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Damit das grammatische Abendland nicht untergeht

Grammatikunterricht auf der Sekundarstufe II


Christa Dürscheid

In: Köpcke, Klaus-M./Ziegler, Arne (Hrsg.): Grammatik in der Universität und für die
Schule. Theorie, Empirie und Modellbildung. Tübingen: Niemeyer (= Reihe Germanis-
tische Linguistik 277), 45–65.

„Grammatische Reflexionen sind nicht nur eine Luxusbe-


schäftigung menschlicher Geistestätigkeit an lauen Som-
merabenden, sondern auch ein Stück geistiger Grundhy-
giene, die man nicht ungestraft vernachlässigen sollte.“
Wilhelm Köller (1988: XIII)

0. Vorbemerkungen

Der Titel des vorliegenden Beitrags ist angelehnt an eine Glosse mit dem Titel „Satz-
zeigen. Wie oft kann das grammatische Abendland noch untergehen?“ in den ‚Mit-
teilungen des Deutschen Germanistenverbandes’ (vgl. Schmitz 2003). Darin wird
über den Kenntnisstand von Studienanfängern1 in der Germanistik berichtet. Ulrich
Schmitz, der zu diesem Zweck eine 45-minütige Befragung unter Essener Germanis-
tikstudenten durchgeführt hatte, betont zwar gleich zu Beginn, es handle sich nicht
um eine Glosse, alles sei „bitter ernst und nichts als die Wahrheit“ (Schmitz 2003:
452), vom Inhalt und auch vom Duktus her ist der Beitrag aber eine solche. So bizarr
mutet der Befund an, den der Grammatiktest zu Tage bringt, so emotional sind aber
auch die Kommentare des Verfassers.
Im Folgenden wird zunächst ein Blick auf die Ergebnisse des Tests geworfen, und es
wird gefragt, über welche Grammatikkenntnisse Studienanfänger verfügen sollten
(Abschn. 1) und welche ihnen im Lernbereich „Reflexion über Sprache“ im
Deutschunterricht vermittelt werden (Abschn. 2). Im Anschluss daran werde ich dar-
legen, dass neben so interessanten Themen wie Jugendsprache, Werbesprache, Spra-
che in den neuen Medien, Zeichentheorie, Kommunikationsmodelle, Sprache – Den-
ken – Wirklichkeit (vgl. die Richtlinien und Lehrpläne für das Fach Deutsch, NRW)
auch die systembezogene grammatische Analyse, also die Reflexion über Satz- ,
Phrasen- und Wortstrukturen des Deutschen, fester Bestandteil des Deutschunter-
richts sein sollte, und zwar nicht nur auf der Sekundarstufe I, sondern auch der Se-
kundarstufe II (Abschn. 3). Außerdem wird gezeigt, welchen Sinn ein solcher
Grammatikunterricht hat (Abschn. 4). Der letzte Schwerpunkt meiner Ausführungen
liegt auf der Frage, wie Grammatikunterricht auf der Sekundarstufe II gestaltet wer-
den kann und welche Lernziele damit verknüpft sind (Abschn. 5). Zu diesem Zweck
werde ich eine Reihe von grammatischen Phänomen vorstellen, die einen Anreiz
zum Nachdenken über Sprache schaffen und dazu dienen, im Unterricht das meist
implizit vorhandene, grammatische Wissen zu aktivieren. Ein Fazit, in dem ein Blick

1
Personenbezeichnungen stehen im generischen Maskulin, eine Geschlechterdifferenzierung wird
nicht vorgenommen.

1
auf die Stellung der Grammatik in der Lehrerausbildung geworfen wird, beschließt
die Überlegungen.

1. Die Ausgangslage

In dem Test „30 Fachausdrücke aus dem Deutschunterricht“ hatte Ulrich Schmitz
Essener Studierenden nach der Bedeutung von Ausdrücken wie Silbe, Präteritum,
Kasus, Ellipse, Dialekt, Hypotaxe gefragt. Ihre Aufgabe bestand darin, jeweils eine
kurze Erläuterung zu geben, zusammen mit einem Beispiel. Bei der Auswertung
wurde, so betont Ulrich Schmitz in seinem kurzen Bericht über den Test, alles in
irgendeinem Sinne Richtige großzügig akzeptiert. Das Ergebnis war dennoch nieder-
schmetternd. Nur fünf Studenten beantworteten mehr als die Hälfte der Fragen rich-
tig, viele gaben ungenaue oder falsche Antworten. Hier eine Auswahl (in Original-
schreibung):

• Kasus = Sinn, Folge; Fall: Nomitav; Fall, z.B. Objektiv, Akusativ


• Dialekt = Spracheigenschaft; Eigenart der Sprache;
• Syntax = Zusammenhang; Sprachzusammensetzung;
• Adjektiv = beschreibendes für-Wort;
• Modalverb = Bestimmungswort; Hilfsverb (Bsp. sein, haben)
• Relativpronomen = Erläuterung;
• finites Verb = Gegenstand; beendetes Verb; abschließendes Verb; Verb am
Ende eines Satzes,
• Konjunktiv I = Zeit;
• Ellipse = Weltumlaufbahn; eine 8, in sich geschlossenes System,
• Konjunktion = Blüte der Wirtschaft (sic!)

Ulrich Schmitz kommentiert diese Resultate folgendermaßen:

Doch bei aller Liebe: wir haben es hier mit einer Elite zu tun: Menschen Anfang
zwanzig mit Abitur, die sich aus welchen Gründen auch immer, jedenfalls frei-
willig entschlossen haben, Germanistik zu studieren, zumindest also wohl wis-
send, dass sie einen erheblichen Teil ihrer Bemühungen einige Jahre lang und
womöglich den größten Teil ihres Lebens dezidiert und just auf Sprache richten
würden (und nicht etwa vornehmlich auf Zahlen, Krankheiten, ferne Länder, Na-
tur, Technik, körperliche, organisatorische Verrichtungen oder dergleichen
mehr). Bei den allermeisten von ihnen hätten diese erbärmlichen Trümmer
grammatischen Grundwissens nicht zur 250-Euro-Frage im Fernsehquiz gereicht.
Schmitz (2003: 456f.)

Das Zitat macht deutlich, wie groß Schmitz’ Entrüstung über das Unwissen der Stu-
dierenden ist; es zeigt aber auch, dass der Verfasser keineswegs gewillt ist, die Er-
gebnisse nüchtern darzustellen und den Ursachen auf den Grund zu gehen. Ihm geht
es in seinem Beitrag vielmehr darum, dem Leser in pointierter Ausdrucksweise vor
Augen zu führen, wie es um das grammatische Wissen seiner Studienanfänger be-
stellt ist.

