Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Minna Maijala
Zusammenfassung
Eine der Herausforderungen heutigen Deutsch als Fremdsprache-Unterrichts ist der Pluri-
zentrismus, d. h. die Berücksichtigung unterschiedlicher regionaler Ausprägungen der Ziel-
sprache und ihrer Kultur. In der Fachliteratur wird heutzutage davon ausgegangen, dass die
sprachliche und kulturelle Variation in ihren vielen Facetten zu den Inhalten des DaF-Unter-
richts gehört. Trotz dieser Entwicklung im Rahmen der Forschung spiegeln die Unterrichts-
wirklichkeit und die Lernmaterialien immer noch in der Regel die Idee einer relativ homo-
genen sprachlichen und kulturellen Umgebung wider. In den letzten Jahren ist die Zahl der
theoretischen und empirischen Forschungsbeiträge zur Variation im heutigen Deutsch stetig
angestiegen. Dazu möchte auch dieser Artikel einen Beitrag leisten. Darin werden didaktische
Überlegungen aus der Unterrichtspraxis thesenhaft herausgearbeitet. Ziel ist, darzustellen,
wie sprachliche und kulturelle Variation in der Unterrichtspraxis Deutsch als Fremdsprache
vermittelt werden und wie die sprachliche und kulturelle Vielfalt der deutschsprachigen Län-
der im Unterricht gezeigt und lebendig gemacht werden kann.
1. Zur Variation der deutschen Sprache Forschungen auf diesem Gebiet ist der
und Kultur von Neuland herausgegebene Sammel-
Die Unterrichtswirklichkeit des Deut- band (2006), der die bisherigen Leistun-
schen als Fremdsprache geht trotz der gen zusammenfasst und zahlreiche Anre-
Entwicklung im Rahmen der Forschung gungen für weitere Forschungen gibt. In
in der Regel noch von einer relativ homo- der Fachliteratur wird inzwischen die
genen deutschen Standardsprache aus. Variation der deutschen Sprache und
Dies entspricht weitgehend nicht den Re- Kultur als natürlicher Bestandteil heu-
alitäten, wie sie die Lernenden bei der tigen Deutschunterrichts gesehen.
Begegnung mit der Zielsprachenkultur In der Fachdiskussion wird häufig be-
erfahren. In den letzten Jahren ist die klagt, dass die Didaktik der Landes-
Zahl der theoretischen und empirischen kunde im Fach Deutsch als Fremdspra-
Forschungsbeiträge zur Variation im che schon seit vielen Jahren nicht voran-
heutigen Deutsch stetig angestiegen. gekommen sei (siehe im Einzelnen z. B.
Eine Zusammenstellung der bisherigen Altmayer 2006: 45 f.) und die Diskussion
neuen Medien bieten eine breite Palette turelle Variation in ihren vielen Facetten
an Möglichkeiten, Sprecherinnen und zu den Inhalten des DaF-Unterrichts ge-
Sprecher aus vielen verschiedenen Regio- hören sollte. Für die nationalen und regi-
nen als Quelle mit in den Unterricht onalen Varietäten des Deutschen war je-
einzubeziehen. Außerdem können auch doch lange Zeit kein Platz. Dies änderte
die Unterschiede in der geschriebenen sich erst mit der ›kommunikativen‹
Sprache hervorgehoben werden. Man Wende, die der gesprochenen Sprache in
kann davon ausgehen, dass der Umgang Form authentischer Hörtexte den Weg in
mit der Variation im DaF-Unterricht eher den Unterricht bereitete, allerdings in ei-
rezeptiv sein wird. Die Lernenden sollten ner bereinigten standardsprachlichen
lernen, die unterschiedlichen Variationen Ausprägung und in Orientierung am
zu verstehen, sie selbst sollten allerdings bundesdeutschen Standard. Auch heute
in ihrer eigenen Lernersprache eine Ant- sind die nationalen Varietäten des Deut-
wort produzieren, die sich möglichst an schen in der Regel noch kein Gegenstand
der Standardsprache orientiert. So stellt der Lehrerausbildung, weder im nicht-
Colliander (2006: 432) zutreffend fest, deutschsprachigen Ausland noch in den
dass man sich bei der Rezeption als Hörer bundesdeutschen Studiengängen für
die zu rezipierenden Äußerungen eben Deutsch als Fremdsprache (Krumm 2006:
nicht selbst aussuchen kann und das ver- 462).
