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1 Klausuren – Öffentliches Recht

1.1 eKlausur 185 ÖffR 88 „Karfreitag-Party“

1.1.1 eKlausur 185 ÖffR 88 „Karfreitag-Party“ – Aufgabe

Professor Dieter Schmalz

Problembereiche:

Feiertagsschutz (Art. 140 GG, Art. 139 WRV) in der Form des strengen Stilleschutzes für Karfreitag;
Freiheit der Weltanschauung, Art. 4 I GG; Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG. Verfassungsimmanente
Schranken bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten; Urteilsverfassungsbeschwerde; Prüfungs-
aufbau, wenn Grundrechtsprüfungen sowohl auf der Gesetzes- als auch auf der Anwendungsebene
erforderlich sind

Sachverhalt:

Der vom Land L als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannte „Bund für Geistesfreiheit“ (B) ist
nach seiner Satzung eine Weltanschauungsgemeinschaft, die sich für die Interessen und Rechte von
Konfessionslosen „auf der Basis der Aufklärung und des weltlichen Humanismus“ einsetzt. Ferner tritt
er für eine strikte Trennung von Kirche und Staat ein und wendet sich gegen die Privilegien der Kir-
chen. Im Jahre 2016 plante B - wie jedes Jahr - am Karfreitag eine „politische Veranstaltung mit dem
Zweck, auf das undemokratische Feiertagsgesetz und die Diskriminierung Ungläubiger hinzuweisen“.
Geplant waren „eine atheistische Filmnacht und eine Heidenspaß-Party“ in einem zur „religionsfreien
Zone“ erklärten Theaterrestaurant. Ab 17:00 Uhr sollten unter dem Motto „Freigeister-Kino“ die Filme
„Chocolat“ und „Wer früher stirbt ist länger tot“ vorgeführt und von Redebeiträgen und einem Schoko-
Buffet begleitet werden. Die anschließende „Heidenspaß-Party“ bot unter dem Motto „Heidenspaß
statt Höllenqual“ einen „Freigeister-Tanz“ mit der Rockband „Heilig“ an. Auf dem Einladungsflyer stand
dazu: „Mit Live-Musik feiern wir fröhlich an einem Tag, an dem allen Bürger/Innen dieser Republik das
öffentliche Tanzen aus christlichen Gründen untersagt ist.“ Der Eintritt sollte 7,50 Euro kosten.

Die zuständige Stadtverwaltung S untersagte dem B nach dessen Anhörung die Durchführung des
zweiten Teils der Veranstaltung, die „Heidenspaß-Party“. Der Bescheid stützte sich auf das Feiertags-
gesetz des Landes L (Gesetz über den Schutz der Sonn- und Feiertage - FTG). Dieses führt in § 1
kirchliche und weltliche Feiertage auf und bestimmt in § 2, dass an ihnen - ebenso wie an Sonntagen -
öffentlich bemerkbare Arbeiten, die geeignet sind, die Feiertagsruhe zu beeinträchtigen, grundsätzlich
verboten sind. Außerdem normiert es einen besonderen Schutz sogenannter stiller Tage (§ 3 FTG).
Zu diesen zählen der Karfreitag, der Buß- und Bettag, der Volkstrauertag, Allerheiligen und der Toten-
sonntag (§ 3 I). An ihnen sind nach § 3 II öffentliche Unterhaltungsveranstaltungen nur erlaubt, wenn
der diesen Tagen entsprechende ernste Charakter gewahrt ist. § 5 FTG bestimmt: „Die Gemeinden
können aus wichtigen Gründen im Einzelfall von den Verboten der §§ 2, 3 Befreiung erteilen, nicht
jedoch für den Karfreitag.“ Bei Verstößen kann eine Geldbuße verhängt werden.

B verzichtete wegen der in dem Bescheid getroffenen Anordnung der sofortigen Vollziehung auf die
Durchführung der Veranstaltung und erhob gegen den Bescheid verwaltungsgerichtliche Klage. Diese
hatte vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht keinen Erfolg. Das OVG erklärte
den Bescheid nach §§ 3, 5 FTG für rechtmäßig und §§ 2, 3, 5 FTG für verfassungsmäßig. Die Vor-
schriften des FTG seien durch den verfassungsrechtlichen Auftrag zum Schutz der Sonn- und Feier-
tage gedeckt. Das Vorhaben des B, durch das der ernste Charakter des Karfreitags in provokanter

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Weise ad absurdum geführt werden sollte, sei damit nicht vereinbar. Das Bundesverwaltungsgericht
wies die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurück. B beabsichtigt eine Verfas-
sungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht. Er beruft sich auf die Religionsfreiheit, die
Versammlungsfreiheit und wegen der beabsichtigten Musikdarbietungen auch auf die Kunstfreiheit.
Da seine Veranstaltung „davon lebe“, gerade am Karfreitag stattzufinden, und sie sich nach außen
nicht störend ausgewirkt hätte, sei es unverhältnismäßig, sie zu verbieten.

Hat die Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg?

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1.1.2 eKlausur 185 ÖffR 88 „Karfreitag-Party“ – Lösungsvorschlag

(nach BVerfG, Beschl. v. 27.10.2016 – 1 BvR 458/10, NVwZ 2017, 46, JuS 2017, 374, ; amtlicher
Volltext)
Klausuraufgabe: Hat die von B beabsichtigte Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg?

Vorbemerkung: Der Originalfall spielte im Jahre 2007 in München, anwendbar war das
Bayerische Feiertagsgesetz, entschieden hatte ihn der BayVGH. Durch obigen Sachverhalt
wurde der Fall in das anonyme Land L und in das Jahr 2016 verlegt. Dem werden auch die
Originalzitate angepasst.

A. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde (VfB)

I. Beschwerdegegenstand der VfB muss ein Akt der öffentlichen Gewalt (§ 90 I BVer-
fGG) sein, besser bezeichnet als Hoheitsakt. Ergangene Hoheitsakte sind im vorliegen-
den Fall die Vorschriften des FTG, der Bescheid der S, zwei verwaltungsgerichtliche Ur-
teile und ein Beschluss des BVerwG.

1. Ein Gesetz wie das FTG kann unmittelbarer Beschwerdegegenstand nur sein,
wenn der Bf. durch das Gesetz (selbst, gegenwärtig und) unmittelbar betroffen ist
(BVerfGE 93, 319, 338; NVwZ 2004, 978). Das ist nicht der Fall, wenn das Gesetz
noch des Vollzugs bedarf oder wenn ein Vollzugsakt ergangen ist; dann ergibt sich
die unmittelbare Betroffenheit des Bf. erst aus dem Vollzugsakt. Im vorliegenden
Fall ist der Bescheid der S der Vollzugsakt. Also ist das FTG kein unmittelbarer
Beschwerdegegenstand der VfB. Auch würde eine VfB unmittelbar gegen das FTG
daran scheitern, dass die Jahresfrist des § 93 II BVerfGG abgelaufen ist.

Die VfB richtet sich aber mittelbar gegen diejenigen Vorschriften des FTG, auf
die der Bescheid der S und die ihn bestätigenden Urteile gestützt sind; dieser Situ-
ation trägt § 95 III 2 BVerfGG Rechnung. Dementsprechend hat das BVerfG die
VfB - zusätzlich zu den noch zu behandelnden unmittelbaren Beschwerdegegen-
ständen - „mittelbar“ gegen die Vorschriften des FTG gerichtet und auch über die
Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschriften entschieden.

2. Unmittelbar hat das BVerfG - entsprechend den Anträgen des B - die VfB gegen
die drei gerichtlichen Entscheidungen und den Bescheid der S (sowie gegen
einen ergangenen Widerspruchsbescheid) gerichtet, hat diese fünf Maßnahmen
aber als einheitlichen Eingriff behandelt, gemeinsam geprüft und dabei wesentlich
auf das Urteil des OVG abgestellt.

3. Da der Umgang mit fünf bzw. vier Beschwerdegegenständen kompliziert und auch
unnötig ist, ist vorzugswürdig und ausreichend, den Bescheid der S als Eingriff an-
zusehen, der durch das klageabweisende Urteil des OVG bestätigt und letztlich
maßgeblich begründet wurde. Also ist Beschwerdegegenstand der Bescheid der
S in der Gestalt der Bestätigung durch das OVG-Urteil (ähnlich wie bei § 79 I
Nr. 1 VwGO). Da es letztlich auf das Urteil ankommt, handelt es sich um eine Ur-
teils-VfB.

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II. B muss geltend machen, in einem Grundrecht verletzt zu sein (Beschwerdebefugnis,
§ 90 I BVerfGG). B beruft sich auf die Verletzung der Art. 4, 8 und 5 III GG.

1. Fraglich ist, ob B als Körperschaft des öffentlichen Rechts Grundrechtsträger ist.

a) B ist eine juristische Person. Nach Art. 19 III GG gelten die Grundrechte für
inländische juristische Personen, soweit die Grundrechte ihrem Wesen nach
auf diese anwendbar sind. Nach dem Wesen der Art. 4, 8 und 5 III GG kann
sich ein „Bund für Geistesfreiheit“ auf den Sachgebieten dieser Grundrechte
betätigen, so dass Art. 19 III GG ihrer Anwendung auf B nicht entgegen-
steht.

b) Als Körperschaft des öffentlichen Rechts könnte B unter den Grundsatz fal-
len, dass sich der Staat und andere Träger öffentlicher Gewalt nicht auf
Grundrechte berufen können (BVerfGE 61, 82, 100 ff., Sasbach; NJW
2016, 3153, Freizeitbad, dort [28]; NVwZ 2017, 53 [19]). Denn die Hand-
lungsspielräume staatlicher Organisationseinheiten richten sich nur nach ih-
ren Zuständigkeiten und Befugnissen, womit unvereinbar wäre, wenn sie die
in den Grundrechten verankerten Freiheiten der Privatpersonen in Anspruch
nehmen oder Gleichbehandlung verlangen könnten. Auch dienen die Grund-
rechte der Abwehr derjenigen Gefährdungslage, in der sich Privatpersonen
gegenüber dem Staat befinden; an dieser fehlt es bei Hoheitsträgern.

Jedoch ist eine Weltanschauungsgemeinschaft wie B keine staatliche Or-


ganisation; sie ist weder in den Staat eingegliedert noch unterliegt sie der
Aufsicht des Staates. Ihren Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts
hat sie deshalb erlangt, weil die evangelische und die katholische Kirche
Körperschaften des öffentlichen Rechts sind und Art. 140 GG i. V. mit Art.
137 VII Weimarer Reichsverfassung (WRV) die Gleichstellung der Weltan-
schauungsgemeinschaften verlangt. Hoheitliche Befugnisse hat B keine. Er
ist auch nicht nach Art. 1 III GG an die Grundrechte gebunden, sondern
kann Inhaber der Grundrechte aus Art. 4, 8, 5 III GG sein. Für ihn gilt Glei-
ches wie für die Kirchen, die Universitäten und die öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten, für die anerkannt ist, dass sie sich auf Grundrechte be-
rufen können (BVerfG NVwZ 2017, 53 [20])).