2
Nun mag man sich fragen, wie diese Befragung an anderen Universitäten ausfallen
würde und ob der Test nicht hätte anders konzipiert werden müssen. In Zürich bei-
spielsweise, wo der Test auf dieselbe Weise durchgeführt wurde, erreichten 71,3%
der Studierenden zwischen 15 und 30 Punkten, beantworteten also mindestens die
Hälfte der Frage richtig. Dabei traten die meisten Probleme bei der Definition der
Termini Hypotaxe > Parataxe > Code > Prädikat > indirektes Objekt auf (in abneh-
mender Rangfolge). Allerdings wurden in Zürich nur 73 Studierende befragt, in Es-
sen waren es gut zweihundert.2 Außerdem handelte es sich bei dem Zürcher Test um
die Teilnehmer einer Grammatikvorlesung – und diese gehört nicht zum Pflichtpro-
gramm in der Germanistik. Die Studierenden brachten also ein genuines Interesse für
das Thema mit. In Essen dagegen wurde die Befragung in einem Grundkurs zur Ein-
führung in die Sprachwissenschaft durchgeführt, den alle Studierenden absolvieren
müssen.
Eine weitere, grundlegendere Frage, die man sich stellen muss, ist, ob ein solcher
Test tatsächlich etwas über das grammatische Wissen der angehenden Germanisten
aussagt. So vertritt Reinold Funke die Auffassung, dass es bei grammatischen
Kenntnissen nicht darauf ankomme, ob sie implizit oder explizit seien. Er schreibt:

In Kulturen mit hohem Grad an Literalisierung können die meisten Menschen


vermutlich einige Wortarten angeben. Worin besteht aber eigentlich die Kennt-
nis, die sie zu erkennen geben, wenn sie auf die Frage, was Substantive sind,
antworten, diese seien eben Namenwörter? Oder zeigt sich Wortartkenntnis gar
nicht in der Antwort auf solche Fragen, sondern eher in der Fähigkeit, Wörter
Wortarten zuzuordnen? So etwas mag vielen Menschen im Kernbereich typischer
Nomen und Verben relativ sicher gelingen. Funke (2005: 99)

Wortartkenntnis zeige sich also darin, dass man imstande sei, die Rolle der jeweils in
konkreten Äußerungen vorkommenden Wörter zu bestimmen (vgl. Funke 2005:
100), nicht darin, lexikalische Wortklassen unterscheiden zu können. In der Tat gibt
es ein implizites grammatisches Wissen, das, wie Funke sagt, „in Funktion ist“, ohne
dass es aus einer expliziten Kenntnis von Begriffen, Regeln und Kriterien besteht.
Als Argument führt Funke z.B. die Tatsache an, dass „deutschsprachige Schreiber
über Tausende von Wörtern hinweg Nomen fehlerfrei durch Großschreibung kenn-
zeichnen“ (Funke 2005: 307). Er betont an anderer Stelle aber auch, dass dieses im-
plizite Wissen durch explizites gestützt werden müsse. Das ist der mir wichtige
Punkt: Das vorhandene Wissen um Sprache tritt häufig erst durch metasprachliche
Kenntnisse ins Bewusstsein. Um Sprache analysieren und vom Einzelfall abstrahie-
ren zu können, braucht man ein Beschreibungsinstrumentarium. Wilhelm Köller sagt
dies deutlich (Kursivdruck im Original):

Was an grammatischen Phänomenen begrifflich nicht erfasst werden kann, bleibt


verborgen oder ist nur sprachgefühlsmäßig wahrzunehmen, da die Benennbarkeit
eine wichtige Voraussetzung für die Unterscheidbarkeit sprachlicher Phänomene
ist. Köller (1988: 387)

2
Genaue Angaben zur Zahl der Befragten finden sich bei Schmitz nicht.

3
Halten wir fest: Explizite Grammatikkenntnisse sind notwendig. Sie machen, wie
Köller (1988: 388) schreibt, das Grammatikgefühl nicht überflüssig, sie können es
aber ergänzen und präzisieren. Und bei Germanistikstudenten, deren tägliches Ge-
schäft der reflektierte Umgang mit der deutschen Sprache ist, gehören diese Kennt-
nisse ohnehin zum notwendigen Rüstzeug. Von ihnen wird beispielsweise erwartet,
dass sie in einem linguistischen Grundkurs den Unterschied zwischen Subjekt und
Substantiv erklären können und auf Anhieb wissen, was der Unterschied zwischen
einem finiten und einem infiniten Verb ist. Hier aber liegt, wie Schmitz’ Minitest
deutlich macht, einiges im Argen.
Ich will an dieser Stelle nun aber nicht in das Lamento über die unzulänglichen
Kenntnisse der Studienanfänger einstimmen, wie man es allenthalben hört. In vielen
Bereichen bringen die Abiturienten für das Fach Germanistik zweifellos mehr
Kenntnisse mit als zu früheren Zeiten.3 Etwas zeigte der Test aber deutlich: Vielen
der befragten Studierenden fehlte das metasprachliche Wissen, viele waren nicht
imstande, die Bedeutung einzelner Termini in eigenen Worten wiederzugeben – was
freilich, dies sei betont, nichts darüber aussagt, ob sie die Termini nicht doch intuitiv
in der konkreten grammatischen Analyse richtig verwenden würden.

2. Der Deutschunterricht

Wenn es zutrifft, dass bei vielen Studenten das metasprachliche Wissen nicht oder
nur implizit vorhanden ist, dann drängt sich natürlich die Frage auf, a) warum dieses
Wissen in den Schulen nicht vermittelt wurde und b) was sich dagegen unternehmen
lässt. Das freilich sind die falschen Fragen. Denn zweifellos sind die meisten der
Termini im Deutschunterricht eingeführt worden. Immerhin gibt es in Deutschland
ein von der Kultusministerkonferenz 1982 verabschiedetes „Verzeichnis grundlegen-
der grammatischer Fachausdrücke“, das in den Lehrplan für das Fach Deutsch integ-
riert ist.4 In diesem Verzeichnis finden sich grammatische Termini aus den vier Be-
reichen Lautlehre/Rechtschreibung/Zeichensetzung; Wortlehre; Satzlehre; Bedeu-
tungslehre (Semantik). Zu jedem dieser vier Bereiche werden bis zu 20 Termini an-
geführt, die ihrerseits wieder eine Liste von Termini umfassen (z.B. Objekt – Geni-
tivobjekt, Dativobjekt, Akkusativobjekt, Präpositionalobjekt). Ein Großteil der von
Schmitz erfragten grammatischen Ausdrücke steht in dieser Liste. Dies zeigt der fol-
gende Vergleich beider Listen:
Schmitz’ Fragebogen umfasst die Bezeichnungen: Adjektiv, Adverb, Code, Dialekt,
Ellipse, finites Verb, Genitiv, Hypotaxe, indirektes Objekt, Kasus, Konjugation,
Konjunktion, Konjunktiv, Konjunktiv II, Metapher, Modalverb, Parataxe, Partizip I
(„Partizip Präsens“), Partizip II („Partizip Perfekt“), Passiv, Prädikat, Präposition,
Präteritum, Relativpronomen, Semantik, Semikolon, Silbe, Subjekt, Substantiv, Syn-
3
Dies zeigt beispielsweise die Untersuchung von Horst Sitta mit dem Titel „Defizit oder Entwick-
lung? – Zum Sprachstand von Gymnasialabsolventen und Studenten“. Sittas Beitrag stammt zwar
aus dem Jahr 1990, er setzt sich aber mit einem Topos auseinander, das zeitlos ist: ‚Früher war al-
les besser’.
4
Das „Verzeichnis grundlegender grammatischer Fachausdrücke, herausgegeben vom Sekretariat
der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland von
1982“ ist abgedruckt in Bausch/Grosse 1987, S. 229 ff. Im Internet findet es sich in leicht modifi-
zierter Form unter http://www.uni-erfurt.de/sprachwissenschaft/Lehre&Studium/
d_gramm_Fachausdruecke.html <03.10.2005>.

