblickenden Be-
beim Singen fremdsprachiger Lieder Berück- trachtung als stark aufgeladener Begriff mit
sichtigung. Um ausgehend von ganzheitlichem Polarisierungspotenzial. In einer modernen
Erleben und kollektiven oder individuellen Er- ä Fremdsprachendidaktik sollte damit nicht in
fahrungen vertiefendes Lernen im FU zu er- erster Linie das sinnliche, sondern das Sinn er-
möglichen, ist meist eine gemeinsame Reflexion schließende und erzeugende Denken, Fühlen
und Versprachlichung sinnvoll. und Handeln unter Einbezug der Fremdsprache
Untermauert werden kann ein g.L. aus lern- und in Bezug auf die Zielkulturen gemeint sein,
psychologischer Sicht, da das Ansprechen meh- das auch die Vieldimensionalität von Lernen-
rerer Sinne und des sensorischen Registers den als ›Nicht-Ganze‹ berücksichtigt. Ob eine
sowie die Anregung der Interaktion beider Ge- derartige (gewissermaßen paradoxe) Umdeu-
hirnhälften zu einer tiefgehenden und nachhal- tung möglich ist, oder ob der Ansatz des g.L.s
tigen Informationsverarbeitung führen (ä Neu- letztlich als historisches Relikt des Humanis-
rodidaktik). Die Kombination von visuellem mus von (post-)moderneren Konzepten abge-
und akustischem Input spricht Lernende mit löst wird, bleibt zu beobachten.
verschiedenen Präferenzen (ä Lernertypen) zu- Lit.: M. Bludau: Szenisches Spielen. Ein Weg zu ganz-
gleich an, und die Anregung von ä Emotionen heitlichem Sprachhandeln. In: FU 44/53 (2000), 15–
durch die situative Einbettung von Lernmate- 21. – J. Kahlert: Ganzheitlich Lernen mit allen Sinnen?
rial bezieht das episodische Gedächtnis ein und Plädoyer für einen Abschied von unergiebigen Begrif-
fen. In: Grundschulmagazin 12 (2000), 37–40. –
erhöht somit die Verstehens- und Erinnerungs- B. Schmenk: Jenseits von Ganzheitlichkeit? Bildungs-
leistung (ä Neurodidaktik). potenziale im dramapädagogischen FU. In: L. Küster
Kritik am Konzept der Ganzheitlichkeit gibt et al. (Hg.): Literar-ästhetisches Lernen im FU. FfM et
es auf verschiedenen Ebenen. Pragmatisch wer- al. 2015, 109–129. – J.-P. Timm: Ganzheitlicher FU.
den Probleme der Realisierbarkeit angemerkt, Weinheim 1995. AH
z. B. durch Zeitmangel, ungünstige räumliche
Voraussetzungen oder mögliche ablehnende
Reaktionen schwächerer oder pubertierender Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für
SuS gegenüber offenen Lernsituationen (ä Offe- Sprachen. Der 2001 zum Europäischen Jahr
ner Unterricht). Zudem wird bezweifelt, ob not- der Sprachen erschienene Gemeinsame europä-
wendige systematische Sprachkenntnisse durch ische Referenzrahmen für Sprachen (GeR) ist als
einen rein am Prinzip der Ganzheitlichkeit ori- flexibles und ausschließlich deskriptives Werk-
entierten FU vermittelt werden können. Ganz- zeug zur Beschreibung von Sprachkompetenz
heitlichkeit wird dabei jedoch auch von Kriti- auf i. d. R. sechs unterschiedlichen Kompetenz-
ker/innen ein Platz als ›Insel‹ im Unterricht ein- stufen (ä Kompetenz) zu bezeichnen. Die deut-
geräumt, besonders zur Vermittlung kulturellen sche Übersetzung erschien im gleichen Jahr
Wissens und im spielerischen Anfangsunter- (Rat für kulturelle Zusammenarbeit 2001). Der
richt. Weitere Kritik weist auf Unzulänglichkei- GeR setzt mit seinen Skalen und Deskriptoren
ten und Unschärfen des Begriffs sowie auf seine die Idee der stringenten Niveaustufung von
inflationäre Verwendung hin. Zudem würden Sprachkompetenz in die Praxis um. Die Zielset-
falsche Suggestionen bezüglich des Verhält- zung des GeR besteht zum einen darin, als Sti-
nisses von Sinneskanälen, Denken und Fühlen mulus für die Reflexion der jeweiligen Praxis
im Erkenntnisprozess erschaffen (vgl. Kahlert des Fremdsprachenlernen und -lehrens zu fun-
2000). Aus bildungstheoretischer Perspektive gieren, und zwar über alle Altersstufen hinweg
erfolgt eine Dekonstruktion der Grundannah- und über den institutionellen FU hinaus. Letzt-
men von g.L., in dessen Subjektkonzeption ei- lich soll dies in einer Reform des FUs münden,
101 Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen

die den kommunikativen Ansatz (ä Kommuni- hende Lernzielbeschreibungen des Europarates,


kativer FU) befördern soll in Form etwa einer z. B. der Threshold Level (das Schwellenniveau,
Aufwertung von ä Mündlichkeit, einer Aufwer- das einen Sprecher bzw. eine Sprecherin als in
tung von (Teil)Kompetenzen und einer ä Hand- der Fremdsprache handlungsfähig ausweist),
lungsorientierung mit echten Aufgaben aus al- wurden dabei übernommen.
len Lebensbereichen (ä Aufgabenorientiertes Weitere Kapitel zu den Zielen des GeR sowie
Lernen). Zum anderen soll der GeR einen ge- zur Erklärung des handlungsorientierten An-
meinsamen Referenzpunkt herstellen für die satzes des Dokuments, das Lernende als sozial
Erstellung von ä Lehrplänen, Curricula, Prü- Handelnde sieht, betreffen die Prozesse des
fungen und Lernmaterialien in ganz Europa. Sprachenlernens und -lehrens, die Curriculu-
Dies soll Reflexion, Kommunikation und Netz- mentwicklung zur Förderung von ä Mehrspra-
werken befördern. chigkeit sowie die Funktionen und Verfahren
Der GeR ist aus den jahrelangen Bemühun- des Prüfens und Beurteilens. Für das Skalensys-
gen des Europarats zur Beschreibung von tem wurde zur Beschreibung der salient feature
Sprachkompetenz entstanden. Der Auftrag zur approach verwendet, d. h. der Fokus liegt auf
Erstellung des GeR als Instrument, das Sprach- hervorgehobenen Merkmalen der jeweiligen
kompetenz auf verschiedenen Niveaustufen be- Stufe. Für die Deskriptoren wurde laut Brian
schreibt, sowie des Europäischen Sprachen- North (2014) derselbe Ansatz verwendet, mit
portfolios (ä Portfolio), das auf denselben Ni- allen seinen Nachteilen wie z. B. keine strin-
veaustufen basiert, wurde 1991 auf einer von gente Nennung derselben Aspekte in Deskrip-
der Schweiz ausgerichteten Tagung in Rüschli- toren auf allen Niveaustufen, Variationen in
kon erteilt. Einem Schweizer Forschungspro- den Verben oder das Fehlen von Deskriptoren
jekt entstammt die Entwicklung der Deskripto- zu bestimmten Kategorien. Die wesentlichen
ren. Die vorherigen Lernzielniveaus (ä Lernziel) Charakteristika sind für das Niveau A1 eine
des Europarats fanden bei der Definition der sehr einfache Interaktion zu konkreten The-
Niveaustufen ebenso Eingang wie die vorhan- men, für A2 soziale Funktionen wie das Begrü-
denen Niveaus der Association of Language ßen, aber auch einfache vorhersehbare Situatio-
Testers in Europe (ALTE). nen etwa auf Reisen. Auf dem Niveau B1 kann
Die Skalen und Deskriptoren in den Kapiteln ein Lernender bzw. eine Lernende eine Interak-
3, 4 und 5 bilden das Herzstück des Dokuments tion aufrechterhalten und in verschiedenen All-
und werden am meisten wahrgenommen. De- tagssituationen bestehen, während man auf B2
skriptoren beschreiben, wozu der bzw. die Ler- effektiv und anhaltend interagieren und argu-
nende sprachlich fähig ist. Die Beschreibungen mentieren kann, und zwar mit einer neuen
sind in der Regel positiv formuliert in Form Sprachbewusstheit (ä Bewusstheit/Bewusstma-
von Kann-Beschreibungen. Ein Deskriptor für chung). Das Niveau C1 ist charakterisiert durch
den Bereich Schriftliche Produktion allgemein die Fähigkeit zur flüssigen und spontanen
lautet z. B.: »Kann einfache, isolierte Wendun- ä Kommunikation mit elaborierter ä Diskursfä-
gen und Sätze schreiben.« (GeR 2001, 67) Das higkeit, während C2 von einer Präzision und
Skalensystem besteht aus sechs Stufen, den A-, Natürlichkeit gekennzeichnet ist, wie sie ty-
B- und C-Niveaus, die jeweils noch einmal un- pisch ist für sehr erfolgreiche Sprachlernende
terteilt und beliebig erweiterbar sind. Beste- (das Konzept des Muttersprachlers wird ver-

Elementare Selbständige Kompetente


Sprachverwendung Sprachverwendung Sprachverwendung
A B C

A1 A2 B1 B2 C1 C2

Break- Waystage Threshold Vantage Effective


through Operational
Proficiency
Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen 102

worfen). Auch wenn sich die Niveaustufen li- den. Der Einfluss des GeR reicht weit über Eu-
near lesen, ist der dahinterstehende Kompe- ropa hinaus, somit kann er als das wichtigste
tenzbegriff komplex. Er wird im GeR selbst nur bildungspolitische Dokument der letzten Jahr-
angedeutet, wurde zwischenzeitlich jedoch ge- zehnte bezeichnet werden. Die Skalen und De-
nauer aufgearbeitet (vgl. North 2014). Zum skriptoren werden jedoch häufig einseitig rezi-
GeR gibt es zahlreiche Beidokumente des Euro- piert und entfalten vielfach immer noch eine
parats, von denen die wichtigsten der Guide for normative Kraft, die der eigentlichen Idee eines
Curriculum Development und das Handbuch Referenzsystems abträglich ist.
für die Anbindung von (bestehenden) ä Tests Für die Bereiche ä Sprachmittlung, Literatur
und GeR-Niveaus sind (Relating Language Ex- und Onlinekommunikation, die meist ä inter-
aminations to the Common European Frame- kulturelle kommunikative Kompetenzen inte-
work of Reference for Languages: Learning, grieren, werden von 2015 bis 2018 im Zuge
Teaching, Assessment). einer Erweiterung des GeR in einem breit auf-
Der GeR hat ebenso Kritik auf sich gezogen. gestellten Verfahren mit vielen unterschied-
Häufig angeführt wird die mangelnde theo- lichen Informant/innen neue Skalen und De-
retische Fundierung des Dokuments v. a. aus skriptoren entwickelt. Die Erweiterung des
zweitsprachenerwerbstheoretischer Sicht und GeR greift also einige Kritikpunkte auf und
in Hinblick auf Erwerbssequenzen, d. h. darauf, verlagert den Schwerpunkt deutlicher auf pluri-
in welcher Reihenfolge sprachliche Elemente kulturelle Kompetenzen, ein Konzept, das not-
erworben werden (ä Spracherwerb und Sprach- wendig ist und die Diskussion ebenfalls beleben
erwerbstheorien). Mittlerweile wurde diese wird. Durch die erhöhten Migrationsströme in
Kritik durch Projekte wie das English Profile Europa sollte ein weiteres Augenmerk auf au-
Programme zur Unterscheidung von Niveau- ßereuropäischen Sprachen liegen; dadurch
stufen aus fremdsprachenerwerbstheoretischer würde gleichzeitig der Mehrsprachigkeitsge-
Sicht oder »LONGDALE« zu longitudinalen danke befördert und neu interpretiert werden
Kompetenzentwicklungsprozessen derselben können.
Lernenden aufgegriffen. Der GeR selbst wird Lit.: K.-R. Bausch et al. (Hg.): Der GeR in der Diskus-
als wenig transparent wahrgenommen, was sion. Tüb. 2003. – Europarat/Rat für kulturelle Zu-
etwa den Rückgriff auf theoretische Ansätze sammenarbeit: GeR. Lernen, lehren, beurteilen. Mü.
angeht, die sich nur durch Hintergrundlektüre 2001. – B. North: The CEFR in Practice. Cambridge
2014. KV
erschließen lassen. Mittlerweile hat North
(2014) jedoch einen erläuternden Text vorge-
legt. Die Deskriptoren selbst eignen sich wegen Genderorientierte Ansätze. Obwohl auffällt,
ihrer mangelnden Spezifität, den unsystemati- dass moderne Fremdsprachen zu den bevorzug-
schen Beschreibungen von Sprachkompetenz ten Unterrichtsfächern von Mädchen gehören,
(bedingt durch den verwendeten salient feature dass das Fremdsprachenlehramt überproporti-
approach) sowie wegen des Fehlens einer theo- onal von Frauen angestrebt und ausgeübt wird
retischen Basis hinsichtlich der Formulierung und dass der Bereich Fremdsprachen in päd-
präziser Konstrukte nicht für den Gebrauch in agogischen Institutionen weiblich dominiert
Testsituationen, wohl aber als Orientierungs- ist,  hat sich die ä Fremdsprachendidaktik in
rahmen zur detaillierten Definition von Konst- Deutschland der Frage nach den Geschlechter-
rukten, Bewertungsformen usw. Weitere Kritik- verhältnissen in ihrer Disziplin zögerlich zuge-
punkte betreffen die Vernachlässigung bildungs- wandt. Im internationalen Vergleich ist sie da-
relevanter Aspekte wie die Ausbildung von mit rückständig. Dennoch sind Gender Studies
literar-ästhetischen und plurikulturellen Kom- auch hierzulande inzwischen auf dem Weg, sich
petenzen im Rahmen des eher einseitig orien- zu einem vielschichtigen Forschungsbereich in
tierten additiven Mehrsprachigkeitskonzepts. der Fremdsprachendidaktik und im FU zu ent-
Die Skalen und Deskriptoren stehen als wickeln (vgl. Decke-Cornill/Volkmann 2007,
Herzstück des Dokuments in der Rezeption im König et al. 2015, Elsner/Lohe 2016).
Mittelpunkt. Der GeR hat international eine Der Zusammenhang zwischen Gender und
Diskussionsbasis geschaffen, die vergleichsweise FU weckte zuerst in den 1970er/80er Jahren
solide empirisch fundiert ist und Reflexion und Aufmerksamkeit, und zwar im Kontext der
Kooperation anstoßen konnte. Große Testan- Frauenbewegung, die eine genderbezogene
bieter haben ihre Tests an den GeR angebun- Erforschung der Bildungslandschaft anregte.
103 Genderorientierte Ansätze

Wissenschaftliche Grundlage der Forschung wickelte sich das akademische Latein zum
war die sex/gender-Theorie, die zwischen na- männlichen Gegenstück dieser häuslichen
turgegebenen (sex) und gesellschaftlichen Ge- ›Mutter‹-Sprachen. Erst in der Neuzeit und im
schlechterverhältnissen (gender) unterschied. Zuge der Entwicklung der Nationalstaaten
Die ›natürliche‹ Zweigeschlechtlichkeit der verschob sich diese Dichotomie in die heute
Menschheit werde, so dieser Theorieentwurf, gängige zwischen ›Mutter‹-Sprache (nun im
dazu instrumentalisiert, die soziale Benachtei- Singular) und ›Fremd‹-Sprachen. Die feminisie-
ligung von Mädchen und Frauen zu legitimie- rende Tradition des neusprachlichen Unter-
ren – sie ›naturalisiere‹ sie. Im Prozess der richts setzte sich im 19. Jh. an den privaten
Theoriebildung wurde die vereinfachende Höheren Mädchenschulen fort (vgl. Doff
These vom Machtverhältnis zwischen Män- 2002). Fremdsprachliche Konversationskom-
nern und Frauen ausdifferenziert und z. T. re- petenz galt als Ausweis der Bildung sog. Höhe-
vidiert. Es zeigte sich nämlich, dass Geschlech- rer Töchter. Der Lehrplan umfasste die fremd-
terverhältnisse immer wieder von anderen he- sprachliche Lektüre und das Gespräch, und
gemonialen Ordnungen durchdrungen oder der  Unterricht wurde von weiblichen native
überlagert sind, etwa von ökonomischen Pri- speakers erteilt. ›Männliche‹ Gegenspieler des
vilegien oder rassifizierenden Diskursen. In- Französischen und Englischen blieben die alten
zwischen wird die sex/gender-Theorie insge- Sprachen, deren Kenntnis die Voraussetzung
samt in Frage gestellt. Die Vorstellung von sex für den Universitätszugang bildete, der damit
als einem natürlichen, vorgesellschaftlichen den Frauen verschlossen war. Das Höhere
und deshalb nicht weiter theoriebedürftigen Lehranstaltswesen konstruierte also im sprach-
Substrat der binären Geschlechterordnung lichen Bereich einen Geschlechterdualismus. Es
steht in der Kritik. Auch sex, so etwa Judith tat dies nicht nur durch die Trennung zwischen
Butler (1995, 22), die den performativen Cha- alten und neuen Sprachen und die damit ver-
rakter von Gender nachgezeichnet hat, sei ein bundene Geschlechtsspezifizierung der Bildungs-
normatives kulturelles Konstrukt, das die Ma- partizipation, sondern auch in der Unterrichts-
terialisierung von Körpern reguliere. Seine methodik: Während in Mädchenschulen und
Abgrenzung von Gender perpetuiere Geschlech- -pensionaten Inhalts- und Konversationsorien-
terdichotomien und liefere die Basis für eine tierung herrschte, der Unterricht in der Fremd-
heteronormative Geschlechterordnung, die Iden- sprache verlief und mündliches Sprachkönnen
titäten jenseits von Heterosexualität und Zwei- relevant war, dominierte an den Knabenschulen
geschlechtlichkeit die Legitimität abspreche. die ä Grammatik-Übersetzungs-Methode, bei
In der einschlägigen fremdsprachendidakti- der die Unterrichtssprache Deutsch war und
schen Diskussion wird ›Gender‹ heute als kul- Sprachform, Sprachwissen und Schriftlichkeit
turell-diskursiv hervorgebrachte und subjektiv im Mittelpunkt standen. Der moderne FU
ausgestaltete, performative Konstruktion ver- schloss mit seiner Abwendung von Kognition
standen, die als normativer gesellschaftlicher und Sprachwissen und mit seinem Mündlich-
Ordnungsentwurf jede Identitätskonstitution keitsprimat und seiner Kommunikationsorien-
beeinflusst und in komplexer Weise mit ande- tierung an die Tradition der Höheren-Töchter-
ren gesellschaftlichen Verhältnissen interagiert Bildung an. Er tat dies im Verlauf der 1960er/
(ä Identität und Identitätsbildung). Unter der 70er Jahre, also zu einem Zeitpunkt, als er
Perspektive ›Gender‹ sind bisher v. a. drei Berei- seine gymnasiale Exklusivität verlor und zum
che in der Fremdsprachendidaktik bearbeitet Lernfeld für alle wurde. Die Geschichte der Fe-
worden: die Geschichte des Fremdsprachenleh- minisierung des Kompetenzbereichs ›Fremd-
rens und -lernens, die fremdsprachendidaktische sprachen‹ hat dazu geführt, dass diesem Bereich
Forschung und Aspekte des Sprachunterrichts, die Aura des Semiprofessionellen anhaftet und
seine Themen, ä Medien, Texte und Methoden. mit fremdsprachlichen Berufen ein vergleichs-
In ihrer historischen Untersuchung des Spra- weise geringes ökonomisches und symbolisches
chenlehrens und -lernens weist Renate Haas Kapital verbunden ist (vgl. Haas 2007, 39).
(2007) nach, dass diese Domäne bereits im Die Feminisierung des Lernens neuerer
Mittelalter an der Konstruktion von Gender Sprachen wurde nicht nur durch historisch-
mitwirkte. Während es Frauen waren, die ihre bildungspolitische Weichenstellungen betrie-
Kinder im heimischen Milieu oft mehrsprachig ben, sondern auch in der Fremdsprachen-
in den lebenden Sprachen unterrichteten, ent- forschung selbst, die sich beharrlich im Para-
Genderorientierte Ansätze 104

digma der Geschlechterdifferenz bewegt. ren und männlichen Erzählperspektiven, wie


Barbara Schmenk (2002) zeichnet in einer sie z. T. bis heute fortbesteht. Aus der ä Litera-
wissenschaftskritischen Untersuchung einen turwissenschaft stammen Gegenstrategien, v. a.
typischen Zirkelschluss nach: Indem For- die Erweiterung des Kanons um Texte von
schungsprojekte von dualistischen Alltagsvor- Autorinnen und Texte mit weiblichen Erzähl-
stellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit perspektiven. Über die Kanonrevision hinaus
ausgehen und ihre Befunde auf diese zurück- wurde für die Zusammenstellung von literari-
führen, verfestigen sie Vorstellungen vom weib- schen Texten zu einem Themenbereich ein
lichen Geschlechtscharakter, reifizieren die bi- Konzept entworfen, das Polyphonie und inter-
näre Geschlechterordnung und bekräftigen z. B. textuelle Dialogizität (ä Intertextualität/Inter-
Vorstellungen von einer – empirisch nicht nach- medialität) als wichtiges Kriterium für eine
weisbaren – besonderen weiblichen Sprachbe- Textkombination vertritt (vgl. Decke-Cornill
gabung oder von geschlechtsspezifischen Lern- 1994).
stilen. Ihrer Fundierung durch die sex-gender-Theo-
Der dritte Bereich genderorientierter Analyse rie entsprechend bewegte sich die literaturdi-
bewegt sich in direkterem Bezug zum Unter- daktische Theoriebildung lange im Rahmen des
richt, dessen Praxis allerdings bisher noch nicht zweigeschlechtlichen Denkens. Erst in jüngerer
systematisch unter dieser Perspektive unter- Zeit wurde dessen Normativität kritisch zur
sucht wurde. Stattdessen liegt der Schwerpunkt Kenntnis genommen und die Hybridität und
unterrichtsbezogener Gender-Forschung bisher Performativität von Geschlecht in die Theorie-
auf der Ebene der Unterrichtsthemen, -medien, bildung einbezogen (vgl. z. B. Decke-Cornill
-texte und -methoden. Die Lehrwerkkritik 2004; Volkmann 2007). Elizabeth Shipleys
(ä Lehrwerkanalyse) der 1970er und 80er Jahre Unterrichtsexperiment mit »Science Fiction of
(z. B. Stenzel 1981) ergab, dass in Sprache und Other-Genderedness« (2007) zeigt, welche
ä Bildern der Lehrbücher und Arbeitsmittel Möglichkeiten diese Gattung als third domain
(ä Lehrwerk) stereotypisierende Darstellungs- für die Auseinandersetzung mit Heteronormati-
weisen (ä Stereotyp) vorherrschten. Die Lehr- vität, d. h. der Normsetzung von Heterosexuali-
werkautor/innen griffen bei ihren einsprachigen tät und Zweigeschlechtlichkeit, bietet. In jüngs-
Erläuterungen neuer Begriffe auf traditionelle ter Zeit hat Lotta König (2017) den Entwurf
Vorstellungen zurück, viele von ihnen sexis- einer kulturwissenschaftlich fundierten Konzep-
tisch. Uneindeutigkeiten, etwa in englischen tualisierung von Genderreflexion im fremd-
Berufsbezeichnungen, wurden kaum für pro- sprachlichen Literaturunterricht vorgelegt.
duktive Irritationen genutzt, sondern entgegen Unterrichtsmethodisch legt genderreflexive
ihrer Offenheit stereotyp vereindeutigt (busdri- Arbeit mit literarischen und anderen Texten
ver – he, nurse – she). Laufende Reformbemü- ä Inszenierungen der Verfremdung und Verun-
hungen gelten seither einer nicht-sexistischen eindeutigung nahe, die Aushandlungsbedarf
Sprache, der Subversion stereotyper Konstella- und Streitgespräche provozieren. Die dadurch
tionen in Lehrbuchfamilien und der Reflexion angeregten kreativen oder widerständigen Le-
genderrelevanter Bezeichnungspolitik (zum Be- seweisen und Verständigungsprozesse können
griff lady vgl. z. B. Linke 2007) und damit einer eine offene, fragende, inklusive Haltung gegen-
differenzierten und inklusiven Repräsentation über Geschlechterverhältnissen befördern. Hier
von ›Gender‹ in Lehrwerken (vgl. Benitt/Kurz sind Anschlüsse an die Didaktik des ä Fremd-
2016). Als fruchtbares Gebiet der Auseinan- verstehens und die critical pedagogy erkennbar.
dersetzung mit ›Gender‹ haben sich Literatur Trotz der Offensichtlichkeit der Geschlechter-
und Film erwiesen. Im Gegensatz zu den oft relevanz sind weite Bereiche der Fremdspra-
holzschnittartigen Lehrbuchtexten konstruie- chendidaktik unter dieser Perspektive wenig
ren sie Geschlechterverhältnisse in ihrer Wider- erforscht. So liegen erst vereinzelt einschlägige
sprüchlichkeit, diskursiven Komplexität und Studien zu Bildungsgängen von Lehrer/innen
Undurchsichtigkeit. Ähnlich wie in der Lehr- und Schüler/innen und zu biographischen Er-
werkkritik liegt auch in der ä Literaturdidaktik fahrungen und Schlüsselerlebnissen im fremd-
ein genderorientierter Schwerpunkt auf der sprachlichen Unterricht vor. Es fehlt an Wissen
Analyse des ä Kanons. Die Kritik richtet sich über die Selbstbilder von Lerner/innen und
unter der Fragestellung der Geschlechterge- über die Lerner/innenbilder der Lehrenden. Die
rechtigkeit gegen die Privilegierung von Auto- Motive bei der Wahl oder Abwahl von fremd-
105 Generisches Lernen

sprachlichen Kursen sind weitgehend unbe- gung wird zum Modell für andere, gleichgebaute
kannt, und es gibt wenig Einblick in Entschei- Fügungen, generiert mithin neue Sätze gleichen
dungsprozesse bei der Berufswahl. Auch Spra- Typs. Dieser für den ä Spracherwerb unver-
che und Interaktionsformen des Unterrichts zichtbare Multiplikationseffekt wird von Jo-
(ä Unterrichtsinteraktion) sind Forschungsdesi- hann H.E. Nachersberg wie folgt formuliert:
derata. ›Gender‹ ist ein prekäres Untersuchungs- »Diese Phrasen sind uns nun ganz mechanisch
feld: Einerseits fehlt es an Wissen darüber, an- geworden; wir dürfen uns nicht mehr die Mühe
dererseits ist das Wissen oft problematisch prä- geben, sie nach Anleitung der grammatischen
figuriert, dann nämlich, wenn die Forschung Regeln zusammenzusetzen, und zugleich sind
beim Blick auf Gender dessen Interaktion mit sie für uns so viele Analoga, nach welchen wir,
anderen Aspekten übersieht und damit die ä He- ohne Anstrengung und Zeitaufwand, eine be-
terogenität und Individualität der Akteur/innen trächtliche Summe ähnlicher Sätze bilden kön-
verfehlt. nen, ohne uns bey den Lehrsätzen der theoreti-
Lit.: N. Benitt/J. Kurtz: Gender Representation in Se- schen Grammatik zu verweilen« (1800, IV).
lected EFL Textbooks. A Diachronic Perspective. In: Das g.P. ist somit auch eine Art Mitlernprinzip.
Elsner/Lohe 2016, 169–188. – J. Butler: Körper von Es stand – anders bezeichnet – im Zentrum der
Gewicht. FfM 1995. – H. Decke-Cornill: Intertextua- Überlegungen von Thomas Prendergast und
lität als literaturdidaktische Dimension. Zur Frage der
Textzusammenstellung bei literarischen Lektürerei- Harold Palmer und bildet auch die Grundlage
hen. In: Die Neueren Sprachen 93 (1994), 272–287. – der von amerikanischen Autoren geprägten
H. Decke-Cornill: ›Identities that cannot exist‹. Gen- pattern practice. Deren übermäßige und allzu
der Studies und Literaturdidaktik. In: L. Bredella et al. mechanische Anwendung führte jedoch zum
(Hg.): Literaturdidaktik im Dialog. Tüb. 2004, 181– Konflikt mit dem ä kommunikativen FU. Infol-
206. – H. Decke-Cornill/L. Volkmann (Hg.): Gender
Studies and Foreign Language Teaching. Tüb. 2007. –
gedessen geriet auch das g.P. aus dem Blickfeld
S. Doff: Englischlernen zwischen Tradition und Inno- der Fremdsprachendidaktik, obwohl es die not-
vation. Mü. 2002. – D. Elsner/V. Lohe (Hg.): Gender wendige Ergänzung zum kommunikativen Prin-
and Language Learning. Research and Practice. Tüb. zip darstellt.
2016. – R. Haas: Language Teaching as a ›Woman’s Lit.: W. Butzkamm: Lust zum Lehren, Lust zum Ler-
Job‹. Historical and Current Perspectives. In: Decke- nen. Eine neue Methodik für den FU. Tüb. 32012
Cornill/Volkmann 2007, 31–46. – L. König: Gender- [2004. – J. H. E. Nachersberg: Englisches Formelbuch,
Reflexion mit Literatur im FU. Fremdsprachendidak-
oder praktische Anleitung, auf eine leichte Art Eng-
tische Theorie und Unterrichtsbeispiele. Stgt 2017. –
lisch sprechen und schreiben zu lernen. Breslau 1800.
L. König/C. Surkamp/H. Decke-Cornill (Hg.): Themenheft
WB
»Negotiating Gender«. Der Fremdsprachliche Unterricht
Englisch 135 (2015). – G. Linke: Linguistic Aspects of
Gender in the Foreign Language Classroom. In: De-
cke-Cornill/Volkmann 2007, 137–159. – B. Schmenk: Generisches Lernen. Wenngleich dem ä kom-
Geschlechtsspezifisches Fremdsprachenlernen? Zur munikativen FU und dem Leitziel der ä Dis-
Konstruktion geschlechtsspezifischer Lerner- und Lern- kursfähigkeit die Vorstellung zugrunde liegt,
bilder in der Fremdsprachenforschung. Tüb. 2002. – dass das Erlernen einer Fremdsprache immer
E. Shipley: Science Fiction of Other-Genderedness in mit der Einübung in lebensweltliche Interak-
the EFL Classroom. In: Decke-Cornill/Volkmann
2007, 227–242. – E. Stenzel: Frauenthemen im Eng-
tions- und Äußerungsformen verbunden ist, so
lischunterricht. In: I. Brehmer (Hg.): Sexismus in der ist doch deren textueller Gestalt und situativ
Schule. Weinheim/Basel 1981, 78–84. – L. Volkmann: angemessenen Verwendung in der diskursiven
Gender Studies and Literature Didactics. Research Interaktion seit jeher wenig Aufmerksamkeit
and Teaching, Worlds Apart? In: Decke-Cornill/Ders. gewidmet worden. Dies ist umso erstaunlicher,
2007, 161–184. HDC
als diese textuellen Äußerungsformen unver-
meidlich einem bestimmten Genre angehören,
Generatives Prinzip. Sprache lernen erschöpft gleich, ob schriftlich, mündlich oder multimo-
sich nicht im Nachahmen und Auswendigler- dal, ob faktual oder fiktional-literarisch. ä Kom-
nen, sondern heißt, ihre Regelhaftigkeit erfassen munikation realisiert sich stets in generischen
und in vielen verschiedenen Sätzen die Wieder- Formen, wie Bruner (1990, 135 f.) hervorhebt:
kehr der gleichen Struktur erkennen, um so in »No natural language that has been studied is
Humboldts berühmter Formulierung »von end- without them: ways of conducting discourse,
lichen Mitteln unendlichen Gebrauch« zu ma- ways of construing the topics involved in the
chen. Im g.P. wird diese Fähigkeit zur Analogie- discourse, speech registers and even idiolects
bildung angesprochen. Ein Satz oder eine Fü- characteristic of the discourse, often a specia-
Generisches Lernen 106

lized discourse as well.« Genres lassen sich da- gemacht werden. In direkter Anlehnung an die
her in sehr allgemeiner Weise definieren als Genre-Didaktik der Sydney School hat auch das
»staged, culturally purposeful activities that g.L. im Sachfach Eingang in die bilinguale Di-
[… users of language draw on to get things daktik (ä Bilingualer Unterricht) gefunden (vgl.
done« (Paltridge 2001, 11). Zydatiß 2007, 441 ff.; Hallet 2016, 140 ff.).
Die Genre-Didaktik ist in ihrem Ursprung im Lit.: J. Bruner: The Culture of Education. Cambridge,
Kontext der Bemühungen um die Bildungschan- Mass./Ldn 1990. – W. Hallet: G. L. Muster und Struk-
cen von Sprecher/innen des ä Englischen als turen der sprachlichen Interaktion erkennen und an-
wenden. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch
Zweitsprache in Australien entstanden, im Kon- 45/114 (2011), 2–7, 11. – W. Hallet: Genres im fremd-
text also der sog. Sydney School (vgl. Rose/ sprachlichen und bilingualen Unterricht. Formen und
Martin 2012), jedoch nicht als fremdsprachen- Muster der sprachlichen Interaktion. Seelze 2016. –
didaktischer, sondern als allgemeindidaktischer, M. A. K. Halliday: Language as Social Semiotic. The
fächerübergreifender Ansatz für das Erlernen Social Interpretation of Language and Meaning. Ldn
1978. – B. Paltridge: Genre and the Language Lear-
der language of schooling. Die australische Di- ning Classroom. Ann Arbor 2001 – D. Rose/J. R.
daktik bezog sich im Kern auf die systemisch- Martin: Learning to Write, Reading to Learn. Genre,
funktionale Grammatik und die Social Semiotics Knowledge and Pedagogy in the Sydney School. Shef-
M. A. K. Hallidays. Ihm zufolge wird die generi- field 2012. – W. Zydatiß: Deutsch-Englische Züge in
sche Form einer Äußerung durch deren meta- Berlin (DEZIBEL). Eine Evaluation des bilingualen
Sachfachunterrichts an Gymnasien. FfM 2007. WH
kommunikative Funktionen konstituiert: durch
ideational meaning, also den Gehalt und die In-
haltsseite der Äußerung; durch interpersonal Geragogik, auch Alterspädagogik genannt, ist
meaning, also die durch die Äußerung gestiftete ein Teilgebiet der Gerontologie, die sich mit
Art der Beziehung zwischen den Kommunizie- dem Altern von Menschen befasst und inner-
renden; und durch textual meaning, welches halb der Sozialwissenschaften dem Teilgebiet
durch die Textkonstituenten, die Struktur des ›Soziale Arbeit‹ zuzuordnen ist. G. befasst sich
Textes und durch die Abgrenzung gegenüber mit dem Lernen im Seniorenalter ab ca. dem
anderen textuellen Äußerungen erzeugt wird 60. Lebensjahr und wird damit dem Konzept
(vgl. Halliday 1978, 128 ff.; Zydatiß 2007, 404; des lifelong learning gerecht. Ähnlich der ä An-
Hallet 2016, 86 ff.). Entlang dieser drei Meta- dragogik übernimmt die G. für die ä Fremdspra-
funktionen lässt sich im Prinzip die generische chendidaktik die Funktion einer ä Bezugswis-
Form einer jeden Äußerung genauer bestimmen, senschaft: Theorien über das Alter(n) und damit
denn immer sind mit Genres als »language in die spezielle Zielgruppe fließen direkt in die di-
use« (Halliday 1978, 129) spezifische Themen daktische Konzeption entsprechender Lernsze-
und Inhalte, eine soziale Situation und eine be- narien mit ein.
stimmte textuell-mediale Struktur verbunden Senioren haben ihren beruflichen Alltag be-
(vgl. auch Rose/Martin 2012, 20). Lernpsycho- reits hinter sich und suchen nach neuen Heraus-
logisch ist bedeutsam, dass Genres sich aufgrund forderungen zur Erhaltung ihrer geistigen Be-
ihrer kulturellen Konventionalität als kognitive weglichkeit und kognitiven Leistungsfähigkeit.
Schemata ausformen und daher erwerb- und er- Spezifische Bildungsangebote, für die sie nun
lernbar sind. Für das fremdsprachliche Lernen häufig erstmals die nötige Zeit aufbringen kön-
bietet sich methodisch der in der Genre-Didaktik nen, dienen dabei zusätzlich der Erhaltung von
etablierte teaching-learning cycle an, der der in- subjektivem Wohlbefinden und steigern die Le-
dividuellen aktiven Benutzung von Genres eine bensqualität, da Ressourcen aktiviert, Kompe-
Schrittfolge von Kontextorientierung, der Be- tenzen (z. B. sprachliche Mobilität auf Reisen)
wusstmachung und generischen Modellierung gesteigert und der soziale Kontakt zu Gleichge-
einer Äußerung sowie kooperativer Textproduk- sinnten gefördert wird. Sprach-G. beruht dabei
tion voranstellt (vgl. Hallet 2016, 103 ff.). Ent- immer auf dem konsequenten Prinzip der Frei-
scheidend ist, wie in der lebensweltlichen Kom- willigkeit, weshalb einerseits von hoher ä Moti-
munikation auch, dass die Merkmale und Ei- vation und mehr potenzieller Beschäftigungszeit
genheiten eines Genres durch eine Vielzahl von mit dem Lerngegenstand außerhalb des Unter-
Begegnungen mit einzelnen Exemplaren der richts ausgegangen werden kann, andererseits
Gattung, durch intertextuellen Vergleich (ä In- aber auch evtl. aufgrund mangelnder extrinsi-
tertextualität und Intermedialität) und durch re- scher Motivation und zeitlicher Überschneidung
iterativen Gebrauch internalisiert und verfügbar mit anderen Aktivitäten die Regelmäßigkeit der
107 Geschichte des Fremdsprachenunterrichts

Kursteilnahme gefährdet ist. Dies führt dazu, niorenstudien an.


dass manche Lernende das gleiche Angebot Lit.: A. Berndt: Sprachenlernen im Alter. Eine empi-
mehrere Male besuchen und z. B. auf Mitler- rische Studie zur Fremdsprachen-G. Mü. 2003. –
nende treffen, die keinerlei Vorkenntnisse haben J.  Quetz/S. Bolton/G. Lauerbach: Fremdsprachen für
oder gar auf Wiedereinsteiger, deren fremd- Erwachsene. Eine Einführung in die Didaktik und
Methodik des FUs in der Erwachsenenbildung. Bln
sprachliche Bildung zwar viele Jahre zurückliegt, 1981. – D. M. Singleton/L. Ryan: Language Acquisi-
aber je nach ursprünglichem Niveau ggf. schnell tion. The Age Factor. Clevedon 2004. CJG
reaktiviert werden kann. Ähnlich der Angebote
der Andragogik zeichnen sich diese Lerngrup-
pen durch ä Heterogenität aus, so dass eine kon- Gesamtsprachencurriculum ä Mehrsprachig-
tinuierliche Kursprogression (ä Progression) häu- keitsdidaktik, ä Sprachenpolitik
fig nur schwer gewährleistet werden kann.
Weit fortschreitendes Alter bringt Einschrän-
kungen der Hör- und/oder Sehfähigkeit sowie Geschichte des Fremdsprachenunterrichts. Der
der Gedächtnisfunktionen, der Flexibilität und immersive Erwerb fremder Sprachen (ä Immer-
der Reaktionsgeschwindigkeit mit sich und re- sion) ist vermutlich so alt wie die Menschheit
duziert damit ggf. die allgemeine Fähigkeit zum selbst: Sprachkontakte führen zur Übernahme
Sprachenlernen. Gleichzeitig stehen dem Ler- verwertbarer Vokabeln und Phrasen. Planvoller
nenden aber gerade aufgrund seines Alters und FU, auch unter Einbeziehung von Bildungskon-
damit seiner Lebenserfahrung vielfältiges ä Wis- zepten (ä Bildung), beginnt in der Antike (etwa:
sen und bereits erworbene kognitive Strukturen gelehrte Sklaven als Vermittler griechischer Spra-
zur Verfügung, auf die beim weiteren Sprachen- che und Kultur in römischen Familien). Bis zum
lernen aufgebaut werden kann. Mit fortschrei- Ausgang des Mittelalters sind in Europa Latein
tendem Alter findet eine Umstrukturierung der und (in geringerem Maße) Griechisch die im
intellektuellen Fähigkeiten statt: Die Lernge- Kontext von Schule und Hochschule gelernten
schwindigkeit nimmt zwar meist ab, die Leis- Fremdsprachen; im Mittelmeerraum und auch
tungsgenauigkeit kann dies jedoch ggf. ausglei- im Kontext der Mission spielt daneben klassi-
chen (vgl. Quetz et al. 1981). Insbesondere das sches Arabisch eine Rolle. Mit dem 13. Jh. treten
Langzeitgedächtnis übernimmt hierbei eine zent- zwei weitere Idiome als Fremdsprachen auf den
rale Rolle. Die explizite sinnvolle Verknüpfung Plan: Altfranzösisch und Altprovenzalisch als
neuer Inhalte mit den Beständen des Langzeit- höfische Kultursprachen und Altrussisch als
gedächtnisses sollte deshalb erklärtes Ziel der Sprache des hansischen Russlandhandels. Dane-
G. sein. Der biographische Ansatz (vgl. Berndt ben finden sich einzelne Nennungen für weitere
2003), der Raum für die jeweiligen individuel- Sprachen, zumal im Kontext adliger Erziehung,
len Lebens- und Lernerfahrungen gibt und so etwa ein Hinweis auf (west)slawische Dialekte
diese explizit mit einbezieht, ist deshalb ein als Lerngegenstand der Prinzenerziehung in der
sinnvolles didaktisches Konzept. Um Frustra- Goldenen Bulle von 1356. Insgesamt aber bleibt
tion zu vermeiden ist es ggf. angebracht, bei das vorreformatorische West-, Mittel- und Nord-
Übungen zum ä Hörverstehen auf die in Audio- europa ein Sprachraum mit nur einer Fremdspra-
materialien für junge Lernende häufig bewusst che: der internationalen Sprache Latein. Regional
eingefügten kontextualisierenden Hintergrund- existieren, mehr oder minder kodifiziert, auto-
geräusche zu verzichten und bei visuellen Me- nome Dialekte als Volkssprachen, die aber allen-
dien auf eine angemessen Größe und Kontrast- falls im Rahmen grenznaher Mehrsprachigkeit
stärke zu achten. Das Training der einzelnen erworben werden. Mitunter dienen Sprachver-
sprachlichen ä Fertigkeiten wird entsprechend schnitte als Kommunikationsmittel (ä Lingua
der ä Lernziele älterer Lernender gewichtet, was Franca), so Mischformen aus niederdeutschen
auch dazu führen kann, dass z. B. die Fertigkeit und skandinavischen Dialekten im Bereich der
ä Schreiben, insbesondere das Schreiben länge- Hanse oder Sabir im Mittelmeerraum. Diese
rer Texte, in den Hintergrund tritt. In Deutsch- Sprachen werden immersiv erworben.
land konzipieren v. a. die Volkshochschulen Renaissance und Reformation heben die
(ä Volkshochschulunterricht) sprachliche Bil- Volkssprachen ins Bewusstsein und schaffen
dungsangebote für ältere Lernende, aber auch damit die Voraussetzungen für das heutige viel-
öffentliche und private Hochschulen gründen sprachige Europa. Fortschritte in Hygiene
zunehmend Seniorenakademien und bieten Se- (Steinbauweise, Wasserqualität) und Medizin
Geschichte des Fremdsprachenunterrichts 108

verlängern die Lebenserwartung zumindest der Gouvernanten), spätestens seit den 1550er Jah-
gehobenen Schichten. Die neue Planbarkeit des ren dann auch als Gegenstand eines von gelehr-
Lebens führt zu einem veränderten Lebensge- ten Hofmeistern beiderlei Geschlechts erteilten
fühl und im Gefolge zu verstärkten Anstren- Privatunterrichts. Da die adligen Zöglinge
gungen politischer, gewerblicher und wissen- meist ranghöher sind als ihre aus dem Bürger-
schaftlicher Natur. Der entstehende Frühkapi- tum oder niederen Adel stammenden Lehrmeis-
talismus lässt den Fernhandel aufblühen; da die ter, dürfen sie von diesen nicht körperlich
potenziell wirksamste Sprache des Handels die gezüchtigt werden, ein Verbot, das den neu-
des Handelspartners ist, werden solche Spra- sprachlichen Unterricht methodisch voran-
chen als Lerngegenstand interessant. Das Ent- bringt und aus heutiger Sicht modern erschei-
stehen von Nationalstaaten macht die Sprachen nen lässt (einsichtgestützte, kommunikative
der neuen Hauptstädte und Hofhaltungen zu Ausrichtung, conversational approach). Das
Nationalsprachen. Als Symbole nationalen Patriziat der Städte übernimmt den Ansatz, und
Fortschritts erfahren sie systematische Pflege: das breitere Bürgertum kopiert ihn im 18.  Jh.
im Umfeld der Prinzenerziehung, an neu ge- Die gelernten Sprachen der Zeit sind in erster
gründeten Akademien und bereits im 16. Jh. Linie Französisch und Italienisch (beide als
auch an den Lateinschulen. Einige Staaten, v. a. Kultur- und Handelssprachen), daneben ä Spa-
Frankreich, betreiben in der Folgezeit eine ex- nisch (als Sprache des kaiserlichen Hofes) und,
pansive Sprachenpolitik: ä Französisch wird in geringerem Maße, seit dem 17. Jh. Flämisch
Sprache des kulturellen und politischen Trans- und ä Englisch (als Handelssprachen, Englisch
fers, zumal in eroberten Gebieten, und es wird auch als theologisch sowie natur- und geistes-
konsequent als Sprache der europäischen Dip- wissenschaftlich bedeutsames Idiom). Im habs-
lomatie installiert. burgischen Raum kommt, als Reaktion auf po-
Die Reformatoren lehren, dass Gott mit dem litisches Erfordernis, Türkisch hinzu.
Christenmenschen durch das Medium der Bibel Das 18. Jh. entwickelt mit der Ritterakade-
kommuniziere, ohne Vermittlung einer Amts- mie eine Schulform, die eigens auf die Bedürf-
kirche. Die Bibel ist in hebräischer und altgrie- nisse des Höflings zugeschnitten ist. Der aus
chischer Sprache abgefasst, das Mittelalter be- dem Mittelalter ererbte Kanon der Septem Ar-
dient sich einer (schlechten) lateinischen Über- tes der Lateinschulen und Universitäten wird
setzung, der Vulgata, als offizieller Version der ersetzt durch ›ritterliche Künste‹, wozu neben
römischen Kirche. Der unmittelbare Zugang zu den Grundlagen der Humaniora auch Tanzen,
Gottes Wort hat zwei Voraussetzungen: Der Fechten und Reiten sowie die modernen Fremd-
Mensch (auch der weiblichen Geschlechts) sprachen gehören. Da die Ritterakademien den
muss lesen lernen, und die Bibel muss in der Universitäten zahlungskräftige adlige Studie-
Sprache der Gläubigen zugänglich sein. So wer- rende entziehen, stellen die Universitäten
den die Reformatoren zu Bibelübersetzern; sie Sprachmeister an, die in Einzel- oder Klein-
gehen als Humanisten von den Originaltexten gruppenunterricht die Fremdsprachen der Zeit
aus. Damit werden die Volkssprachen zu Me- vermitteln. Locker mit den Artistenfakultäten
dien der göttlichen Botschaft, was sie weiter verknüpft unterrichten sie Hörer aller Fach-
aufwertet. Bedeutende Bibelübersetzungen (etwa richtungen; einige erreichen den Professoren-
die Lutherbibel oder die King James Version Status. Dabei spielen auch sprachenpolitische
von 1611) sind zugleich Sprachdenkmäler, de- Gesichtspunkte eine Rolle: Die von Georg II.
ren ästhetische Qualitäten bis heute anerkannt von England 1737 gegründete Universität Göt-
sind. tingen verfügt über ein persönliches Extraordi-
Im 16. Jh. gewinnt Europa seine heutige nariat des Englischen, das dann zum Ordinariat
multilinguale Gestalt. Seither streiten die aufgestockt wird. An der Dänemark zuzurech-
Sprachen um Marktanteile, es entstehen die nenden Universität Kiel existiert ein Extraordi-
Berufe Fremdsprachenlehrer (›Sprachmeister‹) nariat des Dänischen, und die zu Schweden ge-
und Dolmetscher (ein türkisch-ungarisches Lehn- hörende Universität Greifswald besitzt ein Ex-
wort). Dennoch bleibt Latein bis ins 18. Jh. die traordinariat des Schwedischen. Im Verlauf des
Sprache der akademischen Bildung. Im Bereich 18. Jh.s gehen mehr und mehr Lateinschulen
der Prinzen- und Prinzessinnenerziehung aber dazu über, den Lateinunterricht zugunsten von
werden zunehmend moderne Fremdsprachen Französischunterricht zu reduzieren; in den dy-
erworben, zunächst immersiv (über Diener und nastisch mit England verbundenen Landestei-
109 Geschichte des Fremdsprachenunterrichts

len (Braunschweig-Lüneburg, Hannover) spielt (1815) wird Französisch als Schulfach in Preu-
daneben auch Englisch eine Rolle. ßen verboten; das Verbot gilt bis in die 1830er
Die Zielsetzungen des FUs des 18. Jh.s sind Jahre hinein. Da durch den Abbau des Franzö-
pragmatisch bestimmt: Französisch lernt man sischen und anderer moderner Sprachen Stun-
mit dem Ziel gepflegter kommunikativer Münd- denkontingente frei werden, kommt die Altphi-
lich- und stilistisch ausgereifter Schriftlichkeit, lologie quantitativ voran: 15 Wochenstunden
um sich bei Hof, im Beruf oder im bürgerlichen Latein und 7 Wochenstunden Altgriechisch
Privatleben der internationalen Sprache zu be- sind an den (stets altsprachlichen) Gymnasien
dienen. Englisch wird weiterhin als Handels-, der ersten Hälfte des 19. Jh.s keine Seltenheit;
aber auch als Wissenschaftssprache erworben: die anderen Fächer sind ein- bis zweistündig.
Großbritannien ist führend in den Naturwissen- Wie schon in der Renaissance ist das Latei-
schaften und der Medizin; publiziert wird auf nische nun sprachästhetische Richtschnur, die
Englisch. Wer zu den Quellen Zugang haben griechisch-römische Literatur gilt als Vermitt-
will, braucht Lesekompetenz. Auch das protes- lerin (säkularisierter) ›ewiger Werte‹. Die la-
tantische Pfarrhaus ist dem Englischen zugetan, teinisch-deutsche Übersetzung gerät in den Au-
verfügen die Briten doch über Predigtsamm- gen der Zeitgenossen zu einem Brennpunkt
lungen, deren theologische und rhetorische vaterländischer Erziehung (ä Sprachmittlung).
Qualitäten weithin gerühmt werden. Sie dienen Gleichzeitig wird das Gymnasium zur Pflanz-
den eigenen Predigten (von barocker Länge) als schule eines Bürgertums, das es sich leisten
Vorlage. Eine stärker belletristische Ausrichtung kann, seine (männlichen) Nachkommen neun
erhält der Englischunterricht mit der Vorro- Jahre lang ohne berufspropädeutische Zwänge
mantik (beginnender Shakespeare-Kult, Ossian, ›formal‹ zu bilden. Die Frauen innerhalb des
Briefe der Lady Montagu, später: Lord Byron Bürgertums und die übrigen gesellschaftlichen
und Walter Scott). Was das Italienische angeht, Schichten haben die Möglichkeit zu solch
so ist seine Bedeutung als Handelssprache im ›zweckfreier‹ Bildung nicht. Während am Gym-
18. Jh. rückläufig, doch Italienisch ist die Spra- nasium konkrete Lebensbezüge des Gelernten
che der Oper und der Künste und daher be- allenfalls am Rande eine Rolle spielen, über-
gehrt. nimmt die Mittelschule als Realschule die po-
Insgesamt herrscht im 18. Jh. ein ausge- lytechnische Ausbildung, gerade auch in den
glichenes Verhältnis zwischen den beiden modernen Fremdsprachen. Die Mädchen aus
Grundrichtungen des Spracherwerbs, dem besserem Hause aber frequentieren höhere
Immersionslernen (learning by rote) und dem Töchterschulen und Pensionate, wo sie (im FU
grammatikorientierten (ä Grammatik und Gram- immersiv und durch Muttersprachlerinnen,
matikvermittlung), konstruierenden Lernen (lear- durchaus in der Tradition des 18. Jh.s) auf das
ning by rule). Angesichts der lebenspraktischen praktische Leben vorbereitet werden.
Ausrichtung des Fremdsprachenlernens sind In den 1840er Jahren wird der Gegensatz
Bildungsideologien nicht bedeutsam. Selbst die zwischen idealistischer Bildung und polytechni-
herausragenden Bildungstheoretiker der Zeit scher Orientierung der zeitgenössischen Ar-
leiten (in der Comenius-Nachfolge) Sprachen- beitswelt zunehmend kontrovers diskutiert.
wahl, Sprachenfolge und methodische Ausflag- Angesichts des Scheiterns der Revolution von
gung des Unterrichts aus konkretem Lebensbe- 1848 aber bleibt die Antinomie trotz aller Brü-
darf ab. ckenschläge der Zeit nach 1880 bis mindestens
Die Französische Revolution und die napole- zum Ende des Ersten Weltkriegs erhalten, im
onische Zeit verändern die Sprachenlandschaft: engeren Bereich der sprachlichen Fächer auch
Französisch, die Kultur- und Modesprache des länger. Die Polytechnische Oberschule der DDR
18. Jh.s, wird nun als Idiom einer überwunde- als marxistische Alternative zur idealistischen
nen feudalen Epoche gebrandmarkt, später deutschen Gymnasialtradition ist eine späte
dann als Feindsprache. Mit dem Fall Napoleons Reaktion auf post-neuhumanistische Entwick-
fällt auch seine Sprache: Ernst Moritz Arndt lungen.
fordert 1813 die Ausweisung der französischen Die Realbildung wird im weiteren Verlauf
Sprachmeister, Kammerzofen und Gouvernan- des 19. Jh.s immer mehr ausgeweitet; mit der
ten. Im Geiste der beginnenden Nationwerdung Oberrealschule erhält sie ihre eigene, lateinfreie
der Deutschen soll Deutschunterricht das ›wel- gymnasiale Oberstufe. Gleichzeitig bleibt die
sche‹ Französisch ersetzen. Nach Waterloo Realschule als sechsjährige berufspropädeuti-
Geschichte des Fremdsprachenunterrichts 110

sche Schulform mit dem Ziel des mittleren Bil- Die Schrift des Marburger Anglisten Wilhelm
dungsabschlusses bestehen. Das Abitur der Viëtor »Der Sprachunterricht muss umkehren«
Oberrealschule wird 1901 mit dem der Gym- (1882) markiert das Ende der lateinorientier-
nasien und (griechischfreien) Realgymnasien ten ä Grammatik-Übersetzungs-Methode. Viëtor
gleichgestellt, die weitere Entwicklung verläuft propagiert den direkten Ansatz; der Streit mit
hin zum mathematisch-naturwissenschaftlichen seinen Gegnern währt bis 1908. Danach ist die
Gymnasium. Die Phalanx der Altphilologen ›vermittelnde Methode‹ mit Grammatik- und
setzt 1901 für Abiturienten ohne entsprechen- Übersetzungsanteilen verbindlich; sie bleibt es
den Lateinnachweis das Kleine bzw. Große Lati- bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.
num als ergänzende Studienqualifikation durch. Seit den 1880er Jahren wird auch die Rolle der
Bis 1923 bleibt das Französische erste mo- ä Landeskunde offen diskutiert. Es entwickelt
derne Fremdsprache, doch es erholt sich nie sich eine Realienkunde, deren positivistische
vollständig von der nach 1813 erlittenen Faktenorientierung schon in den 1890er Jahren
Schmach. Das Englische kommt seit den 1830er Gegenstand der Kritik ist. Sie wird nach 1913
Jahren (besonders im Real-Bereich) weiter vo- vor dem Hintergrund der inzwischen aufblü-
ran. Es gilt den Zeitgenossen als Sprache einer henden Gestaltpsychologie ersetzt durch die
politisch verbündeten Macht, als Idiom des in- Kulturkunde (Wesensschau), die die 1920er
dustriellen Fortschritts, des Handels, aber auch Jahre beherrscht (Richertsche Richtlinien, 1925)
der Freiheit. Darüber hinaus macht der literari- und von den Nationalsozialisten später zur
sche Paradigmenwechsel der Romantik das Rassenkunde pervertiert wird. Nach 1945 zie-
Englische zu einer auch ästhetisch und kulturell hen sich die Neuphilologien in den Elfenbein-
bedeutsamen Sprache. Die Revolutionäre des turm sprachhistorischer, strukturalistischer und
Vormärz versuchen, den Einfluss der Altphilo- formalästhetischer Fragestellungen zurück, die
logie im Schulwesen zu brechen, sie votieren ä Lehrerbildung ist damit ohne kulturelle Mitte.
für moderne Fremdsprachen im Gesamtumfang Mit dem Umbruch von 1968 wird die Diskus-
von etwa einem Drittel der Stundentafel und sion im Sinne sozioökonomischer Studien oder
für eine Ausweitung des Englischen. Trotz des – in angelsächsischer Ausrichtung – als English
Fehlschlags der Revolution von 1848 wächst and American Studies, French Studies usw.
das Gewicht der neueren Sprachen an den wei- neu  belebt; mit dem kommunikativen Ansatz
terführenden allgemeinbildenden Schulen in den schließlich (ä Kommunikativer FU) und der Ein-
folgenden Jahrzehnten langsam aber stetig an. sicht, dass Fremdsprachenlernen immer auch
1923 stellen fünf Länder der Weimarer Re- Kulturlernen ist (ä Kulturdidaktik), geraten in-
publik auf Englisch als erste Fremdsprache um. ter- bzw. transkulturelle Fragestellungen ins
Preußen bleibt ambivalent; in den beginnenden Zentrum des Interesses (ä Interkulturelles Ler-
1930er Jahren findet hier eine Rückkehr zu nen, ä Transkulturelles Lernen).
grundständigem Französisch statt. Die ›reichs- In den späten 1940er Jahren halten behavio-
einheitliche‹ Regelung der Nationalsozialisten ristische Strömungen (pattern drill und substi-
von 1937 macht Englisch als völkisch ver- tution tables) ihren Einzug in das deutsche
wandte Herrensprache zur ersten und in vielen Schulwesen. Sie beeinflussen besonders den nun
Fällen einzigen Fremdsprache. Nach dem einsetzenden FU an den Hauptschulen West-
Zweiten Weltkrieg gelangt zunächst die Spra- deutschlands. Der grammatikfreie Ansatz, im
che der jeweiligen Besatzungsmacht in die Rolle Umfeld der amerikanischen Streitkräfte als
der ersten Fremdsprache; mit dem Hamburger army learning method bzw. ä audio-linguale
Abkommen von 1964 erfolgt in Westdeutsch- Methode unter Nutzung des Sprachlabors ent-
land eine erneute Umstellung auf Englisch. Das wickelt, fasst am deutschen Gymnasium nie
Abkommen wird 1971 zugunsten einer Rege- völlig Fuß. Die Methode gerät nach 1968 als
lung novelliert, nach der unter gewissen Rah- anti-emanzipatorischer Versuch der Schüler-
menbedingungen jede zugelassene Fremdspra- programmierung ins politische Abseits. Sie wird
che erste Fremdsprache sein kann. Die Novel- nach und nach durch den kommunikativen
lierung bleibt quantitativ bedeutungslos. Das Ansatz abgelöst. In dem auf marxistische Par-
gesamte 20. Jh. hindurch gelten für grundstän- teilichkeit festgelegten FU an den Polytechni-
diges Latein und altphilologisch orientierte schen Oberschulen der DDR bleibt die ›vermit-
›Traditionsschulen‹ Sonderregelungen, unab- telnde Methode‹ bis zur Selbstauflösung des
hängig vom jeweiligen politischen System. Staates 1990 im Wesentlichen erhalten.
111 Global Education

Das 1974 von Hans-Eberhard Piepho veröf- des FUs im westlichen Europa. Wiesbaden 2002. –
fentlichte Buch Kommunikative Kompetenz als W.  Hüllen/F. Klippel (Hg.): Sprachen der Bildung,
Bildung durch Sprachen im Deutschland des 18. und
übergeordnetes Lernziel im FU wird zum Fanal
19. Jh.s. Wiesbaden 2005. – L. G. Kelly: 25 Centuries
für einen Ansatz, der zu kommunikativer ä Au- of Language Teaching. Rowley, Mass. 1969. – F. Klip-
thentizität und zu Lebensbezug zurückfinden pel: Englischlernen im 18. und 19. Jh. Die Geschichte
will und Lernende aller Schulformen zu sprach- der Lehrbücher und Unterrichtsmethoden. Münster
licher Leistung motivieren soll. Im gymnasialen 1994. – K. Schröder (Hg.): FU 1500–1800. Wiesbaden
Bereich zögerlich umgesetzt, wird er zunächst 1992. KoSch
an Gesamtschulen verwirklicht. Von dort aber
strahlt er seit den 1990er Jahren auf das Gym- Gespräch ä Unterrichtsgespräch
nasium ab. Er wird flankiert von einer neuen
Sicht auf Lernprozesse und das Übungsgesche-
hen (ä Aufgabenorientiertes Lernen, ä Individu- Global Education stellt eine pädagogische Ant-
alisierung, ä Übung). Gleichzeitig beeinflussen wort auf die Internationalisierung und ä Globa-
seit den 1990er Jahren kognitive Psychologie lisierung in allen Bereichen unseres Lebens dar.
und ä Konstruktivismus (ä Lerntheorien) sowie Sie greift die Bemühungen der Friedenserzie-
neue Formen der ä Leistungsermittlung und hung, der Umweltbildung, des ä interkulturel-
ä Leistungsbewertung die methodischen Ver- len  Lernens, der entwicklungspolitischen Bil-
fahren und zugleich die Themen und Inhalte. dung und die Tradition der Menschenrechtser-
Der in den Jahren nach 1980 schrittweise ent- ziehung auf (vgl. Cates 2000, 241) und bemüht
wickelte fremdsprachliche Sachfachunterricht sich um die Wahrnehmung globaler Zusam-
(ä Bilingualer Unterricht) wird als eine beson- menhänge. Cates (2000, 241) nennt vier Ziel-
ders erfolgreiche Spielart des Fremdsprachen- bereiche von g.e.: (1) Wissen: über Länder und
lernens zunehmend ausgedehnt. Zu Beginn des Kulturen, globale Probleme, ihre Ursachen und
21. Jh.s wirken zudem bildungspolitische Ein- mögliche Lösungen; (2) Fertigkeiten: kritisches
flüsse auf die Gestaltung des FUs, allen voran Denken, kooperatives Problemlösen, Konflikt-
die mit der Einführung des ä Gemeinsamen eu- bewältigung, Perspektivenwechsel (ä Perspek-
ropäischen Referenzrahmens und der For- tive und Perspektivenwechsel); (3) Einstellun-
mulierung der Bildungsstandards der Kultus- gen: global awareness, kulturelle Würdigung,
ministerkonferenz (KMK) für den Mittleren Anerkennung von Diversität, Empathie; (4)
Schulabschluss von 2003/04 (ä Standards) ein- (lokale) Handlungsfähigkeit: »The final aim of
hergehende Kompetenz- und Output-Orientie- global learning is to have students think glo-
rung (ä Kompetenz). Die 2012 verabschiedeten bally and act locally« (ebd.; vgl. De Florio
KMK »Bildungsstandards für die fortgeführte 2016).
Fremdsprache (Englisch/Französisch) für die Die Verbindung zwischen g.e. und dem Leh-
Allgemeine Hochschulreife« (vulgo »Abitur- ren und Lernen von Fremd-/Zweitsprachen
standards«) sind für die Zukunft des FUs in wird u. a. durch die Organisation LINGUAPAX
Deutschland insofern von besonderer Bedeu- unterstrichen, die sich seit Ende der 1980er
tung, als sie Sprachbewusstheit (ä Bewusstheit/ Jahre im Rahmen der UNESCO für die Be-
Bewusstmachung) und Sprachlernkompetenz kämpfung von Rassismus und Nationalismus
zu Schlüsselkompetenzen erheben und dem Er- durch (fremd-)sprachliche Bildung einsetzt.
werb kommunikativer Strategien den gleichen Vergleicht man die von Cates genannten Ziele
Stellenwert geben wie dem Erwerb sprachlicher mit den ä Kompetenzen eines an interkulturel-
Mittel. Darüber hinaus erfährt die kulturelle ler Kommunikationsfähigkeit orientierten FUs
Komponente im FU eine weitere Aufwertung. (ä Interkulturelle kommunikative Kompetenz),
Kognitive Ansätze und Verfahrensweisen in ei- stellt man eine große Ähnlichkeit fest. Schon
nem sprachen- und kulturenvergleichenden seit geraumer Zeit verfolgt der FU neben
Unterricht stehen damit im Vordergrund. Sprachkompetenz im engeren Sinn auch allge-
Lit.: F. Blättner: Das Gymnasium. Aufgaben der hö- meinerzieherische Ziele, die mit denen von g.e.
heren Schule in Geschichte und Gegenwart. Heidel- weitgehend identisch sind. Im FU geht es nicht
berg 1960. – S. Doff: Englischlernen zwischen Tradi- nur um die Vermittlung von sprachlichen und
tion und Innovation. FU für Mädchen im 19. Jh. Mü.
2002. – A. P. R. Howatt: A History of English Language kulturbezogenen Kenntnissen, die aus wirt-
Teaching. Oxford 22004 [1985. – W. Hüllen/F. Klip- schaftspolitischen Interessen als unverzichtbar
pel (Hg.): Heilige und profane Sprachen. Die Anfänge gelten; der FU muss auch zur Identitätsentwick-
Global Education 112

lung und Persönlichkeitsentfaltung beitragen als Weltsprache, die damit einhergehend als
(ä Identität und Identitätsbildung). Inter- bzw. ä lingua franca verwendet wird. Die Tatsache,
Transkulturalität (ä Transkulturelles Lernen) dass die Zahl derer, die ä Englisch als Zweit-
lässt sich besonders gut fördern, wenn in einem oder Fremdsprache lernen, die Anzahl der Mut-
inhaltsorientierten FU (ä Inhaltsorientierung) tersprachler/innen übersteigt, findet seit den
globale Themen berücksichtigt werden. Dabei 1990er Jahren auch in der Gestaltung des Eng-
handelt es sich um Themen von allgemeinem lischunterrichts sowie in der Ausrichtung von
humanitärem Interesse und/oder universeller dessen ä Lernzielen Berücksichtigung (vgl. Grau
Gültigkeit. Cates verknüpft die erweiterte Per- 2004, 47 f.). Eine funktionierende und erfolg-
spektive des Fremdsprachenlernens mit den reiche Kommunikation ist ein essentieller Be-
global issues wie folgt: »foreign language as a standteil der ä Globalisierung. Um diese zwischen
window to the world and global education as a Sprecher/innen unterschiedlicher Sprachen, die
way to bring educational relevance to the class- sich der globalen Kommunikatonsmöglichkei-
room through meaningful content based on ten bedienen, zu ermöglichen, wird auf eine
real-world topics« (ebd.). Sprache zurückgegriffen, die allen bekannt ist.
Als Einstieg bietet sich z. B. das Thema Klei- In den meisten Fällen ist dies das Englische. So
dung an. Es stellt den wichtigen Bezug zwischen ist g.E. weder aus dem modernen wirtschaftli-
der Lebensrealität der Lernenden und den welt- chen Bereich (internationaler Handel und Pro-
weiten Zusammenhängen her. Globalisierte duktion, Tochterunternehmen usw.) noch aus
Produkte zeugen nicht nur vom ökologischen dem politischen sowie alltäglichen privaten Le-
Aufwand bei ihrer Herstellung; sie machen ben (Reisen, Job-Mobilität innerhalb der EU,
auch die Ausbeutung von Menschen in Ent- Medien, Kontaktaufnahme über das Internet in
wicklungsländern deutlich, v. a. die von Kin- Form von Chats und E-Mailverkehr usw.) weg-
dern. Weitere sinnvolle Unterrichtsgegenstände zudenken. Nicht-muttersprachliche Kommuni-
sind die von Amnesty International immer kationssituationen zeichnen sich dabei durch
wieder angeprangerten Menschenrechtsverlet- Unterschiede beispielsweise in der Grammatik,
zungen sowie Diskussionen über Auszeichnun- der Aussprache oder dem verwendeten Vokabu-
gen für humanitäres Engagement. Aktuelle lar aus (vgl. ebd., 52). Auch SuS kommen durch
Umweltkatastrophen und die Möglichkeiten den Einzug des Englischen in deutsche Medien
der Entwicklungshilfe bieten sich ebenfalls an. und Werbeformate sowie das Phänomen des
Dabei besteht die Gefahr, dass ein Bild der sog. ›Denglisch‹ (ebd., 50) bereits sehr früh und auch
Entwicklungsländer gezeichnet wird, welches außerhalb des Klassenzimmers mit der engli-
die durch die Medien verbreiteten ä Stereotype schen Sprache in Berührung (vgl. Gnutzmann/
verfestigt. G.e. bedeutet aber nicht das Hervor- Intemann 2005, 9). Im Rahmen des ä interkul-
rufen von Mitleid, sondern die Aufforderung turellen Lernens sollten die SuS daher auch auf
zu solidarischem Handeln, welches nur auf der Situationen vorbereitet werden, in denen sie mit
Grundlage von Wertschätzung gedeiht. Deshalb Nicht-Muttersprachler/innen des Englischen
sollten auch Biographien von Kindern und Ju- kommunizieren und somit die Sprache in ihrer
gendlichen in Lebensumständen einbezogen Funktion als lingua franca verwenden. Auf diese
werden, die denjenigen der Fremdsprachen- Weise wird mit dem Verständnis der Fremd-
lernenden vergleichbar sind. In erster Linie sprache Englisch als g.E. das Prinzip des native
aber bezieht sich g.e. auf das fremdsprachliche speaker Standard in Frage gestellt (vgl. ebd.,
Klassenzimmer mit seiner mehrsprachigen und 12). Im Sinne der ä Lernerorientierung wird
mehrkulturellen Zusammensetzung als Ort hinterfragt, was die Lernenden zum Erlangen
der  Konfliktbewältigung und der Anbahnung ä interkultureller kommunikativer Kompetenz
wechselseitiger Akzeptanz. benötigen. Für den erfolgreichen kommunikati-
Lit.: K. A. Cates: G.E. In: M. Byram (Hg.): Routledge ven Einsatz der Fremdsprache erscheint es nicht
Encyclopedia of Language Teaching and Learning. als wichtig, dass die SuS sprechen, als wären sie
Ldn 2000, 241–243. – I. De Florio: Effective Teaching Muttersprachler/innen, sondern, dass es ihnen
and Successful Learning. Bridging the Gap between möglich ist, verständlich und erfolgreich über
Research and Practice. Cambridge/N. Y. 2016. IDFH
Landes- und Kulturgrenzen hinweg zu kommu-
nizieren (ä Intercultural Speaker). Im Kontext
Global English beschreibt die Verbreitung und des interkulturellen Lernens sollten dennoch
zunehmende Bedeutung der englischen Sprache Länder und Kulturen, in denen die englische
113 Grammatik und Grammatikvermittlung

Sprache als Muttersprache verwendet wird, ih- transnationale Mobilität vieler Familien unmit-
ren Stellenwert im Unterricht nicht verlieren telbar präsent.
(vgl. Grau 2004, 51). Vielmehr geht es darum, Im Mittelpunkt globalisierungspädagogischer
die Lehrpläne und eingesetzten Materialien im Ansätze steht die Idee der interconnectedness
Unterricht um die zunehmende Bedeutung der der Lernenden mit den Erfahrungen, Lebens-
zu unterrichtenden Fremdsprache als Weltspra- umständen und Handlungsweisen von Men-
che zu ergänzen (vgl. ebd., 51 ff.). Das Ziel eines schen in anderen Teilen der Welt (vgl. Pike/
FUs, der sich mit dem Phänomen des g.E. be- Selby 1999, 2000; Sander/Scheunpflug 2011).
schäftigt, sollte es sein, den »SuS das Verständ- Im Bereich der Fremdsprachen betrifft die G.
nis für die Vielgestaltigkeit des internationalen v. a. die Fremdsprache ä Englisch, in etwas ge-
Englisch zu vermitteln und gleichzeitig auf das ringerem Maße aber auch das ä Spanische. Das
asymmetrische Verhältnis der verschiedenen Englische hat sich, entscheidend befördert
weltweit existierenden englischen Sprachsys- durch das Internet, als global language und
teme hinzuweisen« (Drever/Viol 2006, 33) – weltweite ä lingua franca der internationalen
beispielsweise durch die Integration von Kreol- Politik, Wirtschaft und Kultur, aber auch von
sprachen in den Unterricht (vgl. ebd.). Mögliche Flucht und Migration herausgebildet (ä Global
Methoden zur globalen Ausrichtung des Unter- English). Fremdsprachendidaktisch ergibt sich
richts beinhalten den Bezug zu aktuellen inter- das Desiderat, auch das fremdsprachliche Ler-
nationalen Themen (ä Global Education), den nen in ein allgemeines Konzept des Erlernens
Einsatz muttersprachlicher, multi- und trans- einer global citizenship zu integrieren und so-
kultureller Literatur (ä Literaturdidaktik), die wohl thematische Zugänge als auch Wege der
Beschäftigung mit nicht-standardisierten Vari- fremdsprachigen medialen und kommunikati-
anten des Englischen (z. B. durch den Einsatz ven Vernetzung mit und der Partizipation an
von Liedtexten oder Gedichten), E-Mail-Pro- globalen Prozessen und Erfahrungen zu entwi-
jekte sowie eine Öffnung des Unterrichts für ckeln (ä Global Education).
nicht-muttersprachliche Texte. Lit.: A. Niederberger/Ph. Schink (Hg.): G. Ein interdis-
Lit.: T. Drever/C.-U. Viol: Babylon ist überall. In: Der ziplinäres Handbuch. Stgt/Weimar 2011. – G. Pike/
fremdsprachliche Unterricht Englisch 40/83 (2006), D. Selby: In the Global Classroom 1, 2. Toronto 1999,
32–42. – C. Gnutzmann/F. Intemann (Hg.): The Glo- 2000. – W. Sander/A. Scheunpflug (Hg.): Politische
balisation of English and the English Language Class- Bildung in der Weltgesellschaft. Herausforderungen,
room. Tüb. 22008 [2005. – M. Grau: English as a Positionen, Kontroversen. Bonn 2011. WH
Global Language. Fragen an die Unterrichtspraxis. In:
G. Fehrmann/E. Klein (Hg.): Standards im FU. Theo-
retischer Anspruch und Schulische Wirklichkeit. Bonn Grammatik und Grammatikvermittlung. In den
2004, 47–60. FE vergangenen 200 Jahren war grammatische
Korrektheit die zentrale Zielsetzung des FUs.
Das 19. Jh. folgte der ä Grammatik-Überset-
Globalisierung. Als G. wird die weltumspan- zungs-Methode, und auch nach Wilhelm Viëtor
nende Integration und Vernetzung ökonomi- (1882) blieb der G.unterricht die tragende
scher, politischer und sozialer Prozesse, in einer Säule. ä Lehrwerke orientieren sich bis heute an
weiter gefassten Definition darüber hinaus einer (der Sequenz im natürlichen Fremdspra-
auch technologischer, wissenschaftlicher, medial- chenerwerb nur teilweise angemessenen) gram-
kommunikativer und kultureller Prozesse ver- matischen ä Progression, die in einigen Bundes-
standen (vgl. umfassend Niederberger/Schink ländern immer noch in den ä Lehrplänen selbst
2011). In der Lebenswelt junger Menschen festgeschrieben und daher penibel einzuhalten
wird die G. v. a. als Zugang zu einer unendlich ist. G.fehler galten und gelten als schwere Feh-
großen Menge an Konsumgütern, Dienstleis- ler; andere, unter kommunikativem Aspekt be-
tungen, communities sowie medialen und tex- deutsame Bereiche wie pragmatische Angemes-
tuellen Artefakten manifest. Auf diese Weise senheit, kulturelle Verträglichkeit und auch
werden Schüler/innen insbesondere über das Flüssigkeit werden demgegenüber bis in jüngste
Internet mit Denkweisen und kulturellen Ori- Zeit und trotz der kommunikativen Wende der
entierungen außerhalb ihrer unmittelbaren per- 1980er Jahre nicht hinreichend berücksichtigt.
sönlichen Lebenswelt konfrontiert. Dort ist G. Damit wirkt im modernen FU die Tradition
jedoch auch durch Flucht- und Migrationser- des neuhumanistisch inspirierten Lateinunter-
fahrungen sowie durch beruflich bedingte richts des frühen 19. Jh.s. fort, der nicht auf
Grammatik und Grammatikvermittlung 114

Kommunikationsfähigkeit, sondern auf Über- – im schlimmsten Falle – sogenannte Signalwör-


setzen (ä Sprachmittlung) ausgerichtet war. An- ter (Motto: Wenn ago, dann past tense), die für
gesichts des hohen gesellschaftlichen Prestiges die Lernenden eine grammatische Weichenstel-
der Altphilologie im 19. Jh. blieb dem neu- lung für sprachliches Konstruieren enthalten.
sprachlichen Unterricht nichts anderes übrig, Schulgrammatische Regeln in den modernen
als sich didaktisch anzupassen; zu bedenken ist Sprachen heute sind praktische Hilfestellungen,
auch, dass das 19. Jh. als Zeitalter nationaler nur mit der von Humboldt geforderten Einsicht-
Abschottung wenig Gelegenheit zu (mündli- vermittlung haben sie kaum mehr etwas zu tun.
cher) Kommunikation mit Sprecher/innen Dieser Umstand mag eines der Ergebnisse der
fremder Sprachen bot (Tonträger und elektro- ä DESI-Studie erklären, dass sich nämlich die
nische Nachrichtenübermittlung existieren in SuS der unterschiedlichen Schulformen in einem
nennenswertem Umfang erst seit den 1920er einzigen Bereich nicht unterscheiden: Allen glei-
Jahren). Daher waren Lese- und Übersetzungs- chermaßen fehlt die sprachliche ä Bewusstheit.
fertigkeit auf dem Fundament grammatischer Nicht zuletzt unter dem Eindruck dieses Fak-
ä Instruktion als Zielsetzungen plausibler als tums haben die Bildungsstandards der Kultus-
heute. Außerdem waren die (gymnasialen) ministerkonferenz von 2012 für die Allgemeine
Fremdsprachenlehrer des 19. Jh.s. fast aus- Hochschulreife die Sprachbewusstheit und die
nahmslos Zöglinge des altsprachlichen Gymna- daraus resultierende Sprachlernkompetenz zu
siums; sie verfügten in den modernen Fremd- Schlüsselkompetenzen erhoben, die, im Kompe-
sprachen lediglich über die zeitbedingten redu- tenzmodell transversal angeordnet, alle anderen
zierten Kompetenzen, und sie waren daher Kompetenzen (Interkulturelle kommunikative
auch gar nicht in der Lage, die komplexen Kompetenz, Funktionale kommunikative Kom-
pragmatischen und kulturellen Bezüge von petenz und Textkompetenz) durchdringen sol-
Sprache und Kommunikation zu vermitteln, len. Bloßer Grammatikunterricht ist damit nicht
geschweige denn sie in Schülerarbeiten zu kor- gemeint, und aus diesem Grund tun sich die
rigieren. Ihnen blieben als Bewertungsgrund- Bundesländer mit der Umsetzung der KMK-
lage nur die grammatischen, orthographischen Forderung auch sehr schwer.
(ä Orthographie) und lexikalischen Fehler. Dass Was den Grammatikunterricht mit den an
die hier skizzierten Gegebenheiten, allen politi- ihn geknüpften Hoffnungen und Ideologien
schen Veränderungen zum Trotz, bis weit ins angeht, so zeigt ein geschichtlicher Rückblick,
20. Jh. hinein bestimmend bleiben, hängt mit dass der FU der Frühen Neuzeit noch in deutli-
einer didaktisch ungenügenden ä Lehrerbildung chem Gegensatz zur post-neuhumanistischen
und der Wandlungsresistenz des Gymnasiums Epoche steht: Er ist ohne bildungsideologischen
als der seit Humboldt ideologisch ausschlagge- ›Überbau‹, ohne falsches Pathos, lebensprak-
benden Schulform zusammen. tisch ausgerichtet und kommunikationsorien-
Ein Grund für die Überbewertung der gram- tiert. Im 18. Jh. ist auch die Zahl der Sprecher/-
matischen Komponente des FUs im 19. und innen anderer Sprachen innerhalb des deutsch-
20. Jh. ist der Glaube an die bildende bzw. das sprachigen Raums, gemessen an der Gesamt-
Denken schulende Kraft des G.lernens. Die Ver- zahl der akademisch gebildeten Sprecher/innen
mittlung von Einsicht in Sprache als einem quasi des Deutschen, weit größer als zwischen 1815
philosophischen System, das logisches Denken und dem Ersten Weltkrieg (Residenzen und
ermöglicht und daher selbst auf einem weitge- Höfe mit ausländischem Personal auf allen
hend logischen Fundament beruht, ist nach Ebenen und in allen Bereichen, fehlende natio-
Humboldt ein Kernbereich formaler Bildungsar- nale Abschottung, breiter Kulturaustausch,
beit. Nun hat sich aber die neusprachliche Hugenotten, Emigration im Gefolge der Fran-
Grammatikographie von Humboldts Ansatz zösischen Revolution). Damals werden dann
spätestens seit Viëtor gelöst. Dabei ist Schul-G., auch die Mechanismen des Fremdsprachen-
legt man Humboldtsche Kriterien an, mehr und erwerbs und besonders die Rolle der gramma-
mehr zu einer ›Kochbuch-G.‹ verkommen, die tischen Unterweisung in ihrem Verhältnis zu
nach dem Wenn-dann-Prinzip funktioniert: einem weitgehend grammatikfreien Immer-
Nicht die Einsicht in universalistische Grundka- sionslernen (ä Immersion) auf Expertenebene
tegorien menschlicher Sicht auf Welt (Beispiel: (Prinzenerzieher, Lehrwerk-Autoren, Volksbild-
die Aspekte) und deren Ausformung in der zu ner wie Johann Amos Comenius) sachlich und
lernenden Sprache sind von Bedeutung, sondern durchaus kontrovers diskutiert.
115 Grammatik und Grammatikvermittlung

Seit dem 16. Jh. sind grammatische Beschrei- siast/innen beim Sprachenlernen entsprechen
bungen der wichtigsten europäischen Sprachen nicht denen amerikanischer Soldaten), und da
zu Lehr- und Lernzwecken verfügbar. Sie sind in vor dem Hintergrund einer Amerika-kritische-
ihrem Deskriptionsansatz bis ins 20. Jh. hinein ren Grundhaltung im Gefolge des Vietnam-
am Lateinischen orientiert. Dies gilt auch für Kriegs eine Besinnung auf mögliche Alternati-
eine Sprache wie das Englische, das in seiner ven zur naiven Übernahme amerikanischer
Struktur weiter von der lateinischen Norm ent- Entwicklungen stattfindet, orientieren sich die
fernt ist als die romanischen und slawischen Idi- Jahrzehnte nach 1968 stärker wieder an euro-
ome: Auch die Englisch-Lehrwerke führen Abla- päischen Traditionen, so etwa am britischen
tiv (mit of oder from gebildet) und Vokativ an Kontextualismus oder an Strömungen wie der
(oh father), sie geben der Sprache ein Supinum kontrastiven Linguistik (ä Sprachwissenschaft).
(wonderful to see), ein Gerundium (we appreci- Die kommunikative Wende der 1980er und
ated the president being with us) und einen AcI 1990er Jahre (ä Kommunikativer FU) führt
(accusativus cum infinitivo; I saw him do it); die dann zu einer erneuten Revision grammatischen
Kenntnis dieser Formen ist besonders in nach- Lernens, diesmal vor dem Hintergrund lernpsy-
neuhumanistischer Zeit und bis ins 20. Jh. hin- chologischer Gegebenheiten (ä Lerntheorien).
ein ein Ausweis gymnasialer Englischkenntnisse Unter dem Einfluss der kognitiven Psycholo-
und ä Bildung. Daneben gibt es im FU der Frü- gie und des ä Konstruktivismus wird Lernen als
hen Neuzeit aber auch Gesprächsbücher mit ein hochgradig individuell ablaufender Prozess
Musterdialogen für alle Lebenslagen, die memo- der Konstruktion von Welt gesehen. Keine zwei
riert bzw. im Lernprozess de- und rekonstruiert SuS einer Klasse lernen auf gleiche Weise und
und dann transferiert werden sollen. Das 19. Jh. mit gleichen Akzentsetzungen. Jedes Indivi-
sieht in solchen Hilfsmitteln lediglich Vorlagen duum bringt individuelle Motivationen, aber
für geistloses ›Parlieren‹, die, da ohne Bildungs- auch die eigene Lernbiographie, eigenes Welt-
wert, im schulischen FU nichts zu suchen haben. und ä Vorwissen, ein Wertesystem und schließ-
Erst der Behaviorismus der 1950er und lich die jeweilige Tagesform mit ein. Methodi-
1960er Jahre bricht mit der grammatisierenden sche Gleichrichtung der Lernprozesse, etwa im
Tradition des deutschen Schulwesens, nachdem Glauben an die ›beste‹ Methode, ist ein Irrweg,
bereits die in den Jahren vor dem Ersten Welt- und schon Schülertypologien, wie sie die allge-
krieg aus der ä Reformpädagogik hervorgegan- meine Pädagogik gerne entwickelt, sind gefähr-
gene vermittelnde Methode die im Neuhuma- lich (ä Lernertypen). Damit ändert sich auch die
nismus etablierten allzu engen Bezüge zum La- Lehrerrolle (ä Lehrer/in und Lehrerrolle): Die
teinischen gekappt hatte, so etwa Ablativ, Lehrperson kann in einem weitgehend indivi-
Vokativ und Supinum. Im Zeitalter des pattern dualisierenden Unterricht (ä Individualisierung)
drill, der aus dem Amerika des Zweiten Welt- Lernprozesse initiieren, begleiten, fördern (lear-
kriegs und des Koreakriegs in die deutsche ning facilitation), sie kann aber nicht ›eintrich-
Schule überführten Form soldatischen Immer- tern‹, ›beibringen‹ usw.: Lernen müssen die
sionslernens (mit Hilfe von Tonbändern und Lernenden selbst. Der zuvor unkritisch als au-
Sprachlabor), wird grammatisches Regellernen tomatisch angesehene Transfer von der Regel-
als nutzlos angesehen: Lernen wird als Verhal- kenntnis zur Sprachproduktion wird, auch an-
tensänderung begriffen, die auf imitativ-reakti- gesichts empirischer Befunde, nun bestritten:
vem Wege durch Konditionierung (›Einschlei- SuS, die über ein grammatisches Regelwissen
fen‹) erfolgt. Während Haupt- und Realschule verfügen, sind keineswegs durchgängig in der
dem neuen Ansatz bereitwillig folgen, vollzieht Lage, diese Regeln auch kommunikativ anzu-
das Gymnasium die Wandlung allenfalls parti- wenden. Nur wenn angesichts konkreter kom-
ell, indem nun jede Sprache ihr eigenes gram- munikativer Schwierigkeiten die auf diese
matisch-deskriptives Kategoriensystem erhält: Schwierigkeiten bezogenen grammatischen Ge-
Im Englischen wird aus dem Genitiv der s-case, gebenheiten als lösungsfördernd von der oder
die lateinische Terminologie wird durch eine dem entsprechend motivierten Lernenden ver-
beschreibende englische Terminologie ersetzt innerlicht werden, können sie auf Dauer kom-
(etwa: expanded form). Da der behavioristische munikativ wirksam werden.
Ansatz – zumal am Gymnasium – nicht zu den Damit ist die klassische grammatische Pro-
gewünschten Lernergebnissen führt (die ä Mo- gression nicht mehr vertretbar. An die Stelle ei-
tivationen und Lernwege deutscher Gymna- nes linearen Fortschreitens von G.kapitel zu
Grammatik und Grammatikvermittlung 116

G.kapitel tritt das Spiralcurriculum, im Idealfall Lernerfolgskontrollen (ä Klassenarbeiten/Schul-


mit der Möglichkeit einer individuellen Anwen- aufgaben), die sich auf einen kommunikativen
dung, welche die oder der Lehrende gegebenen- FU richten, ist eher beschränkt.
falls den Lernenden nahelegt. Dabei spielen auf Was die grammatischen Kategorien und de-
Lernerseite ein annehmbarer Motivationsgrad ren Bezeichnung angeht, so sollte bei aller Be-
und adäquate ä Lernstrategien eine entschei- rechtigung einzelsprachlicher Nomenklaturen
dende Rolle; eine lernstrategische Progression nicht vergessen werden, dass unter europäi-
(als eine Progression neben anderen) erscheint schen Fremdsprachenlernenden ä Mehrsprachig-
in den Lehrwerken unabdingbar. Die konstruk- keit (plurilinguisme) erworben werden soll. Ler-
tivistische Sicht auf Lernprozesse legt nahe, nende für jede Sprache eine eigene Terminolo-
dass sich Fremdsprachenlernende im Rahmen gie erwerben zu lassen, die dann nur in engen
ihres stets (teil)autonomen Lernens ohnehin Grenzen übertragbar ist, erscheint nicht sinn-
mit grammatischen Fragestellungen auseinan- voll. Hier sollten Kompromisse geschlossen
dersetzen: Sie ziehen Vergleiche, suchen Regu- werden. Die so gerne diskutierte Frage, ob G.-
laritäten zu finden und testen entsprechende unterricht in der Fremdsprache stattfinden
Hypothesen. Dabei machen sie notwendiger- solle oder nicht, ist von nachgeordneter Bedeu-
weise grammatische ä Fehler. Da diese in außer- tung.
schulischen Kommunikationssituationen aber Lit.: H. Düwell/C. Gnutzmann/F. G. Königs (Hg.):
seltener als angenommen zu Kommunikations- Dimensionen der didaktischen G. Bochum 2000. –
abbrüchen führen und im Übrigen beim Gegen- C.  Gnutzmann: Language Awareness. Geschichte,
über in aller Regel kognitive Reaktionen her- Grundlagen, Anwendungen. In: Praxis des Neusprach-
lichen Unterrichts 44 (1997), 227–236. – J.-P. Timm:
vorrufen (mentale Richtigstellung ohne Freiset- G.lernen: Die Entwicklung praktischer Sprachkennt-
zung von Affekten), dürfen sie als leichte Fehler nisse. In: Ders. (Hg.): Englisch lernen und lehren. Di-
gelten. Damit aber wird grammatisches Können daktik des Englischunterrichts. Bln 1998, 299–318. –
als gewichtigster Gradmesser sprachlicher Kom- A. Polleti: Sinnvoll G. üben. In: Der fremdsprachliche
petenz obsolet. Der kommunikative Ansatz Unterricht Französisch 37 (2003), 4–13. KoSch
zielt ebenso sehr auf grammatische Korrektheit
ab wie auf pragmatische Angemessenheit, kul-
turelle Verträglichkeit und flüssigen Sprachge- Grammatik-Übersetzungs-Methode. Bei der G.
brauch, wobei die letztgenannten Bereiche an- handelt es sich um eine europaweit verbreitete
gesichts ihrer Implikationen für die affektive Methodenkonzeption, die das 19. Jh. prägte
Seite der Kommunikation bedeutsamer sind als (vgl. Reinfried 2016, 622). Fremdsprachen wur-
das G.lernen. den im 19. Jh. an Volksschulen nicht gelehrt.
Im Rahmen eines umfassenden Kommunika- Sie spielten aber an Gymnasien eine entschei-
tionstrainings setzt moderner FU, auch in den dende Rolle, die einer Elite aus Adel und geho-
stärker flektierenden Sprachen, auf das moti- benen Bürgertum vorbehalten war (vgl. Decke-
vierende und lernfördernde Potenzial von kom- Cornill/Küster 2015, 63). Latein und Griechisch
plexen Lernaufgaben (ä Aufgabenorientiertes sicherten den Zugang zum Abitur. Humboldts
Lernen). Sie müssen, um für die Lernenden im neuhumanistische Bildungsreform sprach dem
oben dargestellten Sinne wirksam zu werden, Studium der Sprachen und Literaturen des Al-
drei Bedingungen erfüllen: Sie müssen authen- tertums einen hohen Bildungswert zu (vgl.
tisch sein (ä Authentizität), den Lernenden sinn- ebd.). Neben dem humanistischen Gymnasium
voll erscheinen (konkreter Lebensbezug) und entstand im 19. Jh. eine andere höhere Schul-
eine Herausforderung für sie darstellen. Sche- form, die Realschule. An diesen höheren Jun-
matische G.übungen (ä Übung) sind nur sinn- genschulen wurden neben den alten Sprachen
voll zur Vorbereitung oder Unterstützung sol- Latein und Griechisch auch die lebenden
cher Lernaufgaben, auch in hochflektierenden, Fremdsprachen, v. a. ä Französisch (dann ä Eng-
endungsreichen und ›unregelmäßigen‹ Spra- lisch und ä Spanisch), unterrichtet, wenn auch
chen. Unter kommunikativen Gesichtspunkten in wesentlich geringerem Umfang und meist
sagt die Bearbeitung von schematischen G. erst an dritter Position nach Latein (vgl. Klippel
übungen nichts aus über den tatsächlichen 2008).
Grad der Sprachbeherrschung, sie sind daher Daraus lässt sich erklären, warum zunächst
auch als Bestandteil von Lernstandserhebungen die im Latein- und Griechischunterricht ange-
nicht aussagekräftig. Ihr diagnostischer Wert in wandte G. auch für den Unterricht in den neue-
117 Grammatik-Übersetzungs-Methode

ren Fremdsprachen verwendet wurde. Die Struk-


turen der klassischen Sprache Latein wurden ei-
nerseits als der Schlüssel zu den Sprachen unseres
Kulturkreises gesehen. Andererseits führte der
Kampf um Anerkennung des neusprachlichen
Unterrichts zu einer Anpassung der Unterrichts-
methoden an den altsprachlichen Unterricht.
Nach dem klassischen Modell der G. wurde da-
her zunächst auch der Unterricht der modernen
Fremdsprachen im 19. Jh. abgehalten. Aufgrund
des Einflusses des altsprachlichen Unterrichts
war zunächst v. a. die Grammatikbeherrschung
das Ziel (ä Grammatik und Grammatikvermitt-
lung) und die Übersetzung (ä Sprachmittlung) die
Methode des Unterrichts. Ausgangs- und aus-
schließliche Unterrichtssprache in der G. ist die
Erstsprache. Die gesprochene Zielsprache spielt
keine Rolle, es wird ausschließlich die Schrift-
sprache eingeübt. Am Anfang steht das Erlernen
der gesamten Grammatik nach einem festgeleg-
ten Curriculum, die Kenntnis von Wörtern und
Grammatikregeln wird als entscheidend angese-
hen. Dies geschieht durch Übersetzungen und
besonders mit Hilfe von Übungssätzen (Lücken-
sätzen), die auf die jeweilige grammatische Un-
terrichtseinheit zugeschnitten sind. Nach dem
Erlernen der Grammatik werden die Lektüre
und die Übersetzung zielsprachiger Texte betrie-
ben. Dabei stehen literarische Texte und narra-
tive Texte über wichtige Persönlichkeiten aus
Kunst, Literatur und Politik im Mittelpunkt.
Die G. ist stark an der kognitiven Durchdrin-
gung des Sprachsystems ausgerichtet (ä Kogniti-
vierung). Die Sprechfertigkeit (ä Sprechen) hin-
gegen wird vernachlässigt, da diese nicht als
dem übergreifenden Lernziel der allgemeinen
Geistesbildung der Schüler zuträglich angese-
hen wird. In der Debatte Ende des 19. Jh.s um
die Ausrichtung des FUs wurde insbesondere
durch Wilhelm Viëtor (ausgelöst durch seine
Schrift Der Sprachunterricht muß umkehren!
von 1882) in Abgrenzung von der G. die Förde-
rung der mündlichen Sprachkompetenz gefor-
dert. Diese Schrift gilt als Manifest einer grund-
sätzlichen Neuorientierung des Englisch- und
Französischunterrichts (vgl. Schröder 1984).
Viëtor hatte in England gearbeitet und war an
einer höheren Mädchenschule tätig. Er wurde
später Professor der englischen Philologie in
Marburg und gilt als der ›Vater‹ der neusprach-
Quelle: Karl Ploetz: Elementarbuch der französischen
lichen Reformbewegung (ä Reformpädagogik)
Sprache. Bln 371887 [1848.
und später dann der ä Direkten Methode.
Die nebenstehende Abbildung aus dem Lehr-
buch der französischen Sprache von Karl Plötz
Grammatik-Übersetzungs-Methode 118

(1848) verdeutlicht das methodische Vorgehen


in der G. sehr anschaulich: Jede Lektion wird
durch einige grammatische Formen eingeleitet,
H
auf welche die entsprechenden Regeln folgen.
Auf diese Darbietung eines eng begrenzten Handlungskompetenz. Sprachliche H. kann als
Sachverhalts folgen Übersetzungsübungen »die Fähigkeit des Menschen, mit anderen im
(ä Übung): zunächst die Übersetzung aus dem Kontext der gemeinsamen Lebenswelt situa-
Französischen, dann die Übersetzung ins Fran- tions- und partneradäquat zu kommunizieren,
zösische. Dabei werden meist Einzelsätze als um sich über bestimmte Inhalte zu verständigen
Ausgangspunkt genommen, die die zu lernende und damit bestimmte Absichten zu verfolgen«,
grammatische Struktur aus der jeweiligen Lek- definiert werden (Bach/Timm 2013, 11). Der
tion enthalten (vgl. Reinfried 2006, 38). Begriff ›Handeln‹ verweist in diesem Kontext
Lit.: H. Decke-Cornill/L. Küster: Fremdsprachendidak- immer auch auf die Konsequenzen sprachli-
tik. Eine Einführung. Tüb. 32015 [2010. – W. Hüllen: cher Äußerungen, auf ihre Eingebundenheit in
Kleine Geschichte des Fremdsprachenlernens. Bln eine realitätsnahe Kommunikationssituation
2005. – F. Klippel: FU (19./20. Jahrhundert). In: Histo- (ä Kommunikation). Sprachliches Handeln und
risches Lexikon Bayerns 2008 (www.historisches-lexi
kon-bayerns.de/artikel/artikel_44705). – M. Reinfried: H. stehen damit in engem Zusammenhang und
Geschichte des FUs bis 1945. In: E. Burwitz-Melzer et sollen den Lernenden die Möglichkeit einräu-
al. (Hg.): Handbuch FU. Tüb. 62016 [1989, 619–625. men, ä Schlüsselqualifikationen auszubilden
– M. Reinfried: Im Rückspiegel. Die ›großen‹ Me- wie Autonomie, Kooperativität und Verantwor-
thoden. Les poids de la tradition. In: A. Nieweler tungsbewusstsein. Der Begriff ist nicht zu tren-
(Hg.): Fachdidaktik Französisch. Stgt 2006, 38–43. –
K. Schröder (Hg.): Wilhelm Viëtor, »Der Sprachunter-
nen von dem Prinzip der ä Handlungsorientie-
richt muß umkehren!«. Ein Pamphlet aus dem 19. Jh., rung und stellt dessen Zielerreichung als Fähig-
neu gelesen. Mü. 1984. AG keit der Lernenden dar, die Verknüpfung zur
Entwicklung von Sozialverhalten mit dem
Lernmedium und Lerngegenstand im FU zu ge-
Graphic Organizer ä Scaffolding stalten. Eine umfassende Sprachhandlungsfä-
higkeit als Ziel des FUs umfasst sowohl den
Inhalts- wie den Beziehungsaspekt, verweist
Gruppenarbeit ä Sozialformen also darauf, dass die fremdsprachlichen Aus-
drucksmöglichkeiten immer auch von den
Ausdrucksfähigkeiten abhängen. Die Arbeit an
einer beide Bereiche umfassenden fremdsprach-
lichen ä kommunikativen Kompetenz stellt da-
mit eine Voraussetzung dar für das Erreichen
von sprachlicher H., die die Lernenden befä-
higt, das ausdrücken zu können, was sie aus-
drücken möchten (vgl. ebd.). Die Arbeit an
Teilkompetenzen (ä Wortschatz, ä Grammatik,
ä Aussprache usw.) ist dafür genauso unerläss-
lich wie ihre Einbettung in kommunikativ-han-
delnde Situationen. Zur Unterstützung sprach-
licher H. ist daher eine Phasierung des Unter-
richts in systematische Übungsphasen (ä Übung)
und stärker inhaltsbezogene Kommunikations-
phasen wichtig. Gleichwohl sollten beide nicht
isoliert voneinander betrachtet werden, sondern
als einander ergänzende Bereiche zur Anbah-
nung fremdsprachlicher H.
Bedenkt man, dass Sprachanwendungsberei-
che im FU in der Regel fremdkulturell determi-
niert sind, muss H. immer auch Aspekte des
kulturellen Kontextes berücksichtigen. Ein FU,
der neben der kulturspezifischen Funktion auch

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_8, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
119 Handlungsorientierung

die Funktion des Englischen als ä lingua franca gestaltung hat sich die H. als vieldiskutiertes
akzentuiert, kann eine Reihe von Schnittpunk- (fremdsprachen-)didaktisches Prinzip etabliert.
ten internationaler Kommunikation für den Einerseits ist die H. eng verknüpft mit einer
Unterrichtskontext nutzbar machen. Europa- funktionalen und sozialen Sicht von Sprache;
kompetenz als Kulturtechnik stellt in diesem andererseits wird sie auch aus allgemein päda-
Sinne eine Weiterentwicklung der H. dar (vgl. gogischer Sicht gestützt (vgl. Doff/Klippel 2007,
Bach 2013, 287). Ziel einer globalen Fremd- 270). Gemäß dem Richtziel der »Befähigung
sprachenkompetenz, die handlungsorientiert der Schüler zu fremdsprachlichem Handeln«
konzipiert ist, muss eine Überwindung der Di- betonen Gerhard Bach und Johannes-Peter
chotomie Schule vs. Leben sein, die außerschu- Timm (2013, 1) die Potenziale der Lebenswelt
lische ä Lehr- und Lernorte und Erfahrungen Schule für den Aufbau einer umfassenden
mit ä entdeckendem Lernen ermöglicht. Die fremdsprachlichen ä kommunikativen Kompe-
Einbeziehung von Flughäfen, Museen, Internet, tenz. Die Verknüpfung von unterrichtlichem
Werbespots usw. in die Handlungsfelder des Handeln und fremdsprachlichem Lernen kann
FUs bietet ein großes Potenzial für primäre Er- als konstitutives Element bezeichnet werden.
fahrungen mit verschiedenen Sprecher/innen H. wird dabei gleichzeitig als Ziel und Methode
der Zielsprache (vgl. Legutke 1988). H. als des FUs diskutiert. Die methodenbezogene De-
Kulturgrenzen überschreitende Kategorie stellt finition von H. manifestiert sich im Sinne eines
sich in vielfältiger Weise den Erfordernissen des Lernens durch Interaktion auf das unterricht-
modernen FUs. Um die Eigenständigkeit der liche Geschehen im Klassenzimmer (ä Unter-
Lernenden zu unterstützen, können Formen der richtsinteraktion). Die zielbezogene Ausrich-
Frei- und ä Projektarbeit, aber auch ä Improvi- tung des Begriffes orientiert sich vornehmlich
sationen und darstellendes Spiel eingesetzt an außerschulischen Lebenswelten und fokus-
werden, um einerseits die ä Motivation, aber siert auf die sprachliche ä Handlungskompe-
auch die Kompetenz im Umgang mit möglichst tenz als der Fähigkeit des Menschen, mit ande-
unterschiedlichen Handlungsszenarien in der ren »im Kontext der gemeinsamen Lebenswelt
Fremdsprache zu erweitern (ä Dramapädago- situations- und partneradäquat zu kommuni-
gik, ä Inszenierung). H. umfasst dabei die Akti- zieren« (ebd., 11). Handlungsorientierter FU
vität des bzw. der Lernenden und die Erprobung ermöglicht es den SuS, im Rahmen authenti-
fremdsprachlicher Kommunikation in situati- scher, d. h. unmittelbar realer oder als lebens-
ven Kontexten. Konsequenzen für die ä Leis- echt akzeptierbarer Situationen (ä Authentizi-
tungsermittlung skizziert Peter Doyé (2003) in tät) inhaltlich engagiert sowie ziel- und part-
seinen Vorschlägen zur Durchführung pragma- nerorientiert zu kommunizieren, um auf diese
tischer ä Tests, die das Globalziel H. integrativ Weise fremdsprachliche Handlungskompeten-
in den Blick nehmen und in einem ganzheitli- z(en) zu entwickeln. Dabei kommt der Ausrich-
chen Kontext umsetzen. tung an den Interessen und Bedürfnissen der
Lit.: D. Abendroth-Timmer/S. Breidbach (Hg.): Hand- SuS eine besondere Bedeutung zu. Die H. erhält
lungsorientierung und Mehrsprachigkeit. Fremd- und einen besonderen Wert allerdings erst dann,
mehrsprachliches Handeln in interkulturellen Kontex- wenn der gesellschaftliche Verwertungszusam-
ten. FfM 2001. – G. Bach: Fremdsprachenkompetenz menhang schulisch vermittelten Wissens für die
als europäische Kulturtechnik. In: Bach/Timm 2013,
269–287. – G. Bach/J. Timm (Hg.): Englischunterricht. SuS erfahrbar gemacht werden kann. Es würde
Grundlagen und Methoden einer handlungsorientier- zu kurz greifen, H. lediglich auf die Formel
ten Praxis. Tüb. 52013 [1989. – P. Doyé: Prüfung der learning by doing zu reduzieren. Vielmehr ist
H. durch pragmatische Tests. In: Bach/Timm 2003, eine Akzentverschiebung hin zu dem über- und
193–207. – M. Legutke: Lebendiger Englischunter- außerschulischen Prinzip des doing what you
richt. Kommunikative Aufgaben und Projekte für
schüleraktiven FU. Bochum 1988. ChL
have learned zu konstatieren (vgl. Viebrock
2009).
Ganzheitlichkeit ist ein zentrales Element der
Handlungsorientierung. Das Prinzip der H. hat H. (ä Ganzheitliches Lernen). In diesem Sinne
sich seit Ende der 1980er Jahre zu einem der richtet sich H. auch gegen eine ›Verkopfung‹
einflussreichsten Konzepte der ä Fremdspra- des Unterrichts. Weitere Prinzipien der H. um-
chendidaktik entwickelt. Sowohl in der fachdi- fassen die Aspekte ä Erfahrungs-, ä Prozess- und
daktischen Grundlagenforschung als auch in ä Lernerorientierung sowie Interaktivität. Da-
der Methodenentwicklung und der Lehrwerk- mit verbunden sind auch Veränderungen in den
Handlungsorientierung 120

Unterrichtsformen. Dies betrifft die Strukturie- stärker als diese auf eine methodische Umset-
rung der Lernprozesse und der unterrichtlichen zung in verschiedenen Phasen fokussiert. Auf-
Interaktionen, aber auch Konzepte wie Unter- gabenorientiertes Fremdsprachenlernen orien-
richtsziele und -inhalte, Lern- und ä Sozialfor- tiert sich an einem dreiphasigen Aufbau (vgl.
men oder die Rolle von ä Fehlern. Als Groß- Willis 1996), bei dem zwischen einer Vorberei-
konzept ist der Begriff der H. in seiner inhaltli- tungsphase zur ä Vorentlastung und themati-
chen Ausdifferenzierung nicht eindeutig schen Sensibilisierung, dem eigentlichen task
festgelegt. Während Bach/Timm (2013) H. als cycle und einer sprachorientierten Phase unter-
übergeordnetes Konzept begreifen, steht diese schieden wird. Im Gegensatz dazu ist der An-
bei Frank Haß gleichberechtigt neben anderen satz der H. freier in der Unterrichtsgestaltung
Leitideen wie Schülerorientierung, Erfahrungs- und stellt eher ein übergreifendes Unter-
basiertheit, Prozessorientierung und Lernerau- richtsprinzip dar, während task-based learning
tonomie. Für Ralf Weskamp und Wolfgang als Unterrichtsverfahren zu bezeichnen ist (vgl.
Gehring stellt der handlungsorientierte Ansatz Doff/Klippel 2007, 271). Als mehrdimensiona-
dagegen eher eine historische Phase dar, die be- les Unterrichtsprinzip, das die Lernenden mit
reits von anderen Entwicklungen abgelöst wird ihren kommunikativen Bedürfnissen in den
(vgl. Viebrock 2009). Mittelpunkt stellt, hat der Ansatz der H. in
Im literaturdidaktischen Kontext spielt der höchst unterschiedliche Bereiche der Fremd-
Doppelbegriff der ›Handlungs- und Produkti- sprachendidaktik hineingewirkt und ist dazu
onsorientierung‹ eine große Rolle und wird zur angetan, als integratives Konzept Perspektiven
Abgrenzung gegenüber einer vorwiegend an für das Lehren und Lernen fremder Sprachen in
rationalen Verfahren der Textanalyse ausge- spezifischen Kontexten beizusteuern (vgl.
richteten methodischen Grundlage für den Li- Abendroth-Timmer et al. 2009).
teraturunterricht gebraucht (ä Literaturdidak-
tik). Wenn die H. hier um den Aspekt der Pro- Lit.: D. Abendroth-Timmer et al. (Hg.): H. im Fokus.
duktionsorientierung ergänzt wird, so wird FfM 2009. – G.Bach /J.Timm: H. als Ziel und als Me-
thode. In: Dies. (Hg.): Englischunterricht. Grundlagen
damit der Fokus auf die eigene, häufig kreative und Methoden einer handlungsorientierten Praxis.
Schöpfung von Texten oder Textteilen gelenkt. Tüb. 52013 [1989, 1–22. – I. De Florio-Hansen: Ko-
Dass das Begriffspaar der H. und Produktions- operative und handlungsorientierte Lernformen. In:
orientierung dennoch nicht synonym zu fassen Praxis FU 12/1 (2015), 5–6. – S. Doff/F. Klippel: Eng-
ist, wird bei allen Schwierigkeiten exakter lisch-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe
I und II. Bln 2007. – C. Surkamp: Handlungs- und
Trennschärfe deutlich in einer Gegenüberstel- Produktionsorientierung im fremdsprachlichen Lite-
lung handlungs- und produktionsorientierter raturunterricht. In: W. Hallet/A. Nünning (Hg.): Neue
Aufgaben bei Carola Surkamp (2007). Dies Ansätze und Konzepte der Literatur- und Kulturdi-
manifestiert sich in einer Unterscheidung von daktik. Trier 2007, 89–106. – B. Viebrock: Unsere
zwei Grundformen von Schüleraktivitäten, Besten. Handlungsorientierter Englischunterricht und
was nach der Jahrtausendwende daraus geworden ist.
denn mit dem Begriff der H. ist hier häufig eine
In: Abendroth-Timmer et al. 2009, 41–54. – J. Willis:
ästhetisch-künstlerische Tätigkeit im handeln- A Framework for Task-Based Learning. Ldn 1996.
den Umgang mit Texten gemeint. Der Aspekt ChL
der Produktionsorientierung dagegen bezieht
sich stärker auf das eigene Erzeugen von Tex-
ten, das allerdings durchaus auch mit kreativer Hattie-Studie. Die H. wurde von John Allan
Eigenleistung bewerkstelligt wird und in der Clinton Hattie, einem neuseeländischen Bil-
schulpraktischen Umsetzung auch nicht strikt dungsforscher, verfasst. Hattie lehrt derzeit als
von handlungsorientierten Verfahren getrennt Professor für Erziehungswissenschaften an der
werden sollte. Universität Melbourne, ist Direktor des Mel-
H. wird begrifflich gelegentlich dem Ansatz bourne Education Research Institute und wurde
des ä aufgabenorientierten Lernens an die Seite 2011 für seine Leistungen im Fachgebiet der
gestellt (vgl. Doff/Klippel 2007, 270). Beide Pädagogik zum Officer des New Zealand Or-
Konzepte ähneln sich in ihrer Betonung eines der of Merit (ONZM) ernannt. Die H. wurde
für die Lernenden erkennbaren sinnhaften Zu- 2009 unter dem Titel Visible Learning: A Syn-
sammenhangs. In gewisser Weise wird das auf- thesis of over 800 Meta-Analyses Relating to
gabenorientierte Lernen als Weiterentwicklung Achievement veröffentlicht. 2012 erschien mit
des Großkonzepts der H. verstanden und ist Visible Learning for Teachers eine praxisbezo-
121 Hattie-Studie

gene Handreichung für Lehrpersonen, in der für einzelne Faktoren von d ≥ .40 haben eine
die Forschungsergebnisse aus der H. für den Wirkung in Bezug auf den Lernerfolg der SuS.
Einsatz im Unterricht aufgearbeitet wurden. Noch genauer ausdifferenziert kann bei Effekt-
Als eine quantitative Metaanalyse von 815 stärken zwischen d ≤ .40 und d ≤ .60 von deut-
internationalen Metaanalysen (rechnerische lichen Effekten und bei Effektstärken ab .60
Zusammenfassung und Analyse von Primärda- von sehr starken Effekten gesprochen werden
ten aus 50.000 Einzelstudien) stellt die H. die (vgl. Steffens/Höfer 2013; Lotz/Lipowsky 2015).
bisher umfassendste Datenbasis empirischer Die H., die als »Meilenstein in der Debatte
Unterrichtsforschung dar (ä Empirie). Im Er- um Voraussetzungen und Bedingungen erfolg-
gebnis identifiziert die Studie 138 Faktoren, reichen Lernens in der Schule« (Terhart 2014,
die  auf den Lernerfolg von SuS unterschied- 10) beschrieben wurde, weist – wie die meisten
lich starke Effekte ausüben. Die einzelnen Fak- derartiger Metaanalysen – ihre methodischen
toren werden sechs Untersuchungsbereichen als Problemstellen auf. Hingewiesen sei v. a. darauf,
Determinanten des Lernerfolgs zugeordnet: »dass die methodische und inhaltliche Quali-
Lernende (7 Faktoren, 35 Metaanalysen), Leh- tät  der in die Analyse einbezogenen einzelnen
rende (10 Faktoren, 31 Metaanalysen), Eltern- Studien sehr unterschiedlich ist; dass über die
haus (19 Faktoren, 139 Metaanalysen), Cur- jeweils untersuchten Maßnahmen und über die
riculum (25 Faktoren, 144 Metaanalysen), Güte ihrer empirischen Erfassung keine Aus-
Schule (28 Faktoren, 101 Metaanalysen) und kunft gegeben wird; dass [… die meisten [Stu-
Unterricht (49 Faktoren, 365 Metaanalysen). dien aus den 1980er und 1990er Jahren stam-
Welchen Einfluss die einzelnen Faktoren auf men und damit nicht immer den aktuellen Er-
den Lernerfolg von SuS haben, wird in der H. kenntnisstand widerspiegeln [… und dass
mit Effektstärken dargestellt. Der von Hattie Aussagen über das Zusammenwirken der ein-
errechnete hinge point für die Wirksamkeit der zelnen Faktoren (auch in einem Gesamtzusam-
Faktoren liegt bei d = .40, d. h., Effektstärken menhang) methodenbedingt nicht möglich

Faktoren mit sehr Faktor Bereich d


starken Effekten Selbsteinschätzung des eigenen Leistungsniveaus Lernende 1.44
(d ≥ .60)
Kognitive Entwicklungsstufe Lernende 1.28
Formative Evaluation des Unterrichts Unterricht .90
Micro-Teaching Lehrperson .88
Klarheit der Lehrperson Lehrperson .75
Feedback Unterricht .73
Lehrer-Schüler-Beziehung Lehrperson .72
Meta-kognitive Strategien Unterricht .69
Vorausgehendes Leistungsniveau Lernende .67
Faktoren Lerntechniken Unterricht .59
mit Direkte Instruktion Unterricht .59
deutlichen
Häusliches Anregungsniveau Elternhaus .57
Effekten
(zw. 40 ≤ und Sozioökonomischer Status Elternhaus .57
d ≤ .60) Ziele Unterricht .56
Klassenzusammenhalt Schule .53
Effektive Klassenführung Schule .52
Elternunterstützung beim Lernen Elternhaus .51
Motivation Lernende .48
Fragenstellen Lernende .46
Tabelle 1: Ausgewählte Faktoren mit deutlichen bzw. starken Effekten auf den Lernerfolg
(Lotz/Lipowsky 2015, 103; gekürzt und adaptiert)
Hattie-Studie 122

sind« (Steffens/Höfer 2013, 11). Weitere Kritik Förderung der ä Kreativität, ä Individualisie-
erfährt die H. u. a. wegen ihrer Überbetonung rung des Unterrichts. Was die Formen von H.
rein kognitiver Faktoren bei Vernachlässigung betrifft, kann man zwischen nacharbeitenden
affektiver und sozialer Aspekte (vgl. De Florio- H. (z. B. Ausfüllen eines Lückentextes), weiter-
Hansen 2014). Insgesamt wird die H. im fremd- arbeitenden H. (z. B. Veränderung von im Un-
sprachendidaktischen Diskurs im Wesentlichen terricht behandelten Texten), wiederholenden
als ein Plädoyer »für eine Balance aus Instruk- H. (z. B. Vokabellernen) und vorarbeitenden H.
tivismus und Konstruktivismus« (Klippel 2016, (z. B. Anhören und Zusammenfassung eines
209) rezipiert. Dabei liegt das bewusste Kre- podcast) unterscheiden (vgl. ebd.). Übend-ein-
ieren entsprechender Lernsettings in der Ver- schleifende und festigend-wiederholende For-
antwortung der Lehrerinnen und Lehrer. men sind unabdingbar für nachhaltiges Lernen.
Lit.: I. De Florio-Hansen: Lernwirksamer Unterricht. Neben diesen eher geschlossenen Typen sind
Eine praxisorientierte Anleitung. Darmstadt 2014. – aber auch offenere H. sinnvoll, welche zur Indi-
J.  Hattie: Visible Learning. A Synthesis of over 800 vidualisierung, ä Differenzierung und Selbstän-
Meta-Analyses Relating to Achievement. Ldn 2009. – digkeit beitragen. Die Individualität erschöpft
J. Hattie: Visible Learning for Teachers. Ldn 2012. –
F.  Klippel: Teaching Languages, Sprachen lehren. sich dabei nicht in der freien Wahl von Ort, Zeit
Mü  2016. – M. Lotz/F. Lipowsky: Die H. und ihre und Tempo der H.erledigung, sondern beinhal-
Bedeutung für den Unterricht. Ein Blick auf ausge- tet auch, dass die H. auf den individuellen Leis-
wählte Aspekte der Lehrer-Schüler-Interaktion. In: tungsstand der SuS bezogen sind, subjektive
G. Mehlhorn/F. Schulz/K. Schöppe (Hg.): Begabungen Relevanz für den Einzelnen entfalten, die jeweils
entwickeln und Kreativität fördern. Mü. 2015, 97–
136. – U. Steffens/D. Höfer: Die H. Forschungsbilanz
unterschiedlichen Lernprozesse fördern, selb-
und Handlungsperspektiven. In: H. Börner (Hg.): ständiges Arbeiten einüben und auch zur späte-
Lehrerhandeln und Lernerfolg. Die H., Ergebnisse ren fremdsprachlichen Kommunikation mit den
und Perspektiven. Bad Berka 2013, 10–35. – E. Ter- Mitschüler/innen und der Lehrkraft animieren.
hart: Der Heilige Gral der Schul- und Unterrichtsfor- Ein breites Angebot unterschiedlicher H.typen
schung – gefunden? Eine Auseinandersetzung mit Visi-
ist dabei vonnöten: neben produkt- auch pro-
ble Learning. In: Ders. (Hg.): Die H. in der Diskussion.
Probleme sichtbar machen. Seelze 2014, 10–23. zessorientierte Formen, neben kurzfristigen
NG/AJ auch längerfristige H., neben form- auch in-
haltsorientierte Varianten und solche, die ver-
schiedene ä Kompetenzen und Sprachsubsys-
Hausaufgaben. Über Sinn und Unsinn von H. teme ansprechen (vgl. Thaler 2008). Wenn eine
wird diskutiert, seit es Schule gibt – mit päd- Aufgabe nicht zu geschlossen ist, erlaubt sie
agogischen, allgemeindidaktischen, psychologi- dem bzw. der Lernenden, eigene Ideen, Interes-
schen, sozialen und medizinischen Argumenten. sen und Inhalte einzubringen. Ersetzt man ein
Kritiker verweisen auf mentale Erschöpfung, und dieselbe Aufgabe für alle durch eine Aus-
Reduzierung der Freizeitaktivitäten, thematische wahl an verschiedenen H., aus die der bzw. die
Übersättigung, Verstärkung des Elterndrucks Lernende die ihn bzw. sie interessierende aus-
auf die Kinder, Verlockung zum Betrug und Pri- wählen kann, wird den Prinzipien von Differen-
vilegierung sozial stärkerer Schichten. Auf dem zierung und Individualisierung Rechnung ge-
Gebiet der ä Fremdsprachendidaktik findet erst tragen. Inzwischen gibt es auch – neben den
ab den 1970er Jahren eine verstärkte Auseinan- traditionell geschlossenen, übenden, einheit-
dersetzung mit Legitimation, Funktionen, For- lichen H. – eine Reihe von Vorschlägen für of-
men, Kontrolle und Korrektur von H. statt. Vor fenere H. Um den unterschiedlichen Interes-
dem Hintergrund einer Neuorientierung des FUs sen der SuS gerecht zu werden, empfiehlt z. B.
gewinnen Konzepte wie ä autonomes Lernen, Woodward (2001) die Vorbereitung eines ein-
ä Prozessorientierung, ä Kreativität und ä offener minütigen Referats über ein frei gewähltes
Unterricht an Bedeutung und führen auch zu ei- Thema, die semantisierende Präsentation von
ner differenzierteren Reflexion von H. drei neuen Vokabeln, die Kurzzusammenfas-
H. können folgende Funktionen erfüllen (vgl. sung eines gelesenen Textes, die Beschreibung
Heuer/Klippel 1987): ä Übung (im Unterricht eines seltsamen Objektes, die Erstellung eines
eingeführter Aspekte), Training (von Arbeits- Wörtersuchrätsels oder das Selbstgespräch in
und ä Lerntechniken), Rückmeldung (für die der Zielsprache. Eine Ideenbank mit vielen
SuS über ihren Leistungsstand), Entlastung (der handlungsorientierten H., die in den verschie-
Lehrkraft und Unterrichtszeit von Aufgaben), densten Lernsituationen eingesetzt werden
123 Herkunftssprache

können, liefert Pauels (1996). Dass es motivie- können, z. B. durch das Einbringen eigener Vor-
rendere Wege des Wortschatzerwerbs gibt als schläge oder vorbereitende H. In der Folge-
das monotone Abdecken der englischen oder stunde (oder später bei längeren Arbeiten) muss
deutschen Vokabeln, zeigt Aßbeck (1996). eine (inhaltliche und/oder formal-sprachliche)
Um eine schülerorientierte Rekapitulation Rückmeldung zur erledigten H. erfolgen. Wenn
des Stundengeschehens zu ermöglichen, können die Erledigung der H. nicht kontrolliert wird,
action logs eingesetzt werden: Die SuS schrei- ist die Verlockung groß, sie zu vergessen. Ihre
ben nieder, was sie in der abgelaufenen Stunde Bedeutung für den weiteren Unterrichtsverlauf
(nicht) gelernt haben, was ihnen (nicht) gefallen büßt sie damit ein. Alternativen zur zeitaufwän-
hat und was sie sich für die nächste Stunde digen Durchsicht aller Hefte sind die gemein-
(nicht) wünschen. Ein weiteres kooperatives same Korrektur in der Klasse, die Partnerkor-
Verfahren ist das dialogue journal, bei dem die rektur oder das Einsammeln einer Auswahl von
Konversation zwischen Lehrkraft und einzel- Heften.
nem Schüler bzw. einzelner Schülerin schriftlich Während an Vorschlägen für H.formen in-
in einem vertraulichen Notizbuch festgehalten zwischen kein Mangel mehr herrscht, erscheint
und in regelmäßigen Abständen zwischen den die empirische Überprüfung im FU äußerst de-
zwei Personen ausgetauscht wird. Die Schülerin fizitär. Die Auswertung vorhandener Studien
bzw. der Schüler kann sich alles vom Herzen zeigt jedoch deutlich, dass es eine positive Rela-
schreiben und erhält regelmäßige Übung im tion zwischen den H. und der Leistung gibt: Je
natürlichen, bedeutungsvollen Schreiben (mean- mehr H. gegeben wurden, desto bessere Schul-
ing-centred writing), während die Lehrkraft mit leistungen wurden tendenziell erbracht (vgl.
authentischen Kommentaren antwortet, auf Thaler 2008).
formale Korrektur verzichtet, dafür den Ju- Lit.: J. Aßbeck: Schaut euch dann bis zur nächsten
gendlichen bzw. die Jugendliche besser kennen- Stunde die Wörter an. In: Der Fremdsprachliche Un-
lernt. Radikale Forderungen stellt Freudenstein terricht Englisch 22 (1996), 25–30. – R. Freudenstein:
(1996), der sich gegen obligatorische H. im Pri- H.? Ja, aber … Grundsätze für eine neue Sprachlern-
praxis. In: Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch
marbereich stellt, das Stellen einer einzigen H. 22 (1996), 10–13. – H. Heuer/F. Klippel: Englischme-
für alle SuS einer Klasse ablehnt und H. in der thodik. Bln 1987. – W. Pauels: Veränderte Funktionen
Oberstufe ausschließlich als freiwilliges Ange- von (Haus-)Aufgaben in einem veränderten Englisch-
bot sehen möchte. Der Verzicht auf den Ver- unterricht. In: Der Fremdsprachliche Unterricht Eng-
pflichtungscharakter verführt allerdings in der lisch 22 (1996), 4–9. – E. Thaler: Offene Lernarrange-
ments im Englischunterricht. Mü. 2008, 267–269. –
Praxis zum Nichtstun und ist mit einem noch T.  Woodward: Planning Lessons and Courses. Cam-
nicht genügend trainierten Verantwortungsbe- bridge 2001. ET
wusstsein allein nicht zu entschuldigen. Wer ei-
nen Kompromiss zwischen obligatorischer und
fakultativer Erledigung anstrebt, kann die opti- Herkunftssprache. Der Begriff H. (heritage lan-
onale Variante wählen, d. h. von einer Auswahl guage) wurde aus dem Englischen entlehnt und
mehrerer H. muss (mindestens) eine gemacht bezeichnet die oft zuerst erworbene Sprache
werden. eines Individuums, das in einer Familie auf-
Eine prozessorientierte Perspektive muss ne- wächst, in der nicht (nur) die Sprache der
ben der eigentlichen Erledigung der H. durch umgebenden Mehrheitsgesellschaft verwendet
die SuS am Nachmittag (oder in der Freistunde) wird (vgl. Polinsky 2015). H.nsprecher/innen
auch die Phase davor (Ausstieg) und die Phase (heritage speakers) können sowohl simultan
danach (ä Feedback) berücksichtigen. Der Aus- mit zwei Familiensprachen aufwachsen als
stieg aus einer Stunde sollte bereits einige Mi- auch zuerst nur die H. erwerben. Die Fähigkei-
nuten vor dem Gong beginnen, eine sich har- ten von H.nsprechern reichen von rudimen-
monisch aus dem Stundenthema ergebende H. tären rezeptiv-mündlichen bis zu nahezu mut-
stellen, diese präzise und für alle verständlich tersprachlichen ä Kompetenzen. Ein heritage
formulieren und am günstigsten immer an der speaker wurde entweder schon im Aufnahme-
gleichen Stelle (z. B. Seitentafel) schriftlich fixie- land geboren oder ist noch vor dem Schulein-
ren. Da der Abschluss einer Stunde gleichzeitig tritt immigriert, wächst somit seit der Kindheit
auf Neues verweist, kann dabei auch die Pla- in einer mehrsprachigen Lebenswelt auf. Da die
nung der Folgestunde thematisiert werden, Umgebungssprache sich bald zur dominanten
wobei SuS in diese Planung integriert werden Sprache entwickelt, wird die H. oft nicht voll-
Herkunftssprache 124

ständig erworben (vgl. Lynch 2003). Charakte- www.nhlrc.ucla.edu/nhlrc). In Deutschland be-


ristisch sind zudem Sprachentransfer (ä Trans- findet sich die Entwicklung einer eigenen H.n-
fer) einschließlich codeswitching (ä Zweispra- didaktik und entsprechender Lehrmaterialien
chigkeit) sowie Sprachverlust (language noch am Anfang (vgl. Mehlhorn 2017). Um
attrition), d. h. dass in der H. bereits erworbene die ä Mehrsprachigkeit von SuS mit Migrati-
Formen wieder vergessen werden. Durch die onshintergrund als Ressource zu nutzen, soll-
hauptsächliche Nutzung als Familiensprache ten H.n in andere Schulfächer einbezogen und
bleibt der Input in der H. auf wenige Kontakt- für das Lernen produktiv genutzt werden.
personen und Register begrenzt und ist nicht Lit.: A. Lynch: The Relationship Between Second and
vergleichbar mit dem von monolingual auf- Heritage Language Acquisition. Notes on Research
wachsenden Gleichaltrigen im Herkunftsland. and Theory Building. In: Heritage Language Journal
Herkunftssprachlicher Unterricht (HSU) dient 1 (2003), 26–43. – G. Mehlhorn: H.n im deutschen
Schulsystem. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen
dem Erhalt und Ausbau der H., führt in die 46/1 (2017), 43–55. – M. Polinsky: Heritage Langu-
Schriftsprache ein und thematisiert Unter- ages and their Speakers. State of the Field, Challen-
schiede zwischen Bildungs- und Alltagssprache ges, Perspectives for Future Work, and Methodolo-
sowie zwischen der migrationsspezifischen Va- gies. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung
rietät und der im Herkunftsland verwendeten 26/1 (2015), 7–27. – H. H. Reich: H.nunterricht. In:
E. Burwitz-Melzer et al. (Hg.): Handbuch FU. Tüb.
Standardsprache. Die Anerkennung des HSU 6
2016 [1989, 221–226. GM
als 2./3. Fremdsprache in der Sekundarstufe
(wie in NRW) sowie in bilingualen Schulen mit
H.n als Partnersprachen sind selten im deut- Heterogenität bezeichnet im schulischen Kon-
schen Schulsystem; die Normalform des HSU text die lernrelevante Verschiedenheit der SuS.
(Reich 2016, 222) stellen unverbindliche Un- Diese kann sich auf sozio-ökonomische H. (z. B.
terrichtsangebote von Vertretungen der Her- häusliche Arbeitsbedingungen, Wohnverhält-
kunftsstaaten, Migrantenorganisationen, kirch- nisse), sozio-kulturelle H. (z. B. Gender, Migra-
lichen Einrichtungen, kulturellen Vereinen und tion, Religion, interkulturelle Erfahrungen,
Elterninitiativen dar, die unter erschwerten Einstellung der Eltern zu Schule und Beruf),
Rahmenbedingungen stattfinden: geringe Stun- gesundheits- und körperbezogene H. (z. B. Be-
denzahl, jahrgangsübergreifende Lerngruppen, hinderung, körperliche Befindlichkeiten) oder
Kurse in Randzeiten am Nachmittag oder Wo- personenbezogene und psychische H. (z. B. in-
chenende, längere Anfahrtswege, geringe Be- dividueller Entwicklungsstand, chronologisches
zahlung der Lehrkräfte, große Fluktuation der Alter und Entwicklungsalter, intellektuelles Leis-
Lernenden. Die größte Herausforderung be- tungsvermögen, Lernstil, Arbeitstempo, Inter-
steht in den äußerst heterogenen Sprachkompe- esse, Disziplin) sowie sprachliche H. (z. B.
tenzen der SuS (ä Heterogenität). H.nlehrkräfte ä Herkunftssprachen) beziehen. Differenzie-
sind meist Muttersprachler, aber nicht immer rende und individualisierende Maßnahmen und
für die Vermittlung der H. ausgebildet. Methoden stellen unterrichtspraktische Reaktio-
Viele SuS besuchen auch regulären FU in ihrer nen auf die H. einer Lerngruppe dar (ä Diffe-
H. und bringen größeres Vorwissen ein als ihre renzierung, ä Individualisierung).
gleichaltrigen Mitschüler/innen, was gezielte H.sdiskussionen wurden seit den 1960er
Binnendifferenzierung (ä Differenzierung) er- Jahren, speziell im Zuge des Hamburger Ab-
fordert. kommen (ä Geschichte des FUs) geführt, das
Anliegen der H.nforschung sind u. a. die »Englischunterricht für Alle« realisierte. Da-
Beschreibung der Bandbreite an herkunfts- durch war Englischunterricht kein Selektions-
sprachlichen Kompetenzen, die Untersuchung mittel mehr, sondern wurde in allen Schulfor-
von Spracherhalt und -verlust in der H. sowie men auf unterschiedlichen Niveaustufen ange-
die Verbesserung des Unterrichts in der H. boten. In der aktuellen Diskussion wird H.
(vgl. Polinsky 2015, 9). Zurzeit dominieren so- vielseitiger betrachtet. Selbst wenn eine äußere
ziolinguistische, psycholinguistische und kon- Differenzierung durch ein mehrgliedriges Schul-
taktlinguistische Studien. In den USA und in system die vordergründige Reaktion auf hete-
skandinavischen Ländern gibt es schon seit rogene Lerngruppen darstellt, gibt es zahlreiche
längerem eine fachdidaktische Auseinander- Möglichkeiten, der H. von Lerngruppen durch
setzung mit H.nlernenden (vgl. das National Binnendifferenzierung gerecht zu werden, z. B.
Heritage Language Resource Center, http:// durch entsprechendes Material, Methoden
125 Hörspiele

(ä Methodik), ä Sozialformen und Inhalte. Ent- immer wieder Bezüge zu den Herkunftsspra-
sprechend des Grundsatzes der ä Inklusion, chen der SuS geben. Im Sinne einer aufgeklär-
müssen solche Maßnahmen auch im FU umge- ten ä Mehrsprachigkeitsdidaktik kann sprach-
setzt werden, damit eine gleichberechtigte und liche H. zusätzlich gewinnbringend eingesetzt
gleichwertige Teilnahme aller SuS am Unter- werden, um Sprachvergleiche durchzuführen,
richt gegeben ist. Spracherwerbsprozesse (ä Spracherwerb und
Begründet wird ein produktiver Umgang mit Spracherwerbstheorien) generell nachvollzieh-
H. neben lernpsychologischen (unterschiedliche barer zu machen und Sprachbewusstsein (ä Be-
Lerndispositionen) auch mit lerntheoretischen wusstheit/Bewussstmachung) zu entwickeln.
Argumenten, speziell dem ä Konstruktivismus. Lit.: M. Bönsch: H. und Differenzierung. Gemeinsa-
Dieser geht davon aus, dass Lernen ein hoch- mes und differenziertes Lernen in heterogenen Grup-
gradig individueller und subjektiver Prozess ist. pen. Baltmannsweiler 2011. – S. Doff (Hg.): H. im FU.
Daher sind v. a. diejenigen Methoden gewinn- Impulse, Rahmenbedingungen, Kernfragen, Perspekti-
ven. Tüb. 2016. GA
bringend, die aktive und individuelle Auseinan-
dersetzungs- und Aneignungsprozesse auf Sei-
ten der SuS ermöglichen. Eine zentrale Konse- Hören ä Hörverstehen
quenz aus der internationalen ä PISA-Studie ist,
dass alle SuS von heterogenen Lerngruppen
profitieren. Durch PISA konnte verdeutlicht Hör-Seh-Verstehen ä Filmkompetenz, ä Hörver-
werden, dass die Länder, in denen H. als Alltag stehen, ä Visuelle Kompetenz
in Gesellschaft und Schule verstanden wird und
die SuS nicht selektiert werden, bei Leistungs-
vergleichen am besten abschnitten. Hörspiele gibt es seit den 1920er Jahren; sie
Durch schulpolitische Veränderungen, z. B. wurden zunächst im Radio übertragen und
die Tendenz zum zweigliedrigen Schulsystem später auf Tonträgern wie Kassetten und CDs
und die Abschaffung von Förder- und Sonder- vertrieben. Seit Ende des 20. Jh.s wächst der
schulen, steigt die H. der SuS, was für viele H.-Markt mit Original-H.n sowie mit Tonbe-
Lehrpersonen eine Herausforderung darstellt, arbeitungen von Romanen, Kurzgeschichten
v. a. im Hinblick auf standardisierte Schulab- und Dramen rasant und zeugt von der großen
schlüsse und Kompetenzraster (ä Kompetenz). Beliebtheit auditiv vermittelter Literatur, auch
Durch die Verschiebung einer Input- hin zur mittels Download, Stream oder Podcast. In-
Output-Orientierung sind Lehrpersonen ange- nerhalb der ä Fremdsprachendidaktik wird von
halten, mit möglichst allen SuS festgelegte einem engen und einem weiten H.begriff aus-
ä Standards zu erreichen. Gleichzeitig sollen gegangen: Während der enge H.begriff aus-
SuS individuell gefördert und gefordert werden, schließlich auf literarische Original-H. bezo-
was zu einer Beibehaltung, wenn nicht gar Ver- gen ist, die sich im Wesentlichen für die Sekun-
stärkung von H. führt. Dieses Dilemma kann darstufe II anbieten, umfasst der weite H.
aufgelöst werden, wenn Bildungsstandards als begriff alle Stücke, »in denen mit den Grund-
Regelstandards verstanden werden, die eine elementen Wort, Musik, Geräusch und Pause
Differenzierung nach oben und unten ermögli- ein fiktives Geschehen im Spiel mehrerer Per-
chen. Wenn unterrichtspraktisch auf H. reagiert sonen unter Verwendung von Dialogen und
wird, sollte sich dies zudem auch in der ä Leis- Monologen entfaltet wird und die Darbietung
tungsbewertung spiegeln. in rein akustischer Form über Tonträger er-
H. kann für den FU produktiv genutzt wer- folgt« (Groene 1998, 348). Der weite H.be-
den, wenn sie in der ä Unterrichtsplanung ent- griff eröffnet eine Vielzahl unterrichtlicher
sprechende Beachtung findet. Methodisch wird Möglichkeiten unter Verwendung unterschied-
v. a. ä offener Unterricht heterogenen Lerngrup- lichster Materialien wie Trivial- und Serien-H.,
pen gerecht, da sich SuS darin entsprechend ih- Tonaufnahmen moderner und klassischer Dra-
rer Lerndispositionen entfalten können. Beim men, speziell für die Sekundarstufe I verfasste
ä kooperativen Lernen bringen sich SuS mit ih- H. oder andere Dialogstücke, Schulfunkhör-
ren unterschiedlichen Fähigkeiten und Fertig- spiele, Dialogszenen der Lehrbücher sowie von
keiten ein und arbeiten gemeinsam an einem den SuS selbst erstellte Skripte und Vertonun-
Produkt. Zwar orientiert sich FU an der Ziel- gen (vgl. ebd.). Dennoch wurden und werden
sprache, jedoch sollte es v. a. im ä frühen FU H. im FU nur vereinzelt eingesetzt. Unterrichts-
Hörspiele 126

praxis und Forschung bleiben weit hinter dem das Wort zu vollem Leben erwecken und Mu-
Boom von H.n auf dem Freizeitmarkt zurück sik und Geräusche eine bedeutungsträchtige
(vgl. Kliewer 2002, 165). Abgesehen von den Atmosphäre evozieren, entfaltet sich das Ge-
Arbeiten von Horst Groene aus den 1980er schehen auf der ›Inneren Bühne‹ des Hörers
Jahren gibt es kaum Literatur über den Einsatz in  einer Abfolge individueller imaginativer
von H.n im FU (vgl. jedoch Surkamp 2008) – Bildvorstellungen« (Groene 1980, 20). (9) Als
und das, obwohl in vielen fachdidaktischen dialogische Textsorte ermöglichen H. Einblicke
Veröffentlichungen über kreative Zugangsfor- in kommunikative Vorgänge, was sich positiv
men zu literarischen Texten und in einer Viel- auf die Sprechfähigkeit auswirken kann: »die
zahl von ä Lehrplänen explizit auf die produk- Reziprozität der Partnerbeziehungen und die
tive H.arbeit (z. B. in Form der Umwandlung Bedeutung der Antizipation; der Unterschied
eines lyrischen, dramatischen oder narrativen zwischen dem Beziehungs- und dem Inhalts-
Textes in ein H.) verwiesen wird. aspekt zwischenmenschlicher ä Kommunika-
Der Einsatz von H.n bietet sich aus mehre- tion; die Auswirkungen unterschiedlicher Rol-
ren Gründen für den FU an (vgl. Groene 1980, lenbeziehungen; die Intentionen der Gesprächs-
11–34): (1) Die Verwendung unterschiedlicher partner, die Strategien, die sie verfolgen, und
ä Medien bringt Abwechslung ins Unterrichts- die Mittel, die sie zur Erreichung ihrer Ziele
geschehen und kann dadurch motivierend wir- einsetzen; Kommunikationsstörungen und
ken (ä Motivation). (2) Als auditiv vermittelte -schwierigkeiten, ihre Ursachen und Mittel und
Texte können H. zur intensiven Schulung des Wege zu ihrer Überwindung« (Groene 1980,
für die ä kommunikative Kompetenz der Ler- 20).
nenden wichtigen ä Hörverstehens (Global- wie Beim Einsatz von H.n wird zwischen zwei
Detailverstehen) beitragen. (3) H. präsentieren Arbeitsformen unterschieden: der rezeptiven
die fremde Sprache als Alltagssprache, die v. a. und der produktiven H.arbeit. Bei der rezepti-
bei zeitgenössischen Werken der spontan ge- ven H.arbeit geht es um die Behandlung fertig
sprochenen Sprache nahekommt. (4) Die Re- abgeschlossener H. Im Mittelpunkt stehen die
zeption eines H.s kann das aufmerksame Zu- intensive Hörverstehensschulung sowie insbe-
hören trainieren (vgl. Kliewer 2002), denn die sondere in der Sekundarstufe II die analytische
Lernenden können sich den Sinn des Textes Erschließung von Inhalt, Form und Sinnpoten-
nur durch die Worte und Stimmen der Spre- zial des Stückes von der Tonaufnahme her. Bei
cher/innen erschließen und müssen auf die Un- der produktiven H.arbeit erstellen die Lernen-
terstützung von Mimik und Gestik verzichten. den selbst die Tonaufnahme nach vorheriger
(5) Neben dem Hörverstehen kann die pro- Texterarbeitung und Skriptabfassung. Die we-
duktive Beschäftigung mit H.n auch andere sentlichen Lernziele sind in diesem Fall das
ä Fertigkeiten fördern: das ä Leseverstehen bei kreative Schreiben (ä Kreativität), die Ausspra-
der Arbeit mit dem gedruckten Text (z. B. der cheschulung und die selbständige Erarbeitung
in einen Hörtext umzuformenden literarischen der wichtigsten Ausdrucksformen und Wir-
Vorlage), das ä Schreiben bei der Skripterstel- kungsweisen auditiver Literatur.
lung, das ä Sprechen und die ä Aussprache bei Innerhalb eines prozessorientierten Ansatzes
der H.produktion. (6) Die Phase des Hörver- (ä Prozessorientierung) wird die Arbeit mit H.n
stehens kann zu eigenen (mündlichen und in unterschiedliche Phasen gegliedert: in eine
schriftlichen) sprachlichen Aktivitäten führen, Phase vor dem Hören des Textes (pre-listening
z. B. zu Nacherzählungen, Zusammenfassun- phase), eine das Abhören der Tonaufnahme
gen oder Umformungen (vgl. Hermes 1983, begleitende Phase (while-listening phase) und
94). (7) Das Medium des H.s kann im Litera- eine Phase nach der eigentlichen Hörverste-
turunterricht (ä Literaturdidaktik) als Interpre- hensarbeit (post-listening phase). Die pre-liste-
tationsmittel verwendet werden (vgl. ebd.; ning phase dient dazu, den Lernenden mittels
Kappe 1991, 112): Wenn die SuS ihre Rollen entsprechender Übungen das ä Verstehen zu
akustisch gestalten, so ist dies eine interpreta- erleichtern. Durch die Eingabe unbekannter
torische Leistung, da sie die Handlungsmotive Vokabeln, die Besprechung der möglichen Be-
und Redeabsichten der Figuren nachvollziehen deutung des Titels, die Einführung von Figuren,
müssen. (8) Durch die H.arbeit werden affek- Ort und Zeit des Geschehens sowie die Erläu-
tive und imaginative (ä Imagination) ä Lernziele terung der Ausgangssituation kann auf den
gefördert: »Wenn die Stimmen der Sprecher Wortschatz des H.s vorbereitet und eine Er-
127 Hörspiele

wartungshaltung im Hinblick auf das akustisch (z. B. einen Lehrbuchtext, ein Kurzdrama oder
dargestellte Geschehen geschaffen werden. eine Kurzgeschichte) zu einem H. um; beim
Beides ist für die danach zu erbringende Hör- Eigenentwurf verfassen die Lernenden ein H.
verstehensleistung förderlich. In der while-lis- ohne sprachliche Vorlage. Als Hilfestellung
tening phase unterstützen konkrete Hörauf- dient ihnen lediglich ein struktureller oder
träge die Konzentrationsleistung, da sie die stofflicher Rahmen, z. B. in Form eines Hand-
ä Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte des lungsgerüsts, einer Situationsvorgabe oder der
H.s lenken. Für die Überprüfung des Hörver- bloßen Nennung eines Themas. Die durch Ei-
stehens bietet sich eine Reihe von Aufgaben an genentwurf entstehenden H. umfassen in der
(vgl. Groene 1998, 351): Beantwortung von Regel anfangs nur eine Spieldauer von etwa
Alternativ- (richtig oder falsch?), Multiple- einer bis drei Minuten, während bei Umfor-
Choice- oder Verständnisfragen; Korrektur mungen schon nach wenigen Jahren FU Kurz-
von fehlerhaften Aussagen; Lückentext mit H. von etwa zehn Minuten Dauer möglich
fehlenden Wörtern und Wendungen oder un- sind. Im Sinne der Prozessorientierung ist es
vollständigen Dialogen; Zuordnung von Dia- auch bei der produktiven H.arbeit sinnvoll, in
logteilen zum jeweiligen Sprecher bzw. zur Phasen zu arbeiten (vgl. Groene 1980, 109–
jeweiligen Sprecherin; Banddiktate einzelner 123; Nünning/Surkamp 2016, 299 ff.): Texter-
Passagen; Inhaltsangaben; Szenenprotokolle arbeitung, Skriptanfertigung, Erstellung der
mit Informationen über die Ereignisse, die Dia- Tonaufnahme und Abhören der Endaufnahme
loge, die Figuren sowie über Geräusche und mit Abschlussbesprechung. Die Erstellung des
ä Musik. Skripts kann in verschiedenen Arbeitsformen
Nach dem Hören steht in der Regel die Inter- erfolgen (vgl. Groene 1998, 349): Im Anfangs-
pretation des Stückes im Vordergrund (vgl. unterricht bietet es sich an, die Skriptanferti-
Nünning/Surkamp 2016, 292 ff.). Die besonde- gung im Klassenverband unter Leitung der
ren formalen Merkmale von H.n bestimmen Lehrkraft vorzunehmen; im fortgeschrittenen
sich im Wesentlichen durch die Reduktion auf FU besteht die Möglichkeit zur selbständigen
akustische Bedeutungsträger. Daher sind Laute Gruppenarbeit. In der letzten Phase der H.-
die wesentlichen Ausdrucksträger des H.s. Zur produktion ist das gemeinsame Abhören der
Gattungsspezifik gehören außerdem auf der Aufnahmen wichtig. Dies dient sowohl der
Ebene der Mikrostruktur die Elemente Wort Erörterung der erstellten Vertonungen als auch
und Stimme, Geräusch und Musik, Pause und der Bewertung der Schülerleistungen in inhalt-
Stille, Raumklang und radiophonischer Effekt, licher, sprachlicher und technischer Hinsicht.
die alle wesentlich zur Vermittlung des Gesche- Besonders motivierend für die Lernenden ist
hens beitragen (für eine Übersicht über die es, wenn eigenständig erstellte Aufnahmen ei-
wichtigsten Bauformen von H.n und deren nem größeren Hörerkreis zur Verfügung ge-
Funktionen vgl. ebd., 292 f.). Im Bereich der stellt werden. Die Arbeit mit H.n ist auf allen
Makrostruktur sind besondere Merkmale auf Klassenstufen durchführbar – teilweise sogar
der Handlungsebene, der Ebene der Dialogfüh- mit geringem Zeitaufwand, wenn es z. B. um
rung, der Wahl der Darstellungsperspektive die Fortsetzung der Arbeit mit einem Dialog
und im Gebrauch eines Erzählers bzw. Kom- aus dem Lehrbuch geht. Die selbständige Er-
mentators zu verzeichnen (vgl. ebd., 294 ff.). stellung eines eigenen H.s erfordert hingegen
Zu ihrer Erarbeitung im Unterricht kann auch mehr Zeit und bietet sich daher eher für den
der gedruckte Text herangezogen werden. ä Projektunterricht an.
H. bieten sich auch für den kreativen, hand- Lit.: H. Groene (Hg.): Das H. im Englischunterricht.
lungsorientierten FU an (ä Handlungsorientie- Theorie und Praxis. Paderborn 1980. – H. Groene:
Das H. im modernen FU. In: U. Jung (Hg.): Praktische
rung). So können die SuS das Geschehen aus der
Handreichungen für Fremdsprachenlehrer. FfM 21998
ä Perspektive einer der Figuren darstellen, den [1992, 347–352. – L. Hermes: Hörverstehen und
Inhalt des H.s in eine andere Textsorte übertra- Kreativität. Zum Einsatz eines radio play. In: Englisch
gen oder einzelne Dialoge szenisch umsetzen. 18/3 (1983), 93–97. – G. Kappe: Creative Writing und
Eine besondere Form der kreativen H.arbeit H.produktion auf der Sekundarstufe I. Gymnasial-
ist die eigenständige Produktion von H.n ent- schüler erarbeiten Kurz-H. In: Englisch 21/4 (1986),
137–141. – H.-J. Kliewer: Literatur hören. Überlegun-
weder durch Umformung oder durch einen gen zu einem Curriculum. In: Medien & Erziehung
Eigenentwurf (vgl. Groene 1980). Bei der Um- 46/3 (2002), 164–168. – A. Nünning/C. Surkamp: Die
formung schreiben die Lernenden einen Text Arbeit mit Literatur in anderen Medien II: H. In:
Hörspiele 128

Dies.: Englische Literatur unterrichten. Grundlagen beitung. Weniger erfolgreiche Lernende dage-
und Methoden. Seelze 42016 [2006, 284–304. – gen konzentrieren sich auf bottom-up-Strate-
C. Surkamp (Hg.): Themenheft »Radio Plays«. Der
gien, was die Gefahr birgt, dass sie sich bei der
fremdsprachliche Unterricht Englisch 42/92 (2008). –
W.-D. Weise: British Radio Drama, a Much Neglected Bedeutung einzelner Wörter aufhalten. Offen-
Genre. Some Remarks on its History, Structure and sichtlich führt der Einsatz metakognitiver Stra-
Use in School. In: Neusprachliche Mitteilungen aus tegien (Planen, Überwachen und Steuern, Be-
Wissenschaft und Praxis 50/1 (1997), 37–42. CS werten; ä Metakognition) auch beim H. zu bes-
seren Lernergebnissen (vgl. ebd., 130). Die
Schwierigkeit des Übens dieser sehr komplexen
Hörverstehen. Das H. spielt für alle Kommuni- sprachlich-kognitiven Fähigkeit besteht v. a. da-
kationsprozesse eine wichtige Rolle und stellt rin, dass drei Faktoren in Einklang gebracht
die Voraussetzung für sprachliche Interaktionen werden müssen, nämlich der Vollzug der Tätig-
dar. Im FU wird dem H. und dem H.straining keit des H.s, die Bewusstmachung der dabei
allerdings nicht immer ein angemessener Platz angewandten Verfahren (ä Bewusstheit/Bewusst-
eingeräumt. Tatsächlich machen die sog. rezep- machung) und die Überprüfung des Erfolgs (vgl.
tiven ä Fertigkeiten zwei Drittel der Kommuni- Segermann 2004, 295 f.).
kation aus (vgl. Doff/Klippel 2007, 75) und Die mentalen Prozesse, die beim H. ablaufen,
müssen daher systematisch und regelmäßig ge- zeichnen sich durch eine hohe Komplexität
schult werden. Traditionell strukturierte H.s- aus  und werden durch eine ganze Reihe gei-
stunden, die mit dem Vorspielen eines Hörtex- stiger Aktivitäten bei der Interpretation des
tes beginnen und mit dem Beantworten von re- Input geprägt. Die Wahrnehmung und Selek-
lativ geschlossenen Verständnisfragen enden, tion akustischer Signale vor eventuell vorhan-
tragen zudem wenig zu einer integrativen, die denen Hintergrundgeräuschen führt dabei zu
verschiedenen Fertigkeiten verbindenden Ar- einer ersten Einordnung in einen bestimmten
beit an der fremdsprachlichen ä kommunika- Kontext (Telefongespräch, Restaurantbesuch,
tiven Kompetenz bei. Dies liegt teilweise auch Streitgespräch usw.) und wird durch die gleich-
an der noch weit verbreiteten Einteilung in zeitige oder anschließende Interpretation der
vermeintlich ›aktive‹ und ›passive‹ Fertigkeiten, prosodischen Elemente (Intonation und Rhyth-
die sich für einen modernen FU so nicht auf- mus) sowie der emotionalen Färbung, Stimm-
rechterhalten lässt. Die auditive Dimension höhe, Lautstärke und Sprechgeschwindigkeit
sprachlichen Lernens ist besonders in der flankiert. Zudem erfolgt eine Verknüpfung mit
Deutschdidaktik schon länger etabliert (vgl. individuell unterschiedlichen Beständen des
Wermke 2001). Hören wird hier weniger als fremdsprachlichen Wissens einerseits und des
passiver Prozess betrachtet, dem Lernende aus- Weltwissens andererseits. Ähnlich wie beim
geliefert sind, sondern an dem sie vielmehr aktiv ä Leseverstehen wird auch beim H. bereits be-
partizipieren und an dem sie durch die Aktivie- kanntes Wissen aktiviert und für die Dekodie-
rung vorhandener Wissensschemata (ä Wissen) rung des Hörtextes genutzt. In der Interaktion
konstruktiv teilhaben. zwischen dem Hörinput und dem eigenen
Das H. ist in diesem Sinne von der Hörwahr- Weltwissen wird gemäß der Schematheorie das
nehmung zu unterscheiden. Während es bei der eigentliche H. erst möglich. Anders als beim
Hörwahrnehmung darum geht, einzelne Ele- Leseverstehen wird beim H. allerdings das
mente der Fremdsprache zu identifizieren, ist Tempo der Textaufnahme nicht vom Lernen-
das H. immer auch mit der Erfassung der Be- den selbst bestimmt. Insbesondere im FU tritt
deutung von ganzen Äußerungen oder Texten diese Asymmetrie des Rezeptionsprozesses
verbunden (vgl. Bahns 2006, 126). In der ko- beim Lesen und Hören besonders deutlich zu-
gnitiven Psychologie wird das ä Verstehen als tage. Das Gefühl, von Hörtexten überhaupt
ein Informationsverarbeitungsprozess definiert, nichts verstanden zu haben, wird von SuS
bei dem eingehende Daten mit vorhandenen schnell als frustrierend empfunden und kann
Wissensbeständen abgeglichen werden müssen. den Eindruck einer passiven Rolle im FU ver-
H. ist somit ein komplexer Prozess, bei dem stärken. Die Schwierigkeiten, die sich insbe-
aufsteigende (bottom-up) und absteigende sondere beim Hören fremdsprachlicher Texte
(top-down) Verarbeitungsprozesse ineinander ergeben, haben einerseits mit einer wenig aus-
greifen. Effektive Hörversteher/innen nutzen geprägten ä Automatisierung bei der Identifi-
sowohl top-down- als auch bottom-up-Verar- kation und Interpretation grammatischer
129 Hörverstehen

Strukturen und lexikalischer Einheiten im gehensweise sollte von einer Dreiphasigkeit des
ä Wortschatz zu tun. Andererseits kann auch H.strainings ausgehen (vgl. Bahns 2006, 128):
die Neigung, Einzelwörter möglichst additiv einer Vorphase (pre-listening phase), einer Hör-
verstehen zu wollen, einen ganzheitlichen Re- phase (while-listening phase) und einer Nach-
zeptionsprozess behindern. Fähigkeiten des In- phase (post-listening phase). Die Vorphase dient
ferierens (ä Inferenz) und Antizipierens, die der Einstimmung sowie dem Aufbau einer Er-
auch für muttersprachliche Lese- und Hörpro- wartungshaltung und kann den eigentlichen
zesse wichtig sind, müssen im FU methodisch Hörprozess vorstrukturieren helfen. Dies kann
unterstützt werden, um bei der Bewältigung mit visuellen Impulsen (ä Visualisierung), einem
umfangreichen Hörmaterials komplexitätsre- hinführenden Lesetext, durch Vorinformationen
duzierend zu wirken. von Seiten der Lehrkraft und/oder durch das
Als problematisch ist eine didaktische Vorge- Studium der Höraufgabe selbst erreicht werden.
hensweise zu bezeichnen, bei der die Aufforde- Aufgaben für die Hörphase sollten nicht zu
rung ›gut zuzuhören‹ der Präsentation eines komplex gestaltet sein und wenig Schreibauf-
Hörtextes vorausgeht und abschließend durch wand erfordern, sie sind aber auch abhängig von
die globale Frage nach dem, was verstanden der Art der Darbietung des Hörtextes. Folgende
wurde, zu einer Auseinandersetzung mit den Verfahren sind nach Karbe/Piepho (2000, 122)
Inhalten führen soll. In der Regel führt nämlich denkbar: Einmaliges oder mehrmaliges Hören
die mangelnde Spezifizierung des Hörauftrags ohne Vorbereitung; Hören nach einer Einstim-
zu einer wenig fokussierten Begegnung mit dem mung zum Inhalt; Hören nach sprachlicher Vor-
Hörtext. Hinzu kommt, dass häufig auch Un- entlastung; Hören mit vorheriger Aufgabenstel-
klarheit über die Länge des folgenden Hörma- lung zu inhaltlichen/sprachlichen Aspekten des
terials herrscht. Eine zehnsekündige Lautspre- Textes; Hören mit lückenhafter Textvorlage;
cherdurchsage am Bahnhof unterscheidet sich Hören mit Vorgabe von Schlüsselwörtern; Hö-
aber erheblich von einer fünfminütigen Radio- ren mit Bildvorlage; Hören und Mitlesen des
sendung und stellt dabei ganz andere Anforde- Textes. Für die Aufgabengestaltung während der
rungen an die Verarbeitungskapazitäten der Hörphase liegt eine Reihe von Vorschlägen vor,
Zuhörer/innen. Klare Ankündigungen von Sei- die nach unterschiedlichen Kriterien systemati-
ten der Lehrkraft können in erheblichem Maße siert in den Handbüchern von Ur (1984), Under-
dazu beitragen, dass die nötige Konzentration wood (1989) sowie Jill und Charles Hadfield
bei den Lernenden zielgerichtet eingesetzt wird. (1999) zu finden sind und die von Bahns (2008,
Abhängig davon, ob es sich um eine authenti- 129) kritisch diskutiert werden.
sche (ä Authentizität) oder um eine didakti- H.sleistungen können in unterschiedlicher
sierte Hörsituation handelt, muss ggf. für eine Weise erzielt werden, etwa im vollständigen
angemessene ä Vorentlastung gesorgt werden. Erfassen eines eher kurzen Textes, im selektiven
Auch die Funktion des Hörtextes in einer be- Herausfiltern bestimmter Informationen oder
stimmten Unterrichtsphase beeinflusst metho- im Erfassen der Hauptaussage eines Hörtextes.
dische Entscheidungen. Doff/Klippel (2007, 76) Daher sind einerseits ä Übungen, die sich mit
unterscheiden zwischen den Funktionen der einzelnen Komponenten des Hörprozesses be-
Informationsaufnahme, der Pflege sozialer Be- schäftigen, erforderlich, als auch solche, die
ziehungen, dem Kennenlernen von Meinungen, eine komplexe Hörschulung an Texten unter-
der Wahrnehmung von Sprachmodellen und stützen. Wird in der post-listening phase eine
dem Genießen der Sprache. Tatsächlich scheint Überprüfung der H.sleistung angestrebt, so
die ästhetische Funktion des fremdsprachlichen sind unterschiedliche Formate möglich, die
(Zu-)Hörens häufig genug vernachlässigt zu Karbe/Piepho (2000) differenzieren. Sie nennen
werden, wenn Hören und H. einseitig mit Blick z. B. nonverbale Reaktionen, bei denen die Ler-
auf die Fähigkeit zur Informationsaufnahme nenden Zeichnungen anfertigen, ä Bilder sortie-
trainiert werden. ren oder diesen die korrekten Bildunterschrif-
Für das H.straining spielen grundsätzlich der ten zuordnen. Sprachliche Reaktionen können
Schwierigkeitsgrad des Hörmaterials sowie das in rezeptive (z. B. true-false-Aufgaben), repro-
Alter der Lernenden eine Rolle. Ebenso wichtig duktive (z. B. Wiedergabe von Textinhalten)
ist es aber, den H.sprozess in seiner Phasenhaf- und produktive Verfahren unterteilt werden,
tigkeit zu begreifen und die Lernenden dabei bei denen auch kreative Weiterführungen denk-
aktiv mit einzubeziehen. Die methodische Vor- bar sind.
Hörverstehen 130

Die Besonderheit der Rezeptionssituation weichungen vom Hörtext und können diese
beim Hören, die einerseits durch die Flüchtig- (ggf. auch später) richtigstellen. Höraufgaben,
keit der auditiven Dimension und andererseits bei denen die weggelassene Information erraten
durch die Unveränderbarkeit des Tempos im werden muss, bei denen Geräusche identifiziert
Hörtext charakterisiert ist, muss für Aufgaben- oder die Anzahl der insgesamt sprechenden
stellungen während der Hörphase berücksich- Personen herausgefunden werden soll, stellen
tigt werden. Die gleichzeitige Konzentration andere Anforderungen, können je nach Zielset-
auf den Hörtext und das Anfertigen von Noti- zung in offenen oder geschlossenen Aufgaben-
zen ist nur bedingt möglich. Stark vorstruktu- stellungen realisiert werden und lassen Raum
rierte ä Arbeitsblätter mit Aufgabenstellungen, für individuelle Antworten und kreative Lösun-
die bereits vor dem ersten Hören gründlich gen. Ähnlich verhält es sich bei Verfahren, die
studiert worden sind und die Rezeption des das Zeichnen zum Hörtext vorschlagen. Stär-
Hörtextes systematisch begleiten, können hilf- ker gelenkte Formen sehen Formate wie das
reich sein, um durch stärkere Fokussierung den Eintragen von Symbolen in Karten oder Grund-
Hörprozess unterstützend zu begleiten. Sie soll- risse vor. Aber auch freiere und kreative Gestal-
ten sich deutlich von Aufgabenstellungen der tungen wie z. B. die zeichnerische Gestaltung
post-listening phase unterscheiden, können auf der Grundlage von Liedtexten sind denkbar.
diese aber bereits gezielt vorbereiten. In Ergänzung zu klassischen Formen des H.s-
Der Typologie von Aufgabenstellungen für trainings, das häufig in die Fertigkeitsschulung
die Hörphase nach Hadfield/Hadfield (1999) im Rahmen der Lehrbuchprogression (ä Pro-
liegen sieben unterschiedliche Tätigkeiten zu- gression) eingebettet ist, lässt sich auch das Po-
grunde, die das Hören um jeweils einen einzel- tenzial literarischer ä Hörspiele in den FU ein-
nen Aspekt ergänzen und so zu einer Vielzahl beziehen. Literatur zum Hören bietet viele
möglicher, aber nicht zu komplexer Verfahren Möglichkeiten, um rezeptive und produktive
in der Hörphase führen. Das H. erfüllt hier je- Formen der H.sschulung umzusetzen (vgl. Sur-
weils unterschiedliche Funktionen, je nachdem, kamp 2008). Der Erwerb einer fremdsprachli-
worum es in der Kombination mit dem eigent- chen Hörkompetenz, die klassische Formen des
lichen Hören geht, nämlich entweder listen H.s mit einschließt, wird u. a. durch den Ansatz
and … complete, match, reorder, guess, correct, der ä audio literacy erweitert und fortgeführt.
draw oder do (vgl. Bahns 2006, 129). Die Ty- Mehr als dies in einem rein fertigkeitsorientier-
pologie enthält dabei sowohl Elemente eines ten Ansatz möglich wäre, umfasst die Kategorie
eher kognitiv ausgerichteten H.strainings (Ver- der audio literacy auch die Entwicklung von
vollständigung, Zuordnung, Reihung) als auch Sensibilität für unterschiedliche Hörkontexte
kreativ-produktive Verfahren (Raten, Zeichnen, sowie die Fähigkeit, das Nichtverstehen von
Handeln). Die Ergänzung einzelner Zahlen, Gehörtem auszuhalten und in erhöhte Auf-
Daten oder Fakten in einem vorbereiteten Ar- merksamkeit umzuwandeln. Die Ausbildung
beitsblatt trainiert die Informationsentnahme fremdsprachlichen H.s kann durch Hörerleb-
und fokussiert die ä Aufmerksamkeit auf ein- nisse verschiedener Art unterstützt werden,
zelne Aspekte. Hier kann es auch um die Ver- auch dann, wenn eine fremdsprachliche Verba-
vollständigung von Lückentexten gehen, um lisierung nicht immer unmittelbar im Anschluss
Lautsprecherdurchsagen oder Liedtexte. Bei erfolgt. Globales Hören, Hellhörigkeit für ver-
Zuordnungsaufgaben müssen häufig Informa- bale und nonverbale auditive Erlebnisse sowie
tionen auf einem Arbeitsbogen als zusammen- die Entwicklung akustischen Wissens können
gehörig identifiziert und einander zugeordnet Ansätze ganzheitlichen Hörens und Verstehens
werden. Dies kann durch Nummerierung oder stützen (vgl. Blell 2006, 117). Konzepte fremd-
eine Verbindung mit Strichen erfolgen. Ähnli- sprachlichen H.s lassen sich so unter Einbezie-
ches gilt auch für Übungen, bei denen einzelne hung intermedialer Ansätze (Literatur, Film,
Elemente in die richtige Reihenfolge gebracht ä Musik) mit dem Ziel einer umfassenden
werden müssen. Ein Beispiel hierfür sind Bil- fremdsprachlichen Kommunikationskompetenz
dergeschichten, die während des Hörens geord- integrativ weiterentwickeln (ä Filmdidaktik).
net werden. Das Entdecken von Fehlern kann Das H. ist eng verbunden mit dem Hör-Seh-
hier zusätzlich eingebaut werden. In Kombina- Verstehen. Tatsächlich handelt es sich um zwei
tion mit den weit verbreiteten true-false-ques- eng miteinander verwandte Fertigkeiten, deren
tions identifizieren die Lernenden dabei Ab- systematische Entwicklung konzeptionell inte-
131 Identität und Identitätsbildung

grativ gedacht werden sollte. Hör-Seh-Verste-


hen als bild- und zeichengestütztes H. ist näm-
lich nicht nur im Kontext von Filmdidaktik
I
und Filmverstehen zu verorten, sondern auch
Komponente des H.s in fremdsprachlichen In- Identität und Identitätsbildung. Von lat. idem
teraktionen, da das H. in authentischen Kon- (derselbe) abgeleitet, bezeichnet I. als psycho-
texten häufig visuell gestützt ist, z. B. durch logische Kategorie laut Duden »die als Selbst
Piktogramme und Anzeigetafeln oder durch die erlebte innere Einheit einer Person«. Da mit
situativ authentische bildlich-räumliche Umge- dem I.sempfinden zugleich das Bewusstsein in-
bung einer Kommunikationssituation (vgl. dividueller Unverwechselbarkeit einhergeht,
Schwerdtfeger 2003). Eine künstliche Ablösung wird I. als Differenzbegriff verwendet. Das In-
auditiver von visueller Wahrnehmung wird von dividuum versteht sich in Abgrenzung von sei-
Badstübner-Kizik (2016, 93) daher als Reduk- nen Mitmenschen (Ich-I.) bzw. als Mitglied ei-
tion bezeichnet, die den Erfahrungen und Er- ner sozialen Gruppe in Abgrenzung von ande-
wartungen von Sprachlernenden zuwiderläuft. ren Gemeinschaften (Wir-I.). Die I.sforschung
Hör-Seh-Verstehen kann sowohl als Teilgebiet ist dieser Aufteilung entsprechend sowohl indi-
des H.s als auch als dessen Erweiterung konzi- vidual- als auch sozialpsychologisch ausgelegt.
piert werden. In jedem Fall ist es mehr als nur Beide Facetten sind aufeinander zu beziehen, da
eine ›Kombi-Kompetenz‹ (vgl. Lütge 2012). der Mensch auch als Einzelner stets in soziale
Lit.: C. Badstübner-Kizik: Hör- und Hör-Sehverstehen. Kontexte eingebettet ist.
In: E. Burwitz-Melzer et al. (Hg.): Handbuch FU. Tüb. Unter IB. bzw. I.sentwicklung wird gemein-
6
2016 [1989, 93–97. – J. Bahns: H. Hält die Praxis, hin der Prozess verstanden, in dessen Verlauf
was die Theorie verspricht? In: U. Jung (Hg.): Prakti-
sche Handreichung für Fremdsprachenlehrer. FfM die oder der Einzelne ein Selbstkonzept auf-
4
2006 [1992, 125–132. – G. Blell: Musik im FU und baut, das zugleich psychische Stabilität und
die Entwicklung von audio literacy. In: U. Jung (Hg.): soziale Handlungsorientierungen vermittelt.
Praktische Handreichung für Fremdsprachenlehrer. Als Voraussetzung hierzu gilt das Empfinden
FfM 42006 [1992, 112–119. – S. Doff/F. Klippel: von Kohärenz (Passung verschiedener Facetten
Englischdidaktik. Praxishandbuch für die Sekundar-
stufe I und II. Bln 2007. – J. Hadfield/C. Hadfield:
der Persönlichkeit zu einem Ganzen), von Kon-
Simple Listening Activities. Oxford 1999. – tinuität (Wahrnehmung einer Konsistenz des
U. Karbe/E. Piepho: FU von A bis Z. Praktisches Be- Selbstbildes im zeitlichen Wandel) und von
griffswörterbuch. Ismaning 2000. – W. Kieweg: Men- Autonomie. Ein grundsätzlicher Konflikt re-
tale Prozesse beim H. Möglichkeiten zur Verbesserung sultiert aus der Tatsache, dass feste I.skonzepte
der H.skompetenz. In: Der fremdsprachliche Unter-
zwar Stabilität und Orientierung vermitteln,
richt Englisch 37/64–65 (2003), 18–27. – C. Lütge: H.
und Hörsehverstehen. In: Dies. (Hg.): Englisch-Me- zugleich aber einengend wirken. Umgekehrt
thodik. Handbuch für die Sekundarstufe I und II. Bln begünstigen flexible Konzepte eine Offenheit
2012, 51–63. – K. Segermann: Übungen zum H. In: für Veränderungen, bergen aber das Risiko in
K.-R. Bausch et al. (Hg.): Handbuch FU. Tüb. 42003 sich, destabilisierende Irritationen zu verursa-
[1989, 295–299. – I. C. Schwerdtfeger: Übungen zum chen. In unterschiedlicher Gewichtung widmet
Hör-Sehverstehen. In: K.-R. Bausch et al. (Hg.): Hand-
buch FU. Tüb. 42003 [1989, 299–302. – C. Surkamp: sich die individualpsychologische Forschung
Literatur zum Hören. Radio Plays analysieren und einerseits solchen universell-anthropologischen
selber produzieren. In: Der fremdsprachliche Unter- Aspekten, andererseits den jeweils konkreten
richt Englisch 42/92 (2008), 2–6. – M. Underwood: soziohistorischen Bedingungsfaktoren von IB.
Teaching Listening. Ldn/N.Y. 1989. – P. Ur: Vorwiegend der erstgenannten Perspektive
Teaching Listening Comprehension. Cambridge 1984.
– J. Wermke (Hg.): Hören und Sehen. Beiträge zu
sind die Ansätze Sigmund Freuds, Erik Eriksons
Medien- und Ästhetischer Erziehung. Mü. 2001. ChL und George H. Meads verpflichtet. Freud sieht
auf der Basis seines Strukturmodells psychische
Reifung an eine Stärkung von Ich-Leistungen in
Hypothesenbildung ä Hörverstehen, ä Lesever- der Vermittlung zwischen Es und Über-Ich ge-
stehen bunden, wohingegen eine nicht gelingende Inte-
gration zu pathologischen Verhaltensmustern
(v. a. Neurose und Psychose) führe. In Erweite-
rung des psychoanalytischen Ansatzes und sei-
ner Fokussierung auf frühkindliche Prägungen
entwirft Erikson ein Acht-Stufen-Modell der

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_9, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
Identität und Identitätsbildung 132

Persönlichkeitsentwicklung, das mit jeweils ei- schaften. In Abkehr von Idealen der Synthese-
genen Entwicklungsaufgaben die gesamte Le- bildung sieht er allerdings I. als vielstimmig und
bensspanne umfasst. Die Phase der Herausbil- heterogen konstituiert an. Sein Leitbild einer
dung der Ich-I. situiert Erikson primär in der Persönlichkeitsreifung ist nicht mehr von Ich-
Adoleszenz (5. Phase, ca. 12.–18. Lebensjahr). Stärke als Fähigkeit zur Bedürfnis- und Um-
Das besondere Augenmerk von Mead wie- weltkontrolle geprägt, sondern von einer Le-
derum gilt der Bedeutung sozialer Interaktion bendigkeit, die sich aus der Öffnung für die
für den Prozess der IB. I. entsteht in seinem vielen Seiten der eigenen Person ergibt.
Verständnis quasi im Umweg über den ande- Honneths Theorien gliedern sich ein in das
ren. Das Individuum wird sich seiner I. erst be- Panorama jener Versuche, die I. vor dem Hin-
wusst, indem es sich mit den Augen seiner In- tergrund des soziokulturellen Wandels in post-
teraktionspartner und damit von einem imagi- industriellen Gesellschaften neu zu bestimmen
nierten Außen sieht. Der Einzelne macht sich versuchen. Dessen Kennzeichen sind u. a. die
auf diesem Wege selbst zum Objekt. Daher un- Fragilisierung bzw. Auflösung linearer Berufs-
terscheidet Mead in zwei Arten des Ich: ein aus biographien und stabiler sozialer Bindungen
den antizipierten Erwartungen der anderen sowie wachsende Multiethnizität und ä Mehr-
entwickeltes (Mead nennt es das me) und eines, sprachigkeit der Lebenswelten. In Folge dieser
das die eigenen Antworten symbolisiert (das I). Entwicklungen ist nicht mehr von einem
Letzteres ist eine Art ›impulsives Ich‹, das in I.sideal auszugehen, das von Einheitlichkeit ge-
starkem Maße unbewusste Anteile enthält und prägt ist. Die Neologismen patchwork-identity
als dynamischer Faktor des Verhaltens wirkt, oder ›Bastel-I.‹ verweisen auf die Fragmentie-
während ersteres als ›reflektiertes Ich‹ die rung und Zufälligkeit von I.skonstruktionen. In
Grundlage sozialer Integration bildet. Im Ge- Abgrenzung von der ihnen immanenten Statik
gensatz zum I, das nur im Singular existiert, unterstreichen Modelle der fluid identities oder
gibt es entsprechend der Vielzahl angenomme- des ›flexiblen Menschen‹ (Richard Sennett) das
ner Rollenerwartungen mes auch im Plural. I dynamische Moment von IB.sprozessen. In
und me/s gemeinsam konstituieren das self, das ähnlichem Sinne entwickelt Wolfgang Welsch
hier als I. zu übersetzen ist (vgl. Abels 2006). Entwürfe eines Lebens im Plural, eines Lebens
Alle drei I.skonzeptionen sehen Integrations- im Übergang zwischen unterschiedlichen Le-
leistungen und somit Synthesenbildung als bensformen (vgl. Keupp et al. 2008). Dass IB.
Merkmal gelungener I.sarbeit an. sich nicht nur in Reaktion auf äußere Verände-
Nicht zwingend eine Synthese, wohl aber rungen vollzieht, unterstreicht das Konzept der
eine subjektiv schlüssige Verknüpfung unter- possible future selves. Es bezeichnet Entwürfe
schiedlicher Anteile individueller I. haben An- eines zukünftigen und durch Eigeninitiative ge-
sätze narrativer Psychologie im Blick, wenn sie stalteten In-der-Welt-Seins, was wiederum ei-
IB. als Resultat von Selbstnarrationen verste- nen unmittelbaren Einfluss auf Lernmotivatio-
hen. Ihnen zufolge generiert der Einzelne in ei- nen (ä Motivation) haben kann. Letzteres zeigt
nem unabschließbaren Prozess aus der Vielfäl- sich oft gerade im Kontext des Fremdsprachen-
tigkeit eigenen Erlebens Erzählungen, aus denen lernens, ermöglicht es mit der angestrebten und
heraus er seine Selbst- und Weltdeutungen ent- in Schritten erreichten Befähigung zu sozialer
wickelt. Er bedient sich dabei (zumeist unbe- Teilhabe in anderssprachigen Gemeinschaften
wusst) vorgefundener narrativer Muster, die als den Lernenden doch eine Erweiterung ihrer so-
Matrices sozialer Wirklichkeitskonstruktion zialen Handlungsmöglichkeiten und damit zu-
den individuellen IB.en den Stempel soziokul- gleich ihrer I.sprofile (vgl. z. B. Norton/McKin-
tureller Prägung aufdrücken. Dies verbindet ney 2011).
narrative I.stheorien mit Bourdieus Habitus- Fragen ethnisch-kultureller I. werden in der
Konzept. ä Fremdsprachendidaktik schon seit geraumer
Einen anderen Aspekt sozialer Bedingtheit Zeit diskutiert. Hierbei lässt sich eine ähnliche
akzentuiert Axel Honneth (2000), wenn er in- Entwicklung wie die oben skizzierte beobach-
dividuelle I. von drei Formen externer Aner- ten. Wurde noch bis in die 1970er Jahre hinein
kennung bedingt sieht, nämlich von emotiona- die Identifikation mit einer Sprach- und/oder
ler Zuwendung in Primärbeziehungen, von Wertegemeinschaft als Grundlage nationaler
kognitiver Achtung in Rechtsverhältnissen und bzw. ethnisch-kultureller I. betrachtet, vollzieht
von sozialer Wertschätzung in Solidargemein- sich im Zuge des linguistic turn der Humanwis-
133 Imagination

senschaften und der Verbreitung poststruktura- tionen. Das Patchwork der I.en in der Spätmoderne.
listischer und postkolonialistischer Ansätze in Reinbek 42008 [1999. – B. Norton/C. McKinney: An
Identity Approach to Second Language Acquisition.
den ä Kulturwissenschaften eine Wende hin zu
In: D. Atkinson (Hg.): Alternative Approaches to Se-
flexiblen, pluralisierenden Modellierungen. Die cond Language Acquisition. Abingdon 2011, 73–94.
Fremdsprachendidaktik rezipiert diese Ent- LuK
wicklung erst mit zeitlicher Verzögerung. Denn
z. T. noch in die Gegenwart hinein behauptet
sich im Rahmen der Theorien ä interkulturellen Identitätshypothese ä Interferenz, ä Fehler,
Lernens eine bipolare Perspektive, die ein weit- ä Spracherwerb und Spracherwerbstheorien,
gehend als homogen gedachtes Eigenes einem ä Transfer
analog strukturierten Fremden gegenüberstellt.
Unter diesem Blickwinkel erscheint Fremdspra-
chenlernen zwar als Chance und als Aufgabe Imagination wird verstanden als Vorstellungs-
der Relativierung eigener oft unhinterfragter kraft oder Einbildungskraft im Gegensatz zum
Normvorstellungen, ohne dass allerdings die abstrakten Denken. Gemeint ist das Vermögen
Zugehörigkeit zum Pol des Eigenen in Frage bildhaft anschaulichen Vorstellens oder die
gestellt würde. Seit den 1990er Jahren ver- Vorstellung selbst von Dingen, Personen und
schafft sich demgegenüber die Vorstellung eines Situationen. Im FU wird I. häufig synonym mit
›dritten Ortes‹ zunehmend Gehör. Ihr zufolge Phantasie im Sinne von schöpferischer Phanta-
erweitert die oder der Lernende im Zuge des sie verwendet. Ein Unterschied zwischen beiden
Fremdsprachenerwerbs die eigenen sprachli- Konzepten besteht jedoch darin, dass I.en als
chen I.en, indem sie bzw. er jenseits der Identifi- ›Einbildungen‹, Phantasien hingegen als ›Um-
kation mit eigen- und zielsprachlichen Kultur- bildungen‹ von inneren Bildern aufgefasst wer-
räumen einen mentalen Ort betritt, der eine Art den können (vgl. Uhlig 2005, 38). Gemeinsam
hybrider I. begründet. ist I. und Phantasie, dass sie auf der Fähigkeit
Aufgabe des FUs ist es demzufolge, der oder beruhen, Gesehenes, Gehörtes, Gelesenes oder
dem Einzelnen Anlässe zu narrativen I.skon- Erlebtes mental zu repräsentieren und daraus
struktionen zu geben und sie bzw. ihn durch neue Gedankenbilder zu schaffen. I. und Phan-
Anleitung zu Selbst-Reflexionen im Prozess der tasie sind durch das Verändern, Kombinieren
Pluralisierung sprachlich-kultureller I. zu be- und In-Bezug-Setzen von inneren Bildern cha-
gleiten (vgl. Burwitz-Melzer et al. 2013). Ein- rakterisiert (vgl. ebd., 39). Sie bauen nur indi-
schlägig erprobte Instrumente sind das Europä- rekt auf der Realität auf, da ihre wesentliche
ische Sprachenportfolio (ä Portfolio) oder die Quelle das Gedächtnis mit seinen sinnlichen
bildliche Gestaltung eines ›Sprachkörpers‹. und mentalen Erfahrungen ist. Mit Blick auf
Hierbei ordnen mehrsprachige Kinder bzw. Ju- unterrichtliche Zusammenhänge bedeutet dies,
gendliche ihre Sprachen unterschiedlichen Tei- dass I. und Phantasie sich umso wirkungsvoller
len ihres Körpers zu (eine Sprache findet sich entfalten, wenn die Lernenden über einen rei-
z. B. im Kopf, eine andere in der Herzgegend) chen Vorrat an nicht vorgefertigten Bilderwel-
und versprachlichen anschließend diese symbo- ten verfügen und wenn z. B. der FU vielfältige
lischen Darstellungen. Auch die Thematisierung Freiräume und Anregungen für I. und Phantasie
sprachlich-kultureller I.skonstruktionen in lite- bietet. Die Lernenden treten über ihre jeweils
rarischen Texten, in Songs/Chansons, in Filmen subjektiven Wahrnehmungsweisen in Kontakt
usw. bildet besonders für fortgeschrittene Ler- mit einer bereits konstituierten, von ihnen je-
nende wertvolle Anlässe zur Reflexion eigener doch subjektiv interpretierten Welt. Dies trifft
Selbstverortungen. Im Prinzip der Reflexivität nicht nur auf die reale Welt, sondern auch auf
entsprechen derartige Verfahren den übergrei- fiktive Welten zu, seien sie bildnerisch, sprach-
fenden Aspekten von ä Bildung. lich oder musikalisch zum Ausdruck gebracht.
Lit.: H. Abels: I. Wiesbaden 2006. – E. Burwitz-Melzer ä Bilder, literarische Texte und ä Musik haben
et al. (Hg.): I. und Fremdsprachenlernen. Anmerkun- bekanntermaßen die Kraft, Vorstellungen für
gen zu einer komplexen Beziehung. Tüb. 2013. – das innere Auge zu erzeugen, als Schlüssel für
A. Honneth: Objektbeziehungen und postmoderne I. die I. zu wirken, eben auch bei Lernenden im
Über das vermeintliche Veralten der Psychoanalyse.
In: Psyche 54/11 (2000), 1087–1109. – A. Hu: Schuli- FU, von denen oft behauptet wird, sie hätten
scher FU und migrationsbedingte Mehrsprachigkeit. weder I. noch Phantasie. Das die I. sowie die
Tüb. 2003, 80–99. – H. Keupp (Hg.): I.skonstruk- Kommunikation auslösende Moment kann in
Imagination 134

Anlehnung an David Cranmer und Clement ›stärkere‹ Erstsprache ist, stellt für die andere
Laroy (1992, 2) als ›I.s- und Phantasieprinzip‹ Gruppe die ›schwächere‹ Zweitsprache dar. Da
bezeichnet werden. Als Beispiel stelle man sich jedoch beide Sprachen für beide Teilgruppen
einen abstrakten Cartoon vor, dessen mehr systematisch (in einem themenzentrierten Un-
oder weniger abstrahierende Darstellungen von terricht) gefördert werden, führt ein derartiger
den Lernenden im Kopf in ›reale‹ oder ›realisti- langfristiger Bildungsgang zu einer additiven
sche‹ Bilder umzuwandeln sind. Diese I.en ä Zweisprachigkeit. I. ist folglich eine Form des
werden dann in Sprache und damit in die Zweitspracherwerbs unter institutionellen Be-
Fremdsprache ›übersetzt‹. Dabei werden die dingungen (ä Spracherwerb und Spracherwerbs-
Lernenden die abstrakten Zeichnungen und die theorien), die sich didaktisch inszenierter Ler-
von ihnen hervorgerufenen Vorstellungen mit narrangements bedient (ä Inszenierung). Sie re-
realen Erfahrungen verbinden (ä Erfahrungs- präsentiert keine natürliche Zweisprachigkeit.
orientierung). Das ist deshalb so wertvoll, weil Der Erfolg des Programms wird maßgeblich
auch ä Emotionen, Veränderungen im Denken von der Kontinuität des Ansatzes über die ver-
und Anreize zum fremdsprachlichen Handeln, schiedenen Schulstufen und einer Ausdifferen-
d. h. zum Mitteilenwollen des ›Hinein- und He- zierung über unterschiedliche Fächer beeinflusst.
rausgesehenen‹ eine wesentliche Rolle spielen. Für einen pädagogisch wie inhaltlich fruchtba-
Es ergibt sich also eine mögliche Abfolge von: ren Fachunterricht in einer Zweitsprache muss
auslösendem Moment – Erkennen – bildhafter auf Seiten der Lernenden eine gewisse (nicht
Vorstellung – Erfahrung – Gefühlszustand – genau zu quantifizierende) ›untere Schwelle‹
Impuls zum fremdsprachlichen Handeln – Han- des funktionalen Sprachkönnens in der frem-
deln – Wirkung der Mitteilung auf andere. den Arbeitssprache erreicht sein (zur threshold
Lit.: D. Cranmer/C. Laroy: Musical Openings. Using hypothesis vgl. Cummins 1978). Ansonsten
Music in the Language Classroom. Burnt Hill 1992. – richtet diese Unterrichtsform mehr Schaden als
B. Uhlig: Kunstrezeption in der Grundschule. Zu einer Nutzen an (engl. submersion). Deshalb ist ein
grundschulspezifischen Rezeptionsmethodik. Mü. mehrjähriger ›Vorlauf‹ in der Zielsprache unab-
2005. JS
dingbar (engl. bridging support), also ein alters-
gerechter und gegenüber der normalen Stun-
Imitation ä Audio-linguale Methode, ä Übung dentafel verstärkter FU.
Da alles fachliche Lernen sprachlich vermit-
telt wird, gilt für die I. das übergeordnete Prin-
Immersion. Unser heutiges Verständnis des cur- zip des integrierten Sach-Sprachlernens (ä bilin-
ricularen Konzepts der I. geht über die gängige gualer Unterricht). Um einen im Vergleich zum
Vorstellung eines ›simplen Eintauchens in ein muttersprachlich geführten Unterricht äquiva-
Sprachbad‹ weit hinaus. Nach kanadischer De- lenten Wissens- und Könnenserwerb in den
finition (vgl. Genesee 1987) wird von I. erst Sachfächern sicherzustellen, müssen Lehrkräfte
gesprochen, wenn mindestens 50 % der Unter- ein Bewusstsein für die Interdependenz bzw.
richtszeit auf die Vermittlung bzw. Aneignung Verzahnung von fachlichen Inhalten, Denkope-
von Fachinhalten in einer Sprache verwendet rationen und sprachlicher Realisierung entwi-
werden, die nicht die Erstsprache der Lernen- ckeln. Fachbezogene Gegenstände setzen in der
den ist. Man unterscheidet abhängig vom Be- Regel die funktionale Verfügbarkeit über spezi-
ginn (Primar- vs. Sekundarstufe) und Ausmaß fische sprachliche Ausdrucksmittel voraus (was
der I. die Varianten einer early total, einer early als content-obligatory language bezeichnet
partial und einer late immersion. Nicht wenige wird; Zydatiß 2000, 176), wofür eine Lehrkraft
Bildungssysteme (v. a. in den multikulturellen gezielte Stützmaßnahmen bereitstellen muss
Ballungszentren) favorisieren die reziproke I. (ä Scaffolding). Insbesondere für lernbereichs-
(engl. dual/two-way immersion). Hier kommen bzw. fächerübergreifende Unterrichtsvorhaben
Lernende und Lehrkräfte aus zwei Sprachgrup- in der Grundschule sind zwei Planungsinstru-
pen in einer Klasse zusammen. Beide ›Partner- mente entwickelt worden (vgl. Zydatiß 2000,
sprachen‹ werden für jeweils etwa die Hälfte 179 ff.): die »Spinne« und das »Leporello«.
des Curriculums in verschiedenen Lernberei- Ziel der Planung ist die inhaltsbezogene Vernet-
chen oder Fächern eingesetzt, wobei der ä Lehr- zung der Teilthemen unter Berücksichtigung
plan im Prinzip mit dem der Regelklassen der verbindlichen und der fakultativen objekt-
identisch ist. Was für die eine Schülergruppe die sprachlichen Redemittel, einschließlich des so-
135 Improvisation

ziokulturellen Hintergrunds der jeweiligen ken und fühlen, und das, was sie situativ unmit-
Thematik. telbar mitteilen möchten, nicht allein über
Je weiter der Fachunterricht in einer fremden sprachliche Routinehandlungen vermitteln lässt.
Arbeitssprache voranschreitet, desto höher Das transkulturell (teilweise) unterschiedlich
werden die Ansprüche an die konzeptuell- geregelte Wechselspiel von mündlichen Rou-
›akademische‹ Sprachfähigkeit (Cognitive Aca- tine- und Stegreifhandlungen in kommunikati-
demic Language Proficiency, kurz CALP bei ven Alltagssituationen ist von großer Bedeutung
Cummins 1978), die sich von umgangssprachli- für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen
chen Kompetenzen in Alltagssituationen stark in der Schule. So lässt sich das komplexe ä Wis-
unterscheidet (Basic Interpersonal Communi- sen und Können, das notwendig ist, um an
cative Skills, kurz BICS). Diese ›Schulsprache‹ mündlicher Alltagskommunikation in einer
ist der Nachweis bzw. die Voraussetzung dafür, fremden Sprache und Kultur aktiv teilnehmen
dass SuS sich fachliches Wissen und Können zu können, in einem FU, dessen Interaktions-
erfolgreich angeeignet haben bzw. nach der struktur nach wie vor hochgradig lehrergesteu-
Schule aneignen können: eine wesentliche ert (ä Lehrerzentrierung) und im Sinne von
Grundlage für die gesellschaftliche Teilhabe. IRF-Sequenzen (IRF = initiation, response, fol-
Dies auch in einer Fremdsprache leisten zu low-up) weitestgehend skriptgebunden ist,
können, ist (neben dem Gewinn für das ä inter- nicht optimal entwickeln. Die Ausblendung der
kulturelle Lernen) der spezifische Mehrwert ei- Stegreifkomponente sprachlichen Handelns
nes immersiven Bildungsgangs. führt vielmehr dazu, dass das Unterrichtsge-
Lit.: J. Cummins: The Cognitive Development of schehen in einer mühsam aufrecht erhaltenen
Children in Immersion Programs. In: Canadian Mo- Mündlichkeit erstarrt, die nicht zu den ge-
dern Language Review 34 (1978), 855–883. – F. Ge- wünschten Lernergebnissen führen kann.
nesee: Learning Through Two Languages. Boston Um alltagstaugliche mündliche Handlungs-
1987. – W. Zydatiß: Bilingualer Unterricht in der
Grundschule. Ismaning 2000. WZ kompetenz in einer Fremdsprache systematisch
aufzubauen, muss die derzeitige Dominanz
skriptgebundener Unterrichtskommunikation
Improvisation. Mündliche Alltagskommunika- aufgebrochen werden. Dies kann über geeignete
tion vollzieht sich in der Regel im Wechselspiel Lernarrangements, sog. I.en, geschehen. Eine I.
von sprachlichen Routinehandlungen und ist eine unterrichtliche Stegreifaktivität, die
sprachlichen Stegreifhandlungen. Sprachliche Lernende (1) mit einem SMART-Szenario (vgl.
Routinehandlungen sind eng an kulturelle Piepho 2003) konfrontiert (S = significant, M =
Konventionen, soziale Verhaltensmuster und meaningful, A = achievable, R = relevant, T =
situationsabhängige Verfahrensregeln gebun- time-related), die sie (2) vor eine in das jewei-
den. Sie werden daher häufig über kommunika- lige Szenario integrierte, spontan zu bewälti-
tive Standardrepertoires (vorgeformte Äuße- gende, kreative kommunikative Aufgabe (task)
rungen, formelhafte Redewendungen usw.) stellt (ä Aufgabenorientiertes Lernen), die im
realisiert. Alltagskommunikative Vorgänge er- Rahmen ihrer fremdsprachlichen Möglichkei-
halten durch diese sozio-funktionalen Skript- ten liegt, und die sie dabei (3) mit einer ihrem
komponenten eine generische – und damit in Lernniveau entsprechenden kommunikativen
Teilen vorhersehbare – Ablaufstruktur (vgl. Infrastruktur unterstützt (d. h. einem realitäts-
Hallet 2016). Sprachliche Stegreifhandlungen nahen, generischen Skript mit entsprechenden
sind demgegenüber deutlich weniger skriptge- Routinehandlungen, das Raum für spontan-
bunden, auch wenn sie sich in der Regel nicht sprachliche Stegreifhandlungen lässt). Um münd-
gänzlich aus der prozeduralen Infrastruktur des liche Handlungskompetenz in den vier Dimen-
jeweiligen Kommunikationsvorgangs heraus- sionen Sprachrichtigkeit, -flüssigkeit, -komple-
lösen. Als spontansprachliche, weitgehend un- xität und -angemessenheit systematisch zu
vorbereitete Aktionen oder Reaktionen geben entwickeln (ä Sprechen), ist es besonders wich-
sie alltäglichen Kommunikationsprozessen ihre tig, dass jede Stegreifaktivität in einem sich
natürliche Dynamik, Flexibilität und Variabili- daran anschließenden Schüler-Lehrer-Gespräch
tät. Mündliche Alltagskommunikation ist ohne gemeinsam reflektiert wird.
diese Stegreifkomponente zwar denkbar, sie Lit.: W. Hallet: Genres im fremdsprachlichen und bi-
wäre letztlich aber nur von begrenztem Nutzen, lingualen Unterricht. Formen und Muster der sprach-
da sich das, was Menschen wahrnehmen, den- lichen Interaktion. Stgt 2016. – J. Kurtz: Breaking
Improvisation 136

through the Communicative Cocoon. Improvisation patorisch und erzieherisch ausgerichtete Sicht
in Secondary School EFL Classrooms. In: R. K. Sawyer von I. Gemäß dieser Sicht wird das lernende
(Hg.): Structure and Improvisation in Creative
Teaching. Cambridge, NY 2011, 131–160. – J. Kurtz: Individuum eher ganzheitlich gesehen, und mit
Fostering and Building upon Oral Creativity in the dem Versuch der I. verbunden ist die Hoffnung,
EFL Classroom. In: A. Maley/N. Peachey (Hg.): Crea- sprachliches Lernen auf die individuellen Be-
tivity in the English Language Classroom. Ldn 2015, dürfnisse, Vorlieben und Lernerfahrungen ab-
73–83 – H.-E. Piepho: Lerneraktivierung im FU. Sze- zustimmen, wobei die soziokulturellen Zusam-
narien in Theorie und Praxis. Hannover 2003. JK
menhänge, in denen das Lernen stattfindet und
in denen die Lernenden sich befinden, notwen-
Individualisierung. Mit I. sind in der ä Fremd- digerweise mit berücksichtigt werden. Diesem
sprachendidaktik diejenigen Ansätze gemeint, Modell nach ist es nicht möglich, einfach indi-
die darauf zielen, Lernende jeweils individuell viduelle Lernprogramme zusammenzustellen
zu fördern. Lernprozesse sollen auf diese Weise und Lernenden zur Verfügung zu stellen, son-
möglichst für jeden Lerner und jede Lernerin dern es erfordert eine individuelle und eine
durch individuelle Förderung optimal initiiert, auch über lange Zeiträume begleitende Lernbe-
begleitet und ggf. gelenkt werden. ratung. Das Lernen selbst wird dabei ebenso
Schon zu Beginn der 1970er Jahre begann zum Thema reflexiver Gespräche wie die In-
der Triumphzug der individualized instruction halte, an und mit denen gelernt wird, die jeweils
in den USA; gemeint waren damit v. a. Lern- individuellen ä Lernziele und Lernwege, die
umgebungen, die das individuelle Selbstlernen Materialien und Methoden usw. Diese Defini-
bzw. ä autonomes Lernen ermöglichen. Mit tion von I. kommt aktuellen Vorstellungen von
dem Aufstieg des Sprachlabors wurde es mög- autonomem Lernen/Selbstlernen sehr nahe.
lich, Lernende allein arbeiten zu lassen, ihnen Mit dem Internet und dem Einzug des Com-
Materialien zum Selbstlernen in die Hand zu puters in die Welt des Fremdsprachenlernens
geben und sie so individuell zu fördern. Ein (ä Medien) ist es inzwischen möglich geworden,
gängiger Vergleich war damals die individua- auch im Rahmen von schulischem Unterricht
lized instruction als Gegenbild zur mass in- die I. des Lernens zu fördern (ä E-Learning). Sei
struction, der traditionellen Schule. Während es durch Internetaufgaben oder den Einsatz von
der schulische Großgruppenunterricht alle Ler- CD-Roms und anderen auf digitalen Speicher-
nenden mit denselben Aufgaben, Materialien medien verfügbaren Materialien, Übungen und
und Methoden gleichermaßen behandelt, sollte Aufgaben, der Computer erleichtert die I. des
die I. des Lernens das Sprachenlernen optimie- Lernens in jeder Hinsicht (vgl. Rösler 2007).
ren und effektiver machen. Mit der I. verbun- Verbunden mit der I. des Lernens ist die nicht
den war zugleich ein behavioristisches Lern- zu unterschätzende Gefahr der I. im Sinne einer
modell (ä Lerntheorien), das die Arbeit und Vereinzelung. Diese Bedeutung von I. wird ins-
Materialien in Sprachlaboren lange beherrscht besondere in der Soziologie betont, hat jedoch
hat. Diesem Modell nach ist das Lernen von auch unmittelbare Relevanz für den Bereich des
Sprachen vergleichbar mit dem Erlernen von Fremdsprachenlernens. Denn I. kann auch be-
bestimmten Verhaltensweisen. Es ist trainier- deuten, dass einzelne Lernende nicht mehr mit-
bar und erfolgt nach dem Motto ›Übung macht einander lernen und ihre ä Sozialkompetenz
den Meister‹. Nicht das Nachdenken über deutlich weniger gefördert und gefordert wird.
Sprache oder über Bedeutungen und sprachli- Das ist generell, in besonderem Maße jedoch
che Formen wird angeregt, sondern es geht im Rahmen des Fremdsprachenlernens sehr
beim Sprachenlernen um Prozesse der ä Auto- kontraproduktiv. Nicht zuletzt handelt es sich
matisierung. I. war infolgedessen vielfach beim Sprachenlernen um eine genuin dialogi-
gleichbedeutend mit dem Üben und Wiederho- sche Tätigkeit und Erfahrung; Lernende lernen
len durch pattern drills sowie listen and repeat- eine neue Welt mit neuer Sprache und neuen
ä Übungen. Hier liegt der Grund dafür, dass Menschen und ä Perspektiven kennen. Dies
heute vielfach darauf verwiesen wird, dass lässt sich nur begrenzt als individuelle Aufgabe
etwa Lernerautonomie nicht gleichzusetzen ist begreifen; es ist im Wesentlichen eine soziale
mit I. oder programmiertem Lernen (vgl. Ben- Aktivität, die man nur im sozialen Raum und
son 2001; Schmenk 2008). im Austausch mit Anderen angehen kann.
Diese eher technokratische Auffassung von I. Lit.: P. Benson: Teaching and Researching Autonomy
ist zu ergänzen durch eine andere, eher emanzi- in Language Learning. Harlow 2001. – D. Rösler: E-
137 Inferenz

