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Dieser Beitrag untersucht die Bindung der Strafverfolgungsorgane und anderer Verfah-
rensbeteiligter beim Strafprozess an die Gesetze. Beispiele für aktives Tun und Unterlassen
der Strafverfolgungsorgane werden unter diesem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt
betrachtet.1 Abschließend werden die Möglichkeiten einer Relevierung allfälliger Gesetzes-
und Verfassungsverstöße erörtert.
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nichts. Im Übrigen ist die einfachgesetzliche strafverfahren (§ 200 Abs 1 FinStrG), die FMA
Verankerung des Legalitätsprinzips im Straf- beim in die gerichtliche Zuständigkeit fallenden
prozess nicht in § 2 StPO, sondern in § 5 StPO Marktmissbrauch (§ 169 Abs 1 BörseG) oder
verortet.12 Doch auch diese Bestimmung – als Krankenversicherungsträger und Abgabenbe-
„konkretisiertes Verfassungsrecht“13 – bildet hörden des Bundes in Strafverfahren wegen So-
nicht alle Aspekte des Legalitätsprinzips im zialbetrugs (§ 7 SBBG) als Privatbeteiligte auf-
Strafprozess ab: Kriminalpolizei, Staatsanwalt- treten, sind sie wohl Teil der Vollziehung. Im
schaft und Gericht sind nicht etwa nur beim in Übrigen ist der Privatbeteiligte ebenso wenig
§ 5 Abs 1 StPO erwähnten Eingriff in die Rechte Teil der Vollziehung wie es der Privatankläger
einer Person bei der Ausübung von Befugnissen oder der Subsidiarankläger ist. Auch auf diese ist
und bei der Beweisaufnahme an ausdrückliche das Legalitätsprinzip nicht anwendbar. Dem
Gesetzesvorbehalte (sowie Erforderlichkeit und Privatankläger kommen im Hauptverfahren
Verhältnismäßigkeit) gebunden; vielmehr ist weitgehend die gleichen Rechte zu wie der
ihnen schon verfassungsrechtlich durch das Staatsanwaltschaft (§ 71 Abs 5 StPO), was durch
rechtsstaatliche Verteilungsprinzip alles verbo- den Verweis des § 72 Abs 4 StPO auf die Rechte
ten, wozu ihnen nicht durch Gesetz eine Hand- des Privatanklägers auch für den Subsidiaran-
lungsoption oder Handlungspflicht ausdrück- kläger gilt. Er unterliegt deshalb aber nicht auch
lich eröffnet wird. den gleichen Pflichten wie die Staatsanwalt-
schaft. Auch für diese Verfahrensbeteiligten gilt
2. Bindung des Beschuldigten und somit, dass ihnen alles erlaubt ist, was ihnen
seines Verteidigers an das Legalitäts- nicht ausdrücklich verboten ist. Dies bedeutet
prinzip? jedoch nicht, dass das Verhalten eines Privatan-
Die StPO weist dem Beschuldigten und seinem klägers oder Subsidiaranklägers nicht dazu füh-
Verteidiger ebenfalls Rollen im Strafprozess zu, ren könnte, dass im Strafverfahren das Recht des
die insb bestimmte Rechte beinhalten. Selbstver- Angeklagten auf ein faires Verfahren nicht ver-
ständlich treffen beide aber auch bestimmte letzt werden könnte.