2. Da die genannten Grundrechte durch das Verbot und das Urteil des OVG verletzt
sein können, ist B beschwerdebefugt.

III. Das Gebot der Rechtswegerschöpfung (§ 90 II 1 BVerfGG) hat B erfüllt. Nach Abwei-
sung der Nichtzulassungsbeschwerde durch das BVerwG hatte B keine Möglichkeit
mehr, vor den Fachgerichten Rechtsschutz zu erlangen.

IV. Da der Bescheid der S nur die Veranstaltung am Karfreitag 2016 betraf und dieser Ter-
min inzwischen verstrichen ist, könnte sich die VfB erledigt haben, oder es könnte das
Rechtsschutzbedürfnis des B entfallen sein.

1. Die verwaltungsgerichtliche Klage des B kann wegen der Erledigung des Verbots
aufgrund von Zeitablauf (§ 43 II VwVfG) nur eine Klage nach § 113 I 4 VwGO ana-
log (Fortsetzungsfeststellungsklage) gewesen sein. Indem das OVG diese abge-
wiesen hat, hat es abgelehnt, die Rechtswidrigkeit des Bescheids der S festzustel-
len, und hat das damit begründet, dass der Bescheid rechtmäßig war. Dadurch
wird der S das Recht zuerkannt, auch in den folgenden Jahren eine gleiche Veran-
staltung des B zu verbieten. Dieses Urteil hat sich nicht erledigt. Im Rahmen des

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Urteils hat auch der Bescheid der S eine Bedeutung behalten. Hat sich aber der
Beschwerdegegenstand nicht erledigt, ist weder die VfB erledigt noch ist das
Rechtsschutzbedürfnis des B entfallen.

2. Im Übrigen trifft das BVerfG Sachentscheidungen auch in Fällen, in denen sich


der Beschwerdegegenstand eigentlich erledigt hat, etwa wenn wegen der ob-
jektiven Funktion der VfB ein allgemeines Interesse an einer Entscheidung fortbe-
steht; wenn es sich um eine Belastung von besonderem Gewicht handelt und die
Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung gebo-
ten erscheint oder wenn der angegriffene Hoheitsakt sich auf eine Zeitspanne be-
schränkt, in welcher der Betroffene nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine
Entscheidung des BVerfG nicht erlangen kann (BVerfGE 103, 58; 105, 246; vgl.
auch BVerfG NJW 2017, 54 [63], wonach selbst der Tod des Beschwerdeführers
nicht zwingend zur Erledigung der VfB führt).

Auch im vorliegenden Fall konnte B zwischen dem Erlass des Verbots und dem
Karfreitag 2016 eine Entscheidung des BVerfG in der Hauptsache nicht erlangen.

V. Wird die VfB formell fehlerfrei erhoben, indem die Schriftform (§ 23 BVerfGG) gewahrt,
das verletzte Grundrecht bezeichnet (§ 92 BVerfGG) und die Monatsfrist nach Zustellung
des BVerwG-Beschlusses (§ 93 I BVerfGG) eingehalten wird, ist die VfB zulässig.

B. Begründetheit der VfB

Die VfB ist begründet, wenn der Bescheid der S in der Gestalt des OVG-Urteils ein Grundrecht
des B verletzt.

Prüfungsbeschränkungen nach den Grundsätzen über Urteils-Verfassungsbeschwerden er-


geben sich nicht. Zwar wird das Urteil eines Fachgerichts nur auf spezifische Verfassungsver-
letzungen hin überprüft (dazu neuestens BVerfG NVwZ 2016, 1805, wo die Verletzung bejaht
wurde). Im vorliegenden Fall geht es aber wesentlich um die Verfassungsmäßigkeit der stren-
gen Stilleschutzregelung in §§ 3, 5 FTG; sie ist eine spezifische Verfassungsfrage.

I. Durch den Bescheid und das Urteil des OVG könnte das Grundrecht des B auf Freiheit
des weltanschaulichen Bekenntnisses (Art. 4 I GG) verletzt sein.

Die Religionsfreiheit scheidet aus, weil sich B gerade nicht zu einer Religion bekennt.
Auch die negative Religionsfreiheit ist nicht berührt, weil B nicht dazu gezwungen wird,
den Stilleschutz als religiöses Verhalten zu beachten, sondern ihn aus Rücksicht auf die
Religion anderer achten soll.

Im Übrigen wird Art. 4 I, II GG vielfach als einheitliches Grundrecht der Glaubens- und
Weltanschauungsfreiheit behandelt

BVerfG [97]

Glaubens- und Bekenntnisfreiheit in ihrer Ausprägung als Weltanschauungsfrei-


heit).

1. Es müsste ein Eingriff in den Schutzbereich der Weltanschauungsfreiheit erfolgt


sein.

a) Der Eintritt des B für die Interessen und Rechte von Konfessionslosen auf
der Basis der Aufklärung und des weltlichen Humanismus hat den Charakter
einer Weltanschauung, zumal sich B in seiner Satzung selbst als Weltan-

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schauungsgemeinschaft bezeichnet und als solche die Rechte als Körper-
schaft des öffentlichen Rechts erhalten hat.

BVerfG [98]

Der Bf. kann als Weltanschauungsgemeinschaft in Form der Kör-


perschaft des öffentlichen Rechts das Grundrecht der Glaubens-
und Bekenntnisfreiheit [in ihrer Ausprägung als Weltanschauungs-
freiheit] grundsätzlich für sich in Anspruch nehmen.