Learning Fremdsprachen. Eine kritische Einführung. ermöglichen den Lernenden auf dieser Basis
Tüb. 22007 [2004. – B. Schmenk: Lernerautonomie. eine effektive, zielgerichtete und (weitgehend)
Karriere und Sloganisierung des Autonomiebegriffs.
Tüb. 2008. BaSch eigenständige Bewältigung der gestellten Prob-
leme bzw. der Aufgabenstellungen in sprach-,
literatur- und kulturdidaktischen Kontexten.
Induktives Lernen. Das Konzept des i.L.s. be- Lit.: W. Börner: Lernprozesse in grammatischen Lern-
zeichnet im Kern ein wissenschaftliches oder aufgaben. In: Ders./K. Vogel (Hg.): Grammatik und
problemlösendes bzw. lerntechnisches Vorge- Fremdsprachenerwerb. Kognitive, psycholinguistische
hen, bei dem man auf Grundlage einzelner Er- und erwerbstheoretische Perspektiven. Tüb. 2002,
231–259. – D. von Ziegésar/M. von Ziegésar: Die
kenntnisse auf das Allgemeine oder eine Regel- systematische Einführung von Grammatik. In:
haftigkeit des Betrachteten schließt. Im Gegen- J.-P. Timm (Hg.): Englisch lernen und lehren. Didaktik
satz hierzu steht das ä deduktive Lernen. In der des Englischunterrichts. Bln 1998, 291–298. NG
Theorie und Praxis des FUs findet i.L. v. a. im
Bereich der Grammatikvermittlung (ä Gram-
matik und Grammatikvermittlung) seinen Nie- Inferenz beschreibt den Prozess, über den eine
derschlag. I.L. wird hier verstanden als erwerbs- aus Prämissen gebildete Schlussfolgerung zu-
orientiertes Unterrichtsverfahren, das den stande kommt. Für Aaron S. Carton (1971, 45)
Anforderungen eines lerner- und handlungsori- ist »inferencing [… a coined term [… intended
entierten Unterrichts (ä Lernerorientierung, to refer to a procedure of identifying unfamiliar
ä Handlungsorientierung) sowie dem Prinzip stimuli«. Jüngere Forschungen haben ergeben,
des ä entdeckenden Lernens Rechnung trägt. dass dies keineswegs nur Lexeme und Mor-
Obwohl dem i.L. als schülerzentriertes Pro- pheme betrifft. Carton nennt auch außersprach-
blemlösungsverfahren ein hohes Maß an Eigen- liche (ä Nonverbale Kommunikation) und kon-
ständigkeit und Verantwortung seitens der Ler- textuelle Signale (cues), die das Inferieren er-
nenden zugesprochen wird, zeichnet es sich im leichtern.
Rahmen der Grammatikvermittlung noch als In rezeptiver Kommunikation werden in der
eine (zumindest zu Beginn) stark lehrergeleitete Regel Informationen auf der Grundlage vor-
bzw. gesteuerte Instruktion (ä Instruktivismus/ handener kognitiver Schemata im Abgleich mit
Instruktion) in fünf Phasen ab: (1) Demonstra- sprechsituativ oder intentional gerichteten
tion bzw. Bereitstellung von authentischem In- Plausibilitätsproben gedeutet. Schon dies unter-
put anhand von relevanten, kontextualisierten, streicht, dass I. kein exklusiv didaktisches Phä-
schülernahen Beispielen der grammatischen nomen ist, sondern den ä Spracherwerb und die
Struktur, (2) Verstehen und Reagieren unter Sprachbenutzung überhaupt begleitet: »Erst
Lehreranleitung, (3) Reproduzieren (etwa in kommt die Verständigung, dann die Gramma-
Reaktion auf true and false statements), (4) tik« (Butzkamm/Butzkamm 1999, 220). Für
Produktion etwa im Rahmen vorstrukturierter mehrere Forscher steht daher I. am Anfang des
Partnerarbeit (z. B. mithilfe eines Tandembogens Spracherwerbs. Von jeder sprachlichen Bot-
beim ä Tandemlernen), (5) Erschließen bzw. schaft versteht ein Rezipient nur so viel, wie er
optionale Bewusstmachung (ä Bewusstheit/Be- selbst vom Leben, von der Welt und von den
wusstmachung) der Regularitäten des gramma- erörterten Sachverhalten weiß. Das dekodie-
tikalischen Phänomens (vgl. Ziegésar/Ziegésar rende ä Verstehen vollzieht sich beim Zusam-
2004, 291 ff.). Tendenziell stellt die letzte Phase mentreffen von sprachdatengeleiteten bottom-
der metasprachlichen Bewusstmachung eher up-Prozessen und vom Konzept oder dem Mit-
eine Notwendigkeit als eine Option dar, um die teilungsmotiv zu den sprachlichen Zeichen
ä Fossilisierung von Fehlerquellen abzuwenden verlaufenden top-down-Aktivitäten. All dies
(vgl. Börner 2002, 255 f.). In anderen Modellen zeigt die deutliche Nähe von I. zu den Nachbar-
i.L.s geschieht die ä Kognitivierung teilweise begriffen ä Transfer und ä Interferenz. Selbst-
bereits früher. Als allgemeinem Problemlösungs- verständlich ist I. sowohl in rezeptiver als auch
verfahren kommt dem i.L. auch im Rahmen des produktiver Sprachverarbeitung feststellbar.
ä aufgabenorientierten Lernens große Bedeu- Im Zusammenhang von I. und Spracherwerb
tung zu. Die Lehrenden agieren innerhalb dieses stellt sich die Frage, was aus dem Bereich des
Unterrichtsmodells als facilitators, d. h. sie bewussten und unbewussten ä Wissens inferiert
schaffen die Rahmenbedingungen, strukturie- werden kann. Sie betrifft v. a. das deklarative
ren Hilfsmittel, bieten Informationsquellen und im Unterschied zum nicht bewusstseinspflichti-
Inferenz 138

gen prozeduralen Wissen. Nach Patricia East nen Informationsaustausch kann die gestellte
(1991) bedarf es einer intensiven Anwendung Aufgabe gelöst werden. Am Anfang des Verfah-
(ä Übung), ehe deklaratives Wissen zu prozedu- rens steht die Informationsgewinnung. In Ein-
ralem werden kann. In jedem Fall erlaubt de- zelarbeit (ä Sozialformen) erarbeitet jede/r Ler-
klaratives Wissen, z. B. die explizite Kenntnis ner/in seinen bzw. ihren Text lesend oder hörend.
grammatischer Regeln, die Kontrolle des sprach- Anschließend wird die spätere Informationswei-
lichen Outputs. Deklaratives Wissen zeigt da- tergabe, bei der die gewonnenen Informationen
her eine deutliche Nähe zu ä Lernstrategien. an Partner vermittelt werden sollen, in Einzelar-
Diese gelten gemeinhin als Handlungspläne beit vorbereitet. Alle stellen sich auch darauf
und werden in kognitive und metakognitive ein, auf Nachfragen reagieren zu können. Die
Strategien unterschieden (ä Kognition, ä Meta- Informationsweitergabe erfolgt in Partner- oder
kognition). Für das Inferieren erhalten beide Gruppenarbeit (ä Sozialformen). Den Abschluss
Kategorien, z. B. im Rahmen des ä aufgabenori- der Einheit bilden Gespräche mit wechselnden
entierten Lernens, ein besonderes Gewicht, da Partnern über den gesamten Themenkomplex
sie die für die Ausbildung von ä Kompetenzen und über Einzelaspekte.
notwendigen Mikrokompetenzen und Ressour- Die Vorzüge des Verfahrens i.g. sind offen-
cen mobilisieren. Hierzu gehört v. a. die zielfüh- sichtlich. Alle SuS sind sprachlich handelnd
rende Aktivierung des lernrelevanten ä Vorwis- aktiv. Dabei wird ihnen ein hoher Grad an
sens. In Prozessen der ä Interkomprehension Selbständigkeit abverlangt (ä Schlüsselqualifi-
betrifft dies die Dekodation, also die Identifika- kationen). Außerdem wird der Einsatz von Ar-
tion der Sprachzeichen und ihre semantische beitstechniken trainiert. Ein weiterer Vorzug
und funktionale Einordnung. Doch auch tiefer besteht darin, dass die Lernenden die Verant-
greifende Informationsverarbeitung, wie sie wortung für ihre eigenen Lernfortschritte über-
beim ä Leseverstehen durch das Vergleichen und nehmen und auch dafür, dass die jeweiligen
Beurteilen von Sachverhalten auftritt, erfordert Partner einen Gewinn aus der Unterrichtsarbeit
das Inferieren. All dies erklärt, weshalb Inferie- ziehen (ä Lernerorientierung). Während der ge-
rungsstrategien auf eine Optimierung von Spra- samten Phase findet fremdsprachliches Handeln
cherwerbs- und Informationsverarbeitungspro- statt, wie es in der Bewältigung von Kommuni-
zessen, d. h. auf eine Verbesserung des Lernens kationssituationen in der außerschulischen Re-
(nicht nur dem von Sprachen), abheben. Die In- alität gefordert ist. Die Lehrperson wird zudem
terkomprehensionsdidaktik hat eine Fülle von deutlich entlastet und kann eine gezielte Bera-
Aufgaben- und Übungsformaten zum Trainie- tung bei denjenigen Lernenden durchführen,
ren von I. und Transferprozessen entwickelt. die Hilfe am nötigsten haben.
Lit.: W. Butzkamm/J. Butzkamm: Wie Kinder sprechen Lit.: M. Arendt: Aktives Sprachenlernen durch den
lernen. Kindliche Entwicklung und die Sprachlichkeit Einsatz erprobter Unterrichtsverfahren (5). Das Ver-
des Menschen. Tüb. 1999. – A. S. Carton: Inferencing. fahren i.g. In: PRAXIS FU 2 (2007), 23–31. –
A Process in Using and Learning Language. In: C.  Doughty/T. Pica: I.G. Tasks. Do They Facilitate
P. Pimsleur/T. Quinn (Hg.): The Psychology of Second Second Language Acquisition? In: TESOL Quarterly
Language Learning. Cambridge 1971, 45–58. – P. East: 20/2 (1986), 305–325. MA
Deklaratives und prozedurales Wissen im Fremdspra-
chenerwerb. Eine empirische Untersuchung des Gram-
matikwissens von deutschen Lernern mit Englisch als Inhaltsorientierung ist ein bewährtes fremd-
Fremdsprache. Mü. 1992. FJM sprachendidaktisches Prinzip. Es geht darum,
verstärkt die persönlichen Erfahrungen (ä Er-
fahrungsorientierung) und Interessen der Ju-
Information Gap (dt. ›Informationslücke‹). Es gendlichen zu berücksichtigen und sie zu einer
gibt zwei Möglichkeiten, i.g.s in den FU einzu- emotionalen (ä Emotion) und kognitiven Ausei-
bringen, zum einen durch i.g.-exercises beim nandersetzung herauszufordern. Darüber hin-
Trainieren sprachlicher Elemente bei der ä Wort- aus orientieren sich die Inhalte in den höheren
schatz- und ä Grammatikvermittlung und zum Klassen in immer stärkerem Maße an außer-
anderen durch den Einsatz des Verfahrens i.g. und nachschulischen Bedarfsfeldern im privaten
Bei letzterem wird in einer Unterrichtseinheit und beruflichen Bereich. I. kann durch die Aus-
mit unterschiedlichen Texten gearbeitet. Partner wahl motivierender und relevanter Inhalte um-
werden durch ein Informationsgefälle quasi gesetzt werden. Wichtige Kriterien für die Aus-
zum Kommunizieren gezwungen; nur durch ei- wahl der Stoffe sind die Relevanz für die Ge-
139 Inklusion

genwart und Zukunft der Lernenden, die schätzung von Individualität und Vielfalt aller
Repräsentativität für die Zielsprachenkulturen, Menschen (vgl. Küchler/Roters 2014, 238). Im
die Motivationskraft, die Klarheit des Gegen- Hinblick auf Schule und Bildungsprozesse be-
standes, seine Altersangemessenheit und seine deutet dies die Ausrichtung allen didaktischen
Vereinbarkeit mit dem ä Lehrplan. Inhaltsori- Handelns an einer heterogenen Schülerschaft
entierte Arbeitsformen sind ä Projektunterricht, und die Ermöglichung der gleichberechtigten
Lektüre- oder Internetprojekte, ä Korrespon- und gleichwertigen Teilhabe aller Lernenden an
denzen, die ä simulation globale (arbeitsteilig einer Lerngemeinschaft. Neben den genannten
erfolgende Schilderung eines fiktiven Lebensbe- unterschiedlichen Ausgangspositionen spielen
reichs, wie z. B. eines Mietshauses) und Ähnli- dabei noch weitere persönliche Lernvorausset-
ches. Auch im ä bilingualen Unterricht geht zungen eine Rolle, z. B. unterschiedliche Vor-
man von Inhalten und Themen aus. erfahrungen und -kenntnisse, Arbeitshaltungen
Neben ä Handlungsorientierung oder Kom- und Interessen. Es geht also nicht allein um die
petenzorientierung kann I. ein wesentliches Differenzkonstruktion (ä Differenz) der ›Behin-
Moment der Ausrichtung des FUs sein. Je derung‹ (vgl. ebd., 234).
nachdem, welches Prinzip im Vordergrund Begrifflich kann I. in Bezug auf Schule von
steht, wird der Unterricht mal mehr die SuS drei historisch gewachsenen Konzepten abge-
und ihre Interessen, mal mehr die Methode, grenzt werden: (1) ›Exklusion‹ bezeichnete den
mal die Vermittlung wichtiger Stoffe ins Zen- vollständigen Ausschluss derjenigen Kinder aus
trum der Stundenplanung holen, wobei die dem Regelunterricht, die als ›nicht bildungsfä-
Orientierung an interessanten Inhalten viel- hig‹ erachtet und die in die Obhut der Familie,
leicht der beste Garant für eine dauerhafte kirchlicher oder karitativer Einrichtungen gege-
ä Motivation der Lernenden ist. I. gerät zuneh- ben wurden. Mit der Etablierung sonderpäda-
mend in Konkurrenz zu anderen Prinzipien, gogischer Einrichtungen, in denen diese Kinder
wie z. B. dem ä aufgabenorientierten Lernen, betreut und z. T. auch unterrichtet wurden, ent-
die  zu Beginn des 21. Jh.s im Rahmen eines stand das Konzept der Aussonderung, der Se-
outputorientierten FUs an Bedeutung gewon- gregation (vgl. Haß 2016, 323). (2) ›Integra-
nen haben. Kritisch gesehen wird ferner die tion‹ geht grundsätzlich von mindestens zwei
Gefahr, dass die in Lehrplänen festgeschriebene getrennten Gruppen aus, »wobei die eine in die
Orientierung an Sprachstandards (ä Standards) andere integriert werden soll« (Doert/Nold
und kommunikativen ä Kompetenzen, also eine 2016, 24). Um eine solche Maßnahme, die mit
funktional-sprachpragmatische Orientierung finanziellen und personellen Mitteln verknüpft
des FUs, fremdkulturelle Inhalte z. B. in Form li- ist, durchzuführen, muss zunächst ein spezieller
terarischer Texte verdrängt (vgl. Rössler 2007). Förderbedarf (z. B. im Hinblick auf Lernen, die
Lit.: A. Rössler: Standards ohne Stoff? Anmerkungen sozial-emotionale Entwicklung oder eine kör-
zum Verschwinden bildungsrelevanter Inhalte aus den perliche Beeinträchtigung) diagnostiziert wer-
curricularen Vorgaben für den Französisch- und Spa- den (vgl. Haß 2013, 28). Beklagt wird sowohl
nischunterricht. In: Beiträge zur Fremdsprachenver-
mittlung 46 (2007), 3–20. – G. Siebert-Ott: Content-
hinsichtlich Exklusion als auch Integration der
based language learning. Der Übergang von der negative Blick auf ä Heterogenität, da bei bei-
Alltagskommunikation zum Fachdiskurs. In: J. Nie- den Konzepten auf deren Überwindung abge-
derhauser/K. Adamzik (Hg.): Wissenschaftssprache zielt würde. (3) I. hingegen bezieht jegliche
und Umgangssprache im Kontakt. FfM 1999, 39–58. Vielfalt der Beteiligten mit ein, ohne in Defizit-
AnN
kategorien zu denken. Ausgegangen wird von
nur einer Gruppe, in der jedes einzelne Mitglied
Inklusion zielt auf eine gleichberechtigte und die gleichen Rechte auf Zuwendung und indivi-
selbstbestimmte Partizipation aller Menschen duelle Förderung erhält (ä Förderunterricht).
an der Gesellschaft, unabhängig von ihrem Mit Blick auf den FU ist I. kein grundsätzlich
Alter, ihrem Geschlecht und ihrer sexuellen neues Leitkonzept. Sie kann vielmehr als konse-
Orientierung, ihrem ethnischen, sozialen, natio- quente Weiterentwicklung der bereits gewonne-
nalen, kulturellen und sprachlichen Hinter- nen Erkenntnis gesehen werden, dass es die ho-
grund, ihren physischen und kognitiven Fähig- mogene Lernendengruppe nicht gibt (vgl. Haß
keiten, ihrer politischen Einstellung und ihrer 2016, 307). Diese Betrachtungsweise zukünftig
religiösen Zugehörigkeit. Zentraler Gedanke noch positiver auszurichten und Vielfalt als ex-
des Konzepts sind die Anerkennung und Wert- pliziten Zugewinn beim Lehren und Lernen von
Inklusion 140

Fremdsprachen zu betrachten, stellt eine wich- Wechsel der ä Sozialformen sowie motivierende
tige Aufgabe der ä Fremdsprachendidaktik dar und für die Schüler/innen interessante Themen
(vgl. Küchler/Roters 2014, 237; Gerlach 2015, als Gelingensbedingungen genannt (vgl. Men-
135). Dass damit auch die (inter-)kulturelle und dez 2012). Bei vielen dieser Maßnahmen wird
soziale Kompetenzentwicklung im FU gemeint allerdings das Augenmerk v. a. auf Lernende mit
sein sollte (ä interkulturelle kommunikative sog. ›besonderem Förderbedarf‹ gerichtet. Wenn
Kompetenz, ä Sozialkompetenz), heben Küch- man den I.sgedanken jedoch ernst nimmt, dann
ler/Roters (2014, 238, 234) eigens hervor. bedarf es über diese Hilfsmaßnahmen hinaus
Der FU kann einen wichtigen Beitrag zur I. spezifisch fachdidaktischer Konzepte. Die Be-
leisten, weil eine seiner wesentlichen Zielsetzun- schäftigung mit literarischen Texten (vgl.
gen die Ermöglichung kultureller Teilhabe ist Nieragden 2014, Surkamp 2017) und audiovi-
(vgl. ebd., 235). Zudem trägt er auf inhaltlicher suellen Medien oder auch handlungs- und pro-
Ebene durch die Beschäftigung mit unterschied- duktionsorientierte Verfahren (ä Handlungsori-
lichen Sprachen und Kulturen (auch im Sinne entierung, ä Produktionsorientierung) können
der ä Mehrsprachigkeitsdidaktik) nicht nur zu geeignete Ausgangspunkte für fachdidaktische
einem diversitätssensiblen Unterricht bei, son- Überlegungen zu einem inklusiven FU bieten.
dern kann auch diversitätssensibilisierend auf Lit.: C. Doert/G. Nold: Integrativer Englischunter-
die Lernenden wirken. Damit dies alles mit einer richt. Forschungsfragen zwischen Wunsch und Wirk-
Schülerschaft möglich ist, deren Heterogenität lichkeit. In: C. Bongartz/A. Rohde (Hg.): I. im Eng-
auf unterschiedlichen Variablen beruhen kann, lischunterricht. FfM. 2016, 23–37. – D. Gerlach: I. im
FU. Zwischen Ansprüchen und Grenzen von Hetero-
müssen auf verschiedenen Ebenen entsprechende genität, Fachdidaktik und Unterricht(srealität). In:
Rahmenbedingungen vorliegen: Inklusive Schul- Fremdsprachen Lehren und Lernen 44/1 (2015),
strukturen (wie barrierefreie Lernorte, kleine 123–137. – F. Haß: I. im Englischunterricht oder:
Klassengrößen und Doppelbesetzungen durch Lernerorientierung endlich ernst nehmen. In: Englisch
Fachlehrkräfte und Sonderpädagog/innen) wer- 5 bis 10 2/22 (2013), 28–32. – F. Haß: Zum Umgang
mit Heterogenität. In: ders. (Hg.): Fachdidaktik Eng-
den ebenso benötigt wie inklusive Schulkulturen lisch. Tradition. Innovation. Praxis. Stgt 22016 [2006,
und Lehr-/Lernmethoden. Letztere liegen für den 306–326. – U. Küchler/B. Roters: Embracing Every-
FU schon in vielfältigen Konzepten für Differen- one. Inklusiver FU. In: B. Amrhein/M. Dziak-Mahler
zierungs- und Individualisierungsmaßnahmen (Hg.): Fachdidaktik inklusiv. Auf der Suche nach di-
(ä Differenzierung, ä Individualisierung) sowie daktischen Leitlinien für den Umgang mit Vielfalt in
der Schule. Münster/N.Y. 2014, 233–248. – C. Men-
für verschiedene Formen des ä kooperativen
dez: I. im FU. Herausforderung und Chance. In: Praxis
Lernens vor – auch in den Ansätzen des ä aufga- FU 1 (2012), 5–8. – A. Müller-Hartmann/
benorientierten Lernens und des ä Projektunter- M. Schocker: Lernaufgaben in heterogenen Gruppen.
richts. Diese Maßnahmen müssen zukünftig al- In: O. Börner/C. Lohmann (Hg.): Heterogenität und I.
lerdings noch weitergeführt und intensiviert Lernaufgaben im Englischunterricht. Braunschweig
werden (vgl. Küchler/Roters 2014, 244; Doert/ 2015, 5–16. – G. Nieragden: ›Literaturdidaktik war
eigentlich schon immer inklusiv‹. Ein Plädoyer für den
Nold 2016, 28 ff.). Einsatz von kleineren fiktionalen Textformen im Eng-
Spezifische Lernendendispositionen können lischunterricht förderpädagogischer und inklusiver
die Veränderung bzw. Anpassung von Rahmen- Klassen. In: R. Bartosch/A. Rhode (Hg.): Im Dialog
bedingungen für den FU erfordern. Stehen z. B. der Disziplinen. Englischdidaktik, Förderpädagogik,
Beeinträchtigungen des Hör- oder Sehvermö- I.  Trier 2014, 167–182. – C. Surkamp: Inklusiver FU.
Zum Potential von Literatur und handlungsorientier-
gens gewohnten Lehr- und Lernverfahren entge- ten Zugängen. In: E. Burwitz-Melzer et al. (Hg.): I.,
gen, können technische Hilfen und praktische Diversität und das Lehren und Lernen fremder Spra-
Maßnahmen wie die Verwendung eines Lehrer- chen. Tüb. 2017, 315–326. KD/CS
mikrofons, eine deutliche Aussprache, Blick-
kontakt, größere Schrift oder der verstärkte
Einsatz von ä Visualisierungen, z. B. auch über Input-Hypothese ä Natural Approach, ä Sprach-
eine expressive Körpersprache, zum Lernerfolg erwerb und Spracherwerbstheorien
beitragen (vgl. Müller-Hartmann/Schocker
2015, 6; Haß 2013, 31; Küchler/Roters 2014,
241). Mit Blick auf unterschiedliche kognitive Instruktivismus/Instruktion. Instruktivismus, ver-
Lernvoraussetzungen werden eine klare Unter- standen als direkter Transfer von portionierten,
richtsstruktur (auch in Verbindung mit Ritua- in sich abgeschlossen und oft kontextfrei präsen-
len), eine entspannte Atmosphäre, ein häufiger tierten, als objektiv vorhanden angenommenen
141 Inszenierung

Wissensstrukturen, bezeichnet die Gesamtheit aneignung wurde (und wird) Instruktivismus


der von einer Lehrperson geplanten und einge- häufig als ›Feindbild‹ des Konstruktivismus
setzten Methoden und Mittel zur Vorbereitung, aufgebaut und als ä Lerntheorie abschätzig be-
Steuerung und Kontrolle von kognitiven Mecha- wertet. Die einseitigen Polarisierungen ›(fremd-
nismen im Rahmen eines Lernprozesses (Input). gesteuerte) Vermittlung vs. (selbstgesteuerte)
Instruktion ist resultativ ausgerichtet und impli- Aneignung‹ (teaching vs. acquisition), Training
ziert die Festlegung von detaillierten ä Lernzie- vs. autonomes Lernen, ä Lehrerzentrierung vs.
len, progressiv angeordnetem (deklarativem) ä Lernerorientierung, Ergebnis- vs. ä Prozess-
ä Wissen (ä Progression), konkreten Lernaufga- und ä Handlungsorientierung begleiten den seit
ben und externer Evaluation. Generell ist die den 1990er Jahren erfolgenden Paradigmen-
Lehrperson aktiv und dominierend, sie arbeitet wechsel vom Instruktivismus zum Konstrukti-
lehrbuchgeleitet und materialbasiert, präsentiert vismus. Seit Beginn des 21. Jh.s wird die Dis-
Probleme und initiiert Wege zu ihrer Lösung. kussion differenzierter geführt, u. a. vor dem
Die reaktiven Lernenden verhalten sich eher re- Hintergrund kulturspezifischer Lerntraditio-
zeptiv bis passiv. Man unterscheidet meaning- nen, individueller Persönlichkeitsmerkmale von
focused instruction (MFI) und form-focused in- Lehrenden und Lernenden (z. B. Alter, Lernstil,
struction (FFI). Hauptformen der effektiveren Lernschwächen), Fragen nach Instruktions-
›expliziten FFI‹ sind neben unterschiedlichen form, vermitteltem Sprachmaterial und ange-
Präsentations-, Anleitungs- und Erklärungsme- strebtem Sprachstand. Seit den 2000er Jahren
thoden ein konkret festgelegtes Aufgabendesign werden verstärkt anwendungsbezogene und im
zu Einübung, kontrolliertem Training, gelenkter schulischen Kontext realistische Kompromisse
Anwendung und regelmäßiger Evaluierung von zwischen Instruktivismus und (gemäßigtem)
Sprachwissen und Kommunikationsfähigkeit. Konstruktivismus gesucht (aufgeklärter, prag-
Explizite FFI gilt als besonders geeignet für er- matischer Konstruktivismus). Dabei wird die
wachsene, analytisch-orientierte und eher fort- Wechselwirkung von lehrer- und schülerzen-
geschrittene Lernende. Instruktion nimmt sehr trierten Lern- und Unterrichtsphasen, Prozess-
wahrscheinlich positiven Einfluss auf Lern- und Ergebnisorientierung, ä Inhalts- und Hand-
tempo, -ergebnis, -motivation und Sprachbe- lungsorientierung und fächerübergreifenden
wusstheit (vgl. Housen 2009; ä Bewusstheit/Be- Arbeitsmethoden, die Rolle von Lernumge-
wusstmachung). Als Stufen von Instruktion gel- bung, Kontextsituierung, Medieneinsatz, Lehr-
ten ›direkte Instruktion‹, ›adaptive Instruktion‹ person (Tutor, coach), Interimswissen, Lernziel-
(differenziertes Eingehen auf einzelne Lernende), bestimmung, Wissensstandardisierung, ä Moti-
›computerbasiertes Instruktionsdesign‹ (Festle- vation und ä Emotion in fremdsprachlichen
gung individueller Lernfortschritte durch com- Lernprozessen weiterhin lebhaft diskutiert.
puterisierte Tutorensysteme), ›wechselseitige In- Lit.: G. Bach/B. Viebrock: Die Aneignung fremder
struktion‹ (ä Kooperatives Lernen) und ä auto- Sprachen. Zwischen Instruktion und Konstruktion.
nomes Lernen (Lerner/in als Instruktor). Durch In: Dies. (Hg.): Die Aneignung fremder Sprachen.
ihre geringere Determinierung und Lehrerauto- Perspektiven, Konzepte, Forschungsprogramm. FfM
2002, 9–16. – A. Housen: Did They Learn or Were
rität stehen letztere dem ä Konstruktivismus They Taught? The Role of Instruction in Second Lan-
nahe (vgl. Müller 2001). Zu den deutlichen guage Learning. In: K. Lochtman/H. M. Müller (Hg.):
Vorteilen der Instruktion gehören zeitliche, in- Sprachlehrforschung. Bochum 2009, 13–33. – K. Mül-
haltliche und organisatorische Überschaubar- ler: Der Pragmatische Konstruktivismus. Ein Modell
keit, Berechenbarkeit und Prüfbarkeit von Lern- zur Überwindung des Antagonismus von Instruktion
und Konstruktion. In: J. Meixner/K. Müller (Hg.):
stoff; Nachteile sind v. a. ein geringer Motiva- Konstruktivistische Schulpraxis. Beispiele für den Un-
tionsfaktor und die Unterstützung des Erwerbs terricht. Neuwied 2001, 3–47. CBK
von sog. trägem, selten transferierbarem Wissen.
Je nach Ausbalancierung des Gefüges von
Lehrinhalt und -ziel und individuellen Prägun- Inszenierung. Der Begriff der I. erfreut sich im
gen von Lehrenden und Lernenden erweist sich allgemeinen Sprachgebrauch großer Beliebtheit
Instruktion dennoch als partiell gut geeignete (insbesondere im Bereich des öffentlichen Le-
und effektive Form der Wissensvermittlung, die bens, der Politik, der Medien, der Kunst und
autonome Wissenskonstruktion anregen kann. Kultur) und findet auch innerhalb der ä Fremd-
Als auf den Prämissen des Behaviorismus sprachendidaktik in jüngerer Vergangenheit
beruhendes Modell der Wissens- und Sprachen- (wieder) zunehmend Verwendung. In enger
Inszenierung 142

Auslegung entstammt der Begriff dem Bereich Einflussreiche Publikationen aus dem englischen
der Theaterarbeit und bezeichnet den Prozess Sprachraum haben innerhalb der DaF-Didaktik
der Erarbeitung und Aufführung eines Dramas. im Laufe der 1980er Jahre den Bereich des The-
Der Vorgang des In-Szene-Setzens einer z. B. lite- aters und der I. mit dem Zweit-/Fremdsprachen-
rarischen Vorlage wurde schon in früherer Ver- lernen zusammengebracht, dabei den Begriff der
gangenheit sowohl von der ä Allgemeinen Di- ä Dramapädagogik eingeführt und das im anglo-
daktik (vgl. Heymann 2008) als auch in fremd- amerikanischen Raum etablierte und äußert
sprachendidaktischen Konzepten (vgl. Schewe lebendige Bezugsfeld Drama in Education für
2007) gerne mit Lehr- und Lernsituationen im die Fremdsprachendidaktik erschlossen. Eine
institutionalisierten Unterricht verglichen. Da- ernsthafte wissenschaftliche Auseinanderset-
bei wird neben augenscheinlichen Unterschie- zung mit dem Potenzial der I. für das Fremd-
den zwischen Theater und Unterricht (z. B. sprachenlernen findet seit den 1990er Jahren
Lehrerrolle, Zwangssituation Schule) die Paral- statt (vgl. das Standardwerk von Schewe 1993
lele v. a. in der Tatsache gesehen, dass in beiden sowie Kurtz 2001). Konzepte, die auf dem Po-
Fällen Themen, Inhalte und Sachverhalte aus tenzial der I. basieren, haben weitere Schubkraft
dem natürlichen (Lebens-)Kontext herausgelöst, durch die ›Interkulturelle Wende‹ (ä Interkultu-
akzentuiert und verdichtet, also inszeniert wer- relles Lernen; vgl. Kessler/Küppers 2008) sowie
den, um sie einer bewussten Reflexion zugäng- durch die sich derzeit abzeichnende ›Performa-
lich zu machen. Einige programmatische An- tive Wende‹ (ä Performative Kompetenz) erhal-
sätze und Lehrkonzepte, die das Potenzial der I. ten. Diese entfaltet aktuell besonders in der
für das Fremdsprachenlernen nutzbar machen, Englischdidaktik ihre Wirkung. Neue Potenziale
indem Aspekte wie das kindliche Spiel, die für I.sprozesse in Fremdsprachenlehr- und -lern-
Imaginationskraft der Lernenden (ä Imagina- kontexten ergeben sich ferner durch die digita-
tion), die Verknüpfung von Handlung und An- len ä Medien und hierbei besonders durch die
schauung sowie Dramatisierungen von Lese- unter der Überschrift Web 2.0 bekannten Inter-
und Dramentexten integriert werden, finden netanwendungen wie Audio- und Videoblogs,
sich schon im 19. Jh. (vgl. Schewe 2007). Beson- Podcasts, Videoportale und Social Network Si-
dere Bedeutung kommt zu Beginn des 20. Jh.s tes (vgl. Schmidt 2009). Hierbei eröffnen sich
reformpädagogischen Ansätzen (ä Reformpä- neuartige Formen des Aufbaus und der Pflege
dagogik) zu, deren Auffassung vom (Fremd- von Informations- und Beziehungsnetzwerken,
sprachen-)Lernen schon immer ganzheitlich der multimedialen, kreativen Selbst-I. von Indi-
(ä Ganzheitliches Lernen) gewesen ist mit dem viduen sowie der vielfältigen Präsentation
Ziel, die Lernenden in ihrer Persönlichkeitsent- schriftlicher wie mündlicher Inhalte für ein real
wicklung zu unterstützen. Während des Dritten existierendes Publikum. Für institutionalisierte
Reiches bis zur kommunikativen Wende Mitte Fremdsprachenlernprozesse sind Projektszena-
der 1970er Jahre spielen all diese Ansätze je- rien sinnvoll, in denen die Lernenden zu Produ-
doch keine Rolle mehr. Erst durch die Einflüsse zent/innen fremdsprachlicher Inhalte werden,
der (Pragma-)Linguistik auf die Fremdsprachen- das Internet als fremdsprachlichen Aktionsraum
didaktik und die Entwicklungen in der Deutsch-, erschließen und dabei sich selbst, ihre kulturelle
DaF- und englischsprachigen Zweit- bzw. ä Identität, ihre Ideen und Einstellungen für eine
Fremdsprachendidaktik kann zum Ende der im Vergleich zum geschützten Raum des Klas-
1970er Jahre mit Blick auf die Bedeutung der I. senzimmers weitaus größere Öffentlichkeit
für das Fremdsprachenlernen von einer Zäsur multimedial inszenieren.
gesprochen werden. Für die Englischdidaktik ist Das Potenzial der unterrichtlichen I. liegt im
das Einfordern von schulisch inszenierten Lern- Aufbrechen der empirisch belegten, häufig
kontexten, die zur Realisierung echter Kommu- hochgradig skriptgebundenen und ritualisier-
nikationsabsichten führen, seit dieser Zeit mit ten Unterrichtssprache (ä DESI-Studie). Darauf
dem Namen Hans-Eberhard Piepho verbunden; aufbauend fördert die I. die Vermittlung alltags-
seine Arbeit mündete schließlich in der sog. Sze- tauglicher Sprechhandlungskompetenz v. a. bzgl.
nariendidaktik (vgl. Piepho 2003). Seit den der Fähigkeit zum situationsgerechten, inter-
1980er Jahren sind Darstellendes Spiel und sze- kulturell angemessenen, spontanen ä Sprechen
nische Interpretationen etablierte Konzepte der (ä Improvisation) und der Aktivierung individu-
Deutschdidaktik und haben Eingang in die eller und ganzheitlicher Kommunikationspoten-
Lehrpläne sämtlicher Bundesländer gefunden. ziale in unterschiedlich vorstrukturierten Hand-
143 Intercultural Speaker

lungsszenarien. Aufgrund ihrer Ausrichtung an Interaktionsformen ä Sozialformen


interkulturellen ä Lernzielen sollten bei der Rea-
lisierung inszenierter Lernkontexte drei Voraus-
setzungen gegeben sein: (1) eine reflexive Einbet- Intercultural Speaker (dt. interkultureller Spre-
tung, denn Lernen als Erkenntnis, Einsicht oder cher). Unter dem i.s. versteht man ein neues
Veränderung eines Standpunktes muss nicht in Orientierungsmuster und Ideal des Fremdspra-
der Übungsphase, sondern kann sich ebenso in chenlernens, das als ein Alternativ- bzw. Gegen-
der anschließenden Feedback- oder Reflexions- konzept zum native speaker (dt. Muttersprach-
phase manifestieren; (2) eine Orientierung an ler) entworfen wurde. Im Zuge der zunehmen-
ganzheitlicher, verbaler und ä nonverbaler Kom- den Anerkennung von interkulturellen Aspekten
munikation; sowie (3) die Partizipation der Ler- des Fremdsprachenlernens geriet auch die tra-
nenden als Gruppe. Die Gütekriterien für eine ditionell fraglos akzeptierte Instanz des Mut-
gelungene I. sind weitgehend deckungsgleich mit tersprachlers als Maß des Fremdsprachenler-
den Erkenntnissen der Allgemeinen Didaktik nens in die Kritik. Der Terminus des i.s. wurde
über ›guten Unterricht‹ (vgl. Helmke 2006). Für von Michael Byram (1997) in die ä Fremdspra-
den FU steckt die Erforschung der Bedingungen chendidaktik eingeführt und insbesondere von
und Wirkungsweisen von inszenierten Lernar- Claire Kramsch (1998) weiterentwickelt. V. a.
rangements zwar erst in den Kinderschuhen, de- zwei Gesichtspunkte waren es, die die Kritik
ren enormes Potenzial für die Umsetzung des am Ideal des Muttersprachlers hervorriefen:
Bildungsanspruchs der fremdsprachlichen Fä- Erstens galt es als unrealistisch zu erwarten,
cher im Sinne einer Persönlichkeitsentwicklung dass Fremdsprachenlernende die Kompetenz
der Lernenden (ä Bildung) ist jedoch unstrittig. eines Muttersprachlers erlangen würden.
Fremdsprachenlernende seien insofern immer
Lit.: A. Helmke: Was wissen wir über guten Unterricht?
In: Pädagogik 58/2 (2006), 42–45. – H.-W. Heymann:
nur ›Sprecher/innen zweiter Klasse‹. Diese An-
Lernen inszenieren, Interesse wecken. In: Pädagogik nahme jedoch, so die Kritik weiter, würde von
60/6 (2008), 6–9. – A. Küppers/B. Kessler: A Shared der Einsicht unterlaufen, dass Fremdsprachen-
Mission. Dramapädagogik, interkulturelle Kompetenz lernende keineswegs schlechtere Kommunikan-
und holistisches Fremdsprachenlernen. In: Scenario 2/2 ten sein müssen, zumal wenn man nicht nur
(2008). – J. Kurtz: Improvisierendes Sprechen im FU.
sprachliche Korrektheit, sondern auch außer-
Tüb. 2001. – H.-E. Piepho: Lerneraktivierung im FU.
Szenarien in Theorie und Praxis. Hannover 2003. – linguistische Dimensionen interkultureller Kom-
M. Schewe: Fremdsprache inszenieren. Zur Fundierung munikation in Betracht zieht. Ein zweiter Kri-
einer dramapädagogischen Lehr- und Lernpraxis. Ol- tikpunkt besagte, dass das vermeintliche
denburg 1993. – M. Schewe: Drama und Theater in der ä Lernziel bzw. Ideal des native speaker absurd
Fremd- und Zweitsprachenlehre. Blick zurück nach sei, weil man nicht gleichermaßen doppelter
vorn. In: Scenario 1/1 (2007). – T. Schmidt: Mündliche
Lernertexte auf der Zweinull-Bühne. Mediale I.en im Muttersprachler sein könne, so dass man je-
Englischunterricht am Beispiel eines Schulpodcast-Pro- weils die andere Sprache verdrängt oder ne-
jekts. In: Forum Sprache 1 (2009). AlK/TSch giert. Vielmehr, so die Argumentation zur Ein-
führung des i.s., sei davon auszugehen, dass
ä Mehrsprachigkeit mit ä interkultureller kom-
Integratives Sprachenlernen ä Fertigkeiten munikativer Kompetenz verbunden sein müsse.
Es gehe nicht darum, native speaker von Spra-
che A und B zu sein (also zwei nahezu statisch
Integriertes Lernen ä Blended Learning gedachte, monolinguale ä Identitäten zu haben),
sondern darum, interkulturelle Kompetenz zu
fördern und als Teil einer komplexen, immer im
Intensives Lesen ä Leseverstehen Fluss befindlichen Identität zu begreifen, die im
Dazwischen der Sprachen und Kulturen agiert
und vermittelt.
Interaktion ä Handlungsorientierung, ä Content- Erklärt man den i.s. an Stelle des native spea-
Based Instruction, ä Unterrichtsinteraktion ker zum Ideal des Fremdsprachenlernens, erfor-
dert das eine Perspektivverschiebung bzw. -er-
weiterung: Es geht dann darum, dass Lernende
Interaktionistische Ansätze ä Spracherwerb und neben linguistischen Kompetenzen auch Kom-
Spracherwerbstheorien petenzen im interkulturellen, also im interper-
Intercultural Speaker 144

sonalen, soziolinguistischen und sozialen Be- von Strukturen, Funktionen und Merkmalen
reich erwerben. Nach Byram (1997, 33 ff.) ist aus einer Sprache in eine andere und die da-
der i.s. dadurch gekennzeichnet, dass er ä Kom- durch »verursachte Verletzung einer sprachli-
petenzen in fünf relevanten Bereichen der inter- chen Norm« (Juhász 1970, 9). I. betrifft mehr
kulturellen Kommunikation besitzt: (1) Wissen oder weniger alle Bereiche der sprachlichen
(knowledge/savoirs) über sich selbst und den Architektur: Lexik und Semantik, Morphologie
Anderen sowie individuelle und gesellschaftli- und Syntax, Aspekte und Modi, Phonetik und
che Interaktionen; (2) Fertigkeiten im Bereich Phonologie, aber auch die Pragmatik und die
der Interpretation (skills/savoir comprendre); Register (Soziolekte, Dialekte, Idiolekte, Fach-
(3) Erziehung und Bildung (education/savoir sprachen) sowie stilistische Varietäten (gehoben
s’engager), insbesondere politische Bildung und vs. familiär, umgangssprachlich usw.). Psycho-
kritische Kulturbewusstheit; (4) Einstellungen/ linguistisch kommt es zu einer intra- oder inter-
Haltungen (attitudes/savoir être), Offenheit lingualen I., wenn ein Merkmal einer Varietät
und Unvoreingenommenheit gegenüber Unge- aufgrund einer vermeintlichen oder realen for-
wohntem, einschließlich der Fähigkeit, das Ei- malen, semantischen oder funktionalen ›Ähn-
gene zu relativieren und das Fremde wertzu- lichkeit‹ (Analogie) unbewusst in eine andere
schätzen; (5) Fertigkeiten im Bereich des Entde- genommen wird. In diesem Sinne ist I. partiell
ckens und interkulturellen Handelns (skills/ synonym zu ä Transfer. Tritt das Transferpro-
savoir apprendre/faire). Insgesamt zeichnet sich dukt mit der zielsprachlichen Norm in Konflikt,
der i.s. somit durch seine Funktionen in der in- so spricht man von I. oder negativem Transfer.
terkulturellen Kommunikation aus. Er kann In diesem Zusammenhang kommen zwei
Beziehungen mit Anderen herstellen und auf- durchaus umstrittene Komplementärbegriffe in
recht erhalten, mögliche Probleme in der Kom- den Blick, ohne deren Kenntnis die didaktische
munikation erkennen und angemessen mit ih- Dimension von I. nicht erklärbar ist: Norm und
nen umgehen, und er vermag zwischen Men- ä Fehler. Sprachliche Normen sind soziale Kon-
schen verschiedener Herkunft und Sprecher/- strukte, deren Reichweite von Gruppen be-
innen verschiedener Sprachen zu vermitteln. All stimmt wird, die zu einem Normtyp in einem
dies sind Kompetenzen, die ein native speaker relevanten Bezug stehen. Augenfällige Beispiele
nicht per se besitzt. für die Verschiebung der Norm liefern die Kre-
I.s. sind als Personen ständig im Wandel. olsprachen. In Kreolgesellschaften gelten her-
Während Fremdsprachenlernen mit dem Ziel kunftsprachliche Sprechweisen als markiert,
der Muttersprachenkompetenz immer auf einen während lokale Varietäten die statistischen und
gedachten Perfektionsgrad (linear) zustrebt, oft auch die präskriptiven Normen stellen.
geht es bei der Bildung von interkulturellen Auch das Schreiben und Sprechen bauen jeweils
Sprecher/innen eher darum, Personen zu befähi- unterschiedliche Normerwartungen auf (vgl.
gen, sich flexibel mit wechselnden Situationen im Deutschen ›bekommen‹ vs. ›kriegen‹).
und Personen auseinanderzusetzen und die eige- Normverteilungen können innerhalb der Spra-
nen Positionen und Wissensbestände ggf. zu chen verschieden fixiert sein. So übernimmt das
hinterfragen und zu modifizieren oder auch zu Schweizerdeutsch die deutsche Schreibnorm,
revidieren. Dies kann nicht als linearer Prozess wohingegen die deutsche ›Spreche‹ als markiert
verstanden werden, sondern i.s. agieren bestän- gilt. Eine der Schwierigkeiten des Spanischen
dig »on the border between several languages als Fremdsprache ergibt sich daraus, dass in-
or language varieties, manoeuvring his/her way nerhalb der Hispanidad dieselben Formen je
through the troubled waters of cross-cultural nach Varietät unterschiedlich konnotiert wer-
misunderstandings« (Kramsch 1998, 27). den. Transfer und I. führen entweder zu simpli-
Lit.: M. Byram: Teaching and Assessing Intercultural fizierten sprachlichen Mischvarianten wie zu
Communicative Competence. Clevedon u. a. 1997. – den pidgins oder aber gar zu neuen, nicht auf
C. Kramsch: The Privilege of the I.S. In: M. Byram/ strukturellen Simplifizierungen beruhenden
M. Fleming (Hg.): Language Learning in Intercultural Mischsprachen wie zu dem aus italienischen
Perspective. Cambridge 1998, 16–31. BaSch
und spanischen Elementen gebildeten cocoliche,
das einem bei italienischen Migranten am Rio
Interferenz. Unter I. versteht man in der de la Plata begegnet. Die Zielsprache des FUs
ä Sprachwissenschaft (im Unterschied zur Ent- hat indes einen ihr eigenen Typus der Norm
lehnung) die nicht beabsichtigte Übertragung (vgl. Königs 1983), der in den zielsprachlichen
145 Interferenz

Diaregistern keine Entsprechung hat. Die Er- der eingliedrigen italienischen Negation non
forschung der interkulturellen Kommunikation sehr einfach sein, einem Italophonen wird hin-
hat zudem zu einer Relativierung des einseitig gegen der Erwerb der französischen zweiglied-
monokulturell geprägten Normbegriffs geführt, rigen und damit markierteren Negation ne pas
was v. a. am Beispiel der ä lingua franca ä Eng- schwerer fallen. Gerade die Erfahrungen mit
lisch diskutiert wird (vgl. Seidlhofer 2003). einander stark ähnelnden (nahverwandten)
Der Fehler wurde im FU außerhalb realer Sprachen belegen die Relevanz der markedness
Sprechsituationen definiert, was faktisch von hypothesis für I. und ä Interkomprehension.
vornherein eine reduktionistische, formfixierte Gegenüber der Kontrastivhypothese vertra-
und realitätsferne Normerwartung bewirkte. ten Heidi C. Dulay et al. (1982) die Ansicht,
Praktisch wurde verlangt, dass ein Lerner bzw. dass andere Faktoren als die Strukturdifferenz
eine Lernerin den ›durchgenommenen Stoff‹ zwischen der L1 und der L2 den ä Spracher-
normgerecht im Sinne des Inputs aktivieren werb dominieren. In Anlehnung an S. Pit Cor-
kann. Dabei wurde übersehen, dass Input X der (1967) betonten sie, dass der Spracherwerb
keineswegs zwangsläufig zu intake X führt. Die der ersten und zweiten Sprache streckenweise
einseitige Bindung des Fehlers an den überstark ähnlich verlaufe, z. B. vom weniger Komplexen
(schul)grammatisch fixierten Fokus auf der zum Komplexeren. Spracherwerb geschehe
Form übersah wichtige soziolinguistische Funk- nicht mechanistisch, wie noch unter dem Ein-
tionen der Sprachnutzung, so die interkulturelle fluss des Behaviorismus angenommen wurde,
Pragmatik und die Bedeutung von Sprecherrol- sondern als eine kreative Konstruktion. Hierbei
len. V. a. die Analyse interkultureller Kommuni- werden auch die außerlingualen Faktoren wie
kation, aber auch die Interlanguage-Hypothese ä Motivation, Alter, ä Vorwissen und Lernum-
(ä Interlanguage) haben zu einer gründlichen feld berücksichtigt. Die Identitätshypothese,
Revision dieser Auffassung geführt. auch L1=L2-Hypothese genannt, geht davon
Nachdem Uriel Weinreich (1953) den Begriff aus, dass die jedwedem Spracherwerb zugrunde
der I. in der Linguistik heimisch gemacht hatte, liegenden Mechanismen grundsätzlich gleich
wird er in der Fremdsprachenforschung im (identisch) seien: so die Ähnlichkeit der psycho-
Rahmen der Kontrastivhypothese verwendet linguistischen Prozesse, die Orientierung der
(vgl. Lado 1957). In Anlehnung an struktura- ä Progression an der Form der Zielsprache, die
listische und behavioristische Muster führte Definition des Fehlers gemäß der zielsprachli-
diese (in ihrer starken Variante) zu der An- chen Norm, die Existenz einer silent period und
nahme der Voraussagbarkeit von Fehlern bei die strukturelle und semantische Simplifizie-
der Zweitsprachenproduktion und zu einer rung. Andererseits lassen sich zahlreiche Indi-
dementsprechend ›kontrastiven‹ Lernsteuerung zien dafür ausmachen, dass die Erwerbsmuster
(ä Kontrastives Lernen). Die Kontrastivhypo- der L1 von jenen der L2 bzw. einer Ln erhebli-
these übersah allerdings zahlreiche andere che Unterschiede ausweisen. Diese erklären
lernrelevante Faktoren und konnte dem selbst sich aus der Tatsache, (1) dass v. a. erwachsene
erhobenen Anspruch empirisch nicht gerecht L2-Lerner/innen bereits dank ihrer L1 über ein
werden. Offensichtlich geht die mentale Verar- elaboriertes Medium zur sprachlichen Erfas-
beitung des sprachlichen Inputs weit über die sung von ›Welt‹ verfügen, (2) dass L2-Lerner/-
Stimulus/Response-Schemata des Behavioris- innen in anderen sozialen Rollen als L1-Erwer-
mus hinaus. Allerdings findet die Kontrastiv- ber/innen sind und dementsprechend andere
hypothese eine abgeschwächte Fortsetzung in affektive, wissensmäßige und volitionale Poten-
der markedness hypothesis von Fred R. Eck- zen aktivieren, (3) dass die Erwerbswege einer
man (1977, 321): Dieser zufolge müssen (1) Zielsprache X in Abhängigkeit von bestimmten
diejenigen Phänomene der Zielsprache als Ausgangssprachen unterschiedlichen Mustern
›schwer‹ gelten, welche erheblich von der oder folgen und dass (4) viele erwachsene Lernende
den Ausgangssprachen abweichen, hängt (2) bereits über plurilinguales und metakognitives
deren Schwierigkeitsgrad von der Intensität Wissen verfügen (ä Metakognition), das sie
der ›Markiertheit‹ ab, gelten (3) zu recht dieje- beim Erwerb mehrerer Fremdsprachen entwi-
nigen Phänomene als leicht, die sich zwar von ckelt haben (ä Interkomprehension, ä Sprachen-
den Ausgangssprachen unterscheiden, jedoch übergreifendes Lernen).
im Vergleich zu diesen nicht markiert sind. Für Speziell in der deutschen ä Fremdsprachendi-
einen Frankophonen dürfte daher der Erwerb daktik erlebte der Begriff I. seine Konjunktur in
Interferenz 146

Verbindung mit dem ›Dogma‹ der strengen Die Nähe der I. zur ä interlanguage erklärt
ä Einsprachigkeit. Ihm lag die Annahme zu- sich dadurch, dass das Interkomprehensions-
grunde, derzufolge mentale ›Spuren‹ zwischen ereignis diese in statu nascendi abbildet. Ihr
Sprachen zu I.en bzw. Fehlern führen. Die The- Aufbau vollzieht sich über das Ausprobieren
orie reduzierte die Rolle des Vorwissens auf den sprachenbezogener Hypothesen, die Lernende
Normverstoß und übersah dessen positive Rolle im Moment der Dekodierung der Zielsprache
für den Zweit- und Mehrsprachenerwerb. Da- dank von schon aus anderen Sprachen bekann-
bei sind die Muttersprache, aber auch andere ten sprachlichen Schemata bewusst oder unbe-
inferierende (ä Inferenz) und interferierende wusst entwerfen, sodann (hoffentlich) überprü-
Sprachen, immer beteiligt. fen und implizit oder explizit in einer plurilin-
gualen Hypothesengrammatik speichern. Beim
Lit.: S. P. Corder: The Significance of Learner’s Errors. bewussten Vergleichen zwischen Sprachen ent-
In: International Review of Applied Linguistics 5
(1967), 161–169.  – H. Dulay/M. Burt/S. Krashen:
decken sie neben ›echten‹ und falschen Freun-
Language Two. N.Y./Oxford 1982.  – F. Eckman: den – das Vergleichen von interlingualen Sche-
Markedness and Contrastive Analysis Hypothesis. In: mata ist grundlegend für jedwede Fehlerpro-
Language Learning 27 (1977), 315–330. – J. Juhász: phylaxe (ä Fehler) – auch die Wirksamkeit der
Probleme der I. Mü. 1970. – F. G. Königs: Normenas- eingesetzten Disambiguierungs- und Lernver-
pekte im FU. Ein konzeptorientierter Beitrag zur Er-
fahren und der volitionalen Strategien. Daher
forschung des FUs. Tüb. 1983. – R. Lado: Linguistics
Across Cultures. Applied Linguistics for Language kann reflexives Lernen (ä Metakognition) auf
Teachers. Ann Arbor 1957. – B. Seidlhofer: English for das zwischensprachliche Vergleichen, die Beob-
Europe, or European English? In: R. Ahrens (Hg.): achtung der interlanguage und des Sprachen-
Europäische Sprachenpolitik. Heidelberg 2003, 123– wachstums nicht verzichten. Wie zahlreiche
138. – U. Weinreich: Languages in Contact, Findings empirische Studien zum schulischen und zum
and Problems. N.Y. 1953. FJM
frühen Fremdsprachenlernen belegen (vgl. im
deutschsprachigen Kontext u. a. Bär 2009;
Interimssprache ä Interlanguage Morkötter 2016), müssen interkomprehensive
Verfahren als die Sprachen- und Lernbewusst-
heit (ä Bewustheit/Bewusstmachung) fördernde
Interkomprehension meint die Fähigkeit, fremde Strategien gelten. So betonen auch Untersu-
Sprachen oder Varietäten zu verstehen, ohne sie chungen zum Sprachlernverständnis von Stu-
in ihrer natürlichen Umgebung erworben oder dierenden romanischer Sprachen ein sehr enges
formal erlernt zu haben. I. begegnet regelmäßig Verhältnis von I. und Lernerautonomisierung
in informeller Kommunikation zwischen Men- (Martinez 2008; ä Autonomes Lernen).
schen verschiedener Sprachen (ä Mehrsprachig- In der Romania haben sich das interkompre-
keit). I. ist – wie die Identifikation des zielsprach- hensive Erlernen und die Kommunikation in
lichen ä Wortschatzes und der ä Grammatik auf mehreren romanischen Sprachen bewährt.
der Grundlage des nutzbaren (mehr)sprachli- Mehrsprachliche Lern- und Kommunikations-
chen ä Vorwissens (ä Transfer, ä Inferenz, ä Spra- plattformen (ä Tandemlernen) wie etwa GALA-
chenübergreifendes Unterrichten)  – ein uraltes NET fördern zudem in starker Weise das mehr-
Phänomen, das die Menschheit begleitet, seitdem sprachige ä interkulturelle Lernen (vgl. Santos-
es verschiedene Sprachen oder Varietäten gibt. Alves 2007). Inhaltlich folgt es Prinzipien, wie
Die Interkomprehensibilität konkreter Spra- sie im Rahmen des ä bilingualen Unterrichts
chen bemisst sich am Umfang ihrer einem In- und des ä Projektunterrichts begegnen.
dividuum erkennbaren Gemeinsamkeiten in Während romanischsprachige Lerner/innen
Wortschatz, Morphologie und Syntax usw. In in Bezug auf romanische I. von einem nativ
diesem Sinne spricht man von einer skandinavi- prozeduralen Vorwissen in zumindest einer ro-
schen, slawischen oder romanischen I. Selbst- manischen Sprache verfügen, ist dies z. B. bei
redend beeinflussen nicht allein sprachliche Deutschsprachigen i. d. R. nicht der Fall. Daher
Faktoren die Interkomprehensibilität, sondern wurden Verfahren entwickelt, um Lernenden,
ebenso personale: Erfahrungen mit interkultu- deren Muttersprache nicht derselben Familie
reller Kommunikation, Mehrsprachigkeit, und angehört wie die Zielsprache, in den Vorteil in-
Sprachenlernen, Volition und ä Motivation, terkomprehensiv basierten Lernens zu bringen
Lernorganisation, Nachhaltigkeit und anderes (z. B. Meißner 2007; Bär 2009; zu germani-
mehr. schen Sprachen vgl. Hufeisen/Marx 2014).
147 Interkulturelle kommunikative Kompetenz

Hiervon profitiert insbesondere der Unterricht 1990er Jahren führten ein verändertes Kultur-
in einer zweiten Fremdsprache aus derselben verständnis (ä Kultur) und die Ablehnung eines
Familie, z. B. ä Spanisch von ä Französisch und verengten Begriffs kommunikativer Kompetenz
ä Englisch (vgl. Meißner/Tesch 2010) oder Pol- zur Ausrichtung des FUs am Lernziel der i.k.K.,
nisch von ä Russisch. die mit einer Veränderung des Leitbilds vom
Den Bürger/innen der Europäischen Union native speaker zum ä intercultural speaker ein-
erlaubt I. weitgehend interkulturelle Kommuni- herging. In seinem Modell benennt Byram fünf
kation in ihren Muttersprachen. Daneben ist Komponenten interkultureller Kommunika-
der interkomprehensive Ansatz eine Strategie, tion, die bei der Ausbildung der Fähigkeiten ei-
die individuell vorhandene Mehrsprachigkeit nes interkulturellen Sprechers bzw. einer inter-
schnell und kostengünstig zugunsten rezeptiver kulturellen Sprecherin eine Rolle spielen: atti-
Kompetenz in (zahlreichen) weiteren Sprachen tudes (savoir être), knowledge (savoirs), skills
zu erweitern. Aus solcherlei Motiven hat die of interpreting and relating (savoir com-
EU wiederholt die Entwicklung interkompre- prendre), skills of discovery and interaction
hensionsdidaktischer Ansätze gefördert. (savoir apprendre/savoir faire), critical cultural
Lit.: M. Bär: Förderung von Mehrsprachigkeit und awareness (savoir s’engager).
Lernkompetenz. Fallstudien zu I.sunterricht mit Schü- Da es Byram um die Entwicklung i.k.K. in
lern der Klassen 5 bis 10. Tüb. 2009. – B. Hufeisen/ Bildungsinstitutionen geht, werden für jeden
N. Marx (Hg.): EuroComGerm. Die Sieben Siebe zum Bereich konkrete Lernziele bestimmt, mithilfe
Einstieg in die Welt der germanischen Sprachen.
Aachen 22014 [2007. – H. Martinez: Lernerauto- derer die interkulturellen Lehr- und Lernpro-
nomie und Sprachlernverständnis. Eine qualitative zesse strukturierbar und die individuellen
Untersuchung bei zukünftigen Lehrerinnen und Leh- Leistungen der Lernenden als interkulturelle
rern romanischer Sprachen. Tüb. 2008. – F.-J. Meiß- Sprecher/innen überprüfbar werden. (1) Im
ner: Grundlagen der Mehrsprachigkeitsdidaktik. In: Lernzielbereich attitudes geht es darum, Ein-
E.  Werlen/R. Weskamp (Hg.): Kommunikative Kom-
petenz und Mehrsprachigkeit. Diskussionsgrundlagen
stellungen wie Neugier und Offenheit gegen-
und unterrichtspraktische Aspekte. Baltmannsweiler über kultureller Fremdheit zu fördern. Die Be-
2007, 81–102.  – F.-J. Meißner/B. Tesch (Hg.): Spa- reitschaft, andere kulturelle Denk- und Wahr-
nisch kompetenzorientiert unterrichten. Seelze 2010. nehmungsweisen kennenzulernen und sich von
– S. Morkötter: Förderung von Sprachlernkompetenz eigenen kulturellen Sichtweisen und Vorannah-
zu Beginn der Sekundarstufe. Untersuchungen zu frü-
men zu distanzieren ( ›Dezentrierung‹), sie zu
her I. Tüb. 2016. – S. Santos-Alves: Between Langua-
ges and Cultures. The (Inter)cultural Dimension of relativieren und kritisch zu hinterfragen, ist als
Intercomprehension. In: F. Capucho et al. (Hg.): Voraussetzung für erfolgreiche interkulturelle
Diálogos em intercompreensão. Lissabon 2007, 99– Kommunikation zu verstehen. Im Sinne einer
108. FJM wertschätzenden Haltung gegenüber kulturel-
ler Fremdheit beurteilt der intercultural speaker
die Sichtweisen des Kommunikationspartners
Interkulturelle kommunikative Kompetenz ist nicht auf der Grundlage eigener kultureller
die Fähigkeit, mit Menschen zu kommunizieren Werte und Normen, sondern bemüht sich, die
und zu interagieren, die eine andere Sprache Denk- und Wahrnehmungsweisen des Ge-
sprechen und in einem anderen kulturellen sprächspartners aus dessen Perspektive zu re-
Kontext leben. In der ä Fremdsprachendidaktik konstruieren und zu verstehen, um ethnozentri-
ist der Begriff mit Michael Byrams (1997) Mo- sche Wahrnehmungen zu vermeiden (ä Perspek-
dell zur Vermittlung von intercultural commu- tive und Perspektivenwechsel).
nicative competence verknüpft, das auch die (2) Der Erfolg interkultureller Kommunika-
Empfehlungen des Europarats im ä Gemeinsa- tion ist zudem von zwei unterschiedlichen Wis-
men europäischen Referenzrahmen für Spra- sensbeständen abhängig: Zum einen handelt es
chen maßgeblich geprägt hat. In seinen Ausfüh- sich um das Wissen über soziale Gruppen sowie
rungen unterscheidet Byram das ä Lernziel der ihre kulturellen Produkte und Praktiken. Der
ä kommunikativen Kompetenz, das vornehm- Erwerb dieses Wissens bezieht sich sowohl auf
lich auf den erfolgreichen Austausch von Infor- die eigene Gesellschaft als auch auf die Gesell-
mationen zielt, vom Lernziel der i.k.K., das schaft des Kommunikationspartners. Zum an-
ebenso den Aufbau und Erhalt interkultureller deren erfordern interkulturelle Kommunika-
Beziehungen zwischen Menschen unterschiedli- tionssituationen Wissen über Voraussetzungen
cher kultureller Herkunft beinhaltet. In den und Konventionen in der Interaktion auf gesell-
Interkulturelle kommunikative Kompetenz 148

schaftlicher und persönlicher Ebene. Nach By- Kommunikations- und Interaktionssituationen


ram umfasst der Bereich knowledge somit das einzusetzen. Zu diesem Zweck verfügt der inter-
Wissen über die Art und Weise, wie Geschichte, kulturelle Sprecher über eine Reihe von Techni-
Geographie, Politik, gesellschaftliche Institutio- ken und Strategien, um während der Interaktion
nen, Sozialisationsprozesse und soziale Unter- oder durch das Studium und die Befragung von
schiede den Alltag und die Denk- und Wahrneh- Quellen oder Informanten (z. B. Nachschlage-
mungsweisen der Angehörigen der eigenen Kul- werke, Zeitungen, Geschichtsbücher, Experten,
tur und der Kultur des Kommunikationspartners Laien) die kulturellen Bedeutungen und Sicht-
prägen. In diesem Sinne verfügt der interkultu- weisen einer anderen Kultur zu rekonstruieren.
relle Sprecher über Wissen über die Art der ge- Darüber hinaus ist der interkulturelle Sprecher
genwärtigen und historischen Beziehungen zwi- in der Lage, die Bedeutung von Missverständnis-
schen den Nationen, über das kollektive Ge- sen und Hindernissen in einer Kommunikations-
dächtnis beider Gesellschaften und über die Art situation einzuschätzen und geeignete Interven-
und Weise, wie die gegenseitige Wahrnehmung tionsstrategien einzusetzen, die dem weiteren
die interkulturelle Interaktion mit dem Ge- Verlauf des Gesprächs förderlich sind und eine
sprächspartner beeinflussen kann. Dieses dekla- Vermittlung zwischen den Kommunikations-
rative Wissen muss allerdings durch prozedura- partnern begünstigen.
les Wissen über Interaktionstechniken ergänzt (5) Mit dem Bereich der critical cultural
werden (ä Wissen), damit der interkulturelle awareness, der in Byrams Modell i.k.K. eine
Sprecher in konkreten Situationen erfolgreich besondere Bedeutung einnimmt, rückt die Fä-
kommunizieren kann. Der Lernzielbereich higkeit der Lernenden zur kritischen Bewertung
knowledge ist daher mit dem Lernzielbereich kultureller Sichtweisen, Praktiken und Produkte
skills of interpreting and relating eng verknüpft. in den Mittelpunkt des Interesses. Dieses Lern-
(3) Der Bereich der skills of interpreting and ziel, das Byram ausdrücklich mit politischer
relating bezieht sich auf die Fähigkeit, fremd- Bildung in Verbindung bringt, beinhaltet die
kulturelle Dokumente oder Ereignisse zu inter- Fähigkeit, kulturelle Dokumente oder Ereig-
pretieren bzw. zu verstehen, zu erklären und nisse in ihren kulturellen Kontext einzuordnen
mit eigenkulturellen Dokumenten oder Ereig- und die in diesen Dokumenten zum Ausdruck
nissen in Beziehung zu setzen. Nach Byram ist kommenden kulturellen Werte zu erkennen.
der interkulturelle Sprecher in der Lage, ethno- Dazu gehört auch die Erkenntnis über die kul-
zentrische Sichtweisen wie z. B. ä Stereotype in turelle Gebundenheit der eigenen Perspektive
den Dokumenten zu erkennen und deren Hin- und die bewusste Wahrnehmung der eigenen,
tergründe zu erläutern. Zudem verfügt er über ideologisch geprägten Sichtweisen und Werte.
die Fähigkeit, Missverständnisse und Hinder- Dieses reflexive Moment, d. h. also die Fähig-
nisse in interkulturellen Kommunikationssitua- keit, die eigenen kulturellen Werte und Normen
tionen aufzudecken und die Beteiligten darüber, zu relativieren und kritisch zu hinterfragen, ge-
ihrem kulturellen Wissensstand entsprechend, hört für Byram zu den zentralen Fähigkeiten
aufzuklären. Die Identifikation gemeinsamer eines interkulturellen Sprechers. Eine Proble-
Grundannahmen und Differenzen trägt dazu matik, die nach Byram mit dem Lernziel der
bei, interkulturelle Konflikte auf einer Meta- politischen Bildung verknüpft ist, besteht in der
ebene zu reflektieren, sich über unterschiedliche Festlegung auf ein bestimmtes Wertesystem, das
Interpretationen kultureller Phänomene zu ver- als Grundlage für die Bewertung der eigenen
ständigen und diese miteinander auszuhandeln. und anderer Kulturen dienen kann. Die inter-
In diesem Sinne kann der interkulturelle Spre- nationalen Standards der Menschenrechte stel-
cher die Rolle eines Mittlers zwischen Kommu- len aus Byrams Sicht einen geeigneten Aus-
nikationspartnern aus unterschiedlichen Kultu- gangspunkt dar, allerdings ist gleichzeitig zu
ren einnehmen. berücksichtigen, dass internationales Recht im
(4) Der Fertigkeitsbereich skills of discovery nationalen Kontext eine je andere Bedeutung
and interaction beinhaltet die Fähigkeiten, sich erhalten kann und das Lernziel der critical cul-
neues Wissen über eine Kultur und ihre kulturel- tural awareness abhängig vom Alter und dem
len Bedeutungen, Konzepte und Praktiken selb- Reifegrad der Lernenden ist.
ständig zu erschließen und dieses Wissen in Ver- In seinem Modell zur Vermittlung von i.k.K.
bindung mit geeigneten Einstellungen (attitudes) unterscheidet Byram die drei Lernsituationen
und ä Fertigkeiten (skills) zur Bewältigung realer des classroom, der fieldwork und des indepen-
149 Interkulturelles Lernen

dent learning und erläutert die damit einherge- Die Auseinandersetzung mit literarischen
henden Rollen von Lehrenden und Lernenden. Texten hingegen zielt weniger auf die Entwick-
Im Gegensatz zum independent learning, bei lung konkreter Gesprächsstrategien als viel-
dem die meist erwachsenen Lernenden auf sich mehr auf die Entwicklung der Fähigkeit zur
selbst angewiesen sind, bietet das Klassenzim- Perspektivenübernahme und des Perspektiven-
mer den Vorteil der systematischen und struk- wechsels. Beim Lesen literarischer Texte kommt
turierten Vermittlung von Wissen und Fertig- es darauf an, sich von anderen Sichtweisen her-
keiten unter Anleitung der Lehrkraft. Zugleich ausfordern zu lassen, darauf zu reagieren und
dient es als Ort zur Reflexion über die erworbe- die eigenen Sichtweisen z. B. im Dialog mit dem
nen Fertigkeiten und neuen Wissensbestände, Text und auch mit den anderen Lernenden im
so dass die Lernenden auch ihre Einstellungen FU auszuhandeln.
zu dem Gelernten entwickeln und bewusst In der Fremdsprachendidaktik zählt i.k.K.
wahrnehmen können. Während der FU einer- als zentrales Lernziel des FUs, das nicht nur im
seits Möglichkeiten zum Erwerb von skills of Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen,
interpreting and relating sowie von skills of sondern auch in den Bildungsstandards (ä Stan-
discovery bietet, ergeben sich andererseits nur dards) entsprechendes Gewicht erhält. Aller-
punktuell Möglichkeiten zum direkten Kontakt dings wird bemängelt, dass die bildungspoliti-
mit Angehörigen einer anderen Kultur in Echt- schen Dokumente es versäumt haben, Teilkom-
zeit. Um diese Defizite des FUs auszugleichen, petenzen i.k.K. zu benennen oder Niveaustufen
sind Formen der fieldwork wie z. B. der Schü- zu formulieren, die das Erreichen i.k.K. über-
leraustausch (ä Begegnung und Begegnungssi- prüfbar machen würden. Um Lehrkräften, die
tuationen), Studienfahrten sowie E-Mail- oder sich an den Bildungsstandards orientieren,
Telekommunikationsprojekte sinnvoll. In die- trotzdem die Anforderungen beim Erwerb
sem Zusammenhang verweist Byram auf die i.k.K. zu veranschaulichen, wurden Aufgaben
Bedeutung, die der Einbindung dieser Erfah- zur Konkretisierung von i.k.K. entwickelt (vgl.
rungen in den Unterricht zukommt. Die Refle- Tesch et al. 2008). Auch die Frage nach der
xion über die persönlichen Erfahrungen kann Möglichkeit, i.k.K. zu evaluieren, wird weiter-
einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung von hin diskutiert (vgl. Hu/Byram 2009).
Einstellungen wie Offenheit gegenüber kultu- Lit.: M. Byram: Teaching and Assessing Intercultural
reller Fremdheit leisten. Communicative Competence. Clevedon 1997. –
Weitere Möglichkeiten zur Förderung von A.  Erll/M. Gymnich: Interkulturelle Kompetenzen.
i.k.K. werden u. a. in der Arbeit mit critical inci- Erfolgreich kommunizieren zwischen den Kulturen.
Stgt 2007. – A. Hu/M. Byram: Interkulturelle Kompe-
dents und in der Auseinandersetzung mit litera- tenz und fremdsprachliches Lernen. Modelle, Empirie,
rischen Texten (ä Literaturdidaktik) gesehen. Evaluation. Tüb. 2009. – B. Tesch/E. Leupold/O. Köl-
Bei critical incidents handelt es sich um Ge- ler (Hg.): Bildungsstandards Französisch konkret.
sprächssituationen, in denen regelmäßig Kom- Grundlagen, Aufgabenbeispiele und Unterrichtsanre-
munikationsschwierigkeiten oder Missver- gungen. Bln 2008. BFH
ständnisse zwischen den Angehörigen unter-
schiedlicher Kulturen auftreten (vgl. z. B. Erll/
Gymnich 2007). So können z. B. verbale und Interkulturelles Lernen versucht zu erreichen,
nonverbale Hinweise von den Gesprächspart- dass Äußerungen von Mitgliedern einer fremden
nern sehr unterschiedlich interpretiert werden, Kultur nicht mit dem eigenen kulturellen ä Vor-
wenn sie aufgrund ihrer kulturellen Herkunft wissen gedeutet und dadurch evtl. missverstan-
anders sozialisiert wurden (ä Nonverbale Kom- den werden, sondern dass sie im Bezugsrahmen
munikation). Bestimmte Verhaltensweisen (z. B. der fremden Kultur angemessen verstanden
Abstand zum Gesprächspartner, Blickkontakt, werden. Das bedeutet zunächst einmal, dass man
Gesprächsorganisation) sind kulturabhängig eine Innenperspektive einnimmt, um die Dinge
und können daher ggf. auch von den Gesprächs- mit den Augen der Anderen sehen zu können. Es
partnern anders wahrgenommen werden. Aus muss allerdings auch eine Außenperspektive
diesem Grund werden in interkulturellen Trai- hinzukommen, weil zum ä Verstehen das Ant-
nings solche typischen Situationen genutzt, um worten gehört und dabei kann die Außenpers-
kulturabhängige Wertungen und Interpretatio- pektive sehr unterschiedliche Funktionen erfül-
nen bewusst zu machen und Strategien für den len, die mit den unterschiedlichen Zielsetzungen
Umgang mit Missverständnissen zu entwickeln. des i.L.s zusammenhängen (ä Fremdverstehen).
Interkulturelles Lernen 150

Die Situationen, für die das i.L. vorbereiten von den Bereichen der Bildung und der Moral
soll, sind heterogen, so dass unterschiedliche strategisch zu definieren. Man kann den Unter-
kognitive, affektive und evaluative Kompeten- schied zwischen Mall und Thomas daher auch
zen angesprochen werden können. Im FU sollen mit den Begriffen dialogischer und strategischer
die Lernenden auf erste interkulturelle Begeg- Interaktion definieren (vgl. Seel 1999, 51). Im
nungen vorbereitet werden und ä interkulturelle ersten Fall sind die Anderen ein Gegenüber, mit
kommunikative Kompetenz erwerben. Ziel ist dem wir in einen selbstzweckhaften Austausch
es, zu verhindern, dass sie in außerschulischen treten; im zweiten Fall werden Andere darauf
Begegnungssituationen Tabus verletzen und hin betrachtet, wie sie zum Erfolg des eigenen
Sanktionen erleiden und dass sie den Äußerun- Handelns beitragen können (zur Auseinander-
gen von Fremden falsche Bedeutungen zuschrei- setzung zwischen Mall und Thomas vgl. Bre-
ben. Die Lernenden sollen daher Kompetenzen della 2010, 90–98).
wie die Fähigkeit zur Übernahme einer anderen Die Ziele des i.L.s unterscheiden sich mit der
Perspektive ausbilden (ä Perspektive und Per- jeweiligen Außenperspektive, wobei auch die
spektivenwechsel). Im Mittelpunkt des i.L.s Anwendungssituation eine wichtige Rolle spielt.
steht ferner die Einsicht in die Relativität von Mall weist bei seiner Kritik an der interkulturel-
Werten, was nicht einfach ist, wenn diese Werte len Kompetenz bei Thomas darauf hin, dass es
mit der eigenen Identität eng verbunden sind Institutionen gibt, die sich um einen fairen Han-
(vgl. Kumbier/Schulz von Thun 2008). del zwischen den Staaten des Nordens und des
Für Ram A. Mall (2003, 197) bedeutet i.L. Südens bemühen. Hier kann interkulturelle
eine »normative Selbsttransformation«, die Kompetenz nicht nur strategisch, sondern muss
verlangt, dass man auf Absolutheitsansprüche auch dialogisch und als »normative Selbsttrans-
der eigenen Kultur verzichtet und den Mut formation« verstanden werden. Wie die jewei-
aufbringt, »mit und in Differenzen zu leben lige Außenperspektive das i.L. und die interkul-
und Diskurse zu führen« (Mall 2000, 344). Das turelle Kompetenz beeinflusst, wird deutlich,
Einnehmen der Innenperspektive hat hier weit- wenn man sie in unterschiedlichen Bereichen
gehende Konsequenzen für das eigene Selbst- betrachtet. Ein Ethnologe, der sich für die Be-
und Weltverständnis: I.L. ist ein Bildungspro- wahrung einer Kultur einsetzt, bestimmt sie an-
zess, der unsere Sicht- und Handlungsweisen ders als ein Missionar, der die Menschen von
grundsätzlich verändert. Dieser Auffassung von den Vorzügen seiner Kultur bzw. seiner Religion
i.L. und interkultureller Kompetenz stellt Alex- zu überzeugen versucht. Im Bereich des Touris-
ander Thomas eine ganz andere gegenüber. Für mus bedeutet interkulturelle Kompetenz nach
ihn ist i.L. nicht Teil eines Bildungsprozesses, Tilman T. Klinge (2007), dass die im Tourismus
sondern Teil der Berufsqualifikation für Ge- Beschäftigten sich so auf die Kunden einstellen,
schäftsleute, der dazu beitragen soll, Aufträge dass sie deren ethnozentrische Vorstellungen
zu erhalten, also wirtschaftlich erfolgreich zu bestätigen. Wenn gegenwärtig interkulturelle
sein. Für diese Zielsetzung ist es gleichgültig, ob Kompetenz als ä Schlüsselkompetenz angesehen
man auf Absolutheitsansprüche der eigenen wird, dann wohl v. a. deshalb, weil sie als Be-
Kultur verzichtet oder ob man glaubt, allein rufsqualifikation in einer globalisierten Welt
»im Besitz der Wahrheit zu sein« (Thomas eine zentrale Rolle spielt.
2003, 146). Wenn es zum geschäftlichen Erfolg Die Ausrichtung der interkulturellen Kompe-
führt, muss es daher auch erlaubt sein, sich in- tenz am strategischen Handeln im Sinne von
tolerant zu verhalten und einseitig Macht aus- Thomas kann dazu führen, dass sie für die Ma-
zuüben (vgl. ebd.). Ziel des i.L.s ist von dieser nipulation und Ausbeutung der Anderen einge-
Warte der Erwerb einer Kompetenz, die es er- setzt wird. Dieser Gedanke steht im Mittelpunkt
möglicht, in interkulturellen Begegnungen die von Tzvetan Todorovs Die Eroberung Ameri-
eigenen Ziele erfolgreich durchzusetzen. Tho- kas: Das Problem des Anderen (1985). Todorov
mas stimmt Elsayed Eshahed zu, für den der zeigt, wie Cortes viel über die Sprachen und
Glaube an die Überlegenheit der eigenen Kultur Kulturen der Indianer lernt und wie er sein da-
so tief in den Menschen verwurzelt sei, dass die bei gewonnenes Wissen und Können für die
Erwartung an eine Selbsttransformation absurd Durchsetzung seiner Ziele einsetzt. Daher
und völlig unrealistisch sei (vgl. ebd., 145). drängt sich Todorov (1985, 155) die Erkennt-
Thomas sucht den Begriff der interkulturellen nis auf: »Es ergibt sich somit eine erschreckende
Kompetenz als Berufsqualifikation unabhängig Verkettung, die vom Verstehen zum Nehmen,
151 Interkulturelles Lernen

vom Nehmen zum Zerstören führt, eine Verket- kulturellen Kompetenz sog. critical incidents
tung, deren unabwendbaren Charakter man entwickelt (vgl. Bredella 2010, 95 f.). Bei der
gerade in Frage stellen möchte.« Es sind diese Übungstypologie zum i.L. in dem Lehrwerk
und ähnliche Einsichten, die dazu führen, dass Sichtwechsel (Bachmann et al. 1996) stehen
i.L. und interkulturelle Kompetenz innerhalb Aufgaben im Vordergrund, bei denen den Ler-
der ä Fremdsprachendidaktik so bestimmt wer- nenden bewusst werden soll, wie es beim Wahr-
den, dass sie sich bewusst gegen Manipulation nehmen fremdkultureller Phänomene aufgrund
und Ausbeutung wenden und die Anerkennung ihres kulturellen Vorverständnisses zu Missver-
des Anderen als Person in den Mittelpunkt ständnissen kommen kann. Dadurch sollen sie
stellen. Das ist das zweite zentrale Motiv, das lernen, bei Deutungen fremdkultureller Phäno-
erklären kann, warum interkulturelle Kompe- mene vorsichtig vorzugehen (vgl. ebd., 90 f.)
tenz und Fremdverstehen zu Schlüsselbegriffen und Perspektivenwechsel vorzunehmen. Andere
geworden sind. Dabei spielt die politics of reco- Vorschläge zum i.L. orientieren sich an Kultur-
gnition (Taylor 1994) eine entscheidende Rolle. standards als den für eine Kultur grundlegen-
Sie besagt, dass Menschen tiefes Leid zugefügt den Deutungsschemata: Indem die Lernenden
wird, wenn sie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu mit diesen vertraut gemacht werden, soll er-
einer bestimmten Kultur, einer Ethnie, einer reicht werden, dass sie Phänomene der fremden
Religion oder einer Nation als minderwertig Kultur richtig verstehen (vgl. Erll/Gymnich
angesehen werden, so dass sie für die Anerken- 2007). Dabei muss jedoch bedacht werden,
nung ihrer kollektiven ä Identitäten kämpfen dass diese Deutungsschemata keine scharfe
müssen. Damit wird erreicht, dass die kollekti- Abgrenzung zwischen den Kulturen erlauben
ven Identitäten nicht mehr als Ursache für und dass sie das Verhalten der Menschen einer
Selbstverachtung und Selbsthass, sondern als Kultur nicht determinieren. Literarische Texte
Grund für Selbstachtung erfahren werden kön- und Spielfilme sind für das i.L. besonders geeig-
nen (vgl. ebd.; Bredella 2010, 103 ff.). In diesem net, weil sie die komplexe Wirklichkeit der
Kampf spielt das i.L. eine zentrale Rolle, weil fremden Kultur ins Klassenzimmer bringen
Anerkennung auf Andere angewiesen ist: Wem können. Sie können eine Vielfalt von Charakte-
die Anerkennung verweigert wird, der ist als ren und Diskursen der fremden Kultur sowie
Person unsichtbar. Bei der Aufwertung kollekti- die Konflikte zwischen ihnen zur Darstellung
ver Identitäten muss jedoch darauf geachtet bringen. Die Individualität der Charaktere
werden, dass sie nicht verabsolutiert werden, macht ferner deutlich, dass man ihnen nur ge-
dass es nicht zur Bildung von ä Stereotypen recht wird, wenn man sie in dem spannungsrei-
kommt und dass von ihren Mitgliedern nicht chen Verhältnis von individuellen und kollekti-
verlangt wird, dass sie sich den vorherrschen- ven Identitäten zu verstehen sucht. Literarische
den Sicht- und Verhaltensweisen ihrer Gruppe Texte und Spielfilme gewähren einen differen-
unterordnen. Mit der Aufwertung der kollekti- zierten Einblick in die Gedanken, Gefühle und
ven Identität nach außen wäre dann eine Unter- Handlungsmotive von Charakteren, wie dies in
drückung nach innen verbunden. Insofern ge- der Lebenswelt nur selten möglich ist. Zudem
hört zum i.L., die Anderen als kreative und re- ermöglicht die Rezeptionssituation, dass sich
flexive Wesen in den Blick zu bekommen und Rezipient/innen intensiv auf die fremde Welt
sie im Spannungsverhältnis zwischen individu- einlassen können, weil sie vom Handlungs-
ellen und kollektiven Identitäten zu verstehen. druck, dem sie in der Lebenswelt ausgesetzt
Derek Attridge (2004) spricht von »idiocul- sind, entlastet sind. Besondere Bedeutung haben
ture«, um zum Ausdruck zu bringen, dass Men- für das i.L. multikulturelle Texte, die interkul-
schen einerseits von den Einflüssen ihrer Kultur turelle Begegnungen und Charaktere mit multi-
abhängig sind, dass sie aber andererseits nicht kulturellen Identitäten darstellen. Die ä Litera-
miteinander identisch sind, weil ihre individuel- turdidaktik hat eine Fülle von Aufgaben entwi-
len Identitäten aus Überschneidungen der in ei- ckelt, um das Potenzial von literarischen Texten
ner Kultur existierenden Wertvorstellungen, für das i.L. zu entfalten (vgl. z. B. Nünning/Sur-
Gewohnheiten, Vorurteile, Erwartungen und kamp 2016; konkrete Beispiele für das i.L. mit
Vorlieben entstehen. literarischen Texten finden sich in Bredella/
Für das i.L. im Klassenzimmer sind sehr un- Christ 2007 und Bredella/Hallet 2007).
terschiedliche Methoden und Aufgaben entwi- Eine besondere Herausforderung für das i.L.
ckelt worden. Thomas hat für Kurse zur inter- stellt der radikale Relativismus dar. Dieser ver-
Interkulturelles Lernen 152

tritt die Auffassung, dass jede Kultur für sich hineingeboren wird und ohne unfreiwillige und
bestimmt, was rational und human ist, so dass freiwillige Bindungen gar nicht existieren kann.
wir die Werte einer anderen Kultur vorbehaltlos Selbst das autonome Ich ist auf die Sprache und
akzeptieren müssen, wenn wir nicht als ethno- die Konzepte seiner Kultur angewiesen, ohne
zentrisch erscheinen wollen. Jede Kritik an den die es sich gar nicht als autonom artikulieren
Werten der fremden Kultur enthüllt nur unsere könnte (zur Bedeutung dieser Auseinanderset-
Voreingenommenheit, weil es keinen objektiven zung für das i.L. und interkulturelle Verstehen
Standpunkt gibt, von dem aus Werte beurteilt vgl. Bredella 2010, 108–125). Wenn somit in
werden können. Aber diese radikale Sicht lässt westlichen Kulturen eine Stärkung des Gemein-
sich theoretisch und praktisch nicht aufrechter- schafts-Ichs gefordert wird, so wird umgekehrt
halten. Der radikale Relativismus geht von der in asiatischen Kulturen eine Stärkung des Indi-
falschen Voraussetzung aus, dass Kulturen in vidual-Ichs gefordert (vgl. Kumbier/Schulz von
sich abgeschlossene Gebilde sind, in denen alle Thun 2008, 187–205). Eigenes und Fremdes
Menschen den gleichen Wertvorstellungen fol- stehen sich somit nicht nur als Gegensätze ge-
gen. Doch Kulturen sind Orte, an denen Nor- genüber, sondern im Eigenen wird das Fremde
men und Wertvorstellungen ausgehandelt wer- und im Fremden das Eigene erfahrbar, wobei
den (ä Kultur). Zudem sind Menschen nicht sich die Grenzen zwischen beiden Bereichen
Produkte ihrer Kultur, sondern kreative und verändern können. Es ist diese Einsicht, die i.L.
reflexive Wesen, die sich über kulturelle Gren- begreifbar macht, bei dem man nicht nur lernt,
zen hinweg miteinander verständigen können, wie man sich in der fremden Kultur verhält,
auch wenn es dabei zu Missverständnissen und sondern auch, wie man durch dieses Lernen
Konflikten kommt. Daher kann es auch der verändert wird. Insofern ist das i.L. im Sinne
Fall sein, dass Unterschiede zwischen Menschen von Mall als »normative Selbsttransformation«
aus der gleichen Kultur größer sind als die zwi- ein wesentlicher Aspekt des Bildungsprozesses.
schen Menschen aus unterschiedlichen Kultu- Lit.: D. Attridge: The Singularity of Literature. Ldn
ren. Die Annahme, dass in der einen Kultur 2004. – S. Bachmann/S. Gerhold/G. Wessling: Aufga-
Werte vertreten werden, die es in anderen Kul- ben- und Übungstypologie zum i.L. In: Zielsprache
turen gar nicht gibt, ist irreführend. Angemes- Deutsch 27/2 (1996), 77–91. – L. Bredella: Das Verste-
sener erscheint die Annahme, dass sich Kultu- hen des Anderen. Kulturwissenschaftliche und litera-
turdidaktische Studien. Tüb. 2010. – L. Bredella/
ren dadurch unterscheiden, dass in ihnen Werte H. Christ (Hg.): Fremdverstehen und interkulturelle
unterschiedlich gewichtet werden. In asiati- Kompetenz. Tüb. 2007. – L. Bredella/W. Hallet (Hg.):
schen Kulturen steht z. B. das »Gemeinschafts- Literaturunterricht, Kompetenzen und Bildung. Trier
Ich«, das seine individuellen Belange denen der 2007. – A. Erll/M. Gymnich: Interkulturelle Kompe-
Gemeinschaft unterordnet, im Mittelpunkt, tenzen. Erfolgreich kommunizieren zwischen den
Kulturen. Stgt 2007. – T. T. Klinge: Interkulturelle
während in westlichen Kulturen ein »Indivi-
Kompetenzen in DaF für Touristen. In: Bredella/Christ
dual-Ich« mit starker Betonung von Selbstbe- 2007, 101–108. – D. Kumbier/F. Schulz von Thun
stimmung und Autonomie vorherrscht. I.L. (Hg.): Interkulturelle Kommunikation. Methoden,
kann aufzeigen, wie es einerseits bei interkultu- Modelle, Beispiele. Reinbeck bei Hamburg 22008
rellen Begegnungen zu Spannungen und Kon- [2006. – R. A. Mall: Interkulturelle Verständigung.
flikten zwischen Mitgliedern asiatischer und Primat der Kommunikation vor dem Konsens? In:
Ethik und Sozialwissenschaften 11/3 (2000), 337–350.
westlicher Kulturen kommen kann, weil aus – R. A. Mall: Interkulturelle Kompetenz jenseits bloßer
asiatischer Perspektive das »Individual-Ich« als ›political correctness‹. In: Erwägen, Wissen, Ethik
rücksichtslos und egozentrisch und aus westli- 14/1 (2003), 196–198. – A. Nünning/C. Surkamp:
cher Perspektive das »Gemeinschafts-Ich« als Englische Literatur unterrichten. Grundlagen und
unkritisch und angepasst erscheint (vgl. Kum- Methoden. Seelze 42016 [2006. – M. Seel: Versuch
über die Form des Glücks. FfM 1999. – Ch. Taylor:
bier/Schulz von Thun 2008, 28), und wie es The Politics of Recognition. In: A. Gutmann (Hg.):
andererseits auch innerhalb westlicher und asia- Multiculturalism. Examining the Politics of Recogni-
tischer Kulturen zu intrakulturellen Auseinan- tion. Princeton 1994, 25–74. – A. Thomas: Interkultu-
dersetzungen über beide Begriffe kommen relle Verständigung unter dem Blickwinkel interkultu-
kann. So gibt es in den USA und Kanada heftige rellen Handelns. In: Ethik und Sozialwissenschaften
11/2 (2000), 405–408. – A. Thomas: Interkulturelle
Auseinandersetzungen zwischen Vertretern des
Kompetenz. Grundlagen, Probleme und Konzepte. In:
Liberalismus und des Kommunitarismus. Letz- Erwägen, Wissen, Ethik. 14/1 (2003), 137–150. –
tere kritisieren die Auffassung eines autonomen T.  Todorov: Die Eroberung Amerikas. Das Problem
Individual-Ichs, weil der Mensch in eine Kultur des Anderen. FfM 61993 [1985. LB
153 Intertextualität und Intermedialität

Interlanguage. Die Prägung des Begriffs i. (frz. J.  Cenoz et al. 2001, 42–58.  – K. Vogel: Lernerspra-
interlangue, dt. auch Lernersprache, Interim- che. Linguistische und psycholinguistische Grundfra-
gen zu ihrer Erforschung. Tüb. 1990. FJM
sprache) wird gemeinhin Larry Selinker (1972)
zugeschrieben. Doch hat das Konzept mehrere
Väter, wie schon die unterschiedlichen Benen- Intermedialität ä Intertextualität und Interme-
nungen andeuten (vgl. Vogel 1990). I. bezeich- dialität
net einen Kompetenzstatus, den ein Lerner bzw.
eine Lernerin einer Fremdsprache zu einem ge-
gebenen Zeitpunkt des Erwerbsprozesses in Internet ä Computer-Assisted Language Lear-
der Zielsprache erreicht. Die idiosynkratische i. ning (CALL), ä E-Learning
kann erheblich von der präskriptiven oder sta-
tistischen Norm der Zielsprache abweichen.
Als Ausdruck transitorischer Kompetenz verrät Interpretation ä Literaturdidaktik
sie deutliche Spuren der mental in den Erwerbs-
prozess einbezogenen Sprachen (vgl. Cenoz
2001), v. a. der Muttersprache, aber auch von Intertextualität und Intermedialität. Intertextu-
Lernerfahrungen und Lernaufmerksamkeit alität (IT.) ist ursprünglich ein literaturwissen-
(ä Interkomprehension). Von den großen Hypo- schaftlicher Begriff, mit dem alle Arten von Be-
thesen zum Fremdsprachenerwerb (ä Sprach- ziehungen zwischen literarischen Texten, meis-
erwerb und Spracherwerbstheorien) verlangt tens auf verschiedenen historischen Stufen,
die I.-Hypothese insbesondere die Erforschung bezeichnet wurden. Als Intertexte im weiteren
von Transferprozessen (ä Interferenz, ä Inferenz, Sinne gelten auch Interpretationen und Kom-
ä Transfer, ä Sprachenübergreifendes Unterrich- mentare sowie Paratexte, aber auch Überset-
ten). zungen und quantitative Transformationen wie
Wie die beim Erstsprachenerwerb auftreten- z. B. Inhaltsangaben. Unter Rückgriff auf
den Idiosynkrasien zeigt auch die i. Systematizi- Michail Bachtins Vorstellung von der Redeviel-
tät, Dynamik bzw. hochgradige Veränderbar- falt im Roman haben insbesondere Julia Kris-
keit und Instabilität. Die i. ist ein Kontinuum, teva und Roland Barthes einen erweiterten Be-
bei dessen Weiterbau das gesamte mehrspra- griff von IT. entwickelt, demzufolge jeder Text
chige mentale Lexikon der Lerner/innen betrof- aus zahllosen anderen Texten besteht und folg-
fen ist. Die auf einzelne Zielsprachen fokussie- lich ein Intertext ist (vgl. z. B. Barthes 1994,
rende Optimierung bereichert also nicht nur 1683). Kristeva betrachtet in einer logischen
das Wissen über die jeweils einzelne Sprache Weiterung die Menge aller intertextuell ver-
selbst. flochtenen Texte als Kultur. Kultur wird damit
Während die Forschung im Rahmen der sog. zu einem »texte général« (Kristeva 1970), und
Kontrastivitätshypothese in den 1960er und umgekehrt sind damit alle Texte nur in ihrer
den folgenden Jahren noch davon ausging, dass Verflochtenheit mit anderen Texten verstehbar.
v. a. zwischen Muttersprache und Zielsprache Aus einem weiten, auch andere Medien umfas-
Strukturdifferenz zu ä Fehlern führe und diese senden (semiotischen) Textbegriff und als Re-
durch kontrastive Analyse prognostizierbar und aktion auf das kulturelle Phänomen allseitiger
präventiv therapierbar seien (ä Kontrastives Beziehungen zwischen verschiedenen medialen
Lernen), betonen De Angelis/Selinker (2001) Darstellungsformen (z. B. bei der Literaturver-
auf der Grundlage neuerer empirischer, v. a. von filmung) hat sich in den Literaturwissenschaf-
der Interkomprehensionsforschung erarbeiteter ten das übergreifende Konzept der Intermedia-
Befunde, dass die i. mehrsprachige Elemente lität (IM.) entwickelt, das die Beziehungen und
mehrerer involvierter Sprachen zeigt. Diese be- Transformationen zwischen allen möglichen se-
gegnen in Gestalt von positivem und/oder ne- miotischen Systemen und medialen Ausdrucks-
gativem Transfer. formen in literarisch-ästhetischen Artefakten
Lit.: J. Cenoz: The Effect of Linguistic Distance, L2- erfassen kann (vgl. Rajewsky 2002). Das Feld
Status and Age on Cross-linguistic Influence in Third ist hinsichtlich der Bezugnahmen zwischen ver-
Language Acquisition. In: Dies. et al. (Hg.): Cross- schiedenen Medien mittlerweile stark ausdiffe-
Linguistic Influence in Third Language Acquisition.
Psycholinguistic Perspectives. Clevedon 2001, 8–20. – renziert, z. B. hinsichtlich der Bezüge zwischen
G. De Angelis/L. Selinker: I. Transfer and Competing dem Worttext und der Malerei, dem Film oder
Linguistic Systems in the Multilingual Mind. In: der Musik (vgl. umfassend Rippl 2014), und
Intertextualität und Intermedialität 154

hat auch methodologische Systematisierungen kennbar. Sie ist ein Desiderat, weil erstens die
hervorgebracht (vgl. Hallet 2014). In Analogie Orientierung in multitextuellen Umgebungen,
zum texte général lässt sich mit der Annahme die Interrelationierung verschiedener medialer
der vielfältigen intermedialen Vernetzung von Darstellungsformen und die Multimodalität
Äußerungen aller Art Kultur nun auch als mul- der Kommunikation der lebensweltliche Nor-
timedialer Hypertext begreifen (vgl. Altmeyer malfall sind. Zweitens können kulturdidak-
2004). tisch, wie dargelegt, Text- und Medienkombi-
In der ä Fremdsprachendidaktik sind IT. und nationen als Repräsentation von Ausschnitten
IM. auf verschiedenen Ebenen relevant. Die fremdsprachiger Kulturen und Diskurse kon-
Vorstellung von Kultur als einem textuellen zipiert werden (ä Kulturdidaktik). Drittens
Geflecht ermöglicht es, fremdsprachige Texte schließlich sind intertextuelle und intermediale
als Repräsentationen einer fremden Kultur zu Kompetenzen aber auch deshalb notwendig,
verstehen. Didaktische Textkombinationen weil sich im Spracherwerbs- wie im Sprachlern-
können als Repräsentationen von Diskursen in prozess rekurrente sprachliche und textuell-
fremdsprachigen Kulturen aufgefasst werden mediale, also generische Muster nur im inter-
und über Rekurrenzen oder Widersprüche textuellen Vergleich identifizieren lassen (ä Ge-
Merkmale fremder Kulturen deutlich hervor- nerisches Lernen).
treten lassen. Textkombinationen können aber Lit.: C. Altmeyer: Kultur als Hypertext. Zu Theorie
auch zu inadäquaten Darstellungen einer frem- und  Praxis der Kulturwissenschaft im Fach Deutsch
den Kultur oder zu (oft ungewollten) Stereoty- als  Fremdsprache. Mü. 2004. – R. Barthes: Œuvres
pisierungen (ä Stereotyp) führen (vgl. Decke- complètes. Bd. 2: 1966–1973 (Hg. Éric Marty). Paris
1994. – H. Decke-Cornill: IT. als literaturdidaktische
Cornill 1994). Im engeren didaktischen Sinn Dimension. Zur Frage der Textzusammenstellung bei
lässt sich auch der FU als ein Geflecht von literarischen Lektürereihen. In: Die Neueren Sprachen
fremdsprachigen Ausgangstexten, didaktischen 93/3 (1994), 272–287. – W. Hallet: FU als Spiel der
Instruktionstexten und Lernertexten (in ver- Texte und Kulturen. IT. als Paradigma einer kulturwis-
schiedenen medialen Formen) betrachten und senschaftlichen Didaktik. Trier 2002. – W. Hallet: Was
ist IT.? Die Perspektive des FUs. In: R. Olsen/H.-B.
damit als transkultureller Diskursraum, in dem Petermann/J. Rymarczyk (Hg.): IT. und Bildung. Didak-
Texte und Kulturen in ein komplexes Zusam- tische und fachliche Perspektiven. FfM 2006, 129–160.
menspiel eintreten (vgl. Hallet 2002; Shuart- – W. Hallet: Lernen fördern, Englisch. Kompetenzorien-
Faris/Bloome 2004). Methodisch schärfen IT. tierter Unterricht in der Sekundarstufe I. Seelze 2011. –
und IM. die Wahrnehmung dafür, dass die W. Hallet: A Methodology of Intermediality in Literary
Studies. In: Rippl 2014, 605–618. – J. Kristeva: Le texte
Vielzahl der im Unterricht ko-präsenten Texte
du roman. Approche sémiologique d’une structure dis-
und Medien den Lernenden erhebliche inter- cursive transformationelle. Paris 1970. – L. Küster
textuelle und intermediale Konstruktionsleis- (Hg.): Themenheft »Multiliteralität«. Fremdsprachen
tungen abverlangt (vgl. Hallet 2006), aber auch Lehren und Lernen 43/1 (2014). – I. O. Rajewsky: IM.
für eine Vielzahl intertextueller und intermedia- Tüb./Basel 2002. – G. Rippl (Hg.): Handbook of In-
ler Verfahren, die mit kommentierenden oder termediality. Literature, Image, Sound, Music. Bln/
Boston 2014. – N. Shuart-Faris/D. Bloome (Hg.): Uses
kreativen Antworttexten (ä Kreativität) und of Intertextuality in Classroom and Educational Re-
Lernerreaktionen auf fremdsprachige Texte ver- search. Greenwich, Conn. 2004. WH
bunden sind (vgl. Hallet 2002).
Einerseits wird der Bedeutsamkeit eines
kompetenten Umgangs mit Texten (im weites- Intonation und Intonationsmuster ä Aussprache
ten Sinne) und ihren verschiedenen medialen
Formen für das Fremdsprachenlernen Rech-
nung getragen durch die Verankerung einer
›Text- und Medienkompetenz‹ in den Curricula
und durch die allmähliche Entfaltung einer
fremdsprachlichen multiliteracies-Didaktik (vgl.
Hallet 2011, 16 ff., 56 ff.; Küster 2014), die die
Notwendigkeit des Kompetenzerwerbs für die
J
vielen verschiedenen symbolischen Formen der
Kommunikation betont (ä multiple literacy). Jugendliteratur ä Kinder- und Jugendliteratur
Andererseits ist eine Didaktik des Umgangs mit
Text- und Medienvielfalt erst in Umrissen er-

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_10, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
155 Kinder- und Jugendliteratur

K K.s gründet in der Einsicht, dass die älteren


Landkarten der Literaturgeschichten ein ein-
seitiges und verzerrtes Bild vom Territorium
der Literatur vergangener Epochen vermitteln.
Kanon meint in einem allgemeinen Sinn die Der Multikulturalität z. B. der amerikanischen
Gesamtheit der für einen bestimmten Bereich Literatur wird in neueren Literaturgeschichten
geltenden Regeln und Vereinbarungen; in der dadurch Rechnung getragen, dass der indiani-
ä Literaturwissenschaft und der ä Literaturdi- schen, afroamerikanischen, jüdisch-amerikani-
daktik bezeichnet der Begriff ein auf einem schen, asiatisch-amerikanischen und Chicano-
bestimmten Fachgebiet als verbindlich gelten- Literatur eigene Kapitel gewidmet werden.
des Textkorpus, d. h. eine Zusammenstellung Ebenso deutlich wird die K.revision in feminis-
bzw. ein Verzeichnis als exemplarisch gelten- tisch ausgerichteten Literaturgeschichten, die
der, mustergültiger und zur Tradition gehören- von anderen Selektionsprinzipien, Anord-
der Schriftsteller/innen und Werke. Mit dem nungsverfahren und Epocheneinteilungen aus-
Begriff des K.s wird die Gesamtheit jener Texte gehen und v. a. in Vergessenheit geratene Auto-
bezeichnet, die als besonders erinnerungswür- rinnen berücksichtigen.
dig, wichtig, künstlerisch hochrangig, norm- Im FU stellt sich die K.problematik insbeson-
setzend und/oder verbindlich gelten. Texte, die dere bei der Auswahl geeigneter Lektüren. Jahre-
zum K. der ›großen Werke‹ gezählt werden, lang ergab sich im fremdsprachlichen Unterricht
haben damit den Status von Klassikern. ein erstaunlich homogenes Bild von einem K. der
Obgleich die positiven Funktionen eines K.s, Schullektüre in allen Gattungen. Eng verknüpft
der etwa eine Kontinuität in der literarischen ist die K.debatte zum einen mit Fragen literari-
Tradition gewährleistet und im Unterricht und scher Wertung (vgl. Winko 1997), zum anderen
Studium zur Orientierung beiträgt, nicht ge- mit Entwicklungen und Problemen der Kultur-
leugnet werden können, sind seit den 1990er und Bildungspolitik. Erneut virulent geworden
Jahren die problematischen Aspekte der K.bil- ist die K.frage durch das ä Zentralabitur, das
dung kritisiert worden. Literarische Werke ge- eine verschärfte Kanonisierung begünstigt. Zu-
hören nämlich nicht per se zu einem K., son- gleich werden aber auch Revisionen des K.s und
dern werden durch eine Reihe von Auswahl- eine größere Vielfalt bzw. Offenheit im Bereich
vorgängen, an denen verschiedene Institutionen der Textauswahl für den fremdsprachlichen Li-
beteiligt sind (z. B. Literaturkritik, Literatur- teraturunterricht gefordert (vgl. Surkamp/Nün-
preise, Buchhandel, Literaturunterricht und Li- ning 2016, 44–55), denn die vielfach feststell-
teraturgeschichtsschreibung), erst allmählich bare Uniformität der Schullektüre vermittelt
kanonisiert. Der Prozess der K.bildung geht aufgrund der diachronen, geografischen und
stets mit Ausgrenzung und Ausschluss eines geschlechtsspezifischen Unausgewogenheit ein
großen Teils der Literatur einher. Während einseitiges Bild von den tatsächlichen Verhältnis-
lange Zeit weitgehend Einigkeit darüber sen im Literatursystem, das die Vielfalt der Lite-
herrschte, welche Texte jeweils zum ›K. der raturen nicht annähernd repräsentativ wider-
Meisterwerke‹ der Literatur zu zählen seien, ist spiegelt. Einen Überblick über die Geschichte
seit den 1980er Jahren ein Streit um die Frage der K.es englischsprachiger Literatur an deut-
entbrannt, welche Werke in der Geschichte ei- schen Schulen liefert Surkamp (2013).
ner Nationalliteratur Platz finden sollten. Diese Lit.: C. Surkamp: Geschichte der K.es englischsprachi-
als ›K.debatte‹ bezeichnete Diskussion, die v. a. ger Literatur an deutschen Schulen. In: G. Rippl/
in den USA über den Western canon sehr heftig S. Winko (Hg.): Handbuch K. und Wertung. Stgt/Wei-
geführt wurde, hat sich inzwischen auch in den mar 2013, 103–200. – C. Surkamp/A. Nünning: Eng-
lische Literatur unterrichten. Grundlagen und Metho-
Lehrangeboten und Lektürelisten vieler Univer- den. Seelze 42016 [2006. – S. Winko: Literarische
sitätsinstitute und Schulen niedergeschlagen. Wertung und K.bildung. In: H. L. Arnold/H. Detering
Geschärft wurde das Bewusstsein für die Pro- (Hg.): Grundzüge der Literaturwissenschaft. Mü.
blematik jedes K.s und für die Notwendigkeit 1997, 585–600. AN
von K.revisionen durch Untersuchungen der
Literatur von Minoritäten und die von feminis-
tischer Seite geforderte adäquate Berücksichti- Kinder- und Jugendliteratur. Der deutsche Dop-
gung der schriftstellerischen Leistungen von pelbegriff ›KJL‹ umfasst eine Adressatengruppe
Frauen. Die Forderung nach einer Revision des vom Säugling bis zum jungen Erwachsenen und

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_11, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
Kinder- und Jugendliteratur 156

ein Korpus höchst unterschiedlicher Texte wie ihrer Leserinnen und Leser Rechnung tragen
Bilderbücher für Kleinstkinder, Erstlesebücher muss. Sie versucht, die kommunikative Distanz
für Erstklässler, Lyriksammlungen für bereits zwischen den beteiligten (ungleichen) Partnern
literaturfähige Kinder und anspruchsvolle Ado- dadurch zu überbrücken, dass sie auf sprach-
leszenzromane. Das breite Spektrum der KJL lich-stilistischer, stofflicher, formaler und the-
mit ihren unterschiedlichen Graden an Kom- matischer Ebene jeweils das auswählt, was dem
plexität und ästhetischen Ansprüchen macht es kindlichen Entwicklungsstand und den erwor-
problematisch, der KJL als Gesamtheit Charak- benen Repertoires entspricht. Kinderliteratur
teristika zuzuordnen. Die Bestimmung der KJL wird deshalb auch als Literatur für literarische
findet nicht in erster Linie auf der Ebene des Anfänger bezeichnet, weil mit ihr die ersten
Textes, sondern auf der institutionellen Ebene Schritte im Prozess des Literaturerwerbs getan
statt. Es handelt sich dabei immer um eine werden. Ein wesentliches Merkmal dieser Lite-
Textzuteilung von Erwachsenen an Kinder und ratur ist daher ihre Einfachheit, die nicht mit
Jugendliche. Die damit einhergehende Asym- Einfältigkeit oder Dürftigkeit zu verwechseln
metrie der Kommunikation gilt als eines der ist, sondern nach der Theorie der Einfachheit
konstituierenden Merkmale der KJL: Hervor- als Kategorie der Kinderliteratur (vgl. Lypp
bringung, Produktion und Vertrieb durch Auto- 1984) aus basalen poetischen Prinzipien be-
rinnen bzw. Autoren und Verlage, Vermittlung steht.
durch Kritik, Bibliotheken, Buchhandel, Leh- Die Einfachheit der Texte ist ein häufig an-
rende usw. – auf jeder Stufe der literarischen geführtes Argument für den Einsatz von KJL
Kommunikation wird von Erwachsenen für im FU (vgl. Burwitz-Melzer/O’Sullivan 2016):
Kinder ›gehandelt‹. Durch sie kann man schon früh über das
In der KJL-Forschung unterscheidet man ä Lehrwerk hinausgehen und ästhetische Texte
zwischen verschiedenen Textkorpora (vgl. in den Unterricht einbringen. Ein anderes be-
O’Sullivan 2000). Als intentionale KJL wird zieht sich auf die doppelte Brückenfunktion
das bezeichnet, was Kinder und Jugendliche der KJL: Sie stellt einen Bezug zur Erfahrungs-
nach den Vorstellungen der Erwachsenen lesen welt der kindlichen und jugendlichen Lesen-
sollen. Sie schließt auch Texte ein, die nicht den her (ä Erfahrungsorientierung) und ist
spezifisch für Kinder geschrieben worden sind, eine Art Brücke zum Lesen von hochliterari-
für diese aber als geeignet empfunden werden schen Texten. Diese Brückenfunktion gilt be-
oder die für sie entsprechend adaptiert werden reits für das Lesen in der Erstsprache, im FU
(Volksmärchen, Robinson Crusoe, Don Qui- kann man die Brückenmetapher noch um eine
xote usw.). Die spezifische KJL ist die für Kin- Ebene erweitern: Für manche Lernende ist ein
der- und/oder Jugendliche geschaffene Literatur kinderliterarischer Text auch die Brücke zum
(z. B. Pinocchio, Pippi Langstrumpf), sie geht ersten Lesen eines Ganztextes in einer fremden
auf die Entscheidung einer Autorin oder eines Sprache und damit der große Schritt über die
Autors zurück, einen Text für diese bestimmte angstbesetzte Schwelle, sich in der Fremdspra-
Zielgruppe zu schreiben. Die spezifische KJL ist che tatsächlich auf einen Ganztext einzulas-
Bestandteil der intentionalen KJL, sie hat sich sen. Das Argument, die KJL habe eine dop-
in Deutschland und in anderen nordwest-euro- pelte Brückenfunktion, enthält – zwar meist
päischen Ländern etwa ab dem ausgehenden nicht ausgesprochen, aber doch implizit – die
18. Jh. entwickelt. Im Laufe des 19. und 20. Jh.s Annahme, die KJL sei ›zweitrangig‹, man ver-
hat sie stetig an Bedeutung und Umfang ge- wende sie nur, weil man noch nicht mit der
wonnen und ist heute zum Prototyp von KJL ›richtigen‹ Literatur arbeiten könne. Dieses
avanciert. Im Unterschied zur intentionalen Argument kann die ungewollte Nebenwirkung
KJL bezeichnet Kinder- und Jugendlektüre das, haben, dass der Beitrag der KJL zur ästheti-
was von Kindern und Jugendlichen tatsächlich schen Erziehung nicht angemessen im Blick
gelesen wird. Sie umfasst sowohl die intentio- behalten wird (vgl. Caspari 2007).
nale KJL als auch Texte, die nicht an diese Le- Wie andere literarische Texte auch wird KJL
sergruppe adressiert sind (die Romane Stephen im FU sowohl in der Originalausgabe als auch
Kings, Hermann Hesses, Krimis für Erwachsene als adaptierter Text (leichte ä Lektüre) einge-
usw.). Kinderliteratur gilt als eine Literatur, die setzt. Jenseits der Überzeugungsfrage, ob man
dem Kenntnisstand und dem sich ständig wei- zu didaktischen Zwecken einen Originaltext
terentwickelnden Sprach- und Literaturerwerb überhaupt antasten darf, lautet eine wichtige
157 Klassenarbeit

Frage im Hinblick auf die Einschätzung der ä Fremdsprachendidaktik (ä Handlungsorientie-


Qualität von Adaptionen, ob sie so durchge- rung) und des damit einhergehenden Fokus
führt wurden, dass zentrale stilistische und in- auf  Projekte (ä Projektunterricht), ä Inszenie-
haltliche Merkmale des Textes nicht bzw. rungen, kreatives Schreiben, ä fächerübergrei-
kaum beschädigt worden sind. Die Verände- fenden Unterricht usw. diese beiden Bereiche
rungen führen häufig dazu, dass Adaptionen eher an den Rand der fachdidaktischen Auf-
eindeutiger werden als die Originale, dass be- merksamkeit gedrängt wurden, dass aber an-
stimmte sprachliche Spiele weggelassen wer- sonsten bezogen sowohl auf die unterschiedli-
den usw. Bevor textverändernde Adaptionen chen ä Fertigkeiten und Lerngegenstände als
eingesetzt werden, sollte auf jeden Fall über- auch differenziert nach dem Alter der Lernen-
legt werden, ob dies notwendig ist oder ob es den viele Beiträge vorliegen (oft reflektierte
nicht auch reicht, Originaltexte mit para- Praxis und, in geringerem Maße, empirische
textuellen Adaptionen (Wortschatzerklärun- Forschung).
gen, Übersetzungen, landeskundlichen Hin- Lit.: E. Burwitz-Melzer: Growing Up Literally.
weisen usw. in der Einleitung, im Nachwort, Authentische Bilderbücher und ihre Erarbeitung im
in Fußnoten oder Glossaren) zu verwenden, frühen FU. In: L. Bredella et al. (Hg.): Literaturdi-
oder ob nicht lediglich die Arbeitsweisen so daktik im Dialog. Tüb. 2004, 123–146. – E. Burwitz-
geändert werden müssen, dass eine produktive Melzer/E. O’Sullivan (Hg): Einfachheit in der KJL.
Wien 2016. – D. Caspari: A la recherche d’un genre
Arbeit auch mit dem Originaltext möglich ist.
encore mal connu. Zur Erforschung von KJL für den
Bei längeren Ganzschriften kann das z. B. be- Französischunterricht. In: Französisch heute 1 (2007),
deuten, dass man, wenn sie verfilmt oder als 8–19. – M. Lypp: Einfachheit als Kategorie der Kin-
Hörtext vorliegen, mit einem kapitelweisen derliteratur. FfM 1984. – S. Mourão: Picturebooks in
Medienwechsel die Diskussion des Textes ins- the Primary EFL Classroom. Authentic Literature for
gesamt vorantreiben kann. an Authentic Response. In: CLELEjournal 4/1 (2016),
25–43. – A. Müller-Hartmann: Auf der Suche nach
KJL kann in den meisten Bereichen des FU dem ›dritten Ort‹. Das Eigene und das Fremde im vir-
produktiv eingesetzt werden, als Träger lan- tuellen Austausch über literarische Texte. In:
deskundlicher Information ebenso wie zur ge- L. Bredella/W. Delanoy (Hg.): Interkultureller FU. Tüb.
zielten Arbeit an der Erweiterung des ä Wort- 1999, 160–182. – E. O’Sullivan: Kinderliterarische
schatzes oder im storytelling in der Grund- Komparatistik. Heidelberg 2000. – E.  O’Sullivan/
D.  Rösler: Fremdsprachenlernen und KJL. Eine
schule. Bilderbücher haben durch das neu kritische Bestandsaufnahme. In: Zeitschrift für
erstarkte Interesse am ä frühen FU in letzter Fremdsprachenforschung 13/1 (2002), 63–111. –
Zeit besondere Aufmerksamkeit erfahren (vgl. E. O’Sullivan/D. Rösler: KJL im FU. Tüb. 2013.
Burwitz-Melzer 2004; Mourão 2016). Auch in EOS/DR
grenzüberschreitenden Projekten spielt KJL
eine Rolle (vgl. z. B. Müller-Hartmann 1999).
Den Kernbereich der Arbeit mit KJL stellt je- Klassenarbeit. Eine K. steht im FU im Kontext
doch das Lesen dar (ä Leseverstehen), fokussiert von ä Leistungsermittlung und ä Leistungsbe-
auf die Fragen nach dem richtigen Umgang mit wertung in institutionellen Kontexten wie der
Ganzschriften und deren Potenzial, Lehrwerk- Schule. Sie ist in den Schuljahrgängen 5 bis 10
arbeit zu ergänzen oder zu ersetzen, sowie – eine schriftliche Lernkontrolle zur Leistungs-
damit verbunden – auf die nach den Leistun- feststellung und damit ein Messinstrument zur
gen  und Grenzen eines handlungs- und pro- Ermittlung einer Gesamtnote. K.en sind allei-
duktionsorientierten Vorgehens. In O’Sullivan/ nige Grundlage zur Ermittlung der schriftlichen
Rösler (2013) wird ausführlich in die Vielfalt Note. Leistungsbewertung durch eine K. ist
möglicher Verwendungsweisen von KJL im FU eine tradierte und doch subjektive Form der
eingeführt. Eine Bestandsaufnahme der fremd- Bewertung von schriftlichen Leistungen und
sprachendidaktischen Publikationen zum Ein- eine traditionelle Form der Evaluation von vor-
satz von KJL im FU (O’Sullivan/Rösler 2002) ausgegangenem Unterricht, auf den sich die je-
zeigt, dass Auseinandersetzungen mit einem weilige K. bezieht. Im Gegensatz zu alltäglichen
möglichen Beitrag von KJL zur Grammatik- Lern- und Übungssituationen stellt eine K. eine
arbeit oder zum Übersetzen eher selten zu Leistungs- und Überprüfungssituation dar. K.
finden sind, was darauf zurückzuführen ist, en sind deutlich von Lernerfolgskontrollen,
dass in Zeiten der Dominanz des handlungs- Tests und Kurztests zu unterscheiden. Die Ver-
und produktionsorientierten Ansatzes in der wendung des Begriffs K. ist unabhängig von
Klassenarbeit 158

der jeweiligen Schulform; regionale Abwei- zifisch sein kann. Diese Leistungsbeurteilung
chungen in der Begrifflichkeit sind möglich. bei K.en wird in der Regel nur durch eine Per-
Im Rahmen einer K. müssen die SuS unter son, die Fachlehrkraft, vorgenommen. Eine
Beweis stellen, dass sie das zuvor Gelernte kor- Objektivierung kann durch den Einsatz von
rekt anwenden können. Somit sind K.en Leis- Bewerterteams erreicht werden. Die Dauer für
tungstests und als Instrumente der punktuellen die Korrektur von K.en ist durch Verwaltungs-
Leistungsermittlung summative Beurteilungen. vorschriften wie Gesetze, Verordnungen oder
Eine K. ermöglicht als schriftliche Überprü- Erlasse des jeweiligen Bundeslandes festgelegt.
fungsform eine explizite Leistungsbeurteilung Die Korrektur wird in der Regel mithilfe be-
durch ein Werturteil oder eine Note. Die Be- kannter Korrekturzeichen vorgenommen. Eine
wertungskriterien, die bei der ä Korrektur einer K. darf nicht bewertet werden, wenn mehr als
K. heranzuziehen sind, sind den SuS spätestens 30 Prozent einer Lerngruppe eine mangelhafte
bei der Rückgabe der K. transparent zu ma- oder ungenügende Leistung erzielt haben. Sie
chen. Eine K. hat im Kontext der Leistungsbe- ist dann in der Regel zu wiederholen. Von die-
urteilung also eine diagnostische, informatori- ser Regelung kann nur abgesehen (und die K.
sche, erzieherische Funktion und eine Differen- bewertet) werden, wenn die jeweilige Schullei-
zierungsfunktion. Das heißt, K.en haben eine tung diesem Vorgehen zustimmt.
Rückmeldefunktion über die Lernerfolge für Eine K. ist gezielt vorzubereiten und den SuS
die SuS selbst, die Eltern und die Lehrkräfte anzukündigen. Einige Bundesländer bieten die
und eine Diagnosefunktion bezüglich der zu Möglichkeit an, sie durch eine alternative Leis-
erwartenden Fähigkeiten und Fertigkeiten der tungsüberprüfung zu ersetzen, z. B. durch eine
jeweiligen SuS. ä Präsentation. Die Anzahl der K.en in einem
In einer K. des FUs werden seit Einführung Schuljahr in einem bestimmten Jahrgang regelt
der Bildungsstandards 2003/2004 und der bun- die Fachgruppe der jeweiligen Schule. Im Ge-
deslandspezifischen Curricula die funktionalen gensatz zu K.en sind ä Vergleichsarbeiten stan-
ä kommunikativen Kompetenzen des ä Hör- dardisierte Lernstandserhebungen, die schulin-
und Sehverstehens (ä Visuelle Kompetenz), des tern, auf regionaler oder auch Bundesebene
ä Leseverstehens, ä Schreibens und der ä Sprach- durch ministerielle Veranlassung stattfinden
mittlung getestet und nicht die Beherrschung (ä PISA-Studie). Vergleichsarbeiten dienen der
der dafür erforderlichen sprachlichen Mittel. Weiterentwicklung von Schule und Unterricht.
Rezeptive wie produktive ä Kompetenzen sind Die Teilnahme an einer Vergleichsarbeit darf
Gegenstand von K.en. Je nach Handlungsspiel- keine K. ersetzen oder für die Ermittlung einer
raum können geschlossene, halb offene und Note funktional eingebunden werden.
offene Aufgaben in eine K. integriert sein. Ge- Lit.: F. Haß (Hg.): Fachdidaktik Englisch. Tradition,
schlossene Aufgaben sind z. B. Zuordnungsauf- Innovation, Praxis. Stgt 22016 [2006. – G. Hoegg:
gaben, Einsetzaufgaben und Multiple-Choice- SchulRecht! Weinheim/Basel 52017 [2006. – W. Kie-
Aufgaben. Die selbständige Vervollständigung weg (Hg.): Themenheft »Klassenarbeiten und Klau-
suren«. Der fremdsprachliche Unterricht English 133
von Sätzen oder Texten sowie Sprachmittlungs- (2015). – A. Nieweler (Hg.): Fachdidaktik Franzö-
aufgaben gehören zum Typus der halboffenen sisch. Tradition, Innovation, Praxis. Stgt 2006. NSF
Aufgaben. Zu den offenen Aufgaben zählen
solche mit freier Sprachproduktion, die indivi-
duelle Lösungen erwarten, oder auch kreative Klassenbibliothek ä Lektüren
Aufgaben.
Generell wird eine K. von der unterrichten-
den Lehrkraft konzipiert, durchgeführt, korri- Klassenkorrespondenz ä Korrespondenz
giert und bewertet. Die K. soll den Qualitäts-
kriterien der Validität, Reliabilität und Objekti-
vität genügen, aber auch Durchführbarkeit, Klassenzimmer ä Lehr- und Lernort
Transparenz für die SuS, Differenzierungsmög-
lichkeiten für leistungsstärkere und -schwä-
chere SuS (ä Differenzierung) und ein positives Körpersprache ä Nonverbale Kommunikation
Bewertungssystem aufweisen. Die Leistungsbe-
urteilung erfolgt mithilfe einer Bezugsnorm, die
fachgruppenspezifisch oder klassenarbeitsspe- Kognition ä Kognitivierung, ä Lerntheorien
159 Kognitivierung

Kognitive Spracherwerbstheorien ä Spracher- optischer Input) und durch Art (z. B. sprachlich,
werb und Spracherwerbstheorien bildhaft oder gedanklich) bestimmt.
Im FU bezeichnet K. die im Rahmen der
ä Methodik integrierten, zielgerichteten Lehr-
Kognitivierung ist der Oberbegriff für struktu- verfahren zur Überwindung einfachen, rein me-
rierte Prozesse der Erkenntnisschaffung, der chanischen, imitativen oder assoziativen Lernens
Erfahrungs- und Informationsverarbeitung und und hin zur Konstitution komplexer Zusam-
der Initiierung mentaler Wissensrepräsentatio- menhänge, d. h. zum »einsichtigen, sinnvollen
nen im institutionellen Lehr-/Lernkontext. Als Lernen [von Sprache unter Beteiligung des be-
Gegenströmung zur Konditionierung und da- wußt gliedernden und beziehungsstiftenden
mit zum Behaviorismus, der menschliches Ver- Verstandes« (Butzkamm 1977, 7). K. ist dabei
halten ausschließlich auf Reiz-Reaktion-Bezie- grundsätzlich in allen inhaltlichen Bereichen des
hungen beschränkt, die von außen steuerbar FUs (Sprach-, Literatur- und Kulturunterricht),
sind, baut K. auf der Theorie des Kognitivismus aber auch auf der unterrichtlichen Meta-Ebene,
auf, welche die Leistung des Gehirns in den d. h. der Arbeitsmethodik (z. B. Gebrauch von
Vordergrund stellt. Zwischen Reiz und Reak- Wörterbüchern) oder der Unterrichtsmethodik
tion findet hiernach eine aktive, erkenntnis- (z. B. Einsatz bestimmter Unterrichtsformen)
geleitete Auseinandersetzung des Individuums denkbar. Der didaktisch meist diskutierte K.s-
mit seiner Umwelt statt: Reize, also Informatio- gegenstand ist jedoch der ä Spracherwerb
nen, werden aufgenommen, bewertet, kodiert selbst. Im FU bedeutet K. die Bewusstmachung
und in Form kognitiver Repräsentationen in (ä Bewusstheit/Bewusstmachung) der sprachli-
das persönliche Erfahrungs- und Denksystem chen Eigenschaften für die Lernenden, also die
integriert und erst dann folgt die Reaktion. Das Anregung zur Wahrnehmung und individuellen
Individuum ist damit nicht Objekt, sondern mentalen Verarbeitung von Regelmäßigkeiten
denkendes, selbstreflexives Subjekt, also aktiv und Besonderheiten der Zielsprache. Fachdi-
am Lernprozess beteiligt, und das Ergebnis die- daktische Literatur bedient sich des Begriffs der
ses Lernprozesses sind nicht einzelne, isolierte K. deshalb meist im Kontext von Grammatik-
Verbindungen zwischen Impuls und Handlung vermittlung (ä Grammatik und Grammatikver-
oder Handlung und Konsequenz, sondern kom- mittlung).
plexe, teilweise logische und sinnhaft ver- Bereits in den 1970er Jahren wurden erste
knüpfte Strukturen zwischen neuem und bereits Studien im Grammatikunterricht mit erwachse-
erworbenem ä Wissen. K. resultiert häufig in nen Lerner/innen durchgeführt, in denen der
Lernerfolg durch plötzliche Erkenntnis, d. h. oft signifikant unterschiedliche Lernerfolg bei
durch sog. ›Aha-Erlebnisse‹. Dieses durch Ein- automatisierenden, meist als mündliche pattern
sicht, d. h. durch detailliertes Verständnis er- drills gestalteten Verfahren (damals implicit
worbene Wissen ist deshalb auch leichter auf method), und bei kognitiven, meist durch Ver-
andere Kontexte übertrag- und anwendbar. balisieren struktureller Zusammenhänge in der
Der fremdsprachendidaktische Kognitions- Muttersprache gekennzeichneten Unterrichts-
begriff, auf dem Formen der K. basieren, ist ei- methoden (damals explicit method), untersucht
nerseits dem psychologischen Kognitionsbe- wurde. Lernende, die mittels der kognitivieren-
griff, der sich auf die unterschiedlichen Arten den Unterrichtsmethode unterrichtet wurden,
von Informationen sowie auf die Vorgänge bei machten schnellere Lernfortschritte, waren in
deren Wahrnehmung, Verarbeitung, Speiche- der Lage, ihr neu erworbenes Wissen auf wei-
rung, Integration in existierende Wissensbe- tere sprachliche Strukturen zu transferieren
stände und spätere Wiederverwendung in neuen (ä Transfer) und hatte zudem eine positivere
Strukturen und Kontexten bezieht, unterzuord- Einstellung zum Unterricht als die mittels pat-
nen und umfasst andererseits den lerntheoreti- tern drill implizit unterrichteten Lerner/innen.
schen Kognitionsbegriff, d. h. die kognitiven Die Ergebnisse der gleichen Studien zeigten bei
ä Lerntheorien, die sich mit dem Auf- und Aus- jüngeren Lernenden (Altersgruppe 13–15 Jahre)
bau von mentalen Repräsentationssystemen keinen signifikanten Unterschied oder gar teil-
befassen. Kognitive Repräsentanten werden weise größeren Erfolg aufgrund automatisie-
durch Inhalt, d. h. beim Sprachenlernen z. B. render Verfahren (vgl. Zimmermann 1977,
morpho-syntaktische Form oder Semantik, 101–134). Je nach Abstraktionsgrad der ge-
durch Informationskanal (z. B. akustischer oder wählten K.sprozesse korreliert der Lernerfolg
Kognitivierung 160

demnach zumindest partiell mit dem Alter der Konzept des Lerngegenstands schafft, das den
Lernenden, was allerdings auf die unterschied- korrekten Sprachgebrauch begünstigt.
lich ausgeprägten, graduell altersabhängigen, K. wird sowohl bei der ä Wortschatz- als
lernerendogenen Faktoren (z. B. auch ä Lerner- auch der Grammatikvermittlung eingesetzt und
typ, Lernstil, Vertrautheit mit metasprachlicher kann von einfachen Formen der Hervorhebung
Terminologie usw.) zurückzuführen ist. Bei An- des Input, z. B. durch Fettdruck der zu fokussie-
passung der Unterrichtsmethodik an diese kog- renden sprachlichen Einheiten oder durch Er-
nitiven Merkmale und Fähigkeiten der jeweili- höhung der jeweiligen Vorkommensfrequenz,
gen Alters- bzw. Zielgruppe gilt allerdings gene- bis hin zu detaillierten Erklärungen viele For-
rell eine höhere Lernerfolgsquote durch K. als men annehmen. Während bei der direkten Wort-
durch automatisierende Lernmethoden. schatzvermittlung morphologische, etymolo-
Ferrell und Krashen lehnen K. für den propa- gische oder semantische Regelmäßigkeiten und
gierten ä natural approach komplett ab. Allein Besonderheiten einzelner Worte die Grundlage
erworbenes Wissen stellt hiernach die Grundlage für K. bilden, rücken im Bereich der Gramma-
für die Produktion und Rezeption fremdsprach- tik focus-on-form-Phasen, also die Fokussie-
licher Äußerungen dar – gelerntes Sprachwissen rung der ä Aufmerksamkeit auf formalsprachli-
übernimmt ausschließlich eine Monitorfunktion, che Aspekte zur Initiierung von Lernprozessen,
so dass Formen sprachbezogener K. als nicht er- immer wieder in den Mittelpunkt der fachdi-
werbsfördernde Zeitverschwendung gelten. Die daktischen Diskussion. Bei der Wortschatzar-
Frage, ob die explizite Bewusstmachung von beit bieten insbesondere semantische ä Inferen-
Strukturen der Zielsprache nun unverzichtbarer zen zwischen Mutter- und Zielsprache ein brei-
Bestandteil des FUs ist oder für den Aufbau der tes Anwendungsgebiet für K. Da explizite
Kommunikationsfähigkeit in der Fremdsprache Verfahren bei bestimmten grammatischen Phä-
nicht sogar hinderlich sein könnte, wird in der nomenen auch hinderlich sein können, weil
ä Fremdsprachendidaktik theoriespezifisch dis- z. B. die kognitive Beanspruchung für die Ler-
kutiert und ist noch nicht eindeutig abschließend nenden zu hoch ist und K. anstatt zu Erkennt-
geklärt. Im Sinne moderner Fremdsprachendi- nis dann eher zu Überforderung führt, gelten
daktik, welche die Mischung unterschiedlicher die Konsistenz einer Regel und die Breite ihres
Unterrichtsmethoden propagiert, ist K. als er- Anwendungsbereichs bzw. die Transparenz der
gänzendes Lehrverfahren zu verstehen, das sich Motiviertheit, die Häufigkeit des Vorkommens
beim Erwerb bestimmter sprachlicher Struktu- und die Funktionalität der sprachlichen Struk-
ren besonders eignet. tur sowie der angestrebte Grad der Beherr-
Die noch junge Disziplin der Kognitiven Lin- schung durch die Lernenden (Rezeption und/
guistik, die sich seit Beginn der 1980er Jahre oder Produktion) und die zur Erklärung gefor-
mit Sprache als Werkzeug der Konzeptualisie- derte metasprachliche Terminologie als Ent-
rung befasst und so die Motiviertheit sprachli- scheidungskriterien für die Anwendung von K.
cher Strukturen erforscht, bietet eine korpus- im Bereich der Grammatik.
linguistisch und empirisch fundierte Basis zu
neuer fremdsprachendidaktischer Theoriebil- Lit.: W. Butzkamm: Imitation und Kognition im
FU. In: Der fremdsprachliche Unterricht 43 (1977),
dung. Die Gewährung von Einsicht in die ko- 3–10. – N. Ellis: At the Interface. Dynamic Interac-
gnitive Motiviertheit und damit die teilweise tions of Explicit and Implicit Language Knowledge.
Erklärbarkeit von Sprache durch K. resultiert In: Studies in Second Language Acquisition 27/2
in tiefer gehender Sprachverarbeitung (vgl. die (2005), 305–352. – R. Grotjahn: Sprachbezogene K.
levels of processing-Theorie nach Fergus I.M. Lernhilfe oder Zeitverschwendung? In: H. Düwell et
al. (Hg.): Dimensionen der Didaktischen Grammatik.
Craik und Robert S. Lockhart von 1972) und
Bochum 2000. – J. Keßler/A. Plesser: Teaching Gram-
dadurch in elaborierteren mentalen Repräsen- mar. Paderborn 2011. – N. Schmitt: Instructed Second
tationen. Die bewusste Beschäftigung mit dem Language Vocabulary Learning. In: Language
Lerngegenstand resultiert demnach in einer hö- Teaching Research 12/3 (2008), 329–363. – W. Töns-
heren Verarbeitungstiefe, welche zum einen die hoff: Kognivierende Verfahren im FU. Formen und
vielseitige Einbindung in bereits bestehende Funktion. Hbg 1992. – G. Zimmermann: Grammatik
im FU. FfM 1977. CJG
Wissensbestände begünstigt und damit die
Wahrscheinlichkeit der schnelleren Abrufbar-
keit für eine flüssige Sprachverwendung stei- Kommunikation bezeichnet alle Formen zwi-
gert, und zum anderen ein klarer definiertes schenmenschlicher Verständigung mit Hilfe von
161 Kommunikative Kompetenz

Sprache oder anderen Zeichensystemen. Zur Beziehungsaspekt weist an, wie diese Daten auf-
begrifflichen Beschreibung und Erklärung von zufassen sind« (Watzlawick et al. 1969, 55).
K. sind eine Vielzahl von Modellen und Meta- Darüber hinaus vermittelt jede Nachricht wei-
phern entwickelt worden. Traditionelle Ansätze tere Botschaften auf den Ebenen der Selbstoffen-
stellen K. in Analogie zu dem aus der Nachrich- barung und des Appells an den Adressaten: Jeder
tentechnik stammenden Container-Modell von Akt der K. trägt zum einen dazu bei, ein Bild von
Claude E. Shannon und Warren Weaver als eine der Person des Sprechers bzw. der Sprecherin zu
lineare Übertragung von Informationen von ei- vermitteln, wobei zwischen beabsichtigter Selbst-
nem Sender durch einen K.skanal zu einem darstellung und unfreiwilliger Selbstenthüllung
Empfänger dar. Im Gegensatz dazu haben kon- zu unterscheiden ist (vgl. Schulz von Thun 1981,
struktivistische K.stheorien, die von der kogni- 26 f.). Zum anderen ist K. immer auch mit Ab-
tiven Autonomie des Menschen ausgehen, unter sichten und Zielen verbunden und hat einen ex-
Hinzuziehung von Erkenntnissen der Kogniti- pliziten oder impliziten Aufforderungscharakter.
onsbiologie gezeigt, dass nicht Informationen Obgleich diese vier Ebenen miteinander verwo-
oder Bedeutungen von einem Sender zu einem ben sind, ist es für ein Verständnis von K. – ge-
Empfänger ›übertragen‹ werden, sondern allen- rade auch im FU – sinnvoll, sie konzeptionell zu
falls Signale. Da diese Signale vom Hörer bzw. trennen. Während Sachinformationen praktisch
Rezipienten durch eigene Bedeutungszuweisung ausschließlich digital, d. h. sprachlich-denotativ,
und nach Maßgabe seines ä Vorwissens, seiner kommuniziert werden, werden Beziehungsinfor-
Interessen, Bedürfnisse und kulturellen Pro- mationen v. a. analog, d. h. über nicht-sprach-
gramme interpretiert werden müssen, ist davon liche, körpergebundene Zeichen (ä Nonverbale
auszugehen, dass Informationen, Sinn oder Kommunikation), vermittelt.
Bedeutung nicht aus der Botschaft fertig über- Das Konzept der K. und die Förderung der
nommen, sondern vom Empfänger selbst er- ä kommunikativen Kompetenz stehen im Zen-
zeugt werden, dass K. also als eine wechsel- trum des ä kommunikativen FUs und der kom-
seitige Konstruktion von Bedeutungen zu ver- munikativen Didaktik generell. Ebenso wie bei
stehen ist. Während das Übertragungsmodell der ä narrativen Kompetenz handelt es sich bei
davon ausgeht, dass das, was im Empfänger der Fähigkeit zur erfolgreichen K. um eine der
geschieht, durch den Sender und dessen Nach- in der heutigen Medienkulturgesellschaft zen-
richt bestimmt wird, betonen Vertreter des tralen ä Schlüsselqualifikationen bzw. eine der
ä Konstruktivismus, dass K.sprozesse nicht pri- Kulturtechniken ersten Ranges (vgl. Nünning/
mär von dem abhängen, was der Sender ›über- Zierold 2008), was sich allein schon am hohen
mittelt‹, sondern v. a. von den Bedingungen des Stellenwert der ä interkulturellen kommunika-
›empfangenden‹ Systems. tiven Kompetenz im ä Gemeinsamen europäi-
Der Psychologe Friedemann Schulz von Thun schen Referenzrahmen ablesen lässt.
unterscheidet grundlegend Nachrichten von Lit.: A. Nünning/M. Zierold: K.skompetenzen. Erfolg-
Botschaften sowie mindestens vier Ebenen, die reich kommunizieren in Studium und Beruf. Stgt
in jeder K. gleichzeitig vorhanden sind und auf 2008.  – F. Schulz von Thun: Miteinander Reden. 3
denen alle Formen von K. (z. B. ein Wort, ein Bde. Reinbek 102009 [1981/1989/1998. – P. Watzla-
wick et al.: Menschliche K. Formen, Störungen, Para-
Satz, ein Brief, eine Rede) von Rezipient/innen doxien. Bern u. a. 122011 [1969. AN/MZ
als Botschaften verstanden und auf ihre verschie-
denen Informationen hin untersucht werden
können. In Anlehnung an Paul Watzlawick sind Kommunikationsstrategien ä Kommunikative
zunächst die Sach- und Beziehungsebene von K. Kompetenz
zu unterscheiden: Jede Nachricht hat eine sachli-
che Botschaft, die eine Aussage über Aspekte der
Welt macht und die am wenigsten kontextab- Kommunikative Kompetenz. Der Terminus k.K.
hängig ist. Neben der Sachinformation gibt jede wurde von Dell Hymes in den 1960er Jahren
Aussage immer auch Informationen über die eingeführt und in Abgrenzung zu Noam
Beziehungsebene zwischen Sender und Empfän- Chomskys Verständnis von Kompetenz vs. Per-
ger preis, indem sie zugleich Hinweise auf die formanz definiert (vgl. Hymes 1972). Die Kritik
(z. B. hierarchische oder partnerschaftliche) Re- an Chomskys Auffassung des idealen Sprechers/
lation zwischen Sprecher und Adressaten gibt: Hörers als Modell für linguistische Beschrei-
»Der Inhaltsaspekt vermittelt die ›Daten‹, der bungen nahm Hymes zum Anlass, ein alternati-
Kommunikative Kompetenz 162

ves (ethnographisch-linguistisches) Modell von produzieren; das erfordert z. B. die Orientierung


Kompetenz zu entwickeln, das auch Aspekte an den Prinzipien der Kohärenz (Textinhalt)
von sprachlicher ä Performanz sowie soziokul- und der Kohäsion (formale Aspekte der Satz-
turelle Faktoren berücksichtigt und somit rea- Text-Relation). Neben k.K. existiert auch der
listischer sein sollte, an tatsächlichen Kommu- Terminus ›pragmatische Kompetenz‹. Damit ist
nikationssituationen ausgerichtet. das Wissen um die pragmalinguistischen As-
Hymes’ Modell umfasst vier Dimensionen, pekte gemeint, die der Kommunikation zu-
die gemeinsam die kommunikative Kompetenz grunde liegen. Diese sind vergleichbar mit den
von Sprachverwender/innen ausmachen: (1) Dimensionen der Diskurskompetenz, der gram-
Sprecher/innen müssen über Wissen darüber matischen Kompetenz und der soziolinguisti-
verfügen, ob eine Äußerung formal korrekt und schen Kompetenz.
in diesem Sinne möglich ist (possibility); (2) sie Ein FU, der auf die Förderung von k.K. zielt,
müssen einschätzen können, ob eine Äußerung ist nicht mehr primär auf sprachliche Korrekt-
tatsächlich realisierbar ist (feasability); (3) sie heit ausgerichtet, sondern erfordert eine genuin
müssen bewerten können, ob Äußerungen so- kommunikative Einbettung von Sprache und
ziokulturell angemessen sind (appropriateness); Sprachenlernen. Canale/Swain (1980) nennen
(4) sie müssen schließlich Kenntnisse darüber einige Leitprinzipien für einen auf k.K. zie-
haben, ob eine Äußerung tatsächlich in kom- lenden FU: Berücksichtung und Verknüpfung
munikativen Situationen gemacht wird. Ob- aller vier Kompetenzbereiche (Förderung aller
wohl Hymes’ Modell nicht auf fremdsprachli- vier o. g. Teilkompetenzen durch angemessene
che ä Kommunikation ausgerichtet war, war Übungsangebote und Inhalte); Orientierung an
sein Ansatz für die ä Fremdsprachendidaktik den kommunikativen Bedürfnissen und Interes-
sehr produktiv, denn er verhalf zu einer radika- sen der Lernenden; bedeutungsvolle und realis-
len Perspektiverweiterung und ermöglichte eine tische Interaktion; Einbeziehung des Sprach-
Hinwendung zum ä kommunikativen FU. Statt wissens in und über die Erstsprache; ä fächer-
wie zuvor das Hauptaugenmerk auf die for- übergreifender Unterricht (k.K. kann nicht
male (grammatische) Korrektheit von schriftli- ausschließlich im FU gefördert werden, sondern
chen und ggf. mündlichen Lerneräußerungen erfordert auch Kenntnisse und Fähigkeiten, die
zu legen, erlaubt das Konzept der k.K. eine In- in anderen Fächern unterrichtet werden, z. B.
tegration von grammatischen und sozialen Di- Wissen über Sprache und Kommunikation,
mensionen von Sprache und ihren Sprecher/in- Kulturwissen usw.).
nen. Im der BRD ist außerdem Jürgen Habermas’
Ausgehend von Hymes’ Modell entwarfen (1971) sozialphilosophische Definition des Ter-
Michael Canale und Merrill Swain (1980) ein minus k.K. sehr einflussreich gewesen. Haber-
Modell von k.K. speziell für den FU, das vier mas definiert k.K. als Gesellschaftsutopie zur
Komponenten umfasst (vgl. auch Canale 1983): Schaffung von idealen Sprechsituation, in de-
(1) grammatische Kompetenz: die Fähigkeit, nen alle Mitglieder gleichwertig sind und offen,
formal (d. h. morphosyntaktisch, phonetisch, d. h. ohne eigene Machtinteressen zu vertreten,
lexikalisch und semantisch) korrekte Äußerun- miteinander kommunizieren. Ideale Kommuni-
gen zu formulieren; (2) soziolinguistische Kom- kation sollte diesem Modell nach herrschafts-
petenz: die Fähigkeit, soziolinguistisch ange- frei verlaufen, ideologiefrei sein und sich aus-
messene Äußerungen zu formulieren, d. h. schließlich am besseren Argument orientieren.
Sprachhandlungen dem jeweiligen situativen Habermas’ Gesellschaftsutopie erlaubte den
bzw. sozialen Kontext anzupassen, z. B. ange- Einzug der k.K. in die Pädagogik und Didak-
messene Höflichkeitsformen zu benutzen; (3) tiken. Schnell wurde k.K. zum obersten ä Lern-
strategische Kompetenz: kompensatorische Fä- ziel und Bildungsideal in der BRD erklärt. In
hig- und Fertigkeiten, die Sprecher/innen in die der Fremdsprachendidaktik versuchte man, ge-
Lage versetzen, fehlende sprachliche Mittel zu sellschaftspolitische Aspekte herrschaftsfreier
ersetzen, Lücken zu überbrücken, zu umschrei- Kommunikation mit dem kommunikativen FU
ben usw.; mit Hilfe strategischer Kompetenz sowie mit dem funktional-notionalen Curricu-
können Schwierigkeiten in der Kommunikation lum, das aus Listen von Sprachmitteln zur Be-
gemeistert werden; (4) Diskurskompetenz: die schreibung kommunikativer Akte und Themen
Fähigkeit, auch über die Satzebene hinaus kor- bestand, zu verknüpfen (vgl. Schmenk 2005).
rekte, angemessene und verständliche Texte zu Diese Verknüpfung unterschiedlicher Ansätze
163 Kommunikativer Fremdsprachenunterricht

unter dem Stichwort k.K. hat zu einigen Miss- tik lieferte die Theorie der ä kommunikativen
verständnissen der k.K. geführt. Bis heute trifft Kompetenz, die aus soziolinguistischen und so-
man häufig auf Vorbehalte und Unklarheiten, zialphilosophischen Untersuchungen zu den
die sich primär um das verbreitete Vorurteil Bedingungen und Faktoren kommunikativen
ranken, das kommunikativer FU die formale Handelns entstanden war. Der amerikanische
Korrektheit von Sprache überflüssig mache. Soziolinguist Dell Hymes (1972) beschrieb
Diese Behauptung ist jedoch von keinem der Kommunikation als eine Form des sozialen
hier genannten Verfechter und Urheber von Handelns und bezeichnete als kommunikative
k.K. formuliert oder impliziert worden. Im Ge- Kompetenz die Fähigkeit des Menschen, sich in
genteil: K.K. umfasst allen genannten Modellen realen Kommunikationssituationen nicht nur
nach neben formalen Aspekten noch weitere sprachlich korrekt, sondern auch sozial und
Bereiche, ist also letztlich anspruchsvoller und kulturell angemessen zu verhalten. Er stützte
komplexer als das traditionelle, lediglich auf sich bei seinem Konzept auf die pragmalinguis-
sprachlich-formale Korrektheit ausgerichtete tischen Erkenntnisse der Sprechakttheorie
Curriculum. Trotz solcher Unklarheiten und (Austin 1962, Searle 1969), die aus der Analyse
Missverständnisse haben die fremdsprachendi- menschlicher Sprechhandlungen entstanden
daktischen Diskussionen zur k.K. den FU nach- war, und grenzte sich damit gegenüber dem
haltig beeinflusst und zur sog. kommunikativen systemlinguistischen Konzept von Noam
Wende geführt. Bis heute gilt k.K. als wichtiges Chomsky ab. Zur gleichen Zeit entwickelte der
(bisweilen auch wichtigstes) Lernziel, und es deutsche Sozialphilosoph Jürgen Habermas
findet sich mittlerweile auch oft integriert in (1971) ebenfalls eine Theorie des kommunika-
das Konzept von ä interkultureller kommuni- tiven Handelns, die die politische Dimension
kativer Kompetenz. der Kommunikation in den Vordergrund rückte
Lit.: M. Canale: From Communicative Competence to und nach Regeln einer idealen Sprechersitua-
Communicative Pedagogy. In: J. C. Richards/R. W. tion und der Realisierung herrschaftsfreier
Schmidt (Hg.): Language and Communication. Ldn Kommunikation suchte. Dabei unterschied
1983, 2–27. – M. Canale/M. Swain: Theoretical Bases Habermas zwischen dem kommunikativen
of Communicative Approaches to Second Language
Teaching and Testing. In: Applied Lingustics 1/1 Handeln (Interaktion) als Austausch von Infor-
(1980), 1–47. – J. Habermas: Vorbereitende Bemer- mationen und dem metakommunikativen Aus-
kungen zu einer Theorie der k.K. In: Ders./N. Luh- handeln von Bedeutungen und Meinungen
mann: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnolo- (Diskurs).
gie. Was leistet die Systemforschung? FfM 1971, Diese Theorien stießen in der bildungspoli-
101–141. – D. Hymes: On Communicative Compe-
tence. In: J. B. Pride/J. Holmes (Hg.): Sociolinguistics.
tisch aufgeschlossenen Reformdiskussion jener
Harmondsworth 1972, 269–293. – B. Schmenk: Zeit, als das selbstverantwortlich handelnde
Mode, Mythos, Möglichkeiten. Das Lernziel k.K. Individuum zum sozialen Leitbild avancierte
heute. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung und Kommunikation über die nationalen Gren-
16/1 (2005), 57–87. BaSch zen hinweg als politisch wünschenswert und
notwenig erachtet wurde, auf ein breites öffent-
liches Echo und wurden von allen sozialwissen-
Kommunikativer Fremdsprachenunterricht. Der schaftlichen und geisteswissenschaftlichen Dis-
k.FU entwickelte sich in den 1970er Jahren, als ziplinen rezipiert. In der Fremdsprachendidak-
gesellschaftliche Veränderungen und zuneh- tik war es der Englischdidaktiker Hans-Eberhard
mende internationale Verflechtungen von Poli- Piepho, der das Potenzial eines kommunikati-
tik und Wirtschaft eine Neuorientierung der ven Ansatzes für die Fremdsprachendidaktik
ä Fremdsprachendidaktik erforderlich machten. als Erster erkannte und zusammen mit Christo-
Man erkannte, dass die Fähigkeit zur erfolgrei- pher Candlin im Rahmen der Bundesarbeitsge-
chen ä Kommunikation in der Fremdsprache meinschaft Englisch an Gesamtschulen (BAG
nur in einem Unterricht gelernt werden konnte, Englisch) das Konzept einer kommunikativen
der sich an den tatsächlichen Kommunikati- Didaktik entwickelte (Piepho 1974). Dabei
onsbedürfnissen und den Kommunikationsnot- wurde gegenüber dem bisher vorherrschenden
wendigkeiten der Lernenden orientierte und lehrerorientierten FU (ä Lehrerzentrierung) ein
der Sprachverwendung einen größeren Raum Paradigmenwechsel vollzogen, der später als
einräumte als dem Sprachsystem. Die theoreti- die ›Kommunikative Wende‹ in die Geschichte
sche Basis für eine solche Fremdsprachendidak- der Fremdsprachendidaktik einging. Er bezog
Kommunikativer Fremdsprachenunterricht 164

sich auf eine umfassende Veränderung der Die kommunikative Ausrichtung des FUs
ä Lernziele des FUs im Sinne einer Hinwendung bezog sich auf alle Aspekte des Lehrens und
zu den Lernenden mit ihren Lernbedürfnissen Lernens von Fremdsprachen und betraf neben
und Lerninteressen, ihrer ä Motivation und in- der Thematik und ä Methodik insbesondere
dividuellen Lernprozessen. In den Mittelpunkt auch die Unterrichtsmaterialien, die ä Sozialfor-
der unterrichtlichen Zielvorstellungen rückte men und die Öffnung des Unterrichts (ä Offener
die Fähigkeit der Lernenden, sich in der Fremd- Unterricht). Als zentrale Grundprinzipien eines
sprache zu verständigen und die Fremdsprache ›kommunikativen Klassenzimmers‹ (Legutke
zur persönlichen Teilhabe an der zielsprach- 1988) sind folgende Aspekte festzuhalten:
lichen Kommunikation zu nutzen. Diese Fähig- (1) ä Inhaltsorientierung: Für die unterrichtli-
keit wurde als kommunikative Kompetenz che ä Progression bedeutet der kommunikative
bezeichnet und zum übergeordneten Lernziel Ansatz, dass lerneradäquate Kommunikations-
des FUs erklärt (Piepho 1974). Die Erkenntnis, bedürfnisse den Vorrang haben vor sprachfor-
dass eine solche Kompetenz tiefere Einsichten malen Gesichtspunkten und dass der Inhalt und
in die linguistische, soziolinguistische und prag- die Verständlichkeit einer kommunikativen
malinguistische Komplexität der Kommuni- Äußerung wichtiger sind als die sprachliche
kation erfordert und sich nicht in der Anwen- Richtigkeit. Die Lerninhalte müssen kommuni-
dung von ä Fertigkeiten (Hören, Sprechen, kationsrelevant sein, sie müssen Interesse we-
Lesen, Schreiben) und der Anhäufung von cken, Deutungsanreize bieten und zum Aus-
Sprachwissen (Wortschatz, Grammatik) er- tausch von Gedanken und Erfahrungen heraus-
schöpfen kann, führte zu einer Neubestimmung fordern, d. h. die Lernenden müssen Gelegenheit
und Ausweitung der Unterrichtsgegenstände. erhalten, als sie selbst zu Wort zu kommen.
Fremdsprachenlernen wurde, wie Piepho be- (2) Kommunikative ä Übungen: Im k.FU fällt
tonte, als Mittel einer emanzipatorischen So- Übungen eine zentrale Rolle zu. Sie dienen der
zialisation gesehen, bei welcher der bzw. die ä Aktivierung der Lernenden und haben die
Lernende sich beim Erwerb der Fremdsprache Aufgabe, die Kommunikation vorzubereiten,
der affektiven, kognitiven und sozialen Aspekte aufzubauen, zu strukturieren und zu simulieren
des Kommunizierens bewusst wird. Zur Ver- (BAG Englisch 1978, 19). Zu diesem Zweck
deutlichung der Komplexität kommunikativer müssen sie in authentische oder simulierte Kom-
Verständigungsprozesse und der Notwendig- munikationssituationen (classroom discourse/
keit, diese Komplexität im FU von Anfang an ä Unterrichtsinteraktion, Rollenspiele, Alltags-
zu berücksichtigen, wählte Piepho zwei Schlüs- szenarien, Projekte usw.) eingebettet sein und
selbegriffe aus der Theorie der kommunikativen die Entwicklung von Kommunikationsstrate-
Kompetenz zur Grundlage seiner kommunika- gien und Aushandlungsverfahren (nachfragen,
tiven Didaktik: einerseits das Konzept des korrigieren, präzisieren usw.) einschließen. Be-
kommunikativen Handelns, das die Fähigkeit reits in den 1970er Jahren wurden im Rahmen
des bzw. der Lernenden beschreibt, sich in Kom- der BAG Englisch unter Leitung von Christoph
munikationssituationen verständlich zu machen Edelhoff kommunikative Übungstypologien
und die Kommunikationspartner zu verstehen, entworfen, die diesen Vorstellungen Rechnung
und andererseits die Diskurstüchtigkeit, worun- trugen.
ter er das Aushandeln von Bedeutung im Sinne (3) Flexible Lehrmaterialien: Lehrmateria-
eines metakommunikativen Argumentierens lien, die dem Anspruch von Kommunikations-
und Begründens (negotiation of meaning) sowie relevanz und Inhaltsorientierung gerecht wer-
der Entwicklung von Kommunikationsstrategien den, müssen die pragmatischen Aspekte der
versteht. In seinen Thesen zum k.FU heißt es: Kommunikation vorrangig berücksichtigen
»Im FU, der auf kommunikative Kompetenz und ihnen die grammatische Progression nach-
ausgerichtet ist, sind diskursive und kursive ordnen. Zu diesem Zweck setzte man auf eine
Faktoren stets gekoppelt. Ein nur imitativ-me- Diversifizierung der Lehrmaterialien, um mit
chanisches Sprechen, automatisierte Verhaltens- Hilfe von vielfältigen, das ä Lehrwerk ergän-
weisen bleiben selbst in schlichten Verständi- zenden Texten und Medien eine reiche Lernum-
gungen wirkungslos und nicht verfügbar, wenn gebung zu schaffen, die eine möglichst große
der Schüler nicht auch eine distanzierte Kennt- Annäherung an reale Sprachverwendungszu-
nis der Verständigungsvorgänge überhaupt hat« sammenhänge garantierte und eine an Themen
(Piepho 1974, 13). orientierte inhaltliche Arbeit ermöglichte. Dem
165 Kommunikativer Fremdsprachenunterricht

Lehrbuch wurden flexible, lerngruppenspezifi- eignete Lernarrangements und interessante, in-


sche Bausteine zur Seite gestellt, die Datenträ- haltlich relevante Materialien kommunikatives
ger aller Art (Texte, ä Bilder, Tonkassetten, Vi- Handeln anregen (ä Lehrer/in und Lehrerrolle).
deobänder usw.) berücksichtigten und sich zu Die Lernenden hingegen sind gefordert, sich
multimedialen ›Szenarien‹ (vgl. Legutke 1988) nicht nur sprachliche ä Kompetenzen anzueig-
zusammenfügen ließen. nen und eigenständig anzuwenden, sondern in
(4) Dialogfördernde Sozialformen: Auch die der Auseinandersetzung mit Kommunikationssi-
soziale Dimension des FUs erfuhr durch den tuationen und Themen Diskursstrategien zu er-
kommunikativen Ansatz eine deutliche Verän- werben und das Kommunizieren in der Fremd-
derung. Damit im Klassenraum wirklichkeits- sprache als soziales Handeln zu erfahren.
nahe Kommunikationsanlässe geschaffen wer- Der k.FU, so wie er in den 1970er Jahren
den konnten, musste die Dominanz des Fron- konzipiert und theoretisch begründet wurde,
talunterrichts aufgebrochen werden und es war entwickelte sich in kurzer Zeit zu einem Modell
erforderlich, Sozialformen zu schaffen, die wie für alle Schulfremdsprachen und wurde für die
z. B. Partner- und Gruppenarbeit den gedankli- anderen Fremdsprachen, insbesondere ä Fran-
chen Austausch fördern und für die Entwick- zösisch und ä Spanisch, übernommen und in
lung von ä Diskursfähigkeit sorgen. Als eine allen Rahmenrichtlinien und Curricula als ver-
besonders kommunikationsförderne Sozial- bindlich festgeschrieben (ä Lehrplan). Auch in
form, die auch dem Anspruch nach Themen- den anderen europäischen und in den anglo-
orientierung und einer komplexen Szenarien- amerikanischen Ländern waren unter dem Ein-
didaktik (ä Inszenierung) gerecht wurde, er- fluss der pragmalinguistischen Erkenntnisse der
wies sich dabei der ä Projektunterricht. Mit 1960er und 1970er Jahre parallele Entwicklun-
seiner Hilfe ließ sich auch ein weiteres Grund- gen und Veränderungen der Fremdsprachendi-
prinzip des k.FUs verwirklichen: die Öffnung daktik hin zu einer kommunikativen Methodik
des Klassenzimmers nach Außen (ä Lehr- und erfolgt, so dass man sagen kann, dass der k.FU
Lernort). spätestens seit Ende der 1970er Jahre trotz
(5) Öffnung nach Außen: Die Frage, wie man verschiedener Ausprägungen und nationaler
neben der Simulation von kommunikativen Besonderheiten in der gesamten westlichen
Handlungen und Diskursen, wie sie unter den Welt als ein anerkanntes und angesehenes di-
Bedingungen des schulischen FUs trotz lerner- daktisches Modell für den FU gelten konnte.
orientierter Methodik und dem Einsatz dialog- Im Verlauf der 1980er und 1990er Jahre erfuhr
fördernder Sozialformen doch eher die Regel das Konzept zahlreiche Weiterentwicklungen
waren, auch reale Kommunikationssituationen und Ausdifferenzierungen, die später unter dem
in den FU integrieren könne, spielte in den Begriff des ä neokommunikativen FUs zusam-
Überlegungen der Didaktiker der BAG Englisch mengefasst wurden. Auch andere methodische
von Anfang an eine zentrale Rolle. Es wurde Konzepte, wie das ä aufgabenorientierte Lernen
nach Möglichkeiten gesucht, die Erkundung oder die ä Handlungsorientierung lassen sich
authentischer fremdsprachlicher Kommunika- auf die Grundprinzipien der kommunikativen
tionsangebote, die sich in der Reichweite der Didaktik zurückführen. Diese Weiterentwick-
Lernenden befanden wie z. B. Radiosendungen, lungen belegen, dass der kommunikative Ansatz
Filme, internationale Firmen, internationale dank seiner konzeptionellen Offenheit auch
Hotels, Flughäfen usw., für den Fremdspra- heute noch als die zentrale methodische Grund-
chenerwerb zu nutzen (living language links) lage des FUs gilt. Unterstrichen wird die unge-
und Begegnungen mit Jugendlichen aus dem brochene Aktualität der kommunikativen Di-
Zielsprachenland zu organisieren (vgl. Legutke daktik durch die hohe Frequenz, mit der sie in
2003, 11). der fremdsprachlichen Fachdidaktik und der
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Sprachlehrforschung wissenschaftlich unter-
kommunikative Didaktik die Rolle der Lehren- sucht wird (vgl. z. B. die aktuellen Sammelbände
den und Lernenden grundlegend veränderte. Die von Legutke/Schocker-v. Ditfurth und Legutke
Lehrenden, die im traditionellen FU in erster Li- aus den Jahren 2003 bzw. 2008, in denen die
nie als Wissensvermittler fungiert hatten, erhal- Entwicklung der kommunikativen Fremdspra-
ten im kommunikativen Unterricht die Rolle chendidaktik genauestens nachgezeichnet und
von Lernberatern und Vermittlern im Lernpro- einer umfassenden kritischen Würdigung und
zess, die die Lernenden aktivieren und durch ge- Revision unterworfen wird).
Kommunikativer Fremdsprachenunterricht 166

Das Konzept des k.FUs umfasst heute ein sammenspiel von kommunikationsrelevanten
Bündel von Kompetenzen, die ineinandergrei- Inhalten, situationsadäquaten sprachlichen
fen: (1) linguistische Kompetenz, d. h. die Fä- Strukturen und kommunikationsfördernden
higkeit, sich auf lexikalischer, grammatikali- Übungsformen entstehen Lernszenarien, die ge-
scher, semantischer und phonologischer Ebene eignet erscheinen, funktionale kommunikative
angemessen und für andere akzeptabel auszu- Kompetenzen zu entwickeln.
drücken; (2) soziolinguistische Kompetenz, d. h. Die Frage, ob der k.FU im schulischen Alltag
die Fähigkeit, soziale Beziehungen zu etablieren tatsächlich verwirklicht werden konnte oder ob
und sprachlich zu gestalten, registerbezogen zu er nur ein theoretisches Konstrukt geblieben ist,
formulieren sowie Sprachvarietäten zu erken- hat Hans-Eberhard Piepho fast 30 Jahre nach
nen und in der Interaktion zu berücksichtigen; Erscheinen seines Grundlagenwerkes noch ein-
(3) pragmatische Kompetenz, d. h. die Fähig- mal beschäftigt (vgl. Piepho 2001). Dabei stellt
keit, den sprachlichen Diskurs situationsange- er ernüchtert fest, dass die kommunikativen
messen und funktional im Sinne der kommuni- Grundprinzipien den Schulalltag und die Unter-
kativen Intentionen zu gestalten; (4) strategische richtspraxis erstaunlich wenig verändert haben
Kompetenz, d. h. die Fähigkeit, Interaktionen und dass der k.FU immer noch und vielleicht
zu planen, auszuführen und zu kontrollieren für immer eine Zielvorstellung bleibt, von der
und Kommunikationshindernisse (z. B. Miss- allerdings, auch wenn sie nur unvollständig rea-
verständnisse) auszuräumen. lisiert wird, dennoch wertvolle Impulse ausge-
Dieses Bündel an Kompetenzen wurde im hen können, denn »Kommunikation ist das
ä Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen Prinzip des Lernens, des Sprachwachstums
für Sprachen als Grundlage für den k.FU festge- durch die Addition unterschiedlicher Kompe-
schrieben und in nationale Curricula und Bil- tenzen, ausgelöst durch Sachverhalte, Aufgaben
dungsstandards übertragen. In den deutschen und Projekte, in denen entdeckt, gedacht und
Bildungsstandards für die erste Fremdsprache versprachlicht wird, was unmittelbar relevant,
(ä Standards) werden drei Kompetenzbereiche erörterungswürdig und strittig ist« (ebd., 13).
genannt, die einen modernen und kompetenz- Lit.: J. L. Austin: How to Do Things with Words. Ox-
orientierten FU bestimmen: funktionale kom- ford 2005 [1962. – BAG (Bundesarbeitsgemeinschaft
munikative Kompetenzen, interkulturelle Kom- an Gesamtschulen) (Hg.): Kommunikativer Englisch-
petenzen und methodische Kompetenzen. Im unterricht. Prinzipien und Übungstypologie. Mü.
1978. – J. Habermas: Vorbereitende Bemerkungen zu
Einzelnen heißt es dort, dass die Lernenden in einer Theorie der kommunikativen Kompetenz. In:
der Lage sein sollten, sich in der Fremdsprache Ders./N. Luhmann: Theorie der Gesellschaft oder
zu verständigen, sie für die persönliche Lebens- Sozialtechnologie. Was leistet die Systemforschung?
gestaltung im Alltag einzusetzen (Kontakte her- FfM 1971, 101–141. – D. Hymes: On Communicative
stellen, Alltagssituationen bewältigen), die Competence. In: J. B. Pride/J. Holmes (Hg.): Sociolin-
guistics. Harmondsworth 1972, 269–293. – Kultusmi-
fremdsprachlichen Kenntnisse für ihren Bil- nisterkonferenz (KMK): Bildungsstandards für die
dungsweg zu nutzen (Sachtexte lesen, Arbeitser- erste Fremdsprache (Englisch/Französisch) für den
gebnisse präsentieren) und in beruflichen Kon- Mittleren Schulabschluss. Mü. 2004. – M. Legutke:
texten zu verwenden (sachbezogene Telefonate Lebendiger Englischunterricht. Kommunikative Auf-
führen, Briefe und E-Mails verfassen, sich be- gaben und Projekte. Bochum 1988. – M. Legutke (Hg.):
Kommunikative Kompetenz als fremdsprachendidakti-
werben) (KMK 2004, 8 f.). Im Mittelpunkt der
sche Vision. Tüb. 2008. – M. Legutke/M. Schocker-v.
kommunikativen Methodik steht deshalb, heute Ditfurth (Hg.): K.FU. Rückblick nach vorn. Tüb. 2003.
genauso wie in den 1970er Jahren, die kommu- – H.-E. Piepho: Kommunikative Kompetenz als überge-
nikative Intention des Sprechers, d. h. seine Fä- ordnetes Lernziel im Englischunterricht. Dornburg-
higkeit, Absichten, Meinungen, Gedanken und Frickhofen 1974. – H.-E. Piepho: K.FU heute. Impulse
Gefühle mitzuteilen und die Intentionen der In- zum Nachdenken über den Alltag der Lehr- und Lern-
praxis. In: R. Weskamp (Hg.): Methoden und Konzepte
teraktionspartner zu verstehen. Zur sprachli- des fremdsprachlichen Unterrichts. Hannover 2001,
chen Realisierung dieser Redeabsichten braucht 8–14. – J. Searle: Speech Acts. An Essay in the Philoso-
er kommunikative Fertigkeiten und Fähigkeiten phy of Language. Cambridge 1969. ASch
wie ä Hörverstehen, ä Sprechen, ä Leseverstehen,
ä Schreiben und Vermitteln in zweisprachigen
Situationen (ä Sprachmittlung) sowie sprachli- Kompetenz. In der bildungspolitischen Diskus-
che Mittel wie ä Wortschatz und ä Grammatik, sion um Standardsicherung (ä Standards)
ä Aussprache und ä Orthographie. Aus dem Zu- nimmt der Begriff der K. eine zentrale Stellung
167 Kompetenz

ein. Da sich der K.begriff in den KMK-Bil- bisher eher vernachlässigten Bereich der ä inter-
dungsstandards an dem K.begriff des ä Ge- kulturellen kommunikativen K. und die allge-
meinsamen europäischen Referenzrahmens für meinen K.en, welche unterteilt werden in de-
Sprachen (GeR) orientiert, wird auch hier der klaratives Wissen (das sog. savoir), Fertigkeiten
K.begriff des GeR zum Ausgangspunkt ge- und prozedurales Wissen (savoir-faire), Lernfä-
wählt: »Kompetenzen sind die Summe des higkeit (savoir-apprendre) und die persönlich-
(deklarativen) Wissens, der (prozeduralen) Fer- keitsbezogenen K.en, zu denen Aspekte der
tigkeiten und der persönlichkeitsbezogenen ä Emotion, ä Motivation, Einstellung und auch
Kompetenzen und allgemeinen kognitiven Fä- der ä Akkulturation gehören (savoir-être).
higkeiten, die es einem Menschen erlauben, Nicht nur die Fremdsprachendidaktik setzt
Handlungen auszuführen. Allgemeine Kompe- sich mit dem Begriff der K. auseinander; auch
tenzen sind diejenigen, die nicht sprachspezi- in der Psychologie und im Bereich der empiri-
fisch sind, sondern die man bei Handlungen schen Bildungsforschung werden verschiedene
aller Art einsetzt, natürlich auch bei sprachli- Konzeptionen der K. diskutiert. So lassen sich
chen. Kommunikative Sprachkompetenzen be- nach Franz E. Weinert (1999) etwa sechs An-
fähigen Menschen zum Handeln mit Hilfe spe- sätze der K. unterscheiden: K. kann verstanden
zifisch sprachlicher Mittel« (Europarat 2001, werden als generelle kognitive Leistungsdispo-
21 ff.). sition, als kontextspezifische kognitive Disposi-
Es lassen sich demnach mindestens vier tion, als motivationale Orientierung, als Hand-
Komponenten der K. ausmachen, die in allge- lungs-K. im Sinn der Integration der drei erst-
meine und sprach- und kommunikationsbezo- genannten Definitionen, als metakognitives
gene K.en unterschieden werden. Zwei dieser Konzept, das Wissen, Strategien und Motiva-
Komponenten, die des ä Wissens und die der tion umfasst, und schließlich als generelle
ä Fertigkeiten, haben in der ä Fremdsprachendi- Schlüssel-K. Im Kontext der bildungspolitischen
daktik eine lange Tradition. Die Fertigkeiten, Diskussion hat sich die o.g. zweite Konzeption
im Bereich des Englischen auch skills genannt des K.begriffs als »Arbeitsgrundlage« (Hartig/
und oftmals nicht trennscharf vom Begriff der Klieme 2006) herauskristallisiert: K.en werden
Fähigkeiten abgegrenzt, wurden unterteilt in verstanden als kontextspezifische kognitive
ä Sprechen, ä Hörverstehen, ä Schreiben und Leistungsdispositionen, die (im Gegensatz zur
ä Leseverstehen; teils wurden das Übersetzen Intelligenz etwa) erlernbar sind und gefördert
(ä Sprachmittlung) und das Sehverstehen (ä Vi- werden können; sie sind bereichsspezifisch und
suelle Kompetenz) als weitere Fertigkeiten be- umfassen Kenntnisse, Fertigkeiten und Strate-
trachtet. Doch bei dieser Betrachtungsweise gien (vgl. etwa den K.begriff der ä PISA-Studie
fehlten kontextuelle und strategische Aspekte, in Baumert et al. 2001). In der empirischen Bil-
die für kompetente Sprachverwendung relevant dungsforschung ist die Struktur der sprachlich-
sind. Sie wurden in Modellen der ä kommuni- kommunikativen K.en bedingt durch die An-
kativen K. (vgl. etwa Bachman/Palmer 1996) forderungen handlungsorientierter Aufgaben
mit aufgenommen. Kommunikative K. umfasst und nicht etwa durch kognitive Prozesse (vgl.
bei Bachman/Palmer Sprach-K.en, außersprach- den K.begriff der ä DESI-Studie in Beck/Klieme
liche Wissensbestände und strategische K.en; 2007). Anders als in der Fremdsprachendidak-
Sprach-K.en schließen sprachliches, soziokultu- tik, die sich mit einem ganzheitlichen, hand-
relles und Diskurswissen ein; strategische K.en lungsorientierten K.begriff auseinandersetzt,
beziehen sich auf kommunikative Strategien werden im Bereich der empirischen Bildungs-
und metakognitives Wissen, um angemessen forschung gezielt generelle und persönlichkeits-
und effektiv zu kommunizieren. Kommunika- bezogene K.en ausgeklammert, um in Leis-
tive K. gilt seit den 1980er Jahren als oberstes tungstests einen möglichst ›ungetrübten‹ Blick
Richtziel im FU. Der moderne, ganzheitlich auf die fremdsprachliche K. zu erhalten. K.mo-
ausgerichtete K.begriff, der auch dem GeR und delle werden entlang zweier Dimensionen em-
den Bildungsstandards zugrunde gelegt wird, pirisch untersucht: Zum einen wird die Struk-
ist handlungsorientiert (ä Handlungsorientie- tur der K., die Einteilung in Teil-K.en also, em-
rung) und betrachtet K. als Disposition wie pirisch modelliert, wobei theoretische Modelle
auch als Problemlösefähigkeit (vgl. etwa das der Fachdidaktik zugrunde gelegt werden. Zum
Positionspapier der DGFF 2008); er umfasst anderen wird die vertikale Darstellung von K.
neben der sprachlich-kommunikativen K. den auf einer kontinuierlichen K.skala, wie sie z. B.
Kompetenz 168

aus PISA bekannt ist, untersucht. Auf solch ei- tungstests um eine Momentaufnahme handelt
ner K.skala werden mittels psychometrischer und eine daraus resultierende K.skala keines-
Verfahren K.en der Lernenden und zugleich falls K.entwicklungen oder gar Erwerbspro-
Aufgabenschwierigkeiten dargestellt; dabei gilt zesse darstellen kann; K.entwicklungsmodelle
es, die Skala in bedeutsame K.niveaus zu unter- müssen auf anderen Wegen erforscht werden.
teilen. Im Fall der Bildungsstandards etwa muss Des Weiteren kann die Tatsache, dass nicht alle
die K.skala an die Niveaus des GeR angebun- Aspekte der fachdidaktischen K.modelle empi-
den werden, da sich die Standards an diesen risch erfassbar sind, ebenfalls zu Spannungen
orientieren und die K.en der SuS auf den GeR- führen. Der Bildungs- und K.begriff in der
Niveaus berichtet werden sollen. Fremdsprachendidaktik etwa umfasst wesent-
Die empirische Bildungsforschung berührt lich mehr Facetten als in den Bildungsstandards
Fachdidaktik und Psychometrie gleichermaßen. dargestellt und in standardisierten Leistungs-
Diese Berührungspunkte führen im positiven tests überprüft werden können; man denke nur
Fall zu Synergieeffekten: Man denke etwa an an die persönlichkeitsbezogenen oder die inter-
die fachdidaktisch begründete und psychome- kulturellen K.en. Dies bedeutet jedoch keines-
trisch gestützte Niveaueinteilung der K.skala in falls, dass der FU auf empirisch testbare Aspekte
DESI (DESI-Konsortium 2008) oder an die reduziert werden darf. Hier ist die Bildungspo-
Möglichkeiten, theoretische K.struktur- oder litik gefordert, durch geeignete Maßnahmen
K.niveaumodelle empirisch zu überprüfen. Des aufzuklären und einem teaching to the test
Weiteren eröffnet sich die Möglichkeit, Aufga- frühzeitig entgegenzusteuern. Auch im Bereich
benschwierigkeiten mittels Anforderungsbe- der Kommunizierbarkeit empirisch-statistischer
schreibungen vorherzusagen und empirisch zu Verfahren und Ergebnisberichte ist Aufklä-
überprüfen. So lassen sich etwa K.niveaus in rungsarbeit gefordert, um Vorgehen, Ergebnisse,
ihren Anforderungen charakterisieren und Auf- Bedeutsamkeit und Grenzen empirischer Leis-
gaben gezielt auf ein bestimmtes K.niveau hin tungsstudien einem breiteren Publikum zugäng-
konstruieren (vgl. z. B. Leucht et al. 2012). lich und verständlich zu machen. Nur dann
Doch es lassen sich auch Spannungsfelder aus- kann gewährleistet werden, dass bildungspoli-
machen: Die Diskussion um Begrifflichkeiten tische Maßnahmen, die durch Ergebnisse der
ist nicht immer unproblematisch, da in den empirischen Bildungsforschung begründet wer-
verschiedenen Disziplinen unterschiedliche Tra- den, auch die notwendige Unterstützung durch
ditionen vorherrschen. Der Begriff der K.di- die Basis erhalten. Dies jedoch ist die Voraus-
mensionen hat etwa in Didaktik und Psycho- setzung valider Leistungs- und K.messung: Sie
metrie je ganz andere Bedeutung: Während da- ist letztlich nur in dem Maß valide, in dem sie
mit in der Didaktik inhaltlich begründete in dem System, für das sie geschaffen wurde,
Teil-K.en gemeint sind (z. B. die Dimensionen sinnvoll interpretiert werden kann und einen
des Leseverstehens in Abgrenzung zur Dimen- wirksamen Beitrag leisten kann zur K.entwick-
sion des Hörverstehens), versteht die Psycho- lung unserer Lernenden.
metrie darunter statistisch unterscheidbare Lit.: L. F. Bachman/A. S. Palmer: Language Testing in
Faktoren (dies könnte z. B. ein Faktor ›Rezep- Practice. Designing and Developing Useful Language
tion‹ sein, wenn sich die Dimensionen des Lese- Tests. Oxford 1996. – J. Baumert et al.: PISA. Pro-
gramme for International Student Assessment. Zielset-
und Hörverstehens statistisch nicht unterschei- zung, theoretische Konzeption und Entwicklung von
den lassen). Hier zeigt sich das Spannungsfeld Messverfahren. In: F. E. Weinert (Hg.): Leistungsmes-
der Kommunizierbarkeit psychometrischer Mo- sung in Schulen. Weinheim 2001. – B. Beck/E. Klieme
delle und Verfahren: Psychometriker sind einer- (Hg.): Sprachliche K.en. Konzepte und Messung.
seits gefordert, statistische Modelle zu entwi- DESI-Studie. Weinheim 2007. – DESI-Konsortium
(Hg.): Ergebnisse der DESI-Studie. Weinheim 2008. –
ckeln, die der komplexen Realität sprachlich-
DGFF: K.orientierung, Bildungsstandards und fremd-
kommunikativen Handelns gerecht werden; sprachliches Lernen. Herausforderungen an die Fremd-
andererseits sind sie gefordert, ihre Vorgehens- sprachenforschung. Positionspapier von Vorstand und
weisen für ein breiteres Publikum verständlich Beirat der DGFF. In: Zeitschrift für Fremdsprachen-
darzustellen. forschung 19/2 (2008), 163–186. – Europarat: Ge-
Ein anderes, inhaltlich begründetes Span- meinsamer europäischer Referenzrahmen für Spra-
chen. Lernen, lehren, beurteilen. Bln 2001. – J. Hartig/
nungsfeld lässt sich im Bereich der Einteilung E. Klieme: K. und K.diagnostik. In: K. Schweizer (Hg.):
einer K.skala in ihre Niveaus ausmachen: Dabei Leistung und Leistungsdiagnostik. Bln 2006, 127–
muss beachtet werden, dass es sich bei Leis- 143. – M. Leucht et al.: Steuerung zukünftiger Aufga-
169 Konstruktivismus/Konstruktion

benentwicklung durch Vorhersage der Schwierigkeiten haltiger einstufen als passive und durch Instruk-
eines Tests für die erste Fremdsprache Englisch durch tion gesteuerte Lernprozesse. Daneben wird
Dutch Grid Merkmale. In: Diagnostica 58/1 (2012),
jedoch auch Kritik am gemäßigten Konstrukti-
31–44. – F. E. Weinert: Konzepte der K. Paris 1999.
CH vismus formuliert. So wird eine völlige Abkehr
vom Instruktivismus in theoretischen Diskur-
sen in Frage gestellt, und auch die Praxis des
Kompetenzorientierung ä Kompetenz FUs erweist sich immer wieder als resistent ge-
genüber offenen Verfahren. Grundsätzlich wird
im gemäßigten Konstruktivismus eine Überein-
Konstruktivismus/Konstruktion. Konstruktivis- stimmung zwischen einer ontologisch gegebe-
mus bezeichnet lerntheoretische und erkennt- nen Realität und ihrer prinzipiellen Erkennbar-
nistheoretische Positionen, die insgesamt vom keit postuliert, wenn auch die Wahrnehmung
Konstruktcharakter der Wirklichkeit ausgehen infolge der Unvollkommenheit menschlicher
und die Lernen, ä Verstehen und Erkennen als Sinnesorgane defizitär sei.
Konstruktionsprozesse begreifen. Im fremd- In dieser Hinsicht besteht ein grundlegender
sprachendidaktischen Diskurs erfolgt eine ver- Unterschied zum radikalen Konstruktivismus,
stärkte Rezeption konstruktivistischer Positio- der von einer prinzipiellen Unvereinbarkeit
nen seit den 1990er Jahren (vgl. Wolff 1994; von Realität und der durch Menschen erkenn-
Wendt 1996). Unterschieden wird zwischen ei- baren Wirklichkeit ausgeht. Ursprünge des ra-
nem informationstheoretischen, gemäßigten dikalen Konstruktivismus liegen in Forschun-
Konstruktivismus und einem erkenntnistheore- gen der Biologen und Neurowissenschaftler
tischen, radikalen Konstruktivismus. Francisco Varela und Humberto Maturana in
Im gemäßigten Konstruktivismus (vgl. Wolff den 1980er Jahren; der Begriff geht auf den
1994, 2002) wird Lernen als selbstgesteuerter, Philosophen und Psychologen Ernst von Gla-
autonomer, selbstverantwortlicher Konstrukti- sersfeld zurück. In der Fremdsprachendidaktik
onsprozess verstanden. Dies bedeutet eine Ab- wird der radikale Konstruktivismus seit Mitte
kehr vom ä Instruktivismus und ein Votum für der 1990er Jahre intensiv rezipiert und disku-
konstruktivistische Lerngestaltung, d. h. die tiert (vgl. Wendt 1996, 2002). Dabei stehen v. a.
Schaffung einer Lernumgebung mit komplexen epistemologische und theoretische Fragen im
Unterrichtsinhalten sowie authentischem Le- Vordergrund, konkrete Umsetzungen für die
bensbezug und Lernmaterialien (ä Authentizi- Praxis des FUs werden erst an zweiter Stelle re-
tät), Rückgriff auf metakognitive Elemente flektiert. Im radikalen Konstruktivismus bedeu-
(ä Metakognition), d. h. auf ä Lernstrategien tet Lernen die Konstruktion und Viabilisierung
und ä Lerntechniken, Einbeziehung von ä Pro- von Hypothesen (vgl. Wendt 2002, 13). Diese
jektunterricht und ä kooperativem Lernen. Ins- Annahme führt zu einem Verständnis von FU,
gesamt wird eine theoretische Grundlage für der von ä Handlungsorientierung, ä Lernerori-
Ansätze ä offenen Unterrichts gelegt und FU entierung, prozessbezogener Bewusstmachung
durch Arbeit in Kleingruppen (ä Sozialformen), (ä Bewusstheit/Bewusstmachung) und ä ganz-
die Publikation von Lernergebnissen im Klas- heitlichem Lernen gekennzeichnet ist. Aus-
senzimmer, die Bereitstellung zahlreicher Ma- gangspunkt radikalkonstruktivistischer Überle-
terialien, das Führen eines Lernertagebuchs, gungen ist die Unterscheidung von Realität und
konsequente ä Einsprachigkeit und Nutzung Wirklichkeit, d. h. von physischer Welt und
der Fremdsprache als Arbeitssprache, gemein- subjektiv mentaler Welt. Die Realität ist dabei
same Evaluation in der Fremdsprache sowie infolge der Selbstreferenzialität des Gehirns
Authentizität der Interaktion gestaltet. Konsti- nicht erkennbar. Das Subjekt konstruiert sich
tutiv ist dabei auch die Unterscheidung zwi- subjektive Wirklichkeiten, die durch Kommuni-
schen Lehrbarkeit und Lernbarkeit von ä Wis- kation bzw. Viabilisierung zu interindividuellen
sen und ä Fertigkeiten. Dahinter steht die ver- oder sozialen werden können. Aus der Kon-
breitete Erfahrung, dass Lehrende zwar Wissen struktivität von Wahrnehmen und Erkennen
und Fertigkeiten lehren, Lernende diese jedoch ergibt sich, dass Realität als Anlass von Wahr-
nicht in gleichem Maße aufnehmen und umset- nehmung betrachtet wird (vgl. ebd., 9 ff.). Die-
zen. Diese Abkehr vom Instruktionsparadigma ser Subjektivismus beinhaltet Konsequenzen:
entspricht Forschungsdiskursen, die selbst ge- Wenn Bedeutung nicht an eine ontologisch
staltete Lernprozesse als fruchtbarer und nach- (vor-)gegebene ›Wahrheit‹ gebunden werden
Konstruktivismus/Konstruktion 170

kann, sondern erst durch Konstruktion ent- konstruktivistische Positionen jedoch eher ab-
steht, so dass in der Folge Wirklichkeit als strakt-theoretische Überlegungen und stellen
mentale Interpretation betrachtet wird, dann Fragen nach konkreter methodisch-didakti-
ergibt sich daraus zwar ein umfassender An- scher Umsetzung nicht in den Mittelpunkt.
spruch der Erklärung von Welt und Wirklich- Lit.: L. Bredella: Die Entwertung der Welt und der
keit, jedoch stellt sich auch die Frage nach ethi- Sprache in der radikal-konstruktivistischen Fremd-
schen Implikationen. Eine Setzung von Werten sprachendidaktik. In: Zeitschrift für Fremdsprachen-
und Normen, die einerseits einer normativen forschung 13/2 (2002), 109–129. – M. Reinfried: Der
und ontologischen Grundlage bedarf und ande- Radikale Konstruktivismus. Eine sinnvolle Basistheo-
rie für die Fremdsprachendidaktik? In: Fremdsprachen
rerseits an bestimmten ethischen und morali-
Lehren und Lernen (FLuL) 28 (1999), 162–180. –
schen Zielsetzungen orientiert ist, kann auf M.  Wendt: Konstruktivistische Fremdsprachendidak-
konstruktivistischer Basis kaum erfolgen (vgl. tik. Lerner- und handlungsorientierter FU aus neuer
Wendt 2002, 35 ff.; Bredella 2002, 116 f.). Sicht. Tüb. 1996. – M. Wendt: Kontext und Konstruk-
Diese Sichtweise des radikalen Konstruktivis- tion. Fremdsprachendidaktische Theoriebildung und
mus zieht zahlreiche Kritik nach sich (vgl. z. B. ihre Implikationen für die Fremdsprachenforschung.
In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 13/1
Reinfried 1999), die sich hauptsächlich auf die (2002), 1–62. – D. Wolff: Der Konstruktivismus. Ein
vermeintliche semantische Geschlossenheit des neues Paradigma in der Fremdsprachendidaktik? In:
Gehirns, die daraus resultierende Subjekt-Ob- Die Neueren Sprachen 93/5 (1994), 407–429. –
jekt-Spaltung und die grundsätzliche Unmög- D.  Wolff: Instruktivismus vs. Konstruktivismus. 20
lichkeit des Subjekts, Welt zu erkennen, bezieht. Thesen zur Lernbarkeit und Lehrbarkeit von Spra-
chen. In: G. Bach/B. Viebrock (Hg.): Die Aneignung
Sie zielt außerdem auf die sich aus den radikal- fremder Sprachen. Perspektiven, Konzepte, For-
konstruktivistischen Grundannahmen erge- schungsprogramm. FfM 2002, 19–24. ChF
bende Konsequenz für das konstruktivistische
Subjekt, unmöglich ethisch verantwortlich
handeln zu können, auf den damit einhergehen- Kontextualisierung. Im FU ist auf verschiedenen
den Wahrheitsbegriff sowie auf die Unterschei- Ebenen eine K. von Lehr- und Lerninhalten er-
dung zwischen Wirklichkeit und Realität. Ge- forderlich: zum einen durch die Einbettung
rade auch der Solipsismusvorwurf, d. h. die sprachlicher Elemente in größere sprachliche
subjektivistische Geschlossenheit des Einzelnen, Struktureinheiten und Kommunikationssituati-
wird immer wieder erhoben (vgl. Bredella onen, zum anderen durch die Einbeziehung
2002b, 110 ff.). Darüber hinaus bezieht sich die unterschiedlicher Formen kulturellen Wissens.
Kritik auf den hoch theoretischen und abstrak- Wie soziolinguistische und andere kontextori-
ten Charakter radikalkonstruktivistischer entierte Ansätze in der ä Sprachwissenschaft
Überlegungen und auf deren mangelnde Um- betonen, reichen das Wortschatzwissen und das
setzbarkeit für den FU. Wissen über grammatische Strukturen zur ad-
Die grundlegende Differenz zwischen in- äquaten Verwendung einer Sprache in kommu-
struktivistischen und konstruktivistischen Posi- nikativen Kontexten nicht aus. Der korrekte
tionen liegt in unterschiedlichen Vorstellungen Einsatz sprachlicher Elemente und Strukturen
möglicher Zugänge zu einer ontologisch vorge- kann vielfach erst durch eine K. in Gesprächssi-
gebenen und jenseits subjektiver Wahrnehmun- tuationen verdeutlicht werden. Daher bedarf es
gen stehenden Wirklichkeit und damit in der im FU einer K. sprachlicher Äußerungen auf
Frage nach Wahrheit. Ein erkenntnistheoreti- der Grundlage authentischer Beispiele sprachli-
scher Skeptizismus auf Seiten des radikalen cher Kommunikation in der Zielsprache bzw.
Konstruktivismus verhindert jeglichen Zugang in deren (regionalen und sozialen) Varietäten
zu dem jenseits subjektivistischer Wahrneh- (ä Authentizität), um so die ä kommunikative
mungen stehenden Sein. Eine instruktivistische Kompetenz der Lernenden und speziell deren
Sichtweise auf Welt legt sich auf vermeintlich Gespür für einen situationsadäquaten Gebrauch
objektive Zugänge zu einer objektiven Wahr- unterschiedlicher stilistischer Ebenen zu schu-
heit und Wirklichkeit fest und negiert subjek- len. Neben Auslandsaufenthalten und Kontak-
tive bzw. intersubjektive Faktoren. Ein vom ra- ten mit Sprechenden der Zielsprache (ä Begeg-
dikalen Konstruktivismus beeinflusster FU nung und Begegnungssituationen) können im
weist theoretisch ähnliche Charakteristika auf FU fiktionale und nicht-fiktionale Texte ebenso
wie ein vom gemäßigten Konstruktivismus ge- wie audiovisuelle Medien (Film, Fernsehen,
prägter FU. In der Realität fokussieren radikal- Podcasts) zum Einsatz kommen, stellen diese
171 Kontextualisierung

doch als partieller Ersatz für lebensweltliche den, die Lernende dazu befähigen sollen, kultu-
Gesprächssituationen eine relevante K. dar. Soll relles »Wissen und Bedeutungen zu konstru-
die Beschäftigung mit Literatur und audiovisu- ieren und diese für fremdsprachliches Handeln
ellen Medien dazu dienen, die kommunikative zu nutzen« (ebd., 144). Neben einem (im Kern
Kompetenz zu fördern, so bieten sich zum Er- textimmanent bleibenden) close reading soll
reichen dieses ä Lernziels weniger die in der auch ein (kontextorientiertes) wide reading an-
deutschen ä Fremdsprachendidaktik v. a. bis in gestrebt werden. Methodisch erfordert eine li-
die 1960er Jahre bevorzugten literarischen teratur- und kulturdidaktisch fundierte K. im
Klassiker an als vielmehr zeitgenössische Texte, FU eine kritische Auseinandersetzung mit Zu-
die authentische Gesprächssituationen imitie- satztexten in Gestalt eines Materialarrange-
ren, aber auch kommunikationsorientierte au- ments, das v. a. die folgenden Kriterien erfüllen
diovisuelle Formate wie die Sitcom oder auch sollte: thematische Kohärenz (d. h. insbesondere
die Talkshow (ä TV-Didaktik). Traditionell lag eine Fokussierung auf einen klar umrissenen
im FU der Schwerpunkt auf jenen K.en, in de- Ausschnitt der Kultur); Repräsentativität (be-
nen die Zielsprache als Erstsprache Verwen- zogen auf einen Kontext oder Diskurs); Stim-
dung findet. In jüngerer Zeit werden jedoch men- und Perspektivenvielfalt (v. a. im Sinne ei-
vermehrt Stimmen laut, die dafür plädieren, ner Berücksichtigung kontroverser Sichtwei-
auch solche K.en zu berücksichtigen, in denen sen); Multimodalität (d. h. eine Kombination
die Zielsprache als Fremdsprache zum Einsatz schriftlichen Materials unterschiedlicher Gen-
kommt. res und Textsorten mit Bildern und audiovisu-
Neben dem Spracherwerb gilt auch der Er- ellen Texten); Rekurrenz in Gestalt von thema-
werb kulturellen Wissens als zentrale Kompo- tischen und inhaltlichen Beziehungen der Ma-
nente des FUs. Seit den 1980er Jahren setzt sich terialien untereinander (vgl. Genetsch/Hallet
in der Fremdsprachendidaktik zunehmend die 2010, 10; Genetsch 2015, 144 f.). Die Arbeit
Auffassung durch, dass die Vermittlung von mit derartigen Materialarrangements im Unter-
Fremdsprachenkenntnissen aufgrund der engen richt erfolgt entweder über connective tasks,
Zusammenhänge zwischen Sprache und ä Kul- bei denen die Lernenden »die von der Lehrkraft
tur notwendig mit einer Vermittlung kulturel- bereitgestellten Zusatztexte zueinander in Be-
len Wissens einhergehen müsse. In Deutschland ziehung [setzen, um eine übergreifende Frage-
und Frankreich existiert – unter den Schlag- stellung zu beantworten und sich auf diese
worten ä ›Landeskunde‹ bzw. civilisation – Weise ein Bild von einem Ausschnitt einer Kul-
zwar eine deutlich weiter zurückreichende Tra- tur zu konstruieren« (ebd., 145), oder über
dition der Integration kulturellen Wissens in (anspruchsvollere) constructive tasks, die auf
der Fremdsprachendidaktik. Den dominant eine eigenständige Zusammenstellung des Ma-
kognitiv ausgerichteten Formen der Wissens- terials durch die Lernenden (einschließlich ei-
vermittlung, die mit diesen Traditionen ver- ner Begründung des gewählten Arrangements)
knüpft sind, werden in jüngeren Ansätzen je- abzielen (vgl. ebd.). Constructive tasks stellen
doch die Methode des Kulturvergleichs sowie ein wichtiges Instrument im Rahmen eines »for-
individuell erfahrungsbasiertes und handlungs- schend-explorativen« (Hallet/Genetsch 2010,
orientiertes Lernen entgegengestellt (ä Erfah- 11) didaktischen Ansatzes dar.
rungsorientierung, ä Handlungsorientierung), K. dient somit insgesamt nicht nur der ä Mo-
um so nicht zuletzt auch zu einem reflektierten tivation der Lernenden, sondern auch der Aus-
und selbstreflexiven Umgang mit Kultur und bildung sprachlicher und speziell pragmatischer
Sprache im Interesse der Ausbildung von cultu- Kompetenz, der Entwicklung ä interkultureller
ral awareness (ä Bewusstheit/Bewusstmachung) kommunikativer Kompetenz (ä Intercultural
anzuregen (vgl. Byram/Fleming 1998). Speaker) sowie einer Einsicht in die Perspek-
Während die Beschäftigung mit landeskund- tivengebundenheit und kulturelle Relativität
lichen Aspekten lange Zeit lediglich als Hinter- von Aussagen über aktuelle oder historische
grund für das Erlernen einer Fremdsprache und Kontexte, einschließlich (bei geeigneten Aufga-
nicht als integraler Bestandteil des FUs betrach- bestellungen) der Förderung forschend-explo-
tet wurde, sehen neuere Ansätze in der ä Litera- rativer Kompetenzen (ä Forschendes Lernen).
turdidaktik K. »als Teilkompetenz literarischer Schließlich bildet die Ausbildung von Kompe-
Kompetenz« (Genetsch 2015, 143) und entwi- tenzen auf dem Gebiet der K. auch eine notwen-
ckeln ausgehend von dieser Prämisse Metho- dige Voraussetzung für historische und politi-
Kontextualisierung 172

sche Bildung, wie Genetsch (2012) exemplarisch wie auch der Übersetzungsdidaktik sind geeig-
am Beispiel der Auseinandersetzung mit African net, den Lernenden Einsichten in Unterschiede
American Experiences im FU gezeigt hat. zwischen Sprachen zu vermitteln und somit zu
Lit.: M. Byram/M. Fleming (Hg.): Language Learning einer Erhöhung ihrer Sprachbewusstheit (ä Be-
in Intercultural Perspective. Approaches through wusstheit/Bewusstmachung), aber nicht not-
Drama and Ethnography. Cambridge 1998. – M. Byram/ wendigerweise zu einer Erweiterung der Sprach-
C. Morgan: Teaching and Learning Language and kompetenz (ä Kompetenz), beizutragen. Im Ge-
Culture. Clevedon u. a. 1994. – M. Genetsch: African-
American Experiences. Kulturelle Erfahrungen ma- gensatz zu dem lehr- und sprachbezogenen
chen und verstehen. In: Der Fremdsprachliche Unter- Ansatz der kontrastiven Analyse hebt die Mehr-
richt Englisch 115 (2012), 2–6. – M. Genetsch: The sprachigkeitsdidaktik darauf ab, dass Lernende
Gunpowder Plot. Kontextualisierung und ästhetisches Gesetzmäßigkeiten ihres Fremdsprachenerwerbs
Lernen am Beispiel eines graded reader in Klasse 6/7. unter Einbeziehung der Umstände und Pro-
In: W. Hallet/C. Surkamp/U. Krämer (Hg.): Literatur-
kompetenzen Englisch. Modellierung, Curriculum,
zesse, unter denen dieser Erwerb stattfindet, ei-
Unterrichtsbeispiele. Seelze 2015, 141–154. – M. Ge- genständig erkennen. Dass dabei lernerseitig
netsch/W. Hallet: Kulturen repräsentieren, Texte kon- häufig von der linguistischen Beschreibung ab-
textualisieren. In: Der Fremdsprachliche Unterricht weichende, fehlerhafte sprachliche Regeln pos-
Englisch 104 (2010), 10–11. MG tuliert werden, wird als ein dem Erwerbspro-
zess inhärenter Verfahrensvorgang gesehen.
Lit.: C. Gnutzmann: Translation as Language Aware-
Kontrastives Lernen. Ob bewusst oder unbe- ness. Overburdening or Enriching the Foreign Lan-
wusst, jede Form des Fremdsprachenlernens guage Classroom? In: A. Witte et al. (Hg.): Translation
findet vor dem Hintergrund der Erstsprache in Second Language Learning and Teaching. Oxford
2009, 53–77. – F. G. Königs: Der Faktor ›Kontrastivi-
und anderer (Fremd-)Sprachenlernerfahrungen tät‹ beim Fremdsprachenlernen. Einige Überlegungen
statt (ä Spracherwerb und Spracherwerbstheo- vor dem Hintergrund der Mehrsprachigkeitsdidaktik.
rien). Die Untersuchung interlingualer, zwei- In: M. Albl-Mikasa et al. (Hg.): Dimensionen der
und auch mehrsprachiger Erscheinungen des Zweitsprachenforschung. Tüb. 2009, 29–37. CG
Fremdsprachenlehrens und -lernens ist For-
schungsgegenstand verschiedener Disziplinen,
insbesondere der Kontrastiven Linguistik, der Kontrastivhypothese ä Fehler, ä Interferenz,
Fehleranalyse, der Übersetzungsdidaktik und ä Kontrastives Lernen, ä Spracherwerb und
der ä Mehrsprachigkeitsdidaktik. Die mit dem Spracherwerbstheorien, ä Transfer
Strukturalismus und Behaviorismus verbun-
dene Kontrastivitätshypothese ging von der An-
nahme aus, dass das Erlernen einer Fremdspra- Kooperatives Lernen. Formen des k.L.s sind zu-
che in erster Linie von der Muttersprache be- grundeliegender Bestandteil zentraler Fragestel-
einflusst wird und zwar in der Weise, dass lungen der fremdsprachendidaktischen Diskus-
identische Elemente und Strukturen durch sion. Untersuchungen des FUs konstatieren
positiven ä Transfer leicht zu erlernen seien, hohe Lehrersprechanteile und eine Dominanz
Unterschiede zwischen L1 und L2 hingegen ne- des Interaktionsmusters Lehrerinitiation/Schü-
gativen Transfer (= Interferenzfehler) und somit lerresponse/Lehrerfeedback. Das Muster ist der
Lernschwierigkeiten hervorrufen würden (ä In- Rahmung des FUs in der Disziplinarinstitution
terferenz). Die Hoffnung, dass erfolgreicher FU Schule geschuldet, aber auch dem Lehr-Lern-
sich lediglich auf die Vermeidung der durch Kurzschluss und dem fachspezifischen Dogma
kontrastive Analysen der sprachlichen Subsys- der ä Einsprachigkeit, das die Lehrenden mit
teme ermittelten potenziellen ä Fehler konzent- ihrer überlegenen Fremdsprachenkompetenz
rieren sollte, erwies sich als trügerisch, weil zum Zentrum des Unterrichts macht. Etliche
solche Analysen ausschließlich auf die sprach- didaktische, lernpsychologische (ä Lerntheo-
liche Dimension fokussierten und wegen der rien) und spracherwerbstheoretische (ä Sprach-
Ausblendung der Lernerperspektive keinen erwerb und Spracherwerbstheorien) Positionen
direkten Bezug zum Lernprozess herstellen sprechen dagegen für k.L. und Schüler-Schüler-
konnten. Dieser wurde durch die Fehleranalyse Kooperation: die seit der kommunikativen
geschaffen, die als empirisches Komplement Wende lebendige Vision eines schülerpartizipa-
zur kontrastiven Analyse verstanden werden tiven Kommunikationsmodells des FUs (ä kom-
kann. Die Ergebnisse der kontrastiven Analyse munikativer FU); das konstruktivistische Ver-
173 Kooperatives Lernen

ständnis vom Lernen als interaktionsgetriebe- durch individuelle Zuwendung (ä Differenzie-


nem Prozess der Bedeutungsaushandlung und rung). Um die genannten Potenziale des k.L.s
Problemlösung (ä Konstruktivismus/Konstruk- auszuschöpfen, bedarf es indes einiger Voraus-
tion); die damit einhergehende Rehabilitierung setzungen. Die je vorhandene Lernkultur be-
des Sprechens über Sprache und des Einbezugs stimmt maßgeblich mit, wie Lernende Aufgaben
der Erst- und anderer zur Verfügung stehender und Unterrichtsinszenierungen deuten bzw.
Sprachen in den FU (ä Interkomprehension, selbst gestalten – nicht umgekehrt. Inhaltlich
ä Mehrsprachigkeit); und das positive Fehler- effektive Arbeit in Kleingruppen setzt interakti-
verständnis (ä Fehler) der ä Interlanguage- onale Kompetenzen in vier Bereichen voraus
Theorie. (vgl. Bonnet 2009): im Umgang mit Antipathie
K.L. bezeichnet kollaborative Arbeitsformen und Sympathie (Beziehung), in der Regelung der
in Kleingruppen, die durch fünf Basiselemente gruppeninternen Partizipation, im Aufgaben-
strukturiert sind (vgl. Johnson et al. 2008): management (Organisation) sowie in der Verfü-
wechselseitige positive Abhängigkeit der Grup- gung über Regeln schlüssigen Argumentierens.
penmitglieder (positive interdependence), indi- In Teilen wird k.L. diese Voraussetzungen in
viduelle Verantwortung der einzelnen für das Form schrittweise gesteigerter methodischer
Gruppenergebnis (individual accountability), Anforderungen selbst schaffen bzw. schaffen
direkte Interaktion mit dem Gegenüber (face- müssen.
to-face interaction), Anwendung und Erwerb Es gibt zahlreiche empirische Untersuchungen
sozialer Fähigkeiten (social skills) sowie Refle- zur Entwicklung lern- und entwicklungspsycho-
xion der Gruppenprozesse (group processing). logisch sowie allgemeindidaktisch relevanter
Im engeren Sinne umschreibt k.L. eine Samm- Parameter in kooperativen Lernumgebungen.
lung von Mikromethoden auf der Ebene der Für die im Bereich des FUs spezifischen Schüler-
Einzelstunde nach dem Muster Think-Pair- kompetenzen und die emotionalen sowie für die
Share sowie Modelle, die einzelne Methoden Professionalisierung der Lehrkräfte (ä Lehrer-
und Prinzipien (Wettbewerb, Kooperation, Ein- forschung) relevanten Effekte sind derartige
zelarbeit) in komplexen Lernumgebungen zu Untersuchungen allerdings rar. Hier gilt es fest-
festen Sequenzen wie Teams-Games-Tourna- zustellen, unter welchen Bedingungen sich wel-
ments kombinieren (vgl. Slavin 1995). In Er- che Konzepte von k.L. bewähren und wie durch
ziehungswissenschaft und empirischer Bil- sie die oben genannten Parameter beeinflusst
dungsforschung steht k.L. im weiteren Sinne werden. Aufgrund der Komplexität des Phäno-
für zahllose Unterrichtsformate zwischen den mens und des Defizits an formalen Theorien in
Polen Selbständigkeitsförderung (ä Autonomes diesem Bereich erscheint dazu die Konstruktion
Lernen) und Kollaboration (vgl. Rabenstein/ gegenstandsbezogener Theorien durch kom-
Reh 2007). Inwieweit die verschiedenen For- plexe Kombination von Forschungsstrategien,
mate jeweils die Basiselemente erfüllen, ist eine Datentypen und Schlusslogiken ausgesprochen
offene Forschungsfrage. vielversprechend (ä Empirie, ä Forschungsme-
Theoretische und empirische Forschungen thoden und -instrumente). Als weiteres For-
lassen die folgenden Wirkungen des k.L.s er- schungsdesiderat ist es auf der konzeptionellen
warten (für einen aktuellen Überblick vgl. Bon- Ebene notwendig, die Terminologie weiter zu
net/Hericks 2017): eine Erhöhung der Rede- entwickeln. Der Terminus ›k.L.‹ fungiert sowohl
anteile der Lernenden, damit verbunden eine als Oberbegriff als auch als Bezeichnung für alle
intensivere Bedeutungsaushandlung; vertiefter, Mikromethoden sowie Methodenpakete, die
in Teilen umfangreicherer Wortschatzerwerb, da nach dem Prinzip Think-Pair-Share verfahren.
erarbeitete Wörter stärker mit ä Vorwissen und Die durch die Basiselemente formulierten Prin-
außerunterrichtlichen Spracherfahrungen in Be- zipien werden allerdings ganz oder teilweise
zug gesetzt werden können (ä Wortschatz und auch von anderen Methoden umgesetzt, wie
Wortschatzerwerb); ä Kommunikation auf In- z. B. Szenario-Didaktik (ä Inszenierung), ä Story-
halts- und Beziehungsebene; Unterstützung im line-Methode oder ä aufgabenorientiertes Ler-
Erwerb von ä Sozialkompetenzen; Stärkung der nen. Es wäre wünschenswert, diese verschiede-
Lernerautonomie durch Reflexion; eine Verän- nen Formen – auch in ihren empirischen Wir-
derung der Lehrerrolle (ä Lehrer/in und Lehrer- kungen – genauer voneinander abzugrenzen.
rolle), insbesondere die Schaffung von Freiräu- Eine weitere Stufe theoretischer Integration
men zur Handhabung von ä Heterogenität dürfte erreicht werden, wenn k.L. schließlich
Kooperatives Lernen 174

mit dem Prinzip der Lernerautonomie in Bezie- tungen, als richtigstellende Wiederholungen
hung gesetzt würde und aus der von einigen oder als recasts bezeichnet. (3) Bleibt die Mit-
Autor/innen vermuteten Komplementarität der teilungsabsicht des Lernenden aufrechterhal-
beiden Konzepte auch begriffliche Konsequen- ten? – Dieses dritte Kriterium ist Grundlage für
zen gezogen würden. die Unterscheidung von Reparatur- und K.se-
Lit.: A. Bonnet: K.L. In: Der fremdsprachliche Unter- quenzen und besonders wichtig für die didakti-
richt Englisch 43/99 (2009), 2–9. – A. Bonnet/ sche Bewertung mündlichen korrektiven Feed-
U. Hericks: K. L. Theoretische Rahmungen und empi- backs. Idealerweise führt die interaktionale
rische Befunde. In: M. Proske/K. Rabenstein (Hg.): Fehlerbearbeitung dazu, dass die einer fehler-
Unterricht beobachten, beschreiben, rekonstruieren.
Kompendium qualitativer Unterrichtsforschung. Bad haften Schüleräußerung zugrundeliegende Mit-
Heilbrunn 2017. – D. W. Johnson/R. T. Johnson/ teilungsabsicht mit angemessenen sprachlichen
E. J. Holubec: Circles of Learning. Cooperation in the Mitteln realisiert wird (Reparatur). Insbeson-
Classroom. Edina, Minn. 82008 [1984. – K.  Raben- dere bei Fremdverbesserungen besteht aber die
stein/S. Reh (Hg.): Kooperatives und selbständiges Gefahr, dass die ursprüngliche Mitteilungsab-
Arbeiten von Schülern. Zur Qualitätsentwicklung
von Unterricht. Wiesbaden 2007. – R.E.  Slavin: Co-
sicht durch die sprachlichen Verbesserungsan-
operative Learning. Theory, Research, Practice. Bos- gebote verändert wird (K.).
ton 1995. AB/HDC/UH Es liegen bereits zahlreiche empirische Stu-
dien zur Beschreibung mündlichen korrektiven
Feedbacks und zunehmend auch zu dessen
Korrektur. Korrektives ä Feedback spielt im FU Wirksamkeit vor. In einer diskursanalytischen
gleichermaßen bei der Förderung mündlicher Untersuchung eines Korpus mit 394 Fällen
wie auch schriftlicher Ausdrucksfähigkeit eine korrektiven Feedbacks aus dem Deutsch-als-
wichtige Rolle. Im Bereich der Rezeption da- Fremdsprache-Unterricht an flämischen Sekun-
gegen ist die systematische wissenschaftliche darschulen kommt Katja Lochtman (2002) zu
Auseinandersetzung mit Lese- oder Hörverste- dem Ergebnis, dass gegenüber dem expliziten
hensfehlern bisher noch wenig verbreitet. Feedback (13,7 %) und den Umgestaltungen
Zur diskursanalytischen Beschreibung münd- (30,5 %) mit 55,8 % insbesondere Initiierungen
lichen korrektiven Feedbacks werden in der der Selbst-K. überwiegen. Bei ihrer Untersu-
Regel mindestens drei Kriterien herangezogen: chung stellt sie weiterhin fest, dass explizites
(1) Wer initiiert die Verbesserung? – Je nach- korrektives Feedback und Umgestaltungen je-
dem, ob ein Schüler bzw. eine Schülerin die weils in 52 % bzw. 52,5 % der Fälle nicht von
Verbesserung der eigenen Äußerung selbst initi- den betroffenen SuS aufgenommen wurden,
iert oder die Fehlerhaftigkeit der Äußerung von während anderes korrektives Feedback bessere
einer anderen Person zum Anlass für die The- Aufnahmewerte in den nachfolgenden Schüler-
matisierung des ä Fehlers genommen wird, äußerungen zeigte. Gertraud Havranek (2002)
spricht man entweder von selbst- oder von legt eine Untersuchung vor, die auf einem Da-
fremdinitiierten Feedbacksequenzen. Fremdini- tenkorpus zum Englischunterricht für deutsch-
tiierungen können als metalinguistisches Feed- sprachige SuS in 10 Klassen auf unterschiedli-
back, als Bitte um Erläuterung, als Rückfrage chen Niveaustufen und in verschiedenen Al-
oder als Wiederholung des fehlerhaften Aus- tersgruppen beruht. Ihre Auswertung von 1700
drucks realisiert werden. (2) Wer führt die Ver- Fällen korrektiven Feedbacks ergibt, dass Um-
besserung durch? – Ebenso ist zu unterscheiden, gestaltungen die häufigste Form der Feedback-
ob die Person, die den Fehler gemacht hat, ihn sequenz darstellen und dass 59 % dieser Umge-
selbst verbessert oder ob eine andere Person staltungen von den Lernenden wiederholt wer-
dies übernimmt. Selbstverbesserungen erfolgen den. Besonders bemerkenswert an ihrer Studie
von Seiten der Person, die den Fehler gemacht ist, dass sie u. a. anhand von Testwerten zu er-
hat. Bei Fremdverbesserungen seitens der Lehr- mitteln sucht, welcher Typ korrektiven Feed-
person oder der Mitschüler/innen lassen sich backs bei der betroffenen Person und bei den
direkte (auch ›explizit‹ genannte) K.en, bei de- anderen Kursteilnehmenden besonders erfolg-
nen ein expliziter Hinweis auf die Fehlerhaftig- reich ist. Ihren Daten zufolge sind insbesondere
keit der Äußerung erfolgt, von indirekten (auch die elizitierte Selbst-K. und die schülerseitige
›implizit‹ genannten) Verbesserungen unter- Wiederholung nach einer misslungenen Elizi-
scheiden, bei denen ein solcher expliziter Hin- tierung mit Fremd-K. besonders wirksam; ge-
weis fehlt. Letztere werden auch als Umgestal- ringe Erfolgsquoten liegen bei recasts ohne
175 Korrektur

