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Frageformulierung

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Rolf Porst

50.1 Informationsverarbeitung bei der Frageformulierung

„…, the reader will be disappointed if he expects to find here a set of definite rules or explicit
directions. The art of asking questions is not likely ever to be reduced to easy formulas.”
(Payne 1951: xi)

Ungeachtet dieser selbst formulierten Einschränkung legt Stanley L. Payne mit sei-
nem 1951 erschienenen Buch „The Art of Asking Questions“ erstmals eine systematische
Darstellung und Diskussion von Regeln vor, die bei der Formulierung von Fragebogen-
Fragen hilfreich und deshalb zu berücksichtigen wären. Waren bis zu diesem Zeitpunkt
ausschließlich einzelne Kapitel in Büchern (Rugg/Cantril 1944) oder Beiträge in Fachzeit-
schriften (Rugg 1941; Hubbard 1950) erschienen, wird hier zum ersten Mal ein komplettes
„Frageformulierungs-Buch“ vorgelegt. Alle späteren Versuche, Regeln für die Formulie-
rung von Fragebogenfragen zusammenzustellen, gehen explizit oder implizit auf Payne
(1951) zurück, die meisten davon wieder „nur“ als Einzelbeiträge in Handbüchern, in
Büchern zu „Methoden der empirischen Sozialforschung“ oder sonstigen methodischen
Abhandlungen (Converse/Presser 1986; Porst 2000; Groves et al. 2004; Diekmann 2007;
Häder 1010; Porst 2014).
Auf der anderen Seite impliziert das Buch von Payne schon im Titel, dass es sich bei der
Fragebogenkonstruktion und insbesondere bei der Formulierung von Fragebogen-Fragen
um eine „Kunst“ oder „Kunstlehre“ handle, eine Sichtweise, die in Umfrageforschung und
-praxis relativ lange tradiert wird. In neueren Einführungen in die empirische Sozialfor-
schung (Diekmann 2007; Häder 2010) hat sich dagegen die Erkenntnis verfestigt, dass
neben individuellen Fertigkeiten wie z.B. informellem Wissen, persönlicher Erfahrung
oder Begabung in zunehmendem Maße die Rezeption und Umsetzung wissenschaftlicher
Erkenntnisse, insbesondere aus der kognitionspsychologischen Forschung, wesentlich zur
Optimierung von Fragebogen beitragen können.

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N. Baur, J. Blasius (Hrsg.), Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung,
DOI 10.1007/978-3-531-18939-0_50, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014
688 Rolf Porst

Seit Ende der Siebziger Jahre des Zwanzigsten Jahrhunderts gibt es systematische Ver-
suche, Fragebogengestaltung als integrierten Bestandteil eines theoretischen Konzepts
der Befragung zu verstehen. Seit dieser Zeit arbeiten Sozialpsychologen und Psychologen
gemeinsam mit Umfrageforschern an der Erforschung der kognitiven und kommunikati-
ven Prozesse, die der Befragungssituation zugrunde liegen, und die aus ihrer Forschung
abgeleiteten konkreten Empfehlungen für die Gestaltung von Fragebogen (Sudman/Brad-
burn 1982; Schwarz/Sudman 1996; Sudman et al. 1996; Klöckner/Friedrichs, Kapitel 49 in
diesem Band) haben das Forschungs- und Arbeitsgebiet „Fragebogenentwicklung“ ent-
scheidend zum Positiven und das heißt hin zu einer eigenständigen wissenschaftlichen
Teildisziplin, verändert. Mit den Arbeiten der als „KognUm“ („Kognitionspsychologie und
Umfrageforschung“) bezeichneten Kooperation von Psychologen, Sozialpsychologen und
Umfrageforschern hat die Entwicklung von Fragebogen eine neue Qualität erfahren.
Ausgangspunkt der Überlegungen zur Qualität von Fragen ist das „model of informa-
tion processing in a survey situation“ von Strack/Martin (1987: 124ff.; sehr gut dargestellt
auch in Sudman et al. 1996: Kapitel 3). Diesem Modell zufolge haben Personen, die an
einer Befragung teilnehmen, mehrere Aufgaben zu lösen; sie müssen …
1. die gestellte Frage verstehen (interpreting the question)
2. relevante Informationen zum Beantworten der Frage aus dem Gedächtnis abrufen und
auf der Basis dieser Informationen ein Urteil bilden (generating an opinion)
3. dieses Urteil ggfs. in ein Antwortformat einpassen (formatting the response) und
4. ihr „privates“ Urteil vor Weitergabe an den Fragebogen gegebenenfalls „editieren“
(editing the response).