Allerdings ist der Staat berechtigt,

BVerfG [102]

das tatsächliche Verhalten einer Religions- oder Weltanschau-


ungsgemeinschaft und ihrer Mitglieder nach weltlichen Kriterien zu
beurteilen, auch wenn dieses Verhalten letztlich religiös oder sonst
weltanschaulich motiviert ist (vgl. BVerfGE 102, 370, 394)… Die
staatlichen Organe dürfen prüfen und entscheiden, ob hinreichend
substantiiert dargelegt ist, dass sich das Verhalten tatsächlich
nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise
dem Schutzbereich des Art. 4 GG zuordnen lässt, also tatsächlich
eine als religiös - und entsprechend: als weltanschaulich - an-
zusehende Motivation hat (vgl. BVerfGE 138, 296, 329 Rn. 86 …).

b) Bei B ergeben sich Bedenken gegen die weltanschauliche Motivation inso-


weit, als B mit dem Eintreten für eine strikte Trennung von Kirche und Staat
und gegen die Privilegien der Kirchen auch politische Ziele verfolgt. Je-
doch ist nach

BVerfG [99]

nicht erkennbar, dass sein politisches Wirken nach seinem Grund-


satzprogramm und seinem Auftreten so sehr im Vordergrund stün-
de, dass es sein weltanschauliches Wirken nach den Grundsät-
zen der Aufklärung und des Humanismus gleichsam verdrängen
oder zur Nebensache herabsinken lassen würde.

c) Wird konkret auf die Karfreitagsveranstaltung 2016 abgestellt, ist festzustel-


len, dass die Filmvorführungen des ersten Teils der Verwirklichung der von
B vertretenen Weltanschauung diente, die allerdings nicht verboten wurden.
Hinsichtlich des zweiten Teils, der Heidenspaß-Party, die verboten wurde,
ist der weltanschauliche Charakter zweifelhaft. BVerfG [105]

Unter den gegebenen Umständen, insbesondere dem engen Zu-


sammenhang mit dem ersten Teil der Veranstaltung, der zweifelsfrei
weltanschaulich geprägt war, erscheint es trotz bestehender Zweifel
noch hinreichend plausibel, von einer weltanschaulichen Prägung
auch der sogenannten „Heidenspaß-Party“ auszugehen, deren
„Freigeister-Tanz“ mit dem Auftritt der Rockband „Heilig“ sich trotz
des deutlich mitprägenden Vergnügungscharakters noch als weltan-

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schauliche Ausrichtung der Veranstaltung begreifen lässt, zumal
wenn der thematische Zusammenhang mit dem ersten Veranstal-
tungsteil hinzugenommen wird.

BVerfG [104] folgt der Auffassung des B,

der Wunsch, am Karfreitag zu tanzen, sei Element der aktiven Betä-


tigung seines weltanschaulichen Bekenntnisses. Mit der Veranstal-
tung habe er seine freigeistige Weltanschauung plakativ präsentie-
ren und ausleben wollen.

d) Da somit die Heidenspaß-Party unter den Schutzbereich des Art. 4 I GG fiel,


bedeuteten ihr Verbot durch den Bescheid der Stadt S und das Urteil des
OVG einen Eingriff in den Schutzbereich.

2. Der Eingriff könnte gerechtfertigt sein.

Eine Rechtfertigung über einen Gesetzesvorbehalt ist nicht möglich, weil ein sol-
cher dem Art. 4 I, II GG nicht beigefügt ist.

Grundrechte wie Art. 4 I, II GG, 8 I und 5 III 1 GG sind zwar vorbehaltlos gewähr-
leistet, gelten aber nicht schrankenlos. Vielmehr unterliegen sie verfassungsim-
manenten Schranken.

BVerfG NJW 2015, 1359 [98] zu Art. 4 I, II:

Einschränkungen dieses Grundrechts müssen sich aus der Ver-


fassung selbst ergeben, weil Art. 4 Abs. 1 und 2 GG keinen Geset-
zesvorbehalt enthält. Zu solchen verfassungsimmanenten Schran-
ken zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte
von Verfassungsrang (…im vorliegenden Fall [58]; ferner BVerfG
NVwZ 2016, 1806).

Die „Grundrechte Dritter und Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang“ können


als „Verfassungswerte“ zusammengefasst werden.

Erforderlich ist eine Abwägung zwischen dem Grundrecht und einem kollidie-
renden Verfassungswert, die zu dem Ergebnis führt, dass der andere Verfas-
sungswert höherrangig ist. Diese Abwägung ist so wesentlich, dass der Gesetzge-
ber sie vornehmen und ihr Ergebnis in einem Gesetz zum Ausdruck bringen muss.
BVerfG NJW 2015, 1359:

Das normative Spannungsverhältnis zwischen diesen Verfassungs-


gütern…zu lösen, obliegt dem demokratischen Gesetzgeber.

Folglich bedarf es zur Annahme einer verfassungsimmanenten Schranke (im Ver-


gleich zum Gesetzesvorbehalt: erst recht) eines Gesetzes. Daraus folgt weiter,
dass die Frage, ob eine verfassungsimmanente Schranke durch einen kollidieren-
den und vorrangigen Verfassungswert eingreift, im Zusammenhang mit dem Ge-
setz zu prüfen ist. Gesetz im vorliegenden Fall sind §§ 2, 3, 5 FTG.

Diese Vorschriften müssten verfassungsmäßig sein.

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Formelle Bedenken gegen das FTG bestehen nicht. Für die Feiertagsregelung gibt
es keine Bundeskompetenz, so dass die Länder nach Art. 70 I GG zuständig sind.

§§ 2, 3, 5 FTG könnten aber Grundrechte verletzen.

a) Der Stilleschutz betrifft zunächst unspezifische Handlungen wie z. B. hand-


werkliche Arbeiten von Privatpersonen und greift insoweit in die allgemeine
Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG ein.

Dieser Eingriff ist aber durch die Schranke der verfassungsmäßigen Ord-
nung gedeckt.

