Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
herausgegeben von
DR. R. BAERWALD
BERLIN
I. Band
Mit 15 Abbildungen
1926
DR. R. BAERWALD
BERLIN
I. Band / 1. Heft
Mit 5 Textabbildungen
l. 9.25
IV Inhalt des ersten Bandes.
werden kann. Daß das Wort im Titel unserer Zeitschrift nur im zweiten
Sinn gemeint sein kann, bedingt schon der Grundsatz voraussetzungs-
loser Forschung. Um vollends jeden Zweifel auszuschließen, haben wir
das Wort „kritisch" hinzugefügt. Dadurch wird, hoffen wir, der den
Skeptikern so verdächtige Ausdruck, „Okkultismus" hinreichend desinfi-
ziert sein. Etliche von ihnen hätten freilich gern das Wort durch ein
anderes ersetzt gesehen, aber was hätten wir dadurch gewonnen? „Meta-
psychik„" und „Parapsychologie" sind schon längst ebenso desinfektions-
bedürftig und haben noch den Nachteil geringerer Verständlichkeit.
Inhalt unserer Zeitschrift aber sollen nicht nur die Probleme sein,
die sich auf die „okkulten Phänomene" beziehen, sondern ebenso sehr
die sogenannten „Grenzfragen des Seelenlebens", die es mit Unterbewußt-
sein und Doppel-Ich, mit Dämmerzuständen und automatischen Tätig-
keiten, mit sensitiver und mediumistischer Anlage zu tun haben. Der
zweite Teil des Titels bedeutet, daß wir unsere Mitarbeiter und Leser
nicht nur im Kreise der okkultistisch Interessierten, sondern auch der
Psychotherapeuten, Psychiater, Psychologen suchen. Die beiden Problem-
kreise sind untrennbar verbunden, sachlich, weil die Versuchspersonen
okkultistischer Experimente, von Betrügern abgesehen, Menschen mit
verselbständigtem Unterbewußtsein sind, geschichtlich, weil Okkultismus
und Unterbewußtseinspsychologie vielfach in ein ähnliches Verhältnis ge-
treten sind wie weiland Astrologie und Astronomie, oder Alchemie und
*Chemie: Wo der Okkultismus fragte und forschte, erntete die Psycho-
logie des Unterbewußtseins, der Wahrheitskern der untersuchten Er-
scheinung fiel in ihr Bereich.
Es war von je der Traum vernünftiger Okkultisten und Antiokkul-
tisten, daß der leidenschaftliche persönliche Streit verstummen und
Vertreter aller Richtungen sich zu sachlicher, haßfreier Diskussion ver-
einigen könnten. Bisher ist jeder Versuch, der diesen Wunsch zu ver-
wirklichen strebte, an der Fülle persönlicher Differenzen gescheitert. Unser
Unternehmen ist der gleichen Gefahr ausgesetzt. Man wird es daher be-
gründet finden, wenn wir alle unsere Mitarbeiter bitten, sie möchten, wie
sie auch sonst im Leben einander gegenüberstehen, doch im Rahmen
unserer Zeitschrift etwas wie einen Gottesfrieden aufrecht erhalten und
den theoretischen Gegner mit ritterlicher Sachlichkeit bekämpfen. Polizei
freilich kann die Schriftleitung nicht spielen; eine Zeitschrift, die das
Glück hat, hervorragende Sachkenner und Autoritäten als Mitarbeiter zu
gewinnen, kann sie nicht bevormunden wollen. Aber der bloße Hinweis
darauf, daß ein parteiloses Organ über okkultistische Fragen gefährliche
Explosivstoffe enthält, wird wohl schon verhindern, daß man mit brennen-
den Streichhölzern in ihm umherwirft.
Die Schriftleitung.
Hellsehen durch telepathische Einfühlung?
Von Max Dessoir, Berlin.
Auf die Hellseherin Helene Schnelle — dies war der Mädchen-
name einer im Sommer 1923 vorzeitig verstorbenen Nürnberger Dame
— ist die Öffentlichkeit durch mehrere Schriften hingewiesen worden.