50.2 Die Frage verstehen

Ob und wie gut Befragungspersonen diese Aufgaben bewältigen können, hängt sehr stark
von der Qualität der gestellten Frage und damit nicht zuletzt von der Qualität der Frage-
formulierung ab. Dies wird besonders deutlich bei Punkt 1 des Modells, dem Verstehen
einer Frage.
Verständnis hat – aus Sicht der Befragungspersonen – zwei Dimensionen:
1. Semantisches Verständnis: Was soll eine Frage oder ein Begriff in einer Frage „heißen“?
2. Pragmatisches Verständnis: Was will der Forscher/die Forscherin – oder der/die sie
repräsentierende InterviewerIn – eigentlich wissen?

Eine Frageformulierung ist dann gut, wenn sowohl Semantik wie auch Pragmatik für
die Befragungspersonen einleuchtend und nachvollziehbar sind. Ist dies nicht der Fall,
sehen sich die Befragungspersonen einer Vielzahl von Problemen gegenüber.
50 Frageformulierung 689

Probleme mit dem semantischen Verständnis treten bei Befragungspersonen u.a. dann
auf, wenn …
1. Begriffe in Fragen unbekannt sind
2. Fragen unklar formuliert sind, auch wenn die darin verwendeten Begriffe „bekannt“
sind
3. Fragen zu schwierig formuliert sind
4. Begriffe in Fragen mehrdeutig sind
5. Begriffe verwendet werden, die legitimer Weise von jeder Befragungsperson individu-
ell verstanden und individuell interpretiert werden können
6. Begriffe verwendet werden, die von unterschiedlichen Befragungsgruppen unter-
schiedlich verstanden werden.

Probleme mit dem pragmatischen Verständnis treten dann auf, wenn eine Frage nicht
erkennen lässt, was der Forscher durch sie eigentlich „wissen“ will.

50.3 Die zehn Gebote der Frageformulierung

Um Probleme dieser Art zu vermeiden oder zumindest zu mildern, sollte man sich bei
der Formulierung von Fragebogen-Fragen einschlägiger Regeln bzw. Richtlinien bedie-
nen. Exemplarisch für solche Regeln und Grundsätze betrachten wir im Folgenden die „10
Gebote der Frageformulierung“ von Porst (2000; siehe auch Porst 2014, Kapitel 7), auch
diese inspiriert von Payne (1951):

1. Gebot:
Du sollst einfache, unzweideutige Begriffe verwenden, die von allen
Befragten in gleicher Weise verstanden werden!

Die Vorstellung, dass eine Frage von allen Befragten in gleicher Weise verstanden werden
soll, ist von zentraler Bedeutung für die Durchführung standardisierter Befragungen. Die
Chance, diesem Ziel näher zu kommen, wächst in dem Maße, in dem die Fragen einfach
und unzweideutig formuliert werden. Was wiederum eine „einfache“ oder „unzweideu-
tige“ Formulierung ist, hängt allerdings sehr von den Personen ab, die man zu befragen
gedenkt: bestimmte Formulierungen mögen für VWL-Professoren einfach und verständ-
lich sein, müssen aber deshalb von anderen Personen noch lange nicht verstanden werden.
Beispiel:
Was glauben Sie: Wird sich die Konjunktur in Deutschland bis Ende des Jahres 2014 im
Vergleich zu heute sehr positiv entwickeln, eher positiv, eher negativ oder sehr negativ, oder
wird alles so bleiben, wie es heute ist?
690 Rolf Porst

Während die erwähnten VWL-Professoren diese schwierige Frage wohl verstehen und
beantworten können, sollte man das bei anderen Bevölkerungsgruppen nicht unbedingt
erwarten. Hier sind Probleme mit dem semantischen Verständnis vorprogrammiert: Ist
der Begriff „Konjunktur“ überhaupt (und im richtigen Sinne) bekannt? Sind die Begriffe
in den Antwortkategorien verständlich? Hier böte sich eher die folgende Formulierung an:
Was glauben Sie: Wie wird die wirtschaftliche Lage in Deutschland am Ende des Jahres 2014
sein: wesentlich besser als heute, etwas besser, gleichbleibend, etwas schlechter oder wesen-
tlich schlechter?