stehen können muss, was einem angebo-
Wenn ein solch komplexes Gebiet wie der
ten wird. Vor allem sollten die Lernenden
deutsche Kulturraum das Unterrichtsob-
im Unterricht für sprachliche Variation
jekt bildet, sind die Varietäten nicht nur
sensibilisiert werden; dabei sind vorran-
gig der Sprachstand der Lernenden und in der Sprache, sondern auch in der viel-
die Unterrichtsziele zu berücksichtigen fältigen Kultur zu sehen. Unter kulturel-
(so auch Colliander 2006: 442; Di Meola ler Variation im DaF-Unterricht verstehe
2006: 428). Es ist wichtig, den Lernenden ich die Behandlung der Landeskunde der
nicht nur die sprachliche Vielfalt zu zei- deutschsprachigen Länder sowie die Be-
gen, sondern auch die Variation im indi- rücksichtigung ihrer regionalen Beson-
viduellen Sprachgebrauch. Die gespro- derheiten. Da die kulturellen Unter-
chene Sprache und die regionalen Varie- schiede vor allem zwischen dem nörd-
täten der deutschen Sprache sollten ein lichen und südlichen deutschen Sprach-
natürliches Unterrichtsobjekt sowohl im gebiet groß sind, sollten die Lernenden
DaF-Unterricht im In- und Ausland als auch für die kulturelle Variation sensibi-
auch im DaZ-Unterricht in den deutsch- lisiert werden. Vor diesem Hintergrund
sprachigen Ländern bilden. Wichtig ist versucht der vorliegende Beitrag darzu-
meines Erachtens dabei, dass in der Un- stellen, wie man sprachliche und kultu-
terrichtspraxis zwischen den rezeptiven relle Variation in der Unterrichtspraxis
und produktiven Fähigkeiten unterschie- Deutsch als Fremdsprache vermitteln
den wird. kann und wie die sprachliche und kultu-
relle Vielfalt der deutschsprachigen Län-
2. Die Berücksichtigung sprachlicher der im Unterricht gezeigt und lebendig
und kultureller Variation im DaF-Un- gemacht werden kann. Es werden didak-
terricht tische Überlegungen in Thesen herausge-
Heutzutage wird in der Fachdidaktik des arbeitet. Dabei muss im Auge behalten
Deutschen als Fremdsprache davon aus- werden, dass es sich hier vor allem um
gegangen, dass die sprachliche und kul- Vorschläge und Empfehlungen handelt.
450
Lehrwerk sollte sich aber nicht zu sehr auf Unterschiede sensibilisiert werden (so
eine bestimmte Region konzentrieren, um auch Schmidlin 2003: 335). Oft bieten das
die Lernenden nicht mit zu vielen Infor- Lehrwerk und die dazu gehörenden Hör-
mationen über eine Einzelregion zu ver- texte für Lehrende und Lernende im Aus-
sorgen. Im finnischen Lehrwerk Einver- land den einzigen Zugang zu regional
standen 1 für erwachsene Anfänger wer- gefärbter deutscher Umgangssprache
den unter den schon sehr typisierenden (Boss 2006: 68). Zu der breiten Palette an
Überschriften »Laptop und Lederhose«, Hörtexten sollten nicht nur Personen aus
»Gut, besser, Paulaner« und »Radi, Brezel, Deutschland, Österreich und der
Obaazta«! Bier trinkende Bayern und Tou- Schweiz gehören, sondern auch Personen
risten gezeigt. In einer Umfrage unter unterschiedlichen Alters, Geschlechts
Studierenden am Sprachenzentrum der und unterschiedlicher Herkunft (vgl.