Aufnahme durch den Lernenden vor. So unter- (ä Leistungsermittlung) nur bestimmte Fehler
streicht Havraneks Untersuchung nicht nur für die K. auszuwählen wären. (3) Die schüler-
die  Ergebnisse vorhergehender Studien, dass seitige Anfertigung eines Fehlerrasters sei hilf-
mündliches korrektives Feedback den Zweit- reich dabei, eine positive Einstellung zum Fehler
spracherwerb unterstützt, sondern gelangt zu als Chance zum Weiterlernen aufzubauen,
differenzierten Aussagen über die Bedingungen, durch Sprachvergleich und Sprachbewusstheit
unter denen bestimmte Feedback-Typen Erfolg (ä Bewusstheit/Bewusstmachung) Ursachen von
zeitigen (vgl. auch Lenhard 2016). Fehlern zu erkennen und die Selbstkontrolle
In der Fachdiskussion zum schriftlichen kor- beim Schreiben zu fördern (vgl. Dlaska/Kreke-
rektiven Feedback hat die Frage der schülersei- ler 2015; Ohta 2015).
tigen Initiierung (wenngleich denkbar) bisher Neben Grammatikfehlern spielt auch das le-
kaum eine Rolle gespielt; bei der Fremdinitiie- xikalische, stilistische, strukturelle und inhaltli-
rung stellt sich jedoch in vergleichbarer Weise che Verbesserungspotenzial von Schülertexten
wie auch beim mündlichen korrektiven Feed- eine wichtige Rolle für das korrektive Feedback.
back die Frage, ob die Lehrperson den Fehler Prozessorientierter Schreibunterricht (ä Schrei-
fremdverbessern oder Hinweise zur Selbst-K. ben) sieht deshalb in der Regel Schreibkonfe-
geben soll. Im ersten Fall hat sich der Begriff renzen vor, in denen sich SuS in einer ersten
der direkten K. durchgesetzt, Hinweise zur Bearbeitungsrunde zunächst gegenseitig inhalt-
Selbst-K. werden (anders als beim mündlichen liches Feedback zu ihren Texten geben, um die
korrektiven Feedback) in der Regel als indirekte Texte anschließend im Hinblick auf ihre Über-
K. bezeichnet. Letztere können darin bestehen, zeugungskraft, ästhetische Wirkung, Struktur
dass ein Fehler durch Unterstreichen oder Ein- usw. zu überarbeiten. Erst in einer zweiten
kreisen lokalisiert wird, dass die Fehlerart mit Runde der Schreibkonferenzen erfolgen dann
einem K.zeichen kodiert wird oder dass sowohl in der gegenseitigen Beratung Vorschläge zur
Lokalisierung als auch Kodierung erfolgen; morphosyntaktischen und lexikalischen K., die
ebenfalls ist denkbar, dass ein Fehler ohne Lo- im Anschluss unter Zuhilfenahme entsprechen-
kalisierung und Kodierung nur durch Anstrei- der Referenzmittel von den jeweiligen Autor/-
chen am Rand markiert wird. innen bearbeitet werden können.
Im Hinblick auf das korrektive Feedback zu Im Zusammenhang mit der Ausrichtung von
schriftlichen Grammatikfehlern besteht in der fremdsprachlichen ä Lernzielen am ä Gemeinsa-
Fachdiskussion eklatante Uneinigkeit darüber, men europäischen Referenzrahmen lässt sich
ob die weit verbreitete K.praxis überhaupt insgesamt eine deutliche Abwendung von einer
wirksam ist (vgl. Ferris 2004). K.gegner/innen defizitorientierten Fokussierung auf Fehler hin
stellen aufgrund zahlreicher empirischer Hin- zu einer positiv orientierten Betrachtung von
weise die Effizienz der zeitlich enorm aufwän- fremdsprachlichen ä Kompetenzen konstatie-
digen K. grundsätzlich in Frage und machen im ren. Dies führt dazu, dass der Begriff der Fehler-
Gegenteil auf die Gefahr aufmerksam, die darin K. hinter das Konzept der Selbstevaluation von
liegt, dass Lernende als Reaktion auf die Fehler- Kompetenzen zurücktritt, welche in neueren
K. ihre für den Zweitspracherwerb förderliche ä Lehrwerken oder im Europäischen Sprachen-
Risikobereitschaft senken und die Komplexität portfolio (ä Portfolio) auf der Grundlage von
ihrer Äußerungen reduzieren könnten. K.be- Kann-Beschreibungen erfolgt.
fürworter/innen sprechen, ebenfalls auf der Lit.: A. Dlaska/C. Krekeler: Fehler-K. im studienbe-
Grundlage empirischer Hinweise, u. a. folgende gleitenden und -vorbereitenden Deutschunterricht. In:
Empfehlungen aus: (1) Indirekte K.en, bei de- Zeitschrift für Interkulturellen FU 20/1 (2015), 140–
nen die SuS die Verbesserungen selbst durch- 158. – D. R. Ferris: The ›Grammar Correction‹ Debate
in L2 Writing. Where Are We, and Where Do We Go
führen, seien im Vergleich zu direkten K.en
From Here? (And What Do We Do in the Mean-
wirksamer, da die schülerseitige Aufnahme bei time …?). In: Journal of Second Language Writing
der Überarbeitung eine entscheidende Rolle 13/1 (2004), 49–62. – G. Havranek: Die Rolle der K.
spiele. (2) Die Wirksamkeit der K. könne von beim Fremdsprachenlernen. FfM 2002. – K. Hyland/
der Art des Fehlers (z. B. Morphologie vs. Syn- F. Hyland (Hg.): Feedback in Second Language Wri-
tax) oder vom Lernstand der betroffenen Per- ting. Contexts and Issues. Cambridge 2006. –
K. Lochtman: K.handlungen im FU. Bochum 2002. –
son in der Erwerbssequenz der jeweiligen Spra- T. Ohta: Die Wirkung von Fehler-K. auf Überarbei-
che abhängig sein. Dies würde bedeuten, dass tungsprozesse und -produkte beim fremdsprachlichen
auf der Grundlage einer individuellen Diagnose Schreiben. Eine empirische Studie unter Deutschler-
Korrektur 176

nenden. Mü. 2015. – S. Lenhard: Fehler-K.en und in synchrone und asynchrone Kommunikation.
Rückmeldungen im Englischunterricht. Münster/N.Y. Die synchrone Kommunikation beschreibt ei-
2016. KSch
nen Austausch ohne Zeitverzögerung, in dem
die Kommunikationspartner sofort auf Beiträge
Korrespondenz (auch Schüler- und Klassenkor- reagieren. Ein Beispiel für synchrone Kommu-
respondenz) umschreibt die schriftliche ä Kom- nikation ist der Chat, der zugleich einen Son-
munikation zwischen Lernergruppen mit unter- derfall darstellt: Zwar findet er vordergründig
schiedlichen Sprachhintergründen. Sie hat den im Medium der schriftlichen Sprache statt,
Austausch von Inhalten sowie die Anwendung enthält aber Merkmale des Mündlichen und
und Erweiterung von Sprachkenntnissen zum wird hier aus diesem Grund nicht unter die K.
Ziel. Die K. kann über verschiedene ä Medien gefasst. Asynchrone Kommunikationsformen
geschehen: Beschränkte sich die K. früher in wie z. B. Diskussionsforen, Blogs und Wikis
erster Linie auf den Briefwechsel bzw. den Aus- sind für den kommunikativen Austausch im FU
tausch von Paketen, so können heute auch E- zwar ebenfalls von Bedeutung, entsprechen je-
Mail-Projekte und andere Formen internet- doch nur in Teilen der Kernidee der K., die hier
basierter Kommunikation darunter gefasst im engeren Sinn als gezielter Austausch zwi-
werden. Der Begriff hat somit durch die Infor- schen vorher festgelegten Kommunikations-
mations- und Kommunikationstechnologien partnern verstanden wird. Im Gegensatz dazu
eine neue Relevanz erlangt. kann die Kommunikation via E-Mail ohne
Als Begründer der Idee der K. gilt der franzö- Weiteres als spezifische Ausprägung der K. be-
sische Reformpädagoge Célestin Freinet (1896– trachtet werden. Der E-Mail-Austausch ist ein
1966), der ein Unterrichtskonzept verfolgte, typisches Beispiel für asynchrone Kommunika-
das primär auf die Eigeninitiative der SuS ab- tion: Hier kann einige Zeit zwischen dem Ver-
zielte. Hierunter lassen sich selbstbestimmte, fassen bzw. Absenden und dem Lesen bzw. Be-
kooperative Arbeitsformen (ä Kooperatives Ler- antworten einer E-Mail verstreichen; die Kom-
nen), ä Individualisierung, ä Lerner-, Themen- munikation findet zeitlich versetzt statt, auch
und ä Handlungsorientierung subsumieren. wenn zwischen dem Versand und dem Empfang
Lebensnahe Themen prägten den Unterricht einer E-Mail in der Regel nur Sekunden liegen.
Freinets, in dem ä entdeckendes Lernen eine E-Mail-Projekte im FU nutzen diese Möglich-
wichtige Rolle spielte. Freinet befürwortete eine keiten der schnellen Kommunikation über
praktisch orientierte Pädagogik, deren Ziel es Länder- bzw. Sprachgrenzen hinweg.
ist, die Trennung zwischen Schule und Leben zu Der authentische Austausch (ä Authentizität)
relativieren. In der K. sah er eine Möglichkeit, zwischen Lernergruppen trägt zur sprachlichen
diese Trennung aufzuheben und das in der Entwicklung der SuS bei. Sie können das im FU
Schule Gelernte unmittelbar und lebensnah an- Gelernte in der authentischen Kommunikation
zuwenden. In den Klassen Freinets existierten mit einem native speaker oder anderen Lernen-
zwei verschiedene Formen des Briefwechsels: den der jeweiligen Fremdsprache anwenden
Zum einen gab es einen Austausch von Schüler- und nutzen dabei ein Medium, über das sie
zeitungen zwischen Klassen aus Frankreich und auch außerhalb der Schule kommunizieren. Da
angrenzenden Ländern; zum anderen fand ein die SuS dabei an konkreten Aufgaben arbeiten,
Briefaustausch von Klasse zu Klasse sowie von die zu einem greifbaren Ergebnis führen (z. B.
Schüler zu Schüler statt. Die Ideen Freinets eine gemeinsame Stellungnahme zu einer Fra-
werden seit den 1970er Jahren vereinzelt auch gestellung), ist der E-Mail-Austausch v. a. für
im FU in Deutschland umgesetzt. Heute ist die handlungs- und aufgabenorientierte Lernpro-
K. v. a. im Zusammenhang mit ä E-Learning zesse geeignet (ä Aufgabenorientiertes Lernen).
und computervermittelter Kommunikation Ein weiteres Ziel der K. ist die Entwicklung
(ä Computer-Assisted Language Learning) zu und Vertiefung der ä interkulturellen kommuni-
betrachten. Das Internet mit seinen verschie- kativen Kompetenz der SuS. Durch den Aus-
denen Kommunikationsmöglichkeiten stellt tausch mit Lerngruppen, die einen anderen
ebenso eine Schnittstelle zwischen dem Schul- kulturellen Hintergrund haben, erfahren die
geschehen und dem außerschulischen Leben SuS nicht nur etwas über die ihnen fremde Kul-
dar. tur, sondern sehen auch sich selbst und ihre ei-
Die verschiedenen Möglichkeiten der Kom- gene Kultur mit neuen Augen. Dieser Perspekti-
munikation im Internet lassen sich unterteilen venwechsel (ä Perspektive und Perspektiven-
177 Kreativität

wechsel) verdeutlicht, dass die K. nicht nur auf wichtige Rolle zu. Eine Partnerklasse muss ge-
kognitiven Wissenszuwachs ausgerichtet ist, funden, Lernziele und Inhalte (Zeit, Thema,
sondern auch die soziale und emotionale Ebene Erwartungen, Wünsche) müssen mit der Part-
der SuS (ihre Empathie und Toleranz) an- nerlehrkraft koordiniert und reflektiert werden.
spricht. Auch muss bei einem E-Mail-Austausch der
Die beschriebenen ä Lernziele der K., die von Internetzugang für alle SuS gewährleistet sein.
der sprachlichen Entwicklung der SuS über die Ferner ist es Aufgabe der Lehrkraft, die SuS
Vertiefung ihrer interkulturellen Kompetenz während der K. moderierend und koordinie-
sowie ihre ä Medienkompetenz bis hin zu der rend zu unterstützen. In bestimmten Phasen des
Vorbereitung auf einen realen Schüleraustausch Projekts kann es außerdem sinnvoll sein, ge-
(ä Begegnung und Begegnungssituationen) rei- meinsam den bisherigen Verlauf des Austauschs
chen können, sind bei der Planung und Durch- zu reflektieren, exemplarische E-Mail-Passagen
führung einer K. ebenso zu beachten wie zu besprechen usw. Die K. trägt somit in der
grundlegende Überlegungen, wie z. B. die Frage Gesamtschau zu einem realitätsbezogenen und
nach der zu verwendenden Sprache: Die Kom- motivierenden (ä Motivation) Spracherwerb bei.
munikation kann entweder in einer Sprache als Lit.: I. Dietrich: Handbuch Freinet-Pädagogik. Eine
ä lingua franca oder in Form eines Tandems praxisbezogene Einführung. Weinheim 1995. –
(ä Tandemlernen) erfolgen. Auch die ä Sozial- R. O’Dowd (Hg.): Online Intercultural Exchange. An
form ist festzulegen: Die SuS können in Einzel-, Introduction for Foreign Language Teachers. Cleve-
don 2007. LR/MaR
Partner- oder Gruppenarbeit miteinander kor-
respondieren. In schulischen Kontexten sind
häufig Partner- oder Gruppenarbeit vorzuzie- Kreatives Schreiben ä Kreativität, ä Schreiben
hen, da so auch die mündliche Kommunikation
innerhalb einer Lernergruppe angeregt werden
kann. Außerdem sollte der zeitliche Rahmen Kreativität spielt spätestens seit Mitte der 1980er
abgestimmt werden, der von einer auf einige Jahre auch im Kontext des fremdsprachlichen
Wochen begrenzten Dauer eines Projekts bis zu Unterrichts eine zunehmend bedeutende Rolle
einem langen, regelmäßigen Austausch reichen (vgl. Caspari 1994, 87). Hinter dem Begriff,
kann. dessen Bedeutung durch »Originalität, Imagi-
Während in fortgeschrittenen Lernergruppen nation, Phantasie, Genialität, Schöpferkraft, Er-
vorwiegend der E-Mail-Austausch als Form der finden, Entdecken« (ebd., 53) zu fassen versucht
K. genutzt wird, bieten sich für den Grund- wird (vgl. auch Pawlowska 2014), verbirgt sich
schulbereich weitere Formen der K. an. So kann ebenso ein »didaktisches Prinzip, das immer
Handgeschriebenes auch in Gestalt einer ›Klas- dort waltet, wo man die Phasen rezeptiven Ler-
senbriefsammlung‹, eines Klassenordners oder nens und reproduktiven Lernens durch Phasen
eines Klassentagebuchs verschickt werden, die entdeckenden, produktiven Lernens ergänzt«
z. B. auch Gebasteltes bzw. Gesammeltes wie (ebd., 116). In gewissem Maße werden somit
ä Bilder, Collagen und ä Poster bzw. Kinokarten, das Selbstverständnis des FUs, der Lehrperson,
Zeitungsausschnitte und leere Verpackungen des Lerners bzw. der Lernerin sowie die einge-
beinhalten können. Auch kann das Versenden setzten Methoden neu definiert.
von Paketen per Post mit der Kommunikation Als Charakteristika der K. im Unterricht las-
per Internet kombiniert werden: So wurde das sen sich folgende Aspekte nennen: ä Prozessori-
Teddybär-Projekt bekannt, an dem SuS aus der entierung, Ganzheitlichkeit (ä Ganzheitliches
ganzen Welt teilnehmen (www.iearn.org.au/ Lernen), Anregung der Produktivität der SuS
tbear/). Zwischen den Partnerklassen wird ein sowie ihrer Fähigkeit, bekannte sprachliche
Teddybär zusammen mit Gegenständen wie Strukturen in neuen, ungewöhnlichen Zusam-
Fotos, Karten und Andenken verschickt, über menhängen zu etwas Neuem zusammenzufügen
dessen ›Erlebnisse‹ die SuS Tagebucheinträge (vgl. Caspari 2003, 308 f.). Neben der ä Hand-
verfassen und diese wiederum per E-Mail zu- lungs- und Prozessorientierung spielen in einem
rückschicken. Diese Form der K. zielt besonders FU, der sich kreativer Arbeitsformen bedient,
auf die interkulturelle Kompetenz der SuS und die ä Lernerorientierung und somit eine ä Indi-
den Perspektivenwechsel ab. vidualisierung und Personalisierung von Lern-
Wenngleich Unterrichtsphasen der K. stark prozessen eine bedeutende Rolle (vgl. Caspari
schülerzentriert sind, kommt der Lehrkraft eine 1994, 157 ff.). Entscheidend für den Unterricht
Kreativität 178

ist die Schaffung eines Raumes und einer Lern- Perspektive oder Textsorte, die Entwicklung
atmosphäre, in der die SuS – auch interaktiv inhaltlicher Alternativen, das Schreiben eigener
und kooperativ (ä Kooperatives Lernen) – krea- Texte anhand eines vorgegebenen Gerüsts, lite-
tiv und schöpferisch tätig werden können und rarische Sprachspiele sowie prozessorientierte
ihnen somit ein Lernen und Arbeiten auf kogni- pre-, while- und post-reading activities (vgl.
tiver, emotionaler, assoziativer und imaginati- ebd., 167 ff.).
ver (ä Imagination) Ebene ermöglicht wird (vgl. Im Bereich der Sprachproduktion finden
Böttcher 1999, 7). sich kreative Aufgaben sowohl im schriftlichen
Im FU kann auf verschiedene Weise kreativ (creative writing) als auch im mündlichen (crea-
gearbeitet werden. Kreative Aufgaben zeigen tive speaking) Bereich. Die Aufgaben sollen die
dabei, je nach Anforderungsniveau und zu för- SuS zu einem freien Umgang mit der Fremd-
dernder ä Kompetenz, ein mehr oder weniger sprache ermutigen. Beim kreativen Schreiben
starkes Maß an Offenheit und geben damit den ist zwischen dem Einsatz kreativer Schreib-
SuS die Möglichkeit, eigene Ideen, Vorstellun- übungen und einem kreativen Schreiben im
gen, Gefühle und Talente in den Unterricht Sinne des im englischen Sprachraum vorherr-
einzubringen. Für Lehrkräfte bedeutet die För- schenden Verständnisses von creative writing
derung von K. im FU immer auch, dass sie zu unterscheiden. Beide Formen des kreativen
selbst flexibel und kreativ in der Gestaltung Schreibens sind sowohl prozess- als auch pro-
von Aufgaben sein müssen. Kreativer FU erfor- duktorientiert (vgl. Mühlmann 1992, 175;
dert daher ggf. auch einen kreativen Einsatz des Schreiter 2002, 14), jedoch unterscheiden sich
Lehrbuchs, bei dem die Lehrkräfte entscheiden die Produkte in Genre, Länge, Komplexität
welche Aufgaben und Inhalte weggelassen, er- und Qualität. In Aufgaben zum kreativen Schrei-
setzt oder angepasst werden, um z. B. geschlos- ben werden die SuS zu einer spielerischen und
sene Aufgaben zu öffnen oder ein stärkeres schöpferischen Produktion von Wörtern, Sät-
Maß an Authentizität und Lernerorientierung zen oder Textteilen, bis hin zu teilweise länge-
zu erreichen (vgl. Tomlinson 2015). ren Texten angeregt. Böttcher (1999, 22) bei-
Kreative Aufgaben eignen sich zur Förderung spielsweise gruppiert Methoden des kreativen
verschiedener ä Fertigkeiten und Kompetenzen, Schreibens in fünf Kategorien: assoziative Ver-
so werden sie z. B. im Bereich des ä interkultu- fahren; Schreibspiele; Schreiben nach Vorga-
rellen Lernens zum Üben des Perspektiven- ben, Regeln und Mustern; Schreiben zu und
wechsels (ä Perspektive und Perspektivenwech- nach (literarischen) Texten; Schreiben zu Sti-
sel), beim Erarbeiten grammatischer Strukturen muli und Weiterschreiben an kreativen Texten.
(vgl. Hadfield/Hadfield 2015), in der Wort- Beim creative writing geht es um das Verfassen
schatzarbeit oder in der Projektarbeit (vgl. eigener literarischer Texte, die so lange überar-
Grenzlinger 1980) eingesetzt. Im Literaturun- beitet werden, bis sie veröffentlichbar sind und
terricht unterstützen sie den Leseprozess und den SuS im besten Fall eine Teilhabe an au-
das Textverständnis (ä Leseverstehen). Für ihr thentischen fremdsprachigen Diskursen er-
Konzept der K. im fremdsprachlichen Literatur- möglichen (vgl. Sara/Elis 2017). Der Schreib-
unterricht orientiert sich Daniela Caspari prozess kann dabei im Sinne des ä generischen
(1994, 51 f.) an den Begriffen ›kreatives Pro- Lernens von komplexen Kompetenzaufgaben
dukt‹, ›kreative Person‹ und ›kreativer Prozess‹ gerahmt werden, die den SuS eine sowohl
aus der psychologischen K.sforschung. Im sprachliche als auch thematische Unterstüt-
kreativen Prozess bringen die Lernenden als zung und Orientierung bieten (vgl. ebd.).
kreative Personen ein kreatives Produkt hervor. Der Einsatz kreativer Methoden beschränkt
Dieses unterliegt der Bedingung, dass es für den sich jedoch nicht auf das Schreiben. Im Rah-
jeweiligen Lerner, nicht jedoch unbedingt für men der Ausbildung fremdsprachlicher ä kom-
die gesamte Klasse oder die Lehrperson, neu munikativer Kompetenz gilt, dass die SuS auch
sein muss. Den oben genannten Aspekten der verbal-sprachlich eigene Ideen, Gedanken und
K. entsprechend, nennt Caspari produkt-, per- Gefühle zum Ausdruck bringen, Gespräche
sönlichkeits- und prozessorientierte Methoden aufrechterhalten, in Problemsituationen impro-
für den kreativen Literaturunterricht wie z. B. visieren, Geschichten erzählen sowie Probleme
das Ordnen von Textteilen (Puzzletechnik), das lösen oder diskutieren können. Dafür ist eine
Vervollständigen und Weiterschreiben von Tex- Fähigkeit zum spontanen und kreativen Um-
ten, das Umschreiben von Texten in eine andere gang mit der Fremdsprache nötig. Um diese
179 Kultur

auszubilden, bedarf es authentischer und le- sämtlichen K.begriffen, dass sie das vom Men-
bensnaher Kontexte (vgl. Becker/Roos 2008, schen gestaltend Hervorgebrachte bezeichnen –
30) sowie ausreichend Gelegenheit, den sponta- im Gegensatz zu dem, was von Natur aus vor-
nen Sprachgebrauch z. B. in (zum Teil geleite- handen ist. Die Entwicklung des modernen K.
ten) ä Improvisationen zu üben (vgl. Kurtz begriffs ist geprägt durch eine Ausweitung des
2015). Auch der Einsatz von Drama-Aktivitä- Bedeutungsfeldes von landwirtschaftlichen Tä-
ten schafft ebensolche authentische Kommuni- tigkeiten des Ackerbaus auf »die pädagogische,
kationskontexte (ä Dramapädagogik). Ein kre- wissenschaftliche und künstlerische ›Pflege‹ der
ativer, nicht ausschließlich auf Imitation oder individuellen und sozialen Voraussetzungen des
Reproduktion basierender Zugang zur Fremd- menschlichen Lebens selbst« (Ort 2008, 19).
sprache wird dabei bereits für den ä frühen FU Die ursprüngliche, engere Bedeutung ist durch
gefordert. metaphorische Erweiterung und Übertragung
Insgesamt lässt sich feststellen, dass das Ver- auf andere Bereiche zum Modell für andere
ständnis von K. im FU vielseitig ist. K. bedeutet mentale und soziale Formen der Kultivierung
Einfallsreichtum und sprachliches Ausdrucks- einer Gesellschaft geworden (vgl. Böhme 1996).
vermögen, wenn z. B. künstlerisch-ästhetische Angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Ver-
Produkte entstehen. Gleichzeitig sind die SuS wendungsweisen des Wortes ›K.‹ und der Viel-
dann kreativ, wenn sie eigene Gefühle und falt konkurrierender wissenschaftlicher Defini-
Ideen zum Ausdruck bringen und dabei die tionen des K.begriffs (ä Kulturwissenschaft) er-
freie, spontane und selbstgesteuerte Produktion scheint es sinnvoll, von K.begriffen im Plural zu
von Sprache üben. Außerdem sind SuS kreativ sprechen (vgl. Ort 2008; Reckwitz 2004). Im
tätig, wenn ihnen Gelegenheit zum problemori- weitesten Sinne meint ›K.‹ die vom Menschen
entierten, ä entdeckenden und eigenständigen durch die Bearbeitung der Natur mithilfe von
Lernen gegeben wird (z. B. im ä Projektunter- planmäßigen Techniken geschaffene Welt der
richt). geistigen Güter, materiellen Kunstprodukte und
Lit.: C. Becker/J. Roos: I no like fish! Kreativer sozialen Einrichtungen, also die im Zuge der
Sprachgebrauch im Englischunterricht der Grund- Sozialisation erworbenen Voraussetzungen sozi-
schule. In: Die Grundschulzeitschrift 22/220 (2008), alen Handelns. Die meisten gegenwärtig favori-
30–33. – I. Böttcher (Hg.): Kreatives Schreiben. Bln sierten K.begriffe rücken einen dieser Aspekte in
1999. – D. Caspari: K. im Umgang mit literarischen
Texten im FU. FfM 1994. – D. Caspari: Kreative den Mittelpunkt und bestimmen K. z. B. als Text
Übungen. In: K.-R. Bausch et al. (Hg.): Handbuch FU. bzw. System symbolischer Formen, als Auffüh-
Tüb. 42003 [1989, 308–312. – W. Grenzlinger: K. im rung oder Ritual, als ä Kommunikation, als le-
Englischunterricht. Bochum 1980. – J. Hadfield/ bensweltliche Praxis, als Standardisierungen des
C. Hadfield: Teaching Grammar Creatively. In: Ma- Denkens und Handelns, als mentales Orientie-
ley/Peachey 2015, 51–63. – J. Kurtz: Fostering and
Building upon Oral Creativity in the EFL classroom.
rungssystem oder als Gesamtheit von Werten
In: Maley/Peachey 2015, 73–83. – A. Maley/N. Peachey und Normen.
(Hg.): Creativity in the English Language Classroom. Einen guten Überblick über die Vielfalt der
Ldn 2015. – A. Pawlowska: Göttergabe, Modewort K.begriffe gibt die von Reckwitz (2004) entwi-
oder…?. Einige Überlegungen zur K. (nicht nur) aus ckelte Typologie, der zufolge vier Arten von
fremdsprachendidaktischer Sicht. In: S. Adamczak-
K.begriffen unterschieden werden können: (1)
Krysztofowicz/A. Szczepaniak-Kozak (Hg.):  Kultur,
Kommunikation, Kreativität, Reflexivität. Beiträge der normative K.begriff, (2) der totalitätsorien-
zum universitären FU. FfM 2014, 109–121. – K. Sara/ tierte K.begriff, (3) der differenztheoretische K.-
F. Elis: Creative Writing? Generic Writing! In: Der begriff, (4) der bedeutungs- und wissensorien-
fremdsprachliche Unterricht Englisch 150 (2017). – B. tierte K.begriff. Der normative K.begriff (1)
Tomlinson: Challenging Teachers to Use their Course- beruht auf einer wertenden Gegenüberstellung
book Creatively. In: Maley/Peachey 2015, 24–28. FE
bzw. einer Auszeichnung bestimmter ästheti-
scher Phänomene, Objekte und Praktiken der
Kultur. Der Begriff K., der in der Alltagssprache ›Hochkultur‹, die in einer Gesellschaft hochge-
und in den Geistes- und Sozialwissenschaften zu schätzt, durch Traditionsbildung bewahrt und
den am häufigsten gebrauchten und populärs- zum ä Kanon ästhetischer Werke gezählt wer-
ten, aber auch zu den im alltäglichen Sprachge- den. Im Gegensatz zum normativen K.begriff,
brauch meist unterbestimmt bleibenden gehört, der auf einer Ausgrenzung von Alltags-, Mas-
bezeichnet je nach Disziplin und Ansatz sehr sen- und Populärkulturen basiert, zeichnet sich
unterschiedliche Phänomene. Gemeinsam ist der totalitätsorientierte K.begriff (2) dadurch
Kultur 180

aus, dass er von ästhetischen Wertungen ab- M. Luserke (Hg.): Literaturwissenschaft, K.wissen-
sieht und ›ganze Lebensformen‹, d. h. die Ge- schaft. Positionen, Themen, Perspektiven. Opladen
1996, 48–68. – C.-M. Ort: K.begriffe und K.theorien.
samtheit der Denk-, Handlungs- und Wahrneh-
In: A. Nünning/V. Nünning (Hg.): Einführung in die
mungsmuster von Kollektiven, in den Mittel- K.wissenschaften. Theoretische Grundlagen, Ansätze,
punkt rückt. Der aus der Soziologie stammende Perspektiven. Stgt/Weimar 2008, 19–38. – A. Reck-
und in der Systemtheorie ausgearbeitete diffe- witz: Die Kontingenzperspektive der ›K.‹. K.begriffe,
renztheoretische K.begriff (3) unterscheidet K.theorien und das kulturwissenschaftliche For-
sich von einem solchen weiten Verständnis von schungsprogramm. In: F. Jaeger/J. Rüsen (Hg.): Hand-
buch K.wissenschaften. Bd. 3: Themen und Tenden-
K. durch eine radikale Einschränkung auf »das zen. Stgt/Weimar 2004, 1–20. AN
enge Feld der Kunst, der Bildung, der Wissen-
schaft und sonstiger intellektueller Aktivitäten«
(Reckwitz 2004, 6). Trotz der Vielfalt unter- Kulturdidaktik. Unter dem Begriff der K. sind
schiedlicher Entwürfe ist in den letzten Jahren Konzepte der Vermittlung, der Repräsentation
eine fachübergreifende Präferenz für einen be- und des Verstehens von kommunikativer Inter-
deutungs- und wissensorientierten K.begriff (4) aktion mit fremdsprachigen Kulturen oder ein-
erkennbar, der semiotisch und konstruktivis- zelnen ihrer Vertreter/innen und Hervorbringun-
tisch geprägt ist. Demzufolge wird K. als der gen zu verstehen. An dieser umfassenden, eher
von Menschen erzeugte Gesamtkomplex von offenen Definition ist ablesbar, dass es sich kei-
mentalen Vorstellungen, Denkformen, Empfin- neswegs um ein geläufiges Konzept oder Teilge-
dungsweisen, Werten und Bedeutungen aufge- biet der ä Fremdsprachendidaktik handelt. Viel-
fasst, der sich in Symbolsystemen (z. B. in Spra- mehr konkurriert der Begriff innerhalb der Ein-
che) und sozialen Institutionen (z. B. in der zeldidaktiken und über sie hinweg mit anderen
Schule) materialisiert. disziplinären und konzeptuellen Bestimmungen,
Aus den Entwicklungen um den K.begriff er- v. a. mit der traditionellen ä Landeskunde, aber
gibt sich für den FU erstens die Forderung, dass auch mit neueren Ansätzen wie der Kulturver-
ein weiter Textbegriff zugrunde gelegt wird, der mittlung, dem ä interkulturellen Lernen, den
die Einbeziehung sowohl vernachlässigter Gat- Cultural Studies oder Kulturstudien, den Kultur-
tungen und Textsorten als auch Formen von raumstudien oder Area Studies und weiteren
ä Populärkultur und Produkte der Massenme- (vgl. im Einzelnen Lüsebrink 2008). Insgesamt
dien in den Unterricht erlaubt (vgl. auch ä Kul- deutet sich in dem Begriff aber die Abkehr von
turdidaktik). Ein FU, der von neueren K.begrif- essentialistischen, nationalkulturell orientierten
fen ausgeht, hat zweitens auch die immateriellen Landeskunde- und Kulturkonzepten an.
bzw. mentalen Aspekte von K. zu berücksichti- Im Begriff der K. konvergieren verschiedene
gen, die sich in unterschiedlichen medialen Entwicklungen in den Fachwissenschaften und
Ausdrucksformen niederschlagen. D. h., neben in der Fremdsprachendidaktik, denen eine kul-
Texten sollten kollektive Erfahrungen, Denk- turwissenschaftliche Orientierung und Öff-
und Gefühlsweisen, handlungsleitende Werte nung gemeinsam ist. Die erste Veränderung
und Normen sowie Wissensstände und Über- betrifft die Öffnung der Landeskunde hin zu
zeugungen der Zielsprachenkulturen Gegen- einer interkulturellen Vermittlungswissenschaft
stand des Unterrichts sein. Auf diese Weise rü- und Didaktik. Die Hinwendung zu den kultu-
cken Prozesse kultureller Sinngebung, Selbst- rellen Gegebenheiten in fremdsprachigen Kul-
und Weltbilder fremder K.en sowie die turen war seit Beginn des FUs mit der Landes-
historische Variabilität von Mentalitäten in das kunde verbunden. Darunter wurden zunächst,
Blickfeld, so dass sich der Gegenstandsbereich in meist unausgesprochener Anknüpfung an
des FUs erweitern lässt. Und drittens legen die die ›völkerkundlichen‹ und die besonders pro-
neuen K.begriffe nahe, dass auch die soziale blematischen ›kulturkundlichen‹, weil rassisti-
Dimension der Zielsprachenkulturen Eingang schen Traditionen der 1920er und 1930er
in den FU finden sollte, denn die gesellschaftli- Jahre, die Wissenschaft und das Wissen vom
chen Rahmenbedingungen, Praktiken und In- ›Wesen‹, den ›Eigenheiten‹ oder den Merkma-
stitutionen einer K. bestimmen wesentlich die len fremder Kulturen verstanden. Landeskund-
Entstehung, Ausprägung und Rezeption ver- liche Kenntnisse galten als unverzichtbar für
schiedener medialer Ausdrucksformen. die Verständigung mit Angehörigen der fremd-
Lit.: H. Böhme: Vom Cultus zur K.(wissenschaft). Zur sprachigen Kulturen und die erfolgreiche ä Kom-
historischen Semantik des K.begriffs. In: R. Glaser/ munikation. Aus kulturwissenschaftlicher Per-
181 Kulturdidaktik

spektive sind daran v. a. stereotypisierende An- sondern die Gesamtheit der in einer Gesell-
nahmen und Setzungen über andere Kulturen schaft hervorgebrachten Artefakte, Denkweisen
problematisch (ä Stereotypen; vgl. Volkmann und sozialen Praktiken sowie Institutionen
2010, 84 ff.) sowie ein Objektivitätsanspruch, (culture mit kleinem ›c‹). Damit wird ›Kultur‹
der das Wissen über fremde Kulturen als quasi zu einem umfassenden Beobachtungs- und
unumstößlich und allgemeingültig nach Art ei- Analysegegenstand sowie (didaktisch) zu einem
nes enzyklopädischen Überblicks organisiert Lern- und Interaktionsfeld, das sämtliche
(vgl. Sommer 2007). Die Problematisierung von menschlichen Tätigkeiten, Verhaltensweisen
Stereotypisierungen sowie eine verstärkte Wahr- und symbolischen Produkte umfasst und das
nehmung für die interkulturelle Dimension al- zudem wegen der Produktivität und der diskur-
ler fremdsprachigen Kommunikation haben zu siven Verfasstheit aller Kultur dynamischen
einer Umorientierung geführt, die man als ›In- Veränderungen unterworfen ist. Zum anderen
terkulturalisierung‹ der Landeskunde (Lüse- wird nunmehr der prozessuale, diskursive und
brink) bezeichnen kann (vgl. Volkmann 2010, symbolische Charakter von Kultur betont, der
45 ff.). Diese kann ihrerseits als Reflex auf ein in der Metapher von ›Kultur als Text‹ oder, zur
verstärktes Bewusstsein von der wachsenden Hervorhebung der Multimedialität aller Kom-
kulturellen Vielfalt und Hybridisierung post- munikations- und Signifikationsprozesse, von
kolonialer und globalisierter Migrationsgesell- ›Kultur als Hypertext‹ manifest wird (vgl. Hal-
schaften betrachtet werden (vgl. Lüsebrink let 2002; Altmeyer 2004). Die Text- bzw. Hy-
2008). V. a. in der Französischdidaktik und im pertext-Metaphorik lenkt das Augenmerk
Fach ä Deutsch als Fremdsprache hat sich der darauf, dass im FU die Begegnung und Kom-
Dachbegriff ›Landeskunde‹ jedoch erhalten. munikation mit fremdsprachigen Kulturen und
Die ›Interkulturalisierung‹ ist ihrerseits eine deren Repräsentant/innen in aller Regel in tex-
weitere Entwicklung, die weit über die Landes- tuell-diskursiver oder medial vermittelter, nicht
kunde hinaus die gesamte Fremdsprachendi- aber in direkter personaler Form erfolgt – mit
daktik betrifft und zu einer Neubewertung der Ausnahme z. B. des Schüleraustauschs oder von
Rolle der fremdsprachigen Kulturen im FU Schulreisen (ä Begegnung und Begegnungssitu-
führte: In einem interkulturell orientierten FU ationen). Die fremdsprachigen Kulturen sowie
kommt es weniger auf kulturelles Faktenwissen die in ihnen anzutreffenden Denk- und Verhal-
und landeskundliches Spezialwissen, sondern tensweisen, Institutionen und Lebensstile sind
vielmehr auf Kommunikations- und Verste- im FU lediglich in Gestalt von Texten und me-
hensbereitschaft sowie auf die Fähigkeit zur dialen Manifestationen aller Art zugänglich;
Bedeutungsaushandlung an. Damit verliert die zugleich haben gemäß diesem semiotischen
fremdsprachige Kultur ihre enge Begrenzung Verständnis von Kultur die Lernenden mit ih-
auf einen landeskundlichen Lerngegenstand ren Äußerungen  und Texten unmittelbaren
und wird zu einer kommunikativen und atti- Anteil an größeren  fremdsprachigen ›Texten‹
tudinalen Dimension, die in allen Akten fremd- der Kultur. Kramsch (2010) betrachtet daher
sprachiger Kommunikation erforderlich und das Erlernen von Fremdsprachen als symbolic
präsent ist. empowerment, das die aktive, transformative
Ein dritter Entwicklungsstrang betrifft die Teilhabe an und die Mitgliedschaft in fremd-
ä Kulturwissenschaften. Obwohl diese sich als sprachigen communities ermöglicht, »having
American Studies in den USA bereits Ende der the choice of belonging to different communi-
1950er und als British Cultural Studies in ties of sign users« (ebd., 201). Der FU wird da-
Großbritannien zu Beginn der 1960er Jahre als mit zu einem inter- und transkulturellen Dis-
neue interdisziplinäre Wissenschaften nachhal- kursraum, in dem Texte und Äußerungen aus
tige Aufmerksamkeit verschafften, konnten sie verschiedenen diskursiven und kulturellen
sich in den Philologien im deutschsprachigen Kontexten zusammen- und aufeinandertreffen.
Raum erst in den 1990er Jahren etablieren (vgl. Auf diese Weise werden im FU neue, zuvor in
Byram 1989; Sommer 2007). Die Entwicklung dieser Weise nicht existente hybride, transkul-
der Kulturwissenschaften ist mit einem neuen turelle Bedeutungen generiert, so dass sich der
Kulturbegriff verbunden (ä Kultur), der zum ei- FU als third space oder ›hybrider Raum‹ im
nen (in Anknüpfung an die Cultural Studies) Sinne eines kulturellen Überlappungsraums
unter Kultur nicht mehr bloß künstlerische auffassen lässt (Kramsch 1993, 233 ff.; Hallet
Produkte versteht (Culture mit großem ›C‹), 2002, 31 ff.).
Kulturdidaktik 182

Die auf die postkoloniale Theoriebildung sche Referenzrahmen für Sprachen, mit der Im-
zurückgehende Metapher des ›dritten Raums‹ plementierung der ä Sprachmittlung als einer
ist unmittelbar mit einer weiteren, für die fünften Fertigkeit reagiert.
fremdsprachliche K. bedeutsamen Entwicklung Parallel zu der Entwicklung in den Kulturwis-
in den Kulturwissenschaften verbunden: Im senschaften hat sich in den Fremdsprachendi-
Verein mit wichtigen Strömungen in den Cultu- daktiken seit den 1990er Jahren ein verstärktes
ral Studies und in den Postcolonial Studies ist Interesse für den Zusammenhang von fremd-
die Vorstellung von ›Kultur‹ als einem streng, sprachlichem und kulturellem Lernen herausge-
unter Umständen sogar nationalstaatlich be- bildet. Dieses schlug sich in einer Hinwendung
grenzbaren Raum oder einem einheitlichen, zu Fragen nach dem Zusammenhang von Spra-
homogenen sozialen Gebilde zugunsten der che und Kultur nieder (vgl. Volkmann 2010)
Fokussierung auf die innere Pluralisierung und und in der Auffassung, dass fremdsprachliche
Diversifizierung der fremdsprachigen Kulturen ä kommunikative Kompetenz ohne eine entspre-
im postkolonialen und globalisierten (ä Globa- chende Vertrautheit mit den jeweiligen fremd-
lisierung) Zeitalter aufgegeben worden. In den sprachigen Kulturen nicht erreichbar ist, son-
Mittelpunkt des (kulturwissenschaftlichen und dern, im Gegenteil, von Nicht- oder Missverste-
didaktischen) Interesses rücken damit auch die hen bestimmt sein muss (vgl. exemplarisch
Kulturen und Literaturen zuvor ignorierter Kramsch 1993). Auch traten nun, v. a. im Verein
oder marginalisierter, v. a. auch indigener Eth- mit allgemeindidaktischen Paradigmen wie der
nien und Minderheiten und deren Platz und ä Lerner- oder der ä Prozessorientierung, zuvor
Rolle in den fremdsprachigen (postkolonialen) vernachlässigte Fragen der Identitätsbildung
Gesellschaften der Gegenwart (Byram 1989, (ä Identität und Identitätsbildung) durch die Be-
25 ff.). In der Fremdsprachendidaktik sowie in gegnung mit fremdsprachigen Kulturen und der
Lehrwerken und Materialangeboten spiegelt Rolle der Lernenden als kulturellen Akteuren in
sich diese Entwicklung seit den 1990er Jahren den Vordergrund. Aus diesen Anfängen entwi-
durch eine deutliche Ausweitung und Verviel- ckelte sich im Verlauf der 1990er Jahre das
fältigung der Themen- und Materialangebote. Leitparadigma des interkulturellen Lernens und
In der Vielfalt der nun in der Fremdsprachendi- des ä Fremdverstehens. Fremdsprachliche Kom-
daktik verhandelten kulturellen und kulturwis- munikation wurde nunmehr als Akt des inter-
senschaftlichen Fragestellungen und bis in die kulturellen Verstehens und der interkulturellen
bekannten ›Lehrwerkfamilien‹ hinein ist die Bedeutungsaushandlung mit den Repräsentant/-
Absicht erkennbar, die ethnische und kulturelle innen (oder textuellen und medialen Repräsen-
Vielfalt der fremdsprachigen Kulturen auch im tationen) einer fremdsprachigen Kultur ver-
FU sichtbar zu machen und textuell oder me- standen; sprachliche und kulturelle Interaktion
dial zu repräsentieren (vgl. z. B. Delanoy/Volk- werden in diesem didaktischen Ansatz als un-
mann 2006; Eisenmann et al. 2010). Mit der trennbar miteinander verbunden betrachtet. Das
gewachsenen Aufmerksamkeit für die Multi- von Michael Byram (1997) entwickelte Modell
kulturalität und Multiethnizität der fremdspra- der ä Interkulturellen Kommunikativen Kompe-
chigen Gesellschaften ist auch eine Problema- tenz wurde damit zum übergreifenden Kompe-
tisierung der historischen (kolonialen) Rolle tenzziel und Leitparadigma des FUs, das durch
der  Sprachen und Kulturen verbunden, die im seine Omnipräsenz in den Fremdsprachencurri-
deutschsprachigen Schulsystem als Leitfremd- cula eine starke Wirkungsmacht entfaltet hat.
sprachen unterrichtet werden; zudem ist mit Jedoch hat eine stärkere Akzentuierung der mit
der kulturellen Diversität der Gegenwartsge- der interkulturellen Kommunikation verbunde-
sellschaften eine sprachliche Vielfalt verbunden, nen kulturellen Austauschprozesse, kultureller
die die einzelnen Fremdsprachendidaktiken vor Grenzüberschreitungen, der Auflösung zuvor fi-
die Herausforderung stellt, die Absolvent/innen xer Bedeutungen sowie der Transformationen
ihrer Bildungsgänge für die Kommunikation von Lerneridentitäten in kulturellen Kontaktsi-
und Interaktion in mehrsprachigen Gesellschaf- tuationen dazu geführt, dass auch in der Fremd-
ten vorzubereiten. Die Sprachenpolitik und die sprachendidaktik das Konzept der Transkultu-
Fremdsprachendidaktik haben darauf u. a. mit ralität (ä Transkulturelles Lernen) Fuß gefasst
der Entwicklung von mehrsprachigkeitsdidak- hat (vgl. z. B. Eckerth/Wendt 2003; Antor 2006).
tischen Ansätzen (ä Mehrsprachigkeitsdidak- Wenngleich das Leitparadigma des Interkul-
tik), aber auch, wie der ä Gemeinsame europäi- turellen Lernens selten explizit in Frage gestellt
183 Kulturdidaktik

wird, so lässt sich doch punktuell erkennen, allen kulturellen Innovationen verbundenen
dass in der Fremdsprachendidaktik auch an- didaktischen Verunsicherungen noch längst
dere Arten des Lernens systematischer verfolgt kein einheitliches, konsensuelles Konzept von
und als sehr passend für den FU betrachtet K. ausmachen. Es lassen sich aber Forschungs-
werden. Beispiele dafür sind das globale Lernen und Handlungsfelder sowie konzeptuelle Fra-
(ä Global Education), für das das Englische als gestellungen und Unterrichtsprinzipien identifi-
global language (ä Global English) besonders zieren, die sich aus den vorgenannten Entwick-
prädestiniert ist (vgl. Volkmann 2015); das lungen ergeben (vgl. exemplarisch Nünning/
ökologische Lernen (vgl. Mayer/Wilson 2006; Nünning 2000). Sie lassen sich so umreißen:
Volkmann et al. 2010; Basseler 2014), das der Neuere, zeitgemäße kulturdidaktische Ansätze
Verantwortung auch junger Menschen für die betrachten Lernende als kulturelle Subjekte, die
Umwelt Rechnung trägt; das citizenship learn- an gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen
ing, das die gesellschaftliche und politische Entwicklungen und Prozessen partizipieren;
Partizipations- und Demokratiefähigkeit in der der FU wird damit selbst als ein Raum kulturel-
Fremdsprache entwickeln soll (vgl. Knippertz/ len Handelns und sozialer Praxis konzeptuali-
Möller 2015); und schließlich auch das histori- siert. In einem solchen handlungsorientierten
sche Lernen, das zu einem Bewusstsein vom Verständnis bereitet der FU die Lernenden nicht
beständigen Wandel der fremdsprachigen Kul- nur auf zukünftige interkulturelle Begegnungs-
turen mit Blick auf die Gegenwart beiträgt (vgl. handlungen vor, sondern die Unterrichtsdis-
Genetsch 2012). Die Erschließung weiterer, kurse greifen gesellschaftliche Diskurse in den
nicht unbedingt an das Paradigma der Interkul- fremdsprachigen und in den lebensweltlichen
turalität geknüpfter Konzepte für den FU re- Kulturen auf und wirken in diese zurück.
kurriert eher auf bedeutsame kulturwissen- Die kulturelle Diversifizierung der fremd-
schaftliche Forschungen jüngeren Datums (vgl. sprachigen Gesellschaften wirft v. a. auch Fra-
Hallet/Nünning 2007). Zu diesen Öffnungen gen nach der Repräsentierbarkeit von Kultur
der Kulturdidaktik können z. B. das Gender- und nach der Repräsentativität der in den FU
Lernen (ä Genderorientierte Ansätze; vgl. De- eingeführten Texte und Materialien auf. Als
cke-Cornill/Volkmann 2007; Schmenk 2009; anerkannte Prinzipien zur Repräsentation und
Elsner/Lohe 2013) und das Raum-Lernen ge- kommunikativen Verhandlung von kultureller
rechnet werden (vgl. Cerri/Jentges 2015). Pluralität im Unterricht können die Text- und
Die zuletzt genannten Arten des Lernens, v. a. Materialvielfalt, die Vielstimmigkeit im Sinne
des globalen und des ökologischen Lernens so- der Berücksichtigung verschiedener kultureller
wie des citizenship learning zeigen in eine Rich- Denk- und Sichtweisen, die Multimedialität
tung, die jenseits einer Vorstellung von Eigenem und Multimodalität der Text- und Material-
und Fremdem nach Möglichkeiten der Subjekt- kombinationen sowie deren prinzipielle Offen-
positionierung der Lernenden in kulturellen heit zum Zweck der jederzeitigen Erweiterung
Diskursen fragt (vgl. Kramsch 2010, 16 ff.). Die der Perspektiven oder Aspekte, auch durch
Frage nach der Subjektposition erfordert je- Recherchen oder Vorschläge der Lernenden, gel-
doch einen allgemeiner gefassten Begriff des ten. Mit dem Prinzip der Multimodalität ist v. a.
kulturellen Lernens, das lokal und transnatio- auch die Berücksichtigung ganz verschiedener
nal oder global zugleich orientiert ist und das Darstellungs- und Symbolisierungsformen in der
den Lernenden die Fähigkeit vermittelt, als ganzen Bandbreite von der statistischen Tabelle
kulturelle Akteure an lebensweltlichen ebenso und enzyklopädischen Sachtexten bis hin zu au-
wie an fremdsprachigen Diskursen aktiv und tobiographischen slave narratives oder literari-
transformativ teilzuhaben (ä Diskursfähigkeit). schen Texten und visuellen Repräsentationen
Die substanziellen kulturwissenschaftlichen durch Fotografien und Spiel- oder Dokumentar-
und kulturdidaktischen Veränderungen haben filme verbunden. Literarischen Texten kommt
die Fremdsprachendidaktik vor erhebliche Her- insofern eine besondere Rolle zu, als sie ansons-
ausforderungen gestellt. Naturgemäß lässt sich ten kaum zugängliche komplexe soziale und
angesichts der Breite des gesamten Feldes der kulturelle Prozesse und Interaktionen modellie-
Kultur als Gegenstand der Forschung und The- ren. Literarische Texte nehmen zentrale kultu-
oriebildung, der Zahl und Verschiedenheit der relle Fragen und gesellschaftliche Diskurse auf
fremdsprachigen Kulturen, der Vielzahl der in- und verarbeiten sie weiter, indem sie sie in neue,
volvierten Bezugswissenschaften sowie der mit fiktionale Kontexte stellen, sie auf besondere
Kulturdidaktik 184

Weise akzentuieren und die Leser/innen zu einer mannsweiler 2015. – H. Decke-Cornill/L. Volkmann
bestimmten Sicht auf diskursive und kulturelle (Hg.): Gender-Studies and Foreign Language Teach-
ing. Tüb. 2007. – W. Delanoy/L. Volkmann (Hg.):
Vorgänge anregen. Damit eröffnet die fremd-
Cultural Studies in the EFL Classroom. Heidelberg
sprachige Literatur dem FU eine metakulturelle 2006. – J. Eckerth/M. Wendt (Hg.): Interkulturelles
Reflexionsebene (auch interkulturell-verglei- und transkulturelles Lernen im FU. FfM 2003. –
chender Art), die sich auf andere Weise dort nur M. Eisenmann/N. Grimm/L. Volkmann (Hg.): Teach-
schwer etablieren lässt. ing the New English Cultures and Literatures. Heidel-
Die Vervielfachung des Text- und Materi- berg 2010. – D. Elsner/V. Lohe (Hg.): Gender and
Language Learning. Research and Practice. Tüb. 2016.
alangebotes zur Repräsentation kultureller – M. Genetsch: African American Experiences. Kultu-
Vielfalt und Multiperspektivität erfordert auf relle Erfahrungen machen und verstehen. In: Der
Seiten der Lernenden v. a. die Entwicklung einer fremdsprachliche Unterricht Englisch 115 (2012),
intertextuellen und intermedialen Kompetenz 2–7. – W. Hallet: FU als Spiel der Texte und Kulturen.
(ä Intertextualität und Intermedialität), die sie Intertextualität als Paradigma einer kulturwissen-
schaftlichen Didaktik. Trier 2002. – W. Hallet/
in die Lage versetzt, Texte und Bedeutungen in A.  Nünning (Hg.): Neue Ansätze und Konzepte der
verschiedenen medialen Formen aufeinander zu Literatur- und K. Trier 2007. – D. Knippertz/S. Möller
beziehen, zu vergleichen und mit eigenen Äuße- (Hg.): Themenheft »Living Democracy«. Der fremd-
rungen darauf zu reagieren (vgl. Hallet 2002). sprachliche Unterricht Englisch 137 (2015). –
Die Multimodalisierung erfordert außerdem C.  Kramsch: Context and Culture in Language
Teaching. Oxford 1993. – C. Kramsch: The Multilin-
die Ausbildung einer entsprechenden Vielzahl
gual Subject. What Foreign Language Learners Say
von literacies (Literalitäten oder Kompetenzen, about their Experience and Why it Matters. Oxford
ä multiple literacy), z.B einer electronic literacy 2010. – H.-J. Lüsebrink: Kulturraumstudien und In-
zum Umgang mit Internetmedien oder einer vi- terkulturelle Kommunikation. In: A. Nünning/V. Nün-
sual literacy (ä Visuelle Kompetenz) zum Ver- ning (Hg.): Einführung in die Kulturwissenschaften.
stehen von ä Bildern. Stgt 22008 [2003, 307–328. – S. Mayer/G. Wilson
(Hg.): Ecodidactic Perspectives on English Language,
Für einen nach den vorangehend beschriebe- Literatures and Cultures. Trier 2006. – V.  Nünning/
nen Prinzipien gestalteten Kulturunterricht A. Nünning: British Cultural Studies konkret. 10 Leit-
zeichnet sich auch eine entsprechende Verviel- konzepte für einen innovativen Kulturunterricht. Der
fältigung der kulturellen und didaktischen fremdsprachliche Unterricht Englisch 43 (2000), 4–
Kompetenzen ab, mit denen fremdsprachliche 10. – B. Schmenk: Geschlechtsspezifisches Fremdspra-
chenlernen? Zur Konstruktion geschlechterspezifi-
Lehrkräfte ausgestattet sein müssen, um einen scher Lerner- und Lernbilder in der Fremdsprachen-
zeitgemäßen Kulturunterricht zu gestalten. forschung. Tüb. 22009 [2002. – R.  Sommer: Vom
Lehrkräfte müssen zu eigenständigen, sorgfälti- ›Survey‹ zum ›Sample‹. Kulturdidaktische Modelle
gen Analysen aktuell verhandelter Themen und zwischen Landeskunde, Interkulturellem Lernen und
Fragen sowie wesentlicher kultureller Entwick- Kulturwissenschaft. In: Hallet/Nünning 2007, 183–
195. – L. Volkmann: Fachdidaktik Englisch. Kultur
lungen in der Lage sein, damit sie Entscheidun-
und Sprache. Tüb. 2010. – L. Volkmann: Opportuni-
gen über relevante, im Unterricht verhand- ties and Challenges for Transcultural Learning and
lungswürdige Themen treffen können. Nur Global Education via Literature. In: W.  Delanoy/M.
durch den Bezug auf reale gesellschaftliche Dis- Eisenmann/F. Matz (Hg.): Learning with Literature in
kurse und aktuelle kulturelle Entwicklungen the EFL Classroom. FfM 2015, 237–262. – L. Volk-
können motivierende und günstige Lernbedin- mann et al. (Hg.): Local Natures, Global Responsibili-
ties. Ecocritical Perspectives on the New English Lite-
gungen geschaffen werden, in denen die Ler- ratures. Amsterdam 2010. WH
nenden den Inhalten des Kulturunterrichts Re-
levanz und Bedeutsamkeit beimessen.
Kulturwissenschaft. Obgleich der Terminus K.
Lit.: C. Altmeyer: Kultur als Hypertext. Zu Theorie als Selbstbezeichnung von wissenschaftlichen
und Praxis der Kulturwissenschaft im Fach Deutsch
Disziplinen und als hochschulpolitisches Schlag-
als Fremdsprache. Mü. 2004. – H. Antor (Hg.): Inter-
und transkulturelle Studien. Theoretische Grundlagen wort seit ca. 1990 Hochkonjunktur hat, lässt er
und interdisziplinäre Praxis. Heidelberg 2006. – sich bislang trotz vielfältiger Bemühungen des-
M.  Basseler (Hg.): Themenheft »Ecodidactics«. Der halb nicht eindeutig definieren, weil darunter
fremdsprachliche Unterricht Englisch 129 (2014). – eine Vielfalt von unterschiedlichen Forschungs-
M. Byram: Cultural Studies in Foreign Language richtungen subsumiert wird, weil er als Sam-
Education. Clevedon 1989. – M. Byram: Teaching and
Assessing Intercultural Communicative Competence. melbegriff für einen interdisziplinären Diskus-
Clevedon 1997. – C. Cerri/S. Jentges (Hg.): Raum- sionszusammenhang fungiert und weil seine
wahrnehmung, interkulturelles Lernen und FU. Balt- Reichweite umstritten ist (vgl. Jaeger et. al.
185 Kulturwissenschaft

2004; Nünning/Nünning 2008). Der inflationär Text- und Literaturbegriffen, der Zurückwei-
gebrauchte Begriff K. wird in mindestens fünf sung des normativ gefärbten Gegensatzes zwi-
verschiedenen Bedeutungen verwendet: (1) In schen Hochliteratur und Populärkultur sowie
einem sehr weiten Sinne steht K. für einen fä- dem auch in der ä Fremdsprachendidaktik ver-
cherübergreifenden Bezugsrahmen, der das breiteten Wunsch nach einer Revision des ä Ka-
Spektrum der traditionellen geisteswissenschaft- nons und der Einsicht in die Notwendigkeit der
lichen Disziplinen integrieren soll. (2) Der Be- Einbeziehung der heutigen Medienkultur (ä Po-
griff K. fungiert zweitens als Schlagwort für die pulärkultur).
von verschiedenen Seiten erhobene Forderung Obgleich inzwischen ein breiter Konsens da-
nach einem Wandel und einer Erweiterung der rüber besteht, dass eine interdisziplinäre Erwei-
traditionellen Philologien und ä Literaturwis- terung der Philologien auf eine K. hin notwen-
senschaften. (3) In einem noch spezielleren dig und dass eine stärkere Einbeziehung kultur-
Sinne bezeichnet K. einen Teilbereich bzw. eine geschichtlicher Fragen und neuer Medien
bestimmte Richtung innerhalb der einzelnen wünschenswert sei, besteht bislang keine Klar-
Philologien. (4) Viertens fungiert der Begriff K. heit über die Abgrenzung des Gegenstandsbe-
als eine Selbstbezeichnung für die seit jeher mit reichs einer K., über deren Verhältnis zu traditi-
der Erforschung von Kultur(en) befasste Volks- onellen Formen von Literaturwissenschaft und
kunde bzw. Europäische Ethnologie. (5) Fünf- über die theoretischen Grundlagen oder die
tens bezeichnet der Begriff eine eigenständige Methoden der Kulturanalyse. Einigkeit herrscht
wissenschaftliche Disziplin, die inzwischen an allenfalls darüber, dass die Hochkonjunktur
vielen Universitäten als Studienfach etabliert ist des Themas ›K.‹ dem Interesse an disziplinüber-
(vgl. Böhme et al. 2007). Trotz einiger inhaltli- greifenden Fragestellungen entspringt und dass
cher und methodischer Parallelen ist K. zu un- nach neuen Möglichkeiten gesucht wird, die
terscheiden von der in Großbritannien entwi- Analyse von Texten und anderen Mediener-
ckelten Form von den angloamerikanischen zeugnissen mit weiterreichenden kulturellen
Cultural Studies, zu deren Merkmalen eine Fragestellungen zu verknüpfen. Zu den weite-
marxistische Gesellschaftstheorie, eine ideolo- ren Konvergenzpunkten der Debatten zählen
gisch geprägte Zielsetzung und eine weitge- grundlegende Einsichten in den Kulturbegriff:
hende Eingrenzung des Gegenstands auf die (1) die »Anerkennung des Konstruktcharakters
Alltags- und Populärkultur der Gegenwart zäh- kollektiver Bedeutungssysteme« (Bachmann-
len, während das Interesse der K. gleichermaßen Medick 1996, 21), d. h. die Überzeugung, dass
der Hoch- und Populärkultur gilt. Kultur von Menschen gemacht wird; (2) die
Die verschiedenen Versuche, den Gegen- Auffassung, dass der Kulturbegriff weder auf
standsbereich und die Methoden von K. zu de- ›hohe‹ Kultur eingeschränkt noch mit den
finieren, unterscheiden sich zum einen im Hin- künstlerischen Lebensäußerungen einer Ge-
blick auf die verwendeten Kulturbegriffe und meinschaft gleichgesetzt werden darf; (3) die
Kulturtheorien (ä Kultur); zum anderen variie- Einsicht, dass Kultur nicht nur eine materiale
ren sie in Bezug auf die jeweils vorgeschlagenen Seite (die ›Kulturgüter‹ einer Nation) hat, son-
theoretischen Leitbegriffe und Verfahrenswei- dern auch eine soziale und mentale Dimension.
sen. Trotz der Vielzahl unterschiedlicher Ent- Auch für die Fremdsprachendidaktik beson-
würfe wird in der K. ein der Kulturanthro- ders perspektiven- und anwendungsreich er-
pologie und der Kultursemiotik verpflichtetes scheint eine textwissenschaftlich und kultur-
Verständnis von ›Kultur als Text‹ (vgl. Bach- semiotisch fundierte K., die von einem be-
mann-Medick 1996) favorisiert. Demnach geht deutungsorientierten und konstruktivistisch
es K. v. a. um »ein Verständnis der Textvermit- geprägten Kulturbegriff ausgeht und Kultur als
teltheit von Kulturen ebenso wie von kulturel- einen symbolischen und textuell vermittelten
len Implikationen literarischer Texte« (ebd., Prozess der Selbstauslegung und Bedeutungs-
45). Die von verschiedenen Seiten erhobene konstruktion bestimmt. ›Literatur‹ verkörpert
Forderung nach einer kulturwissenschaftlichen einen zentralen Aspekt der materialen Seite der
Reformierung und Weiterentwicklung der Phi- Kultur bzw. der medialen Ausdrucksformen,
lologien hin zu interdisziplinären Formen von durch die eine Kultur beobachtbar wird. Daher
K. gründet u. a. in der Kritik an der bisherigen werden literarische Texte auch im FU zuneh-
institutionellen Aufteilung akademischer Diszi- mend als kulturelle Ausdrucksträger angesehen,
plinen, der Skepsis gegenüber überkommenen die über ihre Inhalte und Formen kulturelle Be-
Kulturwissenschaft 186

lange thematisieren und inszenieren und die die systematische Reflexion über disziplinäre
außertextuelle Realität hinterfragen und um- Strukturen, theoretische Grundlagen und Kon-
deuten können. Um dieses dynamische Wechsel- zepte inzwischen deutlicher ab. Dabei kristalli-
verhältnis von Text und Wirklichkeit zu ana- sieren sich theoretische Leitkategorien (z. B. Er-
lysieren, greift der fremdsprachliche Literatur- fahrung, Sprache, Handlung, Geltung, Identität
unterricht auf kulturwissenschaftliche Ansätze und Geschichte; vgl. Assmann 2006), grund-
zurück und geht von einer Semantisierung und legende Problemstellungen und Methoden in
Funktionalisierung literarischer Darstellungs- den verschiedenen Disziplinen sowie bestimmte
verfahren aus (vgl. Surkamp/Nünning 2016, Themen heraus, die gegenwärtig in den Inter-
38–44). pretationsmodellen von Kultur, Wirtschaft,
Als wichtig für die ä Literatur- und ä Kultur- Gesellschaft, Politik und Recht favorisiert wer-
didaktik erweisen sich zudem die Einsichten den (vgl. Jaeger et al. 2004).
der K., dass es produktiv ist, von einem weiten Lit.: A. Assmann: Einführung in die K. Grundbegriffe,
Literaturbegriff auszugehen, auf jede wertbe- Themen, Fragestellungen. Bln 22008 [2006. – D. Bach-
stimmte Eingrenzung zu verzichten und neben mann-Medick (Hg.): Kultur als Text. Die anthropolo-
gische Wende in der Literaturwissenschaft. FfM 22004
einem breiten Spektrum fiktionaler und nicht- [1996. – H. Böhme/P. Matussek/L. Müller: Orientie-
fiktionaler Texte auch mentale Dispositionen rung K. Was sie kann, was sie will. Reinbek 32007
(Vorstellungen, Ideen, Werte und Normen) und [2000. – F. Jaeger et al. (Hg.): Handbuch K.en. 3 Bde.
soziale Praktiken zu berücksichtigen. Eine wei- Stgt/Weimar 2004. – A. Nünning/V. Nünning (Hg.):
tere Konsequenz aus den Einsichten der K. für Einführung in die K.en. Theoretische Grundlagen,
Ansätze, Perspektiven. Stgt 2008. – C. Surkamp/A. Nün-
die Praxis des fremdsprachlichen Literaturun- ning: Englische Literatur unterrichten 1. Grundlagen
terrichts ist die Berücksichtigung der histori- und Methoden. Seelze 42016 [2006. AN
schen Dimension eines Werkes. Nicht nur ana-
lytische, sondern auch kreative Zugangsformen
zu literarischen Texten haben in den letzten
Jahren aufgrund ihrer Text- bzw. Schülerzen-
triertheit zu einer weitgehenden Ausblendung
geschichtlicher Aspekte bei der Beschäftigung
mit Literatur im Unterricht geführt, da sie kei-
nen Einblick in den Produktions- und Wir-
kungshorizont des Autors bzw. der Autorin,
dessen bzw. deren historisch bestimmten sozia-
len und kulturellen Status, Selbstverständnis
und letztlich auch Literatur- bzw. Gattungsver-
ständnis vermitteln. Diese Ausblendung betrifft
sowohl die Geschichtlichkeit des literarischen
Formenrepertoires als auch die Geschichte des
Romans, des Dramas, der Lyrik, des Films und
des ä Hörspiels selbst.
Obgleich die Frage, ob K. als eigenständige
Disziplin institutionalisiert werden soll (vgl.
Böhme et al. 2007) oder ob K.en interdiszipli-
när in der Pluralität kulturwissenschaftlicher
Fächer betrieben werden sollten, weiterhin um-
stritten ist, gewinnen die K.en angesichts der
großen Bedeutung von ä Kulturdidaktik und
ä Mediendidaktik in der heutigen Medienkul-
turgesellschaft und im Zeitalter von ä Globali-
sierung »zunehmendes Gewicht für die Pro-
zesse der kulturellen Deutung und Orientierung
gegenwärtiger Gesellschaften« (Jaeger et al.
2004, VII). Trotz der Vielfalt der Ansätze (vgl.
Nünning/Nünning 2008) zeichnen sich das
Profil und die Aufgabenfelder der K.en durch
187 Landeskunde

L pragmatische Ansatz verpflichtet, der die L.


vollständig in den Fremdsprachenerwerbspro-
zess integrierte und Situationen des alltäglichen
kommunikativen Handelns zum Ausgangs-
LAC ä Language Across the Curriculum punkt von landeskundlichen Erfahrungen
machte. Es ging dabei v. a. um die Entwicklung
von Einsichten in alltagskulturelle Phänomene
Landeskunde. Der Begriff der L. ist in der des Zielsprachenlandes und den Erwerb eines
fremdsprachendidaktischen Diskussion nicht handlungsbezogenen Hintergrundwissens, das
unumstritten (vgl. Leupold 2003). Zwar hat zu geeignet erschien, adäquates kommunikatives
allen Zeiten Konsens darüber bestanden, dass Handeln zu ermöglichen und sprachliche
der Erwerb fremdsprachiger Kenntnisse und Missverständnisse zu verhindern. Zu diesem
ä Fertigkeiten verknüpft sein sollte mit einer in- landeskundlichen Kontextwissen (ä Kontextu-
haltlichen Beschäftigung mit der Gesellschaft alisierung) zählten auch Einsichten in gesell-
des Zielsprachenlandes, ihrer Geschichte und schaftliche Strukturen und politische Konstel-
ihrer Kultur, doch gingen die Vorstellungen lationen. Auf der Grundlage dieses kommuni-
darüber, welche landeskundlichen Inhalte ge- kativ-pragmatischen Ansatzes entwickelte sich
eignet seien und was überhaupt unter landes- seit den 1980er Jahren das, was man heute als
kundlichen Inhalten zu verstehen sei, weit aus- Interkulturelle L. bezeichnet (vgl. Müller-Jac-
einander, d. h. die Gegenstandsbestimmung der quier 2001). Übernommen und weiterent-
L. hat sich häufig geändert und war immer wickelt wurden dabei die im kommunikativen
wieder Anlass für fremdsprachendidaktische Ansatz bereits angelegte ä Lernerorientierung
Kontroversen. Dabei lassen sich im Verlauf der als erfahrungsbasierter Zugang zu landeskund-
Geschichte der L. im Wesentlichen vier ver- lichem Wissen (ä Erfahrungsorientierung), die
schiedene Ansätze voneinander unterscheiden: ä Prozessorientierung der kommunikativen L.
ein kognitiv-wissensorientierter Ansatz, ein und die ä Handlungsorientierung im Sinne ei-
kulturkundlich-mentalitätsorientierter Ansatz, ner auf kommunikatives Handeln ausgerichte-
ein kommunikativ-pragmatischer Ansatz und ten L. Die Vorstellungen davon, welche landes-
ein interkulturell-interaktiver Ansatz. Der ko- kundlichen Inhalte den Sprachlernprozess för-
gnitiv-wissensorientierte Ansatz, der der sog. dern und zum Erwerb einer kommunikativen
Realienkunde des ausgehenden 19. Jh.s zu- Kompetenz notwendig sind, erfuhren in den
grunde lag, begriff L. als eine Vermittlung von 1980er Jahren unter dem Einfluss neuer kul-
nützlichen und systematischen Kenntnissen turanthropologischer Erkenntnisse jedoch eine
über Land und Leute. Unter dem Einfluss nati- erneute Wandlung, wobei der Begriff der ä Kul-
onalstaatlichen Denkens, das im Zuge der tur im Sinne eines individuellen und kollekti-
kriegerischen Konfrontationen der europäi- ven Erfahrungsraums in den Mittelpunkt
schen Nationen im Ersten und Zweiten Welt- rückte und Interkulturalität als ein In-Bezie-
krieg zunehmend die internationalen Bezie- hung-Setzen der eigenen kulturellen Erfahrun-
hungen bestimmte, entwickelte sich dann eine gen mit denen des zielsprachlichen Lebens zu
kulturkundlich-mentalitätsorientierte L., die einer zentralen Kategorie wurde, die sich als
auf die essentialistische Erfassung von nationa- übergeordnetes ä Lernziel des FUs, als das
len Volkscharakteren und die Kontrastierung Lernziel einer ä interkulturellen kommunikati-
von fremder und eigener Wesensart abzielte. ven Kompetenz, etablieren konnte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, als es darum Das Ziel landeskundlicher Erkenntnisse wird
ging, dieses Denken in Gegensätzen wieder in der aktuellen ä Fremdsprachendidaktik als der
abzubauen, erhielt die L. eine neue Zielper- Versuch definiert, die Wahrnehmungs- und
spektive. Statt möglichst viel Wissen oder glo- Deutungsmuster der fremden Kultur anhand
bale kulturelle Vorstellungen über die ziel- ihrer alltagskulturellen Manifestationen und
sprachlichen Länder zu vermitteln, sollte sie ihrer gesellschaftlichen Grundstrukturen zu er-
nun einen zentralen Beitrag zur Völkerverstän- kennen und sowohl wissensorientierte als auch
digung leisten und das Miteinander-Reden- handlungsorientierte Kompetenzen zu erwer-
Können fördern, d. h. ä kommunikative Kom- ben: (1) das allgemeine Wissen um die Zusam-
petenzen entwickeln helfen (ä Kommunikativer menhänge von Sprache und Kultur und die
FU). Diesem Ziel war der kommunikativ- Rolle der Sprache als Medium und Vermittler

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_12, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
Landeskunde 188

kultureller Botschaften, (2) das Wissen um die wendung finden (vgl. Yuan 2011). Dabei spielte
spezifischen Verhaltensnormen und Kulturstan- auch die Notwendigkeit eines alle deutschspra-
dards der Zielkultur, (3) die Fähigkeit in der chigen Länder umfassenden Ansatzes eine Rolle.
direkten Interaktion kulturelle Bedeutungen zu In den so genannten ABCD-Thesen (A = Öster-
klären und interkulturelle Missverständnisse reich, B = BRD, C = Schweiz, D = DDR) bzw.
auszuräumen, (4) die Bereitschaft zur Ausein- D–A–CH-Thesen seit 1990 (D = Deutschland,
andersetzung mit fremdkulturellen ä Perspekti- A = Österreich, CH = Schweiz) wurde eine mul-
ven als Voraussetzung für ein In-Beziehung- tiperspektivische L. propagiert, in der differente
Setzen von Eigen und Fremd (ä Interkulturelles nationale Räume und regionale Besonderheiten
Lernen). des deutschsprachigen Kulturraums hervorge-
In den einzelnen Fremdsprachendidaktiken hoben werden (vgl. Biechele/Padrós 2003,
ä Englisch, ä Französisch und ä Deutsch als 103 f.). Gemeinsam ist den verschiedenen An-
Fremdsprache sind jedoch hinsichtlich des sätzen der L. jedoch, dass kognitive Aspekte
L.begriffs und -konzepts sowie seiner histori- mit kommunikativen und interkulturellen Zie-
schen Entwicklung deutliche Unterschiede zu len verknüpft werden und dass soziales und
erkennen. In der Englischdidaktik setzte sich in kulturelles Wissen als Grundlage für die Ent-
Anlehnung an die gesellschaftskritischen Kon- wicklung kommunikativer und interkultureller
zepte der am Centre for Contemporary Cul- Kompetenzen gilt.
tural Studies (CCCS) in Birmingham seit den Lit.: M. Biechele/A. Padrós: Didaktik der L. Mü. 2003. –
1960er Jahren entwickelten Cultural Studies E. Leupold: Landeskundliches Curriculum. In: K.-R.
frühzeitig eine L. durch, die auf einer Auswei- Bausch et al. (Hg.): Handbuch FU. Tüb./Basel 42003
tung des traditionellen Kulturbegriffes auf po- [1989, 127–133. – B.-D. Müller-Jacquier: Interkultu-
relle L. In: G. Helbig et al. (Hg.): Deutsch als Fremd-
puläre kulturelle Prozesse und Praktiken (cul- sprache. Ein internationales Handbuch. Bln/N.Y.
tural materialism) beruhte und auf die Bewälti- 2001, 1230–1234. – V. Raddatz: FU zwischen L. und
gung gesellschaftlicher Realitäten zielte. Als Interkulturalität. In: FU 40/49 (1996), 242–252. –
zentrale Themen der L. galten die Schlüsselka- Robert Bosch Stiftung/Deutsch-Französisches Institut:
tegorien gesellschaftlicher Differenzen: class, FU und Internationale Beziehungen. Stuttgarter The-
sen zur Rolle der L. im Französischunterricht. Stgt
gender, race, generation (vgl. Sommer 2005). In 1982. – R. Sommer: Grundkurs Cultural Studies/Kul-
der Französischdidaktik wurde in den 1970er/ turwissenschaft Großbritannien. Stgt 2003. – L. Yuan:
1980er Jahren eine engagierte L.diskussion ge- Das kompetenzorientierte Modell der Integrativen L.
führt, bei der die Vermittlung eines sozialwis- Vom theoretischen Konstrukt zur didaktisch-methodi-
senschaftlichen Orientierungswissens im Fran- schen Umsetzung. Mü. 2011. ASch
zösischunterricht im Mittelpunkt stand und
transnationale Kommunikationsfähigkeiten als
Lernziel angestrebt wurden. Darunter verstand Language Across the Curriculum (LAC) bezeich-
man die Fähigkeit der Lernenden, ihre eigenen net ein fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip,
sozialen und kulturellen Erfahrungen mit den das auf die Bedeutung von Sprache bei der An-
Wirklichkeitserfahrungen der Menschen des eignung curricularer Inhalte im Schulkontext
Zielsprachenlandes in Beziehung zu setzen. In abhebt. Insofern ist es ursprünglich nicht in
den Stuttgarter Thesen zur Rolle der L. im erster Linie mit Unterricht in den modernen
Französischunterricht (vgl. Robert Bosch Stif- Fremdsprachen in Verbindung zu bringen. Bil-
tung/Deutsch-Französisches Institut 1982) dungspolitisch und konzeptionell ist LAC eng
wurde diese, die Interkulturelle L. vorbereitende mit dem Konzept der sprachlichen Grundbil-
Konzeption einer sozialkritischen und kommu- dung (literacy education) verknüpft. LAC zielt
nikationsorientierten L. vorgestellt. Die L.dis- v. a. auf die Förderung der allgemeinen Schul-
kussion in der Romanistik führte darüber hin- sprache innerhalb des Fachunterrichts und
aus zur Entwicklung von gesellschaftskritisch weist damit auch Bezüge zum Konzept von
orientierten Landeswissenschaften und Kultur- language awareness auf (ä Bewusstheit/Be-
raumstudien (Frankreichzentren). Im Bereich wusstmachung). Größere Aufmerksamkeit er-
Deutsch als Fremdsprache wurde die Konzep- hielt LAC durch die Arbeit der Bullock-Kom-
tion einer Integrativen L. verfolgt, bei der mission in Großbritannien (1972–75), die mit
Sprachvermittlung und kulturelle Information der Erkundung von Einstellungen zu sprachli-
eine enge Verbindung eingehen und auch kom- cher Erziehung in der Schulsprache Englisch
petenzorientierte Ansätze (ä Kompetenz) An- sowie des Standes der Unterrichtung von SuS
189 Legasthenie

im Gebrauch des Englischen beauftragt war. wie LAC bezieht, geht es hier vornehmlich um
Ein einflussreiches Kapitel des Kommissionsbe- literacy education in den modernen Schul-
richts befasste sich zudem mit den Sprachlern- fremdsprachen. Beide Konzepte verfolgen un-
bedürfnissen von Kindern nichtenglischer Erst- terschiedliche bildungspolitische Zielsetzungen
sprache. Die Kommission kritisierte allgemein und wenden sich an unterschiedliche Schüler-
eine sprachunsensible Fach- und Unterrichts- klientel. Jüngere Initiativen etwa des Europa-
kultur, die sie dadurch begünstigt sah, dass rats machen es sich daher zur Aufgabe, die
Fachcurricula die Verknüpftheit fachlicher mit Perspektiven einer möglichst umfassenden Ent-
sprachlichen Anforderungen nicht hinreichend wicklung der Schulsprache für alle Lernenden
reflektierten. mit der einer hoch entwickelten individuellen
LAC liegt eine funktional-pragmatische Plurilingualität und schließlich den Sprachbe-
Sprach- und Kommunikationstheorie zugrunde, darfen einer multilingualen, globalisierten Wis-
die davon ausgeht, dass pragmatische Sprach- sensgesellschaft zu vereinen (ä Mehrsprachig-
funktionen und kognitive Makrooperationen, keit; ä Globalisierung).
die typisch für schulischen Fachunterricht sind Lit.: The Bullock Report: A Language for Life. Report
(z. B. Beschreiben, Erläutern, Bewerten usw.), of the Committee of Enquiry appointed by the Secre-
sich strukturell entsprechen und in ihrer Ent- tary of State for Education and Science under the
wicklung gegenseitig unterstützen. Sprachliche Chairmanship of Sir Alan Bullock FBA. Ldn 1975. –
M. Byram (Hg.): LAC in Primary Education. Three
und kognitive Entwicklung stehen in dieser Case Studies and Implications for a European Frame-
Sichtweise in einem engen Zusammenhang, der work. Strasbourg 2007. – M. Grenfell (Hg.): Modern
unterrichtlich kaum zu trennen ist, da der LAC. Ldn/N.Y. 2002. StB
systematische Umgang mit Sprache als Per-
formanzphänomen schulisch erworbener fach-
lich-kognitiver Kompetenz verstanden wird. In Language Awareness ä Bewusstheit/Bewusstma-
diesem Sinn gilt Fachunterricht stets als Sprach- chung
unterricht und umgekehrt. Vergleichbare Über-
legungen zum Verhältnis von sprachlichen zu
fachlichen Kompetenzen spielen auch in die Lebenswelt ä Erfahrungsorientierung
gegenwärtige Grundbildungsdebatte hinein
und prägen z. B. die Modellierung von Text-
und Lesekompetenzen in internationalen Schul- Legasthenie. Die L. (auch Dyslexie genannt),
leistungsstudien (z. B. der ä PISA-Studie). Ähn- über deren Ätiologie und Diagnose kein Einver-
lich wie in den 1970er Jahren der Bullock-Re- nehmen herrscht, ist – folgt man der Kinder-
port, ist es seit der Jahrtausendwende der und Jugendpsychiatrischen Abteilung der LMU
Einfluss des in PISA verwendeten sprachfunk- München – eine sehr häufige Störung. Ca. 3
tionalen Kompetenzmodells, welches LAC als Mio. Deutsche sollen daran leiden, etwa 4 bis
allgemeindidaktisches Prinzip für alle Schulfä- 15 % der Weltbevölkerung davon betroffen sein.
cher erneut relevant werden lässt. Damals wie Aus medizinischer Sicht soll die Störung zent-
heute stehen Schulen unter hohem bildungspo- ralnervös/genetisch bedingt sein. Da aber die
litischem Druck, pädagogische Konzepte zur Intelligenz intakt ist, wird von einer Teilleis-
gezielten Förderung des fachangemessenen Ge- tungsschwäche visueller, motorischer oder au-
brauchs der Schulsprache bzw. der sprachlichen ditiver Art gesprochen, wobei die sog. Reversio-
Förderung von Zweitsprachenlernenden in nen (Verwechslung von <b> und <d> oder <p>
Schulcurricula und -programmen zu entwi- und <q>) eine große Rolle spielen. Die Mor-
ckeln, umzusetzen und sich einer diesbezügli- phosyntax ist nicht betroffen; es treten lediglich
chen Evaluierung zu stellen. dieselben ä Fehler etwas häufiger auf. Die Geg-
Unter der Bezeichnung Modern Languages ner medizinischer Erklärungen sprechen von
Across the Curriculum (MLAC) wird LAC einer bloßen Lese-Rechtschreibschwäche (LRS).
mittlerweile auch als ein spezifischer Ansatz Sie halten das L.-Konzept für gefährlich, »weil
des FUs interpretiert und in die Nähe von es Defizite beim Lesen und Schreiben in das
Unterrichtskonzeptionen wie ä Content-Based Kind verlegt und damit den Blick verstellt auf
Instruction (CBI) und dem ä bilingualen Unter- die notwendigen Verbesserungen in Schule,
richt (CLIL) gerückt. Während auch MLAC Unterricht und Lehrerbildung« (Valtin 2003,
sich auf dieselben theoretischen Grundlagen 268). Aus praktischen Erwägungen heraus ma-
Legasthenie 190

chen beide Erklärungsansätze das beobacht- ren mit den Dia- oder Regiolekten der Schrei-
bare underachievement bevorzugt an der Recht- benden. In einem FU, der die Aussprache zur
schreibleistung fest. quantité negligeable erklärt, nutzen Zweitspra-
In kultusministeriellen Erlassen wird darauf chensprecher/innen ausgangssprachliche Prä-
hingewiesen, dass L. und LRS, sofern nicht gungen, um zielsprachliche Phänomene zu rea-
rechtzeitig behoben, in der Sekundarstufe auf lisieren. Aus /pet/ wird /bet/. Wenn sich das
die Fremdsprachen durchschlagen können. Re- dann im Schriftbild niederschlägt, könnte
versionen sind nämlich prinzipiell sprachunab- fälschlicherweise auf eine horizontale Rever-
hängig, und im Falle des ä Englischen wird die sion geschlossen werden. Verlaufen die Fehler-
dieser Sprache nachgesagte Komplexität der kurven von Legasthenikern, LRS-SuS und SuS,
Phonem-Graphem-Korrespondenzen durch ne- die nicht von der Störung betroffen sind, par-
gativen ä Transfer (Beispiel: Auslautverhärtung allel (vgl. Jung 1981), wird es schwierig, das
im Deutschen < tot = Tod >) weiter erhöht, so Konstrukt einer zentralnervös bedingten und
dass der Lehrkraft die Aufgabe zuwächst, durch mittels spezifischer Fehlerarten diagnostizier-
Minimalpaartraining (< bet ≠ bed >) für kogni- baren L./Dyslexie aufrechtzuerhalten. Die The-
tive Entlastung zu sorgen (ä Kognitivierung). rapie hätte dann mit der Unterlassung einer
Die Vorverlegung des Fremdsprachenerwerbs fehlerinduzierenden Didaktik zu beginnen.
in die Primarstufe (ä Früher FU) und damit die Man muss den Blick der SuS auch verstärkt auf
Überlappung von Erst- und Zweitsprachener- die in der ä Orthographie abgebildeten morpho-
werb findet noch keine Berücksichtigung in den logischen Regularitäten lenken – die Intelligenz
Erlassen. Die Datenbank des Informationszen- ist ja intakt –, anstatt die artikulatorischen Dif-
trums für Fremdsprachenforschung nennt zwar ferenzen (wie z. B. in ›photograph‹, ›photogra-
eine Reihe von Publikationen zum Thema L., phy‹, ›photographic‹, ›photographer‹) zu beto-
aber von einer systematischen und intensiven nen. Die Einbeziehung einer spielerischen
Diskussion innerhalb der deutschen Fachdidak- Komponente (z. B. des Spiels Memory) kann für
tik kann keine Rede sein. Im angelsächsischen die Festigung von Wortbildern sorgen (ä Sprach-
Raum wird unter dem zweideutigen Etikett lernspiele). Hilfreich sind auch audiovisuelle
learning difficulties intensiver geforscht (vgl. Darbietungen mit Untertiteln in der Zielspra-
Ganschow/Sparks 2001). che, weil sie das Mitlesen ermöglichen.
Die Möglichkeit, dass die Schule das Problem
der L. mit verschuldet, darf die Forschung nicht Lit.: L. Ganschow/R. L. Sparks: Learning Difficulties
aus den Augen verlieren. Sie tut deshalb gut and Foreign Language Learning. A Review of Re-
search and Instruction. In: Language Teaching 34/2
daran, die Diagnose ihrer Proband/innen jenen (2001), 79–98. – U. O. H. Jung: Linguistische Aspekte
zu überlassen, Psychologen z. B., die über die der L.forschung. In: R. Valtin et al. (Hg.): L. in Wis-
erforderliche Kompetenz verfügen, um dann senschaft und Unterricht. Darmstadt 1981, 1–87. –
einen Vergleich (z. B. anhand der Frage, ob Re- R.  Valtin: Brauchen wir die L.? Zum Konstrukt der
versionen tatsächlich gehäuft vorkommen) bzw. L. In: Zeitschrift für Schulleitung, Schulaufsicht und
Schulkultur. Ausgabe Niedersachsen und Schleswig-
eine Fehleranalyse durchzuführen: Ist negativer Holstein 13/10 (2003), 265–268. UJ
Transfer beobachtbar? Lässt die Schreibung auf
mangelhafte auditive Diskrimination schließen?
Ist das Schriftbild schwankend? Treten Fehler Lehrbuch ä Lehrwerk
auf, die auch bei Zielsprachensprecher/innen
beobachtet werden? Dabei sollte die Forschung
auch immer einen Blick auf die Erstlese- und Lehrer/in und Lehrerrolle. Die geschichtliche
Schreibdidaktik werfen. Die Verwirrung in den Entwicklung der LR. ist gekennzeichnet durch
Köpfen von Lernenden entsteht durch Tests einen zweifachen Prozess der Differenzierung
(das folgende Beispiel stammt aus einer Fibel und Dynamisierung. Zum einen hat eine be-
für Erstklässler), in denen sie z. B. den (tatsäch- trächtliche Ausweitung der Aufgaben und
lich ja nicht vorhandenen) Konsonanten <r> in Funktionen stattgefunden, die von den ver-
Koffer hören sollen. Bei Diktaten, deren Stel- schiedenen Rollenbezugsgruppen an die Leh-
lenwert im FU wieder zunimmt, kommt es dar- renden herangetragen werden. War der L. bis
auf an, dass die Lehrperson bei der Realisation ins späte 19. Jh. weitgehend auf die Rolle des
von Phonemen wahrnehmbare Unterschiede ›Sprachmeisters‹ beschränkt, so haben neuere
erzeugt. Die Stimuli der Diktierenden interagie- methodische Ansätze und sozio-politische Ver-
191 Lehrer/in und Lehrerrolle

änderungen ab den 1970er Jahren die Anzahl Verstehen der seelischen Erlebniswelt des bzw.
der Rollen erheblich erhöht: Er soll Sprachvor- der Lernenden, Zuhören-Können), und authen-
bild, Kommunikator, Motivator, Innovator, Tu- ticity, d. h. Aufrichtigkeit (Verzicht auf Fassade
tor, Coach, Planer, Diagnostiker, Evaluator, Or- und das Spielen einer Rolle).
ganisator, Klassenzimmermanager, Interkultu- Ein dritter, sehr einflussreicher Diskursstrang
reller Mittler, Medienexperte, Forscher, Lerner, liegt in den empirischen Untersuchungen zum
Lernermöglicher und noch mehr sein. Neben guten Sprachenlehrer (good language teacher),
dieser Erweiterung haben methodische Inno- die in den 1970er Jahren von Gertrude Mosko-
vationen und spracherwerbspsychologische witz in den USA initiiert wurden. Aufgrund von
Erkenntnisse (ä Spracherwerb und Spracher- Umfragen und Unterrichtsbeobachtungen ge-
werbstheorien) zu einer Gewichtsverschiebung langt Moskowitz (1976) zu den folgenden zehn
zwischen den einzelnen Rollensegmenten ge- wichtigsten Eigenschaften des outstanding fo-
führt. Traditionelle Anforderungen (Experte, reign language teacher, die bis heute immer
Wissensvermittler, Linguist) verlieren an Bedeu- wieder zitiert werden: Der gute Fremdsprachen-
tung zugunsten interkultureller, kommunikati- L. »is dedicated, hard working; conveys self-
ver und lernfördernder Fähigkeiten – »from the confidence, has good classroom control, is fair,
sage on the stage to the guide on the side«. is willing and able to answer students’ ques-
Die Bestimmung der LR. und die Antwort tions, enjoys teaching, is fluent in the use of the
auf die Frage nach dem guten Fremdsprachen- foreign language, is very well prepared, has
lehrer bzw. der guten Fremdsprachenlehrerin thorough knowledge of subject matter, and his/
wird auf mindestens sieben Ebenen geführt (vgl. her lessons are well-organized«. Als Schlussfol-
Thaler 2012). Auf einer ersten Traditionslinie gerung ergäbe sich eine Tugendspirale: Wer sei-
liegt das Alltagswissen, das sich aus subjektiven nen Beruf als L. liebt, lernt und arbeitet hart,
Einschätzungen, folk myths, Intuition und wodurch er immer kompetenter wird, dadurch
Aphorismen speist. Diese Linie reicht vom anti- seine LR. noch mehr liebt usw. In einer Folgestu-
ken Rhetoriker Isokrates (»Am meisten lernt die (Gobrecht 2008), die alle vier Bezugsgrup-
der, der gerne lernt; man lernt aber gerne von pen von Englischunterricht (SuS, Lehrende,
denjenigen, die man lieb hat«) bis zum süffisan- Studierende, Hochschuldozenten) einbezog,
ten Arbeitsmediziner Wolf Müller-Limmroth wurden Moskowitz’ Ergebnisse weitgehend
(»Der L. hat die Aufgabe, eine Wandergruppe bestätigt, wobei zwischen den vier Gruppen
mit Spitzensportlern und Behinderten bei Nebel keine gravierenden Unterschiede auftraten.
durch unwegsames Gelände in nord-südlicher Eine wesentliche Bedeutung für Rollenbild
Richtung zu führen und zwar so, dass alle bei und Rollenverhalten spielen – viertens – das
bester Laune und möglichst gleichzeitig an drei Erfahrungswissen und die sog. subjektiven The-
verschiedenen Zielorten ankommen«). Wenn- orien der Lehrkräfte, d. h. überdauernde men-
gleich nicht auf validen empirischen Studien tale Repräsentanzen der Selbst- und Weltsicht.
basierend, können Elemente des Alltagswissens Sie stellen eine Kombination aus persönlichen
das Paradigma der idealen L.persönlichkeit mit- Erfahrungen während der eigenen Schulzeit,
unter konzise und pointiert resümieren. praktischen Erfahrungen als Lehrkraft, fach-
Auf einer zweiten Ebene ist es fruchtbar, auf lich-didaktischen Alltagstheorien und professi-
die Erkenntnisse der ä Bezugswissenschaften onellen Wissensbeständen dar. Diese die Indivi-
der ä Fremdsprachendidaktik zu rekurrieren, dualität des L.bildes betonende Sicht spielt eine
z. B. auf Pädagogik, Sozialwissenschaften und wichtige Rolle bei der sich inzwischen gut ent-
Psychologie. Eine bis heute sehr überzeugende wickelnden L.ausbildungsforschung, die auch
Bestimmung der Kernmerkmale eines guten L.s den Bereich der Fort- und Weiterbildung in den
stammt von dem amerikanischen Psychologen Blick nimmt (ä Lehrerbildung).
und Paartherapeuten Carl Rogers (1984). Für In diesem fünften Diskursstrang fordert bei-
ihn sind die drei core characteristics eines L.s spielsweise Marita Schocker-von Ditfurth
bzw. einer Lehrerin im Verhältnis zu seinen (2001) eine Triangulierung von Lernbiogra-
bzw. ihren Lernenden respect, d. h. Achtung phie, Fachliteraturstudium und Lehrerfahrung,
und positive Zuwendung (Behandlung des bzw. die in einem permanenten Prozess des reflective
der Lernenden als grundsätzlich gleichwertige teaching gekoppelt werden müssen. Derartige
Person, Anteilnahme, Rücksicht), empathy, Forschungen können dazu beitragen, Qualifi-
d. h. Einfühlungsvermögen (nicht-wertendes kationsmerkmale für Fremdsprachenlehrkräfte
Lehrer/in und Lehrerrolle 192

zu erarbeiten, diese Merkmale auf die Ausbil- herrscht Heterogenität und Pluralität. Wie eine
dungsgänge zu beziehen und das Rollenbild zu Lehrerin oder ein Lehrer sein soll bzw. wie sie
präzisieren und professionalisieren (ä Lehrer- sich dann tatsächlich verhalten, hängt von his-
forschung). torischen und sozio-kulturellen Kontexten ab,
Eine sechste Ebene bildet das Produkt-Pro- der Schulart, der Lerngruppe, der Persönlich-
zess-Paradigma, bei dem empirische Unter- keitsstruktur der Lehrkraft und dem didaktisch-
richtsforschung die Zusammenhänge zwischen methodischen Ansatz. Wer einer konstruktivis-
L.handeln (Prozess) und Ergebnissen auf Seiten tischen Lernmethodik anhängt (ä Konstrukti-
der SuS (Produkt) zu eruieren sucht. Vielfältige vismus/Konstruktion), wird den facilitator,
Studien auf diesem Gebiet haben inzwischen interlocutor, supporter betonen; wer eher einem
den Mythos der einen wahren Methode dekon- balanced teaching zuspricht, wird neben dem
struiert und legen vielmehr nahe, dass es auf die guide on the side auch dem sage on the stage zu
Passung zwischen Methodenarrangement und seinem Recht verhelfen (vgl. Thaler 2008). Ganz
L.persönlichkeit ankommt. unterschiedliche Personen werden zu guten L.n
Die siebte Diskursebene basiert auf dem – aus ganz unterschiedlichen Gründen.
ä Kompetenz-Paradigma. Dieser mehrdimensi- Lit.: M. Gobrecht: Moskowitz Revisited. Freiburg
onale Passepartout-Begriff umfasst neben ko- 2008. – G. Moskowitz: The Classroom Interaction of
gnitiven Domänen auch skill-orientierte, volitio- Outstanding Foreign Language Teachers. In: Foreign
nale, attitudinale, affektive sowie motivationale Language Annals 9 (1976), 135–143. – C. Rogers:
Lernen in Freiheit. Mü. 41984 [1974. – M. Schocker-
und soziale Komponenten. In Anlehnung an von Ditfurth: Forschendes Lernen in der fremdsprach-
den ä Gemeinsamen europäischen Referenzrah- lichen L.bildung. Tüb. 2001. – E. Thaler: Offene Lern-
men (GeR) für Sprachen sind für Fremdspra- arrangements im Englischunterricht. Mü. 2008. –
chenlehrende – neben allgemeinen, intra- und Ders.: Englisch unterrichten. Bln 2012. ET
interpersonellen Kompetenzen – v. a. die Ziel-
sprachenkompetenz bzw. ä kommunikative
Kompetenzen von besonderer Bedeutung. Eine Lehrerbildung. Die L. in Deutschland ist zwei-
sehr hohe L2-Kompetenz ist eine unerlässliche phasig: Auf eine erste Phase (mehr oder minder)
Voraussetzung für die Ausübung der späteren praxisorientierter Wissenschaftlichkeit an Uni-
Tätigkeit als Fremdsprachenlehrkraft, da sie als versität oder Pädagogischer Hochschule (Ba-
sprachliches Vorbild für ihre SuS fungiert und den-Württemberg) folgt für alle Schulämter das
ein flexibles Agieren und Reagieren in der Ziel- Referendariat als Phase (mehr oder minder)
sprache Voraussetzung für die effektive Unter- wissenschaftsorientierter Praxis. Die Ausbil-
stützung des Spracherwerbs der SuS ist. Das dung richtet sich nach Schulformen und Schul-
anzustrebende Kompetenzniveau sollte dabei stufen; in der Praxis der Länder werden Ausbil-
insgesamt bei C1 PLUS liegen und linguistische dungsgänge unterschiedlich zusammengefasst:
Kompetenzen (lexikalische, grammatische, Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen,
phonologische, orthographische Teilkompeten- Lehramt an Gymnasien, Lehramt an Grund-
zen), sozio-linguistische Kompetenzen (Höf- schulen/Lehramt Primarstufe, Lehramt Sekun-
lichkeitskonventionen, Stil und Register, regio- darstufe I, Lehramt Sekundarstufe II. Die Lehr-
nale und soziale Varianten), pragmatische ämter für den berufsbildenden Bereich folgen
Kompetenzen (Diskurskompetenz, funktionale eigenen Modellen und Ordnungen. Vereinba-
Kompetenz, Flüssigkeit und Genauigkeit des rungen der Kultusministerkonferenz regeln die
Ausdrucks) sowie Handlungskompetenz im gegenseitige Anerkennung der Abschlüsse. Der
Unterricht (Verfügung über sprachliche Mittel Bereich der Fort- und Weiterbildung wird mit-
und Diskursmuster für einsprachige Interaktion unter als dritte Phase bezeichnet. Alle drei Pha-
im Klassenzimmer) umfassen. Dazu kommen sen werden seit Jahrzehnten kontrovers disku-
aus den Bezugswissenschaften abgeleitete Kom- tiert; das Fehlen einer angemessen betreuten
petenzen: sprach-, literatur-, kultur- und medien- Berufseingangsphase nach Abschluss des Refe-
wissenschaftliche Kenntnisse, Fertigkeiten und rendariats – als Einstieg in die dritte Phase –
Haltungen sowie v. a. ausgeprägte fachdidakti- wird zunehmend als Defizit gesehen.
sche Kompetenzen. Die L. in ihrer heutigen Form geht auf die Ära
Lässt man die verschiedenen Diskursebenen der Säkularisierung und des Neuhumanismus
Revue passieren, erkennt man unschwer, dass es zurück. Damals entsteht das staatliche Schul-
das L.bild und die LR. nicht gibt. Vielmehr wesen; an die Stelle von Pfarramtskandidaten,
193 Lehrerbildung

Präzeptoren und Sprachmeistern tritt der an der Bezüge schafft, so die Ausrichtung zum Patrio-
Antike geschulte, im Sinne der Epoche wissen- ten und damit die gesellschaftliche und auch
schaftlich ausgebildete Lehrer. Humboldt macht berufliche Initiierung und Einbettung. Der
das Gymnasium zum Flaggschiff des Bildungs- Lehramtskandidat wird als Wissenschaftler
wesens, zu einer Institution, die die Wertvorstel- ausgebildet, um dann an der Gelehrtenschule
lungen des Bürgertums (als der siegreich aus der tätig zu werden und dort wiederum Schüler auf
Französischen Revolution hervorgegangenen die Ausbildung zum Wissenschaftler vorzube-
Schicht) tradieren und fortentwickeln soll. Das reiten. Schon angesichts der Dominanz der alt-
Gymnasium huldigt der Ideologie zweckfreier philologischen Schulfächer (bis zu 50 % der
Formalbildung; es hat einen altphilologischen Stundentafel) spielen Bildungshorizonte jenseits
Schwerpunkt. Preußen ist in der Entwicklung des Wechselbezugs von Gymnasium und Uni-
führend; Eckdaten sind 1810 (Einführung des versität zunächst keine Rolle. Sie werden erst-
Staatsexamens), 1812 (Einführung der Abitur- mals in den 1840er Jahren und dann wieder im
prüfung als Studienvoraussetzung) und 1826 weiteren Kontext der Reichsgründung (1871)
(Einführung des Referendariats). eingefordert (Institutionalisierung der Anglistik
Zeitgleich mit der Einführung des Staatsexa- als eines lehramtspropädeutischen und auf die
mens wird die Humboldt-Universität Berlin als moderne Arbeitswelt bezogenen Faches, erster
Muster-Hochschule gegründet. Sie ist die erste anglistischer Lehrstuhl 1872 an der kurz zu-
deutsche Universität mit einer Philosophischen vor eingedeutschten »Reichsuniversität Straß-
Fakultät moderner Prägung. Hatte in den Uni- burg«, damit aber außerhalb des Dunstkreises
versitäten der Frühen Neuzeit die Theologische der traditionellen deutschen Universität). Nun
Fakultät den höchsten Rang inne, so über- zeigen sich endgültig die bis heute währenden
nimmt nun im Geist der Säkularisation die Konflikte: Die Philosophische Fakultät möchte,
Philosophische Fakultät diese Rolle: Ihre Auf- in der Wissenschaftstradition des 19. Jh.s ste-
gabe ist es in der Folgezeit, die Lebensformen hend, zweckfreie Wissenschaft betreiben; sie
der Antike und die als ewig angesehenen Werte fokussiert ihre Anstrengungen in Forschung
des Humanismus – von kirchlichen Ideologien und Lehre nicht auf die L. Jüngere, berufsorien-
befreit – geistig zu durchdringen und ihre Ver- tierte Wissenschaftsdisziplinen wie die Ange-
breitung zu fördern. Die neue Philosophische wandte Linguistik und die Fachdidaktiken
Fakultät betreibt zweckfreie Wissenschaft; ihre werden mit Skepsis betrachtet. Ein zu großes
Grundhaltung ist idealistisch und damit auch Gewicht auf L. in einer Fakultät mindert in den
gegen den Utilitarismus des 18. Jh.s gerichtet. Augen der Mehrheit der Lehrstuhlinhaber die
Berlin wird zum Prototyp für Universitätsgrün- wissenschaftliche Seriosität.
dungen und -reformen in ganz Deutschland Die L. für die nicht-gymnasialen Schulformen
(Breslau 1811, Bonn 1819, München 1826). bleibt fast 150 Jahre lang hinter der gymnasia-
Just an dieser Philosophischen Fakultät, die len Ausbildung zurück: Die Volksbildung be-
gerade nicht angetreten ist, um berufspropä- zieht ihre Lehrerschaft bis ins 20. Jh. hinein
deutisch tätig zu werden, verankert Preußen die über L.sseminare, denen die akademischen
erste Phase der L., auch um der Fakultät damit Weihen fehlen. Seit der Weimarer Republik
eine über das Akademiedasein hinausgehende werden diese Seminare zu Pädagogischen Aka-
gesellschaftliche Funktion zu geben. Die in dem demien und nach 1945 dann zu Pädagogischen
Arrangement angelegten gesellschaftlichen Hochschulen aufgewertet. Letztere werden in
Konflikte fallen zunächst nicht auf, da das den 1960er Jahren in die Universitäten einge-
Gymnasium als ›Gelehrtenschule‹ im Grunde gliedert, in Baden-Württemberg bleiben sie bis
keine andere Funktion hat, als auf die Universi- heute bestehen, wobei die Aufwertung zur L.s-
tät vorzubereiten. Berufs- und (in allgemeinerer universität unverkennbar ist. Die Realschule
Form) Lebenspropädeutik spielen keine Rolle, des 19. Jh.s rekrutiert ihre Lehrer teilweise über
nur Wissenschaftspropädeutik zählt. Das kann die Philosophischen Fakultäten, teilweise auch
so sein, weil ein einheitliches Wertesystem von über besondere Kurse innerhalb der L.ssemi-
bürgerlichem Elternhaus, Schule und Universi- nare und Pädagogischen Hochschulen. Dieser
tät ganz nebenbei für die bürgerliche Jugend Zustand bleibt bis in die 1960er Jahre bestehen.
männlichen Geschlechts – Frauen sind weder An den Pädagogischen Hochschulen der
am Gymnasium noch an der Universität zuge- Nachkriegszeit werden angesichts der Tatsache,
lassen – die erforderlichen lebenspraktischen dass das Bildungskonzept der Siegermächte an
Lehrerbildung 194

allen Schulformen (mit Ausnahme der alt- laufs Wahlmöglichkeiten und Freiheitsgrade
sprachlichen Gymnasien) die Besatzungsspra- eröffnen soll. In der Ausbildungspraxis der
che als erste Fremdsprache vorsieht, neusprach- deutschen Universitäten und Pädagogischen
liche Dozenturen und Lehrstühle geschaffen. Sie Hochschulen führt der Neuansatz zu zwei
sind didaktisch orientiert; die frühen Stellen- Modellen: fachwissenschaftlich ausgerichteten
inhaber kommen aus unterschiedlichen Schul- BA-Studiengängen mit einem anschließenden
formen, meist aus dem Gymnasium. Der von erziehungswissenschaftlich und fachdidaktisch
ihnen vertretene Ansatz in der Haupt- und Real- orientierten MA-Studium und – einem quasi
schullehrerausbildung steht in bewusstem Ge- umgekehrten Ansatz folgend – schulformspezi-
gensatz zu den universitären Neuphilologien fisch ausgerichteten BA oder Bachelor of Edu-
der Zeit, er ist berufspropädeutisch und profes- cation-Studiengängen mit einer nachfolgenden
sionalisierend. Wissenschaftliche Fragestellun- fachwissenschaftlichen Vertiefung in einem
gen werden von den fachlichen und pädagogi- MA-Studium.
schen Bedürfnissen des Lehramts aus formuliert. Einige Bundesländer schaffen im Gefolge der
Allerdings bleibt auch dieser Bereich in der Reform das Erste Staatsexamen ab, andere
Folgezeit von wenig reflektierten Umsetzungs- (Bayern, Hessen, Sachsen) behalten es mit Hin-
modellen nicht verschont. So werden z. B. neu- weis auf die Tatsache bei, dass die Prüfungs-
ere Entwicklungen der ä Sprach- und ä Litera- hoheit für ein staatliches Lehramt auch beim
turwissenschaft oder neue lernpsychologische Staat liegen müsse: Über die Staatsprüfung ha-
Ansätze oftmals ohne didaktische Reflexion für ben die Bundesländer die Möglichkeit, auf das
die Schule adaptiert. Dennoch gehen von dem universitäre Lehramtsstudium unmittelbar Ein-
Neuansatz wichtige Impulse aus, die dann in fluss zu nehmen. Die Kultusministerkonferenz
den 1960er und 70er Jahren zur Institutionali- beschließt 2014 auf der Basis früherer Papiere
sierung der Fachdidaktiken an den Universitä- die »Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforde-
ten führen. In den 1970er Jahren werden neue rungen für die Fachwissenschaften und Fachdi-
Fakultäten und sogar Universitäten mit einem daktiken in der Lehrerbildung«. Sie bestimmen
Schwerpunkt L./Bildungswissenschaften ge- auf der Grundlage der angestammten Idee der
gründet (Augsburg 1973, Klagenfurt 1975). Dreiphasigkeit (Studium – Referendariat – Fort-
Im schwierigen Dialog der Fachwissenschaf- und Weiterbildung) einen Rahmen für länder-
ten mit den neu etablierten Fachdidaktiken in spezifische Gestaltung und Schwerpunktsetzun-
der Zeit nach 1968 geht es letztendlich um eine gen und sind die Grundlage für die Evaluation
neue Auffassung von Wissenschaftlichkeit, die und Akkreditierung von Studiengängen. Gleich-
gesellschaftliche Bezüge anerkennt und insofern zeitig sind sie kompetenz- und standardorien-
aus dem Elfenbeinturm der Humboldt-Tradi- tiert (ä Kompetenz, ä Standards).
tion herausführt. Kulturelle, ökologische und Im Rahmen der modularisierten und konse-
auch didaktische Bezüge werden in zunehmen- kutiven Grundstruktur des neuen Ausbildungs-
dem Maße von den Gesamtfächern reflektiert. systems ergeben sich breitere Möglichkeiten für
Allerdings wirken die alten Strukturen ebenso individuelle Spezialisierung und den Erwerb
deutlich nach. Der sog. Bologna-Prozess verän- von Zusatzqualifikationen, sei es im Bereich
dert in den Jahren nach 1999 die erste Phase benachbarter Disziplinen (etwa DaF/DaZ), sei
der L. von Grund auf: Im Bestreben, Vereinheit- es als Reaktion auf neue Herausforderungen
lichung und Vergleichbarkeit innerhalb der (etwa: ä Inklusion, Integration, lebensbegleiten-
Länder der Europäischen Union zu schaffen des Lernen). Allerdings sind alte Gefahren in-
(Einführung des European Credit Transfer Sys- nerhalb des Kernbereichs der Ausbildung nicht
tem ECTS) und Studienzeiten zu verkürzen, gebannt, und auch neue treten hinzu: Nach wie
wird das aus dem angelsächsischen Raum vor ist die erste Ausbildungsphase für die Lehr-
stammende Bachelor-Master-System allgemein ämter dort, wo ein nicht lehramtsspezifischer
übernommen. An die formale Reform ist auch fachwissenschaftlicher BA-Studiengang Aus-
die Hoffnung auf Professionalisierung der Stu- gangspunkt ist, durch ein Übergewicht didak-
diengänge geknüpft. In jeder Phase des Systems tisch nicht oder nicht hinlänglich reflektierter
sollen ausbaufähiges berufsorientiertes Wissen Fachwissenschaft und ein daraus resultierendes
und Können vermittelt werden. Gleichzeitig unverbundenes Nebeneinander fachwissen-
werden die Studiengänge modularisiert, was schaftlicher und fachdidaktischer Sichtweisen
innerhalb des neuen, stärker verschulten Ab- gekennzeichnet. Andererseits führt die Tendenz
195 Lehrerbildung

mancher Kultusministerien, den zunehmenden len und aller beruflichen Erfahrung nicht die
Problemen an der Schule mit einem immer hö- Möglichkeit zu wissenschaftlicher Weiterquali-
heren allgemein-erziehungswissenschaftlichen fikation (etwa: didaktisches Promotionsstu-
Anteil im Studium zu begegnen, zu einer Min- dium, sabbaticals) haben, nach wie vor auf die
derung der fachlichen Qualität der Ausbildung, Qualität der Ausbildung. Eine Einphasigkeit
nicht aber zu der überfälligen Aufwertung der der L. ist immer wieder gefordert worden. Die
fachdidaktischen (als einer zu den studierten DDR hatte sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten
Fächern gehörigen) Komponente. Die Gefahr, verwirklicht (integriertes fünftes Praxisjahr
dass die Fachdidaktiken zwischen Fachwissen- nach vier Jahren Universität oder Pädagogi-
schaften und Erziehungswissenschaften ›zerrie- scher Hochschule). Wünschenswert ist die ein-
ben‹ werden, ist nach wie vor groß. Gleichzeitig phasige L. auch heute noch, wenn auch ange-
schmälert in jüngster Zeit eine erneute rezepto- sichts des ungenügenden Lehramtsbezugs in
logische Ausrichtung der Fachdidaktiken selbst der ersten Ausbildungsphase, der Theorieferne
mancherorts deren wissenschaftlich-emanzipa- der zweiten Phase und des weitgehend unver-
torischen Anspruch. Zu enge Konzepte von mittelten Nebeneinanders der beiden Phasen
Praxisbezug (erweiterte Praktika), verbunden derzeit nicht darstellbar.
mit zu wenig ideologiekritischen Sichtweisen Der Bereich der Lehrerfortbildung wurde
auf Schule und die Geschichte der Schulfächer zwischen 1960 und etwa 1990 bundesweit aus-
(Ideologien, Ziele, Inhalte, Methoden) vernach- gebaut. Es wurden zentrale Angebote geschaf-
lässigen bei den Studierenden die Entwicklung fen, die an Landesinstituten lokalisiert sind. Die
didaktischer Denkfähigkeit. Lehrplanhörigkeit Landesinstitute von Flächenstaaten verfügen
und der Rückzug auf ein Dasein als bloßer über Außenstellen (regionale Lehrerfortbildung).
›Lerntechnokrat‹ in der späteren Berufspraxis Teilweise trägt die Fortbildung parauniversi-
können die Folge sein. Das populäre Denk- täre Züge. Neben Fortbildungsmaßnahmen
schema vom Praktiker, der dem Theoretiker werden je nach den Bedürfnissen der Länder
gegenübertritt, ist dabei ebenso wenig hilfreich auch Weiterbildungsmöglichkeiten (etwa: Auf-
wie die populäre Reduktion der Lehrerrolle auf stockung der Lehrbefugnis, Ausbildung für
den learning facilitator (ä Lehrer/in und Lehrer- spezielle Funktionen im Bereich der Schule) ge-
rolle). boten. Daneben bieten auch freie Träger (etwa:
Bis in die zweite Hälfte des 20. Jh.s hinein die Kirchen, Lehrerverbände, Gewerkschaften)
hat lediglich das gymnasiale Lehramt die für Fortbildungsveranstaltungen an. Leider sind
die Ratslaufbahn allgemein übliche zweite Aus- die staatlichen Angebote im Bereich der Fort-
bildungsphase in Gestalt eines Referendariats. und Weiterbildung in den letzten Jahren stark
Das Referendariat ist im 19. Jh. zunächst ein- zurückgefahren worden, sowohl quantitativ als
jährig, später wird es auf zwei Jahre verlängert. auch qualitativ. Gleichzeitig wurde zunehmend
Eine Reduktion auf 18 Monate ist immer wie- die Tendenz wahrnehmbar, thematische Ange-
der in der Diskussion; sie ist mittlerweile größ- bote nur noch als Reaktion auf ein unmittelba-
tenteils Realität. Zentren der Referendarausbil- res Erfordernis (etwa: ä früher FU, achtjähriges
dung sind die Bezirksseminare/Seminarschulen, Gymnasium, Einführung neuer ä Lehrpläne) zu
an denen auch die Fachleiter/innen (Bayern: entwickeln. Inzwischen sind die einzelnen Lehr-
Seminarlehrer/innen) für die einzelnen Fächer kräfte verpflichtet, sich passende Fortbildungs-
angesiedelt sind. Das Referendariat folgt län- angebote selbst zu suchen (und ggf. auch dafür
derspezifischen, ministeriell festgelegten Aus- zu zahlen), etwa in Gestalt von Multiplikato-
bildungsordnungen. Es ist als Einübung in das renveranstaltungen an der eigenen Schule, Ver-
jeweilige schulformspezifische System konzi- lagsveranstaltungen, Verbandstagen oder kom-
piert. Die traditionsreiche Kritik an der zweiten merziellen Seminaren.
Phase, dass sie nämlich in vielen Fällen eine Ein traditionsreiches Missverständnis der L.
doch recht theorieferne »Meisterlehre« sei, ist ist, wie oben schon angedeutet, die Annahme,
heute weniger berechtigt als früher. Allerdings dass fachwissenschaftliche Forschungsergeb-
drückt die Tatsache, dass die Qualifikations- nisse durch fachdidaktische ›Reduktion‹ zum
wege zu den Fachleiterstellen (Bayern: Semi- Schulgebrauch ›umsetzbar‹ seien (›Umsetzungs-
narlehrerstellen) vielerorts fachlich nicht hin- didaktik‹). Das Missverständnis geht auf die
länglich transparent sind und die ausbildenden Humboldtzeit selbst zurück, in der das Gymna-
Lehrer/innen bei allem persönlichen guten Wil- sium die Entwicklungen in den Bezugswissen-
Lehrerbildung 196

schaften wissenschaftspropädeutisch zu spie- schaftlich als eine sog. fachwissenschaftliche


geln suchte: Schon angesichts der heute unbe- Disziplin, mehr Fachdidaktik in der L. senkt
strittenen Bedeutsamkeit von Berufs- und auch nicht das wissenschaftliche Niveau, und
Lebenspropädeutik (gerade auch im Bereich mehr L. in einer Fakultät senkt nicht deren
der Sekundarstufe II) ist ›Umsetzungsdidaktik‹ wissenschaftliche Bonität.
nicht mehr möglich. Vielmehr sollte fremd- Lit.: K.-R. Bausch/H. Christ/H.-J. Krumm (Hg.): Die
sprachliche L. an einer Theorie von Schule und Ausbildung von Fremdsprachenlehrern. Gegenstand
FU festmachen. Von hier aus müssten die The- der Forschung. Bochum 1990. – K.-R. Bausch et al.
men bestimmt und gewichtet werden, die dann (Hg.): Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrfor-
im lehrerbildenden Curriculum eine Rolle spie- schung als Ausbildungs- und Forschungsdisziplinen.
Tüb. 1997. – T. Finkenstaedt: Kleine Geschichte
len. Die bestehenden philologischen Angebote
der Anglistik in Deutschland. Darmstadt 1983. – T. Fin-
müssten im Rahmen des Ansatzes auf ihre kenstaedt/K. Schröder (Hg.): Zu Grundfragen des FUs
Tauglichkeit für die L. hin untersucht werden. und seiner Didaktik in aktueller und historischer
Für die sprach-, literatur- und kulturwissen- Sicht. Augsburg 1991. – H. Mainusch et al. (Hg.):
schaftlichen Disziplinen würden sich Umge- Lehrerfortbildung und Lehrerweiterbildung in der
wichtungen, aber auch interessante neue Frage- Bundesrepublik Deutschland. Modell Anglistik. Bern/
FfM 1976. – K. Schröder (Hg.): Situation und Pro-
stellungen ergeben. Dass erste und zweite Aus- bleme des FUs und der Fremdsprachenlehrerausbil-
bildungsphase im Rahmen eines solchen dung in den Neuen Bundesländern. Augsburg 1992. –
Ansatzes zumindest verschränkt werden müs- C.  Surkamp: Ausbildung von Sprachlehrenden an
sen, leuchtet ein. Mehr Praxisbezug in der uni- Hochschulen. In: E. Burwitz-Melzer et al. (Hg.):
versitären L. wird zu Recht gefordert. Darüber Handbuch FU. Tüb. 62016 [1989, 597–602. –
E. Terhart et al. (Hg.): Perspektiven der L. in Deutsch-
hinaus muss den Ausbilder/innen der zweiten land. Abschlussbericht der von der KMK eingesetzten
Phase Gelegenheit zu wissenschaftlicher (Mit-) Kommission. Weinheim 1999. – G. Walter/K. Schrö-
Arbeit an fachdidaktischen Fragestellungen der (Hg.): Fachdidaktisches Studium in der L. Mü.
(besonders im Bereich empirischer Unterrichts- 1979. – W. Zydatiß (Hg.): Fremdsprachenlehreraus-
forschung) gegeben werden. Zugleich müssen bildung. Reform oder Konkurs? Mü. 1998. KoSch
sie unabhängiger werden von der jeweiligen
parteipolitisch bestimmten Bildungspolitik.
Es ist oft darauf hingewiesen worden, dass Lehrerforschung hat in der ä Fremdsprachen-
die Aufteilung der philologischen Fächer in didaktik national und international an Bedeu-
›fachwissenschaftliche‹ und ›fachdidaktische‹ tung gewonnen. Fremdsprachendidaktische L.
Bereiche künstlich sei. Die Kritik träfe zu, wenn berücksichtigt die fachlichen Besonderheiten
Fachwissenschaften und Fachdidaktiken die von FU sowie der jeweiligen Einzelsprachen
Vermittlungs- und Lehramtsbezüge gleicherma- und betrachtet zudem die Bedeutung von be-
ßen und in gleicher Intensität bei ihren fachli- ruflicher Identität, Persönlichkeit, (Sprach-)
chen Entscheidungen mitdenken würden. Wie Lernbiographien, subjektiven Theorien und
allgemein bekannt, ist dem nicht so – trotz einer ä Kompetenzen von Lehrenden. Die Komplexi-
mittlerweile mehr als hundertjährigen öffentli- tät von L. ist ferner gekennzeichnet durch die
chen Kritik an diesem Zustand. Die fachwis- Vielfalt beruflicher Kontexte von Sprachlehr-
senschaftlichen Disziplinen, klassischerweise kräften im schulischen, außerschulischen und
dem idealistischen Wissenschaftskonzept ver- universitären Bereich sowie durch die so entste-
pflichtet, weisen heute gerne auf die Tatsache hende Diversität beruflicher Entwicklungspro-
hin, dass sie über die Magister-/Master-Ausbil- zesse. Hiermit verbunden sind variierende An-
dung noch ganz andere Verwertungszusam- forderungen an Aus- und Weiterbildung. Inso-
menhänge betreuen als nur die Lehrämter. An- fern betrachtet L. kontextuelle Strukturen und
gesichts weitgehend fehlender Empirie ist die ihren Einfluss auf Lehrerwissen und -handeln,
Aussage schwer überprüfbar; eine nicht geringe wobei der Zusammenhang von beruflichem
Zahl von Magistern findet sich jedenfalls in Wissen und Handeln noch weitestgehend unge-
den Redaktionen der großen Schulbuchverlage klärt ist. Zudem liefert L. Modelle zur Professio-
wieder, wo sie beklagen, aber auch in ihrer Ar- nalisierung und Kompetenzentwicklung, auch
beit zeigen, dass ihnen eine adäquate fachdi- im Anschluss an ä Standards für die ä Lehrerbil-
daktische Ausbildung fehlt. Terminologisch ge- dung (vgl. Schädlich 2014), die in Deutschland
sehen ist die Scheidung in der Tat absurd: Eine durch die Kultusministerkonferenz entwickelt
adäquate Fachdidaktik ist nicht minder wissen- wurden.
197 Lehrerforschung

Gemäß einem Verständnis des Lehrerberufs den oft auch methodische Ansätze weiterentwi-
als Profession zeichnet sich dieser durch eine ckelt. Schließlich setzt Forschung zu den in den
akademisch fundierte gesellschaftliche Aufgabe verschiedenen Phasen der Lehrerbildung täti-
und durch berufliche Autonomie aus. Beson- gen Lehrenden ein, zu ihrer (Berufs-)Biogra-
ders die häufig bildungswissenschaftlich orien- phie, zur Berufsmotivation sowie zu ihrer Rolle
tierte Professionsforschung greift hierauf zu- und Wirkkraft in der Lehrerbildung.
rück (z. B. Blömeke et al. 2013). Dagegen L. in der Fremdsprachendidaktik betrachtet
nimmt L. als der weitere Zugriff die Lehrperson im Speziellen, welche identitätsstiftende und
mit all ihren persönlichen und beruflichen Be- verhaltensregulierende Rolle die unterrichtete
zügen (Kontexte, Rollen) in den Blick. So wer- Sprache und hiermit verbundene kulturelle As-
den beispielsweise berufliche Selbstkonzepte pekte für die Lehrperson spielen. Dies kann
betrachtet, d. h. Wissen und Haltungen von bezogen auf die ä Unterrichtsinteraktion, die
Lehrenden bezogen auf ihr Lehrerhandeln und Wahl der Unterrichtsinhalte, die sprachlich-
ihre (berufs)biographischen Entwicklungspro- fachlichen Kompetenzen und die Lehrerper-
zesse (vgl. Caspari 2014, 24). Die Reflexion sönlichkeit betrachtet werden. Neben Bezügen
von Haltungen, Kompetenzen und Selbstkon- zur bildungswissenschaftlichen Forschung ist
zepten sollte bestenfalls zur selbstgesteuerten fremdsprachendidaktische L. in Deutschland
Entwicklung von Handlungsalternativen füh- durch den anglophonen und internationalen
ren (vgl. Schädlich 2014, 283), zumal bildungs- Raum geprägt. Zu nennen sind die Konzepte
politische Innovationen und methodische Kon- des reflective practitioner (Schön 1983), der
zepte, die ohne Beteiligung von Lehrkräften teacher cognition nach Borg (2006), der Refle-
entwickelt wurden, nicht ohne Weiteres in die xionsebenen nach Farrell (2016) oder der core
Praxis vermittelbar sind. reflection (vgl. Korthagen et al. 2014). Ebenso
Grundsätzlich orientiert sich die fremd- wird auf frühere fremdsprachendidaktische
sprachliche L. an übergeordneten Paradigmen Arbeiten zu beruflichem Selbstverständnis,
bildungswissenschaftlicher L., ist aber ihrerseits subjektiven Theorien und reflexiver Lehrerbil-
weniger breit aufgestellt. Dies gilt sowohl für dung zurückgegriffen (vgl. Caspari 2003,
die Themen als auch für die methodischen Zu- Schocker-von Ditfurth 2001). L. ist daneben
griffe. Eine systematisierende Übersicht zu em- mit Veränderungen in Fachdiskussion, Bil-
pirischen L.s-Ansätzen liefern Terhart et al. dungssystem und Gesellschaft verwoben, so
(2014). In persönlichkeitsorientierten Ansätzen dass sich mit der größeren Bedeutung schuli-
werden Interessen, Persönlichkeitsmerkmale, scher Praktika kontextualisierte Forschungsfel-
persönliche Voraussetzungen, Selbstwirksam- der ergeben, Methoden des ä forschenden Ler-
keitsüberzeugungen und Entwicklungsmöglich- nens weiterentwickelt werden und ä aufgaben-
keiten von Lehrenden analysiert. Strukturtheo- orientiertes Lernen, ä Handlungsorientierung,
retische Ansätze deuten den Lehrenden fallre- ä autonomes Lernen, ä bilingualer Unterricht,
konstruktiv in den interaktionalen Strukturen ä Leistungsermittlung und ä -bewertung, ä Indi-
seines Berufskontextes. Sie beleuchten Wider- vidualisierung, ä interkulturelles Lernen, ä kom-
sprüchlichkeiten und berufsbiographische Ent- munikative Kompetenzen, mediale Lernumge-
wicklungsprozesse hin zu einem Lehrerhabitus bungen (ä Medien) oder ä Mehrsprachigkeit
und bestimmten Sichtweisen auf Unterricht stärker in den Blick kommen (vgl. Caspari 2014;
und Lernende. Kompetenzorientierte Studien Schädlich 2014, 284 f.; Trautmann 2010, 347).
wiederum beschäftigen sich auf Grundlage Über diese thematischen Schwerpunkte und
eines Expertenparadigmas mit beruflichem Entwicklungen geben die Sammelbände von
Wissen und Handlungskompetenzen und der Blell/Lütge (2012) und Legutke/Schart (2016)
Entwicklung vom Novizen zum Experten; sie ebenso Aufschluss wie die auf reflexive L. bezo-
erheben anhand von Standards Wirkungen von genen Forschungsüberblicke von Caspari (2014)
Lehrerbildung. Ethnographisch-kulturtheoreti- für den deutschsprachigen Raum und von Far-
sche Studien sehen Unterricht als kulturelle rell (2016) für den englischsprachigen Raum.
Praxis und befassen sich mit Fragen sprachlich- Bezüglich forschungsmethodologischer Ten-
kultureller Identität. Zunehmend führt L. den denzen in der L. kann auf die »Chronologie der
Blick von Lehrenden und Lernenden zusam- Dissertationen und Habilitationen in den
men. Nicht immer steht dann der Professionali- fremdsprachendidaktischen Disziplinen« der
sierungsprozess im Zentrum, sondern es wer- Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenfor-
Lehrerforschung 198

schung hingewiesen werden. Empirische Stu- dungskonzepten beitragen. Weiterhin ist eine
dien (ä Empirie) in der fremdsprachendidakti- Annäherung von subjekt- und kompetenzorien-
schen L. verwenden aufgrund der Komplexität tierter L. ertragreich. Ebenso sind Studien ein-
des unterrichtlichen Raums und der individuel- zufordern, welche Lehrer- und Lernersichtwei-
len Entwicklungs- und Professionalisierungs- sen sowie -kompetenzen aufeinander beziehen.
prozesse vorwiegend qualitative Forschungs- Auch ist die Wirkung universitärer Lehre auf
methoden, mixed-method-Ansätze und diversi- Überzeugungen und Kompetenzen angehender
fizierte Datenquellen. Oft kommen Interviews, Lehrender weiter zu erforschen (vgl. ebd., 348).
auch kombiniert mit Fragebögen zum Einsatz, Schließlich stellt das Spannungsverhältnis zwi-
mitunter verbunden mit der Erfassung und schen fremdsprachendidaktischer Forschung,
Kommentierung von Lehrerhandeln, z. B. über damit verbundenen Menschenbildannahmen
Beobachtungen und Videographie (vgl. Kurtz sowie Erkenntnissen zum Lehren und Lernen
2016). Neben der Herstellung eines Bezugs zur von Sprachen, Bildungspolitik und Lehrerauto-
Praxis durch unterrichtliche Dokumentationen nomie immer wieder neue Themen bereit, bei
bzw. Fremdvideos und der Introspektion über deren Bearbeitung auch ethische Fragen einzu-
Eigenvideos oder durch Gruppendiskussionen beziehen sind (vgl. Viebrock 2014).
kann Videoanalyse zur Erhebung von Typen
des Lehrerhandelns dienen. Darüber hinaus Lit.: G. Blell/Ch. Lütge (Hg.): Fremdsprachendidaktik
werden Interaktionsformen, Methoden und und Lehrerbildung. Konzepte, Impulse, Perspektiven.
Bln/Münster 2012. – S. Blömeke et al. (Hg.): Professi-
Sprachgebrauch ermittelt. Bisweilen werden onelle Kompetenzen im Studienverlauf. Weitere Er-
Videos genutzt, um berufliches Wissen und gebnisse zur Deutsch-, Englisch- und Mathematikleh-
Diagnosekompetenzen von Lehrenden zu be- rerausbildung aus TEDS-LT. Münster et al. 2013. –
schreiben oder zu entwickeln. Viele Ansätze re- S. Borg: Teacher Cognition and Language Education.
flexiver Lehrerbildung wie v. a. kollegiale Beob- Research and Practice. Ldn/N. Y. 2006. – D. Caspari:
Fremdsprachenlehrerinnen und Fremdsprachenlehrer:
achtungen und Diskussionen, ebenso Fallarbeit, Studien zu ihrem beruflichen Selbstverständnis. Tüb.
Portfolios oder Visualisierungen dienen zu- 2003. – D. Caspari: Was in den Köpfen von
gleich der Erforschung der ausgelösten Refle- Fremdsprachenlehrer(inne)n vorgeht, und wie wir
xionsprozesse. Dabei stellt der Aktionsfor- versuchen, es herauszufinden. Eine Übersicht über
schungsansatz eine besondere Verzahnung von Forschungsarbeiten zu subjektiven Sichtweisen von
Fremdsprachenlehrkräften (2000–2013). In: Fremd-
L., kollegialer Unterrichtsentwicklung und Pro-
sprachen Lehren und Lernen 43/1 (2014), 20–35. –
fessionalisierungsprozessen dar. Schließlich be- T.  Farrell: Anniversary Article. The Practices of En-
ziehen sich quantitative Studien auf Berufs- couraging TESOL Teachers to Engage in Reflective
wahl, messbares Wissen und unterrichtliches Practice. An Appraisal of Recent Research Contribu-
Handeln von Lehrenden sowie auf ihre fachli- tions. In: Language Teaching Research 20/2 (2016),
che Entwicklung (vgl. u. a. Blömeke et al. 2013). 223–247. – F. A. J. Korthagen/A. Hoekstra/P. C. Meijer:
Promoting Presence in Professional Practice. A Core
Insgesamt sollte fremdsprachendidaktische Reflection Approach for Moving through the U. In: O.
L. in der Zukunft stärker als bisher die Diversi- Gunnlaugson/C. Baron/M. Cayer (Hg.): Perspectives
tät der Bildungskontexte von FU und die Spezi- on Theory U. Insights from the Field. Hershey, PA
fika von Einzelsprachen abbilden. Dabei sind 2014, 77–96. – J. Kurtz: Videografie im Kontext qua-
für Fremdsprachenlehrende erforderliche fach- litativer fremdsprachendidaktischer Forschung. In:
O.  Jäkel/H. Limberg (Hg.): Unterrichtsforschung im
liche, kulturelle und sprachliche Wissensberei- Fach Englisch. Empirische Erkenntnisse und praxiso-
che sowie fachdidaktische und interkulturelle rientierte Anwendung. FfM 2016, 29–62. –
Kompetenzen noch genauer zu modellieren. M.  Legutke/M. Schart (Hg.): Fremdsprachendidak-
Zudem sind alle Phasen der Lehrerbildung und tische Professionsforschung. Brennpunkt Lehrerbil-
der lifelong cycle von Lehrenden in Längs- dung. Tüb. 2016. – B. Schädlich: The Language
Teacher. In: Ch. Fäcke (Hg.): Manual of Language
schnittstudien zu flankieren (vgl. Trautmann
Acquisition. Bln/Boston 2014, 274–290. – M. Scho-
2010, 347 f.). Studien in der Fremdsprachendi- cker-von Ditfurth: Forschendes Lernen in der fremd-
daktik liegen häufig als Qualifikationsarbeiten sprachlichen Lehrerbildung. Tüb. 2001. – D. A. Schön:
vor, größer angelegte Studien stellen ein Deside- The Reflective Practitioner. How Professionals Think
rat dar. Verbundforschung oder international in Action. Ldn 1983. – E. Terhart/H. Bennewitz/
vergleichende Studien könnten die Facetten M. Rothland (Hg.): Handbuch der Forschung zum
Lehrerberuf. Münster 22014 [2011. – M. Trautmann:
von Lehrerhandeln, Professionalität und Über- Professionsforschung in der Fremdsprachendidaktik.
zeugungen erweitern und zu unterrichtsbezoge- In: W. Hallet/F. G. Königs (Hg.): Handbuch Fremd-
nen best practice-Modellen sowie Lehrerbil- sprachendidaktik. Seelze-Velber 2010, 346–350. –
199 Lehrplan

B.  Viebrock: Zur Professionalisierung von Lehrkräf- Repertoire des Konzepts ä Lernerorientierung
ten im bilingualen Unterricht. In: Zeitschrift für inter- zielgerichtet realisiert werden. Zudem nehmen
pretative Schul- und Unterrichtsforschung 3 (2014),
Lehrende mit dem Konzept der L. ein Höchst-
72–85. DAT
maß an Belastung auf sich.
Lit.: M. Antón: Sociocultural Perspectives on Teacher-
Lehrerzentrierung. Das Konzept der L. ist ge- Learner Interaction in the Second-Language Class-
kennzeichnet durch die Dominanz der Lehrper- room. In: The Modern Language Journal 83/3 (1999),
son. Sie allein trifft alle Entscheidungen bei der 303–318. – H. Klippert: Lehrerbildung. Unterrichts-
entwicklung und der Aufbau neuer Routinen. Wein-
Vorbereitung des Unterrichts (Auswahl der heim 2004. MA
Themen und Materialien, Festlegung der Un-
terrichtsstruktur), sie dominiert das Unter-
richtsgeschehen (Belehrung der SuS, enges Lehrplan. Der Begriff des L.s wird häufig syno-
Hinführen der SuS zu Erkenntnissen, Beanspru- nym zu Richtlinien, Rahmenrichtlinien, Bil-
chung eines sehr hohen Sprechanteils, Durch- dungsplänen, curricularen Vorgaben oder Cur-
setzung von Disziplin), und sie allein beurteilt ricula gebraucht. Nachdem sich allerdings zur
die Leistungen der SuS. Das Konzept weist in Jahrtausendwende nach Erscheinen des ä Ge-
den Bereichen Bildung und Erziehung erhebli- meinsamen europäischen Referenzrahmens für
che Schwächen auf, weil die Entwicklung wich- Sprachen (GeR) 2001 das Bildungssystem den
tiger ä Schlüsselqualifikationen nicht gefördert Konzepten der Outputorientierung, Standardi-
wird. Da die SuS keine oder nur geringe Chan- sierung und Kompetenzorientierung verschrie-
cen zu einer Kommunikation untereinander ben hat, verwendet man für die administrativen
erhalten, können sie keine ä Sozialkompetenz Vorgaben des schulischen Unterrichts und da-
erwerben, d. h. weder Kommunikationsfähig- mit auch des FUs andere Begrifflichkeiten wie
keit noch Teamfähigkeit noch Kritikfähigkeit. Bildungsstandards oder Kerncurricula. Ein L.
Da die dominante Lehrperson den SuS alle ist ein bildungspolitisches, administratives und
Entscheidungen abnimmt, wird keine Indivi- juristisches Dokument, das für den institutio-
dualkompetenz (Selbständigkeit, Verantwor- nellen Kontext Schule festlegt, welche ä Kom-
tungsbewusstsein, Lernbereitschaft) aufgebaut. petenzen, Bildungsziele, Inhalte, Gegenstände
Ebenso wenig wird Handlungskompetenz (Or- und sprachlichen Mittel die SuS zu bestimmten
ganisationsfähigkeit, ä Methodenkompetenz), Zeitpunkten innerhalb ihres Bildungsganges
die sich im FU wesentlich im Gebrauch von erreicht und erarbeitet haben müssen. Somit
ä Lern- und Arbeitstechniken manifestiert, ge- definiert und konstituiert ein L. Normen und
fordert und somit auch nicht gefördert. ä Standards für den FU. Damit ein L. konzepti-
Fremdsprachenspezifische ä Lernziele wie onell stimmig ist, muss zwischen ä Lern- und
eine alltagstaugliche und ausbaufähige ä kom- Bildungszielen, Methoden und ä Tests eine
munikative Kompetenz unter Einsatz aller Interdependenz vorliegen. Neben der fremd-
ä Fertigkeiten können nur erreicht werden, sprachlichen Handlungsfähigkeit (ä Handlungs-
wenn aktives Sprachhandeln garantiert ist und kompetenz), die im FU auf Grundlage des L.s
wenn es um Themen geht, die zum unmittelba- zu erzielen ist, muss der FU in der Regel sprach-
ren Lebensumfeld der Lernenden gehören. spezifische und (inter-)kulturelle Inhalte, aber
Ohne die Mitwirkung der SuS ist es kaum mög- auch allgemeine Kompetenzen wie ä Sozial-
lich, deren Interessen zum Inhalt des sprachli- und ä Methodenkompetenzen vermitteln. Der
chen Handelns zu machen. Optimale Ergebnisse L. macht Aussagen über Formen der ä Leis-
werden erzielt, wenn Lehrende zu einem balan- tungsermittlung und ä Leistungsbewertung und
ced teaching finden. Ein Teil der anstehenden kann außerdem Lektürekanons (ä Kanon) und
Aufgaben wird auf der Basis des Konzepts der methodische Empfehlungen bereitstellen. Ein L.
L. erledigt, z. B. die Wahl von wichtigen The- kodifiziert ein bestimmtes Konzept von ä Bil-
men, die nicht zur augenblicklichen Interessen- dung und ordnet fachspezifische Regelungen
lage der SuS gehören; die Moderation zur Ein- und Anforderungen in ein staatliches Gesamt-
führung eines Themas; die Vorstellung neuer konzept von Bildung ein. Er ist auf einen be-
Arbeits- oder Lerntechniken; das Herausstellen stimmten Schultyp und auf bestimmte Jahr-
von Lernerfolgen; das Einbringen persönlicher gangsstufen bezogen. Da Lehrpläne anwender-
Erfahrungen usw. Das Gros der Aufgaben im bezogen und anwenderfreundlich sein sollen,
FU kann allerdings nur mit Mitteln aus dem müssen sie funktional, praktikabel und ver-
Lehrplan 200

ständlich sein, aber ebenso fachlichen und fach- schen Rahmensetzungen, Konstruktion von L.-
didaktischen Ansprüchen genügen. Der Grad entwürfen, Diskussion der Entwürfe, Imple-
der Konkretheit von Lehrplänen ist durchaus mentation der Lehrpläne und möglicherweise
unterschiedlich. Man unterscheidet zwischen eine Revision. Die politische Funktion von
produktorientierten und prozessorientierten Lehrplänen ist es, ein Gesamtkonzept von Bil-
Lehrplänen (ä Produktorientierung, ä Prozess- dung, aber auch fachspezifische Inhalte und die
orientierung). Erstere stellen im Kontext des Anordnung von Inhalten im Unterricht öffent-
FUs die jeweiligen notwendigen Sprachmittel lich zu legitimieren. Ein L. hat eine Legitimati-
für die Schülerschaft zusammen, letztere erläu- onsfunktion gegenüber der Öffentlichkeit, den
tern, wie SuS bei der Bearbeitung von Aufgaben Fachwissenschaften und den Fachdidaktiken.
ihre Sprachhandlungsfähigkeit entwickeln und Er hat weiterhin eine Vermittlungsfunktion
ausbilden können. In jedem Fall stellen Lehr- zwischen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen
pläne eine Orientierung für die tägliche Unter- Bedarfen und persönlichen Lernerbedürfnissen.
richtspraxis dar und ermöglichen den Fremd- Darüber hinaus soll er auch eine Orientierungs-
sprachenlehrenden Gestaltungsraum. funktion für Lehrende, Lernende und Erzie-
Nach Grundgesetzartikel 7 unterliegt in der hungsberechtigte übernehmen. Der L. ist mit
Bundesrepublik das gesamte Schulwesen der einer Sicherungsfunktion versehen, da zwischen
Aufsicht des Staates und wird durch Gesetze, Schulen und Klassenstufen einer Schulform
Erlasse und Verordnungen geregelt. Da die Vergleichbarkeit bestehen soll. Die Lehrenden
Regelung von Bildungsfragen in der Bundes- sind Bindeglieder zwischen Lehrplänen und
republik der Hoheit der Bundesländer unter- Unterricht und zur Umsetzung des L.s ver-
steht, gibt es bundeslandspezifische Lehrpläne, pflichtet. Folglich müssen alle unterrichtenden
die von den Kultusministerien der einzelnen Lehrkräfte mit den geltenden Lehrplänen ver-
Bundesländer herausgegeben werden. Die traut sein. Es ist festzustellen, dass das Lehrer-
Lehrpläne der Bundesländer müssen mit den verhalten durch Lehrpläne mitgesteuert wird,
Grundlagen, Beschlüssen und Empfehlungen die didaktische und methodische Kompetenz
der Kultusministerkonferenz konform sein. Sie aller Lehrenden allerdings nicht durch die Vor-
entstehen in Zusammenarbeit von Schulen, gaben in Lehrplänen zu ersetzen sind.
Schulbehörden, Instituten für L.entwicklung Als indirekte Einflussbereiche von Lehrplä-
und mit wissenschaftlicher Beratung. Die Ent- nen gelten insbesondere ä Lehrwerke. Lehrpläne
würfe von Lehrplänen sind in Anhörfassungen sind die Planungsgrundlage für Lehrwerksau-
in unterschiedlichen Gremien wie Lehrerver- tor/innen, da Lehrwerke in ihren thematischen
bänden, Elternverbänden und Gewerkschaften und/oder konzeptuellen Entscheidungen mit
vorzustellen. Die Gremien erhalten die Mög- den Vorgaben des L.s übereinstimmen müssen,
lichkeit zur Stellungnahme, bevor die Lehrpläne um überhaupt als Schullehrwerke in einem
veröffentlicht werden. Da Lehrpläne das Ergeb- Bundesland eingeführt werden zu können. Hier
nis von (bildungs-)politischen, pädagogischen setzen die Schulbuchverlage an und erstellen
und fachdidaktischen Entwicklungen sind, er- auf Basis des L.s einen Stoffverteilungsplan, mit
zeugen dieselben nicht nur in der Phase ihrer dessen Hilfe dann vorgabenkonforme und adres-
Implementierung Diskussionen um ihre Kon- satengerechte Lehrwerke entwickelt werden.
zeption und ihre Implikationen für den FU. Auf Grundlage der Lehrwerke erstellen die ein-
Gegenstand von kontroversen Diskussionen zelnen Fachgruppen schulinterne und fachgrup-
können z. B. die übergeordneten Zielsetzungen penspezifische Stoffverteilungspläne, mit denen
von schulischem FU wie fremdsprachliche wiederum die einzelnen Lehrkräfte zu arbeiten
Handlungskompetenz oder die Bildungsfunk- haben, die dann ihrerseits einen lerngruppenbe-
tion von FU sein. zogenen Arbeitsplan erstellen.
Lehrpläne sind Steuerungsmittel von FU. Sie Der institutionell gebundene FU verfügte
sollen zu Transparenz und Vergleichbarkeit von nicht immer über Lehrpläne. Im Mittelalter war
Unterrichtsprozessen und Unterrichtszielen die Kirche mit Bildungsfragen betraut, dies än-
führen. Die Umsetzung von Lehrplänen erfolgt derte sich in Deutschland aber mit Beginn des
auf drei interdependenten Ebenen, nämlich auf 19. Jh.s, als das Schulwesen unter staatliche
der Ebene der L.entwicklung, der L.vermittlung Aufsicht gestellt wurde. Bis ins 19. Jh. war der
und der Schularbeit. Die L.arbeit durchläuft FU primär Privatunterricht, dann hielten die
fünf Stadien: Grundsatzarbeit über die politi- modernen Fremdsprachen Einzug in die Schu-
201 Lehrplan

len, im frühen 19. Jh. erst in Bürger- und Real- Ein Schwerpunkt wurde auf den Erwerb von
schulen und bereits ebenfalls in der ersten Sprachmitteln zur Bewältigung verschiedener
Hälfte des 19. Jh.s dann in die Gymnasien, die kommunikativer Situationen gelegt. Eine syste-
bis dato durch die alten Fremdsprachen domi- matische Verzahnung von kommunikativen In-
niert wurden. Die modernen Fremdsprachen tentionen und den hierfür relevanten sprachli-
wurden in diesem Zuge in den Kanon und da- chen Mitteln musste von den Lehrplänen be-
mit in die Lehrpläne der höheren Schulen auf- reitgestellt werden. Kategorien kommunikativer
genommen. Im Jahr 1837 wurde das ä Französi- Funktion waren hier z. B. ›jemanden einladen‹
sche in den L. der preußischen Gymnasien auf- oder ›sich entschuldigen‹. Die Lehrpläne erfuh-
genommen, 1901 wurde das ä Englische als ren durch Aufgabenbeispiele eine schwerpunkt-
Prüfungsfach an Gymnasien anerkannt. Erste mäßige Aufgabenorientierung (ä Aufgabenori-
Lehrpläne nach unserem heutigen Verständnis entiertes Lernen), richteten sich stärker auf den
wurden in den 1920er Jahren veröffentlicht. Prozess des Fremdsprachenlernens und zahlrei-
Hierbei spielte Hans Richert mit seiner Mono- che ä Übungen für kommunikative ›Ernstfälle‹.
graphie Die deutsche Bildungseinheit und die In diesem Kontext ist besonders die Arbeit The
höhere Schule (1920) eine herausragende Rolle. Threshold Level zu notionalen/funktionalen
Auf Grundlage dieser Monographie erstellte Curricula von Jan Ate van Ek (1975) zu nen-
das preußische Ministerium die nach Richert nen, in der der Autor die Bedürfnisse der Ziel-
benannten »Richtlinien für die Lehrpläne der gruppe, die für sie relevanten Situationen, die
höheren Schulen Preußens«. Diese originär benötigten Fertigkeiten, die Sprachfunktionen,
preußischen Richtlinien wurden fast ausnahms- die themenrelevanten Wortschätze, allgemeine
los in allen Ländern des Deutschen Reiches Begriffe zum Ausdruck von Ort und Zeit (gene-
übernommen und waren nach 1945 noch aner- ral notions) und konkrete sprachliche Struktu-
kannt. Bis in die 1960er Jahre handelte es sich ren miteinander verknüpft. Als die Kultusmi-
bei den fremdsprachlichen Lehrplänen dann nisterkonferenz 1997 beschloss, an der ä PISA-
eher um Handlungsanweisungen für Lehrende Studie teilzunehmen, folgte man in Deutschland
als um wissenschaftlich begründete Curricula. in der Bildungspolitik seinerzeit mit den gülti-
In den 1960er Jahren kam es zu einem beson- gen Lehrplänen dem Konzept der Inputorien-
deren Interesse an L.erstellungen, die auf einer tierung. Bei der Inputorientierung von Lehrplä-
Curriculumstheorie basieren sollte. So stand nen werden Inhalte und Unterrichtsverfahren
die wissenschaftliche Legitimation für unter- vorgegeben. Die Steuerungskraft liegt dabei
richtliche Inhalte bei der Konzeption von Lehr- eher auf Seiten der Lehrenden (ä Lehrerzentrie-
plänen im Zentrum des Interesses. Diese Lehr- rung), die entscheiden müssen, in welchen Pha-
pläne basierten auf den staatlichen Vorgaben sen des Unterrichts sie bestimmte Inhalte
zum Lernen, sie bestimmten Inhalte und Ziele durchnehmen. Inputorientierte Lehrpläne wer-
des Unterrichts und machten Aussagen zur den Altersstufen und der jeweiligen Lernpro-
Medien- und Methodennutzung. gression zugewiesen und folgen einem eher
Die jeweilige Lehrmethode des modernen traditionellen Grammatikprogressionsmodell,
FUs stand und steht in Abhängigkeit zu den wobei auch hier kommunikative Prinzipien
Zielen des FUs, somit spiegeln die Lehrpläne in zum Tragen kommen. Die Vermittlung sprach-
ihrer Terminologie sowie den gewählten Inhal- licher Mittel wird thematisch eingebunden, so
ten und Zielsetzungen von FU die didaktisch- dass diese Sprachmittel trotz Themenfokussie-
methodischen Maximen einer Zeit wider. Bevor rung den relevanten Teil der ä Progression dar-
sich in den 1970er Jahren im FU die kommuni- stellen. Bis in die 1970er Jahre erfolgte die
kative Didaktik durchsetzte (ä Kommunikativer Aufnahme von Sprachmitteln in produktorien-
FU), gaben Lehrpläne wieder, wie formales, tierte Lehrpläne aufgrund linguistischer For-
sprachliches Wissen von SuS zu erwerben war. schungen. Die Kriterien für die Auswahl waren
Als immer deutlicher wurde, dass sich die Schwierigkeitsgrad, Lern- und Lehrbarkeit und
Schülerschaft mit diesem Wissen und der Über- die angenommene Häufigkeit der Verwendung.
betonung von sprachlichen Strukturen im Diese Listen wurden später durch Listen mit
Unterricht außerhalb des Klassenraums nicht Alltagssituationen ergänzt. Allmählich wurden
fremdsprachlich kompetent zeigte, wurden die diese Lehrpläne in den letzten beiden Jahrzehn-
Lehrpläne zugunsten der Ausbildung einer ten des 20. Jh.s auf Grundlagen neuerer Theo-
ä kommunikativen Kompetenz überarbeitet. rien zum ä Spracherwerb und zum ä autonomen
Lehrplan 202

Lernen durch einen lernerorientierten Ansatz geschritten. Nach Etablierung von GeR und
ergänzt (ä Lernerorientierung). So betrachtete Bildungsstandards mit ihren bundeslandspezifi-
man bei der Erstellung von Lehrplänen die an- schen und konkretisierenden Lehrplänen ist
genommenen Bedürfnisse der jeweiligen Ler- festzustellen, dass es zu einem Wechsel in der
nenden, beschäftigte sich primär mit schülerre- Konzeption von Lehrplänen gekommen ist. Der
levanten Themen und konzentrierte sich auf die Ansatz der skizzierten Reform ist es, schulisches
Ausbildung der vier ä Fertigkeiten Hören, Spre- Lernen dahingehend zu optimieren, dass sich
chen, Lesen und Schreiben. Hieraus ergaben der kompetenzorientierte FU primär den funk-
sich Implikationen für die Vermittlung von tionalen kommunikativen Kompetenzen, den
ä Wortschatz und ä Grammatik. Eine Weiter- ä interkulturellen kommunikativen Kompeten-
entwicklung und Modifikation der bestehenden zen und den Methodenkompetenzen widmet.
Lehrpläne schlug sich in den prozessorientier- Die Niveaustufen, die die SuS in diesen Kompe-
ten Lehrplänen nieder, die einer aufgabenorien- tenzbereichen zu erwerben und als Output zu
tierten und lernerzentrierten Ausrichtung folg- demonstrieren haben, werden bestimmten
ten. Insgesamt gab es durch die Länderhoheit Jahrgangsstufen zugewiesen. Die Kopplung von
in Bildungsfragen eine Vielzahl von Vorgaben- Jahrgangsstufen an bestimmte Kompetenzni-
katalogen, die zu bundeslandspezifischen Vor- veaus entspricht einer Standardisierung von
gehensweisen, allerdings nicht zur bundeswei- FU, die sich auch in den geltenden Lehrplänen
ten oder gar europäischen Vereinheitlichung zeigt.
führten. Unter dem Begriff ›heimlicher L.‹ versteht
Das deutsche Bildungssystem hat sowohl im man, was an Schulen tatsächlich und auch nicht-
schulischen wie auch im universitären Bereich intentional gelehrt und gelernt wird im Gegen-
seit Beginn des 21. Jh.s im Zuge des ›PISA- satz zu dem, was vom L. ausgewiesen wird. Das
Schocks‹ einen Reformprozess erlebt, der sich Attribut ›heimlich‹ bezieht sich darauf, dass die
durch die Schlagwörter Outputorientierung, ä Lernziele nicht ausgesprochen oder explizit
Standardisierung und Kompetenzorientierung ausgewiesen werden. Als Beispiel sind hier sozi-
charakterisieren lässt. Mithilfe der neuen Lehr- ale Lernerfahrungen von SuS zu nennen wie
pläne intendiert die Bildungspolitik Objektivi- das Lernen in größeren Gruppen oder das Ver-
tät, Gerechtigkeit und Chancengleichheit für halten in einer Institution wie der Schule.
die im Fokus stehenden Fremdsprachenlerner/- Bei der L.forschung werden Ziele, Inhalte
innen zu realisieren und damit eine Qualitäts- und Verfahren von Unterricht systematisch
und Leistungssteigerung des Bildungssystems ausgearbeitet. Da die Entscheidungsfelder von
zu gewährleisten (ä Qualität). Die genannten Unterricht komplex und interdependent sind,
Grundcharakteristika der Reform haben Aus- ist bisher nicht von der Lehr-/Lernforschung
wirkungen auf die Lehr- und Lernprozesse in eindeutig zu beantworten, welchen Einfluss auf
den jeweiligen Institutionen und damit auch Unterricht Lehrpläne direkt oder indirekt wirk-
auf die Lehrpläne. Das Basisdokument dieser lich haben. L.forschung und L.arbeit können
Entwicklung ist im Bereich der Fremdsprachen auf makropolitischer, also internationaler
der europaweit anerkannte GeR mit seinen Re- Ebene erfolgen und betreffen Dokumente, die
ferenzniveaus. Auf seiner Grundlage entstanden z. B. vom Europarat publiziert werden. Die mi-
die Bildungsstandards für die erste Fremdspra- kropolitische Ebene meint politische Steue-
che (Englisch/Französisch) für den Mittleren rungsmechanismen auf Bundesebene (Kultus-
Schulabschluss (2003) und die Bildungsstan- ministerkonferenz). Zusammenfassend ist fest-
dards für die erste Fremdsprache (Englisch/ zustellen, dass die Funktion und Relevanz von
Französisch) für den Hauptschulabschluss Lehrplänen für die Effektivität von FU, seine
(2004). Alle Bundesländer implementierten ab Ziele und seine Methoden immens ist. Lehr-
dem Schuljahr 2004/05 die jeweiligen Bildungs- pläne geben die Charakteristika des jeweiligen
standards. Auf dieser Grundlage waren die Verständnisses von Bildung wieder und stehen
Bundesländer außerdem zeitgleich dazu ange- somit in (bildungs-)politischen, pädagogischen
halten, schulformspezifische Lehrpläne zu den und fachdidaktischen Diskussionen zur Revi-
Bildungsstandards für den Sekundarbereich I sion.
zu entwickeln. Mit der Erstellung und Einfüh- Lit.: K.-R. Bausch et al. (Hg.): Forschungsgegenstand
rung dieser neuen Lehrpläne sind die einzelnen Richtlinien. Arbeitspapiere der 5. Frühjahrskonferenz
Bundesländer heute unterschiedlich weit fort- zur Erforschung des FUs. Tüb. 1985. – C. Finkbeiner:
203 Lehr- und Lernort

L., Lehrwerke, Stoffverteilungsplan, Unterricht. In: chen Rollen und mit unterschiedlichen Aufga-
J.-P. Timm (Hg.): Englisch lernen und lehren. Didaktik ben den L.L. zu gestalten. Klassenzimmer re-
des Englischunterrichts. Bln 1998, 36–44. –
präsentieren deshalb eine gemeinsam gestaltete
W.  Hallet/F. Königs: Lehrpläne und Curricula. In:
Dies. (Hg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. ›Kultur‹: »What someone learns in a language
Seelze 22013 [2010, 54–58. – W. Hüllen: Kleine Ge- class will be a dynamic synthesis of individual
schichte des Fremdsprachenlernens. Bln 2005. – and collective experience. Individual definitions
E. Klieme: Zur Entwicklung nationaler Bildungsstan- of the new language, of what is to be attended
dards. Bonn 2003. – F. G. Königs: Normenaspekte im to as worth learning, of how to learn, and per-
FU. Ein konzeptorientierter Beitrag zur Erforschung
des FUs. Tüb. 1983. – J. A. van Ek: The Threshold Le- sonal definitions of progress will all interact
vel. Strasbourg 21990 [1975. – G. Ziener: Bildungs- with the particular classroom culture’s defini-
standards in der Praxis. Kompetenzorientiert unter- tions of each of these things. [… The language
richten. Seelze 22008 [2006. NSF I learn in a classroom is a communal product
derived through a jointly constructed process«
(Breen 1985, 148 f.). Diese Kultur des zentralen
Lehr- und Lernort. Zentraler L.L. des FUs ist das L.L.s ist nicht nur von räumlichen Dimensio-
Klassenzimmer, das durch eine Reihe weiterer nen bestimmt (dem geographischen Ort, dem
Lernorte (z. B. die Schulbibliothek, den Arbeits- Gebäude, von Baumaterialien und architekto-
platz zu Hause) ergänzt und qualitativ erweitert nischen Arrangements), sondern zugleich durch
wird (z. B. durch den Theater- oder Kinobesuch, institutionelle Entscheidungen und Vorgaben,
die Klassenfahrt zur Partnerschule, die Exkur- die auf gesellschaftliche Zusammenhänge ver-
sion zum internationalen Flughafen). Didak- weisen: auf bildungs- und finanzpolitische Prio-
tisch von Interesse ist der Grad systematischer ritätssetzungen sowie pädagogische Wertvor-
Verknüpfung des Klassenzimmers als Kernzone stellungen. Sie beeinflussen nicht unerheblich
mit anderen L.L.en. Von Bedeutung ist nicht die Nutzung des L.L.s und das Lernklima, das
nur, welche ä Kompetenzen an den L.L.en be- in ihm geschaffen werden kann.
sonders gefördert bzw. zusätzlich erworben Die Neubestimmung des L.L.s im Zuge der
werden können, sondern mit welchen Metho- kommunikativen Wende war von zwei zentra-
den (etwa der Vor- und Nachbereitung) und len Bemühungen getragen, deren Ergebnisse die
durch welche ä Sozialformen ihr Potenzial opti- ä Fremdsprachendidaktik und die Unterrichts-
mal zu nutzen ist. Jeder Unterrichtsmethode praxis nachhaltig beeinflusst haben. Um den
liegen implizite und explizite Vorstellungen Gebrauch der Fremdsprache in der Gegenwart
über den L.L. zugrunde. Annahmen werden ge- des Klassenzimmers zu ermöglichen, war es ein
macht, wie er zu gestalten ist, wer dafür Verant- konsequenter Schritt, dessen räumliche Gren-
wortung trägt und wie die dort Handelnden an zen zu überschreiten und es mit Orten zu ver-
der Nutzung und Gestaltung beteiligt sind. Das knüpfen, an denen die Zielsprache als Kommu-
Klassenzimmer als L.L. ist deshalb mehr als nikationsmedium genutzt wird. Damit Lernende
eine räumliche Gegebenheit in einem Gebäude die Möglichkeit erhielten, ihre fremdsprachli-
(vgl. Grau/Legutke 2013). chen Möglichkeiten in Situationen des ›Ernst-
Mit der kommunikativen Wende der 1970er falls‹ zu erproben, wurden Erkundungen von
Jahre (ä Kommunikativer FU) beginnt eine zielsprachigen Handlungsfeldern in der erreich-
Neubestimmung des L.L.s, die auf der An- baren Umgebung (Flughäfen, Bahnhöfe, inter-
nahme beruht, dass Lernende in der Zielspra- nationale Hotels, Jugendherbergen), die syste-
che nur dann handlungsfähig werden (ä Hand- matische Aufnahme von ä Korrespondenzen
lungskompetenz), wenn sie im Hier und Jetzt (Brief, Kassetten- und Videobrief) sowie die In-
des Klassenzimmers entsprechende Erfahrun- tegration von Partnerschaften und Austausch-
gen gemacht, sich selbst als (in Wort und programmen in den FU vorgeschlagen (vgl.
Schrift) sprachlich Handelnde erfahren haben. Edelhoff/Liebau 1988). Neben der Öffnung
Damit rücken nicht nur die Inhalte, über die es nach draußen galt der Gestaltung des zentralen
sich am L.L. zu kommunizieren lohnt, und die L.L.s als Raum für ä Kommunikation beson-
Formen, in denen das geschehen soll (vgl. Le- dere Aufmerksamkeit. Es galt nicht nur, an-
gutke 2015), ins Blickfeld, sondern das gesamte gemessene Themen und Texte auszuwählen,
Sozialgefüge, durch das Lehrende und Lernende sondern v. a. Unterrichtsformen zur Förderung
dynamische Beziehungen eingehen. Alle Betei- und Entfaltung kommunikativen Sprachge-
ligten können gar nicht umhin, in unterschiedli- brauchs zu entwickeln. Ins Zentrum der Auf-
Lehr- und Lernort 204

merksamkeit rückten ä Übungen, Aufgaben gibt. Dieses benötigt einen Spielraum, der von
(ä Aufgabenorientiertes Lernen), Projekte (ä Pro- allen Beteiligten zugleich hergestellt und ge-
jektunterricht) und Szenarien, deren Formen nutzt wird. Lernende erproben die Reichweite
und Funktionen bis heute die Diskussion um ihres sprachlichen und performativen Könnens
Konzepte und Methoden eines handlungsorien- (ä Performative Kompetenz). Besondere Merk-
tierten FUs bestimmen (ä Handlungsorientie- male sind der Variantenreichtum der Insze-
rung). nierungsangebote (ä Inszenierung, ä Simulation
Nach dem gegenwärtigen Stand fachdidakti- Globale) sowie die zugehörigen Hilfen und
scher Diskussion sind acht Metaphern geeignet, Unterstützungssysteme sprachlicher und nicht-
die Facetten des zentralen L.L.s und die ihnen sprachlicher Art (ä Scaffolding). (4) Weil Ler-
zugeordneten Merkmale genauer zu fassen. nende zum rezeptiven und produktiven Um-
Letztere sind im Unterrichtsgeschehen eng mit- gang mit einer Vielzahl fremdsprachlicher
einander vernetzt und machen in ihrer Vernet- Textsorten befähigt werden sollen, kann der
zung die Komplexität des Handlungsraums aus L.L. zu Recht als Textatelier bezeichnet wer-
(vgl. Grau/Legutke 2013). Für alle Facetten gilt den. Merkmal dieser Facette ist das dynamische
sowohl ein Primat angemessener und relevan- Verhältnis von Texten der Zielkulturen und
ter Inhalte als auch eine adäquate methodische Lernertexten (ä Intertextualität und Intermedia-
Steuerung. Schließlich übernehmen analoge lität). Letztere sind nicht ausschließlich für die
und digitale ä Medien jeweils unterschiedliche ä Leistungsbewertung durch die Lehrkraft pro-
Funktionen in der Ausgestaltung des L.L.s (ä E- duziert, sondern werden als Sinnentwürfe im
Learning): (1) Als Trainingsplatz stellt der L.L. fremden Code ernstgenommen. Sie sind trotz
die materiellen und prozeduralen Bedingungen unvermeidlicher textueller Unzulänglichkeiten
bereit, die erfolgreiches und ausdauerndes Beiträge zum Prozess des Verstehens und Ler-
Üben möglich machen. Dieses umfasst einfache nens, Mitteilungen für andere (vgl. Legutke
und komplexe sprachliche ä Fertigkeiten ge- 2009). (5) Der L.L. als Fenster zur Welt hat das
nauso wie das Üben von ä Präsentationen, das Potenzial, zum Begegnungsraum zu werden,
Nutzen von Hilfsmitteln und Medien. Beson- wenn bereits in Phasen ä frühen FUs die Fähig-
dere Merkmale sind die Varianz der Übungs- keit zum ä Fremdverstehen angebahnt und mit
formen und ihre ä Qualität, die darin besteht, fortschreitender Sprachkompetenz und erwei-
den Leistungswillen der Lernenden anzuspor- tertem Weltwissen der Lernenden die Chance
nen. (2) Der L.L. gleicht ferner einem Kommu- zur systematischen Förderung von ä interkultu-
nikationszentrum, in dem die SuS die Möglich- reller kommunikativer Kompetenz genutzt
keit erhalten, als sie selbst zu Wort zu kommen wird. Kennzeichnend für diesen Raum sind die
und andere zu verstehen bzw. sich ihnen ver- Themen und Texte, die besonders geeignet sind,
ständlich zu machen. Sie lassen sich dabei so- Prozesse des Fremdverstehens zu fördern, sowie
wohl auf Interaktionen mit Mitgliedern der Verfahren, die zur Perspektivenübernahme an-
Lerngruppe als auch auf Sprecher/innen der leiten (ä Perspektive und Perspektivenwechsel)
Zielsprache ein, mit denen sie über unterschied- und zur kritisch-abwägenden Stellungnahme
liche Kommunikationsmedien Kontakt unter- verhelfen. Eine Schlüsselrolle kommt den direk-
halten (Web 2.0, social media). Besonderes ten und medial vermittelten Begegnungen mit
Merkmal sind hier die Vielzahl und Qualität Sprechenden der Zielsprache zu. (6) Der L.L.
der Anlässe zur Kommunikation, zu denen ist auch Forschungscenter, da Lernende perma-
auch der Lernprozess selbst, seine Planung, nent herausgefordert sind, einen fremden Code
seine Verläufe und Ergebnisse sowie die Bezie- zu entziffern, während sie Texten begegnen,
hungen der Mitglieder der Lerngruppe zuein- und da sie zugleich fremde Denk-, Handlungs-
ander gehören (ä Unterrichtsinteraktion). (3) und Lebensweisen entschlüsseln und verstehen
Der L.L. gleicht einer Bühne und erscheint in müssen, wenn sie an Diskursen im fremden
dieser Facette als eine aus vielen Minisituatio- Code teilhaben wollen (ä Diskursfähigkeit). Die
nen zusammengesetzte Simulation. Denn der forschenden Tätigkeiten der Einzelnen wie der
Gebrauch des fremden Codes beruht auf der Gruppen in diesem Raum richten sich sowohl
Vereinbarung des So-tun-als-ob, die zwar die auf die Sprache selbst, ihre Regularitäten und
konstitutive Künstlichkeit der Kommunikati- Anwendungsformen als auch auf die kulturel-
onssituation nicht aufhebt, ihr jedoch den len Inhalte und Zusammenhänge. In dieser
Charakter des gemeinsam gestalteten Spiels Funktion trägt der L.L. wesentlich zum Aufbau
205 Lehr- und Lernort

sprachlichen und kulturellen ä Wissens bei. (7) kieren jedoch zugleich die Herausforderungen,
Ferner ist der L.L. der Ort, an dem das Lernen denen sich zukünftige Forschungen und Pra-
von fremden Sprachen gelernt wird, und gleicht xisprojekte stellen müssen (vgl. Burwitz-Melzer
deshalb einer Lernwerkstatt. Die SuS werden et al. 2015): (1) Die erfolgreiche Gestaltung der
sich ihrer ä Lernstrategien bewusst (ä Bewusst- dynamischen Kultur des L.L.s in seinen Facet-
heit/Bewusstmachung), verfeinern und erwei- ten und mit seinen Vernetzungen hängt ent-
tern diese. Sie vergewissern sich mit Unterstüt- scheidend von den didaktischen Kompetenzen
zung der Lehrkraft und ihrer Mitlernenden der der Lehrkräfte ab. Diese müssen nicht nur über
Lernfortschritte und versuchen, selbständig ein hohes Maß curricularer Flexibilität und ein
Lernprobleme zu lösen. (8) Schließlich bleibt großes Arsenal von Lernaufgaben und Übungen
der L.L. auch klassischer Lehrraum für die Wis- verfügen, die helfen, unterschiedliche Hand-
sensvermittlung durch ä Instruktion. An einem lungsräume herzustellen und zu nutzen. Sie
so konzeptualisierten L.L. schließen sich Vor- müssen auch und gerade Steuerungskompeten-
stellungen von Öffnung und Steuerung keines- zen erworben haben, die es ihnen möglich ma-
falls aus, koexistieren Phasen ä autonomen chen, produktive Lerngruppen entstehen und
Lernens mit solchen, die von der Lehrperson sich entwickeln zu lassen. Schließlich ist die
initiiert und gesteuert werden (ä Lehrerzentrie- Herstellung des Lernraums und seines Lernkli-
rung). Formen klassischen Wissenstransfers mas eine kooperative Aufgabe, die ohne die
durch Lehrervortrag oder Präsentationen von aktive Mitarbeit der Lernenden zum Scheitern
SuS ergänzen explorative Gruppenarbeit verurteilt ist (vgl. Dörnyei 2007). Die ä Lehrer-
(ä Entdeckendes Lernen). Eine entscheidende bildung ist hier gefordert. (2) Ferner sind insti-
Herausforderung besteht in der für die Ent- tutionelle und schulpolitische Entscheidungen
wicklung ä kommunikativer Kompetenz ange- notwendig. Während Fachräume für die Natur-
messenen Verknüpfung der Facetten sowohl im wissenschaften in schulischen Kontexten als
Handlungsgeschehen am zentralen L.L., dem selbstverständlich gelten, fehlen solche weitge-
Klassenzimmer, wie zwischen letzterem und hend für die Fremdsprachen. Der zentrale L.L.
den außerschulischen Lernorten und Erfah- braucht nicht nur eine angemessene Ausstat-
rungsräumen (vgl. Gehring/Stinshoff 2010; tung mit digitalen Medien, sondern auch Raum
Nunan/Richards 2015; Rymarczyk 2013). für Gruppenarbeit, Zugang zur Bibliothek und
Besonders die Forschungen zum Arbeitsfeld Hilfsmitteln (Lexika, Grammatiken, Übungs-
Begegnung durch Klassenfahrten und Aus- büchern), Platz für Präsentationen und kreati-
tauschprogramme (ä Begegnung und Begeg- ven Ausdruck (vgl. Legutke/Müller-Hartmann
nungssituationen) zeigen das große Potenzial 2000). Die etablierten Lernräume vieler Institu-
außerschulischer L.L.e und markieren zugleich tionen sind oft nur schwer so zu verändern,
die Herausforderungen für die Zukunft (vgl. dass eine produktive Lernkultur entsteht. (3)
Grau et al. 2003; Thomas et al. 2007). Obwohl Schließlich darf die jeweilige Institution und die
diese L.L.e erheblich an Bedeutung gewonnen einzelne Lehrkraft nicht aus der Verantwortung
haben, sind die dort gewonnenen Erfahrungen entlassen werden. Auch unter schwierigen
und Lerngelegenheiten nur sehr unzureichend räumlichen Bedingungen ist nach Lösungen zu
mit dem Regelunterricht am zentralen L.L. ver- suchen, die die Realisierung eines voll entfalte-
netzt. Ihr Potenzial wird folglich nur unbefriedi- ten L.L.s möglich machen, der über die Kern-
gend genutzt. Dasselbe gilt für digital erschließ- zone des Klassenzimmers hinaus andere Erfah-
bare Erfahrungsräume, die nur in Ansätzen zur rungsräume konsequent nutzt. Erst wenn die
qualitativen Erweiterung des zentralen L.L.s ge- einzelnen fremdsprachlichen Fachgruppen ihre
nutzt werden, obwohl einschlägige Berichte und Fachgrenzen überschreiten und sich um ein ge-
Feldstudien zeigen, welche Möglichkeiten diese meinsames Sprachenkonzept bemühen, dessen
neuen Lernräume nicht nur für den fortgeschrit- Realisierung angemessen ausgestattete L.L.e
tenen FU bieten (vgl. Rau 2009; Schmidt 2009). voraussetzt und die konsequente und systema-
Solche und andere Praxisberichte und Fall- tische Einbindung außerschulischer und digita-
studien aus unterschiedlichen Kontexten mit ler Lernräume berücksichtigt, kann es gelingen,
unterschiedlichen Lerngruppen verdeutlichen die kritischen Einsichten der umfassend doku-
die Bedeutung des L.L.s für die Entwicklung mentierten Einzelfälle für die Ausbildung mehr-
interkultureller kommunikativer Kompetenz sprachiger Lernender (ä Mehrsprachigkeit)
(vgl. Legutke 2013; Grau/Legutke 2013), mar- nutzbar zu machen.
Lehr- und Lernort 206

Lit.: M. Breen: The Social Context for Language Lear- niveau herrscht, was in heutiger Zeit frühestens
ning. A Neglected Situation? In: Studies in Second am Ende der Sekundarstufe I erreichbar wäre.
Language Acquisition 7 (1985), 135–158. – E. Bur-
L.e sind immer ›Kinder ihrer Zeit‹, in ihnen
witz-Melzer/F. Königs/C. Riemer (Hg.): Lernen an al-
len Orten? Die Rolle der Lernorte beim Lehren und spiegeln sich die didaktischen und methodi-
Lernen von Fremdsprachen. Tüb. 2015. – Z. Dörnyei: schen Ansätze der jeweiligen Epoche wider.
Creating a Motivating Classroom Environment. In: Heutzutage ist das L. ein multimedialer Ver-
J.  Cummings/C. Davison (Hg.): International Hand- bund verschiedenster Materialien, die SuS wie
book of English Language Teaching. Bd. 2. N.Y. 2007, auch Lehrkräften das Sprachenlernen erleich-
719–731. – Ch. Edelhoff/E. Liebau (Hg.): Über die
Grenze. Praktisches Lernen im fremdsprachlichen tern sollen. Im Zentrum der Printmedien steht
Unterricht. Weinheim/Basel 1988. – W. Gehring/ das Schülerbuch, das meistens ergänzt wird
E. Stinshoff (Hg.): Außerschulische Lernorte des FUs. durch ein Arbeitsbuch (Workbook, Cahier
Braunschweig 2010. – M. Grau/M. Biechele/A. Mül- d’activités usw.) und ein grammatisches Bei-
ler-Hartmann: Alte und neue Herausforderung. heft. Für die Lehrenden gibt es begleitend ein
Schülerbegegnung über Grenzen. In: Fremdsprache
Deutsch 29 (2003), 5–12. – M. Grau/M. Legutke:
Lehrer(hand)buch, einen digitalen Unterrichts-
Vernetzte Lernorte. Englisch im Klassenzimmer und in assistenten und Folien für den Overhead-Pro-
der Lebenswelt lernen. In: Der fremdsprachliche Un- jektor (diese haben die Wandbilder abgelöst).
terricht Englisch 47/123 (2013), 2–7. – M. Legutke: Weitere Übungsmaterialien (ä Übung) gibt es in
Lernwelt Klassenzimmer. Szenarien für einen hand- Hülle und Fülle. Beliebt sind Materialien für
lungsorientierten FU. In: G. Bach/J.-P. Timm (Hg.):
die Freiarbeit, zur Vorbereitung auf (kompeten-
Englischunterricht. Grundlagen und Methoden einer
handlungsorientierten Unterrichtspraxis. Tüb. 52013 zorientierte) ä Klassenarbeiten und außerschu-
[1989, 91–120. – M. Legutke: Lernertexte im hand- lische Sprachdiplome (ä Zertifikate) wie z. B.
lungsorientierten Englischunterricht. In: D. Abend- das französische DELF sowie Übungsmateria-
roth-Timmer et al. (Hg.): Handlungsorientierung im lien für den ›Nachmittagsmarkt‹ (die sog.
Fokus. Impulse und Perspektiven für den FU des Nachhilfe). Auditive Medien in Form von CDs
21.  Jh.s. FfM/Bln 2009, 203–216. – D. Nunan/
J.  Richards (Hg.): Language Learning Beyond the dienen dazu, Muttersprachler/innen und au-
Classroom. Cambridge 2015. – N. Rau: A Teddy Bear thentische Hördokumente in den Unterricht zu
Project. Ein Klassenkorrespondenzprojekt im FU der integrieren. An Bedeutung zugenommen haben
Grundschule. In: Forum Sprache 1 (2009), 88–108 das L. begleitende ä Lern- und Übungssoftware.
(www.hueber.de/forum-sprache). – J. Rymarczyk Und schließlich bieten alle Verlage im Internet
(Hg.): Foreign Language Learning Outside School.
FfM 2013. – T. Schmidt: Mündliche Lernertexte auf
neben Newslettern auch Downloads an, teils
der 2.0 Bühne. Mediale Inszenierungen im Englisch- gratis, teils kostenpflichtig, und zwar sowohl
unterricht am Beispiel eines Schulpodcast-Projekts. In: begleitend zu den L.en wie auch vom L. unab-
Forum Sprache 1 (2009), 24–43. – A.  Thomas/C. hängig (z. B. in Form eines Fachabonnements).
Chang/H. Apt: Erlebnisse, die verändern. Langzeitwir- Da L.e Teil eines Marktes sind, gelten auch für
kungen der Teilnahme an internationalen Jugendbegeg-
sie die üblichen Regeln: Die Nachfrage regelt
nungen. Göttingen 2007. ML
das Angebot, Einfallsreichtum ist gefordert,
und es besteht bei den Verlagen das Bestreben,
Lehrwerk. Das L. ist das zentrale Medium im der Konkurrenz im Kampf um Marktanteile
FU. Es hat eine lange Tradition: In der Nach- immer einen Schritt voraus zu sein. Einzige
folge von Comenius’ Orbis sensualium pictus verbindliche Richtlinien sind die Curricula auf
(1658) dienten Bildtafeln (ä Bilder) in Form von der Basis der Bildungsstandards.
Holzschnitten oder Kupferstichen dazu, über Die Vorteile eines L.-gestützten FUs liegen
Themen in der Fremdsprache zu sprechen. auf der Hand: Das L. bietet eine ›Geländer-
Relikte dieser Frühform einer bildgestützten funktion‹ für Unterrichtende und SuS, es sorgt
Semantisierung (ä Visualisierung) finden sich für die Umsetzung neuer didaktischer Ansätze
auch heute noch. Im 19. Jh. wurden vorrangig und garantiert die Vergleichbarkeit der Ab-
Lesebücher oder Lehrbücher nach der syn- schlüsse an verschiedenen Schulen und in ver-
thetischen ä Grammatik-Übersetzungs-Methode schiedenen Bildungsgängen. Für Lehrende ist
eingesetzt. Bei L.en dieser Methode steht die das L. v. a. auch ein Instrument der Arbeitser-
sprachliche Stoffvermittlung im Vordergrund; leichterung; außerdem schätzen sie die Syste-
der Lehr-Lern-Prozess wird der Lehrkraft matik der Stoffaufbereitung. Die Kritik an der
überlassen. Auffällig ist, dass in Fremdsprachen- Dominanz von L.en im FU kommt weniger aus
L.en um 1900 schon im Anfangsunterricht im den Schulen als aus den Hochschulen. An Vor-
rezeptiven Bereich ein enorm hohes Anspruchs- behalten werden überwiegend die folgenden
207 Lehrwerk