BVerfG [60, 61}

Nach Art. 140 GG i. V. mit Art. 139 Weimarer Reichsverfassung


(WRV) bleiben der Sonntag und die staatlich anerkannten Feier-
tage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung ge-
setzlich geschützt. Die Bestimmung enthält einen objektivrechtli-
chen Schutzauftrag, der dem Staat die Gewährleistung von Feierta-
gen aufgibt. An diesen Tagen soll im zeitlichen Gleichklang grund-
sätzlich die Geschäftigkeit in Form der Erwerbsarbeit, insbesondere
der Verrichtung abhängiger Arbeit, ruhen, damit der Einzelne diese
Tage allein oder in Gemeinschaft mit anderen ungehindert von
werktäglichen Verpflichtungen und Beanspruchungen nutzen
kann… Dabei verfolgt die Regelung in der säkularisierten Gesell-
schaft und Staatsordnung zunächst die profanen Ziele der persönli-
chen Ruhe, Erholung und Zerstreuung… Nach ihrer Entstehungsge-
schichte, ihrer systematischen Verankerung in den in das Grundge-
setz inkorporierten Kirchenartikeln der Weimarer Reichsverfassung
und nach ihren Regelungszwecken hat die Vorschrift auch eine reli-
giös-christliche Bedeutung (vgl. BVerfGE 125, 39, 80 f.). Anknüp-
fend an die in christlicher Tradition entstandenen Feiertage zielt sie
auch auf die Möglichkeit der Religionsausübung und darauf, dass
Gläubige diesen Tagen ein Gesamtgepräge geben können, wie
es ihrem Glauben entspricht. Daraus folgt zunächst, dass der all-
gemeine Stilleschutz des § 2 FGT durch einen Verfassungsauftrag
gerechtfertigt und auch verhältnismäßig ist (BVerfG [64]).

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b) Weiterhin beschränkt § 2 FTG die Berufsfreiheit (Art. 12 I GG), soweit er
berufliche Tätigkeiten betrifft, die öffentlich bemerkbar sind und die Feier-
tagsruhe stören (z. B. Abbrucharbeiten durch Unternehmen). Es handelt sich
um eine Beschränkung der Berufsausübung, die nach Art. 12 I 2 GG zuge-
lassen ist und die durch dieselben Überlegungen wie vorstehend unter a)
gerechtfertigt wird.

c) Der im vorliegenden Fall zur Anwendung gekommene strenge Stilleschutz


nach §§ 3, 5 FTG könnte Art. 4 I, II GG verletzen.

aa) Der strenge Stilleschutz verbietet öffentliche Unterhaltungsveranstal-


tungen, die den ernsten Charakter nicht wahren, auch dann, wenn sie
- wie im vorliegenden Fall - auf weltanschaulichen Gründen beruhen,
und enthält deshalb einen Eingriff in das Grundrecht des Art. 4 I, II
GG.

bb) Für die Frage der Rechtfertigung sind die Grundsätze über verfas-
sungsimmanente Schranken anzuwenden (oben B I 2). Verfas-
sungswert sind Art. 140 GG i. V. mit Art. 139 WRV, wonach der Kar-
freitag als Tag der Stille aus weltlichen und religiösen Gründen ge-
schützt ist. BVerfG [69, 70]

Indem durch Art. 140 GG, 139 WRV

dem Gesetzgeber die Aufgabe überantwortet worden ist, das Aus-


maß des Feiertagsschutzes gesetzlich zu gestalten (vgl. BVerfGE
125, 39, 85), hat er die Möglichkeit, Feiertage mit verschiedenem
Charakter vorzusehen. Insoweit steht es ihm auch frei, für bestimm-
te Tage durch besondere Unterlassungspflichten einen sich von der
bloßen Arbeitsruhe unterscheidenden oder über diese hinausge-
henden äußeren Ruhe- und Stilleschutz zu schaffen, wie es das
FTG für den Karfreitag als stillen Feiertag regelt. Aus diesen Ausfüh-
rungen folgt auch, dass der Verfassungsauftrag nach Art. 140 GG,
139 WRV grundsätzlich dazu ermächtigt, dem Feiertagsschutz
Vorrang vor einem kollidierenden Grundrecht wie dem Art. 4 I, II
GG einzuräumen.

cc) Dabei muss der durch § 3 FGT gewährte Stilleschutz den Anforderun-
gen des Verhältnismäßigkeitsprinzips entsprechen.

(1) Dazu BVerfG [74-85]:

Mit der Ausgestaltung des Stilleschutzes für den Kar-


freitag in § 3 FTG verfolgt der Gesetzgeber ein legiti-
mes Ziel. In Anknüpfung an den verfassungsrechtlich
verankerten Zweck der „seelischen Erhebung“ (Art. 140
GG i. V. m. Art. 139 WRV) versteht er die stillen Tage
als Anker- und Ruhepunkte für die Besinnung auf
grundlegende Werte, und will er einen äußeren Rah-
men dafür bereitstellen, sich an kulturelle, geschichtli-
che und religiöse Grundlagen zu erinnern… Die Ge-
eignetheit der Regelung des § 3 FTG zur Erreichung

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des insoweit bezweckten besonderen Schutzes des
Karfreitags durch Schaffung eines besonderen Ruhe-
und Stillerahmens steht außer Frage.

(2) [weiter]

Ausgehend von dem Ziel des Gesetzgebers, dem Tag


einen allgemein wahrnehmbaren Charakter als stiller
Tag zu verleihen, ist unter dem Gesichtspunkt der Er-
forderlichkeit nicht zu beanstanden, dass § 3 FTG öf-
fentliche Unterhaltungsveranstaltungen nur dann er-
laubt, wenn der ernste Charakter des Tages gewahrt
ist… Die Untersagung entsprechender Veranstaltungen
trägt insoweit dazu bei, dem Tag einen Ruhe- und Stil-
leschutz zukommen zu lassen, der ohne eine solche
Regelung nicht vergleichbar effektiv gewährleistet wä-
re.