Nun ist der Begriff „Konjunktur“ nicht vollkommen deckungsgleich mit dem Begriff
„wirtschaftliche Lage“, und bei einer Befragung von VWL-Professoren sollte man den
Begriff „Konjunktur“ ganz bestimmt nicht durch „wirtschaftliche Lage“ ersetzen. Bei ande-
ren Zielgruppen oder bei Allgemeinpopulationen sollte man sich dagegen eher für „wirt-
schaftliche Lage“ entscheiden, weil man hier nicht sicher sein kann, dass der Begriff „Kon-
junktur“ verstanden wird oder überhaupt bekannt ist. Es ist aber letztendlich besser, in
Umfragen belastbare Informationen über die Erwartungen an die Entwicklung der „wirt-
schaftlichen Lage“ zu erhalten als nicht-belastbare oder gar keine Informationen über die
Erwartungen an die Entwicklung der „Konjunktur“ bis zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Man sieht an diesem Beispiel – und das gilt für die meisten Regeln zur Formulierung
von Fragebogenfragen – dass man bei jeder Frage, die man konstruiert, den Blick immer
auf diejenigen richten muss, die letztendlich die Fragen beantworten oder den Fragebo-
gen ausfüllen sollen. Und man sieht auch, dass es zu einem Konflikt kommen kann zwi-
schen der Forderung, Fragen eindeutig („Konjunktur“) und der Forderung, Fragen ein-
fach („wirtschaftliche Lage“) zu formulieren. In welche Richtung man diesen Konflikt löst,
hängt ebenfalls in erster Linie davon ab, wer die Fragen beantworten soll. Wichtig ist, dass
die Frageformulierung dem Sprachwissen, der Sprachfähigkeit und dem Sprachgebrauch
der Zielpersonen möglichst nahe kommt (was umso schwieriger wird, je heterogener die
Zielgruppen sind und/oder je entfernter die Lebenswelt der Zielpersonen von der Lebens-
welt der ForscherInnen ist). Damit ist aber keineswegs gemeint, dass man sich als Umfra-
geforscher „mit Gewalt“ den sprachlichen Gepflogenheiten von „Subkulturen“ anpassen
soll. Befragungen von Jugendlichen z.B. sollten zwar auf deren typische Begriffe und Idi-
ome zurückgreifen, wo es sinnvoll und nötig ist, aber auch in diesem Falle sollte die Spra-
che des Fragebogens insgesamt eine gute Umgangssprache sein; es ist auch nicht ratsam,
Fragebogen in Dialekt zu formulieren, selbst wenn man im „tiefsten Niederbayern“ oder
in der „hintersten Westpfalz“ befragt – auch hier ist gute hochdeutsche Umgangssprache
am Platze.
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2. Gebot:
Du sollst lange und komplexe Fragen vermeiden!

Lange und komplexe Fragen bergen das Risiko, dass sie schnell unverständlich werden und
die Befragungsperson verwirren, dass sie Begriffe enthalten, die redundant oder schlicht
überflüssig sind, und/oder – vielleicht sogar unbeabsichtigt – zu viele unterschiedliche
Stimuli beinhalten. Wenngleich auch hier die Frage, wie komplex eine Fragebogen-Frage
sein darf, in hohem Maße von der Zielgruppe der Befragung abhängt, ist der Unterschied
zwischen einer langen und komplexen Frage und einer kurzen und einfachen Frage doch
oft schon augenscheinlich:
Wie Sie wissen, sind manche Leute politisch ziemlich aktiv, andere Leute finden dagegen
oft keine Zeit oder haben kein Interesse, sich an politischen Dingen aktiv zu beteiligen. Ich
lese Ihnen jetzt eine Reihe von Sachen vor, die Leute tun. Bitte sagen Sie mir jedes Mal,
wie oft Sie persönlich so etwas tun bzw. wie häufig das bei Ihnen vorkommt. (Liste mit
den Antwortkategorien oft - manchmal - selten - niemals). Zuerst: wie oft führen Sie eine
politische Diskussion?