Kritikpunkte genannt: Das L. unterliegt einer Zu weiteren relevanten Entstehungsfaktoren


linearen Grammatikprogression (ä Progression), des L.s gehören die Rahmenvorgaben durch
die es so – quasi naturgegeben – in der Fremd- Schulministerien: die Stundentafeln (= Anzahl
sprache nicht gäbe. Es bilde nicht hinreichend der Wochenstunden für das jeweilige Fach), die
den realen, an Kommunikationssituationen Lehrgangsdauer und -struktur, die zu erzielen-
orientierten Sprachgebrauch ab. Dem ist entge- den Kompetenzen am Ende des Bildungsab-
genzuhalten, dass es sprachimmanente Struktu- schnitts sowie zentrale Abschlussprüfungen, auf
ren gibt, die aufeinander aufbauen. So ist es im die hingearbeitet werden muss (ä Zentralabitur).
Französischunterricht beispielsweise lernpsy- So gesehen ist das L. ein Vermittler zwischen
chologisch sinnvoll, das conditionnel présent Curriculum und Unterrichtsgestaltung. Wichtig
nach dem futur simple einzuführen, weil die sind darüber hinaus die Rahmenvorgaben durch
Formen aufeinander aufbauen. Außerdem be- die Verlage: Umfang und Ausstattung der L.e,
mühen sich die L.e seit Jahren, hochfrequente didaktische Ausrichtung, Produktpalette, Funk-
Redemittel und umgangssprachliche Struktu- tionen der einzelnen L.steile, Entwicklungszeit
ren möglichst früh einzuführen. Die ›Gemacht- und Erscheinungszeitpunkt nach marktwirt-
heit‹ eines L.s wird sich freilich nie leugnen las- schaftlichen Erwägungen. Auch die inhaltlichen
sen. Aus Schülersicht ist es schließlich wichtig, und methodischen Vorstellungen der Lehrbuch-
dass das L. ein selbständiges Nacharbeiten er- autor/innen und ihre Realisierbarkeit sind mit-
möglicht und zusätzliche Übungsangebote be- entscheidend. Ganz wichtig und offener als die
reitstellt (auch zur gezielten Vorbereitung auf durch die Lehrpläne vorgegebene Grammatik-
eine Klassenarbeit). Wahrnehmbar ist in den progression ist die Frage, welche landeskundlich
letzten Jahren die Tendenz, dass Begleitmateria- (ä Landeskunde) und interkulturell relevanten
lien zu L.en die Möglichkeit zur Selbstevaluation Inhalte und Stoffe vermittelt werden (ä Interkul-
bieten, z. B. in Form von ä Portfolio-Seiten. Diese turelles Lernen). All dies gilt es bei der Erstellung
Elemente orientieren sich an den Kompetenzbe- von L.en zu berücksichtigen.
schreibungen (ä Kompetenz), wie sie der ä Ge- Empfehlenswert ist ein mündiger Umgang
meinsame europäische Referenzrahmen und das mit dem Lehrbuch, der dieses nicht als ›seiten-
Europäische Portfolio der Sprachen im Bereich umblätterndes Medium‹ einsetzt, sondern als
der ä Fertigkeiten (Lesen, Hören, Sprechen, Sch- Sammlung von Unterrichtsbausteinen, der man
reiben, ä Sprachmittlung) festschreiben. folgen kann, die man aber auch in Abstimmung
L.e werden oft als ›heimlicher ä Lehrplan‹ auf die Lerngruppe durch geeignete Materialien
bezeichnet. Damit ist implizit der Stellenwert ergänzen bzw. ersetzen kann. Die Praxis zeigt,
des L.s gemeint, der denjenigen des Lehrplans dass ein lehrbuchunabhängiger FU wesentlich
als steuerndes Referenzwerk überträfe. Beob- zeitaufwändiger in der Unterrichtsvorbereitung
achtbar ist jedenfalls, dass viele Lehrkräfte das ist. ä Offener Unterricht kann durchaus mit ge-
L. genauer kennen als den Lehrplan. Ein Blick schlossenen, lehrbuchgesteuerten Unterrichts-
auf die Entstehungsbedingungen von L.en formen alternieren. Auch innerhalb der L.e ist
macht aber deutlich, dass die an den Schulen die Tendenz wahrnehmbar, SuS ein binnendiffe-
eingeführten L.e im föderalen System der Bun- renzierendes Angebot (ä Differenzierung) zu
desrepublik Deutschland einem ministeriellen machen (durch obligatorische und fakultative
Genehmigungsverfahren des jeweiligen Bun- Teile, durch Modularisierung, durch leichtere
deslandes unterliegen, das für die Kompatibili- und schwierigere Übungen) und ä autonomes
tät von Lehrplan und L. sorgt. Aus Sicht von Lernen zu fördern (vgl. Kraus/Nieweler 2014).
Verlagen wird mitunter das Auseinanderklaffen Der Einfluss der ä Lernstrategien z. B. ist deut-
der länderspezifischen Lehrpläne beklagt. Die- lich wahrnehmbar und nicht mehr wegzuden-
ses führt zu sog. Regionalausgaben eines L.s. ken: Die Inhaltsverzeichnisse aktueller Lehrbü-
Problematisch ist weiterhin, dass mit dem Be- cher weisen neben einer Spalte für kommunika-
ginn der Lehre der einzelnen Fremdsprachen zu tive und grammatische Inhalte den Bereich des
unterschiedlichen Zeitpunkten begonnen wird Methodenlernens in Form einer reflektierten
(z. B. ä Französisch als erste, zweite oder dritte Progression gesondert aus. Auch zukünftig ist
Fremdsprache, Sprachbeginn in Klasse 5, 6 damit zu rechnen, dass das gedruckte L. eine
oder 7 usw.) und dass divergierende Vorkennt- zentrale Stütze des FUs bleibt.
nisse aus dem Primarstufenbereich vorhanden Lit.: K.-R. Bausch/H. Christ/F. G. Königs (Hg.): Die
sind (ä Übergang). Erforschung von Lehr- und Lernmaterialien im Kon-
Lehrwerk 208

text des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Tüb. schung vertrauen, die gezielt die Zufriedenheit
1999. – R. Fery/V. Raddatz (Hg.): L.e und ihre Alter- ihrer Kundschaft mit Aspekten des Lehrbuch-
nativen. FfM 2000. – A. Kraus/A. Nieweler: Heteroge-
gebrauchs erfragt.
nität und individuelle Förderung. Ein Plädoyer für
mehr Mut! In: Der Fremdsprachliche Unterricht Untersucht wurden insbesondere die Frage
Französisch 128 (2014), 2–8. – A. Nieweler: Wie ent- nach national- bzw. kulturspezifischen Perspek-
stehen L.e? In: französisch heute 36/2 (2005), 124– tiven in Lehrwerken (Abendroth-Timmer 1998)
133. AnN sowie soziale Strukturkategorien und Normie-
rungen wie Geschlecht, Ethnie, soziale Her-
kunft und die Umsetzung von Egalität, Diffe-
Lehrwerkanalyse. Die L. ist eine »in erster Linie renz und Dekonstruktion (Fäcke 1999). Ge-
systematische, oft vergleichende, auch exem- nauer unter die Lupe genommen wurden die
plarisch angelegte Untersuchung eines oder Lehrwerktexte, und zwar sowohl die Lektions-
mehrerer Gegenstandsbereiche von Lehrwer- texte (als Instruktionstexte und Träger von
ken, Lehrwerkkritik [ist dagegen – weitgehend grammatischen, lexikalischen und landeskund-
gleichbedeutend mit Lehrwerkevaluation – als lichen Strukturen) wie auch die Bandbreite der
wissenschaftliche Beurteilung der vorgefunde- verschiedenen Textsorten, die in einem Lehr-
nen Sachverhalte« zu sehen (Michler 2005, 16). werk vertreten sind. Neben der Analyse von
Eine klare Differenzierung zwischen den Be- Lehrwerken wurde immer wieder die Frage der
reichen Forschung, Analyse und Kritik ist aber Notwendigkeit eines Lehrwerks diskutiert. Die
nicht immer möglich, weil in der Literatur Plädoyers für einen radikalen Verzicht auf das
deskriptive und normative Aspekte oftmals Lehrwerk sind dabei eher selten; ein moderater
Hand in Hand gehen. Der L. geht es ferner auch Umgang mit dem Lehrwerk wird dagegen des
darum, Rückschlüsse auf den Unterricht zu Öfteren gefordert. Die grundsätzlichen Befür-
ziehen und ggf. Vorschläge zu seiner Optimie- worter von Lehrwerken sehen in der Weiterent-
rung zu unterbreiten. Daher kommt ihr eine wicklung des Lehrbuchs über ein Lernbuch bis
wichtige Funktion im Rahmen der Unterrichts- gar hin zum ›Lernroman‹ mit einer durchge-
entwicklung zu. henden Storyline in allen Lektionen (ä Story-
Die präziseste Darstellung des Forschungs- line-Methode) eine Chance zur Neuorientie-
standes und der Grundlagen von L.n leistet rung. Auch der Einsatz moderner Technologien
Christine Michler (2005). Ihre Untersuchung hat bislang nicht dazu geführt, die Akzeptanz
bezieht sich auf ä Lehrwerke für den Franzö- des Lehrwerks als Grundlage des FUs in Frage
sischunterricht, jedoch sind die von ihr thema- zu stellen. Vielmehr ist die Tendenz erkennbar,
tisierten grundlegenden Forschungsfragen für neue ä Medien in Form von ä Lernsoftware in
alle Schulfremdsprachen relevant. Die For- die Lehrbucharbeit zu integrieren.
schung (vgl. Bausch et al. 1999; Michler 2005, An Kriterienkatalogen für die Beurteilung
13) interessiert sich v. a. für folgende Analyse- von Lehrwerken mangelt es nicht. Ein erster
aspekte: (1) grundlegende Fragen zu Inhalts-, Bereich betrifft die Konzeption des Lehrwerks:
Sach- und Adressatenbezug sowie die Notwen- transparenter Aufbau des Lehrwerks insgesamt
digkeit und die Funktionen von Lehrwerken, und der Binnenstruktur einer Lektion, Lern-
die Leistungen und Grenzen von Kriterienkata- gruppengerechtheit (Alter, ä Lernertypen), an-
logen zur Beurteilung von Lehrwerken, Wir- sprechende Themenwahl, motivierende Texte
kungsforschung und empirische Evaluation, und andere Medien, ä Lernstrategien. Beurtei-
Aspekte von Zulassung und Einführung; (2) lungskriterien beziehen sich ferner auf die Ver-
Einzelaspekte wie computergestützte Medien mittlung von ä Wortschatz und ä Grammatik,
und ihre Auswirkung auf die Konzeption von auf ä Landeskunde und ä interkulturelles Ler-
Lehrwerken, Lernerautonomie, landeskundli- nen, ä Hör- und ä Leseverstehen, mündliche und
che bzw. interkulturelle Inhalte, Lehrwerktexte, schriftliche Sprachproduktion (ä Sprechen,
die Rolle der Lehrwerkautor/innen, ä Übungen ä Schreiben) und auf ä Sprachmittlung. Ein wei-
und ä Progression. Veröffentlichungen zur L. terer Bereich bezieht sich auf die äußere Form
und Lehrwerkkritik hat es v. a. Ende der 1970er des Lehrwerks (ansprechendes Layout), seinen
und 1990er Jahre gegeben. Bedauerlich ist je- Umfang und auf ein akzeptables Preis-Leis-
doch, dass Schulbuchverlage nur ein begrenztes tungs-Verhältnis. Einen anderen Bereich könnte
Interesse an solchen Publikationen zeigen und man als ›Service-Teil‹ für SuS auffassen: An-
lieber auf die in Auftrag gegebene Marktfor- hang mit zweisprachiger Wortliste, lektionsbe-
209 Leistungsbewertung

gleitendem Vokabelteil mit zusätzlichen Lern- dien über fremdsprachliche Lehrwerke, speziell
hinweisen, Aufmerksammachen auf Fehler- zu solchen, die aufgrund ihrer weiten Verbrei-
quellen (ä Fehler) und Lernschwierigkeiten tung den Französischunterricht an deutschen
(z. B. im Anfangsunterricht vermittelt durch ein Gymnasien prägen, ist nicht zu leugnen.«
Maskottchen) sowie Hinweise zum ä autono- Lit.: D. Abendroth-Timmer: Der Blick auf das andere
men Lernen und zur Selbsteinschätzung. Und Land. Ein Vergleich der Perspektiven in Deutsch-,
auch die Bedürfnisse der Lehrkräfte gilt es zu Französisch- und Russischlehrwerken. Tüb. 1998. –
berücksichtigen: durch Hinweise zum Einsatz K.-R. Bausch/H. Christ/F. G. Königs (Hg.): Die Erfor-
schung von Lehr- und Lernmaterialien im Kontext des
des Lehrwerks im Unterricht, Möglichkeiten Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Tüb. 1999. –
der ä Differenzierung im Bereich von Übungen C. Fäcke: Egalität, Differenz, Dekonstruktion. Eine
und Texten, Zusatzmaterialien, Service durch inhaltskritische Analyse deutscher Französisch-Lehr-
Aktualisierungen (als Flyer oder als Online-Er- werke. Hbg 1999. – W. Kieweg: Lernprozessorientierte
gänzung auf der Homepage des Schulbuchver- Kriterien zur Erstellung und Evaluierung von Lehr-
werken für das Unterrichtsfach Englisch, dargestellt
lages). Ein zentraler Punkt für die Bewertung am Schülerbuch als Leitmedium. In: K. Vogel/W. Bör-
eines Lehrwerks ist in den Augen der Lehren- ner (Hg.): Lehrwerke im FU. Lernbezogene, interkul-
den die Frage, ob der Stoff in einem Schuljahr turelle und mediale Aspekte. Bochum 1999. 33–66. –
bewerkstelligt werden kann. Für die SuS wiede- C. Michler: Vier neuere Lehrwerke für den Franzö-
rum sind spannende (Lektions-)Texte und eine sischunterricht auf dem Gymnasium. Eine Fallstudie
mit Empfehlungen für zukünftige Lehrwerke. Augs-
verständliche Erläuterung der sprachlichen
burg 2005. AnN
Strukturen wesentliche Punkte der Bewertung.
Ein weit verbreitetes Missverständnis gilt es
aufzuklären: Wenn eine Neuauflage eines Lehr- Leistungsbewertung. Im Denken der Lehrer-
werks unter dem gleichen Titel oder einem schaft ist ä Leistungsermittlung eng mit Kon-
ähnlich klingenden von einem Verlag auf den zepten der L. verknüpft. Diese erfolgt im Regel-
Markt gebracht wird, so hat dieses zumeist fall durch Notenvergabe, mitunter auch zusätz-
nichts mehr mit dem Vorgängerlehrwerk zu lich (Grundschule) durch ein Worturteil.
tun; allenfalls werden bewährte Elemente (wie Einzelnoten können gewichtet in ein Gesamtur-
z. B. ä Lerntechniken und bestimmte Übungs- teil eingehen. In fast allen Schulsystemen der
formen) wieder aufgegriffen und adaptiert. Welt werden Noten im Rahmen eines Ziffern-
Über die Namensgebung eines Lehrwerks ent- systems vergeben, wobei meistens fünf Noten-
scheidet einzig der Verlag; Wiedererkennensef- stufen vorherrschen, aber auch Punktsysteme
fekte sind aus marktwirtschaftlichen Überle- vorkommen (etwa Abitur in Deutschland: 15
gungen erwünscht. Die Durchsetzung einer Punkte, Frankreich: 20 Punkte usw.). Das deut-
neuen Marke ist für die Verlage ein sehr kost- sche sechsstufige Ziffernsystem ist in mehrerer
spieliges Unterfangen. Wenn ein Lehrwerk sich Hinsicht kritikwürdig: Anders als Fünferskalen
etablieren konnte, so wird es ca. acht bis zehn (five-point-scales) besitzt es keine echte Mitte
Jahre lang am Markt angeboten, bevor ein (sie liegt bei 3,5); die Semantisierung der No-
neues erscheint. Die Tendenz geht allerdings tenstufen ist nicht stimmig (unterschiedliche
zur Verkürzung dieses Zeitraums. Forschungs- semantische Abstände zwischen den Bezeich-
desiderate im Bereich der L. sind primär die nungen); die klassische Grenzziehung zwischen
Entwicklung von Lehrwerken im Kontext ihrer ›bestanden‹ und ›nicht bestanden‹ (4,00 oder
Entstehungsbedingungen und prägender didak- 4,49) liegt allenfalls 0,99 Notenstufen von der
tischer Strömungen sowie die Wirkungsge- Mitte entfernt; ein ›Ausreichend‹ stellt sich mit
schichte von Lehrwerken im Bereich empiri- Blick auf das Leben meist als ›nicht ausrei-
scher Bildungsforschung. Hierzu wäre erfor- chend‹ heraus; die Note ›ungenügend‹ wird
derlich, Lehrwerke und ihre Nutzer (SuS und weniger oft vergeben als die Note ›sehr gut‹.
Lehrende) und die erzielten Lernfortschritte Der Umgang mit Notenziffern (Berechnung
quantitativ und qualitativ zu erfassen (ä Empi- mitunter bis auf die zweite Dezimale) suggeriert
rie, ä Forschungsmethoden und Forschungsin- einen Grad von Objektivität, der keineswegs
strumente). Michler (2005, 39) fasst dieses vorhanden ist, denn fast alle Komponenten
Desiderat für die Französischlehrwerke, die schulischer Leistungserhebung und L. bleiben
insgesamt weit besser erforscht sind als die bis zu einem gewissen Grad subjektiv: die Aus-
Englischlehrwerke, wie folgt zusammen: »Der wahl der Aufgaben, ihre Gewichtung, die Punkt-
Bedarf an systematischen und fundierten Stu- zuweisungen, die Interpretation der ä Fehler, die
Leistungsbewertung 210

Zuweisung der Notenstufen. Das ist dann nicht als leichte Fehler einzustufen. Anders dagegen
problematisch, wenn man schulische Leistungs- Verstöße im pragmatischen und interkulturel-
ermittlung als das sieht, was sie nur sein kann: len Bereich (deutsche Direktheit, fehlende Höf-
eine nichtvalidierte Form von Lernerfolgskon- lichkeit, Stilbrüche). Sie führen normalerweise
trolle auf der Basis der fachdidaktischen Exper- zu affektiven Reaktionen und sind damit
tise der Lehrkräfte. Den Qualitätsstandards schwere Fehler. Der kommunikative Ansatz
groß angelegter Lernstandserhebungen von au- (ä kommunikativer FU) schafft hier eine Umge-
ßen mit ihren komplexen Validierungsverfahren wichtung, die mit der aus dem Lateinunterricht
vermögen innerschulische Leistungsermittlung ererbten Sicht auf Sprachproduktion bricht:
und L. nicht zu genügen. Um die Pragmatik- und Kulturfehler hatte sich
Im Kontext des schulischen FUs erfolgte L. der FU in Deutschland nie oder nur ganz am
klassischerweise durch Fehlerzählen und Punkt- Rande gekümmert; die Problematik ergab sich
abzüge, wobei das System unterschiedliche im Lateinunterricht des 19. und 20. Jh.s auch
Grade der Schwere von Fehlern vorsieht (halbe nicht.
Fehler als Flüchtigkeitsfehler, ganze Fehler, Das Zählen von Fehlern als Gütekriterium
doppelte Fehler als grundlegende Regelver- setzt unabhängig von deren Interpretation Auf-
stöße, besonders im Bereich der Grammatik). gabenstellungen voraus, bei denen alle SuS
Die Einschätzung der Schwere von Fehlern war identische Texte produzieren, so wie das in
Interpretationssache der Lehrkraft, wobei jahr- Diktaten, discrete-point-Übungspaketen und
hundertealte Traditionen eine Rolle spielten: auch in C-Tests geschieht. Leistungserhebungen
Grammatikfehler werden noch heute gerne kommunikativer Natur führen aber gerade
pauschal als schwere Fehler gesehen, weil zu- nicht zu identischen Texten; die Schülertexte
mindest seit Humboldt die ä Grammatik als (gleich, ob mündlich oder schriftlich pro-
Rückgrat des schulischen FUs gilt und man ihr duziert) sind unterschiedlich lang, verschie-
einen besonderen Bildungswert (ä Bildung) zu- den  strukturiert, inhaltlich divergent. Daher
schreibt. Auch Fehler in der ä Orthographie muss auf alternative Formen der Begutachtung
werden mitunter als schwer eingestuft, weil in und Bewertung rekurriert werden. Es bieten
der deutschen Bildungstradition (späte Nation- sich sog. rating scales an, wie sie in den 1970er
werdung, Festlegung der deutschen Orthogra- Jahren in den USA entwickelt wurden und in
phie erst mit der Publikation des Duden 1880) ausgearbeiteter und validierter Form auch in
Verstöße in diesem Bereich als Zeichen man- den ä Gemeinsamen europäischen Referenzrah-
gelnder Bildung galten. men eingegangen sind. Rating scales definie-
Die klassische Sicht auf den Fehler ist sprach- ren Kompetenzniveaus bezogen auf Wissensbe-
systemorientiert; erst in den 1970er Jahren stände, Problembewusstheit, ä Fertigkeiten,
wandelt sich unter dem Einfluss der Angewand- Teilfertigkeiten oder Fertigkeitskombinationen.
ten Linguistik die Perspektive: Mit den Fehler- Sie benutzen dazu Deskriptoren. So kommen
kategorien slip, attempt, error und mistake (für den geschulten rater) eindeutig interpre-
steht ein Instrumentarium zur Verfügung, das tierbare Beschreibungen des an einem bestimm-
die Genesis des Fehlers in seine Bewertung ein- ten Punkt des Lernprozesses schon vorhande-
bezieht. Doch auch hier bleibt der schwere nen Wissens und Könnens der Sprachlernenden
Fehler (error) der Systemfehler. Er beruht auf zustande (can do-statements). Die Deskriptoren
der Nichtbeherrschung bereits im Unterricht sind so gewählt, dass Stufungen von Kompe-
vermittelter formaler Gegebenheiten der zu er- tenzstufe zu Kompetenzstufe sichtbar und
werbenden Sprache. Die Behandlung des at- nachvollziehbar sind. Der Ansatz ist stets posi-
tempt allerdings signalisiert den Beginn einer tiv (Was kann die oder der Lernende schon?)
neuen Ära: Als mutiger Versuch, Dinge auszu- und nicht, wie beim unkommunikativen Fehler-
drücken, die noch nicht formal korrekt aus- zählen, negativ (Was kann sie oder er noch
drückbar sind, wird diese Fehlerkategorie nicht nicht?). In einer Gesellschaft, die in allen Le-
mehr nur negativ eingestuft. Aus kommunikati- bensbereichen ein positives Herangehen an
ver Sicht sind Fehler nach ihrer Wirkung zu problemhafte Gegebenheiten als adäquat sieht
beurteilen. Da Grammatikfehler normalerweise und einfordert, ist dieser Perspektivwechsel von
zu kognitiven, nicht aber zu affektiven Reaktio- großer Bedeutung.
nen des Gegenübers führen, sind sie, solange Im Bereich schulischer Lernerfolgskontrollen
nicht gravierende Missverständnisse entstehen, bietet sich ein Verfahren an, bei dem die Lehr-
211 Leistungsermittlung

kräfte jene Leistungsbereiche isolieren, die sie alle alles können, erhalten alle die Note Eins –
evaluieren möchten (Frage: Welche Komponen- die Erfahrung lehrt, dass dies nicht der Fall sein
ten des Lernfortschritts meiner SuS möchte ich wird. Das gängige Herauf- und Herunterkorri-
überprüfen und warum?). Darauf basierend, gieren von Leistungserhebungen in der Schule
entscheiden sie sich für ein oder mehrere pas- mit dem Ziel einer Annäherung an Normalver-
sende Aufgabenformate (Frage: Überprüfen die teilungen stellt einen schwerwiegenden Verstoß
von mir gewählten Formate die gewünschten gegen die Grundlagen der Pädagogik und des
Komponenten und wie?). Sobald komplexe Testens dar (ä Tests).
kommunikative Abläufe in die Überprüfung Die fremdsprachlichen Fächer sind stets be-
einbezogen sind, müssen zusätzlich aufgaben- müht gewesen, über klare Korrekturregeln (be-
spezifische Beurteilungsskalen (rating scales) stimmte Kürzel für bestimmte Fehlertypen) die
entwickelt werden (Fragen: Welche Komponen- Bewertung von Leistungsnachweisen transpa-
ten spielen eine Rolle und wie gewichte ich sie? rent zu machen (ä Korrektur). Gleichzeitig sollen
Welche Kompetenz-Ebenen können auftreten?) die Angabe richtiger Lösungen (positives Korri-
Sie werden sich auch auf neue, weniger ge- gieren) und die erneute Befassung des oder der
wohnte Bereiche erstrecken: pragmatische Phä- Lernenden mit dem korrigierten Text (Anferti-
nomene, Kommunikationsstrategien, Adressa- gung einer Verbesserung) lernfördernd wirken.
tenbezug, kulturelle Angemessenheit. Für die Das Verfahren ist problematisch: Es impliziert
einzelnen zu überprüfenden Komponenten Korrekturzeiten, die etwa viermal so hoch liegen
werden Punktskalen (von eins bis fünf) nach wie jene Verfahren, die mittlerweile im Rahmen
dem Grundschema ›sehr wenig vorhanden‹ – von Lernstandserhebungen gängig sind (dop-
›wenig vorhanden‹ – ›im mittleren Maße vor- pelte Blindbegutachtung durch geschulte raters
handen‹ – ›reichlich vorhanden‹ – ›in hohem ohne Korrigieren). Gleichzeitig lehrt die Erfah-
Maße vorhanden‹ formuliert. Im Rahmen der rung, dass gerade schwächere SuS aus den (dann
Begutachtung werden dann für jede einzelne zahlreichen) Korrektur-Alternativen kaum etwas
Komponente Punktwerte ermittelt. Die Ge- lernen, weil Texte und Verfahren negativ besetzt
wichtung der Komponenten und die Verrech- sind und der oktroyierten Lernaufgabe somit je-
nung der Punktwerte ist Sache der Lehrkraft der Anreiz fehlt. Vor diesem Hintergrund stellt
auf der Basis pädagogischer Expertise. Wichtig sich die Frage, ob nicht auch die Korrekturver-
ist, dass sich die Lehrenden im Rahmen der fahren im FU einer grundsätzlichen Revision
skalenorientierten Begutachtung als Expert/in- unterzogen werden sollten.
nen begreifen, denen pädagogisch reflektierte Lit.: H. Bambach (Hg.): Prüfen und Beurteilen. Zwi-
Entscheidungen zuzutrauen sind – Entschei- schen Fördern und Zensieren. Friedrich Jahresheft.
dungen, die auch mit den Lernenden diskutiert Seelze 1996. – I. Behnken (Hg.): Leistung. Friedrich
werden können. Jahresheft. Seelze 1999. – S. Bolton: Probleme der
Leistungsmessung. Bln 1996. – U. Karbe (Hg.): The-
Schulische Lernerfolgskontrollen sind krite- menheft »Klassenarbeiten«. Praxis FU 5/4 (2008). –
rienorientiert, nicht normorientiert, auch wenn W.  Kieweg (Hg.): Themenheft »Klassenarbeiten und
implizite Erfahrungsnormen (Motto: »Ich weiß, Klausuren«. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch
was ich verlangen kann«) eine Rolle spielen. 133 (2015). KoSch
Die Leistungsnachweise dürfen nicht normori-
entiert bewertet werden. Die Gaußsche Glo-
ckenkurve als Bezugsnorm bei der Sichtung der Leistungsermittlung. Der Begriff steht für die
Ergebnisse einer Klassenarbeit ist indiskutabel, möglichst präzise Erhebung und Beschreibung
da in kleinen, ausgelesenen Gruppen, die dann von Lernerleistungen unabhängig davon, ob
auch noch eine schwer kalkulierbare ä Hetero- diese dann bewertet werden sollen oder nicht.
genität aufweisen, Normalverteilungen nicht L. erstreckt sich potenziell auf alle Zielsetzun-
vorkommen. Normalverteilt sind Intelligenz gen des Faches: auf die das Fach im Fächerka-
oder Schlafbedürfnis in der Gesamtbevölke- non legitimierenden Ziele (Erwerb einer Spra-
rung, nicht aber die fremdsprachlichen Lerner- che und ihrer Kulturen), auf die fächerübergrei-
folge bzw. Kenntnisse einer Schulklasse. Die fenden Ziele (etwa: literarisches Wissen und
Forderung nach Klassendurchschnitten bei 3,2 Können, Kenntnis kulturgeschichtlicher Hin-
ist durch nichts gerechtfertigt. Sie basiert auf tergründe, Einsicht in Sprache als System und
einem Missverständnis. Für kriterienorientierte Kommunikationsmittel, Einsicht in die Funk-
Lernerfolgskontrollen gilt als Leitsatz: Wenn tionalität von Sprachen, text- und medienori-
Leistungsermittlung 212

entiertes ä Wissen und Können, instrumentelle über hinaus lässt L. indirekte Schlüsse auf
ä Fertigkeiten) und auf die fachspezifisch mit zu den  lernbegleitenden Lehrerfolg zu. L. führt
vertretenden allgemeinen schulischen Zielset- nicht notwendigerweise zu einer formalisierten
zungen wie etwa die fachbezogene Entwicklung ä Leistungsbewertung, auch wenn die Bereiche
von Lern-, Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit, in der Schulpraxis eng verknüpft sind.
von Mündigkeit und Kritikfähigkeit. Ermittelt Der Katalog wünschenswerter fremdsprachli-
werden ä Kompetenzen, wobei Individuen, aber cher Leistungen, die ermittelt werden sollen, ist
auch Klassen, Jahrgangsstufen oder Schulfor- vom jeweiligen Zeitalter geprägt (ä Geschichte
men Untersuchungsgegenstand sein können. des FUs): Steht bis 1789 die kommunikative
Im Zentrum der L. stehen heute – gemäß der Teilhabe an der Konversationskultur der Frü-
Vorgabe von Bildungsstandards (ä Standards) hen Neuzeit im Vordergrund, so sind es in der
und ä Lehrplänen – kommunikative und in- nachnapoleonischen Zeit die Sprachrichtigkeit
terkulturelle Fähigkeiten und ä Fertigkeiten (ä Grammatik, ä Wortschatz, ä Orthographie),
(ä Kommunikative Kompetenz, ä Interkulturelle die Übersetzungsfähigkeit sowie die Fähigkeit
kommunikative Kompetenz). Eine Reduktion zur Rezeption (Erklärung, Interpretaion) von
der L. auf diese Kompetenzen, wie sie an der fiktionalen Texten. Wird sprachliche ä Bildung
Output-orientierten Schule der Gegenwart ten- im 18. Jh. begriffen als die Fähigkeit, dem Men-
denziell gegeben ist, ist allerdings didaktisch schengeschlechte durch facettenreiche Sprach-
nicht vertretbar. Die Fehlentwicklung wird kenntnisse nützlich zu werden, so gründet
durch die Aufgabenanhänge der Bildungsstan- sprachliche Bildung im 19. Jh. auf der Kenntnis
dards und daran anschließende Sammlungen grammatischer Strukturen, die dann in der Re-
von benchmarks begünstigt, da sie Musterauf- zeption und Konstruktion von stilistisch an-
gaben lediglich im Bereich praktischer Sprach- spruchsvollen Perioden ihren Ausdruck findet.
kompetenzen enthalten. Sie schließen bei ihrem Kommunikative Mündlichkeit ist nun reduziert
zu engen Zugriff auf das Fach die übrigen Ziel- auf das Deklamieren von Versen (Epos, Drama),
komponenten auch deshalb nicht mit ein, weil auf bedeutungsadäquates Sprechen von Gedich-
in vielen dieser Bereiche Testformate (ä Tests) im ten, auf den ästhetisch erbaulichen, potenziell
psychometrischen Sinne fehlen oder aber gar erhebenden Vortrag literarischer Texte. An einer
nicht entwickelbar sind. Tatsächlich sind zahl- Synthese der beiden Richtungen arbeitet zumin-
reiche Kompetenzen des sprachlich-kulturellen dest der gymnasiale FU bis heute.
Bereichs nicht ›ertestbar‹: Hintergrundkennt- Die Verfahren der L. (und -bewertung) sind
nisse objektiv zu erfassen ist schwierig; das Er- bis ins 20. Jh. hinein subjektiv geprägt, auch
heben von Problembewusstsein (etwa im inter- wenn bestimmte Formate dominieren: Diktat,
kulturellen Bereich) ist bisher nicht zufrieden- Übersetzung (ä Sprachmittlung), Aufsatz, Nach-
stellend gelöst, und die im fachlichen Diskurs erzählung im Schriftlichen, Abfrage, grammati-
vielleicht modifizierten und fortentwickelten sche Satzanalyse, Stegreifübersetzung, Rezita-
Wertvorstellungen förmlich ermitteln und be- tion (auswendig) im Mündlichen. Nach 1960
gutachten zu wollen, ist pädagogisch abwegig. setzt zunehmender Objektivierungsdruck ein,
L. in diesem Bereich kann nur die Form des der geschlossene Aufgabenstellungen (Einsetz-
klassischen Gesprächs zwischen Unterrichten- übungen, Umformungsübungen, Paraphrasie-
den und Lernenden haben, gefolgt von einer rungen usw.) ins Zentrum rückt – zu Lasten der
behutsamen, auf Einsicht und Erfahrung beru- kommunikativ wertvolleren offenen Formate.
henden Einordnung durch die Lehrenden. Diese werden mit der kommunikativen Wende
Grundsätzlich kann L. unterschiedliche Ziel- der 1980er Jahre wieder entdeckt (ä Kommuni-
setzungen haben. Im Vordergrund steht die dia- kativer FU): Komplexe, authentische, bedeu-
gnostische Funktion: Wie erfolgreich hat die tungsvolle und herausfordernde Lernaufgaben
Schülerin oder der Schüler in der vorausgehen- (ä Aufgabenorientiertes Lernen) lösen im Un-
den Zeit gelernt (Lernerfolgskontrolle)? Wo terricht ältere Formen schulischen Drills ab,
liegen die jeweiligen Stärken, wo die Schwä- und sie erscheinen auch als Testaufgaben für
chen? Besteht Beratungsbedarf? Wie vergleicht kommunikative und interkulturelle Hand-
die Person sich mit anderen Lernenden? Dane- lungsfähigkeit. Dabei werden zur Beurteilung
ben kann auch Prognostik eine Rolle spielen: neben herkömmlichen discrete point-Verfahren
Wird die oder der Lernende in der Lage sein, (true – false, multiple choice) auch das holis-
nachfolgende Lernschritte zu meistern? Dar- tisch greifende und sehr zuverlässige C-Test-
213 Leistungsermittlung

Format (modified cloze) und rating scales bilistischer Ansatz) den Rekurs auf die Leistung
(meist: Fünferskalen) eingesetzt. der oder des einzelnen Lernenden unmöglich,
L. (mit Bewertung) ist heute weitgehend ein da Lösungswahrscheinlichkeiten im Mittel-
schulaufsichtlich kontrollierter Verwaltungs- punkt des Interesses stehen und nicht individuel-
akt. Schon aus diesem Grund liegt der Nach- les Schülerverhalten. In Zukunft werden Lern-
druck immer noch auf schriftlichen und damit standserhebungen den FU begleiten, und da von
juristisch leichter nachvollziehbaren Formen ihnen eine normierende Kraft ausgeht, werden
der Erhebung, was mit kommunikativer Münd- sie auch seine Inhalte und Verfahrenweisen be-
lichkeit als Zielsetzung nur bedingt im Einklang einflussen. In Deutschland ist das Institut für
steht (ä Mündlichkeit und Schriftlichkeit). In Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB)
jüngster Zeit allerdings bahnt sich ein Umden- in Berlin als eine Institution der Kultusminister-
ken an: Einzelne schriftliche Leistungsnach- konferenz damit betraut, Aufgabenpakete, auch
weise können durch mündliche ersetzt werden, für länderübergreifende Nutzung innerhalb
und schulische Abschlussprüfungen (so auch Deutschlands, zu entwickeln (z. B. VERA 8).
das Abitur) erhalten kommunikationsorien- Damit können die Vergleichsarbeiten der Bun-
tierte mündliche Pflichtteile. Die Abschlussprü- desländer (als ad hoc-Maßnahme nach dem
fungen der Haupt- und Realschulen umfassen ›PISA-Schock‹) auf ein empirisch validiertes
schon seit Jahren mündliche Teilprüfungen. Qualitätsniveau gehoben werden.
Bezugsgröße für die L. ist im Schulalltag meist Die einzelne Schule hat nicht die Möglich-
die Klasse. Im Gefolge von Differenzierungs- keit, Aufgabenstellungen auf einem IQB-kom-
bzw. Individualisierungsmaßnahmen (ä Diffe- patiblen Qualitätsniveau zu erstellen, weil die
renzierung, ä Individualisierung) können auch Mittel dazu fehlen. Ein einfaches ›Vergröbern‹
kleinere Lerngruppen Bezugspunkt sein. Jahr- von Gütekriterien ist nicht möglich, da die Er-
hundertelang fehlte der Vergleich über Klassen- gebnisse dann nicht mehr valide sind. Vor die-
grenzen hinaus; es fehlten – jenseits der Lehrer- sem Hintergrund ist es bedeutsam, die Funk-
erfahrung, die aber trügerisch sein kann – die tion der L. in der Schule klar zu definieren:
benchmarks. Vor dem Hintergrund einer zu- ä Klassenarbeiten und vergleichbare Erhebun-
nehmenden ä Globalisierung des Ausbildungs- gen müssen als Lernerfolgskontrollen begriffen
sektors und der Arbeitswelt sind seit den werden, deren Zweck in erster Linie eine indi-
1990er Jahren internationale Lernstandserhe- viduelle Rückmeldung an die Lernenden mit
bungen (z. B. auf OECD-Ebene) bedeutsam ge- dem Ziel der pädagogischen Beratung ist. Da-
worden. Zu ihren Zielen gehört die verglei- bei muss auf Aufgabenformate geachtet wer-
chende Überprüfung der Leistungsfähigkeit na- den, die pädagogisch sinnvoll und den Idealen
tionaler Bildungssysteme. Dazu nehmen sie von Objektivität und Reliabilität angenähert
einzelne Fertigkeitsbündel oder auch ganze sind, allerdings spielen groß angelegte ä Empi-
Schulfächer unter die Lupe (TIMSS, ä PISA- rie und die Zuordnung zu allgemein etablierten
Studie, im Ansatz auch ä DESI). Lernstandser- Standards keine Rolle. Diese Zuordnungen er-
hebungen sind Außenmessungen, die zu einer folgen in Zukunft ausschließlich über Lern-
Einschätzung von Lernenden auf Kompetenz- standserhebungen (von außen). Damit erüb-
niveaus führen. Dies geschieht auf empirischem rigen sich komplexe Validierungsprozesse,
Wege unter Nutzung des Instrumentariums der erzielte – oder aufgrund der Ergebnisse vermut-
Psychometrie. Die Kompetenzniveaus können bare – Lernerfolge (nicht alle fachlich wünsch-
an benchmarks (etwa die Skalen des ä Gemein- baren positiven Entwicklungen liegen so weit
samen europäischen Referenzrahmens) ange- an der Oberfläche, dass sie unmittelbar zugäng-
bunden werden (standard setting). Damit un- lich sind) aber können angemessen und unter-
terscheiden sich Lernstandserhebungen deut- richtsnah für die einzelnen Lernenden doku-
lich von Lernerfolgskontrollen. Sie stellen auf mentiert werden.
der Basis vergleichender Analysen Grade von Eine immer größere Rolle spielt der kritische
Leistungsfähigkeit bestimmter Lerngruppen Blick auf die eigene Leistungsfähigkeit. Für den
(etwa: ganzer Klassen oder Schulformen) fest, FU hat der Europarat das Sprachenportfolio
aber sie bewerten die einzelnen Lernenden (ä Portfolio) als ein Instrument entwickelt, das
nicht. Sie führen nicht zu Schulnoten, auch weil die eigenen Lernprozesse zu begleiten vermag.
die Basis für deren Zuordnung fehlt. Zudem SuS lernen, sich mittels einfacher Skalen in ih-
macht die Entwicklung der Testtheorie (proba- ren Teilkompetenzen grob einzuschätzen. Das
Leistungsermittlung 214

Verfahren führt nicht zu einer Notenvergabe. (Day/Bamford 1998) der weitestgehende, der
Der FU der Zukunft wird drei gleichberechtigte die beiden genannten Kategorien einschließt.
Formen der L. kennen: die Lernstandserhebung Inhaltlich lassen sich L. nach literarischen im
von außen, die Lernerfolgskontrollen innerhalb weitesten Sinne und nicht-literarischen diffe-
des Systems und die autonome oder teilauto- renzieren. Bei den meisten L. handelt es sich um
nome Gewinnung von Einsicht in Lernprozesse Erzähl-, also fiktionale Texte, sei es in Form
und Lernstände durch das lernende Individuum kürzerer Geschichten oder einer längeren zu-
selbst. Diese drei Säulen konstituieren die ›neue sammenhängenden Erzählung. Daneben gibt es
Evaluationskultur‹. dramatische Texte, die sich gut für szenische
Lit.: I. Behnken et al. (Hg.): Leistung. Friedrich Jahres- Aufführungen eignen. Die genannten Katego-
heft. Seelze 1999. – S. Bolton: Probleme der Leistungs- rien originaler und vereinfachter Texte existie-
messung. Bln 1996. – R. Grotjahn (Hg.): Der C-Test. ren auch für den Französischunterricht. Jedoch
Aktuelle Tendenzen. The C-Test. Current Trends. FfM ist das Textangebot geringer. Gedichtantholo-
2014. – G. Schneider/B. North: Fremdsprachen können.
Was heißt das? Skalen zur Beschreibung, Beurteilung gien werden gemeinhin nicht unter L. subsu-
und Selbsteinschätzung der fremdsprachlichen Kom- miert. Das Angebot an nicht-fiktionalen oder
munikationsfähigkeit. Zürich 2000. – J. Siebold (Hg.): Sachtexten ist erheblich geringer. Dabei handelt
Themenheft »Testen«. Praxis FU 6/1 (2009). KoSch es sich in der Regel um Sammlungen kurzer
thematisch verbundener Texte, aber nicht im
Sinne einer Textsequenz. Es geht um Ge-
Lektüren. Mit L. bezeichnet man alle didaktisch schichte, Geographie, Biographien oder andere,
aufbereiteten Texte und Textsammlungen, die z. T. landeskundlich orientierte Sachthemen. Sie
nicht Teil eines ä Lehrwerkes sind. Obwohl enthalten zumeist zahlreiche Fotos und kom-
Lehrwerke v. a. in den ersten Jahren des FUs in men damit Lernenden entgegen, die sich weni-
der Sekundarstufe I dominieren, sollten früh- ger gern mit längeren fiktionalen Texten befas-
zeitig auch L. in den Unterricht integriert wer- sen. Andererseits erfordern Sachtexte auch auf
den. Man unterscheidet Anschluss-L., die sich einfachem sprachlichem Niveau einen Fach-
inhaltlich und sprachlich an einem Lehrwerk wortschatz und werden anders rezipiert als fik-
orientieren, und lehrbuchunabhängige L. L. tionale Texte (vgl. Hill 2001, 312). Der Markt
werden von deutschen und ausländischen Ver- an L. ist national und international unüberseh-
lagen angeboten, wobei erstere an den Bedürf- bar groß (vgl. für das Französische die umfang-
nissen deutscher SuS orientiert sind und zu- reiche Liste in Schlemminger 2005). Dabei
meist zweisprachige Vokabelverzeichnisse ent- zeichnen sich v. a. englische Verlage durch die
halten, während sich L. englischer Verlage am Herausgabe von graded readers series aus (vgl.
Weltmarkt orientieren. Das bedeutet entweder Hermes 2016). Diese Serien umfassen in der
einsprachige Glossare oder gar keine sprachli- Regel 6 bis 7 sprachliche Schwierigkeitsstufen,
chen Hilfen. L. enthalten zum Teil Aufgabenap- die durch die zunehmend komplexe Verwen-
parate, welche in ä Fragen zum Inhalt oder dung grammatischer Strukturen und einen ge-
sprachlich orientierten Aufgaben bestehen stuften Wortschatz differenziert werden. Wäh-
können, aber auch in elaborierten Stimuli für rend aber grammatische Restriktionen (z. B.
kreative Aktivitäten. Aufgabenapparate folgen Zeitengebrauch) konkret definiert werden
zum Teil dem bekannten pre-, while- und post- können, sind die Angaben zum verwendeten
reading-Verfahren (ä Leseverstehen). Sprachlich Wortschatz eher vage. Die meisten Serien be-
unterscheiden sich L. in ihrem Anspruch, je ginnen mit simple originals und enthalten auf
nachdem ob sie für Anfänger/innen oder Fort- den höheren Stufen vereinfachte Versionen
geschrittene verfasst worden sind. Originale klassischer fremdsprachiger Literatur. Klassiker
Literatur, die auf einer fortgeschrittenen Stufe existieren häufig in mehreren Ausgaben unter-
(Oberstufe) gelesen wird, fällt in der Regel schiedlichen Schwierigkeitsgrades. Wählt man
nicht unter L. Man differenziert zwischen L., eine solche Lektüre, so sind die Prüfung der
die eigens für Lernende verfasst werden und Qualität der Bearbeitung und der Vergleich mit
sich an einer bestimmten Sprachstufe orientie- dem Original unerlässlich (vgl. Hermes 2007,
ren, sog. simple originals (Hill 2001, 301; Hill 116 ff.).
2013, 92), und vereinfachten Texten fremd- L. dienen v. a. dem extensiven Lesen, was mit
sprachiger Originale (simplified literature). Als dem Lehrwerk kaum möglich ist. Je mehr und
Oberbegriff ist language learner literature je früher Fremdsprachenlernende Zugang zu L.
215 Lernen durch Lehren

erhalten und die Bewältigung größerer Text- Lit.: J. Baetens/H. Frey: The Graphic Novel. An Intro-
mengen durch extensives Lesen üben, desto duction. Cambridge 2015. – J. Bamford/R. D. Day
(Hg.): Extensive Reading Activities for Teaching Lan-
eher steigern sie das Lesetempo und werden zu
guage. Cambridge 2004. – Ch. Biebricher: Lesen in
flüssigen Leser/innen (vgl. Hill 2001, 305; Hill der Fremdsprache. Eine Studie zu Effekten extensiven
2013, 88). Gleichzeitig dient das Lesen der Lesens. Tüb. 2008. – R. R. Day/J. Bamford: Extensive
Wortschatzerweiterung (vgl. Day/Bamford Reading in the Second Language Classroom. Cam-
1998, 17) und der Fähigkeit, Vokabular zu er- bridge 1998. – L. Hermes: ›To Read or not to Read.‹ A
schließen (ä Inferenz). Insofern können die Plea for Graded Readers. In: W. Kindermann (Hg.):
Transcending Boundaries. Bln 2007, 105–126. –
meisten Texte zwar als Klassen-L. eingesetzt, L.  Hermes: Graded Readers im FU. In: E. Burwitz-
d. h. gemeinsam im Unterricht gelesen werden, Melzer/E. O’Sullivan (Hg.): Einfachheit in der Kinder-
v. a. wenn die Methoden sich deutlich von der und Jugendliteratur. Ein Gewinn für den FU. Wien
Lehrbucharbeit unterscheiden und nicht klein- 2016, 153–162. – D. R. Hill: Graded Readers. In:
schrittig vorgegangen wird. Weitaus erfolgver- English Language Teaching Journal 55 (2001), 300–
324. – D. R. Hill: Graded Readers. In: English Lan-
sprechender sind aber Klassenbibliotheken guage Teaching Journal 67 (2013), 85–125. –
(vgl. Day/Bamford 1998, 107 ff.; Hill 2001, G.  Schlemminger: La citoyenneté à travers la littéra-
309 f.). Diese lassen sich zur Förderung der Le- ture de jeunesse. In: C. Michler (Hg.): Les valeurs
semotivation nach den individuellen Wünschen démocratiques dans l’enseignement du français langue
der Lernenden und nach dem unterschiedlichen étrangère / Demokratische Werte im Unterricht des
Französischen als Fremdsprache. Augsburg 2005,
Sprachstand besonders gut mit Hilfe von gra-
101–114. LH
ded readers einrichten (vgl. Biebricher 2008).
Dabei bestimmen die Lernenden selbst, was
und wie viel sie lesen (ä Autonomes Lernen). Lernen durch Lehren bezeichnet eine koopera-
Erfahrungsgemäß neigen Mädchen eher zu fik- tive, handlungsorientierte Unterrichtsform
tionalen, Jungen dagegen eher zu Sachtexten (ä Kooperatives Lernen, ä Handlungsorientie-
(vgl. Biebricher 2008, deren Studie konsequent rung), bei der sich die Lernenden neue Inhalte
zwischen beiden Geschlechtern differenziert). aneignen, indem sie sich gegenseitig unterrich-
Ob die individuelle Lektüre durch Aufgaben ten. Historisch gesehen ist das Prinzip des LdL
unterstützt oder gar kontrolliert wird oder durch eine vermittelnde Aufbereitung des Un-
nicht, ist dabei eine wichtige Entscheidung (vgl. terrichtsstoffs seit dem Altertum bekannt. Wäh-
ebd., 271 ff.). Klassenbibliotheken sollten dem rend der Industrialisierung kommt die Methode
Prinzip des reading for pleasure und dem ex- in England und Frankreich aus ökonomischen
tensiven Lesen mit dem Ziel eines globalen Gründen zum Einsatz, um Lehrermangel aus-
Textverständnisses dienen; sie sollten außerdem zugleichen. Interesse am pädagogischen Wert
die Lesefreude wecken bzw. steigern (vgl. Day/ des Verfahrens entsteht jedoch erst zu Beginn
Bamford 1998, 2, 5). Insofern kommen als des 20. Jh.s im Kontext reformpädagogischer
Kontrollmechanismen eher allgemeine Lesebe- Bewegungen (ä Reformpädagogik). LdL ist kein
richte in Frage (vgl. Bamford/Day 2004, 93 ff.), genuin fremdsprachendidaktisches Konzept,
die wiederum als Leseanreiz für die gesamte wird jedoch zu Beginn der 1980er Jahre von
Lerngruppe dienen können. Fremdsprachige Jean-Pol Martin in Anbindung an den schuli-
Verlage bieten zahlreiche methodische Hilfen schen Französischunterricht theoretisiert und
als kostenloses Download im Internet an, die mit Ansätzen aus der Humanistischen Psycho-
der ä Individualisierung des Unterrichts dienen logie und den Kognitionswissenschaften be-
können, und ergänzen die Materialien noch gründet. Nachdem LdL in den 1980er und
durch Hintergrundinformationen für die Lehr- 1990er Jahren v. a. in der zweiten Phase der
kraft. Zudem gibt es neuere Lektüre-Serien, in ä Lehrerbildung und bei Lehrerfortbildungen
denen einige Titel mit einer CD-Rom oder DVD Beachtung findet, setzt sich die Methode mehr
erschienen sind. Damit lässt sich der Text in und mehr auch in universitären Lehramtsstudi-
zweikanaliger Rezeption gleichzeitig lesen und engängen als hochschuldidaktische Methode
anhören. Oder die CD wird wie ein Hörbuch durch (Jody Skinner). Dort ist LdL in fachwis-
genutzt (ä Hörspiele). Damit können unter- senschaftlichen oder landeswissenschaftlichen
schiedliche Rezeptionsgewohnheiten befriedigt Veranstaltungen häufig thematisch orientiert,
werden. Neue Leseanreize können graphic no- d. h. in Kleingruppen erarbeiten die Studieren-
vels bieten, die auch zu einigen Dramen Shakes- den einen Aspekt des Semesterthemas; in
peares vorliegen (vgl. Baetens/Frey 2015). sprachpraktischen Veranstaltungen wählen sie
Lernen durch Lehren 216

Themen oder Texte zur gemeinsamen Erarbei- werden. Eine Überbetonung solcher Phasen in
tung aus einem Fundus, den der Dozent bzw. LdL-Formaten könnte sich als spracherwerblich
die Dozentin zur Verfügung stellt. kontraproduktiv erweisen. LdL im fremd-
LdL erscheint in der Lage, persönlichkeitsbe- sprachlichen Kontext sollte daher Methoden
zogene, soziale, methodische und metakognitive priorisieren, die einen thematischen, kommuni-
ä Kompetenzen auszubilden (ä Sozialkompetenz, kativen und interaktiven Fokus haben. Gemein-
ä Methodenkompetenz, ä Metakognition). Im sames Problemlösen, kollaborative Wissens-
Bereich der fremdsprachlichen Kompetenzen konstruktion (ä Konstruktivismus/Konstruktion)
zielt LdL auf eine integrative Vermittlung ko- und interaktives Üben der Fremdsprache an-
gnitiver, habitualisierender und kommunikati- hand vorbereiteter Materialien sollten im Vor-
ver Anteile des Sprachlernprozesses. Dabei dergrund der Arbeit stehen. Insofern unterschei-
scheint ein positiver Effekt der Methode das det sich LdL grundlegend von Referaten oder
Entstehen einer Arbeitsatmosphäre zu sein, in ä Präsentationen, die allenfalls einen Teil einer
der die SuS sich angstfrei äußern und der nach dem Prinzip ›LdL‹ gestalteten Unterrichts-
Umgang mit ä Fehlern konstruktiv wahrge- einheit ausmachen sollten.
nommen wird. Die Lehrperson ist beim LdL Im Anfangsunterricht können beispielsweise
keineswegs passiv: Sie muss im Fall von Un- Inhalte des ä Lehrwerks oder ergänzende Mate-
sicherheiten ergänzend einschreiten können; zu- rialien und Texte durch Kleingruppen erarbei-
dem interveniert sie, wenn der interaktionale tet und in einem zweiten Schritt an die
Prozess ins Stocken gerät, wenn Einzelne ›ab- Mitschüler/innen weitergegeben werden, wobei
schalten‹ oder wenn wichtige Impulse aus der klare Problemformulierungen, originelle Auf-
Gruppe ignoriert werden. gabenstellungen und wechselnde ä Sozialfor-
Kritik am LdL akzentuiert die Gefahr zu ho- men den Prozess der gemeinsamen Wissens-
her Anteile rein instruktiver unterrichtlicher konstruktion unterstützen sollten.
Settings (ä Instruktivismus/Instruktion), wenn Lit.: J.-P. Martin: Vorschlag eines anthropologisch
SuS ihre Mitschüler/innen unterrichten. Ob der begründeten Curriculums für den FU. Tüb. 1994. –
von SuS gestaltete Unterricht tatsächlich auch A. Renkl: LdL. Zentrale Wirkmechanismen beim ko-
für die anderen Lernenden ausreichend Lernge- operativen Lernen. Wiesbaden 1997. – C.  Schelhaas:
›LdL‹ für einen produktions- und handlungsorientier-
legenheiten bietet und ob hier tatsächlich eine ten FU. Ein praktischer Leitfaden mit zahlreichen
gemeinsame Wissenskonstruktion und Bedeu- kreativen Unterrichtsideen und reichhaltiger Metho-
tungsaushandlung stattfinden, wird von Kriti- denauswahl. Marburg 22003 [1997. BSch
kern häufig angezweifelt: Am größten ist der
Lerneffekt für diejenigen, die die Rolle der
Lehrperson übernehmen. Dabei imitieren SuS Lernerautonomie ä Autonomes Lernen
in der Vorbereitung der LdL-Phasen meist Me-
thoden und Techniken, die sie selbst als Ler-
nende erfahren haben. Die Wirksamkeit der Lernerbiographie ä Bildungsgangforschung
gewählten Methoden hängt also in erster Linie
davon ab, wie differenziert die Modelle sind,
die den SuS für die Gestaltung des LdL-Settings Lernerorientierung. Das Konzept der L. ist (ba-
zur Verfügung stehen. Renkls (1997) empiri- sierend auf Erkenntnissen der Lernpsychologie,
scher Nachvollzug der Wirkmechanismen von der Allgemeinen Pädagogik und der ä Fremd-
LdL bescheinigt dem Ansatz aus kognitionspsy- sprachendidaktik) als Gegen-Konzept zur
chologischer Perspektive keine generelle Lern- ä Lehrerzentrierung erarbeitet worden. Es geht
förderlichkeit. LdL priorisiert häufig Erklär- darum, die Dominanz der Lehrkraft auf dieje-
phasen, deren Beitrag zu vertieften Lernprozes- nigen Aufgaben zu beschränken, die nur durch
sen nicht eindeutig nachgewiesen werden kann. Lehrerzentrierung effektiv gelöst werden kön-
Im FU sollten vor diesem Hintergrund insbe- nen. Die wichtigste Aufgabe besteht darin,
sondere Ausmaß und Funktionalität explizie- möglichst optimale Bedingungen für ein selb-
render metasprachlicher Erklärungen (›Gram- ständiges aktives Lernen zu schaffen. Eine Be-
matikphasen‹) hinterfragt werden. Ihr Beitrag teiligung der Lernenden ist in allen Phasen des
für die Entwicklung ä kommunikativer Kompe- Unterrichts sinnvoll: SuS wirken an der Aus-
tenzen erscheint generell gering, unabhängig wahl von Themen und Materialien mit. Dabei
davon, ob sie lehrer- oder schülerseitig initiiert entstehen motivierende Sprechanlässe, und es
217 Lernertypen

ist garantiert, dass es beim Erlernen der Fremd- arbeit erzielt werden können, sind bei Grup-
sprache inhaltlich schwerpunktmäßig um das penarbeit in verstärktem Maße zu beobachten.
Lebensumfeld der SuS geht. Dieser emotionale Es hat sich im Schulalltag bewährt, diese kom-
Aspekt ist entscheidend für Erfolge im Lern- plexere Unterrichtsform erst einzubringen,
prozess (ä Emotion). Im Unterricht selbst kann wenn die SuS alle wichtigen Arbeitstechniken
L. im Wesentlichen durch eine einzige Maß- bei der Zusammenarbeit mit einzelnen Partnern
nahme bewerkstelligt werden: die Abkehr vom erfasst und ausreichend trainiert haben. Für die
Frontalunterricht und die Hinwendung zu den Umsetzung des Konzepts L. ist es zwingend
Unterrichtsformen Einzelarbeit, Partnerarbeit, notwendig, den Frontalunterricht auf ein Min-
Gruppenarbeit und Plenum (ä Sozialformen). destmaß zu beschränken. Für Lehrende gibt es
Damit ist der Weg frei zur Erlangung allge- eine einfache Maßnahme: Jede Phase, die fron-
meiner und fachspezifischer ä Lernziele. Einzel- tal angelegt werden soll, muss vor dem eigenen
arbeit fördert die ä Schlüsselqualifikationen pädagogischen Gewissen gründlich begründet
Individualkompetenz (Selbständigkeit, Verant- werden; sind die Gründe nicht wirklich stich-
wortungsbewusstsein) und Handlungskompe- haltig, kommen die anderen Unterrichtsformen
tenz (Organisationsfähigkeit, ä Methodenkom- zum Einsatz.
petenz); gleichzeitig wird der individuelle Lit.: H. Gudjons: Neue Unterrichtskultur, neue Lehrer-
Umgang mit den ä Fertigkeiten Hör- und Lese- rolle. Bad Heilbrunn 2007. MA
verstehen sowie Sprechen und Schreiben inten-
siv geschult. Außerdem führt der unausweichli-
che Gebrauch von ä Lern- und Arbeitstechniken Lernersprache ä Interlanguage
direkt zu einem weiteren fachspezifischen
Lernziel. Wichtig ist, dass die Lehrperson die
Techniken anschaulich erläutert, ihre positiven Lernerstrategien ä Lernstrategien
Auswirkungen beweist und genügend Zeit
lässt, um sie zu trainieren. Durch Partner- und
Gruppenarbeit und Arbeit im Plenum wird die Lernertypen sind ein nicht unumstrittenes Kon-
Schlüsselqualifikation ä Sozialkompetenz (Kom- zept in der (Fremdsprachen-)Didaktik und Lern-
munikationsfähigkeit, Teamfähigkeit) ausge- psychologie (vgl. Quast 2011). Bereits eine Be-
baut; die SuS erhalten ausreichend Gelegenheit, griffsklärung bereitet aufgrund von Uneindeu-
fremdsprachlich handelnd in Aktion zu treten. tigkeiten in der Verwendung und einer Vielzahl
Das fortwährende Training eines realitätsad- verwandter und z. T. überlappender Begriffe
äquaten Sprachgebrauchs führt direkt zu einer Schwierigkeiten. L. werden gelegentlich auch
ä kommunikativen Kompetenz, die in der Rea- Lerntypen genannt. Sie lassen sich zunächst in
lität außerhalb der Schule Bestand hat. Durch einen Zusammenhang mit Lernstilen bringen.
eine gemeinsame Evaluation der geleisteten L. ergeben sich aus jeweils verschiedenen Kom-
unterrichtlichen Arbeit, wozu auch die Aufga- binationen von Lernstilen, z. B. analytisch-refle-
ben gehören, die eigenen Lernfortschritte selb- xiv-ambiguitätstolerant. In Abhängigkeit von
ständig zu überprüfen (ä Leistungsermittlung, der Anzahl der zugrunde gelegten Lernstildi-
ä Leistungsbewertung) und Entscheidungen für mensionen kann sich allerdings eine unüber-
die Weiterarbeit zu treffen, können die Schlüs- schaubare Vielzahl von L. ergeben, die kaum
selqualifikationen Kritikfähigkeit und Eigen- klar voneinander abgrenzbar sind und sich
verantwortung sowie die Grundhaltung zum nicht empirisch belegen lassen. Einige Wissen-
Fach und damit die Bereitschaft zu weiteren schaftler gehen indes davon aus, dass zwar
Lernanstrengungen positiv beeinflusst werden. jede/r Lernende über einen Lernstil verfügt,
Nimmt man das Ziel Kommunikationsfähig- dieser aber so individuell ist wie die eigene Un-
keit wirklich ernst (ä Kommunikativer FU), terschrift (vgl. Kinsella 1995, 171).
müsste Partnerarbeit die am häufigsten einge- Als Lernstile werden solche Verhaltenswei-
setzte Unterrichtsform sein. Alle Mitglieder der sen, (Lern-)Gewohnheiten und Persönlichkeits-
Lerngruppe sind sprachlich handelnd aktiv. So merkmale bezeichnet, die situationsüberdau-
werden sprachliche Teilaspekte intensiv einge- ernd und aufgabenunspezifisch sind. Lernstile
übt und auch komplexere Sprachhandlungen sind meist unbewusst und nicht direkt beob-
initiiert. Die positiven allgemeinen und fach- achtbar, sondern nur aufgrund bestimmter
spezifischen Auswirkungen, die durch Partner- Verhaltensweisen erschließbar. Häufig findet
Lernertypen 218

sich der Begriff ›kognitiver Stil‹ (auch Denkstil) ten stärker auf Unterstützung durch Elemente
als Synonym zu Lernstil. Versteht man unter der sozialen Umgebung angewiesen sind (z. B.
Lernen mehr als eine rein kognitive Tätigkeit, die Lehrkraft oder andere Lernende). Das
bezieht also auch soziale Interaktion, affektive zweite Begriffspaar bezieht sich auf die grund-
(ä Emotion) und motivationale (ä Motivation) sätzliche Zugangsweise zu Aufgaben und Lern-
Aspekte ein, kann Lernstil als Oberbegriff für problemen. Analytische L. gehen von einzelnen
sensorische, persönlichkeitsbezogene und af- Aspekten aus und versuchen, sich so das Ganze
fektive sowie kognitive Stile gelten (vgl. Roche zu erschließen, während globale oder holisti-
2006, 42). Lernstile stehen zudem in engem sche L. zunächst das Ganze in den Blick neh-
Zusammenhang mit ä Lernstrategien. Zahlrei- men und es dann in Einzelkomponenten ausdif-
che Studien belegen, dass Strategie-Präferenzen ferenzieren. Das dritte Begriffspaar beschreibt
mit gewissen Lernereigenschaften (z. B. holisti- das präferierte Problemlöseverhalten des bzw.
scher vs. analytischer Lerner) korrelieren (vgl. der Lernenden. Reflexive Lerner/innen üben
ebd., 36 ff.). Lernstile lassen sich in diesem eine große kognitive Selbstkontrolle aus und
Sinne als bestimmte Strategie-Konstellationen agieren meist wohlüberlegt, während impulsive
verstehen. Im Gegensatz zu Lernstilen sind Lerner/innen häufig schneller und spontaner
Lernstrategien üblicherweise bewusst und be- handeln. Diese Lernerdispositionen spiegeln
ziehen sich auf konkrete Situationen, Probleme sich auch im bevorzugten Strategiegebrauch
oder Aufgaben. (systematisches Hypothesenbilden vs. ›wildes
Zur Identifikation von L. sind verschiedene Raten‹) wider. Das vierte Begriffspaar bezeich-
Befragungsinstrumente entworfen worden. Zu net die Fähigkeit und Bereitschaft, in mehr oder
den bekanntesten standardisierten ä Tests gehö- weniger strukturierten Situationen zu lernen.
ren der Myers-Briggs Type Indicator (MBTI), Beim Spracherwerb in der fremdsprachlichen
Kolbs Learning Style Inventory (LSI) sowie Umgebung z. B. ist ein sehr viel flexiblerer Um-
Oxfords Strategy Inventory for Language Lear- gang mit unbekannten Formulierungen und
ning (SILL) (vgl. Aguado 2016; Roche 2006). Vokabeln, kulturellen Einflüssen und unvorher-
Diese beziehen sich hauptsächlich auf persön- gesehenen Ereignissen notwendig als in einem
lichkeitsbezogene Merkmale und affektive Stile, stark strukturierten Unterrichtsverlauf, der
sind aber aufgrund ihrer theoretischen Grund- eher eine geringe Ambiguitätstoleranz verlangt.
lagen nicht unumstritten. Neben psychometri- Kulturspezifische Prägungen oder ethnicity
schen Tests, die üblicherweise auf Fragebögen sind ebenfalls als Einflussfaktoren für L. be-
basieren, werden für die Erhebung von Lernsti- schrieben worden.
len Interviews, introspektive Methoden, Unter- Die Festschreibung nationaler Lernstilpräfe-
richtsbeobachtungen, Lernertagebücher oder renzen (für eine Übersicht vgl. Roche 2006, 57)
Produktanalysen eingesetzt. Lernstile und die birgt allerdings die Gefahr der Homogenisie-
mit ihnen verbundenen L. werden häufig in rung äußerst heterogener Gruppen (ä Heteroge-
(vier bis fünf) bipolaren Merkmalen differen- nität). Auch wenn davon auszugehen ist, dass
ziert, die wertneutral sind und die Endpunkte politische Regime und deren Einfluss auf natio-
des jeweiligen Kontinuums darstellen (vgl. nale Bildungssysteme nicht ohne Auswirkungen
Roche 2006; Schöcke 2007). Unterschieden auf überhaupt mögliches Lernverhalten blei-
werden die Begriffspaare ›feldabhängig vs. ben, so lässt sich nicht jedes Individuum in eine
feldunabhängig‹, ›analytisch bzw. articulated solch grobe Kategorisierung einordnen, da so-
vs. global‹, ›reflexiv vs. impulsiv‹, ›ambigui- zio-ökonomische Hintergründe höchst unter-
tätstolerant vs. ambiguitätsintolerant‹ sowie schiedlich sein können (z. B. finden sich in
der bevorzugte Wahrnehmungskanal, kultur- manchen Ländern metropolitane Lebensstile
spezifische Prägungen und Gender-Aspekte gleichberechtigt neben traditionell ländlichen).
(ä Genderorientierte Ansätze). Die ersten bei- Auch Gender-Aspekte werden im Zusammen-
den Begriffspaare werden gelegentlich synonym hang mit Lernstilen und L. berücksichtigt.
verwendet. Wird differenziert, bezeichnet das Diese Diskussion ist ebenfalls nicht frei von
erste Begriffspaar die Abhängigkeit der Lernen- Übergeneralisierungen und scheint gängige An-
den von konkreten Kontexten und Situationen. nahmen zu bestätigen, dass Frauen eher zu ge-
Bei feldabhängigen Lernenden lassen sich z. B. fühlsbasierten und auf sozialen Strategien beru-
größere Schwierigkeiten bei Abstraktionsleis- henden Lernstilen tendieren, während Männer
tungen feststellen, da sie in ihrem Lernverhal- sich eher durch analytische Zugangsweisen
219 Lernsoftware

charakterisieren lassen. Allerdings ist die statis- Lern-/Lehrgespräch ä Unterrichtsgespräch,


tische Signifikanz der gezeigten Unterschiede ä Unterrichtsinteraktion
gering (vgl. Roche 2006, 58 ff.). Popularisiert
worden ist die Lern(er)typen-Theorie allerdings
insbesondere durch eine Fokussierung auf die Lernort ä Lehr- und Lernort
sensorische Dimension, die Unterscheidung
verschiedener Wahrnehmungskanäle bei der
Informationsaufnahme (visuell, auditiv, hap- Lernsoftware. Mit dem Begriff L. bezeichnet
tisch, kinästhetisch, abstrakt-verbal; vgl. hierzu man Programme für den Computer, mit deren
auch Vester 2016) und vermeintliche Anwen- Hilfe Lernende sich eigenständig mit einem
dungsmöglichkeiten im FU. Grundlage bildet bestimmten Stoffgebiet vertraut machen kön-
die Annahme, dass der Lernerfolg entscheidend nen. Der Begriff ›Sprach-L.‹ bezeichnet dem-
davon abhängt, ob der Lernende auf eine sei- entsprechend Programme, die zur Unterstüt-
nem Lernstil entsprechende Lernumgebung mit zung des Fremdsprachenlernens entwickelt
entsprechendem Materialangebot trifft. wurden. Auch wenn das Angebot mittlerweile
Davon abgesehen, dass Lernen ein höchst groß ist, wirkt manche L. noch immer als pro-
komplexer Prozess ist, der sich nicht auf eine grammierte ä Instruktion und befindet sich da-
Dimension der Wahrnehmung reduzieren lässt, mit didaktisch und methodisch keinesfalls auf
bleiben Studien den Nachweis der Effizienz ei- dem neuesten Stand. Gute multimediale L.
nes an den L. ausgerichteten Lernangebots bietet im Vergleich zu anderen ä Medien eine
häufig schuldig (vgl. Roche 2006, 62). Aguado Vielfalt zusätzlicher Möglichkeiten: So können
(2016, 265) betont dennoch das »starke fremd- Bilder, Texte, Grafiken und Filme eingebunden,
sprachendidaktische und unterrichtspraktische individuelle Lernwege zugelassen (ä Individua-
Interesse an diesem Konstrukt«. Der Wert von lisierung) und auf den einzelnen Lerner abge-
L. für die Praxis ist v. a. in Möglichkeiten der stimmtes ä Feedback angeboten werden. Die
Bewusstmachung (ä Bewusstheit/Bewusstma- Spracherkennung ist so weit entwickelt, dass
chung) auf unterschiedlichen Ebenen zu sehen: die Schulung der ä Aussprache am PC möglich
Lehrende können anhand des L.-Modells über ist.
ihre eigenen bevorzugten Lehrstile reflektieren Um einen Überblick über die auf dem Markt
und Lernschwierigkeiten ihrer Lernenden auf befindlichen Produkte zu erhalten, bietet es sich
Konflikte zwischen Lehr- und Lernstil hin über- an, die Programme – je nach ihrer didaktischen
prüfen. Lernende können sich über ihre L., de- Konzeption – in verschiedene Kategorien ein-
ren Individualität sowie deren Potenzial und zuteilen. Es kann unterschieden werden zwi-
Beschränkungen in bestimmten Lernsituatio- schen Autorenprogrammen, sog. Werkzeugen,
nen bewusst werden. Auf der Grundlage der Trainings- oder Übungsprogrammen, Lexika
Bewusstmachung individueller Dispositionen oder Nachschlagewerken, Lernprogrammen,
sind eine Erweiterung des eigenen Stil-Reper- Simulationen und spielerischer L. aus dem
toires und eine zunehmende Flexibilisierung Edutainment-Bereich. Ein Autorenwerkzeug ist
möglich. ein Softwareprogramm, das die Entwicklung
Lit.: K. Aguado: Lernstile. In: E. Burwitz-Melzer et al. interaktiver multimedialer Anwendungen mit
(Hg.): Handbuch FU. Tüb. 62016 [1989, 262–266. – Hilfsmitteln der visuellen Programmierung un-
K. Kinsella: Understanding and Empowering Diverse terstützt. Das bedeutet, dass Nutzer/innen auch
Learners in the ESL Classroom. In: J. M. Reid (Hg.): ohne Programmierkenntnisse eigene Lehrsys-
Learning Styles in the ESL/EFL Classroom. Boston
1995, 170–194. – U. Quast: Lernermerkmale, L., teme, also Aufgaben und interaktive ä Übungen
Lernverhalten. Aspekte der differentiellen Lernpsy- für den PC oder das Internet entwickeln kön-
chologie für Lehrende und Lernende. FfM 2011. – nen. Der ›Autor‹ bzw. die ›Autorin‹ kann sich
T. Roche: Investigating Learning Style in the Foreign im Wesentlichen auf die didaktisch-methodische
Language Classroom. Mü. 2006. – J. Schöcke: Zur Gestaltung der interaktiven Übung konzentrie-
Realität von L. Eine empirische Untersuchung anhand
von zwei für das Fremdsprachenlernen relevanten
ren. Eine weit verbreitete Autorensoftware für
Stildimensionen. Marburg 2007 (http://archiv.ub.uni- den fremdsprachlichen Bereich ist eAuthor,
marburg.de/diss/z2008/0483/pdf/djs.pdf). – F.  Vester: JClic oder Hot Potatoes. Die Erstellung von E-
Denken, Lernen, Vergessen. Mü. 372016 [1975. BV Books ist dank entsprechender (kostenfreier),
im Internet zur Verfügung stehender Software
einfach geworden. Software wie der iBooks
Lernsoftware 220

Author ermöglichen die Erstellung von E- 20-bändige Brockhaus auf einer DVD Platz
Books auf dem Tablet-PC. Multimediale und findet oder aber einfach von Verlagsseite aus
computergesteuerte Präsentationstechniken als E-Book zum Download angeboten werden
(ä Präsentation) eröffnen den Nutzer/innen kann. Darüber hinaus ist das Nachschlagen
Möglichkeiten, die ihnen bei der Verwendung sehr benutzerfreundlich und schnell, das E-
traditioneller Medien nicht zur Verfügung ste- Book kann unkompliziert aktualisiert werden,
hen. Ihr Vorteil liegt darin, dass die verschiede- und die multimedialen Lexika bieten außer
nen Symbolsysteme Text, Bild und Ton in idea- dem Bild weitere multimediale Elemente: mit-
ler Weise kombiniert werden können. Hinzu unter durchaus informative Ton- und Filmse-
kommt, dass – wie bei allen computergestütz- quenzen, erklärende Animationen und die
ten Formen der Datenverarbeitung – eine be- Möglichkeit, über das eigentliche Nachschlage-
reits erstellte Präsentation ohne großen Auf- werk hinaus themenorientiert weitere Informa-
wand beliebig verändert, gekürzt, ergänzt oder tionen im Internet zu recherchieren.
in anderer Form weiterbearbeitet werden kann. Die meisten Verlage produzieren L. passend
Für den heutigen FU eröffnen sich damit Pers- zu einer Lehrwerksreihe (ä Lehrwerk). Diese
pektiven, die von Lehrenden und Lernenden lehrwerksbegleitende L. orientiert sich in der
gleichermaßen genutzt werden können und – Regel an den Themen, der grammatischen
sinnvoll eingesetzt – auch allen Beteiligten zu- ä Progression und den ä Lernzielen des Lehr-
gute kommen. werks. Häufig werden auch Lehrwerksfiguren
Das wohl bekannteste Präsentationspro- übernommen, die dann auf der multimedialen
gramm ist das Microsoft-Produkt Powerpoint. CD-ROM zum Leben erweckt werden und
Es basiert (wie andere Präsentationsprogramme durch das Lernangebot führen. Es gibt darüber
auch) auf einer vom Benutzer festzulegenden hinaus jedoch auch didaktische L., die nicht an
Abfolge von Folien, die virtuell übereinander ein Lehrwerk gebunden ist. Auch diese Soft-
gelegt werden. Das Programm ist so angelegt, ware orientiert sich an den Kriterien der gram-
dass die verschiedenen Symbolsysteme einer matischen Progression, der didaktisch sinnvol-
Präsentation (Texte, Fotos, Bilder, ClipArts, len Abfolge von Inhalten und Themen sowie
Grafiken, Diagramme, Schaubilder, Tabellen, nicht immer explizit formulierten Lernzielen.
Audio- und Videodateien, Internetlinks usw.) Simulationen stellen allgemein gesehen ein
beliebig miteinander kombiniert werden kön- Abbild oder einen Ausschnitt der Realität dar.
nen. Die Elemente werden sukzessive einge- In Simulationen werden Handlungsrahmen und
blendet, was den Aufbau und Zusammenhang die handelnden Personen festgelegt (ä Simula-
der einzelnen Gedankenschritte für den Be- tion Globale). Die Betonung liegt auf dem Lösen
trachter sehr gut nachvollziehbar macht. Auf einer Aufgabe, die auch sprachlicher Natur sein
diese Weise können auch komplexe Inhalte kann. Für den Kontext des Fremdsprachenler-
verständlich, übersichtlich und in optisch an- nens sind über das Internet zugängliche MUDs
sprechender Form dargestellt werden. (Multi User Dungeons/Dimensions) und MOOs
Übungs- oder Trainingsprogramme werden (MUDs Object Oriented) interessant. Sie ver-
für das Fremdsprachenlernen in großer Zahl stehen sich als text- und grafikbasierte virtuelle
angeboten. Aus didaktisch-methodischer Per- Realitäten, in denen die Lernenden eine ›On-
spektive ist festzustellen, dass solche L.-Pro- line-Identität‹ erhalten und je nach Gestaltung
gramme noch immer der behavioristischen des Kontextes im virtuellen Raum – auch
ä Lerntheorie der 1960er Jahre verpflichtet fremdsprachlich – agieren. Bisher liegen jedoch
sind. Die Interaktivität ist sehr eingeschränkt, kaum zuverlässige Erfahrungsberichte aus dem
es gibt kaum individuelle Fehlerrückmeldun- Bereich des schulischen FUs vor.
gen. Der Nutzer bzw. die Nutzerin verfügt Im Bereich der spielerischen L., auch ›Edu-
meist nur über eingeschränkte Antwortmög- tainment‹ genannt, ist das Angebot für den FU
lichkeiten auf eng formulierte Aufgaben oder groß. Die Bereiche Unterhaltung und Informa-
Grammatikübungen. tion werden konzeptionell verknüpft, um die
Nachschlagewerke existieren kaum noch in Lernenden spielerisch an den Lernstoff heran-
gedruckter Form, meist werden sie in digitaler zuführen und zu motivieren (ä Sprachlern-
Form im Internet, z. B. als E-Book, angeboten. spiele). Inhalte sind in multimedial aufbereitete
Hauptsächlich liegt das daran, dass die Spei- Spiele und Animationen eingebunden, die von
cherkapazität so enorm ist, dass z. B. der dem bzw. der Lernenden ausgewählt oder aus-
221 Lernsoftware

Lernform Erfahrungsbezug Motivierung Reaktivität


und Transfer
Autorensoft- konstruktiver Erfahrungsbezug ist durch Produktorientie- abhängig von den
ware, Prozess, gegeben rung und Anwendung genutzten Werk-
Werkzeuge Anwendung von Gelerntem hohe zeugen
Motivation
Übungs- Wiederholen Notwendigkeit von geringes Variations- gering
programme und Memorie- didaktischer Einbet- spektrum mittel-
ren tung zum Transfer fristiges Absinken der
Motivation
Tutorials interaktiver Erfahrungsbezug ist gesteigerte Motivation hängt von der Güte
(auch und konstruk- gegeben; Notwendig- durch Möglichkeit des der Verzweigungen
Hypermedia) tiver Prozess keit didaktischer selbstgesteuerten nach richtigen, nicht
Einbettung zum Lernens ganz richtigen und
Transfer falschen Antworten
ab
didaktisierte je nach Erfahrungsbezug wenn Lernformen Einzelprodukte zu
Lernsoftware Produkt sind abhängig von den variieren, spielerische unterschiedlich –
sehr unter- Inhalten; Transfer Elemente vorhanden abhängig von der
schiedliche möglich sind und die Reaktivi- Güte der Program-
Lernformen tät groß ist große mierung
denkbar Motivation
Simulationen explorativer Erfahrungsbezug ist erzeugt sehr große sehr groß
und ent- schwierig, da Motivation durch
deckender theoretisch; Transfer Abwechslungsreichtum
Prozess möglich
spielerische spielerischer je nach Lernstoff zu große Motivation groß, jedoch
Lernsoftware Lernprozess beurteilen; Notwen- Spieltrieb; Gefahr abhängig von der
(Edutainment) digkeit von didakti- der Überfrachtung mit Güte der Program-
scher Einbettung zum spielerischen Elemen- mierung
Transfer ten

gelöst werden. Diese Programme enthalten legung auf, dass neue Informationen und Lern-
auch Spielelemente, die Konzentration, Kombi- inhalte an das beim Lerner bzw. der Lernerin
nationsfähigkeit, Gedächtnisleistung und Ge- vorhandene ä Vorwissen anknüpfen sollten
schicklichkeit verlangen. In dieser Kategorie ist (ä Erfahrungsorientierung). Der dritte Gesichts-
besonders darauf zu achten, dass die spieleri- punkt, Motivierung, fragt nach den strukturel-
schen Elemente sinnvoll eingesetzt werden und len Merkmalen von L., die den Schüler bzw. die
das sprachliche Lernen nicht in den Hinter- Schülerin animieren könnten, sich mit dem
grund tritt. Gerade die zur ä Motivation ge- Lernstoff zu befassen. Das letzte Kriterium, die
dachten Animationen und Spielsituationen Reaktivität, klassifiziert L. schließlich nach de-
können albern und aufgesetzt wirken und errei- ren Fähigkeit, sich dem Arbeitsstil des bzw. der
chen damit das Gegenteil von dem, was ur- Lernenden anzupassen. Computerprogramme
sprünglich intendiert wurde. können zwar keine tatsächliche Interaktion mit
Die Übersichtstabelle kategorisiert L.-Pro- Menschen leisten, aber sie können auf den Be-
gramme für den FU nach den Aspekten Lern- nutzer reagieren, sich im günstigsten Fall sogar
formen, Erfahrungsbezug, Motivierung und über Rückmeldungen, Präsentationsform und
Reaktivität bzw. Interaktivität. Der Aspekt der Tempo auf den Lernstil des Benutzers (ä Ler-
Lernformen fragt nach den Wissensarten und nertypen) einstellen. Die Interaktivität eines L.-
Formen des Lernens, die ein Programm von produktes ist auf differenzierte Reaktionen
seiner Struktur her ermöglicht. Die zweite Di- des  Programms auf Nutzereingaben reduziert.
mension, der Erfahrungsbezug, greift die Über- Diese L.reaktionen sind selbstverständlich pro-
Lernsoftware 222

grammiert, d. h., das Programm kann auf nichts anhand von Aussagen oder Handlungen des
reagieren, was beim Programmieren nicht ›ge- Lerners bzw. der Lernerin inferierbar und inter-
plant‹ wurde. In diesem Sinne kann man auch pretierbar sind. Lerntechniken indessen sind
nicht von interagieren und Interaktivität spre- meist direkt beobachtbar und beziehen sich auf
chen, streng genommen handelt es sich um eine äußere Handlungen (z. B. die Fertigkeit, Wörter
begrenzte Möglichkeit von vorprogrammierten im Wörterbuch nachschlagen zu können, d. h.
Reaktionen auf Benutzereingaben. über Wörterbuchkompetenzen, Kenntnisse des
Aufbaus und der Funktionsweise von Wörter-
Lit.: A. Grünewald: Digitale Medien und soziale Netz- büchern zu verfügen). Aufgrund der engen Ver-
werke im Kontext des Lernens und Lehrens von Spra-
chen. In: E. Burwitz-Melzer et al. (Hg.): Handbuch
bindung beider Konzepte hat sich eine stärker
FU. Tüb. 62016 [1989, 459–463. – J. Roche: Hand- integrative Sichtweise entwickelt, der zufolge L.
buch Mediendidaktik Fremdsprachen. Ismaning sowohl über eine kognitive als auch eine me-
2008. – D. Rösler: E-Learning Fremdsprachen. Eine thodische Dimension verfügen: »language lear-
kritische Einführung. Tüb. 2007. AG ning and language use strategies can be defined
as those processes which are consciously selec-
ted by learners and which may result in action
Lernspiele ä Sprachlernspiele taken to enhance the learning or use of a se-
cond or foreign language, through storage, re-
tention, recall, and application of information
Lernstile ä Lernertypen about that language« (Cohen 1998, 4). Das
Kriterium der ä Bewusstheit von Strategien, das
in dieser Definition betont wird, findet nicht in
Lernstrategien. Das Konzept der L. findet in allen Definitionen Berücksichtigung. L. werden
unterschiedlichen Disziplinen (Lernpsycholo- auch dem prozeduralen ä Wissen zugeordnet,
gie, Psycholinguistik, Spracherwerbspsycholo- das hoch automatisiert (ä Automatisierung) und
gie, ä Fremdsprachendidaktik) Anwendung und nicht in allen Fällen detailliert verbalisierbar ist.
wird uneinheitlich definiert. Häufig wird nicht Einigkeit besteht allerdings darüber, dass L. in
zwischen L. im engeren Sinne und Lernerstrate- der Phase ihres Erwerbs (potenziell) bewusst
gien im weiteren Sinne unterschieden. Lerner- sind, bevor sie ggf. routiniert eingesetzt werden.
strategien legen größeren Nachdruck auf die Zur Klassifizierung von L. sind verschiedene
Persönlichkeit des Lerners bzw. der Lernerin Typologien entworfen worden. Zu den einfluss-
und umfassen neben kognitiven Strategien reichsten in der Fremdsprachendidaktik gehören
beim Sprachenlernen auch kommunikative und die Klassifikationsschemata von Rebecca Ox-
soziale Strategien bei der Sprachverwendung. ford (1990) und J. Michael Chamot/Anna U.
Da die Übergänge zwischen Lern- und Kom- O’Malley (1990). Oxford unterscheidet zwi-
munikationsstrategien fließend sind, werden L. schen direkten Strategien, die sich auf den un-
und Lernerstrategien nach wie vor häufig syno- mittelbaren Umgang mit der zu lernenden
nym verwendet. Sprache beziehen, und indirekten Strategien, die
In den kognitiv orientierten Wissenschaften sich auf die grundsätzliche Lernplanung richten.
werden L. als mentale Pläne für die Durchfüh- Zu den direkten Strategien gehören mnemo-
rung komplexer Handlungen oder die Lösung technische Strategien (z. B. die Verbindung von
vielschichtiger Probleme verstanden (Kriterium sprachlichen Elementen mit ä Bildern oder
der Problem- bzw. Lösungsorientierung); das Klängen), kognitive Strategien (z. B. formales
Bilden und Testen von Hypothesen steht im Üben oder deduktives Schlussfolgern) sowie
Mittelpunkt. In der Fremdsprachendidaktik Kompensationsstrategien (z. B. intelligentes Ra-
hingegen berücksichtigen L. auch methodische ten, Verwendung von Gestik und Mimik). Zu
und handlungsbezogene Aspekte. Deshalb sind den indirekten Strategien gehören metakogni-
L. in der Vergangenheit häufig mit ä Lerntech- tive Strategien (z. B. lang- und kurzfristige Lern-
niken oder study skills gleichgesetzt worden. planung, Selbstevaluation), affektive Strategien
Grundsätzlich besteht Einigkeit darüber, dass (z. B. Selbstbestärkung, Belohnung) und soziale
L. zunächst interne mentale Prozesse beschrei- Strategien (z. B. Kooperation, Empathie, um Er-
ben (z. B. der bewusste Plan, Wortbedeutungen läuterung bitten). Chamot und O’Malley (1990)
durch das Nachschlagen in ä Wörterbüchern zu hingegen unterscheiden metakognitive, kogni-
ermitteln), die nicht beobachtbar, sondern nur tive und sozial-affektive Strategien. Metakogni-
223 Lerntechniken

tive Strategien (ä Metakognition) umfassen Pla- ternativen) L., (3) Erprobung und Einübung der
nung und Evaluation der Lernprozesse sowie thematisierten L., (4) Evaluation der erprobten
selektive ä Aufmerksamkeit (z. B. sich beim L. Zusätzlich nennen manche Autoren (5) den
ä Hörverstehen auf bestimmte Schlüsselbegriffe ä Transfer der erarbeiteten L. auf neue Aufga-
konzentrieren). Kognitive Strategien entspre- ben (vgl. Chamot/O’Malley 1990).
chen bei Chamot/O’Malley in etwa Oxfords Nicht zuletzt stellen L. auch immer eine Wi-
direkten Strategien. Auch in den sozial-affekti- derspiegelung des spezifischen Lernkontextes
ven Strategien gibt es keine wesentlichen Unter- und der individuellen Lernerfahrung dar und
schiede zwischen beiden Klassifikationen. Beide beinhalten damit eine kulturelle Komponente,
Typologien lassen sich trotz ihrer Umfänglich- wie ein Beispiel aus der Grundschule verdeut-
keit dahingehend kritisieren, dass sie in gewissen licht (vgl. Viebrock 2004): Die jungen Fremd-
Punkten allzu detailliert sind, zugleich in ande- sprachenlernenden dokumentieren in ihrem
ren aber unvollständig. Wichtiger als die Fest- ä Portfolio solche Vorgehensweisen als Strate-
schreibung einer bestimmten Typologie ist eine gien, welche die Lehrkräfte als Routinen eta-
grundsätzliche Strategiebewusstheit im Fremd- bliert haben (z. B. das Warten bei der Sprachpro-
sprachenlehr- und -lernprozess. Während in den duktion, bis die Lehrperson eine unbekannte
1970er Jahren die L.forschung zunächst zum Vokabel einflüstert). Jeder Klassenraum erlaubt
Ziel hatte, Strategien erfolgreicher Sprachenler- also die Entwicklung je eigener Strategien. Die-
ner zu identifizieren und zu beschreiben, um sie ses wird verstärkt durch kulturelle Normen, die
weniger erfolgreichen Lerner/innen zur Verfü- regional oder national an das Fremdsprachenler-
gung zu stellen, ist seit den Arbeiten von Oxford nen herangetragen werden. Über das Fremdspra-
und Chamot/O’Malley die Lehrbarkeit von chenlernen im Klassenzimmer hinaus werden L.
Strategien in das Zentrum der Aufmerksamkeit im Kontext der Sprachlernberatung (vgl. Berndt
gerückt (vgl. auch Martinez 2016). Dieses zeigt 2014) thematisiert, die auf die Förderung auto-
sich auch in der Forschung, die sich zunehmend nomen und individuellen Sprachenlernens zielt.
der Frage der Effektivität von Strategienvermitt- Lit.: A. Berndt (Hg.): Sprachlernberatung, Sprachlern-
lung zugewandt hat. Ohne einzelne Ergebnisse coaching. FfM 2014. – P. Bimmel/U. Rampillon: Ler-
detailliert darstellen zu können, scheint die nerautonomie und L. Bln/Mü. 2000. – A. U. Chamot/
Wirksamkeit von Strategientraining besonders J. M. O’Malley: Learning Strategies in Second Lan-
guage Acquisition. Cambridge 1990. – A. D. Cohen:
groß zu sein, wenn es (a) integrativ in den Auf- Strategies in Learning and Using a Second Language.
gaben und Themen des FU verankert ist (iso- Harlow 1998. – H. Martinez: Lernerstrategien und
lierte Strategietrainings hingegen zeigen keine Lerntechniken. In: E. Burwitz-Melzer (Hg.): Hand-
guten Transferergebnisse) und wenn es (b) nicht buch FU. Tüb. 62016 [1989, 372–376. – R. Oxford:
nur auf das Anwenden und Üben von Strategien Language Learning Strategies. What Every Teacher
Should Know. N.Y. 1990. – B. Viebrock: English as a
zielt (ä Übung), sondern es ausreichend Gele- Foreign Language in the Primary School. A Case
genheit zur Reflexion gibt. Die Bewusstma- Study of Young Children’s Learner Strategies. In: M.
chung von L. hat einen hohen Stellenwert (vgl. Diez et al. (Hg.): Debate en torno a las estrategias de
Bimmel/Rampillon 2000). Als Begründung für apprendizaje/Debating Learning Strategies. FfM
die unterrichtliche Vermittlung von L. wird über 2004, 77–87. BV
ihre Effektivität für das Sprachenlernen und
-anwenden hinaus die Diskussion um Lernerau-
tonomie herangezogen (ä Autonomes Lernen). Lerntechniken (manchmal auch Taktiken, study
Eigenverantwortlichkeit, Selbständigkeit, Refle- skills) kann man, auch wenn das weder in der
xivität und Evaluationsfähigkeit der Lernenden einschlägigen Literatur noch in der Unterrichts-
werden gefördert. Es kann nicht darum gehen, praxis oft geschieht, von ä Lernstrategien ab-
die L. erfolgreicher Lerner/innen zum erstre- grenzen; trennscharfe Differenzierungen bzw.
benswerten Vorbild für alle zu machen, sondern Zuordnungen sind jedoch nicht immer möglich.
aus dem Spektrum von L. bewusst und begrün- Beide Begriffe charakterisieren im Kontext des
det diejenigen auswählen zu können, die für den FUs die von Lernenden gewählten Vorgehens-
individuellen Lerner bzw. die individuelle Ler- weisen bei der Aneignung einer Fremdsprache.
nerin am effektivsten sind. Methodisch wird ein Sie werden in starkem Maße durch die Auffas-
vier- oder fünfschrittiges Verfahren für die Ver- sung der Lernenden davon bestimmt, wie man
mittlung von L. vorgeschlagen: (1) Bewusstma- am günstigsten lernt. Abhängig vom jeweiligen
chung individueller L., (2) Präsentation von (al- Ziel der wissenschaftlichen Analyse oder den
Lerntechniken 224

praktischen Notwendigkeiten bezeichnet man Überlesen des Textes und eventuelles Kenn-
diese Lernhandlungen u. a. als Lernstrategien, zeichnen
oder man fasst Lernstrategien als übergeordne- • rezipierbare Lexik > Lernstrategie 1: Er-
ten Begriff auf, dem jeweils mehrere L. zu- bzw. schließen unbekannter Wörter mit Lern-
untergeordnet werden. Beim Planen und Reali- technik 2: aus dem Kontext, mit Lern-
sieren der Gedächtnisstrategie ›Wortschatz or- technik 3: aus Ähnlichkeit mit der Mutter-
ganisieren‹ bieten sich unterschiedliche, neben- sprache oder mit anderen Sprachen
einander oder wechsel- bzw. ersatzweise ein- (Orthographie, Aussprache), mit Lerntech-
setzbare L. an wie z. B. Wortfelder, Wortfamilien, nik 4: mit Hilfe der Wortbildungsanalyse
Wortnetze, Wortskalen, Diagramme, Wortbil- • nicht-rezipierbare Lexik > Lernstrategie 2:
der (ä Wortschatz und Wortschatzvermittlung). Nutzen von Nachschlagewerken mit Lern-
Eine kognitive Lernstrategie wie das Nutzen technik 5: eventuelles Ermitteln der
von Hilfsmitteln beim Schreiben adressatenbe- Grundformen nicht-rezipierbarer Wörter,
zogener elementarer Textsorten kann u. a. durch mit Lerntechnik 6: Auswahl der aktuellen
L. wie das Rekonstruieren verwürfelter Texte Bedeutung unter Berücksichtigung des
oder das Verändern (Auslassen, Ersetzen, Er- Kontextes, mit Lerntechnik 7: eventuell
weitern, Umstellen) von Modelltexten realisiert Notieren der gefundenen Bedeutungen,
werden. So verstanden sind L. »Verfahren, die mit Lerntechnik 8: Überprüfen und gege-
vom Lernenden absichtlich und planvoll ange- benenfalls Korrigieren der Ergebnisse
wandt werden, um sein fremdsprachliches Ler-
nen vorzubereiten, zu steuern und zu kontrol- Lernen ist ein individueller konstruktiver Pro-
lieren« (Rampillon 1996, 17). Lernstrategien zess (ä Konstruktivismus/Konstruktion), d. h.
werden oft als nicht konkret fassbar und als wenn sich verschiedene Lernende derselben L.
vom Lernenden je nach seinem Wissens- und bedienen, so können die jeweiligen konkreten
Reifungsstand, abhängig von den vorliegenden individuellen Lernvorgänge unterschiedlich
Lernanforderungen und der Zielorientierung verlaufen und zu abweichenden Ergebnissen
flexibel einsetzbar und gegebenenfalls verän- führen. Deshalb sind kooperative Arbeitsfor-
derbar aufgefasst (vgl. Haudeck 2008, 22). L. men zum Abgleich und zur Wertung der Ergeb-
hingegen werden durch eine Reihe anderer nisse notwendig (ä Kooperatives Lernen). L.
Merkmale bestimmt. Es sind oft äußere, beob- lassen sich trainieren und dadurch fördern. Die
achtbare Handlungen, allerdings gehören auch Kombination einer direkten und einer eingebet-
elementare kognitive Operationen dazu; sie be- teten Förderung scheint dabei das erfolgsver-
inhalten gegebenenfalls auch den rationellen sprechendste Modell zu sein (vgl. Haudeck
Umgang mit Hilfsmitteln. Sie zeichnen sich 2008, 35 ff.). Hierbei ist hilfreich, dass L. für
idealerweise durch Zielklarheit und Zielorien- die Lernenden intern und für Lernende und
tierung, Bewusstsein vom Lernstand und der Lehrende extern beobachtbar sind.
Lernaufgabe, Beherrschung des Lernvorgehens Lit.: K. Günther (Hg.): Wege zu erfolgreicher Fremd-
sowie Ergebnisbewusstheit aus (vgl. Günther sprachenaneignung. Bln 1986. – H. Haudeck: Fremd-
1986, 14 ff.). L. können mehr oder weniger au- sprachliche Wortschatzarbeit außerhalb des Klassen-
tomatisiert sein und deshalb routiniert verlau- zimmers. Eine qualitative Studie zu Lernstrategien
fen (ä Automatisierung). Sie helfen dem bzw. und L. in den Klassenstufen 5 und 8. Tüb. 2008. –
U. Rampillon: L. im FU. Ismaning 31996 [1985. JS
der Lernenden, kurze Strecken des Lernens, die
Teilaufgaben einer komplexen Lernaufgabe zu
bewältigen, während Lernstrategien als vom Lerntheorien. Lernen ist einer der zentralen Be-
Lernenden bzw. von der Lernenden für sich griffe didaktischen Denkens. Wie Lernen ab-
selbst formulierte Handlungsmaximen längere läuft und was Lernen eigentlich ist, war lange
Wege des Lernens bestimmen. Als Beispiel für Zeit unbekannt. Problematisch ist dabei v. a.,
ein mögliches Zusammenspiel von Lernstrate- dass man nur Ergebnisse des Lernens (Hand-
gien und L. diene das Vorgehen beim analyti- lungen, Produkte, Einstellungen usw.), nicht je-
schen Lesen eines Textes, mit dem im Unterricht doch den Lernprozess selbst wahrnehmen
weitergearbeitet werden soll (vgl. Günther kann. Theorien darüber, wie Menschen lernen,
1986, 23; Haudeck 2008, 31): haben didaktisches Denken und Handeln aber
• Lerntechnik 1: Ermitteln der zu semanti- schon immer beeinflusst. Da man sich dem
sierenden Wörter, Wendungen usw. durch Vorgang des Lernens aus völlig unterschiedli-
225 Lerntheorien

chen Denkansätzen heraus nähern kann, gibt es derjenige, der geeignete Anreize setzt und
eine Vielzahl von Theorien darüber. L. sind in Rückmeldungen auf die Schülerreaktionen
der Regel von Lernpsychologen entwickelte gibt. Er greift mit seiner positiven oder negati-
Modelle, die versuchen, den komplexen Vor- ven Rückmeldung stark steuernd in die Lern-
gang des Lernens zu erfassen, zu beschreiben prozesse der Lernenden ein. Die didaktisch-
und mit möglichst einfachen Prinzipien und methodische Aufgabe des Lehrenden besteht
Regeln zu erklären. Drei grundlegende Positio- v. a. darin, geeignete Stimuli (Lernanreize) zu
nen spielten und spielen dabei eine besondere finden und die richtigen Verhaltensweisen in
Rolle: behavioristische L., kognitivistische L. geeigneter Form zu verstärken.
und konstruktivistische L. Alle drei Positionen Kognitivistische L. sehen den Lernenden als
liefern praktikable Theorieansätze zum Be- Individuum, das äußere Reize (Informationen)
schreiben und Erklären von Teilaspekten von aktiv wahrnimmt, selbständig bearbeitet und
Lernprozessen. Ein allgemeingültiges, umfas- diese als Kognitionen (Erkenntnisse) abspei-
sendes und ausschließliches Modell der Erklä- chert. Lernen ist somit ein Prozess des Verste-
rung menschlichen Lernens gibt es nicht und hens, der auf kognitiver Einsicht und aktiver
kann es aufgrund der Komplexität des Gegen- Verarbeitung von Informationen beruht. Ziel
standes wahrscheinlich auch nicht geben. Für kognitivistischer L. ist, die dabei im Lernenden
die Analyse und Gestaltung von fremdspra- ablaufenden komplexen Prozesse zu untersu-
chenunterrichtlichen Lehr-Lern-Prozessen gilt chen, zu verstehen und regelhaft zu beschreiben.
es, jeweils zweckorientiert die richtige Mi- Zu den kognitivistischen L. gehören die L. der
schung der relevanten Aspekte aller Theorien Gestaltpsychologen, sozial-kognitive L., z. B.
zu nutzen. die von Albert Bandura sowie die kognitiven
Im Zentrum behavioristischer L. steht das Theorien von Jerome Bruner und Jean Piaget.
sichtbare und erfassbare, von außen zu steu- Lernen ist nach kognitivistischen Erklärungs-
ernde Verhalten (engl. behavior) des Individu- ansätzen in erster Linie Informationsaufnahme,
ums, wobei der Mensch primär als das Produkt Informationsverarbeitung und Informations-
seiner Umwelt gesehen wird. Der Lernende speicherung. Entscheidend für den erfolgreichen
selbst wird als ›black box‹ betrachtet, d. h., die Lernprozess ist die didaktisch-methodische
im Lernenden ablaufenden mentalen Prozesse Aufbereitung und Präsentation der Lerninhalte
werden außer Acht gelassen. Die Vertreter des (Stoff) und der sachlichen Problemstellungen
Behaviorismus gehen davon aus, dass durch (Aufgaben). Die Rolle des Lernenden wird auf-
geeignete Reize zum Zwecke der Verstärkung gewertet, da er anhand der vorgegebenen Pro-
erwünschten Verhaltens (Belohnung) bzw. zur blemstellungen aktiv Lösungswege beschreitet,
Unterdrückung unerwünschten Verhaltens (Be- dabei Erkenntnisse gewinnt und sein Wissen
strafung) jede gewünschte Reaktion in einem vergrößert. Trotzdem kommt dem Lehrenden
Individuum hervorgerufen werden kann. So- die zentrale Bedeutung im Lehr-Lernprozess zu.
bald sich eine Reiz-Reaktions-Kette aufgebaut Er wählt Informationen aus, bereitet sie auf
hat, wird ein Lernprozess als abgeschlossen be- und stellt sie zur Verfügung. Er gibt auch die
trachtet. Bei komplexeren Aufgaben und Inhal- Problemstellungen vor und unterstützt die Ler-
ten gilt es, diese lernförderlich zu portionieren nenden beim Bearbeiten der Informationen.
und in eine für den Lernenden vermeintlich Aus konstruktivistischer Sicht (ä Konstrukti-
optimale Reihenfolge zu bringen. Zu den wich- vismus/Konstruktion) ist Lernen ein aktiver
tigsten behavioristischen L. gehören das Klassi- Prozess der Wissenskonstruktion, bei dem In-
sche Konditionieren nach Ivan P. Pawlow und formationen aufgenommen und interpretiert
John B. Watson, das Operante Konditionieren werden und sich dann als individuell repräsen-
nach Burrhus F. Skinner, Clark L. Hulls Theorie tiertes Konstrukt beim Lerner bzw. bei der Ler-
der Intervenierenden Prozesse, Donald O. nerin manifestieren. (Um-)Welt und Weltsicht
Hebbs Pseudobehaviorismus und Edward C. sind in konstruktivistischem Verständnis keine
Tolmans Zielgerichteter Behaviorismus. Allen festen Konzepte sondern werden durch jedes
behavioristischen Theorien gemein ist die An- Individuum anders wahrgenommen und inter-
nahme, dass der Lernende von sich aus passiv pretiert. Seit Ende der 1970er Jahre gewinnen
ist, auf äußere Reize hin aktiv wird und in Re- konstruktivistische Positionen in der Lernpsy-
aktion tritt. Der Lehrende hat bei diesem Ver- chologie im Zusammenhang mit neuen For-
ständnis von Lernen die zentrale Rolle. Er ist schungsergebnissen aus der Hirnforschung,
Lerntheorien 226

Neurobiologie, Systemtheorie und Kognitions- schiedlichen lerntheoretischen Modellen aufs


psychologie zunehmend an Bedeutung. Einige Neue untersuchen und in vielen Bereichen de-
grundlegende Annahmen, die konstruktivistisch ren Erkenntnisse bestätigen (ä Neurodidaktik).
orientierten L. zugrunde liegen, sind die folgen- Lit.: W. Edelmann: Lernpsychologie. Weinheim 62000
den (vgl. Wolff 1997, 107): Es kann nur das [1995. – G. R. Lefrancois: Psychologie des Lernens.
verstanden und gelernt werden, was sich mit Bln 42006 [1976. – S. Winkel/F. Petermann/U. Peter-
bereits vorhandenem ä Wissen verbinden lässt. mann: Lernpsychologie. Paderborn 2006. – D. Wolff:
Lernen lernen. Wege zur Autonomie des Schülers. In:
Die eingesetzten Konstruktionsprozesse sind Lernmethoden, Lehrmethoden. Wege zur Selbständig-
interindividuell verschieden; deshalb sind auch keit. Friedrich Jahresheft XV (1997), 106–108. FH
die Ergebnisse von Lernprozessen nicht iden-
tisch. Wissen ist immer ›subjektives‹ Wissen,
das sich selbst für Lernende, die im gleichen Lernumgebung ä Lehr- und Lernort
sozialen Kontext lernen, beträchtlich unter-
scheiden kann. Neues Wissen impliziert die
Umstrukturierung bereits vorhandenen Wis- Lernwerkstatt ä Lehr- und Lernort
sens. Lernprozesse müssen in reiche und au-
thentische Lernumgebungen eingebettet wer-
den. Von besonderer Bedeutung ist das Prinzip Lernziel. Ein L. ist ein gewünschtes Lernergeb-
der Selbstorganisation. Der Mensch als in sich nis. L.e beschreiben beabsichtigte und geplante
geschlossenes System organisiert sich selbst und Verhaltensänderungen der SuS. Sie legen fest,
organisiert damit für sich die Welt. Konstrukti- was im Unterricht erreicht werden soll. Hilbert
vistische L. sehen den Lernprozess als Prozess Meyer (1974, 32) definiert ein L. als »sprach-
der individuellen Konstruktion von Wissen. lich artikulierte Vorstellung über die durch Un-
Der Lerner bzw. die Lernerin steht bei diesen terricht (oder andere Lehrveranstaltungen) zu
Theorien im Mittelpunkt. Der Schwerpunkt bewirkende gewünschte Verhaltensdisposition
beim Lernen liegt nicht auf der gesteuerten und eines Lernenden«. In den Erziehungswissen-
kontrollierten Vermittlung von Inhalten, son- schaften wird mit einem lernzielorientierten
dern beim individuell ausgerichteten und selbst Unterricht folglich die Vorstellung verbunden,
organisierten Bearbeiten von Themen (ä Auto- dass SuS nach dem Unterricht eine Verhaltens-
nomes Lernen). Die Lernenden erarbeiten sich änderung zeigen sollen. Verhalten wird hier
selbständig Informationen, reflektieren mögli- verstanden als umfassender Grundbegriff des
che Probleme und lösen diese. Die Rolle des Behaviorismus, der alle beobachtbaren und
Lehrenden (ä Lehrer/in und Lehrerrolle) ist die messbaren Aktivitäten der SuS umfasst. Aller-
eines Lernbegleiters, der eigenverantwortliche dings lassen sich nicht alle gewünschten Verhal-
und soziale Lernprozesse erleichtert und unter- tensweisen der SuS unmittelbar beobachten,
stützt. d. h. nicht alle L.e sind auch operationalisierbar
Neuere Untersuchungsergebnisse der Hirn- bzw. überprüfbar. Die L.euphorie der 1970er
forschung führen zunehmend empirische Be- Jahre ist heute verblasst. Man spricht eher von
funde in die lerntheoretische Diskussion ein. Unterrichtszielen, die letztlich dem Aufbau von
Allerdings sehen selbst führende Hirnforscher ä Kompetenzen im Rahmen eines outputorien-
den Neuigkeitswert dieser Erkenntnisse realis- tierten Unterrichts dienen.
tisch: Die Hirnforschung bestätigt in vielen Be- L.e dienen vorrangig der ä Unterrichtspla-
reichen Aspekte sozial-kognitiver und kon- nung. Die Lehrkraft muss vor dem Unterricht
struktivistischer Lerntheorien, so z. B. die Fest- wissen, was sie erreichen will, und daraufhin
stellung, dass Wissen nicht übertragen werden die Inhalte (Themen, Gegenstände) und die zu
kann, sondern durch jeden Lernenden in sozia- ihrer Vermittlung geeigneten Methoden aus-
len Kontexten neu erworben wird, oder die wählen. Die Phasierung des Unterrichts erfolgt
Feststellung, dass Lernen stets unter bestimm- dann über das Festlegen von Grob- und Fein-
ten Rahmenbedingungen stattfindet und durch zielen. Am Ende einer Unterrichtseinheit steht
Faktoren gesteuert wird, die häufig unbewusst, oft eine Lernerfolgskontrolle. Anders formu-
aber emotional gefärbt ablaufen und deshalb liert: »Sind Ziele erreicht worden, haben Schü-
schwer beeinflussbar sind (ä Emotion). Generell ler also etwas gelernt, so haben sich die Ziele in
kann festgestellt werden, dass die Neurowis- Wissen, Können, Fähigkeiten, Fertigkeiten um-
senschaften derzeit eine Vielzahl von unter- gewandelt« (Miller 1999, 215).
227 Leseverstehen

L.e lassen sich unterschiedlichen Dimensio- Lit.: H. Meyer: Trainingsprogramm zur L.analyse.
nen (Bereichen) zuordnen. Man spricht in dem Weinheim 131994 [1974. – R. Miller: Lehrer lernen.
Ein pädagogisches Arbeitsbuch. Weinheim 21999
Zusammenhang auch von Hierarchie und Ta-
[1995. AnN
xonomie. Beide Begriffe meinen das Gleiche:
eine Klassifikation von L.en, bei der einzelne
Ziele durch Über- oder Unterordnung in eine Leseförderung ä Leseverstehen
bestimme Reihenfolge gebracht werden. Die
Taxonomie von Benjamin Bloom unterscheidet
kognitive L.e (bezogen auf ä Wissen, Kenntnisse Leseverstehen. L. ist als Informationsverarbei-
und Problemlösen), affektive L.e (bezogen auf tung ein Akt ständiger Bedeutungskonstruktion
die Bereitschaft, etwas zu tun, auf Einstellungen und als ein Prozess zu begreifen, der bewusst
und auf die Entwicklung von Einstellungen und erworben wird (vgl. Hermes 1998, 230). An-
Werten) und psychomotorische L.e (bezogen ders als das ä Hörverstehen ist L. vom Rezipi-
auf die motorischen Fertigkeiten der SuS). Für enten selbst gesteuert, was das Lesetempo an-
den FU geeigneter erscheint eine Einteilung von belangt. Kinder lernen das Lesen in der Regel
L.en in Lernbereiche wie ä Spracherwerb, Wis- im Anfangsunterricht, nachdem sie ihre Sprache
senserwerb und Methodenerwerb. Die Auftei- bereits einige Jahre lang gesprochen haben. L.
lung der Kompetenzen des ä Gemeinsamen eu- in der Fremdsprache beginnt im ä frühen FU in
ropäischen Referenzrahmens ist ebenfalls ge- der Grundschule im 2. oder 3. Lernjahr, bei
eignet, L.e zu taxonomisieren und aufzuteilen späterem Beginn nach wenigen Wochen (vgl.
in die Bereiche Sach-/Fachkompetenz (savoir), Oakhill/Garnham 1988). Dabei kann es je nach
ä Methodenkompetenz (savoir faire, savoir ap- Nähe oder Distanz von Mutter- und Fremd-
prendre) und Selbstkompetenz (savoir être). sprache zu ä Interferenzen zwischen beiden
Das Hauptziel des FUs besteht in der Entwick- Sprachen kommen (vgl. Hudson 2007, 60).
lung einer interkulturellen ä Handlungskompe- Es gibt zahlreiche Definitionen des L.s, die
tenz. Weitere Ziele sind der Aufbau von allge- sich alle darauf konzentrieren, dass Lesen ein
meinen und von ä kommunikativen Kompeten- physiologischer und psychologischer Vorgang
zen. ist, der von der Worterkennung zum ä Verstehen
Ein lernzielorientierter Unterricht darf nicht führt. Physiologisch bedeutet L., dass die Augen
zu einem statischen Abarbeiten von Feinzielen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit über
und damit zu einem wenig lebendigen Unter- Schriftsymbole gleiten und diesen Bedeutung
richt degenerieren, in dem für Spontaneität kein entnehmen. Dabei bewegen sich die Augen nicht
Raum mehr bleibt. Schließlich sollen auch Ler- gleichmäßig und auch nicht immer nur in einer
nende an der Unterrichtsgestaltung aktiv betei- Richtung. Je langsamer diese Bewegungen sind
ligt werden. Im Referendariat werden Unter- (Leseanfänger/innen), desto schwieriger ist die
richtshospitationen stets von einer schriftlichen Bedeutungsentnahme, weil Zusammenhänge
Unterrichtsplanung begleitet, dem Unterrichts- nicht erkannt werden. Bei Nichtverstehen glei-
entwurf. Hier fixieren Unterrichtende den ge- ten die Augen im Text zurück. Psychologisch
planten Ablauf der Stunde und benennen das bedeutet L., dass man Wörtern, Sätzen und grö-
Grobziel und Feinziele der Stunde. L.e werden ßeren Einheiten Bedeutung entnimmt. Die Fer-
auf der Basis des ä Lehrplans ausgewählt, rund tigkeiten auf niedriger Ebene (lower level skills)
um den didaktisch-methodischen Schwerpunkt bestehen in aufsteigender Linie im Erkennen
der Stunde festgelegt und konkret auf die jewei- von Wörtern, syntaktischen Einheiten und Sät-
lige Stunde bezogen formuliert. Das Reflektie- zen und schließlich von Zusammenhängen; die
ren von L.en ist demnach ein wesentliches Mo- Fertigkeiten auf höherer Ebene (higher level
ment der Unterrichtsvorbereitung. In der Praxis skills) bestehen im Verstehen des Gelesenen, in
hat sich folgende Formulierung bewährt: ›Die der Verarbeitung der Informationen, dem Inter-
SuS sollen … [Verb, indem sie … [Verb.‹ Dieses pretieren des Verstandenen und schließlich in
Satzgefüge schärft den Blick dafür, dass zu- der Bewertung oder Reflexion. Die lower level
nächst einmal die angestrebte Fertigkeit be- skills lassen sich auch unter dem Begriff ›Deko-
schrieben wird, bevor im Nebensatz ergänzt dieren‹ und die higher level skills unter ›Textver-
wird, wodurch dieses konkret im Unterricht ge- ständnis‹ fassen (vgl. Hudson 2007, 83).
leistet wird oder woran man dieses festmachen Drei L.s-Modelle finden sich in jeder ein-
kann. schlägigen Publikation: das bottom-up-, das
Leseverstehen 228

top-down- und das Interaktionsmodell (vgl. sens entwickelt, können beide miteinander po-
ebd., 32 ff.). Lesen als bottom-up-Prozess be- sitiv oder negativ korrelieren. Je größer die se-
ginnt bei den Zeichen im Text, die aufgenom- mantischen, syntaktischen und kulturellen
men, verarbeitet und in den eigenen Wissensbe- Unterschiede zwischen zwei Sprachen sind,
stand integriert werden; es ist also datengeleitet. desto schwieriger ist das L. in der Fremdspra-
Die Integration in das eigene ä Wissen kann che. Und je ähnlicher sich zwei Sprachen sind,
aber kaum erfolgreich sein, wenn Lesen nicht umso positiver kann das L. beeinflusst werden
auch als top-down-Prozess verstanden wird. (z. B. Ähnlichkeiten zwischen der deutschen
Das bedeutet, dass der Leser oder die Leserin und englischen oder der englischen und franzö-
(oft unbewusst) allgemeines Weltwissen oder sischen Sprache aufgrund orthographischer
spezielles thematisches ä Vorwissen in den Le- Ähnlichkeiten oder Etymologie des Wortschat-
seprozess einbringt und so zum Textverstehen zes). Dabei spielen zwei Hypothesen in der Le-
gelangt. Das Zusammenspiel beider Prozesse seforschung eine Rolle, die Interdependenzhy-
wird durch das Interaktionsmodell repräsen- pothese und die Schwellenhypothese (threshold
tiert, das besagt, dass L. immer im Zusammen- hypothesis). Die erstere besagt, dass schwache
spiel von bottom-up- und top-down-Prozessen Leseleistungen in der Muttersprache auch in
besteht. Erst die Interaktion führt zur Wissens- der Fremdsprache abgebildet werden. Ein
erweiterung und zur Integration von neuen schwacher Leser in der Muttersprache wird
Wissensbeständen in bereits vorhandene. In auch in der Fremdsprache kein starker Leser
diesen Zusammenhang gehört die Schema- werden. Eine langsame Leserin, die Wort für
Theorie, die gleichfalls häufig herangezogen Wort liest, wird in der Regel nicht zum Textver-
wird. Unter Schemata werden kognitive men- ständnis gelangen, da sie den Text nicht in
tale Konstrukte verstanden, die die Strukturie- Sinneinheiten aufnimmt, was für das L. uner-
rung von aufgenommenen Informationen er- lässlich ist. Die zweite Hypothese besagt, dass
leichtern und die Speicherung im Langzeitge- ein bestimmtes sprachliches Niveau in der
dächtnis ermöglichen. Obwohl der aus der Fremdsprache eine Eingangsvoraussetzung für
Kognitionspsychologie stammende Begriff vage fremdsprachliches L. ist. Insgesamt neigt die
ist, hat er sich für das L. als fruchtbar erwiesen. Forschung eher zur Schwellenhypothese (vgl.
Schemata werden beim L. aktiviert. Wenn es Grabe/Stoller 2002, 50 ff.), zur These also, dass
sich um Abläufe handelt, werden sie auch fremdsprachliches L. weniger von der mutter-
Skripte (scripts) genannt (vgl. Nuttal 1996, 7). sprachlichen Leseleistung abhängt als vielmehr
Dabei wird zwischen formalen und inhaltlichen von einem bestimmten fremdsprachlichen Fun-
Schemata unterschieden. Erstere beziehen sich dament.
auf die Kenntnis von Text-Genres (z. B. Mär- Das Ziel des L.s ist in jedem Fall die ä Auto-
chen, Gedicht, Essay) oder formalen Textstruk- matisierung der lower-level skills und damit
turen (z. B. Argumentation, Deskription, Klassi- auch das Erreichen eines bestimmten Lesetem-
fikation; vgl. Hudson 2007, 165 ff.). Inhaltliche pos (vgl. Hermes 1998, 231). Einen Text zu
Schemata beziehen sich auf das Weltwissen und verstehen, bedeutet demnach, die Wörter, Sätze
sind stark kulturell geprägt. Das heißt, der kul- und Absätze und ihren Zusammenhang ebenso
turelle Hintergrund der Leserin oder des Lesers zu begreifen wie das Genre, die Struktur und
beeinflusst positiv oder negativ das L. eines die Textabsicht, ihn zu interpretieren, Schlüsse
fremdsprachlichen Textes (vgl. ebd., 141 ff.). L. zu ziehen, eine Bewertung vorzunehmen und
beginnt nie bei Null, sondern ist immer in einen darüber erfolgreich zu reflektieren (vgl. Oak-
sozialen und kulturellen Kontext eingebettet. hill/Garnham 1988, 103 ff.). L. kann allerdings
Dabei sind als zusätzliche Faktoren das Leseal- sowohl in der Mutter- als auch in der Fremd-
ter und die häusliche wie schulische Lesesozia- sprache nur erreicht werden, wenn Texte zwei
lisation wesentlich. Nur so können Lesende Kriterien erfüllen, das der Kohäsion und das
Hypothesen und Voraussagen über den Fort- der Kohärenz (vgl. Nuttal 1996, 24 ff.). Textko-
gang des Textes machen sowie Schlüsse ziehen häsion bezeichnet den grammatischen Zusam-
(ä Inferenz). Sie sind wichtige Faktoren für ein menhang zwischen einzelnen Sätzen, z. B. Kon-
erfolgreiches L. und unerlässlich für den Verste- junktionen und Pronomina. Textkohärenz be-
hensprozess. deutet, dass ein Text in sich schlüssig ist und
Da sich fremdsprachliches Lesenlernen im- einen logischen Zusammenhang erkennen lässt.
mer auf der Folie des muttersprachlichen Le- Inkohärente Texte können auch in der Mutter-
229 Leseverstehen

sprache schwer oder nahezu unverständlich textualisierung) oder von Illustrationen. Hinzu
sein. Es gibt zahlreiche Untersuchungen zur kommt die Notwendigkeit, nicht bekannte
Schwierigkeit von Texten, die objektiv durch Wörter zu tolerieren (vgl. Nuttall 1996, 64).
Satz- und Wortlänge gemessen werden können Während beim Lehrwerk das Detailverständ-
(vgl. ebd., 175 f.). Ein Text ist demnach umso nis im Zentrum steht, kommt selektives Lesen
schwieriger, je länger die einzelnen Wörter und oder orientierendes Lesen der Alltagsfunktion
die Sätze insgesamt sind. Diese Kriterien führen des L.s näher. Dem Detailverständnis entspricht
zwar zu quantitativen Ergebnissen, sind aber das intensive oder statarische Lesen, das auf
dennoch unbefriedigend, denn eine komplexe möglichst umfassendes L. zielt. Kursorisches
Syntax kann einen lexikalisch einfachen Text Lesen dagegen bedeutet, sich einen Überblick
schwierig machen, und die Leserfaktoren wer- über einen Lesetext und dessen Inhalt, Struktur
den zudem außer Acht gelassen. Diese betreffen und Absicht zu verschaffen. Davon unterschei-
nicht nur die fremdsprachlichen Kenntnisse, det sich das extensive Lesen, bei dem es sich um
sondern auch die fremdsprachliche Leseerfah- das möglichst rasche Bewältigen großer Text-
rung und -sozialisation, das Welt- und Vorwis- mengen handelt. Dem kursorischen Lesen dient
sen, das Interesse am Thema und nicht zuletzt die Technik des raschen Überfliegens eines Tex-
das optische Layout des Lesetextes. tes (skimming), bei der Phänomene wie Titel,
Auch wenn das L. in der Fremdsprache auf Zwischenüberschriften oder Illustrationen zu
der Folie des muttersprachlichen L.s erfolgt, Hilfe genommen werden, um einen ersten Text-
bedarf es dennoch einer fremdsprachlichen Le- eindruck zu erlangen. Die Technik des scanning
sedidaktik. Das Ziel ist »[to enable students to dient dazu, in einem Text rasch bestimmte In-
enjoy [… reading in the foreign language, and formationen zu finden, also zunächst die Tech-
to read without help unfamiliar authentic texts, nik des skimming anzuwenden und sodann se-
at appropriate speed, silently and with adequate lektiv bzw. detailliert zu lesen. Es versteht sich
understanding« (Nuttal 1996, 31). Der fremd- von selbst, dass dabei das Lesetempo je nach
sprachliche Leseprozess wird zunächst immer Leseziel variiert (vgl. Nuttal 1996, 48 ff.). Je
vom ä Lehrwerk determiniert, dessen Texte schwieriger und komplexer der Text, desto ge-
funktional zu sehen sind: Sie transportieren ringer ist das Lesetempo. Das gilt für die Fremd-
neue Lexik und Strukturen, die dem ä Spracher- sprache in noch viel höherem Maße als für die
werb dienen, und werden in dieser Funktion Muttersprache, in der der Leser das Lesetempo
rezipiert, nämlich zum Spracherwerb und weni- auch nach dem Inhalt des Textes, dem sprachli-
ger um ihres Inhaltes willen. Gleichzeitig wer- chen Niveau sowie nach dem Leseziel variiert.
den Lehrwerktexte häufig mehrfach laut gele- Eine Lesedidaktik zielt auf Entwicklung des
sen, was dem ›natürlichen‹ Lesen zuwiderläuft, L.s, also auf Textverstehen und Interpretation.
das in der Regel leise erfolgt. Mehrfaches lautes Erschließungstechniken befassen sich mit der
Lesen fördert weder neue Information zutage, sprachlichen, inhaltlichen und formalen Struk-
noch dient es der Schulung der ä Aussprache, tur eines Textes, der lesend erschlossen werden
wenn sich Lesefehler festsetzen. Zudem ist es soll (vgl. ebd., 106 ff.). Zahlreiche kognitive
immer so langsam wie das Sprechtempo. Lautes Strategien können dabei eingesetzt werden.
Lesen sollte daher auf Dialoge beschränkt blei- Dazu gehören die Textstruktur erkennen, Über-
ben. In der Fremdsprache müssen Lexik und schriften analysieren, Hauptgedanken finden,
syntaktische Konventionen erworben werden, unbekannte Wörter erschließen, Schlüsselbe-
d. h., der muttersprachliche Lesefluss wird beim griffe finden, Fakten von Meinungen unter-
Lesen in der Fremdsprache zunächst verlang- scheiden, den Text visualisieren (vgl. Grabe/
samt. Auch wird die Textschwierigkeit anders Stoller 2002, 216 ff.; ä Visualisierung), Stellen
wahrgenommen, da unbekannte Wörter oder unterstreichen oder markieren, Randbemer-
Strukturen den Lesefluss hemmen und das L. kungen machen, Wichtiges notieren, Fragen an
beeinträchtigen können. Erschließungstechni- den Text stellen, Zusammenfassungen schrei-
ken müssen daher möglichst früh vermittelt ben (vgl. ebd., 16, 82). Der Einsatz von Lese-
werden (vgl. Nuttall 1996, 62 ff.; Aebersold/ strategien (ä Lernstrategien) wird in neueren
Field 1997, 138 ff.). Dazu gehört die Erschlie- Lehrwerken geübt und bewusst gemacht. Sich
ßung von Wörtern aufgrund sprachlicher Ähn- des Einsatzes kognitiver Strategien bewusst zu
lichkeiten ebenso wie morphologische Erschlie- sein und sie je nach Text zu verwenden, bedeu-
ßung, das Heranziehen des Kontextes (ä Kon- tet die Nutzung metakognitiver Strategien
Leseverstehen 230

(ä Metakognition). Dazu gehört, sich einen aber auch Aktivitäten, in denen der Text struk-
Überblick über den Text und die Leseziele zu turiert, Figuren charakterisiert, Argumentatio-
verschaffen, um dementsprechend kognitive nen oder Beschreibungen rekonstruiert werden.
Strategien einzusetzen, sich aller Hilfen beim L. Hierhin gehören zahlreiche rezeptive und re-
zu bedienen und die eigene Leseleistung zu re- produktive Aufgabentypen. Post-reading activi-
flektieren und zu evaluieren (vgl. Hudson 2007, ties gehen nach Abschluss des Lesens in der
118 ff.; Hermes 1998, 234). Eine Hilfe beim L. Regel holistisch mit dem Text um und über ihn
kann das Nachschlagen in einem Wörterbuch hinaus. Dabei geht es um Reflexion und Bewer-
sein. Macht man davon Gebrauch, sinkt das tung sowie eine mögliche Einordnung des Tex-
Lesetempo beträchtlich, und der Lesefluss kann tes. Hinzu kommen auf der Basis von Stimuli
so unterbrochen werden, dass das L. erschwert kreative Aktivitäten wie Reaktionen auf den
und behindert wird. Es sollte daher auf ein Mi- Textinhalt, Umformulierung, Perspektivierung
nimum reduziert bleiben. oder Neuschaffung. Lesetagebücher (reading
Lehrwerke enthalten grundsätzlich ä Übun- logs, learning logs) können bei längeren Texten
gen und Aufgaben zum L.; dasselbe gilt für (v. a. bei Romanen) das L. begleiten (vgl. Her-
zahlreiche ä Lektüren. Die Übungen lassen sich mes 1995). Im Rahmen eines Lesetagebuchs
nach verschiedenen Gesichtspunkten kategori- werden Fragen beantwortet, die sich die Lesen-
sieren. Wenn es v. a. um das sprachliche und in- den beim Lesen stellen und die sie gerne im
haltliche Textverständnis geht, so werden häu- Diskurs klären möchten, oder aber es werden
fig Fragen gestellt. Dabei lässt sich zwischen Stimuli und Leseaufgaben bearbeitet, die von
low-order questions und geschlossenen Fragen, der Lehrkraft gestellt werden und die je indivi-
die nur mit einem Wort oder einem Satz beant- duell den gesamten Leseprozess begleiten. Lese-
wortet werden und nur eine Antwort kennen, tagebücher können damit auf einem fortge-
und high-order questions und offenen Fragen schrittenen Niveau die Individualität der Re-
differenzieren. Letztere zielen eher auf Zusam- zeption bewusst machen, zur Interaktion mit
menfassung und Reflexion und lassen mehrere anderen Lesenden anregen und verhindern,
mögliche Antworten zu. ä Fragen haben häufig dass das fremdsprachliche Lesen als kleinschrit-
nur die Alibifunktion, der Lehrkraft zu zeigen, tig und einer ständigen Kontrolle unterworfen
dass der Text verstanden worden ist, da sie die wahrgenommen wird. Damit kann ein Leseta-
Antworten kennt und es sich somit nicht um gebuch die Leseautonomie fördern (ä Autono-
echte Fragen handelt. L.s-Aufgaben werden mes Lernen).
häufig nach Aktivitäten vor dem Lesen, wäh- Das literarische Lesen kann als eine beson-
rend des Lesens und nach dem Lesen kategori- dere Art des Lesens angesehen werden, da sich
siert (pre-, while- und post-reading activities). ästhetische Texte in ihrer Sinnkonstitution von
Unter diesen drei Kategorien kann man ent- Sachtexten unterscheiden (ä Literarische Kom-
sprechende Lesestrategien fassen (vgl. Hudson petenz). In jüngerer Zeit haben Graphic Novels
2007, 108) sowie eine Vielzahl an Aufgaben als spezielle Form von Comics an Bedeutung
subsumieren. Grundsätzlich können pre-rea- für den FU gewonnen (vgl. Baetens/Frey 2015),
ding activities das Welt- oder Vorwissen von nicht zuletzt wegen des Angebots zahlreicher
Lesern aktivieren, sie sollen Lese-Erwartungen Texte für den Englischunterricht durch engli-
oder Interesse für das Thema erzeugen, evtl. sche Verlage. Aufgrund der Verbindung von
mediengestützt (optisch oder akustisch) einen Text (speech balloons, Fließtext) und Bild ma-
Vorgeschmack auf den Text bieten, Hinter- chen sie neue Formen des L.s notwendig, bei
grundinformationen bereitstellen oder direkt denen es nicht mehr um gewohnte textgesteu-
Neugier wecken. Unbekanntes Vokabular, das erte Rezeptionsweisen, sondern um ein integ-
nicht selbständig erschlossen werden kann und riertes Bild-Wort-Verstehen geht. Verstehens-
vorab eingeführt werden muss, bzw. Namen probleme können hierbei auf der Herausforde-
oder Daten können gleichfalls in solche Aktivi- rung beruhen, »identifizierte Konzepte aus Text
täten integriert werden. Mit while-reading acti- und Bild zu verbinden und semantische Leer-
vities werden alle Aufgaben bezeichnet, die stellen einer Darstellungsform durch Informati-
während des Leseprozesses gelöst werden. onen aus der jeweiligen anderen zu füllen«
Dazu gehören die genannten Fragetypen, (Mempel 2010, 202).
sprachliche wie inhaltlich orientierte Aufgaben, Auch elektronische Texte, mit denen SuS im-
die auf Kontrolle des Textverständnisses zielen, mer mehr konfrontiert sind, erfordern ein an-
231 Lingua Franca

deres Lesen als schriftsprachlich gedruckte che. Eine vergleichende Untersuchung mittels Laut-
Texte. Hier geht es um das Lesen am Bildschirm Denk-Daten. In: M. Lutjeharms/C. Schmidt (Hg.): Le-
sekompetenz in Erst-, Zweit- und Fremdsprache. Tüb.
und um ein anderes Layout der Texte, die häu- 2010, 189–205. – D.E. Murray/P. McPherson: Scaffol-
fig mit visuellen Elementen verknüpft sind und ding Instruction for Reading the Web. Language
eher eine holistische Wahrnehmung erfordern Teaching Research 10/2 (2006), 131–156. – Ch. Nut-
(ä Visuelle Kompetenz). Zudem sind elek- tall: Reading Skills in a Foreign Language. Ldn. 1996.
tronische Texte meist non-linear (Hypertext). – J. Oakhill/A. Garnham: Becoming a Skilled Reader.
Oxford 1988. – R. Schoenbach et al.: Lesen macht
Für ihre Rezeption ist daher ein ä scaffolding schlau. Neue Lesepraxis für weiterführende Schulen.
erforderlich, das spezifische Lesestrategien ein- Bln 2006. LH
schließt (vgl. Murray/McPherson 2006).
Zusammenfassend kann festgehalten wer-
den, dass jede fremdsprachliche Lesedidaktik Lesekompetenz ä Leseverstehen
auf die Heranbildung eines kompetenten und
autonomen Lesers zielt. Ihr Erfolg wird erheb-
lich von der Lesemotivation der Lehrkraft Lesemotivation ä Leseverstehen
selbst und einer klugen Textauswahl beein-
flusst. Die Zielvorstellung des kompetenten
Lesers bzw. der kompetenten Leserin lässt sich Lesetagebuch ä Leseverstehen
folgendermaßen charakterisieren: Kompetente
Leser/innen passen ihr Lesetempo dem Text
und der Zielsetzung des Lesens an und lesen Lied ä Musik
jeweils so zügig wie möglich. Sie haben Worter-
kennung automatisiert. Die Informationsent-
nahme erfolgt nach Möglichkeit auch über das Lingua Franca. Unter einer l.f. versteht man ein
Erschließen von Wörtern, Illustrationen oder Kommunikationsmedium, das von Sprecher/-
Schaubilder und dergleichen. Sie wenden kog- innen unterschiedlicher Ausgangssprachen als
nitive wie metakognitive Lesestrategien an. sekundäres Sprachsystem erworben und von
Unbekannten Wörtern gegenüber sind sie tole- diesen als Verkehrssprache bzw. Hilfssprache
rant und schlagen so wenig wie möglich nach. verwendet wird. Eine l.f. kann als natürliche
Sie erfassen den Inhalt des Textes, bilden Hypo- Sprache (z. B. ä Französisch, ä Spanisch, Swahili),
thesen, sind imstande, Voraussagen über den als Pidgin oder als künstliche Sprache (z. B. Es-
weiteren Text zu machen und gelangen zu peranto) auftreten. Gemäß der obigen Defini-
Schlussfolgerungen, sie erkennen die Bedeutung tion gibt es in einer l.f.-Kommunikation mit
des Textes und interpretieren sie. Sie reflektie- Hilfe einer natürlichen Sprache keine Mutter-
ren über den Text und bewerten ihn abschlie- sprachler/innen dieser Sprache. Streng genom-
ßend (vgl. Oakhill/Garnham 1988, 34 f.). men sind somit Muttersprachler/innen des
Kompetente Leser/innen sind motiviert, zu le- ä Englischen ausgeschlossen, wenn das Englische
sen und zu lernen. Sie verstehen Leseaufträge als l.f. (ELF) verwendet wird. Demgegenüber
als Anregungen zu Aktivitäten, setzen sich Ziele bereitet Englisch als Fremdsprache (EFL) auf
und kontrollieren den L.s-Prozess autonom die Kommunikation mit englischen Mutter-
(vgl. Schoenbach et al. 2006, 35). sprachler/innen in anglokulturellen Kontexten
Lit.: J. A. Aebersold/M. L. Field: From Reader to Rea- vor. Begünstigt durch die ä Globalisierung hat
ding Teacher. Cambridge 1997. – J. Baetens/H. Frey: sich das Englische zur weltweiten l.f. entwickelt
The Graphic Novel. An Introduction. Cambridge (ä Global English), das Verhältnis von Mutter-
2015. – W. Grabe/F. L. Stoller: Teaching and Research- sprachler/innen zu Nicht-Muttersprachler/in-
ing Reading. Harlow 2002. – L. Hermes: Learning
Logs als Instrument der Selbstkontrolle und als Evalu- nen wird mit 1:4 angegeben. Die aus dieser be-
ation in literaturwissenschaftlichen Proseminaren. In: sonderen l.f.-Funktion des Englischen abgelei-
W. Börner/K. Vogel (Hg.): Der Text im FU. Bochum tete Forderung, dass ein anderes, nicht mehr an
1995, 85–98. – L. Hermes: L. In: J. P. Timm (Hg.): der ä Standardsprache ausgerichtetes Englisch
Englisch lernen und lehren. Bln 1998, 229–36. – Th. gelehrt werden solle, ist jedoch problematisch:
Hudson: Teaching Second Language Reading. Oxford
2007. – A. Küppers: Schulische Lesesozialisation im
Eine lehrbare Alternative zur Standardsprache
FU. Eine explorative Studie zum Lesen in der Ober- liegt in kodifizierter Form nicht vor und ist
stufe. Tüb. 1999. – C. Mempel: Verstehensprobleme aufgrund der hohen Variabilität und Instabili-
bei der Comic-Rezeption in der Erst- und Fremdspra- tät von Englisch als l.f. nicht realistisch. Das
Lingua Franca 232

standardsprachliche Lehr- und Lernmodell dards) stellt sich zum einen die Frage nach dem
bietet Lernenden Orientierung und bereitet sie Bildungswert des Umgangs mit literarischen
auf die Kommunikation mit EFL- und ELF- Texten neu (vgl. Bredella/Hallet 2007); zum
Sprecher/-innen vor. Die neuen, globalen und anderen werfen Kompetenzstandardisierungen
interkulturellen Gebrauchskontexte legen es die Frage nach der Modellierbarkeit und der
nahe, den Lernenden für das Gelingen der Operationalisierbarkeit der l.K. auf. Erste Vor-
mündlichen l.f.-Kommunikation Koopera- schläge für die Modellierung der l.K. arbeiten
tions- und Anpassungsstrategien zu vermitteln. mit der Stufung in Teilkompetenzen oder Kom-
Eine zu starke Fokussierung auf die mündliche petenzebenen. Eva Burwitz-Melzer (2007, 138)
ELF-Kommunikation wertet allerdings eine hat als Teilkompetenzen motivationale, kogni-
standardsprachliche Schreibfähigkeit ab. Mit tive und affektive sowie interkulturelle Kompe-
Englisch als l.f. ist eine Reduzierung anglo- tenzen und darüber hinaus Kompetenzen der
amerikanischer und literarischer Inhalte zu- Anschlusskommunikation und der Reflexion
gunsten internationaler Themen aus den Berei- vorgeschlagen. Andere Modelle unterscheiden
chen Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, Han- verschiedene Verstehensebenen, die vom basa-
del, Tourismus, Kultur und Politik verbunden len Textverstehen und sinnkonstituierenden
(ä Global Education). Lesen über das Erfassen der jeweils besonderen
Lit.: C. Gnutzmann: English as a Global Language. ästhetischen und generischen Merkmale eines
In:  F. G. Königs (Hg.): Impulse aus der Sprachlehr- Textes bis zu komplexen sprachlichen und kul-
forschung. Tüb. 2001, 93–110. – C. Grutzmann et turellen Kompetenzen wie dem ä Fremdver-
al.:  English as a l.f. A Source of identity for young stehen und der Fähigkeit zur unterrichtlichen
Europeans? In: Multilingua 33/3–4 (2014), 437–457.
CG und lebensweltlichen Anschlusskommunikation
(ä Diskursfähigkeit) über einen literarischen
Text reichen (vgl. Bredella/Hallet 2007). Solche
Linguistik ä Sprachwissenschaft Modellierungen werden in der ä Literaturdi-
daktik auch zunehmend unterrichtsempirisch
erforscht (vgl. z. B. Steininger 2014). In einem
Literarische Kompetenz. Der Begriff der l.K. systematisierenden Modell verknüpfen Bärbel
geht auf Jonathan Culler zurück, der argumen- Diehr und Carola Surkamp (2015) die Unter-
tiert, dass eine sprachlichen Zeichenfolge nur scheidung dreier Kompetenzdimensionen (der
dann als literarischer Text gelesen werden kann, motivational-attitudinalen, der ästhetisch-kog-
wenn Lesende über eine literarische ›Gramma- nitiven und der sprachlich-diskursiven Dimen-
tik‹ verfügen, die ihnen die Übersetzung der sion) mit Könnensbeschreibungen, die zudem
Zeichen in literarische Strukturen und Bedeu- aufbauend-curricular konzipiert sind. Ungelöst
tungen ermöglicht. Culler zufolge stellt die Li- ist allerdings die mit Kompetenzstandards stets
teratur ein eigenes Diskurssystem und eine In- verbundene Frage nach der Evaluierbarkeit
stitution mit eigenen Konventionen dar, die Le- oder Testbarkeit. Generell wird in der Litera-
sende kennen und aktivieren müssen, um das turdidaktik eine standardisierte Evaluierbarkeit
spezifisch Literarische eines Textes zu erkennen der l.K. negiert.
(Culler 1981). Schon bei Culler impliziert der Neben den rezeptiven gehören auch produk-
Begriff der ä Kompetenz eine kognitive Disposi- tive Fähigkeiten und Fertigkeiten zur l.K. Die
tion, die entwickelt und ausgebildet werden Beschäftigung mit den Merkmalen und Konsti-
kann. Spezifisch literaturdidaktische Ansätze in tuenten eines Erzähltextes dient also zugleich
Deutschland, die jedoch zunächst nicht auf den zur Ausbildung einer aktiven ä narrativen Kom-
Kompetenzbegriff rekurrierten, wiesen in eine petenz; ebenso kann die Verfügbarkeit dialogi-
ähnliche Richtung, indem sie auf die Erziehung scher Verlaufsschemata, wie sie szenisch-dra-
zur ästhetischen Erfahrung als Grundbedin- matische Texte modellieren, oder metaphori-
gung des literarischen Lesens verwiesen (vgl. scher Sprechweisen als Voraussetzung einer
Bredella 1985). entsprechenden produktiven l.K. in der Fremd-
Die Einführung kompetenzorientierter Ab- sprache gelten. Eine Vielzahl im FU gepflegter
schlussprofile hat der Frage nach der im fremd- produktionsorientierter und kreativer Verfah-
sprachlichen Literaturunterricht auszubilden- ren (ä Kreativität) verdankt sich der Vorstel-
den l.K. einen neuen Stellenwert verliehen. Mit lung, dass Lernende auch literarisch-produktive
der Einführung der Bildungsstandards (ä Stan- Kompetenzen erwerben können.
233 Literaturdidaktik

Lit.: L. Bredella: Leseerfahrungen im Unterricht. Ko- sche Gestaltung des Literaturunterrichts entwi-
gnitive und affektive Reaktionen bei der Lektüre lite- ckelt. In die Forschung, die Theoriebildung und
rarischer Texte. In: L. Bredella/M. Legutke (Hg.):
in neue Ansätze fließen neue Entwicklungen
Schüleraktivierende Methoden im FU Englisch. Bo-
chum 1985, 54–82. – L. Bredella/W. Hallet (Hg.): Lite- auf dem Gebiet der Literatur selbst, in den
raturunterricht, Kompetenzen und Bildung. Trier fremdsprachigen wie in den lernerseitigen Kul-
2007. – E. Burwitz-Melzer: Ein Lesekompetenzmodell turen sowie in den Bezugswissenschaften ein,
für den fremdsprachlichen Literaturunterricht. In: z. B. in der ä Literaturwissenschaft, der Sozial-
Bredella/Hallet 2007, 127–157. – J. Culler: The Pur- psychologie oder der ä Allgemeinen Didaktik.
suit of Signs. Semiotics, Literature, Deconstruction.
Ldn 1981. – B. Diehr/C. Surkamp: Die Entwicklung (4) Ein viertes Feld der L. betrifft das (bisher
literaturbezogener Kompetenzen in der Sekundarstufe wenig entwickelte) Feld der für den Literatur-
I. Modellierung, Abschlussprofil und Evaluation. In: unterricht erforderlichen didaktischen Kompe-
W. Hallet/C. Surkamp (Hg.): Literaturkompetenzen tenzen der Lehrkräfte. Hier fragt die L. nach
Englisch. Modellierung, Curriculum, Unterrichtsbei- den für einen erfolgreichen fremdsprachlichen
spiele. Seelze 2015, 21–40. – I. Steininger: Modellie-
rung l. K. Eine qualitative Studie im FU der Sekundar-
Literaturunterricht erforderlichen literarischen,
stufe I. Tüb. 2014. WH literaturwissenschaftlichen und didaktischen
Kompetenzen und Kenntnissen sowie nach
Konzepten und Wegen der ä Lehrerbildung auf
Literaturdidaktik. Die L. als fremdsprachendi- dem Feld des Literaturunterrichts.
daktische Teildisziplin widmet sich der Ver- Wenngleich die L. als Teildisziplin der ä Fremd-
mittlung von und der Begegnung mit fremd- sprachendidaktik vergleichsweise jung ist und
sprachigen Literaturen und literarischen Texten sich disziplinär und als forschende Wissenschaft
in Bildungsinstitutionen, vornehmlich an allge- erst seit den 1970er Jahren ausdifferenziert hat,
meinbildenden Schulen und Hochschulen. Sie so hat die unterrichtliche Behandlung fremd-
lässt sich als Disziplin in vierfacher Weise be- sprachiger Literaturen doch eine lange Tradi-
stimmen: (1) Sie ist zum Ersten eine Theorie tion. In einer etwas groben historischen Verall-
vom Stellenwert der Literatur in Bildungspro- gemeinerung lässt sich sagen, dass die Etablie-
zessen (ä Bildung) und den Rahmenbedingun- rung sowohl der Philologien als universitären
gen, Bildungszielen und Orientierungen, die mit Disziplinen als auch des schulischen FUs im
dem institutionellen fremdsprachlichen Litera- Kern mit der Vorstellung verknüpft war, fremd-
turunterricht verknüpft sind. Mit solchen bil- sprachige Literaturen und Kulturen durch die
dungstheoretischen Rahmungen für den Litera- Begegnung mit den herausragenden Vertretern
turunterricht korrespondieren auf der Anwen- ihrer hohen Kunst und Literatur zu verstehen.
dungsseite curriculare Theorien und Konzepte Diese klassisch-idealistische Hauptbegründung
sowie grundsätzliche Fragen nach Literaturaus- für den universitären wie schulischen fremd-
wahl und Kanonisierungen sowie allgemeinen sprachlichen Literaturunterricht wird auch in
Lehr- und ä Lernzielen des Literaturunterrichts. den Curricula für die neubegründete Schule
(2) Die L. ist zum Zweiten eine Wissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgenom-
von den mit der Vermittlung und der Rezeption men, stellt eine wichtige Begründung für die
von literarischen Texten verbundenen Lehr- Vorstellung von der ›höheren‹ Bildung dar und
und Lernprozessen, individuellen Rezeptions- erhält sich v. a. in den Curricula und in der
weisen und kognitiven Prozessen, sozialen In- Schulpraxis bis in die 1970er Jahre hinein.
teraktionen und fremdsprachlich-diskursiven Die Herausbildung der Fremdsprachendidaktik
Prozessen. Sie beschreibt und analysiert diese und der L. in den 1970er Jahren ist mit der
Prozesse und untersucht den Zusammenhang Hinterfragung des idealistischen, kulturessen-
zwischen den textuellen Signalen, Merkmalen tialistischen und bildungshumanistischen Be-
und Konstellationen, den lernerseitigen Lese- gründungsparadigmas verbunden. Der FU ins-
und Verstehensprozessen sowie den durch di- gesamt erfährt in der kommunikativen Didaktik
daktische Steuerungen oder Impulse initiierten eine neue, eher pragmatische Orientierung, die
(verbalen und nonverbal-kreativen) Äußerun- die fremdsprachige Kommunikationsfähigkeit
gen oder Tätigkeiten. In jüngerer Zeit sind sol- in Alltagssituationen in den Mittelpunkt stellt
che Prozesse auch vermehrt Gegenstand unter- und damit zugleich den traditionellen Bildungs-
richtsempirischer Studien. (3) Drittens ist die L. wert der Beschäftigung mit fremdsprachigen
eine Anwendungswissenschaft, die Theorien Literaturen in Frage stellt. Die Begründung der
und Konzepte für die Inhalte und die methodi- fremdsprachlichen L. als Disziplin im eigentli-
Literaturdidaktik 234

chen und heute etablierten Sinn ist daher einer- und Zeichenhaftigkeit des literarischen Textes
seits mit der Suche nach neuen Begründungen damit keinesfalls negiert, vielmehr wurde lite-
für den Bildungswert der fremdsprachigen Lite- rarisches Lesen und ä Verstehen nun als dialo-
raturen im schulischen Unterricht verbunden, gisches, interaktionales Text-Leser-Verhältnis
andererseits mit dem Ringen um die Etablie- verstanden (Bredella 1985; Bredella/Burwitz-
rung als eigenständige Disziplin jenseits der Melzer 2004). Da das Prinzip der Rezeptions-
Allgemeinen Didaktik und der Literaturwissen- orientierung direkt mit dem allgemeinen didak-
schaft (vgl. z. B. Freese 1981; Hunfeld 1982). tischen Primat der Schülerorientierung korre-
Im Mittelpunkt der didaktischen Neubegrün- liert, kann es heute in der L. als etabliert und
dung des fremdsprachlichen Literaturunter- konsensuell gelten.
richts stehen einerseits die mit dem Lesen litera- Die Weiterentwicklung der fremdsprachli-
rischer Texte verbundenen besonderen ästheti- chen L. in den 1990er Jahren ist zum einen mit
schen Erfahrungen (vgl. z. B. Bredella 1985), dem neuen Leitziel des ä interkulturellen Ler-
andererseits Versuche, den Umgang mit literari- nens mit literarischen Texten verbunden. An
schen Texten in den ä kommunikativen FU zu der Entwicklung des Konzepts des ä Fremdver-
integrieren, indem das besondere sprachför- stehens war die L. selbst entscheidend beteiligt
dernde Potenzial des Literaturunterrichts durch (Bredella et al. 2000): Empathie und Perspekti-
Fokussierung auf die Anschlusskommunika- venübernahme (ä Perspektive und Perspekti-
tion, z. B. im Interpretationsgespräch, in den venwechsel) sind spezifische Leseleistungen im
Vordergrund gestellt wird (vgl. z. B. Nissen Rezeptionsprozess, die zugleich unabdingbare
1992). Voraussetzungen für interkulturelles Verstehen
Mit den vorgenannten übergreifenden Ent- sind. In den 2000er Jahren hat sich allerdings
wicklungen geht eine andere Neubestimmung auch eine kritische Sicht auf das Begründungs-
einher. Im Gefolge einer werk- und textzentrier- paradigma des Fremdverstehens entwickelt, in
ten Literaturwissenschaft, v. a. des sog. New deren Gefolge unter dem Oberbegriff der
Criticism, hatte sich nach dem Zweiten Welt- Transkulturalität (ä Transkulturelles Lernen)
krieg die textimmanente Interpretation als stärker die kulturellen Transferprozesse in den
Standard-Methode etabliert. Durchaus in An- Vordergrund gerückt sind, die mit dem Lesen
knüpfung an eine idealistische Tradition und an fremdsprachiger Literatur einhergehen (vgl.
die Vorstellung vom in sich geschlossenen, für z. B. Eckerth/Wendt 2003; Delanoy 2006; Fä-
sich sprechenden Kunstwerk wurde unter einer cke 2006; Freitag-Hild 2010; Küster 2015,
Textinterpretation ein Verfahren verstanden, 24 ff.). Eine zweite Entwicklung betrifft die
das die im Text verborgene Bedeutung durch Öffnung des ä Kanons. Wenngleich viele, später
die Entschlüsselung der textuellen Zeichen zu die meisten Lehrpläne oder Curricula bereits
erfassen vermochte. Die Herausbildung der L. seit den 1980er Jahren keine verbindlichen
in den 1970er Jahren war nicht zuletzt mit der Leselisten mehr enthielten, so tradierte sich in
überfälligen kritischen Auseinandersetzung mit der Unterrichtspraxis dennoch hartnäckig ein
diesem Paradigma der im Text enthaltenen fi- geheimer Lesekanon von Klassikern der Schul-
xen Bedeutung verbunden, die durch eine ›rich- lektüre. Erst in den 1990er Jahren verstärkten
tige‹ Interpretation zutage zu fördern sei. In sich, v. a. durch Bezugnahme auf entsprechende
Anknüpfung an die literaturwissenschaftliche Entwicklungen in den Literatur- und ä Kultur-
Rezeptionsästhetik (Iser, Jauß), die Hermeneu- wissenschaften, die Bemühungen um eine Öff-
tik Gadamers und eine stärkere ä Lernerorien- nung des Lektürekanons. Dadurch fanden ei-
tierung in der Allgemeinen Didaktik formierte nerseits postkoloniale und multikulturelle Lite-
sich die fremdsprachliche L. v. a. entlang dem raturen (vgl. z. B. Eisenmann et al. 2010) sowie
Leitgedanken der Konstitution der Textbedeu- unter den Gesichtspunkten von Gender und
tung im Vorgang der Rezeption (vgl. z. B. Freese Ethnizität relevante literarische Werke Eingang
1981; Bredella 1985). Damit war es möglich, in den Unterricht (ä Genderorientierte Ansätze);
sowohl den subjektiven Wahrnehmungen und andererseits gab es auch Bemühungen um die
Reaktionen der Lernenden dem literarischen didaktische Neubestimmung und Neu-Lektüre
Text gegenüber ein eigenes Gewicht zu ver- von literarischen und von Schulklassikern (vgl.
leihen als auch den Rezeptionsvorgang selbst zu allem Hammer et al. 2012). Eine dritte Ent-
zum Kern des Literaturunterrichts zu bestim- wicklung ist von dem Bestreben geprägt, von
men. Andererseits wurde die Eigenständigkeit Beginn des FUs an die Begegnung mit literari-
235 Literaturdidaktik

schen Texten zu fördern und durch die Herein- auch deshalb in der Modellierung literaturbe-
nahme von vereinfachten Adaptationen sowie zogener Kompetenzen gefunden, weil das lite-
von ä Kinder- und Jugendliteratur das Interesse rarische Lernen selbst literaturspezifische Zu-
an der fremdsprachigen Literatur auch in der gänge und Fähigkeiten der Lernenden erfordert,
Sekundarstufe I zu fördern und nicht erst in der die nicht einfach vorausgesetzt werden können,
Oberstufe mit der intensiven Beschäftigung mit sondern im Literaturunterricht systematisch
Literatur zu beginnen (vgl. z. B. Hermes 2009; und curricular-aufbauend entwickelt werden
Hollm 2009; Hesse 2012). Eine weitere wich- müssen (vgl. Hallet et al. 2015).
tige Entwicklung betrifft die Ausweitung und Seit den 2000er Jahren lassen sich weitere
Ausdifferenzierung des Methodenrepertoires: Ausdifferenzierungen und Erweiterungen der
Neben die herkömmlichen textanalytischen L. beobachten (vgl. Delanoy et al. 2015). Diese
Methoden treten nun auch kreative Schüler- sind im Wesentlichen in Analogie zu Entwick-
interpretationen (vgl. exemplarisch Caspari lungen in den Literaturwissenschaften mit ei-
1994) sowie handlungs- und produktionsorien- nem erweiterten Literaturbegriff verbunden,
tierte Ansätze, die das Lesen des literarischen der nunmehr so gut wie alle literarisch-ästheti-
Textes mit Schüleraktivitäten und dem Erstel- schen und fiktionalen Artefakte umfasst, also
len von Produkten als Antwort auf literarische hybride und multimodale literarische Formen
Texte sowie Ausdruck der subjektiven Empfin- wie den Comic, die Graphic Novel oder litera-
dungen und Verstehensweisen der Lernenden risch-narrative video games ebenso wie filmi-
verbinden (vgl. exemplarisch Nünning/Sur- sche Darstellungsformen von Videoclips bis zu
kamp 2013). Schließlich bildet sich zum Ende Spielfilmen (vgl. Elsner et al. 2013). Diese Aus-
der 1990er Jahre unter dem Gesichtspunkt der differenzierung der L. trägt der Tatsache Rech-
ä Prozessorientierung ein breiteres Repertoire nung, dass die Gestalt und Ästhetik der literari-
an Methoden heraus, die die Lernenden in ih- schen Form einerseits mit spezifischen Formen
rem Bemühen um selbständiges verstehendes der Wirklichkeitsdarstellung und -modellierung
Lesen unterstützen sollen, ohne dass die Lehr- verknüpft ist, die nach jeweils eigenen didakti-
kraft jeweils helfend intervenieren muss. schen Begründungen und Systematisierungen
Eine neue Herausforderung für die L. ist aus verlangt; andererseits stellen verschiedene Gat-
mehreren Gründen durch die Einführung von tungen jeweils besondere Anforderungen an
Bildungsstandards entstanden (ä Standards). das individuelle Lesen, den Verstehensprozess
Zum einen marginalisieren die deutschen Bil- und die fremdsprachlichen Interaktionsformen
dungsstandards die Literatur durch eine Re- im Klassenzimmer (vgl. z. B. Thaler 2008).
duktion des Begriffs der ä kommunikativen Mit dem erweiterten Literaturbegriff sind
Kompetenz auf die Anforderungen alltagswelt- auch Fragen nach neuen ä Kompetenzen und
licher Kommunikationssituationen. Zum Zwei- ä Fertigkeiten, z. B. nach dem Leitziel der ä Me-
ten ist mit den Bildungsstandards erneut die dienkompetenz (vgl. Küster 2003, 210 ff.), nach
Frage nach dem Bildungsbegriff und nach dem einer ä visuellen Kompetenz (visual literacy) für
Bildungswert der Literatur aufgeworfen; und das Bildverstehen oder nach dem kombinierten
nicht zuletzt ist mit der Standardisierung von Hör-/Sehverstehen beim Film in Form einer
Kompetenzen zum Zweck der nationalen Ver- spezifischen ä Filmkompetenz verbunden. So
gleichbarkeit und Testbarkeit das Problem ver- kann die ä Filmdidaktik mittlerweile als voll
bunden, dass die mit der Lektüre literarischer entwickelte Teildisziplin der L. gelten (vgl. Blell
Texte zu entwickelnden Kompetenzen wegen et al. 2016), und auch die Comics und die Gra-
ihrer Komplexität nicht mit standardisierten phic Novel (vgl. z. B. Ludwig/Pointner 2013;
Testverfahren (ä Tests) erfasst werden können. Hallet 2015a) sowie der multimodale Roman
Die fremdsprachliche L. hat darauf nicht ein- (vgl. Hallet 2015b) haben sich zu eigenständi-
fach mit ablehnender Kritik reagiert, sondern gen Feldern der L. entwickelt. Inzwischen ist als
auch mit der Hervorhebung und Beschreibung einer der wichtigsten Zugänge zu den verschie-
literarischer und literaturbezogener Kompeten- denen Symbolsprachen dieser multimodalen li-
zen, die der Literaturunterricht zu einer zeitge- terarischen Texte das Kompetenzkonzept der
mäßen Bildung beizutragen hat (vgl. die Bei- ä multiple literacy entwickelt worden (Hallet
träge in Bredella/Hallet 2007; Küster 2015). 2008; Elsner et al. 2013; Hallet 2015b).
Jenseits aller Standardisierungstendenzen hat Seit 2000 hat sich auch eine systematischere
die Kompetenzorientierung ihren Niederschlag empirische literaturdidaktische Forschung ent-
Literaturdidaktik 236

wickelt (vgl. die Übersicht bei Hall 2005, und Bildung. Trier 2007. – D. Caspari: Kreativität im
125 ff.). Als erprobt können qualitative ethno- Umgang mit literarischen Texten im FU. Theoretische
Studien und unterrichtspraktische Erfahrungen. FfM
graphische Methoden gelten, die mit den Mit-
1994. – W. Delanoy: Transculturality and (Inter-)Cul-
teln der Diskursanalyse oder der teilnehmenden tural Learning in the EFL Classroom. In:
Beobachtung von videographiertem Literatur- W.  Delanoy/L. Volkmann (Hg.): Cultural Studies in
unterricht, von retrospektiven Schüler- und the EFL Classroom. Heidelberg 2006, 233–248. –
Lehrerinterviews (cued recall interviews) oder W.  Delanoy/M. Eisenmann/F. Matz (Hg.): Learning
durch die Auswertung von Schülerprodukten with Literature in the EFL Classroom. FfM 2015. –
J. Eckerth/M. Wendt: Interkulturelles und transkultu-
(Lesetagebücher, kommentierende oder krea- relles Lernen im FU. FfM 2003. – M. Eisenmann/
tive Texte, E-Mail-Austausch) Verstehens- und N. Grimm/L. Volkmann (Hg.): Teaching the New
Deutungsmuster oder den Erwerb literarischer English Cultures and Literatures. Heidelberg 2010. –
Kompetenzen bei der unterrichtlichen Begeg- D. Elsner/S. Helff/B. Viebrock (Hg.): Films, Graphic
nung mit literarischen Texten offenzulegen ver- Novels & Visuals. Developing Multiliteracies in For-
eign Language Education. An Interdisciplinary Ap-
suchen. Eine solche Forschung hat zunächst proach. Bln et al. 2013. – C. Fäcke: Transkulturalität
v. a. auf dem Feld des inter- und transkultu- und fremdsprachliche Literatur. Eine empirische Stu-
rellen Lernens mit Literatur stattgefunden (vgl. die zu mentalen Prozessen von primär mono- oder bi-
z. B. Bredella/Burwitz-Melzer 2004; Fäcke 2006; kulturell sozialisierten Jugendlichen. FfM 2006. –
Freitag-Hild 2010). Die unterrichtsempirische P.  Freese: Vom Nutzen der ›Nutzlosigkeit‹. Zu den
Aufgaben und Schwierigkeiten einer fremdsprachli-
Forschung betrifft verschiedene Felder: (1) eine
chen L. In: P. Freese/L. Hermes (Hg.): Der Roman im
Kompetenzentwicklungsforschung, die vor dem Englischunterricht der Sekundarstufe II. Theorie und
Hintergrund der jüngeren bildungspolitischen Praxis. Paderborn 21981 [1977, 11–46. – B. Freitag-
Entwicklung hin zur Standardisierung und Out- Hild: Theorie, Aufgabentypologie und Unterrichtspra-
put-Orientierung die mit dem Lesen litera- xis des inter- und transkulturellen Lernens. British
rischer Texte zu fördernden und tatsächlich Fictions of Migration im FU. Trier 2010. – G. Hall:
Literature in Language Education. Basingstoke/N. Y.
entwickelten Kompetenzen zu erfassen und zu 2005. – W. Hallet: Visual Culture, Multimodal Dis-
beschreiben versucht (vgl. z. B. Steininger course und Tasks. Die bildkulturelle Dimension des
2014); (2) die Kognitionsforschung, welche die Fremdsprachenlernens. In: A. Müller-Hartmann/
zur Konstruktion fremdsprachiger fiktionaler M. Schocker-von Ditfurth (Hg.): Aufgabenorientiertes
Welten erforderlichen und zu unterstützenden Lernen und Lehren mit Medien. Ansätze, Erfahrun-
gen, Perspektiven in der Fremdsprachendidaktik. FfM
kognitiven Prozesse empirisch beschreibt (vgl. 2008, 167–183. – W. Hallet (2015a): Literarisches
z. B. Fäcke 2006); (3) eine Sprachlernforschung, und multiliterales Lernen mit Graphic Novels im FU.
die den Zusammenhang von literarischer Lek- In: Küster et al. 2015, 193–207. – W. Hallet (2015b):
türe und sprachlich-diskursivem Lernen zu sys- Teaching the Multimodal Novel. In: Delanoy et al.
tematisieren vermag; (4) methodologische For- 2015, 283–298. – W. Hallet/C. Surkamp/U. Krämer
(Hg.): Literaturkompetenzen Englisch. Modellierung,
schungen zur Unterstützung des Leseprozesses
Curriculum, Unterrichtsbeispiele. Seelze 2015. –
(vgl. z. B. Jacquin 2010), insbesondere bei Ganz- J.  Hammer/M. Eisenmann/R. Ahrens (Hg.): Anglo-
schriften, sowie zu Methoden der kulturellen phone L. Zukunftsperspektiven für den Englischun-
bzw. historischen ä Kontextualisierung literari- terricht. Heidelberg 2012. – L. Hermes: Novels, Sim-
scher Texte (wide reading); (5) die Gender-For- ple Novels, Simplified Novels. Romane für die
schung, die sowohl Fragen des gender-beding- Sekundarstufe. In: W. Hallet/A. Nünning (Hg.): Ro-
mandidaktik. Theoretische Grundlagen, Methoden,
ten Interesses an Literatur als auch Gender als Lektüreanregungen. Trier 2009, 237–256. – M. Hesse:
eine wichtige Kategorie und Perspektive beim Teenage Fiction in the Active English Classroom. Stgt
Umgang mit Literatur im FU erforscht (vgl. z. B. 4
2012 [2009. – J. Hollm (Hg.): L. und Literaturver-
König 2017). mittlung im Englischunterricht der Sekundarstufe I.
Trier 2009. – H. Hunfeld (Hg.): Literaturwissenschaft,
Lit.: G. Blell et al. (Hg): Film in den Fächern der L., Literaturunterricht Englisch. Königstein/Ts. 1982.
sprachlichen Bildung. Baltmannsweiler 2016. – – M. Jacquin: Lire dans une langue étrangère (L2) à
L. Bredella: Leseerfahrungen im Unterricht. Kognitive l’école. Quelles stratégies de lecture pour quel genre
und affektive Reaktionen bei der Lektüre literarischer de texte? In: Schweizerische Zeitschrift für Bildungs-
Texte. In: L. Bredella/M. Legutke (Hg.): Schülerakti- wissenschaften 32/3 (2010), 489–509. – L. König:
vierende Methoden im FU Englisch. Bochum 1985, Gender-Reflexion mit Literatur im FU. Fremdspra-
54–82. – L. Bredella/E. Burwitz-Melzer: Rezeptionsäs- chendidaktische Theorie und Unterrichtsbeispiele.
thetische L. mit Beispielen aus dem FU Englisch. Tüb. Stgt 2017. – L. Küster: Plurale Bildung im FU. Inter-
2004. – L. Bredella et al. (Hg.): Wie ist Fremdverste- kulturelle und ästhetisch-literarische Aspekte von Bil-
hen lehr- und lernbar? Tüb. 2000. – L.  Bredella/ dung an Beispielen romanistischer Fachdidaktik. FfM
W. Hallet (Hg.): Literaturunterricht, Kompetenzen 2003. – L. Küster: Warum literarisch-ästhetisches
237 Literaturwissenschaft

Lernen im FU? Ausgewählte theoretische Fundierun- gen, sondern vielfach untergliedert und diversi-
gen. In: Küster et al. 2015, 15–32. – L. Küster/ fiziert. So hat die seit den 1960er Jahren zu
Ch. Lütge/K. Wieland (Hg.): Literarisch-ästhetisches
beobachtende Theoretisierung der L. inzwi-
Lernen im FU. Theorie, Empirie, Unterrichtsperspekti-
ven. FfM 2015. – C. Ludwig/F. E. Pointner (Hg.): schen zur Entwicklung einer Vielzahl miteinan-
Teaching Comics in the Foreign Language Classroom. der konkurrierender Ansätze und Methoden
Trier 2013. – R. Nissen: Rezeptionsgespräche als innerhalb der Literaturtheorie geführt (vgl.
Lerngespräche. Schema-Begriff und kommunikatives Köppe/Winko 2007; Nünning 2008). Das Glei-
Lernen im fremdsprachlichen Literaturunterricht. In: che gilt für den Bereich der Textanalyse und
U. Multhaup/D. Wolff (Hg.): Prozeßorientierung in
der Fremdsprachendidaktik. FfM 1992, 157–172. – -interpretation, in dem aufgrund von Unter-
A.  Nünning/C. Surkamp: Text, Literatur, Kultur. schieden zwischen den verschiedenen literari-
Handlungs- und produktionsorientierter Literaturun- schen Gattungen außerdem eine Vielzahl von
terricht. In: G. Bach/J.-P. Timm (Hg.): Englischunter- gattungsspezifischen Ansätzen und Analyseka-
richt. Grundlagen und Methoden einer handlungsori- tegorien entwickelt worden ist. Das weite Feld
entierten Unterrichtspraxis. Tüb./Basel 52013 [1989,
148–171. – I. Steininger: Modellierung literarischer
der L. ist mit den drei genannten Hauptberei-
Kompetenz. Eine qualitative Studie im FU der Sekun- chen zwar nicht erschöpft, aber es handelt sich
darstufe I. Tüb. 2014. – C. Surkamp/A. Nünning: um jene Bereiche, die für die ä Literaturdidaktik
Englische Literatur unterrichten 1. Grundlagen und besonders relevant sind, weil sie im Studium im
Methoden. Seelze 42016 [2006. – C. Surkamp/ Mittelpunkt stehen und weil im fremdsprachli-
A. Nünning: Englische Literatur unterrichten 2. Un-
chen Literaturunterricht die Analyse und Inter-
terrichtsmodelle und Materialien. Seelze 22014
[2009. – E. Thaler: Teaching English Literature. Pa- pretation von Texten eine zentrale Rolle spielen.
derborn 2008. WH Hinzu kommen etwa die Textphilologie und
die Editionswissenschaft, deren Aufgabe in der
Erstellung zuverlässiger Texte sowie kritischer
Literaturwissenschaft. In deutschsprachigen und kommentierter Ausgaben besteht.
Ländern ist der Begriff L. die übliche Bezeich- Einen Bezugsrahmen für die typologische
nung für die wissenschaftliche Beschäftigung Systematisierung der ansonsten kaum über-
mit literarischen Texten und dem Handlungs- schaubaren Vielfalt der Ansätze, Methoden und
bereich Literatur (vgl. Schmidt 1991). Gegen- Fragestellungen der zeitgenössischen L. liefert
stand literaturwissenschaftlicher Arbeit ist jener das Modell literarischer Kommunikation. Die
gesellschaftliche Handlungsbereich, in dem lite- Perspektive einer literaturwissenschaftlichen
rarische Texte geschrieben, verlegt, gelesen und Untersuchung – ebenso wie die einer Betrach-
von der Literaturkritik besprochen werden. tung von literarischen Texten im Unterricht –
Schematisch vereinfacht lässt sich dieser Be- hängt davon ab, auf welche Aspekte des Be-
reich als ein Beziehungsgefüge darstellen, zu ziehungsgefüges Autor-Text-Leser-historische
dem vier Handlungsrollen zu zählen sind: Au- Wirklichkeit sich die verschiedenen Ansätze
tor/innen (als Literaturproduzierende), Lesende und Methoden vorrangig konzentrieren. Bei
(als Rezipient/innen literarischer Texte) sowie textzentrierten Ansätzen stehen Fragestellungen
die Instanzen der Literaturvermittlung (v. a. im Vordergrund, die sich auf die Analyse the-
Verlage, Medien usw.) und der Bereich der Lite- matischer und formaler Merkmale literarischer
raturkritik bzw. ›Literaturverarbeitung‹ (vgl. Werke beziehen. Aufgrund ihrer Textbezogen-
ebd.). Obgleich theoretisch alle diese Bereiche heit werden solche Methoden als ›werkim-
zur L. zählen, kann man die L. schematisch manente Ansätze‹ bezeichnet, von denen die
vereinfacht in drei Hauptbereiche unterglie- Hermeneutik in Deutschland und der New
dern, die jeweils unterschiedliche Fragestellun- Criticism in England und Amerika zu den ein-
gen verfolgen und verschiedene Methoden ver- flussreichsten gehören. Ebenfalls textzentriert
wenden: Literaturtheorie, Textanalyse bzw. -in- sind die Rhetorik und die Stilistik. Auch viele
terpretation sowie Literaturgeschichte. Diese formalistisch-strukturalistische Ansätze kon-
drei Bereiche stehen nicht unvermittelt nebenei- zentrieren sich auf die möglichst exakte Be-
nander, sondern sind eng miteinander ver- schreibung literarischer Textstrukturierungs-
knüpft. So beruhen etwa jede Textinterpreta- verfahren, etwa Handlungsstrukturen von
tion wie auch jede Literaturgeschichte (oftmals Dramen und Erzähltexten oder Erzählverfah-
stillschweigend) auf bestimmten literaturtheo- ren. Vorrangig textzentriert sind bestimmte
retischen Voraussetzungen. Die drei Teilberei- Ansätze der feministischen L., die sich kritisch
che sind in sich wiederum keineswegs homo- mit der literarischen Darstellung von Frauen-
Literaturwissenschaft 238

bildern auseinandersetzen, sowie die unter Be- dien in der Literatur. Gesellschafts- und kultur-
griffen wie ›Poststrukturalismus‹ oder ›Dekon- wissenschaftliche Literaturtheorien wie Mar-
struktion‹ zusammengefassten neueren Rich- xismus, Ideologiekritik, Sozialgeschichte der
tungen der französischen Literaturtheorie, die Literatur und der New Historicism fokussieren
v. a. die amerikanische Literaturkritik nachhal- Bezüge zwischen literarischen Texten und ihren
tig beeinflusst haben und sich insbesondere auf gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten
sprachliche Aspekte von Literatur beziehen. Zu (ä Kulturwissenschaft). Darüber hinaus ver-
den autorenbezogenen Ansätzen zählen biogra- wendet die L. viele einflussreiche theoretische
phische Studien, Ansätze der psychoanalyti- Ansätze und Methoden, die sich nicht unmittel-
schen L. sowie entstehungsgeschichtliche und bar auf literaturwissenschaftliche Gegenstände
werkgeschichtliche Studien, die die Entstehung, beziehen, sondern in anderen geisteswissen-
die verschiedenen Fassungen und die Überar- schaftlichen Disziplinen entwickelt und später
beitung eines Texts erforschen oder die Stellung in die L. übernommen wurden. Als Beispiele für
eines Texts im Gesamtwerk eines Schriftstellers solche übergreifenden Theorieentwürfe, die
zu bestimmen versuchen. Während autorenbe- weitreichende Bedeutung in der L. gewonnen
zogene Fragestellungen heute eine vergleichs- haben und viele Textinterpretationen prägen,
weise untergeordnete Rolle spielen, sind An- seien etwa Jacques Lacans Psychoanalyse,
sätze, die die Beziehung zwischen Text und Le- Michel Foucaults historische Diskursanalyse,
ser erforschen, erst seit den 1970er Jahren im Pierre Bourdieus Gesellschaftstheorie, Jacques
Rahmen der auch in der Literaturdidaktik breit Derridas Sprachkritik und Dekonstruktion so-
rezipierten Rezeptionsästhetik und der Rezep- wie Niklas Luhmanns Systemtheorie genannt.
tions- und Wirkungsgeschichte entwickelt wor- Die zunehmend interdisziplinäre und interme-
den, die das in literarischen Werken angelegte diale Dimension der zeitgenössischen Literatur-
Wirkungspotenzial bzw. den Erwartungshori- theorie zeigt sich auch darin, dass kultur- und
zont des zeitgenössischen Publikums und die medienwissenschaftliche Ansätze in der L. eine
Aufnahme eines Werks erforschen. Rezeptions- immer größere Rolle spielen. In jüngster Zeit
orientierte Ansätze lenken den Blick von der hat sich die L. zum einen verstärkt mit kogniti-
Textanalyse auf die Verarbeitung eines Werks onswissenschaftlichen Ansätzen auseinanderge-
im Leseprozess und haben im fremdsprachli- setzt, zum anderen weiterentwickelt zu einer
chen Literaturunterricht maßgeblich zu einer Kultur- und Medienwissenschaft, die von einem
stärkeren ä Lernerorientierung beigetragen. Die weiten Textbegriff ausgehend kulturellen Bezü-
empirische Rezeptionsforschung wiederum un- gen und Medien mehr Beachtung schenkt.
tersucht die tatsächliche Wirkung von Texten Wesentliche Impulse haben viele der Ansätze
auf Leser/innen. Einen ähnlich starken Boom der L. v. a. der Literaturdidaktik und der ä Kul-
haben Ansätze, die der Frage nach den Bezie- turdidaktik gegeben. Stellvertretend sei die von
hungen eines Werks zu anderen Texten und Lothar Bredella in zahlreichen Studien darge-
Medien nachgehen. Im Gegensatz zu älteren legte rezeptionsästhetische Literaturdidaktik
Ansätzen wie der Quellen- und Einflussfor- genannt (vgl. z. B. Bredella/Burwitz-Melzer
schung sowie der Stoff-, Themen- und Motiv- 2004), die die Interpretation von Texten als in-
geschichte, die die Quellen und literarischen teraktiven, dynamischen Prozess ansieht, in
Vorbilder eines Texts bzw. die Verarbeitung be- dem der Leser bzw. die Leserin anhand eines
stimmter Stoffe, Themen und Motive untersu- textuell vorgegebenen Deutungsspielraums so-
chen, beschäftigen sich Theorien der Intertextu- wie unter Hinzuziehung seiner bzw. ihrer indi-
alität und Intermedialität nicht bloß mit thema- viduellen Vorstellungen Sinn konstruiert. Ver-
tischen und formalen Ähnlichkeiten zwischen wiesen sei zudem auf Wolfgang Hallets Weiter-
einzelnen literarischen Werken, sondern zielen entwicklung von ä Intertextualität zu einem
auf eine systematische Typologisierung der Be- Paradigma einer kulturwissenschaftlichen Text-
züge zwischen literarischen Texten und Gattun- didaktik (vgl. Hallet 2002), in der u. a. die ein-
gen ab. Der Forschung zur Intermedialität geht seitige mediale Beschränkung sowie die Fokus-
es um die Wechselbeziehungen zwischen ver- sierung auf Einzeltexte im Unterricht kritisiert
schiedenen Künsten, etwa um die Verarbeitung werden.
eines literarischen Texts in anderen Medien Lit.: T. Anz (Hg.): Handbuch L. 3 Bde. Stgt/Weimar
(z. B. Romanverfilmungen) oder umgekehrt um 2007. – L. Bredella/E. Burwitz-Melzer: Rezeptionsäs-
die Bezugnahme auf andere Künste oder Me- thetische Literaturdidaktik mit Beispielen aus dem FU
239 Medien

Englisch. Tüb. 2004. – W. Hallet: FU als Spiel der


Texte und Kulturen. Intertextualität als Paradigma ei-
ner kulturwissenschaftlichen Textdidaktik. Trier
2002. – T. Köppe/S. Winko: Neuere Literaturtheorien.
M
Eine Einführung. Stgt/Weimar 2008. – A. Nünning
(Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Mediation ä Sprachmittlung
Ansätze, Personen, Grundbegriffe. Stgt/Weimar 52013
[1998. – V. Nünning/A. Nünning (Hg.): Methoden
der literatur- und kulturwissenschaftlichen Textana- Medien können ganz allgemein als Vermitt-
lyse. Ansätze, Grundlagen, Modellanalysen. Stgt/Wei-
mar 2010. – S. J. Schmidt: Grundriss der Empirischen lungsträger von Informationen verstanden
L. FfM 1991. AN werden. Für den institutionalisierten FU gilt
das ä Lehrwerk als das verbreitetste Medium,
von manchen auch als das ›Leitmedium‹ be-
zeichnet. Eine der Neuerungen des modernen
FUs seit den 1960er Jahren ist die Ergänzung
des Lehrbuchs durch zusätzliche Lehr- und
Lernmittel, d. h. alle die Elemente, die über
Buch und Tafel hinaus das Lehren und Lernen
im FU positiv beeinflussen können. Hiermit
sind so unterschiedliche Dinge gemeint wie das
ä Poster mit Redemitteln, die Landkarte, Ton-
und Bildträger oder auch die Handpuppe beim
frühen Fremdsprachenlernen. Jürgen Mertens
(2006, 136) klassifiziert M. nach sehr unter-
schiedlichen Kriterien: nach dem Wahrneh-
mungskanal, nach der Adaptierbarkeit, danach,
ob sie allgemein eingesetzt werden oder nur
fachspezifisch, danach, ob es sich um nicht-
technische oder technische M. handelt, sowie
nach dem Grad der Modernität. Die einzelnen
M.arten haben eine unterschiedlich lange Tra-
dition. Am längsten reichen die Entwicklung
der visuellen M. und deren Einsatz im FU zu-
rück. Seit dem 17. Jh., als Comenius das Lehr-
buch Orbis sensualium pictus schrieb, sind
ä Bilder eng mit dem Sprachenlernen und -leh-
ren verknüpft (vgl. Reinfried 1992). Heute be-
trachten wir eine Vielzahl von M. ganz selbst-
verständlich als Teil unseres Alltags, unsere
Gesellschaft ist durch M. geprägt. Wir nutzen
Massenmedien wie Fernseher, Computer und
das Internet, wir hören Musik, lesen Zeitung
und vieles andere mehr. Der intensive und häu-
fige Umgang mit M., der schon früh beginnt,
bleibt nicht ohne Wirkung auf den M.einsatz
im FU (vgl. Doff/Klippel 2007).
Die ä Tafel ist wohl als das klassischste Me-
dium im schulischen Unterricht anzusehen. Sie
ist praktisch in jedem Klassenzimmer anzutref-
fen. Die modernere Variante, das Whiteboard,
unterscheidet sich lediglich dadurch von der
klassischen Tafel, dass es mit bunten Stiften zu
beschreiben und leichter zu säubern ist. Die
Tafel ist stets kombinierbar mit anderen M.,
z. B. lassen sich vorgefertigte Poster, Metakar-

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_13, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
Medien 240

ten usw. leicht anbringen. Die Tafel ist flexibel entscheiden, ob diese Aufnahme in Frankreich
und variabel einsetzbar, je nach Unterrichtsge- oder in Deutschland entstanden ist. Eine andere
schehen entsteht ein Tafelbild, welches den SuS Funktion von Bildern ist, sie als Ausgangspunkt
Stundenergebnisse zusammenfasst oder auch für Gesprächs- und Schreibstimuli zu verwen-
Phasen der ä Übung und des ä Transfers beglei- den. Hilfreich sind insbesondere offene Abbil-
tet (vgl. Mertens 2006). Der Tageslichtprojektor dungen: offen in Bezug auf die räumliche Ge-
(Overhead-Projektor) wird seit den 1970er staltung (ein wesentlicher Teil wird nicht darge-
Jahren im FU eingesetzt (vgl. Reinfried 2003, stellt) und offen in Bezug auf den zeitlichen
417). Im Gegensatz zur Wandtafel erlaubt die- Kontext (das Bild legt das Vorher oder Nachher
ses Medium der Lehrkraft, den Sichtkontakt eines Handlungsrahmens nicht fest; vgl. Mer-
mit den SuS aufrechtzuerhalten. Entsprechend tens 2006, 141).
der Arbeit mit der Wandtafel kann ersatzweise Die Kombination von Text und Bild hat in
ein Tafelbild auf Folie entstehen. Der Vorteil den meisten aktuellen Lehrwerken Einzug ge-
des Tageslichtprojektors liegt darin, dass bereits halten. Dort finden sich nicht nur Illustrationen
vorgefertigte Dokumente auf eine Folie kopiert zu Texten, sondern auch comicartige Bilderge-
und auf diese Weise den SuS präsentiert werden schichten in unterschiedlichen Zeichenstilen.
können. Mithilfe von Kopierer und Drucker Ein Comic ist eine Bild-Text-Mischform, in der
eröffnen sich zahlreiche Möglichkeiten, eigene beide Präsentationsformen sich aufeinander
Folien für den Unterricht zu entwerfen. Die beziehen. Sie können den Literaturunterricht
meisten ä Lehrwerke bieten begleitende, auf das bereichern. Wie bei literarischen Ganzschriften
Lehrwerk abgestimmte Foliensätze an. Auch ist allerdings auch hier der Umfang zu beach-
Fotos oder Zeichnungen lassen sich sehr leicht ten; im Anfangsunterricht können längere Co-
auf Folie kopieren und in den Lernprozess inte- micbände die SuS überfordern, zumal das ver-
grieren. Marcus Reinfried (2003, 417) nennt wendete Sprachregister häufig eine Schwierig-
zahlreiche Techniken zum Einsatz von Folien keit darstellt. Mit dem Einsatz von Comics
(z. B. Overlaytechnik, Ergänzungstechnik, Figu- erhofft man sich eine erhöhte ä Aufmerksam-
rinentechnik). keit und ä Motivation, weil diese Textsorte
Im Hinblick auf die Funktion von statischen häufig auch in der Freizeit rezipiert wird. Ihr
Bildern im fremdsprachlichen Lernprozess gibt unterrichtliches Anwendungspotenzial ist sehr
Marcus Reinfried (1992) eine umfassende Dar- groß. Da sie häufig alltägliche Begebenheiten
stellung. Eine zentrale Funktion spricht er der beinhalten, können Comics Anregungen zum
semantisierenden Bildfunktion zu. Diese kann (inter)kulturellen Lernen geben. V. a. aber bie-
sowohl in lehrerzentrierten Unterrichtsphasen ten sie zahlreiche Anlässe zur Spracharbeit. Im
(ä Lehrerzentrierung) als auch im Rahmen der Bereich der Textrezeption gibt die Mündlich-
Autosemantisierung durch die SuS eingesetzt keit Gelegenheit, unterschiedliche sprachliche
werden. Auch Illustrationen und Fotos in Lehr- Register kennenzulernen. Die bildliche Darstel-
werken dienen der Semantisierung von Lexik lung bietet zudem eine Semantisierungshilfe,
oder Handlungsabläufen. Darüber hinaus be- die Prozesse des ä Leseverstehens unterstützen
nennt Reinfried die interkulturelle Bildfunk- kann. Auch lassen sich vielfach grammatische
tion: Dabei kann es sich um Objekte handeln, Erscheinungen besonders gut im situativen
um Geschäfte, Gebäude, Landschaften oder um Kontext der kombinierten Bild-Text-Darstel-
die Porträts bekannter Persönlichkeiten. Damit lung erfassen. Das vielleicht wichtigste Poten-
entsprechende visuelle Eindrücke von den SuS zial unterrichtlicher Verwendung liegt jedoch
aufmerksam registriert und intensiv verarbeitet im Feld der Sprachproduktion. Bilder eignen
werden können, empfiehlt sich eine Vorgehens- sich gerade durch das Nicht-Sprachliche der
weise nach den Prinzipien der ä Handlungs- und Darstellung sehr gut als Sprechanlass. Visuell
ä Lernerorientierung für den Umgang mit aus- Wahrgenommenes drängt zur sprachlichen
sagekräftigen landeskundigen Abbildungen Darstellung, wobei gerade Mehrdeutigkeiten
(vgl. Mertens 2006, 141). Die Sendung Caram- ein reizvoller Anlass für die Artikulation unter-
bolage (ARTE) bedient sich dieser Bildfunktio- schiedlicher Sichtweisen sein können. Bisweilen
nen zur Wahrnehmungsschulung im Bereich laden Comics durch Humor oder Schaden-
der interkulturellen Kompetenz. Es wird ein freude zu kontroversen Kommentaren ein.
statisches Bild oder eine kurze Videosequenz Aufgrund ihrer ausschnitthaften Sequentialität
gezeigt, und der Betrachter ist aufgefordert zu weisen sie zudem Leerstellen auf, die als krea-
241 Medien

tive Sprech- oder Schreibanlässe genutzt werden agiert. Aus dieser Interaktion ergibt sich das
können. Auch lassen sich Sprechblasentexte ä Verstehen. Das Verstehen eines Liedes in der
entfernen, verbunden mit der Aufforderung an Fremdsprache ist eine schwierige Aktivität, die
die Lernenden, selbst als Texter aktiv zu wer- nicht ohne Weiteres von den SuS geleistet wer-
den. Letztlich kann die Umgestaltung der Bil- den kann. Im Gegensatz zum Leseverstehen
derfolgen zu narrativen oder deskriptiven sind gesungene Texte schwierig zu entschlüs-
Textformen ein lohnendes Arbeitsziel sein. All seln, da die Lernenden auf das Sprech- und
diese Verfahren dienen der Förderung der Gesangstempo keinen Einfluss haben. Zu vielen
Schreibkompetenz (ä Schreiben). Besonders ge- aktuellen Liedern findet man auf YouTube oder
eignet sind auch Karikaturen oder Zeichenfol- MyVideo entsprechende Videoclips. Diese Mu-
gen ohne Text, da sie die SuS dazu herausfor- sikvideos sind häufig sehr aufwendig produziert
dern, eigene Gedanken zu versprachlichen. und erzählen die Handlung des Liedes in Form
Zu den auditiven M. zählen alle Arten von von Bildern. Sie eignen sich daher sehr gut für
Tonträgern wie auch die zu ihrer Wiedergabe das Training des Hör-/Sehverstehens.
benötigten technischen Geräte. Auditive M. wie In audiovisuellen M. sind Bild und Ton ver-
z. B. ä Hörspiele sind eine Alternative zum knüpft. Das birgt den Vorteil, dass nonverbale
Sprachvorbild der Lehrkraft. Sie ermöglichen Zeichen (ä Nonverbale Kommunikation) sowie
darüber hinaus das Kennenlernen verschiedener der situative Kontext Verstehenshilfen anbieten.
regionaler wie auch sozialer Sprachvarianten. Aus einem semiotischen Textverständnis heraus
Die auditiven M. sind daneben insofern ein wird der Textbegriff auch auf das Medium
Beitrag zu mehr ä Authentizität, als dass ge- ›Film‹ angewendet (audiovisueller Text). Viele
sprochene Sprache mit Geräuschen kombiniert der aus der Arbeit mit (literarischen) Texten
werden kann, eine Eigenschaft, die zur Ent- bekannten Verfahren lassen sich auch zur Ana-
wicklung des ä Hörverstehens im konkreten lyse von Filmen bzw. Filmausschnitten anwen-
außerschulischen Situationen beiträgt (vgl. den (ä Filmdidaktik). Bei Filmen handelt es sich
Mertens 2006, 142). Mit CDs oder auch MP3s also um Texte, die bei einer aktiven Einbezie-
lässt sich zielsprachliche ä Musik problemlos in hung der SuS schon während des Rezeptions-
den Unterricht integrieren. Musik kann unter- prozesses folgende Bereiche fördern und trai-
schiedliche Funktionen im Fremdsprachenlern- nieren: rezeptive Kompetenzen des Hör- und
prozess übernehmen: von der Begleitung und des Hör-/Sehverstehens, produktive Kompeten-
Optimierung des Lernprozesses allgemein über zen (ä Sprechen, Schreiben), ä interkulturelle
die Auslösung kreativer Sprachproduktion bis kommunikative Kompetenz sowie media/film
hin zur Vorbereitung und Initiierung eigen- und literacy, d. h. filmanalytische Rezeptionskompe-
fremdkultureller Verstehensprozesse. Ein we- tenz, text- und bildanalytische Kompetenzen
sentlicher Vorzug dieses Mediums ist, dass es (ä Medienkompetenz, ä Filmkompetenz). Fol-
ein besonders angstfreies Herangehen an die gende audiovisuelle Texte lassen sich gewinn-
Fremdsprache erleichtert. Lieder können zur bringend im FU einsetzen: Spielfilme, Doku-
Motivationssteigerung ebenso eingesetzt wer- mentarfilme und Dokumentationen (z. B. Reise-
den wie zur Schulung des (kreativen) Ausdrucks berichte), Werbespots, Musikvideos, Kurzfilme,
in der Fremdsprache, oder aber auch zu einer Nachrichtensendungen, lehrwerksbegleitende
eher kognitiven Auseinandersetzung mit dem DVDs (Sketche, Dialogsituationen, Reisebe-
Liedtext. Lieder appellieren aufgrund ihrer richte usw.). Die spontane Überzeugung, fil-
Melodie, ihres Rhythmus und der instrumentel- misch enkodierte Informationen seien leicht
len Ausgestaltung an die ä Emotionen der Ler- verständlich, da man ja sehen könne, was pas-
nenden. Dies stellt neben dem Liedtext ebenfalls siert, erweist sich jedoch als trügerisch. Das Bild
einen Sprechanlass dar. Der emotionale Zugang gibt nur dem Verständnishilfen, der gelernt hat,
und die Bedeutung, die die Musik für die meis- es schnell zu dekodieren (ä Visuelle Kompetenz),
ten Jugendlichen hat, schaffen ein Hörinteresse. um es mit der Tonspur abzugleichen. Dem Seh-
Der Lerner bzw. die Lernerin möchte erfahren, verstehen muss weit mehr, als es bisher ge-
worum es im Lied geht. Das Hörverstehen ist schieht, durch entsprechende Aufgabenstellun-
eine Aktivität der rezeptiven Sprachverarbei- gen Raum gegeben werden, z. B. dadurch, dass
tung, bei dem das gesamte Sprachwissen und zunächst ohne Tonspur gearbeitet wird, um den
darüber hinaus auch das verfügbare Weltwissen SuS Gelegenheit zu geben, Mutmaßungen zum
der Rezipient/innen mit dem Gehörten inter- Inhalt zu formulieren, gezielt Bildinformationen
Medien 242

aufzusuchen und zu analysieren, ihre Wahrneh- Medien mit allen unterrichtsrelevanten Fragen
mung zu artikulieren und zu schulen. der Medienverwendung im Schul- und Ausbil-
Die Informations- und Kommunikations- dungsbereich, wohingegen die Medienerzie-
technologien führten in den vergangenen Jah- hung als Hinführung zum Umgang mit den
ren vermehrt dazu, dass digitale M. wie Com- Medien abgegrenzt wird. Beide Bereiche ge-
puter und Internet im FU eine zunehmend meinsam konstituieren in diesem Verständnis
selbstverständlichere Rolle spielen (ä Lernsoft- den Gesamtkomplex der Medienpädagogik,
ware, ä Computer-Assisted Language Learning, welche die Lehre von den Medien als schulische
ä E-Learning). Auch die Ausstattung der Schu- Dokumentations- und Unterrichtsmittel und
len wird fortwährend verbessert, so gibt es als Mittel öffentlicher Information und Unter-
wahrscheinlich keine Sekundarschule, die nicht haltung in sich vereint (vgl. Hüther 1997, 211).
über einen Computerraum beziehungsweise ei- Nach Dieter Baacke (1997) beschäftigt sich die
nige Computer in den Klassenräumen verfügt. M. mit dem Einsatz von Medien zum Erreichen
Sehr viele Schulen sind mittlerweile mit Smart- pädagogisch reflektierter Ziele; in ihren Bereich
boards ausgestattet. Das interaktive Smart- sind v. a. die Unterrichtsmedien zu zählen. Ger-
board ist eine berührungsempfindliche Tafel, hard Tulodziecki (1997, 45) beschreibt den Be-
die es erlaubt, Informationen auf einem Com- griff als »den Bereich der Didaktik, in dem alle
puter-Bildschirm der ganzen Klasse nicht nur Überlegungen zusammengefasst sind, bei denen
zu präsentieren, sondern auch interaktiv ver- es im Wesentlichen um die Frage geht, wie Me-
fügbar zu machen. Dem Smartboard wird häu- dien bzw. Medienangebote oder Medienbei-
fig nachgesagt, das Ende der ›Kreidezeit‹ einzu- träge zur Erreichung pädagogisch gerechtfertig-
läuten. Eine spezielle Software erlaubt es, das ter Ziele gestaltet und verwendet werden kön-
Smartboard u. a. als elektronische Tafel zu nut- nen oder sollen«.
zen oder das Schülerbuch in einer interaktiven Im pädagogischen Sprachgebrauch werden
Variante aufzurufen. Steht ein Internetzugang Medien als die Gesamtheit der technischen
zur Verfügung, dann können Lehrende auch Hilfsmittel bezeichnet, welche didaktisch ge-
Internetinhalte, Webvideos usw. im Klassenzim- plant zur Verbesserung von Lehr- und Lernsitu-
mer nutzen (zu den Vor- und Nachteilen des ation dienen. Damit fallen darunter ebenso
Smartboards vgl. auch den Eintrag zu ä CALL). ä Tafel und Kreide wie der computergestützte
Lit.: S. Doff/F. Klippel: Englischdidaktik. Bln 22009 FU oder Formen des ä E-Learning (vgl. Hüther
[2007. – A. Grünewald: Aspekte des Medieneinsatzes. 1997). Das wiederum bedeutet, dass die Ge-
In: Ders./L. Küster (Hg.): Fachdidaktik Spanisch. Stgt schichte der M. ebenso weit zurückgeht, wie
2009, 146–184. – J. Mertens: Tafel, Overheadprojek- die des Unterrichtens ganz allgemein. Für die
tor, statische Bilder, Tonträger, bewegte Bilder. In:
A.  Nieweler (Hg.): Fachdidaktik Französisch. Stgt jüngere Vergangenheit lässt sich für die 1960er
2006, 136–144. – M. Reinfried: Visuelle Medien. In: und 1970er Jahre konstatieren, dass mediendi-
K.-R. Bausch et al. (Hg.): Handbuch FU. Tüb./Basel daktische Fragen in den Mittelpunkt der medi-
4
2003 [1989, 416–420. – M. Reinfried: Das Bild im enpädagogischen aber auch fachdidaktischen
FU. Eine Geschichte der visuellen M. am Beispiel des Diskussion rückten. Im Zusammenhang mit
Französischunterrichts. Tüb. 1992. – J. Wilts: Vom
bewegten Bild zum bewegten Klassenzimmer. In: Der
der ä audio-lingualen und der ä audio-visuellen
fremdsprachliche Unterricht Französisch 36/62 (2003), Methode kam es zu einem Medienboom in den
4–10. AG Bildungseinrichtungen und zu einer Vielfalt ap-
parativer Ausstattung (Sprachlabore, Tonband-
geräte, Filmvorführgeräte usw.). Die zu dieser
Mediendidaktik ist ein Teilgebiet der Medienpä- Zeit technologisch ausgerichtete M. bezog sich
dagogik. Sie beschäftigt sich mit der Funktion auf die Arbeiten von Burrhus F. Skinner und die
und Bedeutung von Medien in Lehr- und Lern- lerntheoretischen Annahmen des Behavioris-
prozessen. Die Versuche, die Aufgaben und mus (ä Lerntheorien). Aus der Kritik an diesem
Ziele der M. als Gegenstandsbereich der Medi- bildungstechnologischen Unterrichtsverständ-
enpädagogik zu beschreiben, haben zu ver- nis entstand Mitte der 1970er Jahre die hand-
schiedenen Systematisierungen geführt. Die lungs- und teilnehmerorientierte M., für welche
klassische Zweiteilung der Medienpädagogik der Unterricht ein offener Lernprozess ist, in
in M. und Medienerziehung geht auf Edmund dem die Medien sowohl zur Unterrichtsgestal-
Kösel und Reinhard Brunner (1970) zurück. tung durch die Lehrkraft als auch zur Gestal-
Danach befasst sich M. als die Erziehung durch tung des Lernprozesses durch die SuS selbst
243 Mediendidaktik

fungierten (vgl. Hüther 1997). Damit geriet die Alltag oder im familiären Zusammenleben, des
aktive Mediennutzung von Lernenden in den Rezeptionsverhaltens in unterschiedlichen sozi-
Fokus, denn wer Medien erfolgreich in seinem alen Strukturen, der Medienwirkung, der ge-
Lernprozess einsetzen will, der muss z. B. wis- schlechtsspezifischen Mediensozialisation und
sen, welche Wirkungen sie haben, wo ihre der Konzeptionierung medialer Lernumgebun-
Grenzen liegen und wie sie einzusetzen sind. In gen (vgl. Hug 2002).
diesem Zusammenhang wurden Medien in ih- Die Medienpädagogik hat in den letzten
rer Doppelfunktion als Lehr- und Lernmittel beiden Jahrzehnten einen Aufschwung erfah-
gesehen. Damit wurde die Zusammenführung ren. Analog zu den gesellschaftlichen, techno-
der beiden isoliert betriebenen Bereiche M. und logischen und wissenschaftlichen Veränderun-
Medienerziehung eingeleitet, die im heutigen gen erfolgte eine Ausweitung des Gegenstands-
Verständnis von Medienpädagogik endgültig bereichs und der Fragestellungen sowie eine
vollzogen ist (vgl. ebd.). Ausdifferenzierung von Ansätzen, die zu neuen
Aktuell wird M. als einer von vier Teilberei- Perspektiven der kritisch-reflexiven Medienge-
chen der Medienpädagogik definiert: Medien- staltung führten. Seit den 1990er Jahren ist
erziehung, M., Medienkunde und Medienfor- damit eine Vielzahl neuer Fragestellungen in
schung. Theo Hug (2002) unterscheidet diese den Fokus der M. gerückt. Diese Fragen betref-
Bereiche wie folgt: (1) Die Medienerziehung fen zum einen lern- und wahrnehmungspsy-
befasst sich mit den Möglichkeiten des sinnvol- chologische Aspekte und ihre möglichen, v. a.
len Umgangs mit Medien. Im Mittelpunkt ste- aber auch längerfristigen Effekte auf die Kog-
hen dabei unterschiedliche Varianten und Ver- nitionsstrukturen der Anwender/innen. Zum
ständnisse der Befähigung zur reflektierten, anderen wird in der M. nach der lernwirksa-
kritischen Mediennutzung. Während die Me- men und benutzeradäquaten Gestaltung von
dienerziehung sich bis vor einigen Jahren multi- und hypermedialen Vermittlungsprozes-
oftmals auf persönlichkeitsbildende Momente sen gefragt (vgl. Hüther 1997; Krapp/Weiden-
und die nachwachsenden Generationen konzen- mann 2006).
trierte, rücken heute vermehrt auch Fragen der Eine allgemeine Forschungsfrage, die insbe-
medienbezogenen Erwachsenen- und Altenbil- sondere in der Frühzeit der Medienforschung
dung ins Blickfeld. (2) Die M. befasst sich mit diskutiert wurde, beschäftigt sich damit, ob
den Funktionen, Wirkungen und Inszenierun- Medien lediglich ein Vehikel zum Austausch
gen von Medien in Lehr- und Lernsituationen. von Informationen sind, selbst aber keinen
Das Ziel der Bemühungen liegt in der Verbesse- spezifischen Einfluss auf die beteiligten Prozesse
rung oder Optimierung der Lehr- und Lernpro- der Wissensproduktion ausüben (vgl. Clark
zesse sowie in der Beförderung eigenständiger 1983, 1994). Das technische Medium ist nach
Formen der Aneignung von Inhalten und Richard E. Clark lediglich ein Transportmittel
ä Kompetenzen. Nachdem sich die Bemühun- und irrelevant für den Lernprozess. Die kogni-
gen jahrzehntelang um einen adäquaten Einsatz tiven Prozesse, die zum Lernen erforderlich
von Folien, Overheadprojektoren, Flipcharts, sind, werden demnach ausschließlich durch die
Filmen, Sprachlaboratorien usw. drehten, ist Methode, d. h. durch die Strukturierung des In-
die Konzentration auf die multimedialen Mög- haltes des medialen Angebots beeinflusst. Diese
lichkeiten der neuen Informations- und Kom- Annahme ist insofern folgenschwer, als sie die
munikationstechnologien unübersehbar gewor- Bedeutung von Multimedia für den Lernprozess
den (z. B. Datenbanken, Schulnetzwerke, Inter- grundsätzlich in Frage stellt. Dieser Position
net, virtuelle Lernumgebungen, Lernsoftware entgegenstehend wird ein dezidierter Einfluss
usw.). (3) Aufgabe der Medienkunde ist die der verwendeten Medien auf alle daran betei-
Vermittlung von Kenntnissen über Medien und ligten kognitiven und sozialen Prozesse postu-
von technischen Basiskompetenzen. (4) Die liert (vgl. Kozma 1994). Die instruktionspsy-
Medienforschung schließlich umfasst alle erzie- chologische Forschung in den 1990er Jahren
hungswissenschaftlichen Bemühungen der Ana- hat zudem eine Reihe von Medienwirkungen
lyse bzw. Untersuchung von Fragen medialer zeigen können, so dass eine radikale Ablehnung
Erziehung, Bildung und Entwicklung sowie des der Lernwirksamkeit von Medien als widerlegt
medialen Lernens und Aufwachsens aller Al- gelten kann (vgl. ebd.).
tersgruppen. Untersuchungsgegenstände sind Es ist offenbar wenig sinnvoll, nach der Lern-
beispielsweise Fragen der Mediennutzung im wirksamkeit digitaler Medien an sich zu fragen.
Mediendidaktik 244