Pflichten, die sich aus der StPO selbst (zB § 164
Abs 2 StPO: der Verteidiger darf sich an der Ver- 4. Fallkonstellationen aus der Praxis
nehmung selbst auf keine Weise beteiligen; § 234 4.1. Zum Kontakt zwischen Verteidigern
StPO: der Angeklagte darf die Ordnung der Ver- und Zeugen einerseits sowie Staats-
handlung nicht durch ungeziemendes Beneh- anwälten und Zeugen andererseits
men stören) oder aus anderen Gesetzen, nicht Ausgehend von den obigen Ausführungen er-
zuletzt aus dem StGB (wobei vor allem, aber gibt sich für den Kontakt zwischen der Verteidi-
nicht nur an die Rechtspflegedelikte der §§ 288 ff gung und einem Zeugen folgendes Bild: Da Pri-
StGB zu denken ist) ergeben. Es ist jedoch weder vatpersonen, somit auch der Verteidiger, in ih-
der Verteidiger (abgesehen von der denkbaren rem Handeln grundsätzlich frei sind, sofern ih-
Ausnahme des Dringlichkeitsverteidigers nach nen nicht ein gesetzliches Verbot entgegensteht,
§ 62 Abs 2 StPO) noch der Beschuldigte (Ver- kann und darf die Zulässigkeit des Zeugenkon-
dächtige, Angeklagte) Teil der Vollziehung und takts lediglich anhand konkret entgegenstehen-
deshalb auch nicht an das Legalitätsprinzip ge- der (materiell)rechtlicher Bestimmungen ge-
bunden: Im Sinne des rechtsstaatlichen Vertei- prüft werden.15 Als gesetzliche Norm, die dem
lungsprinzips ist ihnen alles erlaubt, was ihnen Kontakt mit Zeugen entgegenstehen würde, wä-
nicht ausdrücklich von Gesetzes wegen verboten ren § 12 iVm § 288 StGB (Beitrag zur falschen
ist. Dass sie aus diesem Grund im Einzelfall einen Beweisaussage) bzw § 292 StGB (Herbeiführen
größeren Handlungsspielraum besitzen als etwa einer unrichtigen Beweisaussage) zu sehen, die
die Staatsanwaltschaft, stellt im Übrigen auch im Übrigen für jede Zeugenaussage, gleichgültig
keine Verletzung des Art 6 EMRK innewohnen- ob vor dem Zivil- oder Strafgericht, gelten.16 Ein
den Prinzips der Waffengleichheit dar: Wie der Beitrag zur falschen Beweisaussage iSd § 288
OGH erst kürzlich festgehalten hat, hat der Staat, StGB kann nur strafbar sein, wenn der Zeuge bei
dessen Interessen im Strafverfahren durch die seiner förmlichen Vernehmung objektiv falsch
Staatsanwaltschaft vertreten werden, zwar ein aussagt und der Beschuldigte bzw sein Verteidi-
faires Verfahren nach Art 6 EMRK zu gewähr- ger hierbei entweder den Handlungsentschluss
leisten, ihm selbst kommt aber ein dahingehen- des Zeugens hervorgerufen oder sonst an seiner
des Recht nicht zu.14 falschen Beweisaussage mitgewirkt hat und da-
bei insb den Vorsatz hatte, dass die Aussage
3. Bindung anderer Verfahrens- falsch ist.17 Auch die Herbeiführung einer un-
beteiligter an das Legalitätsprinzip?
Soweit öffentliche Institutionen wie etwa die Fi- 15
Haißl in Schmölzer/Mühlbacher (Hrsg), StPO (2017)
nanzstrafbehörden im gerichtlichen Finanz- § 57 Rz 18; Soyer/Schumann in Fuchs/Ratz, WK StPO,
§ 57 Rz 20. Vgl dazu auch Wess in Kier/Wess (Hrsg),
Handbuch Strafverteidigung (2017) Rz 3.28.
12 16
Schmoller in Fuchs/Ratz, WK StPO, § 2 (Stand 1. 4. Plöchl/Seidl in Höpfel/Ratz, WK StGB2, § 288 Rz 2;
2016, rdb.at) Rz 10. Tipold in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer (Hrsg), SbgK
13
Wiederin in Fuchs/Ratz, WK StPO, § 5 (Stand 1. 10. StGB, § 288 Rz 37.
17
2013, rdb.at) Rz 12. Plöchl/Seidl in Höpfel/Ratz, WK StGB2, § 288 Rz 24/1,
14
OGH 11. 9. 2018, 17 Os 12/18w. 57.