Hier werden im einleitenden Satz Informationen gegeben, die zur Beantwortung der
eigentlichen Frage absolut nicht erforderlich sind und die den Fragentext unnötig aufblä-
hen. Alleine das Streichen des einleitenden Satzes reduziert den Umfang der Frage um ein
Drittel; ein paar kleine Änderungen, und die Frage könnte – ohne Informationsverlust zu
befürchten – wie folgt aussehen:
Wie häufig nehmen Sie aktiv an Diskussionen über politische Themen teil, oft, manchmal,
selten oder nie?

Oder, von der Zielrichtung der Frage leicht anders, aber von der Formulierung her
noch einfacher.
Wie häufig nehmen Sie aktiv an Gesprächen über politische Themen teil, oft, manchmal,
selten oder nie?

3. Gebot:
Du sollst hypothetische Fragen vermeiden!

Hypothetische Fragen sind solche, zu deren Beantwortung sich die Befragungsperson in


Situationen versetzen muss, in denen sie tatsächlich nicht ist. Ob ihr das gelingt oder nicht
hängt zum einen davon ab, in wie fern sich die Person mit der hypothetischen Situation
überhaupt schon einmal auseinandergesetzt hat und zum andern davon, wie nahe oder
weit die hypothetische von der realen Situation entfernt ist. Die Frage, ob man am Mon-
tagmorgen noch zur Arbeit gehen würde, wenn man am Samstag 11 Millionen Euro im
Lotto gewonnen hätte, ist sicherlich außerordentlich hypothetisch (wenn man sie wörtlich
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nimmt), aber dennoch zu beantworten, weil sich fast jeder schon mal gefragt hat, ob er
arbeiten würde, wenn er sein Leben auch ohne Erwerbseinkommen gut fristen könnte.
Stellt man dagegen bei einer Befragung von Jugendlichen zwischen 14 und 20 Jahren die
Frage, was sie tun würden, wenn sich ihr 16-jähriger Sohn vom Christentum ab- und dem
Islam zuwenden würde, wird das eher zu wenig belastbaren Informationen führen, weil die
meisten der befragten Jugendlichen sich mit dieser Thematik wohl noch nicht auseinan-
dergesetzt haben (alleine schon die Vorstellung, einen 16-jährigen Sohn zu haben, dürfte
die befragten Jugendlichen etwas überfordern).

4. Gebot:
Du sollst doppelte Stimuli und Verneinungen vermeiden!

Die Frage...
Hören Sie gerne Musik von Chopin und Richard Wagner?

ist an sich gar nicht so unsinnig, weil Chopin wie Richard Wagner große Meister der
(wenn man das einfach mal so ganz allgemein sagen darf) „klassischen Musik“ sind. Nun
ist aber nicht nach klassischer Musik gefragt, sondern nach Musikschaffenden recht unter-
schiedlicher Ausrichtung.
Deshalb ist die Frage nicht eindeutig zu beantworten, wenn man z.B. zwar gerne Musik
von Chopin, aber nicht gerne Musik von Wagner hört. Als denkbare und richtige Antwort
wäre „Chopin ja, Wagner nein“ zu erwarten. Da die Befragungsperson aber nur mit „ja“
oder „nein“ antworten darf und dies deshalb auch tut, weiß man am Ende nicht, ob ein „ja“
heißt, dass sie sowohl gerne Chopin als auch Wagner hört oder ob sie mit ihrem „ja“ nur
auf einen der beiden Stimuli reagiert hat – und auf welchen?
Wenn man also die beiden Meister erfragen will, bleibt nichts anderes übrig, als zwei
Fragen zu stellen, einmal für Chopin, einmal für Wagner.
Problematisch ist auch der Einsatz doppelter Verneinungen, insbesondere im Zusam-
menspiel zwischen Frage- und Skalenformulierung. Wo platziert man bei der Aussage …
Es ist nicht gut, wenn Kinder ihren Eltern nicht gehorchen

und einer Skala von 1 = „trifft überhaupt nicht zu“ bis 7 = „trifft voll und ganz zu“ seine
Antwort, wenn man der Ansicht ist, es sei gut, wenn Kinder ihren Eltern (gelegentlich)
nicht gehorchen? Man muss sich für einen Skalenwert entscheiden, der (noch eine Vernei-
nung!) in Richtung „trifft überhaupt nicht zu“ geht. Da wäre eine positive Formulierung
wie …
Es ist gut, wenn Kinder ihren Eltern gelegentlich widersprechen.

bei gleicher Skala mindestens einfacher; jetzt kann man sich leicht für einen Skalen-
wert entscheiden, der in Richtung „trifft voll und ganz zu“ geht.
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5. Gebot:
Du sollst Unterstellungen und suggestive Fragen vermeiden!