Universität Turku wurde diese einseitige Glaboniat 2007: 52). In der heutigen Zeit
Ausrichtung nicht als gelungen empfun- lässt sich die regional gefärbte Sprache
den. Vor allem die langen Schilderungen durch die neuen Medien leichter in den
der bayerischen Ess- und Trinksitten ha- Unterricht mit einbeziehen. So bietet bei-
ben irritiert, zumal die Lernenden erwar- spielsweise das Lehrwerk Passwort 4.
ten, die deutschsprachigen Länder in ihrer Kurs- und Übungsbuch Hörtexte auf Frie-
Ganzheit kennenzulernen (siehe im Ein- sisch, Saarländisch, Bayerisch, Schwei-
zelnen Maijala 2006a). Es bleibt den Leh- zerdeutsch, Österreichisch und Thürin-
renden überlassen, bei Lehrwerken, deren gisch. In Lehrwerken sollten sich genug
Handlung sich vorwiegend in einer Re- Texte befinden, mit denen die Lernenden
gion abspielt, auch andere Regionen und sowohl selbständig als auch in der Unter-
landeskundliche Informationen mit ein- richtspraxis die Aussprache üben kön-
zubeziehen. Trotz der plurizentrischen nen. Vor allem in der Unterrichtspraxis
Aufmachung schaffen es einige DaF-Lehr- im nichtdeutschsprachigen Ausland
werke nicht, die regionalen Varianten der spielen Texte, die sowohl lesbar als auch
deutschen Sprache realistisch darzustel- hörbar sind, eine sehr wichtige Rolle. Das
len. Boss (2006) hat die Sprache der Gelesene zu hören und das Gehörte mit-
Deutschschweiz in drei Lehrwerken für lesen zu können, ist für das Verständnis
die Grundstufe untersucht. Es hat sich der regionalen Varianten sehr wichtig. In
herausgestellt, dass die Lehrwerke keine überregionalen Lehrwerken sollten aus
Beispiele authentischen Sprachgebrauchs diesem Grunde mehrere Texte vorhan-
bringen, sondern isolierte Sätze oder Vo- den sein, die auch gehört und mitgelesen
kabeln ohne Angaben darüber, ob sie zur werden können. Dies haben auch eigene
Standardsprache gehören oder nicht. Die Unterrichtserfahrungen bestätigt. Insbe-
sprachliche Variation reduziert sich so im sondere landeskundlich sehr interes-
schlimmsten Fall auf Ausdrücke aus dem sante, relativ lange Lehrwerktexte wer-
kulinarischen Bereich. den von den Lernenden als Audiotext
nachgefragt, um die Aussprache zu üben
2.2 Hörproben – Kostproben der regio- und Aussprachevariationen zu hören.
nalen Variation der deutschen Sprache Der Dialektatlas auf der Webseite der
Das Hörverstehen sollte anhand von Bei- Deutschen Welle (siehe www.dw-
spielen gesprochener Sprache mit ihren world.de) sowie ein vielseitiger Ge-
Variationen durch Aufnahmen von vie- brauch von YouTube bieten ebenfalls die
len verschiedenen Sprechern möglichst Möglichkeit, sprachliche Variation im
früh im DaF-Unterricht für die realen Unterricht lebendig zu machen.
452
2.3 Lexikalische Variation – nicht nur renden und Prüfenden wird Wissen und
Vokabellernen Toleranz verlangt, sie sollten über Varian-
In der Fachliteratur stehen sich oft zwei ten Bescheid wissen und z. B. süddeut-
Extrempositionen zum Thema Plurizen- sche und österreichische Varianten als
trik im DaF-Unterricht gegenüber. Auf richtig und gleichwertig anerkennen
der einen Seite wird die Position vertre- (Glaboniat 2007: 52). Die Untersuchung
ten, dass der DaF-Unterricht durch den von Boss (2006: 74) belegt, dass in DaF-
Einbezug nationaler und regionaler Un- Lehrwerken die Sprache der Deutsch-
terschiede nicht unnötig verkompliziert schweiz nicht realistisch dargestellt wird.