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richtigen Beweisaussage iSd § 292 StGB ver- che durch Dritte anstellen zu lassen. Die Zweck-
langt, dass der Beschuldigte bzw sein Verteidi- mäßigkeit eigener Erhebungen hat der Verteidi-
ger den Zeugen durch Täuschung dazu verleitet, ger unter Berücksichtigung der konkreten Um-
gutgläubig eine unrichtige Beweisaussage abzu- stände des Einzelfalls jeweils zu prüfen.“ In der
legen.18 Auch hier ist Vorsatz insb darauf not- weiteren Begründung heißt es sodann aus-
wendig, dass die Beweisaussage unrichtig ist. drücklich: „Zu den ‚eigenen Erhebungen‘ zählen
Nur wenn Beschuldigter oder Verteidiger diese insbesondere [...] die Befragung von Zeugen. Dem
materiellrechtlichen Grenzen überschreiten, Recht auf Befragung von Zeugen steht nicht ent-
wäre bzw ist eine derartige Kontaktaufnahme gegen, dass diese von der Polizei schon vernom-
oder der Umgang mit einem Zeugen untersagt. men wurden oder ihre Vernehmung in der
Ansonsten ist jeglicher Kontakt zwischen einem Hauptverhandlung noch bevorsteht.“ Die Kon-
Beschuldigten bzw seinem Verteidiger und taktaufnahme mit Zeugen seitens des Verteidi-
einem Zeugen zulässig. gers und/oder des Beschuldigten ist daher aus-
In diesem Zusammenhang kann auch auf drücklich erlaubt und kann mitunter standes-
die standesrechtlichen Regelungen, die ein rechtlich sogar gem § 9 RAO geboten sein, da ei-
Rechtsanwalt bei der Ausübung seiner Tätigkeit gene Erhebungen des Verteidigers auch zur
zu beachten hat und die ebenfalls, nämlich aus „gewissenhaften Berufsausübung“ zu zählen
berufsrechtlicher Sicht, eine Grenze des zulässi- sind.22 Auch die Grundsätze der Strafverteidi-
gen Handelns bilden, verwiesen werden: Die gung sehen den Kontakt mit Zeugen daher aus-
Richtlinien für die Ausübung des Rechtsan- drücklich vor; dies unabhängig davon, ob der
waltsberufes (RL-BA 2015) sehen in § 18 aus- Zeuge noch gerichtlich einvernommen werden
drücklich vor, dass der Kontakt mit Zeugen vor soll oder nicht. Rechtlich verfehlt ist es daher,
einem anhängigen Verfahren und auch wäh- dem Verteidiger eines Angeklagten eine derar-
rend eines anhängigen Verfahrens zulässig ist, tige Kontaktaufnahme mit Verweis auf den
solange jede Form der unzulässigen Beeinflus- Grundsatz der amtswegigen Wahrheitserfor-
sung vermieden wird. Disziplinär und damit schung durch das Gericht zu untersagen.
rechtswidrig ist nur die tatsächliche Beeinflus- Auch dem Gericht als an das Legalitätsprin-
sung eines Zeugen.19 Hinzuweisen ist an dieser zip und den Gesetzmäßigkeitsgrundsatz gebun-
Stelle im Übrigen auch darauf, dass im Unter- denes Organ stehen iSd oben gemachten Aus-
schied zur bis ins Jahr 2005 geltenden Rechts- führungen lediglich die gesetzlich vorgesehenen
lage der bloße Anschein einer Beeinflussung Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Nun
nicht mehr ausreichend ist, um das Verhalten ist es zwar richtig, dass es gleichzeitig die Pflicht
des Verteidigers als rechtswidrig iSv disziplinär trifft, die Ermittlung der Wahrheit iSd Grund-
einzustufen.20 Durch die diesbezügliche Ände- satzes der materiellen Wahrheit zu fördern (vgl
rung der Richtlinien wurde daher explizit zum § 3 StPO und explizit für die Vorsitzende/den
Ausdruck gebracht, dass es nur auf die tatsäch- Vorsitzenden § 232 Abs 2 StPO). Diese Bestim-
liche Beeinflussung ankommt. Die Zulässigkeit mungen beziehen sich jedoch darauf, dass die/
der Kontaktaufnahme mit Zeugen wurde daher der Vorsitzende ohne Bindung an Vorbringen
bewusst ausgeweitet und das entgegenstehende und Beweisanträge der Beteiligten sowie Be-
Verbot weiter entschärft. Explizit für Strafver- weislastregeln von Amts wegen alle wesentli-
teidiger sehen auch die von der Arbeitsgruppe chen Umstände zu prüfen und – gemeinsam mit
Strafrecht und dem Arbeitskreis Berufsrecht dem Senat – den wahren Sachverhalt festzustel-
des österreichischen Rechtsanwaltstages erlas- len hat.23
senen sog „Grundsätze der Strafverteidigung“21 Hieraus lässt sich aber weder das Recht noch
die Zulässigkeit der Kontaktaufnahme mit Zeu- gar die Pflicht ableiten, die Angeklagten oder
gen vor. Diese Grundsätze schaffen keine neuen ihre Verteidiger dahingehend zu belehren, den
Regelungen, sondern bewegen sich vielmehr im Kontakt zu Zeugen zu unterlassen. Dies insb in
Rahmen des geltenden Berufsrechts der Rechts- Hinblick darauf, dass den Angeklagten wie ih-
anwälte und im Rahmen der in Geltung stehen- ren Verteidigern der Kontakt zu Zeugen gesetz-
den materiellen und formellen Strafgesetze und lich nicht verboten, ergo iSd obigen Ausführun-
bilden daher eine Orientierungshilfe. gen erlaubt und für Rechtsanwälte und Strafver-
Grundsatz 8 hält nun das Recht des Verteidi- teidiger im Besonderen ein solches Vorgehen
gers auf eigene Erhebungen wie folgt fest: „Der sogar explizit in den Standesrichtlinien vorgese-
Verteidiger ist in jeder Lage des Verfahrens be- hen ist. Somit handelt es sich dabei um eine
rechtigt, eigene Erhebungen anzustellen oder sol- Rechtsbelehrung entgegen dem Gesetz. Durch
18
eine solche Rechtsbelehrung würden den Ange-
Tipold in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, SbgK StGB,
§ 292 Rz 16.