Am einläßlichsten hat sich Herr Dr. Joseph Boehm über sie geäußert
und zwar in einer 1921 erschienenen Schrift „Seelisches Erfühlen". Die
eigentümliche Fähigkeit der Frau Schnelle soll darin bestanden haben,
daß sie durch bloßes Betasten von Briefen und anderen Schriftstücken
in die Lage versetzt wurde, ein zutreffendes Charakterbild des Schreibers
zu entwerfen. Ich habe im Januar 1922 Gelegenheit zu eigenen Beob-
achtungen gehabt, über die ich in der nächsten Auflage meines Buches
„Vom Jenseits der Seele" berichten werde. Im Anschluß an diese Beob-
achtungen wurden weitere Versuche insbesondere von Herrn Privat-
dozenten Dr. AlfredBaeumler angestellt, die nach meinen Vorschlägen
eingerichtet waren. Einen dieser Versuche, über den in meinem soeben
genannten Buch nicht berichtet werden wird, will ich hier zur Erörterung
stellen.
Herr Dr. Baeumler hatte von einem ihm befreundeten Münchener
Gelehrten, „Dr. X.", einen Brief zugesandt erhalten, von dem er wußte,
daß der Schreiber oder die Schreiberin zur nächsten Verwandtschaft des
„Dr. X." gehöre. Er vermutete, die Mutter sei die Schreiberin;eine Dame,
die ihm ihrem Charakter nach aus gelegentlichen Schilderungen einiger-
maßen bekannt war. Der Brief stammte aber in der Tat nicht von der
Mutter, sondern von der Schwiegermutter des „Dr. X." Von dieser
Schwiegermutter hatte „Dr. X." vorher eine Charakteristik schriftlich
entworfen und in einem erst nach dem Versuche zu öffnenden Umschlage
an Dr. Baeumler geschickt. Die Charakteristik lautete folgendermaßen:
„ Die Schreiberin ist eine verheiratete Frau von 55 Jahren. Eine gemüts-
tiefe Natur, echter Hingebung und Teilnahme fähig. Von großer Wärme
und Herzlichkeit der Empfindung, von „mütterlichem" Wesen. Damit ver-
bindet sich ein praktischer Verstand, Nützlichkeitssinn, Organisationstalent.
Die Vereinigung der weiblich-hingebenden Eigenschaften mit dem sehr
aktiven praktischen Sinn gelingt nicht immer ohne Schärfen, obgleich
das persönliche Gesamtbild kein typisch unharmonisches, keine „Kon-
fliktsnatur" ist. Ein gewisser Unabhängigkeitsdrang, außergewöhnliche
Energie, Tätigkeitslust und seelisch-körperliche Widerstandskraft ist die
Ursache dafür, daß sie ihren Tätigkeitsbereich über das engere Feld der
Familie hinaus erweitert hat und sich sozialen und kulturpolitischen Auf-
gaben zugewandt hat. (Sie stand, besonders in früheren Jahren, der Frauen-
4 M. Dessoir.
') Die Antworten von Dr. Baeumler sind aufs Geratewohl gegeben.
6 M. Dessoir. Hellsehen durch telepathische Einfühlung?
nung fähig.] Wohl auch bewußt. Quält sich oft selbst. Ist die Person
ledig? B. Nein. — Sonderbar. Hat sie ihren Mann noch? Mit der Frau
ist es eigenartig. Das Geschlechtliche ist nicht richtig. Äußerlich sieht
man es ihr aber gar nicht an. Ist der Mann der Frau ein bißchen ruhig,
gemächlich? B.: Ja. — Was bei ihr nicht richtig ist, kommt von der
Vaterseite her. Belastet. Die Unterleibsorgane sind beschwert. (Stützt
den Kopf auf.) Ich glaub, da muß ich still sein. Hat in der Familie von
dem Herrn einer einen Bart? B.: Ja. — Ist der verheiratet? B.: Ja. —
Hat seine Frau mehr ein rundes als ein ovales Gesicht? B.: Ja. —
Haben die ein Bild in ovalem Rahmen? Mit einem Mann und einer Frau,
die haben auch mit der Person was zu tun. Die mit dem runden Gesicht
ist doch älter? B.: Ja. — Dann nochmal sehe ich großen breitschultrigen
Mann, kräftig. Auswärts. Hund. [Der erwähnte Vetter war groß und
breitschultrig; er trug ein Jahr lang einen Vollbart. Seine Frau hat ein
entschieden rundliches Gesicht.] Die Person (der Briefschreiber) ist un-
zufrieden, unbefriedigt, aber der Hund gehört doch zu ihr? B.: Das weiß
ich nicht. — Nicht groß. Können Sie sagen, ob ein Hund eine Rolle ge-
spielt hat? Oder ob diese Dame an einem Hund sehr gekangen hat?