werden solle. Nach diesem Ansatz reiche Die Lehrwerke bringen in der Regel iso-
es, wenn Standardsprache beherrscht lierte Sätze oder Vokabeln ohne Angabe
werde. Auf der anderen Seite wird be- darüber, ob sie zur Standardsprache ge-
zweifelt, ob die Kenntnis und Verwen- hören oder nicht. Authentischer Sprach-
dung regionaler Varianten des Deutschen gebrauch erscheint demzufolge tatsäch-
automatisch mit einer höheren Schwie- lich nur in literarischen Texten.
rigkeitsstufe gleichzusetzen sei, denn oft Wie bei der Auswahl der Hörtexte ist
variiere gerade gebräuchlicher Alltags- auch in Bezug auf die Lexik die Berück-
wortschatz regional (Schmidlin 2003: sichtigung der unterschiedlichen Sozio-
333–334; siehe auch die Diskussion über lekte von Belang. Als ein Beispiel dafür
die sprachlichen Standards in der Zeit- sei der Einsatz der Jugendsprache im
schrift Deutsch als Fremdsprache, Thurmair Fremdsprachenunterricht genannt, für
2002: 3 ff. sowie Götze 2003: 132). Zum den viele verschiedene Gründe spre-
Beispiel sind die Begriffe rund um die chen. Jugendsprache als Unterrichts-
Küche regional geprägt, daher ist die thema kann in vielerlei Hinsicht mit
Kenntnis der Alltagskultur für die Leh- leicht zugänglichen Materialien, z. B.
renden sehr wichtig. Meines Erachtens aus Jugendzeitschriften, im Unterricht
lässt eine strenge Differenzierung zwi- behandelt werden (vgl. Neuland 2003:
schen Standardsprache und sprachlichen 451; zur Jugendsprache im DaF-Unter-
Variationen keine Vorteile erkennen und richt siehe im Einzelnen Neuland 2008).
entspricht nicht den Herausforderungen Durch die Verwendung von Jugend-
des interkulturellen Fremdsprachenun- sprache und -kultur in einem Fremd-
terrichts. Zudem ist Deutschland kein sprachenlehrwerk können Jugendliche
schwer zugängliches Land, viele auslän- sich mit Jugendlichen in der Zielspra-
dische Studierende wollen vor allem chenkultur identifizieren. Neuland
praktische Deutschkenntnisse erwerben, (2003: 457) geht davon aus, dass gewisse
die ihnen im Beruf und auf Reisen nütz- Grundkenntnisse eines an der Standard-
lich sein können (so Durrell 2006: 113 f.). sprache orientierten Spracherwerbs be-
Wenn im Deutschunterricht die regio- reits vorhanden sein sollten, »bevor Dif-
nalen Varianten berücksichtigt werden, ferenzierungen von der Standardspra-
haben die Lernenden bei späteren Auf- che behandelt werden können«. Ihrer
enthalten in deutschsprachigen Ländern Ansicht nach ist dies aber kein großes
einen praktischen Nutzen. Bei der Didak- Hindernis für die Behandlung der Ju-
tisierung der sprachlichen Variation ist es gendsprache schon im Anfängerunter-
wichtig, nicht zu vergessen, dass von richt, wenn die Lernenden in der heu-
Lernenden nicht verlangt wird, lexika- tigen Zeit durch das Internet und Aus-
lische Varianten auswendig zu lernen tauschprogramme mit gleichaltrigen Ju-
und aufzuzählen. Vor allem von Leh- gendlichen aus der Zielsprachenkultur
453
DaF-Lernenden können dort mit virtu- 2.8 Für die Lehrenden: Toleranz, Flexibi-
ellen Charakteren in einem virtuellen lität, Interesse
Klassenzimmer an einem kostenlosen Im Fremdsprachenunterricht repräsen-
Schnupper-Deutschkurs teilnehmen tieren Lehrende die Zielsprache und -kul-
oder sich in einem täglich stattfin- tur und sind Vermittler zwischen zwei
denden moderierten Deutsch-Treff im oder mehreren Kulturen. Die Lernenden
Café treffen, Videos anschauen oder ver- können sich sozusagen zusammen mit
schiedene Kulturprogramme besuchen den Lehrenden in die fremde Sprache
(siehe http://www.goethe.de/frm/sec/de- und Kultur einleben. Dabei sind authen-
index.htm). tische Erfahrungsberichte der Lehrenden
aus dem Zielsprachengebiet eine wich-
2.7 Wie erfahren die Lernenden die tige Komponente des Unterrichts. Unter-
sprachliche und kulturelle Variation? suchungen haben gezeigt, dass Lehrende
auch selbst als Motivationsfaktor im
Im Rahmen einer Untersuchung am
Fremdsprachenunterricht wirken (Apel-
Sprachenzentrum der Universität Turku
tauer 2003; Karlsson-Fält/Maijala 2007).