klagten bzw ihren Verteidigern ihnen zuste-
19
Vgl hierzu Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/ hende Rechte genommen werden, ohne dass
Rohregger/Vitek (Hrsg), RAO10 (2018) § 18 RL-BA 2015 hierfür eine gesetzliche Grundlage bestünde.
Rz 2 ff.
20
Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/
Vitek, RAO10, § 18 RL-BA 2015 Rz 9. 22
Vgl hierzu Machan in Kier/Wess, HB Strafverteidigung,
21
Vgl AnwBl 2007, 183 (183 ff); auf diese auch hinwei- Rz 4.12.
23
send zB Wess in Kier/Wess, HB Strafverteidigung, Vgl RIS-Justiz RS0096422; Danek/Mann in Fuchs/Ratz,
Rz 1.20. WK StPO, § 232 Rz 5
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Für die Strafverfolgungsbehörden gilt wie- schränkung der Akteneinsicht muss im Übrigen
derum bei Kontaktaufnahmen mit Zeugen, dass mit größter Zurückhaltung Gebrauch gemacht
diese ausschließlich und nur aufgrund der ge- werden.“ Da es sich um einen Eingriff in ein
setzlichen Vorgaben erfolgen dürfen. So hält be- subjektives Recht handelt, ist auch diese Ent-
reits § 95 StPO ausdrücklich fest, dass Vorbrin- scheidung – wie das OLG Wien abschließend
gen von Personen und andere bedeutsame Vor- völlig zutreffend festhält26 – „schriftlich, detail-
gänge derart schriftlich festzuhalten sind, dass liert und nachvollziehbar zu begründen, um eine
ihr wesentlicher Inhalt nachvollzogen werden nachprüfende Kontrolle im Wege des Einspruchs
kann. § 96 StPO regelt sodann detailliert wie die wegen Rechtsverletzung zu ermöglichen. Vor
Aufnahme von (Zeugen-)Beweisen in einem diesem Hintergrund haben die Strafverfolgungs-
Protokoll festzuhalten ist. behörden daher einmal jedenfalls Protokolle von
Die Kontaktaufnahme zwischen Verteidiger Zeugeneinvernahmen zum Akt zu nehmen, wo-
bzw Beschuldigten und einem Zeugen kann da- bei nach § 8a Abs 1 DV-StAG der Grundsatz der
her – mangels entgegenstehender gesetzlicher Aktenbildung nach der Zeitfolge gilt, der in einer
Regelungen – jederzeit und formlos erfolgen, Aktenübersicht (StPOForm. AÜ1) darzustellen
jene seitens der Strafverfolgungsbehörden nur ist.“ Nicht erlaubt und gegen das Gesetz (mit
und ausschließlich unter Einhaltung der diesbe- Ausnahme einer Vorgehensweise zB gem § 145
züglichen gesetzlichen Vorgaben. StPO für Ergebnisse, Anordnungen und Bewil-
ligungen von Ermittlungsmaßnahmen nach
4.2. Dokumentationspflichten, Akten- dem 4. bis 6. Abschnitt des 8. Hauptstückes der
einsichtsrechte der Strafverfolgungs-
StPO) ist daher eine Vorgehensweise zu beur-
behörden einerseits sowie der
teilen, in der die Staatsanwaltschaft über län-
Verteidigung andererseits
gere Zeit hinweg diverse Ergebnisse des Ermitt-
Die Strafverfolgungsbehörde, praxisrelevant ist lungsverfahrens überhaupt nicht zum Akt
dies vor allem im Ermittlungsverfahren, sohin nimmt, zumal die Staatsanwaltschaft – aus er-
die Staatsanwaltschaft, ist zur umfassenden Do- mittlungstaktischen Gründen – ohnehin die
kumentation verpflichtet. Das Recht des Be- Möglichkeit hätte, eine Beschränkung der Ak-
schuldigten, in die Akten Einsicht zu nehmen, teneinsicht zu verfügen.