Es kommt : Geh, Lieber! Aber „Lieber" groß geschrieben. Es geht immer
in der alten Leier weiter. („Es ist halt immer das alte." Sie gefällt sich
in Trostlosigkeit] Dasjenige denkt was und das geht immer im Kreis
herum. Kann sich nicht herausreißen."
Ein zweiter Fragebogen, den Dr. Baeumler an „Dr. X." schickte,
sei zugleich mit den Antworten des „Dr. X." zum Schluß wiedergegeben:
Sitzt ihre Mutter oft da und sieht starr vor sich hin? -- Ja. Sehr
charakteristisch.
Ist sie in ungewöhnlichem Maße eine gehemmte Natur? — Ja. Und
dies ist wesentlich.
Hat sie die Gewohnheit, sich körperlich zu betasten (Stirn und
Leib)? — Sie hat eine typische Bewegung: bei starken Kopfschmerzen
(häufig) pflegt sie leise mit der Hand über die Stirnrunzeln und Schläfen
zu streichen.
Stark nervös? — Ja, und zwar in der bekannten schreckhaften
Form.
Liegt die Ursache dafür in den Geschlechtsorganen? — Nicht in i t
Bestimmtheit anzugeben.
Hat sie gedrücktes Wesen? — Ja. Von ärztlicher Seite wurde sie
wiederholt als der Typus der „konstitutionell Verstimmten" bezeichnet.
Drücken die Verhältnisse besonders auf sie? Ja. Vgl. die Bemer-
kungen (in die Psychographie der Frau Schnelle eingefügt).
Faßt sie plötzliche Entschlüsse? — Nein. Sie hat wenig Spontaneität.
Ist die Person sehr unruhig, beweglich? Nein, im Gegenteil: steif
und gemessen.
Ist sie von Vaterseite her belastet zu nennen? — IhreVater war
in seinen letzten Jahren ein Geizhals. Sonderling mit hypochondrischen
E. Bohn. Zur Geschichte der Apporte. 7
Zügen. Sie sagt oft, daß sie ihre quälenden Eigenschaften von ihrem
Vater habe.
Hat ein Hund eine besondere Rolle in ihrem Leben gespielt? —
Sie spricht heute noch mit Rührung von einem Dackel, den wir hatten.
„Ja, wenn unser Jacques noch lebte."
Ist die Äußerung: „Geh, Lieber" für die Person bezeichnend? —
So viel mir bekannt ist, nein.
Ist die senkrechte Stirnfalte für Ihre Mutter besonders charakte-
ristisch? — Ja, stark ausgeprägt. Sie zieht diese Falte besonders bei den
häufigen „ Kopfschmerzen " .
Nach diesen Zeugnissen kann es keinem Zweifel unterliegen, daß
die Aussagen der Frau Schnelle in unserem Fall auf die eigentliche
Schreiberin des Briefes, der ihr in die Hand gegeben wurde, nicht zu-
treffen, daß sie dagegen in einem ziemlich weiten Umfang mit der Cha-
rakterbeschaffenheit derjenigen Person übereinstimmen, die Dr. Baeum-
1 e r bei seiner Sitzung mit Frau Schnelle als Urheberin des Briefes
im Bewußtsein hatte '). Da nun aber manches, was Dr. Baeumler tat-
sächlich nicht wissen konnte, in der Schilderung der Frau Schnelle
auftaucht oder aufzutauchen scheint, so hätten wir nach der üblichen
Weise der Erklärung mit einem ungemein verwickelten Vorgang zu
rechnen. Es müßte aus dem Bewußtsein des anwesenden Experimentators
die Vorstellung der Mutter des „Dr. X." telepathisch in das Bewußtsein
der Frau Schnelle übergegangen sein, und es müßte nun von diesem
Ausgangspunkte aus eiltweder eine neue telepathische Verbindung zu
„Dr. X." oder zu seiner Mutter hin sich gebildet haben. Diese sehr weit-
gehende Vermutung läßt sich vielleicht durch einfachere Hypothesen er-
setzen; aber nur, wenn eine sehr viel breitere Experimentalunterlage ge-
wonnen ist, als sie in dem, Fall Schnelle vorliegt. Ich werde über
diesen Punkt in meinem Buche genauer zu sprechen haben und möchte
mich daher vorläufig darauf beschränken, den immerhin bemerkens-
werten Einzelfall an dieser Stelle mitzuteilen.
