Fall17 LH (Neuer Vertreter Des BPraes.)

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Universität zu Köln

Rechtswissenschaftliche Fakultät

Großer Examenskurs
SS 2018 – WS 2018/19
Für Rückfragen: stefan.muckel@uni-koeln.de

Prof. Dr. Stefan Muckel Öffentliches Recht

Lösungshinweise zu Fall 17: „Der neue Vertreter des Bundespräsidenten“


Die Änderung des Art. 57 GG ist gem. Art. 79 Abs. 3 GG verfassungswidrig, wenn sie einem
der in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze widerspricht. In Betracht kommt ein Verstoß ge-
gen den Grundsatz der Gewaltenteilung, der in Art. 20 GG normiert ist. Der Gewaltenteilungs-
grundsatz geht davon aus, dass die staatliche Macht in Funktionsbereiche aufgeteilt ist, die
durch die Rechtsordnung jeweils besonderen, voneinander getrennten Gruppen staatlicher Or-
gane zur Erfüllung zugewiesen werden. Gewaltenteilung bedeutet danach nicht eine Isolierung
der einzelnen staatlichen Funktionen, sondern dass sich die Organe der Legislative, der Exe-
kutive und der Judikative gegenseitig ergänzen, kontrollieren und begrenzen. Auf diese Weise
soll die Staatsgewalt gehemmt und dadurch die Freiheit der Bürger geschützt werden. Daraus
folgt, dass im Grundsatz kein Mitglied der einen Staatsgewalt gleichzeitig an der Ausübung
einer anderen beteiligt sein sollte (Gewaltenteilung in personeller Hinsicht).

Exkurs: In der deutschen Verfassungsgeschichte wurde nicht das Prinzip einer strikten Gewaltentrennung
gefordert; es liegt daher auch dem Grundgesetz nicht zugrunde. 1 Vielmehr enthält das Grundgesetz zahl-
reiche Verschränkungen und Verflechtungen. Beispielsweise wählt gem. Art. 63 GG der Bundestag den
Bundeskanzler, und die Bundesregierung ist durch das Initiativecht aus Art 76 Abs. 1 GG an der Gesetz-
gebung beteiligt und im Rahmen des Art. 80 GG auch selbst zur Normsetzung befugt.

Zwar werden zahlreiche Überschneidungen zwischen Exekutive und Legislative als mit dem
Grundsatz der Gewaltenteilung vereinbar angesehen. Im Hinblick auf die Rechtsprechung da-
gegen wird die Trennung strikt durchgeführt. Hierfür spricht zum einen Art. 92 GG, wonach die
rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut ist. Auch die Unabhängigkeit der Gerichte
und Richter nach Art. 97 Abs. 1 GG spricht für eine strenge Trennung der Judikative von den
anderen Gewalten. Aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG wird zudem gefolgert, dass die Gerichte
selbstständig, vor allem organisatorisch hinreichend von den Verwaltungsbehörden getrennt
sein müssen und dass die richterliche Neutralität nicht durch eine mit diesem Grundsatz un-
vereinbare persönliche Verbindung zwischen Ämtern der Rechtspflege und der Verwaltung
oder der Legislative in Frage gestellt werden darf.2

Allerdings sieht die Verfassung in keinem Falle den Gewaltenteilungsgrundsatz als Selbst-
zweck an. Entscheidend ist, ob eine Pflichtenkollision eintreten kann. Um dies festzustellen,
kommt es darauf an, welche Aufgaben der Präsident des BVerfG als Vertreter des Bundesprä-
sidenten wahrzunehmen hätte.

Als Vertreter des Bundespräsidenten müsste er am Gesetzgebungsverfahren durch Ausferti-


gung der Gesetze (Art. 82 GG) mitwirken. Dadurch käme es zu einer unzulässigen Kollision,
weil der Verfassungsgerichtspräsident in seiner Eigenschaft als Vertreter des Bundespräsi-
denten am Zustandekommen der Gesetze beteiligt wäre, die er möglicherweise zu einem spä-
teren Zeitpunkt als Mitglied des Verfassungsgerichts zu überprüfen hat.

1 Vgl. etwa Maurer, Staatsrecht I. Grundlagen, Verfassungsorgane, Staatsfunktionen, 6. Aufl. 2010, § 12 Rn. 7 ff.
2 Vgl. zum Ganzen Schnapp, in: v. Münch/Kunig (Hrsg), GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 20 Rn. 58 m.w.N.).
2
Weiterhin könnte eine Unvereinbarkeit der beiden Funktionen im Falle einer Regierungskrise
auftreten. Gem. Art. 63 Abs. 4 S. 3 GG und Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG ist der Bundespräsident zur
Entscheidung über die Auflösung des Bundestages berufen. Unter den Voraussetzungen des
Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG kann er zudem den Gesetzgebungsnotstand erklären. Die Wahrneh-
mung dieser Kompetenzen würde dazu führen, dass das Amt des Verfassungsgerichtspräsi-
denten in die politische Auseinandersetzung miteinbezogen würde. Dies ist mit der Stellung
des Präsidenten des BVerfG nicht vereinbar.

Ein weiterer Konflikt tritt auf, wenn das BVerfG die Amtsführung des Bundespräsidenten im
Wege des Organstreitverfahrens (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG) oder der Präsidentenanklage3
(Art. 61 GG) zu überprüfen hat.

Insgesamt ergibt sich, dass die neue Vertretungsregelung gegen den Grundsatz der Gewal-
tenteilung verstößt und damit nach Art. 79 Abs. 3 verfassungswidrig ist.

Anmerkung: Eine andere Ansicht ist mir entsprechender Argumentation vertretbar. So ließe sich überle-
gen, einer möglichen Befangenheit des Verfassungsgerichtspräsidenten durch einen Ausschluss im ver-
fassungsgerichtlichen Verfahren nach §§ 18, 19 BVerfGG begegnet werden könnte. Überzeugend dürfte
eine solche Argumentation aber nicht sein, weil die Regeln über die Befangenheit die grundsätzliche Inte-
ressenkollision nicht vermeiden.

Hinweis: Nach Art. 51 WRV war der Präsident des Reichsgerichts Vertreter des Reichspräsidenten. Zum Ganzen
vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. II, S. 208 f.

3 Zum Streit, ob auch der Stellvertreter des Bundespräsidenten im Rahmen der Präsidentenanklage zur Verantwortung
gezogen werden kann s. z.B. Fink in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 61 Rn. 8, Art. 57 Rn.
24.

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