(siehe im Einzelnen Maijala 2007a) wur-
Um Anstöße in der Unterrichtspraxis ge-
den die Erwartungen von finnischen
ben zu können, ist es notwendig, dass die
Studierenden an Landeskunde er- Lehrenden mit einer positiven Einstel-
forscht. Es wurde auch die Frage ge- lung ihr Unterrichtsangebot stets auf
stellt, welche der behandelten landes- einem aktuellen Stand halten. Denn dies
kundlichen Inhalte die Lernenden in Er- hat durchaus einen positiven Einfluss auf
innerung behalten hatten. Es stellte sich die Attraktivität der deutschen Sprache
heraus, dass im Allgemeinen solche und ist deswegen auch dort nicht zu
Themen, die in der Unterrichtspraxis am unterschätzen, wo es nicht nur um die
meisten Diskussionen hervorrufen, so- sogenannte Hochkultur, Literatur etc.
wie Themen mit Bezug auf das alltäg- geht, sondern auch um oft als weniger
liche Leben in der Zielsprachenkultur in intellektuell eingestufte Ereignisse und
Erinnerung blieben. In den studen- Phänomene im Zielsprachengebiet. So
tischen Antworten wurden regionale löste beispielsweise die Magdeburger
Unterschiede in den deutschsprachigen Popgruppe Tokio Hotel einen regel-
Ländern (vor allem in der Sprache, Dia- rechten Boom der Deutschkurse in
lekte) relativ oft angegeben. Wegen der Frankreich aus. Dies wurde auch in die
weitgehenden sprachlichen Homogeni- französische Lehrerausbildung aufge-
tät der finnischen Sprache haben die nommen, um aktuelle und interessante
Deutschlernenden keine oder nur wenig Stoffe in den Unterricht zu bringen (siehe
Erfahrung mit Variation in ihrer eigenen Der Spiegel 43, 2007). Wenn die Alltags-
Muttersprache, sie halten die Variation kultur ansonsten nicht im großen Maße
der deutschen Sprache für ziemlich un- thematisiert wird, sollten Lehrende dies
gewöhnlich und gleichzeitig interessant. ausgleichen können. Dabei ist natürlich
Oftmals wurde wiedergegeben, was die das Interesse der Lehrenden ausschlag-
Lernenden der Zielsprachenkultur als gebend. Auch hängt die Entscheidung,
authentisch zuordnen, dies umfasst die wie viel Platz die Varietäten des Deut-
Bandbreite von Texten, Internetauftrit- schen im DaF-Unterricht einnehmen sol-
ten, persönlichen Erfahrungsberichten len, von ihrer Kenntnis der regionalen
von Lehrenden und hospitierenden Varianten ab (Schmidlin 2003: 334). Hilfe
Gaststudenten bis zu Fotos und Filmen. für die Lehrenden bietet z. B. das verglei-
457
chende Wörterbuch der nationalen und terricht dazu führen, dass sie schließlich
regionalen Besonderheiten aus Deutsch- verfestigt werden. Oft sind in der Unter-
land, Österreich, der Schweiz, auch aus richtspraxis auch der Kontext und die