4
tax. Von diesen vermisst man im „Verzeichnis grundlegender grammatischer Fach-
ausdrücke“ nur: Code, Dialekt, Ellipse, finites Verb, Hypotaxe, indirektes Objekt,
Parataxe, Syntax. Einige fehlen außerdem nur deshalb, weil es keine grammatischen
Fachausdrücke sind, sondern anderen Bereichen (Dialekt z.B.) zugehören. Zu beden-
ken ist auch, dass die Schüler die im KMK-Verzeichnis angeführten Fachausdrücke
bereits zum Ende des 10. Schuljahrs sicher anwenden sollen, sie müssten diese also
bei Eintritt in die Oberstufe schon beherrschen. Für die Sekundarstufe II gibt es zwar
keine Fortführung der Liste, es ist aber anzunehmen, dass Termini wie finites Verb
oder Code spätestens auf dieser Schulstufe Erwähnung finden. Immerhin wird im
Lehrplan für das Fach Deutsch, NRW, Sekundarstufe II (gültig seit 01.08.1999) ver-
merkt:

Genaues Textverstehen setzt Kenntnisse der Grammatik zum Verständnis syntak-


tischer und semantischer Strukturen voraus. Diese Kenntnisse aus der Sekundar-
stufe I müssen in der gymnasialen Oberstufe aufgefrischt, weiter ausgebaut und
mit dem Fremdsprachenunterricht terminologisch abgestimmt werden.
Lehrplan, NRW, S. 23

Wir können also davon ausgehen, dass alle 30 Fachausdrücke an den Schulen in
NRW eingeführt wurden. Dennoch sind sie vielen Studienanfängern nicht oder nicht
mehr präsent. Wie ist das zu erklären? Ich sehe hier folgende Ursachen:
Zum einen kann es durchaus sein, dass das grammatische Wissen auf der Sekundar-
stufe II eben doch nicht mehr, wie im Lehrplan gefordert, „aufgefrischt“ und „weiter
ausgebaut“ (s.o.) wird. Die schulgrammatische Terminologie wird – wie später auch
an der Hochschule – als bekannt vorausgesetzt, man sieht keine Notwendigkeit darin,
diesen Themenbereich noch einmal aufzugreifen. Außerdem ist der Lernstoff, der bis
zum Abitur behandelt werden muss, so umfangreich, dass viele Lehrer anderen, ih-
nen wichtiger scheinenden Themen den Vorzug geben. Es mag aber auch an dem
Desinteresse an der Grammatik liegen, das unter vielen Schülern und Lehrern zu
beobachten ist. Warum sollte man dieses Thema auch noch, so mögen sie sich fra-
gen, in der Sekundarstufe II behandeln?5
Ein weiterer Grund dafür, dass schulgrammatisches Wissen unter vielen Studienan-
fängern nicht mehr präsent ist, kann aber auch der folgende sein: Sie haben es nie
richtig gelernt. So wird immer wieder betont, dass Grammatikunterricht nicht isoliert
zu erfolgen habe, sondern im Sinne eines integrativen Deutschunterrichts an die
Textarbeit angebunden werden sollte. Schon 1986 schrieb Winfried Ulrich in den
Blättern zur Lehrerfortbildung:

Die natürliche Vorkommensweise von Sprache ist immer der Text. Erst der un-
tersuchende Linguist und der Sprachlehrer isolieren Textteile wie einzelne Sätze
oder Wörter oder lösen sie aus ihrem natürlichen Kontext heraus, verlieren dabei
auch ihre Leistung aus dem Auge. Die Funktion eines sprachlichen Elements
wird nämlich dann deutlich, wenn man überprüft, welchen Anteil es an der Ge-
samtwirkung eines Textes auf Hörer oder Leser hat. Ulrich (1986: 18)

5
Hier sei wieder Wilhelm Köller zitiert „Das Merkwürdige am Grammatikunterricht ist, dass es ihn
immer noch gibt. Obwohl die Mehrzahl der Schüler und Lehrer ihn eher zu hassen als zu lieben
scheint, hat ihn doch nicht überall der Auszehrungstod ereilt“ (Köller 1997: 9).

5
Seit den 1980er Jahren liegt dieses Konzept den Lehrplänen zugrunde, in den Klas-
senzimmern wird danach unterrichtet. Das zeigt auch ein Blick in den Lehrplan für
das Fach Deutsch, NRW, S. 23 (Fettdruck im Original): „Doch darf Grammatikun-
terricht hier nicht nach dem Prinzip der Elementarisierung erfolgen. Deshalb soll die
Erweiterung der grammatischen und stilistischen Kompetenz nicht isoliert be-
trieben, sondern angemessener in der Arbeit an und mit Texten erreicht werden.“
Doch auch wenn ein solcher Unterricht für die Schüler motivierend ist, auch wenn,
wie in der fachdidaktischen Literatur immer wieder betont wird, es didaktisch sinn-
voll und fachlich angemessen ist, sprachliche Phänomene nicht isoliert zu betrachten:
Gerade daraus resultiert meiner Ansicht nach, dass im muttersprachlichen Unterricht
– anders als z.B. im Lateinunterricht – kein systematisches Grammatikwissen aufge-
baut wird. So können sich viele Studenten auf Nachfragen nicht mehr daran erinnern,
dass ein grammatischer Terminus in ihrer Schulzeit jemals eingeführt wurde. Das
verwundert nicht: Es geschieht in der Regel ja nur im Kontext anderer, möglicher-
weise interessanterer Fragestellungen. Daraus resultiert, dass das Wissen um die
grammatischen Termini gar nicht ins Zentrum des Unterrichtsgesprächs rückt und
deshalb von den Schülern auch nicht im selben Maße erinnert wird, wie dies im La-
teinunterricht der Fall ist.
Bevor ich nun im nächsten Abschnitt zeigen werde, welche Gründe für die Beibehal-
tung resp. Wiedereinführung des Grammatikunterrichts in der Schule sprechen, ist an
dieser Stelle noch eine abschließende Bemerkung zu den neuen Bildungsstandards
erforderlich. Zu der Zeit, als die von Ulrich Schmitz befragten Studienanfänger die
Schule besuchten, galten noch die ‚alten’ „Standards für den Mittleren Schulab-
schluss Deutsch“, die im Jahr 1995 von der Kultusministerkonferenz verabschiedet
worden waren. In diesen „Standards“ werden dem fachlichen Schwerpunkt „Reflexi-
on über Sprache“ verschiedene Ziele und Inhalte zugeordnet. Eines dieser Ziele ist:
„fachspezifische Begriffe zur Beschreibung von Sprache (vgl. u.a. KMK-
Vereinbarung grundlegender grammatischer Fachausdrücke vom 26.02.1982) sicher
anwenden.“ Es wird hier also explizit auf das Verzeichnis grundlegender grammati-
scher Fachausdrücke Bezug genommen und es wird erklärt, dass die Kenntnis sol-
cher Ausdrücke zu den Zielen im Unterricht der Sekundarstufe I gehört.
Heute, im Jahr 2006, stellt sich die Situation anders dar. Im Oktober 1997 hatte die
Kultusministerkonferenz beschlossen, das deutsche Schulsystem im Rahmen wissen-
schaftlicher Untersuchungen international vergleichen zu lassen. Daraus resultierten
neue „Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss“, die in den Jahren 2003
und 2004 beschlossen wurden. Seit dem Schuljahr 2004/05 gelten nunmehr für das
Fach Deutsch die Vereinbarungen über die Bildungsstandards vom 04.12.2003. In
diesen Vereinbarungen wird nicht mehr auf das „Verzeichnis grundlegender gram-
matischer Fachausdrücke“ verwiesen. Das halte ich für problematisch. Denn auch
wenn das Verzeichnis nicht unumstritten ist (zur Kritik vgl. u.a. Müller 2003): Dass
eine ganze Reihe von grammatischen Termini im Unterricht eingeführt werden
musste, war damit festgeschrieben. In den Bildungsstandards dagegen werden ledig-
lich exemplarisch einige wenige Termini genannt, die die Schüler kennen und an-
wenden sollen. Einen Kanon gibt es nicht mehr. So ist unter Punkt 3.4 „Sprache und
Sprachgebrauch untersuchen“ zu lesen:

6
Satzstrukturen kennen und funktional verwenden: Hauptsatz, Nebensatz/Gliedsatz,
Satzglied, Satzgliedteil,
Wortarten kennen und funktional gebrauchen: z.B. Verb: Zeitlichkeit, Modalität;
Substantiv/Nomen: Benennung; Adjektiv: Qualität,
grammatische Kategorien und ihre Leistungen in situativen und funktionalen Zu-
sammenhängen kennen und nutzen, insbesondere Tempus, Modus (Indikativ, Kon-
junktiv I/II), Aktiv/Passiv; Genus, Numerus, Kasus; Steigerung
Bildungsstandards (2003: 19)

Was den höheren Schulabschluss betrifft, so liegen hierfür keine Bildungsstandards


vor, es gibt also keinen Referenztext. Um sich über die derzeit gültigen Anforderun-
gen auf der Sekundarstufe II zu informieren, ist es deshalb interessant, einen Blick in
die Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Deutsch (EPA) zu
werfen. Wie Hartmut Frentz und Christian Lehmann (2003: 96) in ihrer kritischen
Diskussion feststellen, zeigt sich in diesen Prüfungsanforderungen in der Fassung
vom 24.05.2002 ein „eklatantes Ungleichgewicht von literaturwissenschaftlichen und
linguistischen Konzepten. So wird z.B. im §1.2 im Leistungskursfach Deutsch ‚diffe-
renzierte literaturwissenschaftliche Terminologie’ und Literaturtheorie’ verlangt,
jedoch nichts Entsprechendes auf Seiten der Linguistik“. Weiter stellen die Autoren
fest, dass sich nur vier Zeilen zu den fachlichen Anforderungen im Bereich ‚Reflek-
tieren über Sprache’ finden, dagegen aber 47 Zeilen zu den Anforderungen im Lern-
bereich ‚Erschließen von Texten und Medienprodukten’. Diese Gewichtung doku-
mentiert, so die Argumentation weiter, dass die Reflexion über das Sprachsystem
einen geringeren Stellenwert hat als noch im Jahr 1989, in dem erstmals Einheitliche
Prüfungsanforderungen von der Kultusministerkonferenz vereinbart wurden. Damals
umfasste der Bereich „Sprachbetrachtung“ 11 Zeilen (gegenüber 30 Zeilen zu den
Anforderungen im Bereich ‚Angemessener Umgang mit Texten’).
Das Beispiel macht deutlich, in welche Richtung die Neugestaltung der Lehrpläne
und der Prüfungsanforderungen seit den 90er Jahren geht. Frentz/Lehmann (2003:
92) sehen in dieser Neugestaltung denn auch einen Grund dafür, „dass die sprachli-
che Bildung der Abiturienten in den letzten Jahren [...] zurückgegangen ist.“ Wenn
dies zutrifft, dann muss man sich fragen, wie der Kenntnisstand der Studienanfänger
im Jahr 2010 sein wird. Vielleicht sind sie dann noch unsicherer in der metasprachli-
chen Terminologie als ihre Kollegen im Jahr 2003? Andererseits kann es auch
durchaus sein, dass der sprachlichen Bildung im Unterricht wieder mehr Raum gege-
ben und sich dies langfristig auch in den Lehrplänen zeigen wird. So stellt Angelika
Steets mit Blick auf die Situation nach der PISA-Studie fest:

Erkennbar sind m.E. zwei Trends. Einerseits findet – angesichts der immer of-
fensichtlicher werdenden Lücken im grammatischen Wissen von Lehrenden und
Studierenden [...] – eine Rückbesinnung auf grammatisches Grundwissen statt
[...]. Andererseits beginnt die Sprach- bzw. Grammatikdidaktik aus ihrer insge-
samt eher defensiven Position herauszutreten und dezidiert die Notwendigkeit
systematischen Sprachunterrichts einzufordern. Steets (2003: 215)

Während Letzteres sicher trifft – der vorliegende Beitrag steht ja auch in diesem
Kontext –, muss sich erst noch erweisen, in welche Richtung der Deutschunterricht
nach der PISA-Studie gehen wird. Tatsache aber ist, dass in den fachdidaktischen

7
Publikationen der Grammatikunterricht wieder stärker ins Zentrum rückt und dies
möglicherweise Auswirkungen auf die Lehrerausbildung und damit auch auf die Un-
terrichtspraxis haben kann.

3. Der Grammatikunterricht

Wie bereits angedeutet, trete ich dafür ein, im Deutschunterricht Phasen vorzusehen
sind, in denen sprachliche Phänomene „unabhängig von anderen Lernbereichen, Un-
terrichtsthemen oder -aktivitäten erarbeitet und geübt“ (Peyer 2005: 77) werden. Ein
solches Konzept schließt nicht aus, dass sprachliche Phänomene ‚nur’ im Kontext
von Textinterpretationen behandelt werden (s. dazu Abschn. 4), es ist aber auch ein
Plädoyer dafür, die Sprache selbst zum Thema zu machen. Nun mag man einwenden,
dass dieses Nachdenken über Sprache ja fester Bestandteil des Curriculums ist, dass
in den Lehrplänen ein solcher Lernbereich vorgesehen ist, auch wenn er, wie wir
gesehen haben, möglicherweise nicht denselben Stellenwert hat wie vor 10 Jahren.
In der Tat gibt es beispielsweise im Lehrplan für die Sekundarstufe II in NRW feste
Planungsvorgaben im Lernbereich ‚Reflexion über Sprache’. 6 Diese Vorgaben
betreffen die vier Bereiche a) Denken/Verstehen/Lernen; b) Kommunikati-
on/Kommunikationstechnologien; c) Sprachentwicklung; Sprachvarietäten und d)
Sprachstruktur/Sprachfunktion. Ausgewählte Themen aus diesen vier Bereichen
müssen zum Schwerpunkt von Unterrichtsvorhaben gemacht werden oder in Unter-
richtsvorhaben mit anderem Schwerpunkt integriert werden (vgl. Lehrplan, NRW, S.
35). Das Themenfeld Sprachstruktur/Sprachfunktion ist also einer der vier obligatori-
schen Bestandteile des Deutschunterrichts in diesem Lernbereich. Hier ist der Rah-
men gegeben, in dem grammatisches Wissen vermittelt werden kann, in dem Gram-
matikunterricht möglich ist.
Schaut man sich die Fachdidaktikliteratur aber daraufhin durch, welche Vorschläge
gemacht werden, um einen dieser Schulstufe angemessenen Grammatikunterricht
durchzuführen, dann findet man kaum etwas. So umfasst die Grammatik-Werkstatt
von Wolfgang Menzel unter dem Stichwort „Werkstattarbeit in der Sekundarstufe
II“ nur wenige Vorschläge auf insgesamt 22 Seiten (S. 157–179). Dem stehen über
100 Seiten zur „Werkstattarbeit in der Sekundarstufe I“ gegenüber. Menzel (1999:
157) stellt zwar richtig fest, dass das Thema auf der Sekundarstufe II eine unterge-
ordnete Bedeutung habe, dass grammatisches Wissen vorausgesetzt werde und da,
wo nicht vorhanden, nicht auf höherem Niveau noch einmal vermittelt oder erweitert
werde, entwickelt aber selbst nur drei eigene Unterrichtsbeispiele („Experimente mit
Konjunktiven“, „Probleme mit Finalsätzen“, „Satzgefüge und Kommasetzung“).7 An
anderer Stelle beklagt er, dass es in diesem Bereich kein Spiral-Curriculum gebe,
dass die Schulgrammatik fast durchweg mit dem siebten Schuljahr ende (vgl. Menzel
1999: 10). Ob der Grammatikunterricht in den Klassenzimmern tatsächlich schon mit
dem siebten Schuljahr zu Ende ist, sei dahingestellt; was den Übergang zur Sekun-
darstufe II betrifft, so hat Menzel sicher Recht: Zu diesem Zeitpunkt endet der