Mit den digitalen Medien lassen sich grund- Impulsgeber und Schaffung von Sprechanlässen,
sätzlich ebenso viele effektive wie ineffektive Wahrnehmungsschulung (ä Visuelle Kompetenz)
Lehr-Lern-Szenarien realisieren wie mit traditi- und Förderung der ä interkulturellen kommuni-
onellen Medien. Hinsichtlich der Lernwirksam- kativen Kompetenz. Audiovisuellen Medien
keit der informations- und kommunikations- werden folgende Funktionen zugesprochen: re-
technischen Medien muss das Bedingungsgefüge zeptive Kompetenzen des Hör- und des Hör-/
der am Lehr-/Lernprozess beteiligten Faktoren Sehverstehens, produktive Kompetenzen (ä Spre-
wie z. B. Lehr-/ä Lernziel, Medienunterstützung, chen, ä Schreiben), Förderung der interkulturel-
ä Vorwissen (themen- und medienspezifisch len Kompetenz sowie der ä Medienkompetenz
oder ä Lernstrategien), Interesse, ä Motivation bzw. der ä Filmkompetenz.
und Einstellungen der Lernenden sowohl hin- Im Bereich Multimedia liegt sicher die Zu-
sichtlich des Mediums als auch der Faktoren kunft der Medienentwicklung für den FU. Die
untereinander berücksichtigt werden (vgl. Grü- unterrichtsmethodischen Möglichkeiten für
newald 2006). In vergleichenden empirischen multimediale Anwendungen sind bei weitem
Studien, in denen Unterricht mit und ohne digi- noch nicht am Ende ihrer Entwicklung. Durch
tale Medien untersucht wird, bleibt meist un- die Arbeit mit dem Computer wird die Förde-
klar, ob eine Veränderung tatsächlich auf das rung von Formen des Selbststudiums von
eingesetzte Medium zurückzuführen ist oder Fremdsprachenlernenden angestrebt. Die digi-
nicht (Faktorenkomplexion). Das liegt daran, talen Medien bieten gute Werkzeuge und Hilfs-
dass in der Forschung zur Wirkung digitaler mittel an, die es den SuS erleichtern, beim Erler-
Medien im Schulunterricht mediale und unter- nen einer Fremdsprache zunehmend selbständi-
richtsmethodische Einflüsse nicht auseinander ger zu sein und einen individuellen Lernweg zu
gehalten werden können. Ein Effizienznachweis beschreiten. Eingesetzte Lernsoftware, Hilfs-
für das Medium Computer im FU im Vergleich mittel wie elektronische ä Wörterbücher, bereits
zu anderen Medien kann also nicht zu allge- besuchte fremdsprachliche Internetseiten (mit
meingültigen Aussagen führen, die Ergebnisse Aufgaben, interaktiven ä Übungen usw.) und
sind nur eingeschränkt replizierbar (vgl. Grüne- die im Kontext des FUs erworbene Medien-
wald 2006). kompetenz versetzen die SuS in die Lage, den
Für die Fremdsprachendidaktik hat die M. Lernprozess individuell und bei Bedarf auto-
den Status einer ä Bezugswissenschaft. Für den nom zu gestalten (ä Autonomes Lernen). Die
Einsatz im FU werden folgende ä Medien unter- Lernenden können das Lerntempo bei der Nut-
schieden: nichttechnische Medien (etwa das zung des PCs selbst bestimmen, sie müssen mit
Lehrbuch oder Abbildungen) von technischen weniger gesteuerten Aufgaben zunehmend
Medien (etwa Filme oder multimediale mehr Eigenständigkeit beweisen. Die Arbeit mit
ä Lernsoftware). Eine andere Kategorisierung dem Internet ist eine lernerorientierte (ä Lerner-
von Unterrichtsmedien rekurriert auf den Wahr- orientierung) und schüleraktivierende (ä Akti-
nehmungskanal: visuelle Medien (Lehrbücher, vierung) Methode, mit authentischen schriftli-
multimediale Lernprogramme), auditive Medien chen Materialien umzugehen (ä Authentizität).
(CDs, ä Hörspiele, Podcasts) und audiovisuelle Computergestützter FU (ä Computer-Assisted
Medien (Filme, Videopods, Multimedia). Inge Language Learning) ist dann schülerzentriert,
Schwerdtfeger (2002) benennt folgende Funkti- wenn das Recherchieren bzw. die Datenbank-
onen für auditive Medien im Kontext des FUs: abfrage der Lebensrealität der SuS nahekommt.
Schulung des ä Hörverstehens, vielfältige Hör- In diesem Fall führt er zu einer höheren Identi-
beispiele geben (Variation der Stimmlagen, der fikation mit dem Lerngegenstand und erlaubt
Ideo- und Soziolekte), Schulung der Sprechfä- den SuS mit zunehmender Kompetenz, eigene,
higkeit in der Zielsprache (ä Kommunikative autonome Recherchen durchzuführen. Es kann
Kompetenz), Schaffung von Sprechanlässen also nicht um eine enzyklopädisch geartete An-
(z. B. durch Produktion von Podcasts). Für visu- häufung von Information gehen, sondern es
elle und audiovisuelle Medien lassen sich fol- geht um den Prozess der Informationsbeschaf-
gende Funktionen benennen: Herstellung des fung, um das Finden von Informationen, um
Bezugs von gesprochener und geschriebener das Einordnen, das Verstehen und das Beurtei-
Zielsprache (ä Mündlichkeit und Schriftlich- len. Für einige Inhalte ist dann auch die Aneig-
keit), Verdeutlichung von Gestik, Mimik und nung von ä Wissen relevant. Ein solcher Um-
Körpersprache (ä Nonverbale Kommunikation), gang erfordert den kompetenten Umgang mit
245 Medienkompetenz

Medien. Dies gilt in gleicher Weise auch für weltsbegriff entwickelt, der nicht nur von Me-
fremdsprachige Informationsangebote, denn dienpädagogen und Medienwissenschaftlern
das Orientieren, das Navigieren und das Re- oder anderen Wissenschaftsdisziplinen im aka-
cherchieren geschehen im FU in aller Regel in demischen Diskurs verwendet wird, sondern
der Zielsprache. Es geht nun also nicht mehr der auch im öffentlichen und politischen Dis-
nur darum, Sprachfertigkeiten (ä Fertigkeiten) kurs einen hohen Stellenwert erhalten hat.
und Informationen zu Sprache, ä Landeskunde Dennoch oder gerade aus diesem Grund bleibt
oder Wirtschaft zu vermitteln; zunehmend der Begriff diffus.
wichtig werden der kompetente Umgang mit Eine im Wissenschaftsbereich legitimierte
Informationen und auch der Prozess der Wis- Begriffsdefinition existiert nicht. Harald Gapski
sensaneignung in der Fremdsprache. Auf diese stellt in seinem Band Medienkompetenz (2001,
Weise werden mediendidaktische Fragestellun- 255–293) eine Sammlung von 104 unterschied-
gen zu einem integrierten Bestandteil der Lern- lichen Definitionen vor. Norbert Groeben
ziele im FU, ganz abgesehen von der Tatsache, (2002, 160 f.) weist darauf hin, dass M. nicht
dass die Mediennutzung im FU immer mit Auf- zu spezifisch ausschließlich als computer lite-
gaben der Sprachrezeption und -produktion racy im Sinne von technischem Wissen zu fassen
einhergeht (vgl. Grünewald 2006). ist. Allenfalls setze sich der Begriff M. aus einer
Lit.: D. Baacke: Medienpädagogik. Tüb. 1997. – G. Blell/ Vielfalt unterschiedlicher Subkonzepte wie z. B.
R. Kupetz (Hg.): Fremdsprachenlernen zwischen Me- dem der computer literacy, der visual literacy
dienverwahrlosung und Medienkompetenz. Beiträge (als Kompetenz, mit den bildlichen Symbolsys-
zu einer kritisch-reflektierenden M. FfM 2005. – tem umgehen zu können; ä visuelle Kompetenz),
R.  Clark: Reconsidering Research on Learning from
Media. In: Review of Educational Research 53/4 der print literacy (als Fähigkeit, auf einem spe-
(1983), 445–459. – R. Clark: Media will Never Influ- zifischen Niveau schreiben und lesen zu kön-
ence Learning. In: Educational Technology Research nen), der media content literacy (als Fähigkeit,
and Development 42/2 (1994), 21–29. – A. Grüne- mit Medieninhalten umgehen zu können), der
wald: Multimedia im FU. Motivationsverlauf und media grammar literacy (als Fähigkeit, die
Selbsteinschätzung des Lernfortschritts von Schülern
der Sek. II im computergestützten Spanischunterricht.
Sprache des Mediums verstehen zu können) bis
FfM 2006. – J. Hüther: M. In: Ders. et al. (Hg.): Grund- hin zur medium literacy (als Fähigkeit, das Me-
begriffe Medienpädagogik. Mü. 1997, 210–215. – dium als übergeordnete kulturelle und kommu-
T. Hug: Medienpädagogik. Begriffe, Konzeptionen, nikative Umwelt erkennen zu können) zusam-
Perspektiven. In: G. Rusch (Hg.): Einführung in die men (vgl. ebd.). Auch wenn der Begriff M. in
Medienwissenschaft. Opladen 2002, 189–208. –
theoriehistorischen und anwendungsprakti-
E. Kösel/R. Brunner: Medienpädagogik. In: Pädagogi-
sches Lexikon. Bd. 2. Gütersloh 1970, 354–355. – schen Aspekten problematisch ist, so kommt
R. Kozma: Will Media Influence Learning? Reframing man nicht an dessen Gebrauch vorbei, allein
the Debate. In: Educational Technology Research and deshalb, weil bessere und durchsetzbare Alter-
Development 42/2 (1994), 7–19. – A. Krapp/B. Wei- nativen zu fehlen scheinen.
denmann (Hg.): Pädagogische Psychologie. Ein Lehr- Nimmt man die oben genannten Subkon-
buch. Weinheim 52006 [1986. – I. Schwerdtfeger: Die
Funktion der Medien in den Methoden des Deutsch zepte (computer literacy, visual literacy, print
als Fremdsprache-Unterrichts. In: G. von Helbig et al. literacy, media content literacy, media grammar
(Hg.): Deutsch als Fremdsprache. Bln 2002, 1017– literacy, medium literacy) als Bestandteile von
1028. – G. Tulodziecki: Medien in Erziehung und Bil- M., dann lassen sich zumindest Konkretisierun-
dung. Grundlagen und Beispiele einer handlungs- und gen für den FU formulieren: technische Aspekte
entwicklungsorientierten Medienpädagogik. Bad
Heilbrunn 31997 [1992. – G. Tulodziecki/B. Herzig:
digitaler Medien kennen; Medien rezipieren
Handbuch Medienpädagogik. Bd. 2: M. Medien in und interaktive Angebote nutzen können; visu-
Lehr- und Lernprozessen verwenden. Stgt 2006. AG elle Symbolsysteme dekodieren können; Wissen
über Mediensysteme und Fähigkeit zur Medi-
enkritik besitzen; über Handlungsfähigkeit in
Medienkompetenz wird als eine der sog. Bezug auf Mediengestaltung verfügen; reflexiv
ä Schlüsselqualifikationen der Informationsge- und kritisch mit Medien umgehen können. Da-
sellschaft bezeichnet. Die Vermittlung von M. raus folgt, dass die Vermittlung von M. im
wird in allen Rahmenplänen (ä Lehrplan) als Rahmen des institutionalisierten FUs die Ler-
fachübergreifendes Ziel definiert und ist damit nenden dazu befähigen sollte, Medien für die
auch für den FU relevant. M. hat sich insbeson- Erweiterung ihrer eigenen fremdsprachlichen
dere seit Beginn des 21. Jh.s zu einem Aller- ä kommunikativen und ä interkulturellen kom-
Medienkompetenz 246

munikativen Kompetenz zu nutzen. Auf der System einer Person interagieren und miteinan-
unterrichtspraktischen Ebene könnte dies z. B. der vernetzt sind. Davon abgehoben wird Viel-
wie folgt umgesetzt werden: gezielte Auswahl sprachigkeit (engl. multilingualism, frz. multi-
von Medienangeboten üben; Sensibilisierung linguisme) als ein gesellschaftliches Phänomen
für den kritischen Umgang mit fremdsprachi- des eher additiven Nebeneinanders von Spra-
gen Informationen aus unterschiedlichen Me- chen (vgl. Europarat 2001). Auch die termino-
dien; Vermittlung von Strategien zur Informati- logische Unterscheidung zwischen ä Zweispra-
onsrecherche; Informationen kritisch prüfen chigkeit und M. ist uneinheitlich. Während in
und Quellen nachvollziehen (Absichten und der Psycholinguistik und der Zweitsprachener-
Intentionen erkennen); den Wert interkulturel- werbsforschung Bilingualismus durchaus als
ler Informationen durch Mediennutzung erken- Form von M. angesehen wird, wird von Vertre-
nen; durch die Produktion von eigenen Medi- ter/innen der Tertiärsprachenforschung und
enbeiträgen (z. B. Fotoroman, Video-Reportage, auch der Fremdsprachendidaktik eine Person
Podcast) Techniken und Methoden kennenler- häufig erst dann als mehrsprachig bezeichnet,
nen; Medienangebote selbständig in die Lösung wenn sie neben der Erstsprache zwei weitere
unterrichtrelevanter Aufgabenstellungen einbe- Sprachen erworben bzw. gelernt hat. Entschei-
ziehen; effektive Medienrecherche als Grund- dend ist hier der zugrunde gelegte Sprachbe-
lage wissenschaftlichen Arbeitens anwenden; griff. Sieht man z. B. Dialekte und Soziolekte als
anhand der Auseinandersetzung mit der Me- eigenständige Sprachen an, kann jeder Mensch
dienlandschaft des Zielsprachenlandes (Fernse- grundsätzlich als mehrsprachig bezeichnet wer-
hen, Video, Internet, Presse usw.) die Funktion den (vgl. Wandruszka 1979). Abstrahiert man
und Bedeutung von Medien in der Gesellschaft jedoch von der auch jeder Nationalsprache in-
kritisch reflektieren; Weiterentwicklung der in- härenten M., konstruiert man einen Monolin-
terkulturellen Kommunikations- und Hand- gualismus, der erst durch das Erlernen von
lungsfähigkeit durch die Nutzung digitaler Fremdsprachen überwunden werden kann.
Technologien (E-Mail-Projekte, Chat, Video- Sprachen erscheinen in dieser letzteren Sicht
konferenzen); Sichtung und Nutzung von objektiviert, voneinander abgrenzbar und zähl-
fremdsprachiger ä Lernsoftware. bar (L1, L2, L3 usw.) – eine Sicht, die angesichts
Lit.: H. Gapski: M. Wiesbaden 2001. – N. Groeben/ von Sprachmischungsphänomenen und einem
B. Hurrelmann (Hg.): M. Voraussetzungen, Dimensio- subjektorientierten Sprachkonzept zunehmend
nen, Funktionen. Weinheim 2002. – L. Küster: M. und in Frage gestellt wird (vgl. Busch 2013, 9; Hu
Ästhetische Bildung im FU. In: G. Blell/R. Kupetz 2016, 298 f.; Kramsch 2009). Hinzu kommt
(Hg.): Fremdsprachenlernen zwischen Medienver-
wahrlosung und M. FfM 2005, 67–86. AG das Kriterium der sprachlichen Kompetenz: In
der Forschung zeichnet sich dabei ein deutli-
cher Trend zu einer Abwendung von der lange
Mehrsprachigkeit, aufgrund von Migration, verbreiteten, ausgewogenen/symmetrischen M.
ä Globalisierung und zunehmendem Sprach- als Leitidee ab. Nicht Perfektion, sondern die
kontakt hat sich M. in der Linguistik, der Er- Fähigkeit, kommunikative und interkulturelle
ziehungswissenschaft, sowie in der ä Fremd- Situationen konstruktiv zu bewältigen, wird
und Zweitsprachendidaktik zu einem wichti- zum Kriterium für mehrsprachige Kompetenz
gen Forschungsgegenstand entwickelt; hinzu (vgl. Grosjean 2012, 4). Die Frage der dynami-
kommt die sprachenpolitische Dimension, wo schen Entwicklung von M. in verschiedenen
M. im Hinblick auf gesellschaftlich relevante Phasen des Lebens sowie Formen der funktio-
Aspekte im Mittelpunkt steht – z. B. im Hin- nalen M. (für bestimmte Lebensbereiche wer-
blick auf Migration und europäische Integra- den unterschiedliche Sprachkompetenzen ent-
tion (vgl. z. B. Auer/Wei 2007; Busch 2013; wickelt) spielen eine zunehmende Rolle. Der
Council of Europe 2007; Müller et al. 2011). ä Gemeinsame europäische Referenzrahmen
Das Konzept M. wird in den verschiedenen für Sprachen (Europarat 2001) hat hier einen
Disziplinen und Sprachräumen nicht einheitlich wichtigen Beitrag geleistet, indem unterschied-
gefasst. Eingebürgert hat sich jedoch – beson- liche Profile in den verschiedenen Teilkompe-
ders durch den Sprachgebrauch des Europarats tenzbereichen beschreibbar gemacht wurden.
– die Benutzung des Begriffs M. (engl. plurilin- Das auf John Gumpertz zurückgehende Kon-
guism, frz. plurilinguisme) für die individuelle zept des sprachlichen ä Repertoires (vgl. Busch
M., bei der mehrere Sprachen im mentalen 2013, 20 ff.), über das ein Individuum durch
247 Mehrsprachigkeit

unterschiedliche Lern- und Erwerbskontexte Jugendlichen in mehrsprachigen Settings geht es


sowie Sprachkontaktsituationen verfügt, ge- in dieser Forschung v. a. darum, Schul- und Un-
winnt in diesem Zusammenhang an Bedeutung. terrichtsmodelle zu entwickeln, die Spracher-
M. ist nicht nur erklärtes Ziel schulischer halt, Förderung in der Bildungssprache sowie
sprachlicher Bildung, sondern oft auch Voraus- bilinguale Erziehung ermöglichen und somit zu
setzung sprachlichen Lernens und Lehrens. Die mehr Bildungsgerechtigkeit beitragen (vgl. z. B.
Zieldimension ergibt sich dabei insbesondere Busch 2013, 170-183; García/Wei 2014). Einen
aus den sprachpolitischen Vorgaben auf euro- besonderen Fokus nimmt in diesem Zusammen-
päischer Ebene, die durch das Erlernen von hang diejenige Forschung ein, die sich mit mi-
mindestens zwei Sprachen (neben der Erstspra- grationsbedingter M. und schulischem FU be-
che) Verständnis und Kommunikation auf eu- fasst (vgl. z. B. Hu 2011). Erste Forschungser-
ropäischer und internationaler Ebene fördern gebnisse zeigen, dass mehrsprachige SuS im
wollen. Voraussetzung ist M. für institutionel- Vergleich zu ihren monolingual Deutsch aufge-
les Sprachenlernen insofern, als bei der zweiten, wachsenen Mitschüler/innen etwa beim Lernen
dritten oder vierten Fremdsprache bereits des Englischen einen leicht signifikanten Vorteil
durch die vorgelernten Sprachen ein großer Er- haben (vgl. Hesse et al. 2008), und dass bei
fahrungsschatz an sprachlichem ä Wissen, an deutsch-türkisch bilingualen SuS signifikant
ä Lernstrategien und ä Kompetenzen aufgebaut positive Effekte auf die Englisch-Lesekompetenz
wurde, auf dem das Lernen weiterer Sprachen zu beobachten waren (vgl. Rauch 2014). Diese
basiert (ä Vorwissen). Effekte werden u. a. dadurch erklärt, dass Lern-
In den letzten Jahrzehnten haben sich ver- strategien aus dem L2-Erwerb auf den L3-Er-
schiedene mehrsprachigkeitsorientierte For- werb übertragen werden, und dass eine erhöhte
schungsansätze entwickelt: Eine Form von ä M. Sprachbewusstheit (ä Bewusstheit/Bewusstma-
sdidaktik bezieht sich v. a. auf typologisch ver- chung) vorhanden ist, die dem L3-Erwerb zu
wandte Sprachen, wobei man davon ausgeht, Gute kommt (vgl. auch Jessner 2006).
dass durch die Bewusstmachung ähnlicher In der Forschung wird es zukünftig darum
sprachlicher Phänomene in verschiedenen Spra- gehen, die verschiedenen und zum Teil deutlich
chen innerhalb einer Sprachfamilie der interlin- getrennten Forschungsstränge stärker als bisher
guale ä Transfer zum gleichzeitigen Erlernen aufeinander zu beziehen und in einen interdis-
mehrerer Sprachen, insbesondere im rezeptiven ziplinären Dialog zu treten. Auch gilt es nach
Bereich, führen kann (vgl. Bär 2009). Andere wie vor, eingefahrene didaktische Traditionen
Ansätze mehrsprachigkeitsdidaktischer For- angesichts der gesellschaftlichen Umbrüche
schung – oft auch L3-Forschung oder Ter- kritisch in Frage zu stellen, um zu innovativen
tiärsprachenforschung genannt – beschäftigen Konzepten zu gelangen.
sich mit der Bedeutung von in der Schule oder
Lit.: L. Aronin/B. Hufeisen: The Exploration of Multi-
anderen Bildungsinstitutionen bereits gelernten lingualism. Development of Research on L3, Multilin-
(Fremd-)Sprachen für den Erwerb einer weite- gualism and Multiple Language Acquisition. Amster-
ren Sprache, also etwa ä Französisch nach dam/Philadelphia 2009. – P. Auer/L. Wei (2007):
ä Englisch (vgl. z. B. Aronin/Hufeisen 2009). Handbook of Multilingualism and Multilingual
Für viele Lernende ist aber auch aufgrund von Communication. Bln 2007. – M. Bär: Förderung von
M. und Lernkompetenz. Fallstudien zu Interkompre-
Migration die dominante Schulsprache nicht die hensionsunterricht mit Schülern der Klassen 8 bis 10.
Erstsprache, sondern bereits Zweit- oder Dritt- Tüb. 2009. – B. Busch: M. Wien 2013. – Council of
sprache. Diese Konstellation ist insofern kom- Europe (Hg): From Linguistic Diversity to Plurilingual
plex, als es sich bei den sog. Migrationssprachen Education. Guide for the Development of Language
nicht nur um eine Vielzahl verschiedener Spra- Education Policies in Europe. Strasbourg 2007. –
Europarat (Hg.): Gemeinsamer europäischer Refe-
chen aus unterschiedlichen Sprachfamilien (mit
renzrahmen für Sprachen. Lernen, lehren, beurteilen.
z. T. unterschiedlichen Schriftsystemen) handelt, Strasbourg 2001. – O. García/L. Wei: Translangua-
sondern auch der Sprachstand der SuS kann sehr ging. Language, Bilingualism and Education. N. Y.
differieren. In diesem Kontext hat sich eine 2014. – F. Grosjean: Bilingual. Life and Reality. Har-
kritisch-engagierte Forschung entwickelt, die vard 2012. – H.-G. Hesse/K. Göbel/J. Hartig: Sprach-
das Verhältnis von migrationsbedingter M. und liche Kompetenzen von mehrsprachigen Jugendlichen
und Jugendlichen nicht-deutscher Erstsprache. In:
der jeweils dominanten Schulsprache in den E.  Klieme et al. (Hg.): Unterricht und Kompetenz-
Blick nimmt. Ausgehend von den lebensweltli- erwerb in Deutsch und Englisch. Weinheim 2008,
chen mehrsprachigen Praxen von Kindern und 208–230. – A. Hu: Migrationsbedingte M. und schuli-
Mehrsprachigkeit 248

scher FU. Forschung, Sprachenpolitik, Lehrerbildung. dadurch systematischer für ihre Spracherwerbs-
In: H. Faulstich-Wieland/H. Moser (Hg.): Umgang prozesse (ä Spracherwerb und Spracherwerbs-
mit Heterogenität und Differenz. Baltmannswei-
theorien) nutzen zu können. M. ist somit
ler  2011, 121–140. – A. Hu: Éducation plurilingue,
défis conceptuels, théoriques et politiques. In: grundsätzlich als lernerorientierter Ansatz
C.  Hélot/J. Erfurt (Hg.): L’éducation bilingue en (ä Lernerorientierung) zu verstehen, bei dem
France. Politiques linguistiques, modèles et pratiques. ä Individualisierung von besonderer Wichtig-
Paris 2016, 521–528. – U. Jessner: Linguistic Aware- keit ist. Aber auch Lernökonomie spielt eine
ness in Multilinguals. English as a Third Lan- wichtige Rolle.
guage. Oxford 2006. – C. Kramsch: The Multilingual
Subject. Oxford 2009. – N. Müller et al. (Hg.): Ein- Im Laufe der Zeit haben sich mehrsprachig-
führung in die M.sforschung. Tüb. 2011. – D. Rauch: keitsdidaktische Ansätze mit unterschiedlichen
Effects of Biliteracy on Third Language Reading Profi- Schwerpunkten herauskristallisiert: In Deutsch-
ciency. The Example of Turkish-German Bilinguals. land hat besonders Franz-Joseph Meißner eine
In: P. Grommes/A. Hu (Hg.): Plurilingual Education. Form von M. entwickelt, die sich v. a. auf typo-
Policies, Practices, Development. Ldn 2014, 199–218.
logisch verwandte Sprachen, insbesondere ro-
AdH manische Sprachen, bezieht (vgl. aber auch
innerhalb des bekannten Interkomprehensions-
Mehrsprachigkeitsdidaktik. Als M. kann im projekts ›EuroCom‹ neben dem Projekt ›Euro-
Allgemeinen eine Form der Fremdsprachenver- ComRom‹, das romanische Sprachen in den
mittlung bezeichnet werden, bei der nicht nur Mittelpunkt stellt, die Projekte ›EuroCom-
die Kompetenzentwicklung in einer Zielspra- Germ‹ und ›EuroComSlav‹, wo die germani-
che angestrebt wird (ä Kompetenz), sondern bei schen bzw. slawischen Sprachfamilien fokus-
der die zu unterrichtende Sprache mit explizi- siert werden). Man geht hier davon aus, dass
tem Einbezug der bereits vorhandenen ä Mehr- durch die Bewusstmachung ähnlicher sprachli-
sprachigkeit der SuS unterrichtet wird. Allen cher Phänomene in verschiedenen Sprachen in-
Ansätzen liegt die Vorstellung zugrunde, dass nerhalb einer Sprachfamilie der interlinguale
Sprachen nicht in strikt voneinander getrenn- Transfer zum gleichzeitigen Erlernen mehrerer
ten mentalen Bereichen gespeichert, sondern Sprachen, insbesondere im rezeptiven Bereich,
gemeinsam eine kommunikative Kompetenz führen kann (vgl. Martinez 2015; Meißner/
bilden, zu der alle Sprachkenntnisse und Reinfried 1998; Klein/Stegmann 2000). Z. B.
Spracherfahrungen beitragen und in der die wird die französische Sprache als Brückenspra-
Sprachen miteinander in Beziehung stehen und che zur Romania verstanden (vgl. Meißner
interagieren (ä Gemeinsamer europäischer Re- 2008). Andere Ansätze der M. beschäftigen sich
ferenzrahmen). Zentral ist dabei ein inferentiel- mit der Bedeutung von in der Schule oder ande-
ler Lernbegriff (ä Inferenz), bei dem man davon ren Bildungsinstitutionen bereits vorher gelern-
ausgeht, dass bereits disponibles deklaratives ten Sprachen für den Erwerb einer weiteren
und prozedurales ä Wissen (auch ä Vorwissen) Sprache (vgl. z. B. Hufeisen/Neuner 2003;
mit den neu aufgenommenen Informationen Leitzke-Ungerer 2005; Leitzke-Ungerer et al.
interagiert, d. h. dass das Erlernen einer Sprache 2012; Schöberle 2015). Diese auch häufig als
auf vorhandenem sprachlichen Wissen, Welt- Tertiärsprachenforschung bezeichneten An-
wissen, sprachlernstrategischem Wissen und sätze setzen sich zum Ziel, die Interaktionen
entsprechenden Kompetenzen aufbaut (vgl. zwischen z. B. der L2 und der L3 zu erforschen
Meißner/Reinfried 1998, 15 f.). In diesem Kon- und auf dieser Basis eine L3-Grammatik und
text spielt interlingualer ä Transfer eine ent- -Methodik zu entwickeln (vgl. als Pionierfor-
scheidende Rolle: Angestrebt wird, dieses cha- schung auf diesem Gebiet auch die Ergebnisse
rakteristische Merkmal vernetzten Sprachenler- des sog. Tertiärsprachenprojekts in Bahr et al.
nens systematisch zu nutzen und in konkrete 1996). Eine besondere Herausforderung für
Lehr-/Lernszenarien zu überführen. Von beson- mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze stellt die
derer Bedeutung ist für mehrsprachigkeitsdi- migrationsbedingte Mehrsprachigkeit der SuS
daktische Ansätze weiterhin der Aspekt der dar (vgl. Hu 2003, 2011). Nicht nur handelt es
Sprachlernkompetenz. Durch Bewusstmachung sich bei den sog. ›Migrationssprachen‹ um eine
(ä Bewusstheit/Bewusstmachung) der eigenen Vielzahl verschiedener Sprachen aus unter-
Lernprozesse sollen sich die Lernenden gerade schiedlichen Sprachfamilien (mit z. T. unter-
der Querverbindungen zwischen den ihnen be- schiedlichen Schriftsystemen), auch kann der
kannten Sprachen bewusst werden, um diese Sprachstand der SuS sehr differieren. Hinzu
249 Mehrsprachigkeitsdidaktik

kommt, dass der Erwerb oftmals unsystema- Hauptsprache und den entsprechenden kultu-
tisch verlief, so dass kaum Sprach(lern)be- rellen Räumen die Rolle von Sprachlernbera-
wusstheit vorhanden ist (vgl. Fernandez-Am- tenden impliziert, die Neugier, Respekt und In-
man et al. 2015). Nimmt man jedoch das Prin- teresse für Sprachen im Allgemeinen fördern
zip der Lernerorientierung wie aber auch die und dementsprechend Sprachlernprozesse –
sprachpolitischen Forderungen nach Mehr- auch über die Zielsprache hinaus – bewusst
sprachigkeit im europäischen bzw. globalen machen und anregen (vgl. Behr 2005; Hilden-
Kontext ernst, müssen sich mehrsprachigkeits- brand et al. 2012). Damit ist verbunden, dass
didaktische Ansätze in Zukunft auch stärker auch die Lehrperson phasenweise die Rolle der
dieser Herausforderung stellen (vgl. auch Lernenden übernehmen muss, da durchaus
Council of Europe 2007). auch SuS als Experten für ihre Sprachen auftre-
M. – gerade auch in diesem umfassenden ten können. Was das jeweils zugrunde gelegte
Sinne – verlangt auf vielen Ebenen ein deutli- Sprach- und v. a. auch Kulturverständnis
ches Umdenken. Auf terminologischer Ebene (ä Kultur) angeht, ist weiterhin für mehrspra-
gilt es, traditionelle, in der Schulbürokratie und chigkeitsdidaktische Ansätze charakteristisch,
in der Alltagssprache verankerte Begrifflichkei- dass das Konstrukt einer homogenen Zielspra-
ten kritisch im Hinblick auf die aktuellen Her- che und Zielkultur durch Konzepte der sprach-
ausforderungen zu sichten. Bezeichnungen wie lich-kulturellen Vielfalt (z. B. Regiolekte, Dia-
›Fremdsprache‹, ›Zielsprache‹ oder ä›Herkunfts- lekte, Soziolekte, Einwanderersprachen) ersetzt
sprache‹ entsprechen in vielen Fällen nicht wird, also die intrakulturelle Heterogenität
mehr der sprachlichen Realität, in der die Gren- bzw. Hybridität von Kulturen betont wird. Dies
zen zwischen diesen Unterscheidungen verwi- kann z. B. durch mehrsprachige Texte, Lieder
schen. Auch das immer noch übliche Konstrukt oder Auszüge aus mehrsprachigen und kultur-
des native speaker sollte nicht mehr unkritisch übergreifenden Sprachbiographien geschehen.
als gängiges Leitbild gelten; fruchtbarer sind Auch auf schulorganisatorischer Ebene sind
hingegen Vorstellungen vom ä intercultural Neuerungen erforderlich: Fächer- bzw. sprach-
speaker bzw. mehrsprachige Lernerprofile, übergreifende Konferenzen, die Einigung auf
durchaus auch mit unterschiedlichen Kompe- eine einheitlich grammatische Terminologie
tenzen in den verschiedenen ä Fertigkeiten. Im oder sprachübergreifende Projekte sind wün-
Sprachunterricht selbst sollte eine Kultur der schenswert (ä Sprachenübergreifendes Unter-
Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität geför- richten). Ein Gesamtsprachencurriculum ist
dert werden: Sprachvergleiche semantischer, notwendig, in dem alle Sprachen zu ihrem Recht
morphologischer, lexikalischer und syntakti- kommen und sinnvoll – in unterschiedlichen
scher Art, und zwar nicht nur zwischen den er- Bildungsgängen – gefördert werden (vgl. Rückl
lernten Schulsprachen oder typologisch ver- 2016). Auch in der ä Lehrerbildung wird es in
wandten Sprachen, können Spezifika der unter- Zukunft verstärkt darum gehen müssen, ein
schiedlichen Sprachen erhellen, ä Fehler und neues Selbstverständnis von Fremdsprachenleh-
faux amis/false friends erklären sowie spezifi- renden zu schaffen, indem auch im Studium
sche Blickrichtungen auf die Welt verdeutlichen. verstärkt Bezüge zwischen den verschiedenen
Für Sprachen mit unterschiedlichen Schriftsys- Sprachfächern hergestellt werden (z. B. durch
temen und stark divergierenden Strukturen ist übergreifende Lehrveranstaltungen) oder die ei-
die semantisch-kulturelle Ebene besonders inte- gene, in vielen Fällen ja auch bereits mehrspra-
ressant: Hier können auch zwischen entfernten chige Sprachlernbiographie der Studierenden
Sprachen Verbindungen gezogen werden. Es für die spätere Lehrtätigkeit reflektiert und
geht dann nicht mehr nur um sprachlernöko- fruchtbar gemacht wird.
nomische Gesichtspunkte der Lerneffektivität,
Lit.: A. Bahr et al.: Forschungsgegenstand Tertiärspra-
sondern v. a. auch um die Dimension eines er- chenunterricht. Ergebnisse eines empirischen Projekts.
weiterten Verständnisses für Sprachen und Bochum 1996. – U. Behr: Sprachen entdecken, Spra-
sprachlich-kulturelle Zusammenhänge im All- chen vergleichen. Kopiervorlagen zum sprachenüber-
gemeinen. Auch für die Lehrerrolle ist ein Um- greifenden Lernen Deutsch, Englisch, Französisch,
denken erforderlich: Die vorherrschende mo- Russisch, Latein. Bln 2005. – Council of Europe (Hg.):
From Linguistic Diversity to Plurilingual Education.
nolinguale Einstellung von Fremdsprachenleh- Guide for the Development of Language Education
renden sollte einem Selbstverständnis weichen, Policies in Europe. Strasbourg 2007. – E. M. Fernán-
das neben den exzellenten Kenntnissen in der dez-Ammann/A. Kropp/J. Müller-Lancé (Hg.): Her-
Mehrsprachigkeitsdidaktik 250

kunftsbedingte Mehrsprachigkeit im Unterricht der sche (/noche/), morphologische (Flexionen:


romanischen Sprachen. Bln 2015. – E. Hildenbrand/ noches, Derivationen: nochecita), syntaktische
H. Martin/U. Vences (Hg.): Mehr Sprache(n) durch
(z. B. die Kongruenz: por las noches) und viel-
Mehrsprachigkeit. Erfahrungen aus Lehrerbildung
und Unterricht. Bln 2012. – A. Hu: Schulischer FU leicht auch pragmatische (buenas noches als
und migrationsbedingte Mehrsprachigkeit. Tüb. 2003. Begrüßungsformel); zur Inhaltsseite gehören
– A. Hu:   Migrationsbedingte Mehrsprachigkeit und die Archiseme und Seme, also die Bedeutungs-
schulischer FU. Forschung, Sprachenpolitik, Lehrer- merkmale, z. B. ›Tagesabschnitt ab Dunkelheit‹.
bildung. In: H. Faulstich-Wieland/H. Moser (Hg.): Neben diesem rein sprachlichen Wissen ist im
Umgang mit Heterogenität und Differenz. Baltmanns-
weiler 2011, 121–140. – B. Hufeisen/G. Neuner (Hg.): LZG auch das – oft kulturspezifisch geprägte –
Mehrsprachigkeitskonzept, Tertiärsprachen, Deutsch Weltwissen gespeichert, von dem Teile zum
nach Englisch. Strasbourg 2003. – H. G. Klein/ Wort gehören, z. B. ›Zeitpunkt der letzten
T. D. Stegmann: EuroComRom. Die sieben Siebe. Ro- Mahlzeit‹. Neue Wörter müssen mit all diesen
manische Sprachen sofort lesen können. Aachen 2001. Informationen gelernt werden, da sie sonst
– E. Leitzke-Ungerer: Interlinguale Unterrichtseinhei-
ten Englisch, Französisch, Spanisch. In: Praxis FU 5
nicht für den kommunikativen Gebrauch zur
(2005), 12–22. – E. Leitzke-Ungerer/G. Blell/U. Vences Verfügung stehen (ä Wortschatz und Wort-
(Hg.): English-Español. Vernetzung im kompetenzori- schatzvermittlung). Wörter werden entweder
entierten Spanischunterricht. Stgt 2012. – H. Marti- ganzheitlich und damit gebrauchsfertig gespei-
nez: M. Aufgaben, Potenziale, Herausforderungen. In: chert (so z. B. Derivata mit ihren Prä- und Suffi-
Fremdsprachen Lehren und Lernen 44/2 (2015), 7–19.
xen wie z. B. anochecer) oder aber transforma-
– F.-J. Meißner: Französischunterricht im Rahmen von
Mehrsprachigkeitskonzepten. In: B. Tesch et al. (Hg.): tionalistisch als Kombination aus Stamm und
Bildungsstandards Französisch konkret. Sekundar- Regelapparat (so werden z. B. Verbalflexionen
stufe I. Grundlagen, Aufgabenbeispiele und Unter- bei jedem Gebrauch neu konstruiert wie in está
richtsanregungen. Bln 2008, 35–43. – F.-J. Meißner/ anocheciendo). Ersteres hat den Vorteil des
M. Reinfried (Hg.): M. Tüb. 1998. – M. Rückl: Spra- schnellen Abrufs, letzteres den der ökonomi-
chen und Kulturen vermitteln und vernetzen. Beiträge
zu Mehrsprachigkeit und Inter-/Transkulturalität im schen Speicherung.
Unterricht, in Lehrwerken und in der Lehrer/innen/ Vielfache und vielfältige Relationen der Wör-
bildung. Waxmann 2016. – W. Schöberle: Mehrspra- ter im m. L. bewirken eine feste Speicherung
chigkeit im FU. Vergleichen, kombinieren, profitieren. und rasche Abrufbarkeit. Assoziative priming
Stgt 2015. AdH tests belegen die kognitive Nähe von Wortkno-
ten und damit die Existenz kognitiver Teilnetze
Mentales Lexikon. Das m.L. ist der Teil des Lang- im m. L. Sie beruhen auf einem außersprachli-
zeitgedächtnisses (LZG), in dem der gesamte chen Ordnungsprinzip (Kontiguitat, d. h. die
Wortschatz aller Sprachen gespeichert ist, den räumliche, zeitliche, logische, also thematische
ein Mensch besitzt. Es ist systematisch geordnet Nähe von Wörtern wie noche, cama, cansado,
und unbegrenzt erweiterbar. Bei der Sprach- dormir…), und sechs intralingualen Ordnungs-
rezeption gelangen die Wörter über die Perzep- prinzipien: semantische Similarität (Synonyme,
tionskanäle (auditiv, visuell) und das Kurzzeit- Antonyme, Polyseme, Wortfeldstruktur), pho-
gedächtnis (KZG) ins LZG, bei der Produktion netische und graphemische Similarität (Homo-
umgekehrt vom LZG über das KZG zur Arti- phone, Reime), morphologische Similarität
kulation oder Verschriftlichung. (Wortfamilien, Homografen), Hierarchie (Ta-
Wörter sind Teil des deklarativen ä Wissens. xonomien von Ober-/Unterbegriffen), Lineari-
Den Kern des Wortes bildet das Konzept, das tät (syntagmatische Verbindungen, denen im
durch Abstraktion aus einer Klasse von Refe- ä chunk learning eine hohe Speicherkraft beige-
renten (Gegenstände oder Sachverhalte) her- messen wird), Affektivität. Im mehrsprachigen
ausgelöst wird. Die Speicherung des einzelnen m.L. sind die Wörter der einzelnen Sprachen
Wortes erfolgt doppelt: nach dessen Form (sig- zusätzlich interlingual über die Konzepte und
nifiant) und dessen Inhalt (signifié). Beides ist Seme miteinander verbunden und gestatten so
getrennt, aber nah beieinander repräsentiert, i. d. R. rasche Übersetzungen (ä Sprachmittlung).
wie das TOT (tip of the tongue)-Phänomen be- Dennoch funktioniert Sprachgebrauch primär
legt: Wörter liegen uns mitunter ›auf der Zunge‹ mit intralingualen Verknüpfungen. Ob die indi-
und können erst abgerufen werden, wenn der viduelle Wortschatztiefe bzw. -kenntnis mit
mentale Pfad zwischen Form und Inhalt gefun- dem individuellen Wortschatzumfang korre-
den ist. Zur Formseite gehören phonologische liert, gilt als nicht gesichert (vgl. Schmitt 2014,
Informationen (z. B. span. [not∫e), graphemati- 939; Juska-Bacher/Jakob 2014, 62).
251 Metakognition

Die in den 1970er Jahren entwickelten, maß- morgens besonders gut konzentrieren«), auf
gebenden Netzwerktheorien modellieren das bestimmte Aufgaben (z. B. »Dieser Text ist noch
m. L. als Netz, in dem die Wortkonzepte den zu schwer für mich«) und auf bestimmte Strate-
Netzknoten und die lexikalischen Relationen gien (z. B. »Bei der Arbeit mit einer Vokabelkar-
den Netzsträngen gleichen. Eng relationierte tei sortiert man die Wörter entweder in die Ka-
und frequent verwendete Wörter bilden ökono- tegorie der gewussten oder die der nicht ge-
misch verschachtelte und eng verwobene Teil- wussten Wörter«). (2) Die Fähigkeit zur
oder Subnetze. Wörter gehen also vielfache und Kontrolle und Steuerung der eigenen Kognition
vielfältige Verbindungen mit anderen Wörtern wird dagegen als prozedurales metakognitives
ein, und jedes Wort ist dadurch Element mehre- Wissen bezeichnet. Beispielsweise lassen sich
rer Teilnetze. Das m.L. ist unbegrenzt aufnah- für das fremdsprachliche ä Leseverstehen im
mefähig: Gerade in der Fremdsprache werden Hinblick auf das kognitive prozedurale Wissen
stets neue Wortformen (z. B. frz. études univer- das Antizipieren von Textinformationen, das
sitaires), und häufig auch neue Konzepte (z. B. Erschließen eines unbekannten Wortes aus dem
für ›CAPES‹) ins Netz integriert, und bei jeder Kontext (ä Kontextualisierung) oder das Akti-
Neuaufnahme verändern sich sowohl die Seme vieren von ä Vorwissen anführen. Bei der Aus-
der bestehenden Konzepte (je nach Kulturspe- führung dieser mentalen Prozesse überwachen
zifik und -geschichte u. U. sehr stark) als auch Lesende fremdsprachlicher Texte gleichzeitig
die Netzstruktur in der Umgebung des Wort- ihr Verständnis und beobachten beispielsweise,
knotens. Beim Sprachgebrauch und der Wort- wie sie beim Lesen vorgehen, ob das Vorgehen
suche werden Netzwerkstränge bis zur Aktivie- erfolgreich ist oder wie sie möglicherweise er-
rung des gesuchten Wortes bzw. Konzepts folgreicher lesen könnten (metakognitive Kont-
durchlaufen (spreading activation theory). rolle). Bei erkannten Verständnisproblemen
Lit.: J. Aitchison: Words in the Mind. An Introduction passen sie die Lesegeschwindigkeit und Arbeits-
to the Mental Lexicon. Malden, MA 42012 [1987. – intensität an oder sie entschließen sich, an eine
B. Juska-Bacher/S. Jakob: Wortschatzumfang und andere Textstelle zu springen, um das Problem
Wortschatzqualität und ihre Bedeutung im fortgesetz- zu lösen (metakognitive Steuerung). Ebenso
ten Spracherwerb. In: Zeitschrift für Angewandte
Linguistik 61 (2014), 49–75. – N. Schmitt: Size and wird auch das fremdsprachliche Schreiben,
Depth of Vocabulary Knowledge. What the Research Hören und Sprechen metakognitiv kontrolliert
Shows. In: Language Learning 64 (2014), 913–951. und gesteuert.
ChN M. ist im FU insbesondere bei der Planung,
Organisation und Evaluation des eigenen Ler-
nens von Bedeutung und trägt wesentlich zur
Metakognition spielt bei bewussten Lernprozes- Effizienz von Lernbemühungen bei. Sie spielt
sen eine zentrale Rolle und ist im FU deshalb aber auch bei der Vermittlung von ä Lernstrate-
insbesondere im Hinblick auf das explizite gien eine wichtige Rolle, bei der den Lernenden
sprachliche und kulturbezogene Lernen rele- in einem ersten Schritt metakognitives deklara-
vant. Lockl und Schneider (2007, 255) definie- tives Wissen über eine neue Strategie vorgestellt
ren den Begriff folgendermaßen: »Unter M. wird. In einem zweiten Schritt üben sie die Stra-
(Kognition über Kognition) versteht man das tegie, um so das Strategiewissen in prozedurales
Wissen über kognitive Zustände und Prozesse kognitives Wissen (Strategiekönnen) zu über-
sowie die Fähigkeit, die eigenen Kognitionen führen. Als dritte Phase erfolgt in der Regel die
überwachen und regulieren zu können.« Sie Evaluation, bei der die Lernenden metakognitiv
unterteilen damit die M. in (1) deklaratives und bewerten, ob die Strategie sich als nützlich er-
(2) prozedurales ä Wissen. (1) Im Gegensatz zu weist und ob sie sie zukünftig verwenden wol-
kognitivem deklarativem Wissen, das bereichs- len.
spezifisches Wissen über die Welt bezeichnet Lit.: W. M. Chan: M. und der DaF-Unterricht für asia-
(z. B. Wissen über Elefanten, Emanzipation tische Lerner. Möglichkeiten und Grenzen. Münster/
oder Erdbeeren), bezieht sich der Begriff des N. Y. 2000. – M. Hasselhorn/A. S. Labuhn: M. und
metakognitiven deklarativen Wissens einzig auf selbstreguliertes Lernen. In: W. Schneider/M. Hassel-
den Bereich der Kognition (z. B. Wissen über horn (Hg.): Handbuch der Pädagogischen Psycholo-
gie. Göttingen u. a. 2008, 28–37. – K. Lockl/W. Schnei-
Lernen, Denken oder Verstehen). Er bezeichnet der: Entwicklung von M. In: M. Hasselhorn/
Wissen über Kognitionen im Hinblick auf be- W. Schneider (Hg.): Handbuch der Entwicklungspsy-
stimmte Personen (z. B. »Ich kann mich früh chologie. Göttingen u. a. 2007, 255–265. KSch
Methodenkompetenz 252

Methodenkompetenz. Da der Terminus M. so- Lernfortschritt selbständig einzuschätzen und


wohl dem Kompetenzinventar Lernender wie zu dokumentieren. Über diese Selbstevaluation
auch dem Lehrender zugehörig ist, muss ent- gelangen Lernende zu Einsichten in die für ih-
sprechend differenziert werden. Für Lernende ren persönlichen Lernstil angemessenen Lern-
besitzt M. eine integrative Funktion, d. h., sie techniken bzw. Lernstrategien (vgl. Doff/Klippel
umfasst im Rahmen der Ausbildung allgemei- 2007, 239 ff.).
ner Lernkompetenz die unterrichtlichen Schlüs- Fokussiert man M. lehrerseitig, so gehört
selkompetenzen Sach-, Selbst- und ä Sozialkom- hierzu auf der Makroebene das diachron aus-
petenz. Als »bewußte[s Wahrnehmen des Me- gerichtete, fachwissenschaftliche Wissen um die
thodischen im methodischen Handeln« (Meyer historische Entwicklung und die Schlüsselkon-
2007, 153) und somit als kompetenzübergrei- zepte der Fremdsprachenmethodik (ä Metho-
fendes Konzept soll die Vermittlung und Ent- dik) – beginnend bei der ä Grammatik-Überset-
wicklung von M. Lernende befähigen, im Rah- zungs-Methode über die ä audio-linguale und
men ihres Arbeits- und Lernprozesses Lernstoff ä audio-visuelle Methode bis hin zu holisti-
selbständig und effektiv zu erarbeiten, zu doku- schen, kommunikativen, bilingualen und ä al-
mentieren und zu vertiefen. Während M. in der ternativen Lehr-/Lernformen (ä Ganzheitliches
Primarstufe angebahnt, ständig erweitert und Lernen, ä Kommunikativer FU, ä Bilingualer
geschult wird, verfolgt die Sekundarstufe eine Unterricht). Zu den alternativen Methoden ge-
Optimierung der M. im Hinblick auf den selb- hören ä Total Physical Response, ä Suggestopä-
ständigen Wissenserwerb an beruflichen oder die und spielerisch-musisches Lernen. Auf der
akademischen Bildungsinstitutionen. Grund- Mikroebene bedeutet M. seitens der Lehrenden
lage für die M. der Lernenden bilden die im die Beherrschung und Umsetzung eines mög-
Unterricht vermittelten ä Lernstrategien, ä Lern- lichst variablen Methodenrepertoires in der
techniken und Lernverfahren. Diese können Unterrichtsplanung, d. h. im Bereich der metho-
zunächst unterteilt werden in Strategien des disch-didaktischen Vorbereitung und Analyse
Spracherwerbs, fertigkeitsbezogene Strategien, einer Unterrichtseinheit. So erstreckt sich die
kommunikative Strategien, reflexive Strategien, notwendige M. Lehrender auf fünf zentrale
Lernstrategien und soziale Strategien (Wolff Bereiche: (1) Handlungs- und Lernsituationen,
1989, 72 ff.). M. erfährt des Weiteren in den (2) Handlungsmuster bzw. methodische Grund-
Curricula der Primar- und Sekundarstufe für formen, (3) Unterrichtsschritte (methodischer
Fremdsprachen ihre Systematisierung in die Gang), (4) Sozial-, Kooperations- und Differen-
Fertigkeitsbereiche Lesen und Hören (rezeptiv), zierungsformen und (5) methodische Großfor-
Schreiben und Sprechen (produktiv) sowie men wie etwa Lehrgang, Projekt, Lektion, Ex-
Grammatik und Wortschatz. Zu den einschlä- kursion usw. (Meyer 2008, 116 ff.).
gigen Lernstrategien im Fertigkeitsbereich Le- Lit.: S. Doff/F. Klippel: Englischdidaktik. Praxishand-
sen (ä Leseverstehen) gehören u. a. das zielge- buch für die Sekundarstufe I und II. Bln 2007. –
richtete Nutzen von Wörterbüchern, die selb- M.  Meyer: Unterrichtsmethoden. Praxisband. Bln
16
ständige Bedeutungserschließung, das Eruieren 2016 [1987. – D. Wolff: Lernerstrategien beim
Fremdsprachenlernen. In: J.-P. Timm (Hg.): Englisch
spezieller Textinhalte (scanning) einerseits so- lernen und lehren. Didaktik des Englischunterrichts.
wie globales Textverständnis (skimming) ande- Bln 1998, 70–77. NG
rerseits. Der Fertigkeitsbereich ä Hörverstehen
umfasst Lerntechniken wie das selbständige
Füllen von Leerstellen sowie das Erkennen von Methodik bezeichnet die Theorie und Zusam-
Sinnzusammenhängen, das Anfertigen von No- menfassung der Methoden, die im Unterricht
tizen und das Verdichten und Paraphrasieren zur Erreichung bestimmter Ziele eingesetzt
von Gehörtem. Im Rahmen der Ausbildung von werden. Grob gesprochen, befasst sich die M.
M. rückt neben dem ä autonomen Lernen und mit dem ›Wie?‹ des Unterrichts, die Didaktik
dem Erwerb von Wissensbeständen die »Be- mit dem ›Was?‹. Beide Bereiche, Unterrichtsin-
wusstmachung von Lernprozessen« (Wolff halte und Unterrichtsmethoden, sind durch den
1989, 74) als Bestandteil des Unterrichtsgesche- Fachbezug jedoch eng miteinander verknüpft,
hens in den Vordergrund (ä Bewusstheit/Be- da einzelne Fachziele den Einsatz bestimmter
wusstmachung). Über Lernertagebücher oder Unterrichtsmethoden nahelegen. Unterrichts-
einschlägige ä Portfolios erwerben SuS im Rah- methoden sind die von der Lehrkraft ausge-
men der allgemeinen M. die Fähigkeit, ihren wählten und praktizierten Handlungsweisen,
253 Minderheitensprachen

die die Prozessstruktur des Unterrichts verkör- staltung eine zentrale Rolle spielen, weil sie
pern. Über die Wirksamkeit der M. bestehen Handlungsoptionen eröffnen, um ä Lernziele zu
unterschiedliche Auffassungen: Die produktio- erreichen, sprechen einige Theoretiker von der
nistische Annahme geht davon aus, dass die ge- sog. postmethod condition (Kumaravadivelu
wünschten (Lern-)Ergebnisse durch den Einsatz 1994), in der weniger die Umsetzung bestimm-
passender Methoden erreicht werden; Skeptiker ter Methoden als die eklektische Vorgehens-
sehen den Unterricht jedoch eher als (evtl. nur weise individueller Lehrkräfte innerhalb eines
teilweise oder gar nicht akzeptiertes) Lernange- gegebenen pädagogischen Kontexts zu besserer
bot. Inhaltlich wird M. unterschiedlich akzentu- Passung von Unterrichtsverfahren und Zielen
iert, indem Unterrichtsmethoden erstens als führen soll. Der Zusammenhang zwischen
Mittel zur Erreichung bestimmter Unterrichts- Lehrverfahren, Lehrstrategien (vgl. Stern 1983,
ziele gesehen werden (Dimension ›Zielerrei- 506), Lehrzielen und Lernergebnissen bleibt
chung‹), zweitens als vermittelnde Instanz zwi- dennoch eine der Kernfragen des FUs.
schen Lernstoff und Lernenden (Dimension Lit.: H. Heuer/F. Klippel: Englisch-M. Bln 1987. –
›Sachbegegnung‹), drittens als Weg zur Schaf- B.  Kumaravadivelu: The Postmethod Condition.
fung günstiger Lernbedingungen (Dimension (E)merging Strategies for Second/Foreign Language
›Lernhilfe‹) und viertens als institutionell veran- Teaching. In: TESOL Quarterly 28 (1994), 27–48. –
J.  Richards/T. Rodgers: Approaches and Methods in
kert (Dimension ›Rahmung‹). Alle vier Dimensi- Language Teaching. Cambridge 32014 [1986. –
onen sind für die theoretische Erörterung wie H.H.  Stern: Fundamental Concepts of Language
die praktische Realisierung von Unterrichtsme- Teaching. Oxford 1983. – E.  Terhart: Lehr-Lern-
thoden bedeutsam (vgl. Terhart 2005, 26 ff.). Methoden. Eine Einführung in die methodische Orga-
Im FU werden Fragen nach Art und Weise nisation von Lehren und Lernen. Weinheim 42005
[1989. FK
der Vermittlung von Sprachwissen und Sprach-
können seit jeher mit großem Engagement dis-
kutiert; in jeder Epoche gibt es Bestrebungen, Minderheitensprachen sind eigenständige Spra-
die beste Sprachlehrmethode zu entwerfen, und chen ethnischer oder anderer Minderheiten. Die
Ansprüche, diese gefunden zu haben. Als Qua- »Europäische Charta der Regional- oder M.«
litätsgesichtspunkte (ä Qualität) gelten Wirkun- von 1992 verfolgt das Ziel, historische Regio-
gen der jeweiligen Methode, die es erlauben, nal- oder M. in Europa zu schützen und zu för-
eine neue Sprache rasch, leicht, umfassend und dern. Nach der Definition der Charta gelten die
gründlich zu erlernen. Dabei beziehen sich die Sprachen von Zugewanderten nicht als M. Sta-
Methodenkonzeptionen oft vorrangig auf nur tus und Förderung der in der Charta berücksich-
eine der genannten vier Dimensionen, etwa die tigten M. unterscheiden sich von Staat zu Staat
Sachbegegnung im ä silent way oder die Lern- erheblich. In Deutschland sind Nordfriesisch,
hilfe im ä community language learning (vgl. Saterfriesisch, Dänisch, Sorbisch und Romani
Richards/Rodgers 2014). Der seit den 1970er als M. anerkannt. Angehörige dieser Sprach-
Jahren weltweit gültige kommunikative Ansatz gruppen haben u. a. Anspruch auf schulischen
betont in der M. die Dimensionen ›Zielerrei- Unterricht in den jeweiligen M. Besondere Auf-
chung‹ und ›Lernhilfe‹ insofern, als dass Unter- merksamkeit widmet die Ökolinguistik bedroh-
richtsverfahren im Mittelpunkt stehen, die ten Sprachen. M. sollen vor dem ›Sprachentod‹
Kommunikation vorbereiten, simulieren oder geschützt werden. Nur so lassen sich Kulturen
realisieren, etwa ä information gap und opinion und ä Identitäten einzelner Sprecher/innen und
gap activities. Es gilt das Prinzip der ä Hand- ganzer Sprechergemeinschaften bewahren. Die
lungsorientierung, das dem kongenialen ä auf- Ökolinguistik untersucht sprachwirksame Um-
gabenorientierten Lernen zugrunde liegt. Somit weltfaktoren, welche die Einbindung von Spra-
basiert die M. des ä kommunikativen FUs auf chen in die Lebensbedingungen menschlicher
einem Verständnis von Sprachlernen, das dem Gemeinschaften stören bzw. gänzlich unterdrü-
inzidentellen (d. h. beiläufigem) Lernen (impli- cken. Dabei bezieht sich die Ökolinguistik nicht
cit learning) in simulierten Anwendungssituati- nur auf M. im Sinne der oben genannten Charta,
onen einen höheren Wert beimisst als der be- sondern auf alle Sprachen, die in einem Staatsge-
wussten kognitiven Auseinandersetzung mit biet von Minderheiten verwendet werden, also
sprachlichen Regularitäten. auch auf die Sprachen von Zugewanderten.
Während Fragen zur M. des Unterrichts in Obgleich nach Schätzungen des Statistischen
Lehrerbildung und praktischer Unterrichtsge- Bundesamts ca. 30 % der SuS in Deutschland
Minderheitensprachen 254

einen Migrationshintergrund aufweisen, geht ken steuert eine verantwortliche Person ergeb-
der FU immer noch von Einsprachigkeit als nisorientierte Diskurse zu einer authentischen
Normalfall aus. Die umfänglichen Sprachlern- Problemstellung. Die Moderationsleitung sorgt
und Kommunikationserfahrungen der SuS mit für einen geordneten Verlauf der Gruppenakti-
Migrationshintergrund werden unzureichend vitäten und konzentriert sich darauf, alle Betei-
berücksichtigt. Es bleibt, wenn überhaupt, bei ligten einzubinden. Da alle Teilnehmer/innen
Hinweisen auf Ähnlichkeiten im lexikalischen gleichberechtigt sind, muss der Moderator/die
Bereich. Dabei belegen Untersuchungen, dass Moderatorin die Bevorzugung oder Benachtei-
mehrsprachig aufgewachsene Kinder und Ju- ligung Einzelner verhindern. Der Moderations-
gendliche häufig die besseren Fremdsprachen- prozess durchläuft gemeinhin vier Phasen. Ein
lernenden sind (vgl. Rück 2009). Während die zwangloser Einstieg dient dazu, ein angeneh-
individuelle ä Mehrsprachigkeit deutscher SuS mes Gesprächsklima herzustellen und in die
höchst positiv bewertet wird, bleibt die lebens- Themenproblematik einzuführen. In der nach-
weltliche Mehrsprachigkeit von Migrant/innen folgenden Sammelphase formulieren die Teil-
weitgehend unberücksichtigt. SuS mit Migrati- nehmer/innen nach Aufforderung spontane
onshintergrund werden nur selten beim Auf- Einfälle zum Thema (Blitzlichtabfrage). Dann
und Ausbau einer mehrsprachigen Identität un- notieren sie thematische Aspekte für die Pinn-
terstützt. Lediglich im Europäischen Sprachen- wand auf Karten (Kartenabfrage). In der Sich-
portfolio (ä Portfolio) können diese SuS ihren tungsphase nimmt die Gruppe inhaltliche
gesamten Sprachbesitz dokumentieren. Die Be- Clusterbildungen vor. Eine vorab ausgehan-
wahrung und Förderung der ä Herkunftsspra- delte Anzahl an Karten bewertet jeder Teilneh-
chen bleibt in vielen Bundesländern den SuS mer mit farbigen Klebepunkten (Punktabfrage).
und ihren Familien überlassen. Der FU selbst Zu hoch bepunkteten Aspekten erarbeiten
wird seiner Forderung nach Inter- bzw. Trans- Kleingruppen Ausdifferenzierungen, die sie in
kulturalität (ä Transkulturelles Lernen) in die- einer abschließenden Präsentationsphase dem
sem Zusammenhang nicht gerecht. Es fehlen Plenum vorstellen. Im FU hat die M. in Phasen
u. a. Übungen im Sprachmitteln (ä Sprachmitt- ihren Platz, in denen alle Lernenden ä Vorwis-
lung) unter Einbezug der Herkunftssprachen sen aktivieren, spontan Vermutungen äußern,
sowie Wahrnehmungsaufgaben, bei denen die Meinungen artikulieren oder Erkenntnisse for-
unterschiedlichen Sichtweisen versprachlicht mulieren. Insofern sind Blitzlicht-, Karten- und
werden (ä Perspektive und Perspektivenwech- Punktabfrage bereits für fokussierte sprachak-
sel), E-Mail-Kontakte mit Lernenden der glei- tive Tätigkeiten auf beginnenden Lernstufen
chen Zielsprache in den Herkunftsländern so- geeignet. Um moderierte Interaktionen auf der
wie Literaturprojekte, welche Migration the- Diskursebene sprachlich angemessen bewälti-
matisieren. V. a. aber müssten die M. der gen zu können, müssen Lernende in der pro-
Fremdsprachenlernenden aus zugewanderten duktiven Verwendung ihres fremdsprachlichen
Familien nicht als ä›Heterogenität‹ gefürchtet Könnens erfahren sein.
und unterdrückt, sondern im Rahmen von stu- Lit.: W. Gehring: Moderiertes Lehren und Lernen als
dent diversity als Bereicherung angesehen wer- interaktive Wissenskonstruktion. In: Praxis Fremd-
den (vgl. De Florio-Hansen 2016, 111 ff.). sprachenunterricht 5 (2003), 326–331. – H. Gudjons:
Methodik zum Anfassen. Unterricht jenseits von Rou-
Lit.: I. De Florio-Hansen: Unterrichtseinheiten Eng-
tinen. Bad Heilbrunn 22006 [2000. WG
lisch für die Praxis. Tüb. 2016 – N. Rück: Auffassun-
gen vom Fremdsprachenlernen monolingualer und
plurilingualer SuS. Kassel 2009. IDFH Motivation ist ein affektiver Faktor, eine Schlüs-
selvariable, ein multidimensionales und dynami-
sches Konstrukt der ä Fremdsprachendidaktik,
Mobiles Lernen ä E-Learning das sich aus einer Reihe vernetzter Komponen-
ten speist. Dazu gehören persönlich-biographi-
sche Voraussetzungen der Lernenden, deren
Moderationsmethode. Die M. wurde in den Einstellung gegenüber der zu erlernenden
1970er Jahren von der Unternehmensberatung Sprache (L2) und der von ihr repräsentierten
Quickborner Team für Arbeitsbesprechungen Kulturen, aber auch bisherige Erfahrungen
in Wirtschaft und Industrie entwickelt. Mithilfe beim Lernen der L2, bedingt durch die Ge-
verschiedener, mediengebundener Fragetechni- staltung des Lernorts (ä Lehr- und Lernort),
255 Motivation

die  Wahl der Themen und Aufgaben, die so- stimmt waren die sozialpsychologischen Arbei-
zialen Beziehungen im Klassenzimmer, die ten von Robert C. Gardner (1985) und seiner
Persönlichkeit und Kompetenz der Lehrkraft Forschergruppe zu integrativer und instrumen-
und nicht zuletzt (Miss-)Erfolge im Unterricht teller M. Erstere speist sich aus der Attraktivität
und/oder beim Lernen anderer Sprachen. der L2 und ihrer Kultur, ihren Werten und
Schließlich sind die Kontakte mit Sprecher/in- Kommunikationsformen. Integrativ motivierte
nen der Zielsprache zu nennen sowie die Ver- Lernende sind gegenüber der fremden Sprache
fügbarkeit von und die persönlich motivierte und Kultur offen und deshalb auch bereit, sich
Beschäftigung mit neben dem Unterricht zu- auf die notwendigen Lernanstrengungen einzu-
gänglichen L2-Inputs (vgl. Riemer 2006). Der lassen. Instrumentell motiviert hingegen sind
Faktor M. ist nicht konstant, sondern unterliegt Lernende dann, wenn der L2-Erwerb berufli-
Änderungen, die besondere Chancen und Her- chen Vorteil verspricht oder in anderer Weise
ausforderungen für die Unterrichtspraxis mit nützlich ist. Wie im Fall ex- und intrinsischer
sich bringen. M. sind beide Orientierungen nicht als antago-
Fremdsprachendidaktische Forschungen zu nistisch zu verstehen, sondern ergänzen ein-
M.skomponenten greifen auf ein Bündel psy- ander. Gardners Ansätze wurden unter Berück-
chologischer M.stheorien zurück (vgl. den sichtigung kognitionswissenschaftlich-konst-
Überblick bei Dörnyei 2001). Erkenntnisse der ruktivistischer Perspektiven erweitert, die v. a.
psychologischen Attributionsforschung (vgl. den Entscheidungsprozessen (Formulierung
Heckhausen 1989) verdeutlichen, welche Rolle und Auswahl von Handlungszielen, Initiierung
(Miss-)Erfolgserlebnisse beim Lernen für die von Handlungen, Überwindung von Wider-
Selbstwahrnehmung einer Person bezüglich ih- ständen und Schwierigkeiten, Aufrechterhal-
rer Handlungsmöglichkeiten spielen. Auf der tung der Lernanstrengung), den sozialen Arran-
Basis kausaler Attributionen kann die Person gements und den spezifischen wie allgemeinen
Erfolg/Misserfolg aufgrund vorangegangener Kontextbedingungen fremdsprachlicher Lehr-
Erfahrungen in sich selbst liegend sehen, in der und Lernprozesse Rechnung tragen (vgl. die
eigenen Begabung, dem Fleiß oder Engagement Modelldarstellung bei Riemer 2006, 44).
(internale Lokation), oder die Verantwortung Besonders vielversprechend für die L2-For-
wird der Lernsituation, der Lehrkraft oder den schung, weil eng auf die besonderen Bedingun-
allgemeinen Umständen zugewiesen (externale gen des Lehr- und Lernorts Klassenzimmer be-
Lokation). In jedem Fall haben diese Zuschrei- zogen, sind die psychologisch-pädagogischen
bungen Auswirkungen auf die Einschätzung Erweiterungen von Gardners Modell. Unter
der eigenen Handlungsmöglichkeiten, welcher umfassender Berücksichtigung kognitions- und
es bedarf, um zum Erfolg zu kommen. Auf- sozialpsychologischer Theorien wie fachdidak-
genommen hat die Fremdsprachendidaktik tischer Forschungen präsentiert Zoltan Dörnyei
psychologische Theorien intrinsischer und ex- (2001, 2007) ein dreiphasiges Prozessmodell,
trinsischer M. Extrinsische M. resultiert aus das alle Komponenten fasst, die den Handlun-
äußeren Anreizen (Noten, Belohnungen, Er- gen vorgelagert sind, und darüber hinaus die
wartungen der Eltern), während intrinsische M. Handlungsphase selbst sowie die Retrospektion
mit der Lernaufgabe selbst verknüpft ist und auf die Handlungen einschließt: (1) preactional
sich aus der Freude an der Aktivität, der Her- stage: u. a. Zielfindung und -bestimmung,
ausforderung der Problemstellung und Aufgabe, Handlungsinitiation mit den diese bedingenden
der Chance auf erfolgreiche Lösung speist. Faktoren (Wertvorstellungen, Haltungen); (2)
Triebfedern intrinsischer M. sind Neugier, Inte- actional stage: u. a. Aufgabeninitiierung und
resse und Schaffensfreude, deren optimale Ent- -bearbeitung, Unterstützung und Begleitung
faltung als Flow-Erlebnis bezeichnet wird (vgl. mit den diese bedingenden Faktoren (u. a. Lern-
Csikszentmihalyi 1997). Die Grenzen zwischen erfahrung, Möglichkeiten der Selbst- und Mit-
ex- und intrinsischer M. sind aufgrund der Dy- bestimmung, Unterstützungssysteme), (3) post-
namik von Lehr- und Lernprozessen fließend. actional stage: u. a. Bewusstwerdung von Lern-
Eine zentrale Frage ist, wie im Lernprozess zu- fortschritten, Formulierung von Attributionen,
nächst extrinsische M. zu intrinsischer M. wer- weitere Planungen und Formulierung von Stan-
den kann (vgl. van Lier 1996, 98–122). dards und ä Lernstrategien, wiederum ver-
Richtungweisend und von originär fremd- knüpft mit den bedingenden Faktoren (Selbst-
sprachendidaktischen Fragestellungen be- konzept, Qualität des ä Feedbacks, Formen der
Motivation 256

ä Leistungsermittlung und ä Leistungsbewer- Englisch als ä lingua franca diskutieren eine


tung). Für die Forschung wie die Unterrichts- Weiterentwicklung des Konzepts integrativer
praxis besonders relevant ist der Versuch Dörn- M., indem sie auf das Selbstbild der oder des
yeis, dem Prozessmodell durch die Integration erfolgreich Lernenden als motivationaler
zentraler fachdidaktische Forschungen ein Quelle abheben und nicht auf deren oder des-
Lehr- und Lernmodell für das L2-Klassenzim- sen Wunsch, einer bestimmten Kulturgemein-
mer zuzuordnen, das nicht nur der Dynamik schaft nahe zu sein (vgl. Dörnyei/Ushioda
des Lehr- und Lernorts Rechnung trägt, son- 2009).
dern Dörnyei auch gestattet, motivationale Lit.: M. Csikszentmihalyi: Intrinsic Motivation and
Strategien auszudifferenzieren. Er unterscheidet Effective Teaching. A Flow Analysis. In: J. L. Bess (Hg.):
Strategien, die helfen können, (1) die Hand- Teaching Well and Liking it. Motivating Faculty to
lungsbedingungen herzustellen (Lehrerverhal- Teach Effectively. Baltimore 1997, 72–89. – Z. Dör-
nyei: Motivational Strategies in the Language Class-
ten, Lernatmosphäre, gruppendynamische Be- room. Cambridge 2001. – Z. Dörnyei: Creating a
dingungen), (2) motivierte Handlungen zu initi- Motivating Classroom Environment. In: J. Cummings/
ieren (Verstärkung positiver Einstellungen der C. Davison (Hg.): International Handbook of English
Lernenden, Förderung von Erfolgserwartungen, Language Teaching. Bd. 2. N.Y. 2007, 719–731. –
Verdeutlichung von Zielen, Auswahl und Prä- Z.  Dörnyei/E. Ushioda (Hg.): Motivation, Language
Identity and the L2 Self. Bristol 2009. – R. Gardner:
sentation von für Lernende bedeutungsvollen Social Psychology and Second Language Learning.
Inhalten und Zugängen zu Materialien). Beson- The Role of Attitudes and Motivation. Ldn 1985. –
dere Aufmerksamkeit gilt (3) Strategien, die die M. Guilloteaux/Z. Dörnyei: Motivating Language
M. aufrecht erhalten und gegen Krisen schützen Learners. A Classroom-Oriented Investigtion of the
(u. a. Präsentation, Auswahl und Inszenierung Effects of Motivational Strategies on Student Motiva-
tion. In: TESOL Quarterly 42/1(2008), 55–77. –
angemessener und stimulierender Aufgaben,
J.  Hadfield/Z. Dörnyei: Motivating Learning. Ldn
die Stützung und der Ausbau ä kooperativen 2013. – H. Heckhausen: M. und Handeln. Bln. 21989
Lernens, die Stärkung und Sicherung des Selbst- [1980. – C. Riemer: Der Faktor M. in der empirischen
wertgefühls der Lernenden sowie die Stärkung Fremdsprachenforschung. In: A. Küppers/J. Quetz
ihrer Selbständigkeit). Schließlich sind (4) Stra- (Hg.): Motivation Revisited. Bln. 2006, 35–48. –
tegien von Bedeutung, die retrospektiv eine po- E.  Ushioda: Learner Autonomy 5. The Role of Mo-
tivation. Dublin 1996. – L. van Lier: Interaction in
sitive Selbsteinschätzung der Lernenden ermög- the Language Curriculum. Awareness, Autonomy and
lichen, indem sie motivationale Attributionen Authenticity. Harlow 1996. ML
festigen, positive Rückmeldungen bewusst ma-
chen und Zufriedenheit mit Lernergebnissen
ausbauen helfen. Hierher gehören auch trans- Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Im Prinzip
parente und helfende Verfahren der Bewertung existieren drei Repräsentationsformen von
(vgl. auch Hadfield/Dörnyei 2013). Sprache: die gesprochene (phonische), die ge-
Dörnyeis differenziertes Strategiekonzept schriebene (graphische) und die gebärdete (die
darf nicht als Handlungsanleitung für die Ga- hier unberücksichtigt bleibt). Mit der rasanten
rantie von Lern-M.en missverstanden werden. Entwicklung der digitalen ä Kommunikation
Vielmehr stellt es ein Repertoire heuristischer lässt sich die Unterscheidung von M.u.Sch.
Werkzeuge bereit, die das Bewusstsein aller Be- nicht mehr auf Konzepte wie ›Medium‹, ›Kanal‹
teiligten für die komplexen und zyklisch ver- oder ›Nähe vs. Distanz‹ zurückführen. Kommu-
laufenden Lehr- und Lernprozesse schärfen nikationsmedien sollten primär als materielle
helfen. Auch wenn die Strategien aus der Lehr- Hilfsmittel gesehen werden, mit denen sich
perspektive präsentiert und diskutiert werden, vertextete sprachliche Zeichenkomplexe her-
schließen sie den aktiven und kooperativen stellen, speichern, übertragen, verstärken und
Beitrag der Lernenden zu einer motivierenden rezipieren lassen: also Bücher, Zeitungen, Fax-
Lernumgebung nicht nur nicht aus, sie rechnen geräte, Videos, DVDs, Handys, PCs oder das
mit ihm als integralem Bestandteil des Lernpro- Fernsehen. Davon abzugrenzen sind Kommuni-
zesses. In einer großangelegten Studie konnten kationsformen wie Fernsehsendungen, Spiel-
Marie-Jose Guillotraux und Dörnyei (2008) filme, Telefonate, Faxtexte, E-Mails, Briefe
einen direkten Zusammenhang zwischen der oder SMS, die alle (in sprachfunktionaler Hin-
motivationalen Praxis von Lehrkräften und sicht) unterschiedliche kommunikative Intenti-
dem Lernverhalten von Lernenden im FU nach- onen realisieren können. Sie werden über situa-
weisen. Neuere Forschungen im Umfeld von tiv-textexterne Merkmale bestimmt: z. B. wie
257 Mündlichkeit und Schriftlichkeit

viele Interaktanten beteiligt sind, und ob die M.u.Sch. (Dürscheid 2003). Hierdurch wird ein
Kommunikation mono- oder dialogisch bzw. Kontinuum gebildet, auf dem sich (in relativen
(im Hinblick auf Produktion und Rezeption) Positionen zueinander) unterschiedliche Kom-
simultan oder asynchron verläuft. Textsorten munikationsereignisse nach externen Parame-
bzw. Diskursarten (allgemein: Genres) definie- tern lokalisieren lassen. So sind ein Small Talk
ren sich dagegen über textinterne wie textex- oder Streitgespräch unter Freunden stärker am
terne Charakteristika mit eher begrenzten Pol der M. angesiedelt als eine Debatte oder
Funktionen im Sprachgebrauch (Lebenslauf, ein Wirtschaftsgipfel. Umgekehrt sind ein Lexi-
Zeitungsbericht, Flugblatt oder Rezept), was koneintrag oder ein Gesetzestext klarer am Pol
funktionale Vielfalt in einem Text nicht aus- der konzeptionellen Sch. zu verorten als ein
schließt. Ein handlungs- bzw. kompetenzorien- persönlicher Brief oder eine Glückwunsch-
tierter FU (ä Handlungsorientierung, ä Kompe- karte.
tenz) wird darauf ausgerichtet sein, die rezep- Technische Entwicklungen wie das Faxgerät
tive wie produktive Verfügbarkeit über und der Anrufbeantworter sprengten die her-
bestimmte Textarten oder Diskursgenres anzu- kömmliche Dichotomie von ›Nähe vs. Distanz‹
streben und zu sichern (ä Generisches Lernen). als Unterscheidungsmerkmal der gesprochenen
Die M. des spontanen Gesprächs zeigt zwei und der geschriebenen Sprache. Ein Fax ist eine
Hauptmerkmale: einmal die Verarbeitung der schnelle Variante der distanten Sch.; und ein
Sprache in der Echtzeit mit einem erheblichen Anrufbeantworter entkoppelt für eine gespro-
Zeitdruck für die Redeteilnehmer (engl. real chene Nachricht die zeitliche Ko-Präsenz von
time processing); zum anderen den reziproken Produktion und Rezeption (wie sie beim Ge-
Charakter einer derartigen Wechselrede (engl. spräch existiert). Im Gegensatz zu den Kommu-
reciprocity) mit der Sicherung des turn-taking, nikationsformen Fax, E-Mail und SMS ist beim
der gemeinsamen Verstehensbasis und der Wei- Chat (einem ›getippten Gespräch‹), wie bei Un-
terentwicklung des Dialogs. Eine syntaktisch terhaltungen, Telefonaten und Diskussionen,
komplexe Planung bzw. Realisierung ist hier der Kanal für alle Interaktanten offen: ein zent-
weder möglich noch nötig; denn ein Sprecher rales Merkmal der herkömmlichen, synchron-
greift in hohem Maße auf Satzstämme, feste mündlichen Kommunikation. Der Chat ist je-
Fügungen, Parataxe und v. a. auf eher hochfre- doch eine schriftbasierte Interaktion, und die
quente, leicht abrufbare Wörter bzw. Wort- Teilnehmer/innen (in einem maximal geöffne-
gruppen zurück (mit relativ vielen Pausen, ten, von allen geteilten virtuellen Kommunika-
Füllseln, Abbrüchen, und Ellipsen). Nach Peter tionsraum) können sich weder simultan äußern
Skehan (1998) wird das freie Sprechen (als noch unterbrechen. Ihre Beiträge können sich
evolutionär primäre Modalität der Sprache) nicht überlappen (es liegt also eine quasi-syn-
von einem nicht-generativen, gedächtnisge- chrone Kommunikation vor). Diskursarten wie
stützten System der Sprachverarbeitung ge- Vortrag oder Referat sind Realisierungen einer
speist, das auf lexikalischen Einheiten und asynchronen mündlichen Kommunikation mit
strukturellen Versatzstücken beruht (das sog. einer ›zerdehnten‹ Interaktion im gleichen
idiom principle). Beim geplanten, zusammen- Raum, denn der Kanal öffnet sich für die Zu-
hängenden Sprechen (engl. prepared talk, scrip- hörer/innen erst nach der ä Präsentation für
ted speech) und noch mehr beim text(sorten) eine inhaltliche Aussprache. Bei der mündlichen
gebundenen Schreiben wird stärker auf regel- Kommunikation sollte somit eine synchrone
basierte, analytisch-generative und syntaktisch und eine asynchrone Variante unterschieden
orientierte Sprachverarbeitungsprozesse rekur- werden, bei der schriftlichen eine asynchrone
riert (vgl. Skehans open-choice model). Indem und eine quasi-synchrone. Das Merkmal ›syn-
ein Autor beim reflektierten Verfassen eigener chron/asynchron‹ ist für ein Verständnis der
Texte versucht, eine bestimmte Thematik kohä- ›neuen‹ M.u.Sch. konstitutiv, denn es hat Aus-
rent zu entfalten, werden sowohl inhaltliche wirkungen auf die sprachliche Realisierung der
Überlegungen als auch strategisch-linguistische dabei produzierten Texte. Synchrone Kommu-
Planungen auf der Ebene der Textstruktur und nikationsformen (inklusive des quasi-synchro-
des komplexen Satzes aufgerufen: Textbauplan, nen Chat) haben eine starke Affinität zum Pol
Layout, textbildende grammatische Kategorien, der alltagssprachlichen M., da sie eher spontan
logische Verknüpfungen, Hypotaxe u. a. Von verlaufen. Beim asynchronen, monologisch-zu-
daher spricht man auch von konzeptioneller sammenhängenden Sprechen (in Reden, Prä-
Mündlichkeit und Schriftlichkeit 258

sentationen oder Vorlesungen) nehmen die Ele- Ansatz hinausgeht. Eine Multiliteralitätspäd-
mente der Planung und damit die sprachliche agogik verfolgt zwei Ziele: Neben dem Zugang
Komplexität und Elaboriertheit zu. zu der sich verändernden Sprache im Arbeits-
Die neueren, medial transportierten asyn- umfeld, bei der Ausübung von Macht und in der
chron-geschriebenen Kommunikationsformen Gemeinschaft soll auch die kritische Teilhabe
wie E-Mail oder SMS lassen sich in die traditio- des Individuums an der gesellschaftlichen Zu-
nelle Dichotomie der konzeptionellen M.u.Sch. kunftsgestaltung ermöglicht werden. Damit hat
nicht mehr einordnen, denn sie unterscheiden das Konzept Eingang gefunden in die Debatte
sich erheblich: funktional und objektsprachlich um Bildungsgerechtigkeit, in deren Zentrum so-
(Werbung, Bestellung, Kontakt u. a.). Ähnlich ziale Praxen zur Konstruktion von Bedeutung
multifunktional ist inzwischen der Chat, denn stehen. Zentral ist die Befähigung der Lernenden
er kann politischer, beratender, phatischer oder zur Beteiligung am gesellschaftlichen Diskurs
unterrichtlicher Natur sein. Da das herkömmli- (empowerment), gleichwohl werden Aspekte
che Kontinuum von konzeptioneller M.u.Sch. der Chancenungleichheit von unterschiedlichen
sich nur noch für Textsorten und Diskursarten Minderheiten kritisch betrachtet. In den 1990er
aufrechterhalten lässt, fällt in einem handlungs- Jahren wurde die Rolle der Medien, unter be-
und kompetenzorientierten FU den kommuni- sonderer Berücksichtigung des Einflusses des
kativen Genres eine zentrale Rolle zu, um die Computers auf Kommunikation und Wissenser-
Spezifika der M.u.Sch. herauszuarbeiten und werb behandelt, was sich in den Konzepten von
deren Verfügbarkeit im kommunikativen media literacy und information and computer
Sprachgebrauch zu sichern. Es dürfte zurzeit technology literacy niederschlägt. Neuere Arbei-
unbestritten sein, dass die Leitvorstellung einer ten betrachten den kritischen Umgang mit den
›kommunikativen M.‹ ein notwendiges Ziel ei- Medien, insbesondere auch mit dem Internet,
nes modernen FUs ist. Ob sie hinreichend ist, was sich in den Konzepten der critical media li-
ist eine andere Frage; es muss bildungstheore- teracy bzw. der critical m.l. education zeigt (van
tisch entschieden werden, inwieweit für be- Heertum/Share 2006, 253). Diese kritische m.l.-
stimmte Lernergruppen und Bildungsziele auch Didaktik legt einerseits Wert auf die Sensibilisie-
eine konzeptionelle Sch. gefordert ist. rung für die Rolle von Macht und Wissen und
Lit.: C. Dürscheid: Medienkommunikation im Konti- andererseits auf die Befähigung der SuS, aktive
nuum von M.u.Sch. Theoretische und empirische emanzipierte Bürger zu werden. Im Kontext
Probleme. In: Zeitschrift für Angewandte Linguistik der  Kompetenzdiskussion (ä Kompetenz) im
38 (2003), 37–56. – P. Skehan: A Cognitive Approach deutschsprachigen Raum hat der literacy-Begriff
to Language Learning. Oxford 1998. WZ
zwar zunächst verhalten, aber inzwischen zu-
nehmend Eingang in die Fremdsprachendidak-
Multiple Literacy. Traditionell wird mit literacy tik gefunden, besonders verstärkt durch die
die Fähigkeit, Lesen und Schreiben zu können, Entwicklung einer CLIL-Didaktik (ä Bilingualer
gefasst. In letzter Zeit hat sich mit dem Wandel Unterricht; vgl. Hallet 2010). Die ä PISA-Studie
der Gesellschaft der Begriffsumfang wesentlich hat diese Rezeption ebenfalls befördert, so dass
erweitert, z. B. wird gesprochen von technologi- inzwischen stärker ausdifferenzierte thematische
cal literacy, mathematical literacy, visual literacy Schwerpunkte bezugnehmend auf ein Multilite-
(ä Visuelle Kompetenz), computer literacy oder ralitätskonzept zu verzeichnen sind, wie z. B. li-
media literacy (ä Medienkompetenz). Die Kon- teratur-, medien- und designdidaktische As-
zeption der m.l. entwickelt sich seit der Publika- pekte, mehrsprachigkeitsdidaktische Perspekti-
tion eines Initialaufsatzes der New London ven, aufgabenorientierte Herangehensweisen
Group (1996), einer interdisziplinär zusammen- bzw. identitätskonstruierende Wirkungsfor-
gesetzten zehnköpfigen Forschergruppe um schung (vgl. Küster 2014).
Gunther Kress und Norman Fairclough, zu ei- Lit.: W. Hallet: Fremdsprachliche literacies. In: Ders./
nem pädagogischen Konzept: A Pedagogy of F. Königs (Hg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik.
Multiliteracies. Designing Social Futures. Die Seelze 2010, 66–70. – L. Küster: Multiliteralität. Zur
Autoren argumentieren, dass die Multimodali- Einführung in den Themenschwerpunkt. In: Fremd-
tät der Kommunikationskanäle und die Zu- sprachen Lehren und Lernen 43/2 (2014), 3–11. –
R.  Kupetz: The Empowerment of the Learner. FfM
nahme der kulturellen und sprachlichen Vielfalt 2002. – New London Group: A Pedagogy of Multili-
einen weiten Literalitätsbegriff benötigen, der teracies. Designing Social Futures. In: Harvard Educa-
über einen traditionell sprachlich begrenzten tion Review 66/1 (1996), 60–92. – R. van Heertum/
259 Musik

J. Share: A New Direction for M.L. Education. In: unterliegt und damit positive Wechselwirkun-
McGill Journal of Education 41/3 (2006), 246–266. gen zwischen beiden zu vermuten sind (vgl. z. B.
RK
Jäncke 2008; ä Neurodidaktik). Aniruddh Patel
(2008, 3 f.) stellt eine Reihe grundlegend glei-
Musik. Die Idee der Nutzung von M. im FU ist cher Verarbeitungsmechanismen für Sprache
seit Wilhelm Viëtor in der neusprachlichen Di- und M. fest. Dazu gehören: Lautkategorien
daktik gängig und zunehmend auch unterricht- werden gelernt; statistisch relevante Regularitä-
liche Praxis geworden, zuerst im Anfangsunter- ten im Bereich der rhythmischen und melodi-
richt des 5. und 6. Schuljahres (seit ca. 1882), schen Sequenzen werden erschlossen; rezipierte
später auch im fortgeschrittenen FU, verstärkt tonale Elemente (M. und Wort) werden in syn-
seit ca. 1990, v. a. durch die Nutzung von Inst- taktische Strukturen integriert; emotionale Be-
rumental-M. als Lern- und Kommunikations- deutung wird aus akustischen Signalen er-
impuls. Das Thema ist seit den 1990er Jahren schlossen; die Interpretation verläuft in beiden
immer wieder präsent in wissenschaftlichen Bereichen ähnlich, indem komplexe akustische
Veröffentlichungen sowie in Kurs- und Lern- Sequenzen in diskret wahrnehmbare Elemente
materialien der einzelnen Schulsprachen (ein- zerlegt werden, die wiederum in hierarchischen
schließlich Kassetten, CDs usw.) und wird so- Strukturen organisiert sind, die Bedeutung bzw.
wohl aus theoretisch-konzeptioneller als auch Sinn übertragen. (2) Literatur- und kulturwis-
aus unterrichtspraktischer Sicht diskutiert – senschaftliche Konzepte: Die verschiedenen Pa-
und zwar vornehmlich im Hinblick auf die radigmenwechsel in den ä Literatur- und ä Kul-
Schulfremdsprachen ä Englisch und ä Deutsch turwissenschaften (linguistic turn, iconic turn,
als Fremd- bzw. Zweitsprache. Beispielhaft ge- cultural turn) haben eine Reihe innovativer
nannt seien Baurs (1990) Monographie zur Impulse für die Fremdsprachendidaktik ge-
Nutzung musikalisch-suggestopädischer Lehr- bracht. Der Textbegriff wurde sukzessiv erwei-
methoden (ä Suggestopädie), die Anthologie tert und öffnete damit auch bisher weniger
von Blell und Hellwig (1996) zum Einsatz von beachteten Textformaten unterschiedlicher me-
Bildender Kunst und (Instrumental-)M., Mur- dial-musikalischer Prägung den Weg in den FU,
pheys monographische Auseinandersetzung zu was vielfältige neue kulturelle und (inter-)medi-
Song and Music in Language Learning (1990), ale ›Sinnstiftungsprozesse‹ stimulierte (ä Inter-
Thalers Buch zu M.videoclips im Englischun- textualität und Intermedialität). (3) ä Multiple
terricht (1999), die Bände Bild- und M.kunst Literacy-Didaktik: Vor dem Hintergrund der
im interkulturellen FU (2006) und Bild- und Zunahme elektronisch gestützter multimodaler
M.kunst im FU: Zwischenbilanz und Handrei- Formen weltweit verbindender Kommunika-
chungen für die Praxis (2007) von Badstübner- tion sowie aufgrund (sub-)kultureller und sozi-
Kizik sowie das 2010 erschienene Buch von aler Diversifizierungsprozesse, hervorgerufen
Blell und Kupetz zum Einsatz von M. und zur durch globale Migration und Multikulturalis-
Entwicklung von audio literacy im FU, das die mus, wird seit geraumer Zeit eine »pedagogy of
Arbeit mit M. im Rahmen der Kompetenzdis- Multiliteracy« favorisiert, »[that focuses on
kussion als eine wichtige Säule zur Entwicklung modes of representation much broader than
von ä audio literacy begreift und beschreibt. language alone« (Cope/Kalantzis 2000, 5).
Die Neubelebung der fremdsprachendidakti- M. im FU effektiv zu nutzen, heißt, von ei-
schen und unterrichtspraktischen Diskussion nem weiten Verständnis von M. auszugehen.
zur Bedeutsamkeit und den Funktionen von M. Demzufolge umfasst M. Lieder (Pop- und
im FU ist mehrperspektivisch begründbar und Rocksongs, Chansons usw.), Instrumental-M.,
insbesondere an neuere Erkenntnisse in den Geräusche, Klänge und Klangbilder/sound-
ä Bezugswissenschaften der ä Fremdsprachendi- scapes, aber auch andere akustisch-phonetische,
daktik geknüpft: (1) ä Spracherwerb und M.- melodieähnliche oder rhythmisch-klangliche
Verarbeitung: Obwohl eine direkte spracher- Signale (Aussprache und Satzintonation einge-
werbsfördernde enge Verbindung von M.- und schlossen). Darüber hinaus bringen wachsende
Sprachenlernen bis heute kaum bzw. erst in intermediale Verflechtungen von M. mit ande-
Anfängen nachweisbar ist, gehen Kognitions- ren Medien neue Umsetzungsmöglichkeiten für
wissenschaftler und Neuropsychologen mehr den FU: Film-M., M.videoclips, stark rhyth-
und mehr davon aus, dass die Verarbeitung von misch-unterlegte dub poetry und sound poetry,
M. und Sprache zumindest ähnlichen Prozessen Tanz oder Hörspaziergänge. Im Filmunterricht
Musik 260

z. B. eröffnet die Beschäftigung mit musikalisch- ma, wird deutlich, dass sich für den Einsatz von
akustischen Signalen, die im Vergleich zur M. im FU folgende didaktische Grundlagen
Bildspur zuweilen eindringlicher und emotional und Prinzipien bewährt haben: (1) ä Prozessori-
nachhaltiger sind, einen zusätzlichen Erkun- entierung als Konzept konstruktivistischen
dungsraum bei der Entwicklung von Hör-Seh- Lernens zur Anregung von Sprach- und Sinnbil-
Kompetenz (ä Filmkompetenz). Zur Erfassung dung sowie zum ästhetischen Lernen; (2) ganz-
des Funktions- und Wirkungspotenzials eines heitlich-handelndes, schülerzentriertes Lernen
Films ist es erfahrungsgemäß hilfreich, sowohl (ä Lernerorientierung), bei dem die Lehrperson
die akustische Ebene isoliert als auch die Bild- Monitor, Beraterin sowie aktiv Beteiligte ist.
Ton-Ebene gemeinsam zu analysieren. Die Ler- ä Handlungsorientierung ist dabei das zentrale
nenden sollten dabei v. a. erfahren (rezeptiv und verbindende konzeptionell-didaktische Prinzip
produktiv), welche Funktionen Film-M. hat der Fremdsprachendidaktik sowie der angren-
(z. B. paraphrasierend, polarisierend und kont- zenden M.pädagogik und M.therapie; (3) Öff-
rapunktierend), jedoch auch ihr Wirkungspo- nung des Lernortes Schule: ä Projektarbeit (z. B.
tenzial erkunden (sensorisch, expressiv, de- M.werkstatt), M.einsatz in Integrationskursen
skriptiv). Das methodische Herangehen ist mit erwachsenen Lernenden (vgl. Schmidt
vielfältig und reicht über die Benennung von 2013) oder Hörspaziergänge (ä Lehr- und Lern-
Darstellungsmitteln und Instrumenten, über ort); (4) ä interkulturelles Lernen zur Entde-
Hörprotokolle, silent viewing, Bild-Ton-Zuord- ckung fremder akustischer Kulturen. Die unten
nungen bis zu Szenenvertonungen (vgl. Sur- stehende tabellarische Übersicht zu sprachlern-
kamp 2010). Im Vergleich zum Film weisen M. unterstützenden musikalischen Aktivitäten fasst
videoclips eine besonders große bzw. spezifische wichtige Funktionen von M. im FU zusammen
Ton-Bild-Schere auf: Sie bieten bewegte reale (vgl. Blell 2006, 113 ff.).
und animierte Bilder und verkoppeln diese mit Seit kurzem wird auch das Schulfach M. ver-
Soundtracks in einer audiovisuellen Doppelco- stärkt als mögliches Sachfach für den ä bilingu-
dierung äußerst komplexer Art. Thaler (1999) alen Unterricht diskutiert. So wie der FU bezüg-
hat umfänglich dokumentiert, wie fruchtbar lich der Entwicklung von ä Hör- und Hör-/Seh-
die Arbeit mit diesem Genre im FU ist: lyrics- verstehen einen weiten Ansatz verfolgen sollte,
first-approach, sound-first-approach, vision- wäre ein früh einsetzender bilingualer M.unter-
first-approach, vision-off-approach, sound-off- richt bestens in der Lage, Hören zu schulen und
approach, lyrics-off-approach, all-codes-ap- damit langfristig musikalisch-akustische Hör-
proach. Ein weiteres interessantes musikalisches verstehensprozesse zu unterstützen, ohne die
Genre für den FU sind Klangbilder (engl. Sprachenlernen nicht denkbar ist (Sprachmelo-
soundscapes), die auch als akustische Nach- die, -rhythmus, ä Aussprache usw.). Helms
richten bezeichnet werden und Bedeutungen (2004) verfolgt in diesem Zusammenhang ein
wie Licht, Bild, Raum, Form oder Gestalt asso- fächerübergreifendes Konzept einer allgemei-
ziieren. Klangbilder aus anderen Kulturen (wie nen Didaktik der Kommunikation, die das kog-
z. B. New York in 24 Hours) reflektieren ganz nitive ä Lernziel communication awareness
subjektive Geschichten und Werte anderer Kul- (ä Bewusstheit/Bewusstmachung) anstrebt und
turgemeinschaften und können klanglich inter- »Verstehen im Kontext aller Medien und The-
kulturelle ›Begegnungen‹ inszenieren. Methodi- men« (ebd., 301) entwickeln soll. Hier könnte
sche Zugänge sehen das Wahrnehmen, Erken- die Entwicklung einer übergreifenden ä kom-
nen und Benennen verschiedener Geräusche munikativen Kompetenz abgeleitet werden.
und Klänge (natürliche, menschliche oder tech- Diese müsste dann auch einschließen, dass Ler-
nische) vor, das Verfassen von Hörgeschichten, nende sich von einer musikalischen Mitteilung
die Kontrastierung mit verbalem oder visuellem emotional und kognitiv angesprochen fühlen
Material und interkulturelle Vergleiche. Jedoch und mit einer kommunikativen Anschlusshand-
lässt sich auch das eigene Klangumfeld (z. B. die lung darauf reagieren. Bisher entstandene Ar-
Schule) durch Klangspaziergänge erkunden und beiten sprechen sich jedoch eher für Module
auswerten (Klangroute planen, Klänge vermu- bilingualen M.lernens aus als für bilinguale
ten, genau hinhören beim Klangspaziergang, Zweige. So z. B. Bartels (2010), die die Konzep-
Klänge beschreiben usw.). tion eines Moduls zur Behandlung von Jazz auf
Betrachtet man die unterrichtstheoretischen Englisch (Swing Music in the Third Reich) ent-
und -praktischen Veröffentlichungen zum The- wickelt und evaluiert. Nach theoretischer wie
261 Musik

Funktionen Aktivitäten im Unterricht


von M. im FU
Psychohygienische • Aufwärm- und Entspannungs-Aktivitäten
und emotionale • Hintergrund-M. in Prüfungssituationen, bei Rollenspielen, Interaktionsspielen
Funktionen sowie in kreativen Schreibsituationen
• Phantasiereisen zur Einstimmung in neue Inhalte
• freies Malen auf der Grundlage von M. (vorsprachliche Tätigkeit)
Sozial- • Tanzen nach einfachen Schrittfolgen (square dance, rap)
psychologische • ä Total Physical Response (rocking sheep, mirror games)
Funktionen • Singen
Förderung des • M. zur Lernstützung in suggestopädischen Lernkonzerten (duale Stoff-
unbewussten präsentation)
Lernens • akustische und rhythmische Erschließung von Gedichten (Klopfkonzerte,
Echotechniken)
• musikalische Rhythmusschulung zur unterstützenden Lyrikanalyse
(z. B. 3/4-Takt entspricht dem Daktylus)
• Sprechen als musikalisches und rhythmisierendes Artikulieren zur Ausbildung
prosodischer Elemente (Tonhöhe, Rhythmus, Pausen, Sprachfluss usw.)
(Lernen von Lautkategorien)
• M. als emotional-kognitives Erfahrungsmodell für die Strukturierung von
Gesprächen
• tanzende oder malerische Interpretation von Liedtexten (zur Förderung der
Langzeitspeicherung)
Förderung • mehrkanalige Wortschatzarbeit
(sprachlich) • Grammatikarbeit (Arbeit an unregelmäßigen Verben durch z. B. rap-Rhythmen)
kognitiver • Vertonung kurzer Texte bzw. sprachlicher Formulierungen (Gedichte) mit
Prozesse einfachen Mitteln (Rassel, Triangel, Holzklangstäbe, Xylophon) oder selbst
gebastelten Instrumenten (Klapperdose, Trompetenkamm)
• integriertes Fach- und Sprachenlernen (CLIL) (bilingualer M.unterricht)
Auslöser von • Arbeit mit Rocklyrics (Hinführen von eher ›stimmungs‹- und ›fan‹orientierten
fremdsprachlichen Hörweisen zu eher kognitiv-orientierten Hörweisen (Hörverstehen)
Kommunikations- • Malen (vorsprachlich) und Sprechen (Erzählen) über M. (z. B. Orff: Der Mond;
prozessen sowie Smetana: Die Moldau)
interkulturelles • Hörgeschichten schreiben auf der Grundlage von Programm-M.
Lernen (z. B. La Mer, The Fall of the House of Usher) (transmediales Erzählen)
• Klangbilder/soundscapes als Auslöser für interkulturelles Lernen (Entdecken
natürlicher und industrieller Umwelt fremder Lebensräume; Entdecken von
fremden ruralen und urbanen Landschaften; Entdecken von Formen kulturellen
Zusammenlebens in fremden Lebensräumen)
• Lieder (chansons, popsongs) zur Bearbeitung und Verarbeitung fremder
Realitäten (ästhetischer und soziopolitischer Ansatz)
• vergleichende Aufgaben auf der Grundlage von Produkten medialen Transfers
(Literaturvertonungen, M.videoclips)
• das ›Motiv‹ der M. in narrativen Texten (z. B. Sartre: Les mots;
Doctorow: Ragtime)
• M. und szenische Interpretation (Erleben musikalischer Inhalte)
Musik 262

empirischer Hypothesenprüfung ihrer Fallstu- E. Thaler: M.videoclips im Englischunterricht. Mü.


die kommt sie zu folgenden Verifizierungen für 1999. GB
die Konzeption eines bilingualen Moduls: Not-
wendigkeit der Berücksichtigung musikalischer
Lebensweltorientierungen der Lernenden und Musikvideos ä Medien, ä Musik
durchgängiges komparatistisches Vorgehen
(deutsch-englisch, deutsch-französisch usw.);
Notwendigkeit der Einbeziehung handlungsori- Muttersprache ä Einsprachigkeit, ä Mehrspra-
entierter M.praxisphasen für die Einführung chigkeit
schwieriger Lerninhalte; Problematisierung der
Einbeziehung der Notation als größte Heraus-
forderung für den bilingualen M.unterricht.
Abschließend plädiert Bartels für einen ganz-
heitlichen, d. h. kognitiven, affektiven und psy-
chomotorisch-bewegten bilingualen M.unter-
richt. Des Weiteren nennt Seitz (2010) für ein
Modul Creative Songwriting folgende Voraus-
setzungen für eine erfolgreiche Umsetzung: an-
gemessenes fremdsprachiges Repertoire, Fähig-
keit zur Metaphernbildung (basierend auf der
These (fremd-)sprachlicher Metaphernbildung
als ›Verbindungsstück‹ zwischen M. und Spra-
che), Fähigkeit zu Phantasie sowie angemesse-
nes musikalisches Repertoire (z. B. Minimum
instrumentaler Fähigkeiten, Harmonielehre).
Lit.: C. Badstübner-Kizik: Fremde Sprachen, Fremde
Künste? Bild- und M.kunst im interkulturellen FU.
Gdańsk 2007. – C. Badstübner-Kizik: Bild- und
M.kunst im FU. Zwischenbilanz und Handreichungen
für die Praxis. FfM 2007. – D. Bartels: Bilingualer
M.unterricht. Eine englischsprachige Einheit zu Jazz/
Rock/Pop. In: Blell/Kupetz 2010, 167–178. –
R.S.  Baur: Superlearning und Suggestopädie. Grund-
lagen, Anwendung, Kritik, Perspektiven. Bln u. a.
5
1994 [1990. – G. Blell: M. im FU und die Entwick-
lung von Audio Literacy. In: U. H. Jung (Hg.): Prakti-
sche Handreichung für Fremdsprachenlehrer. 4FfM
2006 [1992, 112–119. – G. Blell/K.-H. Hellwig (Hg.):
Bildende Kunst und M. im FU. FfM 1996. – G. Blell/
R. Kupetz (Hg.): Der Einsatz von M. und die Entwick-
lung von Audio Literacy im FU. FfM 2010. –
B. Cope/M. Bill/Kalantzis (Hg.): Multiliteracies. Liter-
acy Learning and the Design of Social Futures. Ldn
2000. – D. Helms: M. dreisprachig? Probleme und
Chancen eines bilingualen M.unterrichts. In: A. Bon-
net/S. Breidbach (Hg.): Didaktiken im Dialog. Kon-
zepte des Lehrens und Wege des Lernens im bilingua-
len Sachfachunterricht. FfM 2004, 291–304. – L. Jän-
cke: Macht M. schlau? Neue Erkenntnisse aus den
Neurowissenschaften und der kognitiven Psychologie.
Bern 2008. – T.  Murphey: Song and Music in Lan-
guage Learning. FfM 1990. – A. Patel: Music, Lan-
guage and the Brain. Oxford 2008. – C. Seitz: Song-
writing im bilingualen M.unterricht. In: Blell/Kupetz
2010, 179–190. – C. Surkamp: Film-M., M. im Film.
Die Rolle der auditiven Dimension für den fremd-
sprachlichen Filmunterricht. In: Blell/Kupetz 2010,
275–290. – N. E. Schmidt: M. zur Förderung der sozi-
alen Kompetenz in Integrationskursen. Hbg 2013. –
263 Nativistische Ansätze

onsästhetische Dimension: die Fähigkeit, auch


N komplexe Geschichten verstehen zu können;
(2) die kognitive Dimension: die Kenntnis der
wichtigsten Elemente und Bauformen narrati-
Narrative Kompetenz bezeichnet die durch Er- ver Texte und die Fähigkeit, sie benennen zu
ziehung vermittelte Fähigkeit, Geschichten ver- können; (3) die gattungsbezogene Dimension:
stehen, produzieren und erzählen bzw. Ereig- das Wissen über die wichtigsten narrativen
nisse, Erfahrungen oder Selbsterlebtes durch Genres und die Fähigkeit, sie erkennen und ggf.
Erzählstrukturen wiedergeben zu können. Er- verwenden zu können; (4) die analytische Di-
zählen gilt nicht nur als ein anthropologisches mension: die Fähigkeit, auch komplexe Ge-
Grundbedürfnis des Menschen sowie unver- schichten analysieren, d. h. in ihre Elemente und
zichtbares Mittel der Identitäts- und Sinnstif- Bauformen zerlegen zu können; (5) die aktive
tung, sondern zählt auch zu den zentralen Kul- bzw. produktionsästhetische Dimension: die
turtechniken, denen in der heutigen Medien- Fähigkeit, auch komplexe Geschichten produ-
kulturgesellschaft in Erziehung, Wissenschaft, zieren bzw. erzeugen zu können; (6) die perfor-
Medien und Wirtschaft große Bedeutung zu- mative Dimension: die Fähigkeit, auch kom-
kommt. N.K. steht in engem Bezug zu den ele- plexe Geschichten mündlich erzählen bzw. vor-
mentaren Kulturtechniken des ä Leseverstehens tragen zu können.
und ä Schreibens sowie zu Textroutinen und Das Erzählen von Geschichten fördert noch
Wissensordnungen. Während die strukturalisti- eine Reihe weiterer Kompetenzen, allen voran
sche Narratologie, also die Theorie des Erzäh- ä literarische Kompetenzen und die hoch einge-
lens, davon ausgeht, dass Erzählen ein univer- schätzte ä kommunikative Kompetenz. N.K. ist
sales Phänomen ist, betonen neuere Ansätze die aber nicht nur für die ä Sprach-, ä Literatur- und
historische, kulturspezifische und mediale Vari- ä Kulturdidaktik in den Fremdsprachenfächern
abilität von Erzählformen. Außerdem ist davon von weitreichender Bedeutung, sondern auch für
auszugehen, dass sich n.K. im Prozess der Me- die Geschichtsdidaktik, weil das Erzählen von
dialisierung durch die Auswirkungen neuer Geschichten sowohl auf der Ebene der Quellen
Medientechnologien (z. B. E-Mail, Internet) als auch als Medium der Darstellung histori-
verändert und dass sich im Prozess der Mediali- schen Wissens eine zentrale Rolle spielt. In den
sierung neue narrative Medienformate (z. B. didaktischen Diskussionen um ä Kompetenzen
Blogs und Vlogs) herausbilden. und Bildungsstandards (ä Standards) spielen
In ihrer Lebenswelt sind Lernende heute von n.K.  und Überlegungen zum Erzählen bislang
Alltagserzählungen und narrativen Medienfor- eine untergeordnete Rolle, obgleich es sich um
maten unterschiedlichster Art umgeben: von eine der zentralen ä Schlüsselqualifikationen
news stories der Zeitungen und Nachrichten- handelt.
sender über Talkshows, ›Dokudramen‹ und Lit.: V. Nünning/A. Nünning: N.K. durch neue erzäh-
Sitcoms im Fernsehen bis zu den digitalen nar- lerische Kurzformen. In: Der Fremdsprachliche Unter-
rativen Formen wie Hypertexten und narrati- richt Englisch 61 (2003), 4–10. – V. Nünning/A. Nün-
ven Computerspielen. Geschichten, Erzählun- ning: Erzählungen verstehen, verständlich erzählen.
Dimensionen und Funktionen n.K. In: L. Bredella/
gen und narrative Texte aller Art (Anekdoten, W. Hallet (Hg.): Literaturunterricht, Kompetenzen
Witze, Sprichwörter, Rätsel, Märchen, Kurzge- und Bildung. Trier 2007, 87–106. VN/AN
schichten sowie narrative Ganzschriften wie
Romane) spielen nicht nur als beliebter Gegen-
stand des Literaturunterrichts seit langem eine Native Speaker ä Intercultural Speaker
bedeutende Rolle, sondern das Erzählen von
Geschichten ist auch ein wichtiges Verfahren
im ä kommunikativen FU, um sprachliche Nativistische Ansätze. Die nativistische Hypo-
Kompetenzen zu üben und zu fördern. Zur these ist im Zuge der Diskussion verschiedener
Förderung n.K. eignen sich v. a. Alltagserzäh- Spracherwerbstheorien, die den ungesteuerten
lungen und die Textarbeit mit erzählerischen Erst-, Zweit- oder Mehrsprachenerwerb be-
Kurzformen (vgl. Nünning/Nünning 2003). schreiben, entstanden (ä Spracherwerb und
Mindestens sechs Dimensionen von n.K. Spracherwerbstheorien). Als nativistisch im en-
können unterschieden werden (vgl. Nünning/ geren Sinne werden jene ä Lerntheorien be-
Nünning 2007): (1) die passive bzw. rezepti- zeichnet, die davon ausgehen, dass sprachliche

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_14, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
Nativistische Ansätze 264

Strukturen bzw. Kenntnisse über sprachliche da nicht jedes einzelne Strukturmerkmal einer
Strukturierungsprinzipien angeboren sind. Kein Sprache separat gelernt werden muss, und ist
spracherwerbstheoretischer Ansatz kommt erst eine Struktur durch Parameterfestlegung
ohne die Annahme angeborener Fähigkeiten erkannt, schließt dies das Vorkommen anderer
aus (vgl. Wode 1993). Es geht lediglich darum, Strukturen aus.
wie viel und welche Art von ä Wissen über Kritik an den n.A.n betrifft den Universalien-
Sprache als angeboren angenommen und wel- begriff, der auf L1-monolinguale Lerner zu-
che Rolle Erfahrungen und individuellen Fak- geschnitten ist. Phänomene, die aus dem Kon-
toren beigemessen wird. Die Diskussion darum takt mehrerer Sprachen resultieren (ä Mehr-
ist hauptsächlich über den Erwerb der Erst- und sprachigkeit), wie das im FU der Fall ist,
den natürlichen Erwerb der Zweitsprache ge- bleiben ausgeschlossen. Beispielsweise hat
führt worden, was die Relevanz der Annahmen sprachlicher ä Transfer beim Fremdsprachen-
für Erklärungen zum Fremdsprachenlern- bzw. lernen unbestreitbar Einfluss auf den Lernpro-
Fremdsprachenerwerbsprozess in gesteuerten zess. Außerdem isoliert die Universalgrammatik
Kontexten in Frage stellt. den Spracherwerb vollständig von anderen
Seit Beginn der 1960er Jahre hat die Sprach- Einflussfaktoren, die den individuellen Lerner
erwerbsforschung in einer kaum zu überbli- sowie dessen soziokulturelle Umgebung betref-
ckenden Fülle von Studien den Erstspracher- fen, wie z. B. dessen ä Sprachlerneignung, ä Mo-
werb von Kindern unterschiedlicher Erstspra- tivation, Geschlecht, Alter (ä Andragogik, ä Ge-
chen dokumentiert. Ein unstrittiges Ergebnis ist ragogik) usw. Mit der Fundamental Difference-
die Erkenntnis, dass Spracherwerb ein in ho- Hypothese wird sogar die Auffassung vertreten,
hem Maße systematischer Prozess ist. Der Er- dass die Universalgrammatik – wenn überhaupt
werb der Erstsprache variiert offenbar nicht existent – nach abgeschlossenem L1-Erwerb
beliebig von Individuum zu Individuum oder gar nicht mehr verfügbar ist, und die L1- und
von Sprache zu Sprache, vielmehr scheint es L2-Spracherwerbstypen damit fundamental
ein  Grundmuster zu geben. Dieses zeigt sich, verschieden sind.
unabhängig vom Erwerbskontext, in der Auf-
Lit.: N. Chomsky: A Review of Verbal Behavior
einanderfolge von Entwicklungssequenzen (vgl. by  B. F. Skinner. In: Language 35 (1959), 26–58. –
Wode 1981; Felix 1982). Ausgelöst durch N.  Chomsky: Lectures on Government and Binding.
Noam Chomskys (1959) Kritik an Burrhus F. Foris, Dordrecht 1981. – S. Felix: Psycholinguistische
Skinner und der u. a. durch ihn in den 1960er Aspekte des Zweitsprachenerwerbs. Tüb. 1982. –
Jahren vertretenen behavioristischen Lerntheo- T.  Harden: Angewandte Linguistik und Fremd-
sprachendidaktik. Tüb. 2006. – H. Wode: Learning a
rie, wurde ein angeborener Spracherwerbsme-
Second Language. An Integrated View of Language
chanismus angenommen und Spracherwerb als Acquisition. Tüb. 1981. – H. Wode: Psycholinguistik.
Entfaltung eines genetischen Programms ver- Eine Einführung in die Lehr- und Lernbarkeit von
standen. Chomsky beschreibt die angeborene Sprachen. Theorien, Methoden, Ergebnisse. Ismaning
Universalgrammatik als Antithese zu behavio- 1993. AG
ristischen Sprachlernvorstellungen. Er ging da-
von aus, dass Kinder genetisch mit Kenntnissen
darüber ausgestattet seien, wie menschliche Natural Approach. Tracy Terrell entwickelte als
Sprachen beschaffen sind. Dieses genetisch vor- Reaktion auf die in den USA vorherrschenden
gegebene System nannte er LAD (language ac- Methoden der Fremdsprachenvermittlung (ins-
quisition device). Dabei wird eine parametri- besondere die ä audio-linguale Methode) Ende
sche Konzeption angenommen: Die Universal- der 1970er Jahre den N.A. Er nannte seine
grammatik legt fest, welche Form natürliche Vermittlungsmethode so, weil das Konzept auf
Sprachen überhaupt haben können. Diese Op- Beobachtungen und Erforschung des natürli-
tionen nannte Chomsky (1981) Parameter chen, also ungesteuerten Erstsprachenerwerbs
(Prinzipien-und-Parameter-Theorie). Die Para- basierte. Das charakteristischste Merkmal des
meter sind zu Beginn des Spracherwerbs offen N.A. ist, dass er ausdrücklich auf Ergebnissen
und werden je nach Sprache unterschiedlich der Zweitsprachenerwerbsforschung aufbaut
besetzt. Die Relationen unter den Parametern (ä Spracherwerb und Spracherwerbstheorien).
legen fest, wieweit die Ausprägung des einen Daher lieferte auch Stephen Krashens Inputmo-
mit der eines anderen vereinbar ist. Die Lern- dell die erste Grundlage des N.A., und bis heute
aufgabe reduziert sich auf diese Weise drastisch, wird der N.A. häufig mit Krashen in Verbin-
265 Neokommunikativer Fremdsprachenunterricht

dung gebracht. Krashen und Terrell waren be- duktiv erworben werden müssen (vgl. Tschirner
freundet und verfassten 1983 auch gemeinsam 1996, 57).
eine Einführung in diese Methode, der Ansatz Lit.: S. Krashen/T. Terrell: The N.A. Language Acqui-
selbst wurde aber von Terrell entwickelt. Terrell sition in the Classroom. Hayward 1983. – E. Tschir-
schlug vor, den Unterricht aus Interaktionsfor- ner: Spracherwerb im Unterricht. Der N.A. In: Fremd-
men bestehen zu lassen, in denen die Zielspra- sprachen Lehren und Lernen (FLuL) 25 (1996), 50–69.
AG
che als bevorzugtes Kommunikationsmittel ver-
wendet wird. Dabei wird Sprache als ein System
verstanden, das es dem Menschen erlaubt zu Negotiation of Meaning ä Kommunikativer
kommunizieren. Grammatik ist insofern funk- Fremdsprachenunterricht, ä Spracherwerb und
tional, als sie für die Kommunikation notwen- Spracherwerbstheorien
dig ist. Grammatikunterricht wird erst bei
fortgeschrittenem Lernniveau explizit angebo-
ten (ä Grammatik und Grammatikvermittlung). Neokommunikativer Fremdsprachenunterricht.
Der N.A. entwickelte sich in den 1990er Der Begriff n. FU bezeichnet eine (offene und
Jahren zur am weitesten verbreiteten Methode breit angelegte) Methodenkonzeption, die sich
im universitären FU in Nordamerika (vgl. in Deutschland (und etwas abgewandelt auch
Tschirner 1996, 67). Der methodische Ansatz in anderen europäischen Ländern) im Laufe der
lässt sich mit folgenden fünf Prinzipien be- 1990er Jahre etabliert hat. Sein Vorläufer, der
schreiben: (1) Das Ziel des N.A. ist eine größt- Anfang der 1970er Jahre entstandene ä kom-
mögliche ä kommunikative Kompetenz, nicht munikative FU, wurde v. a. durch Anleihen aus
die grammatische Perfektion. (2) Zu Anfang der Pragmalinguistik, die sprachliche Äußerun-
des Unterrichts liegt der Schwerpunkt auf der gen aus der Handlungsperspektive analysiert,
Rezeption (silent period). Dem bzw. der Ler- und durch die Wertschätzung von authenti-
nenden wird eine Vielfalt von leicht verständli- schen (oder semiauthentischen) Sprechakten,
chem Material präsentiert, das jeweils knapp Redemitteln, Medien und Übungsformen ge-
über seiner bzw. ihrer jeweiligen Sprachkompe- prägt (ä Authentizität). Der n. FU lässt sich
tenz liegt (Input). (3) Sprachproduktion entwi- nicht scharf von diesen Anfängen der kommu-
ckelt sich in mehreren Stufen: ä nonverbale nikativen Methode abgrenzen; er hat ihre prag-
Kommunikation; einzelnes, isoliertes Wort; madidaktische Orientierung und ihre Ausrich-
mehrere Wörter; Sätze; komplexere Äußerun- tung an den sprachlichen Grundfertigkeiten
gen. (4) Grammatikregeln werden nur in gerin- (ä Fertigkeiten) beibehalten, aber durch eine
gem Ausmaß explizit vermittelt, ä Fehler wer- Reihe weiterer Unterrichtsprinzipien und -for-
den zurückhaltend korrigiert (ä Korrektur), da men ergänzt und modifiziert.
erwartet wird, dass die Lernenden dies über die Geprägt wurde der Terminus ›n. FU‹ 1991
sog. ›Monitorfunktion‹ (aus Krashens Zweit- von Frank G. Königs, der an einen Artikel von
sprachenerwerbstheorie) selbst regeln. (5) Der Hans-Eberhard Piepho (1990) anknüpfte, in
sog. affective filter (aus Krashens Zweitspra- dem dieser von einer beginnenden ›postkom-
chenerwerbstheorie) soll so niedrig wie möglich munikativen Epoche‹ spricht. Beide Autoren
gehalten werden: Je weniger Druck auf die Ler- thematisieren zuerst Neuentwicklungen in der
nenden ausgeübt wird, desto niedriger ist der fremdsprachendidaktischen Forschung und
affective filter. Dies soll einerseits dadurch er- postulieren dann, dass die Zeit reif sei für neu-
reicht werden, dass keiner der Lernenden ge- artige Unterrichtsformen. Königs (1991, 33 ff.)
zwungen wird zu sprechen, bevor er sich dazu erwähnt eine Verstärkung der ä Lernerorientie-
in der Lage sieht, und andererseits dadurch, rung, die Anleitung zu inhaltlicher und sprach-
dass Fehler nur dann korrigiert werden, wenn licher ä Kreativität, das integrierende Üben un-
es unbedingt notwendig ist. Von der ursprüngli- terschiedlicher Fertigkeiten, eine veränderte
chen Idee, dass das ä Sprechen sich quasi natur- Einstellung zu ä Fehlern sowie die stärkere Be-
gegeben aus dem ä Hörverstehen entwickelt, achtung von Mimik und Gestik (ä Nonverbale
hat Terrell später Abstand genommen. Im Ein- Kommunikation).
klang mit den Entwicklungen in der Zweitspra- 1998 nahmen Franz-Joseph Meißner und
chenerwerbstheorie seit dem Ende der 1980er Marcus Reinfried den Terminus mit einer ver-
Jahre ging er davon aus, dass sprachliche Ele- änderten inhaltlichen Füllung wieder auf. Um
mente zuerst perzeptiv und dann erneut pro- den Paradigmenwechsel zum n. FU empirisch
Neokommunikativer Fremdsprachenunterricht 266

zu untersuchen, wertete Reinfried (2001, 5 ff.) F.-J. Meißner/M. Reinfried (Hg.): Bausteine für einen
die Sachregister der Bibliographie Moderner neokommunikativen Französischunterricht. Lerner-
zentrierung, Ganzheitlichkeit, Handlungsorientierung,
FU aus drei Jahrzehnten systematisch aus und
Interkulturalität, Mehrsprachigkeitsdidaktik. Tüb.
zählte die Häufigkeit der Belege für rund 30 2001, 1–20. M. Reinfried/L. Volkmann: Medien im
Schlagwörter zu unterrichtsmethodischen As- N. FU. Einsatzformen und Nutzungsmöglichkeiten. In:
pekten (wie z. B. ä Lernstrategie, holistischer Dies. (Hg.): Medien im N. FU. Einsatzformen, Inhalte,
Ansatz oder Selbsteinschätzung) aus. Die meis- Lernerkompetenzen. FfM et al. 2012, 9–39. MR
ten dieser Begriffe waren um die Mitte der
1980er Jahre in die Bibliographie aufgenom-
men worden, hatten aber in der zweiten Hälfte Neurodidaktik. Die ä Fremdsprachendidaktik
der 1990er Jahre ihre größte Zahl an Belegen ist eine Disziplin mit enger Verbindung zu den
erreicht. Durch eine Gruppierung der Schlag- Fachwissenschaften und Schnittstellen zu wei-
wörter nach Inhaltsclustern werden folgende teren ä Bezugswissenschaften, z. B. zur Pädago-
Leitprinzipien und Unterrichtsformen oder gischen Psychologie, zur Erziehungswissen-
speziellere Prinzipien des n. FUs aus den unter- schaft und seit einiger Zeit auch zu den Neuro-
suchten Fachbegriffen abgeleitet (ebd., 8 ff.; wissenschaften. Durch ihre Forschung liefern
Ergänzungen in Reinfried/Volkmann 2012, die Neurowissenschaften Erkenntnisse zu den
14 ff.): (1) ä Handlungsorientierung (mit den zerebralen Bedingungen und Prozessen, die
Unterrichtsformen ä kooperatives Lernen, krea- dem Lernen zugrunde liegen. Durch die Ent-
tive Arbeitsformen und ä Lernen durch Lehren); wicklung der bildgebenden Verfahren (z. B.
(2) ä fächerübergreifender Unterricht (dem der PET – Positronenemissionstomographie, fMRT
ä Projektunterricht, die ä Mehrsprachigkeitsdi- – funktionelle Magnetresonanztomographie)
daktik und der ä bilinguale Unterricht zugeord- ist es möglich, die Struktur des lebenden Ge-
net werden); (3) ä ganzheitliches Lernen (mit hirns, dessen molekulare Ausstattung und seine
ä Inhaltsorientierung sowie authentischem und Funktionsweisen zu erforschen. Viele der auf
inzidentellem, d. h. beiläufigem Lernen); (4) diesem Weg in den letzten Jahren generierten
Lerner- und ä Prozessorientierung (mit der ä In- »kontra-intuitive[n Erkenntnisse über das Ler-
dividualisierung des Lernens, dem ä autonomen nen« (Blakemore/Frith 2006, 197) sind für die
Lernen und dem reflektierten Einsatz von Fremdsprachendidaktik und andere die Bil-
ä Lerntechniken). Inhaltliche Überschneidungen dung und Erziehung fokussierende Disziplinen
und wechselseitige Verflechtungen bei manchen von Interesse. Damit diese Erkenntnisse jedoch
dieser Konzepte (sowohl bei den Leitprinzipien für die Fremdsprachendidaktik nutzbar wer-
als auch bei den spezielleren Unterrichtsfor- den, müssen sie auf angemessene Weise aufge-
men) belegen die Emergenz einer neuen, breit schlüsselt und dem von der Fachdidaktik ange-
angelegten Methodenkonzeption. Allerdings strebten Anwendungsbezug zugeführt werden.
bestehen Zweifel, ob sie in ihrer ganzen Aus- Diese Aufgabe kommt der N. zu, die entweder
prägung auch im zweiten und dritten Jahrzehnt fächerübergreifend ausgerichtet (z. B. Herr-
des 21. Jh.s fortbestehen wird: Die Durchset- mann 2009) oder innerhalb einer Fachdidaktik
zung von ä Standards und zentralen Evaluatio- verortet sein kann (z. B. Grein 2013; Sambanis
nen könnte in Verbindung mit der Tendenz, die 2013) und entsprechend zu eher übergreifen-
Stundentafeln in den zweiten und dritten Schul- den Hinweisen oder zu fachspezifischeren ge-
fremdsprachen zu reduzieren, der Lernerorien- langen kann.
tierung und dem fächerübergreifenden Unter- Die Idee, neurowissenschaftliche Erkennt-
richt – v. a. im Unterricht dieser Sprachen – ent- nisse für die Didaktik nutzbar zu machen,
gegenwirken. wurde bereits Ende der 1980er Jahre geäußert.
Der beachtliche Zuwachs an Popularität, den
Lit.: F. G. Königs: Auf dem Weg zu einer neuen Aera
des FUs? Gedanken zur ›postkommunikativen Phase‹ die Neurowissenschaften ab den 1990er Jahren
in der Fremdsprachendidaktik. In: Taller de letras 19 erlebten, ausgelöst insbesondere durch die
(1991), 21–42. – F.-J. Meißner: ›N. FU‹. Zur Einfüh- 1991 erstmals am Menschen erfolgreich ange-
rung in den Themenschwerpunkt. In: Fremdsprachen wandte Messung der Hirnaktivität mittels
Lehren und Lernen 34 (2005), 3–14. – H.-E. Piepho: fMRT, nährte zugleich die Faszination für das
Kommunikativer DaF-Unterricht heute. Überlegungen
zum Einstieg in die ›postkommunikative Epoche‹. Gehirn und den Wunsch, dieses neue Wissen
In:  Deutsch lernen 15 (1990), 122–142. – M. Rein- nutzen zu können. Ab Ende der 1990er Jahre
fried: N. FU. Ein neues methodisches Paradigma. In: zeichnet sich in der Fremdsprachendidaktik ein
267 Neurodidaktik

Trend in Richtung Kognitionswissenschaft (In- Die Gegenposition zur Ablehnung bilden


tegration verschiedener Wissenschaften, u. a. Versuche der direkten Applikation, die seit den
Psychologie, Informatik, ä Sprachwissenschaft) 1990er Jahren meist in Form von sporadischer
und Neurowissenschaften sowie ein wachsen- Rezeption zu finden sind. Sie dienten zunächst
des Interesse an empirisch abgesichertem Wis- v. a. dem Zweck, konstruktivistische Positionen
sen ab (ä Empirie). (ä Konstruktivismus/Konstruktion) zu unter-
Der Begriff N. wurde 1988 vom Freiburger mauern. Weitere Bezüge zur Hirnforschung
Mathematikdidaktiker Preiß geprägt, der dazu wurden und werden hergestellt, um dem Wunsch
aufforderte, eine Brücke zwischen Gehirnfor- nach Lösungen für Problemlagen in der Praxis
schung und Didaktik zu bauen. Die N. wird in nachzukommen, um Wissen zugänglich zu ma-
der Regel als ein Sammelbegriff für Ansätze chen, das für die Optimierung des Fremdspra-
definiert, die die Praxis fokussieren und auf di- chenlernens wertvoll erscheint oder auch, um
daktische bzw. pädagogische Entwicklungs- die Relevanz der eigenen Arbeit durch Entleh-
und Innovationsprozesse unter Berücksichti- nung empirischer Befunde zu erhöhen. Kritisch
gung von Erkenntnissen der Neurowissenschaf- ist zu beurteilen, wenn neurowissenschaftliche
ten zielen. Diese Erkenntnisse sollen zum Befunde zum Zweck der Legitimation, z. B. ei-
Verständnis der sich beim Lernen vollziehenden nes Unterrichtsansatzes (u. a. für die ä Suggesto-
Prozesse beitragen und damit die Grundlage, pädie geschehen, vgl. Sambanis 2015), intentio-
auf der pädagogische oder didaktische Ent- nal selektiert, aus dem Forschungszusammen-
scheidungen im Sinne einer evidenzbewussten hang herausgelöst und als marktstrategische
Praxis getroffen werden, verdichten bzw. den Argumente genutzt werden. Nicht alle Applika-
Blick erweitern. tionsversuche sind als zuverlässig und gelungen
Drei Rezeptionsmuster von Gehirnforschung zu bezeichnen. Sie müssen differenziert be-
(vgl. Müller 2005) lassen sich unterscheiden: trachtet und, wo angebracht, kritisch hinter-
die Ablehnung, die direkte Applikation und die fragt werden. Innerhalb der N. ist eine mode-
kritische Übersetzung samt wechselseitigem rate Position, die auf einen Beitrag insbesondere
Dialog. Die beiden Letztgenannten lassen sich zur Gestaltung und Reflexion von Unterricht
unter N. subsummieren. Vertreter/innen der zielt, von einer weniger gemäßigten Position zu
Position, die der Bezugnahme zu den Neuro- unterscheiden. Letztere misst den Erkenntnis-
wissenschaften ablehnend gegenübersteht, stel- sen der Neurowissenschaften einen zentralen
len oftmals infrage, dass die Hirnforschung Er- Stellenwert bei und möchte die ä Lehrerbildung,
kenntnisse erbringen kann, die für Lehr- und die Unterrichtsgestaltung, die Curriculums-
Lernkontexte relevant sind. Sie erklären die und Lehrwerksentwicklung (ä Lehrplan, ä Lehr-
Wissensbestände der Hirnforschung für ver- werk) an Befunden der Hirnforschung ausrich-
zichtbar und suchen ihre Argumentation z. B. ten bzw. diese maßgeblich damit speisen. Diese
durch Hinweise darauf zu stützen, dass manche Position nimmt im Feld der N. u. a. die Schul-
der Befunde ganz neu und dadurch mitunter pädagogin Arnold (2002) ein.
zunächst vorläufiger Natur seien. Bisweilen In der Regel folgen bisherige Applikations-
wird die Ansicht vertreten, dass sich neurowis- versuche dem Schema des linearen »Import[s
senschaftliche Erkenntnisse der Möglichkeit neurowissenschaftlichen Wissens in die Didak-
des Aufschlüsselns durch die Fachdidaktik, Er- tik« (Müller 2005, 83). In den letzten Jahren
ziehungswissenschaft usw. entzögen. Häufig wird jedoch zunehmend eine kritische Ausein-
bemängeln Vertreter/innen der ablehnenden andersetzung, ergänzt durch einen Dialog zwi-
Position auch, dass die Hirnforschung nur das schen Didaktik und Neurowissenschaften so-
bestätige, was erfahrene Praktiker/innen ohne- wie zwischen Wissenschaft und Praxis, gefor-
hin schon wüssten. Der »Tendenz nach [… dert. Damit ist das dritte Rezeptionsmuster
[betrachten sie Hirnforschung als eine Gefahr« umrissen, das aus folgendem Grund eine beson-
(Müller 2005, 91) für die Fremdsprachendi- dere Herausforderung darstellt: Eine kritische
daktik, deren Eigenständigkeit und Relevanz. Auseinandersetzung mit Befunden der Neuro-
Vielfach wird von Skeptikern außerdem Kritik wissenschaften setzt ein Verständnis für deren
an der Art und Weise, wie Erkenntnisse durch Fragestellungen, Methoden der Datenerhebung
die N. genutzt werden, geäußert sowie an ei- und -auswertung usw. voraus. Zugleich bedarf
nem eher unreflektierten Formulieren von Re- es, um Relevantes für die Fremdsprachendidak-
zepten für die Praxis. tik identifizieren sowie Verzerrungen und Fehl-
Neurodidaktik 268

interpretationen im Prozess des Auswählens und Themen sind u. a. die Frage nach angemessenen
Aufschlüsselns von Wissensbeständen vermei- Übungsintervallen (ä Übung) z. B. beim Vokabel-
den zu können, solider fremdsprachendidakti- lernen (spaced und massed practice), die Rolle
scher Expertise und zwar in wissenschaftlicher von ä Musik beim Sprachenlernen und die des
wie auch in unterrichtspraktischer Hinsicht. Schreibens mit dem Stift oder der Tastatur.
Ein entsprechendes Profil bildet nachvollzieh- Eine Verdichtung von Wissensbeständen aus
barer Weise eine eher seltene Ausnahme, so den Neurowissenschaften und der Fremdspra-
dass die N. sich künftig, wenn sie sich tatsäch- chendidaktik, basierend auf einer Reihe an
lich vom linearen Übertragen lösen und in fremdsprachendidaktischen Studien im Praxis-
Richtung einer kritischen Applikation weiter- feld, wurde für die Verbindung von Bewegung
entwickeln möchte (erste Schritte wurden in und sprachlichen Inhalten (Bewegungslernen,
der Fremdsprachendidaktik bereits unternom- sog. szenisches Lernen) in den zurückliegenden
men; vgl. Sambanis 2013), verstärkt um inter- Jahren erreicht (ä Bewegter Unterricht, ä Dra-
disziplinäre Zusammenarbeit bemühen muss. mapädagogik). Über den Zwischenschritt der
Eine Herausforderung wird dabei, wie in ande- translationalen Forschung (vgl. Sambanis 2015),
ren interdisziplinären Verbänden auch, das die zum Zweck der planvollen Aufschlüsselung
Finden einer gemeinsamen Sprache sein. zwischen die Identifikation relevanter Wissens-
Auch im Hinblick auf das Durchbrechen des bestände in den Neurowissenschaften und das
linearen Schemas mittels wechselseitigen Dia- Abwägen der Bedeutung tritt, die diese Er-
logs wurden erste Maßnahmen ergriffen: Eine kenntnisse möglicherweise für die Gestaltung
unter dem Titel Focus on Evidence. Fremdspra- von Lehr-Lern-Kontexten, Materialien usw.
chendidaktik trifft Neurowissenschaften fir- haben können, werden den neurowissenschaft-
mierende, im Jahr 2015 ins Leben gerufene in- lichen Befunden solche zur Seite gestellt, die
ternationale Tagungsreihe (Böttger/Sambanis durch Formate fremdsprachendidaktischer
2016) widmet sich sowohl der Kommunikation Forschung gewonnen wurden (vgl. GFD 2015,
neuer Erkenntnisse als auch dem im interdiszi- 1). Zusammen bilden sie die Grundlage zur
plinären Feld unter Beteiligung von Wissen- Generierung von auf diese Weise empirisch ab-
schaftler/innen sowie Praktiker/innen geführten gesicherten Hinweisen. Die vorliegenden Be-
Dialog. Ein breites Spektrum an Themen findet funde sprechen für den Einsatz von Bewegun-
hierbei Berücksichtigung, so dass das Feld, in gen beim Sprachenlernen, wenn die Bewegun-
dem die N. in den zurückliegenden Jahren be- gen die Bedeutung darstellen, einen Verwen-
reits verschiedene, auf linearer Übertragung dungskontext simulieren oder die Klanggestalt
basierende Impulse gesetzt hat, durch Hinweise von Wörtern abbilden und wenn sie von den
ergänzt werden kann, die aus einer kritischen Lernenden mehrfach ausgeführt werden. För-
Auseinandersetzung hervorgegangen sind und derliche Effekte wurden für den Wortschatzer-
auf einer Weiterentwicklung des bisherigen Re- werb (ä Wortschatz und Wortschatzvermitt-
zeptionsmusters beruhen. lung) und die ä Aussprache nachgewiesen und
Relevante Themen, zu denen die N. bereits zeigen sich v. a. in Messungen der Langzeitspei-
Beiträge für die Fremdsprachendidaktik geleis- cherung. Im Sinne der N. lässt sich hieraus die
tet hat, umfassen u. a. Aspekte des Sprachenler- Empfehlung ableiten, altersgemäße Formen der
nens in bestimmten Entwicklungsphasen, z. B. Verbindung von Bewegung und Inhalt beim
der frühen Kindheit oder Pubertät, sowie bei Lehren und Lernen von Fremdsprachen zu nut-
speziellen Förderbedarfen wie LRS, bei ADHS zen. Aktuell laufende Studien in diesem Kon-
oder, in ersten Arbeiten neuesten Datums zu text erforschen u. a. die Effekte bei Sprachenler-
finden, bei Lernenden mit Asperger-Syndrom. nern im späteren Jugendalter, außerdem beim
Die N. hat außerdem schon Hinweise und pra- Konzeptlernen im ä bilingualen Unterricht oder
xisbezogene Überlegungen zum Zusammen- sie gehen, an Erkenntnisse der psychologischen
spiel von ä Emotionen und Kognition (ä Kogni- Forschung anknüpfend, der Frage nach, ob Be-
tivierung) bei Lernprozessen geliefert, zur wegung zu Rhythmisierung des Unterrichts
Musterextraktion und ä Visualisierung, zur zwischen Lernphasen eingesetzt, einen sog.
ä Aufmerksamkeit, dem bewussten Denken und Nachhall-Effekt mit behaltensförderlicher Wir-
Leerlauf, zur Konsolidierung einschließlich der kung zeigen kann.
Bedeutung von Schlaf, zum Vergessen und Be- Das planvolle Zusammenführen von Wis-
halten, zu exekutiven Funktionen usw. Aktuelle sensbeständen aus den Neurowissenschaften
269 Nonverbale Kommunikation

mit Formaten fremdsprachendidaktischer For- zuführen (vgl. Katz/Katz 1983). Verbale und
schung stellt sich als ein vielversprechender nonverbale Aspekte der ä Kommunikation hän-
Ansatzpunkt dar, um die den Kontext des Leh- gen eng miteinander zusammen: Jeder Gesichts-
rens und Lernens von Fremdsprachen fokussie- ausdruck, jede Geste bestimmt das, was im Ge-
rende N. voranzubringen und klarer zu kontu- spräch verbal artikuliert wird. So kann ein
rieren. Sprecher z. B. durch Zwinkern oder die Verän-
Lit.: M. Arnold: Aspekte einer modernen N. Emotio- derung seiner Tonlage eine Aussage als ironisch
nen und Kognitionen im Lernprozess. Mü. 2002. – S.- charakterisieren. Die n.K. ist daher Untersu-
J. Blakemore/U. Frith: Wie wir lernen. Was die Hirn- chungsgegenstand verschiedener Disziplinen
forschung darüber weiß. Mü. 2006. – H. Böttger/M. wie der Anthropologie, der Psychologie, der
Sambanis (Hg.): Focus on Evidence. Fremdsprachen-
didaktik trifft Neurowissenschaften. Tüb. 2016. – Soziologie, der ä Sprachwissenschaft und der
GFD Gesellschaft für Fachdidaktik e. V.: Formate Kommunikationswissenschaft. Innerhalb der
Fachdidaktischer Forschung. Definition und Refle- ä Fremdsprachendidaktik hat sie hingegen bis-
xion des Begriffes. Diskussionspapier der GFD. 2015. lang eine nur untergeordnete Rolle gespielt –
http://www.fachdidaktik.org/wp-content/uploads/ dabei ist sie nicht nur für die ä Sprach-, sondern
2015/09/GFD-Positionspapier-18-Formate-Fachdidak
tischer-Forschung.pdf – M. Grein: N. Grundlagen für
auch für die ä Kultur- und ä Literaturdidaktik
Sprachlehrende. Ismaning 2013. – U. Herrmann (Hg.): von großer Bedeutung (vgl. Surkamp 2016).
N. Grundlagen und Vorschläge für gehirngerechtes Eines der Hauptziele des FUs ist die Förde-
Lehren und Lernen. Weinheim/Basel 22009. – T. Mül- rung der ä kommunikativen Kompetenz der
ler: Pädagogische Implikationen der Hirnforschung. SuS in der Fremdsprache. Da ein wesentlicher
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse und ihre Dis-
Teil von Kommunikation nonverbal abläuft,
kussion in der Erziehungswissenschaft. Bln 2005. – M.
Sambanis: FU und Neurowissenschaften. Tüb. 2013. kann kommunikative Kompetenz sich nicht al-
– M. Sambanis: Fremdsprachendidaktik und Neuro- lein auf die korrekte Verwendung verbalsprach-
wissenschaften. In: S. Doff/A. Grünewald (Hg.): licher Mittel beziehen. Nonverbale Signale
WECHSEL-Jahre? Wandel und Wirken in der Fremd- können auch in Gesprächen in der Fremdspra-
sprachenforschung. Trier 2015, 153–162. che eine Vielzahl unterschiedlicher Funktionen
MS
erfüllen (vgl. Scherer 1980): (1) eine emotive
Funktion, indem sie Aufschluss über die Ge-
Nonverbale Kommunikation. Unter n.K. wird fühle, Gedanken und Haltungen des Sprechers
der (bewusste und unbewusste) Austausch von geben; (2) eine konative Funktion, indem sie
Informationen mit nicht-sprachlichen Mitteln die sozialen Rollen von und die Beziehung zwi-
verstanden. Es lassen sich zwei Gruppen unter- schen Gesprächspartnern anzeigen; (3) eine
scheiden (vgl. Scherer 1980): stimmliche und phatische Funktion, indem sie das Gespräch
nicht-stimmliche nonverbale Mittel. Zu den regulieren und die Interaktion strukturieren;
stimmlichen Mitteln zählen paralinguistische (4) eine illustrative Funktion, indem sie die
Phänomene wie individuelle stimmliche Merk- verbale Mitteilung antizipieren, wiederholen,
male (Stimmtyp und -qualität), die Sprachme- ersetzen, ergänzen, akzentuieren oder in Frage
lodie (Tonart, Intonation, Betonung), zeitliche stellen; (5) eine emblematische Funktion, in-
Aspekte (Sprechtempo, Rhythmus, Pausen), dem sie eine feste rituelle Bedeutung haben
Artikulationsweisen (z. B. Schreien, Flüstern) (z. B. in den USA das Handzeichen »V« für vic-
und Nebengeräusche (wie Lachen oder Hus- tory). Wird n.K. im FU Beachtung geschenkt,
ten). Unter die nicht-stimmlichen Aspekte fallen kann der künstliche Charakter, der fremd-
die äußeren Merkmale eines Sprechers bzw. ei- sprachlichen Kommunikationssituationen im
ner Sprecherin (körperliche Eigenschaften, institutionalisierten Lernkontext zukommt, ab-
Kleidung), physische Reaktionen (wie Erröten geschwächt werden (ä Authentizität). Zudem
oder Erblassen) und eine Vielzahl kinetischer kann die Kombination von verbaler und n.K.
Phänomene, die sich wiederum unterteilen las- im Unterricht dazu beitragen, dass neue Voka-
sen in makro-kinetische (Gestik, Kopfbewegun- beln und sprachliche Strukturen besser erinnert
gen, Körperhaltung, Bewegung im Raum) und werden (ä Ganzheitliches Lernen) und dass SuS
mikrokinetische Phänomene (Mimik, Blickver- lernen, n.K. sowohl bei der Sprachproduktion
halten). als auch bei der Sprachrezeption als Kommuni-
Untersuchungen zufolge ist das, was in Ge- kationsstrategie einzusetzen, wenn sie z. B. eine
sprächen an Informationen übermittelt wird, Vokabel nicht parat haben oder ein Wort nicht
zu 65–90 % auf unsere Körpersprache zurück- verstehen. Auch im Hinblick auf die Ausbil-
Nonverbale Kommunikation 270

dung ä interkultureller kommunikativer Kom-


petenz ist die Einbeziehung von n.K. in den FU
wichtig (vgl. Eßer 2007). Nonverbale Phäno-
O
mene wie die physische Distanz zwischen Spre-
chenden oder deren Blickverhalten können Offener Unterricht. Was die historische Genese
kulturell unterschiedlich bewertet werden und des o.U.s betrifft, gilt die ä Reformpädagogik
sind oftmals Quelle von Missverständnissen in mit ihren mannigfachen Konzepten als die
interkulturellen Begegnungssituationen. Fremd- wichtigste Inspirationsquelle für das Offenheits-
sprachenlernende sollten daher für die Kultur- Paradigma (Deweys und Kilpatricks Projekt-
gebundenheit n.K. sensibilisiert werden; dies methode, Kerschensteiners Arbeitsschule, Gau-
bedeutet auch, dass sie sich ihres eigenen non- digs freie Tätigkeit, Ottos natürlicher Gesamt-
verbalen Verhaltens bewusst werden. Für den unterricht, Montessoris Freiarbeit, Parkhursts
Film- und Literaturunterricht ist die Beschäfti- Dalton-Plan, Petersens Jenaplan, Steiners Wal-
gung mit n.K. insofern relevant, als körper- dorfschule, Freinets Arbeitstechniken). Unter
sprachliche Phänomene bei der Interpretation den klassischen Reformpädagogiken, die sich
von Figuren eine Rolle spielen können, wenn in Deutschland von 1880 bis 1930 entfalteten
sie z. B. Aufschluss über deren Innenleben ge- und ihre tragenden Themen in den Bereichen
ben. Kultur-/Schulkritik, Lehrerrolle, Schülerrolle,
Für die rezeptive und produktive Beschäfti- Methoden, Materialien und Praxisbezug hat-
gung mit den verschiedenen Formen und Funk- ten, legten allerdings nur zwei Bewegungen ei-
tionen von n.K. im FU gibt es eine Vielzahl me- genständige Entwürfe für den FU vor: die Wal-
thodischer Möglichkeiten (vgl. auch Reimann dorfpädagogik und die Freinet-Pädagogik. Die
2000). Diese reichen vom Einsatz von ä Bildern Reformpädagogik war jedoch nicht die einzige
(z. B. Werbepostern) und audiovisuellen Mate- Quelle für o.U. (vgl. Thaler 2008). Eine häufig
rialien (ä Hörspielen, Filmen) über Methoden unterschätzte Rolle spielen philosophische und
aus der ä Dramapädagogik bis hin zu Video- erkenntnistheoretische Ansätze (Pragmatismus,
konferenzen mit Sprecher/innen der Zielspra- Lebensphilosophie, Kritische Theorie, Post-
che und ä Begegnungen im Schüleraustausch. moderne), sozioökonomisch-politische Wur-
Lit.: R. Eßer: Körpersprache in Babylon. In: zeln (bildungspolitische Reformimpulse in den
H.-J.  Krumm (Hg.): Bausteine für Babylon. Sprache, 1970er Jahren, Wandlungsprozesse der Kind-
Kultur, Unterricht. Mü. 2007, 320–332. – A. M. Katz/ heit, wirtschaftlicher Strukturwandel), lernpsy-
V. T. Katz (Hg.): Foundations of Nonverbal Commu- chologisch-spracherwerbstheoretische Erkennt-
nication. Readings, Exercises and Commentary. Car-
bondale 1983. – D. Reimann: Französisch durch nisse (Jean Piaget, Jerome Bruner, Lev Vygotski,
Gesten. Bausteine einer Didaktik der n.K. In: Franzö- Konstruktivismus, Gestalttheorie, Humanisti-
sisch heute 1 (2000), 68–82. – K. R. Scherer: The sche Psychologie, Multiple Intelligenzen, Neuro-
Functions of Nonverbal Signs in Conversation. In: psychologie) und die neuen Reformpädagogiken
H. Giles/R. St. Clair (Hg.): The Social and Psychologi- (community education, Alternativschulen). Spä-
cal Contexts of Language. Hillsdale 1980, 225–244. –
C. Surkamp: Nonverbale Kommunikationsfähigkeit
testens in den 1960er Jahren wurden auch die
im FU fördern. Dramapädagogische Methoden für Defizite in der konkreten Praxis des FUs immer
den Sprach-, Literatur- und Kulturunterricht. In: offenkundiger und verlangten nach Änderung.
A. Betz et al. (Hg.): Sprache durch Dramapädagogik Eine solche versprach die kommunikative
handelnd erfahren. Ansätze für den Sprachunterricht. Wende, die als vorherrschenden Lehr-Lern-An-
Baltmannsweiler 2016, 23–46. CS
satz ä kommunikativen FU beförderte, der vie-
lerlei Merkmale einer Öffnung des Unterrichts
enthielt. Am Rande des Methoden-Mainstream
entwickelten sich mehrere ä alternative Lehr-/
Lernformen (fringe methods wie ä silent way,
ä total physical response, ä Suggestopädie,
ä community language learning), die punktuell
ebenfalls Impulse für eine Öffnung bereitstellten.
Eine Definition von o.U. kann sich an zehn
Parametern orientieren: kommunikative Offen-
heit (message before form, prozedurales Lernen,
situative Flexibilität, lebensweltliche Aufgaben),

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_15, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
271 Offener Unterricht

existentielle Offenheit (ganzheitlich-multimo- bau von Sprechhemmungen, Freude an Sprache,


dales Sprachhandeln), adressatenorientierte authentischer Umgang mit Sprache), Koopera-
Offenheit (ä Lernerorientierung, ä Differenzie- tion anstoßen, ä ganzheitliches Lernen initiie-
rung, ä Individualisierung), inter-personelle Of- ren, ä Kreativität beflügeln, eine entspannte
fenheit (Wandel der Lehrerrolle, Schüler-Schü- Lernatmosphäre schaffen und die Lehrkraft
ler-Interaktionen, Schüler-als-Lehrer-Situatio- während der Durchführung entlasten. Aller-
nen; ä Lehrer/in und Lehrerrolle), dezisionistische dings wurden auch gravierende Probleme offen-
Offenheit (selbstbestimmtes, lernerzentriertes, kundig (vgl. Thaler 2008): hoher Zeitbedarf für
ä autonomes Lernen), textliche Offenheit (Öff- Durchführung (Leerlauf, Gruppenarbeit, lang-
nung des ä Kanons, offene Auseinandersetzung same ä Progression, Stofffülle), schwierige Kon-
mit offenen Texten), mediale Offenheit (visu- trolle der Ergebnisse (Notengewinnung, Kor-
elle, auditive, audio-visuelle, interaktive ä Me- rekturaufwand, Überprüfung der sprachlichen
dien), lokale Offenheit (außerunterrichtliches, Richtigkeit), Mangel an Effektivität (Erreichung
außerschulisches Lernen; ä Lehr- und Lernort), von ä Lernzielen, Nachhaltigkeit, Ertrag), Diszi-
globale Offenheit (geografische und inhaltliche plinschwierigkeiten (Lautstärke, Unruhe), Größe
Erweiterung der Themen, ä Global Education), der Klasse (Organisation, Arbeitsatmosphäre),
fachtranszendierende Offenheit (ä Fächerüber- Ausnutzung durch unmotivierte Schüler (»Frei-
greifender Unterricht). FU ist damit tendenziell stunde«), Vorbereitungsaufwand (Planung, un-
umso offener, je mehr von diesen zehn Dimensi- terschiedliche Aufgabenstellung), Probleme für
onen vorhanden sind und je intensiver die ein- lernschwache SuS (Überforderung, Kontrolle),
zelne Dimension ausgeprägt ist. Einschätzung der Individualität der SuS (Lern-
Hinsichtlich der Formen kann man sechs Ka- tempo, Interessen, Lernfortschritt), mangelnde
tegorien offener Lernarrangements unterschei- Gewöhnung an neue Methoden, 45-Minuten-
den: aufgabenorientierte Methoden (Freiarbeit, Takt der Schulstunde.
ä Projektunterricht, Stationenlernen, Planarbeit, Offene Lernarrangements sind nicht per se
task-based approach, ä Storyline-Methode, par- positiv – ebenso wenig wie geschlossene Me-
ticipatory approach), spielorientierte Ansätze thoden per se negativ sind. Es gibt guten und
(ä Sprachlernspiele, szenisches Spiel, Simulatio- schlechten Frontalunterricht, genau so wie es
nen), medienorientierte Typen (Musik-basierter guten und schlechten o.U. gibt. Die Verabsolu-
Ansatz, Film-basierter Ansatz, Internet-basierter tierung eines didaktischen Prinzips muss un-
Ansatz, Selbstlernen), fertigkeitsorientierte Ver- weigerlich scheitern. Ein reflektierter Eklekti-
fahren (extensives ä Lesen, kreatives ä Schreiben, zismus im Sinne einer zielorientierten Integra-
Diskussionen, ä Präsentationen, ä Improvisatio- tion diverser methodischer Bauteile, welche die
nen, narrow listening), phasenorientierte Tech- verschiedenen Wissensstrukturen durch poly-
niken (offene Einstiege, Pausen, überraschungs- methodische Themenzugänge vernetzt, könnte
tolerantes Unterrichten, offene Ausstiege) und die effektivste Unterrichtsform sein.
sozialformorientierte Konzepte (ä Kooperatives In den Nachbarwissenschaften der ä Fremd-
Lernen, ä Lernen durch Lehren). Die Vielzahl sprachendidaktik gibt es inzwischen einige Vor-
und Heterogenität dieser Konzepte und Verfah- bilder. So propagiert z. B. in der Allgemeinen
ren macht deutlich, dass o.U. nicht auf die Ma- Pädagogik Hilbert Meyer (2007) sein Drei-Säu-
kroebene umfassender Methodenkonzepte be- len-Modell eines schülerorientierten Unterrichts:
schränkt bleiben muss, sondern auch die Meso- lehrgangsmäßiger Fachunterricht, Freiarbeit
und Mikroebenen einer Unterrichtsstunde (Stillarbeit, Wochenplan), Projektarbeit. In neu-
betreffen kann. Im fremdsprachendidaktischen eren Ansätzen der Erwerbspsychologie wird
Diskurs beanspruchen allerdings Methoden wie das konstruktivistische Erkenntnisparadigma
Projektunterricht, ä aufgabenorientiertes Ler- (ä Konstruktivismus/Konstruktion) immer stär-
nen, Stationenlernen und Freiarbeit größere ker zugunsten einer konstruktivistischen ä In-
Aufmerksamkeit als andere Ansätze. struktion oder eines wissensbasierten Kon-
Die Argumente für o.U. sind ebenfalls man- struktivismus relativiert (vgl. Reinmann-Roth-
nigfaltig. Er kann zur Abwechslung beitragen, meier/Mandl 2001). In der komparatistischen
die Selbständigkeit fördern, die Schüleraktivität Bildungsforschung plädieren Schaefer und
steigern (ä Aktivierung), die ä Motivation erhö- Yoshioka (2000) für ein balanced thinking.
hen, Binnendifferenzierung und Individualisie- In Anlehnung daran empfiehlt sich für die
rung ermöglichen, das ä Sprechen fördern (Ab- Fremdsprachenmethodik ein balanced teaching.
Offener Unterricht 272

Im engeren Sinn bedeutet balanced teaching die lich gültige, in der Regel staatlicherseits festge-
Kombination von geschlossenen und offenen legte Schreibweise (z. B. frz. évènement) zum
Methoden (vgl. Thaler 2010). In einer empiri- Gegenstand hat, befasst sich die übergeordnete
schen Studie in 37 unterschiedlichen Schulen Graphematik (auch Graphemik) ganz allge-
befürwortete die überwältigende Mehrheit der mein mit den Grundeinheiten des Schriftsys-
Lehrkräfte eine Kombination geschlossener (in- tems sowie deren Verknüpfungsmöglichkeiten.
struktivistischer, lehrerzentrierter) und offener In Abhängigkeit von der jeweiligen Sprache
Lernarrangements im Englischunterricht, wel- lassen sich die Basiselemente der Schrift übli-
che die Vorzüge beider Ansätze nützt und deren cherweise zu allen möglichen Schreibweisen
Nachteile vermeidet (vgl. Thaler 2008). Ba- zusammenfügen (z. B. frz. *évainement, *hévène-
lanced teaching im weiteren Sinn erstreckt sich ment,*évaynement).
auf die Balance in mehreren Unterrichtsfakto- Je nach Sprache wird zwischen einer phone-
ren: ä Kompetenzen, Inhalte, Tempo, Stimmung, mischen und einer morphophonemischen O.
Schwierigkeitsgrad, Lehrerrolle, Schülerrolle, unterschieden. Im ersten Fall, die auch als flache
Aktivitäten, ä Medien, ä Sozialformen, ä Leis- O. bezeichnet wird, kann man vereinfachend
tungsermittlung usw. (vgl. Thaler 2012). Balan- formulieren, dass einem Laut ein Buchstabe
ced teaching lässt sich vergleichsweise leicht entspricht (dies ist z. B. im Türkischen der Fall).
umsetzen, da kein radikal neuer Ansatz dahinter Davon unterscheidet sich die sog. tiefe O., wie
steht, sondern gesunder Menschenverstand und sie überwiegend für das Englische, aber auch
pädagogisch-didaktisches Fingerspitzengefühl. z. T. für das Französische typisch ist, wo eine
Lit.: H. Meyer: Unterrichtsmethoden 2. Praxisband. Phonem-Graphem-Korrespondenz nicht gege-
FfM 122007 [1987. – G. Reinmann-Rothmeier/ ben ist. Neben dem phonetischen Prinzip (z. B.
H. Mandl: Unterrichten und Lernumgebungen gestal- engl. tell; frz. conter), das in flachen O.n zum
ten. In: A. Krapp/B. Weidenmann (Hg.): Pädagogische Tragen kommt, spielen bei komplexeren O.sys-
Psychologie. Weinheim 42001 [1986, 601–646. –
G. Schaefer/R. Yoshioka: Balanced Thinking. FfM temen nach Vladimir G. Gak (1) das morpholo-
2000. – E. Thaler: Offene Lernarrangements im Eng- gische Prinzip (z. B. frz. tranquille → tranquillité
lischunterricht. Mü. 2008. – E. Thaler: Balanced vs. mobile → mobilité), (2) das differentielle
Teaching. Bln 2010. – Ders.: Englisch unterrichten. Prinzip (z. B. Unterscheidung engl. no/know, frz.
Bln. 2012. ET sur/sûr), (3) das etymologische Prinzip (z. B.
engl. bright, mittelengl. ›gh‹ als Symbol für
Diphthongisierung; lat. digitum → frz. doigt)
Online-Lernen ä E-Learning und (4) das Prinzip der Tradition eine Rolle
(Beibehalten einer erlernten Schreibung, selbst
wenn eine Alternative zugelassen oder eine an-
Orthographie. Unter O. versteht man allgemein dere Norm gesetzt ist – z. B. engl. spatial/spacial
sprachlich das normgerechte Schreiben von oder tea-cup/teacup bzw. dt. *daß/dass).
Wörtern in der der jeweiligen Sprache zugrun- Sprachabhängig ist die Unterscheidung zwi-
deliegenden Schrift wie auch die damit verbun- schen lexikalischer, d. h. auf das Einzelwort be-
dene Wissenschaft. Sprachen wie das Deutsche, zogener, und grammatikalischer O. Um den
ä Französische und ä Englische weisen eine Al- letztgenannten Fall handelt es sich z. B. beim
phabetschrift auf. Deren Basiseinheiten sind accord im Französischen, wenn ein Partizip an
Buchstaben (Graphe), die in ihrer Gesamtheit seine syntaktische Einbettung orthographisch
als ›Alphabet‹ bezeichnet werden. Teilweise sichtbar angepasst werden muss (frz. »Voilà la
wird dieses Inventar an Schriftzeichen durch prof de lettres que j’ai eue en seconde«).
diakritische Zeichen ergänzt: wie z. B. die cé- Innerhalb der ä Fremdsprachendidaktik wurde
dille in garçon, das Trema in Noël oder Akzente O. als Forschungsgegenstand nur selten thema-
(accent aigu in élégant, accent grave in père, tisiert (z. B. Nieberle 2012). Seit einigen Jahren
accent circonflexe in forêt). Auf der Basis des ist jedoch ein vermehrtes Interesse an der
Alphabets lassen sich für das jeweilige Schrift- fremdsprachlichen Schriftsprachenkompetenz
system die funktional relevanten Grapheme festzustellen (vgl. z. B. Mertens 2002 als einer
bilden. Ein Graphem ist – in Analogie zum der ersten Befürworter).
Phonem innerhalb eines Lautsystems – die Lit.: N. Catach/C. Gruaz/D. Duprez: L’orthographe
kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit ei- française. Paris 31995 [1986. – Ch. Dürscheid: Ein-
nes Schriftsystems. Während die O. die verbind- führung in die Schriftlinguistik. Göttingen 32006
273 Performative Kompetenz

[2002. – V. G. Gak: L’orthographe du français. Essai


de description théorique et pratique. Paris 1976. –
J. Mertens: Schrift im FU der Grundschule. Lernhemm-
nis oder Lernhilfe? In: Neusprachliche Mitteilungen 55
P
(2002), 141–149. – G. Nieberle: Englische Rechtschrei-
bung. Probleme deutschsprachiger Schüler. Theorie und Partnerarbeit ä Sozialformen
Handreichung. Regenburg 22012 [2005. – J.  Payne:
Collins Cobuild English Guides, Bd. 8: Spelling. Ldn
1997. JM Pattern Drill ä Audio-linguale Methode, ä Aus-
sprache, ä Grammatik und Grammatikvermitt-
lung
Output-Hypothese ä Spracherwerb und Sprach-
erwerbstheorien
Performative Kompetenz. Das Konzept der p.K.
nimmt das generelle kulturelle Phänomen der
Performativität und Theatralität der Lebens-
welt, des Alltagshandelns und sozialer Inter-
aktionssituationen auf und zielt auf die Ent-
wicklung von Fähigkeiten des Individuums, die
Inszeniertheit allen sozialen Handelns zu ver-
stehen, selbstbestimmt mitzugestalten und kri-
tisch zu reflektieren. Als ä Kompetenz können
solche performativen Fähigkeiten und Fertig-
keiten deshalb betrachtet werden, weil sie mit
der Verfügbarkeit von kognitiven Strukturen,
Schemata oder, in stark ritualisierten Situatio-
nen, drehbuchartigen scripts verbunden sind,
die die aktive und verstehende Teilnahme an
(prinzipiell dramatischen und theatralen) sozia-
len Alltagssituationen ermöglichen und steuern.
Theatral und performativ sind Alltagshandlun-
gen in einem dreifachen Sinn (vgl. im Einzelnen
Hallet 2015): Zum ersten sind diskursiv-kom-
munikative Äußerungen im Sinne der Sprech-
akttheorie nicht nur propositionale Aussagen,
sondern zugleich Akte oder Handlungen, die
soziokulturelle Wirklichkeit konstituieren. Ein
zweites Merkmal betrifft strukturelle Analogien
zwischen dem Alltagshandeln und dem stage
drama. Victor Turner zufolge sind soziale All-
tagssituationen von ritualisierten, dramenähn-
lichen Formen der Interaktion gekennzeichnet
(social drama); diese sind als ›literarische‹
Strukturgebung ethnographisch beschreibbar
und kognitiv verfügbar und ermöglichen daher
strukturiertes soziales Handeln (Turner 1986,
72 ff.). Der dritte Aspekt bezieht sich unmittel-
bar auf die Lebenswelt der Heranwachsenden,
die zunehmend von einer umfassenden Thea-
tralisierung aller Sphären des öffentlichen und
des privaten Lebens gekennzeichnet ist, so dass
›Wirklichkeit‹ im Wesentlichen als Inszenierung
erfahren und aufgefasst wird (Fischer-Lichte
2002). In der Zusammenschau dieser Aspekte
kann jegliches diskursives und soziales Agieren

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_16, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
Performative Kompetenz 274

als performativ und jede Interaktion als insze- dem Wege der dramapädagogischen Ausbil-
niert gelten. Daher kann der Erwerb p.K auch dung Theatralität und Inszeniertheit selbst er-
als eine wichtige Dimension eines allgemeine- fahren und ihre eigene p. K. entwickeln können
ren kulturellen Lernens gelten (vgl. Hallet 2015) (vgl. Haack/Surkamp 2011; Elis et al. 2015).
und man kann insofern von diesem Konzept Lit.: F. Elis/A. Haack/H. Mehner: Dramapädagogische
auch neue Impulse für die ä Kulturdidaktik er- Methoden und Projekte in der Lehramtsausbildung.
warten. Erfahren, erproben, einsetzen. In: Hallet/Surkamp
Der FU stellt wie jeder Unterricht eine beson- 2015, 319–342. – E. Fischer-Lichte: Grenzgänge und
Tauschhandel. Auf dem Wege zu einer performativen
dere Form inszenierter Wirklichkeit dar (ä In- Kultur. In: U.  Wirth (Hg.): Performanz. Zwischen
szenierung), die durch die in ihm getätigten Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. FfM
Sprechakte konstituiert wird und die aufgrund 2002, 277–300. – A. Haack/C. Surkamp: »Theater-
der Fremdsprachigkeit der Äußerungen ein ho- machen« inszenieren. Dramapädagogische Methoden
hes Maß an Fiktionalität aufweist. Zugleich ist in der Lehrerbildung. In: Küppers et al. 2011, 53–67.
– W. Hallet: Die Performativität und Theatralität des
der FU eingebettet in und bezogen auf die sozi- Alltagshandelns. P. K. und kulturelles Lernen. In: Hal-
ale und mediale Inszenierung von lebensweltli- let/Surkamp 2015, 51–67. – W. Hallet/C. Surkamp
chen Wirklichkeiten, die ihrerseits fremdspra- (Hg.): Handbuch Dramendidaktik und Dramapäda-
chig geprägt und damit mehrsprachig sind gogik im FU. Trier 2015. – P. Kessler/W. Jauch (Hg.):
(Hallet 2008, 406 ff.). Diese theatrale und per- Theaterpraktische Methoden. Der fremdsprachliche
Unterricht Französisch 45 (2011), 111. – A. Küppers/
formative Dimension von Wirklichkeit kommt
S. Torben/M. Walter (Hg.): Inszenierungen im FU.
im FU auf verschiedenen Ebenen zur Geltung Braunschweig 2011. – C. Surkamp/F. Elis (Hg.): The-
und erlaubt aufgrund seiner Inszenierungsbe- menheft »Dramapädagogik«. Der fremdsprachliche
dingungen und -regeln die besonders effiziente Unterricht Englisch 142 (2016). – V. Turner: The An-
Einübung in performatives Handeln, und thropology of Performance. N.Y. 1986. WH
zwar (1) thematisch, wenn Inszeniertheit und
Theatralität Gegenstand des Unterrichts wer-
den; (2) in Gestalt didaktischer szenisch-dialo- Persönlichkeitsbildung ä Identität und Identi-
gischer Texte; (3) in Gestalt literarischer dra- tätsbildung
matischer Texte (ä Literaturdidaktik); (4) durch
die dramapädagogische Verwendung szenisch-
performativer Formen im Unterricht (ä Dra- Perspektive und Perspektivenwechsel. Inner-
mapädagogik); und schließlich in komplexer halb der ä Fremdsprachendidaktik und insbeson-
Form durch (5) die Inszenierung von stage dra- dere in Theorien zum ä interkulturellen Lernen
mas. wird unter P. in Anlehnung an philosophische
Aus der theatralen und performativen Di- Einsichten (Leibniz, Nietzsche) und literatur-
mension des FUs selbst ergibt sich die Frage, wissenschaftliche Konzepte (Pfister, Nünning)
auf welche Weise die Entwicklung der p. K. die subjektive Wirklichkeitssicht bzw. das indi-
systematisch mit anderen Prozessen des Kom- viduelle Voraussetzungssystem eines Menschen
petenzerwerbs im FU, insbesondere sprachlich- verstanden, die bzw. das dessen Bild von der
diskursiver und ä literarischer Kompetenzen, Welt bestimmt. Die P. eines Menschen ist ge-
verbunden werden kann (vgl. z. B. Kessler/ prägt durch seinen biographischen Hintergrund,
Jauch 2011; Küppers et al. 2011; Surkamp/Elis seine psychische Disposition, Werte und Nor-
2016) und welchen Beitrag das Konzept der men, internalisierten Konventionen, kulturell
p. K. zur Entwicklung einer ›performativen geprägten Wahrnehmungs- und Deutungssche-
Fremdsprachendidaktik‹ (Schewe) zu leisten mata, Wünsche und Bedürfnisse, Kenntnisse
vermag (vgl. Hallet/Surkamp 2015). Auch für und Fähigkeiten. Das Konzept des PW.s bezieht
die didaktische Kompetenz von Lehrkräften an sich auf die grundlegende menschliche Fähig-
Schule und Hochschule spielt die p.K. eine be- keit, sich in die Lage einer anderen Person zu
sondere Rolle. Lehrende müssen nicht nur ih- versetzen und ihre Motivation, Handlungsab-
ren Unterricht in Form von Skripten planen sicht und Sichtweise auf ein Geschehen zu re-
und als Interaktionssituation (ä Unterrichtsin- konstruieren. Die dadurch entstehende Ver-
teraktion) inszenieren können, sondern auch dopplung des Standpunktes zeigt, dass der zu-
ein Bewusstsein von der Inszeniertheit des Un- nächst eingenommene Blickwinkel nicht der
terrichts und ihrer eigenen Rolle als Lehrenden einzig mögliche ist, sondern dass es von dersel-
entwickeln. Dies ist nur möglich, wenn sie auf ben Sache mehrere Ansichten geben kann.
275 PISA-Studie

In einem FU, der dem Leitziel der ä interkul- hen ist, bei dem es gilt, sich auf Neues einzulas-
turellen kommunikativen Kompetenz verpflich- sen, kann zudem mit verschiedenen Formen
tet ist, ist die Befähigung der SuS zum PW. ein kreativer Textarbeit (vgl. Surkamp/Nünning
wichtiges ä Lernziel. Die Fähigkeit zum PW. gilt 2016) die Bereitschaft der Lernenden zum
als notwendige Bedingung für soziales Handeln Nachvollzug von und zur Auseinandersetzung
und ist konstitutiv für das Verständnis anderer mit fremden P.n gefördert werden (ä Kreativi-
Menschen. PW. tragen außerdem dazu bei, Ler- tät). Dies gelingt insbesondere durch hand-
nenden die Subjektivität und Relativität der ei- lungs- und produktionsorientierte Verfahren
genen Sichtweisen bewusst zu machen und sie wie das Umschreiben einer Geschichte aus einer
zum Hinterfragen des eigenen Weltbildes anzu- anderen P., das Verfassen von Tagebucheinträ-
regen. Dies ist schon intrakulturell – d. h. im gen oder Briefen aus der Sicht einer litera-
Hinblick auf das Verstehen von Menschen aus rischen Figur oder das Schlüpfen in eine Rolle
ein und derselben Kultur – von zentraler Be- (ä Dramapädagogik).
deutung. Im Kontext des Erlernens einer Lit.: W. Edelstein et al.: Entwicklung sozial-kognitiver
Fremdsprache, das auf die Begegnung mit Men- Prozesse. Eine theoretische und empirische Rekon-
schen aus anderen Kulturen und auf die Kon- struktion. In: D. Geulen (Hg.): P.nübernahme und so-
frontation mit fremden Wirklichkeitsvorstel- ziales Handeln. FfM 1982, 181–204. – A. Schinschke:
P.nübernahme als grundlegende Fähigkeit im Umgang
lungen vorbereitet, erweist sich die Fähigkeit mit Fremdem. In: L. Bredella/H. Christ (Hg.): Didak-
zur Überschreitung der eigenen P. jedoch erst tik des Fremdverstehens. Tüb. 1995, 36–50. – C.
recht als unabdingbar, um interkulturellen Surkamp/A. Nünning: Englische Literatur unterrichten
Missverständnissen vorzubeugen. 1. Grundlagen und Methoden. Seelze 42016 [2006.
Beim PW. handelt es sich allerdings nicht um CS
eine isolierte Fertigkeit, sondern um ein kom-
plexes Bündel von kognitiv-affektiven Fähig-
keiten. Präzisieren lässt sich das Konzept durch PISA-Studie (Abkürzung für Programme for
Jean Piagets Begriff der ›Dezentrierung‹. Dieser International Student Assessment). Die P. ist
bezieht sich »auf den in der Entwicklung relativ eine im Dreijahresturnus (erstmalig 2000)
spät auftretenden Denkakt der Differenzierung durchgeführte OECD-Studie zur Lesekompe-
eigener und fremder Erkenntnisperspektiven« tenz (engl. reading literacy), zur Problemlöse-
(Edelstein et al. 1982, 182). Es werden ver- kompetenz (seit 2003) sowie zur mathemati-
schiedene Typen von Dezentrierung unter- schen und naturwissenschaftlichen Grundbil-
schieden (ebd., 184): (1) P.ndifferenzierung, dung (engl. mathematical and scientific literacy)
d. h. das Wissen um die Differenz zweier P.n; (2) von 15-jährigen SuS. Neben der Feststellung
P.nübernahme, d. h. die inhaltliche Ausgestal- des Kompetenzstandes ist das primäre Ziel der
tung der fremden P.; (3) P.nkoordinierung, d. h. Studie die Ermittlung verschiedener Indikato-
die auf einer Meta-Ebene vollzogene Integra- ren, die Kompetenzwerte mit Merkmalen von
tion inhaltlich unterschiedlicher P.n. Im Gegen- SuS (z. B. familiärer Hintergrund) und Schulen
satz zur Differenzierung und Übernahme von (z. B. Lehrplan) in Verbindung setzen, und somit
P.n bedeutet P.nkoordinierung, »daß die Ler- der Vergleich der Leistungsfähigkeit der Bil-
nenden in einer Begegnung mit Fremdheit die dungssysteme der wichtigsten Industriestaaten,
eigenen und fremden Perspektiven erfassen, auch mit dem sekundären Ziel der Politikbera-
miteinander vergleichen und zwischen ihnen tung. Als Querschnittsstudie ermöglicht die P.
vermitteln können« (Schinschke 1995, 42). zwar keine kausalen Schlussfolgerungen und
In Bezug auf das Lernziel PW. hat der Um- keine empirisch begründeten Handlungsanwei-
gang mit Literatur im fremdsprachlichen Klas- sungen, erweitert aber das Wissen über Schule,
senzimmer große Bedeutung gewonnen. Gerade Unterricht und Lernen. Die Definition des der
fremdsprachliche Literatur bietet Lernenden Studie zugrundeliegenden, anglo-amerikanisch
die Möglichkeit, die Andersartigkeit fremder geprägten Konstrukts von literacy (ä Multiple
Wirklichkeitsmodelle, aber auch Parallelen zur Literacy) zielt weniger auf curriculare Inhalte als
eigenen Wirklichkeitssicht, kennenzulernen, auf die Funktionalität der erwähnten ä Kompe-
sich auf fremde Sichtweisen einzulassen und – tenzen in Hinblick auf die Bewältigung von
damit einhergehend – auch über die notwendige Alltag und Berufsleben. Daher erlaubt die P.
Begrenztheit der eigenen Weltsicht zu reflektie- auch keine Aussagen darüber, zu welchem Grad
ren. Da ä Fremdverstehen ein kreatives Verste- ein Schulsystem die ihm spezifischen Ziele er-
PISA-Studie 276

reicht. Ergänzend zur internationalen P. werden Grad an vertikaler und horizontaler ä Differen-
in Deutschland Ländervergleiche durchgeführt zierung bei gleichzeitiger besonderer Förderung
(vgl. PISA-E). von hochbegabten SuS und SuS mit Lernbehin-
Die P. erhebt in jedem teilnehmenden Land in derungen, Output-Orientierung und moderne
der Regel mindestens 5000 Individualstichpro- Lehrbücher, ein landesweites Curriculum sowie
ben bei einer repräsentativen Auswahl von SuS. hohe Anforderungen an die Kompetenzen der
An der P. 2015, die schwerpunktmäßig die na- Lehrkräfte (vgl. Kitsing et al. 2016).
turwissenschaftliche Grundbildung sowie die Im Zeitraum 2000–2015 blieben die in der
Nebendomänen Lesen und Mathematik unter- Lesekompetenz erzielten durchschnittlichen
suchte, nahmen 72 Länder teil. Die von multi- Leistungen im gesamten OECD-Raum trotz
nationalen Teams erarbeiteten Testhefte (ä Tests) einer erheblichen Steigerung der Bildungsaus-
bzw. (seit 2015) digitalisierten Testaufgaben gaben im Großen und Ganzen unverändert,
umfassen in der Regel zwanzig Aufgabenkom- während sie sich in Deutschland deutlich ver-
plexe, die innerhalb einer zweistündigen Test- besserten, jedoch mit signifikanten geschlechts-
sitzung zu bearbeiten sind. Jeder Aufgaben- spezifischen Unterschieden zugunsten der
komplex besteht wiederum aus einem einleiten- Mädchen; 80 % der Schüler im OECD-Raum
den Lesetext, der eine lebensweltliche Situation sind in der Lage, grundlegende Leseaufgaben
beschreibt, sowie ein bis sieben Items, die ent- auf Kompetenzstufe 2 zu lösen, d. h. eindeutige
weder als Auswahl-Antwort-Aufgaben (Multi- Informationen zu finden, wenig anspruchsvolle
ple Choice) oder als Fragen konzipiert sind, Schlussfolgerungen zu ziehen, die Bedeutung
welche eine selbständig formulierte Antwort eines Textteils herauszuarbeiten und Weltwis-
erfordern. Die folgende Aufgabe veranschau- sen zur Verständnissicherung heranzuziehen.
licht das Verfahren (s. Abb. Seite 277). Zwischen den OECD-Ländern bestehen Leis-
Insgesamt werden für eine Durchführung der tungsunterschiede von rund 100 Punkten, was
Studie Testitems für ca. sieben Stunden entwi- drei Schuljahren entspricht. Im Bereich natur-
ckelt, wobei die von einzelnen SuS in der zwei- wissenschaftliche Kompetenz blieben die Leis-
stündigen Testsitzung bearbeiteten Aufgaben tungen zwischen 2006 und 2015 im Durch-
variieren. Zusätzlich beantworten die SuS einen schnitt aller OECD-Länder konstant, wobei im
Fragebogen zum persönlichen Hintergrund. Einzelnen allerdings erhebliche länderspezifi-
Die Ergebnisse der P.n werden auf Leistungs- sche Schwankungen festzustellen waren. Posi-
skalen in Punkten dargestellt. Für jeden der tive Entwicklungen zeigten Portugal, Israel,
drei Kompetenzbereiche wird ein Leistungs- Norwegen und Polen, während Finnland, die
wert für jedes Land berechnet. In den P.n 2009– Slowakische Republik, die Tschechische Repu-
2012–2015 gehörten China, Singapur, Hong- blik, Australien, Griechenland, Ungarn, Hong-
kong, Südkorea, Japan und Kanada regelmäßig kong, Island und Neuseeland Verschlechterun-
zu den Ländern mit den besten Leistungen in gen im Bereich von 5–10 Punkten für die jewei-
allen Kompetenzbereichen; unter den EU-Län- ligen Dreijahresperioden zu verzeichnen hatten.
dern schnitten 2015 Estland und Finnland am Deutschland schnitt 2015 mit einem Verlust
besten ab, wobei Finnland signifikant schlech- von ca. 15 Punkten signifikant schlechter ab als
tere Ergebnisse im Vergleich zu 2006 erzielte. 2012. Zu den Testsiegern im Bereich der ma-
Es zeigt sich darüber hinaus, dass Länder mit thematischen Kompetenz zählten 2015 Singa-
höheren Bildungsausgaben nicht generell besser pur, Hongkong (China), Macau (China) und
abschneiden als Länder mit niedrigeren Bil- Chinesisch Taipeh, mit Ergebnissen, die etwa
dungsausgaben (wie z. B. Estland). Das insge- eine halbe Standardabweichung oder mehr
samt gute finnische Abschneiden wurde regel- über dem OECD-Durchschnitt liegen. Im
mäßig auf die gut ausgebildete finnische Leh- Durchschnitt der OECD-Länder blieben die
rerschaft, das LUMA-Programm zur Förderung Ergebnisse im Zeitraum 2012–2015 konstant.
der mathematischen und naturwissenschaft- In 11 Ländern, darunter Albanien und Peru,
lichen Kompetenz, geringe Klassenstärken und war ein klarer Anstieg der mathematischen
eine effektive Qualitätskontrolle (ä Qualität) Kompetenz zu verzeichnen, während der Trend
zurückgeführt. Für Estland werden Faktoren in Tunesien, der Türkei, Südkorea und in gerin-
angeführt wie der hohe Grad an Autonomie gerem Maße auch in Deutschland rückläufig
von Schulen und Lehrkräften, das inklusive war. Viel diskutiert auf Grundlage der P. wurde
Schulsystem (ä Inklusion) mit einem geringen die Frage nach dem Zusammenhang von sozia-
277 PISA-Studie

ler Herkunft und Kompetenzerwerb. Zwischen siert und es bestehe die Gefahr, dass der Unter-
2006 und 2015 verringerte sich das Ausmaß, in richt sich allein an den Testaufgaben orientiere
dem der sozioökonomische Status der Teilneh- (teaching to the test); die alleinige Konzentra-
mer/innen ein Prädiktor ihrer Leistungen ist, tion auf das Lehrbare und Messbare lasse hö-
um 1,4 Prozentpunkte auf 12,9 %. In der P. here Bildungsziele wie das Verstehen von Hu-
2015 wurde auch der Anteil benachteiligter SuS mor oder eine Wachheit für letzte Fragen außer
gemessen, die trotz eines ungünstigen sozio- Acht. Außerdem werden die statistische Signifi-
ökonomischen Hintergrunds zu den leistungs- kanz sowie die pädagogische oder politische
stärksten 25 % der SuS aller teilnehmenden Relevanz geringer Punktdifferenzen in der P. in
Länder zählen (sog. ›resiliente SuS‹). Dieser Frage gestellt (vgl. Brügelmann 2008, 3).
erhöhte sich im Durchschnitt zwischen 2006 Lit.: H. Brügelmann: Fieber genau zu messen ist noch
und 2015 um 1,3 % auf 29 %, wobei erhebli- keine Diagnose, Fieber erfolgreich zu senken keine
che gegenläufige Trends in Finnland und Tune- Therapie. Wie Leistungstests in ihren Leistungsmög-
sien zu verzeichnen waren. In Deutschland sind lichkeiten durch PISA & Co überfordert werden. Bei-
die Leistungsunterschiede in den Naturwissen- trag zum Forum »Schule ist mehr als PISA. Zur Be-
deutung reformpädagogischer Ansprüche an die
schaften bei 15-Jährigen aus der obersten sozi- schulische Bildung von heute« der ZEIT-Stiftung in
alen Schicht und Gleichaltrigen aus der unters- Hamburg am 6./7. März 2008. www2.agprim.uni-
ten sozialen Gruppe mit ca. 100 Punkten größer siegen.de/printbrue/brue.08a.pisa_refpaed2.pdf. – B.
als im Schnitt der anderen OECD-Industriena- Hurrelmann: Sozialisation der Lesekompetenz. In U.
tionen. Schiefele et al. (Hg.): Struktur, Entwicklung und För-
derung von Lesekompetenz. Vertiefende Analysen im
Kritiker weisen darauf hin, dass das utilita- Rahmen von PISA 2000. Wiesbaden 2004, 37–60. –
ristische Bildungskonzept der P. zur Standardi- M. Kitsing et al.: The Impact of Professional Capital
sierung von ä Bildung führe, wie sie z. B. auch in on Educational Excellence and Equality in Estonia. In:
den Bildungsstandards (ä Standards) für den FU Journal of Professional Capital and Community 1/3
ihren Niederschlag gefunden haben. So stelle (2016), 237–252. – OECD (Hg.): Learners for Life.
Student Approaches to Learning. Results from PISA
z. B. das Konstrukt ›Lesekompetenz‹ in der P.
2000. Paris 2003. – OECD (Hg.): Literacy Skills for
und den Bildungsstandards eine unzulässige the World of Tomorrow. Further Results from PISA
Reduktion des Verstehens- und Lesevorgangs 2000. Paris 2003. – OECD (Hg.): Learning for
dar (ä Leseverstehen), die Kompetenzen wie die Tomorrow’s World. First results from PISA 2003. Pa-
»Fähigkeit zur emotionalen Beteiligung bei der ris 2004. – OECD (Hg.): PISA 2006. Science Compe-
Lektüre« oder »zur Anschlusskommunikation tencies for Tomorrow’s World. Paris 2007. – OECD
(Hg.): PISA 2015 Results. Bd. 1: Excellence and
über das Gelesene« (Hurrelmann 2004, 40) Equity in Education. Paris 2016. – OECD (Hg.): PISA
außer Acht lasse. Bildung werde als die kor- 2015 Results. Bd. 2: Policies and Practices for Success-
rekte Handhabung von Symbolen konzeptuali- ful Schools. Paris 2016. – PISA-Konsortium Deutsch-
PISA-Studie 278

land (Hg.): Pisa 2006 in Deutschland. Die Kompeten- Da die P. als Teil der digital-medialen Um-
zen der Jugendlichen im dritten Ländervergleich. wälzungen in den Kommunikationstechnolo-
Münster 2008. – T. Jahnke/W. Meyerhöfer (Hg.): PISA
gien omnipräsent erscheint, sie das Leben,
& Co. Kritik eines Programms. Hildesheim 22008
[2006. DS Denken und Kommunizieren im Alltag durch-
dringt und unmittelbar mit Globalisierungs-
schüben (ä Globalisierung) verbunden ist, kann
Plakat ä Poster sich der FU den Produkten und dem Einfluss
der P. nicht länger entziehen. Daraus ergibt sich
eine neue Sichtweise auf die P. im FU: (1) Die P.
Planarbeit ä Offener Unterricht ist als integraler Bestandteil der Zielkultur zu
verstehen, der Denken, Handeln und Kommu-
nizieren der Menschen dort (wie in der Lerner-
Planung von Unterricht ä Unterrichtsplanung kultur) stark beeinflusst und formt. Einblicke
in die P. eines Landes sind demnach fester Be-
standteil des ä interkulturellen Lernens. (2) Da
Plenarunterricht ä Sozialformen die P. eine oftmals faszinierende Mischung aus
globalen Phänomenen und lokalen Praktiken
der Ablehnung, Aneignung oder Eigenproduk-
Podcast ä E-Learning tion darstellt, lässt sie sich auch als ›dritter
Raum‹ beschreiben – als hybride Zone, die zur
Verhandlung von Gemeinsamkeiten und Unter-
Populärkultur. Die P. war lange Zeit ein Stief- schieden bei der Erzeugung kultureller Bedeu-
kind der ä Fremdsprachendidaktik. Sie galt als tung einlädt. (3) Durch ihre vielfältigen Ange-
medial vermittelte Massenkultur – verbreitet bote zur Teilhabe, Identifikation oder emotio-
über billige Heftchen oder Schundromane, über nalen Reaktion (ä Emotion) bietet die P. ein
Kinofilme, das Kommerzfernsehen und über se- großes Motivationspotenzial (ä Motivation),
riell produzierte Tonträger. P., abgelehnt als nicht allein für den Bereich des interkulturellen
›Volksverdummung‹ oder kulturell minderwer- Lernens, sondern auch mit Bezug auf authenti-
tige Unterhaltungsware, passte zudem nicht in sche Sprachmuster (ä Authentizität), ä Gram-
althergebrachte Konzepte der ä Landeskunde, matik und ä Wortschatz, welche dort oftmals in
welche sich stark auf die Vermittlung von Fak- alltagsnahen Situationen Verwendung finden.
tenwissen über die jeweilige(n) Zielkultur(en) in Mit dieser Verschiebung der Perspektive von
den Bereichen Geographie, Geschichte, sozio- der big C culture (der offiziellen oder ›hohen
kulturelle Errungenschaften usw. konzentrierte Kultur‹) zur small c culture vollzieht sich eine
und dabei auf einem traditionellen (eher elitä- Hinwendung zu neuen ›Textsorten‹ und
rem) Verständnis von ä ›Kultur‹ (›Hochkultur‹ ä Medien. Bei der Literatur liegt der Fokus
und ›Höhenkammliteratur‹) basierte. Selbst die auf Unterhaltungsliteratur, Kriminalromanen,
ideologisch begründete Abwendung vom ›bür- Thrillern und Bestsellern, wobei dies im Um-
gerlichen‹ Bildungs- und Literaturverständnis kehrschluss nicht bedeutet, dass bei der Kon-
nach der Studentenrevolte von 1968 einerseits zentration auf literarisch weniger anspruchs-
und die fremdsprachendidaktische Hinwen- volle Texte die ästhetische Bildung (ä Literarische
dung zum neuen Paradigma der ä kommunika- Kompetenz) ins Hintertreffen gerät. V. a. aber
tiven Kompetenz in den 1970er Jahren anderer- gelangen teilweise oder ganz oral/aural sowie
seits führten zu keiner Aufwertung oder größe- visuell bestimmte Medien(träger) in das Blick-
ren Berücksichtigung der P. im kulturorientierten feld: Popsongs, Musikvideoclips (ä Musik),
FU. Erst die Erweiterung der universitären Phi- Filme (ä Filmdidaktik), TV-Serien und TV-Shows
lologien von der ä Literaturwissenschaft zur (ä TV-Didaktik), Werbung, Computerspiele so-
ä Kulturwissenschaft oder den noch stärker der wie zunehmend die interaktiven Formate der
P. zugewandten Cultural Studies sowie die neuen Medien, insbesondere des Web 2.0 (ä E-
fremdsprachendidaktische Ausrichtung auf das Learning) mit Formaten wie Facebook, Blogs,
neue Lernziel der ä interkulturellen kommuni- Diskussionsforen, aber auch soziale Medien
kativen Kompetenz hat seit den 1990er Jahren wie Twitter. Für sich oder im Zusammenspiel
sukzessive zur positiven Neubewertung der P. mit anderen ›Textsorten‹ vermögen sie ein fa-
im FU geführt (ä Kulturdidaktik). cettenreiches Kaleidoskop der fremden Kultur
279 Populärkultur

zu entfalten und laden konstant zur Stellung- durch die Konzentration auf kulturell ›minder-
nahme und Teilhabe ein. Die P. kann aber nicht wertige‹ Texte. Das Lager der politisch eher
allein als hauptsächlich elektronisch-medial re- links eingestellten Kulturkritiker operiert mit
produziertes und rezipiertes Phänomen ver- nicht unähnlichen Argumenten. In der Tradi-
standen werden. Sie ist zudem eine signifikante tion der Frankfurter Schule (Adorno, Horkhei-
inhaltliche Komponente der Zielkultur(en), die mer, Marcuse, Habermas) wird P. als seriell
es im globalen Vergleich oder mit Bezug auf die massenproduzierte Gebrauchsware abgelehnt,
eigene Kultur zu betrachtet gilt. In den Vorder- die zudem gegenwärtige Ungerechtigkeitsstruk-
grund treten hierbei Themenbereiche wie Sport turen unterstütze und verfestige, lediglich eska-
(Fußball, American football, Rugby, Basketball pistische oder sedative Funktionen erfülle und
usw.), populäre Feste und Rituale (Halloween, so weiter zur soziokulturellen ›Entfremdung‹
Weihnachten oder nichtchristliche Feste), Klei- des Individuums beitrage.
dung und Mode, Ess- und Trinkgebräuche (z. B. Derartigen Ablehnungshaltungen, welche
Frühstück oder Fast Food), Mediennutzung, zudem in didaktische Aufforderungen münden,
Freizeitgestaltung, aber auch globale Erschei- der Umgang mit der P. solle primär Einsichten
nungsformen der P., etwa internationale Pop- in deren ›Minderwertigkeit‹ und ›Manipulati-
stars wie Madonna oder Britney Spears und onsmechanismen‹ fördern, ist mit einiger Skep-
deren Gender-Konstruktionen, das globale und sis zu begegnen. Dies hat zwei Gründe: (1) Die
intermediale Harry-Potter-Phänomen oder der Rezipient/innen der P. sind keinesfalls, wie von
Erfolg beliebter Fernsehformate wie Who Kulturkritikern vermutet, »blinde Lurche«
Wants to be a Millionaire? (Adorno), also willige Empfänger/innen von zu
Trotz der zweifellos herausragenden Bedeu- immer mehr Konsum auffordernden Mediensi-
tung der P. für die Identitätskonstruktion mo- gnalen. Vielmehr können sie auf gewitzte und
derner Individuen (ä Identität und Identitätsbil- bisweilen gegen die Intention der Produzent/in-
dung) bleibt ihre Auswirkung umstritten. Päd- nen gerichtete Weise eigene Lesarten entwickeln
agogen, Bildungstheoretiker und Fremdspra- und sich die Produkte der P. mit Techniken des
chendidaktiker stehen ihr nach wie vor ambi- self-empowerment kreativ aneignen (vgl. Fiske
valent gegenüber. Der Amerikanist Christoph 1989). (2) Zugleich sind viele Produkte der P.
Ribbat (2005, 216) unterscheidet bei Einstel- auf höchst raffinierte Weise mehrfach kodiert,
lungen gegenüber der P. – mithilfe politischer d. h. mit unterschiedlichen Bedeutungsnuancen
Terminologie – zwischen kulturellen ›Tauben‹ versehen, so dass sie Lesarten von unterschied-
(doves) und ›Falken‹ (hawks). Die ›Falken‹ leh- lichem Komplexitätsgrad erlauben. Wie Steven
nen die P. als banal und trivial ab und erkennen Johnson (2006) in einer aufsehenerregenden
starke politisch und kulturell konservative und Untersuchung mit dem englischen Originaltitel
›affirmative‹ Tendenzen in der P. Für sie stellt Everything Bad is Good for You noch weitge-
die P. eine ›mediale Hölle‹ dar. Die ›Tauben‹ hender ausführt, sind z. B. TV-Serien und Com-
hingegen erkennen v. a. das dynamische, demo- puterspiele der neueren Generation von einem
kratische, egalitäre und ›befreiende‹ Potenzial erheblichen Komplexitätsgrad, der diffizile
der P. Sie entspricht hier einem ›medialen Him- Denkvorgänge erfordert und dementsprechend
mel‹ (vgl. kritisch hierzu Thaler 1999; Blell fördert.
2002). Damit ist eine nach wie vor bestehende So erscheint es eine wesentliche Aufgabe des
Grundspannung bei der Rezeption wie auch (Fremdsprachen-)Unterrichts, die Dialektik
beim Einsatz der Medien der P. sowie bei ihrer zwischen diesen beiden Positionen aufrecht zu
thematischen Behandlung im FU angesprochen. erhalten (vgl. Volkmann 2007a und b). Einer-
V. a. in Deutschland existiert weiterhin eine seits ist das starke motivationale Potenzial, der
historisch tief verwurzelte Abneigung gegen- Spaß-, Vergnügungs- und Lustfaktor der P. zu
über der P. seitens zweier sich im Grunde poli- beachten und zu nutzen. Es wäre ein falsch
tisch gegenüberstehender politischer Lager: verstandenes pädagogisches Wirken, wollte
Das Lager der Kulturkonservativen, die den man hier SuS lediglich die Freude an der P. ver-
besonderen Wert tradierter Bildungsinhalte derben. Andererseits gehört der reflektierte
hervorheben und insbesondere den traditionel- Umgang mit P. zur Medienerziehung und somit
len literarischen ä Kanon privilegieren. Sie be- zur Entwicklung von ä Medienkompetenz.
fürchten eine kulturelle Verflachung der Bil- Diese fördert bei jugendlichen Lernenden eine
dungsinhalte sowie ästhetische Verwahrlosung kritische Haltung gegenüber den Produkten der
Populärkultur 280

P. und dient dazu, die auf unterschiedliche Aneinanderreihen von einzelnen panels bei Co-
Weise verbreiteten Tendenzen sensationalisti- mics, das Erstellen von Storyboards bei Filmse-
scher Präsentation, des Sexismus, Materialis- quenzen oder das dramatische Nachspielen
mus oder des stereotypen Denkens (ä Stereotyp) bzw. die Umsetzung von Film- oder Videosze-
zu erkennen und entsprechend abzulehnen. nen. (5) Da es sich bei Comics, Werbesprüchen
Zugleich sind Begriffe wie Medienkompetenz und Popsongs um authentische Texte (ä Au-
oder TV-literacy (vgl. Sommer/Zerweck 2005) thentizität) handelt, die eingängig und von
im Sinne einer Informationsbeschaffungs und Sprachwitz gekennzeichnet sind, regen diese
-verarbeitungskompetenz zu definieren. Sie sind bereits in der Unterstufe zum Nachahmen und
darüber hinaus als ›Unterhaltungskompetenz‹ Fabulieren an und ermöglichen somit rezeptive
zu verstehen, die sich in einer gezielten und und produktive Erfolgserlebnisse. (6) Wie zwei
vernünftigen Mediennutzung ausdrückt. Themenhefte von Der fremdsprachliche Unter-
Neben diesem übergeordneten Lernziel der richt (für den Unterricht in Englisch und Fran-
Medienkompetenz können mit den Produkten zösisch) aus dem Jahr 2005 nahe legen, bieten
der P. gezielt verschiedene ä Lernziele im Bereich Comics bzw. Bandes Dessinées nicht allein
interkulturelle kommunikative Kompetenz ge- Einblicke in die Kulturgeschichte und Gesell-
fördert werden: (1) Im ›Spiel der Texte‹ (ä Inter- schaft der jeweiligen Zielkulturen (vgl. auch
textualität und Intermedialität) kann ein ziel- Ludwig/Pointer 2013), sondern eignen sich
kulturelles Thema mit ästhetisch und sprachlich durch die enge Verknüpfung von Text und Bild
anspruchsvollen Texten (Roman, Kurzge- auf vorzügliche Weise für das Erlernen unbe-
schichte, Drama) und einer Auswahl von Texten kannter Wörter, aber – aufgrund der präzisen
der P. (Cartoons, Comics, Songtexte, Clips von und knappen Formulierungen – auch für das
youtube usw.) multimedial und damit multiper- Erarbeiten typischer grammatischer Struktu-
spektivisch präsentiert werden. (2) Zugleich ren.
kann im Sinne von ä Lerner- und Produktions- Die anhaltende Skepsis gegenüber der P. sollte
orientierung die große Informationsfülle des damit einer pragmatischen Einstellung weichen.
World Wide Web bei unterschiedlichen Web- Die ä Mediendidaktik geht inzwischen nicht
Quests – auch unter Berücksichtigung der po- mehr von der Frage aus, was die Medien mit ih-
pulärkulturellen Medien – genutzt werden. (3) ren Benutzer/innen anstellen. Vielmehr lautet die
Spezielle Genres der P. wie Werbung bieten sich neue Leitfrage, welche auch für den Unterricht
hervorragend zu interkulturellen Vergleichen gilt: Was tun die Menschen mit den Medien?
oder zur Behandlung von global issues (ä Global Nach wie vor gilt jedoch: Eine einseitige Kon-
Education) an, z. B. zu Fragen der Gender-Kon- zentration auf die P. im FU würde ein eindimen-
struktion (ä Genderorientierte Ansätze). Bei sionales Bild der Zielkultur(en) vermitteln. Erst
entsprechenden Rechercheaufgaben an die SuS durch den Kontrast mit ästhetisch anspruchsvol-
lässt sich erarbeiten, wie unterschiedliche Kul- len Texten, wie es sie selbstverständlich auch bei
turen auf ein und denselben Text (Film, Song Filmen, Videos und Comics gibt, aber v. a. in der
usw.) reagieren. Hier bietet sich v. a. die Unter- fiktionalen Literatur, können sich komplexere
suchung und aktive Teilnahme an internationa- Verständniskategorien eröffnen.
len Diskussionsforen an. Schließlich kann ein
Lit.: G. Blell: Musicvideoclips im Englischunterricht.
im Unterricht behandelter Text in einem der ›Medialer Himmel‹ oder ›mediale Hölle‹? In: H. De-
üblichen Internetforen in der Fremdsprache cke-Cornill/M. Reichart-Wallrabenstein (Hg.): FU in
besprochen werden (z. B. mit einer Buch- oder medialen Lernumgebungen. FfM 2002, 195–208. –
Filmrezension bei amazon.com). (4) Bei Me- J.  Donnerstag: Der globale Erfolg amerikanischer P.
dien, welche außer der Textebene auch eine zu- als Herausforderung für sprachliches und kulturelles
Lernen. In: H. Decke-Cornill/M. Reichart-Wallraben-
sätzliche visuelle Ebene (Comics, Cartoons;
stein (Hg.): FU in medialen Lernumgebungen. FfM
ä Bilder) oder auditive Ebene (Popmusik) besit- 2002, 181–193. – J. Fiske: Reading the Popular. Bos-
zen oder diese drei Ebenen zugleich abdecken ton 1989. – G. Linke: Kulturelles Lernen mit Musik-
(Musikvideos), können die unterschiedlichen videoclips und Film. In: Praxis FU 5 (2006), 40–45. –
Wirkungsweisen dieser Ebenen fokussiert wer- S. Johnson: Neue Intelligenz. Warum wir durch Com-
den (z. B. mit den üblichen Verfahren des Weg- puterspiele und TV klüger werden. Köln 2006. –
C. Ludwig/F. E. Pointner (Hg.): Teaching Comics in
lassens; Comics: Text weglassen; Videos: sound the Foreign Language Classroom. Trier 2013. –
off/screen off; vgl. Thaler 1999). Es bieten sich T.  O’Sullivan/B. Dutton/P. Rayner: Studying the Me-
gleichfalls kreative Vorgehensweisen an wie das dia. An Introduction. Ldn 32003 [1994. – C. Ribbat:
281 Portfolio

You Can’t Hide Your Love Forever. Popular Culture dienen, benötigen nicht unbedingt Gutachten
and the German Americanists. In: Amerikastudien/ und Zeugnisse.
American Studies 1–2 (2005), 157–181. – R. Sommer/
P.s sind kein neues pädagogisches Instrument.
B. Zerweck: TV-Literacy in der Mediengesellschaft.
In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 75 In den USA und in Kanada werden sie seit den
(2005), 2–9. – E. Thaler: Musikvideoclips im Englisch- 1970er/80er Jahren in writing classes an Schu-
unterricht. Phänomenologie, Legitimität, Didaktik len und Colleges benutzt, um individuelle Lern-
und Methodik eines neuen Mediums. Mü. 1999. – L. wege aufzuzeigen und die Schreibfertigkeit der
Volkmann: Popular Culture im FU. Musicvideoclips, Lernenden als Entwicklung zu dokumentieren.
Pop Songs, Werbung. In: W. Hallet/A. Nünning (Hg.):
Neue Ansätze und Konzepte der Literatur- und Kul- Sie werden auch als Grundlage für die ä Leis-
turdidaktik. Trier 2007a, 277–291. – L. Volkmann: tungsbewertung von SuS und Studierenden her-
Reading and Teaching the Popular. ›Empowerment‹ angezogen, um eine höhere Validität als bei
by Madonna and Britney Spears? In: W. Delanoy et al. punktuellen ä Tests und Klausuren bzw. ä Klas-
(Hg.): Towards a Dialogic Anglistics. Wien u. a. senarbeiten zu garantieren. Auch als professio-
2007b, 81–104. – Themenheft »Teaching Comics«
von Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 73
nelle Dokumentensammlungen für Lehrkräfte
(2005). – Themenheft »Bandes Dessinées und Sprach- haben P.s in den USA und Kanada einen festen
arbeit« von Der fremdsprachliche Unterricht Franzö- Stellenwert, indem sie Studienleistungen der
sisch 74/75 (2005). LV angehenden Lehrer/innen und die später erwor-
benen Qualifikationen sowohl für Bewerbun-
gen als auch zur eigenen Reflexion der Lehr-
Portfolio. Der Begriff ›P.‹ bedeutet ganz allge- kräfte im späteren Berufsleben dokumentieren
mein eine Sammlung verschiedener Schriftstü- (vgl. Campbell et al. 2001; Rebel/Wilson 2002).
cke und Dokumente, die das Schaffen eines Im europäischen Bildungswesen sind P.s seit
Menschen über einen längeren Zeitraum doku- Ende der 1990er Jahre bekannt. Ausgehend
mentieren. Der Erfolg eines P.s, d. h. seine von der Förderung der ä Mehrsprachigkeit in
Funktion, seine Aussagekraft und Repräsentati- Europa und in Zusammenhang mit der Ent-
vität, hängt maßgeblich von der gelungenen wicklung des ä Gemeinsamen europäischen
Zusammensetzung der Dokumente und der Referenzrahmens (GeR) schlug der Europarat
Übersichtlichkeit der Sammlung ab. Bei der bereits 1997 den Einsatz eines European Lan-
Zusammenstellung eines P.s geht man in der guage Portfolio (Europäisches Sprachen-P.) vor,
Regel von drei wichtigen Funktionen aus: (1) das als Lernbegleiter und Informationsinstru-
Es soll eine bestimmte Lernentwicklung unter ment angelegt ist und aus drei Teilen besteht:
bestimmten Bedingungen in einem bestimmten dem Sprachenpass, der Sprachenbiographie
Zeitraum dokumentieren (prozessdiagnostische und dem Dossier. Der Sprachenpass bietet einen
Funktion). (2) Es soll bereits erbrachte und ak- Überblick über bisher erworbene Sprachen und
tuelle Leistungen dokumentieren (produktori- sprachliche ä Kompetenzen des bzw. der Ler-
entierte Funktion). (3) Auf der Grundlage der nenden. Er ist in seinem Aussehen und seiner
gesammelten Dokumente kann es auch als Pla- Struktur stark formalisiert, erfüllt eine Doku-
nungsinstrument für Lernende dienen (Pla- mentationsfunktion, ist berufsrelevant und eig-
nungsfunktion). P.s wenden sich an verschie- net sich auch als Bewerbungsunterlage. Die
dene Adressaten: Zum einen dienen sie natür- Sprachenbiographie bietet einen Überblick über
lich dem bzw. der Lernenden selbst zur die individuelle Sprachenlernentwicklung, über
Bestandsaufnahme seiner bzw. ihrer Leistungen zentrale interkulturelle Erfahrungen und Be-
und als Grundlage für die weitere Lernplanung. gegnungen des bzw. der Lernenden und enthält
Zum anderen informieren sie Behörden oder die Selbsteinschätzung der Kompetenzen nach
begutachtende Personen z. B. beim Schulwech- den Skalen und Deskriptoren des GeR. Die
sel, bei Beratungsgesprächen oder bei der Be- zentralen Schritte des Sprachlernprozesses des
werbung um eine Stelle. Um P.s zu Evaluie- bzw. der Lernenden können mit diesen Seiten
rungszwecken benutzen zu können, muss ein ebenso verfolgt werden wie sein bzw. ihr aktu-
Teil der Dokumente wie Zeugnisse, Teilnahme- eller Lernstand in einzelnen Kompetenzberei-
scheine und Gutachten obligatorisch sein; ein chen sowie die individuellen Lernpläne für die
bestimmter Prozentsatz kann in Eigenregie und Zukunft. Das Dossier enthält eine repräsenta-
je nach individuellem Lernweg beigefügt wer- tive Sammlung von Arbeiten, die der bzw. die
den. P.s, die ausschließlich der Selbstevaluation Lernende in Zusammenhang mit seinem bzw.
und eigenen Planung des zukünftigen Lernwegs ihrem Sprachenlernen vorstellen möchte. Auch
Portfolio 282

dieser Teil eignet sich für berufliche Zwecke. tät zu einem Zeitpunkt, zu dem sie im Bereich
Ursprünglich war das Europäische Sprachen-P. der logischen Operationen zu ähnlicher Kom-
(ESP) v. a. für erwachsene Fremdsprachenler- plexität noch nicht in der Lage sind. Dies bedeu-
nende als Selbstevaluationsinstrument gedacht. tet, dass auch bereits acht- bis zehnjährige SuS,
Sie sollten ihre unterschiedlichen multikulturel- also Anfänger/innen beim Fremdsprachenlernen,
len Erfahrungen und ihre in verschiedenen in der Mutter-, Zweit- und Fremdsprache durch-
Sprachen diversen Sprachkenntnisse in einer aus auf metasprachliches Wissen zurückgreifen
formalisierten Form so dokumentieren können, und dazu in altersgemäßer Weise Auskunft ge-
dass die differierenden Lernstände in den ein- ben können. Sie verfügen darüber, weil sie beim
zelnen Kompetenzbereichen und Sprachen Aufbau ihrer Lernersprache die Merkmale der
deutlich sichtbar würden. Sowohl bei Einstel- Muttersprache (L1) und der Zielsprache (L2)
lungsgesprächen als auch bei einer Lernbera- zumindest intuitiv vergleichen. Junge Lernende
tung oder bei der eigenen Lernplanung von in den Klassen 3 und 4 entwickeln zwischen-
weiteren Fremdsprachen sollte das ESP so eine sprachliche Systeme, weil sie schon Erfahrungen
ausreichende, einheitlich strukturierte und mit dem Lernen von Sprachen gemacht haben
übersichtliche Basis für Entscheidungen bieten. und diese Kenntnisse als ›Trittsteine‹ auf dem
Abweichend von diesen ursprünglichen Auf- Weg in die Fremdsprache nutzen können. Auch
gaben wurde der P.-Gedanke der Selbstevalua- bestimmte ä Lern- und Kommunikationsstrate-
tion aber auch von zahlreichen Bildungsinstitu- gien, die bereits mit der Muttersprache erlernt
tionen aufgegriffen, die Fremdsprachen vermit- wurden, können von jungen Lernenden gewinn-
teln. Ihnen wurde vom Europarat ermöglicht, bringend eingesetzt werden. Ganz allmählich
eigene, dem jeweiligen Lernkontext und der in- adaptiert der bzw. die Lernende seine Strategien
dividuellen Lernergruppe angepasste P.s zu und seine Hypothesen über Sprachregeln und
entwerfen, die die urspüngliche Struktur des nähert sich dabei der Zielsprache an (vgl. Rie-
ESP beibehalten, um eine Akkreditierung vom mer 2002, 63 f.). Es ist deshalb durchaus vertret-
Europarat zu bekommen. Akkreditierte Spra- bar, metasprachliches Wissen in einem Fremd-
chen-P.s verfügen deshalb heute zwar über die sprachen-P. anzusprechen und in angemessener
grundlegende dreigeteilte Struktur des ESP und Weise zu nutzen. Dabei ist allerdings darauf zu
über denselben Sprachenpass, passen sich aber achten, dass dies in einer für das jeweilige Alter
in ihren Inhalten und ihren Deskriptoren der und das damit verbundene Weltwissen passen-
Sprachenbiographie und auch in der formalen den Weise geschieht: Ein gutes P. sollte daher in
Gestaltung speziellen Lernergruppen und Lern- seiner Arbeitssprache anschaulich sein, d. h. es
kontexten an. Dies gilt auch für den schulischen sollte für Kinder keine und für Jugendliche mög-
Kontext der Bundesrepublik: Inzwischen gibt lichst wenig Fachterminologie enthalten; es
es sehr unterschiedliche P.s und auch elektroni- muss dem Weltwissen und den Erfahrungen der
sche Varianten, die für alle schulischen Bereiche Lernenden entsprechen; es sollte sich auf posi-
von der Primarschule bis zur Berufsschule und tive Resultate richten, nicht Defizite auflisten;
zur gymnasialen Oberstufe die Selbsteinschät- und es muss sich auf Lernprozesse und Kompe-
zung der Lernenden fördern möchten. Gerade tenzen beziehen, nicht auf bestimmte Texte oder
bei sehr jungen oder jugendlichen Lernenden Kapitel in einem ä Lehrwerk. Ein Abschnitt zu
ist ein solches Eingehen auf die lebensweltlichen language learning awareness (ä Bewusstheit/Be-
(Vor-)Kenntnisse der SuS, ihre Sehgewohnhei- wusstmachung) gehört unbedingt in ein P.; meist
ten und ihre oft noch kurzfristige Lernmotiva- findet er sich in der Sprachenbiographie, da sie
tion empfehlenswert, sollen die Lernenden doch zur Bestandsaufnahme des eigenen Lernverhal-
das P. in Eigenregie ausfüllen. tens anregt, aber auch eine Planung des zukünf-
Die Auffassung davon, was Kinder und Ju- tigen Lernwegs ermöglicht. Hier können sowohl
gendliche sprachlich mit Hilfe eines P.s evaluie- Lerntipps zu den verschiedenen Fertigkeitsberei-
ren können, hat sich in den letzten Jahren geän- chen (ä Fertigkeiten) abgerufen und eigene Lern-
dert. Nach Oerter und Montada (2008) können tipps ergänzt, als auch Beobachtungen eingetra-
wir davon ausgehen, dass sich Kinder ungefähr gen werden, die die Lernenden beim Lernen an
ab dem achten Lebensjahr explizit über Sprache sich selbst gemacht haben. Am besten fügt sich
unterhalten und auch darüber nachdenken kön- der Bereich language learning awareness parallel
nen. Kinder verfügen in Bezug auf Sprache über zu den Fertigkeitsbereichen in die Sprachenbio-
ein Strukturwissen von beachtlicher Komplexi- graphie ein. Der vom P. vorgezeichnete Ablauf,
283 Poster

zunächst die Lernenden über Lerntipps nach- sited. Bln 2006, 91–102. – D. Campbell et al.: How to
denken zu lassen, dann eigenes Lernverhalten Develop a Professional P. A Manual for Teachers.
Boston 2001. – Council of Europe: European Lan-
abzufragen, neue ä Lernziele und ä Lernstrate-
guage P. Proposals for Development. Strasbourg 1997.
gien planen zu lassen und schließlich die er- – R.  Oerter/L. Montada (Hg.): Entwicklungspsycho-
reichten Lernziele auch zu kontrollieren, ist logie. Ein Lehrbuch. Weinheim 62008 [1982. –
auch für junge Lernende schon plausibel. Er K. Rebel/S. Wilson: Das Professionelle P. in der angel-
sollte sich in einem regelmäßigen, sich nicht zu sächsischen Lehrerbildung aus deutscher und kanadi-
weit spannenden Zeitrhythmus wiederholen, scher Sicht. In: Forum Lehrerbildung 36 (2002),
60–77. – C. Riemer: Wie lernt man Sprachen? In:
damit allmählich eine Einübung erfolgt und die J. Quetz/G. von der Handt (Hg.): Neue Sprachen leh-
Lernenden mit zunehmender Sicherheit agieren ren und lernen. Bielefeld 2002, 49–82. EBM
können.
Die Arbeit mit dem Sprachen-P. bedarf der
genauen Vorbereitung durch die Lehrkraft. In Poster sind auf einer Papierseite gedruckte,
der Grundschule (ä Früher FU) wird das P. des- grafische Erzeugnisse mit verschriftlichten
halb einmal pro Schulhalbjahr im Unterricht und visuellen Formen der inhaltlichen Dar-
ausgefüllt und regelmäßig ergänzt. In der Phase stellung. Ihre Einsatzmöglichkeiten sind viel-
des ä Übergangs von der Primarschule in die fältig. Sie werden in der Werbung verwendet,
weiterführende Schulform kann das P. den auf- man setzt sie als künstlerisches Ausdrucksmit-
nehmenden Lehrkräften wichtige Informatio- tel ein oder nutzt das Format zur Präsentation
nen über den Lernstand der SuS liefern. Auch kreativer Tätigkeiten. Zu finden sind P. dort,
die spätere P.arbeit mit den Lernenden der Se- wo Inhalte einprägsam, schnell zu erfassen
kundarstufe I sollte einmal pro Schulhalbjahr oder herausfordernd sein sollen (vgl. Grözin-
stattfinden. Dieser Prozess, das wachsende ger 1994). Die P.sprache kommt ohne komple-
Weltwissen und die ansteigende Spracherfah- xes Vokabular aus, verschachtelte Formulie-
rung sorgen dafür, dass etwas ältere SuS schon rungen werden vermieden, eindeutige Bot-
mehr Sicherheit in der Selbsteinschätzung er- schaften überwiegen. Die Dominanz einiger
reicht haben und nicht mehr so stark auf die weniger, mit Illustrationen kombinierter Slo-
Hilfe durch die Lehrkraft angewiesen sind. Da gans, ermöglicht als markantes Kennzeichen
eine explizite Vorbereitung auf die P.arbeit im eines P.s die rasche Aufnahme des Dargestell-
Unterricht für jüngere und ältere Lernende sehr ten.
wichtig ist, müssen auch die Lehrkräfte durch In Lernumgebungen entstehen P. im Rahmen
Handreichungen ausführlich auf die P.arbeit selbsttätiger Schüleraktivitäten, für einige Un-
vorbereitet werden (vgl. Burwitz-Melzer 2006). terrichtsinhalte gibt es vorgefertigte Verlags-
Reflexionsfragen, ä Unterrichtsgespräche und produkte. Das Potenzial von P.n für das Errei-
eventuell auch kleine ä Sprachlernspiele oder chen von ä Lernzielen des FUs hat die deutsche
das Vortragen von Texten, Liedern und die ä Fremdsprachendidaktik frühzeitig erkannt.
Wiederholung von Vokabeln können das Als statische Medien sind P. seit den 1830er
Sprachbewusstsein der Lernenden fördern und Jahren bekannt. Großflächige Schulwandbilder
ihnen helfen, die Deskriptoren in der Sprachen- zeigten Bildfolgen, detaillierte Zeichnungen
biographie besser zu verstehen. Auch genau auf und Abbildungen alltäglicher Szenerien (ä Bil-
das P. abgestimmte Musteraufgaben sollten im- der). Die Bilder wurden für die Sprachübung
mer wieder im FU bearbeitet werden, um die und die Textarbeit gleichermaßen genutzt: Sie
oft abstrakte Sprache der Deskriptoren zu ver- visualisierten Vokabeln (ä Visualisierung), bet-
anschaulichen. Solche Stützphasen können vor teten Strukturübungen ein und lösten ganz all-
Beginn der P.arbeit bereits aufgenommen wer- gemein wiederholende und festigende Sprach-
den und sollten die P.arbeit begleiten. Eine gute aktivitäten aus. Im modernen FU sind die
Lehrerhandreichung wird ausreichend Anre- Demonstration und Elizitation als wichtige di-
gungen für solche Unterrichtsphasen zur Verfü- daktische Grundfunktionen erhalten geblieben
gung stellen und die Lehrkräfte methodisch (vgl. Gehring 2015). Bei der Einführung leisten
anleiten, P.s im FU in allen Schulformen und P. einen ersten Überblick über das Neue und
Jahrgangsklassen einzusetzen. skizzieren plakativ Grobstrukturen der anvi-
Lit.: E. Burwitz-Melzer: Motivation durch Selbst- sierten eingehenden inhaltlichen Auseinander-
einschätzung. Fremdsprachen-P.s für die Klassen 3 bis setzung. Während der Verarbeitung von Inhal-
10. In: A. Küppers/J. Quetz (Hg.): Motivation Revi- ten verhelfen sie dazu, Zwischenergebnisse
Poster 284

festzuhalten und vorzustrukturieren. In Siche- Forschungs-P. (vgl. Abb. sowie Gehring 2015,
rungsphasen unterstützen P. die Visualisierung 137).
von Regularitäten oder Sachzusammenhängen Authentische Umgebungen sind wissen-
für Daueraushänge. Demonstrations-P. können schaftliche Tagungen und Konferenzen, wo
durch aktive Lerntätigkeiten sukzessive erwei- Forschungs-P. im Rahmen einer P.session prä-
tert und verdichtet werden. In erster Linie pro- sentiert werden. Hinsichtlich des Aufbaus der
duktiv ausgerichtet sind P. als Elizitationsme- IMRaD-Struktur folgend (introduction, me-
dien. In dieser Funktion stellen sie visuelle und/ thods, results a(nd) discussion) wird im P. das
oder verbale Initiationsimpulse für sprachliche Forschungsdesign abgebildet, wesentliche
Aktivitäten dar. Das Festhalten von Resultaten Schrittfolgen, Resultate und Erkenntnisse sind
auf Dokumentations-P.n dient der Speicherung festgehalten. Die Betrachter/innen soll das P.
von Inhalten, die durch Lernprozesse hervorge- anregen, Fragen zu stellen oder P.aspekte zu
bracht worden sind. Phasen, in denen ä Vorwis- kommentieren und zu diskutieren.
sen und spontane Meinungsbilder visualisiert P. erweisen sich in einem FU als besonders
werden sollen, führen meist zu spontan entwor- geeignet, dem es auf ä situiertes Lernen, prakti-
fenen P.n, sie sind z. B. das Resultat einer ko- sches Lernen und ä forschendes bzw. ä entde-
operativ durchgeführten Sammelaktivität. Im ckendes Lernen ankommt. P. unterstützen Be-
weiteren Verlauf können die schriftlich fixier- mühungen, selbstgesteuertes Lernen im Unter-
ten Punkte Änderungen erfahren. Höhere An- richt zu realisieren, die Verwendungen der
forderungen an Inhalt und Gestaltung ver- Fremdsprache in einen authentischen Hand-
bindet man mit P.n, die über Ergebnisse einer lungsrahmen zu integrieren und sie als Arbeits-
Aufgabe oder eines Projekts informieren. Do- mittel zur Problemlösung einzusetzen. Nicht
kumentations-P. erlauben nicht nur die Darbie- zuletzt der ä bilinguale Unterricht kann von der
tung von Sachzusammenhängen. Auch Pers- funktionalen Vielfalt der P. in sachorientierten
pektiven und Strategien, Interpretationen und Diskursen profitieren.
Zugriffsformen können in die Klassengemein- Lit.: W. Gehring: Unterrichtsposter als Lehr- und
schaft kommuniziert werden (vgl. Gudjons Lernmedien für fremde Sprachen. In: C. Hecke/
1998, 111 f.). Demonstration, Dokumentation C. Surkamp (Hg.): Bilder im FU. Neue Ansätze, Kom-
und Elizitation vereinen sich funktional im petenzen und Methoden. Tüb. 22015 [2010, 127–145.