den sogenannten Halbzentren Luxem- Situation ausschlaggebend, ob und wie
burg, Liechtenstein, Ostbelgien und Süd- die Behandlung von Stereotypen stattfin-
tirol (siehe Ammon et al. 2004). den kann. Um Stereotype abbauen zu
Landeskundlich wird damit keine in sich können, wäre es meines Erachtens sehr
abgeschlossene Darstellung erreicht, wichtig, unterschiedliche Perspektiven in
stattdessen eine ›regionale‹ Vielfalt prä- die Zielsprachenkultur zu eröffnen. Dies
sentiert, die einer Stereotypisierung des kann durch Erfahrungsberichte der Leh-
Zielsprachengebietes entgegenwirkt (so renden bzw. Mitlernenden oder hospitie-
auch Otto 2005: 20). Anders als noch in renden Tutoren aus dem Zielsprachenge-
den ersten Jahrzehnten nach dem Zwei- biet sowie vielseitige Unterrichtsmateri-
ten Weltkrieg sind Fremdbilder, Stereo- alien und Projektarbeit unterstützt wer-
type und Vorurteile inzwischen zu üb- den. Mit einer multiperspektivischen Be-
lichen Themen in der Unterrichtspraxis trachtungsweise könnten die Lernenden
geworden. Dabei kann etwa die Darstel- selbst ihre Meinung bilden, um ihre An-
lung der deutschsprachigen Länder in sichten als stereotypisch erkennen zu
einem bestimmten Lehrwerk oder die können.
Vermittlung subjektiver Aspekte durch
Lehrende stereotypische Merkmale ent- 3. Fazit und Ausblick
halten. Das Ziel des Fremdsprachenun- Die interkulturelle Aufgabe des Faches
terrichts ist nicht, die Entstehung der Deutsch als Fremdsprache – wie des
Stereotype zu vermeiden, sondern mit Fremdsprachenunterrichts überhaupt –
ihnen bewusst und offen umzugehen besteht darin, das Interesse an der Wahr-
(Biechele/Padrós 2003: 79 f.; siehe im Ein- nehmung des Fremden zu wecken. Dabei
zelnen Maijala 2006b). Oft reduziert sich spielen spannende Inhalte, die Auswahl
die Darstellung der deutschsprachigen der Themen und Erlebnisse aus der All-
Länder auf bestimmte Ereignisse, Phäno- tagskultur eine wichtige Rolle. Vor die-
mene oder Waren. Eine Übung in einem sem Hintergrund ist die Variation im
finnischen DaF-Lehrwerk für den Er- heutigen Deutsch von großem Belang. Es
wachsenenunterricht veranschaulicht die sollte jedoch im Auge behalten werden,
Problematik. Die Lernenden werden ge- dass die regionale sprachliche Variation
fragt, welchen Ländern (Deutschland, im DaF-Unterricht nicht im Mittelpunkt
Österreich, die Schweiz, Liechtenstein) des Interesses stehen kann. Es handelt
sie Abbildungen zuordnen würden. Es sich eher um ein Thema, für das die
werden Bilder mit folgenden Motiven Lernenden vor allem sensibilisiert wer-
gezeigt: Wurst und Bier, Uhren, Mozart- den sollten.