züge einer Psyche ins Land des Unterbewußten. Grasset bringt uns
einen Bericht von Jan et 1 ), der für die Anhänger des Glaubens an
Apporte lehrreich ist: „Vor zwei Jahren brachte man zu Professor
Raymond ein junges Mädchen, 26 Jahre alt, das angeblich von unan-
genehmen Halluzinationen gequält war. Die Kranke wurde von ihrer
Mutter und ihrer Tante begleitet, die beide dem Kleinbürgertum, auf
verhältnismäßig kultivierter Stufe, angehörten. Der verstorbene Vater des
Mädchens war Offizier gewesen, die Kranke war gut gekleidet, drückte
sich gewandt aus, und ihre Erscheinung und Bildung überstiegen das
übliche Maß. Das Mädchen konsultierte mich wegen Halluzinationen.
Nachdem ich den gegenwärtigen Zustand der Kranken festgestellt hatte,
drang ich in die Verwandten, mir zu erzählen, wodurch die merkwürdigen
Halluzinationen wachgerufen wurden. „Das junge Mädchen", sagte ich,
„muß einmal früher Anfälle gehabt haben, z. B. Nervenanfälle". Die beiden
Damen protestierten entrüstet, daß die Kranke jemals etwas ähnliches
gehabt habe. Ich fragte, ob sie nicht früher Gesichts-Halluzinationen
gehabt hätte. Irr diesem Augenblick wurden die beiden Damen verwirrt.
Die Tante sagte ja, die Mutter nein. Nach einem Streit erwiderte die
Mutter, „aber das ist eine ganz andere Geschichte, das geht den Arzt
nichts an." Das reizte meine Neugier und ich fragte nun die beiden Damen
und die Kranke getrennt und konnte mir eine ziemlich genaue Geschichte
zusammenstellen.
Das junge Mädchen war die Tochter eines Absinthtrinkers. Sie hatte
Halluzinationen gehabt, die ersten schon in der Kindheit. Mit 8 Jahren
sah sie Engel in schönen weißen Gewändern, die ihr selbst bei Tag er-
schienen. Bei Eintritt der Pubertät zwischen 10 und 12 Jahren wurde sie
viel von diesen Erscheinungen verfolgt, die immer religiösen Charakter
hatten. Gehörs-Halluzinationen vermischten sich damit. Die Engel gaben
ihr gute Ratschläge und lehrten sie den Katechismus. Sie vergnügte sich
damit, einen der Engel mit dem Namen der hl. Philomena zu taufen,
und die kleine Heilige, wie sie sie nannte, spielte nunmehr eine große
Rolle in ihrem Leben. Zwischen 12 und 17 Jahren hören die Halluzi-
nationen auf. Mit 17 Jahren bewegt eine unglückliche Liebe und der
Tod des Vaters sie heftig, und die Halluzinationen beginnen wieder. Bis
zum Alter von 26 Jahren haben sie nicht mehr aufgehört. Um diese Zeit
wird auch die Mutter, die inzwischen Witwe geworden war, geistergläubig.
Sie glaubt an die Halluzinationen ihrer Tochter und an das Dazwischen-
treten von Geistern und Engeln. Als ich mir einige Einwürfe erlaubte,
wurden die beiden Damen unangenehm und beteuerten mir, sie hätten
Beweise von der Wirklichkeit der hl. Philomena und der Engel. Das
wären Gegenstände, die die Heilige vom Himmel gebracht hatte. Nun
sah ich zu meinem Erstaunen, daß die Halluzinationen von Apporten-
erscheinungen begleitet waren.