regelt § 51 Abs 1 StPO. Darnach ist er selbstre- Ganz anders verhält es sich beim Verteidiger
dend auch berechtigt, in die der Staatsanwalt- und dem Beschuldigten. Dieser hat – wenn-
schaft vorliegenden Ergebnisse des Ermittlungs- gleich es ihm anzuraten ist, um ungerechtfertig-
verfahrens Einsicht zu nehmen. Das Recht auf ten Vorwürfen entgegentreten zu können –
Akteneinsicht umfasst sämtliche Verfahrenser- keine Dokumentationspflicht betreffend etwa-
gebnisse, wobei vom Grundsatz der Aktenvoll- ige Befragungen, Gespräche etc mit potenziellen
ständigkeit auszugehen ist.24 Danach muss – wie Zeugen. Die Verteidigung bzw der Beschuldigte
das OLG Wien jüngst festgestellt hat25 – „Ein- hat insb auch keine Vorlagepflicht gegenüber
sicht in alle Unterlagen gewährt werden, die dem den Strafverfolgungsbehörden und kann daher
Gericht beim Einbringen der Anklage vorzulegen mit den Ermittlungsergebnissen auch nach Be-
sind, dh in alle vom Beginn des Ermittlungsver- lieben verfahren. Das gilt insb auch für das Sta-
fahrens an gesammelten, be- und entlastenden dium der Hauptverhandlung, in dem die Vertei-
Schriftstücke einschließlich allfälliger Bild- und digung bzw der Beschuldigte jederzeit (bis zum
Tonaufnahmen, Fahndungsnachweise und poli- Schluss der Verhandlung oder unmittelbar, um
zeilicher ‚Spurenakten‘, soweit diese Unterlagen damit einen Zeugen ad hoc zu konfrontieren)
bei der Verfolgung einer bestimmten Tat gegen derartige Ergebnisse den Strafverfolgungsbe-
einen bestimmten – bekannten oder unbekann- hörden zur Verfügung stellen kann oder eben
ten – Täter angefallen sind und ihr Inhalt für et- auch nicht. Umgekehrt dazu verhält es sich auch
waige gegen ihn zu verhängende Rechtsfolgen von hier aufgrund der gesetzlichen Vorgaben gegen-
Bedeutung sein kann“. über den Strafverfolgungsbehörden. Die Staats-
Mit der im Gesetz gewählten Formulierung anwaltschaft gibt nach Einbringen der Anklage-
sollte nach den Mat jedenfalls gewährleistet schrift ihre Leitungsbefugnis an das Gericht ab
sein, dass „keine relevanten Informationen zu- und wechselt zur (bloßen) Beteiligten des Ver-
rückgehalten werden können“. Das OLG Wien fahrens und hat daher auch keine ermittlungs-
hält sodann völlig zutreffend weiters fest, dass technischen Befugnisse mehr (vgl dazu §§ 210
„der Begriff der Ergebnisse des Ermittlungsver- sowie 220 StPO). Das Gericht hat wiederum
fahrens nach den Materialien durch die Bestim- dem Beschuldigten – bei sonstiger Nichtigkeit –
mungen über die Protokollierung (§§ 95 bis 97 eine Frist zur Vorbereitung der Hauptverhand-
StPO) konkretisiert wird. Darnach sind Vorbrin- lung einzuräumen (vgl dazu § 221 Abs 2 StPO).
gen von Personen und andere bedeutsame Vor- Wenn daher im Rahmen einer Hauptverhand-
gänge schriftlich festzuhalten und die Aufnahme lung seitens des Gerichts, wozu dieses gem § 254
von Beweisen zu protokolieren. Von einer Be- StPO berechtigt ist, gänzlich neue – bis dato
nicht im Ermittlungsakt der StA bzw im Ge-
24
ErlRV 25 BlgNR 22. GP, 70; Pilnacek/Pleischl, Das neue
Vorverfahren (2005) Rz 194.
25 26
OLG Wien 8. 11. 2019, 23 Bs 193/19d. OLG Wien 8. 11. 2019, 23 Bs 193/19d mwN.