Unterstellungen in Frageformulierungen führen dazu, dass Befragungspersonen Fragen


deshalb nicht vernünftig beantworten können, weil sie zwar der eigentlichen Aussage
zustimmen könnten, nicht aber dem Satzteil, der die Unterstellung enthält (dies gilt auch
für Items, die explizite Prämissen enthalten, denen man zustimmen muss bevor man zur
„eigentlichen“ Aussage kommt). Ein Beispiel:
Hat der mangelnde Respekt der Schüler vor ihren Lehrern Ihrer Ansicht nach Einfluss auf
die tägliche Unterrichtsgestaltung in den Schulen?

In der Formulierung dieser Frage wird Schülern mangelnder Respekt vor ihren Leh-
rern attestiert. Dies mag faktisch vielleicht sogar zutreffend sein, aber: Wie soll eine Befra-
gungsperson reagieren, die diese eindeutige Unterstellung gar nicht teilt? Wenn die Befra-
gungsperson nicht der Ansicht ist, dass es Schülerinnen und Schülern am Respekt vor den
Lehrern mangelt, wird sie die Frage (eigentlich!) nicht beantworten (können).
Suggestive Fragen haben den Nachteil, dass sie die Befragungspersonen in die Ecke drän-
gen, ihren Freiheitsspielraum beim Beantworten beinträchtigen. Auch hier ein Beispiel:
Führende Wissenschaftler sind der Ansicht, dass Autoabgase das Wachstum von Kindern
hemmen können. Halten Sie diese Ansicht für richtig, oder halten Sie diese Ansicht für
falsch?

Phrasen wie „führende Wissenschaftler“ führen dazu, dass Befragungspersonen sich


nicht trauen, den vorgegebenen Autoritäten zu widersprechen, und deshalb konform ant-
worten. Sie können aber auch genauso gut dazu führen, dass Personen auf die so ent-
standene Freiheitseinengung beim Beantworten der Frage dadurch reagieren, dass sie sich
ganz bewusst gegen die Ansicht der Experten stellen, reaktant werden, und zwar unabhän-
gig von ihrer wirklichen Meinung. Also sollte man die Suggestion aus der Frageformulie-
rung nehmen und fragen:
Halten Sie die Aussage, dass Autoabgase das Wachstum von Kindern hemmen können, für
richtig oder für falsch?

6. Gebot:
Du sollst Fragen vermeiden, die auf Informationen abzielen, über die
viele Befragte mutmaßlich nicht verfügen!

Wie beim ersten Gebot ist auch die Umsetzung des sechsten Gebotes sehr stark von der
Zielgruppe abhängig, die man befragen möchte. Die Beantwortung der Frage ...
694 Rolf Porst

Sind in Ihrer Gemeinde bereits Maßnahmen zur Umsetzung der lokalen Agenda 21 getrof-
fen worden?

dürfte für Lokalpolitiker (hoffentlich!) keine großen Schwierigkeiten mit sich brin-
gen, für den „Durchschnitt“ aber kaum zu beantworten sein, nicht nur alleine wegen des
Begriffes „Lokale Agenda 21“, sondern weil man sich mit diesem Problem überhaupt noch
nicht beschäftigt hat – viele Befragungspersonen werden mutmaßlich nicht über die Infor-
mationen verfügen, die zur Beantwortung der Frage notwendig wären (was ist die lokale
Agenda 21? Was passiert in der Gemeinde damit?).
Das Problem stellt sich für Wissensfragen allgemein.
Man muss sich deshalb bei Fragen, die auf Wissen abzielen, immer vor Augen halten,
inwiefern die konkret zu befragende Zielgruppe mutmaßlich über Informationen verfügt,
die zur Beantwortung der Fragen erforderlich sind. Bestehen hier Bedenken, ist auf ent-
sprechende Fragen besser zu verzichten, es sei denn, der eigentliche Sinn der Frage besteht
wirklich darin, Wissen oder Nicht-Wissen festzustellen. Wenn nämlich Wissensfragen
dazu führen, dass sich die Befragungsperson ihres Nicht-Wissen bewusst und dieses für
sie selbst oder erst recht nach außen hin verdeutlicht wird, kann das schnell (weil sich die
psychologischen „Kosten“ erhöhen) die Motivation zum Beantworten der weiteren Fragen
beschädigen. Und das wiederum kann zu einer Verschlechterung der Datenqualität füh-
ren, in Einzelfällen sicherlich auch zu Interview-Abbrüchen.