(3) Grundsätzlich ist die Regelung auch angemessen.

Dem Ruheschutz an Sonn- und Feiertagen kommt be-


sonderes Gewicht zu, weil er dem Gesetzgeber durch
die Verfassung selbst in Art. 140 GG i. V. mit Art. 139
WRV auferlegt ist… Demgegenüber sind die belasten-
den Wirkungen, die von dem äußeren Ruhe- und Stil-
leschutz ausgehen, von nur begrenztem Gewicht…
Insbesondere gilt der strenge Stilleschutz nur an einem
Tag im Jahr… Die durch das Gesetz angeordneten Un-
terlassungspflichten zeitigen keinerlei inhaltlich orien-
tierte Befolgungspflichten und verlangen den Einzel-
nen keine innere Haltung ab. Bindend sind lediglich
die äußeren Handlungsverbote, die der Staat zum
Zwecke des Feiertagsschutzes erlässt.

dd) Einer besonderen Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Angemes-


senheit bedarf § 5 FTG, wonach für den Karfreitag keine Befreiung
von dem Stilleschutz des § 3 FTG gewährt werden kann.

Hierzu könnte in Fortsetzung der vorstehenden Überlegungen die Auf-


fassung vertreten werden, dass der grundsätzlich berechtigte strenge
Stilleschutz für den Karfreitag auch dazu führen darf, dass an diesem
Tag der Schutz ausnahmslos stattfindet. Jedoch hätte das für Veran-
staltungen, die - wie die des B - wegen des weltanschaulichen Bezugs
gerade am Karfreitag stattfinden sollen, zur Folge, dass sie überhaupt
nicht stattfinden können. Ob Art. 140 GG, 139 WRV ein so hohes Ge-
wicht haben, ist zweifelhaft und wird von BVerfG [88-94] verneint:

Solche Konstellationen sind als Wirkungen des Karfreitagsschutzes


spezifische Ausnahmen

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Liegt ein solcher Ausnahmefall vor, ist durch eine Abwägung im Ein-
zelfall

ein schonender Ausgleich zu suchen, der möglichst alle Interessen


zur Geltung bringt. Maßgeblich hierfür ist, in welchem Umfang die
Veranstaltung zu konkreten Beeinträchtigungen führt.

Hierfür

muss der Gesetzgeber einen Ausnahmetatbestand vorsehen,


der es ermöglicht, Befreiungen von den Unterlassungspflichten des
§ 3 FTG zu erteilen.

[95]

Anders als für den Schutz der sonstigen stillen Tage schließt §. 5
Halbsatz 2 FTG eine Befreiung für den Karfreitag ausdrücklich aus.
Das lässt sich in dieser Strenge für Fallgestaltungen, bei denen die
Voraussetzungen des Verbots nach § 3 FTG und damit der Schutz
des Feiertages mit den Gewährleistungen der Glaubens- und Be-
kenntnisfreiheit anderer zusammentreffen, nicht mehr als angemes-
sener Ausgleich der verfassungsrechtlichen Positionen begreifen.
Der strikte Befreiungsausschluss des § 5 Halbsatz 2 FTG ist
deshalb mit den grundrechtlichen Verbürgungen aus Art. 4
Abs. 1 und 2 GG unvereinbar.

Er ist verfassungswidrig und nichtig. (Damit hat das BVerfG die


Rechtslage in Bayern der in anderen Ländern angepasst, in denen -
wie in NRW - die Befreiungsmöglichkeit auch für Veranstaltungen am
Karfreitag besteht.)

d) Für die Rechtsanwendungsebene hat die Nichtigkeit des § 5 HS 2 FTG zur


Folge, dass im Fall des B eine Befreiung gemäß § 5 HS 1 hätte geprüft wer-
den müssen, was aber - aus der damaligen Sicht der S verständlicherweise -
nicht geschehen ist. Der ohne Prüfung einer Befreiung ergangene Verbots-
bescheid und das ihn billigende Urteil des OVG waren objektiv rechtswidrig.
Der darin liegende Grundrechtseingriff ist nicht gerechtfertigt. B ist in
seinem Grundrecht aus Art. 4 I, II GG verletzt.

II. Der Bescheid der S und das Urteil des OVG könnten das Grundrecht des B auf Ver-
sammlungsfreiheit (Art. 8 I GG) verletzen.

1. Ein Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts hat zur Voraussetzung, dass
die Heidenspaß-Party eine Versammlung war. Eine Versammlung ist das Zu-
sammenkommen einer Mehrzahl von Personen zum Zwecke einer gemeinschaftli-
chen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung
oder Kundgebung.

a) BVerfG [110-118]:

Der Schutz des Art. 8 GG ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen
argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsa-

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men Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen. Allerdings…muss die
Zusammenkunft gerade auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbil-
dung gerichtet sein (vgl. BVerfGE 104, 92, 104; st. Rspr). Volksfeste und Ver-
gnügungsveranstaltungen fallen ebenso wenig in den Schutzbereich wie Veran-
staltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen und die
als eine auf Spaß und Unterhaltung ausgerichtete öffentliche Massenparty ge-
dacht sind.

Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentli-
chen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht
zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob eine derart gemischte Veranstaltung
ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist.

b) Im vorliegenden Fall

war die untersagte Teilveranstaltung in ein Gesamtkonzept eingebettet, das ge-


wichtige Elemente der Meinungskundgabe enthielt… Allerdings sind die zunächst
starken Elemente der Meinungskundgabe im Hinblick auf die am Ende der Ge-
samtveranstaltung geplante und untersagte „Heidenspaß-Party“ nicht mehr ein-
deutig. In der Veranstaltungsankündigung heißt es: „Und damit alle richtig in
Stimmung kommen, gibt es anschließend einen Freigeister-Tanz mit der Rock-
Band ,Heilig‘. Mit Live-Musik feiern wir fröhlich an einem Tag, an dem allen Bür-
ger/Innen dieser Republik das öffentliche Tanzen aus christlichen Gründen un-
tersagt ist.“ Einerseits wird aus dieser Formulierung ansatzweise deutlich, dass
auch mit der Party ein Kontrastpunkt zum christlichen Glauben und zum gesetzli-
chen besonderen Ruheschutz gesetzt werden sollte. Anderseits ist hier jedoch
unübersehbar, dass „fröhlich gefeiert“ werden sollte… Unter diesen besonderen
Umständen und unter Berücksichtigung des einheitlichen Veranstaltungskon-
zepts lässt sich die Veranstaltung in ihrer Gesamtheit vorliegend noch als Ver-
sammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG qualifizieren. Folglich enthielt das Ver-
bot einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit.

2. Eine Rechtfertigung ist nicht über Art. 8 II GG möglich, weil es sich nicht um eine
Versammlung unter freiem Himmel handelt.

Also kommt auch hier eine verfassungsimmanente Schranke in Betracht, kon-


kretisiert durch ein verfassungsmäßiges Gesetz.

a) Auf der Suche nach einem Gesetz kann davon ausgegangen werden, dass
im Lande L ein Versammlungsgesetz mit dem Inhalt des § 5 BVersG gilt.
Jedoch greift keiner der dort geregelten Verbotsfälle ein.

Also ist auch hier wieder auf § 3 FTG abzustellen. Grundsätzlich ist diese
Vorschrift verfassungsmäßig (oben B I 2 bis c) cc).

b) Jedoch ist die Durchführung der hier geplanten Versammlung nur am Kar-
freitag möglich, was eine besondere Beurteilung erfordert. BVerfG [91]

Das Verbot stößt hier nicht allein auf ein schlichtes wirtschaftliches
Erwerbsinteresse oder allein auf ein Vergnügungs- und Erholungsin-
teresse von Veranstaltern, Künstlern und potenziellen Besuchern,
sondern betrifft wegen der besonderen Bedeutung der Ver-

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sammlungsfreiheit als wesentliches Element „demokratischer
Offenheit“ (vgl. BVerfGE 69, 315, 346) die Teilhabe am öffentli-
chen Meinungsbildungsprozess und damit eine ihrerseits für das
Gemeinwesen gewichtige grundrechtliche Gewährleistung.

Ebenso wie bei Art. 4 GG - und im selben Zusammenhang damit - hält


BVerfG [88-95] es für erforderlich, dass in einem Ausnahmefall wie dem
des B eine Befreiung auch zum Schutze der Versammlungsfreiheit möglich
sein muss. Da sie aber durch § 5 HS 2 FTG ausdrücklich ausgeschlossen
wird, ist § 5 HS 2 FTG auch wegen Verletzung des Art. 8 I GG verfas-
sungswidrig und nichtig. Der ohne Entscheidung über die mögliche Befrei-
ung ergangene Bescheid der Stadt S und das ihn bestätigende OVG-Urteil
verletzen auch Art. 8 I GG.

III. Da durch den Verbotsbescheid auch die Musikdarbietung der Band „Heilig“ untersagt
wurde, könnte das Grundrecht auf Kunstfreiheit (Art. 5 III GG) verletzt sein.

1. Grundsätzlich ist dieses Grundrecht neben den Art. 4, 8 GG anwendbar.

Im Hinblick auf Art. 4 und 8 GG führt BVerfG [121] aus:

Sind in der hier gegebenen Fallgestaltung, in der eine Weltanschauungsgemein-


schaft in einer öffentlichen Veranstaltung für ihre Weltanschauung wirbt, sowohl
das Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG
als auch die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG berührt, stehen beide
Grundrechte in Idealkonkurrenz.

Das gilt grundsätzlich auch für das Verhältnis des Art. 5 III GG zu Art. 4, 8 GG.

2. Im vorliegenden Fall besteht aber die Besonderheit, dass die Musik Bestandteil
der weltanschaulich geprägten Versammlung ist und keine eigenständige Be-
deutung hat. Sie wird dadurch erfasst und geschützt, dass die gesamte Veranstal-
tung einschließlich der Musik unter Art. 4, 8 GG fällt und ihr Verbot für verfas-
sungswidrig erklärt wird. Für eine zusätzliche selbstständige Behandlung der
Musik als künstlerische Darbietung i. S. des Art. 5 III GG besteht deshalb kein
Bedarf.

3. Würde anders entschieden und Art. 5 III GG angewendet, wäre das Grundrecht
nicht verletzt. Der Verfassungswert aus Art. 140 GG, 139 WRV ist vorrangig und
das Interesse des B und der Band Heilig an der Musikdarbietung nachrangig. Denn
anders als bei Art. 4 GG und Art. 8 GG kann die geplante Musik auch an anderen
Tagen gespielt werden und ist nicht an eine Aufführung gerade am Freitag gebun-
den. Art. 5 III GG ist nicht verletzt.

IV. Die Verletzung der Art. 4 und 8 GG führt nur dann zur Aufhebung des Bescheids der S
und des OVG-Urteils, wenn diese Hoheitsakte auf dem Grundrechtsverstoß beruhen
(vgl. BVerfG [55]).