6
Alternative Bezeichnungen sind ‚Umgang mit Sprache’ und ‚Sprache untersuchen’ (vgl. zur Ge-
schichte und Stellung dieses Lernbereichs im Deutschunterricht Steinig/Huneke 2004: 143–162).
7
Für die Sekundarstufe I finden sich 14 solcher Themen, u.a. „Experimente mit den Wortarten“,
„Experimente mit Satzgliedern“, „Bestimmter und unbestimmter Artikel“

8
Grammatikunterricht fast durchweg, obwohl er, dem Prinzip des Spiral-Curriculums
folgend, eine Fortsetzung in der Sekundarstufe II haben müsste.
Zum Vergleich sei noch ein zweites Buch erwähnt, das für Lehrer und Lehramtsstu-
dierende konzipiert ist und den vielversprechenden Titel „Grammatik und vieles
mehr. Linguistische Grundlagen und Lernziele für den Deutschunterricht der Sekun-
darstufen“ trägt (Wachtel 2004). Der Plural Sekundarstufen lässt vermuten, dass sich
in diesem Buch auch Ausführungen zur Sekundarstufe II finden. Dem ist aber nicht
so. Über weite Strecken besteht die Arbeit aus nichts anderem als einer Rekapitulati-
on linguistischen Grundlagenwissens: In den fünf Kapiteln „Kommunikation und der
Gebrauch von Zeichen“, „Sprachliches Handeln“, „Phonem, Morphem, Wort“,
„Satz“, „Text“ werden Themen behandelt, die in jeder linguistischen Einführung
nachzulesen sind. Ergänzt wird jedes Kapitel um kurze Hinweise zum Deutschunter-
richt. Ausformulierte Lernziele finden sich hier nicht, Bezüge zu bestimmten Jahr-
gangsstufen werden nicht hergestellt, und auch in den didaktischen Teilen ist die
Darstellung vorrangig an der Analyse sprachlicher Phänomene, nicht an methodi-
schen und didaktischen Fragen orientiert (z.B. Wortbedeutung, Wortbildung, Wortar-
ten, Satzmuster etc.). Das Buch bietet also nur wenige Anregungen für den Gramma-
tikunterricht im Allgemeinen und keine Anregungen für den Grammatikunterricht
auf der Sekundarstufe II im Besonderen.
Ein Buch, in dem didaktische Aspekte tatsächlich im Vordergrund stehen, ist dage-
gen der Sammelband „Grammatik und Grammatikvermittlung“ (Peschel 2002). Der
Band setzt sich zusammen aus linguistisch ausgerichteten Beiträgen, die die didakti-
sche Vermittlung einschließen, sowie aus didaktisch ausgerichteten Beiträgen, die
eine linguistische Grundlage haben. Hier findet der Leser Informationen zum mutter-
sprachlichen und fremdsprachlichen Deutschunterricht, bekommt aber auch einen
Einblick in die linguistische Forschungsdiskussion. Im Vorwort zu diesem Band, der
dem Sprachwissenschaftler und Sprachdidaktiker Bernhard Engelen gewidmet ist, ist
zu lesen: „Die Untersuchung und Darstellung grammatischer Sachverhalte auf der
einen, die Vermittlung grammatischen Wissens [...] auf der anderen Seite sind zwei
Aspekte sprachwissenschaftlichen wie sprachdidaktischen Arbeitens, die eng mitein-
ander verbunden sind.“
Dieser Feststellung werden zweifellos viele Sprachwissenschaftler und viele Sprach-
didaktiker zustimmen. Dennoch gilt immer noch, was Peter Eisenberg, der selbst an
dem Sammelband mitgearbeitet hat, an anderer Stelle feststellt: „Auch in der Fachdi-
daktik selbst gibt es nach wie vor regelrecht aggressive Verwahrungen gegenüber
Sprachwissenschaft und insbesondere ‚der Grammatik’“ (Eisenberg 2004: 21).8: Ei-
senberg erwähnt in diesem Zusammenhang die in der Fachdidaktik viel beachtete
Arbeit von Werner Ingendahl (1999). Sie trägt den programmatischen Titel „Sprach-
reflexion statt Grammatik. Ein didaktisches Konzept für alle Schulstufen“ und ent-
hält „gründliche Kritik am traditionellen Grammatikunterricht“ (Formulierung im
Klappentext). Eisenberg stellt dazu fest: „Den Vogel schießt hier m.W. der Didakti-
ker Werner Ingendahl ab, der die Fortexistenz des üblichen Grammatikunterrichts als

8
Eisenbergs Text ist die leicht überarbeitete Fassung seines Plenarvortrags bei der 26. Jahrestagung
der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft im Februar 2004. Die Tagung hatte das Rah-
menthema „Linguistik in der Schule“, eine Formulierung, die an Arbeiten aus der Zeit der Linguis-
tisierung des Deutschunterrichts in den 70er Jahren erinnert (z.B. Rothschild 1970: „Linguistik in
der Schule“).

9
‚Notlage’ ansieht“ (Eisenberg 2004: 21).9 Eisenberg geht es mit diesem Hinweis auf
Ingendahl weniger um eine Auseinandersetzung mit dessen grammatikkritischer Po-
sition, sondern darum zu zeigen, dass das Verhältnis zwischen Sprachwissenschaft
und Sprachdidaktik (resp. zwischen Sprachwissenschaftlern und Sprachdidaktikern,
C.D.) keineswegs geklärt ist. Der Grammatikunterricht steht gewissermaßen in die-
sem Spannungsfeld; als Sprachwissenschaftler wird man die Notwendigkeit von
Grammatikunterricht kaum in Frage stellen, als Sprachdidaktiker wird man genau
dies aber möglicherweise tun.
Ziehen wir an dieser Stelle eine Zwischenbilanz: Im Lernbereich ‚Reflexion über
Sprache’ ist, laut Lehrplan, die Vermittlung grammatischen Wissens vorgesehen –
und zwar sowohl auf der Sekundarstufe I als auch auf der Sekundarstufe II. Wie weit
das in den Klassenzimmern tatsächlich geschieht, ist ein anderes Thema. Auf der
Sekundarstufe I wird dies der Fall sein (wenn auch in der Regel im Kontext eines
integrierten Deutschunterrichts), auf der Sekundarstufe II ist die Vermittlung gram-
matischen Wissens eher die Ausnahme. In der fachdidaktischen Literatur und in den
Lehrwerken finden sich für die Sekundarstufe II folglich auch nur wenige Vorschlä-
ge für Unterrichtseinheiten zu diesem Lernbereich. Man kann es aber auch umge-
kehrt sehen: Vielleicht werden auf der Sekundarstufe II auch kaum Unterrichtsein-
heiten durchgeführt, weil sich in der fachdidaktischen Literatur und in den Lehrwer-
ken nur wenige Vorschläge finden.