7. Gebot:
Du sollst Fragen mit eindeutigem zeitlichen Bezug verwenden!

Ob Fragen zum Verhalten innerhalb bestimmter Zeiträume überhaupt funktionieren oder


nicht hängt zum einen von der Bedeutung des Verhaltens ab, das erfragt werden soll, zum
andern davon, wie weit der Forscher oder die Forscherin in die Vergangenheit (oder auch
in die Zukunft) blicken lassen wollen. Ist das abgefragte Verhalten wichtig, kann man
durchaus lange Zeitperioden abfragen; wenig Sinn dagegen machen zeitlich weit reichende
Fragen zu banalen oder alltäglichen Ereignissen.
Unabhängig davon muss bei Fragen, die auf Sachverhalte oder Meinungen innerhalb
eines bestimmten vergangenen, gegenwärtigen oder zukünftigen Zeitraumes abzielen, die-
ser Zeitraum genau und eindeutig definiert werden. Die Frage...
Sind Sie in den letzten Wochen irgendwann einmal zum Essen in ein Restaurant gegangen?

ist alleine schon deshalb schlecht, weil der angegebene Zeitraum, an den man sich zu ihrer
Beantwortung erinnern soll, vollkommen vage und somit im interpretativen Belieben der
Befragungspersonen bleibt.
Eindeutige Formulierungen verwenden ganz konkrete Zeitangaben als „Anker“ wie z.
B. „seit dem 1. April“ (sofern der nicht allzu weit zurückliegt), „an Ihrem 16. Geburtstag“
oder „bis zum 31. Januar“:
50 Frageformulierung 695

Sind Sie im letzten Monat, also im Mai 2014 irgendwann einmal zum Essen in ein Restaurant
gegangen?

Solche präzisen Anker garantieren natürlich immer noch nicht, dass die Befragungs-
person ihre Antworten auch wirklich auf diese Zeitphasen beschränkt, aber sie geben doch
immerhin genau vor, auf welche sie sich beschränken sollte.
Ein letztes schließlich: kalendarische Daten sind nur schlecht in den Köpfen der Men-
schen repräsentiert, und je länger sie zurückliegen und je unwichtiger Ereignisse sind,
umso schlechter sind sie repräsentiert. Besser als kalendarische Daten eignet sich alle-
mal der Bezug auf besondere Ereignisse wie „seit Weihnachten“, „seit Sie Ihre derzeitige
Arbeitsstelle angetreten haben“ oder „seit Sie aus dem Krankenhaus entlassen worden
sind“ - je nach Gegenstand der Befragung oder nach Richtung der Frage.

8. Gebot:
Du sollst Antwortkategorien verwenden, die erschöpfend und disjunkt
(überschneidungsfrei) sind!

Antwortkategorien (Franzen, Kapitel 51 in diesem Band) sind disjunkt, wenn sich jede
Person zweifelsfrei einer einzigen davon (vorausgesetzt natürlich, dass keine Mehrfach-
nennungen erlaubt sind) zuordnen kann. Bei der Frage ...
Wie viele Vorträge zum Thema „Gesundes Leben“ haben Sie im Jahre 2014 bisher gehört?

... und den Antwortkategorien ...


• keinen
• einen Vortrag
• zwei bis fünf Vorträge
• fünf Vorträge oder mehr

... werden diejenigen Personen, die genau fünf Vorträge gehört haben, beim Beant-
worten ins Schlingern geraten, weil sie sich sowohl in der dritten wie auch in der vierten
Antwortkategorie wiederfinden können.
Disjunkt wären die folgenden Antwortkategorien:
• keinen
• einen Vortrag
• zwei bis vier Vorträge
• fünf Vorträge oder mehr

Nicht erschöpfend sind Antwortkategorien dann, wenn die Antwort, die eine bestimmte
Person geben möchte, durch die Antwortkategorien nicht abgedeckt ist. Beispiel:
Wie viele Stunden beschäftigen Sie sich in einer normalen Arbeitswoche mit der Entwicklung
von Fragebogen?
696 Rolf Porst

... und die Antwortkategorien ...