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richtsakt befindliche – Unterlagen von Amts gebenden Recht auf Akteneinsicht. Gleichzeitig
wegen beigeschafft werden, dann ist dem Ver- ist der Beschuldigte durch die Verweigerung der
teidiger bzw dem Beschuldigten zu diesen eine Akteneinsicht auf einer nächsten Stufe auch in
angemessene Vorbereitungsfrist einzuräumen. seinem subjektiven Recht auf rechtliches Gehör
Ganz anders verhält es sich auch hier, mangels nach § 6 StPO, in seinem subjektiven Recht auf
gegenteiliger gesetzlicher Bestimmung, wenn Verteidigung nach § 7 StPO und in seinem sub-
der Verteidiger bzw der Beschuldigte neue Un- jektiven Recht auf gesetzmäßiges Vorgehen der
terlagen dem Gericht im Rahmen der Hauptver- Strafverfolgungsbehörden gem § 5 StPO ver-
handlung vorlegt. Mit diesen Unterlagen kann letzt.
der Verteidiger Zeugen, Sachverständige und Die in §§ 1–17 StPO geregelten Grundsätze
die Staatsanwaltschaft sofort und unmittelbar des Strafverfahrens haben nahezu durchgehend
konfrontieren. eine verfassungsrechtliche Grundlage, wobei
sich diese oftmals – allenfalls neben anderen
5. Möglichkeiten der Relevierung verfassungsrechtlichen Bestimmungen – aus
allfälliger Gesetzes- und Art 6 EMRK ergibt, der ebenfalls nicht bloß als
Verfassungsverstöße programmatisches Prinzip zu verstehen ist,
Im Ermittlungsverfahren steht dem Betroffenen sondern dem Beschuldigten konkrete (subjek-
regelmäßig als einziger effektiver Rechtsbehelf tive) Rechte einräumt.31 Im hier genannten Bei-
ein Einspruch wegen Rechtsverletzung gem spiel der Verweigerung der Akteneinsicht wird
§ 106 StPO zur Verfügung.27 Bei Verstößen der der Beschuldigte folglich auf einer dritten Stufe
Kriminalpolizei wird man im Übrigen noch auch in seinem verfassungsgesetzlich gewähr-
einen „Umweg“ dahingehend zu bewerkstelli- leisteten Recht nach Art 6 EMRK verletzt, da
gen haben, dass man zunächst einen Antrag auf das nicht gesetzmäßige Verhalten der Strafver-
Feststellung/Hintanhaltung der Rechtsverlet- folgungsbehörden – nämlich die Verweigerung
zung durch die Staatsanwaltschaft stellen wird der Akteneinsicht – zu den durch Art 6 EMRK
müssen, da gegen Gesetzesverstöße der Krimi- garantierten Rechten auf Verteidigung32 sowie
nalpolizei nicht direkt ein Einspruch wegen auf Information und Aktenzugang33 in Wider-
Rechtsverletzung erhoben werden kann.28 Nach spruch steht. Im konkreten Beispiel hat der Be-
der Rsp29 können mit einem solchen Einspruch schuldigte daher ein aus § 5 StPO abgeleitetes
lediglich einfachgesetzliche und subjektiv einge- subjektives Recht, das auch verfassungsrecht-
räumte Rechtsverletzungen der StPO releviert lich durch den konkrete Rechte beinhaltenden
werden, nicht aber die Verletzung verfassungs- Art 6 EMRK abgesichert ist. Art 18 B-VG bildet
gesetzlich gewährleisteter Rechte (arg: „nach zwar ebenfalls eine verfassungsrechtliche
diesem Gesetz“). Da die Strafverfolgungsbehör- Grundlage für § 5 StPO, ist für die Einräumung
den aber nur aufgrund ausdrücklicher gesetzli- eines subjektiven Rechts allerdings nicht rele-
cher Grundlage agieren dürfen, kann ein davon vant. Vielmehr ist zu prüfen, ob sich aus § 5
nicht gedecktes Vorgehen oftmals nicht erfolg- StPO im konkreten Fall ein – durch Art 6
reich geltend gemacht werden, es sei denn, man EMRK abgesichertes – subjektives Recht ablei-
erachtet den Betroffenen stets in seinem subjek- ten lässt. Die Verletzung dieses subjektiven
tiven Recht auf (ausschließlich) gesetzeskonfor- Rechts kann dann im Wege eines Einspruchs
mes Agieren seitens der Strafverfolgungsbehör- wegen Rechtsverletzung – gemeinsam mit der
den verletzt. Verletzung anderer subjektiver Rechte, die die
§ 5 Abs 1 Satz 1 StPO sollte daher keinesfalls gleiche Stoßrichtung haben (in obigem Beispiel
nur als programmatische Absichtserklärung eben §§ 6, 7 und 51 StPO) – geltend gemacht
verstanden werden; fraglich erscheint aber, ob werden.