4. Sprachreflexionskompetenz

Es wurde bereits dargelegt, dass der Grammatikunterricht auf der Sekundarstufe II


ein Schattendasein führt, auch wenn er im Lernbereich „Reflexion über Spra-
che“ verankert ist. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Situation tatsächlich so
desolat ist, wie sie Peter Klotz darstellt. Er zieht in seiner Rückschau auf die vergan-
genen 30 Jahre die folgende Bilanz:

[U]nter dem Lehrplan-Label „Reflexion über Sprache“ wurde in der Schulrealität


immer weniger über Sprache nachgedacht, auch wurde systematisch immer sel-
tener in ihre Bauweise eingeführt – das grammatische explizite Wissen ver-
schwand immer mehr und mehr unter den Heranwachsenden, von denen natür-
lich etliche Lehrer oder Lehrerin wurden und mangels Kompetenz diesen Bereich
gerne vernachlässigen. So wurde – meine holzschnittartige Skizze soll es so zei-
gen – aus dem Terminus „Sprachreflexion“ vielleicht kein Etikettenschwindel,
aber doch fast eine Leerformel. Klotz (2004: 154)

Wie der letzte Satz des Zitats zeigt, sagt Klotz selbst, dass seine Darstellung holz-
schnittartig ist. Das ist sie tatsächlich, sie enthält aber einen wahren Kern: Im Kon-
text der kommunikativ-pragmatischen Wende wurde die systembezogene Betrach-
tung von Sprache und damit auch die systematische Vermittlung metasprachlichen
Wissens immer mehr zurückgenommen (siehe dazu Abschn. 2). Gerhard Helbig be-
schreibt die Situation in seinem programmatischen Aufsatz „Wieviel Grammatik
braucht der Mensch?“ aus dem Jahr 1972 folgendermaßen:

9
Vgl. zur Arbeit von Ingendahl auch die Anmerkungen von Funke (2005: 305f.) und Klotz (i.d.B.).

10
Es ist nicht zu verkennen (und das ist auch ein Hintergrund für die im Titel ge-
stellte Frage), daß in den letzten Jahrzehnten die Grammatik zunehmend ins Ge-
rede gekommen ist (vor allem unter dem Einfluß der „kommunikativ-
pragmatischen Wende“ der Sprachwissenschaft und unter dem Stichwort des
kommunikativen Fremdsprachenunterrichts. Helbig (1972:150)

Welches die Gründe für diese Entwicklung sind, soll hier nicht nachgezeichnet wer-
den (vgl. dazu ausführlich Steinig/Huneke 2004). Nur so viel: „Man wollte Gramma-
tik nicht mehr als formales Bildungswissen akzeptieren, weil dieses keinen unmittel-
baren Gebrauchswert für die Lebenswirklichkeit und die Schreibpraxis der Schüler
habe (Steinig/Huneke 2004: 146).10
Klotz’ Anliegen ist es, so gewinnt man den Eindruck bei der Lektüre seines Beitrags,
die Vermittlung von Grammatikwissen wieder in den Deutschunterricht zurückholen
– unter zwar unter dem Terminus „Sprachreflexionskompetenz“. Die Kompetenz,
über Sprache reflektieren zu können, liegt nach Klotz auf zwei Ebenen. Zum einen
zeige sie sich in der Fähigkeit, „in Alternativen zu denken und so die Sprache zu
gebrauchen“, zum anderen in der „geistigen Distanznahme bei einem aktuellen
Sprachgebrauch“ (Klotz 2004: 153). Klotz sieht also einen Zusammenhang zwischen
Sprachreflexion und Sprachgebrauch und zwar dergestalt, dass die Reflexion über
Sprache zu einer differenzierten Spracheinstellung und vielleicht sogar zu differen-
zierterem Sprachgebrauch führen kann. An anderer Stelle nennt Klotz weitere wich-
tige Funktionen einer solchen Sprachreflexionskompetenz. Diese erinnern an die
traditionellen Begründungen für den Grammatikunterricht. So legt er dar, die Ein-
sicht in die Sprache sei a) „ein das Humane unterstreichendes Bildungs- und Kultur-
gut“, b) „sensibilisiere für Sprache“, führe c) „zu einem vernünftigen fachsprachli-
chen mit ihr“ und fördere d) die Textrezeption und das Texte-Verfassen (vgl. Klotz
2004: 167).
Vergleicht man diese Argumente mit den traditionellen Begründungen für den
Grammatikunterricht, dann findet man einige wieder. Um dies deutlich zu machen,
werde ich im Folgenden einige der Begründungen zusammenstellen (in Anlehnung
an Eichler 1998: 226–257 und Ulrich 2001: 78–79). Wie man daran sieht, entspre-
chen die von Klotz genannten Argumente den Punkten 1, 2, 4, 6, 7 und 10:

1. Der Schüler soll Einsicht in den Bau und die Struktur der Sprache erhalten.
2. Der Schüler soll für die Unterrichtsarbeit in anderen Fächern klare Verständi-
gungsbegriffe erhalten.
3. Der Schüler soll in der Fähigkeit zum analytischen Denken gefördert wer-
den.
4. Der Schüler soll lernen, Distanz zum Eingebundensein in kommunikative
Prozesse zu nehmen und für Normen aller Art sensibilisiert werden.
5. Der Schüler soll objektive Kriterien für die Analyse von kommunikativen
Handlungen und Sprache auf ihre Wirkung und Bedingungen erarbeiten.
6. Der Schüler soll Kriterien für die Textanalyse und Textinterpretation erhal-
ten.

10
„Einige forderten sogar ihre Abschaffung“, schreiben Steinig/Huneke (2004: 146). Sie verweisen
in diesem Zusammenhang auf Helga Schwenk (1983).

11
7. Der Schüler soll in seiner Sprachfertigkeit, in seinem Konstruktionsbewusst-
sein, im Satzbau und in der präziseren Wortwahl sowie in einem allgemein-
bewussteren Sprachverhalten gefördert werden.
8. Der Schüler soll lernen, Gefahren des Misslingens von Verständigung zu er-
kennen.
9. Der Schüler soll in der Lage sein, die Unterschiede zwischen der eigenen
Sprache und fremden Sprachen zu benennen.
10. Grammatikwissen gehört zur Allgemeinbildung.