kugeln, Autos, die Alpen, Sachertorte, Im vorliegenden Beitrag wurde gezeigt,
Bernhardiner, Henri Dunant, Haushalts- warum und wie die Varietäten im DaF-
geräte, Toblerone, Banken, Fondue, Narr, Unterricht zu behandeln sind. Beispiels-
Müsli, Werkzeuge von Hilti (Fahrplan. weise haben die Lernenden des Deut-
Tekstit ja sanastot: 7). In der Unterricht- schen im sprachlich homogenen Finn-
spraxis ist wegen des Zeitmangels oft land keine oder nur wenig Erfahrung mit
eine tiefgreifende Diskussion über Ste- Variation in ihrer eigenen Muttersprache,
reotype nicht möglich. Kurze Abhand- d. h. sie halten die Variation der deut-
lungen von Stereotypen können im Un- schen Sprache für ziemlich ungewöhn-
458
lich. Um den finnischen Lernenden die eine Diskussion über die Folgen einer
Verwunderung in Süddeutschland, in Nichterfüllung dieser Ansprüche ent-
Österreich oder in der Schweiz zu erspa- behrlich (vgl. Rösler 1994: 36). Festzuhal-
ren, dass sie am Anfang ihres Erasmus- ten bleibt, dass sich Fremdsprachenleh-
Austausches nichts oder sehr wenig ver- rende im Unterricht immer wieder als
stehen, müssen sie im Unterricht dafür eine Art Sprachführer (oder auch wan-
sensibilisiert werden. Im Rahmen einer delnde Lexika) wiederfinden, zu Reise-
Untersuchung zu kulturellen Inhalten im führern (ab und an auch zum Reisebüro)
universitären DaF-Unterricht wurden die werden, für Experten der Geschichte und
Erwartungen von finnischen Studieren- Politik des Zielsprachengebietes gehalten
den an die Inhalte im Fremdsprachenun- werden, je nach Zielgruppe Kenner un-
terricht erforscht. Es stellte sich heraus, terschiedlicher Fachgebiete sein sollen
dass die Lernenden vor allem sprachliche (Wirtschaft, Ingenieurwissenschaften,
Sicherheit und allgemeinbildende lan- Pädagogik usw.) und darüber hinaus
deskundliche Informationen für den All- Ratgeber in Fragen der allgemeinen Le-
tag erwarten. Mit dem Erwerb interkultu- bensführung (egal ob Ziel- oder Aus-
reller Kenntnisse gehen sie davon aus, gangssprachenkultur) sein können. Diese
dass sie sich in der fremden Kultur sicher Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf
zurechtfinden können, ohne sich zu dis- Vollständigkeit, sie ist von eigener Erfah-
kreditieren und ohne Tabus zu verletzen rung geprägt und zeigt auch inhaltlich, in
(siehe im Einzelnen Maijala 2006a). In welcher Bandbreite die Variation in Spra-
einer weiteren Untersuchung zum glei- che und Kultur vermittelt werden kann.
chen Thema wurden landeskundliche In-
halte behandelt, die den Lernenden aus
dem Deutschunterricht in Erinnerung ge- Literatur
blieben waren. Hier war die Variation der
Zitierte Lehrwerke
deutschen Sprache einer der meist er-
Antenne. Kurse 1–2: Glause, Heidi; Kellas,
wähnten Themenbereiche (siehe im Ein- Leena; Koistinen, Marja; Snellman, Jo-
zelnen Maijala 2007b). hanna (Hrsg.): Antenne. Kurse 1–2. Hä-
Im Lehrerberuf geht es – mehr als in meenlinna: Tammi, 2005.
vielen anderen Berufen, aber ähnlich in Dimensionen: Jenkins, Eva-Maria; Fischer,
allen Fächern – um lebenslanges Lernen. Roland; Hirschfeld, Ursula; Hirtenlehner,
Maria; Clalüna, Monika (Hrsg.): Dimensi-
Lehrende sollten es sich nicht leisten, onen. München: Hueber, 2002.
irgendwo stehenzubleiben und das Errei- Dimensionen. Lernstationen 1–5: Jenkins,
chen eines bestimmten Punktes als Ziel- Eva-Maria; Fischer, Roland; Hirschfeld,
marke zu sehen. Die ständige Aktualisie- Ursula; Hirtenlehner, Maria; Clalüna,
rung der Sprach- und Kulturkenntnisse Monika (Hrsg.): Dimensionen. Lernstatio-
als Zwang zu sehen, kann andererseits nen 1–5. München: Hueber, 2002.
Deutsch Optimal 2: Skärbeck, Gun; Johans-
auch ermüdend sein. Die Lehrenden soll- son, Nils: (Hrsg.): Deutsch Optimal 2. Mal-
ten vor allem daran denken, dass das mö: gleerups, 2003.
eigene Interesse und eine aufgeschlos- Einfach weiter. Textbok: Dünnbier, Maret;
sene Einstellung Neuem und Fremdem Landén, Barbro; Reding, Josef (Hrsg.):
aus der Zielsprachenkultur gegenüber Einfach weiter. Textbok. Malmö: Studentlit-
bereits eine gute Basis ist. Idealbilder von teratur, 1997.