• überhaupt nicht
• bis unter 3 Stunden
• 3 bis unter 5 Stunden
• 5 bis unter 10 Stunden

Wer das Glück hat, sich in einer normalen Arbeitswoche 10 oder mehr Stunden mit der
Entwicklung von Fragebogen beschäftigen zu dürfen, könnte hier keine korrekte Angabe
machen. Deshalb sollten die Antwortvorgaben korrigiert werden:
• überhaupt nicht
• bis unter 3 Stunden
• 3 bis unter 5 Stunden
• 5 bis unter 10 Stunden
• 10 Stunden oder mehr.

In beiden Fällen könnte man natürlich und sollte besser auch auf die Vorgabe von
Antwortkategorien ganz verzichten und die Frage offen stellen, weil die Befragungsper-
son ohnehin keine Zeitspanne erinnert, sondern eine absolute Häufigkeit, die nach dem
Erinnern dann in die vorgegebenen Kategorien formatiert wird; da sie also die absolute
Häufigkeit erinnert, kann man Fragen dieser Art auch ohne Antwortvorgaben stellen.

9. Gebot:
Du sollst sicherstellen, dass der Kontext einer Frage sich nicht
(unkontrolliert) auf deren Beantwortung auswirkt!

Dass Fragen und die dazugehörigen Antwortvorgaben Auswirkungen auf Folgefragen


haben können, ist unumstritten und hinreichend belegt. Nur: welche Fragen wirken sich
auf Folgefragen wie aus? Antwort: Darüber kann man in der Phase der Fragebogenformu-
lierung meist nur spekulieren. Hier geben erst ein Pretest oder – im schlechtesten Falle
– erst die Daten der Befragung selbst Auskunft, sofern man überhaupt Mechanismen (z.
B. unterschiedliche Fragebogenversionen mit unterschiedlichen Vorfragen vor der inter-
essierenden Frage) in den Fragebogen eingebaut hat, um Kontexteffekte kontrollieren zu
können. Kontexteffekte in Fragebogen lassen sich durch Nachdenken zwar ggf. erahnen,
aber nur durch systematische kognitive Pretests (Prüfer/Rexroth 2005; Weichbold, Kapitel
19 in diesem Band) prognostizieren.
50 Frageformulierung 697

10. Gebot:
Du sollst unklare Begriffe definieren!

Begriffe sind dann unklar, wenn sie von den Befragungspersonen gar nicht bzw. nicht von
allen Befragungspersonen in der gleichen Weise verstanden werden. Das Problem unklarer
Begriffe ähnelt ein wenig dem Problem der einfachen Begriffe aus dem 1. Gebot und dem
Problem der Verfügbarkeit über benötigte Informationen aus dem 6. Gebot. Im Grunde
ist nur die Lösung eine andere: Nicht Vereinfachung der Frage (ist manchmal halt nicht
möglich) und nicht Anpassung der Frage an die Zielpersonen (dadurch würde der Begriff
verwaschen) heißt die Strategie, sondern Definition des unklaren Begriffes. Betrachten wir
die folgende Frage:
Was glauben Sie: In welchem Alter beginnt bei Männern normalerweise die Andropause?

Die Frage wäre gar kein Problem bei einer Stichprobe von Andrologen. Für den Rest
der Welt muss der Begriff Andropause allerdings erklärt werden. Dies kann man, je nach
Stichprobe, z. B. in Analogie zur Menopause machen:
Unter Andropause versteht man eine Entwicklung im Alternsprozess von Männern, die mit
der Menopause bei Frauen vergleichbar ist. Was glauben Sie ...

Diese Frage ist jetzt zwar recht klar geworden, aber dafür auch etwas länger als die erste
Variante dieses Beispiels. Der Versuch, eines der Gebote der Frageformulierung (hier das
10. Gebot) einzuhalten, führt in diesem Falle dazu, dass man gegen ein anderes verstößt
(hier das zweite Gebot der kurzen und einfachen Frage).