What are the components of a research poster?


name, grade, institution

Abstract Results Conclusion

What is your study about?


What did you find? What is the significance
of your results?
Introduction

What did you study and


why?

Methods Literature cited

How did you do the What references did you


study? use?

Bestandteile eines Forschungsposters (nach Gehring 2015, 137)


285 Präsentation

– K. Grözinger: Gestaltung von Plakaten. Mü. 22000 Informationen, Techniken des Gliederns und
[1994. – H. Gudjons: Didaktik zum Anfassen. Bad Strukturierens oder der Zusammenfassung von
Heilbrunn 32003 [1998. WG
Informationen und auf handwerkliche Grund-
techniken wie die Gestaltung und Nutzung von
Präsentation. Die P. realisiert zentrale Ziele ei- P.shilfen und -medien sowie Vortragstechniken
nes handlungsorientierten Unterrichts (ä Hand- und Techniken der Gesprächsführung und des
lungsorientierung) und wird als Basisqualifika- Zuhörens. Darüber hinaus sind Strategien der
tion in schulischen wie außerschulischen Kon- planvollen Zusammenarbeit und der Arbeits-
texten gefordert. Ziel einer P. ist es, vermittelt und Zeitplanung relevant sowie unterschiedli-
durch eine oder mehrere präsentierende Perso- che Formen der Selbst- und Fremdeinschätzung
nen, Wissen, Informationen und Inhalte ziel- von Lern- und Arbeitsergebnissen und -prozes-
und lerngruppenorientiert unter Nutzung von sen (vgl. Fritsch 2005a, 4).
Medien, P.shilfen oder szenischen Darstellun- Die Kompetenzen für eine P. im FU, die mög-
gen weiterzugeben. Der Kommunikationspro- lichst viele dieser Techniken und Strategien ef-
zess zwischen Präsentierenden und Zuschauen- fektiv nutzt, entwickeln sich erst im Verlauf ei-
den bzw. -hörenden kann darauf abzielen, Wis- nes Lernprozesses in der Fremdsprache. Sie sind
senstransfer zu sichern, Diskussionen anzuregen immer in Abhängigkeit zum jeweiligen Grad
oder Rezipient/innen zu überzeugen; er bezieht der Sprachkompetenz zu sehen, tragen aber
die Zuhörenden aufnehmend, nachfragend auch stets zu deren Entwicklung bei. So kann
oder aktiv handelnd ein. Die zu vermittelnden der Vortrag eines Schülers in Klasse 5, der sein
Inhalte sollen anschaulich, leicht verständlich Haustier auf einem Plakat vorstellt, ebenso wie
und dabei Interesse und Neugier weckend auf- eine Gruppenpräsentation zum Thema »Wild-
bereitet und dargeboten werden. P.en entspre- life in Australia« in einer Plakatausstellung im
chen der globalen Zielprojektion des Lehrens Rahmen einer Vernissage (gallery walk) in
und Lernens in den neuen Sprachen, die eine Klasse 9 die Ansprüche an eine gelungene P. in
integrale Vermittlung ä kommunikativer, ä in- der Fremdsprache erfüllen. Die Entwicklung
terkultureller und methodischer Kompetenzen der notwendigen Kompetenzen muss als Ge-
(ä Methodenkompetenz) fordert. Sie werden im samtprozess gesehen werden, der sich alters-
fachspezifischen wie im fachübergreifenden bzw. leistungsadäquat geordnet in einem sich
Kontext der Bildungsstandards (ä Standards) stetig erweiternden und vertiefenden Verfahren
als eine zentrale Qualifikation gesehen, die im abbilden lässt und der curricular festgeschrie-
Rahmen geeigneter Aufgaben sowohl vielfältige ben werden sollte. In einem spiralförmig aufge-
Möglichkeiten der Sprachanwendung und -ent- bauten Curriculum für das Präsentieren können
wicklung als auch der Förderung methodisch- für jeden Jahrgang spezifische P.en und mögli-
strategischer Kompetenzen und des ä autono- che Lernprodukte festgelegt und gezielt zu ver-
men Lernens eröffnet. mittelnde methodisch-strategische Kompeten-
Die weitgehend selbständige schrittweise Er- zen ausgewiesen und in einem ä Portfolio er-
arbeitung einer P. erfordert von Lernenden fol- fasst und dokumentiert werden. Wenn das
gende Arbeiten und Denkleistungen: Ideen zur grundlegende Kompetenzrepertoire für die
Bearbeitung des Themas sammeln, auswählen selbständige Vorbereitung und Durchführung
und strukturieren; einen Arbeits- und Zeitplan einer P. einmal gefügt ist, kann es in unter-
erstellen; in alten und neuen ä Medien aufga- schiedlichen Lernarrangements und Aufgaben
benbezogen recherchieren; Informationen aus genutzt werden. Darüber hinaus sollte die Un-
fremdsprachigen Quellen verstehen, auswählen terrichtstätigkeit der Lehrperson angemessenes
und aufbereiten; passende P.shilfen und Zusatz- Präsentieren durch den konsequenten Einsatz
materialien ausarbeiten (auch unter Zuhilfe- von Moderations- und Visualisierungstechni-
nahme von ä Visualisierungen); die P. kompe- ken und die Nutzung unterschiedlicher Medien
tent und zieladäquat in der Fremdsprache reali- bei der Vermittlung von Unterrichtsinhalten
sieren; Fragen beantworten bzw. in einer immer wieder konkret handelnd ausweisen.
Diskussion erörtern und den Erarbeitungspro- In der Nutzung der Fremdsprache bei P.en
zess und die Ergebnisse reflektieren und bewer- gibt es im Bereich der übergreifenden methodi-
ten. Die korrespondierenden methodisch-stra- schen Kompetenzen sprachenspezifische Un-
tegischen Kompetenzen beziehen sich auf die terschiede. Während in ä Englisch bereits in
Aufnahme, Verarbeitung und Weitergabe von Klasse 5 einfache Regeln des guten Vortrags,
Präsentation 286

der Nutzung von Stichwortkarten oder der Primarbereich ä Früher Fremdsprachenunter-


Plakatgestaltung (ä Poster) zum Gegenstand richt
des Unterrichts und der Reflexion in der Ziel-
sprache werden können, muss in anderen
Fremdsprachen wie z. B. ä Französisch in der Produktionsorientierung ä Handlungsorientie-
Regel stärker unterstützt oder auf die Mutter- rung
sprache zurückgegriffen werden.
Zur schrittweisen Ausarbeitung einer spezifi-
schen P. sind Leitfäden ein hilfreiches Instru- Produktorientierung ist ein wichtiger Aspekt
ment (vgl. Methodenkompetenz-Trainer 2009, der ä Handlungsorientierung, die wiederum ein
25, 47, 81 f.), das bedarfsbezogen dem Lern- zentraler Bestandteil des Konzepts der ä Lerner-
stand angepasst, durch gezielte methodische orientierung ist. Handlungsorientierung zielt
und linguistische Hilfen ergänzt und durch Vi- im FU darauf ab, Lernsituationen zu schaffen,
deo-Dokumente veranschaulicht werden kann in denen die Lernenden Gelegenheit erhalten,
(vgl. DVD Mündlichkeit/Präsentieren 2007, Vi- ihre Intentionen durch Sprach-Handeln zu rea-
deosequenzen). Die notwendigen Planungs- lisieren (vgl. Bach/Timm 2013). Im aktiven
schritte werden den SuS vorgestellt und prak- Vollzug sprachlicher Kommunikation wird bei
tisch erprobt, z. B. durch das Formulieren eines hoher ä Motivation und mit großer Nachhaltig-
attention-getters, das Sammeln von sprachli- keit ä kommunikative Kompetenz aufgebaut.
chen Mitteln zur Strukturierung eines Vortrages Das Lernen wird zusätzlich intensiviert, wenn
oder durch Sprechübungen in Verbindung mit die Handlungsorientierung mit P. verknüpft
dem Einsatz von Visualisierungen. Rückmel- wird. Es kommt zu einem ä ganzheitlichen Ler-
dungen durch andere SuS und Lehrpersonen nen, zu einer engen Verbindung von Denken
helfen Lernenden einzuschätzen, wieweit es ge- und Handeln, wenn die SuS im Unterricht (und
lungen ist, eine P. entsprechend der Planungen auch in häuslicher Vor- und Nacharbeit) Pro-
umzusetzen (vgl. Methodenkompetenz-Trainer dukte (z. B. Gedichte, Hörspiele, Collagen, Um-
2009, 27, 50, 67 f., 91 ff.). Feedback-Rituale fragen, Internet-Recherchen) erstellen. Die
und unterschiedliche Instrumente der Selbst- bloße Produktion bringt allerdings keine Berei-
und Fremdeinschätzung sollten so früh wie cherung des FUs. Die Herstellung von Popcorn
möglich eingeführt werden. Dabei sollen P.en im Unterricht z. B. mag zwar einen Motivati-
als Erfolgserlebnisse und Quellen des Lernzu- onsschub bewirken, doch ohne eine enge Ver-
wachses für Beurteilte und Beurteilende erlebt bindung der Handlungen mit Sprach-Handeln
werden. Das Präsentieren verlangt Formen der ist kein Lernzuwachs für die Kommunikations-
ä Leistungsbewertung, die fachbezogene und fähigkeit zu erwarten. Es muss zu einem Lernen
fachübergreifende Kompetenzen integrieren. durch Interaktion kommen (ä Unterrichtsinter-
Dazu können standardisierte Kompetenzraster aktion). Die Planung, Vorbereitung, Durchfüh-
(rubrics) oder mit SuS erarbeitete Beobach- rung und Auswertung der Aktion muss beglei-
tungs- und Bewertungsbögen genutzt werden tet werden von einer fortwährenden Inter-Ak-
(vgl. Fritsch 2005b, 33), die den Arbeitsprozess, tion der Lernenden; dies wird durch den
das Produkt und seine Darstellung einbeziehen. Einsatz der Unterrichtsformen Partner- und
Lit.: Cornelsen Verlag: Methodenkompetenz-Trainer Gruppenarbeit (ä Sozialformen) gewährleistet.
A plus! 3 + 4. Bln 2009. – Friedrich-Verlag: DVD P. tritt immer wieder im Zusammenhang mit
Mündlichkeit/Präsentieren. Seelze 22007. – A. Fritsch: ä Projektunterricht auf. Dort ist der zentrale
Präsentieren im Englischunterricht. In: Der fremd- Ort, um durch die Verbindung von Denken,
sprachliche Unterricht Englisch 76 (2005a), 2–11. –
A.  Fritsch: Präsentieren, beobachten, rückmelden. Sprechen und Handeln allgemeine und fachspe-
Durch Feedback zum Lernerfolg. In: Der fremd- zifische ä Lernziele zu erreichen. Man kann P.
sprachliche Unterricht Englisch 76 (2005b), 30–36. – aber auch in kleinerem Rahmen in den Unter-
A. Pauley/K. Ryan: Speak Well? Of Course You Can!!! richt integrieren, ohne zu warten, bis ein so
Resources and Exercises for School Oral Presenta- komplexes Verfahren wie ein Projekt ansteht
tions. Northgate 2003. AF
(vgl. Schiffler 1998).
Lit.: G. Bach/J.-P. Timm (Hg.): Englischunterricht.
Tüb./Basel 52013 [1989. – L. Schiffler: Learning by
Pragmatische Kompetenz ä Kommunikative Doing im FU. Handlungs- und partnerorientierter FU
Kompetenz mit und ohne Lehrbuch. Ismaning 1998. MA
287 Progression

Professionalisierung ä Lehrerforschung Hör-Sehverstehensschulung die Fähigkeit, au-


thentisches Englisch/Französisch/Spanisch usw.
(Merkmale der gesprochenen Sprache) und die
Professionsforschung ä Lehrerforschung ä nonverbale Kommunikation zu verstehen. Die
kommunikative P. im Bereich des Mündlichen
zielt auf die Fähigkeit, komplexere spontan-
Progression. Allgemein versteht man unter P. sprachliche Äußerungen frei zu generieren. Eine
die allmähliche Entwicklung oder die Steige- überlegte P. in der Entwicklung des Leseverste-
rung eines Zustandes und seine Überführung in hens soll die Lernenden zur selbständigen Tex-
einen anderen Zustand bzw. die Reihung oder tentschlüsselung führen, die Fähigkeit entwi-
Abfolge von Zuständen. In der Didaktik des ckeln, unbekannte Redemittel aus dem Kontext
institutionalisierten Fremdsprachenerwerbs ist zu dekodieren (ä Kontextualisierung), und zum
damit die Auswahl und Anordnung des Lern- Einsatz unterschiedlicher Lesestrategien für
und Lehrstoffs gemeint, die sich an den jeweili- verschiedene Textsorten befähigen. Die Ent-
gen Profilen einer Schulkategorie ausrichten. wicklung der Schreibfähigkeit endet mit dem
Die sukzessive Abfolge der Lerninhalte orien- deklarativen und prozeduralen ä Wissen um
tiert sich dabei an der zur Verfügung stehenden Textgenres (ä Generisches Lernen) und der Fä-
Unterrichtszeit und an den angestrebten ä Kom- higkeit, lernerrelevante Textsorten zu produzie-
petenzen, über die die Lernenden am Ende ihrer ren. Eine deutliche P. im Bereich der Sprach-
Schulzeit verfügen sollen. Im Gegensatz zum mittlung fokussiert auf die Fähigkeit der Ler-
ungesteuerten Fremdsprachenerwerb außerhalb nenden, die passenden Translationstechniken
von Lerninstitutionen sind beim schulischen anzuwenden, die eine Sprachmittlungsaufgabe
Fremdsprachenlernen eine Vielzahl an P.en bzw. erfordert. Auch im sozio-kulturellen Bereich (3)
P.ssträngen zu bedenken, die aufgrund von Lehr- wurden P.en ausgearbeitet, die in der Grund-
planvorgaben (ä Lehrplan) v. a. in den ä Lehr- schule mit den sichtbaren Unterschieden im
werken zu erkennen sind. Das äußerst kom- Alltag gleichaltriger SuS im Zielsprachenland
plexe Bündel an P.ssträngen kann man dort (im Hinblick auf Erziehung, Essen, Kleidung
entsprechend der vier Teilbereiche, die die usw.) beginnen und dann beispielsweise zur
ä kommunikative Kompetenz ausmachen, un- vertieften Reflexion über die Wertekultur anre-
terteilen: (1) P. in den sprachlichen Systemen gen. Die hohe Bedeutung des strategischen
(ä Wortschatz, ä Grammatik, ä Aussprache, Vorgehens beim Fremdsprachenerwerb (4)
ä Orthographie), (2) P. bei den ä Fertigkeiten zeigt sich heute sehr deutlich in einem reichen
(ä Hörverstehen, ä Sprechen, ä Leseverstehen, Angebot an Lerner- und Kommunikationsstra-
ä Schreiben, ä Sprachmittlung), (3) P. im sozio- tegien, die im Unterricht vorgestellt und erprobt
kulturellen Bereich, d. h. beim ä interkulturellen werden. Auch diese Teilkompetenz kann gezielt
Lernen und (4) P. im strategischen Bereich. progressierend beschrieben werden.
Beim Wortschatzerwerb (1) sollte eine deutliche Übungskorpora (ä Übung) unterliegen eben-
P. verfolgt werden, die eine eigenverantwortli- falls einer P., die eine Steigerung in der Komple-
che Verwaltung der Wortschatzinventare an- xität, in der Steuerung durch Lernhilfen (ä Scaf-
strebt und die Einsichten in die Wortbildung folding) und durch die Integration unterschiedli-
ermöglicht. Die grammatische P. führt die Ler- cher skills einfordern (Aufgabenprogression).
nenden zum selbständigen Erkennen grammati- Schließlich wird in der jüngsten schulpolitischen
scher Regelhaftigkeiten. Sie ist bis dato linguis- Diskussion auch eine P. nach Lernarten disku-
tisch nicht überzeugend begründet und steht in tiert, durch die sich die jeweiligen Lernjahre
einer eher wenig überzeugenden Schulbuchtra- schwerpunktmäßig unterscheiden, z. B. Lern-
dition. Um eine ausreichende Aussprache- und jahre 1 bis 4: multisensorisches, spielerisches
Rechtschreibsicherheit zu garantieren, müssen und ä ganzheitliches Lernen; Lernjahre 5 und 6:
die einschlägigen Lerninhalte in eine orthogra- stärker lehrwerkorientiertes Lernen mit Kurs-
phisch-phonetische P. gebracht werden. Leider charakter; Lernjahre 7 und 8: projektorientier-
werden beide Bereiche oftmals nur marginal im tes, bilinguales, auch mehrsprachiges Lernen
Unterricht behandelt. Die P.sstränge in den (ä Projektunterricht, ä Bilingualer Unterricht,
Fertigkeiten (2) müssen lernpsychologisch akri- ä Mehrsprachigkeit); Lernjahre 9 und 10: stär-
bisch genau auf die angestrebten Kompetenz- ker berufsorientiertes und multimediales Lernen;
profile ausgerichtet sein. So steht am Ende der weitere Lernjahre: ä autonomes Lernen. Ab-
Progression 288

schließend sei betont, dass der schulische Fremd- und Förderung ä kommunikativer Kompeten-
sprachenerwerb immer auf reflektiert erstellte P. zen deutlich machen (vgl. Minuth 2012). P.
angewiesen ist. Dies rechtfertigt allerdings keine kann sowohl ausschließlich auf Texte rekurrie-
lineare Zementierung, die kreatives (ä Kreativi- ren (fiktionale Texte, Sachtexte, Webtexte) als
tät) und ä situiertes Lernen verhindern würde. auch direkte Begegnungen mit Sprecher/innen
Lit.: K.-R. Bausch et al. (Hg.): FU im Spannungsfeld der Zielsprache (Flughafen) bzw. medial ver-
von Inhaltsorientierung und Kompetenzbestimmung. mittelte Begegnungen (klassische wie digitale
Tüb. 2009. WK ä Korrespondenz und Telekollaboration) ein-
schließen. Um überhaupt als Projekt gelten zu
können, müssen Unterrichtprozesse zumindest
Projektunterricht ist eine Unterrichtsform, die klar erkennbare Phasen der gemeinsamen The-
den Lernenden bei der Festlegung der Themen menkonkretisierung, der Planung, der arbeits-
und Arbeitsweisen ein hohes Maß an Mitbe- teiligen Bearbeitung von Fragestellungen, der
stimmung zuweist und auf arbeitsteilig koope- Vorbereitung von ä Präsentationen, der Ergeb-
rative Formen der Problemstellung, Problemlö- nispräsentation und der Evaluation aufweisen,
sung und Ergebnispräsentation setzt (ä Koope- die je nach Projekt, Altersstufe und Sprach-
ratives Lernen). Sie berücksichtigt die Interessen kompetenz unterschiedlich komplex ausfallen
der Lernenden und stärkt ihren Ausdruckswil- können (vgl. Frey 2012; Stoller 2002).
len, schließt aber die Möglichkeit pädagogi- Galt der P. lange Zeit als marginale Unter-
scher Interventionen der Lehrkraft nicht aus. richtsform, so erfreut er sich steigender Beach-
Planung und Realisierung von P. erfordern kon- tung. Dazu trägt nicht nur die von der digitalen
tinuierliche Aushandlungen aller Beteiligten. In Revolution im Bildungsbereich erzwungene
der ä Fremdsprachendidaktik beginnt die Dis- Neubestimmung des ä Lehr- und Lernorts Klas-
kussion um P. mit der kommunikativen Wende senzimmer bei, sondern in gleicher Weise die
als Teil der gesellschaftlichen Reformprozesse Debatte um ä Schlüsselqualifikationen: Team-
der 1970 und 1980er Jahre, die sich u. a. für die fähigkeit und selbständige Problemlösungs-
Demokratisierung von Bildung und Gesell- kompetenz können sich eher im P. entfalten als
schaft stark machten (ä Kommunikativer FU). in einem zentral von der Lehrkraft gesteuerten
Seine philosophisch-pädagogischen Wurzeln Lehrgang (ä Lehrerzentrierung). Das gestiegene
reichen jedoch in die ä Reformpädagogik und Interesse am P. erfordert ein verstärktes Bemü-
den amerikanischen Pragmatismus (John De- hen um die von der Forschung wenig beachte-
wey, William Heard Kilpatrick) zurück (vgl. ten Brennpunkte der Unterrichtsform. Diese
Hänsel 1999). betreffen u. a. die Projektkompetenz der Lehr-
Als Beispiel für fremdsprachlichen P. gilt das kräfte, die Aufgaben (ä Aufgabenorientiertes
Airport-Projekt, bei dem SuS einer 6. Gesamt- Lernen) und ihre Verschränkung mit ä Übungen
schulklasse ihre Sprachkompetenz auf einem in- in den Projektphasen sowie die ä Leistungser-
ternationalen Flughaften testen, nachdem sie mittlung und ä Leistungsbewertung unter Ein-
sich durch Training der sprachlichen, medialen beziehung der Lernenden.
und sozialen ä Fertigkeiten auf den kommunika- Lit.: K. Frey: Die Projektmethode. Weinheim/Basel
tiven Ernstfall vorbereitet haben. Die von Klein- 12
2012 [1982. – D. Hänsel (Hg.): Handbuch P. Wein-
gruppen auf dem Flughafen durchgeführten und heim 21999 [1997. – M. Legutke: Projekt Airport
aufgezeichneten Interviews in englischer Sprache Revisited. Von der Aufgabe zum Szenario. In:
A. Küppers/J. Quetz (Hg.): Motivation Revisited. Bln
werden dann im Unterricht mit Unterstützung 2006, 71–80. – Ch. Minuth: Fremdsprachenlernen in
der Lehrkraft sprachlich weiter bearbeitet, in Projekten. Bad Heilbrunn 2012. – M. Schart: Was ist
Lernertexten (Berichten, Plakaten, collagierten eigentlich P.? Ein fiktives Gespräch über eine vage
Kurzporträts) dokumentiert sowie schließlich Idee. In: Info DaF 30/6 (2003), 576–593. – R. Stoller:
präsentiert und bewertet (vgl. Legutke 2006). Project Work. A Means to Promote Language and
Content. In: J. Richards/W. Renandya (Hg.): Metho-
In der Fachdiskussion wird zu Recht der in- dology in Language Teaching. An Anthology of Cur-
flationäre Gebrauch des Begriffs moniert, des- rent Practice. Cambridge 2002, 107–119.
sen Inhalt und Umfang vielfach vage bleibt (vgl. ML
Schart 2003). Andererseits sind in der Literatur
zahlreiche Beispiele dokumentiert, die die
Grenzen fremdsprachlichen P.s kritisch auslo- Prozessorientierung heißt, dass auf die irrtums-
ten und zugleich sein Potenzial zur Entwicklung behaftete Natur von Lernprozessen geachtet
289 Prozessorientierung

wird. Sie wendet sich gegen Lehrverfahren, die wird. Textverstehen fordert ein kontrolliertes
Fehler nicht dulden wollen und vorschreiben, Wechselspiel von bottom up- und top down-
wann welche Formen und Inhalte gelehrt wer- Prozessen (ä Leseverstehen), das geübt werden
den sollen, wobei den Lehrenden eine primär kann (vgl. Bredella 1987). So müssen Worte
formale Korrektheit der Sprachäußerungen als und Sätze zwar im Einzelnen verstanden wer-
Maßstab dient, was ignoriert, dass nicht immer den, sie gewinnen für uns aber erst Sinn, wenn
alles, was gelehrt wird, auch gelernt werden wir sie im Kontext des uns Verständlichen in-
kann. Die P. will den Lernenden zeigen, wie sie terpretieren. Das kann zum einen zur konflikt-
Lernprobleme bewältigen können. Sie plädiert freien Erweiterung alter Wissensbestände füh-
für die Förderung von ä autonomem Lernen ren, es kann von uns aber auch eine dramati-
und ä Lernstrategien; sie beachtet, dass Ler- sche Neuordnung unseres Wissens verlangen.
nende neues ä Wissen mental nur dann inte- Sachtexte bieten Informationen und Muster für
grieren und nutzen können, wenn ihr ä Vorwis- das Lösen von Problemen; literarische Texte
sen es erlaubt. Sie folgt damit der alten Weis- laden zum einfühlsamen Erfahren eines uns
heit, dass man die SuS da abholen muss, wo sie noch Fremden ein. Beides kann ergänzt werden
sind. durch Textverarbeitungsgespräche, in denen
Die P. hat ihren Hintergrund in rezeptions- die Gespräche mit anderen dazu führen, dass
theoretischen und konstruktivistischen Theo- wir neue Perspektiven auf das Gemeinte ken-
rien (ä Konstruktivismus) und der Spracher- nenlernen. Beim Leseverstehen handelt es sich
werbsforschung (ä Spracherwerb und Spracher- also, wie beim ä Fremdverstehen, um einen Bil-
werbstheorien). Die empirischen Studien der dungsprozess, in dem nicht nur neue Bausteine
Letzteren zeigen, wie das mental gespeicherte zu alten hinzufügt werden, sondern auch die
Sprachkönnen darüber entscheidet, wann wel- Fähigkeit zum Perspektivenwechsel gefördert
che neuen Sprachformen korrekt verwenden wird (ä Perspektive und Perspektivenwechsel).
werden können. Das wird auch generative en- Das schließt ein, dass sich damit unser Wissens-
trenchment genannt (vgl. Pienemann 1998), bestand und geistige Horizont ändert (vgl. Bre-
wozu der Merkspruch »you cannot jump sta- della 1995). Texte fordern uns heraus, zu er-
ges« passt. Ein Beispiel ist, dass im Englischen gründen, warum andere Menschen die Welt
das ›-s‹ der dritten Person Präsens-Singular nach anderen Kategorien beurteilen als wir.
selbst im natürlichen Spracherwerb erst viel Kulturdidaktisch liegt der Wert der P. also
später als andere Formen des Präsens korrekt darin, dass sie Lernenden bewusstmacht, dass
verwendet wird, woran Regelerklärungen nichts es eine Welt ohne Perspektivenvielfalt und Pers-
ändern können (vgl. Keßler 2008). Zu beachten pektivendifferenzen nicht gibt.
ist also, dass es Sprachlernstufen gibt, die Wörter und Sätze haben in jeder Sprache ihre
›Formfehler‹ enthalten, die durch kein Regel- Kernbedeutung, aber auch Nebendeutungen.
pauken verhindert werden können. Das zeigt, Sie zu verstehen verlangt, damit klarzukom-
wie im FU zeitraubende und demotivierende men, dass sich ihre Bedeutung kontextabhängig
Formübungen vermieden werden und Zeit für ändern kann. So verwundert und ärgert die SuS
andere Erklärungen und ä Übungen gewonnen im FU häufig die Tatsache, dass ein Wort mal
werden kann, an die das verfügbare prozedu- diese und mal jene Bedeutung haben kann. Sie
rale Wissen mit Aussicht auf Erfolg anknüpfen finden sich mit der irritierenden Tatsache kon-
kann. Neuere ä Lehrpläne (ä Gemeinsamer eu- frontiert, dass es keine eindeutige Bedeutungs-
ropäischer Referenzrahmen) sprechen sich für relation zwischen zwei vermeintlich gleich-
eine P. aus. wertigen Spracheinheiten gibt. Sie müssen er-
Aus text-, literatur- und kulturdidaktischer kennen, dass die Bedeutung von Wörtern
Sicht (ä Literaturdidaktik, ä Kulturdidaktik) kor- wandelbar sein kann und doch nicht willkür-
respondiert P. mit der aus der Verstehensfor- lich interpretierbar ist. Damit ist eine Parallele
schung bekannten Einsicht, dass Verstehens- zu einer generellen Lebensaufgabe angespro-
prozesse prinzipiell nicht abschließbar sind, chen, auf die bilinguales Lernen vorbereiten
weil das Erreichen einer absoluten Wahrheit kann (ä Bilingualer Unterricht), nämlich die
unwahrscheinlich ist (ä Verstehen). Verstehens- der Identitätsbildung und Identitätsbewahrung
theorien gehen von einem Wechselspiel von (ä Identität und Identitätsbildung). Das Lernen
Vorwissen und neuen Informationen aus, durch bewegt sich im Spannungsfeld von alten Hand-
das ein leistungsstärkerer Wissensstand erreicht lungs-, Denk- und Sprechgewohnheiten und
Prozessorientierung 290

der damit konkurrierenden Erfahrung, dass besprochen werden. So sollen Ausdrucksweisen


weder ein Beharren auf eingefahrenen Ge- gelernt werden, die der ä Authentizität gerecht
wohnheiten noch ein Raten dazu geeignet sind, werden und (lernmotivierend) den Zugang zu
mit den Herausforderungen des Lebens zu- Sprachformen ebnen, mit denen die SuS sagen
rechtzukommen. Zu lernen ist also, dass man können, was sie sagen wollen.
einen eigenen Standpunkt braucht und ihn Mitteilungsorientierte Ansätze werfen aller-
nicht vorschnell aufgeben sollte, dass man aber dings die Frage auf, wie mit ä Fehlern umzuge-
auch nicht den nötigen Respekt vor den Rech- hen ist. Hier sind Ratschläge unbefriedigend,
ten anderer sowie kommunikativ und sozial die sich darin erschöpfen, Fehlertoleranz zu
etablierter Normen verweigert. empfehlen. Die Processabilty Theory propa-
Was die ä Sprachdidaktik betrifft, hat Man- giert nicht, dass bloßer comprehensible lan-
fred Pienemann (1998) in seiner auf empiri- guage input ausreicht; sie argumentiert, dass
schen Studien basierenden Processability The- bewusstmachende Erklärungen nötig sind,
ory nachgewiesen, dass sich der Zweitspracher- wenn Fehler über den developmental stage
werb in einer hierarchy of processing stages hinaus gemacht werden, bis zu dem die pro-
vollzieht, die für alle Sprachen gilt. Es muss cessability einer Sprachform erreicht sein sollte.
hervorgehoben werden, dass sich die Stufen So gilt zwar die Aussage »you cannot jump
dieser processing stages stark von denen der stages«, aber auch die, dass Lernfortschritte hin
herkömmlichen grammatischen ä Progression zu einem grammatisch korrekten Sprachge-
in Lehrplänen unterscheiden. Letztere wollen brauch erschwert werden, wenn den Lernenden
das ›Einschleifen‹ formaler Fehler verhindern nicht rechtzeitig (aber eben nicht vorzeitig) er-
und deshalb in einer ›logischen‹ Reihenfolge klärt wird, welche grammatischen Fehler sie
›einfache‹ vor ›komplexeren‹ Strukturen lernen nicht (mehr) machen sollten. Im FU kommt
lassen. Sie richten den Fokus auf die Produk- dem der aufgabenorientierte Ansatz entgegen,
tion korrekter Formen, vernachlässigen aber der eine Aufteilung der Lernprozesse in drei
die kommunikativen Funktionen dieser For- Phasen empfiehlt: eine pre-, while- und post-
men. Das führt dazu, dass SuS immer das sagen Phase. In der ersten Phase sollen die Lernenden
müssen, was sie sagen sollen (was sie natürlich an der Wahl der Inhalte, Themen und Texte
nicht begeistert). Es führt auch dazu, dass sich beteiligt werden; das dient u. a. auch der Förde-
die Einführung von ä Wortschatz der ä Gram- rung ihrer ä Motivation und soll (altersgemäß)
matik unterordnen muss, weil z. B. das Wort den allgemeinen Wissenstand der Lernenden
yesterday erst dann eingeführt werden kann, sowie ihre Interessen (z. B. Fachkurse) berück-
wenn der Lehrplan die simple past tense auf sichtigen. In der zweiten Phase sollen die SuS
dem Programm hat; und »I would like to …« sich bei der Bewältigung der Aufgaben gegen-
darf erst auftreten, wenn Modalformen auf seitig helfen und lernen, Probleme selbständig
dem Lehrplan stehen. Dieses Vorgehen ver- zu lösen, z. B. durch den Rückgriff auf Lexika,
kennt, dass jedes Sprachlernen seinen Grund in Wörterbücher und das Wissen der Mitschüler/-
Mitteilungsabsichten hat, die im Verlauf des innen; helfen können auch medial aufgezeich-
Spracherwerbs zunächst einmal durch lexika- nete Muster für Lösungsprozesse, die Experten
lische Ausdrücke und Sprachphrasen ausge- verwenden. In der dritten Phase soll es zum
drückt werden, die im Kopf erst später gram- Rückblick auf das Erreichte kommen; es soll
matisch analysiert werden, bevor sie auch um- festgehalten werden, welche Erkenntnisse aus
gekehrt sprachproduktiv verwendet werden der gemeinsamen Arbeit zu ziehen sind. Hier ist
können. Grundlegendes dazu erläutert Toma- das Bemühen um inhaltlich und formal akzep-
sello in Constructing a Language (2003). Eine table Aussagen sinnvoll. So wird auch ein pro-
damit vereinbare Position vertritt die Forde- zedurales Wissen gefördert, das hilft, Aufgaben
rung nach einem ä kommunikativen FU. Er zukünftig selbständig zu verarbeiten.
zielt auf ein ä aufgabenorientiertes Lernen ab, Kritisch könnte angemerkt werden, dass die
das den SuS zeigt, welche Situationen mittels P. eher für das Zweitsprachenlernen im ziel-
welcher Sprachäußerungen bewältigt werden sprachlichen Kontext geeignet ist, in dem die
können (vgl. Müller-Hartmann/Schocker-von Lernenden viele sprachliche Vorbilder haben
Ditfurth 2005; ä chunk learning); er will die und situativ gestützte Anregungen zur Selbst-
Lernenden zudem an der Entscheidung darüber kontrolle und Selbstkorrektur vorfinden, was
beteiligen, wann welche Inhalte im Unterricht im FU in einem vergleichbaren Maß kaum der
291 Qualität

Fall ist. Umso wichtiger ist, dass man im FU


versucht, ein rich learning environment zu
schaffen. Das kann dadurch geschehen, dass
Q
authentische zielsprachliche Texte oder multi-
medial abspielbare Handlungssituationen zu- Qualität manifestiert sich im Hinblick auf Un-
gänglich werden, die den Lernenden eine ihren terricht auf vier Ebenen. Diese sind das Bil-
Interessen und kognitiven Möglichkeiten entge- dungsystem, der Unterrichtsprozess, die Ein-
genkommende Wahl erlauben. Das schließt sicht der Lehrkräfte und Erzieher/innen in Ver-
eine pädagogische Wahl von Themen und In- läufe des Sprachlernens sowie ethische und
halten nicht a priori aus. Dam (1995) zeigt, pädagogische Prinzipien. Q.s-Management und
dass dies auch in frühen Sprachlernstadien Q.s-Hindernisse sind Faktoren, die besonders
möglich ist, sofern hier eine sachkundige Lehr- bei Schulversuchen beachtet werden müssen.
kraft hilft. Das bedeutet keineswegs, dass auf Konnotationen zu Q. sind ›guter Unterricht‹,
die Wahrung von Lerndisziplin verzichtet wird. ›good practice‹ und ›best practice‹. Die beiden
Nötig ist z. B., dass darauf bestanden wird, dass letzteren meinen ursprünglich reibungslose Ab-
die SuS Lerntagebücher (ä Portfolios) führen. läufe in Unternehmen. Dass der Q.s-Begriff in
Sie erlauben eine Beurteilung der individuellen Deutschland seit einigen Jahren verstärkt in der
Lernbereitschaft und des erreichten Wissens Diskussion erscheint, Q. systematisch entwi-
und Könnens. ckelt und durch regelmäßige Evaluationen
Lit.: L. Bredella: Die Struktur schüleraktivierender überprüft werden soll, ist als eine Folge der
Methoden. Überlegungen zum Entwurf einer prozeß- ä PISA-Studie und anderer internationaler Ver-
orientierten Literaturdidaktik. In: Praxis des Neu- gleichsstudien zu sehen. Der institutionalisierte
sprachlichen Unterrichts 34/3 (1987), 233–248. – L. FU ist eingebunden in diese Entwicklung. Spe-
Bredella: Verstehen und Verständigung als Grundbe-
griffe und Zielvorstellungen des Fremdsprachenleh- ziell für ihn hat der ä Gemeinsame europäische
rens und -lernens? In: Ders. (Hg.): Verstehen und Ver- Referenzrahmen für Moderne Sprachen eine
ständigung durch Sprachlernen? Bochum 1995, 1–34. Rolle gespielt. Denn die Frage nach der Bestim-
– J. Keßler (Hg.): Processability Approaches to Second mung und Erreichung von Kompetenzstufen ist
Language Development and Second Language Lear- auch mit Q. verbunden.
ning. Newcastle 2008. – L. Dam: Learner Autonomy.
From Theory to Classroom Practice. Dublin 1995. –
In der Q.s-Diskussion laufen zwei Stränge ne-
A. Müller-Hartmann/M. Schocker-von Ditfurth (Hg.): beneinander und miteinander – der eine eher aus
Aufgabenorientierung im FU. Tüb. 2005. – U. den Konzepten der fremdsprachlichen Bildung
Multhaup/D. Wolff (Hg.): Prozeßorientierung in der kommend, der andere dem Rechenschaft Able-
Fremdsprachendidaktik. FfM 1992. – M. Pienemann: gen, Vergleichen und sinnvollen Verteilen von fi-
Language Processing and Second Language Develop-
nanziellen Ressourcen verpflichtet. Q. ergibt sich
ment. Processability Theory. Amsterdam 1998. – M.
Tomasello: Constructing a Language. Cambridge aus der Anzahl der Merkmale, durch die der FU
2003. UM bestimmte gesetzte Anforderungen erfüllt. Im-
mer ist bei der Beschreibung und Bewertung
dieser Merkmale zu fragen, wer die Anforderun-
Psychodramaturgie ä Alternative Lehr-/Lernfor- gen vorgegeben hat, und um welche Ebenen es
men, ä Dramapädagogik sich handelt: Wenn die Lehrkraft erreicht, dass
die schwächeren SuS keine Angst vor mündlicher
Rede haben, so geht es um Q. auf der Ebene des
Unterrichtsprozesses. Die Anforderung kann die
Lehrkraft sich selbst gestellt haben und/oder es
kann sich um eine Neuorientierung im ä Lehr-
plan handeln. Wenn ein Ministerium zusätzliche
Lehrerstunden finanziert, damit Fremdsprachen-
klassen geteilt werden können, so soll Q. auf der
Systemebene verbessert werden. Die Anforde-
rung kann auf eine neue Bildungspolitik oder
z. B. auf Elterndruck zurückgehen.
Mit der Erfassung von Q. ist ein Werturteil
verbunden. Die private und professionelle Bio-
graphie und gesellschaftliche Setzungen und

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_17, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
Qualität 292

Anforderungen spielen eine Rolle. Deshalb ist Auf Systemebene sind die Postulate »Englisch
jeweils der politische und pädagogisch-fachdi- für alle, auch die Hauptschüler«, »Frühbeginn
daktische Hintergrund zu eruieren, auch wenn in Sprachen«, »Förderung der Sprachenvielfalt«
Kriterienkataloge für Q. verwendet werden. Q. Beispiele für Q.s-Entwicklung. Die jeweiligen
kann durch verschiedene Wege erfasst werden: Postulate sind in Abhängigkeit von gesellschaft-
• durch persönliche Wahrnehmung und In- lichen Entwicklungen zu sehen. Q. des Systems
terpretation allein: Ein Schüler kann z. B. kann durch Indikatoren erfasst werden (vgl.
der Meinung sein, dass sein Italienischleh- Edelenbos et al. 2006 für den Frühbeginn und
rer gut erklärt. Niedersächsische Schulinspektion 2008 für
• dialogisch im Rahmen der Schulentwick- Primar- und Sekundarstufe unter Einschluss
lung: Das Team der Fremdsprachenlehren- von Englisch). Die Indikatoren können sehr
den kann sich selbst Ziele setzen und sie zahlreich sein, jedoch kann auch ein einzelner
mit Hilfe eines Logbooks verfolgen. Akti- Wert als Q.s-Indiz genommen werden, wie die
onsforschung kann ein Verfahren sein, das Anzahl der SuS, die bei Fremdsprachenwettbe-
sie zur Q.s-Verbesserung wählen. Schulin- werben mitmachen, oder derjenigen, die eine
terne Fortbildung kann durch Zusammen- Fremdsprache nicht abwählen, oder die Anzahl
arbeit mit Experten erfolgen oder indem von Schulpartnerschaften in einer Stadt/Region.
ein in einem auswärtigen Kurs fortgebilde- Ein Vergleichsmaßstab ist nötig. Untersuchun-
ter Lehrender sein neues Wissen weitergibt. gen der Q. des Systems haben in Deutschland
Auch die Zusammenarbeit mit Eltern, in- durch die PISA-Studie öffentliche Aufmerksam-
teressierten SuS oder anderen Partnern ist keit gewonnen und zahlreiche Verbesserungs-
zu nennen. programme in Gang gesetzt, im Sprachenbe-
• durch Indikatoren: Diese können von reich besonders deutlich in der Vorschulerzie-
Schulbehörden (ggf. in Kooperation mit hung in ä Deutsch als Zweitsprache. Ferner zu
Wissenschaftlern) entwickelt werden. Vor nennen sind die Bildungsstandards (ä Stan-
der Feststellung der Ausprägung der Indi- dards) für ä Französisch und ä Englisch (2003)
katoren an einer Schule müssen einerseits für den mittleren Schulabschluss sowie für den
die erwarteten ä Kompetenzen (in Lehrplä- Hauptschulabschluss (2004). Das Fremdspra-
nen, Bildungsstandards oder Schulprofilen) chensystem eines ganzen Landes beschreiben
beschrieben, andererseits Deskriptoren for- die sog. Language Education Policy Profiles
muliert werden. Wer mit Indikatoren Q. des Europarats (www.coe.int/lang) und die
erfasst, benötigt vorher ein Training. In- Eurybase Website der EU. Eine sehr ausführ-
strumente, die eingesetzt werden, sind un- liche Indikatorenliste wurde für die nach nie-
ter anderem Checklisten, Interviews mit derländischem Vorbild neu geschaffene Schul-
Lehrenden, Lernenden und Eltern sowie inspektion Niedersachsen entwickelt. Hierbei
Unterrichtsbeobachtungen mit Hilfe von handelt es sich um eine externe Q.s-Überprüfung.
Kriterien. Im ersten Bericht von 2008 wurden im Fall von
• durch Forschung: Als angewandte For- Englisch die Indikatoren ›Anregung zum selbst-
schung soll sie im Zusammenhang der Q.s- tätigen Lernen‹ und ›Binnendifferenzierung‹
Entwicklung eine Rolle spielen. Zu nennen schulartübergreifend als nicht genügend umge-
sind u. a. Begleitforschung zu Bildungsin- setzt eingeschätzt. Ferner wurde festgestellt,
novationen wie der Einführung des Früh- dass Englisch an Förderschulen in keinem der
beginns (ä Früher FU), Theoriebildung (z. B. Teilkriterien oberhalb der Bewertungskurve ei-
kommunikative Didaktik, Spracherwerbs- nes anderen Förderschul-Faches lag (ä Förder-
forschung in Bildungseinrichtungen), expe- unterricht).
rimentelle Studien wie z. B. die Eignung Für die Q. des pädagogischen Prozesses kann
von Methoden zur Erhöhung der Behal- eine weitgehend konsensuale Definition gege-
tensfähigkeit von Wortschatz, breiter ange- ben werden: Der Unterricht hat Q., wenn
legte Studien zur Erfassung des tatsächli- möglichst viele SuS in der Klasse/Lerngruppe
chen Kompetenzstandes von SuS, von de- möglichst schnell und möglichst mühelos Kom-
nen bisher die größte die ä DESI-Studie mit petenzen in der Fremdsprache und ihrem Ge-
ihrer deutschlandweiten Messung der Eng- brauch sowie ä interkulturelle kommunikative
lischleistungen in der 9. Klasse war. Kompetenzen aufbauen. Für den FU kommen
hier sowohl allgemeinpädagogisch-empirisch
293 Qualität

und effektiv erfasste als auch fachspezifische duktive Medienarbeit, z. B. die Erstellung eines
Merkmale zusammen. Die allgemeinen Merk- Films (ä Filmdidaktik). Ist der seine Meinung
male finden sich z. B. in den Kriterien von Ro- argumentativ vertretende Bürger ein Wertmaß-
bert Slavin: Der Unterricht ergibt für die Ler- stab, so wird der ä kommunikative FU als qua-
nenden einen Sinn, er interessiert sie, und sie litativ hochwertig angesehen und das freie
können die eingeführten Inhalte behalten und ä Sprechen der SuS als gut bezeichnet. Wenn
anwenden (vgl. Göbel 2007). Vorhanden sind interkulturelle Kompetenz das oberste Ziel ist,
u. a. Klarheit der Instruktion (ä Instruktivismus/ dann sind Kenntnisse über andere Kulturen so-
Instruktion) und Adaptivität (Fähigkeit der wie die Entwicklung von Empathie und der
Lehrkraft, die Schwierigkeit des Stoffes anzu- Fähigkeit zum toleranten Dialog in der Fremd-
passen und auf die SuS einzugehen). Merkmale sprache wichtig. Die EU als supranationales
im FU sind u. a. die tatsächliche aktive Lernzeit System sieht in der Förderung der ä Mehrspra-
(time on task), mindestens 3 Sekunden Warten chigkeit und Sprachenvielfalt ein Q.s-Merkmal
auf die Schülerantwort, positives korrigierendes der Staaten, Regionen und Städte.
ä Feedback, Möglichkeiten zum Sprachge- Ohne Q.s-Management können Verbesserun-
brauch, Kontakt mit einem Muttersprachler gen nicht umgesetzt werden. Q.s-Management
bzw. einer Muttersprachlerin. ist schon vorhanden, wenn eine Schule bei einer
Q. als Folge von Einsicht in Verläufe des Stiftung Finanzmittel für neuartige Fremdspra-
Sprachenlernens kann mit dem Begriff ›diagnos- chenprojekte einwirbt; hier geht der Blick eher
tische Kompetenz‹ umschrieben werden. Diese zur Systemebene, wie Zuweisung von Bildungs-
soll ermöglichen, dass SuS besser gefördert wer- budgets und staatliche Vorgaben wie Lehrpläne
den. Seit etwa 2004 ist sie als Aus- und Fortbil- und Bildungsstandards. Q.s-Management ge-
dungsbaustein stärker in den Vordergrund der schieht in Demokratien im Gespräch mit den
deutschen fremdsprachendidaktischen Diskus- Akteuren. Für die Ebene der Schulen können
sion gerückt. Sie beginnt mit dem Bewusstsein die sog. ä Vergleichsarbeiten als eine Form des
der Lehrkräfte für die Notwendigkeit einer ge- Eingreifens der Behörden angesehen werden.
nauen Beobachtung des fremdsprachlichen Durch sie soll ein einheitlicheres Bild von Schü-
Lernzuwachses einzelner SuS und schließt die lerleistungen ermöglicht und ein mittleres Leis-
Fähigkeit ein, diesen zu interpretieren und in tungsniveau für ein Bundesland klarer aufge-
Reaktion darauf den Lernenden adäquate Hilfe zeigt werden. Außerdem sollen diese Arbeiten
zu geben. Der geschickte Einsatz von ä Tests Schwächen der SuS so rechtzeitig in der
und Einschätzungsmaterial wird Teil der Kom- Schullaufbahn aufzeigen, dass noch vor Schul-
petenz. Für diagnostische Kompetenz ist eine abschluss unterstützende Maßnahmen möglich
den SuS zugewandte pädagogische Haltung die sind. Regelungen zur Anzahl der möglichen
Voraussetzung. Folgende Fähigkeiten und Fer- Sprachen an einer Schule sind ebenfalls hier zu
tigkeiten müssen vorhanden sein oder entwi- nennen. Vorschriften und Anregungen zu Fort-
ckelt werden: hermeneutische Fähigkeiten (ge- bildungen sind Formen, mit denen die Behörden
naues Hinsehen, Vergleichen, Deuten, Sprache Q. fördern möchten. Auf Hochschulebene ist
evozieren, Selbstdistanz und Offenheit), Fertig- der Sprachtest vor Zulassung zum Studium an-
keiten in der Auswahl und Anpassung von zuführen (ä Zertifikate). Ferner ist Öffentlich-
Testmaterial, in der Durchführung von Lern- keitsarbeit zu nennen, im Fall von Deutsch als
kontrollen und ä Leistungsermittlungen. Die Fremdsprache z. B. die Kampagnen zur Förde-
Unterstützung des individuellen Lernprozesses rung des Interesses an Deutsch in Frankreich
ist dann die Anwendung der diagnostischen oder den Niederlanden. Neben den Berichten
Kompetenz (vgl. Edelenbos/Kubanek 2009). von Schulinspektionen gibt es z. B. durch ex-
Q. wird beschrieben und entwickelt in Ab- terne Evaluation vergebene Q.s-Siegel für
hängigkeit von ethischen und pädagogischen Sprachreise-Anbieter und das Europäische
Prinzipien einer Gesellschaft. Ist der selbstver- Sprachensiegel für vorbildhafte Initiativen zur
antwortliche Bürger, der in einer unübersichtli- Förderung von Mehrsprachigkeit an Schulen
chen Welt zurechtkommt, das Ideal, dann ist und anderen Bildungseinrichtungen.
ä autonomes Lernen hoch angesetzt. Entspre- Bei der Einschätzung von Q. in Bezug auf
chend gelten Methoden, die dieses fördern, als Fremdsprachenkompetenzen sind hindernde
gut wie z. B. Stationenlernen, Wochenplan-Ar- soziodemographische und geschichtliche Fak-
beit, ä Präsentationen, Internetrecherchen, pro- toren in Rechnung zu stellen. Ein Staat kann
Qualität 294

geringe Ressourcen haben, das Bildungsbudget Bachelor- und Master-Studiengänge genügend


kann im Vergleich zu anderen Etats gering aus- fachdidaktische Bausteine haben. Ein Auslands-
fallen, politische Unruhen können zum Ausfal- aufenthalt für Studierende mit Ziel Master of
len von Unterricht führen, ä Sprachenpolitik Education ist in Deutschland nicht generell
kann Sprachen bevorzugen und verbieten, geo- vorgesehen. Fortbildungen wiederum führen
graphische Spezifika können hinderlich sein nicht notwendig zu tatsächlich verändertem
oder z. B. durch ä Fernunterricht überwunden Lehrerverhalten. Q.s-Sicherung und -Entwick-
werden, der Grad der Bürokratie kann Leh- lung sind persönliche Aufgaben der Lehrkraft,
rende an grenzüberschreitenden Klassenfahrten welche aber durch ein motivierendes und stüt-
hindern. Im Fall des Fremdsprachenfrühbeginns zendes (gesellschaftliches) Umfeld erleichtert
gelten der Unterricht durch Lehrkräfte, die werden. Die grundsätzliche Frage ist, ob Q.
nicht die Fremdsprache studiert haben, und die eher anhand von Indikatorenlisten diskutiert
unzureichende Lösung des ä Übergangs an die wird, anhand des Erreichens von Stufen und
weiterführende Schule (d. h. inadäquates Nut- ä Standards oder mehr auf der Basis (auto-)
zen der Vorkenntnisse der Kinder) als proble- biographischer Erzählungen (z. B. ä Portfolio,
matisch. Für Lehrende selbst sind Burnout und Fallgeschichte).
sehr hohe ä Heterogenität von Klassen Fakto- Lit.: P. Edelenbos/R. Johnstone/A. Kubanek: The Main
ren, die die Q. des FUs beeinträchtigen können. Educational Principles Underlying the Teaching of
Die Hindernisse müssen jeweils vor Ort erfasst Young Learners. Studie für die Europäische Kommis-
und Lösungsmöglichkeiten gesucht werden. sion. Brüssel 2006. (http://ec.europa.eu/education/
policies/lang/doc/young_en.pdf) – P. Edelenbos/A. Ku-
Einerseits ist festzuhalten, dass es in Deutsch- banek: Gute Praxis im Frühen FU. Braunschweig
land weitgehend ein dem Sprachenlernen güns- 2009. – B. Egloff/B. Friebertshäuser/G. Weigand (Hg.):
tiges Klima gibt. Eltern wünschen, dass ihre Interkulturelle Momente in Biographien. Münster
Kinder früh eine Sprache lernen, SuS kommen 2013. – K. Göbel: Q. im interkulturellen Englischun-
z. B. aufgrund ihrer Internetnutzung auch au- terricht. Münster 2007. – F. Heyworth: Applications
of Quality Management in Language Education. In:
ßerschulisch mit Englisch in Kontakt. Es exis- Language Teaching 46/3 (2013), 281–315. – Nieder-
tieren bilinguale Programme (ä Bilingualer Un- sächsische Schulinspektion (2008): Periodischer Be-
terricht). Mit Hilfe der Finanzierung durch richt. Bad Iburg. AK
Interreg (eine Gemeinschaftsinitiative des Euro-
päischen Fonds für regionale Entwicklung)
konnte ein Ausbau von zweisprachigen Initiati-
ven entlang der Grenzen erfolgen, der noch
fortgesetzt wird. Zugleich ist aber die Verbesse-
rung auf allen Ebenen permanente Aufgabe, sei
es durch neue Technologien, sei es durch die
tatsächliche Nutzung von Formen schüler-
freundlichen Lernens. ä Differenzierung und
Erkennen und Fördern von SuS mit Lernpro-
blemen in der Fremdsprache ist eine große
Herausforderung. Zu wenig SuS bekommen im
Lauf der ersten Lernjahre die Gelegenheit, die
Sprache selbst außerhalb der Schule anzuwen-
den oder mit Gästen innerhalb der Klasse zu
erproben. Für das übergeordnete Prinzip von
interkulturellem Verständnis besteht ein Wider-
spruch zwischen deutlich genannter Wichtigkeit
und der geringen Zahl von empirischen Studien
(ä Empirie), wie dieses sich via FU und Aus-
tausch konkret vollzieht. Die EU wiederum
sieht als weiterhin zu bewältigende Aufgabe an,
noch mehr Interesse an Sprachenlernen zu we-
cken und Lehrermobilität zu verstärken. Die
ä Lehrerbildung spielt eine entscheidende Rolle.
Zu fragen ist, inwieweit Studierende der neuen
295 Reformpädagogik

dische Schulung (ä Aussprache), einen Verzicht


R auf die Übersetzung in die Fremdsprache als
Übungs- und Prüfungsform (ä Sprachmittlung)
sowie die Lektüre von längeren zusammenhän-
Rahmenrichtlinien ä Lehrplan genden Texten (anstelle der hergebrachten
Übungssatz-Pakete). Seine aus heutiger Sicht
bescheidenen Forderungen lösen eine Spaltung
Rechtschreibung ä Orthographie der Lehrerschaft aus: Bis zur Beilegung des
Streits 1908 (nicht die ›direkte Methode‹ setzt
sich durch, sondern eine ›vermittelnde‹ mit Re-
Reformpädagogik. Der Terminus bündelt eine kurs auf Muttersprache, Übersetzung und
Reihe von allgemein pädagogischen und fach- Grammatiklernen) werden Tausende Artikel
didaktischen Bestrebungen der Jahre vor dem pro und kontra publiziert, wobei es nicht nur
Ersten Weltkrieg sowie der Weimarer Republik, um ideologische Festlegungen geht, sondern
deren gemeinsames Ziel es war, die nicht mehr auch um handfeste Überlebensfragen: Viele
zeitgemäßen Sichtweisen der post-neuhumanis- Lehrer sind weit davon entfernt, einsprachig
tischen Periode abzulösen. Manche der Refor- unterrichten zu können, schon weil ihre Phone-
mansätze nehmen heutige Positionen vorweg. tik und Prosodie sie unverständlich sein lässt.
So ist selbstbestimmtes Lernen im Projekt Viëtor gründet 1893 mit Gleichgesinnten die
(ä Projektarbeit) eine Entwicklung der Jahre Zeitschrift Die Neueren Sprachen; sie wird zum
nach 1915, das Prinzip selbsttätiger Lebensnähe inoffiziellen Organ des 1886 gegründeten All-
(Arbeitsunterricht) wird bereits 1901 verwirk- gemeinen Deutschen Neuphilologen-Verbandes,
licht (Georg Kerschensteiner), und von ä Indivi- einem Sammelbecken reformorientierter Lehr-
dualisierung des Lernens, von Kommunikati- kräfte.
onsorientierung und in gewisser Weise sogar Zu den großen Themen der ä Fremdsprachen-
von ä interkulturellem Lernen ist in den 1920er didaktik vor dem Ersten Weltkrieg gehört die
Jahren immer wieder die Rede. Die Gleich- Lektürearbeit, durchaus schon mit dem Ziel
schaltungs-Ideologie des Dritten Reichs machte eines ganzheitlichen Texterlebnisses (ä Litera-
die reformpädagogischen Ansätze dann wieder turdidaktik): Die Gestaltpsychologie wirft ihre
zunichte. Schatten voraus; sie löst das Zeitalter des Po-
Die Pädagogik des frühen 20. Jh.s versteht sitivismus ab, gerade in den Bereichen Litera-
sich in bewusster Abgrenzung zu den idealisti- tur(geschichte) und ä Landeskunde (Realien-
schen, einseitig intellektualistischen Konzepten kunde‹). Der Ruf nach einer ganzheitlichen
der vorausgehenden Ära als eine Pädagogik kulturkundlichen Betrachtungsweise ertönt
vom Kind aus. Lernstoffe sollen anschaulich spätestens 1913; die ›Kulturkunde‹ als holisti-
dargeboten werden, die Lernenden sollen durch scher, Kulturen vergleichender Ansatz, freilich
ä entdeckendes bzw. ä forschendes Lernen »mit mit dem Anspruch einer (politisch pervertierba-
Kopf, Herz und Hand« (Johann Heinrich Pes- ren) ›Wesensschau‹, beherrscht die 1920er
talozzi) zu ihren Erkenntnissen und ä Fertigkei- Jahre. Die Verwerfungen des Ersten Weltkriegs
ten gelangen (ä Ganzheitliches Lernen). Dabei begünstigen die Ablösung von angestammten
stehen, zumindest in der R. der Weimarer Re- pädagogischen Positionen. So sind die 1920er
publik (Peter Petersen, Jenaplan, Schule als Jahre eine hohe Zeit des pädagogischen Experi-
freie, allgemeine Lebensgemeinschaft), lebens- ments, nicht zuletzt auch in den seit 1919 ge-
nahe komplexe Lernaufgaben und Gruppenar- gründeten Waldorf-Schulen mit ihrer eigenen,
beit (ä Sozialformen) im Mittelpunkt. der Eurhythmie verpflichteten Fremdsprachen-
Im fremdsprachlichen Bereich beginnt die pädagogik. Angesichts von sozialer Not und
Reformzeit mit dem 1882 zunächst unter Pseud- Zerrüttung in vielen Familien muss Schule zum
onym (Quousque Tandem) publizierten Pam- sicheren Hafen werden, zur Heimat, die ein
phlet des Marburger Anglisten Wilhelm Viëtor ›Wachsen lassen‹ zulässt. Sie muss ersetzen, was
»Der Sprachunterricht muss umkehren«. Viëtor das Elternhaus nicht mehr zu geben vermag.
plädiert für eine Abkehr von der ä Grammatik- Nach 1933 ist individualisiertes, selbstbestimm-
Übersetzungs-Methode; er wünscht sich einen tes Lernen nicht mehr gefragt, Gleichrichtung
weitgehend einsprachigen Unterricht (ä Direkte der Aktivitäten und Gemüter ist pädagogisches
Methode), eine umfassende phonetisch-proso- Ziel. Ganzheitliche Ansätze werden pervertiert:

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_18, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
Reformpädagogik 296

aus Kulturkunde werden Rassenkunde und In Abgrenzung zu einem solchen instrumen-


Volkslebenslehre, aus individuellem Texterleben tellen Verständnis des R.begriffs akzentuieren
kollektiver völkischer Heldenkult und natio- subjektorientierte Ansätze auch problematische
nale Selbstverherrlichung. Aspekte des Konzepts. So stellt Busch (2013,
Lit.: T. Litt: Führen oder Wachsenlassen. Eine Erörte- 31) die Metapher des s. R.s als ›Werkzeugkiste‹
rung des pädagogischen Grundproblems. Stgt 131967 oder ›Arsenal‹ (sensu Gumperz) in Frage, wenn
[1927. – K. Schröder (Hg.): Wilhelm Viëtor, »Der sie einzelne Anteile des s. R.s als konfliktuell
Sprachunterricht muss umkehren«. Ein Pamphlet aus beschreibt: Der Zugriff auf das s. R. ist deter-
dem 19. Jh. neu gelesen. Mü. 1984. – K. Schröder: 100
Jahre Fremdsprachendidaktik. 100 Jahre ›Die Neueren miniert durch gesellschaftlich dominante
Sprachen‹. In: Die Neueren Sprachen 93 (1994), 6–44. sprachliche Normen, die einschränkend oder
KoSch ausgrenzend wirken können. Erlebbar wird das
s. R. demnach häufig gerade nicht als instru-
mentelle, jederzeit uneingeschränkt verfügbare
Reihenplanung ä Unterrichtsplanung Ressource, sondern ex negativo (vgl. ebd., 18):
Es tritt auch durch Differenzerfahrungen (ä Dif-
ferenz) ins Bewusstsein; erlebt werden sprachli-
Repertoire, sprachliches (linguistic repertoire, che Macht und Ohnmacht sowie Gefühle von
répertoire langagier). Das sprachliche Reper- Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit. Jede
toire bezeichnet sämtliche kommunikativen Aktualisierung von Teilen des s. R.s ist eine
Mittel, auf die Sprecher/innen funktional in Reaktion auf machtvolle Sprachideologien und
unterschiedlichen kommunikativen Kontexten -normen, die bestätigt oder emanzipatorisch-
zugreifen, und ist daher eng verbunden mit kreativ unterwandert werden. Das sprachliche
Konzepten von ä Mehrsprachigkeit. Der Begriff Erleben von Subjekten ist ganzheitlich, emotio-
des s. R.s wurde in den 1960er Jahren durch nal und in den Körper eingeschrieben (Habi-
den Soziolinguisten und Anthropologen John J. tus). Das s. R. geht also weit über die alleinige
Gumperz (1964) geprägt und hat in der Folge Verfügbarkeit sprachlicher Strukturen und das
verschiedene Weiterentwicklungen erfahren, so Wissen über ihre Verwendungskontexte hinaus.
dass keine konsensuelle Definition vorliegt. Für Damit wird der Begriff des s. R.s elementar für
die ä Fremdsprachendidaktik und -forschung einen lernerorientierten und kritisch sprachbe-
ist seine Integration in das Konzept mehrspra- wussten FU (ä Lernerorientierung, ä Bewusst-
chiger und mehrkultureller Kompetenz im heit/Bewusstmachung).
ä Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen Das ganzheitliche und emotionale Verständ-
für Sprachen des Europarates bedeutsam, der nis des sprechenden Subjekts ermöglicht auf-
den ursprünglichen Begriff in Auseinanderset- schlussreiche Perspektiven auf das Verstehen
zung mit spracherwerbstheoretischen, psycho- und die Erforschung sprachlich-kultureller
und soziolinguistischen Forschungen transfor- Lehr-/Lernprozesse (ä Emotion, ä Ganzheitliches
miert hat (vgl. Dufour 2014). Das s. R. umfasst Lernen). Darüber hinaus stellt es einen Orien-
hier im Sinne einer grundsätzlich angenomme- tierungsrahmen für die Gestaltung unterrichtli-
nen Mehrsprachigkeit jedes Menschen Erst- cher Settings dar, nicht nur in sprachlich und
und Zweitsprachen, ä Herkunftssprachen, Vari- kulturell heterogenen Lerngruppen (ä Hetero-
etäten und andere zeichenhafte Arten von genität). Im Bereich der Mehrsprachigkeitsfor-
Kommunikation. Aus dem s. R. schöpfen Spre- schung bekannt geworden sind visuelle oder
cher/innen situations- und partneradäquat, multimodale Instrumente zur Erforschung des
wobei auch code-switching oder translangua- s. R.s, wie z. B. Sprachenporträts oder -silhouet-
ging eine Rolle spielen (ä Zweisprachigkeit). ten (vgl. Busch 2013; Krumm 2001). Diese
Das s. R. ist dynamisch und verändert sich werden häufig auch im Unterricht als Instru-
im Laufe der Biographie. Sprachen können neu mente zur Sensibilisierung für sprachliche und
erworben oder vergessen werden, sie erhalten kulturelle Vielfalt eingesetzt.
neue Bedeutungen oder werden an unterschied- Lit.: B. Busch: Mehrsprachigkeit. Wien 2013. – M.
liche lebensweltliche Kontexte, z. B. beruflicher Dufour: Du concept de répertoire langagier et de sa
Art, adaptiert. Das s. R. kann somit als kapita- transposition didactique. In: Revue de linguistique et
de didactique des langues (Lidil) 49 (2014), 179–194.
lisierbare Ressource verstanden werden, die – J. J. Gumperz: Linguistic and Social Interaction in
mehrsprachigen Menschen ökonomische Vor- Two Communities. In: J. J. Gumperz/D. Hymes (Hg.):
teile (employability) verschafft. The Ethnography of Communication. In: American
297 Russisch

Anthropologist 66/6 (1964), Special Issue, 137–153. R.unterrichts in der ehemaligen DDR, wo R.
– H.-J. Krumm: Kinder und ihre Sprachen, lebendige obligatorische erste Fremdsprache ab Klasse 5
Mehrsprachigkeit. Sprachenporträts. Wien 2001.
war (vgl. Frenzel 2000). Heute wird R. meist
BSch
als zweite bzw. dritte Schulfremdsprache ange-
boten und oft bis zum Abitur fortgeführt (vgl.
Rollenspiel ä Dramapädagogik KMK 2014). Im Schuljahr 2015/16 lernten
111.185 SuS an allgemeinbildenden Schulen
und 13.682 an Berufsschulen R. (www.destatis.
Romandidaktik ä Literaturdidaktik de). Für die aktuelle Nachfrage spielen auch
Herkunftssprecher/innen, d. h. SuS mit R. als
Familiensprache, eine wichtige Rolle (ä Her-
Rückmeldung ä Feedback kunftssprachen).
Für R. als Tertiärsprache sind Konzepte der
ä Mehrsprachigkeitsdidaktik, insbesondere die
Russisch (русский язык) ist eine indoeuropäi- Einbeziehung zuvor und parallel gelernter
sche Sprache und gilt als slawische Sprache mit Sprachen der SuS, relevant. In der Erwachse-
den größten Sprecher- und Lernerzahlen. Von nenbildung dient R. im Sinne von ä Interkom-
den ca. 170 Mio. Menschen, für die R. Erst- prehension zudem oft als Brückensprache für
sprache ist, leben etwa 130 Mio. in Russland, das Erlernen weiterer slawischer Sprachen.
weitere 26 Mio. in den Nachfolgestaaten der Neue Tendenzen in der russischen Fremdspra-
Sowjetunion und ca. 8 Mio. Menschen in Län- chendidaktik liegen in Konzepten für die Bin-
dern mit starker russischer Immigration (v. a. nendifferenzierung (ä Differenzierung), um den
Deutschland, USA, Kanada, Australien, Israel). speziellen Bedürfnissen von Lernenden mit rus-
Zusammen mit denjenigen, für die Russisch sischsprachigem Hintergrund im Unterricht des
Zweitsprache ist, kommt man auf etwa 260 R. als Fremdsprache gerecht zu werden.
Mio. R.sprechende (vgl. Aref’ev 2014, 32). In Die besten R.lernenden nehmen an R.-Sprach-
Deutschland ist R. mit derzeit 4,5 Mio. R.spra- olympiaden, Bundessprachwettbewerben und
chigen die meistgesprochene Migrantensprache dem Bundescup »Spielend R. lernen« (www.
(vgl. Anstatt 2011, 103). V. a. in den Nachfolge- spielendrussisch.de) teil. Die Stiftung Deutsch-
staaten der Sowjetunion mit hohem russischen Russischer Jugendaustausch (www.stiftung-
Bevölkerungsanteil (u. a. Kasachstan, Kirgistan, drja.de) ist bundesweit das zentrale Koordi-
Weißrussland) genießt R. als am besten kodifi- nierungszentrum für den Jugend- und Schüler-
zierte Sprache in allen Sphären und ä lingua austausch mit Russland und fördert neben
franca in der Hochschulbildung ein hohes schulischem und außerschulischem Austausch
Prestige und wird weiterhin als Zweit- und auch Projekte der beruflichen Bildung.
Fremdsprache gelernt. Viele Menschen lernen R. erst im Erwachse-
Die kyrillische Schrift ähnelt sowohl dem nenalter, wobei v. a. Wirtschaftsrussisch nach-
griechischen als auch dem lateinischen Alpha- gefragt wird. An allen Slawistikinstituten kann
bet und ist schnell erlernbar. Charakteristisch R. im Rahmen eines Slawistikstudiums studiert
für das R. sind komplexe Silbenstrukturen, die werden, davon an 22 deutschen Universitäten
Reduktion unbetonter Vokale, freie und beweg- auf Lehramt.
liche Betonung sowie ein großer Sprechstimm- Die Zeitschrift PRAXIS FU R. erscheint
umfang. R. hat eine reiche Morphologie; Wör- 6-mal jährlich mit Beiträgen für den schulischen
ter flektieren innerhalb grammatischer Kate- R.unterricht. Wichtige ä Zertifikate für R. sind
gorien durch Hinzufügen von Affixen und der TRKI (Test po russkomu jazyku kak ino-
Veränderungen des Wortstammes. In gramma- strannomu), TELC (für die Niveaustufen A1,
tischer Hinsicht verfügt R. über sechs Kasus, A2, B1 und B2) sowie an Hochschulen UniCert®.
drei Genera und zwei Numeri. Es weist eine Für R.lehrkräfte gibt es in Deutschland derzeit
freie Wortfolge, die Kategorien der Belebtheit zwei große Verbände: den Deutschen R.lehrer-
und des Verbalaspekts auf (vgl. Bruns 2007). verband e. V. (www.drlv.de) sowie den Verband
In 15 deutschen Bundesländern ist R. offizi- »R. und Mehrsprachigkeit e. V.« (www.russisch-
elle Schulfremdsprache, v. a. in den neuen Bun- und-mehrsprachigkeit.de).
desländern (mehr als 70 % der R.lernenden Lit.: T. Anstatt: R. in der zweiten Generation. Zur
SuS). Eine Ursache hierfür ist die Tradition des Sprachsituation von Jugendlichen aus russischsprachi-
Russisch 298

gen Familien in Deutschland. In: L. M. Eichinger/


A. Plewnia/M. Steinle (Hg.): Sprache und Integration.
Über Mehrsprachigkeit und Migration. Tüb. 2011,
101–128. – A. L. Aref’ev: Russkij jazyk v mire:
S
prošloe, nastojaščee, buduščee. In: Vestnik Rossijskoj
Akademii Nauk 84/10 (2014), 31–38. – A. Bergmann Sachanalyse ä Unterrichtsplanung
(Hg.): Fachdidaktik R. Eine Einführung. Tüb. 2014. –
T. Bruns: Einführung in die russische Sprachwissen-
schaft. Tüb. 2007. – B. Frenzel: Und jeder mußte R. Scaffolding (dt. ›Gerüst‹). Der Begriff des s. fin-
lernen! Zur Geschichte der Didaktik und Methodik
des R.unterrichts in der ehemaligen DDR. Stadtallen- det sich erstmalig bei Jerome Bruner (1983),
dorf 2000. – KMK (Hg.): Zur Situation des demzufolge sich die Eltern/Kind-Kommuni-
R.unterrichts in der Bundesrepublik Deutschland. Be- kation und damit der ä Spracherwerb, die
richt der Kultusministerkonferenz vom 07.03.2014. kognitive Entwicklung und das Sachlernen des
Köln. GM Kindes im Rahmen situativ eingebetteter, ko-
operativer Handlungsmuster (engl. formats)
vollziehen. Diese Interaktionsstrukturen (z. B.
über Nachfragen, Paraphrasen, Elaborationen,
Betonung, Gesten) wirken für einen Anfänger
als Unterstützungssysteme, sukzessiv höhere,
komplexere und eigenständigere Leistungen
verbaler und nonverbaler Art (ä Nonverbale
Kommunikation) zu erbringen. Sprache reprä-
sentiert damit das wichtigste kognitiv-symboli-
sche Werkzeug zur Erschließung von Welt.
Diese Einsicht, Lernenden sprachliche und gra-
fische ›Stützgerüste‹ zu geben, hat zunehmend
Eingang in die konzeptuellen Überlegungen zu
einer integrierten bilingualen Didaktik gefun-
den. Da es beim ä bilingualen Unterricht zual-
lererst um den Wissens- und Kompetenzerwerb
von Inhalten und Methoden schulischer Sach-
fächer mittels einer fremden Arbeitssprache
geht, wird nach verbalen wie visuell-grafischen
Hilfen gesucht, die Lernende dabei unterstützen
können, sowohl das fachliche Denken und Wis-
sen als auch das fremdsprachlich-diskursive
Können und Handeln bildungszielgerecht ent-
wickeln zu können.
Das Verstehen von Fachtexten lässt sich er-
heblich erleichtern und vertiefen, wenn die the-
matische Progression bzw. das rhetorische Mus-
ter des jeweiligen Textes über grafische Schemata
veranschaulicht wird (vgl. die visual organizers
in Zydatiß 2007, 455 f.). Die Fachkommunika-
tion kennt u. a. folgende Textschemata: Problem
– Lösung, Annahme – Begründung, Theorie vs.
Praxis/Realität, Für und Wider, Vorher und
Nachher, lineare vs. zyklische Abläufe, die Chro-
nologie von Ereignissen. Dafür lassen sich sach-
logische Strukturgitter finden: z. B. hierarchisch
gestufte Klassifikationen für Taxonomien, feld-
artige Abbildungen für vernetzte Prozesse, Ta-
bellen oder Matrizes zum Vergleichen von Phä-
nomenen bzw. stufenförmige Darstellungen für
Phasen oder Etappen zeitlich geordneter Ge-

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_19, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
299 Schlüsselqualifikationen

schehnisse. Leisen (2005) hat speziell auf den sich um disziplinen- und berufsübergreifende
»Wechsel des Abstraktionsniveaus« verwiesen, Kompetenzen handelt. Zweitens versteht man
um alle SuS beim Übergang vom intuitiven All- darunter solche Fähigkeiten und Einstellungen,
tagswissen zum stärker abstrakten und theorie- die transferierbar sind. Drittens zeichnen sich S.
geleiteten Fachwissen zu erreichen und mitzu- dadurch aus, dass sie Individuen daher für eine
nehmen. Als Repräsentationsebenen nennt er: Vielzahl unterschiedlicher Anforderungen, Be-
die gegenständliche oder bildliche Darstellung rufe, Funktionen und Positionen qualifizieren.
(Realia, Handlungen und Experimente bzw. S. geben denjenigen, die über sie verfügen,
Foto, Film oder Zeichnung), verbal-symbolische gleichsam einen Schlüssel in die Hand, der ihnen
und grafische Modalitäten (etwa mindmaps, im Studium und Berufsleben viele Türen öffnen
Gliederungen oder Cluster bzw. Diagramme, kann. Während reines Fachwissen und bestimmte
Kurven oder Karten) sowie (als höchste Ab- wissenschaftliche Methoden zumeist auf das
straktionsstufe) Formeln oder Gesetze. Eine jeweils studierte Fach beschränkt sind, eröffnen
wichtige Rolle haben im Fachunterricht die sog. S. aufgrund ihrer Übertragbarkeit vielfältige
akademischen Diskursfunktionen, d. h. kogni- Berufsperspektiven. S. sind somit »relativ lange
tive Operationen wie Benennen, Identifizieren, verwertbare Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertig-
Definieren, Begründen, Vergleichen, Hypothesen keiten, Einstellungen und Werthaltungen zum
bilden, Ursache und Wirkung erkennen, Priori- Lösen gesellschaftlicher Probleme. Als Berufs-
täten oder Argumente gewichten und bewerten qualifikationen sind es funktions- und berufs-
(vgl. Zydatiß 2007, 447 f., 465 ff.). Hierfür soll- übergreifende Qualifikationen zur Bewältigung
ten den SuS zum einen (als language support) beruflicher Anforderungssituationen. Diese Fä-
objektsprachliche Redemittel verfügbar gemacht higkeiten, Einstellungen und Haltungen reichen
werden, und zum anderen können ihnen visuelle über die fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse
Hilfen angeboten werden, die diese hochgradig hinaus und überdauern sie. Qualifikationsziel ist
transferfähigen Denkschemata transparent ma- die berufliche Flexibilität und Mobilität« (Beck
chen (ä Visualisierung). 1993, 17 f.). Bei S. handelt es sich insofern um
Lit.: J. Bruner: Child’s Talk. Learning to Use Language. eine Form von Metakompetenzen, als sie Men-
Oxford 1983. – J. Leisen: Wechsel der Darstellungs- schen die kognitiven, kommunikativen und sozi-
formen. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch alen Werkzeuge an die Hand geben, um sich
78 (2005), 9–11. – W. Zydatiß: Deutsch-Englische selbständig weitere neue Bereiche, Fähigkeiten
Züge in Berlin (DEZIBEL). FfM 2007. WZ
und Qualifikationen zu erarbeiten bzw. zu er-
schließen (vgl. Honolka 2003, 5).
Schema(theorie) ä Hörverstehen, ä Leseverste- Während es zu bestimmten S. (z. B. zu den
hen, ä Verstehen Themen ›wissenschaftliches Schreiben‹ und
›Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens‹)
eine kaum überschaubare Vielzahl an Publika-
Schlüsselqualifikationen, auch als ›Schlüssel- tionen und Ratgebern gibt, werden andere S.,
kompetenzen‹, ›Kernkompetenzen‹ bzw. ›soft die für eine erfolgreiche Karriere in der Schule,
skills‹ bezeichnet, ist ein Sammelbegriff zur Be- im Studium und für den Berufseinstieg nicht
zeichnung des gesamten Spektrums allgemeiner minder wichtig sind, seltener behandelt. Bei-
berufsqualifizierender ä Kompetenzen. Obgleich spiele dafür sind etwa didaktische Kompeten-
diese Begriffe seit einiger Zeit Hochkonjunktur zen, die nicht nur in Lehrberufen, sondern in
haben, mangelt es bislang an klaren Definitio- der modernen Wissensgesellschaft in fast allen
nen. Unter den genannten Begriffen wird eine Bereichen von zentraler Bedeutung sind (vgl.
Vielzahl unterschiedlicher kognitiver Fähigkei- Hallet 2006), Präsentationskompetenzen (ä Prä-
ten, praktischer Fertigkeiten, Einstellungen und sentation), interkulturelle Kompetenzen, ä nar-
Kenntnisse subsumiert. Zu Recht ist daher kri- rative Kompetenz, rhetorische Schlüsselkompe-
tisiert worden, dass der Begriff »eine Tendenz tenzen wie Reden, Argumentieren und Über-
zur Ausuferung« (Honolka 2003, 7) besitze. S. zeugen sowie Projekt- und Zeitmanagement
zeichnen sich v. a. durch drei Merkmale aus: (für einen Überblick über die wichtigsten S. vgl.
Erstens unterscheiden sie sich von fachlichen Nünning 2008). Besonders deutlich lässt sich
Fähigkeiten und Kenntnissen dadurch, dass sie der gestiegene Stellenwert von S. zum einen an
sich nicht auf eine bestimmte Disziplin oder ei- den Konzepten des lebenslangen Lernens und
nen beruflichen Sektor beziehen, sondern dass es der Wissensgesellschaft, zum anderen an den
Schlüsselqualifikationen 300

bundesweit eingeführten neuen B.A./M.A.-Stu- Schreibenden zu der jeweiligen Thematik in


diengängen ablesen. Diese Umstellung geht au- den Sinn kommt.
ßerdem einher mit der Einrichtung von ›Zen- Die Vielfalt unterschiedlicher Begrifflichkei-
tren für S.‹ und neuen Veranstaltungen, die auf ten zum S. spiegelt auch die Entwicklung wider,
die Vermittlung von S. bzw. sog. ›Allgemeinen die das S. im FU durchlaufen hat. War in vor-
Berufsqualifizierenden Kompetenzen‹ abzielen, ausgehenden Jahrhunderten das S. stark instru-
sowie mit einer grundlegenden Neuorientie- mentalisiert – sei es als Befolgen eines strikten
rung, die den Akzent von den Lehr- und Studi- Regelkatalogs mit normativer Inhaltsorientie-
eninhalten auf die S. bzw. Kompetenzen (bzw. rung, sei es als Herübersetzung fremdsprachli-
learning outcomes) verlagert, die Studierende cher Texte im FU – so setzt sich im 20. Jh. stär-
in den jeweiligen Lehrveranstaltungen erwer- ker die freie Textproduktion als Ziel des S.s
ben. Forciert wird diese Entwicklung durch die durch. Der traditionelle Aufsatz diente der Nie-
allseits erhobene Forderung nach einer stärke- derschrift von sachlichem Wissen, die ihrerseits
ren Praxis- und Berufsfeldorientierung. die Grundlage für das Lehren, Lernen und Be-
Lit.: H. Beck: S. Bildung im Wandel. Darmstadt 31997 werten bildete. Diese aus dem Muttersprachen-
[1993. – W. Hallet: Didaktische Kompetenzen. Lehr- unterricht stammende Funktion des S.s geriet
und Lernprozesse erfolgreich gestalten. Stgt 42009 im FU eher ins Hintertreffen, da zahlreiche
[2006. – H. Honolka (Hg.): S. Das Plus eines univer- Vermittlungsmethoden dem S. entweder keine
sitären Studiums. Informationen für Studierende,
Lehrende und Arbeitgeber. Mü. 2003. – V. Nünning Bedeutung beimaßen oder es nur in einer Hilfs-
(Hg.): Schlüsselkompetenzen. Qualifikationen für Stu- funktion für das Lernen sahen. Mit der kom-
dium und Beruf. Stgt/Weimar 2008. VN/AN munikativ-pragmatischen Wende in den 1970er
Jahren veränderte sich auch der unterrichtliche
Blick auf das (fremdsprachliche) S. Fortan
Schreiben zählt zu den produktiven fremd- rückte die Person des bzw. der Schreibenden
sprachlichen ä Fertigkeiten und kann im FU stärker in den Blickpunkt, und das S. wurde als
zahlreiche Funktionen innehaben. Es kann ein- wichtige Möglichkeit der Spracherweiterung
gesetzt werden, um den Lernprozess zu unter- und als ein wesentliches Merkmal der fremd-
stützen. Dies ist z. B. beim Notizenmachen oder sprachlichen Kommunikativität angesehen.
bei einem Diktat der Fall. Das S. dient hierbei Dabei begann man, das S. auch als bedeutsames
der Sicherung eines bestimmten, zu lernenden Instrument der Persönlichkeitsentwicklung zu
Inhalts oder zu lernender sprachlicher Struktu- sehen. Gleichzeitig wurde die Aufmerksamkeit
ren. Seine zentrale Bedeutung und Funktion er- durch (muttersprachlich orientierte) Arbeiten
hält es allerdings in kommunikativen Zusam- aus der Psycholinguistik verstärkt auf den
menhängen: Es wird ein schriftlicher Text pro- Schreibprozess gelenkt. Aus den dabei entstan-
duziert, um einen Inhalt angemessen zu denen Modellierungen (z. B. Bereiter/Scardame-
kommunizieren. Dabei bedient sich der bzw. lia 1987 oder Hayes/Flower 1980) erwuchs die
die Schreibende unterschiedlicher Textsorten, Einsicht in die Komplexität des S.s, das sich
deren Auswahl sich an der jeweiligen Funktion gerade nicht linear vollzieht, sondern aus pla-
orientiert, die mit dem S. erfüllt werden soll: nerischen und korrektiven Schleifen besteht.
Kieweg (2009, 3) unterscheidet in diesem Zu- Gleichzeitig resultierten daraus Einsichten in
sammenhang emotives, informatives, argumen- den fremdsprachlichen Aneignungsprozess so-
tatives, unterhaltsames bzw. kreatives S. sowie wie Impulse für die Gestaltung des FUs (vgl.
das S. zum Erhalten bzw. Aufrechterhalten per- Portmann 1991; Börner/Vogel 1992).
sönlicher Kontakte. Demgegenüber differen- Die Schreibforschung hat kompetente Schrei-
ziert Schreiter (2002) zunächst zwischen dem ber als Personen beschrieben, in denen Welt-,
gelenkten und dem freien S., wobei sie überwie- Sprach-, Adressaten- und Diskurswissen zu-
gend dem letztgenannten eine kommunikative sammenfließen. Im Rahmen eines komplexen
Funktion zuschreibt. Bei Pospiech (2005) liegt Miteinanders von Planungs- und Ausführungs-
der Akzent stärker auf der selbst verantworte- komponenten, das sich in miteinander verwo-
ten Abfassung und Strukturierung schriftlicher benen, aber keineswegs linear ablaufenden Pla-
Texte als einer Form der Wissensverarbeitung, nungs-, Formulierungs- und Bearbeitungspha-
wohingegen die reine Wissensweitergabe – ge- sen unter der Kontrolle des schreiberseitigen
rade bei Schreibanfängern – eine Aneinander- Bewusstseins vollzieht, gelangen Schreibende
reihung dessen darstellt, was dem bzw. der schließlich zu einem Textprodukt. Dabei wird
301 Schreiben

für den FU zu Recht darauf hingewiesen, dass verfremdete Texte können dazu beitragen, die
die einzelnen Komponenten eines erfolgreichen textsortenspezifischen Merkmale in das lerner-
Schreibvorgangs zunächst aufgebaut und geübt seitige Bewusstsein zu heben (ä Bewusstheit/Be-
werden müssen, wobei zu Übungszwecken eine wusstmachung) und damit den Schreibvorgang
gewisse Isolation dieser Komponenten in Kauf zu optimieren (ä Generisches Lernen).
genommen wird. Mit Hedge (2005) lassen sich Die Auffassung vom S. als einem zyklisch-
diese Komponenten wie folgt benennen: Das rekursiven Vorgang schließt ein, dass sich die
composing umfasst die Ideengenerierung, z. B. Prozesse des Suchens, Entwerfens und Überar-
durch Brainstorming, in deren Verlauf Ler- beitens zur Erstellung eines Textes wiederholen
nende die inhaltlichen Konturen des zu schrei- (müssen). Um die Fremdsprachenlernenden an
benden Textes aufbauen. Beim communicating die dafür notwendigen Kompetenzen heranzu-
nehmen die Lernenden Bezug zum Adressaten führen, ist es aus didaktischer Sicht notwendig,
ihres Textes und richten ihre sprachliche Pla- die oben beispielhaft erwähnten Aktivitäten in
nung auf ihn aus. Die konkrete Erstellung eines eine systematische Progression zu integrieren,
Textes, das crafting, beinhaltet auch die tex- die es den schreibenden Lernenden erlaubt, mit
tuelle Kohärenz der Argumentation. Im impro- zunehmender Kompetenz immer mehr Verant-
ving nehmen die Schreibenden ggf. Verbes- wortung für den eigenen Schreibprozess zu
serungen und Korrekturen vor. Diese vier übernehmen. Durch Aufgaben, die vor, wäh-
Komponenten interagieren – wie die Schreib- rend und nach der schriftlichen Textproduktion
forschung gezeigt hat – in vielfältiger Weise und bearbeitet werden, soll einerseits der Schreib-
stellen folglich keine lineare Abfolge dar. Ihr vorgang selbst entlastet werden; andererseits
geht die Schulung der instrumentellen Schreib- sollen dadurch aber auch die einzelnen Kompo-
fertigkeit in gewisser Weise voraus – man kann nenten der schriftlichen Textproduktion in das
das composing nur dann erfolgreich gestalten, Bewusstsein der Lernenden gehoben werden,
wenn man in der Lage ist, die gesammelten um so zu einer Optimierung des Produktions-
Ideen unter Verwendung der orthographischen und des Lernvorgangs beizutragen. Dies kann
Kenntnisse (ä Orthographie) niederzuschreiben. auch im Rahmen von kooperativem S. gesche-
Gleichwohl hat die analytische Trennung ihre hen, bei dem mehrere Lernende gemeinsam an
Berechtigung, nicht zuletzt mit Blick auf den einer Textproduktion arbeiten und diese inter-
FU. In ihm können unterschiedliche Verfahren aktiv aushandeln (vgl. z. B. Faistauer 1997).
zum Einsatz kommen, um die mit den jeweili- Im Zusammenhang mit dem S. finden sich
gen Komponenten verbundenen ä Kompetenzen begriffliche Nuancierungen und Konzepte wie
zu fördern. In Anlehnung an Blume (2007) hel- das ›freie S.‹, das ›kreative S.‹ oder – als Unter-
fen z. B. unterschiedliche Verfahren des Sam- form des freien S.s – das ›personale S.‹. Im
melns und Ordnens von Ideen den Lernenden freien S. können bzw. sollen Lernende ihre eige-
bei der inhaltlichen Planung des Schreibvor- nen Interessen und Gedanken versprachlichen
gangs; neben dem Brainstorming kommen hier und diesbezügliche Informationen übermitteln.
Mindmaps, Tabellen oder die Spiegelstrichtech- Dabei soll das freie S. nicht nur zur stärkeren
nik ebenso in Betracht wie das clustering, bei Durchdringung der fremdsprachlichen Struktu-
dem das – zum Teil assoziative – Verknüpfen ren beitragen, sondern es wirkt sich auch posi-
von Ideen zu Ideennetzen im Vordergrund tiv auf andere Fertigkeiten aus und hilft zudem
steht. Diese Verfahren unterscheiden sich insbe- den Lernenden bei der Strukturierung geistiger
sondere nach dem Grad der Ordnung, mit de- Handlungen. Während des Schreibprozesses
nen die gesammelten Ideen mit Blick auf die reifen Ideen und Gedanken, und das S. hilft
Aufgabenstellung sortiert werden. Die Bedeu- dabei, Ordnung und Struktur in diese Gedan-
tung, die den zukünftigen Leser/innen für die ken und Ideen zu bringen. Dies ist besonders
Textproduktion zukommt, kann durch text- dann der Fall, wenn die zu bearbeitende
analytisches Arbeiten mit unterschiedlichen Schreibaufgabe nicht vorlagengebunden ist (in-
Textsorten veranschaulicht werden, wobei dependent authorship) und die Schreibenden
diese durchaus in eine dem Lernstand angemes- weitgehend frei von lenkenden Auflagen und
sene ä Progression gebracht werden können: Beschränkungen bei der Textproduktion sind.
Briefe oder Mails dürften deutlich früher Ver- Damit trägt das freie S. dazu bei, dass Lernende
wendung im FU finden als appellative oder ar- die Kompetenz erlangen, mit sich selbst, der
gumentierende Texte. Lückenhafte Texte und Gesellschaft und ihren Konventionen umzuge-
Schreiben 302

hen. Keller (2013) spricht in diesem Zusam- mender Kompetenz der Lernenden an Bedeu-
menhang vom argumentativen S. und betrach- tung für die Bewertung. Zu Recht wird daher
tet dieses als wesentliches Ziel des Fremdspra- darauf hingewiesen, dass Lehrende damit je
chen-, zumindest des Englischunterrichts. Es ist nach Kompetenzgrad der SuS und je nach Ziel-
damit Bestandteil des schulischen Bildungsauf- setzung, die mit der Aufgabenstellung verbun-
trags und hilft bei der Orientierung in einer den ist, unterschiedliche, sich zum Teil ergän-
komplexen Welt. Freies S. gilt als stärker affekt- zende Funktionen übernehmen (vgl. Hyland
geladen und unterstützt zudem die Ausprägung 2003): controller, assessor, resource, promp-
von Lernerautonomie (ä Autonomes Lernen) ter, organizer, participant, observer und tutor.
dadurch, dass die Schreibenden als handelnde Das Spektrum der Rollen, die der Lehrkraft
Subjekte im Mittelpunkt stehen. Bei einer stär- hier zugeschrieben werden (ä Lehrer/in und
keren Vorlagegebundenheit (dependent autor- Lehrerrolle), erinnert an dasjenige, das für das
ship) liefern dagegen Textvorlagen den Impuls ä aufgabenorientierte Lernen typisch ist: Die
für das Verfassen von Texten; dies ist z. B. der Lehrkraft wirkt auf allen Ebenen darauf hin
Fall, wenn literarische Texte umgeschrieben bzw. trägt dazu bei, dass Lernende ihnen wich-
werden sollen. Diesbezügliche Aufgabenstel- tige Bedeutungen in einem kommunikativen
lungen fordern beispielsweise zu einer Ände- Zusammenhang aushandeln, ggf. auch entwi-
rung der Erzählperspektive auf, zum Umschrei- ckeln und an Gesprächs- bzw. Kommunikati-
ben der Handlung oder zur Entwicklung in- onspartner weiterleiten. Die im Zusammen-
haltlicher Alternativen. Im personalen S. stellen hang mit dem S. an die Lehrkraft gestellten
die Schreibenden ihre innere Sprache in den Herausforderungen ähneln zudem denjenigen,
Vordergrund, ohne an formale oder inhaltliche die sich als Charakteristika des ä offenen
Vorgaben gebunden zu sein. Seine Integration Unterrichts herausarbeiten lassen, in dessen
in den schulischen FU dürfte den Ausnahmefall Zentrum die Möglichkeit für die Lernenden
darstellen, da schulische Rahmenbedingungen steht, sich Lerngegenstände in ihrer Bedeutung
und damit verbunden nicht zuletzt die Frage für die Alltags- und Lebensbewältigung sowie
der Bewertung einem echten personalen S. eher für den aktuellen Lernprozess selbst zu er-
entgegenstehen. Beim kreativen S. steht die schließen.
Schöpferkraft der Schreibenden im Mittel- Bei der Entwicklung der fremdsprachlichen
punkt: Bereits ab einer sehr frühen Stufe der Schreibkompetenz spielen die kulturell gepräg-
Sprachaneignung können Lernende dazu er- ten Erfahrungen mit der schriftlichen Textpro-
muntert werden, Spaß am spielerischen Um- duktion in der Muttersprache eine wichtige
gang mit der Fremdsprache zu finden und krea- Rolle. Arbeiten zu ä Deutsch als Fremdsprache
tiv schreibend zu handeln (ä Kreativität). (vgl. exemplarisch Eßer 1997; Venohr 2007)
Die Entwicklung einer umfassenden Schreib- zeigen z. B., in welchem Umfang die kulturelle
kompetenz kann man sich auf einem Konti- Prägung durch muttersprachliche Textsorten-
nuum vorstellen, das bei Lernanfängern mit konventionen die Erstellung eines fremdsprach-
der schriftlichen Fixierung und Reproduktion lichen schriftlichen Textes beeinflusst. Der
von Wörtern, Strukturen oder kleinen Texten ä Gemeinsame europäische Referenzrahmen für
beginnt und bei der freien Textproduktion en- Sprachen ermuntert dazu, die schriftlichen Pro-
det, mit der eine umfassende Schreibkompetenz duktionen in der Fremdsprache differenziert zu
in der Fremdsprache einhergeht. Auf diesem schulen und zu betrachten, weist aber auch da-
Kontinuum verändern sich gleichzeitig die rauf hin, dass die muttersprachlichen Prägun-
Zielsetzungen, die mit dem S. verbunden wer- gen es erforderlich machen, den fremdsprachli-
den (können): Von der Initiierung oder Unter- chen Schreibprozess und das Bewusstsein über
stützung des Lernprozesses bis zur Entstehung, das Zustandekommen schriftlicher Produkte in
Bearbeitung und Verfestigung der Gedanken der Fremdsprache zum Unterrichtsgegenstand
beim S. und ihrer freien bzw. kreativen schrift- zu machen. Die Aufmerksamkeit, die dem S.
lichen Versprachlichung. Damit verschiebt sich gegenüber entgegengebracht wird, erscheint
auch die Grundlage für die Begleitung und Be- deutlich höher als bei den anderen sprachlichen
wertung des Textprodukts durch die Lehren- Fertigkeiten. Zwar gilt das Primat des Mündli-
den: Stehen am Anfang dieses Kontinuums chen für den FU weiterhin, doch fällt auf, dass
sprachliche Parameter deutlich im Fokus, so in den letzten Jahren an den Universitäten viel-
gewinnt die inhaltliche Dimension mit zuneh- fach Schreibzentren entstanden sind. Sie haben
303 Silent Way

v. a. zwei Funktionen: Zum einen wollen sie das in das wissenschaftliche S. FfM 2005. – F. Rabe: Eng-
S.lernen (in Mutter- und Fremdsprache) unter- lischsprachiges S. und Publizieren in verschiedenen
Fachkulturen. Wie deutschsprachige Forscher mit der
stützen und fördern – ein Umstand, der deut-
Anglisierung der Wissenschaftskommunikation umge-
lich macht, dass zumindest Studienanfänger/in- hen. Tüb. 2016. – I. Schreiter: Schreibversuche. Krea-
nen hier nicht unbeträchtliche Defizite auf- tives S. bei Lernern Deutsch als Fremdsprache. The-
weisen (vgl. z. B. Ballweg 2016). Zum anderen menvorschläge, Arbeitsempfehlungen und viele au-
belegen sie das gestiegene Interesse am wis- thentische Beispiele für phantasievolle Texte. Mü.
senschaftlichen S. (in der Fremdsprache). Stu- 2002. – E. Venohr: Textmuster und Textsortenwissen
aus der Sicht des Deutschen als Fremdsprache. Text-
dierende und Wissenschaftler/innen sollen die didaktische Aspekte ausgewählter Textsorten im Ver-
notwendigen Kompetenzen erlangen, um ange- gleich Deutsch-Französisch-Russisch. FfM 2007.
messene wissenschaftliche Texte in der Fremd- FGK
sprache verfassen zu können. Dabei zeigen em-
pirische Studien, dass unterschiedliche Fach-
kulturen das S. (in der Fremdsprache) durchaus Schriftlichkeit ä Mündlichkeit und Schriftlich-
unterschiedlich einschätzen: Während Vertre- keit
ter/innen geisteswissenschaftlicher Fächer die
angemessene Textproduktion als wichtigen Teil
der wissenschaftlichen Leistung interpretieren, Schüleraustausch ä Begegnung und Begegnungs-
neigen Naturwissenschaftler/innen und Ingeni- situationen
eurwissenschaftler/innen eher dazu, ihre fachli-
chen Ergebnisse in fremdsprachliche Hülsen zu
stecken, deren sprachliche Form sie unter äs- Schülerkorrespondenz ä Korrespondenz
thetischen oder stilistischen Aspekten eher als
nachrangig ansehen und bei der sie davon aus-
gehen, dass Mängel in der sprachlichen Gestal- Schülerorientierung ä Lernerorientierung
tung, v. a. in der sprachlichen Variation, den in-
haltlichen Kern eines Textes allenfalls am
Rande berühren (vgl. dazu Rabe 2016). Sehverstehen ä Visuelle Kompetenz
Lit.: S. Ballweg (Hg.): Schreibberatung und Schreib-
förderung. Impulse aus Theorie und Praxis. FfM
2016. – C. Bereiter/M. Scardamelia: The Psychology Selbstgesteuertes Lernen ä Autonomes Lernen
of Written Composition. Hillsdale 1987. – O.-M.
Blume: Sprechen und S. fördern. In: H.-K. Krechel
(Hg.): Französischmethodik. Handbuch für die Se- Serie ä TV-Didaktik
kundarstufe I und II. Bln 2007, 139–189. –
W. Börner/K. Vogel: S. in der Fremdsprache. Bochum
1992. – R. Eßer: »Etwas ist mir geheim geblieben am
deutschen Referat.« Kulturelle Geprägtheit wissen- Signalgrammatik ä Grammatik und Gramma-
schaftlicher Textproduktion und ihre Konsequenzen tikunterricht
für den universitären Unterricht von Deutsch als
Fremdsprache. Mü. 1997. – R. Faistauer: Wir müssen
zusammen schreiben! Kooperatives S. im fremd-
sprachlichen Deutschunterricht. Innsbruck 1997. –
Silent Way. Die Methode des s.w. wurde von
J.  Hayes/L. Flower: Identifying the Organization of dem ägyptischen Mathematiker und Psycholo-
Written Processes. In: L. W. Gregg/E. R. Steinberg gen Caleb Gattegno in den frühen 1960er Jah-
(Hg.): Cognitive Processes in Writing. Hillsdale 1980, ren zunächst für Mathematik und später für
3–32. – T. Hedge: Writing. Oxford/Bln 2005. – K. Hy- Sprachen entwickelt. Sie postuliert, dass die
land: Second Language Writing. Cambridge 2003. –
Lehrkraft so wenig wie möglich sprechen, da-
S. Keller: Integrative Schreibdidaktik Englisch für die
Sekundarstufe. Theorie, Prozessgestaltung, Empirie. gegen die Lernenden ermutigen sollte, so viel
Tüb. 2013. – W. Kieweg: Schreibprozesse gestalten, wie möglich zu produzieren. Wesentliche Be-
Schreibkompetenz entwickeln. In: Der fremdsprachli- standteile der Methode sind neben der stummen
che Unterricht Englisch 43/97 (2009), 2–8. – P. Port- Lehrperson, welche die Handlungen der Ler-
mann: S. und Lernen. Grundlagen der fremdsprach- nenden mit Hilfe eines metallenen Zeigestabs
lichen Schreibdidaktik. Tüb. 1991. – U.  Pospiech:
Schreibend S. lernen. Über die Schreibhandlung zum dirigiert, drei Medien: (1) fidels, d. h. farbig
Text als Sprachwerk. Zur Begründung und Umsetzung kodierte Lauttafeln mit den graphischen Sym-
eines feedbackorientierten Lehrgangs zur Einführung bolen des Phoneminventars der Mutter- (L1)
Silent Way 304

und Zielsprache (L2); (2) ein Set von Wandkar- s.g. sind mehr oder weniger in sich geschlos-
ten mit Listen von Grammatik und einem L2- sene, abgrenzbare Räume, wie z. B. ein im-
Grundvokabular; (3) eine Sammlung von Cui- meuble/Wohnblock (vgl. Debyser/Yaiche 1986),
senaire-Stäbchen, d. h. kubischen Stäbchen aber auch andere Orte wie eine Oase, eine Fe-
unterschiedlicher Länge und Farbe, die zur rienkolonie, ein Jugendzeltlager, ein Lehrerzim-
Einführung grammatischer Strukturen und mer, eine Reisegesellschaft, ein Hotel usw.
Darstellung kommunikativer Situationen ver- Yaiche (1996) gliedert die Chronologie einer
wendet werden. Die Entwicklung fremdsprach- s.g. grob in drei Schritte: (1) Etablierungsphase,
lichen Könnens erfolgt hier in einem Prozess (2) Gestaltungsphase, (3) Interventionsphase.
des trial and error, bei dem die Lernenden im- Im ersten Schritt (1) definieren die Lernenden
mer wieder Hypothesen aufstellen, testen, be- kooperativ den Handlungsraum, situieren ihn
stätigen, abändern oder verwerfen. Lernen wird räumlich wie zeitlich und geben sich jeweils
als ä entdeckendes Lernen, als kreatives, Pro- eine in diesem Kontext relevante fiktive Identi-
blem lösendes Verfahren betrachtet. Da die tät. Für die s.g. ›Reisegesellschaft‹ kann die
Lehrkraft das ganze Unterrichtsgeschehen mit- Lerngruppe z. B. vereinbaren, dass man sich in
tels diverser Materialien lenkt, ist in der Praxis einem Reisebus oder auf einem Langstrecken-
der Freiraum für ä Kreativität und Eigeninitia- flug, auf einem Kreuzfahrtschiff oder zu Fuß
tive der Lernenden allerdings eingeschränkt. auf dem Jakobsweg durch die Pyrenäen befin-
Das Schweigen der Lehrkraft dient als Instru- det. Je nach Lenkung durch die Lehrperson
ment, die ä Aufmerksamkeit und ä Bewusstheit wählen die Lernenden frei oder angeleitet eine
der Lernenden zu steigern. Die zumindest ver- fiktive Identität, z. B. bezogen auf die s.g.
bale Zurückhaltung der Lehrkraft soll dazu ›Kreuzfahrt‹ den Kabinensteward, die Millio-
führen, dass die Lernenden für ihr persönliches närsgattin, den Schiffskoch usw. Die in dieser
Lernen selbst Verantwortung übernehmen und Phase gestaltete Realität kann in unterschied-
voneinander lernen. Sie müssen genau zuhören, lichster Weise variiert werden (historisch, phan-
was ihre Mitschüler/innen sagen, um ihren ei- tastisch) und muss nicht einem Abbild der
genen Lernfortschritt steuern zu können. ä Feh- Wirklichkeit entsprechen. In einem zweiten
ler gelten dabei als notwendig und natürlich, Schritt (2) arbeiten die Lernenden diesen Rah-
denn sie sind vor dem Hintergrund der ä inter- men aus, wobei innerhalb des vorgegebenen
language willkommenes Feedback über den ei- Kontextes schriftliche und mündliche Sprach-
genen Lernstand und Anleitung zu zukünftigem produkte entstehen, die die Personen (Namen,
Lernen. Der Ansatz des s.w. geht über das Ziel Alter, Beruf, Eigenschaften, Vorlieben usw.)
reiner Sprachbeherrschung hinaus, denn der identifizierbar machen (z. B. durch Erstellen ei-
Erwerb einer Sprache dient der Entwicklung der nes Reisepasses, Notizen eines Kabinenste-
gesamten Persönlichkeit, wobei Unabhängig- wards über die Vorlieben der Passagiere usw.),
keit, Autonomie und Verantwortlichkeit beson- den thematischen Handlungsraum definieren
dere Beachtung finden. Der s.w. gilt als Rand- (Reiseroute, Essenszeiten, Speiseplan, Plan des
methode und wird heute kaum praktiziert. Schiffs, Animationsprogramm, Wetter usw.)
Lit.: C. Gattegno: Teaching Foreign Languages in und den darin agierenden fiktiven Personen
Schools. The S.W. N.Y. 21972 [1963. ET Bezugsnormen für ihr Handeln geben. Ein
weiterer Bestandteil dieser Phase ist die Ausar-
beitung von Routineinteraktionen innerhalb
Simulation ä Lehr- und Lernort, ä Simulation des Handlungsrahmens (z. B. Begrüßungssze-
Globale nen beim Gang in den Frühstückssaal, Präsen-
tation des Menüs durch den Kellner, Wahl der
Getränke beim abendlichen Dinner, Vorbe-
Simulation Globale ist ein inhaltsbezogenes Un- reitung auf den Landausflug usw.). Die dritte
terrichts- bzw. Lernarrangement, in dem Ler- Phase (3) umfasst spontane, vielfach kürzere
nende über einen längeren Zeitraum hinweg Handlungen, auf die die Lerngruppe innerhalb
(ca. 10 bis 60 Unterrichtsstunden) einen thema- ihrer unterschiedlichen Rollen reagieren muss.
tischen Rahmen sprachlich handelnd ausgestal- Diese Ereignisse oder Zwischenfälle können
ten. Die wesentlichen Planungsachsen sind durch die Lehrperson oder von der Lerngruppe
hierbei der Komplex ›Ort und Thema‹ sowie die selbst eingebracht werden: ein nahender Sturm,
darin handelnden Personen. Beispiele für eine eine Beschwerde, der vermisste Passagier nach
305 Situiertes Lernen

dem Landausflug usw. Keine eigene Phase im von Lernprozessen in Schule und Beruf. Im
eigentlichen Sinne stellt der Schluss der s.g. dar. Gegensatz zu der nicht länger haltbaren Vor-
Die Rückkehr aus der gestalteten Wirklichkeit stellung von einem erfolgreichen lehrerseitig
lässt sich z. B. durch ein Endereignis realisieren gesteuerten Wissenstransport (ä Lehrerzentrie-
(Ankunft im Zielhafen, Abschiedsfest). rung) erfordert das s.L. einen individuell akti-
Die s.g. wurde in den 1970er Jahren in Frank- ven Wissenserwerb, bei dem einige grundle-
reich von Francis Debyser, Jean-Marc Caré und gende Prinzipien zu beachten sind. Ausgangs-
Francis Yaiche im Zuge der Kritik an einer eng punkt ist in der Regel eine übergeordnete
am ä Lehrwerk basierten Spracharbeit entwi- nichtsprachliche Tätigkeit in einem situierten
ckelt. Im Rahmen der damals weit verbreiteten Kontext, zu deren Durchführung sprachliche
ä audio-visuellen Methode, die der eigenen Äußerungen (schriftlich oder mündlich) erfor-
Phantasie und ä Kreativität der Lernenden kei- derlich sind. Um beispielsweise ein neues Gerät
nen Raum ließ, war das Sprachenlernen sowohl erfolgreich einsetzen zu können, muss zuerst
auf die Sprachform bezogen als auch inhaltlich die Gebrauchsanweisung exakt studiert und die
eng gelenkt. Inspiriert durch die Bewegung manuelle Handhabung stufenweise erprobt
OULIPO (Ouvroir de Littérature Potentielle), werden. Weitere Prinzipien für ein erfolgreiches
die den (Form-)Zwang (im Sinne von Einschrän- s.L. sind das selbstgesteuerte ä entdeckende
kung) in den Mittelpunkt ihrer Arbeiten stellt, Lernen, die gezielte Förderung des Handlungs-
übernahmen die Begründer der s.g. diese Idee wissens (prozedurales ä Wissen), konstruktive
für ihr innovatives methodisches Konzept. Ihr bzw. kreative Aufgabenstellungen (ä Kreativi-
Ziel war es, die Gestaltungskraft der Lernenden tät) und die Reflexion über das lernstrategische
im Spannungsfeld von Offenheit und Begren- Vorgehen im sozialen Austausch mit Lernpart-
zung zur Entfaltung kommen zu lassen, wo- nern. Diese Forderungen erinnern zum einen an
durch die Sprache als Werkzeug ins Zentrum die didaktische Reformpraxis von John Dewey
rückt und nicht allein Lerngegenstand ist. Auf als den eigentlichen Erfinder des Projektlernens
diese Weise sollen Lernmotivation (ä Motiva- (ä Projektunterricht) und zum anderen an die in
tion) positiv beeinflusst und letztlich sprachliche den USA erprobten Methoden des cognitive ap-
Lernprozesse initiiert und gefördert und den prenticeship (Bewusstmachen von ä Lernstrate-
Lernenden ein »kommunikatives Experimen- gien), der anchored instruction (Steigerung der
tierfeld« (Sippel 2002, 40) bereitgestellt werden. Wissensnutzung), des problem-based learning
Eine weitere Entwicklungslinie der s.g. ist auf (Lernen durch Problemlösen), der cognitive
reformpädagogische Einflüsse zurückzuführen flexibility (Erhöhung des Anwendungstrans-
(ä Reformpädagogik); ein wesentlicher Wegbe- fers), des ä kooperativen Lernens und der ä Me-
reiter darf in Célestin Freinet gesehen werden, takognition (Bewusstmachung und Reflexion
dessen kindzentrierte Pädagogik, Vorstellung von mentalen Vorgängen).
von einer Arbeitsschule sowie Arbeits- und S.L. verläuft in transparenten Lernepisoden
Spielbegriff sich im Konzept und in diversen sozial interaktiv, handlungs- und aushand-
Arbeitsformen der s.g., wie z. B. dem freien lungsorientiert (ä Handlungsorientierung) und
ä Schreiben, wiederfinden. Aufgrund vielfacher schafft eine ganzheitliche Erlebnisqualität
Überschneidungen mit dem ä aufgabenorien- (ä Ganzheitliches Lernen). Das s.L. ist nicht nur
tierten Lernen (u. a. Output-/Ergebnisorientie- in der Arbeitswelt von Bedeutung, sondern
rung, ä Projektarbeit) kann der s. g. eine gewisse spielt auch im schulischen FU eine immer be-
Vorreiterrolle auf dem Weg zur Kompetenzori- deutsamere Rolle. So soll beispielsweise die
entierung (ä Kompetenz) zugestanden werden. Sprachgenerierung nicht länger situationsent-
Lit.: F. Debyser/F. Yaiche: L’immeuble. Paris 2007 bunden oder der Grammatikalität wegen ab-
[1986. – B. Freitag-Hild (Hg.): Themenheft »Simula- laufen, sondern vermehrt in ein Handlungskon-
tionen«. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch tinuum eingebettet sein (Sprechen und konkre-
147 (2017). – S. Mutet: S.g. et formation des enseig- tes Tun), das von nonverbalen Elementen
nants. Tüb. 2003. – V. Sippel: Ganzheitliches Lernen
im Rahmen der s.g. Tüb. 2002. – F. Yaiche: Les s.s g.s, situationsadäquat begleitet wird (ä Nonverbale
mode d’emploi. Paris 1996. JM Kommunikation). Im FU wird auf den Aspekt
der Tätigkeitssituation noch zu wenig Bezug
genommen, noch immer dominiert dort zu häu-
Situiertes Lernen ist weniger eine Methode als fig die Kommunikation um ihrer selbst willen.
eine komplexe Forderung an die Gestaltung Sprache und Handlung zusammen ermöglichen
Situiertes Lernen 306

durch die dadurch erreichte Mehrfachkodie- der Schulklasse stattfindet, unabhängig von der
rung der Lerninhalte ein multisensorisches Ler- initiierten sozialen Substruktur. ›Frontalunter-
nen (mit mehreren Sinnen), was zu einer er- richt‹ fokussiert rein auf die räumliche Konstel-
höhten Behaltensleistung im episodischen Ge- lation im Klassenzimmer. Das heißt, eine fron-
dächtnis führt (ä Neurodidaktik). Für die tale Situation tritt auch ein, wenn ein Schüler
Lernenden ist s.L. im Unterricht folglich immer oder eine Schülerin bzw. eine Schülergruppe die
dann möglich, wenn sie an realistischen Proble- Lenkung der Unterrichtssequenz übernimmt.
men in authentischen Situationen arbeiten Der Begriff der ›direkten Instruktion‹ dagegen
können. Dazu müssen die Lernaufgaben mit nimmt lediglich die Art der Steuerung der Lern-
vielfältigen Anwendungskontexten bzw. realis- prozesse in den Blick. Aufgrund der terminolo-
tischen und erlebnisnahen Situationsbezügen gischen Unklarheit wird im Folgenden der Be-
verknüpft sein. Kooperatives Problemlösen und griff ›Plenarunterricht‹ favorisiert. Dieser lässt
die unterstützende Arbeit mit Experten sind sich durch folgende Merkmale definieren: (1)
hierbei wichtige Faktoren. Der unterrichtliche Lehr-Lern-Prozess bezieht
Lit: J. Lave/E. Wenger: Situated Learning. Legitimate alle SuS einer Klasse ein. (2) Der gesamte Ab-
Peripheral Participation. N.Y. 1991. WK lauf der Lehr-Lern-Prozesse wird in zentraler
Weise durch eine, selten mehrere Personen ge-
steuert. (3) In der Regel übernimmt diese Steue-
Smartboard ä Computer-Assisted Language rungsfunktion die Lehrperson. Es gibt aller-
Learning, ä Medien, ä Tafel, Tafelbild und Ta- dings Sonderformen des Plenarunterrichts, in
felanschrieb denen SuS oder Schülergruppen die Lenkung des
Unterrichts von der Lehrperson übertragen be-
kommen (ä Lernen durch Lehren). (4) Effektivi-
Software ä Lernsoftware tät und Effizienz fachlicher/disziplinärer ä Lern-
ziele sind zentrale Kriterien für den Unterrichts-
erfolg. Dabei wird besonders die Erreichung
Song ä Musik kognitiver Lernziele im reproduktiven Bereich
betont. Plenarunterricht beinhaltet in der Regel
eine Reihe klar strukturierter Unterrichts-
Sozialformen. Unter S. werden die verschiede- schritte: (1) Präsentation des Unterrichtsziels
nen personellen Konstellationen bei der Gestal- durch den Lehrer/Schüler bzw. die Lehrerin/
tung von Lehr-Lern-Prozessen verstanden. S. Schülerin, (2) gelenkte Präsentation des Unter-
beschreiben, in welchen Beziehungsstrukturen richtsgegenstands in einem situativen Kontext,
im Unterricht gelernt wird. Dabei lassen sich (3) gemeinsames und strukturiertes Üben in der
vier Möglichkeiten unterscheiden: (1) der Ler- Klasse (im Plenum), (4) individuelles Üben (al-
ner bzw. die Lernerin arbeitet allein: Einzelar- lein, mit einem Partner bzw. einer Partnerin oder
beit; (2) der Lerner bzw. die Lernerin arbeitet in Gruppen), (5) Transfer des Unterrichtsgegen-
mit einem Partner: Partnerarbeit; (3) der Lerner standes auf einen neuen situativen Kontext.
bzw. die Lernerin arbeitet mit mehreren Part- Die Vorteile des Plenarunterrichts für den FU
nern: Gruppenarbeit; (4) die gesamte Lerner- liegen klar auf der Hand: Durch das hohe Maß
gruppe arbeitet gemeinsam: Plenarunterricht. an Planbarkeit entsteht Sicherheit für die Lehr-
Unterschiedliche S. entstammen unterschiedli- person. Dies ist gerade für Berufsanfänger/in-
chen Epochen bzw. hatten zu unterschiedlichen nen und Lehrende mit geringer Berufspraxis ein
Zeiten, bedingt auch durch bildungspolitische nicht zu unterschätzender Vorteil. Die Sprache
Schwerpunktsetzungen, Konjunktur. des Lehrenden hat Vorbildfunktion für die
Für den Unterricht mit der gesamten Lern- Sprache der Lernenden (z. B. Vorträge, Referate,
gruppe (= Schulklasse) gibt es eine Vielzahl un- ä Präsentationen). Für den Erwerb zu reprodu-
terschiedlicher Bezeichnungen. So finden wir zierenden Wissens hat sich die direkte Instruk-
häufig die Begriffe ›Klassenunterricht‹, ›Fron- tion als die effizienteste Methode erwiesen.
talunterricht‹ oder auch ›Direkte Instruktion‹ Andererseits hat der Plenarunterricht auch eine
(ä Instruktivismus/Instruktion). Viele dieser Be- Reihe von Nachteilen: Die dominante und
griffe sind nicht klar und trennscharf definiert. kleinschrittige Lenkung durch die Lehrperson
›Klassenunterricht‹ ist missverständlich, da der verhindert häufig selbstgesteuertes und selb-
klassische Fachunterricht immer im Rahmen ständiges Lernen. Zeitlich und inhaltlich genau
307 Sozialformen

festgelegte Lehrprozesse lösen nicht bei allen Lernen). Gruppenarbeit kann themengleich
Schüler/innen gleiche Lernprozesse aus. Die in- oder themenverschieden stattfinden. Gelegent-
dividuelle Entwicklung des einzelnen Schülers lich wird in Abhängigkeit von der Anzahl der
bzw. der einzelnen Schülerin findet zu wenig Partner/innen zwischen der Arbeit in Klein- und
Berücksichtigung. Häufig wird das ä Vorwissen Großgruppen unterschieden. Gruppengrößen
der Lernenden aufgrund der detaillierten Vor- zwischen drei und sechs Schüler/innen haben
ausplanung des Unterrichts nicht genügend be- sich in der Praxis als am günstigsten erwiesen.
rücksichtigt. Fremdsprachliche Kommunika- Gruppenarbeit ist wie die Partnerarbeit auch
tion zwischen den SuS findet nicht ausreichend ein Mittel zur Förderung der sozialen Kompe-
statt. Daraus resultierend ist die individuelle tenz und trägt zur Entwicklung wichtiger Per-
Sprechzeit der einzelnen Lernenden zu gering. sönlichkeitsmerkmale wie Selbst- und Mitbe-
Die produktiven Fertigkeiten wie ä Sprechen stimmungsfähigkeit, Eigen- und Mitverantwor-
oder kreatives ä Schreiben werden nicht ausrei- tung, ä Kreativität, Toleranz und Solidarität bei.
chend berücksichtigt. Soziales Miteinander und Für den FU ist besonders bedeutsam, dass
die Entwicklung von ä Sozialkompetenz kom- durch Gruppenarbeit die individuelle Sprech-
men zu kurz. Eine Weiterentwicklung des klas- zeit der Lernenden deutlich erhöht werden
sischen lehrergelenkten Plenarunterrichts sind, kann. Allerdings zeigt sich in der Praxis auch,
wie bereits erwähnt, Methoden wechselseitigen dass SuS mit geringer Selbststeuerungskompe-
Lernens und Lehrens (WELL). Hierbei über- tenz von Gruppenarbeit weniger profitieren als
nehmen Schüler/innen oder Schülergruppen die SuS mit hoher Selbststeuerungskompetenz. Da-
Lenkungs- und Steuerungsfunktion der Lehr- raus ergeben sich zwei Konsequenzen: Erstens
person. All diesen Methoden sind folgende kann Gruppenarbeit nicht das unorganisierte
Merkmale gemein: (1) Die SuS erarbeiten sich Miteinanderarbeiten mehrerer SuS sein; Grup-
Lernstoff selbständig. (2) Die SuS stellen diesen penarbeit muss gut geplant und klar struktu-
Stoff ihren Mitschüler/innen vor. (3) Die SuS riert werden, um alle SuS zu involvieren und zu
erstellen Übungs- und Testaufgaben für ihre aktivieren. Zweitens ist die Entwicklung von
Mitschüler/innen. ä Methodenkompetenz der SuS und damit die
Unter Einzelarbeit (auch Stillarbeit oder Al- Erhöhung ihrer Fähigkeit zur Selbstorganisa-
leinarbeit) wird das nicht unter der direkten tion eine wichtige Voraussetzung für funktio-
Lenkung der Lehrperson stehende selbständige nierende Gruppenarbeit. Gruppenarbeit ist im-
und selbsttätige Arbeiten des individuellen mer dann besonders effizient, wenn es gelingt,
Schülers verstanden. Einzelarbeit kann repro- dass die SuS Verantwortung für das eigene
duktiv (ä Übung) oder produktiv (selbständige Lernen und für das Lernen der Gruppe über-
Bewältigung einer komplexen Aufgabe) erfol- nehmen. Aus dem Konzept des kooperativen
gen. In der Regel werden Einzelarbeitsphasen Lernens ist die Idee des Schaffens positiver Ab-
zur Vorbereitung einer kooperativen Unter- hängigkeiten (positive Interdependenzen) über-
richtssequenz (z. B. vorbereitende ä Hausauf- nommen. Norm und Kathy Green (2005) nen-
gabe, Erkundung, Recherche), zur selbständigen nen folgende Formen positiver Abhängigkeiten:
Erarbeitung neuer Unterrichtsgegenstände oder (1) Zielabhängigkeit: Einer ist erfolgreich, wenn
zur Nachbereitung kooperativer Unterrichtsse- alle erfolgreich sind; (2) Belohnungsabhängig-
quenzen (nachbereitende Hausaufgabe, selb- keit: Alle Teammitglieder erhalten die gleiche
ständige Reproduktion, selbständiger ä Trans- Belohnung, wenn jedes Teammitglied erfolg-
fer) eingesetzt. Einzelarbeitsphasen bieten dabei reich ist; (3) Abhängigkeit von äußeren Einflüs-
immer die Möglichkeit der ä Individualisierung sen: Gruppen konkurrieren mit anderen Grup-
durch spezielle auf den einzelnen Lerner oder pen; (4) Reihenfolgeabhängigkeit: Die Gesamt-
auf Lernergruppen zugeschnittene differenzierte aufgabe wird in kleinere Einheiten unterteilt
Anforderungen (ä Differenzierung). Von beson- und in einer festgelegten Reihenfolge erledigt;
derer Bedeutung für effiziente Einzelarbeit ist (5) Abhängigkeit von der Umgebung: Gruppen-
die Qualität der gestellten Aufgaben (ä Aufga- mitglieder sind durch die physische Umgebung
benorientiertes Lernen). verbunden; (6) Rollenabhängigkeit: Jedem
Gruppenarbeit (auch Gruppenunterricht) ist Gruppenmitglied wird eine mit den anderen
ein arbeitsteiliges Verfahren. Innerhalb eines verbundene Rolle zugewiesen. Hierbei haben
geplanten Themas findet dabei kooperative und sich für den FU folgende Rollen als vorteilhaft
produktive Selbsttätigkeit statt (ä Kooperatives herausgestellt: task manager, language monitor,
Sozialformen 308

time monitor, recorder, presenter, emissary immer statt und dürfen von der Lehrperson
(vgl. Grieser-Kindel et al. 2016, 14 ff.); (7) Iden- nicht ignoriert werden. Vielmehr gilt es, diese
titätsabhängigkeit: Teamkameraden entwickeln durch teambildende Maßnahmen zu unterstüt-
eine Gruppenidentität; (8) Simulationsabhän- zen. Eine wesentliche Motivation funktionie-
gigkeit: Teammitglieder bearbeiten gemeinsam render Gruppenarbeit erwächst aus ihrem
eine hypothetische Situation; (9) Ressourcenab- Wettbewerbscharakter. Wenn sich die Grup-
hängigkeit: Die Teammitglieder müssen mit ei- penmitglieder mit ihrem Team identifizieren,
nem Satz Materialien pro Gruppe auskommen. grenzen sie sich dabei natürlich gegen die Mit-
Eine Gruppenarbeitsphase folgt in der Regel glieder der anderen Teams ab. Bei einer länger
einer klaren Ablaufsstruktur. Dabei lassen sich andauernden Arbeit in festen Gruppen kann
folgende Ablaufschritte unterscheiden: (1) Aus- dies zu unerwünschten Substrukturen in der
wahl und Spezifizierung eines Themas durch Gesamtlernergruppe (Klasse) führen. Hier liegt
die Lehrperson oder durch Lehrperson und es in der Verantwortung der Lehrkraft, sensibel
Lernende gemeinsam, (2) Strukturierung in zu erkennen, wann der Zeitpunkt für eine Neu-
Teilthemen, (3) Gruppenbildung, Bearbeitung strukturierung der Klasse gekommen ist.
der Teilthemen in den Gruppen, (4) Präsenta- Mit Partnerarbeit ist die zeitweilige, meist
tion der Ergebnisse, (5) Beurteilung der Leis- kurzphasige Zusammenarbeit zweier Schüler/-
tungen von Einzelnen bzw. Gruppen (self-, innen gemeint. Partnerarbeit kann in jedem
peer- oder teacher evaluation). Einen entschei- Falle, wie Gruppenarbeit auch, zur Entwick-
denden Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg der lung von Teamfähigkeit als ä Schlüsselqualifi-
Gruppenarbeit hat besonders die Phase der kation im Rahmen einer umfassenden Allge-
Gruppenbildung. Dabei sind prinzipiell drei meinbildung beitragen. Im Prinzip trifft die
unterschiedliche Verfahrensweisen möglich: (1) Mehrzahl der für die Gruppenarbeit gemachten
Gruppenbildung durch Entscheidung der SuS: Aussagen auch auf die Partnerarbeit zu. Als
Entscheidungskriterien können dabei das Inter- Vorteile von Partnerarbeit gegenüber der Grup-
esse am Thema oder Sympathie zu Mitlernen- penarbeit wären zu nennen: Der Vorbereitungs-
den sein. In der Regel haben die SuS bei dieser aufwand von Partnerarbeit ist geringer als bei
Art der Gruppenbildung das Gefühl einer ho- Gruppenarbeit bei gleichzeitiger hoher Schüler-
hen Partizipation. Sie fühlen sich von der Lehr- aktivierung (ä Aktivierung). Partnerarbeit be-
person ernst genommen, was sich in einer darf keiner so großen Einübung. Für den FU ist
höheren Arbeits- und Leistungsmotivation nie- besonders relevant, dass die individuelle
derschlagen kann (ä Motivation). (2) Gruppen- Sprechzeit bei Partnerarbeit noch höher ist als
bildung durch Entscheidung der Lehrperson: bei Gruppenarbeit. Um annähernd authentische
Hier sind didaktische Erwägungen der Lehr- Kommunikationsbedürfnisse zu evozieren, ha-
person die Entscheidungsgrundlage (homogene ben sich zwei methodische Konzepte als geeig-
vs. heterogene Gruppierung, Gruppierung nach net erwiesen: ä information-gap und opinion-
Leistung, Geschlecht, Ethnie usw.). Der Vorteil gap activities. Dabei erhalten beide Partner
ist, dass die Gruppen passgenau zur Lehrinten- materialgesteuert unterschiedliche Informatio-
tion zusammengestellt werden können. (3) nen zu einem Thema. Dieses künstlich provo-
Gruppenbildung per Zufall: Hierfür gibt es zierte Informationsdefizit bei beiden Partnern
zahlreiche Möglichkeiten (Farben, Zahlen, Bil- führt im günstigsten Falle zu einem Kommuni-
der, Teile kurzer Texte, Süßigkeiten usw.). Der kationsbedürfnis, welches dann durch Kommu-
besondere Vorteil dieses Verfahrens ist, dass die nikation ausgeglichen wird.
SuS das Gefühl haben, es sei besonders fair zu- Modernere Unterrichtskonzepte kombinie-
gegangen. Gerechtigkeit und Fairness zählen zu ren die klassischen S. in strukturierter, für Leh-
den von SuS höchstgeschätzten Eigenschaften rende und Lernende gleichermaßen transparen-
von Lehrkräften. Alle Varianten der Gruppen- ter Form, was zu hoher Effizienz führt. So be-
bildung können in Abhängigkeit vom situativen steht der Dreischritt des kooperativen Lernens
Kontext und der Lehrintention sinnvoll und in der Regel aus einer Phase der Einzelarbeit
richtig sein. Wichtig ist allerdings, zu berück- (Think!), der Partner- oder Kleingruppenarbeit
sichtigen, dass eine, nach welchen Kriterien (Pair!) und einer abschließenden Phase der
auch immer, zusammengestellte Gruppe noch Plenararbeit (Share!). Eine solche Kombination
kein arbeitsfähiges Team darstellt. Gruppendy- unterschiedlicher S. und damit auch unter-
namische Prozesse finden in Arbeitsgruppen schiedlicher Lern- und Arbeitsformen weist
309 Sozialkompetenz

eine Reihe von Vorteilen auf: Leistungsschwä- Sozialkompetenz. Ausgelöst durch die ä PISA-
chere oder kommunikationsängstliche SuS er- Studie und weitere Leistungsvergleiche, aber
halten durch die bewusste Nachdenkphase und zuvor bereits angelegt durch gesellschaftliche
durch die Kommunikation zunächst mit nur Entwicklungen, entstanden zu Beginn des
einem Partner größere Sicherheit. Die Lernin- 21. Jh.s zwei pädagogische Trends, die für die
halte werden kognitiv besser durchdrungen. Herausbildung von S. entscheidend wurden:
Die SuS sind praktisch gezwungen, Verantwor- zum einen die Verschiebung von der Input- zur
tung für das gemeinsame Lernergebnis zu über- Output-Orientierung mit der Folge, dass Bil-
nehmen. Die kommunikativen Fähigkeiten und dungsstandards (ä Standards) die Entwicklung
Fertigkeiten werden durch Erhöhung der Kom- der für das künftige Erwachsenenleben erfor-
munikationszeit gefördert. Durch die klare derlichen ä Kompetenzen bei SuS in den Mittel-
Konturierung und Strukturierung des Unter- punkt rücken; zum anderen der Versuch, die
richts reduzieren sich Störungen. Die innere Wissensflut unserer Zeit dadurch zu bewälti-
ä Aktivierung und Beteiligung der SuS wird grö- gen, dass nicht der abfragbare Erwerb von
ßer (vgl. Green/Green 2005). Folgende Schritte Faktenwissen ä Bildung ausmacht, sondern der
sollten in einem auf Integration unterschiedli- lebendige Zusammenhang von ä Wissen, Kom-
cher S. ausgerichteten Unterricht vorhanden petenzen und Können. Benötigt werden heute
sein (vgl. Brüning/Saum 2006, 157 ff.): Vorbe- neben den inhaltlichen Kompetenzen bereichs-
reitung von Materialien; Herrichtung des Rau- übergreifende kognitive, motivationale, volitio-
mes; Schaffung von Aufmerksamkeit (Begrü- nale und soziale Kompetenzen.
ßung, Herstellen von Präsenz und Konzentra- Das Konzept von S. entstand v. a. im Zusam-
tion, Motivation); Schaffung von Transparenz menhang mit sozialer Intelligenz, wobei Ed-
hinsichtlich der geplanten Lernziele, -inhalte ward Lee Thorndike 1920 den entscheidenden
und -methoden; (Re)Aktivierung von Vorwis- Schritt zur Begriffsprägung auch durch Abgren-
sen und Vorerfahrungen; Vorstellung des zen- zung des neuen Begriffs von akademischer und
tralen Problems; Erklären der Aufgabe und praktischer Intelligenz tat. Heute sind in der
Stellen des Arbeitsauftrags; Erläuterung der er- Fachliteratur vielfach unterschiedliche Konkre-
warteten Verhaltensweisen und der Leistungs- tisierungen der S. zu finden. Ausgehend von der
kriterien; evtl. Vorstellung eines Modells; Orga- sozialen Intelligenz (d. h. der Fähigkeit, Men-
nisation und Begleitung von Einzel-, Gruppen- schen zu verstehen und mit ihnen umzugehen
und Plenararbeit; Sicherung der Ergebnisse; sowie in sozialen Beziehungen klug zu handeln)
Beurteilung der SuS und der Gruppen; Organi- bezeichnet ihre Weiterentwicklung zur S. den
sation der Metareflexion; Herbeiführen eines Komplex all der persönlichen Fähigkeiten und
Abschlusses. Dabei ist denkbar, dass die Len- Einstellungen, die dazu beitragen, das eigene
kung und Steuerung des Unterrichtsprozesses Verhalten von einer nur individuellen auf eine
allein durch die Lehrperson, durch Lehrperson gemeinschaftliche Handlungsorientierung hin
und (ausgewählte) Schüler/innen gemeinsam auszurichten. Sozial kompetentes Verhalten
oder durch Schüler(gruppen) erfolgt. Zusam- verknüpft die individuellen Handlungsziele von
menfassend lässt sich folgendes Fazit ziehen: Personen mit den Einstellungen und Werten ei-
Keiner S. gebührt eine bevorzugte Stellung per ner Gruppe. Demgegenüber beziehen sich per-
se. Das entscheidende Qualitätskriterium sonale Kompetenzen auf die subjektive Welt
(ä Qualität) für guten Unterricht ist der intenti- und beinhalten Aspekte und Fähigkeiten, mit
onale (d. h. der den Rahmenbedingungen, den sich selbst klar zu kommen. Die Unterschei-
Lernervoraussetzungen und den Lehrintentio- dung zwischen personaler und sozialer Kompe-
nen gerecht werdende) und integrative Einsatz tenz ist nicht immer trennscharf. Noch konkre-
der unterschiedlichen S. ter kann man sagen: S. umfasst Kenntnisse,
Lit.: N. Green/K. Green: Kooperatives Lernen im Fertigkeiten und Fähigkeiten, die dazu befähi-
Klassenraum und im Kollegium. Das Trainingsbuch. gen, in den Beziehungen zu Menschen situati-
Seelze 52010 [2005. – Ch. Grieser-Kindel/R. Henseler/ onsgerecht zu handeln. Dazu gehören z. B. die
S. Möller: Method Guide. Methoden für den Englisch- Kommunikationsfähigkeit (Kann ich auf an-
unterricht. Klassen 5–13. Bd. 1. Paderborn 2016. – dere zugehen? Wie wirke ich?), Kooperations-
L.  Brüning/T. Saum: Erfolgreich unterrichten durch
Kooperatives Lernen. Strategien zur Schüleraktivierung. fähigkeit (Kann ich mit anderen zusammenar-
Essen 32007 [2006. – Friedrich Jahresheft: Individuell beiten, andere Ideen akzeptieren?), Konfliktfä-
lernen, kooperativ arbeiten. Seelze 2008. FH higkeit (Wie verhalte ich mich bei Problemen?),
Sozialkompetenz 310

Einfühlungsvermögen (Merke ich, was andere Fremdsprache zu lernen. Laut Zahlen des 1991
empfinden?), emotionale Intelligenz (Wie be- gegründeten Instituto Cervantes, das sich die
wusst gehe ich mit eigenen und fremden Gefüh- Förderung der spanischen Sprache und Kultur
len um?) usw. zum Ziel gesetzt hat und weltweit für die Organi-
S. ist nicht angeboren; sie muss vom Indivi- sation und Durchführung von Sprachprüfungen
duum entwickelt und so früh wie möglich durch zur Erlangung eines DELE-Zertifikats (Diploma
Erziehung und Bildung gefördert werden. Wenn de Español como Lengua Extranjera) zuständig
wir von S. in Unterrichtssituationen sprechen, ist (ä Zertifikate), wird es im Jahr 2050 voraus-
kann das ä kooperative Lernen eine Schlüssel- sichtlich ca. 750 Mio. S.sprecher/innen geben
rolle spielen, weil wir wissen, dass Zusammen- (vgl. Instituto Cervantes 2016, 8). In Deutsch-
arbeit für die Entwicklung von S. ein unver- land wird dem S.en im schulischen Kontext oft-
zichtbares Element ist. Kooperatives Lernen mals ein ›Boom‹ nachgesagt, da die Anzahl der
kommt voll zum Zuge in einem handlungsori- S.lernenden SuS in den letzten 15 Jahren auf
entierten Unterricht (ä Handlungsorientierung). etwa 400.000 gestiegen ist und sich somit ver-
Ebenso wichtig für die Förderung von S. ist die dreifacht hat, wenngleich noch immer über 95 %
Ausrichtung des modernen FUs auf die Ent- der SuS das Fach während der Schulzeit nicht
wicklung von ä interkultureller kommunikati- belegt. S. ist aber trotz sinkender Gesamtschüler-
ver Kompetenz als wichtigem Teilaspekt von S. zahl bundesweit gesehen das fremdsprachliche
Die Umsetzung in konkretes Unterrichtsgesche- Fach mit den höchsten Zuwachsraten.
hen setzt eine sich allmählich entwickelnde Die spanische Sprache gehört zur Familie der
ä Methodenkompetenz voraus, also Kenntnisse, romanischen Sprachen, die wiederum aus dem
Fertigkeiten und Fähigkeiten, die es ermögli- Vulgärlatein hervorgegangen sind. Der Ur-
chen, Aufgaben und Probleme leichter gemein- sprung des castellano liegt in Alt-Kastilien, von
sam zu bewältigen, indem sie die Auswahl, Pla- wo es sich im Zuge der Wiedereroberung der
nung und Umsetzung sinnvoller Lösungsstrate- von den Mauren beherrschten Gebiete durch
gien ermöglichen durch Analysefähigkeit, die Christen (Reconquista) immer weiter nach
ä Kreativität, Lernbereitschaft, Denken in Zu- Süden ausbreitete. Der große Einfluss der ara-
sammenhängen, Rhetorik usw. Schließlich muss bischen Sprache, die über 700 Jahre auf der
die bereichsübergreifende Kompetenzentwick- Iberischen Halbinsel vorherrschend war, ist bis
lung verbunden werden mit der Entwicklung heute v. a. im Wortschatz erkennbar, z. B. am
einer Selbstkompetenz, also Fähigkeiten und vorgesetzten arabischen Artikel ›a(l)‹ wie in
Einstellungen, in denen sich die individuelle algodón (Baumwolle), azúcar (Zucker) oder
Haltung zur Welt und insbesondere zur Arbeit alcalde (Bürgermeister). Eine Besonderheit des
ausdrückt. Die Schnittmenge der verschiedenen S.en stellt der große diatopische, diastratische
Kompetenzbereiche ist die individuelle Hand- und diaphasische Varietätenreichtum dar. Es
lungskompetenz einer Person: also die Befähi- existieren z. B. in den verschiedenen Ländern
gung eines Menschen, sich situativ angemessen mit S. als Amtssprache deutliche Unterschiede
zu verhalten, selbstverantwortlich Probleme zu im Wortschatz (spa. coche, mex. carro, arg.
lösen, bestimmte Leistungen zu erbringen und auto), in der Grammatik (leísmo vs. loísmo)
mit anderen Menschen angemessen umzugehen. oder bei der Aussprache (ceceo vs. seseo); diese
Lit.: W. Roth: S. fördern in Grund- und Sekundarschu- Unterschiede zwischen europäischem und ame-
len auf humanistisch-psychologischer Basis. Bad Heil- rikanischem S. sind i. d. R. aber kein Grund für
brunn 2006. – K. Rebel (unter Mitarb. von W. Saß- Verständnisschwierigkeiten. Aus Schülersicht
nick-Lotsch): Lernkompetenz entwickeln. Modular hingegen führt der Varietätenreichtum des S.en
und selbstgesteuert. Braunschweig 2008. KR
sehr wohl in Teilen zu Lernschwierigkeiten;
demgegenüber gilt die häufig anzutreffende 1:1-
Soziokulturelle Ansätze ä Spracherwerb und Beziehung zwischen Phonem und Graphem als
Spracherwerbstheorien lernerleichternd, da die spanische Orthografie
relativ exakt die Aussprache wiedergibt.
Da der S.unterricht in Deutschland zumeist
Spanisch gehört zu den am weitesten verbreite- als dritte Fremdsprache, aber zunehmend auch
ten Sprachen der Welt: Ca. 400–500 Mio. Men- als zweite Fremdsprache angeboten wird und
schen sprechen S. entweder als Erst- oder Zweit- Lernende somit über Kenntnisse in mindestens
sprache und ca. 20 Mio. sind im Begriff, S. als einer weiteren Fremdsprache verfügen, sollten
311 Sprachdidaktik

beim methodischen Vorgehen verstärkt Prinzi- und Lernprozessen bei der Vermittlung von
pien der ä Mehrsprachigkeitsdidaktik beachtet Fremdsprachen. Die verschiedenen Unterberei-
werden; interkomprehensiv angelegte Aufga- che umfassen sowohl den Gegenstand, die be-
benformate (ä Interkomprehension) machen die teiligten Personen und Prozesse und die invol-
verschiedenen Möglichkeiten der Vernetzung vierten Institutionen; außerdem schließen sie
auf sprachlicher, kultureller und strategischer die folgenden Gebiete ein: die linguistische
Ebene bewusst, die wiederum zu einem schnel- Sprachanalyse und Sprachreflexion, die Erfor-
leren Einstieg und einer erhöhten Progression schung von ä Spracherwerb, Formen sprachli-
führen (vgl. u. a. Bär 2009). Hinsichtlich des chen Wissens, die Theorie und Praxis der Me-
Varietätenreichtums stellt sich im S.unterricht thoden im Sprachunterricht, die Vorbereitung
zudem immer wieder die Frage, welches S. zu auf das Berufsfeld Schule bzw. Hochschule. Die
lehren und lernen sei. Die Real Academia Espa- S. ist eine Wissenschaft zwischen Theorie und
ñola (RAE), die mit inzwischen 21 weiteren Praxis, die einerseits mit empirischen Methoden
Sprachakademien die Asociación de Academias den Sprachunterricht beschreibt und daraus
de la Lengua Española (ASALE) bildet, betont entscheidende Theorien und Modelle ableitet
in diesem Zusammenhang, dass alle Varietäten bzw. etabliert und andererseits diese Modelle
als gleichberechtigt anzusehen sind. im Sprachunterricht praktisch anwendet. In
Im Zuge der steigenden Lernerzahlen, die diesem Kreislauf von Wissenserwerb und Wis-
zuletzt wiederum zu weiter wachsenden Studie- sensvermittlung stehen folgende Aspekte im
rendenzahlen geführt haben, emanzipierte sich Mittelpunkt: (1) Das ›Was‹ des Fremdsprachen-
auch die S.didaktik als eigenes Lehr- und For- lehrens und -lernens: Was ist der Gegenstand
schungsgebiet an vielen Universitäten, so dass des Lernens und Lehrens? Präziser: Was ist
nun immer häufiger ein sprachen- und themen- Sprache und was ist ä Kommunikation? Was
spezifisches Curriculum für angehende S.lehr- genau verstehen wir unter Sprachstruktur und
kräfte angeboten werden kann. Auch der Markt Sprachgebrauch? Für die beteiligten Lehrenden
mit didaktisch-methodischer Fachliteratur so- ist es dabei nicht nur wichtig zu wissen, wie die
wie mit empirischen Studien zu S.unterricht hat zu erwerbende Sprache beschrieben werden
sich in den letzten Jahren kontinuierlich weiter kann, sondern v. a. auch kontrastiv die Unter-
ausdifferenziert (vgl. exemplarisch Bär/Franke schiede zwischen der Zweit- und der jeweiligen
2016). Zeugnis hiervon legen u. a. eine wach- Erst- bzw. Muttersprache ihrer Lernenden zu
sende Zahl an Lehrwerken inkl. Zusatzmate- kennen. (2) Die am institutionalisierten Fremd-
rialien ab, die sich im Angebot verschiedener sprachenerwerb beteiligten Personen (›Wer‹?):
Schulbuchverlage für unterschiedliche Jahr- Welche Personen sind in Sprachlern- und -lehr-
gangsstufen befinden, sowie eine verstärkte prozessen involviert? Wie setzen sich die Ler-
Nachfrage nach Sprachzertifikaten wie z. B. nenden zusammen hinsichtlich Muttersprache,
DELE oder UNIcert. sprachlichem ä Vorwissen, Sprachlernbiogra-
Lit.: M. Bär: Förderung von Mehrsprachigkeit und phien, kognitiver und sozialer Variablen? In-
Lernkompetenz. Fallstudien zu Interkomprehensions- wieweit spielen die spezifischen Fähigkeiten
unterricht mit Schülern der Klassen 8 bis 10. Tüb. und Lehr-/Lernbiographien der Lehrenden eine
2009. – M. Bär/M. Franke (Hg.): S.-Didaktik. Praxis- Rolle bei der Vorbereitung, Durchführung und
handbuch für die Sekundarstufe I und II. Bln 2016. –
Instituto Cervantes (Hg.): El español. Una lengua viva. Interaktion des Sprachunterrichts? (3) Das
Informe 2016. http://www.cervantes.es/imagenes/File/ ›Wie‹ des Fremdsprachenlehrens und -lernens:
prensa/EspanolLenguaViva16.pdf. MBä Wie wird Sprache erworben und vermittelt?
Welche Faktoren spielen eine entscheidende
Rolle bei der Frage, wie Lernende erfolgreich
Spiele ä Sprachlernspiele Sprache erwerben und verwenden können?
Gibt es verschiedene ä Lernertypen, ä Lernstra-
tegien und andere kognitive und soziale Variab-
Sprachbewusstsein ä Bewusstheit/Bewusstma- len, die im Zusammenspiel je nach Lernerzu-
chung sammensetzung verschieden stark berücksich-
tigt werden müssen? (4) Fragen der Didaktik
und ä Methodik: Mit welchen Lernformen,
Sprachdidaktik. Als ein Teilbereich der ä Fremd- Materialien, Abläufen, ä Lehrplänen, Kontexten
sprachendidaktik befasst sich die S. mit Lehr- (ä Kontextualisierung), Institutionen, Schular-
Sprachdidaktik 312

ten usw. können die ä Lernziele des FUs erfolg- Ergebnissen in der Spracherwerbsforschung
reich umgesetzt werden? (hier v. a. Stephen Krashen) basierte. Entschei-
In der S. wird der Gegenstand ›Sprache‹ in dend für die Entwicklung in der S. war die An-
nicht immer einheitlicher Definition behandelt. nahme der Systemhaftigkeit bei der Lernerspra-
Dadurch werden jeweils spezifische und ver- che, der sog. ä interlanguage, d. h., die bisher als
schiedene Eigenschaften bei der Beschäftigung Probleme oder insbesondere ä Fehler geahnde-
mit Sprache in den Mittelpunkt gestellt und so ten Abweichungen in der Zielsprache erhielten
eine Reihe von Untersuchungsfeldern eröffnet: dadurch einen anderen Stellenwert, dass sie den
die Systemhaftigkeit auf den linguistischen Lehrenden Anhaltspunkte für einen natürlich
Ebenen der Phonologie, Syntax und Semantik; ablaufenden Spracherwerbsprozess lieferten. In
die Symbolhaftigkeit im Verhältnis von Spra- den 1980er und insbesondere 1990er Jahren
che, Realität und historischer Entwicklung; die setzten die Schulen des ä Konstruktivismus und
physikalisch messbaren Eigenschaften in der Funktionalismus neue Akzente und erweiterten
Artikulation und Perzeption; die kognitiven die Sichtweise auf die interlanguage, indem sie
Grundlagen, die Kommunikationssysteme wie eine Variabilität der interlanguage aufzeigen
Sprecher-Hörer-Interaktion; die soziolinguisti- konnten, da nun nicht nur die Form der Spra-
schen Ebenen wie Sprachvarietäten und ä Kul- che, sondern insbesondere der Gebrauch von
tur; die menschliche und nicht-menschliche Sprache in den Mittelpunkt der Forschung
Kommunikation; die sprachlichen Universalien, rückte, so dass eine pragmatische Ebene (der
die besonders im Spracherwerb eine Rolle spie- speech act theory folgend) und soziokulturelle
len. Im englischen Sprachgebrauch wird für die Variablen in das Erklärungsbild aufgenommen
Bezeichnung von S. ein Teilbereich der sog. An- wurden. Seit dieser Zeit wird fortlaufend ver-
gewandten ä Sprachwissenschaft verwendet – sucht, diese Ansätze im ä kommunikativen FU
nämlich »learning and teaching of languages«. umzusetzen, indem nicht nur die grundlegen-
Die Bedeutung von Linguistik für diesen Be- den  linguistischen ä Kompetenzen, sondern
reich wird als »core feature« dieser Disziplin ebenfalls pragmatische, soziokulturelle und
betrachtet (vgl. Kaplan 2002). diskursive Kompetenzen vermittelt und trai-
Historisch betrachtet, hat sich der Einfluss niert werden. In der Umsetzung werden die vier
der Linguistik auf die S. entsprechend der dort Fertigkeiten ä Sprechen, ä Hörverstehen, ä Lese-
und in der Lernpsychologie entstandenen Schu- verstehen und ä Schreiben gefördert, wobei al-
len entwickelt. Am Anfang des 20. Jh.s und lerdings zumindest theoretisch eine deutlich
dann wieder intensiv in den 1940er und 1950er steigende Wichtigkeit auf das Sprechen als
Jahren beeinflussten der Strukturalismus aus Grundlage menschlicher Kommunikation ge-
der Linguistik und der Behaviorismus aus der legt wird. Inwieweit diese Wichtigkeit auch im
Psychologie zusammen die Entstehung der FU umgesetzt wird, gehört zu den neueren For-
ä audio-lingualen Methode, die mit der Be- schungsvorhaben innerhalb der S. Bei dieser
schreibung der Performanzebene und den The- Umsetzung werden nicht nur auf der inhaltli-
men Empirismus, Konditionierung und Verstär- chen Ebene (Sprache wird in erster Linie als
kung einen starken Impuls für den FU erzielte. Gegenstand der Kommunikation betrachtet),
Der Einfluss der Muttersprache wurde in der sondern v. a. für den Bereich der Unterrichts-
kontrastiven Hypothese einseitig negativ darge- form neue Wege beschritten: Neben dem ehe-
stellt, so dass auftauchende Probleme bevorzugt mals frontal ausgerichteten lehrerzentrierten
durch eine Abweichung bei muttersprachlicher Unterricht (ä Lehrerzentrierung) werden andere
und fremdsprachlicher Struktur erklärt wurden ä Sozialformen installiert (Partner- und Grup-
(ä Interferenz, ä Transfer). In den 1960er und penarbeit, Lernzirkel, Stationenlernen). Durch
1970er Jahren führte insbesondere die durch diese neuen Lernformen (ä Offener Unterricht)
Noam Chomsky eingeleitete Entwicklung der und entsprechend entwickeltes Material knüpft
generativen Transformationsgrammatik bis hin das so initiierte ä autonome und eigenverant-
zur Universalen Grammatik mit der Annahme wortliche Lernen an die Grundannahmen des
einer zugrundeliegenden Kompetenzebene, der Konstruktivismus an.
Innateness-Hypothesis, und dem Konzept des In der Methodik der S. werden die Schulen
Universalismus zu einem langsamen Abbau der der Linguistik und Psychologie zum Teil wider-
audio-lingualen Methode und v. a. in den USA gespiegelt, d. h., sie baut auf ihnen auf, mischt
zu einem Input-orientierten Ansatz, der auf den verschiedene Ansätze und führt so zu einer
313 Sprachenpolitik

Vielzahl von Möglichkeiten, die aus mehreren danfurten 42.000 Efraimiter erschlagen wurden,
Teilkomponenten bestehen: Lehr- und Lernme- weil sie das Wort ›Schibbolet‹ als ›Sibbolet‹ aus-
thoden, Lehrinhalte, Curriculum, Materialent- sprachen (Buch der Richter 12, 5 ff.). Da die ei-
wicklung, Prüfungen, ä Tests und Evaluation gene Sprache die wohl intimste Form der Selbst-
(ä Leistungsermittlung, ä Leistungsbewertung). identifikation des Menschen ist, ist die Unterdrü-
Die Methodik umfasst hierbei sowohl die prak- ckung von Sprachen zu allen Zeiten ein probates
tische Umsetzung von theoriegeleiteten Verfah- Mittel der Gewaltausübung und Bestrafung ge-
ren als auch den empirischen Ansatz (ä Empirie) wesen. Das Jiddische hat dieses Schicksal in den
zur Theorieentwicklung (Methodologie), in der vergangenen 800 Jahren immer wieder erlebt
seit längerem zunehmend qualitative ä For- und dann auch das Deutsche in Ostmitteleuropa
schungsmethoden (teilnehmende Beobachtun- und in der Sowjetunion nach 1945. Der Umgang
gen, ethnographische Ansätze, Interviews usw.) mit den Sprachen der Besiegten, die Implanta-
zum Einsatz kommen und die eher quantitativen tion des eigenen Idioms in eroberten Gebieten
Untersuchungen (Fragebogen, Korpuslinguistik, (auf dezente Weise als erste Schulfremdsprache
statistische Erhebungen und Auswertungen) er- oder aber mit Feuer und Schwert), die Zurück-
gänzen. Es geht nicht mehr nur darum, wie drängung oder gar Ausschaltung konkurrieren-
häufig von einem Lerner bzw. einer Lernerin et- der Sprachen oder eindringender Fremdsprachen
was geäußert wurde oder wie oft ein Lehrer auf dem eigenen Territorium, die Handhabung
bzw. eine Lehrerin auf eine Äußerung reagiert, von Regional-, ä Minderheiten- und Migranten-
sondern um das Zusammenfügen einer Variab- sprachen, die Entscheidung über Sprachenwahl
lenkonstellation individueller Lernender oder und Sprachenfolge im Schulwesen: Das alles
Lehrender, die Aufschluss darüber gibt, wie sind Erscheinungsweisen von S. Damit ist S. eng
komplex sich das Lehr- und Lerngefüge im FU verflochten mit anderen politischen Ressorts,
darstellt (z. B. auch im action research). etwa der Innen- und Außenpolitik, der Bildungs-
Lit.: H. D. Brown: Principles of Language Learning politik, aber auch der Wirtschaftspolitik. Sie
and Teaching. Oxford 62014 [1980. – R. Kaplan kann aggressiv, expansiv, defensiv oder aber
(Hg.): The Oxford Handbook of Applied Linguistics. auch demokratisch abwägend sein. Da Sprache
Oxford 2002. AnH und ä Kultur in enger Beziehung zueinander ste-
hen – Sprache ist Wort gewordene Kultur, und
Kultur spiegelt Sprache – muss S. immer auch als
Sprachenbiographie ä Portfolio eine Form der Kulturpolitik gesehen werden.
Die europäischen Nationalstaaten haben,
mehr oder minder fühlbar, S. betrieben, seit sie
Sprachenpass ä Portfolio existieren. Der Erlass des französischen Königs
Franz I. von Villers-Cotterêts (1539), der ä Fran-
zösisch als Sprache der Staatsverwaltung und
Sprachenpolitik. Der Terminus S. richtet sich Rechtsprechung zwingend vorschreibt, ist der
auf zwei große Bereiche: auf den politischen Ausgangspunkt für die Entwicklung des Fran-
Umgang mit der Landessprache bzw. den Lan- zösischen zur internationalen Sprache des
dessprachen im Innern und nach außen (mitun- 18.  Jh.s. Der Friedensschluss von Münster
ter auch Sprachpolitik genannt) sowie auf den (1648) wird um Monate verzögert, weil die
politischen Umgang mit fremden Sprachen französische Abordnung behauptet, nur franzö-
(etwa im Bildungswesen). Der Begriff wird im sisch zu verstehen, während die deutsche Dele-
Kontext nationaler und übernationaler Bestre- gation auf Latein als der Sprache des Heiligen
bungen und Festlegungen benutzt, sowohl in Römischen Reiches beharrt – im Unterschied
historischer Perspektive (etwa: die S. Frank- zu Frankreich ist Deutschland damals noch
reichs im Zeitalter Ludwigs XIV.) als auch be- kein Nationalstaat. Dabei verstehen und spre-
zogen auf die Gegenwart (die interne S. der chen die Emissäre beider Seiten Latein und
Europäischen Union). Innerhalb der EU ist S. Französisch. Die Niederlage Napoleons (1813,
ein eigener Politikbereich, der bei einer der Ge- 1815) besiegelt den Niedergang des Französi-
neraldirektionen (Bildung, Jugend, Sport und schen, auch wenn sich das Schulfach noch mehr
Kultur, Abteilung Sprachen) angesiedelt ist. als 100 Jahre lang als erste moderne Fremd-
Menschen sind durch Sprache identifizierbar: sprache zu halten vermag (ä Geschichte des
Das Alte Testament berichtet, dass bei den Jor- FUs). Als Reaktion auf Waterloo wird Franzö-
Sprachenpolitik 314

sischunterricht an den Höheren Schulen Preu- sonders dann, wenn die betreffenden Staaten
ßens zunächst einmal verboten. mittelfristig eingebunden werden oder bleiben
Innerhalb der Europäischen Union wird S. in sollen (Beispiele: Isländisch, Norwegisch, in
erster Linie im Kontext der europäischen Spra- Zukunft auch: Britisches Englisch), aber eben
chenfrage diskutiert: Angesichts der Tatsache, auch, wenn diese mittelfristige Perspektive we-
dass die Union ein Zusammenschluss von Staa- niger gegeben ist (Beispiele: ä Russisch, Ukrai-
ten und Kulturräumen mit eigenen Traditionen nisch, Türkisch – Russisch ist zugleich eine der
ist, gehört die Erhaltung der Regionalkulturen quantitativ bedeutendsten Migrantensprachen).
Europas zu den Grundvoraussetzungen innerer Auch wenn die Kosten der Sprachenvielfalt
Stabilität. Die kulturelle Vielfalt kann aber nur angesichts der hohen Zahl der Unionsbürger
erhalten werden, wenn die Sprachen, die die (etwa 500 Mio.) lediglich mit wenigen Euro
Kulturen tragen, selbst erhalten bleiben. Vor pro Jahr und Individuum zu Buche schlagen
diesem Hintergrund hat sich die Union von ih- (das Dolmetschen in insgesamt etwa 11.500
ren Anfängen an auf eine Politik der ä Mehr- EU-Sitzungen kostete den Unionsbürger 2008
sprachigkeit festgelegt (vgl. Artikel 22 der Eu- rund 45 Cent) und die Übersetzungs- und Dol-
ropäischen Grundrechtecharta: »Die Union re- metschdienste durch Terminologiebanken und
spektiert kulturelle, religiöse und sprachliche elektronische Übersetzungsprogramme gestützt
Vielfalt«). Alle Amtssprachen der Union sind werden, gerät das auf Sprachenvielfalt gegrün-
gleichberechtigt und gelten zugleich als Arbeits- dete System in jüngster Zeit dennoch an seine
sprachen. Die Union erkennt an, dass es inter- Grenzen, und pragmatische Lösungen werden,
nationale Sprachen geben kann, sie gibt ihnen auch im Zusammenhang mit der Frage von
aber keinen Sonderstatus, und sie benennt Unionsreformen, diskutiert. Das Englische, als
ä Englisch oder eine andere Sprache in dieser internationale Sprache innerhalb der Union
Funktion nicht. Der Übergang von einem Eu- faktisch längst Realität, findet zunehmend An-
ropa der Vaterländer in der Gaullistischen Ära erkennung. Englisch bleibt als Unionssprache
zu einem Europa der Regionen hat auch den erhalten (Irisches Englisch, Maltesisches Eng-
Regional- und Minderheitensprachen zuneh- lisch), auch wenn Großbritannien die Union
mende Beachtung gebracht. Zu ihrer Förderung verlässt. Allerdings wird die Stellung des Briti-
wurde am 5.11.1992 die unter der Schirmherr- schen Englisch als de facto-Standard in Europa
schaft des Europarates entstandene Europäi- möglicherweise durch den Austritt nachhaltig
sche Charta für Regional- und Minderheiten- geschwächt. Im Alltag der politischen Zusam-
sprachen als internationales Regelwerk in menarbeit finden Absprachen statt, die von Fall
Straßburg verabschiedet. Die Charta definiert zu Fall die Zahl der benutzten Sprachen redu-
Regional- und Minderheitensprachen als »jene zieren. Dennoch müssen grundlegende Doku-
Sprachen, die herkömmlicherweise von einem mente (etwa das EU-Amtsblatt) auch weiterhin
Teil der Bevölkerung in einem Staat gesprochen in alle EU-Sprachen übersetzt werden, und
werden, die aber weder Dialekte der Amtsspra- auch das Europäische Parlament arbeitet in al-
che, Sprachen von Zuwanderern noch künstli- len EU-Sprachen.
che Sprachen sind«. Gegenwärtig hat die Union Die sprachenpolitischen Gegebenheiten Eu-
24  Amtssprachen (damit 552 Übersetzungs- ropas werden vom Europarat begleitet, der
richtungen); hinzu kommt eine nicht festgelegte in den vergangenen Jahren mit dem ä Gemein-
Zahl von Regional- und Minderheitensprachen samen europäischen Referenzrahmen, dem
(je nach Zählung zwischen etwa 40 und etwa ä Portfolio-Format und Verlautbarungen zu den
70). Politisch besonders problembeladen sind S.en in Europa das Fremdsprachenlernen und
die Migrantensprachen (mehrere hundert, gro- den FU maßgeblich beeinflusst und in seinen
ßenteils nicht-europäischen Ursprungs), von Grundanschauungen verändert hat. Das Weiß-
denen man früher meinte, dass man sich nicht buch der Europäischen Union »Lehren und Ler-
um sie kümmern müsse, da geschlossene Sied- nen. Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft«
lungsräume nicht vorhanden seien. Inzwischen der Jahre 1995/96 fordert plurilinguale Uni-
sind sie vorhanden, vielfach in Gestalt von onsbürger für ein multilinguales und plurikul-
Ghettos. Da sich die Union im Übrigen sprach- turelles Europa. Dies soll verwirklicht werden
lich und kulturell nicht vom Rest Europas ab- im Rahmen einer Dreisprachigkeit, die ä Kom-
zuschotten gedenkt, spielen auch Nachbarspra- petenzen und Fähigkeiten in der Muttersprache
chen jenseits der Unionsgrenzen eine Rolle, be- und in zwei weiteren Unionssprachen umfasst.
315 Sprachenpolitik

Welchen Status in diesem Zusammenhang Re- Europa. Dennoch ist der FU in zahlreichen euro-
gionalsprachen haben können (L’Europe des päischen Schulsystemen zum Ende des 20. und
régions), bleibt allerdings ungeklärt. Teilkom- Beginn des 21. Jh.s eher zurückgefahren worden,
petenzen auf unterschiedlichen Niveaus sind trotz Ausweitung des Fremdsprachenlernens in
durchaus möglich und können sinnvoll sein; die Grundschulen hinein (ä Früher FU) und trotz
der Referenzrahmen des Europarats, der sprach- fremdsprachlichen Sachfachunterrichts (ä Bilin-
liche Kompetenzen und Teilkompetenzen auf gualer Unterricht). Schon angesichts dieser Tat-
sechs Kompetenzniveaus beschreibt, erkennt sache setzt Europa heute auf den lebensbeglei-
den Wert eines derart gestuften Könnens in sei- tenden Umgang mit Sprachen und Kulturen, auf
nen Skalen, die stets positiv gefasst sind, aus- den der FU des Primar- und Sekundarschulwe-
drücklich an. Damit aber unterscheidet sich die sens dann vorbereiten muss. Da Englisch mitt-
europäische Idee von plurilinguisme von der lerweile praktisch in allen nicht-anglophonen
traditionellen Sicht auf das Fremdsprachen- EU-Staaten erste Fremdsprache ist, woran ange-
lernen: Die ›vollständige‹ Beherrschung einer sichts der globalen Bedeutung der Sprache
Sprache ist nicht länger unverrückbares Ziel wohl auch der Brexit nichts ändert, gerät der
von Sprachunterricht. Europäische Mehrspra- Englischunterricht in die Rolle eines gateway to
chigkeit wird teilweise im Unterricht (Schule, languages, was ihn in seiner thematischen und
Erwachsenenbildung) erworben, teilweise aber methodischen Gestalt modifiziert. Der Unter-
auch über Immersionssituationen (ä Immer- richt muss in Zukunft kognitive und affektive
sion) wie Partnerschaften, Auslandsaufenthalte, Vorleistungen erbringen für späteres schulisches
Sprach-Tandems (ä Tandemlernen) und ä auto- oder auch im Erwachsenenbereich angesiedeltes
nomes Lernen mit ä Medien. Dabei kann die Fremdsprachenlernen (ä Andragogik, ä Gerago-
Tatsache genutzt werden, dass weitaus die gik), etwa durch Sprachenvergleich (Öffnung
meisten europäischen Sprachen innerhalb von von Fenstern zu anderen Sprachen, Einbindung
drei Sprachfamilien angesiedelt sind (der ger- der im Klassenzimmer vorhandenen Sprachen),
manischen, der romanischen und der slawi- Rekurs auf sprachsystematische und kommu-
schen), wodurch sich weitreichende verwandt- nikative Universalien und Weckung sprachli-
schaftliche Beziehungen ergeben. Zwei weitere, cher und kultureller Neugier. In diesem Zusam-
kleinere Familien umfassen die (agglutinieren- menhang hat die Kultusministerkonferenz in
den) finno-ugrischen Sprachen (Estnisch, Fin- ihren Bildungsstandards für die fortgeführte
nisch, Ungarisch) sowie den keltischen Sprach- Fremdsprache (Englisch, Französisch) für die
zweig (Bretonisch, Walisisch, Gälisch – letzteres Allgemeine Hochschulreife (2012) Sprachbe-
wird in Irland auch als Irisch bezeichnet). Da wusstheit (ä Bewusstheit/Bewusstmachung) und
bleiben als quasi ›isolierte‹ Amts- bzw. Regio- Sprachlernkompetenz in den Kanon der Schlüs-
nalsprachen nur Baskisch, Maltesisch, Litau- selkompetenzen (ä Schlüsselqualifikationen) auf-
isch und Lettisch. genommen.
Angesichts dieser Sprachverwandtschaften Die EU-Mitgliedsstaaten und auch einige au-
verfügen weitaus die meisten Europäer ohnehin tonome Regionen haben ihrerseits Maßnahmen
über Zweit- und Fremdsprachenkenntnisse, ergriffen, um den Bestand ihrer Sprachen zu
zumindest im rezeptiven Bereich, auch wenn schützen. Dabei spielen unterschiedliche Maß-
ihnen dies nicht bewusst ist (Beispiel: Lesekom- nahmen eine Rolle, von einer eigenen Sprachge-
petenz Niederländisch auf Niveau A1/A2 des setzgebung (Frankreich) bis hin zur staatlich
Referenzrahmens bei deutschen Muttersprach- gewollten und (ko-)finanzierten Entwicklung
ler/innen). Gerade in den grenzüberschreiten- von Sprachenzertifikaten (ä Zertifikate) auf den
den Euregiones mit ihren multiplen Vernet- sechs Kompetenzniveaus des Referenzrahmens.
zungen spielen auf Sprachverwandtschaften Sprachzertifikate können dann auch im Sinne
basierende Formen des Plurilingualismus eine von Eingangsqualifikationen (im Rahmen der
wichtige Rolle im Sinne einer besonderen Ausbildung, aber beispielsweise auch für den
›Grenzkompetenz‹, einer compétence trans- Zugang zum Arbeitsmarkt) genutzt werden.
frontalière, wobei diese natürlich auch pluri- Insofern sind sie sehr wohl ein politisches In-
kulturelle Bezüge hat. strument, das europäische Freizügigkeiten zu
Die europäische Mehrsprachigkeitspolitik unterlaufen vermag.
impliziert einen breit angelegten, in Sprachen- Auch wenn die Anerkennung des Englischen
wahl und Sprachenfolge diversifizierten FU in als internationale Sprache weltweit in den kom-
Sprachenpolitik 316

menden Jahrzehnten zunehmen wird, ist globale schen Union am Vorabend der Osterweiterung. In:
Einsprachigkeit nicht in Sicht und auch nicht Neusprachliche Mitteilungen aus Wissenschaft und
Praxis 58, Doppelheft 1/2 (2005), 5–17. – K. Schröder:
wünschbar. Weltweit gesehen ist Mehrsprachig-
Dreisprachigkeit der Unionsbürger. Ein europäischer
keit eher die Regel als die Ausnahme, wobei Traum? In: Zeitschrift für Anglistik und Amerikanis-
auch Diglossie-Situationen (etwa: Hochsprache tik 47 (1999a), 154–163. – K. Schröder: Den FU euro-
und Dialekt) Mehrsprachigkeit stiften. Die öko- patauglich machen. In: Fremdsprachenunterricht 43
nomische ä Globalisierung der Welt und der (1999b), 1–8. – K. Schröder: Die S. der Europäischen
Trend hin zu größeren Staatsverbünden begüns- Union und die kommunikativen Gegebenheiten einer
globalisierten Welt. Ein Ruf nach Innovation in der
tigt wenige internationale Sprachen, führt aber Europäischen Bildungspolitik und ein curriculares
gleichzeitig auch zu einem Verlangen nach regio- Konzept. In: Die Neueren Sprachen, Jahrbuch 4 (2013),
naler Geborgenheit, was sich, wie jüngste iso- Braunschweig 2016, 73–88. KoSch
lationistische Tendenzen zeigen, politisch, kul-
turell und sprachlich auswirkt. Insofern sind
gegenläufige Kräfte am Werk. Naive sprachen- Sprachenportfolio ä Portfolio
politische Modelle nach dem Motto English as
the language of freedom and democracy in a
wonderfully small world funktionieren nicht, Sprachenübergreifendes Unterrichten meint die
und sie sind auch gefährlich. Meltingpot-Ideolo- Abstimmung von mutter- oder zweit- bzw.
gien, wie sie jahrzehntelang in den USA vertre- fremdsprachlichem Unterricht unter der Ziel-
ten worden sind, haben sich als zumindest parti- vorgabe einer planbaren ä Mehrsprachigkeit
ell wirkungslos erwiesen. Ein Europa, in dem (wie sie v. a. das staatliche Erziehungswesen
nur noch auf Englisch kommuniziert wird, ist durch ein Angebot an FU ermöglicht). Erwartet
in Zeiten innerer Unrast (mögliche politische, werden von einer sprachenübergreifenden Di-
ökonomische, ökologische, wirtschaftliche Kri- daktik lernökonomische und kulturell poly-
sen) in letzter Konsequenz ein vom Zerfall referentielle Effekte. Dem liegt die Erkenntnis
bedrohtes Gebilde, weil die Menschen in den zugrunde, dass das lernrelevante ä Vorwissen
Regionen den mit der Festlegung auf Englisch ein entscheidender Faktor für den Lernerfolg
verbundenen Sprachverlust als kulturelle Depri- ist, was eine entsprechende pädagogische Pas-
vation deuten. Die zahlreichen bewaffneten Re- sung verlangt. Gilt das Gebot des vernetzenden
gionalkonflikte in Europa seit 1945 (etwa: Ir- Lernens im Prinzip für alle Lerngegenstände, so
land, Baskenland, Südtirol, Bosnien, Kosovo) besonders für Sprachen, weil diese systemisch
haben stets eine deutliche sprachliche und kultu- sind und in unserem mehrsprachigen ä mentalen
relle Komponente gehabt. Insofern gibt es zu Lexikon in den Ausdrucksformen von ä Inferenz
der  Mehrsprachigkeitspolitik der Europäischen und ä Interferenz miteinander interagieren.
Union keine Alternative. Allerdings muss diese Psycholinguistisch verlangen zwischensprach-
Politik den Gegebenheiten der Zeit angepasst liche Ähnlichkeiten von Lernenden, dass sie
werden: Die Existenz von Immigrantenspra- diese gegeneinander abgleichen und disambigu-
chen und der integrative Umgang mit ihnen ieren (ä Interkomprehension, ä Interlanguage).
müssen Bestandteil der Agenda sein; kultureller In der Literatur gelten ›gute Sprachenlerner‹
Populismus und Abschottungstendenzen, wie generell als gute Vergleicher sprachlicher Sche-
es sie in zahlreichen europäischen Ländern gibt, mata.
müssen auch im FU europaweit bekämpft wer- Selbstredend sollten Lernende schon zu ei-
den, kognitiv, indem Mehrsprachigkeit und nem möglichst frühen Zeitpunkt zum zielfüh-
kulturelle Vielfalt auf allen Stufen des Unter- renden Vergleichen zwischen Sprachen befähigt
richts zum Thema wird, und affektiv, indem werden. Ein lernerorientierter Unterricht (ä Ler-
die Lehrerschaft die sprachliche und kulturelle nerorientierung) muss dazu das (mehr)sprachige
Neugier in den Köpfen der SuS fördert. und relevante Vorwissen der Lernenden ebenso
Lit.: R. Ahrens (Hg.): Europäische S. European Lan- berücksichtigen wie die weitere plurilinguale
guage Policy. Heidelberg 2003. – Europäische Kom- ä Progression. Hierzu hat der FU sprachenüber-
mission: Lehren und Lernen. Auf dem Weg zur kogni- greifend sowohl das zu einem gegebenen Zeit-
tiven Gesellschaft. Weißbuch zur allgemeinen und
punkt lernerseitig vorhandene relevante Vor-
beruflichen Bildung. Luxemburg 1996. – T. Finken-
staedt/K. Schröder: Sprachen im Europa von morgen. wissen zu identifizieren als auch auf dessen po-
Mü. 1992. – R. Hoheisel: Europäische Mehrsprachig- tentielle Vernetzung mit den noch zu lernenden
keit. Sprachwirklichkeit in den Organen der Europäi- Sprachen vorzubereiten.
317 Spracherwerb und Spracherwerbstheorien

Da, abgesehen von ä Englisch, nicht klar nen, die augenfällig notwendige Erweiterung
voraussehbar ist, welche Fremdsprachen ein des Fremdsprachenkonzepts herbeizuführen,
Jugendlicher in seinem erwachsenen Leben sofern auch hier die notwendige Grundlagen-
wirklich benötigt, kommt neben dem Lernziel forschung erfolgt.
Mehrsprachigkeit die Sprachlernkompetenz Lit.: E. Burwitz-Melzer et al. (Hg.): Identität und
ins Spiel. Ein Gesamtsprachencurriculum (vgl. Fremdsprachenlernen. Anmerkungen zu einer kom-
Hufeisen/Lutjeharms 2005) zielt daher nicht plexen Beziehung. Tüb. 2013. – M. Byram: Intercom-
nur auf eine abgestufte und diversifizierte Mehr- prehension, Intercultural Competence and Foreign
Language Teaching. In: P. Doyé/F.-J. Meißner (Hg.):
sprachigkeit (vgl. die EU-Richtlinie ›Mutter- Lernerautonomie durch Interkomprehension/Promot-
sprache plus mindestens zwei Fremdsprachen‹), ing Learner Autonomy Through Intercomprehen-
sondern auch auf Sprachlernkompetenz. sion/L’autonomisation de l’apprenant par l’intercom-
Im Fokus des s. U.s stehen Transferprozesse. préhension. Tüb. 2010, 53–50. – H. Christ: Lehren
Die auf Mehrsprachigkeit ausgerichtete Inter- und Lernen von Mehrkulturalität (auch) im FU. In:
M. Reinfried/N. Rück (Hg.): Innovative Entwicklun-
komprehensionsdidaktik unterscheidet zwischen gen beim Lernen und Lehren von Fremdsprachen.
einem intra- und interlingualen ä Transfer, ei- Tüb. 2011, 205–220.  – B. Hufeisen/M. Lutjeharms:
nem Identifikations- und Produktionstransfer Gesamtsprachencurriculum, Integrierte Sprachendi-
sowie nach Transferrichtungen: proaktiv (auf daktik, Common Curriculum. Theoretische Über-
die neue Zielsprache) und retroaktiv (von der legungen und Beispiele der Umsetzung. Tüb. 2005. –
F.-J. Meißner: Transfer und Transferieren. Anleitungen
Zielsprache auf eine Brückensprache zurück);
zum Interkomprehensionsunterricht. In: H. G. Klein/
des Weiteren zwischen den genannten lingualen D. Rutke (Hg.): Neuere Forschungen zur Europä-
Transfertypen und dem Transfer von Lerner- ischen Interkomprehension. Aachen 2004, 39–66. –
fahrungen bzw. dem didaktischen Transfer (vgl. F.-J. Meißner: Mehrsprachigkeitsdidaktik revisited.
Meißner 2004). All dies erklärt, weshalb das Über Interkomprehensionsunterricht zum Ge-
Bildungsziel ›Mehrsprachigkeit‹ integrativ-spra- samtsprachencurriculum. In: Fremdsprachen Lehren
und Lernen 34 (2005), 125–145. – RePA = M. Cande-
chenübergreifend und nicht isoliert additiv-ein- lier et al.: Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu
zelsprachlich angegangen werden muss. Ein Sprachen und Kulturen. Graz: CELV/Strasbourg: Eu-
nützliches Instrument für kompetenzorientier- roparat 2009 (http://carap.ecml.at/Resources/tabid/
tes, autonomisierendes und s. U. liefert der Re- 425/language/fr-FR/Default.aspx). FJM
ferenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen
und Kulturen (RePA 2009).
Das empirisch breit fundierte Transfermodell Spracherwerb und Spracherwerbstheorien. Die
erklärt auch die Wirksamkeit von miteinander S.s-Forschung untersucht die Aneignung von
verwandten Konzepten wie ä Mehrsprachig- Fremd- und Zweitsprachen und damit verbun-
keitsdidaktik, Interkomprehensionsdidaktik, in- dene Lern- und Erwerbsprozesse und sich ent-
tegratives Sprachenlernen, Gesamtcurriculum wickelnde (lerner-)sprachliche Systeme. Der
Fremdsprachen, integrative Didaktik (didac- Terminus ›L2‹ wird als neutraler Oberbegriff
tique intégrée), die sich unter s. U. subsumieren für Fremdsprache und Zweitsprache verwen-
lassen (vgl. Meißner 2005). Es würde zu eng det. Aber auch ›Fremdsprache‹ wird im
fassen, wollte man das s. U. auf den lingualen deutschen Sprachraum häufig als Oberbegriff
Transfer begrenzen, denn im Kern ist die Mehr- benutzt, während in der englischsprachigen
sprachigkeitsdidaktik auch eine Mehrkulturali- Terminologie second language mitunter als
tätsdidaktik (vgl. Byram 2010, Christ 2011): Oberbegriff fungiert. Im engeren Sinn spricht
Auch die Vernetzung von Inhalten aus unter- man dann von ›Fremdsprache‹, wenn die An-
schiedlichen Kulturen mit identitätsstiftender eignung der L2 außerhalb des zielsprachigen
Wirkung gehört zum s. U. (ä Identität und Iden- Raums stattfindet, z. B. wenn Jugendliche an
titätsbildung, ä Interkulturelles Lernen, ä Kul- einer deutschen Realschule ä Englisch lernen.
turdidaktik; vgl. Burwitz-Melzer et al. 2013). Mit ›Zweitsprache‹ hingegen werden Sprachen
Die eingangs betonte Komplementarität des bezeichnet, deren Aneignung innerhalb des
Muttersprachen-, Zweitsprachen- und FUs ist zielsprachigen Raums erfolgt und zwar vorran-
insofern unzureichend, als sie die ä Herkunfts- gig ungesteuert durch Kontakt mit der L2 in
sprachen ausblendet. Bislang fehlen allerdings Begegnungssituationen (ä Begegnung und Be-
noch europaweit gangbare Konzepte, um die gegnungssituationen). In der Zweitsprachener-
migrationsbedingte Mehr- und Vielsprachigkeit werbsforschung stehen vorrangig ungesteuerte
zu nutzen. Das s. U. wird dazu beitragen kön- S.s-Prozesse im Zentrum, während sich die
Spracherwerb und Spracherwerbstheorien 318