die Bestimmung dem Betroffenen ganz generell Die Verletzung von verfassungsgesetzlich
ein subjektives Recht auf (ausschließlich) geset- gewährleisteten Rechten kann zwar im Ein-
zeskonformes Verhalten der Strafverfolgungs- spruchsverfahren (mit)releviert werden, eine
behörden einräumt.30 Hier kommt es auf den diesbezügliche Feststellung der Rechtsverlet-
konkreten Einzelfall an, und die Frage ist da- zung verneinen die Untergerichte aber regelmä-
nach zu beurteilen, an welche Handlung/Unter- ßig mangels entsprechender Zuständigkeit. Das
lassung der Strafverfolgungsbehörden die Ver- müsste aber nicht zwingend so sein, insb wenn
letzung anknüpft. Wird dem Beschuldigten etwa man bedenkt, dass §§ 1–17 StPO nahezu durch-
die Akteneinsicht verweigert, ist er dadurch zu- gehend eine verfassungsgesetzliche Grundlage
nächst unweigerlich in einem subjektiven Recht haben und daher die Verletzung eines sich aus
verletzt, nämlich in dem sich aus § 51 StPO er-
31
Grabenwarter/Pabel, EMRK6 (2016) § 24 Rz 112;
27
Siehe dazu zB Wess in Kier/Wess, HB Strafverteidigung, Meyer-Ladewig/Harrendorf/König in Meyer-Ladewig/
Rz 6.63 ff. Nettesheim/von Raumer (Hrsg), EMRK4 (2017) Art 6
28
Wess in Kier/Wess, HB Strafverteidigung, Rz 6.64. Rz 4.
29 32
Siehe auch dazu jüngst OLG Wien 8. 11. 2019, 23 Bs Dazu etwa Grabenwarter/Pabel, EMRK6, § 24 Rz 115 ff;
193/19d. Meyer in Karpenstein/Mayer (Hrsg), EMRK3, Art 6
30
So noch ganz allgemein Wess in Kier/Wess, HB Straf- Rz 176 ff.
33
verteidigung, Rz 6.65 mwN; nicht eindeutig Wiederin Grabenwarter/Pabel, EMRK6, § 24 Rz 117; Meyer in
in Fuchs/Ratz, WK StPO, § 5 Rz 10. Karpenstein/Mayer, EMRK3, Art 6 Rz 179.
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den Grundsätzen des Strafverfahrens ergeben- stößen entgegenzuwirken. Auch hier gelingt es
den subjektiven Rechts regelmäßig – nämlich in der Praxis regelmäßig nicht, dass das
durch dieselbe Handlung/Unterlassung der (erstinstanzliche) Gericht dergestalt einen ver-
Strafverfolgungsbehörden – die Verletzung des fassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtsver-
korrespondierenden verfassungsrechtlich ge- stoß konstatiert. Auch das sollte die Verteidi-
währleisteten Rechts bedingt und insb Art 6 gung aber nicht daran hindern, einen solchen
EMRK dem Beschuldigten gleichfalls konkrete Grundrechtsverstoß mittels Antrags auf Fest-
(subjektive) Rechte einräumt. Wenn daher mit stellung dieser Rechtsverletzungen geltend zu
einem Einspruch wegen Rechtsverletzung Ver- machen, da nur dergestalt der horizontale
stöße „nach diesem Gesetz“ releviert werden Rechtsweg ausgeschöpft worden ist und damit
können, spricht aus unserer Sicht auch nichts vertikal dieser Aspekt an den OGH und – letzt-
dagegen, dass ein Gericht damit einhergehend endlich – an den EGMR weiter vorgetragen und
auch den Rechtsverstoß gegen das dahinterste- releviert werden kann.37
hende Grundrecht feststellt.
