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Täterstrategien im Bereich häuslicher Gewalt

Handbuch Täterarbeit häusliche Gewalt

Roland Hertel, Anja Steingen

Lerneinheit 2: Gewaltverhältnisse & Gewaltdynamiken

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Roland Hertel
Staatsanwaltschaft Landau und Soziale Rechtspflege Südpfalz
InterventionsZentrum gegen häusliche Gewalt Südpfalz

Roland Hertel ist Dipl.-Sozialarbeiter (FH), staatl. anerkannter Erzieher, Mitarbeiter beim Sozia-
len Dienst der Justiz bei der Staatsanwaltschaft Landau, Leiter des Bereiches Öffentlichkeitsar-
beit und Fortbildung im Interventionszentrum gegen häusliche Gewalt Südpfalz, Vorsitzender
der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit „Häusliche Gewalt“. Mitentwicklung des Bun-
desstandards Täterarbeit „Häusliche Gewalt“ von 2005 bis 2014, Interventionsarbeit im Bereich
häusliche Gewalt seit 1996, Arbeit mit Tätern im gleichen Bereich von 2001 - 2011 und Koordi-
nator der AG „Ex-Partnerstalking“ Konzepterstellung zur Arbeit mit diesen Klienten für die BAG-
TäHG.

Anja Steingen
Erziehungsbüro Rheinland gGmbH
Schwerpunkt: Psychologische Diagnostik und Beratung

Anja Steingen wirkte von 2001 bis 2020 in der Fachstelle für Gewaltprävention beim AWO Kreis-
verband Köln e. V.und hat u.a. die Täterarbeit im Bereich Häuslicher Gewalt in Köln mitaufge-
baut. Sie ist Gründungsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit HG e.V. undhat an
der Erstellung des bundesdeutschen Standards der Täterarbeit „Häusliche Gewalt“mitge-
wirkt.Zudem war sie Mitglied der Expertengruppe Opferschutz des Landes NRW.Frau Steingen
ist Fachreferentin sowie Autorin von Publikationen u.a. zum Thema häusliche Gewalt und weib-
liche Gewalt.

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Täterstrategien sind Muster schädigenden Verhaltens, die es Tätern ermöglichen, ihre Gewalt-
und Machtstrukturen in der Beziehung zu den Opfern aufrechtzuerhalten, indem Opfer und
Umfeld manipuliert, getäuscht und instrumentalisiert werden.

Funktionierende Täterstrategien im Interventionssystem erhöhen die Gefährdung der Opfer.


Deshalb ist in der Intervention gegen Gewalt die Kenntnis von Täterstrategien und Täterverhal-
tensweisen unerlässlich. Von zahlreichen möglichen Täterstrategien- und Verhaltensweisen
lassen sich einige in Gesprächen mit Tätern identifizierten. Nachfolgend werden diese diesbe-
züglich im Rahmen von Stichpunkten beschrieben:

 Sozial erwünschtes Verhalten / übermäßige soziale Anpassung (zum Beispiel Selbstabwer-


tung nach der Tat, dem Helfer zustimmende Komplimente machen, sozial angepasste Phra-
sen). Diese Verhaltensweisen werden nicht selten als Einsicht fehlgedeutet;
 die Partnerin oder Personen, die die Partnerin stützen, werden verbal abgewertet (zum Bei-
spiel Unterstellung von sittlich und moralisch verwerflichem Verhalten, psychische Erkran-
kung oder Sucht, Verbreitung von Halbwahrheiten und Lügen);
 Suche nach Mitleid und Verständnis, zum Beispiel dringende Suche nach Hilfe, weinen, Sui-
zidandrohungen und -versuche (nicht selten werden diese Verhaltensweisen als Änderungs-
motivation missverstanden);
 Suggerieren, nur das Beste für Frau und Kinder zu wollen;
 Spiel mit Schuldgefühlen des Gegenübers;
 leugnen, bagatellisieren und rechtfertigen des eigenen Gewaltverhaltens;
 Schuldumkehr: Täter wird zum Opfer;
 ablenken vom Thema – es gibt vermeintlich viel wichtigere Probleme;
 vorgeben von Missverständnissen (da haben Sie mich ganz falsch verstanden …);
 Versuche, die Netzwerkpartner zu manipulieren und zu spalten (mit Ihnen kann ich gut, mit
Herrn XY kann ich gar nicht);
 die eigenen Bedürfnisse und Empfindungen stehen im Mittelpunkt. Die Täter sprechen im
Wesentlichen nur über eigene Empfindung und Bedürfnisse. Selbst nach den Gefühlen ande-
rer Menschen gefragt, kommen sie sehr rasch wieder zu sich selbst (Egozentrismus);
 paradoxe Anpassungserwartung (Erwartung, dass sich die Umwelt an die eigenen Bedürf-
nisse anpasst, bei gleichzeitiger Weigerung, sich selbst anzupassen / Schuld für das eigene
Scheitern, ungünstige Lebensumstände werden externalisiert);
 grenzüberschreitendes Verhalten des Täters. Er versucht die Kontrolle zu haben;
 Depersonalisierung der Opfer („die“, „die Frau“, „die Trulla“ etc.);
 Depersonalisierung der Taten – Taten werden nicht in der Ich-Form geschildert, sondern ent-
personalisiert zum Beispiel „Man fühlt sich dann …“, „bei Männern ist das so …“, „dann ist
das passiert …“;

Täterstrategien im Bereich häuslicher Gewalt 1


© KJPP, Universitätsklinikum Ulm, 2022 | haeuslichegewalt.elearning-gewaltschutz.de
 Fehlende oder diffuse Beschreibung von Konflikten und Konfliktlösungsstrategien. Fragen
nach der Schilderung konkreter Konfliktsituation und der Lösungsversuche verunsichern Tä-
ter oft. Die Antworten bleiben verschwommen und unklar;
 werden eigene Erwartung vom Gegenüber nicht erfüllt, wechselt sozial überangepasstes
Verhalten häufig in die Abwertung des Gegenübers (zum Beispiel Infragestellung der Kom-
petenz, der Motivation und persönlicher Stärken);
 das Verhalten der Opfer wirkt in den Schilderungen des Täters absurd;

In der Arbeit mit Tätern häuslicher Gewalt ist es von grundlegender Bedeutung, das Verhalten
der Männer richtig einordnen zu können. Den Tätern gelingt es dabei nämlich häufig erstaun-
lich gut, Angehörige des Interventionssystems zu manipulieren und sie gegen die Gewaltopfer
und für ihre eigenen Interessen zu instrumentalisieren. Im Kontakt mit Tätern gilt es, diese Ver-
haltensweisen zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken, um die Spirale der Gewalt zu been-
den und nicht Teil des Gewaltsystems zu werden.

Verweis:

Steingen, Anja (2020). (Hrsg.). Häusliche Gewalt – Handbuch der Täterarbeit (S. 68 – 72).

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