Fremdsprachenforschung v. a. für die Aneig- Fragen der S.s-Forschung, ob L2-Erwerb ein


nung von Fremdsprachen im Unterricht inter- eher bewusster oder eher unbewusster Prozess
essiert. Dass Fremdsprachen- und Zweitsprach- ist bzw. ob vorrangig bewusste Lernprozesse
erwerb aber nicht trennscharf voneinander un- oder unbewusst ablaufende Mechanismen den
terschieden werden können, wird im Fall von S. steuern. Auch die Bedeutung sozialer Variab-
Zweitsprachenunterricht (z. B. Sprachkurse für len, insbesondere der sozialen Interaktion, wird
Migrant/innen in Deutschland im Rahmen sog. unterschiedlich eingeschätzt. In neueren Ansät-
Integrationskurse) besonders einsichtig. zen werden die seit den 1990er Jahren domi-
Klassischerweise wird der Erwerb von L2- nanten kognitionspsychologischen Ansätze mit
Sprachen zunächst vom Erwerb von Erstspra- soziokulturellen Perspektiven verknüpft.
chen (L1) unterschieden, wobei hier folgende Behavioristische Spracherwerbstheorien (ST.)
Unterschiede besonders auffällig sind: Im Rah- waren in den 1940er Jahren bis in die 1970er
men des Erst-S.s werden kulturelles Wissen und Jahre die vorherrschenden lerntheoretischen
Weltwissen parallel miterworben, während der Ansätze zur Erklärung des L2-Erwerbs. Lernen
L2-Erwerb auf L1-geprägtes kulturelles Wissen wird als ein Prozess der Konditionierung über
und Weltwissen zurückgreifen kann – und auf viele klein(st)e Teilstadien aufgefasst, bei dem
die L1 selbst. Erfolgt der L1-Erwerb (vermeint- die gewünschte Reaktion (response) auf einen
lich) mühelos – was aber mehrere Jahre in An- spezifischen Reiz (stimulus) antrainiert wird,
spruch nimmt –, so ist der L2-Erwerb dadurch indem ›richtiges‹ Verhalten durch positives
gekennzeichnet, dass Fremd- und Zweitspra- ä Feedback so lange verstärkt wird, bis es zur
chen je nach Ausgangssprache als unterschied- Gewohnheit wird. Lernen wird als vorrangig
lich schwer wahrgenommen und in der Regel imitativer Prozess beschrieben. Besonders nach-
nur unvollkommen erworben werden. In Bezug haltig hat sich die behavioristische Lerntheorie
auf das erreichbare Sprachniveau sind im L2- in der ä audio-lingualen Methode niederge-
Erwerb – anders als im L1-Erwerb – erhebliche schlagen. Nach dieser Methode war der FU v. a.
individuelle Unterschiede festzustellen, deren auf das ständige Wiederholen und Variieren von
Ursachen in Lernervariablen wie ä Motivation, Mustersätzen innerhalb eines strikt sequenzier-
Einstellungen, ä Lernertyp und ä Sprachlerneig- ten Unterrichts reduziert, was zu mühelosem
nung sowie in der Ausgestaltung des sozialen Abruf solcher Satzmuster bei der Sprachver-
Kontextes/Lernkontextes gesehen werden. Auf wendung führen sollte. Eine negative Sicht auf
der anderen Seite gibt es Parallelen und Ähn- Fehler (die im FU sofort zu korrigieren oder
lichkeiten zwischen L1- und L2-Erwerb und besser im Vorfeld zu verhindern sind) und die
auch zwischen Fremd- und Zweitsprachener- Annahme, dass die meisten Fehler durch ä Inter-
werb. So sind z. B. bei Kleinkindern im Rah- ferenz aus der L1 verursacht sind, sind zwei
men des L1-Erwerbs und bei erwachsenen zentrale Merkmale dieser frühen lerntheoreti-
Lernern im FU ganz ähnliche ä Fehler zu beob- schen Ansätze. Sie finden ihren Widerhall in der
achten. Zur Erklärung dieser zentralen Unter- Kontrastivhypothese, die linguistische Erschei-
schiede und Ähnlichkeiten zwischen L1- und nungen (von L1 und L2) mit psycholinguisti-
L2-Erwerb existieren unterschiedliche, kon- schen Prozessen gleichsetzt und immer dort, wo
trovers diskutierte lerntheoretische Ansätze, Strukturunterschiede zwischen L1 und L2 vor-
wobei behavioristische mit nativistischen, ko- liegen, Interferenzen, d. h. proaktive Lernhem-
gnitivistischen, konstruktivistischen, interakti- mungen prognostiziert, die sich in Lernschwie-
onistischen und soziokulturellen Ansätzen kon- rigkeiten und Fehlern manifestieren. Diese
kurrieren (ä Lerntheorien). Diese Ansätze sind starke Version der Kontrastivhypothese darf
teilweise aus der Kritik jeweils bestehender heute als widerlegt gelten; angemessener ist der
lerntheoretischer Auffassungen entstanden. Sie Ansatz, bestimmte lernersprachliche Erschei-
sind nicht durchgehend und systematisch mitei- nungen (ä Interlanguage) mit Transferprozessen
nander vergleichbar, da sie unterschiedliche (ä Transfer) aus der L1 in Verbindung zu brin-
Schwerpunkte setzen, und sie sind auf unter- gen (interlanguage-Hypothese). Zusammenfas-
schiedliche Weise empirisch belegt bzw. beleg- send kann gesagt werden, dass behavioristische
bar. Widersprüchlichkeit und Komplementari- Ansätze die Frage nach den Schwierigkeiten des
tät der Erklärungsansätze und Teilhypothesen L2-Erwerbs mit Hinweisen auf störende L1-
sind gleichermaßen festzustellen. Die Ansätze Transferprozesse und nicht ausreichend erfolgte
geben unterschiedliche Antworten auf zentrale Konditionierungsprozesse beantworten.
319 Spracherwerb und Spracherwerbstheorien

Nativistische ST. entstanden zunächst in der zen nicht auf eine für den S. spezifische geneti-
Erstspracherwerbsforschung (ä Nativistische An- sche Ausstattung des Menschen. Sie betrachten
sätze) und entzündeten sich an der Beobach- den L2-Erwerb als kreativen Informationsver-
tung, dass es Kindern relativ mühelos und si- arbeitungsprozess, bei dem Lernende ihre allge-
cher gelingt, die komplexe grammatische meinen kognitiven Fähigkeiten dazu einsetzen,
Struktur ihrer L1 zu erwerben. In Abkehr zu Input aus der sprachlichen Umgebung aufzu-
behavioristischen Ansätzen und mit dem Argu- nehmen, zu verarbeiten, zu speichern und zu
ment, S. sei nicht vorrangig durch Nachah- automatisieren (ä Automatisierung). Wichtig
mungsprozesse zu erklären, da Kinder u. a. dabei ist die Annahme, dass die Lernprozesse
quantitativ und qualitativ nicht ausreichenden sowohl bewusst als auch unbewusst ablaufen
Input zur Verfügung hätten und trotzdem und immer kognitiven Kapazitätsbeschränkun-
sprachliche Strukturen entwickeln würden, die gen unterliegen. L2-Lernende werden als ›In-
nicht in der sprachlichen Umgebung zu beob- formationsverarbeitungssysteme‹ verstanden,
achten seien (logisches Problem des L1-Er- die Input auf der Basis ihres sich ständig erwei-
werbs), postulierte Noam Chomsky eine ange- ternden Erfahrungshintergrunds verarbeiten.
borene sprachspezifische kognitive Ausstat- Durch die Konfrontation mit neuen Informa-
tung, die den Menschen zum S. befähige – eine tionen entsteht im mentalen System des Ler-
angeborene Universalgrammatik. Durch Kon- nenden eine kognitive Repräsentation, die mit
takt des Kindes mit Input der L1 wird dieser Bekanntem in Verbindung gebracht und im ko-
Mechanismus in Gang gesetzt. Untersuchun- gnitiven Netzwerk gespeichert wird. Erworbe-
gen, bei denen festgestellt wurde, dass Kinder, nes ä Wissen wird dabei so gespeichert, dass es
die die L1 erwerben, und Erwachsene, die die- möglichst schnell und effizient abgerufen wer-
selbe Sprache als L2 lernen, ähnliche bzw. die- den kann. Gespeichertes Wissen muss regelmä-
selben Fehler machen und auch durch gleiche ßig restrukturiert und an neues Wissen ange-
Erwerbsstadien gehen, und die außerdem glichen werden. Die Entwicklung kognitivisti-
Hinweise dafür liefern, dass viele Fehler von scher ST. fällt zusammen mit der gestiegenen
Fremdsprachenlernern nicht auf L1-Trans- Bedeutung psycholinguistischer Ansätze in der
ferprozesse zurückzuführen sind, wurden S.sforschung.
dahingehend interpretiert, dass dieser S.s-Me- Mit der Entdeckung von Erwerbssequenzen
chanismus auch den L2-Erwerb steuert. In die- in spezifischen kerngrammatischen Bereichen
sem Zusammenhang wurde die Identitätshypo- (prominente Belege sind: Negation im Engli-
these aufgestellt, die die prinzipielle Ähnlichkeit schen, Satzmodelle im Deutschen), die von der
von L1- und L2-Erwerb behauptet und diese L1 und anderen Variablen wie Alter und Lern-
auf den Zugriff auf die angeborene spracher- umfeld unabhängig sind, und dem Befund von
werbsspezifische Ausstattung zurückführt. Es Fehlern, die eher mit Bezug auf die Ziel- und
gibt heute mehrere konkurrierende Erklärungs- nicht die Ausgangssprache erklärt werden
ansätze, die die Relevanz und den Anteil eines konnten, bildeten sich u. a. die Monitor-Hypo-
sich während des L2-Erwerbs entfaltenden ge- these (Stephen Krashen), die Lernersprachen-
netischen Programms und der allgemeinen Hypothese (Larry Selinker) und die Teachabi-
(nicht sprachspezifischen) kognitiven Fähigkei- lity-Hypothese (Manfred Pienemann) heraus.
ten des Lerners bzw. der Lernerin unterschied- Im Rahmen seiner Monitor-Hypothese, die
lich einschätzen. Dass im Normalfall der L2- auch nativistische Elemente hat, unterscheidet
Erwerb nicht in einer muttersprachenähnlichen Krashen zwei unterschiedliche Arten von
Kompetenz resultiert, kann jedoch als Hinweis Sprachaneignungsprozessen: unbewusste (Er-
auf einen zumindest nicht vollständigen oder werb) und bewusste Prozesse (Lernen). Erlern-
mühelosen Zugriff auf die Universalgrammatik tes Wissen ist nach dieser Auffassung nicht un-
beim L2-Erwerb interpretiert werden. mittelbar für die Sprachproduktion in der L2
In Abkehr von behavioristischen Lerntheo- zugänglich, ihm wird lediglich eine einge-
rien betrachten kognitivistische ST. den S. als schränkte und nur begrenzt einsetzbare Funk-
einen kreativen Prozess, in dem Lernende sich tion (die Korrekturfunktion) zuerkannt. Nach
die L2 v. a. über den Einsatz von bewussten und Krashen kann erlerntes Wissen nicht in erwor-
unbewussten Strategien und mentalen Hand- benes Wissen überführt werden. Diese Position
lungen erschließen. Kognitivistische Ansätze ist heute so nicht mehr zu halten. Es gibt An-
setzen im Unterschied zu nativistischen Ansät- sätze, wonach gelerntes (= explizites) Wissen
Spracherwerb und Spracherwerbstheorien 320

durchaus durch Anwendung (ä Übung) zu im- Seit den 1990er Jahren wurden kognitive
plizitem Wissen werden kann, das bei der Lerntheorien zunehmend ausdifferenziert, wo-
Sprachproduktion ohne kognitive Anstrengung bei in Psycholinguistik und ä Fremdsprachen-
einsetzbar ist. Demgegenüber gibt es Ansätze, didaktik unterschiedliche Schwerpunkte und
die besagen, dass zunächst implizites Wissen Erkenntnisinteressen verfolgt werden. In der
(das z. B. beiläufig in ungesteuerten Spracher- psycholinguistischen Erst- und Zweitsprachen-
werbssituationen erworben wurde) durch Re- erwerbsforschung werden konnektionistische
flexion und analytischen Zugriff des Lernenden Ansätze stark diskutiert. Auf der Basis kogni-
zu explizitem Regelwissen werden kann. In tionspsychologischer und aus der Künstlichen
der  aktuellen kognitivistischen Zweitspracher- Intelligenz stammenden Arbeiten wird S. als
werbsforschung stehen Fragen nach der genau- Aufbau komplexer neuronaler Netzwerke be-
eren Erfassung und den Bedingungen von Pro- trachtet. Lernen wird z. B. im Competition-Mo-
zessen der Automatisierung in der L2 im Zen- dell (Elizabeth Bates und Brian MacWhinney)
trum. Eine bis heute höchst einflussreiche als vorrangig assoziative Verarbeitung sprachli-
Hypothese ist die von Selinker aufgestellte Ler- cher Stimuli zu Form-Funktions-Verbindungen
nersprachen-Hypothese (interlanguage hypo- verstanden, wobei Inputvariablen wie Vorkom-
thesis). Danach entwickeln Lernende beim Er- menshäufigkeit und Markiertheit die Stärke der
lernen einer Zielsprache spezifische Sprachsys- Verbindungen im Netzwerk bedingen.
teme (= Lernersprachen), die Merkmale von In der Fremdsprachendidaktik berufen sich
Erstsprache und Zielsprache, aber auch eigen- viele aktuellere Überlegungen zum FU – insbe-
ständige, von Erst- und Zielsprache abwei- sondere zur Förderung des ä autonomen Ler-
chende Merkmale enthalten, und die die fol- nens – auf die konstruktivistische Lerntheorie
genden psycholinguistischen Prozesse wider- (ä Konstruktivismus/Konstruktion), die eine
spiegeln: Transfer aus anderen Sprachen (L1 Weiterentwicklung der kognitiven Lerntheorie
und zuvor gelernte L2); Transfer aus der Lern- darstellt. Lernen wird als autonomer Konstruk-
umgebung (z. B. ungeeignete Lernmaterialien tionsprozess aufgefasst, bei dem Lernende allein
oder Übungssequenzen); ä Lern- und Kommu- auf der Grundlage ihres individuellen Wissens
nikationsstrategien, die Lernende bewusst und und ihrer Erfahrungen operieren. Diese An-
unbewusst einsetzen, um ihr Lernen voranzu- nahme impliziert, dass der Lernprozess bei je-
treiben bzw. um akute Kommunikationspro- dem Individuum anders verläuft, dass es also
bleme zu lösen; ä Übergeneralisierungen ziel- denkbar ist, dass jeder Lernende bei gleichem
sprachlicher Regeln. Die Teachability-Hypo- Input etwas anderes lernt. Eine weitere Grund-
these, die Pienemann später im Rahmen seiner annahme des Konstruktivismus ist die, dass
processability theory psycholinguistisch mit der Lernen in hohem Maße auf Kooperation zwi-
Verarbeitbarkeit zielsprachlicher Strukturen schen Menschen angewiesen ist und daher In-
begründet, greift Erkenntnisse der Erwerbsse- teraktion und gemeinsame Arbeit in Gruppen
quenzforschung auf und behauptet im Kern, als besonders lernfördernde Bedingungen ver-
dass spezifische kerngrammatische Strukturen standen werden (ä Kooperatives Lernen).
sich natürlich entwickeln, aber nicht lehrbar, Letztere Annahme prägt ebenfalls soziokul-
geschweige denn immer sofort lernbar sind. Die turelle und interaktionistische Ansätze. Sozio-
Hypothese fußt auf empirischen Belegen, wo- kulturelle Ansätze beruhen auf kognitiven bzw.
nach trotz gezielter Instruktion (ä Instruktivis- sozialkonstruktivistischen ST. und schreiben
mus/Instruktion) im FU Lernende diese Sprach- der sozialen Umgebung entscheidenden Anteil
strukturen nur in der Abfolge der Erwerbsse- am S. zu. Mentale Prozesse gelten als Ergeb-
quenz erwerben (können). Es kann sogar zu nisse sozialer Prozesse: Sprachenlernen ge-
Lernhemmungen kommen, wenn der Unter- schieht in einem Prozess, der durch Interaktio-
richt versucht, der natürlichen Erwerbsreihen- nen im sozialen Miteinander stattfindet, der
folge entgegenzusteuern. Auch wenn die For- dann seinen Widerhall in der Kognition findet
schungslage immer noch Fragen offen lässt, so (Lev Vygotski). Wichtiges Konzept dabei ist die
kann diese Hypothese zumindest teilweise er- sog. zone of proximal development, in der Ler-
klären, warum Lernende trotz intensiven Übens nen durch problemlösende Aktivitäten der Ler-
hartnäckig und lange Zeit in freien Sprachpro- nenden möglich ist, wenn diese unter Betreuung
duktionen bestimmte Grammatikfehler bege- von Expert/innen oder in Kooperation mit an-
hen. deren Bezugspersonen agieren können. Lerner-
321 Sprachgefühl

variablen und Variablen des Lernmilieus sowie Verständnisüberprüfungen, Klärungen und Um-
interaktive Unterstützungsleistungen von Lehr- formulierungen statt. Es liegen Hinweise vor,
personen (z. B. ä scaffolding) werden im Rah- dass solche interaktiven Prozesse in der Tat
men soziokultureller Ansätze daher eine ge- spracherwerbsförderlich sind, dass aber der
wichtige Rolle beim S. zugesprochen. Interakti- Grad an Explizitheit von Feedbackverfahren
onistische Ansätze (Susan Gass) betonen und Aushandlungsprozessen von erheblicher
ebenfalls die Bedeutung der sozialen Interak- Bedeutung ist. Die Aufmerksamkeitshypothese
tion für den S. und können insbesondere die betont darüber hinaus, dass die Wahrnehmung
Bedingungen, unter denen S. stattfinden kann, des Inputs Voraussetzung für dessen Verarbei-
beschreiben. Sie wurden aus unterschiedlichen tung und damit für den Fremdsprachenerwerb
Hypothesen zur Relevanz des zielsprachigen ist. Damit Lernende spezifische fremdsprachli-
Angebots (= Input), dessen interaktiver Aus- che Merkmale des Inputs erkennen (noticing),
handlung und schließlich Anwendung bei der ist es nötig, dass sie ihre ä Aufmerksamkeit
Sprachproduktion entwickelt, wobei in den darauf fokussieren und ihre eigenen sprachli-
letzten Jahren immer mehr die Bedeutung des chen Produkte mit denen von Muttersprachler/
bewussten Wahrnehmens von L2-Phänomenen innen vergleichen und dabei Abweichungen
in der Interaktion herausgearbeitet wird. feststellen (noticing the gap). Dieser Ansatz, der
In nativistischen Ansätzen hat Input noch interaktionistische und kognitive Perspektiven
keine erklärende Funktion, sondern wird ledig- integriert, erklärt, warum interaktive Prozesse
lich als Auslöser betrachtet, der den S.smecha- z. B. im Rahmen impliziter ä Korrekturen von
nismus in Gang setzt. Dagegen führen Vertreter Grammatikfehlern nicht sicher in S. münden,
der Input-Hypothese die Art und Weise des S.s da sie vom Lernenden häufig nicht wahrge-
(Wahrnehmung, Verstehen, Sprachgebrauch) nommen werden.
auf Veränderungen im Input zurück, z. B. auf Lit.: R. Ellis: The Study of Second Language Acquisi-
die Häufigkeit spezifischer sprachlicher For- tion. Oxford 22008 [1994. – S. M. Gass/L. Selinker:
men (Frequenz), ihre Auffälligkeit (Salienz) Second Language Acquisition. An Introductory
oder die Modifikation des Inputs (z. B. teacher Course. N.Y./Ldn 32008 [1994. – B. Hufeisen/C. Rie-
mer: S. und Sprachenlernen. In: H.-J. Krumm et al.
talk, foreigner talk). Nach der Output-Hypo- (Hg.): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein in-
these (Merrill Swain) reicht aber Input für den ternationales Handbuch. Bd. 1. Bln/N. Y. 2010, 738–
S. nicht aus, sondern die zu erlernende Sprache 753. – P. M. Lightbown/N. Spada: How Languages
muss aktiv verwendet werden. Nach dieser are Learned. Oxford 42013 [1993. – R.  Mitchell/
Auffassung ist die mit der Sprachproduktion F. Myles/E. Marsden: Second Language Learning Theo-
ries. Ldn 32013 [1998. – B. VanPatten/J. Williams
verbundene Anstrengung, vorhandene lerner- (Hg.): Theories in Second Language Acquisition.
seitige Annahmen über die Sprache zu überprü- An  Introduction. Mahwah, NJ/Ldn 22014 [2007. –
fen und dabei die gelernten zielsprachlichen D. Wolff: Fremdsprachenlernen als Konstruktion.
Ausdrucksmittel anwenden zu müssen, eine Grundlagen für eine konstruktivistische Fremdspra-
zwingende Voraussetzung für den Erwerb v. a. chendidaktik. FfM 2002. CR
der L2-Grammatik. Außerdem ist Output eine
Voraussetzung für interaktives Feedback. Die
Interaktionshypothese (Michael Long) beruht Sprachgefühl. In der linguistischen Forschung
auf der Annahme, dass Input gerade durch in- wird der Begriff des S.s nicht einheitlich be-
teraktive Prozesse unter aktiver Beteiligung der schrieben. Konsens besteht jedoch in der Defi-
Lernenden modifiziert wird und so überhaupt nition des S.s als Kompetenz Sprechender, in
erst für die Lernenden verständlich wird. Dieser der Regel Muttersprachler/innen, über die (Un-)
Hypothese zufolge ist die Art und Weise, wie Richtigkeit einer verbalen Äußerung ein intui-
Lehrende und Lernende (oder Muttersprachler/ tives Urteil abzugeben. Das S. kommt auf der
innen und Nichtmuttersprachler/innen oder lexikalischen, morpho-syntaktischen oder auch
Nichtmuttersprachler/innen untereinander) bei stilistischen Ebene zum Ausdruck und zeigt sich
der Verarbeitung des Inputs miteinander umge- bezogen auf grammatische oder lexikalische
hen – ob sie gemeinsam Bedeutungen ›aushan- Phänomene in Urteilen wie ›richtig‹ oder
deln‹ und Verstehen sicherstellen (negotiation ›falsch‹, bezogen auf Stilfragen in Urteilen wie
of meaning) –, ein entscheidender Faktor beim ›angemessen‹ oder ›unangemessen‹. S. bezieht
S. Solche interaktiven Prozesse finden z. B. im sich auf Elemente der Sprache wie Texte, Text-
Rahmen von Feedback-/Reparaturprozessen, abschnitte, Sätze, Satzglieder oder Flexionsfor-
Sprachgefühl 322

men, niemals aber auf die gesamte Sprache. S. Lernen von Fremdsprachen wichtige Aspekte
ist im Unterschied beispielsweise zum sponta- ausblendet, die zur Erfassung fremdsprachli-
nen Angst- oder Hungergefühl eine relativ cher Lehr- und Lernprozesse unabdingbar sind.
konstante Größe, kann sich jedoch im Laufe Den genannten Ansätzen stellt sie ein empirisch
der Jahre analog zum allgemeinen Sprachwan- ausgerichtetes Forschungskonzept (ä Empirie)
del weiterentwickeln. Das S. als subjektive entgegen: Aus der unterrichtlichen Praxis er-
Größe wird von Faktoren wie Alter, Geschlecht, wachsende Probleme und Fragestellungen wer-
sozialer Zugehörigkeit, regionaler Herkunft den mit einem umfassenden untersuchungsme-
und Bildungsgrad bzw. Beruf beeinflusst. thodischen Anspruch empirisch erforscht. Die
Da es sich beim S. nicht um einen unmittelbar dabei gewonnenen Erkenntnisse sollen zu einer
zugänglichen Forschungsgegenstand handelt, begründeten Verbesserung des FUs führen, die
lassen sich die Daten für die Bestimmung des S.s ihrerseits wiederum Gegenstand der empiri-
nur durch Introspektion gewinnen. Psycho- und schen Überprüfung ist bzw. werden kann.
Soziolinguistik haben empirische Untersu- Die Etablierung einer wissenschaftlichen
chungsmethoden entwickelt, um aus Akzeptanz- Disziplin geschieht nicht selten aus einem deut-
urteilen von Informanten auf das zugrunde lie- lichen Abgrenzungsverhalten heraus. Für die S.
gende S. zu schließen. Es ist problematisch, sich lässt sich diese Abgrenzung zum einen gegen-
im FU auf das S. zu berufen. Fremdsprachenler- über der Linguistik konstatieren. Die bloße lin-
nende erwerben zwar die lexikalischen und guistische Beschreibung der zu lernenden Spra-
grammatischen Strukturen der Zielsprache, je- che allein wurde deshalb als unzureichend an-
doch basieren ihre Grammatikalitäts- bzw. Stil- gesehen, da (kontrastiv-)linguistische Analysen
urteile auf Reflexion und Einbeziehung der Re- zwar wichtige Hinweise auf die Gemeinsamkei-
gelkenntnisse, nicht auf Intuition. Lediglich bei ten und Unterschiede von Sprachen lieferten,
fortgeschrittenen Lernenden kann das S. ein jedoch kaum in der Lage waren bzw. sind,
Kriterium für die Beurteilung fremder oder eige- fremdsprachliches Lernverhalten tatsächlich zu
ner verbaler Produktionen sein. erklären. Dies gilt nicht zuletzt angesichts der
Lit.: H.-M. Gauger et al.: S.? Vier Antworten auf eine Tatsache, dass in ihnen die unterrichtskonstitu-
Preisfrage. Heidelberg 1982. – E. Molitor: S. und ierenden Variablen weitgehend ausgeblendet
Sprachbewußtsein am Beispiel des Subjonctif nach werden. Prägender für die Entstehung der S.
›après que‹. Eine empirische Untersuchung. Göttingen waren die Impulse aus der Psycholinguistik, die
2000. EM
sich um die Erfassung menschlicher Sprachver-
arbeitung bemüht. Insbesondere das Konzept
Sprachlabor ä Aussprache, ä Lehr- und Lernort, der ä interlanguage wurde in diesem Zusam-
ä Medien menhang für die S. bedeutsam, weil mit ihm der
Blick stärker auf das lernende Individuum ge-
lenkt wurde, ohne dabei das Sprachsystem
Sprachlehrforschung. Die S. versteht sich als die selbst gänzlich aus dem Auge zu verlieren. Die
wissenschaftliche Disziplin, die das Lehren und Auffassung, dass Fremdsprachenlernende ein
Lernen fremder Sprachen in unterrichtlichen ihnen eigenes sprachliches System mit bestimm-
Kontexten untersucht. Sie tut dies mit dem Ziel, ten Gesetzmäßigkeiten und vor dem Hinter-
Einsichten in den fremdsprachlichen Lernvor- grund strategischen Verhaltens ausbilden,
gang zu erzielen und daraus begründete Vor- führte in der S. zum Prinzip der ä Lernerorien-
schläge für die Gestaltung des FUs und die tierung: Wichtiger als die Frage nach der Mo-
Optimierung des fremdsprachlichen Lernvor- dellierung des sprachlichen Inputs allein wurde
gangs abzuleiten. Dabei begreift sie den FU als fortan die Frage, was Lernende tun, wenn sie
einen spezifischen Gegenstand, der sich durch im und durch Unterricht mit dem Lerngegen-
das Zusammenspiel einer Vielzahl von Fakto- stand konfrontiert werden, dessen Aneignung
ren konstituiert. sie anstreben. Damit rückte der bzw. die Ler-
Die Entstehung der S. geht auf die Unzufrie- nende in das Zentrum der S. und ersetzte dort
denheit mit einer rezeptologisch anmutenden eine nach ausschließlich sprachwissenschaftli-
ä Fremdsprachendidaktik ebenso zurück wie auf chen Prinzipien erfolgende Beschreibung des
die Einschätzung, dass eine ausschließlich oder Lerngegenstandes, dem damit zwar eine wich-
überwiegend an der ä Sprachwissenschaft ori- tige dienende, aber eben keine alleinige Funk-
entierte Beschäftigung mit dem Lehren und tion und Erklärungskraft für die Erforschung
323 Sprachlehrforschung

des FUs beigemessen wurde (vgl. dazu z. B. die 2014a) und orientiert sich demzufolge an ei-
Diskussion um die Didaktische ä Grammatik). nem Verständnis von fremdsprachlichem Ler-
Die stärkere Orientierung an der Psycholin- nen, bei dem der Lerner bzw. die Lernerin auf
guistik und damit am Lernen und am Lerner sein bzw. ihr vorhandenes ä Wissen rekurriert
führte zum Konzept der Faktorenkomplexion, und die neu eingehenden Informationen auf der
die als Zusammenwirken aller den FU konsti- Grundlage vorangehender Erfahrungen mit
tuierenden Faktoren einschließlich der in ihm Lernen und dem Lerngegenstand verarbeitet.
handelnden Personen zunächst konzeptuell Dies ist z. B. in empirischen Arbeiten dokumen-
umrissen (vgl. Koordinierungsgremium 1983) tiert, in denen diese Lernprozesse beobachtet,
und auch ausführlich beschrieben wurde (vgl. analysiert und in Kooperation mit den Lernen-
Königs 1983). Ihr liegt die Annahme zugrunde, den in deren Bewusstsein gehoben wurden (vgl.
dass fremdsprachliches, durch Unterricht her- z. B. Schmelter 2004; Hoffmann 2008). Lernen
vorgerufenes oder begleitetes Lernen durch die wird damit als ein umfassender, erfahrungsge-
jeweils spezifische Wirkung aller Faktoren zu- leiteter Prozess der Informationsverarbeitung
stande kommt, die den Unterricht ausmachen, (vgl. ausführlich Wolff 2002) verstanden, wo-
also Lehrer/in, Lerner/in, Lerngegenstand, Me- bei die Auffassung von Lernen als Konstruktion
thode, Lernziel und institutionelle Rahmenbe- allerdings im Rahmen der S. nicht zwangsläufig
dingungen. Den Versuchen, die Aneignung einer eine Orientierung am (Radikalen) ä Konstrukti-
fremden Sprache als kontextunabhängigen ge- vismus bedeuten muss, wie zahlreiche kritische
neralisierbaren Vorgang in Unabhängigkeit von Diskussionen zu diesem lerntheoretischen An-
der Situation und den Bedingungen zu beschrei- satz in der S. immer wieder gezeigt haben (vgl.
ben, unter denen sie stattfindet, und ohne Be- exemplarisch die Diskussion in der Zeitschrift
rücksichtigung lernerindividueller Faktoren, be- für Fremdsprachenforschung 2002). Gleich-
gegnete die S. damit zunächst konzeptuell-pro- wohl  spielt in der S. die Vorstellung von der
grammatisch, dann auch empirisch belegt mit Autonomie des Lerners eine zentrale Rolle
großer Skepsis. Aus dieser Skepsis und den er- (ä Autonomes Lernen). Gleichzeitig machte die
mittelten Befunden resultierte eine weitere Ab- Fokussierung auf die empirische Erfassung
grenzung, nämlich diejenige gegenüber einer fremdsprachlicher Aneignungsvorgänge die
Zweitsprachenerwerbsforschung (ä Spracher- Auseinandersetzung mit und die Entwicklung
werb und Spracherwerbstheorien), sofern diese von gegenstandsadäquaten untersuchungsme-
mit einem universalistischen Anspruch antrat thodischen Instrumentarien notwendig, die es
und die Bedeutung unterrichtskonstituierender ermöglichen, der Vielfalt der Einflussvariablen
Elemente für das Zustandekommen von fremd- wenigstens annäherungsweise Rechnung zu
sprachlichem Lernen leugnete, ignorierte oder tragen; eine Kontrolle aller in Frage kommen-
als wenig konstitutiv für fremdsprachliches den Variablen dürfte beim gegenwärtigen For-
Lernen einstufte. Die S. wendete sich damit schungsstand eher Wunsch als Realität sein.
nicht so sehr gegen die Ergebnisse dieser Zweit- Dabei darf festgehalten werden, dass sich die
sprachenerwerbsforschung, die auch für die Untersuchungsinstrumente – auch unter Bezug
Erforschung des FUs sehr wohl anregend und auf Erfahrungen aus Disziplinen wie der Psy-
interessant sein können (zu dieser Argumenta- chologie oder den Sozialwissenschaften – ver-
tion vgl. Königs 1992; zu einer Übersicht von feinert und differenziert haben (vgl. z. B. Grot-
in der S. bearbeiteten Themen vgl. exemplarisch jahn 1999; Riemer 2004; Settinieri et al. 2014;
Helbig et al. 2000), wohl aber gegen die Gene- Caspari et al. 2016). Mehrheitlich dürfte – den
ralisierbarkeit von Befunden und Theorien, die jeweiligen Erkenntnisinteressen folgend – qua-
im und für den außerunterrichtlichen Kontext litativen Methoden bzw. mehrmethodischen
erhoben und entwickelt und dann für den FU Ansätzen der Vorzug vor rein quantitativen
als gleichermaßen gültig angenommen wurden. Untersuchungsverfahren gegeben werden.
Sie favorisiert demgegenüber Hypothesen, die Gegenüber der Fokussierung auf den Lerner
der Individualität des unterrichtlich beeinfluss- und den Lernvorgang ist die wissenschaftliche
ten Aneignungsvorgangs Rechnung tragen (vgl. Beschäftigung mit der Rolle des Fremdspra-
dazu z. B. die Einzelgängerhypothese von Rie- chenlehrers in der Entwicklung der S. etwas in
mer 1997; zu den unterschiedlichen Erwerbs- den Hintergrund geraten. Dieser Umstand
hypothesen und ihrer Bedeutung für das Lernen dürfte weniger auf die Geringschätzung des
im FU vgl. z. B. Hufeisen/Riemer 2010; Königs Faktors ›Lehrer‹ (ä Lehrer/in und Lehrerrolle)
Sprachlehrforschung 324

im Kontext der fremdsprachenunterrichtlichen Lit.: K.-R. Bausch et al. (Hg.): FU im Spannungsfeld


Faktorenkomplexion zurückzuführen sein als von Inhaltsorientierung und Kompetenzbestimmung.
Tüb. 2009. – D. Caspari et al. (Hg.): Forschungsme-
auf die Tatsache, dass die zur Verfügung stehen-
thoden in der Fremdsprachendidaktik. Ein Handbuch.
den (personellen und materiellen) Ressourcen Tüb. 2016. – R. Grotjahn: Thesen zur Forschungsme-
für derartige Forschungsvorhaben nicht unbe- thodologie. In: Zs. für Fremdsprachenforschung 10/2
grenzt sind und dass die Erforschung fremd- (1999), 133–158. – B. Helbig/K. Kleppin/F. G. Königs:
sprachlicher Lernvorgänge als vordringlicher S. im Wandel. Beiträge zur Erforschung des Lehrens
erschien. Dass auch die wissenschaftliche Er- und Lernens von Fremdsprachen. Tüb. 2000. – S.
Hoffmann: Fremdsprachenlernprozesse in der Projekt-
forschung der Lehrerseite für die S. von Bedeu- arbeit. Tüb. 2008. – B. Hufeisen/C. Riemer: Spracher-
tung ist, kann man an Arbeiten zu subjektiven werb und Sprachenlernen. In: H-J. Krumm et al.
Theorien von Fremdsprachenlehrenden ebenso (Hg.): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein in-
ablesen wie an vielfältigen Aktivitäten zur Re- ternationales Handbuch. Bd 1. Bln/N. Y. 2010, 738–
form der fremdsprachlichen ä Lehrer(aus)bil- 753. – F. Klippel (Hg.): Teaching Languages. Sprachen
lehren. Münster/N. Y. 2016. – F. G. Königs: Normenas-
dung. In jüngerer Zeit wird der Faktor ›Lehr- pekte im FU. Ein konzeptorientierter Beitrag zur Er-
kraft‹ in seiner Bedeutung für die Erforschung forschung des FUs. Tüb. 1983. – F. G. Königs: ›Lernen‹
des FUs wieder stärker betont (vgl. Königs oder ›Erwerben‹ Revisited. Zur Relevanz der Zweit-
2014b; Klippel 2016). Allerdings macht gerade sprachenerwerbsforschung für die S. In: Die Neueren
diese Diskussion deutlich, dass die S. sich in der Sprachen 91/2 (1992), 166–179. – F. G. Königs: Disci-
plines Relating to Language Acquisition. In: C. Fäcke
Vergangenheit stärker mit linguistischen und
(Hg.): Manual of Language Acquisition. Bln/Boston
lerntheoretischen bzw. lernpsychologischen 2014a, 17–30. – F. G. Königs: War die Lernerorien-
Ansätzen beschäftigt hat als mit allgemein di- tierung ein Irrtum? Der Fremdsprachenlehrer im
daktischen oder schulpädagogischen. Gleich- Kontext der Sprachlehrforschung. In: Fremdsprachen
zeitig steht die S. damit auch dem angelsächsi- lehren und lernen 43 (2014b), 66–80. – Koordinie-
schen Verständnis der applied linguistics näher, rungsgremium im DFG-Schwerpunkt S. (Hg.): Sprach-
lehr- und Sprachlernforschung. Begründung einer Dis-
das sich stärker mit der Aneignung von Spra- ziplin. Tüb. 1983. – C. Riemer: Individuelle Unter-
chen beschäftigt, als es umgekehrt für die deut- schiede im Fremdsprachenerwerb. Die Wechselwirkung
sche Angewandte Linguistik zutrifft, die Spra- ausgewählter Einflußfaktoren. Baltmannsweiler 1997.
che deutlich intensiver in außerunterrichtlichen – C. Riemer: Zur Relevanz qualitativer Daten in der
Anwendungskontexten untersucht. neueren L2-Motivationsforschung. In: W. Börner/K.
Vogel (Hg.): Emotion und Kognition im FU. Tüb.
Entstehung und Entwicklung der S. haben in 2004, 35–65. – L. Schmelter: Selbstgesteuertes und po-
Deutschland auch institutionelle Konsequenzen tenziell expansives Fremdsprachenlernen im Tandem.
hervorgerufen: An einigen Studienstandorten Tüb. 2004. – J. Settinieri et al. (Hg.): Empirische For-
(z. B. Bochum und Hamburg) entstanden eigene schungsmethoden für Deutsch als Fremd- und Zweit-
Studiengänge, die sich schwerpunktmäßig dem sprache. Paderborn 2014. – D. Wolff: Fremdsprachen-
lernen als Konstruktion. Grundlagen für eine kon-
Lehren und Lernen von Fremdsprachen sowie
struktivistische Fremdsprachendidaktik. FfM 2002.
seiner Erforschung widmen; mittlerweile sind FGK
diese Studiengänge im Zuge der Änderung der
Studiengangsformate (Umstellung auf Bachelor
und Master) zumeist in neue Formate überführt Sprachlerneignung ist die Fähigkeit eines Indi-
und dabei auch in andere thematische Fokus- viduums, eine Fremdsprache zu lernen oder zu
sierungen eingepasst worden. Die Denominati- erwerben. Es wird angenommen, dass sich diese
onen von ehemals fremdsprachendidaktischen Fähigkeit durch ä Bildung, Erfahrung und kogni-
Professuren weisen heute häufig entweder das tive Reifung nicht verändert. Das Konzept ist
Etikett ›S.‹ aus oder beziehen sich explizit auf abzukoppeln von Faktoren wie ä Motivation,
ein so bezeichnetes Lehr- und Forschungsgebiet. Anstrengung, Einstellung, ä Lernstrategien oder
Aus dem Forschungsansatz der S. ist die Früh- Intelligenz, auch wenn Interaktion zwischen
jahrskonferenz zur Erforschung des FUs her- diesen weiteren internen Variablen, S. und
vorgegangen, die sich seit 1980 jährlich mit ei- Lernerfolg stattfindet. John B. Carroll (1991)
nem aktuellen Thema des Faches befasst und hat ursprünglich folgende vier Fähigkeiten in
die Ergebnisse dazu regelmäßig vorlegt; die seinem einflussreichen S.s-Modell vorgeschla-
Dokumentation der 29. Frühjahrskonferenz gen: die Fähigkeiten, auditive Diskriminierun-
enthält eine Liste der bisher erschienenen Bände gen durchzuführen, grammatische Funktionen
(vgl. Bausch et al. 2009). zu deuten, grammatische Muster intuitiv zu er-
kennen und mit fremdsprachlichen Materialien
325 Sprachlernspiele

schnell und erfolgreich assoziativ zu lernen. Die wert nahmen sie zur Zeit des ä kommunikativen
Grundlage dieses Modells ist teils linguistisch, FUs ein (vgl. Dauvillier/Lévy-Hillerich 2004;
teils behavioristisch. In Peter Skehans (2002) Klippel 1980). Mittlerweile kann man sie dem
Modell werden Aspekte des Konzepts in Ver- Unterrichtsprinzip des ä aufgabenorientierten
bindung mit sequentiellen Aspekten des Sprach- Lernens zuordnen; viele der unten aufgeführten
erwerbs gebracht, nämlich phonologische Kriterien für S. gelten auch für jegliche Art von
ä Aufmerksamkeit, strukturelle Wahrnehmung Lernaufgaben in Abgrenzung zu ä Übungen.
(sprachanalytische Fähigkeiten), Kontrolle Notwendige Kriterien für S. können folgender-
(Speicherung im und Abruf vom Gedächtnis) maßen zusammengefasst werden:
und Lexikalisierung. Somit wird das Konzept S. • S. müssen v. a. ein Spielziel haben, nicht
in einem Sprachlernmodell neu konzipiert, und nur ein ä Lernziel.
es wird möglich, dass verschiedene Aspekte des • Sie müssen so konzipiert sein, dass sie zur
Konzepts in unterschiedlicher Stärke bei be- Lust an der Erfindung, am Entdecken, am
stimmten Individuen auftreten. Die Frage bleibt Darstellen und an der konkreten Betäti-
offen, ob das Konzept der S. theoretisch akzep- gung anregen.
tabel ist. Aus einer Sprachlehrperspektive • Sie müssen einen Spannungsbogen enthal-
scheint das ursprüngliche Konzept nicht frucht- ten.
bar zu sein, da die Annahme unterschiedlicher • Sie müssen offen sein, d. h. ihr Ausgang
Lernfähigkeiten in einer Lerngruppe jedem Bil- und die konkrete Ausgestaltung dürfen
dungssystem zugrundeliegt. nicht vorgeschrieben werden.
Lit.: J. B. Carroll: Cognitive Abilities in Foreign Lan- • Sie müssen ihren eigenen Bewertungscha-
guage Aptitude. Then and Now. In: T. Parry/C. Stans- rakter haben und die Möglichkeit zur
field (Hg.): Language Aptitude Reconsidered. Engle- Selbstevaluation bieten.
wood Cliffs 1990, 11–29. – P. Skehan: Theorising and • Sie können Wettbewerbscharakter haben
Updating Aptitude. In: P. Robinson (Hg.): Individual
Differences and Instructed Language Learning. Ams- und müssen dann Gewinn- und Verlierkri-
terdam 2002, 69–93. WE terien besitzen; das Spielziel kann aber
auch allein durch Kooperation mit ande-
ren zu erreichen sein.
Sprachlernspiele. Der komplexe und vielschich- • S. sollten in der Regel nicht von der Lehr-
tige Charakter von Spielen in verschiedenen ge- kraft bewertet oder benotet werden, sie
sellschaftlichen und institutionellen Kontexten sind sanktionsfrei. Mittlerweile werden
hat dazu geführt, dass der Begriff des Lernspiels zumindest Rollenspiele jedoch auch im
kaum eindeutig bestimmt werden kann (vgl. Bereich des Testens und Prüfens eingesetzt.
Hansen/Wendt 1990; Kleppin 1980). Für den
Kontext des Lernens und Lehrens von Fremd- S. sind in allen Lern- und Unterrichtsphasen
sprachen gilt, dass S. vom Lehrenden mit einer (Aufnahme und Verarbeitung neuen Materials,
didaktischen Funktion eingesetzt oder vom Ler- Festigen, Anwenden, Wiederholen), in allen
nenden mit der Intention ausgewählt werden, ä Sozialformen und medienunterstützt (per
Spiel- und Lerntätigkeit miteinander zu verbin- Video, Internet) einsetzbar. Es besteht eine
den. Bezeichnungen wie Rollenspiel, Simulation Bandbreite zwischen lustbetontem, spielorien-
(ä Simulation Globale), szenisches Spiel (ä Dra- tiertem Selbstzweck und Mittel zum Fremd-
mapädagogik), freies Spiel, Diskussionsspiel, sprachenlernen. Aufgrund ihres offenen und
Gesellschaftsspiel, darstellendes Spiel, Ratespiel ambivalenten Charakters sind S. auch interes-
und Computerspiel (sowie bei diesem neuer- sant für die Förderung von ä Differenzierung
dings v. a. die serious games) treten ebenfalls in und ä autonomem Lernen. Obgleich viele
diesem Kontext auf; sie stellen meist besondere Überschneidungen möglich sind, können S.
Spielformen dar. Eine Klassifikation verschiede- grundsätzlich in folgenden Zielbereichen ein-
ner Lernspieltypen wurde zwar immer wieder gesetzt werden:
diskutiert (vgl. z. B. Kilp 2003), doch selbst in • Teilbereiche des sprachlichen Systems
vielen Spielesammlungen (vgl. z. B. Oberbeil (Phonetik/Phonologie, Lexiko-Semantik,
1992; Rinvolucri/Davis 1999) sind sie häufig Morpho-Syntax, Pragmatik).
nur dem Spielnamen nach geordnet. • Einzelne Teilkompetenzen bzw. ä Fertigkei-
S. sind in vielen Vermittlungsansätzen und ten (ä Hör- und ä Leseverstehen, ä Spre-
-methoden verankert. Einen besonderen Stellen- chen, ä Schreiben, ä Sprachmittlung).
Sprachlernspiele 326

• Entwicklung einer positiven Einstellung • Lernen mit allen Sinnen (ä Ganzheitliches


zur Fremdsprache und zum Unterricht Lernen) durch Einbeziehung des gesamten
durch Spaß am Spiel oder auch durch Er- Körpers und ä nonverbaler Kommunika-
folgserlebnisse (Gewinnen eines Spiels, tion in die Spielhandlung.
Meistern einer Situation).
• Antizipation von Situationen, in die Ler- Bei der Durchführung von S.n sollte darauf ge-
nende in der realen Kommunikation mit achtet werden, dass die Spielanweisung, um
Muttersprachler/innen kommen können, selbstbestimmtes Lernen zu fördern, transpa-
Ausprobieren von Handlungsalternativen. rent machen sollte, welche Ziele mit dem Spiel
• Kulturelles und landeskundliches Wissen, verbunden werden können; denn Lernende
wofür auch über das Internet zugängliche wissen selbst dann, wenn ihre Aufmerksamkeit
Spiele für Fremdsprachenlernende geeignet von einem Spiel absorbiert wird, dass sie sich in
sind (vgl. z. B. http://www.goethe.de/oe/ einer Lernsituation befinden. Sie werden die
mos/odyssee/deintro.htm). Spielsituation nicht weniger genießen, wenn
• Einsatz und Erprobung von Kommunika- zusätzlich zu erwarten ist, dass sie in dieser Si-
tionsstrategien. V. a. in Rollenspielen die- tuation etwas hinzulernen können.
nen Kommunikationsstrategien dazu, in Für die Durchführung von S.n sind von der
der fiktiven Situation zurechtzukommen, Lehrkraft und den Lernenden Entscheidungen
z. B. durch Gestik/Mimik, Paraphrasierun- zu treffen, wie z. B., wer eine Spielleiterfunktion
gen, Einsatz anderer Sprachen. Kommuni- übernimmt, welche Hilfen von der Lehrkraft
kationsstrategien können durch spezielle eingefordert werden können oder ob die Lehr-
Anweisungen elizitiert werden, z. B. durch kraft als Mitspieler/in fungiert. Es ist zu überle-
solche, die in ihrem Herausforderungsgrad gen, ob eine Verschriftlichung z. B. eines Dialogs
oberhalb des aktuellen Leistungsstands sinnvoll ist oder ob ein spontanes Spiel entste-
liegen. hen kann, ferner welchen Wert die Spieler/innen
• Einsatz und Erprobung von ä Lernstrate- auf die Korrektheit der Sprache legen möchten
gien. In der Regel führt der Einsatz von und wie sie ä Korrekturen der Lehrkraft einfor-
Kommunikationsstrategien im Unterricht dern wollen. Wichtig ist außerdem, darauf zu
dazu, dass Lehrende auf die entsprechen- achten, dass z. B. bei Wettbewerbsspielen nicht
den sprachlichen Lücken reagieren können sprachlich Schwächere immer zuerst ausschei-
oder sogar direkt von den Lernenden zu den, sondern dass der Zufall oder auch das
Rate gezogen werden. Dadurch können Können auf anderen als sprachlichen Gebieten
sich Kommunikationsstrategien gleichzei- den Spielausgang beeinflussen können. Nach
tig auch zu Lernstrategien entwickeln, die der Durchführung ist eine Nachbereitungsphase
grundsätzlich verwendet werden (z. B. ge- (z. B. Umformung eines Rollenspiels in eine
zieltes code switching oder konkrete Ler- schriftliche Erzählung) als Weiterführung des
nerfragen). Spiels möglich. Auch eine Korrekturphase mit
• Selbständigkeit und Selbststeuerung des Übungsmaterialien zu häufig aufgetretenen
Lerners bzw. der Lernerin. Die Lehrerrolle ä Fehlern ist denkbar. Selbst in einer solchen
(ä Lehrer/in und Lehrerrolle) verändert sich Korrekturphase können wiederum S. eingesetzt
in S.n: Die Lehrperson wird als Helfer/in werden, wie z. B. ein Wettbewerb, welche
benötigt und reagiert auf Fragen und Bitten Gruppe die meisten Fehlerursachen identifizie-
um Hilfen oder um (Vorab-)Korrekturen. ren kann.
• Kooperation mit anderen. SuS lernen in S.n, Arbeits- und Übungsformen sind abhängig
die z. B. in Parallelgruppen (auch über das von Lernerfaktoren wie Alter, Lernstufe und
Internet) realisiert werden, mit- und vonein- Spielerfahrung, von Gruppengröße und -zu-
ander. Durch ein gemeinsames Erfolgserleb- sammensetzung sowie vom gewählten Spiel. S.
nis in der Gruppe kann auch das Selbstbild haben eine Reihe von Vorteilen und sind flexi-
des Einzelnen positiv beeinflusst werden. bel einsetzbar. Sie können ihr Anregungspoten-
• Rollenflexibilität und Empathiefähigkeit zial allerdings nur dann entfalten, wenn sie
durch Übernahme unterschiedlicher Rol- nicht als reine ›Motivierungstechnik‹ eingesetzt
len, was z. B. für ä interkulturelles Lernen werden, sondern wenn sie aufgrund ihres Spiel-
und interkulturelle Kommunikation unab- ziels und ihrer – möglicherweise auch von den
dingbar ist. Lernenden gewünschten – Zielorientierung, ih-
327 Sprachmittlung

rer Thematik, ihres Tätigkeitsfeldes oder ihres im FU hat mehrere Ursachen und geht auf
Spannungsbogens zum Mitspielen einladen. durchaus unterschiedliche Ansätze zurück: Von
Lit.: C. Dauvillier/D. Lévy-Hillerich: Spiele im Deutsch- der Übersetzungswissenschaft wurde einge-
unterricht. Bln u. a. 2004. – M. Hansen/M. Wendt: S. wandt, dass die Übertragung von Einzelsätzen
Grundlagen und annotierte Auswahlbibliographie kein Übersetzen im Sinne der Übersetzungswis-
unter besonderer Berücksichtigung des Französisch- senschaft sei, die Übersetzen als vorlagenge-
unterrichts. Tüb. 1990. – E. Kilp: Spiele für den FU.
Aspekte einer Spielandragogik. Tüb. 2003. – K. Klep- bundene Übertragung von Texten versteht. Und
pin: Das Sprachlernspiel im FU. Untersuchungen zum mit dieser Form der S. sei der FU aus mehreren
Lehrer- und Lernerverhalten in S.n. Tüb. 1980. – Gründen überfordert. Die kritischen Stimmen
F.  Klippel: Lernspiele im Englischunterricht. Mit 50 aus der Fremdsprachendidaktik resultieren aus
Spielvorschlägen. Paderborn 1980. – M. Oberbeil: einer – jahrzehntelang gewachsenen – Skepsis
Living Classes. Vergnüglicher Englischunterricht. 999
Spiele, Übungen, Kopiervorlagen und Tips für den
gegenüber dem Einsatz der Muttersprache und
Englischlehrer. Mü. 1992. – M. Rinvolucri/P. Davis bemängeln dabei u. a., dass es zur Bewusstma-
(Hg.): 66 Grammatikspiele (für Deutsch als Fremd- chung (ä Bewusstheit/Bewusstmachung) fremd-
sprache, Englisch, Französisch). Stgt/Dresden 1999. sprachiger Strukturen geeignetere Wege als den
KK Vergleich mit der Muttersprache gebe, der die
Gefahr eines negativen ä Transfers erhöhe. Au-
ßerdem seien SuS im FU mit der Übersetzung in
Sprachliches Repertoire ä Repertoire, sprachli- die Fremdsprache (Hinübersetzung) überfor-
ches dert; die Übersetzung aus der Fremdsprache
(Herübersetzung) könne zwar zur Überprüfung
des Textverständnisses durchaus Bedeutung er-
Sprachmittlung. Der Begriff ›S.‹ stellt in der langen, aber auch da gebe es Alternativen, die
ä Fremdsprachendidaktik eine Art Sammelbegriff didaktisch mindestens ebenso geeignet seien.
dar, der das Übersetzen und Dolmetschen Als Testform (ä Tests) sei das Übersetzen – wie-
ebenso umfasst wie das sinngemäße Übertra- wohl in einigen Bundesländern in der Schule
gen. Er ist einerseits aus der Betrachtung über- und in philologischen Studiengängen häufig
setzungswissenschaftlicher Forschung entstan- praktiziert – insofern ungeeignet, als es nicht
den (vgl. z. B. Jäger 1975, vgl. zu einer begriffs- wie beabsichtigt die fremdsprachliche, sondern
geschichtlichen Aufarbeitung v. a. Kolb 2016), vielmehr die translatorische Kompetenz ab-
findet sich in jüngerer Zeit aber auch verstärkt prüfe, die mit der ersten jedoch keineswegs
im Kontext des Lehrens und Lernens fremder identisch ist. Selbst Befürworter des Einsatzes
Sprachen (z. B. im ä Gemeinsamen europäi- der Übersetzung im FU (vgl. Weller 1991) kriti-
schen Referenzrahmen). Der Bedeutungsgehalt sieren die Form, in der sich z. B. in fremdsprach-
ist in beiden Kontexten allerdings unterschied- lichen ä Lehrwerken Übersetzungsübungen fin-
lich: Wird der Begriff im erstgenannten Fall als den. Diese bestünden allzu häufig aus Einzel-
Oberbegriff für vorlagengebundenes Überset- sätzen, die bisweilen zudem noch in enger
zen und Dolmetschen verwendet, so bedeutet er Anlehnung an Lektionstexte geschrieben seien
in der Fremdsprachendidaktik darüber hinaus und damit keine wirkliche kommunikative
auch die nicht textgebundene Form der Über- Funktion besäßen. Befürworter des Einsatzes
tragung von Inhalten von einer Sprache in eine von Übersetzen betonen dagegen, dass die Mut-
andere. Bisweilen findet man den Begriff tersprache bei der Aneignung einer fremden
›Sprachmediation‹. Dieser Begriff ist irrefüh- Sprache gar nicht auszuschalten sei (vgl. z. B.
rend, denn der Terminus ›Mediation‹ bezeich- Butzkamm 2004) und dass von daher der Ein-
net eigentlich die Konfliktvermeidung bzw. satz von Übersetzungen durchaus lernfördernd
-behebung; er sollte daher im Zusammenhang sei, weil er zur bewusstmachenden Durchdrin-
mit dem Sprachmitteln keine Anwendung fin- gung der fremdsprachlichen Struktur beitrage
den. (vgl. dazu etliche Beiträge in Reimann/Rössler
In der Geschichte der Fremdsprachendidak- 2013 sowie in Nied Curcio et al. 2015). V. a. sei
tik hat das Übersetzen eine wechselvolle Ge- S. ein natürlicher Bestandteil der außerunter-
schichte hinter sich; das Dolmetschen ist dem- richtlichen Interaktion, wenn z. B. zwischen
gegenüber seltener Gegenstand der Betrachtung Kommunikationspartnern ›gemittelt‹ werden
gewesen. Die Kritik am Übersetzen und am müsse, die nicht über eine gemeinsame Sprache
Einsatz von Übersetzungsübungen (ä Übung) verfügen. S. sei von daher notwendiger Be-
Sprachmittlung 328

standteil einer umfassenden fremdsprachlichen situationsbezogen unterschiedliche ä Fertigkei-


ä kommunikativen Kompetenz, wobei die Vor- ten aufgabenorientiert miteinander verzahnt
lagengebundenheit je nach Situation und Kom- werden (ä Aufgabenorientiertes Lernen), wie es
munikationsziel in ihrer Bedeutung abnehmen in der außerschulischen Sprachverwendung
könne, da es um das Mitteln von Inhalten gehe üblich ist. Damit lässt sich die S. auch im Kon-
und nicht zwangsläufig um die Schaffung eines text der ä Mehrsprachigkeitsdidaktik als wich-
textuellen Äquivalents (zu einer Zusammen- tige, den vorhandenen Sprachbesitz der Lernen-
stellung der Gründe für und wider das Über- den aufgreifende Aufgaben- und Übungsform
setzen vgl. Königs 2001). Der Gemeinsame eu- einsetzen, ohne die eine erfolgreiche Aneignung
ropäische Referenzrahmen hat vor diesem einer fremden Sprache schwer vorstellbar ist
Hintergrund die S. in die Beschreibung der un- (vgl. Königs 2015).
terschiedlichen fremdsprachlichen Niveaustu- Aus der wissenschaftlichen empirischen Be-
fen integriert und als wichtiges Element der schäftigung mit lernerseitigem Verhalten beim
fremdsprachlichen Kompetenz in seine Be- Übersetzen sind für die Forschung Impulse ent-
schreibung von Zielen, Inhalten und Methoden standen und zahlreiche Hinweise darüber er-
des FUs integriert. Gegenüber der auch aus wachsen, welche mentalen Aktivitäten Lernende
traditioneller fremdsprachendidaktischer Sicht vollziehen, wenn sie mit Übersetzen konfron-
notwendigen Differenzierung zwischen dem tiert sind und welche möglichen Effekte für die
(schriftlichen) Übersetzen und dem (mündli- Fremdsprachenaneignung daraus zu erwarten
chen) Dolmetschen, das allerdings seltener in sind (vgl. z. B. Krings 1986; Königs 1987, 2015;
didaktische Konzepte eingemündet ist als das Kolb 2016).
Übersetzen, gibt der Begriff der S. diese den Lit.: W. Butzkamm: Lust zum Lehren, Lust zum
Produktionsmodus betreffende Unterscheidung Lernen. Eine neue Methodik für den FU. Tüb./Basel
weitgehend auf und stellt stattdessen den kom- 2004. – G. Jäger: Translation und Translationslinguis-
munikativen Gehalt bei der Übermittlung von tik. Halle 1975. – F. G. Königs: Was beim Übersetzen
passiert. Theoretische Aspekte, empirische Befunde
Inhalten aus einer Sprache in eine andere in den und praktische Konsequenzen. In: Die Neueren Spra-
Mittelpunkt (vgl. ausführlich Kolb 2016). chen 86/2 (1987), 162–185. – F. G. Königs: Übersetzen
Seit einiger Zeit öffnen sich fremdsprachliche im FU. Theoretische Erwägungen und praktische An-
Lehrwerke gegenüber der S. deutlicher und regungen. In: U. O. H. Jung (Hg.): Praktische Handrei-
nachhaltiger, als dies in vorangehenden Lehr- chung für Fremdsprachenlehrer. FfM 32001 [1992,
95–101. – F. G. Königs: Sprachen lernen, Sprachen
werkgenerationen der Fall war. Als Beispiel mitteln. Warum das eine nicht ohne das andere geht.
dient die folgende Aufgabe aus dem Lehrwerk In: Nied Curcio et al. 2015, 29–41. – E. Kolb: S. Stu-
English 2000 A5 (Workbook, S. 4): »Tom is a dien zur Modellierung einer komplexen Kompetenz.
British student with you. He hasn’t studied Münster 2016. – P. Krings: Was in den Köpfen von
German and your father doesn’t speak English. Übersetzern vorgeht. Eine empirische Untersuchung
zur Struktur des Übersetzungsprozesses an fortge-
Complete the conversation. If you don’t know
schrittenen Französischlernern. Tüb. 1986. – M. Nied
a word, don’t look it up, but paraphrase.« In Curcio/P. Katelhön/I. Bašič (Hg.): S., Mediation, Me-
einigen Fällen wird auf die Situation von Ler- diazione linguistica. Ein deutsch-italienischer Dialog.
nenden mit einer anderen Muttersprache Bezug Bln. 2015. – D. Reimann/A. Rössler (Hg.): S. im FU.
genommen, z. B. bei Aufgabenstellungen wie Tüb. 2013. – F.-R. Weller: Vom Elend schulischer
der folgenden: »Make a brochure about the Übersetzungslehre. Anmerkungen zur Rolle der Über-
setzung in den neuen Lehrwerken für den Franzö-
area YOU live in. [… Remember you want sischunterricht. In: Die Neueren Sprachen 90/5
people from foreign countries to come and see (1991), 497–523. FGK
these places. So write your brochure in at least
two languages: English and German, French,
Italian, Turkish, Polish….« (Notting Hill Gate Sprachwissenschaft oder das Synonym ›Lingu-
Textbook 4B, S. 49). Ziel ist dabei neben der istik‹ bezeichnet allgemein die wissenschaftliche
Textproduktion und dem sprachmittlerischen Beschäftigung mit Sprache, die von sehr ver-
Handeln auch die Reflexion über die struktu- schiedenen Perspektiven und mit unterschiedli-
rellen Merkmale der anvisierten Textsorte. chen Zielen vollzogen werden kann und daher
Aufgabenstellungen wie diese unterstreichen zu einer Reihe von Teil- bzw. Unterdisziplinen
ein Charakteristikum der integrativen S.saufga- geführt hat. S. versucht, die beiden folgenden
ben, die sich u. a. dadurch auszeichnen, dass in Fragen zu beantworten, nämlich »Was ist Spra-
ihnen gezielt, systematisch und realitäts- sowie che?« und »Wie funktioniert Sprache?« S. ist
329 Sprachwissenschaft

nicht präskriptiv, sondern deskriptiv, d. h., lin- stützte und v. a. in der Tschechoslowakei mit
guistische Forschung beschreibt, was tatsäch- Zentrum Prag, Russland und Frankreich eta-
lich gesprochen (bzw. geschrieben) wird, und bliert wurde und in den 1940er und 1950er
nicht, was gesprochen werden sollte. In der Jahren insbesondere auch in den USA auf-
Wissenschaft und in der Literatur gehen die blühte. Ende der 1950er Jahre setzte als Reak-
Meinungen über die Einteilung des Gebietes tion auf den amerikanischen Strukturalismus
der S. in Anbetracht unterschiedlicher Schwer- und auf den Behaviorismus (in der Psycholo-
punktsetzungen und unterschiedlicher Auffas- gie), der sich auf beobachtbares Verhalten kon-
sung über den Gegenstandsbereich Sprache zentrierte, eine kognitive Wende ein. In den
auseinander. Im Alltagsgebrauch wird Sprache 1960er und 1970er Jahren führte insbesondere
sowohl als ein Gegenstand der ä Kommunika- die durch Chomsky eingeleitete Entwicklung
tion betrachtet, der die Menschen von anderen der generativen Transformationsgrammatik bis
Lebewesen unterscheidet und ihnen ermöglicht, hin zur Universalen Grammatik mit der An-
eine spezifische Sprache zu lernen und zu spre- nahme einer zugrunde liegenden Kompetenz-
chen, als auch als Einzelsprache, wie sie in einer ebene, der Innateness-Hypothesis und dem
Sprachgemeinschaft verwendet wird, wie z. B. Konzept des Universalismus zu einer veränder-
Deutsch oder Französisch. Während auch im ten Ausrichtung der Linguistik. Als Ergänzung
englischen Wort language beide Bedeutungen und Gegenpol zur generativen Grammatik im
zusammenfallen, gibt es in den romanischen Sinne Chomskys, die von einer sprachspezifi-
Sprachen unterschiedliche Bezeichnungen, wie schen menschlichen Kognition ausgeht, also an-
z. B. im Italienischen lingua für eine Einzelspra- nimmt, dass ein spezieller Teil des Gehirns mit
che und linguaggio für Sprache im Allgemeinen. besonderen Strukturen nur und ausschließlich
Für die wissenschaftliche Definition von Spra- für Sprache zuständig ist (vgl. Aarts 2013), ent-
che lassen sich je nach wissenschaftlichem wickelte sich in der kognitiven Linguistik die
Standort verschiedene Auffassungen über Spra- allgemein kognitive Richtung, die sprachliche
che anführen, wie z. B. »ein Zeichensystem zur Prozesse und sprachliches Wissen mit den glei-
(menschlichen) Kommunikation« (Edward Sa- chen Mechanismen und Prinzipien erklären will,
pir), »die Gesamtheit aller möglichen Äußerun- wie andere menschliche Kognitionsbereiche
gen in einer Sprachgemeinschaft« (Leonard (logisches Denken usw.) (vgl. Ungerer/Schmid
Bloomfield), »eine (endliche oder unendliche) 2006). Durch die Weiterentwicklung funktiona-
Menge [set, math. von Sätzen« (Noam listischer Ansätze von Halliday wird die kogni-
Chomsky), »eine Aktivität, die aus Sprechen, tive Perspektive durch eine soziale ergänzt, die
Hören, Schreiben und Lesen besteht« (Michael den Sprachgebrauch und nicht die Sprachform
Halliday). Eine kompakte Definition liefern oder die mentalen Strukturen bei ä Spracher-
William O’Grady et al. (1997, 13 f.): »Human werb, -gebrauch und -verlust im Auge hat.
language is characterized by creativity. Spea- Im Folgenden wird eine systematische Be-
kers of a language have access to a grammar, a schreibung der S. mit ihren Teildisziplinen bzw.
mental system that allows them to form and Unterteilungen vorgenommen, die insbesondere
interpret familiar and novel utterances. The für die Bereiche der Philologien, der ä Sprach-
grammar governs the articulation, perception, lehr- und -lernforschung und der ä Fremdspra-
and patterning of speech sounds, the formation chendidaktik in Theorie und Praxis von Bedeu-
of words and sentences, and the interpretation tung sind. (1) Die erste systematische Einteilung
of utterances. All languages have grammars in der S. unterscheidet zwei unterschiedliche
that are equal in their expressive capacity, and Herangehensweisen, nämlich die synchrone S.
all speakers of a language have (subconscious) und die diachrone bzw. historische S. (s. Abb.
knowledge of its grammar. The existence of unten). In der synchronen S. wird eine syntag-
such linguistic systems in humans is the product matische Herangehensweise an Sprache vollzo-
of unique anatomical and cognitive specializa- gen, d. h., alle sprachwissenschaftlichen Frage-
tion.« stellungen und Untersuchungen beziehen sich
Die historische Entwicklung der modernen S. auf einen festen Zeitpunkt, der heute sein kann
begann am Anfang des 20. Jh.s mit der Ent- oder z. B. zur Zeit Shakespeares stattfand. Da-
wicklung des Strukturalismus (Ferdinand de bei können die Fragestellungen sehr heterogen
Saussure), der sich auf Segmentierung, Klassifi- sein, von Fragen wie: Welches Englisch wird
zierung und Beschreibung von Sprachdaten heute in der BBC gesprochen? Welches mor-
Sprachwissenschaft 330

phologische System bestimmte das Italienische nach universalen Prinzipien suchen) bzw. sich
in 19. Jh.? Wie werden Tempus und Aspekt im auf einzelne Sprachen bzw. Sprachfamilien
Russischen realisiert? bis hin zu: Welche Vertei- konzentrieren und dann als Englische S., Ro-
lung der Sprachen im Internet kann heute be- manische S. usw. bezeichnet werden. Die klassi-
schrieben werden? In der synchronen S. wird schen Bereiche der theoretischen Linguistik
also ein Querschnitt durch die zu untersuchende umfassen folgende Teildisziplinen: Phonologie,
Sprache bzw. Sprachen zu einem festen Zeit- Morphologie, Syntax, Semantik und Pragmatik
punkt vorgenommen, wobei mögliche Verände- (s. Abb. unten). Jede Teildisziplin untersucht
rungsprozesse vor oder nach dieser Zeit nicht Sprache auf verschiedenen Ebenen: Die Phono-
in die Fragestellung bzw. Untersuchung einge- logie beschäftigt sich auf der segmentalen
hen. In der diachronen S. geht demgegenüber Ebene sowohl mit den Lauten als Einheiten im
der Zeitfaktor in die paradigmatische Vorge- System einer Sprache (Phoneme = kleinste be-
hensweise ein, d. h., einzelne herausgegriffene deutungsunterscheidende Einheiten) als auch
sprachliche Phänomene werden in ihrem histo- mit der Beschreibung der Realisierungen dieser
rischen Verlauf untersucht. Dabei wird z. B. be- Laute (Phone) im phonetischen Teilbereich der
antwortet, wie sich der Vokal /æ/ in dem Wort Phonologie. Auf der suprasegmentalen Ebene
›happy‹ in der Aussprache der Queen in den wird die Bedeutung von Intonation, also Wort-
Weihnachtsansprachen von 1952 bis heute und Satzakzent, Rhythmus, Sprechmelodie
verändert hat (vgl. Harrington 2006). (Prosodie) untersucht. Die nächst ›höhere‹
(2) Die zweite grundlegende traditionelle sprachliche Ebene – nämlich die Wortformen –
Unterteilung der S. führt zu den beiden folgen- steht im Mittelpunkt der Untersuchungen in
den Teilbereichen: Theoretische oder Allge- der Morphologie. Hier werden Wörter in ihre
meine Linguistik (engl. theoretical linguistics) Bestandteile segmentiert (das Ergebnis sind
und Angewandte Linguistik (engl. applied lin- Morphe), die dann je nach ihrer Bedeutung
guistics). Während sich die Theoretische Lingu- klassifiziert werden (Morpheme = kleinste be-
istik mit der Analyse der sprachlichen Ebenen deutungstragende Elemente). Die beiden Me-
beschäftigt, widmet sich die Angewandte Lin- thoden der Klassifizierung und Segmentierung
guistik den Gebieten, in denen der Bereich charakterisieren das Methoden- und For-
›Sprache‹ und die Anwendung auf andere Berei- schungsprogramm des Strukturalismus. Die
che im Fokus stehen bzw. dieses Zusammen- Syntax (auch Satzlehre genannt) widmet sich
treffen analysiert wird. Beide Bereiche können der Behandlung von Mustern und Regeln, nach
sprachübergreifende Fragen aufnehmen (z. B. denen Wörter zu größeren formalen Einheiten

diachron

›happy‹ 1970

1970 synchron
Vokalsystem

›happy‹ 1952
331 Sprachwissenschaft

wie Phrasen und Sätzen zusammengestellt und sagt: »You may sit down«, so meint er keines-
Beziehungen und Abhängigkeit zwischen diesen falls, dass es eine echte Option gibt zu stehen
formuliert werden. Auf der funktionalen Ebene oder zu sitzen. Vielmehr bedeutet es: »You must
werden Wörtern Funktionen zugeordnet (Wort- sit down!«, aber seine sprachliche und kultu-
klassen), während Phrasen auf die größeren relle Eingebundenheit und damit seine Höflich-
funktionalen Einheiten wie Subjekt, Prädikat, keitserziehung erlauben es ihm nicht, diese di-
Objekt usw. abgebildet werden (strukturalisti- rekte Anweisung auch direkt zu formulieren.
scher Ansatz). Im deutschen (Schul)-Sprachge- Zu den bekanntesten Ansätzen gehören neben
brauch wird für die Kombination der beiden der Höflichkeitstheorie (Vertreter sind z. B. Ste-
Bereiche Morphologie und Syntax häufig der phen Levinson und Geoffrey Leech), die Sprech-
Begriff ›Grammatik‹ verwendet, während in akttheorie von John Austin und John Searle und
der theoretischen Linguistik insbesondere in die Konversationsmaxime von Paul Grice.
dem nativistischen Ansatz von Chomsky mit In der Angewandten S. wird die Linguistik
grammar die Kombination aus Phonologie, interdisziplinär in ihrer Wirkung auf oder im
Syntax und Semantik bezeichnet wird, deren Zusammenspiel mit anderen Disziplinen be-
Grundprinzipien allen Menschen und nur den trachtet und arbeitet an sog. real-world pro-
Menschen angeboren sind (generative grammar blems, an denen Sprache beteiligt ist – am Indi-
bzw. universal grammar). Die Modelle in der viduum, in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft.
Syntaxforschung stehen seit vielen Jahrzehnten Die wissenschaftlichen Fragestellungen können
in Konkurrenz und umfassen neben den struk- ebenfalls synchron oder diachron ausgerichtet
turalistisch geprägten traditionellen Ansätzen sein. Die Anzahl der Bereiche, in denen die
der Schulgrammatik und den universalistischen Sprache eine erhebliche Rolle spielt, hat in den
Prinzipien der generativen Grammatik auch letzten Jahren ständig zugenommen, so dass
allgemein kognitive und funktionale Ansätze. hier nur eine Auswahl an Gebieten und Diszi-
Auf der Ebene der Semantik (Bedeutungslehre) plinen gegeben werden kann. Eine der grund-
steht die Zuordnung Form → Bedeutung im sätzlichen Unterteilungen liefert das Zusam-
Mittelpunkt der Wissenschaft, d. h., die sprach- menspiel von Sprache und Gehirn (Kognitive
lichen Zeichen werden auf der Wortebene (lexi- Linguistik, Psycholinguistik, Neurolinguistik,
kalische Semantik) bzw. Satzebene (Satzseman- Patholinguistik), von Sprache und Gesellschaft
tik) auf ihre Bedeutung hin untersucht. Grund- (Soziolinguistik, Sprachenpolitik, Interkultu-
anliegen der lexikalischen Semantik sind relle Kommunikation), von Sprache und Com-
Bedeutungen von Wortteilen, Wörtern, Zusam- puter (Computerlinguistik, Korpuslinguistik)
mensetzungen von Wörtern, Stellungen in und von Sprache und Lehren bzw. Lernen
Wortfeldern und Bedeutungsbeziehungen zwi- (Lehr- und Lernforschung, ä Sprachdidaktik).
schen Wörtern mit z. B. gegenteiliger Bedeutung Die Kognitive Linguistik wird hier als ange-
(Antonymie), mit gleicher Aussprache und ver- wandt verstanden, da sie die Bereiche Sprache
schiedener Bedeutung (Homophonie), mit glei- und Gehirn untersucht, obwohl sie auch in dem
cher Schreibung und unterschiedlicher Bedeu- Bereich der theoretischen Linguistik einen Platz
tung (Homographie) und mit unterschiedlichen hat, da sie als Oberbegriff und Folge der kogni-
Formen und gleicher Bedeutung (Synonymie). tiven Wende die Systemhaftigkeit von Sprache
Während es bei der Semantik darum geht, was untersucht. In der Angewandten S. werden so
gesagt wird, steht bei der Pragmatik eher das unterschiedliche Fragen gestellt wie: Wie
Wie im Mittelpunkt des Interesses: Nicht was kommt es, dass Kinder mit sehr unterschiedli-
gesagt, sondern was gemeint ist, wird hier un- chen Muttersprachen eine sehr vergleichbare
tersucht. Wenn in einem Londoner Doppelde- Reihenfolge von Strukturen erwerben? Kann
ckerbus eine Reisende steht und der Busfahrer Sprachverlust nach einem Unfall reversibel

Bereich Phonologie Morphologie Syntax Semantik Pragmatik

Inhalt Sprachlaute: Bestandteile Phrasen Wort- und Bedeutung


einzeln und zusammen- eines Wortes und Sätze Satzbedeutung im Kontext
hängend
Sprachwissenschaft 332

Sprache plus Bereich Teilbereiche und Aufgabengebiete


Sprache und Gehirn Psycholinguistik/Sprachpsychologie: Erwerb von Sprache, Produktion von
Sprache, Verständnis von Sprache, Verlust von Sprache
Kognitive Linguistik: Sprache und Denken
Neurolinguistik: Verarbeitung von Sprache und neuronale Strukturen
Patholinguistik: Probleme bei Produktion, Perzeption und Verarbeitung
Sprache und Gesell- Soziolinguistik
schaft Varietätenlinguistik: Regionale (Dialekte) vs. soziale Varietäten (Soziolekte)
Sprachenpolitik/Forensische Linguistik: Sprache, Gesetz und Verbrechen
Interkulturelle Kommunikation

Sprache und Computer Computerlinguistik: Spracherkennung, Künstliche Intelligenz,


Computersprachen, Mensch-Computer-Interaktion
Korpuslinguistik: Theorie und Gebrauch von Sprache durch Textkorpora
Sprache und Lehren/ Sprachlehr- und -lernforschung: Verhalten von Sprachlehrenden und
Lernen -lernenden, Sprachlern- und -lehrprozesse
Sprachdidaktik: Interaktion von Inhalten, Personen und Prozessen im
Sprachunterricht

sein? Unterscheidet sich der Gebrauch von 457. – R. Kaplan (Hg.): The Oxford Handbook of
Englisch als lingua franca in einem deutschen Applied Linguistics. Oxford 2002. – S. C. Levinson:
Pragmatik. Tüb. 32000 [1994. – W. O’Grady/M. Do-
Unternehmen von der Verwendung in Italien? brovolsky/F. Katamba: Contemporary Linguistics. An
Sprechen Frauen mehr als Männer? Verfällt die Introduction. Ldn u. a. 52005 [1987. – A. Stein: Ein-
deutsche Sprache durch die Zunahme von Ang- führung in die französische S. Stgt/Weimar 42014
lizismen? Ist Katalanisch eine regionale Varietät [1998. – F. Ungerer/H.-J. Schmid: An Introduction to
des kastilischen Spanisch? Wie kann ein/e Spre- Cognitive Linguistics (Learning about Language). Ldn
2
2006 [1996. AnH
cher/in einer lautlichen Produktion eindeutig
zugeordnet werden? Wird im amerikanischen
Englisch die Zeit past tense häufiger verwendet Sprachzertifikate ä Zertifikate
als im britischen Englisch? Warum sprechen
SuS nicht das nach, was Lehrende vorsprechen?
Die Tabelle auf der nächsten Seite liefert eine Sprechen. Im Zusammenhang mit der Förde-
Übersicht. rung der ä kommunikativen Kompetenz als
Bei der Ein- und Zuteilung gibt es allerdings übergeordnetem Ziel heutigen FUs kommt der
in der Wissenschaft sehr unterschiedliche Vor- Fertigkeit des S.s eine besondere Rolle zu. Das
gehensweisen, z. B. werden die Psycholinguistik Primat des Mündlichen (ä Mündlichkeit und
und die Spracherwerbsforschung häufig als Schriftlichkeit) wurde insbesondere seit der
Unterbereiche der kognitiven Linguistik aufge- ›pragmatischen Wende‹ in den 1970er Jahren
fasst. Letztlich spielen diese Zuordnungen keine stark betont und führt zu Beginn des 21. Jh.s
Rolle, denn es geht um die Gesamtbedeutung im Kontext der ä DESI-Studie zu neuen didak-
von Sprache in unserer Welt, die von der Ange- tisch-methodischen Reflexionen. Eine fremde
wandten S. erforscht wird. Sprache sprechen zu können, wird häufig als
Lit.: B. Aarts: English Syntax and Argumentation. Ldn zentrales Ziel des FUs bezeichnet und ist den-
4
2013 [1997. – J. Aitchison: Linguistics. An Introduc- noch als eine der sog. produktiven ä Fertigkei-
tion. Ldn 1995. – H. D. Brown: Principles of Language ten unter den Bedingungen institutionalisierten
Learning and Teaching. Oxford 62014 [1980. – FUs nicht immer leicht umsetzbar. Sprech- und
H.  Glück (Hg.): Metzler Lexikon Sprache. Stgt/Wei- Handlungsrollen im Klassenzimmer sind häufig
mar 52016 [1993. – M. A. K Halliday/A. McIntosh/
P. Strevens: The Linguistic Sciences and Language nicht identisch mit außerschulischen Kommu-
Teaching. Ldn 1964. – J. Harrington: An Acoustic nikationssituationen (vgl. Doff/Klippel 2007,
Analysis of ›Happy-Tensing‹ in the Queen’s Christmas 92) und durch pädagogische und institutionelle
Broadcasts. In: Journal of Phonetics 34 (2006), 439– Zwänge des Unterrichts eingeschränkt. Insbe-
333 Sprechen

sondere spontanes fremdsprachliches S. in au- sprachlichen Handlungskompetenz kann mit


thentischen (ä Authentizität) interaktiven Kom- Pauels (2007, 302) als das Vermögen der Ler-
munikationssituationen ist im schulischen Kon- nenden definiert werden, »Äußerungen adres-
text nur schwer simulierbar. satengerecht im sozialen Interaktionsprozess so
Sprachliche Handlungskompetenz darf sich zu verwenden, dass eine Verständigung ge-
nicht auf die Realisierung einzelner Sprechab- währleistet ist«. Nicht nur die Adressatenange-
sichten und die Beherrschung geeigneter Rede- messenheit und der Ausdruck eigener Bedürf-
mittel beschränken (vgl. Vollmer 1998, 237), nisse spielen hier eine zentrale Rolle, sondern
sondern muss die Dynamik von Interaktionen ebenso die Fähigkeit, sowohl eine initiierende
einschließen. Die in der Praxis immer noch häu- als auch eine reagierende Sprecherrolle einzu-
fig zu beobachtende Dominanz des Schriftlichen nehmen. Der Sprung zur freien Gesprächsfüh-
gegenüber dem Mündlichen im FU ist nicht nur rung setzt die Bereitschaft voraus, sich auf län-
hinsichtlich einer Gleichgewichtung der vier gere, »von mehrfachem Sprecherwechsel ge-
Fertigkeiten ä Hörverstehen, S., ä Leseverstehen prägte Gesprächssequenzen einzulassen, zum
und ä Schreiben in den aktuellen Referenzwer- anderen die Vermittlung und Übung wesentli-
ken modernen FUs – ä Gemeinsamer europäi- cher Merkmale der Interaktionsstruktur von
scher Referenzrahmen (GeR), KMK-Bildungs- Gesprächen« (Vollmer 1998, 246).
standards (ä Standards) – zu bemängeln. Sprache Bei der Sprachproduktion im Kompetenzbe-
wird in erster Linie gesprochen und in geringe- reich S. ist die Phase der Makroplanung, bei der
rem Umfang geschrieben, auch wenn sich aktu- Planungen über den Inhalt mit Überlegungen
ell Kommunikationsstrukturen bedingt durch zur Redeorganisation verbunden werden, zu
soziale Medien und die Digitalisierung rasant unterscheiden von der Phase der Mikropla-
verändern. Im späteren beruflichen Kontext der nung, bei der Wörter und lexikalische Struktu-
heutigen Lernenden spielt mündliche Fremd- ren aus dem ä mentalen Lexikon abgerufen
sprachenkompetenz häufig eine dominierende werden. Schließlich wird in einer Phase der
Rolle. Die mentalen Prozesse, die bei mündli- Formulierung die mündliche Umsetzung der
cher und schriftlicher Sprachproduktion ablau- Sprechabsicht konkret realisiert (vgl. Levelt
fen, sind zudem sehr unterschiedlich. Mündli- 1989). Lernende werden dabei vor besondere
che Sprachproduktion lässt sich aufgrund der sprachliche und psychologische Herausforde-
spezifischen Kommunikationssituation – sei es rungen gestellt, die in den Bereichen ä Ausspra-
in monologischer, dialogischer oder Gruppen- che, Satzbau (ä Grammatik und Grammatik-
kommunikation – nicht mit der individuell vermittlung), Wahl der Lexik (ä Wortschatz und
leichter planbaren und zeitlich verzögerbaren Wortschatzvermittlung) unter Berücksichtigung
schriftlichen Sprachproduktion vergleichen. S. der Kommunikationssituation zu komplexen
ist zudem an bestimmte Gesprächskonventio- und gleichzeitig auch spontanen Entscheidun-
nen geknüpft (z. B. turn-taking), erfordert kom- gen führen (vgl. Leupold 2009, 91 f.).
munikative Spontaneität mit Blick auf unvor- Einerseits setzt dies bei Lernenden die Bereit-
hergesehene verbale Äußerungen und steht schaft und den Willen voraus, sich aktiv am
daher im engen Zusammenhang mit fremd- unterrichtlichen Handeln zu beteiligen (vgl.
sprachlichem Hörverstehen. S. ist aber ebenfalls Hohmann 2006, 152). Diese Bereitschaft sollte
mit suprasegmentalen Elementen (Prosodie, durch methodisch geschickt gesteuerte Impulse,
Sprechgeschwindigkeit, Lautstärke) und non- durch eine kommunikationsfreundliche und
verbalen Äußerungen (Gestik, Mimik) verbun- motivierende Situation (ä Motivation) sowie
den (ä Nonverbale Kommunikation). Besonder- lernerorientierte, aktivierende Verfahren (ä Ler-
heiten gesprochener Sprache, die für die Schu- nerorientierung, ä Aktivierung) unterstützt
lung des fremdsprachlichen S.s nicht außer Acht werden. Andererseits muss auch berücksichtigt
gelassen werden dürfen, umfassen u. a. Füllwör- werden, dass Lernende im FU häufig eine Dis-
ter (z. B. engl. well, erm), contracted forms krepanz zwischen ihrer Kommunikationsab-
(You’ve … where’s) oder discourse markers sicht und ihrem eingeschränkten Ausdrucksver-
(okay, I see), deren Kenntnis für die meisten mögen in der Fremdsprache empfinden. Eine
dialogischen Kommunikationssituationen uner- Reihe von didaktisch-methodischen Schlussfol-
lässlich ist (vgl. Taubenböck 2007, 4). gerungen lässt sich daraus ableiten. So ist es
Fremdsprachliches S. im Sinne einer interak- ratsam, die Frustrationstoleranz der Lernenden
tiven Gesprächsfähigkeit bzw. allgemeinen mit Blick auf diese Diskrepanz zu verbessern,
Sprechen 334

damit unrealistische Zielvorstellungen von flüs- ä frühen FU eingesetzt, um Freude am S. in sei-


sigem S. vermieden werden. Heinz-Otto Hoh- ner Klanglichkeit zu fördern. (2) Rezitation:
mann spricht in diesem Zusammenhang vom Die ästhetische Sprachverwendung spielt bei
Bewusstsein einer normal non-fluency, der Ein- der Rezitation von Gedichten, Monologen oder
sicht in eine gewisse Unvollkommenheit spon- anderen Texten eine Rolle. Ohne die Notwen-
taner (fremd)sprachlicher Kommunikation (vgl. digkeit, selbständig und spontan formulieren
ebd., 153). zu müssen, kann Sprache deklamatorisch er-
Die beständige Arbeit am Wortschatz und die probt werden. (3) Reproduzierendes S.: Repro-
Entwicklung der mündlichen Sprechfertigkeit duzierendes S. ist häufig gesteuert und orientiert
sollten miteinander verbunden sein. Insbeson- sich an Satzmustern, die gezielt zur Übung ein-
dere die lexikalisch-idiomatische Arbeit mit gesetzt werden können. Hier geht es v. a. um
Satzeinheiten, die kommunikativ flexibel ver- Korrektheit im Gebrauch der sprachlichen
wendbare Wendungen und Konstruktionen für Strukturen. (4) Zusammenhängendes S.: Hier
die mündliche Sprachanwendung bereitstellen, stehen Komplexität, Kohärenz und Flüssigkeit
spielt eine wichtige Rolle, da die lexikalische im Vordergrund. Es können z. B. Kurzvorträge
Routinisierung zur Entlastung der Lernenden zu vorgegebenen Themen mit begrenzter
im Prozess der mündlichen Sprachproduktion Sprechzeit vorbereitet werden (sog. timed topic
beitragen kann. Zur Verbesserung der Sprech- talks oder 30-second stimulus talks). (5) Inter-
bereitschaft der Lernenden können weitere di- aktives S.: Das eigentliche Ziel besteht in der
daktisch-methodische Maßnahmen beitragen, Förderung des sprachlichen Miteinanders in
z. B. die Entwicklung eines aktiven Gesprächs- der mündlichen Kommunikation. Die Fähigkeit
verhaltens, das wegführt von schnellen Frage- zur Interaktion, zum Zuhören und zum ad-
Antwort-Abfolgen im ä Unterrichtsgespräch. äquaten Reagieren unter Berücksichtigung kul-
Ein Ziel sollte darin bestehen, Lerneraktivität tureller Aspekte sollte durch einen Wechsel un-
beim S. zu initiieren und dabei eine kommuni- terschiedlicher Übungsformate (ä Übung) ange-
kative Gesamtsituation zu schaffen, die Raum regt werden (vgl. ebd., 105).
lässt für Formulierungspausen und Reflexions- Die kommunikative Qualität des FUs wird in
phasen, die Lernende zum aktiven Nachfragen neueren Publikationen methodisch perspekti-
anregt und dabei auch die Rolle der mündlichen viert (vgl. Rogge 2012 sowie Staatsinstitut für
Fehlerkorrektur (ä Fehler, ä Korrektur) genau in Schulqualität und Bildungsforschung 2005).
den Blick nimmt (vgl. ebd.). In einem frühen Das Üben und Kommunizieren sind aufeinan-
Lernstadium dominiert zumeist noch der der bezogen und gehen auseinander hervor, um
sprachliche ä Transfer bekannter Sprachmittel eine umfassende Entwicklung der Sprechfertig-
in ähnliche Gesprächssituationen bei einer rela- keit systematisch, aber auch mit Blick auf die
tiv engen Steuerung der Inhalte und Kontexte, Progression fremdsprachlichen S.s zu unterstüt-
z. B. in Form von teilstrukturierten Kurzdialo- zen (vgl. Siebold 2004, 21). Dabei ist die Unter-
gen. Die systematische Arbeit an der ä Progres- scheidung von textgebundenem und textunge-
sion nicht nur der lexikalischen Strukturen und bundenem S. zu berücksichtigen, da diese je-
der Komplexität der Kommunikationssituation, weils andere methodische Vorgehensweisen
sondern v. a. auch an der Entwicklung der Ei- bedingen (vgl. Hohmann 2006, 158). Insbeson-
genständigkeit in der Initiierung fremdsprachli- dere freie Gespräche erfordern neben der
cher Diskurse stellt eine besondere Herausfor- grundsätzlichen Gesprächsbereitschaft immer
derung dar. auch die Verfügung über metasprachliche und
Unterschiedliche Formen mündlicher Sprach- themenspezifische Ausdrucksmittel sowie eine
verwendung sollten daher zielgerichtet diffe- grundlegende sprachliche Flexibilität, die syste-
renziert eingesetzt werden. Sabine Doff und matisch entwickelt werden muss. Eine Reihe
Friederike Klippel (2007, 100) unterscheiden von Lehrtechniken, die die fremdsprachliche
zwischen den folgenden mündlichen Äuße- Sprechfähigkeit systematisch unterstützen (z. B.
rungsformen: (1) Nachsprechen: Die Korrekt- Lesegemurmel, Fragewettstreit, Informations-
heit in der Aussprache und Intonation stehen abgleich, Wuseln, ä Improvisationen usw.) fin-
im Vordergrund. Einzelarbeit oder Klassenun- den sich bei Kieweg (2007) und Siebold (2004).
terricht sind die ä Sozialformen, die hier in der Guter FU lebt nach Siebold von einer Spannung
Regel zum Einsatz kommen. Gedichte, Reime zwischen mitteilungsbezogener und sprachbe-
oder Abzählreime werden insbesondere im zogener Kommunikation (message-oriented vs.
335 Standards

medium-oriented communication), d. h. vom es sich beim S. nicht nur um eine kommunika-


Pendeln zwischen eigentlichem Kommunizieren tiv-funktionale Fertigkeit handelt, sondern um
und dem Üben. S. in der Fremdsprache kann eine komplexe, interaktionale Kompetenz in
daher in verschiedenen Unterrichtsphasen un- der Fremdsprache, die die Lernenden langfris-
terschiedlich initiiert und realisiert werden, um tig zu ä intercultural speakers macht.
gezielt zur Verbesserung der kommunikativen Lit.: B. Diehr/S. Frisch: Heavens! What a sound! Durch
Qualität des FUs beizutragen. Damit langfristig lernorientierte Ausspracheschulung aufgeklärte Ziel-
kommunikativ-handelnde, mitteilungsbezogene sprachennähe erreichen. In: Der fremdsprachliche
Phasen gefördert werden, die zum freien S. hin- Unterricht Englisch 134 (2015), 2–8. – S. Doff/F. Klip-
führen, ist eine möglichst weitgehend fremd- pel: Englischdidaktik. Praxishandbuch für die Sekun-
darstufe I und II. Bln 22009 [2007. – H.-O. Hohmann:
sprachliche Organisation des Unterrichts er- Entwicklung der Sprechfertigkeit im fortgeschrittenen
forderlich. Funktionale Fremdsprachigkeit FU. In: U. O. H. Jung (Hg.): Praktische Handreichung
(Siebold 2004, 147) bedeutet, dass die Fremd- für Fremdsprachenlehrer. FfM 42006 [1992, 152–
sprache die tragende und regelnde Verkehrs- 159. – W. Kieweg: Sprechaufgaben konzipieren. In:
sprache und auch im Unterrichtsgeschehen Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 41/90
(2007), 14–17. – E. Leupold: Miniglossar FU. Seelze
entsprechend verankert ist. Der interaktive 2009. – W. Levelt: Speaking. From Intention to Articu-
Wechsel der Gesprächsanteile spielt dabei eine lation. Cambridge, Mass. 1989. – W. Pauels: Kommu-
besondere Rolle (vgl. Yule 1994). nikative Übungen. In: K.-R. Bausch et al. (Hg.):
Der GeR definiert Diskurskompetenz als Teil Handbuch FU. Tüb./Basel 52007 [1989, 302–305. –
der pragmatischen Kompetenzen und benennt M. Rogge: Sagen können, was man zu sagen hat.
Mündliche Kompetenz mit Sprechaufgaben fördern.
Aspekte wie Flexibilität, Sprecherwechsel, The-
In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 116
menentwicklung, Kohärenz und Kohäsion. (2012), 2–6. – J. Siebold (Hg.): Let’s Talk. Lehrtechni-
Hier wird deutlich, dass eine erfolgreiche kom- ken. Vom gebundenen zum freien S. Bln 2004. – Staats-
munikative Situation nicht nur sprecherzen- institut für Schulqualität und Bildungsforschung
triert, sondern v. a. auch hörerorientiert sein (Hg.): Time to talk! Parlons! Parliamo! ¡Tiempo para
muss (vgl. Siebold 2004, 151). Insbesondere hablar! Pora pogovoritj! Eine Handreichung zur
Mündlichkeit im Unterricht der modernen Fremd-
sog. ›kommunikativer Stress‹ kann im FU »a sprachen. Bln 2005. – A. Taubenböck: Sprache kommt
general disfluency in performance« (Yule 1994) von Sprechen. Ein Plädoyer für mehr Mündlichkeit im
bewirken und so zu der im Gefolge der DESI- Englischunterricht. In: Der fremdsprachliche Unter-
Studie häufig beklagten Sprachlosigkeit der SuS richt Englisch 41/90 (2007), 2–8. – H.-J. Vollmer:
im FU beitragen. Die Entwicklung mündlicher Sprechen und Gesprächsführung. In: J.-P. Timm (Hg.):
Englisch lernen und lehren. Didaktik des Englisch-
Kompetenz im FU erfordert unterrichtsmetho- unterrichts. Bln 1998, 237–249. – G. Yule: Second
dische Vorüberlegungen, die auch die Ausspra- Language Processing. In: R. E. Asher (Hg.): The Ency-
che (vgl. Diehr/Frisch 2015), den differenzier- clopedia of Language and Linguistics. Bd. 7. Oxford
2
ten Umgang mit Fehlern, die Analyse von An- 2006 [1994, 3778–3781. ChL
schauungsmaterial und die Entwicklung von
Kriterien für gute mündliche Beiträge umfassen.
Die Gelegenheit zur Übung anhand adäquater Standards. Wie es die Pluralform des Eintrags
Aufgabenformate sowie die systematische Vor- nahelegt, wird der Begriff ›Standard‹ im Kon-
bereitung auf mündliche Prüfungen, die der text von Bildung und Ausbildung häufig im
Fertigkeit des S. einen höheren Stellenwert im Plural verwendet, was auf die zahlreichen Do-
FU einräumen, sind hier unerlässlich (vgl. Tau- kumente zurückzuführen ist, die den Ausdruck
benböck 2007, 5). Nur wenn mündliche Kom- ›S.‹ als Pluralform im Titel tragen (vgl. Bil-
munikationsfähigkeit verlässlich evaluiert wird dungsstandards oder Standards für die Lehrer-
und dabei eine kriterienorientierte Bewertung bildung). Eine adäquate Definition des Stan-
mit altersgerechten Aufgabenformen entwickelt dardbegriffs kann auf Grundlage des Bench-
wird, kann der Stellenwert des Mündlichen im mark-Begriffs erfolgen. Benchmarks markieren
FU angemessen gestärkt werden. Mündliche konkrete Zielvorgaben, anhand derer Leistun-
Prüfungen ab der Unterstufe können bereits gen gemessen werden. Sie sind deskriptive
systematisch die Entwicklung der fremdsprach- Vergleichsgrößen ohne normative Bedeutung
lichen ä Diskursfähigkeit unterstützen. Mit der und auf die jeweilige Bezugsgruppe anzuwen-
Formulierung des Ziels einer interkulturellen den. Wird eine solche Vergleichsgröße zu einer
fremdsprachlichen Gesprächskompetenz (vgl. Normgröße erhoben, spricht man von einem
Vollmer 1998, 248) wird zudem deutlich, dass Standard. Ein Standard ist eine möglichst prä-
Standards 336

zise Beschreibung von Eigenschaften, die vor- durch den Vergleich der gezeigten Kompetenz-
liegen müssen, um bestimmten definierten niveaus der SuS mit den zu erwartenden Ni-
Qualitätskriterien zu genügen. S. sind verbind- veaus, die durch S. markiert werden. Richter
liche Leistungserwartungen, die aus den Kern- (1999) geht in seinem Modell zur Leistungsbe-
ideen und Anwendungsformen eines Faches wertung noch einen Schritt weiter, wenn er S.
(akademisch oder schulisch) erwachsen. Durch für die Leistungsbewertung von SuS vorschlägt,
Standardsetzungen werden Bildungsprozesse, die vier Dimensionen berücksichtigen, nämlich
Ausbildungsprogramme, Lehrpläne (ä Lehr- den absoluten Leistungsmaßstab (Leistung ein-
plan) und Prüfungsordnungen standardisiert. zelner SuS gemessen an S.), den relativen Leis-
S. sind als Bezugsnorm nötig, um den Ausprä- tungsmaßstab (Leistung einzelner SuS im Ver-
gungsgrad von ä Kompetenzen erfassen und gleich mit der Gruppe/Klasse/dem Jahrgang),
beschreiben zu können, während Kompeten- den individuell retrospektiven Leistungsmaß-
zen Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten einer stab (Leistung einzelner SuS mit Bezug zur
Person umfassen. Das Bildungssystem orien- Entwicklung in der Vergangenheit) und den
tiert sich an gesetzten S. und bindet diese funk- individuell prognostischen Leistungsmaßstab
tional in die Gestaltung und Überprüfung von (Prognose zur Leistungsentwicklung der SuS).
Bildungsprozessen und Bildungszielen im insti- Im Jahr 1995 gab die Kultusministerkonfe-
tutionellen Kontext ein. Für die Fremdspra- renz (KMK) zum ersten Mal S. für den Mittle-
chen bezeichnet der Kompetenzbegriff den je- ren Schulabschluss in den Fächern Deutsch,
weiligen sprachlichen Beherrschungsgrad, der Mathematik und erste Fremdsprache heraus.
sich ebenfalls an einem gesetzten Standard Die Bedeutung dieser S. für die Bildungspolitik
misst. und die Auswirkungen auf den konkreten Un-
S. im Bildungssystem und damit auch im FU terricht sind allerdings als niedrig einzustufen.
können unterschiedlicher Natur sein. So ist Als die KMK 1997 die Teilnahme an der ä PISA-
zwischen Entwicklungs-S., Qualitäts-S., Op- Studie beschloss, folgte man in der Bildungspo-
portunity-to-learn-S. und Leistungs-S. zu diffe- litik in Deutschland dem Konzept der Inputori-
renzieren. Entwicklungs-S. berücksichtigen den entierung. Hierbei werden Inhalte und Unter-
Ausgangspunkt einer Lerngruppe oder einer richtsverfahren vorgegeben, die bestimmten
Einzelperson und betrachten den Lernzuwachs Altersstufen und der jeweiligen Lernprogres-
nach einer bestimmten Entwicklungsphase. Mit sion (ä Progression) zugewiesen werden. Nach
der Implementierung von Qualitäts-S. (ä Quali- dem ›PISA-Schock‹, der zu Beginn des neuen
tät) wird eine Standardsetzung im Bildungssys- Jahrtausends eine Reform des Bildungswesens
tem intendiert, durch die alle SuS der Bundesre- initiierte, die das Bildungsniveau in der Bundes-
publik die gleichen Bildungschancen erhalten republik anheben und Verbindlichkeit, Einheit-
und keine Benachteiligung erfahren. Opportu- lichkeit und Vergleichbarkeit in das Bildungs-
nity-to-learn-S. beziehen sich auf die Inhalte system integrieren wollte, beauftragte die KMK
und die Prozesse schulischen Lernens, durch die 2002/2003 eine Steuerungsgruppe mit der Ent-
bestmögliche Wirksamkeitsbedingungen sicher- wicklung neuer Bildungs-S. Diese Gruppe pu-
gestellt werden sollen. Leistungs-S. sind Pro- blizierte das Dokument Zur Entwicklung na-
dukt-S., die Merkmalsausprägungen definieren tionaler Bildungsstandards (Klieme et al. 2003),
und für eine bestimmte Qualifikation fest- das nach seinem Erscheinen meist Klieme-Ex-
schreiben. Sie widmen sich nicht dem Prozess pertise genannt wurde. Die von der Kommis-
des Lernens, sondern nehmen ausschließlich sion empfohlenen Bildungs-S. sind Leistungs-S.
Bezug zum Output des Lernens. Unter Leis- in Form von Mindest-S. Die Kommission emp-
tungs-S. werden die Kategorien Mindest-S., fiehlt, dass die Bildungs-S. Bildungsziele auf-
Regel-S. und Maximal-S. subsumiert. Unab- greifen und festlegen, welche Kompetenzen SuS
hängig von der Lernerdisposition oder anderen bis zu einer bestimmten Jahrgangsstufe mindes-
Ausgangsbedingungen markieren Mindest-S. tens erworben haben sollen. Die Beschreibun-
Mindestleistungen von allen SuS. Während Re- gen der Kompetenzen sind so konkret vorzu-
gel-S. ein mittleres Anforderungsniveau be- nehmen, dass sie in Aufgabenstellungen umge-
schreiben, das von möglichst vielen SuS erreicht setzt und überprüft werden können. Auch
werden sollte, definieren Maximal-S. ein idea- werden in der Klieme-Expertise Empfehlungen
les, theoretisch erreichbares Höchstniveau. darüber gegeben, dass Bildungs-S. in ein syste-
ä Leistungsbewertung erfolgt im Schulsystem matisches und standardisiertes Gesamtkonzept
337 Standards

von schulischem Unterricht zu integrieren sind, lung), die sprachlichen Mittel (ä Wortschatz,
wobei sich der Unterricht Überprüfungen un- ä Grammatik, ä Orthographie), interkulturelle
terziehen muss. Die Bildungs-S. fungieren also Kompetenzen und Methodenkompetenzen
nach Einschätzung der Autor/innen als Steue- (Textrezeption, Interaktion, Textproduktion,
rungsinstrumente von Unterricht und beschrei- ä Lernstrategien, ä Präsentation und Medien,
ben zu erreichende Ergebnisse desselben. Sie Lernbewusstheit und Lernorganisation). Die
sollen aus Kompetenzkatalogen bestehen und Aufgaben der Bildungs-S. und damit des
formulieren bereichsspezifische Leistungser- fremdsprachlichen Unterrichts sollen schüler-
wartungen an die SuS. Nach Veröffentlichung relevant und realitätsbezogen sein und authen-
der Klieme-Expertise wurden von der KMK tischen Sprachgebrauch ermöglichen. Damit
unter Mitwirkung des Instituts für Qualitäts- ist die Qualität von Aufgaben der Schlüssel zu
entwicklung im Bildungswesen (IQB) in den guten Unterrichtsprozessen und guten Unter-
Jahren 2003 Bildungs-S. für den Mittleren richtsergebnissen. Dies sind in erster Linie Lern-
Schulabschluss für die Fächer Deutsch, Mathe- aufgaben, die sich von den Test- oder Evalua-
matik, erste Fremdsprache und die Naturwis- tionsaufgaben dahingehend unterscheiden, dass
senschaften, 2004 für den Hauptschulabschluss letztere im Kontext von Vergleichsarbeiten ver-
sowie den Primarbereich in den entsprechenden wendet werden. Die funktionale Einbindung
Fächern und 2012 für die fortgeführte Fremd- von Lern- und Testaufgaben in den Lernpro-
sprache (Englisch/Französisch) für die Allge- zess und die Lerndiagnostik sind unterschied-
meine Hochschulreife herausgegeben. Diese in lich: Lernaufgaben begleiten pädagogisch den
der Bundesrepublik eingeführten Bildungs-S. Lernprozess, die Kompetenzentwicklung der
sind faktisch Leistungs-S. in Form von ab- SuS und den Implementierungsauftrag der Bil-
schlussbezogenen Regel-S., die sich an fachspe- dungs-S., wohingegen Testaufgaben psycho-
zifischen Kompetenzmodellen und im Falle der metrischen Anforderungen standhalten müssen
Fremdsprachen an der kompetenzorientierten und eine Leistung zu einem bestimmten Zeit-
Konzeption und den Referenzniveaus des ä Ge- punkt feststellen.
meinsamen europäischen Referenzrahmen für Die Betonung der Aufgabenorientierung im
Sprachen (GeR) von 2001 orientieren. Dieser standardorientierten Unterricht (ä Aufgabenori-
legt einheitliche Sprachkompetenzniveaus fest, entiertes Lernen) ist insofern relevant, als dass
die seit seiner Veröffentlichung allgemein aner- das IQB Aufgaben entwickelt, mit denen ä Ver-
kannt sind. Die KMK geht davon aus, dass die gleichsarbeiten durchgeführt werden. Diese
vorliegenden Bildungs-S. allgemeine Bildungs- Vergleichsarbeiten können sich auf Klassen-,
ziele und Kernbereiche eines Faches aufgreifen Schul-, Regional-, Bundeslandebene, aber auch
und Kompetenzen aufführen, die SuS bis zu ei- auf eine nationale Ebene des Vergleichs bezie-
ner bestimmten Jahrgangsstufe erworben ha- hen. Für die nationale Bildungsberichterstat-
ben. Die fremdsprachlichen Bildungs-S. stellen tung auf Grundlage dieser Überprüfungen wird
eine Basis für die outputorientierte Unterrichts- das IQB vom Deutschen Institut für Internatio-
gestaltung dar, veranschaulichen ihre Konzep- nale Pädagogische Forschung (DIPF) in Zusam-
tion durch Aufgabenbeispiele und weisen ein menarbeit mit dem Hochschul-Informations-
mittleres Anforderungsniveau aus. Durch System (HIS) unterstützt. Die Implementierung
Kann-Formulierungen in den Deskriptoren zu von Bildungs-S. ist also eng an Bildungsmonito-
den einzelnen Kompetenzbereichen (funktio- ring geknüpft. Da Bildung in Form des Kompe-
nale ä kommunikative Kompetenzen, ä inter- tenzerwerbs nach diesem Verständnis standar-
kulturelle kommunikative Kompetenzen und disierbar und messbar ist, haben Überprüfungen
ä Methodenkompetenzen) kommt es in den mit ihren entsprechenden Aufgabentypen eine
Bildungs-S. eher zu einer Würdigung sprachli- diagnostische Funktion, eine Rückmeldefunk-
cher Leistungen bei der Leistungsbeurteilung tion, eine Selektionsfunktion und eine Bildungs-
als zu einer Mängelermittlung. monitoringfunktion.
Die fremdsprachlichen Bildungs-S. sind Die Bildungs-S. stellen aufgrund ihrer ein-
Kompetenz-S., die S. für die Kompetenzbe- deutig outputorientierten Konzeption keine
reiche der ersten Fremdsprache subsumieren. Formen von Input (Inhalten) bereit. Die Kom-
Dies sind die kommunikativen ä Fertigkeiten petenzen und damit die S. bilden also nur einen
(ä Hör- und Hör-/Sehverstehen, ä Leseverste- Teil dessen ab, was fremdsprachliche ä Bildung
hen, ä Sprechen, ä Schreiben, ä Sprachmitt- umfasst. Ein explizites Wissen über die Sprache,
Standards 338

Literatur und Kultur der Zielsprachenländer Konferenz der Kultusminister der Länder in der BRD
wird in den S. nicht aufgegriffen, die Bedeutung (Hg.): Bildungs-S. für die erste Fremdsprache (Eng-
lisch/Französisch) für den Hauptschulabschluss. Neu-
dieser Bereiche aber anerkannt. Die eingeführ-
wied 2004. – Sekretariat der ständigen Konferenz der
ten Bildungs-S. als Kompetenz-S. weisen S. von Kultusminister der Länder in der BRD (Hg.): S. für die
Sprache in Form von Kompetenzbeschreibun- Lehrerbildung. Bildungswissenschaften. In: Erziehungs-
gen und nicht Bildung im traditionellen Sinn wissenschaft 16 (2005), 36–47. – Sekretariat der
aus. Faktisch kann der kompetenz- und stan- ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in
dardorientierte FU nur durch eine systematische der BRD (Hg.): Bildungs-S. für die fortgeführte Fremd-
sprache (Englisch/Französisch) für die Allgemeine
Kopplung an bildungsrelevanten Input erfol- Hochschulreife. Bln 2012. NSF
gen.
Auf Grundlage der Ergebnisse einer beauf-
tragten Arbeitsgruppe hat die KMK im Jahr Standardsprache. Bei der S. handelt es sich um
2004 verbindliche S. für die Lehrerbildung in eine Varietät der Sprache, deren Lexik und
den Bildungswissenschaften herausgegeben. Grammatik in Wörterbüchern und Grammati-
Diese beschreiben die Aufgaben des Lehrerbe- ken normiert und kodifiziert ist und die sich
rufs und die ä Lehrerbildung. Hierbei formulie- gegenüber anderen Varietäten einer Sprache
ren sie Kompetenzen zu den Kompetenzberei- durch ihre überregionale Verständlichkeit aus-
chen Unterrichten, Erziehen, Beurteilen und In- zeichnet. Die S. umfasst sowohl den mündli-
novieren und nennen S. als Maßstab für die chen als auch den schriftlichen Sprachgebrauch,
Ermittlung des Kompetenzentwicklungsgrades ist jedoch größtenteils in der schriftlichen
einer Lehramtsanwärterin oder eines Lehramts- Kommunikation etabliert. Sie wird vorwiegend
anwärters. Auch diese S. wurden mit dem Ziel, von staatlichen Institutionen (Behörden, Ge-
die Qualität schulischer Bildung zu sichern, er- richten, Ämtern) sowie öffentlichen Medien
stellt. Die S. für die Lehrerbildung waren ab verwendet und durch das Bildungssystem ver-
dem Ausbildungsjahr 2005/06 in allen Bundes- mittelt. Verstöße gegen die Regeln der S. wer-
ländern als Grundlage für die universitäre den als Abweichung von der sprachlichen
Lehrerausbildung und den Vorbereitungsdienst Norm wahrgenommen und folglich als ä Fehler
zu übernehmen. Insgesamt ist festzustellen, dass bewertet. Der großen Zahl derjenigen, die die
die Entwicklung von standard- und kompe- S. verstehen, steht in der Regel eine Minderheit
tenzorientierten fremdsprachlichen Konzepten von Sprecher/innen gegenüber, die im Münd-
grundlegende Denkanstöße und Neuorientie- lichen aktiv Gebrauch von ihr machen (z. B.
rungsprozesse innerhalb der Forschung, Fort- Nachrichtensprecher/innen). Als prestigeträch-
bildung, Test- und Bewertungskultur im Bil- tigste Varietät einer Sprache ermöglicht die S.
dungswesen eingeleitet hat (ä Tests). ihren Nutzern Zugang zu Bildung sowie Teil-
habe am öffentlichen Diskurs. Da mit den
Lit.: R. Beer: Bildungs-S. Einstellungen von Lehrerin-
nen und Lehrern. Wien 2007. – E. Drieschner: Bil- Sprechern der S. häufig die Zugehörigkeit zu
dungs-S. praktisch. Perspektiven kompetenzorientierten einer bestimmten sozialen Schicht assoziiert
Lehrens und Lernens. Wiesbaden 2009. – C. Gnutz- wird und sie aus linguistischer Sicht nicht bes-
mann: Bildungs-S. Eine neue Perspektive für das Leh- ser oder schlechter als andere Varietäten einer
ren und Lernen fremder Sprachen?. In: K.-R. Bausch Sprache ist (funktionale Äquivalenz), betont
et al. (Hg.): Bildungs-S. für den FU auf dem Prüfstand.
Arbeitspapiere der 25. Frühjahrskonferenz zur Erfor-
man heute den deskriptiven Charakter der S.
schung des FUs. Tüb. 2005, 105–112. – E. Klieme et Aufgrund ihrer überregionalen Verständlich-
al.: Zur Entwicklung nationaler Bildungs-S. Eine Ex- keit und dem damit verbundenen hohen kom-
pertise. Bonn 2003. – I. Richter: Die sieben Todsünden munikativen Nutzen ist der Wert der S. jedoch
der Bildungspolitik. München 1999. – A. Rössler: S. insbesondere in fremdsprachlichen Lernkon-
ohne Stoff? Anmerkungen zum Verschwinden bil-
texten offensichtlich, denn sie bietet Lehrenden
dungsrelevanter Inhalte aus den curricularen Vorgaben
für den Französisch- und Spanischunterricht. In: und Lernenden Orientierung. V. a. bei Sprachen
H.-H. Lüger/Dies. (Hg.): Wozu Bildungs-S.? Zwischen wie dem ä Englischen, das als Folge von Kolo-
Input- und Outputorientierung in der Fremdsprachen- nisations- und Globalisierungsprozessen in
vermittlung. Beiträge zur Fremdsprachenvermittlung, verschiedenen Teilen der Welt gesprochen wird
Sonderheft 13 (2008), 35–58. – Sekretariat der ständi- und zum Teil erhebliche regionale Unterschiede
gen Konferenz der Kultusminister der Länder in der
BRD (Hg.): Bildungs-S. für die erste Fremdsprache aufweist, aber auch im Hinblick auf die inter-
(Englisch/Französisch) für den Mittleren Schulab- nationale Kommunikation, für die eine kodifi-
schluss. Neuwied 2004. – Sekretariat der ständigen zierte Form von World Standard English noch
339 Stereotyp

nicht vorliegt, stellt die S. ein sinnvolles Leit- kennen die, die in ihrer Gruppe vorherrschen.
bild für den (Fremd-)Sprachenunterricht dar. S.e können dazu führen, dass das Reduzierte
Der Diversifizierung des Englischen und seiner für das Ganze genommen wird, ohne dass es
Bedeutung als ä lingua franca Rechnung tra- durch Erfahrung modifiziert wird, aber sie sind
gend, sollten jedoch auch andere Varietäten nicht zwangsläufig starr, sie werden von Indivi-
angemessene Berechtigung im Klassenzimmer duen verschieden stark modifiziert. Ein neutra-
haben und Teil der Ausbildung der rezeptiven leres, die kognitive Funktion von S.en betonen-
Fähigkeiten der Lernenden sein. des Konzept führt nicht dazu, dass negative S.e
Lit.: T. Bex/R. J. Watts (Hg.): Standard English. The verharmlost werden. Mit ihm ist es aber mög-
Widening Debate. Ldn/N.Y. 1999. – P. Trudgill/J. Han- lich, mehr Licht auf die Wirkungsweise von S.
nah: International English. A Guide to the Varieties of insgesamt zu werfen.
Standard English. Ldn/N.Y. 2008. JJ Neben der Sozialpsychologie beschäftigen
sich weitere Disziplinen mit dem S.: die ä Sprach-
wissenschaft, die Geschichtswissenschaft und
Stationenlernen ä Offener Unterricht in der ä Literaturwissenschaft v. a. die kompara-
tistische Imagologie, die sich mit Darstellungen
von nationalen oder ethnischen Gruppen in der
Stereotyp. S.e sind vereinfachende Verallgemei- Literatur und mit den Annahmen und Bedin-
nerungen. Lange wurden die Begriffe ›S.‹ und gungen, die den Darstellungen zugrunde liegen,
›Vorurteil‹ synonym für negative Generalisie- beschäftigt (vgl. Beller/Leerssen 2007). In der
rungen verwendet. Das Vorurteil gilt jedoch seit ä Fremdsprachendidaktik ist ein gewisses Di-
den 1970er Jahren eher als gefühlsmäßig unter- lemma im Hinblick auf den Umgang mit S.en
baut, als verhaltens- und daher diskriminie- auszumachen. Auf der einen Seite gehören sie
rungsrelevant, das S. dagegen als eher kognitiv, eindeutig zum sog. ä ›Vorwissen‹ der Lernen-
als eine Art schematische Denk- oder Wahrneh- den, das bei jedem Thema aktiviert werden soll,
mungshilfe, ohne die der Mensch mit der Viel- sie sind besonders für den Anfangsunterricht
falt der auf ihn einwirkenden Reize nicht zu- ein attraktiver Gegenstand. Allerdings besteht
rechtkommt. Nach dem Zweiten Weltkrieg gerade im Anfangsunterricht mit seinen be-
hatte sich die sozialwissenschaftliche Diskus- grenzten sprachlichen Mitteln die Gefahr, dass
sion um Vorurteile und S.e, ausgelöst durch den S.e lediglich aufgerufen und evtl. gar gefestigt
Rassismus im Faschismus, fast ausschließlich werden. Dieses vermeintliche Dilemma kann
auf sie als negative Phänomene konzentriert, die aufgehoben werden, wenn über die Kenntnis
in aufklärerischer Tradition abgebaut werden von Eigenbildern, Fremdbildern und von den
sollten. Die Bedeutung von S.en für die Denk- bei der anderen Gruppe vermuteten Fremdbil-
ökonomie, auf die Walter Lippmann bereits dern über die eigene Gruppe hinausgehend
1922 aufmerksam gemacht hatte, trat dagegen auch die kognitive Funktion von S.en zum
in den Hintergrund. Erst im Anschluss an Ga- Thema gemacht wird (zum produktiven Um-
damers Anerkennung der »wesenhaften Vorur- gang mit Auto- und Hetero-S.en im Landeskun-
teilshaftigkeit alles Verstehens« wurden S.e deunterricht vgl. z. B. Nünning 1994; Huse-
wieder als spezifische Wahrnehmungsmuster mann 1995) oder wenn in der Auseinanderset-
von Personengruppen jeglicher Art – ethnischen zung mit literarischen Texten nicht nur das
und nationalen Gruppen, aber auch Berufsgrup- jeweils vorhandene Bild, sondern auch die ver-
pen, Alters- und Geschlechtergruppen usw. – schiedenen Funktionsweisen von S.en themati-
Gegenstand einer differenzierenden Diskussion. siert werden (vgl. O’Sullivan/Rösler 1999).
Individuen und Gruppen haben nicht nur
Lit.: M. Beller/J. Leerssen (Hg.): Imagology. The Cul-
Bilder und Vorstellungen von anderen Gruppen
tural Construction and Literary Representation of
(Fremdbilder oder Hetero-S.e), auch von der National Characters. A Critical Survey. Amsterdam,
eigenen Gruppe besitzen sie identitätsstiftende NY 2007. – H. Husemann: Stereotypes. Shall We Join
und -fördernde Vorstellungen (Eigenbilder oder Them if We Cannot Beat Them? In: C. Cedric
Auto-S.e), die Funktionen bei der Gruppenbil- Cullingford/H. Husemann (Hg.): Anglo-German Atti-
dung und -abgrenzung haben. Die S.e, die jede tudes. Aldershot u. a. 1995, 19–37. – A. Nünning: Das
Image der (häßlichen?) Deutschen. Möglichkeiten der
Gruppe über andere Gruppen hat, gehören zum Umsetzung der komparatistischen Imagologie in einer
kulturellen Wissen; selbst diejenigen, die von landeskundlichen Unterrichtsreihe für den Englisch-
sich behaupten, sie verwendeten keine S.en, unterricht. In: Die Neueren Sprachen 93/2 (1994),
Stereotyp 340

160–184. – E. O’Sullivan/D. Rösler: S.e im ›Rück- Lit.: D. Kocher: Das Klassenzimmer als Lernwerkstatt.
wärtsgang‹. Zum didaktischen Umgang mit Hetero- Medien und Kommunikation im Englischunterricht
S.en in kinderliterarischen Texten. In: L. Bredella/ nach der S.-M. Hbg 1999. ET
W. Delanoy (Hg.): Interkultureller FU. Tüb. 1999,
312–321. EOS/DR

Suggestopädie. Durch die Verbindung der Be-


Storyline-Methode. Die S.-M. nahm ihren Aus- griffe ›Suggestion‹ und ›Pädagogik‹ entsteht die
gangspunkt in den 1960er Jahren an schotti- Bezeichnung eines methodischen Ansatzes, der
schen Grundschulen. Im Zuge einer curricula- auf den bulgarischen Psychotherapeuten Georgi
ren Neuorientierung hin zu ä ganzheitlichem Lozanov zurück geht. Lozanov stellte bei Ver-
Lernen und ä fächerübergreifendem Unterricht suchen in den 1960er Jahren fest, dass durch
wurde ab 1967 am Jordanhill College of Edu- den Einsatz verschiedener suggestiver Verfahren
cation in Glasgow ein lehrwerkunabhängiges, erstaunliche Behaltensleistungen bzw. Lernre-
themenzentriertes, integratives Verfahren ent- sultate erzielt werden können (vgl. Baur 1996,
wickelt. Die Ideen von Steve Bell wurden in 106). Durch die Erprobung bestimmter Abfol-
Deutschland v. a. an der PH Freiburg von gen von suggestiven Verfahren entwickelte sich
Klaus-Dieter Fehse, Doris Kocher und Marita Anfang der 1970er Jahre allmählich der Ansatz
Schocker-von Ditfurth weiterentwickelt und der suggestopädischen Methode in der Fremd-
mit Studierenden an regionalen Schulen erfolg- sprachenvermittlung. Eine Abfolge besteht aus
reich getestet. Im Gegensatz zu Skandinavien Präsentations- und Aktivierungsphasen. In der
ist dieser Ansatz jedoch bislang in Deutschland ersten Präsentationsphase wird der Text in der
nicht sehr verbreitet. Bei der S.-M. wird ein Zielsprache vorgelesen, der bzw. die Lernende
Unterrichtsthema mit Hilfe einer zusammen- kann ihn in der Zielsprache oder in der Über-
hängenden Geschichte durch die Lehrkraft und setzung mitlesen. In der zweiten Präsentations-
die Lernenden gemeinsam erarbeitet (collabo- phase, dem ›aktiven Konzert‹, wird der Text in
rative story making). Das Konzept orientiert einem emotional-expressiven Stil erneut vorge-
sich an der narrativen Form einer Geschichte lesen, passend zu emotional-expressiver ä Mu-
mit verschiedenen Episoden, die den Rahmen sik, welche bei normaler Lautstärke abgespielt
für das narrative outline (Einleitung – Entwick- wird. In der dritten Präsentationsphase, dem
lung durch Setting, Einführung der Personen, ›passiven Konzert‹, erfolgt das Lesen vor dem
Gestaltung der Lebensumstände – incidents/ Hintergrund einer langsamen Musik, die leise
Schlüsselereignisse – Schluss) und das pedago- in entspannter Atmosphäre abgespielt wird. In
gical outline darstellt (Strukturierung und Er- den folgenden Tagen werden Aktivierungspha-
forschung der Probleme durch Schlüsselfragen, sen (ä Aktivierung) durchlaufen. Dabei werden
Aufgaben, Aktivitäten, Medien, Kooperation teilweise traditionelle, aber auch spielerische
und Interaktion). Als Ziele gelten die inhalts- und kreative ä Übungen durchgeführt. Wie
orientierte Auseinandersetzung mit der Sprache Baur zeigt (ebd., 112), gibt es keine Versuche,
(ä Inhaltsorientierung), die aktive Mitgestal- die eine spezifische Wirkung der intonatori-
tung des Lernprozesses, die Förderung krea- schen und musikalischen Komponenten nach-
tiven Arbeitens, ganzheitlich-handlungsorien- gewiesen hätten. Auch die Beschränkung auf
tiertes Lernen (ä Handlungsorientierung) sowie alltägliche Kommunikationssituationen und
praktisches und ä entdeckendes Lernen. Zu den das Ausblenden konfliktbeladener Texte oder
charakteristischen Arbeitstechniken zählen be- interkultureller Aspekte führte zu Kritik (vgl.
sonders drei: Collagen (Gestaltung zwei- oder Thaler 2012, 150). Die S. wurde in den 1980er
dreidimensionaler Figuren und ihrer Lebensum- Jahren an verschiedenen Orten ausprobiert und
gebung), Wandfries (Präsentation der Einzel- weiterentwickelt. Dabei entstanden Varianten
und Gruppenprodukte auf Stellwänden) und wie die des superlearning. Unter dem Begriff
wordbanks (systematisch strukturierte Listen wurde eine mit Entspannung arbeitende Me-
mit thematisch relevantem Wortschatz, als thode bekannt, die mit Lehrmedien wie Text
ä Poster im Klassenzimmer aufgehängt). Die S.- und Audiofiles, jedoch ohne Lehrkraft arbeitet.
M. nimmt eine Zwischenstellung ein zwischen Auch wenn der Begriff superlearning nicht auf
ä Lehrerzentrierung und ä autonomem Lernen Lozanov zurückgeht und einige Elemente der S.
und kann dazu beitragen, das Lernen aktiver, hier nicht auftauchen, weisen die Ansätze den-
schülernäher und kreativer zu machen. noch Gemeinsamkeiten auf.
341 Tafel, Tafelbild und Tafelanschrieb

Lit.: R. Baur: Die S. In: Fremdsprachen Lehren und


Lernen (FLuL) 25 (1996), 106–137. – L. Schiffler: S.
und Superlearning empirisch geprüft. Einführung und
Weiterentwicklung für Schule und Erwachsenenbil-
T
dung. FfM 1989. – E. Thaler: Englisch unterrichten.
Bln 2012. AG Tafel, Tafelbild und Tafelanschrieb. Neben dem
Lehrbuch ist die T. das klassische Medium auch
des modernen FUs. Weder der Arbeitsprojektor
Superlearning ä Suggestopädie noch die PowerPoint-Präsentation haben sie
verdrängen können. Zu unterscheiden sind
hinsichtlich Oberfläche, Informationsmenge
Szenarien-Didaktik ä Inszenierung und Einsatzmöglichkeiten Einflächen-, Wende-,
Schiebe-, Säulen- und Klapp-T.n. Gemeinsam
ist ihnen, dass die transportierten Inhalte am
Szenische Interpretation ä Dramapädagogik Ende der Stunde wieder entfernt werden. Als
T.bild wird das Konzept der Lehrperson zu Be-
ginn des Unterrichts bezeichnet; der T.anschrieb
ist das, was nach Ende des Unterrichts daraus
geworden ist. Die intervenierende Variable ist
die Interaktion mit Stoff und Lernenden, so
dass sich T.bild und T.anschrieb deutlich unter-
scheiden können.
In der Fachliteratur der vergangenen 60
Jahre finden sich etwas mehr als 800 fertige
T.bildentwürfe für die Sprachen Englisch (N =
358), Deutsch (N = 263) und Französisch (N =
191). Dabei kommt es zu inhaltlichen Schwer-
punktsetzungen. Die Interpretation literarischer
Werke führt die Liste mit 399 T.bildentwürfen
an, die Grammatikarbeit folgt mit 254. Alle
anderen Gegenstände (Text-, Fernseh- und
Filmarbeit, Musik und Lieder, Landeskunde,
Wortschatzarbeit, Bildbetrachtung) teilen sich
den schmalen Rest. In all diesen Fällen geht es
um die praktische Bewältigung von ganz spezi-
fischen Unterrichtssituationen, ohne dass vom
Einzelfall abstrahiert und auf die generellen
Leistungen von T.bildern für die Erreichung
von ä Lernzielen geschlossen würde. So gesehen,
sind sie – trotz ihrer zentralen Rolle im FU – die
Stiefkinder der Fachdidaktik (vgl. Jung 2010).
Für die Arbeit an der T. sind schon früh Re-
geln aufgestellt worden (vgl. Münnich 1969),
die auch heute noch befolgt werden. Damit SuS
z. B. von einem Positionseffekt profitieren kön-
nen, sollten bestimmte Informationen (Spon-
tannotizen, Hausaufgabe, neue Lexik, Gram-
matik) routinemäßig immer an einer ganz be-
stimmten Stelle platziert werden. Dadurch
vermindert sich die Gefahr, dass unverzichtbare
Strukturelemente übersehen oder vergessen
werden. Weitere Regeln sind: erst sprechen,
dann schreiben; lesbar schreiben; Farbe ver-
wenden; über dem Kopf schreiben; den An-
schrieb nicht verdecken; genügend Zeit zum

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_20, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
Tafel, Tafelbild und Tafelanschrieb 342

Abschreiben lassen. Die Zeichenschulen der am T.anschrieb ablesbare Reduktion auf das
Verlage gehen davon aus, dass Lehrende schon Wesentliche und die anschauliche Darstellung
wissen, was sie zeichnen wollen, und z. B. nur seiner Strukturelemente helfen den Lernenden
noch lernen müssen, wie man aus Kreisen und später, selbständig brauchbare Notizen anzu-
Geraden jene Strichmännchen macht, an deren fertigen.
Bewegung die Progressivform von Verben er- Die genannten Prinzipien gelten auch für die
läutert werden kann. Lehrende müssen aber Gestaltung von Folien für den Arbeitsprojektor,
nicht primär zu Zeichenkünstlern ausgebildet der, obwohl er im Vergleich mit der mehrflüge-
werden, sondern sie müssen lernen, die mögli- ligen T. viel weniger Information gleichzeitig
chen Funktionen von T.anschrieben zu nutzen aufnehmen kann, in Konkurrenz zur T. steht.
bzw. Dysfunktionen zu vermeiden. Lehrende, Auch computerbasierte Verfahren der Informa-
die (von SuS) schlecht ausgesprochene Wörter tionsvermittlung mittels Mapping-Technik (vgl.
und Sätze z. B. an die T. schreiben, anstatt eine Bernd et al. 2000, 17) rekurrieren auf die di-
Korrektur einzufordern, schreiben der T. bzw. daktische Tradition der T.bilder. Zwischen T.
dem geschriebenen Wort eine kompensatori- anschrieb, Plakat bzw. ä Poster und Wandbild
sche Funktion zu, die dann fehl am Platz ist, besteht ebenfalls eine enge Verwandtschaft.
wenn die ä Aussprache geübt werden soll. Der Durch wiederholte Verwendung von Folie und
T.anschrieb erfüllt eine Motivationshilfe, wenn Arbeitsprojektor kann der T.anschrieb in ein
Lehrende ihre SuS in die Arbeit mit einbeziehen Poster oder Wandbild umgewandelt werden.
und den T.anschrieb erläutern, ergänzen, ver- Dauerhaftigkeit bzw. Reproduzierbarkeit er-
vollständigen oder gar korrigieren lassen. Die reicht der T.anschrieb jedoch erst dann voll-
T. selbst entpuppt sich dabei als ein den Unter- ständig, wenn auf interaktive Whiteboards (vgl.
richtsrhythmus mitbestimmendes Instrument. Weißer 2007) projizierte Schaubilder auf der
Der T.anschrieb erfüllt eine Erkenntnishilfe, Festplatte des Computers gespeichert und wie-
wenn mit visuellen Stützen (Unterstreichungen, der aufgerufen werden können. Mit den auch
Wellenlinien, Kreisen, Quadraten, Rechtecken, internetfähigen Whiteboards lassen sich Pro-
Dreiecken, Klammern, Pfeilen und Bögen) oder zesse augenfällig machen. Die T.n können mit
Farbe und Schriftgröße Zusammenhänge ver- elektronischen Stiften beschrieben werden. Was
deutlicht werden. Die Gebilde an der T. können für den Unterricht aber noch viel wichtiger ist:
– auch in Abhängigkeit von der Schulstufe – Farblich gestaltete und zueinander in Beziehung
unterschiedlich komplex sein. Einfache Merk- stehende Informationsblöcke können durch
sätze stehen neben Flussdiagrammen oder Sub- Berühren mit dem Finger in ihrer Position ver-
stitutions-T.n, die bei Ausfall eines der redun- schoben werden. Das Leistungsspektrum der
danten Items nicht defekt werden, sondern nur interaktiven Weißtafel ist also wesentlich um-
defektiv. Die übrig gebliebenen Stücke ›erläu- fangreicher als das der normalen Kreidetafel.
tern‹ die Regel trotz des Ausfalls. Strukturdia- Erste Erfahrungsberichte deuten darauf hin,
gramme (vgl. Walter 1982) hingegen, die z. B. dass diese Whiteboards ein größeres schülerak-
das Beziehungsgeflecht der Figuren in literari- tivierendes (ä Aktivierung) Potenzial haben als
schen Texten darstellen, können für Außenste- die T. Dabei kommt es jedoch entscheidend
hende, die dem Entstehungsprozess nicht beige- darauf an, die für den Zweitsprachenerwerb so
wohnt haben, undurchschaubar werden. Der wichtige verbale Interaktion der SuS in den
T.anschrieb erfüllt eine (Re-)Produktionshilfe, Vordergrund zu stellen. Der manipulative Um-
wenn es gelingt, einzelne Elemente zu Übungs- gang mit der Technik hat dagegen zurückzuste-
zwecken (ä Übung) einzusetzen oder neue hen.
sprachliche Verbindungen aus ihnen zu generie-
Lit.: H. Bernd et al.: Durcharbeiten von Begriffsstruk-
ren. V. a. aber erfüllt der T.anschrieb eine Proto-
turen in unterrichtlichen und computergestützten
kollfunktion, wenn der zurückgelegte Weg ge- Lernumgebungen. In: H. Mandl/F. Fischer (Hg.):
gen Ende der Stunde noch einmal abgeschritten Wissen sichtbar machen. Göttingen 2000, 15–36. –
wird oder die Lernenden zu Hause ihr Unter- U. O. H. Jung: T.bild und T.anschrieb. Stiefkinder der
richtsprotokoll hervorholen, weil die Lehrper- Fachdidaktik. In: C. Hecke/C. Surkamp (Hg.): Bilder
son eine Hausaufgabe gestellt hat, die ihren im FU. Neue Ansätze, Kompetenzen und Methoden.
Tüb. 2010, 111–126. – U. A. Münnich: Zehn Regeln
Ausgangspunkt beim während der Stunde ge- für den T.anschrieb im Sprachunterricht. In: Die
fertigten T.anschrieb hat. Schließlich ist da Unterrichtspraxis/Teaching German 2/1 (1969), 30–
noch die Vorbildfunktion des T.anschriebs: Die 33. – H. Walter: Das Strukturdiagramm als Interpreta-
343 Tandemlernen

tionshilfe im Englischunterricht. In: Der Fremdsprach- kenntnisse auch Möglichkeiten zum ä interkul-
liche Unterricht 64 (1982), 258–269. – M. Weißer: turellen Lernen bietet (vgl. Bechtel 2003).
Interaktive Whiteboards im Unterricht. Hamburg,
Beim T. kann man zwei Ausprägungen (Ein-
Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwick-
lung. http://www.li-hamburg.de/fix/files/doc/Smart- zeltandem und Tandemkurs) und zwei Modi
Erfahrungsbericht.pdf. UJ (Präsenztandem und Distanztandem) unter-
scheiden (vgl. Brammerts et al. 2001). Von Ein-
zeltandem spricht man, wenn sich zwei Tan-
Tandemlernen. Beim T. kommen zwei Lernende dempartner außerunterrichtlich in der Freizeit
unterschiedlicher Muttersprache zusammen, treffen. Sie finden sich über eine Vermittlungs-
um miteinander zu kommunizieren und sich stelle vor Ort oder eine Online-Tandempartner-
gegenseitig beim Erlernen der Sprache des an- Börse, erhalten von dieser methodische Tipps
deren zu unterstützen, wobei die Muttersprache zum T., entscheiden dann aber gemeinsam und
des einen die Zielsprache des anderen ist (vgl. selbstgesteuert, wo, wann, wie lange sie sich
Bechtel 2003). Das auf den Prinzipien der Ge- treffen sowie was und wie sie voneinander ler-
genseitigkeit und der Lernerautonomie (ä Auto- nen. Bei Tandemkursen kommen zwei zahlen-
nomes Lernen) beruhende T. ist eine Mischform mäßig (möglichst) gleich große Lerngruppen
aus ungesteuertem ä Spracherwerb und gesteu- unterschiedlicher Muttersprache zu einem Kurs
ertem Sprachenlernen (vgl. Herfurth 1993). zusammen, der innerhalb eines institutionellen
Einerseits eröffnet der Kontakt mit Mutter- Rahmens von einer Lehrperson (oder einem
sprachler/innen Möglichkeiten des authenti- Lehrteam) geleitet wird und somit einer didakti-
schen, spontanen Austauschs, so wie man es schen Planung und Ausgestaltung unterliegt. Im
außerhalb von Unterricht im Zielsprachenland Rahmen von Tandemkursen ist das T. nur eine
antrifft. Andererseits findet die ä Kommunika- der möglichen ä Sozialformen, jedoch eine zent-
tion in einem Lehr-/Lern-Kontext statt, in dem rale. Von ›Präsenztandem‹ spricht man, wenn
die Tandempartner durch eine (explizite oder beide Tandempartner gleichzeitig am selben Ort
implizite) didaktische Vereinbarung die Rolle anwesend sind, der Austausch erfolgt hierbei
des Lernenden der Fremdsprache und die des von Angesicht zu Angesicht, zeitlich synchron
Lehrenden für die eigene Muttersprache ein- und mündlich. ›Distanzmodus‹ bedeutet, dass
nehmen. Einen Teil der zur Verfügung stehen- beide Tandempartner räumlich voneinander
den Zeit kommunizieren beide Tandempartner getrennt mit Hilfe elektronischer ä Medien
in der einen Sprache (idealerweise die Hälfte), kommunizieren. Bei E-Mail-Tandems findet
den anderen Teil der Zeit in der anderen Spra- der Austausch zeitlich asynchron und schriftlich
che. In der Lernerrolle wendet der Tandempart- statt. Ein Teil der E-Mail wird dabei in der einen
ner die Fremdsprache an, bittet um Hilfe bei Sprache, der andere Teil in der anderen Sprache
Formulierungsschwierigkeiten oder fragt nach verfasst. Die Videotelefonie per Internet erlaubt
bei Verständnisproblemen. In der Rolle des einen synchronen mündlichen Austausch sowie
Muttersprachlers ist der Tandempartner Leh- das Verschicken von Dokumenten oder den ge-
render in dem Sinn, dass er zum einen den meinsamen Zugriff auf Internetseiten. Als An-
Lernpartner hinsichtlich vereinbarter Fehleras- regung für das T. dienen Tandemarbeitsbögen,
pekte korrigiert und auf sprachliche Formulie- die zu unterschiedlichen Themen tandemspezifi-
rungsalternativen hinweist. Zum anderen dient sche Aufgaben und ggf. Bild- und Textmaterial
er seinem Lernpartner durch eigene mutter- enthalten. Tandemaufgaben für unterschied-
sprachliche Beiträge als sprachliches Vorbild liche Sprachen sind im Internet frei zugänglich
und hilft bei Verständnisschwierigkeiten. Zu (z. B. Tandem-Server der Universität Bochum).
dieser Rolle gehört beim T. dagegen nicht, Die umfangreichste Sammlung steht für das
ä Lernziele und Lernwege für das Gegenüber Sprachenpaar Deutsch-Französisch zur Verfü-
festzulegen. Dem Prinzip der Lernerautonomie gung (vgl. OFAJ/DFJW 2012).
folgend, ist es der Tandempartner in der Ler- Lit.: M. Bechtel: Interkulturelles Lernen beim Spra-
nerrolle, der festlegt, wozu, was und wie er chenlernen im Tandem. Eine diskursanalytische Un-
lernen möchte. Der direkte Kontakt mit Mut- tersuchung. Tüb. 2003. – H. Brammerts/K. Kleppin
tersprachler/innen und die Beidseitigkeit des (Hg.): Selbstgesteuertes Lernen im Tandem. Ein Hand-
buch. Tüb. 2001. – N. Hahn/K. Reinecke (Hg.): Erfah-
Lerninteresses machen aus dem T. eine beson- rungen mit Sprachlerntandems. Beratung, Begleitung
dere Form interkultureller Kommunikation, die und Reflexion. Freiburg 2013. – H.-E. Herfurth:
neben der Anwendung der Fremdsprachen- Möglichkeiten und Grenzen des Fremdsprachener-
Tandemlernen 344

werbs in Begegnungssituationen. Zu einer Didaktik Tests heißen ›Sub-Tests‹. Diese bestehen aus
des Fremdsprachenlernens im Tandem. Mü. 1993. – Items, womit die einzelnen Teile des Kriteriums
OFAJ/DFJW: Tête à tête. Anregungen für das Spra-
gemessen werden, um sich somit an das schwie-
chenlernen im Tandem. Paris/Bln 2012. MB
rig zu erfassende Gesamtkonzept anzunähern.
Die Items sind v. a. Fragen, aber auch Aussagen.
Task-Based Learning ä Aufgabenorientiertes Ler- Sie müssen mehreren Kriterien genügen: (1)
nen Relevanz der Fragen oder Aussagen im Hin-
blick auf das Ziel: Wenn z. B. ä Sprechen als
kommunikativer Akt erfasst werden soll, kann
Tertiärsprachendidaktik ä Mehrsprachigkeitsdi- sich der Test der Sprechfertigkeit nicht auf das
daktik Wissen über ä Grammatik in den Sprechakten
richten. (2) Typen der Fragen: Wenn es um das
Testen von ä Wissen geht, sind die Fragen an-
Tests werden für eine ganze Reihe von Einsatz- ders, als wenn man Einsicht testet oder unab-
möglichkeiten entwickelt. Dazu gehören z. B. hängige Sprachverwendung im Alltag. (3) Effi-
die Vorhersage von zukünftigem Schulerfolg zienz: Dieses Kriterium meint das Gleichge-
und beruflichem Erfolg, Examina und die Eva- wicht zwischen der Notwendigkeit, objektive
luation von Unterrichtserfolg (individuell, auf Informationen zu erhalten, und dem Ausmaß
Klassen-, Regional- oder Landesebene). Immer von Zeit und Energie, die man zur Testentwick-
muss man im Auge behalten, wofür ein Test lung benötigt. (4) Objektivität: Es muss gefragt
entwickelt wurde, d. h. welche Funktion er hat. werden, ob die als korrekt eingestuften Ant-
Testentwickler entscheiden sich aufgrund von worten wirklich objektiv korrekt sind. Eine
inhaltlichen, psychologischen, methodisch- Möglichkeit zur Erfüllung dieses Kriteriums ist,
technischen und finanziellen Überlegungen für dass Expert/innen sich über die richtige Ant-
eine bestimmte Form, z. B. für Fragen mit meh- wort einig sind. (5) Spezifische Eignung: Dies
reren Antworten (Multiple-Choice-T.), offene meint, dass vorher definierte Inhalte gemessen
Fragen oder ein Gespräch mit Beurteilung an- werden sollen und nicht globales Wissen, das
hand von Kriterien. Die Wahl von Form und eventuell außerhalb des Unterrichts erworben
Funktion eines Tests kann mehr oder weniger wird. (6) Schwierigkeitsniveau des Tests: Wenn
gelungen sein. Dies zeigt sich durch die wissen- es das Ziel des Unterrichts ist, dass jede/r Ler-
schaftliche Beurteilung des Tests oder durch nende Minimalziele erreicht, dann ist eine hohe
seinen Gebrauch in der täglichen Praxis. So Prozentzahl an richtigen Antworten wün-
werden die Qualitäten und Einschränkungen schenswert. Wenn der Test dazu dienen soll,
von T. über eine bestimmte Zeitspanne deutlich. Unterschiede zwischen SuS zu erfassen, dann
Die Durchführung psychologischer T. ist einem ist eine hohe Anzahl richtiger Antworten nicht
qualifizierten Psychodiagnostiker vorbehalten, wünschenswert. (7) Trennschärfe/Diskrimina-
ebenso ein psychologischer Fragebogen, eine tion: Dieses Kriterium bezieht sich auf den
(klinische) Beurteilungsskala und Einschät- Grad, zu dem die Items zwischen besseren und
zungsskalen. Beobachtungsskalen, T. in Schu- schwächeren SuS trennen. (8) Reliabilität: Die-
len, Instrumente wissenschaftlicher Begleitung ses Kriterium besagt, wieweit man auf die
und Evaluationsbögen werden auch anderen Testwerte vertrauen kann. Je größer der Ein-
Personen zur Durchführung anvertraut. fluss von Zufall oder nicht berechenbaren Fak-
Ein Test ist ein systematisches Klassifika- toren ist, desto mehr ist die Reliabilität gefähr-
tions- oder Messverfahren, mit dem Aussagen det. (9) Fairness gegenüber den SuS: Dieses
über eine oder mehrere empirisch-theoretisch Kriterium bezieht sich auf den vorangegangen
fundierte Eigenschaften von einer oder mehre- Unterricht. Welche Fragen sind angemessen,
ren Personen mit unterschiedlichen Hinter- wenn man die ä Qualität des Unterrichts in
gründen möglich werden. Das geschieht durch Rechnung stellt? Was war Teil des Curriculums
objektive, vergleichende Aufarbeitung von Re- und was wird abgefragt, das eigentlich nicht
aktionen auf eine Anzahl von standardisierten, zum Lehrstoff gehört?
sorgfältig gewählten Stimuli. Ein Test besteht Neben der Untersuchung der einzelnen Items
aus einer Zusammenstellung von verbal, han- ist es für die Beurteilung der Qualität eines Tests
delnd und/oder motorisch an einem Objekt zu möglich, den Test als Ganzes zu betrachten. Als
lösenden Aufgaben. Die Komponenten eines erstes schaut man darauf, was der Test zu mes-
345 Tests

sen vorgibt. Ein Beispiel: In der vorletzten Klasse der Klassenarbeit darauf geachtet haben, dass
des Gymnasiums kann man nicht die Abiturfra- die wichtigsten Teile aus dem Unterrichtsstoff
gen des vergangenen Jahres benutzen, um über im Test aufgenommen sind. Auch wenn jedes
die Noten in Englisch und Französisch zu ent- Jahr gleiche Klassenarbeiten verwendet wer-
scheiden. Der zweite Aspekt ist die Zielgruppe den, sind diese in der Regel nicht standardisiert.
(Population) für den Test. Ein Hörverstehenstest Objektivität ist teils durch die Professionalität
für jüngere Kinder (z. B. im Alter von 4 bis 6 der Lehrkraft garantiert; anderseits müssen die
Jahren) sollte fundamental anders gestaltet sein Lehrenden Entscheidungen treffen und Beurtei-
als ein Test, der das ä Hörverstehen von 12-jäh- lungen geben. Dies ist schwierig und kann Ob-
rigen messen möchte. Drittens sollte berücksich- jektivität gefährden. Meistens werden globale
tigt werden, für welchen Zweck ein Test gestal- Urteile abgegeben. Der bzw. die Lernende be-
tet wird und wo die erzielten Resultate gebraucht kommt eine Note zwischen 1 und 6. Die Objek-
werden. Ein Test, mit dem man das Interesse an tivität der Beurteilung kann gesteigert werden:
den kulturellen Aspekten des Sprachenlernens wenn die Lehrkraft (als Beurteilende) den SuS
einschätzt, kann nicht für die Notengebung zum explizit erklärt, was die zu testende Kompetenz
Hörverstehen benutzt werden. im Einzelnen beinhaltet; wenn die SuS wissen,
Die Qualität des Testmaterials ist besonders was von ihnen erwartet wird; wenn die Lehr-
zentral, wenn ein standardisierter Test verwen- kräfte sich im Team über Definitionen der zu
det wird. Die Lehrkraft sollte den Test leicht testenden Kompetenzen einigen; wenn ein zwei-
anwenden können und in der Lage sein, die ter Beurteiler hinzugezogen wird; wenn stan-
Daten, die sie erhält, zu interpretieren. Das dardisierte Beurteilungsskalen benutzt werden.
gleiche gilt für die Qualität der Anleitung: Diese In der täglichen Praxis wird die Zuverlässigkeit
sollte angemessen und leicht lesbar sein, in einer Klassenarbeit nie beurteilt. Dafür fehlen
konzentrierter Form die wichtigsten Informa- Zeit und Möglichkeiten. Kurz zusammengefasst
tionen enthalten und denjenigen, der den Test kann gesagt werden, dass ein Test umso zuver-
einsetzt, unterstützen. Wenn ein standardisier- lässiger wird, je weniger die Endnote durch Zu-
ter Test verwendet wird, sollten die Standards fallsfaktoren beeinflusst wird. Dies wird verbes-
für das Bestehen und Nichtbestehen klar sein. sert durch maximale Standardisierung, durch
Weiterhin sollte deutlich sein, inwieweit der maximale Objektivität, gute Repräsentation des
Test zuverlässig und valide ist. Die Zuverlässig- Inhalts und durch eine optimale Länge. Das
keit eines Tests meint die Präzision des Tests, Kriterium der optimalen Länge ist immer ab-
die zum Testen vorgesehene ä Kompetenz auch hängig von den Charakteristika der Zielgrup-
wirklich zu messen. Generell drückt die Validi- pen, der zur Verfügung stehenden Zeit und dem
tät eines Tests aus, ob der Test in seinem Kern Zweck des Tests.
die vorgesehene Kompetenz misst. (2) Ein standardisierter Test ist ein Test, der
Die drei wichtigsten Formen von T. im FU explizit für ein genau definiertes Konzept oder
sind: (1) ä Klassenarbeiten, (2) standardisierte ein Merkmal eines Lernenden, mit einem be-
T. und (3) Examina. (1) Eine Klassenarbeit ist stimmten Zweck und mit einer sehr spezifi-
ein systematisches Klassifikations- oder Mess- schen Zielgruppe vor Augen entwickelt wird.
verfahren, denn die SuS werden alle einer Pro- Die Testmaterialien und Anleitungen sind ein-
zedur unterzogen. Jede/r Lernende wird durch leuchtend und klar. Die psychometrischen
eine Note klassifiziert. In der Praxis der Sekun- Qualitäten standardisierter T. sind gründlich
darstufe nehmen Lehrende die Inhalte einer erforscht und dokumentiert. Der Einsatz eines
Unterrichtseinheit und stellen dazu Aufgaben. solchen Tests liefert Informationen über die re-
Es werden also mehrere Indizien benutzt, um lative Position des Getesteten in Bezug zu einer
eine Variable zu messen, in diesem Fall die vergleichbaren Population. Am Beispiel eines
Kenntnisse der SuS über die in der Einheit erar- Wortschatz-Tests für die Grundschule kann die
beiteten Inhalte. Über die Formen und v. a. über Entwicklung standardisierter T. erläutert wer-
die Qualitäten von Klassenarbeiten ist wenig den: Die Lehrenden ermitteln normalerweise
bekannt. Folgendes kann festgestellt werden: ein Bild der Fremdsprachenkenntnisse ihrer
Klassenarbeiten haben meistens eine hohe In- SuS durch Beobachtung und durch Einschät-
haltsvalidität, weil die Lehrenden die Inhalte zung der Leistungen auf ä Arbeitsblättern zum
gut kennen, mit den SuS die Aufgaben durchge- Buch bzw. anderen Materialien. Möchte man
arbeitet haben und bei der Zusammenstellung für diese Altersgruppe einen standardisierten
Tests 346

Test entwickeln, ist zunächst der Gegenstand Aufgabe 2: gehörtes Wort einem Bild zuordnen
zu wählen. ä Wortschatz scheint ein einfacher Aus der Liste bereits gehörter Wörter werden nun
Testgegenstand zu sein; über das Messen von einige einem Bild zugeordnet. Der bzw. die Ler-
Wortschatz laufen die Meinungen von Exper- nende schreibt die Nummer des gehörten Wortes
ten allerdings auseinander (vgl. Meara/Fitzpa- neben das Bild. Dies ist ein klassischer Testtyp.
trick 2000; Read 1993). Ein Wortschatztest in Er ist kurz, um die ä Aufmerksamkeit zu erhalten.
der Grundschule muss verschiedene Ansprüche
befriedigen: Er muss zum Curriculum des
Frühbeginns passen (ä Früher FU), Kriterien Baustein 2: Semantik und Gebrauch von Wör-
der Kindgemäßheit berücksichtigen (vgl. z. B. tern im Kontext = Fähigkeit der Kinder zu er-
Kubanek-German 2003) und die Kenntnisse fassen, was ein Wort bedeutet; Fähigkeit, ein
von Sprachanfänger/innen in jungem Alter er- Wort anzuwenden
fassen. Zugleich soll er für Lehrende nützlich Vier Niveaus der Verankerung (= Wortbeherr-
sein, d. h. auch eine diagnostische Funktion schung) werden angenommen:
haben. Deshalb wurde der Wortschatztest von
Peter Edelenbos und Angelika Kubanek (2007) Aufgabe: Was bedeutet das Wort?
in sechs Stufen für Klasse 3 und weitere sechs green
Stufen für Klasse 4 unterteilt. So können Leh-
rende die Testebene, bei der sie einsteigen, ge- niemals gehört
mäß ihrer Vermutung über den Kenntnisstand ich kenne das Wort, aber weiß nicht, was es
in ihrer Klasse individuell auswählen. Jede bedeutet
Stufe ist gleich aufgebaut, aber in Klasse 4 wer- es bedeutet
den leicht geänderte Aufgaben verwendet, um ich schreibe einen Satz
die Herausforderung gegenüber dem Test für
Klasse 3 etwas zu erhöhen. Die einfachste Stufe
(Ebene 1) bestimmt das ä Vorwissen am Beginn Die Übersetzung (Kästchen 3) ist eine Form der
des Unterrichts in Klasse 3, das bei vielen Kin- Beherrschung (ä Sprachmittlung). Zum Teil
dern durch freiwillige Angebote in den ersten können Kinder auf Schriftähnlichkeit setzen.
beiden Schuljahren, ggf. Englisch im Kinder-
garten sowie durch unseren von Englisch ge- Baustein 3: Sprachbewusstsein (language aware-
prägten Alltag bereits vorhanden ist. Wenn die ness) = Fähigkeit, Wortgrenzen zu erkennen;
ineinander greifenden Entwicklungsprozesse Fähigkeit, Wörter zu segmentieren; Fähigkeit,
beim Wortschatz erfasst werden sollen, muss die Logik eines Satzes zu erkennen
ein Test mehrdimensional angelegt sein; der
hier vorgestellte hat drei Bausteine: wie Kinder Aufgabenbeispiel: Versteckte Wörter
mit Wörtern umgehen und ihre eigenen Kennt- z. B.
nisse einschätzen (Baustein 1: Selbsteinschät- football: foot, ball, all
zung), wie sie Wörter verankern (Baustein 2: superman: super, man, an
Semantik), wie sie Sprachbewusstsein (ä Be-
wusstheit/Bewusstmachung) entwickeln (Bau- Die Ergebnisse werden mit einer Software visu-
stein 3: language awareness). ell dargestellt. Für jeden Schüler bzw. jede
Schülerin ergibt sich ein individuelles Profil.
Baustein 1: Die Anzahl der Wörter = Fähigkeit Zugleich können Klassenwerte ermittelt und
der Kinder, Einzelwörter zu beherrschen mit den Durchschnittswerten verglichen wer-
den. Zu dem Test gehört ein Informations-
Aufgabe 1: Selbsteinschätzung kapitel, das die Spracherwerbsstufen erläutert
und Unterrichtsvorschläge zur ä Differenzierung
Kennst du das Wort?
und zum Fördern macht.
green ja nein
(3) Als dritte Gruppe von T. im FU nehmen
superman ja nein
Examina einen wichtigen Platz im komplexen
…. ja nein
deutschen Bildungssystem ein. Die Prüfung am
Ende der oberen Sekundarstufe kann zentral
organisiert sein (ä Zentralabitur). In der Regel
werden die Aufgaben im Abschlussexamen an
347 Total Physical Response (TPR)

der Schule von erfahrenen Lehrenden zusam- Lit.: J.Ch. Alderson (Hg.): Analysing Tests of Reading
mengestellt; wo es in einem (deutschen) Bun- and Listening in Relation to the Common European
Framework of Reference. The Experience of The
desland ein Zentralabitur gibt, werden die Fra-
Dutch CEFR Construct Project. In: Language Assess-
gen in Zusammenarbeit mit den Curriculum-In- ment Quarterly 3/1 (2006), 3–30. – L. Bachman/
stituten dieses Bundeslandes zusammengestellt. A. Palmer: Language Testing in Practice. Oxford 1996. –
Angesichts der großen Diversität in Deutsch- P. Edelenbos: Foreign Language Assessment Cultures.
land aufgrund der Kulturhoheit der Länder ist Policies and Practices in European Union Countries.
es äußerst schwierig, übergreifende Aussagen Groningen 2005. – P. Edelenbos/A. Kubanek: Wort-
schatztest Englisch in der Grundschule. Teil 1: Klasse
über Form und Qualität von Abschluss-T. zu 3. Mü. 2007. – A. Kubanek-German: Kindgemäßer
machen. Die Praxis der Abschlussprüfungen in FU. Bd. 2. Münster 2003. – P. Meara/T. Fitzpatrick:
Europa ist sehr unterschiedlich. Portugal, die Lexi30. An Improved Method of Assessing Productive
Slowakei und Litauen halten nur am Ende der Vocabulary in an L2. In: System 28/1 (2000), 19–30. –
Oberstufe landesweite Prüfungen ab. Frank- J. Read: The Development of a New Measure of L2
Vocabulary Knowledge. In: Language Testing 10/3
reich, Luxemburg und Malta halten sowohl am (1993), 355–371. – E. Shohamy/N. H. Hornberger
Ende des ersten und des zweiten Zyklus der (Hg.): Encyclopedia of Language and Education. Bd.
Sekundarstufe landesweite Prüfungen ab. In 7: Language Testing and Assessment. Dordrecht 2010.
Schweden werden landesweite Prüfungen wäh- PE
rend der Sekundarstufe durchgeführt, aber diese
sind nicht verpflichtend für die SuS, und Leh-
rende haben die Wahl, ob sie sie einsetzen oder Textauswahl ä Kanon
nicht (vgl. Edelenbos 2005).
Der FU und auch die ä Leistungsbewertung
im FU werden momentan in nahezu allen Län- Third Space ä Kulturdidaktik, ä Transkulturelles
dern Europas nach dem ä Gemeinsamen euro- Lernen
päischen Referenzrahmen (GeR) ausgerichtet.
Dies ist ein deutlicher Vorteil, denn Lehrende in
der ä Lehrerbildung, Lehrkräfte, Lehrplanent- Top-down Processing ä Hörverstehen, ä Lesever-
wickler/innen (ä Lehrplan), Forscher/innen, Stu- stehen, ä Verstehen
dierende und SuS haben nun einen gemeinsa-
men Bezugspunkt. Der GeR ist bisher jedoch
nicht mehr als ein Rahmen. Das Feld des FUs Total Physical Response (TPR) ist eine Vermitt-
macht sich ihn nur dann zunutze, wenn in ei- lungsmethode, die in den 1960er Jahren von
nem Lehrplan in Bezug auf linguistische Kennt- dem Psychologen James Asher entwickelt
nisse und ä Fertigkeiten ganz konkret eingetra- wurde. Die Grundannahme ist, dass der Fremd-
gen wird, was die SuS erbringen sollen. Das sprachenerwerb durch einen sprach-sensorisch-
wurde in den Bildungssystemen Europas für kinästhetischen Ansatz erleichtert und gefördert
viele Sprachen schon für die Niveaus A1, A2, wird. Dieser Ansatz geht von der Beobachtung
B1 und B2 gemacht. Es kann beobachtet wer- aus, dass beim Erstspracherwerb das Sprach-
den, dass viele Bildungseinrichtungen behaup- verstehen vor der Sprachproduktion kommt.
ten, die verwendeten T. oder aber ihre Prüfun- Kinder weisen eine sog. silent period auf, bevor
gen würden sich auf den GeR beziehen. Alder- sie selbst eigene Wörter produzieren. Eine ganz
son (2006) hat jedoch aufgezeigt, dass bei dem besondere Rolle spielen daher bei dieser Me-
Prozess der Übertragung des GeRs auf eine be- thode das ä Hörverstehen und die daraus resul-
stimmte Region, ein bestimmtes Land oder ei- tierenden körperlichen Reaktionen. Da Asher
nen bestimmten Schultyp Interpretationsspiel- außerdem davon ausging, dass man eine Spra-
räume existieren. Um diese zu verringern, wurde che am besten lernt, wenn die sprachliche Form
das GRID-Projekt durchgeführt. Es sollte eine mit einer Handlung assoziiert wird, folgen den
Datenbank erstellt werden, anhand der Testent- im Unterricht erteilten Anweisungen bzw. An-
wickler nachschauen und überprüfen können, weisungssequenzen Handlungen oder Hand-
welche Deskriptoren (Beispiele) es für die ein- lungssequenzen seitens der SuS. Die Rollen
zelnen Dimensionen des GeRs auf den jeweili- zwischen Lernenden und Lehrenden können
gen Stufen gibt. Damit soll die Übertragung er- immer wieder gewechselt werden, um später
leichtert werden und zuverlässiger sein. die Lernenden stärker zu eigenen Sprachhand-
lungen zu führen.
Total Physical Response (TPR) 348

Der grundlegende methodische Dreischritt heute wird T. – in Übereinstimmung mit Defi-


besteht aus den Phasen demonstration, instruc- nition (3) – oft mit einem Übungs- und Anwen-
tion, jumbled order. Zunächst begleitet die dungskonzept zielsprachlichen Wissens ver-
Lehrkraft eine sprachliche Äußerung durch eine bunden. Zum Beispiel stellt die T.-Phase in
eigene Handlung (›sit down‹ wird begleitet Günther Zimmermanns »Lehrphasenmodell
durch die entsprechende Handlung). Dann folgt für den fremdsprachlichen Grammatikunter-
die Phase der ä Instruktion. Die Lehrkraft richt« (1988), einer Weiterentwicklung seines
spricht die Aufforderungen aus, ohne die ge- bekannten Modells von 1969, eine Verbindung
wünschten Handlungen vorzumachen. Die SuS zwischen einer formzentrierten Einübungsphase
führen die geforderten Handlungen nun selb- und der freien Anwendung grammatischer
ständig aus. In der dritten Phase nennt die Strukturen her. Entsprechende Grammatikauf-
Lehrkraft die Aufforderungen in vermischter gaben sollen durch eine gezielte Variation der
Reihenfolge (jumbled order). TPR wird in Übungssituationen eine »breite Verankerung«
Deutschland meist im ä frühen FU in der von Strukturen und Funktionen »im Kenntnis-
Primarstufe praktiziert. Die Methode bietet und Leistungsrepertoire des Lernenden« er-
den  Vorteil, dass Aktionen immer unmittelbar möglichen (Zimmermann 1988, 164).
mit den entsprechenden fremdsprachigen Be- Von großer Bedeutung im Rahmen der
zeichnungen verknüpft sind. Dennoch ist der Fremdsprachendidaktik ist der T.-Begriff (so-
Anwendungsbereich im Unterricht eher be- wohl im Sinne der Definition (1a) als auch der
schränkt, da Aktivitäten wie das Aufstehen und Definition (2) außerdem im Bereich der Fehler-
Setzen natürliche Grenzen haben. Außerdem analyse (ä Fehler). Diese wurde durch Robert
decken Anweisungen und Anweisungssequen- Lados Monographie Linguistics Across Cul-
zen nur einen sehr kleinen Teil dessen ab, tures (1957) entscheidend beeinflusst: Die
was  unter ä kommunikativer Kompetenz ver- Hauptthese des Buchs, als »Kontrastivhypo-
standen wird. Einzelne Übungselemente z. B. these« bekannt geworden, geht von der Ermit-
bei der Wortschatzvermittlung (ä Wortschatz telbarkeit schwieriger oder leichter Sprach- und
und Wortschatzvermittlung) sind sicher gut in Kulturelemente durch kontrastiven Vergleich
den FU zu integrieren. aus. Nach Lado sind die interlingual oder inter-
Lit.: J. Asher: Learning Another Language through kulturell identischen oder ähnlichen Formen
Actions. The Complete Teacher’s Guidebook. Los und Inhalte einfach erlernbar, weil sie positiven
Gatos, CA 1986. AG T. ermöglichen, die abweichenden Formen und
Inhalte (ä Interferenzen) hingegen schwerer er-
lernbar, weil sie zu negativem (oder inadäqua-
Transfer. Für den Terminus T. lassen sich meh- tem) T. führten. Diese Schlüsselstellung von In-
rere Definitionen anführen: (1) Übertragung terferenz und T. für die Fehleranalyse wurde
von Ausdrücken, Bedeutungen, affektiven Kon- allerdings ab den 1970er Jahren durch Zweit-
notationen, grammatischen Funktionen oder sprachenerwerbsforscher, die auf die größere
pragmatischen Konzepten (a) von einer Sprache Relevanz von morphosyntaktischen Entwick-
in eine andere Sprache (interlingualer T.) oder lungssequenzen aufmerksam machten, erschüt-
(b) von einem sprachlichen Teilbereich in einen tert. Eine abgemilderte Kontrastivhypothese,
anderen sprachlichen Teilbereich innerhalb die v. a. auch noch gedächtnisbezogene und ler-
derselben Sprache (intralingualer T.); (2) Über- nerstrategische Aspekte in Betracht zieht, hat
nahme von Wissensbeständen, Praktiken oder bis heute eine breitere Akzeptanz gefunden
Texten von einer Kultur durch eine andere Kul- (vgl. Reinfried 1999, 101 ff.).
tur (Kultur-T.); (3) Übertragung von sprachli- Ein weiteres fremdsprachendidaktisches For-
chem Wissen von einer Lehr-Lern-Phase in eine schungs- und Entwicklungsfeld, in dem T. – v. a.
andere, situativ abweichende Lehr-Lern-Phase im Sinne der Definition (1a) – eine Schlüssel-
oder Anwendungsphase (schulischer Lern-T.). rolle spielt, ist die ä Mehrsprachigkeitsdidaktik.
T.-Konzepte können systemlinguistisch, psy- Bei einer nahen Verwandtschaft zwischen einer
cholinguistisch, lernpsychologisch, kognitions- (gut bis sehr gut beherrschten) Ausgangsspra-
wissenschaftlich und/oder kulturanthropolo- che und einer (wenig beherrschten) Zielsprache
gisch fundiert werden. können unter Umständen große Teile ziel-
Besonders in der ä Fremdsprachendidaktik sprachlicher Textinhalte erschlossen werden.
der 1970er und 1980er Jahre, aber auch noch So beträgt beispielsweise der Anteil der lexika-
349 Transkulturelles Lernen

lischen T.-Basen in vielen spanischen Texten der Transkulturalität als Gegenmodell zur Vor-
etwa 80 % auf der Grundlage von französischen stellung in sich geschlossener, homogener Kul-
Sprachkenntnissen. Viele strukturelle Über- turen und geht stattdessen von der ›Durchdrin-
einstimmungen innerhalb von europäischen gung der Kulturen‹ sowie von der Entwicklung
Sprachfamilien (insbesondere den romanischen, multipler transkultureller Identitäten von Indi-
germanischen und slawischen Sprachen) er- viduen aus. Damit lenkt das Konzept die Auf-
leichtern auch das spontane Verständnis von merksamkeit auf interne Differenzierungen,
grammatischen Bedeutungen (vgl. Meißner gegenseitige Durchdringungen, Hybridisierun-
2004, 43 f.). Von eingeschränkter Relevanz sind gen und Vernetzungen moderner Gesellschaften
interlinguale T.-Möglichkeiten allerdings zwi- und zeitgenössischer Kulturen sowie auf die
schen lexikalisch und strukturell sehr differen- Komplexität kultureller Identitätsentwürfe
ten Sprachen. (ä Identität und Identitätsbildung).
Interkomprehensionskurse (ä Interkompre- Während interkulturelle Ansätze (ä Interkul-
hension) wie z. B. die Kurse von EuroCom bil- turelles Lernen) sich bereits seit den 1990er
den den T. als interlinguale Inferierungsstrate- Jahren im fachdidaktischen und bildungspoliti-
gie (ä Inferenz) systematisch aus. Es handelt schen Diskurs etabliert haben, werden die kul-
sich dabei jedoch überwiegend um Lern- turwissenschaftlichen Konzepte der Transkul-
materialien für die Erwachsenen- und Hoch- turalität und der kulturellen Hybridität erst seit
schulbildung (ä Andragogik). Fremdsprachliche der Jahrtausendwende in der Fremdsprachendi-
Lehrwerke für Jugendliche, die eine größere daktik diskutiert. Seitdem haben sich diverse
Zahl an interlingualen T.-Übungen enthalten, Ansätze zum t.L. im FU herauskristallisiert, die
sind erst vereinzelt erschienen. Empirische Un- sich zwar in ihrer terminologischen Praxis so-
tersuchungen (z. B. Göbel/Vieluf 2014) weisen wie in ihrer konzeptionellen Ausrichtung von-
nach, dass T. im schulischen FU, v. a. des ä Eng- einander unterscheiden, jedoch in ihren theore-
lischen, aus der Lehrerperspektive eine relativ tischen Grundannahmen und Argumentationen
geringe Rolle spielt, und dass die – allerdings einige Parallelen aufweisen. Grundsätzlich las-
nicht immer reich vorhandenen – T.-Möglich- sen sich dabei die folgenden gemeinsamen Ar-
keiten zwischen dem Deutschen und Migran- gumentationsstränge erkennen, die sich zum
tensprachen im Schulunterricht noch sehr we- Teil überlagern:
nig thematisiert werden. (1) Zum einen wird die Auffassung vertreten,
Lit.: K. Göbel/S. Vieluf: The Effects of Language dass der FU selbst als kultureller Begegnungs-
Transfer as a Resource in Instruction. In: P. Grommes/ und Aushandlungsraum konzeptualisiert wer-
A. Hu (Hg.): Plurilingual Education. Policies, Practi- den kann, in dem die Lernenden sich neue kul-
ces, Language Development. Amsterdam 2014, 181– turelle Bedeutungen erschließen und aneignen,
195. – S. Jarvis/A. Pavlenko: Crosslinguistic Influence
in Language and Cognition. N.Y. 2008. – R. Lado: diese modifizieren oder umdeuten und in die-
Linguistics Across Cultures. Applied Linguistics for sem Sinne zu ›interkulturellen Aktanten‹ wer-
Language Teachers. Ann Arbor 1957. – F.-J. Meißner: den (vgl. Hallet 2002). In Anlehnung an die
T. und Transferieren. Anleitungen zum Interkompre- Metapher des third space aus der postkolonia-
hensionsunterricht. In: H. G. Klein/D. Rutke (Hg.): len Theorie (Bhabha 1994) betrachtet Wolf-
Neuere Forschungen zur europäischen Interkompre-
hension. Aachen 2004, 39–66. – M. Reinfried: Inner-
gang Hallet (ebd.) den FU als einen ›hybriden
romanischer Sprach-T. In: Grenzgänge 12 (1999), Raum‹, in dem Sichtweisen und kulturelle Äu-
96–125. – G. Zimmermann: Lehrphasenmodell für ßerungen aus unterschiedlichen kulturellen
den fremdsprachlichen Grammatikunterricht. In: J. Sphären aufeinander treffen und von den Ler-
Dahl (Hg.): Grammatik im Unterricht. Expertisen und nenden verhandelt bzw. miteinander ausgehan-
Gutachten. Mü. 1988, 160–177. MR
delt werden. Auf diese Weise können sowohl
die Lernenden neue Identifikationen entwickeln
Transkulturelles Lernen. Der Begriff des t.L.s als auch zur Veränderung kultureller Muster
leitet sich vom kulturtheoretischen Konzept der und Prägungen beitragen.
Transkulturalität ab, das in den letzten zehn (2) Zum anderen wird mehrfach die Bedeu-
Jahren sowohl in den ä Kulturwissenschaften tung eines transkulturellen Kulturbegriffs für
als auch in den ä Fremdsprachendidaktiken die ä Literatur- und ä Kulturdidaktik hervorge-
verstärkte Aufmerksamkeit erfahren hat. Im hoben, der mit einem veränderten Blick auf
Sinne des kulturphilosophischen Ansatzes von Unterrichtsgegenstände, auf Zielsetzungen und
Wolfgang Welsch (1999) fungiert das Konzept didaktisch-methodische Zugangsweisen einher-
Transkulturelles Lernen 350

geht (vgl. Eckerth/Wendt 2003). In diesem Zu- zusammen mit Konzepten zur Friedenserzie-
sammenhang wird u. a. die Frage, ob der Begriff hung oder der ecodidactics jedoch auch in der
der ›Interkulturalität‹ durch den der ›Transkul- Fremdsprachendidaktik diskutiert.
turalität‹ ersetzt werden soll, kontrovers disku- Lit.: H. Antor (Hg.): Inter- und transkulturelle Stu-
tiert: Während auf der einen Seite Kritik an in- dien. Theoretische Grundlagen und interdisziplinäre
terkulturellen Ansätzen geäußert wird, weil die Praxis. Heidelberg 2006. – H. Bhabha: The Location
für den ›interkulturellen‹ Dialog zentralen Ka- of Culture. Ldn 1994. – L. Bredella: Interkulturelles
Verstehen zwischen Trans- und Multikulturalität. In:
tegorien des ›Eigenen‹ und des ›Fremden‹ einer Ders. Narratives und interkulturelles Verstehen. Tüb.
Essentialisierung kultureller Unterschiede und 2012, 74–123. – A. Datta (Hg.): Zukunft der trans-
damit einer Ausgrenzung Vorschub leisten kulturellen Bildung, Zukunft der Migration. FfM
könnten, wird auf der anderen Seite betont, 2010. – W. Delanoy: Transkulturalität als begriffliche
dass ›Eigenes‹ und ›Fremdes‹ bereits in interkul- und konzeptuelle Herausforderung an die Fremd-
sprachendidaktik. In: Matz et al. 2014, 19–35. –
turellen Ansätzen stets als relationale Katego- J.  Eckerth/M. Wendt (Hg.): Interkulturelles und t.L.
rien gedacht werden (vgl. zur Diskussion Dela- im FU. FfM 2003. – C. Fäcke: Transkulturalität und
noy 2014). Lothar Bredella (2012) hinterfragt fremdsprachliche Literatur. Eine empirische Studie zu
die Forderungen nach ›Transkulturalität‹ kri- mentalen Prozessen von primär mono- oder bikulturell
tisch und hebt die ›Ethik des interkulturellen sozialisierten Jugendlichen. FfM 2006. – B. Freitag-
Hild: Theorie, Aufgabentypologie und Unterrichts-
Verstehens‹ hervor, die eine Anerkennung des
praxis inter- und transkultureller Literaturdidaktik.
Anderen beinhaltet und zu einer ›normativen British Fictions of Migration im FU. Trier 2010. –
Selbsttransformation‹ im Sinne Malls führen W.  Hallet: FU als Spiel der Texte und Kulturen.
soll (ä Interkulturelles Lernen). Intertextualität als Paradigma einer kulturwissen-
(3) Ansätze zum t.L. beruhen außerdem auf schaftlichen Didaktik. Trier 2002. – F. Matz/
einem prozesshaften, hybriden und diskursiven M. Rogge/P. Siepmann (Hg.): T. L. im FU. FfM 2014.
– A. Schumann: Transkulturalität in der Romanisti-
Begriff von ä Kultur, der folgerichtig zu einer schen Literaturdidaktik. Kulturwissenschaftliche
neuen Aufmerksamkeit für transkulturelle Phä- Grundlagen und didaktische Konzepte am Beispiel der
nomene in Literatur und Gesellschaft führt. littérature beur. In: Fremdsprachen Lehren und Ler-
Aus dem Konzept der Transkulturalität wird nen 37 (2008), 81–94. – L. Volkmann: Die Abkehr
daher die Forderung nach einer erweiterten vom Differenzdenken. T. L. und Global Education. In:
Matz et al. 2014, 37–51. – W. Welsch: Transkultura-
oder veränderten Textauswahl im Literaturun- lität. Zwischen Globalisierung und Partikularisierung.
terricht abgeleitet (ä Kanon), die die Komplexi- In: P. Drechsel (Hg.): Interkulturalität. Grundpro-
tät von Kultur(en) und Identität(en) z. B. an- bleme der Kulturbegegnung. Mainz 1999, 45–72. –
hand literarisch inszenierter Migrationserfah- W. Wintersteiner: Transkulturelle literarische Bildung.
rungen erlebbar macht (vgl. Schumann 2008). Die ›Poetik der Verschiedenheit‹ in der literaturdidak-
tischen Praxis. Innsbruck 2006. BFH
Werner Wintersteiner (2006) reflektiert zudem
Grundlagen für eine ›transkulturelle literari-
sche Bildung‹. Literarische Texte werden in TV-Didaktik. Die T., die sich zuerst im Gefolge
transkulturellen Ansätzen als Anlass für dialo- der Entwicklung des Fernsehens in den angel-
gische Aushandlungen von kultureller Bedeu- sächsischen Ländern etabliert hat und erst seit
tung und für ergebnisoffene, inter- und trans- den 1990er Jahren im deutschsprachigen Raum
kulturelle Denkprozesse verstanden (vgl. Fäcke eine erwähnenswerte Rolle spielt, beschäftigt
2006). Bei der didaktischen Strukturierung des sich einerseits mit Inhalts- und Formanalysen
Unterrichts wird Wert auf ä Intertextualität und von Fernsehsendungen nach dem Muster der
Intermedialität sowie auf Multiperspektivität etablierteren Filmanalyse (ä Filmdidaktik); an-
gelegt, um die repräsentierte(n) Kultur(en) als dererseits versucht die T. angesichts der zuneh-
möglichst vielstimmige(s) Gebilde mit internen menden kulturellen Einflussnahme des Fernse-
kulturellen Differenzen, Brüchen und Überlap- hens die Problematisierung repräsentationskri-
pungen zu modellieren (vgl. Freitag-Hild 2010). tischer und kulturwissenschaftlicher Fragen
(4) In einigen Publikationen wird zudem eine (etwa zum Zusammenhang zwischen medial
Verbindung zwischen transkulturellen Ansät- inszenierter Wirklichkeit und repräsentierter
zen und den Lernzielen bzw. dem Ansatz des Realität) zum Thema des FUs zu machen. Dabei
globalen Lernens (ä Global Education) herge- versucht die T. auch, die Intentionen vorgeblich
stellt (vgl. Volkmann 2014). Dieser Ansatz ist zuverlässiger, als objektive Bilder wahrgenom-
bislang primär in den Bildungswissenschaften mener, medialer Texte für SuS durchschaubar
verortet (vgl. Datta 2010), wird mittlerweile zu machen (ä Visuelle Kompetenz). Dieser lange
351 TV-Didaktik

Zeit vernachlässigte Erwerb von textübergrei- unterscheiden und anhand konkreter Unter-
fender ›Fernsehkompetenz‹ (TV literacy) und richtsmöglichkeiten veranschaulichen.
damit der Fähigkeit, sich kritisch mit den For- (1) Die erste, semiotische Dimension von
men, Funktionen und Intentionen, die hinter Fernsehkompetenz betrifft die Entschlüsselung
der heutigen ›Fernsehkultur‹ stecken, auseinan- medialer Texte, d. h. die Interpretation von
derzusetzen, werden im Sinne der T. durch eine Fernsehbildern und Filmen im engeren Sinn.
Reihe methodischer, inhaltlicher und struktu- Dabei werden verschiedene Techniken (Kamera-
reller Kenntnisse ermöglicht. einstellung, Ton, Licht usw.) sowie das Zu-
Die didaktische Vermittlung von TV literacy sammenspiel dieser Techniken und deren Funk-
umfasst verschiedene textzentrierte und kon- tionen analysiert. Die SuS können beispielsweise
textorientierte Bereiche. Textzentrierte Fernseh- mit Hilfe der Pausetaste an verschiedenen Stel-
analysen untersuchen zunächst die Formen der len das Abspielen stoppen, einzelne Einstellun-
Fernsehproduktionen selbst, die entscheidend gen diskutieren und schließlich kurze Sequenzen
von Gattungskonventionen bestimmt sind, untersuchen. Alternativ wird nur der Ton eines
etwa der seriellen Erzählweise oder der Arbeit unbekannten Fernsehformats präsentiert, wor-
mit sog. Cliffhangern. Diese Konventionen sind aufhin die SuS das Format zu identifizieren
in hohem Maße von ihrem Rezeptionskontext, versuchen und Vermutungen über Inhalt und
d. h. den Funktionen, die sie zu erfüllen haben, Bildersprache der Sequenz anstellen, bevor
geprägt und unterscheiden sich so von denen schließlich mit Hilfe der kompletten Sequenz
anderer visueller Medienprodukte etwa des Ki- (inklusive Bild) das Verhältnis zwischen Ton
nofilms. Fernsehzuschauer/innen konsumieren und Bild problematisiert wird. Als weitere Mög-
in der Regel nicht eine einzelne Sendung wie lichkeiten zur Vermittlung der ›Fernsehsprache‹
beim Kinofilm, sondern ein speziell auf ein be- lassen sich etwa ein Protokoll mit detaillierten
sonderes Marktsegment und Publikum abge- Beschreibungen von Handlung, Figuren, Kame-
stimmtes Programm, das verschiedene Formate raeinstellungen sowie Ton- und Spezialeffekten
verbindet und eine möglichst unterhaltsame einer Sequenz erstellen oder zwei Sitcoms, Soap
Mischung aus Nachrichten, Werbung, Shows Operas, Nachrichtenprogramme usw. mitein-
und fiktionalen Stoffen bietet. Der Erfolg des ander vergleichen, um Konventionen des betref-
Fernsehens als ›Populärmedium‹ (ä Populärkul- fenden Formats zu erarbeiten (zu weiteren me-
tur) hängt also davon ab, die Interessen ver- thodischen Vorschlägen vgl. Baker 2003; Alex-
schiedener Gruppen, allen voran die Interessen ander/Cousens 2004; Zerweck 2007, 362).
von Konsument/innen und Produzent/innen, (2) Eine zweite, sprachliche Dimension der T.
miteinander zu vereinen, so dass die T. bei der stellt die Auseinandersetzung mit TV-spezifi-
Untersuchung von Fernsehformaten in ver- scher Sprache und Ausdrucksformen dar. Diese
stärktem Maße auch kulturelle und gesell- Dimension betrifft in erster Linie das ä Hörver-
schaftliche Fragen einzubeziehen und so die für stehen, das sich durch den Einsatz von Fernse-
das Fernsehen typische reziproke Abhängigkeit hen auf besonders vielseitige Weise schulen
zwischen Produktion und Rezeption offen zu lässt, aber auch andere Anwendungsbereiche,
legen sucht. Solche kontextorientierten Unter- etwa die Untersuchung von Fernsehzeitschrif-
suchungen von Fernsehen beschäftigen sich mit ten oder die Wortschatzarbeit (ä Wortschatz
drei Schwerpunkten: mit der Produktion und und Wortschatzvermittlung) anhand intermedi-
den Institutionen der TV-Industrie; mit den aler Bezüge zu TV-Formaten in Jugendzeit-
Zuschauer/innen und der Rezeptionsseite; und schriften oder im Internet. Die sprachliche Di-
mit kulturkritischen Fragen nach Repräsenta- mension lässt sich zudem hervorragend durch
tion, Ideologie und Manipulation. An die Seite Kreativaufgaben vertiefen. So können SuS Se-
textzentrierter Formanalyse treten in der T. also quenzen aus TV-Programmen in andere Text-
kulturwissenschaftliche Fragestellungen (ä Kul- sorten umformen, etwa in dramatische und ly-
turwissenschaft), die Untersuchung der Zusam- rische Texte oder in Zeitungsartikel, oder es
menhänge zwischen Fernsehproduktion und werden kurze Darstellungen von Soap Opera-
-rezeption sowie die Beschäftigung mit der oder Sitcom-Episoden für fiktive Fernsehzeit-
Fernsehindustrie. schriften verfasst und als Ergänzung fremd-
Für den Schulunterricht lassen sich ausge- sprachige Fernsehzeitschriften und Programm-
hend von den skizzierten Schwerpunkten der T. informationen aus dem Internet herangezogen
zum heutigen Stand vier zentrale Dimensionen und mit vergleichbarem deutschen Material
TV-Didaktik 352

kontrastiert (für weitere methodische Anregun- Besonders wichtig ist bei diesem Lernziel die
gen vgl. Zerweck 2007, 363). Sensibilisierung für die Problematik der Mani-
(3) Die dritte, interkulturelle Dimension der pulation durch Fernsehbilder sowie die Inten-
T. betrifft die mediale Inszenierung zentraler tionen verschiedener Beteiligter, etwa beim
Themen im Selbstverständnis einer bestimmten Produktplacement in Werbesendungen, beim
Kultur und zielt auf die Untersuchung von ge- Erzielen möglichst hoher Einschaltquoten aus
sellschaftlichen Selbstwahrnehmungs- und Re- kommerziellen Gründen in Soap Operas oder
präsentationsmustern sowie Geschichte und bei der manipulativen Propaganda in Kriegsbe-
Mentalitäten einer Kultur ab. Lernende erhal- richten. Zur Erarbeitung der Intentionen von
ten anhand der Fernsehanalyse Einblicke in die Fernsehwerbungsproduzent/innen können SuS
Art und Weise, wie Fernsehen kulturelle Selbst- beispielsweise fremdsprachige Werbefilme, die
und Fremdbilder inszeniert und dadurch unsere es mittlerweile auch als Unterrichts-DVDs zu
Vorstellung von ›Realität‹ beeinflusst. Bei fiktio- erwerben gibt oder die im Internet gestreamt
nalen Formaten können die SuS etwa zunächst werden können, und deren Zielrichtung disku-
die Figuren einer Serie beschreiben und im An- tieren. Darüber hinaus bieten sich weitere ana-
schluss diskutieren, wie realistisch die Figuren lytische Zugangsweisen bezüglich der Produk-
angelegt sind, mit welcher sozialen Gruppe sie tionsseite fiktionaler Formate an. So lassen sich
korrespondieren und welches Gesellschaftsbild anhand des Vor- und Abspanns eines fiktiona-
in der Serie zum Ausdruck kommt. Nichtfiktio- len Formats möglichst viele Informationen zu
nale Formate eignen sich für die Vertiefung Produktion und Vermarktung der Sendung her-
dieses ä Lernziels ebenfalls in hohem Maße. SuS ausarbeiten. In einem nächsten Schritt erarbei-
können z. B. über die Darstellung aktueller The- ten die SuS, welche Personen bei der Herstel-
men in fremdsprachigen Nachrichtensendungen lung eines TV-Formats beteiligt sind (Autor,
berichten und bei einzelnen Sendungen Unter- Regisseur, Schauspieler, Produzent, Cutter usw.)
scheidungen zwischen Fakten und Meinungen und welche Konflikte zwischen diesen Beteilig-
treffen. Eine Überschneidung mit der semioti- ten denkbar sind. In Ergänzung zu solchen
schen Dimension von Fernsehkompetenz ergibt analytischen Zugangsweisen eignen sich auch
sich hierbei, wenn erkundet wird, wie Filmspra- für die produktionsorientierte Dimension der
che (Kamera, Licht, Ton usw.) für verschiedene T. Kreativaufgaben. Schülergruppen können
Ziele genutzt wird, etwa um zu überzeugen, etwa Ideen für Fernsehsendungen entwickeln,
argumentieren, erklären usw. In denselben Sen- gemeinsam entscheiden, welche Sendung sie
dungen können auch nationale und kulturelle produzieren würden, um eine möglichst große
ä Stereotype erforscht werden, wobei hierbei Zuschauerzahl zu erreichen, und diese Idee als
ein Vergleich mit deutschen Fernsehnachrichten Projektarbeit weiterführen (ä Projektunter-
besonders lohnenswert ist, etwa indem man richt), etwa durch die Entwicklung von Pro-
verschiedene Nachrichtensendungen desselben jektskizzen aus der Perspektive unterschiedli-
Tages auf einem fremdsprachigen und einem cher Akteure. In Gruppen, die aus jeweils einem
deutschen Sender über ein möglichst kontro- Akteur besteht und damit die gesamte Produk-
verses Thema (z. B. US-Wahlen, Afghanis- tionskette umfassen, werden dann die verschie-
tankrieg, Finanzkrise usw.) kontrastiert (für denen Ziele diskutiert, Kompromisse ausgehan-
weitere methodische Vorschläge vgl. Bianculli delt und Abstracts für die Sendung erstellt (Fi-
2000 und die Beiträge in Sommer/Zerweck guren, Story, Setting usw.). Im Rahmen einer
2005). weniger zeitaufwendigen Kreativaufgabe lassen
(4) Die Betrachtung der medialen Inszenie- sich auch Ideen für eine TV-Sendung auf der
rung von Kulturthemen führt zur Frage, unter Basis einer Lektüre, die vorher in der Lern-
welchen Bedingungen sich diese mediale Insze- gruppe behandelt wurde, entwickeln. Hierzu
nierung von ›Wirklichkeit‹ vollzieht. Im Rah- werden Schauspieler/innen und Regisseur/innen
men dieser vierten, produktionsorientierten ausgewählt sowie ein sehr kurzer Abstract von
Dimension werden die Entstehungsprozesse des 25 Wörtern und ein Brief an eine fiktive Pro-
Erzählens in Fernsehformaten aufgedeckt, wo- duktionsfirma verfasst, in dem die SuS ihr Ma-
durch Einsichten in die Fernsehindustrie, Inten- terial zu ›verkaufen‹ suchen (vgl. zu weiteren
tionen der Beteiligten, Konfliktpotenzial unter methodischen Ideen British Film Institute 2000;
den Akteuren und sogar potenzielle Berufsfelder Henseler et al. 2011; Henseler/Möller 2017;
gewonnen werden (vgl. Goodwyn 2004, 65 ff.). Sommer/Zerweck 2005, 8).
353 TV literacy

Die Einbeziehung der semiotischen, sprachli- ›culture‹, everybody thinks of the opera and the
chen, interkulturellen und produktionsorien- Museum of Modern Art – but the anthropolo-
tierten Dimensionen der T. in den FU wird in gists’ definition is ›shared information, beliefs
angelsächsischen Ländern seit den 1980er Jah- and values‹. And, in fact, television is the pri-
ren vorangetrieben (vgl. z. B. Clarke 1987). Im mary purveyor, and vehicle or deliverer, of
deutschsprachigen Raum dagegen konzentriert shared information.« In diesem Sinn versteht
sich der Unterricht bislang v. a. auf die semioti- sich die relativ junge T. als Disziplin zur Ver-
sche und sprachliche Dimension, seit einiger mittlung nicht nur von Sprache und Inhalten
Zeit auch auf die interkulturelle Dimension des Phänomens ›Fernsehen‹, sondern auch von
(wobei meistens die Film- nach wie vor der zentralen kulturellen und kommunikativen
Fernsehanalyse vorgezogen wird). Insgesamt Merkmalen und Prozessen unserer Zeit.
verstärkt sich also auch hier die Einsicht, dass
TV in einem (inter-)kulturellen und aktuellen Lit.: L. Alexander/A. Cousens: Teaching TV Soaps.
Ldn 2004. – M. Alvarado/E. Buscombe/R. Collins
FU nicht fehlen darf, da sich Fernsehen längst
(Hg.): The Screen Education Reader. Cinema, Televi-
nicht mehr auf seine ursprünglichen Funktio- sion, Culture. Ldn 1993. – J. Baker: Teaching TV Sit-
nen – die Information und Unterhaltung – be- com. Ldn 2003. – D. Bianculli: Teleliteracy. Taking
schränkt, sondern mittlerweile in erheblichem Television Seriously. Syracuse, NY 2000. – British
Maße Weltsicht, Sozialverhalten und Wirklich- Film Institute (Hg.): Moving Images in the Classroom.
keitsvorstellungen innerhalb unserer Medien- A Secondary Teachers’ Guide to Using Film & Tele-
vision. Ldn 2000. – M. Clarke: Teaching Popular Tele-
gesellschaft prägt, verstärkt durch die im vision. Ldn 1987. – A. Goodwyn: English Teaching
Augenblick rasant stattfindende Verlagerung and the Moving Image. Ldn 2004. – R. Henseler/
von Fernsehinhalten ins Internet und die damit St. Möller/C. Surkamp: Filme im Englischunterricht.
einhergehende ›entchronologisierte‹ Rezeption Grundlagen, Methoden, Genres. Seelze-Velber 2011.
unterschiedlicher Fernsehformate. Immer mehr – R. Henseler/St. Möller: Themenheft »TV Series«.
Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 146 (2017).
Zuschauer/innen, v. a. der jüngeren Generation, – E. Lewis: Teaching TV News. Ldn 2003. –
verzichten auf traditionelle Fernsehprogramme R. Sommer/B. Zerweck (Hg.): Themenheft »Teaching
und auf den Fernseher im Wohnzimmer und TV« von Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch
streamen stattdessen die für sie interessanten 75 (2005). – B. Zerweck: Fernsehformate und deren
Inhalte zu selbst gewählten Zeiten auf den je- kultureller Einfluss. Die Vermittlung von Fernsehkom-
petenz im Englischunterricht. In: W. Hallet/A. Nün-
weils passenden, oft mobilen Endgeräten. Strea-
ning (Hg.): Neue Ansätze und Konzepte der Literatur-
mingdienste wie Netflix oder Amazon Prime und Kulturdidaktik. Trier 2007, 351–370. BZ
ermöglichen darüber hinaus den Zugriff auf ein
nahezu endloses Reservoir an Formaten, allen
voran Filme und Fernsehserien. Da die Produk- TV literacy ä TV-Didaktik
tion besonders innovativer Formate sogar durch
die Streamingdienste selbst stattfindet, zeichnet
sich v. a. abseits von aktuellen Nachrichten-
und politischen Sendungen für die Zukunft ein
weiterer Rückgang beim Konsum traditioneller
Fernsehprogramme ab. Diese neuen Fernsehge-
wohnheiten durchbrechen zwar die Bereitstel-
lung und Konsumgewohnheiten, ändern aber
aus didaktischer Sicht grundsätzlich nichts an
den vier hier bereitgestellten Dimensionen der
T. Im Gegenteil: Eine theoriegeleitete Beschäfti-
gung mit den verschiedenen Dimensionen des
Kulturphänomens Fernsehen ist durch die orts-
und zeitunabhängige Möglichkeit des Konsums
sogar von noch größere Relevanz als bisher.
Denn Fernsehen ist damit endgültig, wie der
amerikanische Journalist David Zurawik (zit.
nach Bianculli 2000, 143) bereits zu Zeiten tra-
ditionellen Fernsehkonsums hervorhebt, ä ›Kul-
tur‹ im eigentlichen Sinne: »When you say
Übergang 354

kurse in Klasse 5 ist einer deutlichen ä Hetero-


U genität gewichen, die die Arbeit für die Lehr-
kräfte erschwert. Mit der neuen Verbindlichkeit
des FUs in der Primarschule haben deshalb
Übergang. Nach ersten noch wenig erfolgrei- nicht nur die Kinder an Lernchancen gewon-
chen Schulversuchen mit einem ä frühen FU ab nen, sondern es erwächst allen Bundesländern
der 3. Klasse in den 1960er Jahren erhielt der auch die Pflicht, die Reibungsverluste und ab-
Gedanke, SuS schon sehr früh systematisch mit rupten Brüche, die aus dem Frühbeginn zwi-
einer Fremdsprache zu konfrontieren durch die schen den Schulformen im FU entstehen, besser
Gründung der Europäischen Union und das in den Griff zu bekommen.
Zusammenwachsen Europas in den 1990er Die Gründe für die Anpassungsschwierigkei-
Jahren neuen Aufschwung. Neben dem Begeg- ten sind vielfältig. Zum einen wird die bishe-
nungssprachenansatz begannen manche Bun- rige tradierte Ordnung des Englischunterrichts
desländer mit zielorientierteren Methoden, die maßgeblich verändert. Solange der FU nur den
ein systematisches Erlernen der Fremdsprache weiterführenden Schulen vorbehalten war,
auch schon in der Grundschule anstreben. wurden Themen, Inhalte, ä Methodik und
Meist werden seit damals in der wöchentlichen ä Lernziele innerhalb der jeweiligen Schulform
Stundentafel zwei Stunden für die erste Fremd- für die Haupt-, Real-, Gesamtschule und das
sprache zur Verfügung gestellt. Trotz vieler po- Gymnasium von den Abschlüssen her festge-
sitiver Rückmeldungen über die Lernerfolge legt. Die flächendeckende Einführung des FUs
von Kindern, zeichnete sich aber bald ab, dass in der Primarschule bringt diese Ausrichtung
es zu erheblichen Problemen zwischen den aber ins Wanken: Für die ersten zwei bzw.
Schulformen kam, in den meisten Bundeslän- sogar vier Jahre Englischunterricht werden
dern zwischen Klasse 4 und 5, in Berlin und bisher von den Grundschulen in Abstimmung
Brandenburg zwischen den Klassen 6 und 7. mit dem jeweiligen Rahmen- oder ä Lehrplan
Die Ü.sproblematik wurde ein fachdidaktisches eigene Lernziele erstellt und eigene Methoden
Thema, dessen Brisanz bis heute anhält. Seit bevorzugt, so dass am Ende der 4. Jahrgangs-
dem Schuljahr 2004/2005 ist das Erlernen einer stufe ein eigener, mit der Sekundarstufe I
ersten Fremdsprache in der Primarschule in al- nicht  abgestimmter Lernstand erreicht wird.
len 16 Bundesländern ein verbindlicher Be- Ein zweiter Grund für den Bruch zwischen
standteil. Obwohl dies in der Regel ä Englisch den Schulformen liegt in oft noch nicht ausrei-
ist, gibt es auch etliche Schulen, in denen als chend ausgebildeten oder weitergebildeten
erste Fremdsprache ä Französisch oder Italie- Lehrkräften der Grundschulen, die im FU ein-
nisch gelehrt wird. gesetzt werden, und einer noch nicht ausrei-
Die Erfolge eines frühen Fremdsprachenbe- chend an die neue Situation angepassten ä Leh-
ginns sind nicht zu übersehen. Die jungen rerbildung der Sekundarstufenlehrkräfte. Ein
Fremdsprachenlernenden haben einige der dritter Grund für die Ü.sprobleme besteht in
Zielkulturen, in denen Englisch gesprochen den entwicklungspsychologischen Vorausset-
wird, bereits in Lehrmaterialien, durch Fernse- zungen, die den Lernzielen und Lerninhalten
hen und Internet kennengelernt, haben über der beiden Schulformen zugrunde liegen. Die
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Einteilung der Schulformen in eine 1. bis 4.
sich und den fremden Kulturen nachgedacht, und eine 5. bis 10. bzw. 12. oder 13. Klasse
manchmal sogar schon einen Briefwechsel mit schien den Bruch zwischen der konkret-opera-
jungen Sprecher/innen des Englischen begon- tionalen und der formal-operationalen Phase
nen. Viele SuS vermögen am Ende des 4. Schul- der geistigen Entwicklung genau zu markieren.
jahrs bereits einfache Texte in der Zielsprache Statt dieses recht starren Modells kindlicher
zu lesen, einige haben Grundkenntnisse im Entwicklungsstufen nach Jean Piaget stehen
ä Schreiben kommunikativ sinnvoller kurzer heute auch komplexere Modelle kindlicher
Texte erlangt. Das Bild, das sich den Lehr- Entwicklung zur Verfügung, die beschreiben,
kräften bietet, ist jedoch keinesfalls einheitlich. dass Kinder sich je nach Thema und Leistungs-
Vielmehr treffen sie in ihren 5. Klassen gleich- gebiet in verschiedenen Entwicklungsphasen
zeitig auch auf Lernende, deren Sprachkönnen befinden können, bzw. die auch allmähliche
im Englischen kaum entwickelt ist. Die gesi- Übergänge und eine Interdependenz zwischen
chertere Homogenität der früheren Anfangs- den einzelnen Entwicklungsphasen für wahr-