Die Punkte sollen hier nicht im Einzelnen diskutiert werden, einige mögen auch
problematisch sein. So weist Wilhelm Köller (1988: 387) darauf hin, „daß eigentlich
für jede Sprache ein eigenes Inventar grammatischer Differenzierungsbegriffe erar-
beitet werden müsste, weil das Inventar grammatischer Formen und Funktionen
selbst in verwandten Sprachen nicht deckungsgleich ist.“ Insofern sei fraglich, ob die
„Verständigungsbegriffe“ aus der Grammatik des Deutschen auf andere Sprachen
übertragen werden können (Punkt 2). Das ist zwar richtig, hier kann man aber ein-
wenden, dass gerade in der Verschiedenartigkeit der Beschreibungskategorien eine
Möglichkeit zur metasprachlichen Reflexion liegt.11 Auch auf eine andere kritische
Bemerkung Köllers sei hier nur kurz eingegangen. Es geht dabei um das Argument,
Grammatikunterricht fördere das analytische Denken (Punkt 3). Köller schreibt hier-
zu, dass die Grammatik selbst kein logisch kohärentes System sei, sondern „ein his-
torisch gewachsenes Gebilde mit Widersprüchlichkeiten und Inkonsequenzen“ (Köl-
ler 1997: 23), sie könne also gar nicht das logisch-analytische Denken schulen. Dass
die Grammatik in der Tat heterogene Klassifikationskriterien enthält, zeigen u.a. die
verschiedenen Begriffsfassungen von Subjekt (semantisch: Handlungsträger, mor-
phologisch: Nominativ, pragmatisch: Thema), aber auch die Wortartenklassifizie-
rung, die zum einen semantischen Kriterien folgt, zum anderen formalen.12
Doch selbst wenn also nicht alle Begründungen für Grammatikunterricht gleicher-
maßen überzeugen: Es gibt eine Reihe von Begründungen und diese gelten, das ist
wichtig zu betonen, sowohl für die Sekundarstufe I und die Sekundarstufe II. Um es
mit Klotz (2004: 167) zu sagen: „Entscheidend ist [...] die Kontinuität des bewussten
und reflektierten Arbeitens mit Sprachen, denn nur durch Kontinuität kommt es zu
brauchbaren, zuverlässigen und für Differenzierungen tauglichen sprachlichen Rou-
tinen.“ Eine solche Kontinuität ist aber nur dann gewährleistet, wenn das grammati-
sche Curriculum auf der Sekundarstufe II fortgeführt wird. Und dabei kann es nicht
um die simple Repetition grammatischen Wissens gehen, es geht tatsächlich um eine
Reflexion über das Sprachsystem. Wie ein solcher Grammatikunterricht aussehen
kann, ist Gegenstand des nächsten Abschnitts.

11
So bietet ein Vergleich der Bezeichnungen ‚direktes Objekt/indirektes Objekt’ mit ‚Akkusativob-
jekt/Dativobjekt/Genitivobjekt/präpositionales Objekt’ die Möglichkeit, den Aussagewert dieser
Termini zu hinterfragen (z.B.: Wo liegen die Unterschiede zwischen einem indirektem Objekt und
einem Dativobjekt? Warum sprechen wir im Französischunterricht vom direkten und indirekten
Objekt, nicht aber vom Akkusativ-, Dativ- oder Genitivobjekt?).
12
Beispielsweise lässt sich ein Wort wie Million einerseits der Klasse der Substantive zuordnen,
andererseits den Numeralia.

12
5. Unterrichtsvorschläge für die Sekundarstufe II

Wie in der Literatur immer wieder betont, gibt es verschiedene Grammatiktypen


(formale/funktionale Grammatiken), verschiedene Konzepte von Grammatikunter-
richt (systematischen Grammatikunterricht/situationsorientierten Grammatikunter-
richt) und verschiedene Methoden der Vermittlung (deduktive/induktive Methode).13
In Didaktiklehrwerken werden diese Ansätze zwar meist getrennt voneinander darge-
stellt, sie werden aber allesamt auf den Grammatikunterricht bezogen. Da ist die Re-
de von funktionalem Grammatikunterricht, situativem Grammatikunterricht, pro-
zessorientiertem Grammatikunterricht, integrativem Grammatikunterricht, systemati-
schem Grammatikunterricht usw. In der Unterrichtspraxis kommen diese Formen in
der Regel in verschiedenen Kombinationen vor; sie schließen sich nicht aus.
Im Folgenden soll für den Grammatikunterricht auf der Sekundarstufe II das Konzept
eines funktionalen Grammatikunterrichts zugrunde gelegt werden. Dieses Konzept
lässt sich mit systematischem Grammatikunterricht verbinden. Ann Peyer erläutert
den funktionalen Grammatikunterricht folgendermaßen:

Die Untersuchung grammatischer Phänomene erfolgt dann nicht integriert in ande-


re Lernbereiche, sondern systematisch, aber so, dass nicht die grammatischen For-
men im Zentrum stehen, sondern das Zusammenwirken von Form und Funktion
sprachlicher Einheiten. Peyer (2005: 81)

Anders als Ann Peyer fasse ich ‚systematisch’ aber nicht als Gegenbegriff zu ‚inte-
grativ’ auf. Vielmehr sehe ich in Anlehnung an Eisenberg/Menzel (1995) ‚systema-
tisch’ in Opposition zu ‚situationsorientiert’. Eisenberg/Menzel stellen den Gegen-
satz ‚systematisch – situationsorientiert’ folgendermaßen dar:

Der systematische Grammatikunterricht geht von Teilsystemen der Grammatik aus


und läßt diese erarbeiten oder vermittelt sie, der situationsorientierte Grammatik-
unterricht vermittelt in aller Regel grammatische Einzelkategorien anläßlich der
Bewältigung einer inhaltlich-thematischen Aufgabe [...]
Eisenberg/Menzel (1995: 5)

Mit diesen Worten ist der Rahmen abgesteckt, in dem die folgenden Unterrichtsvor-
schläge zu verorten sind: Als Ausgangspunkt dienen die grammatischen Teilsysteme
Morphologie und Syntax (= systematischer Grammatikunterricht), ausgewählte Re-
gularitäten in diesem Bereich sollen im Unterricht erarbeitet werden (= induktiver
Grammatikunterricht) und zwar so, dass nicht die Formen im Zentrum stehen, son-
dern das Zusammenwirken von Form und Funktion (= funktionaler Grammatikunter-
richt). Wie kann dies nun im Einzelnen geschehen? Im Folgenden sei ein Vorschlag
für die Sekundarstufe II entwickelt, an den weitere Unterrichtseinheiten anschließen
können:
Als Ausgangspunkt für das Unterrichtsgespräch dienen Sätze, die grammatische Ir-
regularitäten aufweisen, in ihrer Irregularität aber bestimmten Regularitäten folgen,
also nach einem nachvollziehbaren Muster gebildet sind, das übertragbar, generali-
sierbar und auf vergleichbare Fälle anwendbar ist (vgl. Hundt 2005). Die Daten wer-