Das junge Mädchen brachte mir, um mich zu überzeugen, eine
') Vgl. auch: Pierre Janet, L'kat mental des Hysteriques, Paris 1911, S. 499
bis 505; ferner: P. S aintyv es , La simulation du Merveilleux, Paris 1912, S. 215.
Zur Geschichte der Apporte. 11
Das ist der einfachste Fall. Verwickelter wird er, wenn es sich um
fremde Gegenstände im Zimmer der Kranken handelt. M. ist Somnambule,
sie bewegt sich schlafwandelnd, sucht einen kleinen blauen Stein und
verbirgt ihn in der Tasche. Sie legt selbst die Glasstückchen als Kreuz
auf den Tisch usw. Wenn sie erwacht, ist sie erstaunt über das Wunder
und ob nun Philomena in der Halluzination auftrat oder nicht — der-
selbe Glaube an sie festigt sich.
In der dritten Gruppe endlich tritt der Somnambulismus am Tage ein.
Die eingeschläferte Kranke ist selbst verwundert : „Aber es ist wahr,
ich selbst habe ja diese kleine silberne Brosche gesucht, ich selbst habe
sie in die Mitte des Zimmers getragen. Das ist stark. Ich nahm die Federn
von dem Tisch und habe sie auf die Treppe gelegt."
Ich (der Arzt), belebte ihre Erinnerung an eine merkwürdige Szene.
Sie sieht sich vor dem Familienessen, wie sie auf einen Tisch steigt, dort
noch ein Tischchen drauf stellt, um höher zu kommen und Federn mit
Zuckerwasser anklebt. Darauf ist sie heruntergestiegen, hat alles in Ord-
nung gefunden, ist in ihr Zimmer gegangen, um sich anzuziehen, ohne
eine Erinnerung an diesen schlechten Witz zu haben. AM die Federn in-
folge der Lampenwärme beim Essen herunterfallen, ist sie aufrichtig er-
staunt. —
„Aber," fragte sie jetzt, „wieso konnte ich dies alles tun?" Man
frägt sich, warum sie versucht hat, so die Leute zu täuschen. Die Er-
klärung ist sehr einfach: Es genügt, die Szene durch Suggestion vor un-
sern Augen zu wiederholen.
So hat sie den Stein in das Museum der Klinik gebracht, und hat
mit großer Überzeugung die Überraschung vorbereitet. Während sie dies
erklärt, sind ihre Züge würdig und lächelnd, sie wiederholt gute Rat-
schläge und Fragen aus dem Katechismus, mit einem Worte, sie hält
sich für die heilige Philomene." —
Apporte sind verdächtig und bedürfen zu ihrer Prüfung besonderer
Vorkenntnisse und höchster Aufmerksamkeit. Um die Apporte zu ver-
stehen, muß man die manuelle und die psychologische Technik des
Taschenspielers kennen. Der Trick ist einfach, die psychologische Irre-
führung des Zuschauers ist das eigentliche Meisterstück. Man muß, wie
der Fall von Jannet aufs neue zeigt, auch mit der psychischen Eigenart
des Mediums vertraut sein. Dann zeigt gerade dieses anrüchige Phäno-
men seinen Reichtum an Problemen und Erkenntnissen.
E. Darmstaedter. Die Alchemie. 13
Die Alchemie.
Von Dr. Ernst Darmstaedter, München.
Nach uralter Anschauung wachsen und reifen die Mineralien in der
Erde. Die Metalle verändern sich dabei, werden reiner und vollkommener
und werden schließlich zu Silber und Gold. Das Schaffen der Natur zu
ergründen und nachzuahmen, war immer das Streben der Menschheit,
und die künstliche Darstellung der Edelmetalle durch Veredelung der
„unvollkommenen" Metalle, Blei, Zinn, Eisen und Kupfer 1 ) mußte als
hohes Ziel gelten.
Nicht nur die auri sacra faules war also dabei die Triebfeder, sondern
in hohem Grade der Wunsch, tief verborgene Naturvorgänge aufzudecken.