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_21, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
355 Übergeneralisierung

scheinlicher halten. Der FU in allen Schulfor- beim Erwerb von Muttersprache und Fremd-
men muss diese neuen, komplexeren Modelle sprachen gibt, Unterschiede, die sich bereits
der geistigen Entwicklung berücksichtigen. beim Fremdsprachenfrühbeginn bemerkbar
Des Weiteren resultieren die Schwierigkeiten machen. Als wichtigster Punkt ist zu nennen,
des Ü.s aus ungelösten Konflikten der fremd- dass diese Lernenden bereits mindestens eine
sprachendidaktischen Lerntheorie. In erster Li- Sprache kennen, auf die sie im Fremdsprachen-
nie handelt es sich dabei um die Frage, ob der lernprozess immer wieder zurückgreifen kön-
ä Spracherwerb der Muttersprache und der der nen. Sie verfügen darüber hinaus im 3. Schul-
Fremdsprache identisch, ähnlich oder unter- jahr über weitaus reifere kognitive und emotio-
schiedlich verlaufen. Dabei lassen sich in der nale Voraussetzungen als Kleinst- und
Fachdiskussion, grob gesprochen, zwei kon- Kleinkinder, mit denen sie alle Phänomene der
kurrierende Meinungen verzeichnen: Anhänger sie umgebenden Welt differenzierter wahrneh-
der Identitäts-Hypothese behaupten, dass alle men können (vgl. Mindt/Schlüter 2007). Ihre
Spracherwerbsprozesse prinzipiell gleich ver- Verallgemeinerungs- und Abstraktionsfähigkei-
laufen. Dies bedeutet, dass unabhängig vom ten sind besser ausgebildet; ihr Weltwissen und
Alter bei jedem Spracherwerb die gleichen an- die bereits bestehenden Kenntnisse zu Lehn-
geborenen mentalen Prozesse aktiviert werden, wörtern aus der Fremdsprache sowie ihre Vor-
die dafür sorgen, dass Fremdsprachen nach erfahrungen können im FU genutzt werden.
denselben Erwerbsprinzipien wie die Mutter- Alle Bundesländer arbeiten inzwischen ge-
sprache gelernt werden (vgl. Riemer 2002, zielt an einer besseren Anpassung des FUs der
61 f.). In zahlreichen Veröffentlichungen zum Schulsysteme, wobei v. a. Bemühungen zur Ko-
Frühbeginn kann man deshalb lesen, dass L1- operation zwischen Schulen und Schulverbün-
und L2-Erwerb im Prinzip gleich seien, da die den und zwischen Fremdsprachenlehrkräften in
aufeinanderfolgenden Phasen der Rezeption allen Schulformen im Mittelpunkt stehen.
und der Produktion beim Erstspracherwerb Wichtig ist daneben aber auch, dass der FU
und beim Fremdsprachenlernen im frühen lerntheoretisch und entwicklungspsychologisch
Schulalter völlig parallel zueinander verliefen. einheitlich ausgerichtet wird und es zu einer
Die weitaus plausiblere Lernersprachen-Hypo- systematischen Zielorientierung in den Primar-
these dagegen geht von erheblichen Unterschie- schulen kommt, die den Sekundarstufenlehr-
den beim Erwerb der Muttersprache und beim kräften verbindliche Eckpunkte für die Fertig-
Fremdsprachenlernen aus, die mit unterschied- keitsbereiche (ä Fertigkeiten) und die inhaltliche
lichem Alter, sprachlichem ä Vorwissen und Ausrichtung des Unterrichts liefert. Sprachen-
mehr Weltwissen begründet werden. Sie vertritt standards (ä Standards), die sich auf die unter-
die Auffassung, dass Lernende beim Erlernen schiedlichen Kompetenzbereiche beziehen, und
einer Fremdsprache ganz spezifische Sprach- Sprachenportfolios (ä Portfolio), die durch
systeme entwickeln, die Merkmale der Erst- Selbsteinschätzung ein recht genaues Bild der
sprache, der neuen Fremdsprache aber auch fremdsprachlichen Schülerleistungen aus der
ganz eigenständige, von L1 und L2 unabhän- Schülerperspektive darstellen, können bei die-
gige Merkmale enthalten (vgl. Riemer 2002, ser Aufgabe eine Hilfe darstellen.
63 f.). Durch Hypothesenbildung, Regelände- Lit.: D. Mindt/N. Schlüter: Ergebnisorientierter Eng-
rungen und lernerspezifische Strategien werde lischunterricht. Für die Klassen 3 und 4. Bln 2007. –
die Lernersprache allmählich verändert (ä Inter- C. Riemer: Wie lernt man Sprachen? In: J. Quetz/
language). Vertreter der Mehrsprachigkeits- G. von der Handt (Hg.): Neue Sprachen lehren und
lernen. Bielefeld 2002, 49–82. EBM
Hypothese gehen noch einen Schritt weiter: Sie
glauben, dass das Erlernen von Sprachen ein
integrierter Prozess ist, in dem Lerner/innen ein Übergeneralisierung ist die regelwidrige Bil-
System aus ä Kompetenzen entwickeln. In die- dung einer Sprachform nach dem Vorbild einer
sem Fall sind die Lernersprachen nicht nur oder mehrerer anderer Sprachformen innerhalb
»zweiwertige Systeme zwischen Ausgangs- und der Zielsprache, die zustande kommt, wenn
Zielsprache« (Riemer 2002, 64), sondern Beleg Lernende die Verwendungsmöglichkeiten eines
für die Mehrsprachigkeitskompetenzen ihrer Ausdrucks oder einer Struktur noch nicht si-
Verwender (ä Mehrsprachigkeit). Lernerspra- cher genug beherrschen. Ü. finden sich beim
chen- und Mehrsprachigkeits-Hypothese gehen Erlernen der Muttersprache und der Fremd-
davon aus, dass es auch wichtige Unterschiede sprachen auf allen sprachlichen Ebenen. Oft
Übergeneralisierung 356

bestehen verschiedene Formen gleichzeitig ne- Übersetzen ä Sprachmittlung


beneinander, z. B. für den Plural von ›Rad‹ Rä-
der neben *Rade und *Räders. In der ä Ortho-
graphie kommt es v. a. bei nicht eindeutigen Übung ist ein in der pädagogischen Fachspra-
Phonem-Graphem-Beziehungen zu Ü. So kön- che und in der Umgangssprache gleichermaßen
nen Schreibweisen wie *lehsen (lesen) und häufiger Begriff. Umgangssprachlich werden
*frohr (fror) auf die Regel zurückgeführt wer- Tätigkeiten als Ü. bezeichnet, die zur Einübung
den, dass lange Vokale im Deutschen oft durch in bestimmte Fertigkeiten dienen, wie etwa
Vokal plus <h> wiedergegeben werden. Falsche Fingerübungen beim Klavierspiel oder be-
Analogiebildung in der Umlautmarkierung stimmte Bewegungsabläufe im Sport. Zugleich
zeigt sich bei *bällt (bellt) und *Läute (Leute). bezeichnet der Begriff Ü. auch die gute Beherr-
Ü. in Bezug auf die Akzentregeln des Deutschen schung einer Tätigkeit als Ergebnis des Trai-
liegt z. B. vor, wenn in den Komposita Jahrhun- nings (›jemand besitzt Ü.‹) sowie die Ü.stätig-
dert oder Saarbrücken der erste Bestandteil be- keit selbst (›jemand führt eine Ü. durch‹). Im
tont wird. Meist ist Ü. ein Beleg für vorhandene Englischen besteht eher Verwechslungsgefahr
Regelkenntnisse in der jeweiligen Sprache (int- zwischen Ü. (practice) und Praxis (practice) im
ralingualer ä Transfer). Wenn die ä Aufmerk- Begriffspaar ›Theorie und Praxis‹; eine Ü.sauf-
samkeit der Lernenden stark auf das Aneignen gabe heißt daher exercise oder task.
einer unbekannten und schwierigen Struktur Die Ü. ist Teil des Lernens und wird daher
der Zielsprache gerichtet ist, wird sie zu oft und von den Wissenschaften erforscht, die sich mit
an falscher Stelle im Satz verwendet (Hyper- dem Lernen befassen, also der Pädagogik, der
korrektur), z. B. das Pronomen es: *Dein Kleid Psychologie und den Fachdidaktiken. Allerdings
gefällt es mir sehr oder der definite Artikel: stellt die Ü. in diesen Disziplinen gleichermaßen
*Ich habe die Lust auf ein Eis. Lernende, die ein eher vernachlässigtes Forschungsthema dar.
wissen, dass sie die gerundeten Vorderzungen- Für die Pädagogik hat dies Otto Friedrich Boll-
vokale häufig falsch aussprechen, achten über- now (1978) und für die ä Fremdsprachendidak-
mäßig auf eine korrekte Aussprache, was Ver- tik Robert M. DeKeyser (2007c) klar aufge-
wechsler wie *lüstig (lustig) oder *Zukünft zur zeigt. In der Fremdsprachenforschung beginnt
Folge haben kann. Möglicherweise handelt es man seit der Zeit der ä audiolingualen Methode
sich beim letzten Beispiel aber auch um eine Ü. und des pattern drill (vgl. Klippel 2013) erst seit
aus der Wortbildung, wenn von zukünftig auf kurzem wieder, sich für Fragen des Übens zu
die Form des Substantivs geschlossen wurde. Ü. interessieren (vgl. DeKeyser 2007a; Burwitz-
kann auch durch Übungstransfer entstehen; die Melzer et al. 2016). Die Vernachlässigung in der
exakte Ursache ist aus Lernerproduktionen al- Forschung hängt – so Bollnow (1978, 14 ff.) –
lein nicht immer eindeutig bestimmbar (vgl. in erster Linie damit zusammen, dass die weit-
Marx/Mehlhorn 2016). Wie andere ä Fehler hin als langweilig empfundene Ü. weniger inter-
auch gehören Ü.en zur ä Interlanguage von essant und wichtig schien als beispielsweise die
Lernenden, sind Ergebnisse von Erwerbsstrate- Entfaltung der schöpferischen Kräfte der Ler-
gien, im ä Spracherwerb unvermeidlich und nenden oder die beeindruckende Erstbegegnung
werden zum Teil von selbst wieder verschwin- mit einem neuen Unterrichtsthema. Sportler/in-
den. Im Unterricht sollte es vermieden werden, nen und Musiker/innen wissen, wie zentral das
durch Konzentration auf eine sprachliche Er- Üben einzelner Bewegungselemente für die Op-
scheinung andere völlig zu vernachlässigen. Ü. timierung komplexer Bewegungsabläufe ist.
kann v. a. durch bewusstmachende Verfahren Welchen Stellenwert man dem Üben zubilligt,
(focus on form; ä Bewusstheit/Bewusstma- hängt somit erstens mit dem jeweils vertretenen
chung), explizite ä Korrektur sowie kontrastie- Konzept des Lernens und dessen vorrangigem
rende und vielseitige ä Übungen minimiert Ziel zusammen. Im Hinblick auf das Erlernen
werden. einer Sprache ist zudem von Bedeutung, ob die-
Lit.: N. Marx/G. Mehlhorn: Analyse von Lernerspra- ser Lernprozess analog zu anderen Lernprozes-
che. In: D. Caspari et al. (Hg.): Forschungsmethoden sen gesehen wird. Denkt man vom Ziel her, so
in der Fremdsprachendidaktik. Tüb. 2016, 297–306. sind Wissen und Können gleichermaßen Ziel-
GM punkte fremdsprachlicher ä Kompetenz. In der
kognitiven Psychologie unterscheidet man de-
klaratives ä Wissen und prozedurales Können.
357 Übung

Nach Bollnow (1978, 26 f.) ist Wiederholen für tet ist. Erneutes Üben derselben Aufgabe er-
den Erwerb von Wissen erforderlich, Ü. für den laubt es den Lernenden, unterstützt durch das
Ausbau des Könnens. In beiden Fällen greife Gedächtnis, diese rascher und weniger fehler-
der Lernende bzw. der Unterricht etwas bereits haft durchzuführen. Wichtig ist jedoch, dass die
Bekanntes wieder auf: »Beim Wissen handelt es Lernenden während der Ü. ä Feedback über die
sich darum, das dem Gedächtnis Entglittene Korrektheit bzw. Angemessenheit ihrer Äuße-
neu zu befestigen [….. Bei der Übung einer rung oder ihres Verstehens erhalten. Dadurch
Fertigkeit handelt es sich dagegen darum, eine wird vermieden, dass sich falsche Sprachmuster
zunächst noch unvollkommene Leistung schritt- einprägen. Allerdings hängt es von den Dispo-
weise zu verbessern, […. bis sie geläufig ist« sitionen individueller Lernender (ä Lernerty-
(ebd., 28 f.). Folgt man dieser Unterscheidung, pen) ab, in welchem Umfang Einsicht in und
dann werden im FU v. a. die rezeptiven und Erklärungen zu strukturellen und sprachlichen
produktiven sprachlichen ä Fertigkeiten geübt, Zusammenhängen übungsfördernd wirken. So
ebenso die korrekte ä Aussprache sowie die Be- benötigen etwa analytische Lernende eher
wältigung interaktiver Situationen. Gramma- kognitive Bewusstmachung (ä Bewusstheit/Be-
tisches Regelwissen (ä Grammatik und Gram- wusstmachung), während wiederholtes Üben
matikvermittlung), ä Orthographie und die diejenigen unterstützt, die stark gedächtnisge-
Verankerung der Bedeutung von Wörtern im steuert lernen (vgl. Skehan 1998, 270). Analyti-
Gedächtnis (ä Wortschatz und Wortschatzver- sche Lerner profitieren somit stärker von expli-
mittlung) können durch Wiederholung gefes- zitem Üben, intuitive Lerner von implizitem
tigt, nicht jedoch in diesem Sinne geübt werden; Üben (vgl. Stern 1992, 327 ff.). Der Schwierig-
üben kann man aber die Verwendung neu ge- keitsgrad von Ü.en darf nicht zu hoch sein; sie
lernter Vokabeln oder chunks (ä chunk lear- sollten die Lernenden fordern, aber nicht über-
ning) in unterschiedlichen Kontexten. Ein erheb- fordern. Ü.en, die rein mechanisch durchge-
licher Teil des Sprachenlernens ist skill learning, führt werden können, erscheinen für alle Lern-
das sich dadurch auszeichnet, dass Ü. zu Leis- typen wenig sinnvoll.
tungsverbesserung führt (vgl. Carlson 2003). Es ist keine neue Erkenntnis, dass Üben ein
Eine Fertigkeit wird durch Ü. verbessert, indem unabdingbarer Bestandteil des Erlernens einer
sie weniger fehlerhaft, schneller, mit weniger Sprache ist. Sprachlehrbücher aus früheren
Energieaufwand und größerer Aussicht auf Er- Jahrhunderten enthalten Ü.en, und die Fremd-
folg durchgeführt wird (vgl. DeKeyser 2007b, sprachendidaktiker aller Zeiten haben deren
2 f.). Für das Sprachenlernen bedeutet das den Rolle betont, z. B. Henry Sweet in The Practical
Erwerb von Flüssigkeit im Sprachgebrauch. Der Study of Languages (1899) oder Walter Hübner
flüssigen Verwendung einer Sprache liegt ein in seiner Didaktik der neueren Sprachen (1933).
gewisser Grad der ä Automatisierung im Zu- Im Verlauf der Zeit wurden die Ü.sformen er-
griff auf sprachliche Elemente zugrunde. Auch weitert und differenziert. Während etwa Imita-
wenn Automatisierung in der Forschung nicht tion und Übersetzung (ä Sprachmittlung) bis ins
einheitlich definiert ist, besteht doch Einigkeit 19. Jh. zu den wichtigsten Ü.en zählten, traten
darüber, dass gezieltes Üben erforderlich ist, um im 19. und frühen 20. Jh. u. a. Einsetz-Ü.en,
diese zu erreichen. Unter gezieltem Üben ver- Umformungs-Ü.en und Frage-Antwort-Ü.en
steht man in diesem Zusammenhang das exp- dazu (vgl. Klippel 1994, 155 ff.). Heute verfü-
lizite Einüben bestimmter Fertigkeitsbereiche gen wir über ein breites Repertoire an Sprach-
oder sprachlicher Elemente. Sprachliche Fer- Ü.en, das zum einen die Ziele des ä kommuni-
tigkeiten und der Einsatz unterschiedlicher kativen FUs berücksichtigt (u. a. ä information
sprachlicher Mittel werden jedoch auch in gap, opinion gap, jigsaw activities, problem
Aufgaben oder Spielen geübt und verbessert, solving tasks, process writing) und zum ande-
die keinen spezifischen sprachlichen Fokus be- ren durch die Möglichkeiten der digitalen
sitzen, jedoch die Verwendung von Sprache er- ä Medien weiter ausgebaut wurde.
fordern; dies kann man als implizites Üben be- Man kann nur etwas üben, das man schon
zeichnen. einmal verstanden oder formuliert hat. Daher
Erfolgreiches Üben durchläuft mehrere Sta- liegt der didaktische Ort der Ü. zeitlich nach
dien. Am Anfang steht das bewusste Ausführen der Darbietung und Einführung neuen Sprach-
einer Aufgabe, bei der die ä Aufmerksamkeit materials. Das heute zu Unrecht verpönte Ver-
der Lernenden auf diese Aufgabe selbst gerich- laufsmuster einer Unterrichtsstunde in Form
Übung 358

von presentation – practice – production ver- ale Organisation, Art der Aufgabenstellung und
deutlicht den didaktischen Ort der Ü. im Unter- vorrangige Ü.stätigkeit, betroffene sprachliche
richtsverlauf. Der Schritt vom expliziten Üben Fertigkeit(en), Grad der Steuerung, Kriterien
mit Blick auf die Korrektheit der sprachlichen für den Ü.serfolg. Die Grenzen zwischen task,
Produktion bestimmter Sprachmuster oder Ü. und Spiel verlaufen dabei fließend.
Fertigkeitsbereiche bis zum spontanen Verwen- Was die Bedingungen effektiven Übens be-
den der fremden Sprache im kommunikativen trifft, so prägt das abschreckende Bild eines
Kontext, also das Hinübergleiten von der monotonen und mechanischen Drills vielfach
Übung zur Praxis kann durch offene Ü.sformen unsere Auffassung und damit unsere Einstel-
herbeigeführt werden. Insofern stellen Ü.en das lung zum Üben. Dabei steht fest: »Optimal L2
Scharnier zwischen Input und Output dar. practice in the foreign language classroom
Die Einführung des Begriffs task als Bezeich- should be interactive, meaningful, and with a
nung für Aktivitäten, die der Lebenswelt ange- built-in focus on selective aspects of the lan-
nähert sind und zu deren Bewältigung Sprache guage code that are integral to the very nature
erforderlich ist (ä Aufgabenorientiertes Lernen), of that practice« (Ortega 2007, 198). Ü.en, die
hat zu einer Einengung des Konzepts der Ü. in dem Leistungsstand der Lernenden angepasst
der Fremdsprachendidaktik geführt. In tasks sind, die schrittweise zur freien Verwendung
liegt der Schwerpunkt auf dem Aushandeln von der Sprache hinführen und die abwechslungs-
Bedeutungen (etwa dem Austausch von Infor- reich gestaltet sind, erhöhen den Lernerfolg
mationen, Meinungen, Argumenten) und nicht dadurch, dass sie Erfolgserlebnisse ermöglichen
auf der Verwendung spezifischer sprachlicher und dadurch die Ü.smotivation erhalten. Aus
Formen (vgl. Ellis 2008, 818 f.), während man lernpsychologischer Sicht ist es wichtig festzu-
Ü.en komplementär stärker als formbezogen halten, dass massiertes Üben weniger effektiv
sieht. Jedoch erleichtert das ä generative Prin- ist als verteiltes Üben, bei dem die Ü.sabstände
zip, das Wolfgang Butzkamm (2004, 174 ff.) sukzessive größer werden (vgl. Klippel/Doff
mit vielen Beispielen beeindruckend illustriert, 2007, 192). Insbesondere zu Beginn einer Ü.s-
den Übergang von formbezogenem zum mittei- sequenz ist Feedback von Seiten der Lehrkraft
lungsbezogenem Üben, indem die geübten wichtig.
Strukturen durch die Lernenden schrittweise
Lit.: O. F. Bollnow: Vom Geist des Übens. Freiburg i.Br.
verändert und mit neuen, von den Sprecher/in- 3
1991 [1978. – E. Burwitz-Melzer et al. (Hg.): Üben
nen selbst gewählten Inhalten gefüllt werden. und Ü.en beim Fremdsprachenlernen. Perspektiven
Dadurch dienen vorkommunikative Ü.en letzt- und Konzepte für Unterricht und Forschung. Tüb.
lich als Weg zum kommunikativen Sprachge- 2016. – W. Butzkamm: Lust zum Lehren, Lust zum
brauch. Elemente des Wiederholens und Verän- Lernen. Eine neue Methodik für den FU. Tüb. 22007
derns liegen auch vielen ä Sprachlernspielen [2004. – R. A. Carlson: Skill Learning. In: L.  Nadel
(Hg.): Encyclopedia of Cognitive Science. Bd. 4. Ldn
zugrunde. Was anderes ist ein Ratespiel als die 2003, 36–42. – R. M. DeKeyser (Hg.): Practice in a
ständige, leicht variierte Ü. eines Fragemusters? Second Language. Cambridge 2007a. – R. M. DeKey-
In Spielen liegt die Aufmerksamkeit der Betei- ser: Introduction. Situating the Concept of Practice
ligten v. a. auf dem Spielziel; die Spieler/innen (2007b). In: Ders. 2007a, 1–8. – R. M. DeKeyser:
verwenden die Fremdsprache als Mittel, um Conclusion. The Future of Practice (2007c). In: Ders.
2007a, 287–304. – R. Ellis: The Study of Second
dieses Ziel zu erreichen und üben somit eher Language Acquisition. Oxford 22008 [1994. –
implizit. Der Motivationsgehalt von Spielen, U.  Häussermann/H-E. Piepho: Aufgaben-Handbuch.
der u. a. auf den Spielmerkmalen ›Gegenwärtig- Mü. 1996. – F. Klippel: Englischlernen im 18. und
keit‹, ›Aktivierungszirkel‹, ›Ambivalenz‹ und 19.  Jh. Münster 1994. – F. Klippel: Systematisches
›Quasi-Realität‹ beruht, führt dazu, dass gerne Üben. In: J.-P. Timm (Hg.): Englisch lernen und lehren.
Bln 1998, 328–341. – F. Klippel: Übung macht den
und lange gespielt und somit geübt wird.
Meister, practice makes perfect. Von den langweiligen
Neue methodische Ansätze sowie die techni- Aspekten des Sprachenlernens. In: Fremdsprachen
sche Entwicklung ermöglichen neue Ü.sformen. Lehren und Lernen 42 (2013), 38–49. – F. Klippel/
Eine systematische Strukturierung von Ü.sfor- S. Doff: Englischdidaktik. Bln 2007. – L. Ortega: Me-
men und -typen ist bislang nicht gelungen, aningful L2 Practice in Foreign Language Classrooms.
wenngleich erste Versuche vorliegen (vgl. Häus- A Cognitivist-Interactionist SLA Perspective. In: De-
Keyser 2007a, 180–207. – P. Skehan: A Cognitive Ap-
sermann/Piepho 1996; Klippel 1998). Als Aus- proach to Language Learning. Oxford 1998. – H. H.
gangspunkt für die Klassifizierung können etwa Stern: Issues and Options in Language Teaching. Ox-
folgende Ü.selemente dienen: Zielsetzung, sozi- ford 1992. FK
359 Unterrichtsgespräch

Universalgrammatik ä Nativistische Ansätze, gilt, tragen rezeptionsästhetische Ansätze inner-


ä Spracherwerb und Spracherwerbstheorien halb der ä Literaturdidaktik der Tatsache Rech-
nung, dass Bedeutungsaushandlungen auch vor
dem Hintergrund der Erlebnisse und Befindlich-
Unterrichtseinstieg ä Unterrichtsplanung keiten der Lesenden vollzogen werden. In die-
sem Sinn schöpft das U. besonders aus dem Po-
tenzial der ä Sozialform Klasse, denn es rekur-
Unterrichtsentwurf ä Lernziel, ä Unterrichtspla- riert auf die Lebenswelt aller Teilnehmenden,
nung von denen jede und jeder über einen Teil der
gemeinsamen Sinnstiftungsressource verfügt
(vgl. auch Surkamp 2014).
Unterrichtsgespräch. Die Geschichte des ge- Um allen den Einstieg in das U. zu ermög-
sprächsorientierten Unterrichtens geht ins 5. lichen, ist es sinnvoll, diesen über Fragen zu
Jh. v. Chr. auf die von Sokrates praktizierte gestalten, deren Beantwortung allen anhand
Dialogform zurück. Im frühen 20. Jh. wurde persönlicher Erfahrungen möglich ist (ä Erfah-
stark lehrergelenkter Frageunterricht von rungsorientierung). Dadurch wird die emotio-
Reformpädagogen (ä Reformpädagogik) wie nale Involviertheit der Teilnehmenden (ä Emo-
Berthold Otto und Hugo Gaudig, die eine tion) und die engagierte Verwendung der
verstärkte Selbsttätigkeit der SuS forderten, Fremdsprache begünstigt. Im U. selbst arti-
weiterentwickelt. Im ä kommunikativen FU kulieren und begründen die Lernenden ihre ei-
erfreut sich das U. großer Beliebtheit, wobei es genen Deutungen, indem sie sich auch mit
meist als Lehrgespräch gelenkt und schema- fremden Deutungen auseinandersetzen. Diese
tisch nach fragend-entwickelndem Muster können ihre eigenen Rezeptionsschemata, die
statt spontan und frei durchgeführt wird. Da- nicht nur mit dem Text, sondern auch intersub-
bei ist das U. eine Methode, die bei einer schü- jektiv abgeglichen werden, erweitern. Sie müs-
lerorientierten Ausrichtung (ä Lernerorientie- sen ihre Lesarten elaborieren und ggf. relativie-
rung) nicht nur zentrale fremdsprachige und ren, und nehmen somit Sprechhandlungen vor,
ä kommunikative Kompetenzen zu fördern bei denen ihre Kommunikationskompetenz ge-
vermag, sondern ebenso kognitive, affektive, fördert wird. Insofern ist das U. gleichermaßen
soziale, interkulturelle und Problemlösungs- verständnis- wie auch verständigungsorientiert.
kompetenzen entwickeln und gar emanzipato- Dabei bietet die Fremdsprache auf der einen
rische ä Lernziele erreichen kann (ä Schlüssel- Seite Artikulationsmöglichkeiten, setzt auf der
qualifikationen). anderen je nach Kompetenzniveau notwendi-
Das U. ist an keine Unterrichtsphase gebun- gerweise Grenzen. Das U. im Literaturunter-
den und kann zum Einstieg, zur Erarbeitung richt ist als Prozess zu sehen, der über ein Ne-
und zur Reflexion durchgeführt werden. Auch beneinander individueller Leseerfahrungen hin-
wenn die Methode an sich keine Ansprüche an ausgeht, denn die Teilnehmer/innen passen ihre
die mit ihr zu bearbeitenden Inhalte stellt, lässt eigenen Beiträge an das Gesagte an und unter-
sich der Einsatz des U.s am Beispiel des Gegen- ziehen ihr Textverständnis der Kontrolle ihrer
stands Literatur veranschaulichen und begrün- Gesprächsgemeinschaft.
den: Aufgrund der Mehrdeutigkeit literarischer Über dieses gemeinschaftliche Verfahren
Texte können diese Diskussionen in der Fremd- werden im FU soziale und emanzipatorische
sprache initiieren, in denen echte ä Fragen und Lernziele erreicht. Emanzipatorisch ist die Me-
Erkenntnisinteressen der SuS gemeinsam ausge- thode insofern, als dass sie die SuS von der
handelt werden. Dadurch wird zum einen der Lenkung der Lehrkraft befreit und sie zu mün-
Forderung nach authentischer (ä Authentizität), digen, selbstbestimmten Lernenden werden
mitteilungsbezogener Sprachverwendung im FU lässt. Indem jeder an der Sinnstiftung des Textes
entgegengekommen; zum anderen wird die in- teilhat, gewinnt der Einzelne an Selbständigkeit
trinsische (Sprech- und Lese-) ä Motivation ge- im Deutungsprozess. Durch das aktive Zuhören
schürt. Auch aus rezeptionsästhetischer Sicht und Aufeinandereingehen kollaboriert eine
lässt sich das U. als geeignete Methode für den Klasse in einer nur kooperativ lösbaren Auf-
Literaturunterricht begründen. Anstatt von dem gabe. Das U. fördert dabei die Achtung von und
einen ›richtigen‹ Sinn des Textes auszugehen, Auseinandersetzung mit divergenten Positio-
den es im Rezeptionsprozess nachzuvollziehen nen, das Urteilsvermögen, die konstruktive
Unterrichtsgespräch 360

Kritikfähigkeit und die Konfliktbereitschaft thode erlaubt so zwar eine ganzheitliche Erfah-
(vgl. Nissen 1992, 164). Somit stellt es neben rung, aber die gesprochenen Worte bleiben den-
verbalem auch soziales Handeln dar, bei dem noch flüchtig. Für die Lernenden ist es daher
die SuS Sicherheiten abbauen und Vorbehalte wichtig, Ergebnisse festzuhalten, auf die sie spä-
zurückstellen müssen (ä Sozialkompetenz). ter zurückgreifen können. Da der Verstehens-
Obwohl die Durchführung des U.s sich an prozess, der im U. befördert wird, nicht linear
den Konventionen von Alltagsgesprächen ori- abläuft, kann ein paralleles Anschreiben von Er-
entiert, wird es vom institutionellen Rahmen, gebnissen vorschnell Gedankengänge abschlie-
in dem es erfolgt, geprägt. Auch wenn die Me- ßen. Stattdessen sollten mehrere SuS die Rolle
thode stets ein neues verlaufs- und ergebnisof- von Protokollant/innen übernehmen, die für alle
fenes Wagnis darstellt, können Voraussetzun- ein Dokument mit den wichtigsten Erkenntnis-
gen geschaffen werden, die einen konstruktiven sen, Erklärungen und Begründungen ausarbei-
Verlauf fördern, sofern die kontextuellen Ein- ten. So kann sich die Mehrheit der Gruppe ganz
schränkungen nicht ausgeblendet, sondern bei auf das U. einlassen. Ebenso können die Lernen-
der Planung bewusst reflektiert werden. So den im Anschluss einen Lerntagebucheintrag
steht die traditionell asymmetrische Kommuni- verfassen, in dem sie die bedeutendsten Einsich-
kationssituation zwischen Lehrenden und Ler- ten zusammentragen und die Methode selbst re-
nenden der notwendigen Gleichberechtigung flektieren. Eine solche Reflexion sollte auch ge-
aller Sprechenden und der Annahme einer meinsam im U. durchgeführt werden, um Einbli-
Gleichwertigkeit ihrer Beiträge entgegen. An- cke in die Gesprächserfahrung der Lerngruppe
statt von einem Deutungsmonopol seitens der zu gewinnen, Gelegenheit zur Bezugnahme auf
Lehrkraft auszugehen, muss die Deutungskraft das Lehrerverhalten zu bieten und Gesprächs-
bei der gesamten Klasse liegen (vgl. Merkelbach und ä Lernstrategien zu diskutieren.
1998, 186). Dies wird durch eine vertrauens- Schwierig bleibt die Frage der Bewertung. Da
volle Atmosphäre erleichtert, in der die Lehr- das U. in einer angstfreien, annähernd symme-
kraft nach und nach als gleichrangige Partnerin trischen Sprechsituation erfolgen soll, hemmt
angesehen wird. Der Verstehensprozess wird die Benotungsfunktion der Lehrkraft den kolla-
am besten unterstützt, wenn die Lehrkraft den borativen Lernprozess. Zudem ist das Lernziel
Lernenden im U. mit ehrlichem Erkenntnisinte- des U.s nicht primär oder notwendigerweise die
resse und interessierten Fragen begegnet. Verbesserung der fremdsprachigen Sprechkom-
Heraushalten sollte sich die Lehrkraft aus dem petenz und kann daher auch durch schweigsa-
U. nicht, denn ihr Schweigen kann verunsi- mes Mitverfolgen erreicht werden. Eine Mög-
chernd und fehlende Bestärkung demotivierend lichkeit ist, das U. alternativ in der Notenge-
wirken. Wenn alle Beteiligten die Textdeutung bung zu berücksichtigen, z. B. indem der
als gemeinsame Aufgabe sehen, sollte die Lehr- Lerntagebucheintrag, der Einsicht in die Quali-
kraft durchaus verständnisfördernde Inhalte tät der Auseinandersetzung mit dem Lernge-
teilen, um eine gemeinsame Wissensgrundlage genstand und in den Lernzuwachs erlaubt, be-
zu schaffen. Sie muss also flexibel, voraus- wertet wird.
schauend und einfühlsam sein und zwischen Lit.: S. Bittner: Das U. Formen und Verfahren des dia-
einer Außenperspektive und der Perspektive logischen Lehrens und Lernens. Bad Heilbrunn 2006.
einer Gesprächsteilnehmerin wechseln. Indem – G. Härle/M. Steinbrenner (Hg.): Kein endgültiges
die Gesprächsmoderation an die SuS weiterge- Wort. Die Wiederentdeckung des Gesprächs im Lite-
raturunterricht. Baltmannsweiler 2004. – V. Merkel-
geben wird, werden sie zur Autonomie sowie bach: Über literarische Texte sprechen. Mündliche
zur kompetenten Gesprächsführung befähigt. Kommunikation im Literaturunterricht. In: Deutsch-
Letztendlich sollten alle eine Form der Selbst- unterricht 1 (1998), 74–82. – R. Nissen: Rezeptions-
leitung ausüben, die von der Lehrkraft vorge- gespräche als Lerngespräche. Schema-Begriff und
lebt wird. kommunikatives Lernen im fremdsprachlichen Litera-
turunterricht. In: U. Multhaup/D. Wolff (Hg.): Prozeß-
Es bietet sich an, das U. in einem Sitzkreis zu orientierung in der Fremdsprachendidaktik. FfM 1992,
führen, um Nähe und Zugewandtheit zu vermit- 157–172. – C. Surkamp: Mündlichkeit im fremd-
teln und die Geselligkeit zu fördern. So können sprachlichen Literaturunterricht. Das U. revisited. In:
die Teilnehmenden Blickkontakt halten, und der E. Burwitz-Melzer/F. G. Königs/C. Riemer (Hg.): Pers-
Blick auf die Körpersprache wird freigelegt, da- pektiven der Mündlichkeit. Tüb. 2014, 224–231. RS
mit auch auf nonverbale Signale reagiert werden
kann (ä Nonverbale Kommunikation). Die Me-
361 Unterrichtsplanung

Unterrichtsinteraktion bezeichnet das, was im ergeben (vgl. ebd.). Echte (anstatt display bzw.
Unterricht zwischen den teilnehmenden Ak- didaktische) ä Fragen, inhaltliches Feedback,
teur/innen stattfindet. Dabei umfasst der Be- längere Wartezeit nach Lehrerfragen sind typi-
griff nicht nur den gesprochenen Diskurs, son- sche Merkmale für sog. meaning-and-fluency-
dern auch para- und nonverbale Phänomene Kontexte. Besonders lernförderlich sind offene
wie Intonation und Lautstärke des Gesagten, Interaktionsmuster, die SuS ermöglichen, gleich-
Blicke und Gesten (ä Nonverbale Kommunika- berechtigt an der U. teilzunehmen und das
tion). Darüber hinaus schließt U. die Interak- ä Unterrichtsgespräch aktiv mitzugestalten:
tion mit diversen didaktischen Objekten wie D. h., die Lernenden ergreifen selbst die Initia-
der ä Tafel oder dem ä Lehrwerk ein. Besonders tive zur Teilnahme, stellen Fragen und beziehen
in dieser letzten Hinsicht unterscheidet sich der sich auf die Beiträge von Mitlernenden. Im Ge-
Begriff vom oft als Synonym verwendeten Un- gensatz dazu kann in einem form-and-accu-
terrichtsdiskurs, der mehr auf Fragen der racy-Kontext das IRF-Muster völlig adäquat
Machtdarstellung, der Identitätskonstruktion sein: Entscheidend sind andere Aspekte, z. B.
(ä Identität und Identitätbildung) oder auf gen- wie die Lehrperson mit Fragen die ä Aufmerk-
derbezogene Aspekte im Klassenzimmer Bezug samkeit der SuS auf die neue Struktur richtet
nimmt (ä Genderorientierte Ansätze). und sie dabei unterstützt (ä Scaffolding), über
Das Interesse für die Analyse der U. im FU die Sprache zu reflektieren, Hypothesen aufzu-
entstand Ende der 1960er Jahre zum einen stellen und eine Regel selbst zu entdecken bzw.
dank verbesserter technischer Möglichkeiten zu formulieren. Grammatik- und Wortschatzer-
für die Aufzeichnung von Unterricht und zum klärungen sind in diesem Sinne ein kollaborati-
anderen aufgrund enttäuschender Langzeitstu- ver Prozess zwischen der Lehrperson und den
dien, die verschiedene Lehrmethoden mittels SuS, der im Rahmen der U. stattfindet. Diese
Prä- und Posttests zu vergleichen versuchten, Anpassung des Interaktionsmusters an das di-
ohne dabei signifikante Ergebnisse zu erzielen. daktische Ziel ist entscheidend für den Erfolg
Es schien daher sinnvoller zu beobachten, was (oder Misserfolg) des Unterrichts, weswegen
tatsächlich im Klassenzimmer passiert. Da die sog. classroom interactional competence
Lehr- und Lernaktivitäten im Unterricht haupt- (vgl. Walsh 2012), d. h. das bewusste Einsetzen
sächlich durch und in der Interaktion inszeniert der Lehrersprache und der Interaktion als Lehr-
werden, kann die Analyse der U. zu einem bes- und Lernwerkzeuge im Unterricht, zum Kern
seren Verständnis vom Lehren und Lernen füh- des Lehrerhandelns gehört – ein Aspekt, der
ren – eine Prämisse, die bis dato die Mehrheit bisher in der ä Lehrerbildung wenig Beachtung
der Studien zu U. leitet und die besonders für findet.
den FU gilt, in dem die mündliche ä Kommuni- Lit.: P. Seedhouse: The Interactional Architecture of
kation sowohl Mittel als auch Gegenstand des the Language Classroom. A Conversation Analysis
Lernens ist. Perspective. Malden, MA 2004. – J. Sinclair/
Besondere Aufmerksamkeit hat das von Sin- M. Coulthard: Towards an Analysis of Discourse.
The English Used by Teachers and Pupils. Ldn 1975.
clair/Coulthard (1975) identifizierte IRF-Muster – S. Walsh: Conceptualising Classroom Interactional
(Initiation: Wie spät ist es? – Response: Es ist Competence. In: Novitas-ROYAL 6/1 (2012), 1–14.
15 Uhr. – Feedback: Sehr gut!) bekommen, das MGa
die U. so prägnant auszeichnet. Sowohl im
Rahmen interaktionistischer Ansätze als auch
in der soziokulturellen Theorie zum ä Spracher- Unterrichtsplanung bezeichnet den Prozess, in
werb wird das IRF-Muster mit einer U. assozi- dem die konkreten Umstände des Unterrich-
iert, die kognitiv wenig anspruchsvoll ist und tens (z. B. Lerngruppe, räumliche Situation,
weder Raum zur Schülerinitiative noch zu mediale Ausstattung), theoretische Hinter-
Aushandlungsmöglichkeiten (und somit Lern- gründe (z. B. aktueller Stand des Fachwissens,
chancen) lässt. didaktische Ansätze, formale Vorgaben) und
Nichtsdestotrotz muss die reflexive Bezie- methodische Überlegungen analysiert und in
hung (vgl. Seedhouse 2004) zwischen didak- einen Handlungsplan mit begründeten Ziel-
tischem Fokus und U. immer berücksichtigt vorstellungen überführt werden. U. stellt einen
werden: Je nach Ziel einer Unterrichtsphase zentralen Aufgabenbereich von Lehrenden dar
können die Interaktionsmerkmale variieren, und lässt sich differenzieren in lang-, mittel-
wodurch sich verschiedene Unterrichtskontexte und kurzfristige Planung. Langfristige Planung
Unterrichtsplanung 362

(im Kontext der lehr-/lerntheoretischen Didak- entscheidende Frage, die es nach Klafki zu be-
tik auch Perspektivplanung genannt) bezieht antworten gilt, ist also, welche Bildungsgehalte
sich auf den Zeitraum von einem Schuljahr sich in potenziellen Unterrichtsinhalten verber-
oder Halbjahr. Die mittelfristige Planung (auch gen. Nicht alles, was gelehrt und gelernt werden
Umrissplanung genannt) umfasst den Zeit- kann, muss bildend sein. Vielmehr gilt es, drei
raum von wenigen Wochen und bezieht sich Kategorien zu bestimmen: das Elementare, das
auf einzelne Unterrichtseinheiten oder -reihen. Fundamentale sowie das Exemplarische eines
Die kurzfristige Planung (auch Prozesspla- Unterrichtsinhalts. »›Elementar‹ ist, was am
nung) nimmt die einzelne Unterrichtsstunde in besonderen Fall bzw. Beispiel ein dahinterlie-
den Blick. Wesentliche Bestandteile der U. sind gendes allgemeines Prinzip erfahrbar macht«
Bedingungsfeldanalyse, Sachanalyse und di- (Jank/Meyer 2011, 146). Bezogen auf SuS sol-
daktische Analyse. len elementare Unterrichtsinhalte ›fundamental‹
U. kann auf der Grundlage unterschiedlicher wirken, d. h. sie sollen grundlegende Einsichten
didaktischer Modelle vorgenommen werden. und Grunderfahrungen auf eindrucksvolle
Zu den bekanntesten gehören die bildungsthe- Weise vermitteln (›Aha-Erlebnis‹). ›Exemplari-
oretische Didaktik nach Wolfgang Klafki und sche‹ Inhalte sind sowohl in qualitativer als
ihre Weiterentwicklung zu einer kritisch-kon- auch in quantitativer Hinsicht bedeutsam. Mit
struktiven Didaktik, die lehr-/lerntheoretische ihnen lässt sich die Stofffülle des Unterrichts
Didaktik mit dem Berliner Modell nach Paul begrenzen. Wichtiger aber noch ist ihr Poten-
Heimann sowie dem Hamburger Modell nach zial, das Elementare und das Fundamentale zu
Wolfgang Schulz und die dialektisch orientierte erschließen, d. h. an einer begrenzten Zahl von
Didaktik nach Lothar Klingberg (vgl. Jank/ Beispielen verallgemeinerbare Einsichten, Fä-
Meyer 2011). Als äußerst einflussreich hat sich higkeiten und Haltungen zu erarbeiten, d. h.
das bildungstheoretisch orientierte Modell von »Wesentliches, Strukturelles, Prinzipielles, Ty-
Klafki aus den 1950er Jahren erwiesen. Auch pisches, Gesetzmäßigkeiten, übergreifende Zu-
heute werden seine Begriffe in vielen Büchern sammenhänge« (Klafki 2007, 144).
zur U. fortgeführt, ohne dass notwendigerweise Im Kern der bildungstheoretischen Didaktik
das gesamte Modell übernommen wird (vgl. steht die didaktische Analyse, die Ausgangs-
Gonschorek/Schneider 2010; Plöger 2008). und Bezugspunkt jeder U. ist. Die didaktische
Grundlage von Klafkis Überlegungen ist ein Analyse bezieht sich in erster Linie auf Unter-
Bildungsbegriff (ä Bildung), der auf die Überle- richtsinhalte, weniger auf Unterrichtsmethoden.
gungen der klassischen Bildungstheoretiker des Die Legitimation von Unterrichtsinhalten ge-
frühen 19. Jh.s (insbesondere Humboldt) zu- schieht in Klafkis Modell zunächst mithilfe von
rückgeht. Demnach zielt Bildung auf Aufklä- fünf Grundfragen (vgl. Jank/Meyer 2011, 133):
rung, Selbstbestimmung, Mündigkeit und Frei- • Gegenwartsbedeutung: Welche Bedeutung
heit. In den Bildungstheorien der Zeit wurde hat der betreffende Inhalt bereits im geisti-
zwischen ›materialer‹ und ›formaler‹ Bildung gen Leben der Kinder meiner Klasse, wel-
unterschieden. Materiale Bildung bezieht sich che Bedeutung sollte er – vom pädagogi-
auf die Objektivität der Welt und fragt nach der schen Gesichtspunkt aus gesehen – darin
Bedeutung oder Relevanz eines Objekts oder haben?
einer ›Sache‹ für die Lernenden. Formale Bil- • Zukunftsbedeutung: Worin liegt die Be-
dung fokussiert die Subjektivität des Individu- deutung des Themas für die Zukunft der
ums, geht von den (angenommenen) Bedürfnis- Kinder?
sen der Lernenden aus und stellt die Frage in • Sachstruktur: Welches ist die Struktur des
den Mittelpunkt, welche Kompetenzen und (durch die Fragen [… in die spezifisch pä-
Fähigkeiten für sie gegenwärtig wichtig sind dagogische Sicht gerückten) Inhalts?
bzw. zukünftig bedeutsam werden. Im Konzept • Exemplarische Bedeutung: Welchen allge-
der ›kategorialen Bildung‹ verschränkt Klafki meinen Sachverhalt, welches allgemeine
beide Perspektiven: Durch seine Individualität Problem erschließt der betreffende Inhalt?
hat der Mensch eine je eigene Sichtweise auf die • Zugänglichkeit: Welches sind die besonde-
Welt. Zugleich werden die Bewusstseinsinhalte ren Ereignisse, Situationen, Versuche, in
des Menschen durch die Welt hervorgebracht. oder an denen die Struktur des jeweiligen
Ein Individuum kann sich also nur bilden, wenn Inhalts den Kindern dieser Bildungsstufe,
es sich als Gegenüber der Welt begreift. Die dieser Klasse interessant, fragwürdig, be-
363 Unterrichtsplanung

Bedingungsanalyse: Analyse der konkreten, sozio-kulturell vermittelten Ausgangsbedingungen einer Lerngruppe


(Klasse), des/der Lehrenden sowie der unterrichtsrelevanten (kurzfristig änderbaren oder nicht änderbaren)
institutionellen Bedingungen, einschließlich möglicher oder wahrscheinlicher Schwierigkeiten bzw. ›Störungen‹

(Begründungs- (thematische (Bestimmung von (methodische


zusammenhang) Strukturierung) Zugangs- und Strukturierung)
Darstellungsmöglichkeiten)

1 Gegenwartsbedeutung

4 thematische Struktur 6 Zugänglichkeit bzw. 7 Lehr-Lern-


2 Zukunftsbedeutung (einschl. Teillernziele) Darstellbarkeit (u.a. Prozessstruktur
und soziale Lernziele durch bzw. in Medien) verstanden als variables
Konzept notwendiger
3 exemplarische Be- oder möglicher Orga-
deutung, ausgedrückt nisations- und Vollzugs-
in den allgemeinen formen des Lernens
Zielsetzungen der 5 Erweisbarkeit und (einschl. sukzessiver
U-Einheit, des Überprüfbarkeit Abfolgen) und entspr.
Projektes oder der Lehrhilfen, zugleich als
Lehrgangssequenz Interaktionsstruktur
und Medium sozialer
Lernprozesse

Klafkis (vorläufiges) Perspektivschema zur Unterrichtsplanung (Klafki 2007, 272)

greiflich, anschaulich, eben zugänglich Bedingungen (Ausstattung, Raumaufteilung,


werden kann? Zeitplan, pädagogisches Konzept, Störquellen)
(vgl. Gonschorek/Schneider 2010, 284 ff.).
In der Praxis findet U. häufig gedanklich bzw. Im Rahmen von U. ist häufig die Rede von
mithilfe stichwortartiger Notizen statt und einer ›didaktischen Reduktion‹. Gemeint ist
wird nur in ausgewählten Fällen in einem aus- damit der Prozess, in dem fachliche Inhalte der
formulierten Unterrichtsentwurf dokumentiert. ä Bezugswissenschaften auf ihre Relevanz für
Es kann deshalb nicht darum gehen, Klafkis den schulischen Unterricht geprüft und ggf.
Fragen schematisch abzuarbeiten und jeweils angepasst und vereinfacht werden. Dieser Be-
einzeln ausführlich und schriftlich zu beant- griff ist völlig unverträglich mit Klafkis Posi-
worten. Sie stellen vielmehr eine grundsätzliche tion, da er impliziert, dass der didaktische Kern
Strukturierungs- und Orientierungshilfe im von Unterricht und damit Ausgangspunkt jegli-
Prozess der U. dar. Auch in ausformulierten cher U. ein komplexer wissenschaftlicher Ge-
Unterrichtsentwürfen finden sich in der didak- samtzusammenhang ist, der für die Lernenden
tischen Analyse häufig Mischformen (vgl. Plö- zwar reduziert wird, in seiner fachlichen Syste-
ger 2008). matik aber grundsätzlich erhalten bleibt. Nach
Später erweitert Klafki (2007, 272; s. Abb. Klafki kommt dieser Ansatz mit materiellem
oben) sein Planungsschema um zwei weitere Bildungsdenken überein und verfehlt den
Punkte: die Frage nach der Überprüfbarkeit Grundgedanken kategorialer Bildung. Ebenso
sowie Überlegungen zur methodischen Struktu- wird in der U. die Sachanalyse häufig der di-
rierung. Ebenso stellt er dem Planungsprozess daktischen Analyse vorgelagert, obwohl der
eine Bedingungsanalyse voran, die er explizit Dreischritt ›Sachanalyse – didaktische Analyse
aus der lehrtheoretischen Didaktik übernimmt. – methodische Planung‹ nicht unumstritten ist
Zur Analyse der Lernvoraussetzungen gehören und beispielsweise von Klafki auch nicht ver-
z. B. klasseninterne Bedingungen (kulturelle treten wird. Die Sachanalyse befasst sich mit
Gegebenheiten, Atmosphäre und soziales Ge- dem Inhalt bzw. dem Gegenstand des Unter-
füge usw.), Lernvoraussetzungen (ä Heterogeni- richts und berücksichtigt damit zunächst nicht
tät, Möglichkeiten der ä Differenzierung, indi- die Frage nach deren Lehrbarkeit. Sie wird auch
viduelle Dispositionen) sowie innerschulische beschrieben als eine »fachliche Abhandlung
Unterrichtsplanung 364

Entscheidungsfelder Bedingungsfelder

1. Intentionalität 2. Thematik
5. anthropologische
Voraussetzungen

6. sozialkulturelle
Voraussetzungen
3. Methodik 4. Medien

Heimanns Berliner Modell zur Unterrichtsanalyse/-planung (in: Gonschorek/Schneider 2010, 147)

nach Art eines Lexikonartikels« (Gonschorek/ nächste Seite), die damit eine anwendungs-
Schneider 2010, 283) und ist eine wesentliche orientierte, kompakte und alltagsnahe Theorie
Grundlage für alle unterrichtsbezogenen didak- der Unterrichtsanalyse und -planung darstellt.
tischen und methodischen Entscheidungen. Die Die Hierarchie der Planungsentscheidungen der
Sachanalyse stellt sicher, dass sich die oder der bildungstheoretischen und z. T. auch noch der
Lehrende in der Sache auskennt und »die wich- kritisch-konstruktiven Didaktik wird in der
tigsten Momente und Strukturen und deren lerntheoretischen Didaktik nicht vertreten.
Beziehungen untereinander verstanden hat« Vielmehr werden die Faktoren als gleichwertig
(ebd.). Dem Anspruch der reinen Fokussierung betrachtet. Kritisch muss angemerkt werden,
auf den Gegenstand lässt sich allerdings entge- dass das Berliner Modell weitgehend inhalts-
genhalten, dass U. ein ganzheitlicher Prozess ist neutral ist. Im Prozess der konkreten U. und
und bestimmte Themen und Inhalte immer der Begründung von unterrichtsrelevanten Ent-
schon mit Blick auf ihre Nutzbarmachung im scheidungen ergänzen sich daher Klafkis und
Unterricht ausgewählt, während andere ver- Heimanns Position sehr gut.
nachlässigt werden. Sachanalyse und Fragen Die bisher genannten Aspekte der U. bezie-
der Lehrbarkeit sind also insofern miteinander hen sich auf Auswahl und Legitimation von
verknüpft, als dass aus dem überreichen Ange- Unterrichtsinhalten und sind damit weitestge-
bot an Themen, Fakten und Informationen eine hend inputorientiert. Im Zuge der gegenwärti-
unterrichtsbezogene Auswahl getroffen wird. gen Bildungsreformen (ä Standards) findet eine
Der Fokus der Sachanalyse liegt aber auf der Hinwendung zu stärkerer Output-Orientierung
fachwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit statt, welche die Lehrkräfte dazu zwingt, bereits
einem Thema. Soll im FU beispielsweise ein li- im Vorfeld Rechenschaft abzulegen, welche der
terarischer Text bearbeitet werden, kann die im Bildungsplan geforderten ä Kompetenzen
Sachanalyse Informationen zum Autor, zum der geplante Unterricht fördern will. Die For-
Genre, zur literarischen Epoche, eine literatur- mulierung von Zielvorstellungen war auch bis-
wissenschaftliche Interpretation des Textes so- her Teil jeder seriösen U. Neben der Formulie-
wie dessen sprachliche Analyse umfassen. Erst rung klassischer ä Lernziele, deren Erreichen
in einem zweiten Schritt wird das didaktische direkt beobachtbar oder abprüfbar ist, ist eine
Potenzial eines Themas/Materials begründet. Zuordnung zu den Kompetenzbereichen der
Unterrichtsvorschläge in den einschlägigen un- Bildungspläne (ä Lehrplan) nötig. Für den FU
terrichtspraktischen Zeitschriften zeigen aller- sind dies: funktionale ä kommunikative Kom-
dings, dass auch hier häufig Mischformen auf- petenzen in Form von kommunikativen ä Fer-
treten und thematische mit didaktischer Analyse tigkeiten und sprachlichen Mitteln, ä interkul-
verknüpft wird. turelle kommunikative Kompetenzen und
Die Interdependenz der verschiedenen Fakto- ä Methodenkompetenzen. Für eine U., welche
ren in der U. (Intentionalität, Thematik, ä Me- die Kompetenzorientierung von Beginn an in
thodik und Medienwahl) wird insbesondere in den Mittelpunkt stellt, schlagen Heißler/Hiebl
der lerntheoretischen Didaktik betont (s. Abb. (2016) die Nutzung von Matrizen vor, welche
365 Verbände

die Komplexität eines kompetenzorientierten


Unterrichts abbilden, Wissens- und Handlungs-
dimensionen umfassen und flexibel gegenüber
V
notwendigen Modifizierungen von Planungen
sind. Da der kompetenzorientierte Unterricht Verarbeitungstiefe ä Kognitivierung, ä Wort-
regelmäßig Kritik hinsichtlich seiner Leistungs- schatz und Wortschatzvermittlung
fähigkeit erfährt (vgl. z. B. Klein 2016), bleibt
abzuwarten, ob sich eine rein kompetenzorien-
tierte U. durchsetzen wird. Verbände. Im Bereich des Lehrens und Lernens
Lit.: G. Gonschorek/S. Schneider: Einführung in die von Fremdsprachen sind V. (es finden sich u. a.
Schulpädagogik und die U. Donauwörth 72010 auch die Bezeichnungen Verein, Vereinigung,
[2007. – J. Heißler/P. Hiebl: Kompetenzorientierte U. Gesellschaft) freiwillige Zusammenschlüsse
Vom Stoffverteilungsplan zur flexiblen Kompetenz- nach BGB (§§ 21 ff.) u. a. von Lehrer/innen,
matrix. Köln 2016. – W. Jank/H. Meyer: Didaktische
Modelle. Bln 102011 [1994. – W. Klafki: Neue Studien Forscher/innen oder Institutionen mit gemein-
zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemäße Allge- samen Interessen. Diese versuchen sie durch
meinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik. ihre institutionalisierte Vereinigung und die
Weinheim 62007 [1985. – H. P. Klein: Vom Streifen- damit verbundene Formulierung gemeinsam
hörnchen zum Nadelstreifen. Das deutsche Bildungs- verfolgter Ziele zu bündeln. Über die so auch
wesen im Kompetenztaumel. Springe 2016. – W. Plö-
ger: U. Ein Lehr- und Arbeitsbuch für Studium und
nach außen hin sichtbare Gemeinschaft soll
Seminar. Köln 2008. BV u. a. die bildungspolitische und öffentliche
Wahrnehmung der vertretenen Interessen und
Ziele gesteigert werden. In der Folge, so die
Unterrichtsreihe ä Unterrichtsplanung Hoffnung, können Anliegen effektiver vorge-
bracht und kann Forderungen mehr Nachdruck
verliehen werden, so dass die Wahrscheinlich-
keit einer entsprechenden Berücksichtigung in
sprach- und bildungs- bzw. forschungspoliti-
schen Entscheidungsprozessen wächst (vgl.
Berthelmann/Quetz 2016).
Die im Bereich der ä Fremdsprachendidaktik
tätigen V. können im Wesentlichen in drei große
Gruppen unterteilt werden. Zum einen sind
dies die nationalen und internationalen sprach-
spezifischen bzw. sprachübergreifenden Verei-
nigungen der Lehrpersonen. Die wichtigsten
deutschen sprachspezifischen Lehrerverbände
haben sich im GMF als einem sprachenüber-
greifenden Verband zusammengeschlossen, der
wiederum Mitglied der ältesten internationalen
und zugleich gut vernetzten und anerkannten
Fédération Internationale des Professeurs de
Langues Vivantes (FIPLV) ist. Zum GMF gehö-
ren die mit über 2400 bzw. 2200 Mitgliedern
vergleichsweise großen Spanisch- bzw. Franzö-
sischlehrerverbände (DSV und VdF; ä Spanisch,
ä Französisch) ebenso wie der kleine Verband
»ä Russisch und Mehrsprachigkeit« (31 Mit-
glieder). Weitere durch eigene V. im GMF ver-
tretene Sprachen sind (nach Mitgliederzahlen
geordnet): ä Deutsch als Fremd- bzw. Zweit-
sprache (FaDaF), Chinesisch, Niederländisch,
ä Englisch, Polnisch, Italienisch. Insgesamt ge-
hört diesen Verbänden jedoch mit knapp über
7000 Personen nur ein sehr kleiner Teil der

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_22, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
Verbände 366

Fremdsprachenlehrer/innen in Deutschland an. Forscher/innen im Bereich Sprachtesten sowie


Selbst die beiden größten V. können angesichts die Test- und Zertifizierungsanbieter zusam-
der Zahlenverhältnisse kaum für sich in An- mengeschlossen (EALTA; ä Tests, ä Zertifikate).
spruch nehmen, für alle Lehrer/innen der von Ihre Zwecke verfolgen V. im Bereich des Leh-
ihnen vertretenen Sprachen zu sprechen. Der rens und Lernens von Fremdsprachen durch
Anteil gewerkschaftlich organisierter Fremd- verschiedene Aktivitäten, die im konkreten Fall
sprachenlehrer/innen dürfte –  auch wenn sich jeweils in ganz unterschiedlichem Umfang er-
diese Vermutung nicht auf gesicherte Zahlen folgen. Abstrahierend von konkreten V.n lassen
stützen kann – höher ausfallen. Denn während sich folgende Tätigkeitsbereiche herausarbeiten
Gewerkschaften für sozial- und beschäftigungs- (vgl. Lamb et al. 2016): Neben der institutiona-
rechtliche Fragen der Ansprechpartner sind, lisierten und organisatorisch gestützten Vernet-
haben Lehrerverbände sprach- und bildungs- zung von Personen und Institutionen gleicher
politische Ziele, die sie in entsprechenden Gre- Interessen und Ziele kann die Bereitstellung
mien und Institutionen umzusetzen versuchen. von Informationen für die Verbandsmitglieder
Über die Gründe für den geringen Organisa- als die herausragende Aktivität der Fachver-
tionsgrad lässt sich nur spekulieren. Möglicher- bände gelten. Während dies zuvor hauptsäch-
weise bestehen z. B. für Englischlehrer/innen lich durch Printpublikationen erfolgte, wird
auch jenseits von Verbandsstrukturen und -leis- heute der Großteil der aktuellen Informationen
tungen ausreichend Informations- und Aus- über eigene Internet-Auftritte und digitale
tauschmöglichkeiten. Demgegenüber werden Rundbriefe verbreitet. Trotz der wachsenden
für kleinere Sprachen entsprechende Angebote Bedeutung des Internets haben die Verbands-
z. B. von Verlagen, wenn überhaupt, nur in ge- zeitschriften für die herausgebenden Vereine an
ringem Umfang gemacht. Zugleich besteht für Bedeutung kaum verloren. Sie binden zum ei-
die weniger häufig gelernten bzw. in ihrer Be- nen Mitglieder, zum anderen ist der für Mitglie-
deutung für ä Mehrsprachigkeit weniger offen- der reduzierte Bezugspreis ein Anreiz bei der
sichtlichen Sprachen, anders als für Englisch, Anwerbung neuer Mitglieder. Umfang, The-
die Notwendigkeit, sich z. B. in bildungs- und menspektrum und der Anspruch an Wissen-
schul(sprachen)politische Debatten einzubrin- schaftlichkeit bzw. Praxisorientierung fallen
gen, um u. a. für sich im Rahmen der Curricula nicht nur zwischen den ä Zeitschriften der Leh-
zu werben. rer- bzw. Forscherverbände sehr unterschiedlich
Als zweite Gruppe lassen sich die V. ausma- aus, sondern auch bei den Publikationen der
chen, die auf nationaler und internationaler Lehrerverbände lässt sich eine große Varianz
Ebene zumeist sprachenübergreifend Forscher/- feststellen.
innen (und nur in geringerer Zahl Lehrer/in- Die Publikationen der V. dienen jedoch nicht
nen) aus dem Bereich des Lehrens und Lernens nur der Kommunikation nach innen, sondern
von Fremd- und Zweitsprachen zusammen- sind gerade auch für die Außenwirkung von
bringen. Hierzu gehören in Deutschland an Bedeutung. Nach der verbandsinternen Mei-
erster Stelle die Deutsche Gesellschaft für nungsbildung geht es darum, die vom Verband
Fremdsprachenforschung (DGFF) und die Ge- vertretenen sprach- und bildungspolitischen
sellschaft für Angewandte Linguistik (GAL). Positionen z. B. in Form von Stellungnahmen zu
Während die GAL der Association Internatio- Einzelthemen möglichst wirksam nach außen
nale de Linguistique Appliquée (AILA) ange- zu kommunizieren. Zugleich greifen V. für die
hört, versucht die DGFF ihren Einfluss z. B. auf Kommunikation nach außen und zur Interes-
bildungspolitischer Ebene und bei der For- senvertretung in Ministerien und anderen Insti-
schungsförderung durch die Mitgliedschaft in tutionen im Bereich des Lehrens und Lernens
der Gesellschaft für Fachdidaktik zu erhöhen. von Sprachen (einschließlich ihrer Erforschung)
Sie bemüht sich zugleich international um bi- auf klassische Wege der Lobby-Arbeit zurück
und multilaterale Kooperationen (z. B. mit der (persönliches Gespräch, direktes Anschreiben
ÖGSD und der ADLES). In der Gruppe der ins- von Entscheidungsträgern und Multiplikatoren
titutionellen Zusammenschlüsse sei auf den usw.). Auf diese Weise können V. es erreichen,
Arbeitskreis der Sprachenzentren (AKS) ver- z. B. in Anhörungsprozesse der Kultusminister-
wiesen, der Mitglied im europäischen Verband konferenz (KMK) oder der für Bildungsfragen
der Hochschulsprachenzentren ist (CercleS). zuständigen Länderparlamente zu Bildungs-
Direkt auf europäischer Ebene haben sich die standards (ä Standards) oder Fragen der Fremd-
367 Vergleichsarbeiten

sprachenlehrerbildung (ä Lehrerbildung) einbe- richts im Spiegelbild des Fachverbands der Fremd-


zogen zu werden. Gerade die sprachspezifi- sprachenlehrer. 1880–1980. In: Neusprachliche Mit-
teilungen 33/1 (1980), 2–17. LS
schen Lehrerverbände kooperieren dabei und
in der Werbung für die von ihnen vertretenen
Sprachen und Kulturen mehr oder weniger eng Vergleichsarbeiten sind Lernstandserhebungen,
mit Kultureinrichtungen und Botschaften der bei denen anhand standardisierter Testaufgaben
Partnerländer. (ä Tests) ermittelt wird, welches Kompetenz-
Der Vernetzung, Fortbildung und auch der niveau (ä Kompetenz) in einer Lerngruppe zu
Öffentlichkeitsarbeit dienen die in regelmäßi- einem bestimmten Zeitpunkt vorliegt, so dass
gen Abständen organisierten Tagungen, Kon- eine Vergleichbarkeit der Lernstände möglich
gresse und Mitgliederversammlungen. Sie wer- wird. V. sind an den Bildungsstandards orien-
den in vielen Satzungen der V. als herausragen- tiert und werden deshalb auch Kompetenztests
des Mittel zum Erreichen der Verbandsziele genannt. Die eingesetzten Aufgaben bilden ein
genannt und sind häufig der Moment, zu dem möglichst breites Spektrum an ä Standards und
ein Großteil der sonst einzeln agierenden Mit- Niveaustufen ab. Nur so kann ermittelt wer-
glieder zusammenkommt, um Erfahrungen den, wie hoch der Anteil der SuS mit Sprach-
auszutauschen, Erreichtes zu bewerten und kenntnissen oberhalb, auf oder unter dem für
neue Ziele zu formulieren. Bei den Forscher- ihren Bildungsgang vorgegebenem Niveau ist.
verbänden kommt der Förderung des wissen- Die Vergleichsergebnisse können für die Ein-
schaftlichen Nachwuchses z. B. durch for- schätzung der Lernstände einer Lerngruppe, ei-
schungsmethodische Sommerschulen eine be- nes Jahrgangs oder einer bestimmten Schule im
sondere Bedeutung zu, da diese in den Vergleich zu anderen Lerngruppen, Jahrgängen,
Hochschulen aufgrund fehlender Mittel und Schulen oder dem durchschnittlichen Landeser-
Strukturen häufig unbefriedigend ist. gebnis genutzt werden. Zudem ermöglichen sie
Die Arbeit der meisten V. wird allein durch einen Ländervergleich. Ziel der V. ist es, einen
ehrenamtlich tätige Mitglieder geleistet und Beitrag zur Unterrichtsentwicklung und Ver-
hängt entsprechend stark vom Engagement der besserung der Lernbedingungen zu leisten, nicht
Einzelnen ab. Sie stößt daher bisweilen an die Bewertung einzelner SuS. Deshalb sollte das
Grenzen der Machbarkeit. Hier stehen V.n, die Testergebnis auch nicht bei der Benotung oder
aufgrund ihrer Finanzen z. B. auf eine haupt- gar bei der Prognose des Schulerfolgs an wei-
amtlich geführte Geschäftsstelle zurückgreifen terführenden Schulen berücksichtigt werden.
können, andere Möglichkeiten zur Verfügung. Denn individuelle Schülerleistungen können
Die Geschichte und Wirkung der V. im Be- nicht verlässlich beurteilt werden, da es sich bei
reich der Fremdsprachendidaktik bleibt noch dem Ergebnis um eine Momentaufnahme han-
zu schreiben. Bislang erfolgt die Darstellung delt.
allein auf der Grundlage von Selbstdarstellun- Anders verhält sich das mit ä Klassenarbei-
gen der V. und nicht selten auch aus einer teil- ten, die schulintern innerhalb eines gesamten
weise autobiographischen Perspektive (vgl. Jahrgangs eingesetzt werden, um die Leistun-
Hagge 2003; Zapp 1980). Eine distanzierte und gen einzelner Lerngruppen miteinander verglei-
entsprechend kritische, auf Quellen basierte chen zu können. Diese werden in der Praxis oft
Aufarbeitung der fremdsprachendidaktischen auch als V. bezeichnet. Im Gegensatz zu zentra-
V., ihrer Geschichte und Wirkungen auf bil- len V. überprüfen sie jedoch die Kompetenzen,
dungspolitische Entscheidungen und die me- die während einer bestimmten Einheit gezielt
thodische Gestaltung von Unterricht liegt bis- entwickelt wurden und nicht den allgemeinen
lang nicht vor und wäre ein Desiderat der For- Lernstand zu einem bestimmten Zeitpunkt der
schung. schulischen Laufbahn. Die Absprachen zur
Lit.: R. Berthelmann/J. Quetz: Fachverbände. In: E. Aufgabengestaltung müssen bei diesen Arbei-
Burwitz-Melzer et al. (Hg.): Handbuch FU. Tüb. ten so langfristig getroffen werden, dass im
6
2016 [1989, 651–654. – H. P. Hagge: Fachverbände Unterricht eine entsprechende Vorbereitung der
von Fremdsprachenlehrern. In: K.-R. Bausch et al. SuS auf die Inhalte möglich ist. Einige Bundes-
(Hg.): Handbuch FU. Tüb./Basel 42003 [1989, 589– länder und Schulbuchverlage bieten auch Test-
593. – T. Lamb et al.: Voneinander lernen. Ein Hand-
buch für Sprachlehrerverbände. Graz 2016 (http:// aufgaben an, die eine Lernstandserhebung zu
lacs.ecml.at/Portals/23/Documents/LACS-DE.pdf). – Beginn der Sekundarstufe I ermöglichen, damit
F.-J. Zapp: Geschichte des neusprachlichen Unter- der weitere Unterricht ausgehend von der Lern-
Vergleichsarbeiten 368

ausgangslage geplant werden kann. Diese Test- unterschiedliche Leistungen erbracht werden.
instrumente sind auch wichtig, da sie die Diag- Dabei sollten z. B. die Klassenzusammensetzun-
nosekompetenz der Lehrer/innen fördern gen und die Schwerpunktsetzungen bei der
(ä Leistungsermittlung). Unterrichtsgestaltung berücksichtigt werden.
Die zentralen, bundesweit einheitlichen V. Wichtig ist, dass an den Schulen transparent
VERA-6 und VERA-8 wurden nach der Imple- und nachvollziehbar ist, wie die Testergebnisse
mentierung der Bildungsstandards für die erste nicht nur für die Ableitung von Fördermaßnah-
Fremdsprache Englisch/Französisch für den men (ä Förderunterricht) oder Konzepten für
Mittleren Schulabschluss (2003) und den die Unterrichtsentwicklung, sondern auch für
Hauptschulabschluss (2004) entsprechend der eine pädagogische Intervention oder eine ge-
Gesamtstrategie zum Bildungsmonitoring der zielte Verbesserung der Lernbedingungen für
Kultusministerkonferenz (KMK) von 2005 ein- die Lerngruppen oder Schulstandorte genutzt
geführt, um überprüfen zu können, inwiefern werden. Ein Ranking von Schulen auf Grund-
die Bildungsstandards erreicht werden. VERA-6 lage der Testergebnisse ist nicht intendiert. Des-
wird im zweiten Halbjahr der 6. Klasse in halb sind die Schulen auch nicht zur Veröffent-
Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Schles- lichung der Ergebnisse verpflichtet.
wig-Holstein, Thüringen und auch in der Pro- Damit die Testergebnisse aussagekräftig sind,
vinz Bozen (Südtirol) eigesetzt. Die Aufgaben- müssen verlässliche und trennscharfe Aufgaben
entwicklung für das Fach Englisch wird am eingesetzt werden. Aus diesem Grund konzent-
Institut für Qualitätsentwicklung Mecklen- rieren sich die Tests in der Regel auf die Kom-
burg-Vorpommern koordiniert. VERA-8 wird petenzbereiche ä Hör- und ä Leseverstehen, die
im zweiten Halbjahr der 8. Klasse bundesweit mit halboffenen (z. B. Fragen mit Kurzantwor-
eingesetzt. Die Testung wird jedoch z. T. nur in ten, Tabellen/Notizen zum Vervollständigen)
einem der Hauptfächer verbindlich durchge- oder geschlossenen Aufgabenformaten (z. B.
führt. Die Aufgaben für die Fächer Englisch Multiple-Matching, Multiple-Choice, True-
und Französisch als erste Fremdsprache werden False) überprüft werden können. Dabei über-
im Auftrag der KMK am Institut für Qualitäts- prüfen die einzelnen Items (Teilaufgaben) je-
entwicklung im Bildungswesen der Humboldt weils das Entnehmen spezifischer Informatio-
Universität Berlin (IQB) von einem länderüber- nen oder relevanter Details, das Erfassen von
greifenden Team entwickelt. (Beispielaufgaben Hauptaussagen oder das Inferieren impliziter
mit didaktischer Kommentierung sind unter Informationen der Textvorlagen. Damit die
https://www.iqb.hu-berlin.de/vera/aufgaben zu einzelnen Items einem Niveau des ä Gemeinsa-
finden.) men europäischen Referenzrahmens (GeR) zu-
Diese zentralen V. werden an den Schulen gewiesen werden können, musste ein Standard-
von den unterrichtenden Lehrkräften korri- setting durchgeführt werden, ein Verfahren, bei
giert. Die Ergebnisse werden auf einem Server dem Experten Items auch unter Berücksichti-
der Landesinstitute eingegeben. Nach der Aus- gung empirischer Testergebnisse den Niveau-
wertung der Daten werden Rückmeldungen stufen des GeRs zuordnen. Mit Hilfe der Auf-
gegeben, die folgende Vergleiche ermöglichen: gaben dieses Standard-settings werden alle am
Der Lernstand einer einzelnen Schülerin oder IQB neu entwickelten Aufgaben kalibriert.
eines einzelnen Schülers kann beispielsweise im Nach einer ersten Aufgabenerprobung (Pilotie-
Verhältnis zur Lerngruppe betrachtet werden, rung) werden die Aufgaben mehrfach überar-
der Lernstand einer Lerngruppe im Verhältnis beitet und anhand der empirischen Daten ska-
zu anderen Lerngruppen der eigenen Schule liert (d. h. dem Niveau der Bildungsstandards
und der Lernstand eines Jahrgangs einer Schule zugeordnet), bevor sie in der Testung eingesetzt
im Verhältnis zu dem anderer Schulen mit ver- werden (dieses Verfahren wird in Harsch et al.
gleichbaren Bedingungen oder den durch- 2010 beschrieben).
schnittlichen Landesergebnissen. Die schulin- Neben VERA hat die KMK einen Länderver-
ternen Daten werden sofort nach der Eingabe gleich eingeführt, bei dem überprüft wird, in-
ausgewertet, die schulübergreifenden wenige wieweit SuS der einzelnen Bundesländer die
Wochen später. Sie liefern eine Grundlage für verbindlich gesetzten Bildungsstandards errei-
einen kollegialen Austausch, bei dem gemein- chen. Ziel ist hier nicht eine Verbesserung der
sam überlegt wird, warum in einzelnen Kompe- Unterrichtsqualität und -bedingungen an be-
tenzbereichen in verschiedenen Lerngruppen stimmten Schulen, sondern eine allgemeinere
369 Verstehen

Systemsteuerung. Auch für den Ländervergleich ist insofern bedeutsam für das Lehren und Ler-
werden die Aufgaben am IQB entwickelt (vgl. nen fremder Sprachen, als er Konsequenzen
Rupp et al. 2008 zum Aufgabenentwicklungs- sowohl für die ä Sprachdidaktik als auch für
prozess am IQB). Die Testung wird im Fach die ä Literatur-, ä Film- und ä Kulturdidaktik
Englisch seit 2008 alle 6 Jahre in 9. Klassen al- nach sich zieht.
ler Länder der BRD durchgeführt. Die statisti- So gilt z. B. für das ä Hör- und ä Lese-V. im
sche Auswertung der Daten dauert ein Jahr und FU, dass sie nur durch das Wechselspiel von
ermöglicht durch den Vergleich der Ergebnisse Teil und Ganzem zustande kommen. Der her-
unterschiedlicher Jahre die Analyse von Ent- meneutische Zirkel macht deutlich, dass wir
wicklungstrends. ein einzelnes Wort nicht aus sich selbst, son-
V. sind ein essenzielles Diagnoseinstrument. dern erst im Vorgriff auf das Verständnis des
Sie sollten aber nicht zu einem teaching to the ganzen Textes verstehen können. Darüber
test führen, bei dem die Unterrichtsinhalte hinaus muss eine weitere Wechselwirkung ins
nicht an lebensweltlichen Aufgaben und Stan- Spiel kommen, nämlich die zwischen dem
dards, sondern Testformaten orientiert werden. ä Vorwissen des Hörers und Lesers auf der ei-
Zwar sollten die SuS mit den Anforderungen nen und der mündlichen oder schriftlichen
und Testformaten vertraut gemacht werden, Äußerung auf der anderen Seite. Der Verste-
aber dabei sollte nicht außer Acht gelassen wer- hende muss sein sprachliches und lebensweltli-
den, dass Testaufgaben grundsätzlich keine ches Vorwissen aktivieren, um Erwartungen
Lernaufgaben sind, da es ihnen an Komplexität aufbauen und Deutungshypothesen entwickeln
und Offenheit fehlt, die Voraussetzungen für zu können. Die kognitive Psychologie spricht
eine umfassende Kompetenzentwicklung sind in diesem Zusammenhang von bottom-up- und
(ä Aufgabenorientiertes Lernen). top-down-Prozessen. Bei ersteren geht man
Lit.: C. Harsch/H. A. Pant/O. Köller (Hg.): Calibrating von den einzelnen sprachlichen Hinweisen der
Standards-based Assessment Tasks for English as a Äußerung aus, während bei letzteren das Vor-
First Foreign Language. Münster et al. 2010. – KMK wissen und die Erwartungen des Hörers oder
(Hg.): Gesamtstrategie der Kultusministerkonferenz Lesers im Vordergrund stehen. Im FU kommt
zum Bildungsmonitoring 2015. http://www.kmk.org/
fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/ es leicht zu Störungen zwischen diesen beiden,
2015/2015_06_11-Gesamtstrategie-Bildungsmonito aufeinander angewiesenen Prozessen, weil die
ring.pdf – IQB (Hg.): VERA – ein Überblick. https:// Lernenden den bottom-up-Prozessen, die in
www.iqb.hu-berlin.de/vera – A. A. Rupp/M. Vock/ der Muttersprache weitgehend automatisiert
C. Harsch/O. Köller (Hg.): Developing Standards- ablaufen, besondere ä Aufmerksamkeit entge-
based Assessment Tasks for English as a First Foreign
Language. Münster et al. 2008. DN
genbringen müssen. Das führt dazu, dass ihr
sprachliches und lebensweltliches Vorwissen
aus dem Blick gerät. Indem sich die Lernenden
Verstehen bedeutet, dass wir Sinnhaftes erfas- verstärkt den sprachlichen Phänomenen zu-
sen. Dieses ist jedoch nicht unmittelbar gege- wenden, kommen sie leicht zu der falschen
ben, sondern immer über Sinnliches bzw. über Auffassung, dass V. ein linearer Prozess vom
Medien – wie Sprache, Bilder oder Musik – ver- Einzelnen zum Ganzen ist, so dass sich, wenn
mittelt. Dabei sind die jeweiligen Medien nicht sie alle sprachlichen Einzelheiten geklärt ha-
›Behälter‹ für den Sinn, sondern prägen ihn ben, das V. von selbst ergibt. V. ist jedoch ein
wesentlich mit. Darüber hinaus wird der Sinn dialogischer Prozess, in dem das Einbringen
eines Textes, Bildes oder Musikstückes dem des Vorwissens und der Vorgriff auf das Ganze
Medium nicht einfach entnommen, sondern er eine konstitutive Rolle spielen.
entsteht erst unter der Mitwirkung des Rezipi- Wie komplex der Vorgang des V.s ist, wird
enten bzw. der Rezipientin: Der Vorgang des beim Hör-V. in der Fremdsprache besonders
V.s beruht auf einer Interaktion zwischen Text deutlich. Die Lernenden müssen die Fähigkeit
und Rezipient/in, bei der der Rezipient bzw. die erwerben, zwischen bestimmten Lauten zu un-
Rezipientin als tätiges, denkendes und fühlen- terscheiden, Worte voneinander abzugrenzen,
des Subjekt angesprochen wird und bei der In- die im Kontext veränderte Aussprache von
terpretation der übermittelten textuellen oder Worten zu erkennen usw. Diese Konzentration
medialen Signale auf sein bzw. ihr Weltwissen auf die Sprache lässt ferner den Eindruck ent-
und seine bzw. ihre individuellen Erfahrungen stehen, dass es bei Äußerungen im FU nicht um
zurückgreift. Dieser hermeneutische V.sbegriff das V. ihres konkreten Inhalts geht, sondern
Verstehen 370

dass sie bereits als verstanden gelten, wenn voraussetzt, über das die Lernenden aufgrund
Probleme der Wortbedeutung, der Syntax, der ihrer Sozialisation nicht verfügen. Damit wird
ä Aussprache oder der ä Orthographie geklärt deutlich, dass zum Fremdsprachenlernen das
sind. Der Inhalt erscheint als Material für den ä interkulturelle Lernen gehört, das im V. ausge-
Spracherwerb; Zweck und Mittel haben sich bildet wird und das von Fremdsprachenlernen-
vertauscht. Das ist in bestimmten Fällen legi- den eine erhöhte Sensibilität verlangt (ä Fremd-
tim, aber es fördert nicht die V.sfähigkeit. Für verstehen). Das Fremde kann dabei in zwei un-
ihre Entwicklung in der Fremdsprache ist ge- terscheidbaren Formen erscheinen: (1) Es ist
rade wichtig, dass die Lernenden verstärkt ihr das Unverständliche. V. bedeutet dann, das Un-
sprachliches und lebensweltliches Vorwissen verständliche verständlich zu machen, ohne
heranziehen, um in top-down-Prozessen Schwä- dass es dadurch zum Selbstverständlichen wird;
chen bei den bottom-up-Prozessen kompensie- (2) die Begegnung mit dem Fremden wird zur
ren zu können. Herausforderung für das Eigene und verhin-
Die V.sfähigkeit darf beim Fremdsprachen- dert, dass es sich absolut setzt. Im Prozess des
lernen auch deshalb nicht in den Hintergrund V.s verschiebt sich die Grenze zwischen Eige-
treten, weil es ein zentrales Ziel des fremd- nem und Fremden, wobei es auch möglich ist,
sprachlichen Literatur- und Filmunterrichts ist, das Fremde im Eigenen und das Eigene im
die ä literarische Kompetenz bzw. die ä Film- Fremden zu erkennen. Für unsere Orientierung
kompetenz der Lernenden zu entwickeln, so in der Welt ist es unverzichtbar, dass wir den
dass sie befähigt werden, an relevanten Ausein- Sinn der Äußerungen anderer wie auch unserer
andersetzungen in der fremden Kultur teilzu- eigenen verstehen. Auch aus diesem Grund darf
nehmen. Beim V. von Texten eröffnen sich zwei sich die ä Fremdsprachendidaktik nicht auf die
grundsätzlich unterschiedliche Perspektiven: einzelnen sprachlichen Phänomene beschrän-
Man kann den Blick auf das jeweilige Medium ken, sondern muss das V. des Sinns von Äuße-
als System richten oder auf die Interaktion zwi- rungen im Blick behalten.
schen den übermittelten Signalen und dem Re- Lit.: M. M. Bachtin: Art and Answerability. Baltimore
zipienten bzw. der Rezipientin. Wenn z. B. beim 1990. – L. Bredella: Das V. des Anderen. Kulturwis-
literarischen V. die Aufmerksamkeit auf die sti- senschaftliche und literaturdidaktische Studien. Tüb.
listischen und strukturellen Merkmale einer 2010. – G. Figal: Der Sinn des V.s. Stgt 1996. LB
Gattung oder aber auf die Interaktion zwischen
Text und Leser/in gelenkt wird, kommt es zu
jeweils unterschiedlichen Auffassungen von li- Visual Literacy ä Visuelle Kompetenz
terarischer Kompetenz. Im ersten Fall nimmt
der Rezipient eine distanziert objektivierende
Einstellung ein; im zweiten Fall ist er involviert. Visual Organizer ä Scaffolding
Der Text ist dann eine Partitur, die ihn zum
Mitspielen anregt. Ästhetisches V. besteht nach
Günter Figal (1996, 12) nicht im Betrachten Visualisierung. Im Kontext des FUs handelt es
des Kunstwerks, »sondern in der Aufführung sich bei V.en zum einen um eine Lehr- und
des Lesens, des Spielens und Hörens, des sich Lernmethode, zum anderen um Unterrichtsme-
mitnehmen lassenden Betrachtens«. Der Rezi- dien mit visuellen Eigenschaften. Als V.sformen
pient ist aber nicht nur Mitspieler, sondern des FUs im Sinne von Unterrichtsmedien sind
antwortet auch auf das, was er beim Mitspielen die folgenden Bildgattungen (jeweils mit ihrem
entstehen lässt (vgl. Bachtin 1990, 1; zu der zentralen Merkmal) zu nennen: die Collage
sich daraus ergebenden Auffassung von literari- (Fragmentierung), der Comic (narrative Bilder-
scher Kompetenz vgl. Bredella 2010, 52 f.). folge, zumeist mit Sprechblasen), das Compu-
Auch für das literarische V. ist somit der dialo- terbild (Digitalität), das darstellende Spiel (Be-
gische Charakter konstitutiv. wegung), der Film (Bewegung, medial vermit-
Indem das V. den Blick auf die wechselseitige telt, immer gleichförmig reproduzierbar), die
Beziehung zwischen Vorverständnis und Äuße- Fotografie (scheinbarer Abbildcharakter), das
rung lenkt, tritt eine weitere Dimension des Gemälde (Flächengestaltung durch Farbe), die
Fremdsprachenlehrens und -lernens hervor. Es Grafik (Flächengestaltung durch Linie), die
kommt leicht zu Missverständnissen, wenn die Karikatur (Übertreibung), die Karte (Raum-
Äußerung einer fremden Person ein Vorwissen struktur), die Skulptur (Dreidimensionalität)
371 Visuelle Kompetenz

und die Vorstellung (nicht materiell). Diese der V. als Methode fallen visuelle ä Lernstrate-
Gattungen lassen sich kategorisieren in Abbil- gien wie das Unterstreichen und Markieren
dungen, logische Bilder und visuelle Analogien. von Textteilen bei der Textarbeit, das Anlegen
Eine Abbildung zeichnet sich dadurch aus, dass logischer Bilder für die Wissensorganisation,
die zentralen Merkmale von Darstellung und das Generieren mentaler Modelle (d. h. bildli-
Dargestelltem übereinstimmen (wie z. B. bei cher und struktureller Vorstellungen) für das
Porträtfotos). Ein logisches Bild ist die räumli- Verständnis neuer Informationen sowie die
che, in der Regel nicht gegenständliche V. von bewusste Konsultation von Illustrationen
Zusammenhängen auf der Basis von Darstel- durch die SuS – etwa die gezielte Verwendung
lungskonventionen (z. B. Diagramme, wie sie von Diagrammen, die Textinhalte zusammen-
häufig im ä bilingualen Unterricht zum Einsatz fassen, den Lernenden einen Überblick über im
kommen). Die visuelle Analogie schließlich ist Text beschriebene Relationen geben und das
ein Modell, das einen neuen Sachverhalt mit Leseverstehen erleichtern bzw. eine Möglich-
Hilfe bekannter Elemente bildlich darstellt (z. B. keit zur autonomen Kontrolle des Lesever-
ein Planetensystem aus großen und kleinen ständnisses ermöglichen. Der V.sbegriff fällt
Bällen). V.en können sowohl grafisch-visuell, zudem häufig im Kontext der Gestaltung von
also rein bildlich sein, als auch verbal-visuell, Präsentationen (vgl. Franck/Stary 2006), denen
also auch Sprachelemente enthalten. Die in den Curricula zunehmend größere Bedeu-
ä Fremdsprachendidaktik unterscheidet ferner tung eingeräumt wird.
zwischen authentischen V.en (nicht speziell zu Lit.: L. Brüning/T. Saum: Erfolgreich unterrichten
Lernzwecken geschaffen) und didaktisierten durch Visualisieren. Die Kraft von Concept Maps &
V.en (deutlich erkennbar zu Lernzwecken ge- Co. Essen 2017. – N. Franck/J. Stary: Gekonnt visua-
schaffen). Für den Literaturunterricht werden lisieren. Paderborn 2006. – G.  Lieber (Hg.): Lehren
und Lernen mit Bildern. Ein Handbuch zur Bilddidak-
V.en zudem getrennt in mediuminterne Bilder tik. Baltmannsweiler 2008. CaH
(es existiert ein direkter inhaltlicher Bezug von
Bild und Text) und mediumexterne Bilder (der
Bezug von Bild und Text muss von den Betrach- Visuelle Kompetenz ist die deutsche Entspre-
tenden bzw. Lesenden hergestellt werden). Die chung des bildwissenschaftlichen englischen
Wirkungsweise der verschiedenen V.stypen va- Konzepts visual literacy und der Bildkompetenz
riiert in Abhängigkeit von den Eigenschaften aus Kunstunterricht und Kunstpädagogik. V. K.
(Sehgewohnheiten, Lernstilen) der einzelnen vereinigt im Sinne der Kompetenzdefinition
SuS (ä Lernertypen). Bedingt durch diesen Um- (ä Kompetenz) erlernte prozedurale Fähigkeiten
stand sowie durch die Tatsache, dass unter- und erworbenes deklaratives ä Wissen. Zu den
schiedliche Bildtypen per se verschiedene Funk- prozeduralen Fähigkeiten zählen die Beherr-
tionen ausüben (ä Bilder), eignen sich die ein- schung von Methoden der Bildrezeption und
zelnen V.stypen zu verschiedenen Zwecken im Bildproduktion: Bei der Bildrezeption muss ein
FU. Die Darbietung von V.en im Unterricht Bildsinn konstituiert werden, der sich mit den
wird durch Träger- und Präsentationsmedien formalen Eigenschaften des Bildes und seinen
wie Beamer und Leinwand, Flip-Charts, Moni- Kontextbezügen begründen lässt. Bei der Deu-
tore, Overhead-Projektoren, ä Poster, ä Tafeln tung sind Bildwirkungen und Bildbotschaften
oder Whiteboards ermöglicht. unter Berücksichtigung fremder Visualisie-
Die V. als Methode bezeichnet die Verwen- rungsgewohnheiten kritisch zu hinterfragen.
dung von Bildern für das Erreichen der ä Lern- Die Erzeugung mentaler Bilder trägt zudem zur
ziele des FUs. Zu den Bildfunktionen zählen geistigen Organisation der Bildinformationen
die grammatisierende Funktion, die interkultu- bei. Für die erfolgreiche Bildproduktion wiede-
relle Funktion, die lexikalisierende bzw. die rum müssen auf der Basis bekannter Visualisie-
Verbalisierung stimulierende Funktion, die rungskonventionen für die intendierte Botschaft
mnemonische Funktion, die motivatorische geeignete Bildtypen und geeignete Gestaltungs-
Funktion, die organisierende Funktion und die weisen ausgewählt und realisiert werden (ä Vi-
semantisierende Funktion (ä Bilder). Um diese sualisierung). Zum deklarativen Wissen für das
Bildwirkungen zu nutzen, kann der Bildeinsatz Gelingen von visueller Kommunikation gehö-
bildrezeptiv (den SuS werden vorgefertigte ren das Bewusstsein dafür, dass selbst Bilder,
V.en präsentiert) oder bildproduktiv (die SuS die wirklichkeitsnah wirken (z. B. Fotografien),
stellen selbst V.en her) erfolgen. In den Bereich keine Abbilder sind, sondern subjektive Inter-
Visuelle Kompetenz 372

pretationen, Inszenierungen oder Fiktion; das wie es die Zielsprachenkulturen des FUs in der
Beherrschen einer angemessenen Bildtermino- Regel sind, nach anderen Visualisierungsge-
logie; die Kenntnis verschiedener Bildtypen und wohnheiten konzipiert sind. Das bedeutet, dass
ihrer Wirkungen; das Wissen um die Notwen- die Lernenden, wenn sie Bilder nach ihren eige-
digkeit des kritischen Hinterfragens von Bild- nen Sehmustern deuten, nicht ›richtig‹ verstehen
wirkungen und Bildbotschaften; das Bewusst- können. Sie müssen vielmehr zunächst diese
sein für die Kulturspezifik von Darstellungs- Konventionen erlernen. Da es sich bei Bildern
konventionen; die Kenntnis von eigenen und also um Medien der Kommunikation handelt,
fremden Darstellungskonventionen; das Wissen die durch kulturspezifische Visualisierungskon-
darüber, dass eine Interpretation auf Analyse ventionen geprägt sind, und da verbale und vi-
und ä Kontextualisierung beruhen muss. Dieses suelle Kommunikation in vielen Fällen parallel
Wissen ermöglicht eine bewusste Bildwahrneh- ablaufen und einander ergänzen, ist die v. K.
mung und die Bewertung eines Bildes bzw. der Bestandteil einer ä interkulturellen kommuni-
Leistung der Bildschaffenden. kativen Kompetenz. Darüber hinaus gehört sie
Bei der v. K. handelt es sich um eine kommu- zur ä Medienkompetenz, einem weiteren Lern-
nikative Kompetenz, da Bilder Kommunikati- ziel des FUs, denn wer Bild-/Text-Medien wie
onsmittel sind und visuelle Signale Bedeutung Comics, Filme oder Websites verstehen möchte,
transportieren. Diese Bedeutung ist jedoch muss auch deren Bilder deuten können. Da v. K.
nicht fix, sondern wird von den Empfangenden nicht automatisch entwickelt wird und bei den
auf der Basis ihres Bildwissens und ihrer Sehge- Lernenden somit nicht als vorhanden vorausge-
wohnheiten konstruiert. Bei dieser Sinnkonsti- setzt werden kann, folgt die Forderung, v. K.
tution laufen bottom-up-Prozesse und top- auch im FU auszubilden. Die ersten, die v. K. als
down-Prozesse ab: Ein visueller Reiz wird Lernziel des FUs nennen, sind 1989 die schon
wahrgenommen und mit Hilfe vorhandenen genannten DaF-Didaktiker Schwerdtfeger und
Bild- und Weltwissens gedeutet; verstehendes Weidenmann. Zuvor hatten Hanno Schilder
Sehen ist somit kein passives Aufnehmen einer 1977 und Jack Lonergan 1984 (1987 in der dt.
vorgegebenen Botschaft, sondern aktive Sinn- Übers.) bereits gefordert, das Sehverstehen der
konstitution. Bedingt durch den Einfluss der Lernenden zu schulen, jedoch ohne zu erläu-
Betrachtereigenschaften auf den Bildsinn, kön- tern, was dies genau bedeutete.
nen mehrere Sehende den gleichen visuellen Lit.: J. Elkins (Hg.): Visual Literacy. NY 2008. –
Reiz auf unterschiedliche Weise durchaus visu- J.  Lonergan: FU mit Video. Mü. 1987. – M. Lüning
ell kompetent deuten. Verstehendes, visuell (Hg.): Themenheft »Sehverstehen«. Der fremdsprach-
kompetentes Sehen ist nicht gleichbedeutend liche Unterricht Spanisch 46 (2014). – H. Schilder:
Medien im neusprachlichen Unterricht seit 1880.
mit dem (Umgebungs-)Sehen, d. h. der bloßen Kronberg 1977. – I.-C. Schwerdtfeger: Sehen und
Wahrnehmung visueller Reize. Das Umge- Verstehen. Arbeit mit Filmen im Unterricht Deutsch
bungssehen ist eine genetisch veranlagte, durch als Fremdsprache. Mü. 51993 [1989. – M. Seidl (Hg.):
Reifung entwickelte Fertigkeit. V. K. basiert auf Themenheft »Visual Literacy«. Der fremdsprachliche
dieser Fertigkeit, visuelle Reize sinnlich wahr- Unterricht Englisch 87 (2007). – B. Weidenmann: Das
Bild im Sprachunterricht. Lehrhilfe oder Lerngegen-
zunehmen und zu identifizieren, besitzt jedoch stand? Anregungen am Beispiel Wirtschaftskommuni-
eine kritische und kulturelle Komponente und kation. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 15
muss erlernt werden. (1989), 132–149. CaH
Die v.K. zählt aus mehreren Gründen zu den
ä Lernzielen des FUs. Viele bildbezogene Aufga-
ben im FU beruhen darauf, dass die Lernenden Vokabeln ä Wortschatz und Wortschatzvermitt-
ä Bilder verstehen. Daher hängt der Erfolg der lung
Sprachhandlungen der SuS vom Erfolg ihrer
Bilddeutung ab. Das Sehverstehen ist zudem ei-
ne Fertigkeit, die laut Inge-Christine Schwerdt- Volkshochschulunterricht. Derzeit gibt es 957
feger (1989, 24) nicht nur für das Sprachver- Volkshochschulen in Deutschland. Mit insge-
stehen wichtig ist, sondern die auch eine zen- samt rund 174.000 Sprachkursen und 6,5 Mio.
trale Bedeutung für die Ausbildung der Unterrichtsstunden (vgl. www.dvv-vhs.de, Sta-
individuellen Sprechfähigkeit und Sprechlust tistik 2013) sind Volkshochschulen in ihrer Re-
hat. Bernd Weidenmann (1989, 134) erinnert gion häufig die größten Sprachkursanbieter für
ferner daran, dass Bilder aus fremden Kulturen, europäische und außereuropäische Sprachen.
373 Vorentlastung

Entsprechend dem heutigen Verständnis der Lernen durch Kontakte mit Muttersprachler/-
Erwachsenenbildung als Prozess des lebenslan- innen außerhalb des Unterrichts.
gen Lernens wird das breite Angebot an VHS- Lit.: Kooperation der Volkshochschulen am Nieder-
Sprachkursen von Teilnehmenden aller Alters- rhein: Leitfaden für Sprachkursleiter. Ismaning 22009
stufen genutzt. Zu den Sprachkursen zählt auch [2007. – A. Vielau: Handbuch des FUs an Volkshoch-
Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache für schulen. Hannover 2001. GL
Migrant/innen. Hier ist die VHS ein wichtiger
Ansprechpartner für Menschen, die in Deutsch-
land eine neue Heimat suchen. Die Teilnehmen- Vorentlastung. Mit V. werden Lehr- und ä Lern-
den wählen gemäß ihrer zeitlichen Möglichkei- strategien bezeichnet, die auf die Arbeit an
ten und ihrem Lerntyp intensive Wochenkurse konkreten fremdsprachlichen oder -kulturellen
(z. B. Bildungsurlaube) oder extensive Abend- Themen hinführen bzw. auf die Rezeption und
oder Wochenendkurse zum Erlernen der Fremd- Produktion fremdsprachlicher Texte vorberei-
sprache. Neben allgemeinen Sprachkursen ten. Meist betrifft V. im Rahmen von Neuein-
werden Schülerkurse, Prüfungslehrgänge, die führung oder Wiederholung das Umfeld von
mit international anerkannten Prüfungen ä Lese-, ä Hör- oder Hör-Sehverstehen (ä Film-
(ä Zertifikate) abschließen (vgl. www.sprachen- kompetenz, ä Visuelle Kompetenz), das ä Spre-
zertifikate.de) und Sprachtrainings für Fach- chen oder ä Schreiben, die Erarbeitung bzw.
personal in Firmen angeboten. Kursinhalte und Festigung von grammatikalischen Phänomenen
-ziele orientieren sich an der Niveaueinteilung (ä Grammatik und Grammatikvermittlung) und
des ä Gemeinsamen europäischen Referenzrah- die Übersetzungstätigkeit (ä Sprachmittlung).
mens (GeR). In Sprachprüfungen von Sprach- Man unterscheidet situative, lexikalisch-seman-
instituten aus dem In- und Ausland können tische, grammatikalische, textsortenspezifische,
Teilnehmende ihr Lernniveau nachweisen. sachbezogene, soziokulturelle/kulturelle, histo-
Ausgelöst durch den wachsenden gesell- rische oder auch strategische V. Hauptziel ist
schaftlichen Bedarf an Fremdsprachenkennt- neben dem Einstieg in das Thema oder in kon-
nissen in den 1970er Jahren und dem damit krete sprachliche Strukturen der Aufbau von
verbundenen sog. pragmatischen Wandel liegt ä Motivation, Interesse und positiver Erwar-
der Schwerpunkt der Kurse auf der Vermittlung tungshaltung und damit die Schaffung der
der ä kommunikativen Kompetenz in Berufs- Grundlagen für eine effektive Vernetzung von
und Alltagssituationen. An die Stelle der frühe- fremdsprachlichen Wissensstrukturen bei dem
ren ä Lehrerzentrierung tritt das ä kooperative oder der Lernenden (konstruktivistischer An-
Lernen, z. B. in Form von Partner- und Grup- satz). Hauptformen sind alle Arten der ä Akti-
penarbeit (ä Sozialformen). Die Kursleitung vierung von individuellem ä Vorwissen und Er-
versteht sich als Initiator, Moderator, Begleiter fahrungen (auch in der Muttersprache bzw. aus
und Berater (ä Lehrer/in und Lehrerrolle) indivi- anderen Wissensgebieten) sowie von inhaltli-
dueller und selbstgesteuerter Lernprozesse (vgl. cher, formaler und strategischer Antizipation
Vielau 2001, 142), die mit dem Ziel der Selbst- der anschließenden Aktivitäten. V. kann spiele-
steuerung reflektiert werden (ä Portfolio). Inter- rische und innovativ-kreative Formen anneh-
kulturelle und landeskundliche Kenntnisse zu men, sie bietet gute Möglichkeiten der ä Diffe-
den Zielsprachenländern werden einbezogen renzierung, fördert einerseits ä kooperatives
(Leitfaden für Sprachkursleiter 2009, 42). Als Lernen (Wissens- und Erfahrungsaustausch),
Kulturvermittler/innen agieren dabei die Kurs- gehört aber andererseits zum strategischen
leiter/innen. Sie sind häufig Muttersprachler/- Repertoire erfahrener autonomer Lernender
innen mit einer didaktischen Qualifikation (ä Autonomes Lernen). Populäre Formen sind
(z. B. dem VHS-Basisqualifikationslehrgang für z. B.: Assoziogramm, Mindmap, Brainstorming,
Sprachkursleiter/innen in Niedersachen). Der thematisches Gespräch (auch in der Mutter-
VHS-Unterricht bietet zunehmend auch ä blen- sprache), Frage- und Hypothesenbildung, Ar-
ded learning-Sprachschulungen an. Zusatzan- beit mit Kurztexten, ä Bildern, ä Musik, Sche-
gebote wie Sprachenfeste, bei denen Mutter- mata, Gegenständen, Titeln, Schlüsselbegriffen,
sprachler/innen die Besonderheiten ihres Landes Textfragmenten, Internationalismen und Wort-
vorstellen, sowie die Vermittlung von Tandem- feldern, Wortspielen und Rätseln sowie ange-
Sprachpartnern (ä Tandemlernen) fördern dar- leitete Internet-, Wörter- und Sachbuch- bzw.
über hinaus ä autonomes und ä interkulturelles Feldrecherchen. Typisch für Phasen der V. sind
Vorentlastung 374

spontane Sprech- und Schreibaktivitäten, das zesse so zu initiieren, dass das V. der Lernenden
Ordnen, Kombinieren, Ergänzen und Spekulie- Berücksichtigung findet. Nach staatlich vorge-
ren zu vorgegebenen oder zusammengetrage- gebenen ä Lehrplänen zugelassene ä Lehrwerke
nen Informationen, aber auch unterschiedliche arbeiten mit einem Spiralcurriculum, in dem
manuelle Tätigkeiten, wie z. B. Skizzieren, neu zu Erlernendes mit bereits erworbenem V.
Zeichnen oder Kolorieren (ä Visualisierung). vernetzt wird. Lehrwerkautoren und Unterrich-
CBK tende entwickeln Phasen, in denen V. aktiviert
wird (pre-listening, pre-viewing, pre-reading,
pre-writing, pre-talking), um die Verknüpfung
Vorwissen, d. h. Wissen, über das wir bereits des Neuen mit bereits Gelerntem anzuregen. V.
verfügen, beeinflusst bewusst oder unbewusst kann das Erlernen weiterer Sprachen erleichtern
jeden Lernprozess und ist für diesen von großer (positiver ä Transfer), daher nutzen ä Mehrspra-
Bedeutung. Bei Neugeborenen bewirken kogni- chigkeitsdidaktik und Didaktik der ä Interkom-
tive Verarbeitungsprozesse zielgerichtetes Han- prehension das V. bereits erlernter Sprachen ge-
deln, Monate bevor der Erstsprachenerwerb zielt zum Lehren und Lernen weiterer Sprachen.
beginnt und Sprache und Denken zur scheinba- Negativer Transfer, d. h. ä Interferenz, aufgrund
ren Einheit verschmelzen. Daraus wird abgelei- des V.s führt zu ä Fehlern und erfordert im Un-
tet, dass Kleinkinder vor ihrer Erstsprache be- terricht entsprechende Maßnahmen. Konstruk-
reits Weltwissen erwerben. Nach der Erkennt- tionsprozesse auf der Basis des individuellen V.s
nistheorie des ä Konstruktivismus kommt es führen, neben anderen Faktoren, beim Spra-
zum Wissenserwerb, wenn Lernende neue In- chenlernen zu einer lernprozessbedingten Inte-
formationen mit ihrem V. verknüpfen. Der mit rimssprache (ä Interlanguage).
dieser Verknüpfung einhergehenden Denkakti- Im Unterricht kann Binnendifferenzierung
vität wird zentrale Bedeutung für Lernprozesse (ä Differenzierung) unterschiedliches V. ausglei-
beigemessen. Diese Theorie wird durch die Er- chen und zu einer anregenden Lernumgebung
gebnisse der Hirnforschung gestützt. Da V. in- für alle führen. Lerngruppen mit einem hohen
dividuell verschieden ist, wird Lernen als hoch Anteil verschiedener Herkunftssprachen und
individueller Prozess verstanden. Kulturen sind in ihrem V. entsprechend hetero-
Auf der Basis des V.s der Erstsprache erfolgt gen. Durch unterschiedliches kulturelles V. be-
das Erlernen aller weiteren Sprachen. Der ä Ge- dingte kulturelle Missverständnisse können
meinsame europäische Referenzrahmen (GeR) zum Abbruch der Kommunikation führen, da-
gliedert unter dem Aspekt des Lehrens und her ist die Entwicklung ä interkultureller kom-
Lernens von Sprachen ä Wissen, also auch V., in munikativer Kompetenz in der modernen
vier allgemeine Kategorien: (1) deklaratives Fremdsprachendidaktik von hoher Relevanz.
Wissen (savoir), bezogen auf Weltwissen, sozio- Lit.: P. Doyé: Interkulturelles und mehrsprachiges
kulturelles und interkulturelles V.; (2) prozedu- Lehren und Lernen. Tüb. 2008. – M. Hasselhorn/
rales Wissen (savoir-faire), bezogen auf prakti- A. Gold (Hg.): Pädagogische Psychologie. Erfolgrei-
sche Fertigkeiten aus dem beruflichen oder so- ches Lehren und Lernen. Stgt 32013 [2006. WSL
zialen Bereich, der Freizeit und interkulturellen
Kontexten; (3) persönlichkeitsbezogene Fakto-
ren (savoir-être), V. bezogen auf z. B. Einstellun-
gen und kognitive Stile; sowie (4) V. bezüglich
der Lernerfahrungen (savoir-apprendre). Der
GeR beschreibt, dass Sprachenlernende ergän-
zend zu diesen allgemeinen Kategorien des V.s
auch bereits erworbene linguistische, soziolin-
guistische und pragmatische Kompetenzen als
V. in den Lernprozess einbringen.
Welchen intake Lernende einem gebotenen
Input entnehmen können, hängt weitgehend
von ihrem V. und dessen Aktivierung ab. In der
bilingualen Vorschulerziehung (ä Bilingualer
Unterricht) wie im modernen FU von Schule
und Erwachsenenbildung gilt es daher, Lernpro-
375 Wissen

W halb dieser Differenzierung nicht eindeutig zu-


ordnen lassen und eine Integration verschiede-
ner Kategorien darstellen (z. B. personal
practical knowledge).
Wandposter ä Poster In der Fremdsprachendidaktik wird üblicher-
weise eine Unterscheidung zwischen deklarati-
vem und prozeduralem W. vorgenommen. Unter
Web 2.0 ä Computer-Assisted Language Lear- deklarativem W. wird im Langzeitgedächtnis
ning (CALL), ä E-Learning gespeichertes, auf Fakten bezogenes und zu-
gleich faktisch vorhandenes W. verstanden, das
bewusst und in der Regel verbalisierbar ist bzw.
Web-Based Training (WBT) ä Computer-Assisted das mindestens bewusst gemacht werden kann.
Language Learning (CALL) Deklaratives W. wird weiterhin unterschieden
in semantisches W. und episodisches W. Episo-
disches W. ist historisch, autobiographisch,
WebQuest ä E-Learning kontextgebunden und häufig mit affektiven
Wertungen versehen. Es ist mit der Erinnerung
an konkrete Situationen und Erfahrungen ver-
Wechselseitiges Lernen und Lehren (WELL) knüpft. Fremdsprachenstudierende verfügen
ä Lernen durch Lehren, ä Sozialformen z. B. häufig über bestimmte sprachliche Ausdrü-
cke oder Phrasen, weil ihnen diese während ei-
nes Auslandsaufenthaltes oder im Studium be-
Weiterbildung ä Lehrerbildung gegnet sind und sie sich genau an den Verwen-
dungskontext erinnern. Semantisches W. ist
stärker analytisch, rational, kontextreduziert
Whiteboard ä Computer-Assisted Language und basiert auf Abstraktionen des episodischen
Learning (CALL), ä Medien, ä Tafel, Tafelbild W.s. Prozedurales W., auch als Handlungs-W.
und Tafelanschrieb bezeichnet, wird gemeinhin als direkt hand-
lungssteuerndes, aber weitgehend unbewusstes
W. verstanden. Es befähigt Lernende, komplexe
Wissen spielt als Konzept in vielen unter- kognitive, motorische oder sprachliche Hand-
schiedlichen Disziplinen eine Rolle (Philoso- lungen durchzuführen, ohne dabei die einzelnen
phie, Psychologie, Kognitionswissenschaften, Bestandteile dieser Handlungen bewusst verba-
ä Fremdsprachendidaktik). Im Kontext des lisieren oder kontrollieren zu können. Prozedu-
Fremdsprachenlernens und -lehrens steht es in rales W. kann durch praktische Erfahrung er-
engem Zusammenhang mit verwandten Begrif- worben werden und ist nicht notwendigerweise
fen wie ›subjektive Theorien‹, ›BAK‹ (Netz- angewandtes und ›prozeduralisiertes‹ deklarati-
werke aus beliefs, assumptions, knowledge) ves W. Dies bedeutet z. B. für das Fremdspra-
oder ›dormant theories‹, die sich allerdings chenlernen, dass eine Bewusstmachung von
nicht nur auf den Inhalt des W.s beziehen, son- grammatischen Regeln (ä Bewusstheit/Bewusst-
dern auch seine Struktur und Organisations- machung) einem situativen Spracherwerb nicht
form berücksichtigen. Anhand unterschiedli- überlegen ist.
cher Kriterien wird eine Vielzahl von W.sarten Wenngleich der Grad der Bewusstheit und/
unterschieden. W. wird nach seiner zentralen oder Verbalisierbarkeit von W. als Unterschei-
Eigenschaft bzw. Funktion klassifiziert (dekla- dungskriterium nicht bei allen Wissenschaftler/-
ratives W., prozedurales W., episodisches W., innen gleichermaßen anerkannt ist, findet er
heuristisches W., explizites W., implizites W. sich in weiteren Unterscheidungen von W.sty-
usw.); teilweise wird es stärker mit Bezug auf pen, so auch bei explizitem W. und implizitem
seinen Entstehungs- und/oder Anwendungs- W. Als explizites W. wird solches bezeichnet,
kontext definiert (Erfahrungs-W., Alltags-W., ȟber das bei Abruf direkt Auskunft gegeben
Praxis-W.), mit Bezug auf seinen Inhalt (Fach- werden kann« (Grubitzsch/Weber 1998, 690).
W., pedagogical content knowledge) oder mit Implizites W. (auch ›stilles‹ W. oder tacit know-
Bezug auf den W.sträger (Experten-W.). Dar- ledge) hingegen ist »verborgenes Wissen, das
über hinaus gibt es W.sbegriffe, die sich inner- eine Person zwar besitzt, auf das sie aber nicht

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_23, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
Wissen 376

bewusst zugreifen kann« (ebd., 690). Ein Bei- Sprachverwendung und die Fehlerprophylaxe.
spiel für implizites W. ist das ä Sprachgefühl. Ein adäquater Umgang mit dem W. kann
Manche Autoren gehen davon aus, dass impli- Sprachbewusstheit fördern (ä Bewusstheit/Be-
zites W. aus ›abgesunkenem‹ expliziten W. ent- wusstmachung) und dem Wortschatzerwerb
stehen kann (vgl. Timm 1998). Gelegentlich dienen (ä Wortschatz und Wortschatzvermitt-
werden die Begriffe ›deklarativ‹/›explizit‹ so- lung).
wie  ›prozedural‹/›implizit‹ synonym verwandt. In den letzten Jahrzehnten werden Wörterbü-
Auch findet sich die Verwendung von implizi- cher immer benutzerfreundlicher, was sich z. B.
tem W. als embodied knowledge (personen- in Layout und Typographie, Daumenregister
oder körpergebundenes W.) und von explizitem und einer Fülle an Zusatzmaterialien (Anhang,
W. als disembodied knowledge (W., das außer- Extraseiten, Informationskästen, CD) nieder-
halb von Einzelpersonen beispielsweise in Spei- schlägt. Während zweisprachige Wörterbücher
chermedien vorliegt). v. a. Hilfe bei der Hin- und Herübersetzung
Interessanter als die unterschiedlichen W.sbe- (ä Sprachmittlung) leisten können, gibt es ein-
griffe an sich sind ihre höchst komplexen Zu- sprachige Wörterbücher sowohl für Mutter-
sammenhänge zum (sprachlichen) Handeln (vgl. sprachler/innen (z. B. Duden-Rechtschreibung)
Mandl/Gerstenmaier 2000). Im Wesentlichen als auch für Fremdsprachenlernende mit den
lassen sich zwei Argumentationslinien unter- verschiedensten Zielsetzungen, z. B. Synonym-,
scheiden: ein funktionales und ein transaktiona- Aussprache-, Bild- oder verschiedene Fach-
les Modell (vgl. ebd.). Im funktionalen Modell, Wörterbücher. Einen guten Überblick über ein-
das sich hauptsächlich auf zielgerichtete Hand- sprachige Lerner-Wörterbücher gibt Bahns
lungen bezieht, wird dem W. eine Kontrollfunk- (2006). Elektronische Wörterbücher (auf CD-
tion zugeschrieben. Handlungsdefizite werden ROM, im Internet als Smartphone-App oder
v. a. mit kognitiven Prozessen erklärt, die der portable, aufklappbare Taschencomputer) beste-
Handlung vorausgehen. Das transaktionale chen durch Multimedialität, Modularität, In-
Modell betont die auf Piaget zurückgehende teraktivität sowie die Möglichkeit der auditiven
Erkenntnis, dass Handeln W. hervorbringt bzw. Präsentation und Selbstaufnahme von Wörtern
W. durch Handeln entsteht. Im Zentrum der sowie durch zahlreiche Zusatzfunktionen (vgl.
Aufmerksamkeit stehen Handlungskontexte. Diehr et al. 2013, 231 f.). Die Wissenschaft von
Ebenso wie der W.sbegriff lässt sich der Hand- Wörterbüchern ist die Lexikographie. In der
lungsbegriff ausdifferenzieren und von ähnli- praktischen Lexikographie geht es um die Kon-
chen Begriffen wie Verhalten und Tun abgren- zipierung und Erarbeitung von Wörterbüchern,
zen. Mit dieser Ausdifferenzierung erhöht sich in der theoretischen um Aufbau und Struktur,
die Komplexität des Zusammenhangs von W. Analyse und Kritik von Wörterbüchern, Erstel-
und Handeln um ein Vielfaches. Sie lässt sich lung von W.typologien und Fragen der W.be-
am besten in mehrstufigen, auf Kreisprozessen nutzung (vgl. Engelberg/Lemnitzer 2009). Die
beruhenden Modellen abbilden. umfassendste Gesamtdarstellung zur Lexiko-
Lit.: S. Grubitzsch/K. Weber: Wissen. In: Dies. (Hg.): graphie findet sich im Handbuch von Franz
Psychologische Grundbegriffe. Ein Handbuch. Rein- Josef Hausmann et al. (1989–1991). Hauptauf-
bek bei Hbg 1998, 690. – H. Mandl/J. Gerstenmaier gabe der W.didaktik ist es, Vorschläge für die
(Hg.): Die Kluft zwischen W. und Handeln. Empiri- Vermittlung von dictionary skills und Metho-
sche und theoretische Lösungsansätze. Göttingen u. a.
2000. – J.-P. Timm: Die Entwicklung praktischer den des W.benutzungstrainings zu entwickeln
Sprachkenntnisse. In: Ders. (Hg.): Englisch lehren und (vgl. Bahns 2006, 190).
lernen. Didaktik des Englischunterrichts. Bln 1998, Ein gutes W. gibt neben der Orthographie
299–318. BV und Bedeutung eines Wortes (semantische Dis-
ambiguierung; Paradigmatik: Synonyme, Anto-
nyme, Kohyponyme, Hyperonyme; Polysemie)
Wochenplanarbeit ä Offener Unterricht die Sprachgebrauchsebene (Gebräuchlichkeit,
geschriebene/gesprochene Sprache; nationale
Varietäten; Registermarkierung und Haltung)
Wörterbuch. Unter einem W. versteht man ein an. Daneben liefern Wörterbücher Informatio-
Nachschlagewerk für die Sprachrezeption und nen auf verschiedenen sprachlichen Ebenen.
-produktion in der Zielsprache. Es ist ein un- Angaben zu grammatischen Eigenschaften von
entbehrliches Hilfsmittel für die korrekte Wörtern betreffen z. B. Genus, Numerus, Dekli-
377 Wörterbuch

nations- und Konjugationsklasse, unregelmä- kompetenz der Lernenden. SuS sollten daher
ßige Flexion, Zuordnung zu Wortarten (z. B. sehr früh den Gebrauch des alphabetischen
adv), Informationen zu Valenzen und Präpositi- Wörterverzeichnisses im Lehrbuch und später
onen, Kollokationen, meist mit Verwendungs- des zwei- und einsprachigen W.s üben und sich
beispielen und typischen Redewendungen (idi- daran gewöhnen, in Zweifelsfällen nachzu-
oms). Deutsche, englische, spanische und fran- schlagen. Voraussetzung für die kompetente
zösische Wörterbücher geben die Aussprache Nutzung von Wörterbüchern ist die Beherr-
mit Hilfe der internationalen Lautschrift (IPA) schung der Reihenfolge des Alphabets der
an. In russischen Wörterbüchern finden sich Zielsprache, insbesondere der Buchstaben, die
Betonungszeichen über dem akzentuierten Vo- im Alphabet der eigenen Muttersprache nicht
kal jedes Wortes. Zusatzmaterialien zu Wörter- vorkommen. So stehen Wörter mit <ch> im
büchern umfassen z. B. Bildseiten zur Illustra- Tschechischen nicht unter <c>, sondern nach
tion von Wortschatz zu bestimmten Sachthe- <h>. Um Lernende zur selbständigen W.arbeit
men, Sonderseiten (study pages) mit Wortschatz zu befähigen, eignen sich ä Übungen, bei denen
im Kontext, vielseitige Länderinformationen, zielsprachige Wörter mit demselben Anfangs-
Hinweise zum idiomatischen, authentischen buchstaben in die alphabetische Reihenfolge
Sprachgebrauch, zu Sprachfunktionen (z. B. gebracht werden müssen, Übungen zur Unter-
Entschuldigungen, Zustimmung, Ablehnung, suchung einzelner W.einträge (z. B. mit Fragen
Danken), Formulierungshilfen für E-Mails, zu Register, Wortarten, abgeleiteten Wörtern,
Briefe und Telefonate, Musterbriefe, die wich- Genus von Substantiven, Aspektpartnern, Kol-
tigsten Maße und Gewichte, Temperaturen, lokationen), Zuordnungsübungen (z. B. Funkti-
Zahlwörter, Übersichten über unregelmäßige onsverbgefüge zu ihrer Bedeutung), Einsetz-
Verben und Übungen zum Gebrauch des W.s. übungen (z. B. Präpositionen), Übersetzungs-
Spezielle Informationskästen vermitteln linguo- übungen, selbständige Fehlersuche (z. B. nach
landeskundliche Informationen zu kulturspe- einem Diktat) sowie Übungen zum Kennenler-
zifisch geprägtem Wortschatz (z. B. Advent, nen der wichtigsten Symbole und Abkürzungen
Krankenkasse, Maibaum, Polterabend, Volks- des W.s. In englischen und russischen Wörter-
hochschule, Wiedervereinigung), Hinweise auf büchern kann man die Betonung neuer Voka-
sprachliche Schwierigkeiten, Übersetzungsfehler beln herausfinden lassen, in deutschen das
und sog. falsche Freunde (z. B. französisch: déli- passende Hilfsverb (sein oder haben) für zu-
catesse – dt. Feingefühl; polnisch kryminalysta sammengesetzte Zeitformen. Für W.nutzer sla-
– dt. Straftäter, Verbrecher; russisch kónkurs – wischer Sprachen ist es besonders wichtig,
dt. Wettbewerb), Informationen zu Wortbildung Wortformen auf ihre Grundform zurückführen
(z. B. die häufigsten Präfixe und Suffixe) und zu können, um das gesuchte Wort zu finden.
Wortfamilien (z. B. engl. know, knowingly, Zum kompetenten Umgang mit dem W. gehört
knowledge, knowledgeable, known, unknown, auch zu entscheiden, wann man das W. wirklich
know-how). Darüber hinaus gibt es Info-Kästen braucht. Lernende sollten versuchen, Wörter
zum Wortschatz der Wissenschaftssprache (aca- erst selbst zu inferieren (ä Inferenz) – z. B. an-
demic writing), Kollokationsfelder und Kata- hand ähnlicher bekannter Wörter, grammati-
loge für Sprechintentionen (z. B. fragen, vermu- scher Informationen über Wortart und Wortbil-
ten) und Alltagsthemen (z. B. Hobby, Wohnen). dung – und erst danach ihre Hypothese im W.
Deutsche Wörterbücher geben häufig Hinweise überprüfen.
zur neuen Rechtschreibung, z. B. zur Getrennt- Lit.: J. Bahns: Das Lerner-W., mehr als nur ein Nach-
und Zusammenschreibung, Groß- und Klein- schlagewerk. In: U. O. H. Jung (Hg.): Praktische
schreibung. Das W. folgt einem bestimmten Handreichung für Fremdsprachenlehrer. FfM 42006
Verweissystem, nutzt Abkürzungen und Sym- [1992, 188–195. – B. Diehr/C. Gieseler/J. P. Kassel:
Lesen mit portablen elektronischen Wörterbüchern.
bole. In Wörterbüchern zu slawischen Sprachen Ausgewählte Ergebnisse der MobiDic-Studie. In: Zeit-
steht beim Infinitiv des perfektiven Verbaspekts schrift für Fremdsprachenforschung 24/2 (2013),
meist der Verweis auf den imperfektiven As- 229–261. – S. Engelberg/L. Lemnitzer: Lexikographie
pektpartner (z. B. polnisch zemścić się perf od und W.benutzung. Tüb. 32009 [2001. – F. J. Haus-
mścić się); dort finden sich dann Erklärungen mann et al. (Hg.): Wörterbücher, Dictionaries, Dicti-
onnaires. Ein internationales Handbuch zur Lexiko-
und Verwendungsbeispiele für beide Aspekte. graphie. 3 Bde. Bln/N.Y. 1989/1990/1991. GM
Auch das beste W. entfaltet sein Potential als
Nachschlagewerk erst dank der Benutzungs-
Wortschatz und Wortschatzvermittlung 378

Wortschatz und Wortschatzvermittlung. Wer in teren Wortverständnis vor. Dabei versehen sie
der fremdsprachigen ä Kommunikation viele zunächst ihre bestehenden L1- und L3-Konzepte
Wörter adäquat benutzen kann, vermag sich (also die Konzepte ihrer Muttersprache und
präzise und differenziert auszudrücken. Nach weiterer erworbener Fremdsprachen) mit neuen
einer Phase der Grammatikdominanz erfährt Etiketten, indem sie die L2-Bedeutungen mit
der W. seit den 1980er Jahren wieder größere denen ihrer bestehenden Konzepte gleichsetzen
Beachtung. Heute werden die Grenzen zur und durch Übersetzung ›sichern‹, z. B. ›Tisch‹ –
Grammatik als fließend betrachtet (vgl. Lewis engl. table, frz. table. Bald aber stoßen sie an
2005; Schocker/Müller-Hartmann 2016), weil Grenzen, denn Wortbedeutungen sind meist
die morpho-syntaktischen Informationen im kulturgebunden (z. B. engl. tea), und nicht selten
ä mentalen Lexikon zusammen mit der Wort- müssen Konzepte überhaupt erst ausgebildet
form gespeichert sind und weil ohne sie kein werden (z. B. span. mate), weswegen auch von
Sprachgebrauch möglich ist; so können z. B. interkultureller Lexik gesprochen wird (vgl.
Adjektive in den romanischen Sprachen Kühn 2006). Die ersten Wörter einer Fremd-
schwerlich ohne die Numerus-/Genus-Anglei- sprache sind also am schwierigsten zu lernen,
chung und ihre Stellung zum Nomen erworben nach und nach wird der Erwerb leichter, denn
werden. das mentale L2-Netz wird größer und engma-
Wörter können auf einem Kontinuum zwi- schiger – eine Voraussetzung für flüssiges
schen bedeutungsstarken und -schwachen ä Sprechen (fluency). Für den Sprachgebrauch
Wörtern klassifiziert werden: An einem Pol ist es zudem wichtig, neben den komplexen se-
liegen die Autosemantika, die aus sich selbst mantischen Merkmalen auch die grammati-
heraus verständlich sind (z. B. Straße als Kon- schen verfügbar zu haben. Gleichwohl reicht
kretum oder Freiheit als Abstraktum), am an- für L2-Lernende zunächst eine partielle, u. U.
deren die Synsemantika, grammatische Wörter auch Normverstöße implizierende Wortbeherr-
mit sehr geringer eigener Bedeutung, z. B. span. schung aus (z. B. engl. *he do), wenn sie denn
de, a (Partikel), en (Präposition), para (Kon- die eigenen Redeintentionen vermitteln und die
junktion) oder ha (Hilfsverb). Die Deiktika ihres Gesprächspartners verstehen können. Da-
haben zwar eine eigene Bedeutung, die jedoch bei besteht je nach Lernstand und inhaltlichem
nur im Kontext verständlich ist, z. B. engl. I, Anspruch eine große Spannweite zwischen ba-
you (Pronomen) oder here, tomorrow (Adver- salem ä Verstehen und hoher inhaltlicher Präzi-
bien). sion bei der Produktion. Dieser Unterschied
Der Terminus ›Wort‹ ist nicht einheitlich de- wird mit dem Begriffspaar rezeptiver/produkti-
finiert. Aus kognitivistischer Perspektive dienen ver W. gekennzeichnet: Ersterer steht nur für
Wörter der Benennung von Gegenständen und das ä Lese- und ä Hörverstehen bereit, denn er
Sachverhalten in der außersprachlichen Welt, ist weniger ›tief verarbeitet‹ und die Konzepte
aus linguistischer Sicht sind es Zeichen mit sind im mentalen Lexikon durch kontextuelle
Form- und Ausdrucksseite, selbständige sprach- Hilfen im Gelesenen/Gehörten leichter auffind-
liche und kommunikationsorientierte Grund- bar. Der Theorie der Verarbeitungstiefe (depth
einheiten. Der präzisere Begriff der lexical unit of processing; vgl. Craik/Lockhart 1972) zu-
trägt der häufigen Mehrgliedrigkeit von Wör- folge müssen bei einer »tiefen Verarbeitung«,
tern Rechnung, z. B. engl. to go out. Den im die für die produktive Wortbeherrschung not-
Unterrichtskontext gängigen Begriff ›Vokabel‹ wendig ist, mehrere Ebenen (semantische wie
reduzieren SuS erfahrungsgemäß auf formale formale) durchlaufen werden, damit die Wort-
(Lern-)Kontexte und assoziieren ihn oft negativ. formen ohne externe Lenkung im gesamten
›Wörtern‹ hingegen schreiben sie viel mehr und mentalen Lexikon auffindbar sind.
viel umfassendere Merkmale zu: semantische, Der potenzielle W. umfasst keine im menta-
kommunikative bis hin zu poetischen. Da be- len Lexikon verankerten Wörter, sondern be-
kannt ist, wie sehr die Sichtweisen von Lernen- zeichnet das prozedurale Zusammenspiel aus
den den Lernerfolg beeinflussen, erscheint der ä Vorwissen und Verstehens- und Produktions-
Begriff der Vokabel für schulisches Lernen nur strategien. Auf der Basis des Weltwissens (z. B.
bedingt geeignet. »Bill Gates fundó Microsoft«), des situativen
Wie werden Wörter gut gelernt? Grundsätz- oder textuellen Kontextes und ihres bisheriges
lich dringen Lernende von einem relativ vagen Sprachwissens können die Lernenden bei Ver-
zu einem immer komplexeren und differenzier- stehensproblemen Wortbedeutungen inferieren
379 Wortschatz und Wortschatzvermittlung

(ä Inferenz) und bei Produktionslücken Wort- Gebrauchswert und der Kombinierbarkeit der
formen erraten. Sie nutzen dabei ihr Vorwissen Wörter. Hinweise hierüber bietet der ä Gemein-
aus der L2 selbst (z. B. inferieren sie das unbe- same europäische Referenzrahmen in seiner
kannte engl. colourful aus dem bekannten co- Auflistung von zu bewältigenden Alltagssitua-
lour), aber auch aus der L1 und anderen Spra- tionen (Europarat 2001, Kap. 4). Einen hohen
chen: Aufgrund ihrer Formähnlichkeit helfen Gebrauchswert haben Wörter mit großer kom-
hier die sog. Kognate, z. B. dt. interessant, engl. munikativer Reichweite wie die auf der mittle-
interesting, frz. intéressant oder dt. Taxi, tschech. ren Hierarchieebene angesiedelten basic level
taxi (auf der ersten Silbe betont), frz. taxi, russ. terms (vgl. Rosch 1975): So ist ›Hund‹ vielseiti-
такси/taksi (auf der letzten Silbe betont). Zwar ger einsetzbar als ›Tier‹ (zu unspezifisch) oder
ist der ä Transfer in der Sprachproduktion ›Dackel‹ (zu spezifisch). Eine hohe Kombinier-
schwieriger und fehleranfälliger, dennoch ist es barkeit haben v. a. die Synsemantika (changer
stets ratsam, solcherlei transfergeleitete Hypo- de, aller avec), was erneut den engen Bezug zur
thesen zu bilden, um die Kommunikation auf- Grammatik zeigt. Im konkreten Unterrichts-
rechtzuerhalten und den Lernprozess einzulei- kontext müssen die zu lernenden Wörter im
ten. Damit nichts Falsches haften bleibt, sollten Hinblick auf den produktiven oder rezeptiven
die Hypothesen auch überprüft werden, etwa Gebrauch, den Stellenwert im Text und den
durch Nachfragen (hierfür benötigen die SuS allgemeinen Gebrauchswert ausgewählt wer-
Redemittel) oder bewusstes Abwarten der Re- den.
aktion des Gesprächspartners. Der Aufbau des Die Vermittlung vollzieht sich traditioneller-
potenziellen W.es ist für das autonome Wörter- weise in vier Schritten, in denen sich die oben
lernen und für das Erschließen einsprachiger beschriebenen Erwerbsphasen (Lernerperspek-
Worterklärungen hilfreich, insbesondere beim tive) wiederfinden: (1) Semantisierung: Darbie-
Tertiärsprachenerwerb (ä Spanisch, Italienisch, tung von Wortform und -bedeutung (Wahrneh-
Polnisch usw.). men, Verstehen), (2) Festigung: Wiederholung
Der Erwerb des Einzelwortes wird in vier in verschiedenen Übungsformen (Speichern),
Phasen modelliert: (1) Wahrnehmung durch (3  und 4) Sprachanwendung und Kontrolle:
Dechiffrierung der Laut- und Graphemstruk- syntagmatische Umsetzung (Abruf, Gebrauch).
tur, (2) Verstehen durch Bedeutungsaufbau, (3) Die Vermittlung orientiert sich in allen Schrit-
Speichern durch Einflechtung ins mentale Lexi- ten an den Strukturen des mentalen Lexikons.
kon, (4) Abruf und Gebrauch durch Zugriff auf (1) Semantisierung: Wörter werden entweder
Konzepte und Wortformen. Diese Phasen ha- beiläufig (implizit) oder in spezifischen Phasen
ben fließende Übergänge, denn z. B. wird nicht (explizit) eingeführt. Ersteres geschieht eher im
nur durch aktives Einprägen gespeichert, son- Aufbau- oder Fortgeschrittenenunterricht, wenn
dern auch durch Wortgebrauch. Außerdem die inhaltliche Arbeit im Vordergrund steht und
durchlaufen nicht alle Wörter alle Phasen in Wortbedeutungen unbewusst, ohne Aufmerk-
derselben Intensität: Wer z. B. ital. intenzione samkeitsfokus (ä Aufmerksamkeit) erschlossen
aus frz. intention inferiert, kann dieses Wort werden. Im Anfangsunterricht wird der Fokus
rasch verstehen und sich die spezifischen Wen- auf das Wort gesetzt, zuerst auf seine Form,
dungen für den Gebrauch erschließen. Eine dann auf den Inhalt. Das Wort wird in der Re-
langfristige Speicherung hängt noch von weite- gel zuerst vorgesprochen, dann mehrfach nach-
ren Parametern ab: dem Sprach- und Kulturbe- gesprochen (im Chor, alleine oder gemeinsam
wusstsein, der Offenheit für die fremde Kultur, gemurmelt), danach schriftlich fixiert und ggf.
dem Vorwissen und den ä Lernstrategien sowie erläutert (etwa bei Laut-Schrift-Abweichungen)
von positiven ä Emotionen und von ä Motiva- und schließlich von den SuS abgeschrieben.
tion. Später können Laut- und Schriftform gemein-
W.arbeit impliziert Überlegungen zu Um- sam präsentiert oder Wörter nur vom Graphem
fang, Auswahl und Vermittlungsmodi. Der in aus gelernt werden. Für die Bedeutungserklä-
den ä Lehrplänen verankerte Wörterumfang rung stehen ein- und zweisprachige Verfahren
variiert zwischen den Sprachen, Bundesländern zur Verfügung, deren Wahl vom Wort selbst
und Schulformen von 400 bis 700 Wörtern pro (Erschließbarkeit, Wortart), dem Schüler-
Jahr. Die in den Grundwortschätzen und interesse und -vorwissen und der bereitste-
ä Lehrwerken getroffene Auswahl orientiert henden Zeit abhängt. Die einsprachige Seman-
sich im Wesentlichen an der Häufigkeit, dem tisierung hat eine lange, erfolgreiche Tradition.
Wortschatz und Wortschatzvermittlung 380

In einem gelenkten ä Unterrichtsgespräch er- schließungsstrategien geübt werden. Bei der


klärt die Lehrkraft Nomen sinnvollerweise in zweisprachigen Semantisierung, die den großen
thematischer Einbettung (Kind, Unfall, Roll- Vorteil der schnellen Bedeutungsvermittlung
stuhl), mit Beschreibungen (Kinderfahrrad, zu genießt, reichen Übersetzungen meist nicht aus,
klein), Teil-Ganzes-Relationen (Körper – Arme), weil die in den ›Wortgleichungen‹ suggerierte
Analogieschlüssen (Straßenbahn – Schiene: Gleichheit eben nicht vorliegt und die Kultur-
LKW – Fahrspur), Erklärungen, Definitionen, spezifik vieler Wörter fremdkulturelle Erklä-
Paraphrasen, äußeren Merkmalen und Funkti- rungen erfordert (die in der L1 indes sehr prä-
onen, Ober- und Unterbegriffen. Adjektive zise umgesetzt werden können). Eine Überset-
können über Quasi-Synonyme, Antonyme oder zung kann also immer nur der erste Schritt sein,
Hypostasierungen (= Verdinglichungen proto- dem eine intralinguale Einflechtung ins mentale
typischer Vertreter, z. B. tiefer Brunnen) ver- Lexikon folgen muss, damit eine kommunika-
deutlicht werden. Verben werden mit typischen tive Verfügbarkeit der Wörter erzielt wird (vgl.
Handlungen verknüpft, sie treten oft mit prä- Bohn 1999, 78 ff.; Krechel 2007, 30 ff.). Im
positionalem Anschluss (finir de faire qc) oder Rahmen konstruktivistischer und handlungs-
in Kollokationen auf (frz. passer le bac, *faire orientierter Ansätze (ä Konstruktivismus/Kon-
le bac) und werden in Beispielsätzen vermittelt. struktion, ä Handlungsorientierung) wird die
Zum Ausgleich ihrer Bedeutungsarmut werden eigenständige W.erarbeitung, die sog. Autose-
auch Partikel, Präpositionen, Adverbien und mantisierung stark favorisiert. Sie erfordert
Pronomen syntagmatisch präsentiert (z. B. at eine Hinführung mit geeigneten metakognitiven
school, in London, for him, to her). In den und kognitiven Strategien (u. a. Inferenz, Wör-
letzten Jahren wird das ä chunk learning für terbucharbeit).
den Grammatik- wie für den Wortschatzerwerb (2) Festigung: Selten gebrauchte Wörter ver-
als sehr hilfreich erachtet: Das syntaktische lieren ihre Gedächtnisspuren, d. h. sie werden
Zusammenschweißen frequenter Wendungen vergessen. Viele Wörter werden aber erst gar
wie I don’t care wird ohne grammatische De- nicht langfristig gespeichert, weil sie aufgrund
konstruktion gelernt und verhilft so zu rascher von Hemmungen durch andere Wörter oder
Einsetzbarkeit, zu freien mentalen Kapazitäten mangelnder Vernetzung im mentalen Lexikon
für andere Aufgaben und zu leichterem Gram- zu wenig Halt haben. Daher muss neuer W.
matikerwerb im Nachhinein. Schließlich eignen mehrfach und vielfältig geübt werden, wobei
sich affektiv beladene Wörter (friendship, ill- dieselben Verknüpfungsformen wie bei der Se-
ness), um bei den Lernenden individuelle Asso- mantisierung sinnvoll sind. Die ä Übungen sol-
ziationen auszulösen. len möglichst mehrkanalig, ganzheitlich, spiele-
Die Lehrkraft bettet ihre Erklärungen in eine risch, affektiv, kreativ und kommunikativ ange-
kleine Geschichte ein und regt durch Redun- legt sein (Geschichten oder Hörspiele schreiben,
danzen und Mischung möglichst vieler der ge- eigene Übungen entwerfen). Schließlich schüt-
nannten Verfahren verschiedene Eingangska- zen solche Wiederholungen am besten vor dem
näle und individuelles Vorwissen an. Sie unter- Vergessen, die zunächst in kleinen und dann in
stützt ihre Ausführungen durch (audio)visuelle immer größer werdenden Intervallen und in-
Mittel (Realien, ä Bilder, Photos, Graphiken, haltlich variierenden Kontexten angelegt sind,
Zeichen, Symbole, Filmausschnitte), Nonverba- mündlich wie schriftlich, je nach Einzelwort
lia (Mimik, Gestik, Pantomime; ä Nonverbale rezeptiv oder produktiv.
Kommunikation) und Paraverbalia (z. B. engl. Für das autonome, oft häusliche Wörterler-
whisper durch Flüstern) sowie durch meta- nen benötigen die SuS Angebote für Speicher-
sprachliche Erklärungen etwa grammatischer strategien, im Einzelnen Ordnungs-, Elabora-
Besonderheiten (ä Metakognition). Die Wörter tions- und Wiederholungsstrategien. Sie sollten
sollten den SuS nicht in der (zufälligen) Textrei- die Wörter zunächst selbsttätig ordnen und mit
henfolge, sondern inhaltlich geordnet präsen- ihnen bereits bekannten Wörtern verbinden,
tiert werden. um sie dann zu elaborieren, d. h. mit erfunde-
Wegen der zeitlichen Intensität der einspra- nen Geschichten, Emotionen und Bewegungen
chigen Semantisierung lehnen SuS diese mitun- (dazu gehört auch das eigene Aufschreiben der
ter ab. Dabei ist genau diese Zeit aber gut ge- Wörter) kreativ auszugestalten. Visuell und
nutzt, weil die Lernprozesse bereits einsetzen auditiv unterstützend wirken Reime, Lieder
und außerdem andere Fertigkeiten und Er- (ä Musik), Merkverse sowie Akronyme, Zeich-
381 Wortschatz und Wortschatzvermittlung

nungen, Wortikone (bebilderte Wörter; z. B. gilt, dass so getestet werden muss, wie geübt
wird das ›o‹ in span. el sol als Sonne gemalt), wurde, weil für Speicherung und Abruf im
Poster, Klebezettel auf Gegenständen und die mentalen Lexikon dieselben Prinzipien vorherr-
altbewährte Loci-Technik, bei der zusammen- schen: mehrfache und vielfältige Vernetzung
hangslose Wörter mental mit bekannten Orten der Wörter, wobei die thematischen und die
in Verbindung gesetzt und hierüber memoriert syntagmatischen Wortverbindungen besonders
werden. Die hoch wirksame Schlüsselwort- hervorzuheben sind. Ein weiterer Grund für
Methode für schwer zu merkende Einzelwörter dieses spiegelbildliche Verfahren ist die Tatsa-
vereint beide Kanäle (vgl. Stork 2003). Die che, dass ä Tests starke Auswirkungen auf das
komplexere Wörternetz-Strategie umfasst meh- Lernverhalten der SuS haben (washback-Ef-
rere der genannten Einzelstrategien: eigenes fekt): Wenn ein Test z. B. Wörter in Listen von
Ordnen, vernetztes Aufzeichnen, kreatives Ela- Wortgleichungen fordert, so werden die SuS
borieren und sinnvolles Wiederholen. Die in- vermutlich auch mit Listen lernen, auch wenn
tensive Eigenkodierung (mit Kopf, Herz und im Unterricht kommunikative Übungs- und
Hand; learning by doing) bewirkt eine tiefe Aufgabenformate vorherrschten. Kontrollfor-
Verarbeitung und langes Behalten (vgl. Neve- men müssen ferner in dem Sinne nützlich sein,
ling 2004, 2016). Auch für das autonome Wör- dass sie W. wiederholen und erweitern und die
terlernen ist das strategische Wiederholen SuS einen individuellen Nutzen für sich verbu-
wichtig, das wie das lehrergesteuerte Wiederho- chen (vgl. Aguado 2004, 234).
len den Prinzipien des Intervalllernens und der Lit.: K. Aguado: Evaluation fremdsprachlicher
Variation folgen sollte. Schließlich fördert das W.kompetenz. Funktionen, Prinzipien, Charakteris-
Dokumentieren des eigenen Lernprozesses in tika, Desiderate. In: Fremdsprachen lehren und lernen
Lerntagebüchern Sprachbewusstheit (ä Bewusst- 33 (2004), 231–2250. – R. Bohn: Probleme der W.ar-
beit. Bln 1999. – F. Craik/R. Lockhart: Levels of Pro-
heit/Bewusstmachung) und Lernerfolg (vgl. cessing. A Framework for Memory Research. In:
Haudeck 2008). Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior 11
(3) Sprachanwendung: Während bei der Fes- (1972), 671–684. – H. Haudeck: Fremdsprachliche
tigung das gesamte paradigmatische und syn- W.arbeit außerhalb des Klassenzimmers. Tüb. 2008. –
tagmatische Verbindungspotenzial eines Wortes H.-L. Krechel (Hg.): Französisch Methodik. Hand-
buch für die Sekundarstufe I und II. Bln 2007, 30–55. –
primär in isolierter Form geübt wird, zielt die P. Kühn: Interkulturelle Semantik. Nordhausen 2006.
Sprachanwendung auf den rein syntagmati- – M. A. Lewis: Towards a Lexical View of Language.
schen Abruf. Sie fördert den morphosyntak- A Challenge for Teachers. In: Babylonia 3 (2005),
tisch, kollokatorisch richtigen und pragmatisch 7–10. – A. Müller-Hartmann/M. Schocker: Let’s
angemessenen Gebrauch in der Kommunika- Chunk It! Wortschatz und Grammatik integriert ent-
wickeln. In: Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch
tion sowie die entsprechenden Kommunika-
140 (2016), 2–12. – C. Neveling: Wörterlernen mit
tionsstrategien zur Aufrechterhaltung des Wörternetzen. Eine Untersuchung zu Wörternetzen als
Gesprächs. Aufgaben zum Training der Sprach- Lernstrategie und als Forschungsverfahren. Tüb.
anwendung sind umfassender als Festigungs- 2004. – C. Neveling: W. In: E. Burwitz-Melzer et al.
übungen, sie sind ganzheitlich, mitteilungsori- (Hg.): Handbuch FU. Tüb. 62016 [1989, 116–121. –
entiert und in authentische bzw. authentizitäts- E. Rosch: Cognitive Representations of Semantic Ca-
tegories. In: Journal of Experimental Psychology 104
nahe kommunikative Situationen eingebettet (1975), 192–233. – A. Stork: Vokabellernen. Eine Un-
(ä Authentizität). Z. B. werden in Partnerarbeit tersuchung zur Effizienz von Vokabellernstrategien.
gegenseitige Informationslücken geschlossen Tüb. 2003. ChN
(ä Information Gap), indem Wörter zu einem
Bild erfragt, benannt, beschrieben, erklärt, pa-
raphrasiert usw. werden. Hier bringen SuS die-
selben Worterklärungen wie die Lehrkraft bei
der Semantisierung zum Einsatz.
(4) Kontrolle: Überprüft werden müssen der
Umfang, die Verarbeitungstiefe (rezeptiv/pro-
duktiv), die deklarative und prozedurale Be-
herrschung der formalen und inhaltlichen
Wortkomponenten sowie die lexikalischen
Strategien. Dies in valider Form zu erreichen,
ist ein schwieriges Unterfangen. Grundsätzlich
Zeitschriften 382

Neueren Sprachen wegen Unwirtschaftlichkeit


Z eingestellt) einen Platz unter den ersten zehn. In
Deutschland sind viele fachdidaktische Organe
an die Berufsvertretungen der Fremdsprachen-
Zeitschriften. Die überörtliche Diskussion der lehrenden gebunden. Deren Zahl ist seit der
am FU beteiligten Personen findet virtuell in Gründung des Gesamtverbands Moderne
den dafür vorhandenen Publikationsorganen Fremdsprachen (GMF) im Jahr 2007 weiter
statt. Dabei spielen Z.en, gedruckte oder elek- gestiegen. Hinzu gekommen ist die Vorver-
tronische, eine wichtige Rolle, weil sie in regel- legung des FUs in die Primarstufe. Auch dies
mäßigen Abständen und zeitnah forschungs- hat Z.en-Neugründungen nach sich gezogen.
relevante, nachsorgend-fortbildende, praxis- Das Informationszentrum für Fremdsprachen-
stützende und meinungsbildende Beiträge pu- forschung (http://www.uni-marburg.de/ifs/litera
blizieren, die im Vergleich mit Büchern von turrecherche/zeitlist) stellt eine relativ voll-
einem größeren Leserkreis rezipiert werden. ständige Liste von deutschen Publikationsor-
Für Wissenschaftler, Praktiker, Bibliothekare ganen ins Netz. Welche Rolle die elektronischen
und Geldgeber kommt es darauf an, aus der Z.en in diesem Zusammenhang zu spielen in
Vielzahl der Angebote das im Rahmen ihrer der Lage sind, muss die Zukunft zeigen. Die
Notwendigkeiten am besten Geeignete heraus- Binnenkommunikation der deutschen Fach-
zusuchen. Im Zeitalter der ä Globalisierung wird Z.en ist von Heuer 2004 für den Zeitraum von
der für Fremdsprachenlehrende immer schon 1970 bis 1980 beschrieben worden. Welcher
erforderliche Blick über den nationalen Teller- Autor wird wie häufig zitiert? Lassen sich so
rand hinaus zur Pflicht. Um nun aber zu ermit- ›Leitautoren‹ ermitteln? Welche Z. wird in wel-
teln, welches die international führenden Z.en cher anderen Z. zitiert? Der Vergleich mit der
sind, bedarf es eines möglichst neutralen Beob- Fachdiskussion, wie sie in Language Teaching
achters, der den Markt kontinuierlich und um- abgebildet wurde, zeigt, dass sich die deutsche
fassend absucht und die Produkte fachmännisch Fachdidaktik vom internationalen Diskurs re-
begutachtet. Vierzig Jahre lang, von 1968 bis lativ stark abgekoppelt hat: Die Namen der
2007, berichtete das Referateorgan Language nationalen und der internationalen ›Leitauto-
Teaching, früher Language Teaching and Lin- ren‹ sind komplementär verteilt.
guistics: Abstracts, über den internationalen Lit.: H. Heuer: Die Zitationsanalyse in der Fremd-
fachdidaktischen Diskurs. In der Hochzeit wa- sprachendidaktik 1970–1980 und die Position Wolf-
ren die Kompilatoren dieser annotierten Biblio- gang Butzkamms. In: L. Deringer (Hg.): Innovative
graphie auf ca. 400 fremdsprachendidaktische Fremdsprachendidaktik. FfM 2004, 189–239. –
U. O. H. Jung: After 40 Years Language Teaching
Z.en in den gängigen Sprachen abonniert. Als Drops Its Bibliographic Service. A Valedictory Note.
Printmedium hatte dieser Anzeiger jedoch mit In: System 35/4 (2007), 623–625. UJ
einem Handicap zu kämpfen: Pro Jahr konnten
von den schätzungsweise 8000 Z.en-Aufsätzen
aus aller Welt im Schnitt nur 450 angezeigt Zentralabitur. Als Z. wird die Abiturprüfung
werden. Es musste also eine Auswahl nach bezeichnet, wenn die schriftlichen Prüfungsauf-
Qualitätsmaßstäben getroffen werden. Mit je- gaben durch eine zentrale Behörde vorbereitet,
dem Autor bzw. jeder Autorin aber, der bzw. die koordiniert und durchgeführt werden. In der
zur Anzeige gebracht wurde, wurde die Z., in Bundesrepublik Deutschland gibt es derzeit in
der er oder sie publiziert hatte, ko-selektiert. Im allen Bundesländern außer Rheinland-Pfalz ein
Laufe von 40 Jahren hat sich durch diesen Aus- Z. (vgl. www.bildungsserver.de/). Unterschied-
wahlprozess ein bibliometrisch harter Kern von liche historische und politische Entwicklungen
Z.en herausgebildet, der kontinuierlich die lassen sich in drei Etappen auf dem Weg zum Z.
vorderen Plätze belegt und konkurrierende Z.en zusammenfassen. Zunächst wurde nach dem
verdrängt hat (vgl. Jung 2007). Es handelt sich Zweiten Weltkrieg ein Z. in Bundesländern
um zehn englischsprachige, eine kanadische eingeführt, die unter französischer und ameri-
(die sowohl englisch- wie französischsprachige kanischer Verwaltung standen, d. h. Saarland,
Artikel druckt) und eine rein französischspra- Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-
chige Z. Als einzige deutschsprachige Z. er- Pfalz (hier wurde es anschließend wieder abge-
reichten Die Neueren Sprachen im Zeitraum schafft). Nach der Wiedervereinigung führten
von 1968 bis 1995 (in diesem Jahr wurden Die vier der Neuen Bundesländer das Z. ein, näm-

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7_24, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
383 Zertifikate

lich Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, desländern (z. B. Niedersachsen) auch ein zwei-


Sachsen und Sachsen-Anhalt. Eine dritte Etappe sprachiges Wörterbuch zugelassen. Dies hat
in der Entwicklung hin zum Z. setzte nach der u. a. mit der inhaltlichen Gestaltung der fremd-
Jahrtausendwende ein, als ein bundesweiter sprachlichen Abiturprüfung zu tun. Einige
Trend in Richtung Z. in der Nachfolge der Länder haben hier explizit sprachpraktische
ä PISA-Studie sichtbar wurde. Zwischen 2005 Anteile vorgesehen, z. B. Übersetzungen oder
und 2008 wurde das Z. (teilweise noch nicht in kombinierte Aufgaben (Text und ä Sprachmitt-
allen Fächern) sukzessive eingeführt in den lung/Hör-Sehverstehen), während andere ledig-
Ländern Brandenburg, Hamburg, Niedersach- lich eine Textaufgabe vorsehen. In Baden-
sen, Bremen, Berlin, Hessen, Nordrhein-West- Württemberg muss eine Übersetzung angefer-
falen und Schleswig-Holstein. Während in tigt werden, ebenso in Bayern, während
Rheinland-Pfalz das dezentrale Abitur beibe- Thüringen neben der üblichen Textaufgabe ei-
halten wird, bei dem Aufgabenvorschläge durch nen sprachpraktischen Teil vorschreibt.
die Lehrkräfte eingereicht und von Landesfach- Der Begriff Z. suggeriert aber auch in ande-
beratern überprüft werden, gibt es mittlerweile rer Hinsicht eine Eindeutigkeit, die so keines-
bereits auch Diskussionen um ein bundesweites wegs immer gegeben ist, denn es gibt zum Teil
Z. (vgl. Lorenz 2013, 58). Brandenburg und erhebliche Unterschiede bei der Auswahl der zu
Berlin führen ab 2009/10 ein gemeinsames Z. bearbeitenden Aufgaben. Gelegentlich werden
für die Fächer Englisch, Deutsch, Französisch zentral mehrere Vorschläge durch die überge-
und Mathematik ein. ordnete Behörde vorgelegt. In manchen Bun-
Der Begriff Z. suggeriert insbesondere in bil- desländern wird durch die Lehrkraft eine Vor-
dungspolitischen Debatten eine Eindeutigkeit auswahl getroffen, indem diese wenig geeignete
und auch Einheitlichkeit, die aufgrund der sehr Aufgabenstellungen aussortiert. Häufig kann
unterschiedlichen länderspezifischen Ausgestal- zudem durch die Prüflinge eine weitere Aus-
tung tatsächlich nicht gegeben ist. Mit Blick auf wahl zwischen verschiedenen Vorschlägen ge-
Korrekturverfahren (ä Korrektur), zugelassene troffen werden. Da dies aber nicht in allen
Hilfsmittel, Inhalte und Prüfungsdauer gibt es Bundesländern der Fall ist, wird eine Vergleich-
teilweise gravierende Unterschiede zwischen barkeit bundesländerübergreifend nur schwer
den Bundesländern. Wird die Erstkorrektur in möglich. Die bildungspolitische Diskussion um
der Regel von der Fachlehrkraft durchgeführt, die mögliche Einführung eines bundeseinheitli-
gibt es bei der Zweitkorrektur sehr unterschied- chen Z.s muss daher die äußerst unterschiedli-
liche Modelle. In vielen Bundesländern wird die chen Ausprägungen zentraler Abiturprüfungen
Zweitkorrektur von einer Lehrkraft der glei- mit Blick auf Inhalte, deren Auswahl, Korrek-
chen Schule durchgeführt (z. B. Bayern, Berlin, turverfahren und Hilfsmittel berücksichtigen
Brandenburg, Niedersachsen), während andere (vgl. Holmeier 2013; Maag Merki 2012).
Länder wiederum unterschiedliche Modi exter- Lit.: M. Holmeier: Leistungsbeurteilung im Z. Bln
ner Korrekturen durchführen. So wird in Ba- 2013. – R. Lorenz: Das Z. im Kontext der Bildungsge-
den-Württemberg die Zweitkorrektur von der rechtigkeit. Schwierigkeiten und Fairness im Kontext
Lehrkraft einer anderen Schule durchgeführt; der Abituraufgaben im Fach Englisch in NRW. Müns-
ter 2013. – K. Maag Merki: Z. Die längsschnittliche
Name und Note der Erstkorrektur sind dabei Analyse der Wirkungen der Einführung zentraler Abi-
nicht bekannt. Die endgültige Note wird durch turprüfungen in Deutschland. Bln 2012. ChL
einen Drittkorrektor ermittelt, der bei Abwei-
chung der beiden Erstkorrekturen um mehr als
zwei Punkte eine weitere Korrektur vornimmt. Zertifikate. Fremdsprachenzertifikaten kommt
In Hamburg werden die Arbeiten im Z. durch im schulischen wie außerschulischen Kontext
eine Chiffre-Nummer anonymisiert und an- besondere Bedeutung zu, leisten sie doch, was
schließend zunächst von der Fachlehrkraft und je nach Bundesland spezifische Schulabschlüsse
dann durch die Lehrkraft einer anderen Schule nicht leisten können: Sie stellen eine individu-
korrigiert. In Sachsen gibt es drei anonyme elle, jedoch vergleichbare Bestätigung einer
Korrekturvorgänge. Die Inhalte im Z. werden fremdsprachlichen Qualifikation dar und er-
zwar vorgegeben, doch auch hier werden ver- möglichen einen Vergleich von fremdsprachli-
schiedene Varianten praktiziert. Bei den Abitur- chen ä Kompetenzen über unterschiedliche Sys-
prüfungen in den Fremdsprachen ist teilweise teme und (Bundes-) Ländergrenzen hinweg. Z.
ein einsprachiges ä Wörterbuch, in einigen Bun- werden i. d. R. von internationalen Test- oder
Zertifikate 384

Kulturinstituten nach standardisierten Verfah- wichtige Rolle, um berufsbezogene, internatio-


ren entwickelt und in anerkannten Testzentren nal anerkannte Qualifizierungen zu erhalten,
abgenommen. Sie sind standardisiert, orientie- wie etwa Z. der Chambre de commerce et
ren sich an Kriterien, die transparent, vergleich- d’industrie de Paris oder der Cámara de Co-
bar und nachvollziehbar sind, erfassen alle mercio e Industria de Madrid. Im Bereich der
kommunikativen Kompetenzen, und sie bieten fremdsprachlichen Zulassungstests zum Stu-
Transparenz in der Bedeutung und Auslegung dium oder zur Einwanderung gibt es eine
eines erreichten Kompetenzniveaus (vgl. Reihe von anerkannten Z.-Prüfungen, wie
Harsch). Die Mehrheit der internationalen Z. etwa DELE (Diplom für ä Spanisch als Fremd-
bezieht sich inzwischen auf den ä Gemeinsamen sprache, www.dele.org/deutsch), DELF/DALF
europäischen Referenzrahmen (GeR), der über (Diplom für ä Französisch als Fremdsprache,
Europa hinaus als Rahmenmodell und Refe- www.institutfrancais.de/franzoesisch-lernen/
renzsystem Anerkennung gefunden hat. Oft je- delf-dalf), TestDaF (www.testdaf.de) oder
doch sind die Z.-Prüfungen im Nachhinein an TOEFL (Test of English as a Foreign Language,
den GeR angebunden worden; das bedeutet, www.ets.org/toefl). Gerade im internationalen
dass Z., die dasselbe Niveau bescheinigen, sich Kontext, wenn von einer Prüfung Zulassungs-
dennoch stark in ihren Inhalten unterscheiden berechtigungen zu Studium oder Einwanderung
können. Z. werden in den unterschiedlichsten abhängen, wird ein gemeinsamer Referenz-
Kontexten genutzt und existieren in entspre- punkt benötigt, der zunehmend im GeR gefun-
chend breiter Ausrichtung. Auf dem Markt fin- den wird. Universitätszulassungsstellen und
den sich beispielsweise Z. bezogen auf generelle Einwanderungsbehörden verlangen zunehmend
fremdsprachliche Kompetenzen, berufsbezo- Z., die Bezug auf bestimmte GeR-Niveaus neh-
gene Fremdsprachenkenntnisse oder fach- men. Z. haben oft eine begrenzte Gültigkeits-
sprachliche Kompetenzen (ä Fachsprache); an- dauer und werden i. d. R. zwei Jahre lang aner-
dere Z. tragen die Zulassungsberechtigungen kannt. Im universitären Bereich in Deutschland
für Studium oder Einwanderung. Der Arbeits- gibt es die UNIcert Z. (www.unicert-online.de),
markt verlangt immer häufiger Z. als Einstel- ein Ausbildungs- und Zertifikatssystem des Ar-
lungsvoraussetzung. beitskreises der Sprachenzentren an deutschen
In Europa stellt die Association of Language Hochschulen für über 20 Sprachen, das sich
Testers in Europe (ALTE; www.alte.org) die ebenfalls am GeR orientiert. Die UNIcert Z.
größte Organisation von Z.-Anbietern dar; ihr sind an den Besuch von Sprachkursen und das
gehören z. B. Cambridge ESOL (English for Ablegen von nicht-standardisierten Prüfungen
Speakers of Other Languages), das Centre in- gebunden und können an akkreditierten Insti-
ternational d’études pédagogiques (CIEP) und tutionen erworben werden. Sie werden von den
das Goethe-Institut an. Alle Mitglieder haben teilnehmenden Institutionen anerkannt.
sich auf die Einhaltung bestimmter Qualitäts- Bei der Vielfalt von Z.n und Anbietern müs-
standards (ä Qualität) geeinigt (www.alte.org/ sen bestimmte Gütekriterien und Anforderun-
setting_standards/minimum_standards), und die gen an Z. angelegt werden. Da die Vergabe von
Mehrheit der Anbieter hat ihre Z. mehr oder Z.n im fremdsprachlichen Kontext in der Re-
weniger fundiert an den GeR angebunden. Z. gel  von der Ablegung eines standardisierten
der ALTE-Mitglieder beanspruchen Vergleich- Sprachkompetenztests abhängt, müssen die den
barkeit in Europa und schaffen somit Vorteile Z.n zugrunde gelegten ä Tests den internatio-
bei Bewerbungen im In- und Ausland. Das An- nalen Standards der Testentwicklung, Durch-
gebot variiert von generellen Z.n bis hin zu führung und Auswertung sowie den Test-
beispielswesie von Cambridge English Lan- gütekriterien der Objektivität, Reliabilität und
guage Assessment angebotenen Z.n im Bereich Validität genügen. Hier darf auf die Guidelines
business English und legal English. Häufig of Good Practice der European Association of
werden Z. auf verschiedenen Niveaus des GeR Language Testing and Assessment (EALTA; vgl.
angeboten. Die Prüfungen können an zertifi- www.ealta.eu.org/guidelines.htm) und auf den
zierten Zentren, Kulturinstituten, häufig auch Code of Ethics and Guidelines for Good
an der Volkshochschule (ä Volkshochschulun- Practice der International Language Testing
terricht) und teilweise an Schulen abgelegt Association (ILTA 2007) verwiesen werden.
werden. Daneben spielen in der Berufswelt Z. Üblicherweise finden sich bei den Z.-Anbietern
der Industrie- und Handelskammern eine Hinweise auf die Qualitätsstandards des
385 Zertifikate

Fremdsprachenzertifikats, wie etwa bei den che Maßstäbe angesetzt, jedoch nicht zum
Mitgliedern der ALTE, die sich zur Einhaltung Zweck der Zertifizierung von erreichten Kom-
bestimmter Gütestandards verpflichtet haben. petenzen für individuelle Lernende, sondern
Berichte über wissenschaftliche Studien zur zum Zweck des systembezogenen Bildungsmo-
Testqualität sollten öffentlich zugänglich sein. nitoring. Daher kann die Evaluation der Bil-
Inhaltlich sollten Z.-Prüfungen die für den je- dungsstandards, die als sog. Ländervergleich in
weiligen Kontext relevanten Bereiche, Kennt- regelmäßigen Abständen durchgeführt wird,
nisse, ä Fertigkeiten oder anwendungsbezoge- keine Hinweise zum Leistungsstand einzelner
nen Kompetenzen abdecken, um inhaltliche SuS geben. Der Ländervergleich, der mittels
Validität zu erzielen und Aussagekraft für den standardisierter und empirisch auf den GeR
jeweiligen Kontext zu besitzen. Dazu müssen kalibrierter Messinstrumente durchgeführt wird,
der Prüfungserstellung Analysen des Bedarfs zeigt vielmehr Tendenzen im Gesamtsystem auf
und der sprachlich-kommunikativen Anforde- und soll bei bildungspolitischen Entscheidun-
rungen vorausgehen. Hier zeigt sich, dass die gen informieren. Eine Ausnahme in der deut-
Inhalte der Z.-Prüfungen jenseits der schulspe- schen Schullandschaft stellen allerdings die
zifischen ä Lehrpläne liegen und in den Anfor- KMK-Z. in der beruflichen Bildung dar: Sie
derungen und Bedürfnissen der Berufswelt so- sind ein Versuch, Abschlüsse über Bundeslän-
wie verschiedener gesellschaftlicher Felder zu dergrenzen hinweg vergleichbar zu gestalten
finden sind. Auch die Bedarfs- und Inhaltsana- und damit anerkennbar zu machen. Auch sie
lysen sollten der Öffentlichkeit zugänglich sein, orientieren sich am GeR.
um die Bedeutsamkeit und Angemessenheit des Das Verhältnis von Schule und außerschuli-
Zertifikats einschätzen zu können. Um die er- schen Z.-Prüfungen ist nicht ungetrübt. In eini-
wähnte internationale Vergleichbarkeit in Be- gen Bundesländern werden externe Z.-Prüfun-
zug auf inhaltliche Kriterien und Kompetenzni- gen in den Schulen angeboten. In Berlin etwa
veaus zu erreichen, müssen Z.-Prüfungen gibt es seit 2009 ein Kooperationsprojekt zwi-
transparent, nachvollziehbar und wissenschaft- schen Senat und Cambridge English Language
lich fundiert an das jeweils gewählte Referenz- Assessment. In anderen Bundesländern werden
system, wie z. B. den GeR, angebunden werden. Z.-Prüfungen eher als Konkurrenz zu schuli-
Diese Anbindung wird im internationalen Kon- schen Prüfungen betrachtet und erhalten kei-
text standard setting genannt. Dabei werden nen Einzug in die Schulen. Die Grenzen schuli-
Testaufgaben oder Prüfungsleistungen in ihren scher Aufgaben und Pflichten müssen letztlich
Inhalten, Anforderungen, Schwierigkeiten oder auf der Basis öffentlicher Diskussion und Mei-
Leistungscharakteristika von Experten einge- nungsfindung gesetzt werden. Folgende Fragen
schätzt und beurteilt. Diese Beurteilung bildet könnten in diesem Spannungsfeld diskutiert
die Grundlage für die Einteilung der den Prü- werden: Liegt die außerschulische Zertifizie-
fungen zugrunde liegenden Kompetenzskala in rung im Aufgabenfeld der Schulen? Wie viel
ihre Kompetenzniveaus. Es versteht sich von Zeit kann in die Vorbereitung außerschulischer
selbst, dass auch der Prozess des standard set- Z. investiert werden? Liegt die Finanzierung
ting öffentlich kommuniziert werden muss, um solcher Z. im Verantwortungsbereich der Schu-
verlässliche und vergleichbare Zertifizierungen len? Wer ist für Lehreraus- und -fortbildung
zu dokumentieren. verantwortlich, wenn Lehrkräfte solche Prü-
Im Gegensatz zu Z.-Prüfungen sind Schulab- fungen abnehmen sollen?
schlussprüfungen in Deutschland oft nicht ver- Letztlich hängt die Aussagekraft der Z. einer-
gleichbar, da sie je nach Schulart und Bundes- seits von der transparenten Dokumentation der
land spezifisch erstellt werden. Sie werden nicht Erforschung und Erprobung der Instrumente
immer zentral gestellt oder zentral ausgewertet ab, die auch für Nicht-Testspezialisten nach-
(ä Zentralabitur) und sind bisher nicht empi- vollziehbar sein sollte; andererseits hängt sie
risch an die Kompetenzniveaus des GeR ange- direkt von der Güte der Durchführung und
bunden. Somit erfüllen sie in der Regel nicht Auswertung der Prüfungen ab. In der Praxis
die internationalen Test-Standards und haben allerdings wird die Beurteilung der Güte der Z.
nur bedingte Aussagekraft in ihrem jeweiligen durch ihre Anerkennung in Bildung, Wirtschaft
Kontext. Mit der Einführung der KMK-Bil- und Politik ersetzt. Dem Laien kann die Güte
dungsstandards (ä Standards) wurden erstmals an sich egal sein, denn er wird das Zertifikat
im deutschen Schulsystem bundesweit einheitli- erwerben, das von der relevanten Institution
Zertifikate 386

anerkannt wird. Hier gibt es für die anerken- der beiden Sprachen immer interagieren,
nenden Institutionen noch Handlungsbedarf, kommt es zu partiellen Sprachtransfers inner-
ihrerseits Gütekriterien zu entwickeln, um Z.- halb des individuellen bilingualen Gesamtsys-
Anbieter zu zertifizieren. tems (ä Transfer). Die wichtigste Bedingung für
Lit.: C. Harsch: How External Tests Can Support das Gelingen einer zweisprachigen Erziehung
Teaching and Learning in the Foreign Language Class- ist eine bewusst praktizierte funktionale
room (elt.oup.com/feature/es/oxford_test_of_english/ Sprachtrennung. Die beiden erfolgreichsten
pedagogical_articles). CH Strategien verwenden entweder das Personen-
prinzip (besonders bei gemischtsprachigen El-
ternpaaren: one person/one language) oder das
Zweisprachigkeit kann als ein gruppenbezoge- Ortsprinzip. In dieser letzteren Variante wird
nes und als ein individuelles Phänomen be- v. a. von Einwanderern oder Arbeitsmigranten
trachtet werden. So kann ein Land oder eine eine gemeinsame Familiensprache (engl. home
Region zweisprachig sein, oder eine Ethnie fin- language) von der Umgebungssprache (engl.
det sich mehr oder weniger verteilt in bestimm- local language) abgegrenzt. Um bei Kindern Z.
ten Siedlungsräumen (Baker 2006, 2 ff.). Auf zu verankern, sind beide Strategien auf Konse-
der individuellen Ebene entspricht die gängige quenz und Beharrlichkeit angewiesen, denn der
Vorstellung von einer ›perfekten‹ Mutterspra- größte Mythos ist der, dass die Bilingualität
chenkompetenz in zwei Sprachen meistens von Kindern sich scheinbar mühelos einstellt.
nicht den Realitäten, denn die wenigsten bilin- Für die meisten Familien und Gruppen dürfte
gualen Sprecher sind sog. balanced bilinguals. das nicht zutreffen. Zweisprachige Elternhäu-
Man sollte deshalb nach dem Grad der Sprach- ser müssen gezielt für einen vielfältigen Sprach-
fähigkeit und dem Funktionspotenzial der bei- kontakt, anspruchsvollen Input, zielkulturelle
den Sprachen unterscheiden. In aller Regel set- Begegnungen und für einen spracherwerbsför-
zen bilinguale Sprecher in bestimmten Hand- dernden Interaktionsstil gegenüber dem Kind
lungskontexten die eine oder die andere Sprache sorgen – mit dezidiert eingesetzten Sprachlehr-
aktiv und mit kommunikativem Erfolg ein (si- techniken (vgl. Zydatiß 2000, 73 ff.). Insbeson-
tuationsgerechtes code-switching); während sie dere wenn in Migrantenfamilien die ä Her-
sich in anderen Zusammenhängen auf ihre re- kunftssprache wenig unterstützt wird (Stich-
zeptiven Kompetenzen zurückziehen. Einge- wort: bildungsferne Milieus), und wenn die
grenzt auf spezielle Domänen, Themen und sprachliche Identität der Zuwanderer im sozio-
Ausdrucksbereiche ist somit die eine Sprache politischen Kontext der Mehrheitskultur wenig
die ›starke‹ und die andere die ›schwache Spra- Anerkennung erfährt, unterliegen diese Kinder
che‹ des jeweiligen Sprechers. Objektiv (etwa der Gefahr, dass ihre Erstsprache in kognitiv-
über den Umfang der Redemittel) lässt sich die konzeptueller Hinsicht nicht hinreichend ent-
Bilingualität eines Menschen kaum bestimmen; wickelt wird. Erfahren sie außerdem in den
nicht zuletzt auch deshalb, weil sie kein Zu- vorschulischen und schulischen Bildungsein-
stand sondern ein dynamischer Prozess ist. Da richtungen der Mehrheitsgesellschaft keinen
sie der Erweiterung oder dem Vergessen unter- frühen und qualifizierten Unterricht in der Ver-
liegt, können sich immer wieder Verlagerungen kehrssprache, so können letztendlich die Kom-
in der relativen Stärke der beiden Sprachen er- petenzen in beiden Sprachen und damit auch
geben. Außerdem gehören für viele bilinguale die Schulleistungen darunter leiden (engl. semi-
Sprecher emotional-affektive Momente zur Z.: literacy bzw. subtractive bilingualism; vgl.
etwa das Gefühl eines größeren geistig-kultu- hierzu die Interdependenzhypothese von Cum-
rellen Horizonts oder einer zusätzlichen Leis- mins 1979). Wird dagegen (wie in immersiv-
tung. bilingualen Unterrichtskontexten; ä Immersion)
Kinder können zwei Sprachen entweder paral- zusätzlich zu einer altersgerecht gut entwickel-
lel oder nacheinander lernen, wobei als Unter- ten Erstsprache eine zweite Sprache auf hohem
scheidungskriterium zwischen einem ›doppelten Niveau erworben, dann kann eine Form der
Erstsprachenerwerb‹ und dem ›frühen Zweit- additiven Z. aufgebaut werden (engl. additive
spracherwerb‹ (ä Spracherwerb und Spracher- bzw. elective bilingualism).
werbstheorien) meistens das dritte Lebensjahr Lit.: C. Baker: Foundations of Bilingual Education
gewählt wird (engl. simultaneous vs. consecu- and Bilingualism. Clevedon u. a. 42006 [1993. –
tive/sequential bilingualism). Da die Systeme J. Cummins: Linguistic Interdependence and the Edu-
387 Zweitsprache und Zweitsprachenerwerb

cational Development of Bilingual Children. In: Re-


view of Educational Research 49 (1979), 222–251. –
W. Zydatiß: Bilingualer Unterricht in der Grundschule.
Ismaning 2000. WZ

Zweitsprache und Zweitsprachenerwerb ä Sprach-


erwerb und Spracherwerbstheorien
388

Abkürzungen

Abb. Abbildung L.A. Los Angeles


Aufl. Auflage(n) lat. lateinisch
Bd., Bde. Band, Bände Ldn London
Bln Berlin Lpz. Leipzig
bzw. beziehungsweise Mass. Massachussetts
ca. circa Mü. München
DaF Deutsch als Fremdsprache N.Y. New York
d. h. das heißt o.J ohne Jahr
Ders. Derselbe o.O. ohne Ort
Dies. Dieselbe(n) russ. russisch
dt. deutsch sog. sogenannt
ebd. ebenda span. spanisch
engl. englisch Stgt Stuttgart
FfM Frankfurt/Main SuS Schülerinnen und Schüler
frz. französisch Tüb. Tübingen
FU Fremdsprachenunterricht u. a. unter andere(m)
griech. griechisch übers. übersetzt
Hbg Hamburg usw. und so weiter
Hg. Herausgeber v. a. vor allem
ital. italienisch vgl. vergleiche
Jh./Jh.s Jahrhundert(s) z. B. zum Beispiel
Kap. Kapitel Zs. Zeitschrift

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
389

Verzeichnis der Artikel

Akkulturation Fachsprache
Aktivierung Fächerübergreifender Unterricht
Allgemeine Didaktik Feedback
Alternative Lehr-/Lernformen Fehler
Andragogik Fernunterricht
Arbeitsblätter Fertigkeiten
Audio-linguale Methode Filmdidaktik
Audio Literacy Filmkompetenz
Audio-visuelle Methode Förderunterricht
Aufgabenorientiertes Lernen Forschendes Lernen
Aufmerksamkeit Forschungsethik
Aussprache Forschungsmethoden und -instrumente
Authentizität Fossilisierung
Automatisierung Fragen
Autonomes Lernen Französisch
Fremdsprachendidaktik
Begegnung und Begegnungssituationen Fremdverstehen
Berufsorientierter Fremdsprachenunterricht Früher Fremdsprachenunterricht
Bewegter Unterricht
Bewusstheit/Bewusstmachung Ganzheitliches Lernen
Bezugswissenschaften Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen
Bilder Genderorientierte Ansätze
Bildung Generatives Prinzip
Bildungsgangforschung Generisches Lernen
Bilinguale Vorschulerziehung Geragogik
Bilingualer Unterricht Geschichte des Fremdsprachenunterrichts
Blended Learning Global Education
Global English
Chunk Learning Globalisierung
Community Language Learning (CLL) Grammatik und Grammatikvermittlung
Computer-Assisted Language Learning Grammatik-Übersetzungs-Methode
Content-Based Instruction (CBI)
Handlungskompetenz
Deduktives Lernen Handlungsorientierung
DESI-Studie Hattie-Studie
Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Hausaufgaben
Differenz Herkunftssprache
Differenzierung Heterogenität
Direkte Methode Hörspiele
Diskursfähigkeit Hörverstehen
Dramapädagogik
Identität und Identitätsbildung
Einsprachigkeit Imagination
E-Learning Immersion
Emotion Improvisation
Empirie Individualisierung
Englisch Induktives Lernen
Entdeckendes Lernen Inferenz
Erfahrungsorientierung Information Gap

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
Verzeichnis der Artikel 390

Inhaltsorientierung Lingua franca


Inklusion Literarische Kompetenz
Instruktivismus/Instruktion Literaturdidaktik
Inszenierung Literaturwissenschaft
Intercultural Speaker
Interferenz Medien
Interkomprehension Mediendidaktik
Interkulturelle Kommunikative Kompetenz Medienkompetenz
Interkulturelles Lernen Mehrsprachigkeit
Interlanguage Mehrsprachigkeitsdidaktik
Intertextualität und Intermedialität Mentales Lexikon
Metakognition
Kanon Methodenkompetenz
Kinder- und Jugendliteratur Methodik
Klassenarbeit Minderheitensprachen
Kognitivierung Moderationsmethode
Kommunikation Motivation
Kommunikative Kompetenz Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Kommunikativer Fremdsprachenunterricht Multiple Literacy
Kompetenz Musik
Konstruktivismus/Konstruktion
Kontextualisierung Narrative Kompetenz
Kontrastives Lernen Nativistische Ansätze
Kooperatives Lernen Natural Approach
Korrektur Neokommunikativer Fremdsprachen-
Korrespondenz unterricht
Kreativität Neurodidaktik
Kultur Nonverbale Kommunikation
Kulturdidaktik
Kulturwissenschaft Offener Unterricht
Orthographie
Landeskunde
Language Across the Curriculum (LAC) Performative Kompetenz
Legasthenie Perspektive und Perspektivenwechsel
Lehrer/in und Lehrerrolle PISA-Studie
Lehrerbildung Populärkultur
Lehrerforschung Portfolio
Lehrerzentrierung Poster
Lehrplan Präsentation
Lehr- und Lernort Produktorientierung
Lehrwerk Progression
Lehrwerkanalyse Projektunterricht
Leistungsbewertung Prozessorientierung
Leistungsermittlung
Lektüren Qualität
Lernen durch Lehren
Lernerorientierung Reformpädagogik
Lernertypen Repertoire, sprachliches
Lernsoftware Russisch
Lernstrategien
Lerntechniken Scaffolding
Lerntheorien Schlüsselqualifikationen
Lernziel Schreiben
Leseverstehen Silent Way
391 Verzeichnis der Artikel

Simulation Globale Transkulturelles Lernen


Situiertes Lernen TV-Didaktik
Sozialformen
Sozialkompetenz Übergang
Spanisch Übergeneralisierung
Sprachdidaktik Übung
Sprachenpolitik Unterrichtsgespräch
Sprachenübergreifendes Unterrichten Unterrichtsinteraktion
Spracherwerb und Spracherwerbstheorien Unterrichtsplanung
Sprachgefühl
Sprachlehrforschung Verbände
Sprachlerneignung Vergleichsarbeiten
Sprachlernspiele Verstehen
Sprachmittlung Visualisierung
Sprachwissenschaft Visuelle Kompetenz
Sprechen Volkshochschulunterricht
Standards Vorentlastung
Standardsprache Vorwissen
Stereotyp
Storyline-Methode Wissen
Suggestopädie Wörterbuch
Wortschatz und Wortschatzvermittlung
Tafel, Tafelbild und Tafelanschrieb
Tandemlernen Zeitschriften
Tests Zentralabitur
Total Physical Response (TPR) Zertifikate
Transfer Zweisprachigkeit
392

Systematisches Verzeichnis der Artikel

Bezugswissenschaften Förderunterricht
und Teilbereiche Forschendes Lernen
Ganzheitliches Lernen
Allgemeine Didaktik Genderorientierte Ansätze
Andragogik Generisches Lernen
Bezugswissenschaften Global Education
Bildungsgangforschung Handlungsorientierung
Empirie Individualisierung
Filmdidaktik Induktives Lernen
Forschungsethik Inhaltsorientierung
Forschungsmethoden und -instrumente Inszenierung
Fremdsprachendidaktik Interkulturelles Lernen
Früher Fremdsprachenunterricht Kommunikativer Fremdsprachenunterricht
Geragogik Kontrastives Lernen
Geschichte des Fremdsprachenunterrichts Kooperatives Lernen
Kulturdidaktik Language Across the Curriculum (LAC)
Kulturwissenschaft Lehrerzentrierung
Landeskunde Lernerorientierung
Lehrerforschung Mehrsprachigkeitsdidaktik
Lehrwerkanalyse Nativistische Ansätze
Literaturdidaktik Neokommunikativer Fremdsprachenunterricht
Literaturwissenschaft Produktorientierung
Mediendidaktik Prozessorientierung
Neurodidaktik Situiertes Lernen
Reformpädagogik Sprachenübergreifendes Unterrichten
Sprachdidaktik Tandemlernen
Spracherwerb und Spracherwerbstheorien Transkulturelles Lernen
Sprachlehrforschung
Sprachwissenschaft
TV-Didaktik Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen

Audio Literacy
Ansätze und Konzepte Aussprache
Diskursfähigkeit
Aufgabenorientiertes Lernen Fertigkeiten
Autonomes Lernen Filmkompetenz
Begegnung und Begegnungssituationen Fremdverstehen
Bewegter Unterricht Grammatik und Grammatikvermittlung
Bilinguale Vorschulerziehung Handlungskompetenz
Bilingualer Unterricht Hörverstehen
Blended Learning Interkulturelle Kommunikative Kompetenz
Chunk Learning Kommunikative Kompetenz
Computer-Assisted Language Learning Kompetenz
Deduktives Lernen Leseverstehen
Dramapädagogik Literarische Kompetenz
E-Learning Medienkompetenz
Entdeckendes Lernen Methodenkompetenz
Erfahrungsorientierung Multiple Literacy
Fächerübergreifender Unterricht Narrative Kompetenz

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
393 Systematisches Verzeichnis der Artikel

Orthographie Musik
Performative Kompetenz Populärkultur
Schlüsselqualifikationen Poster
Schreiben Sprachlernspiele
Sozialkompetenz Tafel, Tafelbild und Tafelanschrieb
Sprachmittlung Wörterbuch
Sprechen Zeitschriften
Visuelle Kompetenz
Wortschatz und Wortschatzvermittlung
Bildungspolitische und
institutionelle Rahmenbedingungen
Methoden
Berufsorientierter Fremdsprachenunterricht
Alternative Lehr-/Lernformen DESI-Studie
Audio-linguale Methode Fernunterricht
Audio-visuelle Methode Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen
Community Language Learning (CLL) Hattie-Studie
Content-Based Instruction (CBI) Herkunftssprache
Direkte Methode Inklusion
Fragen Lehrerbildung
Grammatik-Übersetzungs-Methode Lehrplan
Immersion Minderheitensprachen
Improvisation PISA-Studie
Information Gap Sprachenpolitik
Korrespondenz Standards
Lernen durch Lehren Übergang
Methodik Verbände
Moderationsmethode Vergleichsarbeiten
Natural Approach Volkshochschulunterricht
Offener Unterricht Zentralabitur
Präsentation Zertifikate
Projektunterricht
Silent Way
Simulation Globale Grundbegriffe
Sozialformen
Storyline-Methode Akkulturation
Suggestopädie Aktivierung
Total Physical Response (TPR) Aufmerksamkeit
Übung Authentizität
Unterrichtsgespräch Automatisierung
Unterrichtsinteraktion Bewusstheit/Bewusstmachung
Visualisierung Bildung
Differenz
Differenzierung
Materialien und Medien Einsprachigkeit
Emotion
Arbeitsblätter Fachsprache
Bilder Feedback
Hörspiele Fehler
Kinder- und Jugendliteratur Fossilisierung
Lehrwerk Generatives Prinzip
Lektüren Global English
Lernsoftware Globalisierung
Medien Hausaufgaben
Systematisches Verzeichnis der Artikel 394

Heterogenität Metakognition
Identität und Identitätsbildung Motivation
Imagination Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Inferenz Nonverbale Kommunikation
Instruktivismus/Instruktion Perspektive und Perspektivenwechsel
Intercultural Speaker Portfolio
Interferenz Progression
Interkomprehension Qualität
Interlanguage Repertoire, sprachliches
Intertextualität und Intermedialität Scaffolding
Kanon Sprachgefühl
Klassenarbeit Sprachlerneignung
Kognitivierung Standardsprache
Kommunikation Stereotyp
Konstruktivismus/Konstruktion Tests
Kontextualisierung Transfer
Korrektur Übergeneralisierung
Kreativität Unterrichtsplanung
Kultur Verstehen
Legasthenie Vorentlastung
Lehrer/in und Lehrerrolle Vorwissen
Lehr- und Lernort Wissen
Leistungsbewertung Zweisprachigkeit
Leistungsermittlung
Lernertypen
Lernstrategien Sprachen
Lerntechniken
Lerntheorien Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
Lernziel Englisch
Lingua franca Französisch
Mehrsprachigkeit Russisch
Mentales Lexikon Spanisch
395

Die Autorinnen und Autoren

AB Prof. Dr. Andreas Bonnet, Hamburg, Artikel: Chunk Learning (zus. mit
Fachdidaktik Englisch Marita Schocker)
Artikel: Bildungsgangforschung AN Prof. Dr. Ansgar Nünning, Gießen,
(zus. mit Stephan Breidbach), Empirie, Anglistik/Literatur- und Kulturwissen-
Forschungsmethoden und Forschungs- schaft
instrumente, Kooperatives Lernen Artikel: Kanon, Kommunikation
(zus. mit Helene Decke-Cornill und (zus. mit Martin Zierold), Kultur,
Uwe Hericks) Kulturwissenschaft, Literaturwissen-
AdH Prof. Dr. Adelheid Hu, Luxemburg, schaft, Narrative Kompetenz
Mehrsprachendidaktik (zus. mit Vera Nünning), Schlüssel-
Artikel: Mehrsprachigkeit, Mehr- qualifikationen (zus. mit Vera
sprachigkeitsdidaktik Nünning)
AnB Prof. Dr. Andrea Bogner, Göttingen, AnH Prof. Dr. Angela Hahn, München,
Interkulturelle Germanistik Englische Mediendidaktik und
Artikel: Deutsch als Fremd- und Angewandte Linguistik
Zweitsprache Artikel: Sprachdidaktik, Sprachwissen-
AF Anette Fritsch, Dillenburg, Fach- schaft
didaktik Englisch AnN Andreas Nieweler, Horn-Bad Mein-
Artikel: Präsentation berg, Fachdidaktik Französisch
AG Prof. Dr. Andreas Grünewald, Bremen, Artikel: Inhaltsorientierung, Lehrwerk,
Didaktik der romanischen Sprachen Lehrwerkanalyse, Lernziel
Artikel: Alternative Lehr-/Lernformen, ASch Prof. Dr. em. Adelheid Schumann,
Audio-linguale Methode, Audio- Siegen, Didaktik der romanischen
visuelle Methode, Blended Learning, Sprachen
Community Language Learning (CLL), Artikel: Kommunikativer Fremd-
Computer Assisted Language Learning sprachenunterricht, Landeskunde
(CALL), E-Learning, Grammatik- BD Prof. Dr. Bärbel Diehr, Wuppertal,
Übersetzungs-Methode, Lernsoftware, Fachdidaktik Englisch
Medien, Mediendidaktik, Medien- Artikel: Englisch
kompetenz, Nativistische Ansätze, BaSch Prof. Dr. Barbara Schmenk, Waterloo,
Natural Approach, Suggestopädie, Deutsch als Fremd- und Zweitsprache/
Total Physical Response (TPR) Didaktik der Slavischen Sprachen
AH Dr. Adrian Haack, Braunschweig, Artikel: Autonomes Lernen, Individua-
Fachdidaktik Englisch lisierung, Intercultural Speaker,
Artikel: Ganzheitliches Lernen Kommunikative Kompetenz
AJ Dr. Andreas Jantowski, Jena, BFH Prof. Dr. Britta Freitag-Hild, Potsdam,
Erziehungswissenschaften Fachdidaktik Englisch
Artikel: Hattie-Studie (zus. mit Nancy Artikel: Interkulturelle Kommunikative
Grimm) Kompetenz, Transkulturelles Lernen
AlK Dr. Almut Küppers, Frankfurt/Main, BSch Prof. Dr. Birgit Schädlich, Göttingen,
Fachdidaktik Englisch Fachdidaktik Französisch
Artikel: Inszenierung (zus. mit Torben Artikel: Entdeckendes Lernen,
Schmidt) Feedback, Lernen durch Lehren (LdL),
AK Prof. Dr. Angelika Kubanek, Repertoire (sprachliches)
Braunschweig, Fachdidaktik BV Prof. Dr. Britta Viebrock, Frankfurt/
Englisch Main, Fachdidaktik Englisch
Artikel: Qualität Artikel: Forschungsethik, Lernertypen,
AMH Prof. Dr. Andreas Müller-Hartmann, Lernstrategien, Unterrichtsplanung,
Heidelberg, Fachdidaktik Englisch Wissen

C. Surkamp (Hrsg.), Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik,


DOI 10.1007/978-3-476-04474-7, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017
Die Autorinnen und Autoren 396

BZ Dr. Bruno Zerweck, Köln, Fach- DAT Prof. Dr. Dagmar Abendroth-Timmer,
didaktik Englisch Siegen, Didaktik der romanischen
Artikel: TV-Didaktik Sprachen
CaH Dr. Carola Hecke, Hannover, Fach- Artikel: Lehrerforschung
didaktik Englisch DN Dr. Dorothea Nöth, Berlin, Fach-
Artikel: Bilder, Visualisierung, Visuelle didaktik Englisch
Kompetenz Artikel: Vergleichsarbeiten
CBK Prof. Dr. Camilla Badstübner-Kizik, DR Prof. Dr. Dietmar Rösler, Gießen,
Poznań, Deutsch als Fremd- und Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
Zweitsprache Artikel: Kinder- und Jugendliteratur
Artikel: Instruktivismus/Instruktion, (zus. mit Emer O’Sullivan), Stereotyp
Vorentlastung (zus. mit Emer O’Sullivan)
CG Prof. a.D. Dr. Claus Gnutzmann, DS Prof. Dr. Dirk Siepmann, Osnabrück,
Braunschweig, Fachdidaktik Englisch Fachdidaktik Englisch
Artikel: Bewusstheit/Bewusstmachung, Artikel: PISA-Studie
Fachsprache, Kontrastives Lernen, EBM Prof. Dr. Eva Burwitz-Melzer, Gießen,
Lingua Franca Fachdidaktik Englisch
CH Prof. Dr. Claudia Harsch, Bremen, Artikel: Portfolio, Übergang
Fachdidaktik Englisch/Lehr-Lern- ELU Prof. Dr. Eva Leitzke-Ungerer, Halle,
forschung Didaktik der romanischen Sprachen
Artikel: Kompetenz, Zertifikate Artikel: Authentizität, Bewegter
ChF Prof. Dr. Christiane Fäcke, Augsburg, Unterricht
Didaktik der romanischen Sprachen EM Dr. Eva Molitor, Hanau, Didaktik der
und Literaturen romanischen Sprachen
Artikel: Bezugswissenschaften, Artikel: Sprachgefühl
Fächerübergreifender Unterricht, EOS Prof. Dr. Emer O’Sullivan, Lüneburg,
Konstruktivismus/Konstruktion Englische Literaturwissenschaft
ChL Prof. Dr. Christiane Lütge, München, Artikel: Kinder- und Jugendliteratur
Fachdidaktik Englisch (zus. mit Dietmar Rösler), Stereotyp
Artikel: Aktivierung, Handlungs- (zus. mit Dietmar Rösler)
kompetenz, Handlungsorientierung, ET Prof. Dr. Engelbert Thaler, Augsburg,
Hörverstehen, Sprechen, Zentralabitur Fachdidaktik Englisch
ChN Prof. Dr. Christiane Neveling, Leipzig, Artikel: Hausaufgaben, Lehrer/in und
Didaktik der romanischen Sprachen Lehrerrolle, Offener Unterricht,
Artikel: Mentales Lexikon, Wortschatz Silent Way, Storyline-Methode
und Wortschatzvermittlung FE Franziska Elis, Hamburg, Fachdidaktik
CJG Jun.Prof. Dr. Constanze Juchem- Englisch
Grundmann, Koblenz, Fachdidaktik Artikel: Global English, Kreativität
Englisch FGK Prof. Dr. Frank G. Königs, Marburg,
Artikel: Andragogik, Fernunterricht, Sprachlehrforschung
Geragogik, Kognitivierung Artikel: Schreiben, Sprachlehr-
CR Prof. Dr. Claudia Riemer, Bielefeld, forschung, Sprachmittlung
Deutsch als Fremd- und Zweitsprache FH Dr. Frank Haß, Kirchberg, Fach-
Artikel: Spracherwerb und Sprach- didaktik Englisch
erwerbstheorien Artikel: Allgemeine Didaktik,
CS Prof. Dr. Carola Surkamp, Göttingen, Differenzierung, Lerntheorien,
Fachdidaktik Englisch Sozialformen
Artikel: Filmdidaktik, Filmkompetenz, FJM Prof. em. Dr. Franz-Joseph Meißner,
Hörspiele, Inklusion (zus. mit Katharina Gießen, Didaktik der romanischen
Delius), Nonverbale Kommunikation, Sprachen
Perspektive und Perspektivenwechsel Artikel: Inferenz, Interferenz,
CSp Cathrin Sprenger, Göttingen, Fach- Interkomprehension, Interlanguage,
didaktik Englisch Sprachenübergreifendes Unter-
Artikel: Forschendes Lernen richten
397 Die Autorinnen und Autoren

FK Prof. em. Dr. Dr. h.c. Friederike KD Katharina Delius, Göttingen, Fach-
Klippel, München, Fachdidaktik didaktik Englisch
Englisch Artikel: Inklusion (zus. mit Carola
Artikel: Fragen, Methodik, Übung Surkamp)
GA Dr. Grit Alter, Innsbruck, Fachdidaktik KK Prof. em. Dr. Karin Kleppin, Bochum,
Englisch Deutsch als Fremd- und Zweitsprache/
Artikel: Heterogenität Sprachlehrforschung
GB Prof. Dr. Gabriele Blell, Hannover, Artikel: Sprachlernspiele
Fachdidaktik Englisch KoSch Prof. em. Dr. Konrad Schröder,
Artikel: Audio Literacy, Musik Augsburg, Fachdidaktik Englisch
GL Gundula Laudin, Göttingen, Fach- Artikel: DESI-Studie, Fehler, Geschichte
didaktik Englisch/Russisch des Fremdsprachenunterrichts,
Artikel: Volkshochschulunterricht Grammatik und Grammatik-
GM Prof. Dr. Grit Mehlhorn, Leipzig, vermittlung, Lehrerbildung, Leistungs-
Didaktik der slavischen Sprachen bewertung, Leistungsermittlung,
Artikel: Begegnung und Begegnungs- Reformpädagogik, Sprachenpolitik
situationen, Herkunftssprache, KR Prof. em. Dr. Karlheinz Rebel,
Russisch, Übergeneralisierung, Rottenburg/Neckar, Fachdidaktik
Wörterbuch Englisch
GSch Prof. em. Dr. Gisela Schmid-Schönbein, Artikel: Sozialkompetenz
Aachen, Fachdidaktik Englisch KSch Prof. Dr. Karen Schramm, Wien,
Artikel: Früher Fremdsprachen- Deutsch als Fremd- und Zweit-
unterricht (zus. mit Isabel Martin) sprache
HDC Prof. em. Dr. Helene Decke-Cornill, Artikel: Korrektur, Metakognition
Hamburg, Fachdidaktik Englisch KV Prof. Dr. Karin Vogt, Heidelberg,
Artikel: Genderorientierte Ansätze, Fachdidaktik Englisch
Kooperatives Lernen (zus. mit Andreas Artikel: Berufsorientierter Fremd-
Bonnet und Uwe Hericks) sprachenunterricht, Gemeinsamer
IFH Prof. em. Dr. Inez De Florio-Hansen, europäischer Referenzrahmen (GeR)
Kassel, Didaktik der romanischen LB Prof. Dr. Lothar Bredella †, Fach-
Sprachen didaktik Englisch
Artikel: Global Education, Minder- Artikel: Fremdverstehen, Inter-
heitensprachen kulturelles Lernen, Verstehen
IM Prof. Dr. Isabel Martin, Karlsruhe, LH Prof. em. Dr. Liesel Hermes, Karlsruhe,
Fachdidaktik Englisch Fachdidaktik Englisch
Artikel: Früher Fremdsprachenunter- Artikel: Lektüren, Leseverstehen
richt (zus. mit Gisela Schmid-Schön- LK Dr. Lotta König, Göttingen, Fach-
bein) didaktik Englisch
JD Prof. em. Dr. Jürgen Donnerstag, Köln, Artikel: Erfahrungsorientierung,
Fachdidaktik Englisch Fertigkeiten
Artikel: Aufmerksamkeit, Emotion LR Lisa Rauschelbach, Bochum, Fach-
JJ Dr. Jenny Jakisch, Braunschweig, didaktik Englisch
Fachdidaktik Englisch Artikel: Korrespondenz (zus. mit
Artikel: Standardsprache Markus Ritter)
JK Prof. Dr. Jürgen Kurtz, Gießen, LuK Prof. Dr. Lutz Küster, Berlin, Didaktik
Fachdidaktik Englisch der romanischen Sprachen
Artikel: Improvisation Artikel: Bildung, Französisch, Identität
JM Prof. Dr. Jürgen Mertens, Ludwigs- und Identitätsbildung
burg, Fachdidaktik Französisch LS Prof. Dr. Lars Schmelter, Wuppertal,
Artikel: Aufgabenorientiertes Lernen, Didaktik der romanischen Sprachen
Orthographie, Simulation Globale Artikel: Verbände
JS Dr. Jörg Siebold, Rostock, Fach- LV Prof. Dr. Laurenz Volkmann, Jena,
didaktik Englisch Fachdidaktik Englisch
Artikel: Imagination, Lerntechniken Artikel: Populärkultur
Die Autorinnen und Autoren 398

MA Manfred Arendt, Hameln, Fach- NSF Nadine Salden-Förster, Celle, Fach-


didaktik Englisch didaktik Englisch
Artikel: Information Gap, Lehrer- Artikel: Klassenarbeit, Lehrplan,
zentrierung, Lernerorientierung, Standards
Produktorientierung PD Prof. em. Dr. Peter Doyé, Braun-
MB Prof. Dr. Mark Bechtel, Osnabrück, schweig, Fachdidaktik Englisch
Didaktik der romanischen Sprachen Artikel: Bilinguale Vorschulerziehung
Artikel: Tandemlernen PE Dr. Peter Edelenbos, Groningen,
MBä Prof. Dr. Marcus Bär, Wuppertal, Fachdidaktik Englisch
Fachdidaktik Spanisch Artikel: Tests
Artikel: Spanisch RK Prof. em. Dr. Rita Kupetz, Leipzig,
MaR Prof. Dr. Markus Ritter, Bochum, Fachdidaktik Englisch
Fachdidaktik Englisch Artikel: Multiple Literacy
Artikel: Korrespondenz (zus. mit Lisa RS Rebecca Scorah, Celle, Fachdidaktik
Rauschelbach) Englisch
MG Prof. Dr. Marion Gymnich, Bonn, Artikel: Unterrichtsgespräch
Englische Literatur- und Kulturwissen- SD Prof. Dr. Sabine Doff, Bremen,
schaft Fachdidaktik Englisch
Artikel: Akkulturation, Kontextua- Artikel: Aussprache, Fremdsprachen-
lisierung didaktik
MGa Jun.Prof. Dr. Marta García, Göttingen, StB Prof. Dr. Stephan Breidbach, Berlin,
Fachdidaktik Spanisch Fachdidaktik Englisch
Artikel: Unterrichtsinteraktion Artikel: Bildungsgangforschung
MHW Monika Haack-Wollschläger, Braun- (zus. mit Andreas Bonnet), Content-
schweig, Fachdidaktik Englisch based Instruction (CBI), Language
Artikel: Förderunterricht Across the Curriculum (LAC)
ML Prof. em. Dr. Michael Legutke, Gießen, TSch Prof. Dr. Torben Schmidt, Lüneburg,
Fachdidaktik Englisch Fachdidaktik Englisch
Artikel: Lehr- und Lernort, Motivation, Artikel: Inszenierung (zus. mit Almut
Projektunterricht Küppers)
MR Prof. Dr. Marcus Reinfried, Jena, ThM Dr. Thorsten Merse, München,
Fachdidaktik Französisch Fachdidaktik Englisch
Artikel: Neokommunikativer Fremd- Artikel: Differenz
sprachenunterricht, Transfer UH Prof. Dr. Uwe Hericks, Marburg,
MS Prof. Dr. Michaela Sambanis, Berlin, Allgemeine Schulpädagogik
Fachdidaktik Englisch Artikel: Kooperatives Lernen (zus. mit
Artikel: Neurodidaktik Andreas Bonnet und Helene Decke-
MSch Dr. Manfred Schewe, Cork, Deutsch Cornill)
als Fremd- und Zweitsprache UJ Dr. Udo O. H. Jung, Bad Godesberg,
Artikel: Dramapädagogik Fachdidaktik Englisch
MScho Prof. Dr. Marita Schocker, Freiburg, Artikel: Legasthenie, Tafel, Zeitschriften
Fachdidaktik Englisch UM Prof. Dr. Uwe Multhaup, Wuppertal,
Artikel: Chunk Learning (zus. mit Fachdidaktik Englisch
Andreas Müller-Hartmann) Artikel: Prozessorientierung
MZ Prof. Dr. Martin Zierold, Karlsruhe, VN Prof. Dr. Vera Nünning, Heidelberg,
Kulturmanagement und Kulturwissen- Anglistik/Literaturwissenschaft
schaft Artikel: Narrative Kompetenz
Artikel: Kommunikation (zus. mit (zus. mit Ansgar Nünning), Schlüssel-
Ansgar Nünning) qualifikationen (zus. mit Ansgar
NG Dr. Nancy Grimm, Jena, Fachdidaktik Nünning)
Englisch WB Prof. em. Dr. Wolfgang Butzkamm,
Artikel: Deduktives Lernen, Hattie-Studie Aachen, Fachdidaktik Englisch
(zus. mit Andreas Jantowski), Induk- Artikel: Direkte Methode, Einsprachig-
tives Lernen, Methodenkompetenz keit, Generatives Prinzip
399 Die Autorinnen und Autoren

WE Prof. Dr. Willis Edmondson †, Literarische Kompetenz, Literatur-


Sprachlehrforschung didaktik, Performative Kompetenz
Artikel: Automatisierung, WK Dr. Werner Kieweg, Schwabmünchen,
Fossilisierung, Sprachlerneignung Fachdidaktik Englisch
WG Prof. Dr. Wolfgang Gehring, Artikel: Arbeitsblätter, Progression,
Oldenburg, Fachdidaktik Englisch Situiertes Lernen
Artikel: Moderationsmethode, WSL Wendelgard Saßnick-Lotsch,
Poster Dortmund, Fachdidaktik Englisch
WH Prof. Dr. Wolfgang Hallet, Gießen, Artikel: Vorwissen
Fachdidaktik Englisch WZ Prof. a.D. Dr. Wolfgang Zydatiß,
Artikel: Bilingualer Unterricht, Berlin, Fachdidaktik Englisch
Diskursfähigkeit, Generisches Lernen, Artikel: Immersion, Mündlichkeit
Globalisierung, Intertextualität und und Schriftlichkeit, Scaffolding,
Intermedialität, Kulturdidaktik, Zweisprachigkeit

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