13
Vgl. hierzu z.B. Eisenberg/Menzel (1995: 4f.).

13
den aus dem Bereich der Wort- und Satzgliedstellung (z.B. Wir haben gefeiert an
seinem Geburtstag; Ich komme nicht, weil ich hab keine Zeit), der Kasusmarkierung
(z.B. Ich kenne den Student) und der Satzstrukturierung (z.B. Kenn ich nicht, Bin
gleich wieder da) entnommen. Sie stehen nicht für Einzelfälle, sondern für wieder-
kehrende Sprachgebrauchsmuster, die in der Gegenwartssprache eine zentrale Rolle
spielen. Die Beispiele sollen im Unterricht zunächst mit schulgrammatischer Termi-
nologie beschrieben werden (z.B. „Hier handelt es sich um eine Ellipse des Sub-
jekts“, „In diesem Nebensatz steht das finite Verb nicht am Ende“). Dies bietet die
Gelegenheit, die Beschreibungssprache der traditionellen Satzglied- und Wortarten-
analyse zu rekapitulieren, aber auch, die hierfür in einschlägigen Grammatiken gege-
benen Definitionen kritisch zu hinterfragen.14 Denn in dieser Altersstufe ist es mög-
lich, den Erkenntnisgewinn solcher Kategorisierungen zu thematisieren und ein Me-
tawissen über den Gebrauch der gängigen grammatischen Termini zu vermitteln (vgl.
zu dieser Argumentation auch Müller 2003: 473).
Im Anschluss an diese Meta-Metasprach-Diskussion soll mit den Schülern der Frage
nachgegangen werden, welche Regularitäten hinter den Irregularitäten stehen, wie
die ‚Abweichungen’ also formal beschreiben und funktional erklären lassen. Hier
einige Beispiele für mögliche Diskussionspunkte: Welche Funktion hat die Verb-
zweitstellung im Nebensatz? Gibt es möglicherweise sogar Konstruktionen, in denen
nur die Verbzweitstellung akzeptabel ist? Warum fällt das Subjekt in dem Satz Bin
gleich wieder da weg? Gibt es auch andere Konstruktionen, in denen der Aussage-
satz – wie bei einem Befehlsatz – mit dem finiten Verb beginnt (vgl. Kenn ich
nicht)? Wie ist die Ausklammerung einer präpositionalen Wortgruppe zu erklären,
was ist also der Unterschied zwischen Wir haben gefeiert an seinem Geburtstag und
Wir haben an seinem Geburtstag gefeiert?
Daran anknüpfend lassen sich weitere, grundsätzlichere Fragen besprechen: Handelt
es sich bei den Beispielen um (Ir-)Regularitäten, die nur in der gesprochenen Sprache
auftreten? Und wie ist es mit dem Vorkommen solcher Strukturen in der computer-
vermittelten Kommunikation, also z.B. im Chat? Wie sind solche Konstruktionen aus
sprachkritischer Sicht zu beurteilen? Und nicht zuletzt: Sind solche Sätze gramma-
tisch, wo liegen überhaupt die Grenzen zwischen Grammatikalität und Akzeptabili-
tät? Dabei werden die Schüler feststellen, dass Grammatikalitätsurteile eine hohe
Streuung aufweisen und dass das, was Grammatikalität ausmacht, in der Regel erst
an den Grenzbereichen in den Blick kommt (vgl. Hundt 2005: 20).
Wie man an dieser Auflistung von Fragen sieht, bieten die Beispiele ein Potential,
um mit den Schülern über grammatische Phänomene zu sprechen und die dahinter
stehenden Regularitäten zu erarbeiten. Dabei muss man auf der Sekundarstufe II
nicht bei der Erarbeitung der Regularitäten stehen bleiben, es bietet sich auch an, die
Analyse in einzelnen Bereichen zu vertiefen. So ist es durchaus möglich, den Abbau
der Kasusmarkierung in einem größeren Zusammenhang aus diachroner und syn-
chroner Sicht zu betrachten und auch Erklärungsansätze aus der linguistischen For-
schungsliteratur einzubringen (z.B. Köpcke 2005).15 Im Sinne eines wissenschafts-

14 Solche Fragen können sein: „Wie weit reicht die semantische Definition von ‚Subjekt’ als Hand-
lungsträger? Gilt sie nur für Aktivsätze? Und wenn ja, wie ist sie mit Sätzen wie Es regnet kompa-
tibel?
15
So hieß es noch 1774 in den Leiden des jungen Werthers: „Indes kann ich Alberten meine Ach-
tung nicht versagen [...] Er hat viel Gefühl und weiß, was er an Lotten hat.“ Vgl. zu diesen und
weiteren Beispielen http://www.ds.unizh.ch/lehrstuhlduerscheid/docs/handout_kasusmark-03.pdf.

14
propädeutischen Unterrichts lassen sich mit den Schülern im Leistungskurs Deutsch
auch Texte lesen, die deutlich machen, wie der wissenschaftliche Diskurs über ein-
zelne Phänomene geführt wird (z.B. Auer 1991 zu Ausklammerungsstrukturen).
Halten wir fest: Die Analyse geschickt ausgewählter, von der grammatischen Norm
abweichenden Phänomene ermöglicht es, die Norm zu erkennen, über die wie selbst-
verständlich verwendeten Regeln nachzudenken und – im besten Falle – über diese
ins Staunen zu geraten. Geweckt werden soll also grammatische Neugier: „Sie setzt
ein, wenn die im praktischen Umgang vertrauten Phänomene plötzlich zu Problemen
und zum Staunen Anlaß geben, sei es darüber, daß es sie überhaupt gibt, sei es dar-
über, daß sie es so gibt, wie sie es gibt“ (Köller 1997: 9).

6. Fazit

Die hier vorgetragenen Überlegungen stehen neben anderen, die Zeugnis davon ab-
legen, dass der Stellenwert der Grammatik höher angesetzt wird als noch vor einigen
Jahren. Allerdings sollte es nicht nur darum gehen, den Stellenwert der Grammatik in
der Schule zu stärken. Wichtig ist auch, dass im Lehramtsstudium das entsprechende
Wissen vermittelt wird. Es wird also abschließend dafür plädiert, dass der Gramma-
tikunterricht in der sprachwissenschaftlichen Ausbildung im Lehramtsstudium seine
Fortsetzung findet. Ich schließe mich hier als Sprachwissenschaftlerin Peter Eisen-
berg an, der dies folgendermaßen ausführt: „Die Sprachwissenschaft allgemein und
die Grammatik im Besonderen hat sich in den vergangenen Jahren so entwickelt, daß
wir über viel Wissen verfügen, das unmittelbar von Bedeutung für die Lehrerbildung
ist. Wir sollten dieses Wissen selbstbewusst und mit absolut gutem Gewissen zur
Wirkung bringen“ (Eisenberg 2004: 6). Eisenberg spricht mit diesen Worten die
Germanistikkollegen an, die in der Lehrerausbildung tätig sind: „Sprache, Sprache
und noch mal Sprache in die Lehrerbildung“ (Eisenberg 2004: 23).
Nun mag man einwenden – und viele Lehrer tun dies –, dass das im Studium erwor-
bene linguistische Wissen nicht an die Schüler weitergegeben werden kann. Zum
einen stelle es eine Überforderung dar, zum anderen haben die Erfahrungen mit einer
‚Linguistisierung des Deutschunterrichts’ gezeigt, dass es keinen Sinn mache, lingu-
istisches Wissen auf diese Weise in die Schule zu transportieren. Einer so verstande-
nen Umsetzungsdidaktik will Eisenberg auch nicht das Wort reden. Die Lehrer sollen
vielmehr über ein umfassendes Wissen über Sprache verfügen, „ohne es unbedingt
preiszugeben“ (Eisenberg 2004: 19). Ein solches Wissen sei z.B. für das angemesse-
ne Beurteilen von sprachlichen Leistungen erforderlich.
Ein solches Wissen ist auch erforderlich, wenn man sich als Lehrer auf Unterrichts-
themen im Bereich „Reflexion über Sprache“ vorbereiten will. Und da zu diesen
Lernbereich notwendig die Analyse der Sprachstruktur gehört, ist es wichtig, dass im
Studium das entsprechende Wissen vermittelt und ein Überblick über verschiedene
Analyseansätze gegeben wird. Denn nur so ist es den angehenden Lehrern möglich,
ihrerseits einen fundierten Grammatikunterricht zu gestalten. Um in Anlehnung an
Eisenberg zu schließen: Grammatik, Grammatik und noch mal Grammatik – damit
das grammatische Abendland nicht untergeht.

15
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