Denkbar und wünschenswert wäre vor
diesem Hintergrund aber jedenfalls, dass der ▶ Auf den Punkt gebracht
OGH mittels sog erweiterten Erneuerungsan-
Das Legalitätsprinzip des Art 18 Abs 1
trags gem § 363a StPO analog34 sich auch hiefür
für zuständig erachtet und entsprechende Ver- B-VG determiniert das Handeln der
stöße gegen verfassungsgesetzlich gewährleis- Strafverfolgungsorgane und Gerichte,
tete Rechte – hier wird insb Art 6 EMRK in Be- nicht jedoch den Beschuldigten, den Ver-
tracht kommen – feststellt. Eng betrachtet kann teidiger oder auch andere Verfahrensbe-
dieser Rechtsbehelf zwar nur bei Entscheidun- teiligte, soweit sie nicht selbst Behörden
gen und Verfügungen von Strafgerichten gel- sind (wie etwa die FMA als Privatbetei-
tend gemacht werden und somit nicht bei Ver- ligte). Das Handeln des Beschuldigten,
stößen von Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft des Verteidigers und (nichtbehördlicher)
uÄ. Zu einem Antrag nach § 363a StPO analog anderer Verfahrensbeteiligter braucht
berechtigt sind aber auch Personen, die vertret- keine gesonderte gesetzliche Grundlage,
bar behaupten, trotz Ausschöpfung des Instan- sondern ist umgekehrt nur durch expli-
zenzugs gegen eine durch Kriminalpolizei, zite Verbote, die sich vor allem aus dem
Staatsanwaltschaft oder Gericht begangene Strafrecht oder dem Disziplinarrecht er-
Konventionsverletzung weiterhin deren Opfer geben, beschränkt. Dieser Unterschied
zu sein.35 Hinzu kommt, dass sich in jenen Fäl- zeigt sich deutlich etwa bei Kontakten zu
len, in denen ein unterinstanzliches Gericht Zeugen. Ein anderes Beispiel ist die für
mangels vermeintlicher Zuständigkeit im Rah- den Beschuldigten und den Verteidiger
men eines Einspruchsverfahrens die Verletzung nicht bestehende Pflicht zur Dokumenta-
von verfassungsgesetzlich gewährleisteten tion eigener Handlungen wie etwa betref-
Rechten von Vornherein nicht prüft und damit fend etwaige Befragungen, Gespräche etc
auch nicht feststellt, ein etwaiger Verstoß in
mit potenziellen Zeugen, die in markan-
Wahrheit nicht nur gegen das Handeln der Kri-
tem Gegensatz zu den Pflichten stehen,
minalpolizei/Staatsanwaltschaft selbst richtet,
die insb der StA aus den Grundsätzen der
sondern eben auch gegen die diesbezügliche ge-
richtliche Entscheidung, die diesen – auf Verfas- Aktenbildung und der Aktenvollständig-
sungsebene eingeräumten – Verstoß nicht auf- keit erwachsen und in Zusammenhang
greift bzw aufgreifen kann. Aus unserer Sicht mit dem Recht des Beschuldigten auf Ak-
könnte und sollte ein solcher Verstoß daher mit- teneinsicht stehen.
tels erweiterten Erneuerungsantrags an den Allfällige Rechtsverstöße der StA im Er-
OGH herangetragen und von ihm der entspre- mittlungsverfahren können mittels Ein-
chende Verstoß festgestellt werden können. Als spruchs nach § 106 StPO releviert werden,
weitere Möglichkeit im Ermittlungsverfahren allerdings nur, soweit subjektive Rechte
kommt – das sei der Vollständigkeit halber noch nach der StPO verletzt wurden. Da die in
erwähnt – die Einbringung einer Fachaufsichts- §§ 1–17 StPO geregelten Grundsätze des
beschwerde gem § 37 StAG in Betracht.36 Ein be- Strafverfahrens in großer Mehrzahl auch
sonders wirksamer Rechtsbehelf ist dieses Inst- verfassungsrechtlich geschützte subjek-
rumentarium freilich nicht, da auf diesem Wege tive Rechte verkörpern, können auf
keine Gerichtsentscheidung erwirkt werden diesem Weg auch Verstöße gegen Letz-
kann. tere releviert werden. Zwar bildet auch
Im Hauptverfahren hat die Verteidigung Art 18 Abs 1 B-VG einen verfassungs-
mit entsprechenden Anträgen derartigen Ver-
34 37
Siehe dazu Rebisant in Kier/Wess, HB Strafverteidi- Zur Beschwerde an den EGMR siehe zB Lewisch/Huber
gung, Rz 15.4ff. in Kier/Wess, HB Strafverteidigung Rz 16.1 ff, zur verti-
35
OGH 19. 8. 2015, 13 Os 51/15x. kalen und horizontalen Rechtswegerschöpfung
36
Wess in Kier/Wess, HB Strafverteidigung, Rz 6.70. Rz 16.33 ff.
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zwf_2020_h01.fm Seite 24 Freitag, 10. Januar 2020 10:06 10
Die Untreue gilt seit geraumer Zeit als das klassische Delikt der Wirtschaftskriminalität.
Der Anwendungsbereich dieser Bestimmung erscheint nahezu uferlos und hat mittlerweile
auch den Bereich des Sports erreicht.1 Als diffiziles Terrain haben sich Sportsponsoring-
aktivitäten herauskristallisiert, wobei das untreuerechtliche Spannungsfeld vor allem im
Verhältnis zwischen der geldwerten Leistung des Sponsors und der schwierig bewertbaren
Gegenleistung des Gesponserten liegt.2 Dieser Beitrag analysiert die daraus resultierenden
Fragen iZm dem Befugnismissbrauch bei Sportsponsoring.
24 1/2020 ZWF
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