Wie diese selbst mit dem Schleier des Geheimnisvollen und Göttlichen
verhüllt sind, so galt auch die Alchemie, die Wissenschaft der Metall-
umwandlung, deren Entstehung und Inhalt hier gezeigt werden soll, als
geheimnisvolle, große, heilige Kunst, die nur wenigen zugänglich war.
Wie bei allen menschlichen Dingen finden sich natürlich auch hier
verschiedene Auffassungen, Absichten und Ziele, von mehr oder weniger
primitiven Fälscherkünsten bis zu Äußerungen tiefen philosophischen
Denkens und religiös-mystischer Schwärmerei.
Die Grundidee der -wissenschaftlichen Alchemie war die Auffassung,
daß die Metalle keine einheitlichen, sondern zusammengesetzte Körper
seien, und es war deshalb durchaus logisch, ihre Veränderung und Um-
wandlung, z. B. durch künstliche Umstellung ihrer — angenommenen —
Bestandteile, für möglich zu halten, praktisch zu versuchen und damit die
Metallveredlung — die künstliche Herstellung des Silbers und Goldes —
erreichen zu wollen. Die Wiss'enschaft von heute steht solchen Gedanken
— wenn auch auf anderer Grundlage — näher, wie die vor einigen
Jahrzehnten, welche das „Element" als etwas in jedem Sinne durchaus
Feststehendes, Unangreifbares ansah und deshalb die „Umwandlung der
Elemente", also auch die der Metalle, für etwas ganz Unmögliches hielt.
Ein Verdienst hat man der Alchemie auch in der neueren Zeit
wohl immer zugebilligt: Entdeckungen und Erfindungen chemischer und
chemisch-technischei Art, die aus alchemistischen Versuchen mehr oder
weniger zufällig hervorgingen, mit Metallumwandlung u. dgl. nichts
zu tun hatten, aber für die Entwicklung der Wissenschaft und Technik
bedeutungsvoll waren. So etwa die Erfindung, oder besser, Neuerfindung
des Porzellans durch B ö tt ge r.
Wenn man in solchem Sinne die Alchemie als Vorläuferin der
modernen Chemie bezeichnet, so muß man doch berücksichtigen, daß schon
lange v o r der Alchemie und später neb en ihr, eine Chemie empirischer
Art bestand, bei der Metallumwandlungs-Gedanken keine, oder keine
') Das Quecksilber w urde von den Alchemisten meist nicht zu den eigentlichen
Metallen, sondern zu den „Spiritus", den flüchtigen Stoffen gerechnet — wegen seiner
Sublimierbarkeit.
14 E. Darmstaedter.
ehrung, ähnlich wie das Gold schon in sehr früher Zeit der Sonne, das
Silber dem Mond und die übrigen Metalle den Planeten entsprachen 1).
Die Bedeutung der Makrokosmus-Mikrokosmus-Idee in Babylonien ist
bekannt. Teile dieser babylonisch - assyrischen Aufzeichnungen, z. B.
das erwähnte Anrufen bestimmter Gottheiten, haben eine gewisse Ähn-
lichkeit mit Stellen bei spätgriechischen Alchemisten. Ob man sich in
Babylonien mit der Metallumwandlung theoretisch oder praktisch befaßt
hat, ist aber mindestens sehr zweifelhaft. Vielleicht hat man Metall-
Legierungen u. dgl. dargestellt, die man aber von echtem Gold und
Silber ohne Zweifel unterscheiden konnte. R. Eisler deutet die baby-
lonischen Fragmente ganz ausgesprochen in dem Sinne, daß sie zum Teile
alchemistische Angaben darstellen und spricht sogar von dem „Baby-
lonischen Ursprung der Alchemie" '), m. E. zu voreilig.
Es ist zur Zeit kaum möglich, scharf zu bestimmen, wann wirkliche
alchemistische Ideen zum ersten Male aufgetreten sind, d. h. Gedanken
über die tatsächliche Um w an dlun g der Metalle.
Der Stockholmer und der Leidener Papyrus, zwei Urkunden, die
mit anderen zusammen 1828 bei Theben in Ägypten gefunden wurden
und etwa aus dem dritten Jahrhundert nach Christus stammen, enthalten
Rezepte für Herstellung von Metall-Legierungen und -Färbungen, sowie
von „künstlichen" Edelsteinen, aber weniger eigentlich Alchemistisches.
