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Stabil durchwachsen

2022 war das Jahr rasanter Inflation. Laut Armutsbericht des Paritätischen
Gesamtverbands hat sich die Armutsquote im Krisenjahr jedoch fast gar nicht verändert.
Grund dafür ist die Definition des Begriffs Armut.

14,2 Millionen Menschen galten 2022 in Deutschland als arm. Das berichtet der Paritätische
Gesamtverband der Wohlfahrtspflege. Mit arm ist hier jede Person gemeint, deren Einkommen
mehr als 40 Prozent unter dem in Deutschland üblichen mittleren Einkommen liegt.

Nach dieser Definition waren 2022 nur rund 100.000 mehr Menschen von Armut betroffen als
im Vorjahr. Im Gegensatz dazu steht die empfundene Wirklichkeit vieler Menschen bei
Einkäufen oder dem Blick auf die Preislisten der Energieversorger. Auch die Tafeln, die
kostenlos Essen an Bedürftige ausgeben, meldeten einen Ansturm. Und die Bundesregierung gab
Milliarden Euro aus, um die Belastungen speziell für untere Einkommensschichten zu mindern.

Laut Bericht des Paritätischen Gesamtverbands ist im Krisenjahr 2022 in Bezug auf die Armut in
Deutschland aber eigentlich so gut wie nichts passiert. "Durchwachsen" nennt Ulrich Schneider,
Chef des Paritätischen, den Befund mit Blick auf die stagnierenden Zahlen. 16,8 Prozent der
Menschen galten 2022 als arm - nach 16,9 Prozent im Jahr davor.

Mehr Armut durch höhere Löhne?

Wie kann das sein in Anbetracht der Preissteigerungen? Der Grund ist die Berechnungsformel:
Solange Menschen in Deutschland mindestens 60 Prozent des mittleren Einkommens verdienen,
sind sie nicht arm - laut der Formel des Verbands.

Schneider geht offen mit der begrenzten Aussagekraft seiner Zahlen um. Er räumt ein, dass der
Bericht nur einen Einblick in die relative Armutssituation gibt: "Inflation geht nicht in die
Statistik ein. Dass die Armen viel ärmer sind, taucht in dieser Statistik nicht auf." So kommt es,
dass scheinbar im Jahr 2022 nicht viel Armut dazu kam.

Für 2023 und 2024 könnte die Formel noch einmal ihre Tücken zeigen. Grund sind die stark
gestiegenen Tariflöhne. Schneider sagt dazu: "Wenn Gewerkschaften hohe Abschlüsse erzielen
und mittlere Einkommen stark steigen, dann kann es passieren, dass mehr Armut da ist." Relativ
gesehen zumindest.

Schneider betont, dass Armut nicht nur ein Problem von Arbeitslosen sei. Laut seinen Zahlen
sind vor allem Rentner, Alleinerziehende und Erwerbstätige mit niedrigen Einkommen betroffen:
"Das ist das Problem. Wir fordern 15 Euro Mindestlohn, um den 'Working Poor' zu helfen."

Für Alleinerziehende fordert der Paritätische vor allem eine verbesserte Kinderbetreuung. "Das
hilft gegen die sogenannte erzwungene Teilzeitarbeit. Uns fehlen 400.000 Kindergartenplätze",
sagt Schneider.

Und er fordert mehr Geld für Rentner, die knapp ein Drittel aller Armen stellten: "Wir bräuchten
eine Bürgerversicherung, die eine Mindestrente beinhaltet - und ein System, in das wirklich alle
einzahlen." Damit meint er auch Selbstständige und Beamte.

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