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36 Sportpsychologie Digest

Sportpsychologie Digest
Die Rubrik „Sportpsychologie Digest“ liefert Überblicke über interessante und aktuelle Artikel aus der Sportpsycholo-
gie. Einreichungen für diese Rubrik nimmt gern Chris Englert (Englert@sport.uni-frankfurt.de) als verantwortlicher
Herausgeber entgegen.
https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1026/1612-5010/a000252 - Monday, October 12, 2020 5:08:15 AM - IP Address:89.14.200.163

Macht sportliche Betätigung schlau?!


Schon im alten Rom parodierte der Dichter Juvenal den terschiedliche Weise herausfordern; (2.) persönlich bedeu­
„Sportwahn“ seiner Zeit, indem er schrieb: „Beten sollte tungsvoll sein und ein Engagement der Teilnehmer an der
man darum, dass in einem gesunden Körper auch ein gesun­ Aktivität und untereinander fördern; (3.) von einem Mentor
der Geist stecken möge.“ Dass dieser Spruch bis heute oft­ angeleitet werden und (4.) Freude bereiten, Stressgefühle re­
mals fehlerhaft zitiert wurde, liegt weniger an Juvenals sati­ duzieren und das Selbstbewusstsein fördern.
rischen Fähigkeiten, als daran, dass dieser Spruch häufig
falsch (nämlich mit: „in einem gesunden Körper wohnt ein
gesunder Geist“) überliefert wurde. Schon damals wollten Praxis – Wissenschaft
also die Menschen glauben, dass ein gut funk­tionierender
Körper, zum Beispiel der Körper eines trainierten Sportlers, Sie untermauern somit das, was in der Praxis (bspw. in Kin­
einen klugen Kopf trägt. Heutzutage ist Juvenals falsche dersportschulen) schon umgesetzt wird: Für eine positive
Überlieferung schon fast Allgemeingut geworden, obwohl Entwicklung sollte Kindern und Jugendlichen die Möglich­
immer mehr Menschen inaktiv sind. keit gegeben werden, vielfältig Sport zu treiben. Im Ver­
Die bisherige Forschung aber scheint Juvenals Spruch zu gleich zu dekontextualisierten Trainings können vielfältige
bestätigen. So konnte unter anderem gezeigt werden, dass und abwechslungsreiche Angebote Kinder und Jugendliche
inaktives Verhalten zunimmt und der Zusammenhang von begeistern und dauerhaft an den Sport binden. Die emotio­
Bewegungsmangel mit physischer Gesundheit und kogniti­ nale Bindung an eine körperlich und kognitiv herausfor­
ver Entwicklung evident zu sein scheint. Als Folge daraus dernde Aktivität kann damit zu einer gelungenen kognitiven
­erschien bereits im Jahr 2008 das Motto „be smart, exercise Entwicklung beitragen.
your heart“. Diese neue Entwicklung hat zur Folge, dass sich ein
­zunehmender Teil der Wissenschaft mit der sportlichen
­Aktivität als ganzheitliches Konstrukt befasst. Dies führt
Neue Forschung im Widerspruch? zwangsweise zur Berücksichtigung von motorischen, kog­
nitiven, emotionalen und sozialen Aufgabenanforderungen
Adele Diamond und Daphne Ling kamen aber in einem aktu­ innerhalb der Aktivität, und der Untersuchung deren Ein­
ellen Kommentar zu einem scheinbar entgegen­ gesetzten fluss auf die kognitiven Funktionen. Um zum Abschluss
Schluss: Laut ihnen sind sportliche Aktivitäten wie Ausdau­ nochmals auf den eingangs zitierten Juvenal zurückzukom­
er- und Krafttraining mitunter am wenigsten geeignet die ko­ men: Für die Förderung eines gesunden Geistes hilft nicht
gnitive Entwicklung zu fördern. Nach Meinung der Autorin­ ausschließlich Beten, sondern die richtige sportliche Aktivi­
nen kann die sportliche Aktivität die ­kognitiven Funktionen tät auf eine richtige Art und Weise auszuüben.
und Entwicklung aber unter Berücksichtigung bestimmter
Bedingungen und als ganzheitliche sportliche Aktivität för­ Diamond, A. & Ling, D. S. (2018). Aerobic-Exercise and resistance-
dern. Daher unterscheiden sie neuerdings zwischen isolier­ training interventions have been among the least effective ways
to improve executive functions of any method tried thus far.
ter körperlicher Übung (bspw. Ausdauer- oder Krafttrainings) Advance online publication Developmental Cognitive Neuro­
­
und sportlicher Aktivität, deren Aufgabenanforderungen sie science. https://doi.org/10.1016/j.dcn.2018.05.001
als ganzheit­licher und weit über die physiologische Bean­
spruchung hinausgehend ansehen. Außerdem gehen sie da­ Sofia Anzeneder und Valentin Benzing
von aus, dass sportliche Aktivität nicht ausschließlich zur frü­ Institut für Sportwissenschaft, Universität Bern
s.anzeneder@gmail.com
hen Spezialisierung, leistungsorientiert, repetitiv, intensiv
valentin.benzing@ispw.unibe.ch
und stressig betrieben werden darf. Sondern sollte sie: (1.) die
kognitiven Funktionen immer wieder aufs Neue und auf un­ https://doi.org/10.1026/1612-5010/a000252

Zeitschrift für Sportpsychologie (2019), 26 (1), 36–38 © 2019 Hogrefe Verlag

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