Hier handelt es sich im allgemeinen uni Ersatzstoffe und um Fälschungen,
die von einigermaßen Einsichtigen wohl auch als solche anerkannt worden
sind, wenn auch Überschriften, wie etwa „Herstellung von Silber" viel
versprachen. Manche alte Methoden der Färberei wandte man, mehr
oder weniger verändert, auch beim Färben von Halbedelsteinen und
dgl. an und benutzte auch hei der oberflächlichen chemischen Bear-
beitung von Metallen wahrscheinlich Salze, die von der Färberei her
bekannt waren. Übrigens findet sich z. B. im Stockholmer Papyrus eine
ganze Reihe von Rezepten, auch für Purpurfärberei und sonstige rein
praktische Angaben.
Anschauungen, die man als alchemistisch bezeichnen kann, weil
bei ihnen die Idee der Metallumwandlung zum Ausdruck kommt und
weil der theoretische, philosophische und mystische Einschlag un -
verkennbar ist, finden sich bei den griechisch-alexandrinischen Alchemisten,
deren Schriften, wenn auch in späteren Überarbeitungen, zum Teile er-
halten sind, z. B. in einer Handschrift der S. Markus-Bibliothek zu Venedig.
Ich nenne nur die Schriften des (Pseudo-). Demokritos, des Zosimos aus
Panopolis, der etwa um 300 nach Chr. lebte, des Pelagios und des
Heliodoros vom 3.-5. Jahrhundert.
') Über Planeten und Metalle, sowie entsprechende Farben, vgl. v. Lippmann,
Alchemie S. 211 ff.
2) Chemiker-Zeitung 1925, Nr. 83 und 86. Diese Fragen werden demnächst von Prof.
Zimmern, Leipzig und dem Verfasser dieses Aufsatzes i. d. Zeitschr. f. Assyrologie
behandelt.
16 E. Darmstaedter.
Das Märchen vom gold-, silber-, kupfer- und eisenhaltigen Menschen, wird, m. E. von
Eisler a. a. 0. überschätzt. Es ist dort ganz deutlich von sozialen Schichtungen und
Klassen, Berufsarten die Rede Immerhin konnte die Stelle schon in alter Zeit viel-
leicht in alchemistischem Sinne gedeutet werden, und man kann sich vielleicht auch
vorstellen, daß Platons Erzählung uralte Metallumwandlungsideen zugrunde liegen,
vielleicht unbewußt. Sicher ist dies aber nicht. Verwandtes hei .Z o s im o s.
Die Alchemie. 17
und durch ihre Verbindung mit den oben erwähnten, praktisch chemischen
Erfahrungen und Kenntnissen, die sich auf die Gewinnung und Ver-
arbeitung von Metallen, die Darstellung von Legierungen und Färbungen
bezogen, konnten sich in den ersten Jahrhunderten nach Christus An-
sichten und Lehren über Metallumwandlung und -veredelung entwickeln,
die man als Alchemie bezeichnen kann 1). Man nimmt an, daß sie in
Ägypten, in den Kreisen ägyptisch - hellenistischer Priester entstanden
sind und, zuerst in den Tempeln und später in geheimen Zirkeln, bis
zur Zeit der arabischen Eroberung, praktisch angewandt wurden. Aus
dem alten Ägypten ist bisher nichts bekannt, was sich auf Alchemie,
also auf Metallumwandlung , u. dgl. bezieht. Ob solche Ideen dort nie
bestanden haben, oder ob wir nur noch keine Kenntnis von entsprechenden
Urkunden haben, sei dahingestellt. Vielleicht bringen künftige Funde
Aufklärung darüber.
Die griechischen Alchemisten neigen dazu, ihr Wissen als uralt
hinzustellen und auf das alte Ägypten zurückzuführen. Solche Ansichten
finden sich z. B. in den Schriften des schon erwähnten Zosimo s, der etwa
um 300 nach Christus lebte und in der übrigen griechisch-alexandrinischen
Literatur, die zum Teil von M. B er thel ot herausgegeben wurde 2).