Im vorliegenden Fall wäre das zu verneinen, wenn eine Befreiung selbst bei Anwendung
der Befreiungsvorschrift des § 5 HS 1 FTG hätte abgelehnt werden können. Das ist je-
doch nicht der Fall, BVerfG [120]

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Das in Art. 5 FTG eröffnete Befreiungsermessen wäre - von der Nichtigkeit des
Befreiungsausschlusses für den Karfreitag ausgehend - im vorliegenden Fall auf
Null reduziert gewesen. Die Veranstaltung fand in einem geschlossenen Raum
mit überschaubarer Teilnehmerzahl statt und sollte auch in ihrem zweiten Teil
dort abgehalten werden… Angesichts ihres thematischen Bezuges zum Karfrei-
tag kam es maßgeblich darauf an, die Veranstaltung gerade an diesem Tag ab-
zuhalten. Das Gewicht der Grundrechte des Bf. und der vergleichsweise geringe-
re Einfluss auf den besonderen äußeren Ruheschutz des Karfreitags führen un-
ter den hier gegebenen Bedingungen dazu, dass bei verfassungskonformem
Verständnis vom Vorliegen wichtiger Gründe für eine Befreiung im Sinne des Art.
5 FTG ausgegangen werden musste. Somit beruhten die angegriffenen Hoheits-
akte auf den Grundrechtsverletzungen.

C. Eine VfB wäre folglich zulässig und begründet und hätte Erfolg.

§ 95 III 2 BVerfGG verpflichtet das BVerfG in solchem Fall, § 5 HS 2 FTG für nichtig zu erklä-
ren. Weiterhin ist nach § 95 II 1 BVerfGG das Urteil des OVG aufzuheben. Eine Aufhebung des
Bescheids der S ist nicht nötig, weil sich dieser durch Zeitablauf erledigt hat. Das Verfahren wird
an das OVG zurückverwiesen. Dieses wird feststellen, dass der den Karfreitag 2016 betreffende
Verbotsbescheid rechtswidrig war und B in seinen Rechten verletzte (§ 113 I 4 VwGO analog).
In künftigen Fällen wird B eine Befreiung beantragen und sie erhalten.

1.1.3 eKlausur 185 ÖffR 88 „Karfreitag-Party“ – Zusammenfassung

► Nach Art. 139 WRV (i. V. m. Art. 140 GG) bleiben der Sonntag und die staatlich aner-
kannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich ge-
schützt. Die Bestimmung enthält einen Verfassungsauftrag zum Schutz der Sonn- und
Feiertage, der durch das Landes-FTG konkretisiert wird. Dabei darf der Gesetzgeber ne-
ben weltlich-sozialen Zwecken wie dem der Arbeitsruhe auch traditionelle religiös-
christliche Schutzzwecke verfolgen.

► Art. 4 I, II GG schützt - neben der Glaubens- und Gewissensfreiheit - auch die Weltan-
schauungsfreiheit. Bei der Frage, ob ein Verhalten unter den Schutzbereich des Art. 4 I, II
GG fällt, dürfen die staatlichen Organe prüfen und entscheiden, ob hinreichend plausibel
dargelegt ist, dass das Verhalten tatsächlich religiös bzw. weltanschaulich motiviert ist. Im
vorliegenden Fall fiel die gesamte Karfreitagsveranstaltung, der Filmteil und die Heiden-
spaß-Party, unter den Schutzbereich des Art. 4 GG.

► Grundrechte wie Art. 4 I, II GG, 8 I und 5 III 1 GG sind zwar vorbehaltlos gewährleistet,
unterliegen aber verfassungsimmanenten Schranken. Sie werden beschränkt, soweit
Grundrechte Dritter oder Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang (Verfassungswerte)
eingreifen und höherwertig sind. Außerdem bedarf es eines Gesetzes, in dem diese Vo-
raussetzungen konkretisiert sind. Im vorliegenden Fall ergab sich der Verfassungswert
aus Art. 140 GG i. V. mit Art. 139 WRV. Gesetz war das FTG.

► BVerfG LS 1: Die Anerkennung des Karfreitags als gesetzlicher Feiertag sowie seine
Ausgestaltung als Tag mit einem besonderen Stilleschutz und die damit verbundenen
grundrechtsbeschränkenden Wirkungen sind dem Grunde nach durch die verfassungs-
rechtliche Regelung zum Sonn- und Feiertagsschutz in Art. 140 GG i. V. mit Art. 139
WRV gerechtfertigt, da sie niemandem eine innere Haltung vorschreiben, sondern ledig-
lich einen äußeren Ruherahmen schaffen.

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► Eine Versammlung ist das Zusammenkommen einer Mehrzahl von Personen zum Zwe-
cke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung ge-
richteten Erörterung oder Kundgebung. Im vorliegenden Fall diente der erste Teil der
Veranstaltung der Meinungskundgabe, der zweite Teil eher dem Vergnügen. Da aber
auch der zweite Teil zum Gesamtkonzept gehörte, wurde auch die Heidenspaß-Party
über Art. 8 I GG geschützt.

► Nach BVerfG LS 2: Für Fallgestaltungen, in denen eine dem gesetzlichen Stilleschutz


zuwiderlaufende Veranstaltung ihrerseits in den Schutzbereich der Glaubens-, Bekennt-
nis- oder Weltanschauungsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) oder der Versammlungsfrei-
heit (Art. 8 Abs. 1 GG) fällt, muss der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Ausnahme von
stilleschützenden Unterlassungspflichten vorsehen.

Da diese Ausnahme für die Veranstaltung des B am Karfreitag ausdrücklich ausge-


schlossen war, enthielten § 5 HS 2 FTG und der darauf gestützte und vom OVG gebilligte
Verbotsbescheid einen unverhältnismäßigen und Art. 4 und 8 GG verletzenden Eingriff.

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