Einverstanden! 1. Saksan peruskurssi aikuisille:
Lehrenden zu zeichnen, die als Berufs- Kudel, Pauli; Kyyhkynen, Mari (Hrsg.):
norm zu sehen sind, ist dann nicht zwin- Einverstanden! 1. Saksan peruskurssi aikui-
gend notwendig. Infolgedessen ist auch sille. Keuruu: Otava, 2003.
459
chische Beiträge zu Deutsch als Fremdspra- Schmidlin, Regula: »Deutsch als plurizen-
che 11 (2007b), 153–163. trische Sprache: Eine lexikographische
Meijer, Dick; Jenkins, Eva-Maria: »Landes- und didaktische Herausforderung«. In:
kundliche Inhalte – die Qual der Wahl? Schneider, Günther; Clalüna, Monika
Kriterienkatalog zur Beurteilung von (Hrsg.): Mehr Sprache – mehrsprachig – mit
Lehrwerken«, Fremdsprache Deutsch 18 Deutsch. Didaktische und politische Perspek-
(1998), 18–25. tiven. München: Iudicium, 2003, 324–339.
Neuland, Eva: »Jugendsprachen – Perspek- Schmidt, Claudia: »Grammatik und Kor-
tiven für den Unterricht Deutsch als Mut- puslinguistik. Überlegungen zur Unter-
tersprache und Deutsch als Fremdspra- richtspraxis DaF«, Deutsch als Fremdspra-
che«. In: Neuland, Eva (Hrsg.): Jugend- che 45, 2 (2008), 74–80.
sprachen – Spiegel der Zeit. Internationale Der Spiegel. Ausgabe 43 (2007), 185.
Fachkonferenz 2001 an der Bergischen Uni- Thurmair, Maria: »Standardnorm und Ab-
versität Wuppertal. Berlin u. a.: Lang 2003, weichungen. Entwicklungstendenzen
447–461. unter dem Einfluss der gesprochenen
Neuland, Eva (Hrsg.): Variation im heutigen Sprache«, Deutsch als Fremdsprache 39
Deutsch: Perspektiven für den Deutschunter- (2002), 3–8.
richt. Berlin u. a.: Lang, 2006 (Sprache – Trappe, Petra: »ABCD-Thesen zur Rolle der
Kommunikation – Kultur: Soziolinguisti- Landeskunde im Unterricht«, Deutsch als
sche Beiträge, 4). Fremdsprache 27, 2 (1990), 306–308.
Neuland, Eva: Jugendsprache – Eine Einfüh-
rung. Tübingen; Basel: Narr, Francke, At-
tempto, 2008 (UTB 2397). Minna Maijala
Otto, Wolf Dieter: »Deutsche Landschaften Geb. 1971; Dr. phil.; Studium der Germa-
– Ein Thema interkultureller Deutschstu-
dien«, Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache
nistik, Skandinavistik, Geschichte, Päd-
31 (2005), 15–38. agogik, Politologie und Marketing an der
Pauldrach, Andreas: »Eine unendliche Ge- Universität Jyväskylä, Finnland; Promo-
schichte. Anmerkungen zur Situation der tion 2003 in Germanistik and er Universi-
Landeskunde in den 90er Jahren«, Fremd- tät Jyväskylä; seit 2004 Lektorin für
sprache Deutsch 6 (1992), 4–15. Deutsch als Fremdsprache am Sprachen-
Rösler, Dietmar: Deutsch als Fremdsprache. zentrum der Universität Turku, Finn-
Stuttgart; Weimar: Metzler, 1994.
land. Forschungsschwerpunkte: Lehr-
Rösler, Dietmar: »Deutsch als Fremdspra-
che mit digitalen Medien – Versuch einer werkforschung; Didaktik Deutsch als
Zwischenbilanz im Jahr 2008«, Info DaF Fremdsprache, Landeskunde im Fremd-
35, 4 (2008), 373–389. sprachenunterricht.