50.4 Zur Handhabung der zehn Gebote

Allgemein lässt sich zu Regeln der Frageformulierung abschließend feststellen: Wie


alle Regeln des täglichen Lebens (sofern sie nicht strafrechtlich oder anderswie massiv
sanktioniert werden können) haben sie einen entscheidenden Nachteil: Sie sind nur von
beschränktem Nutzen! – Und damit wären wir wieder bei dem eingangs dargestellten Zitat
von Payne (1951).
Regeln zur Formulierung von Fragebogen-Fragen sind geeignet als „allgemeine
Wegweiser“, die eine grobe Richtung vorgeben, aber ihre Bedeutung relativiert sich und
schwindet manchmal sogar ganz, wenn es um die Formulierung konkreter Fragen für
einen konkreten Fragebogen geht.
Dann nämlich muss über jede Formulierung neu nachgedacht werden, und Regeln zur
Frageformulierung können dabei unterstützend wirken oder sogar hilfreich sein, aber sie
ersparen es nicht, ihre Gültigkeit und Wirksamkeit bei jeder neuen Frage jeweils neu zu
überdenken und ggfs. zu testen.
698 Rolf Porst

Man beachte weiterhin: Bei Regeln zur Formulierung von Fragebogenfragen handelt
es sich nicht um feste, unumstößliche Vorgaben, die man „blind“ anwenden kann. Die
meisten dieser Regeln lassen Interpretationsspielraum zu und stehen gelegentlich sogar
in Konkurrenz zueinander, sind also nicht in jedem Falle hundertprozentig einzuhalten.
Man sollte mit solchen Regeln kritisch umgehen, wenn es darum geht, ob eine konkrete
Frage „gut“ ist. Regeln zur Formulierung von Fragebogenfragen können genutzt werden
als Instrumentarium, das hilft, Fragen „gut“ zu formulieren. Sollte der Fragenentwickler
aber trotz all dem Nachdenken, Formulieren und Reformulieren noch immer zweifeln, ob
eine Fragebogen-Frage wirklich gut gelungen ist, bleibt immer noch die Möglichkeit, die
Qualität dieser Frage in einem kognitiven Pretest zu überprüfen. Weitere Empfehlungen
zur Formulieren von Fragen anhand von zahlreichen Beispielen gibt Porst (2014).
50 Frageformulierung 699

Literatur

Cantril, Hadley (1944): Gauging Public Opinion. Princeton: University Press


Converse, Jean M./Presser, Stanley (1986): Handcrafting the Standardized Questionnaire.
Beverly Hills: Sage
Diekmann, Andreas (2007): Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden,
Anwendungen. 17. Aufl. Reinbek: Rowohlt
Groves, Robert M./Fowler, Floyd J./Couper, Mick P./Lepkowski, James M./Singer, Eleanor/
Tourangeau, Roger (2004): Survey Methodology. New Jersey: Wiley Hoboken
Häder, Michael (2010): Empirische Sozialforschung. Eine Einführung. 2. Aufl. Wiesbaden:
VS Verlag
Hippler, Hans-Jürgen/Schwarz, Norbert/Sudman, Seymour (1987): Social Information
Processing and Survey Methodology. New York: Springer
Hubbard, Alfred W. (1950): Phrasing Questions. In: Jounal of Marketing 15: 48-56
Payne, Stanley L. (1951): The Art of Asking Questions. Princeton: University Press
Porst, Rolf (2000): Praxis der Umfrageforschung. 2., überarbeitete Aufl. Teubner-Studien-
skripten zur Soziologie 126. Stuttgart, Leipzig, Wiesbaden: Teubner
Porst, Rolf (2014): Fragebogen. Ein Arbeitsbuch. 4. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag
Prüfer, Peter/Rexroth, Margrit (2005): Kognitive Interviews. ZUMA How-to-Reihe Nr. 15;
http://www.gesis.org/fileadmin/upload/forschung/publikationen/gesis_reihen/howto/
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Rugg, Donald (1941): Experiment in Wording Questions II. In: Public Opinion Quarterly:
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Rugg, Donald/Cantril, Hadley (1944): The Wording of Questions. In: Cantril, Hadley
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Sudman, Seymour/Bradburn, Norman M. (1982): Asking Questions. San Francisco:
Jossey-Bass
Sudman, Seymour/Bradburn, Norman M./Schwarz, Norbert (1996): Thinking About
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Francisco: Jossey-Bass

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