Schon vorher hatte sich Herrmann Kopp, der ausgezeichnete Historiker
der Chemie, mit den griechischen Alchemisten beschäftigt.
Nach Z os in es beruht, wie erwähnt, die Alchemie, das heilige Werk
der Metallumwandlung, auf uralten ägyptischen Kenntnissen und Künsten,
die von den Priestern behütet und geheimgehalten wurden. Von den
Jüngern der Metallumwandlungskunst wird Frömmigkeit und Reinheit,
Fähigkeit zu seelischer Versenkung und Uneigennützigkeit verlangt.
Die Metallumwandlung erfolgt nach Zosimos und anderen griechi-
schen Alchemisten in der Weise, daß die Metalle z.B. durch die „Taricheia",
das Behandeln mit Salzen, zunächst in „Das Schwarze", die Materia
prima zurückgeführt werden, von der aus der Aufbau des neuen, edleren
Metalles gelingt. Man erkennt hier deutlich die oben erwähnten Pla-
tonischen und Aristotelischen Ansichten über die Urmaterie. — Aus dem
„Schwarzen" entsteht durch richtige „Färbung", Weiß- und Gelb-
färbung, Silber und Gold. Die „Qualitäten" dieser Edelmetalle werden
auf das „Schwarze" die Urmaterie übertragen, und der Träger dieser
Qualitäten ist der „Stein der Philosophen" — der „Stein der Weisen".
Es scheint sicher zu sein, daß die Priester, in der hellenistischen Zeit,
in den Tempeln Manipulationen chemischer oder alchemistischer Art aus-
führten und sie als etwas Heiliges ansahen. Aber es ist noch keineswegs
klar, was eigentlich dabei geschah.
') Als beste Erklärung für die Herkunft des Namens Chemie kann wohl die
Ableitung von dem ägyptischen „chemie" = das Schwarze, gelten. Chemeis, Chemie
wäre dann die Beschäftigung mit dem „Schwarzen", vielleicht dem oben erwähnten
schwarzen Präparat, der Urmaterie. Das Wort Alchemie ist durch die Verwendung
des arabischen Artikels al entstanden. Vgl. Hof f mann und Laden bur g., Hand-
wörterbuch der Chemie, Bd. 2 und v. Lippmann „Alchemie".
Collections des Anciens Alchimistes Grecs .. par M. Berthelot Paris 1888.
3 Bde.
Zeitschrift für Okkultismus I. 2
18 E. Darmstaedter.
Daß die Priester sich damit begnügt haben sollen, einige Legierungeu
und Metallfärbungen herzustellen, wie dies als Ziel und Resultat de,
griechischen Alchemie wohl meist angenommen wird, kann man siel
doch kaum vorstellen. Welchen Zweck könnte dies gehabt haben und wat_
sollte mit diesen ziemlich wertlosen Produkten geschehen sein? Man hal
auch kein Recht, die Produzenten und Konsumenten für so einfältig
zu halten, daß sie Fälschungen von echten Edelmetallen nicht unter
scheiden konnten.
Man kann sich vorstellen, daß chemische und alchemistische Vor-
stellungen und Manipulationen mit religiösen Gedanken in Verbindung
gebracht werden konnten, daß z. B. die „Zurückführung der Metalle in
das Schwarze" — die Urmaterie, und die Entstehung der Edelmetalle
daraus, mit Tod und Auferstehung verglichen wurden, zunächst im Zu-
sammenhange mit dem Osiriskult und später in christlichem Sinne; man
kann sich aber m. E. nicht vorstellen, daß die Herstellung einiger
Legierungen und Färbungen klugen und gebildeten Menschen, wie den
ägyptischen Priestern, als Symbol und heilige Handlung genügt haben
soll. Hier ist noch vieles aufzuklären.
Der erwähnte „Stein" wirkt ähnlich wie Hefe. Eine kleine Menge
verwandelt große Mengen Metall in Silber und Gold. Auch Teilchen von
Silber und Gold wirken als „Goldsamen" und bewirken die Bildung von
neuem Edelmetall. Die Metallveredlung ist eine Art von Vereinigung von
Männlichem und Weiblichem — dem Edelmetallsamen und dem zu ver-
edelnden Metall. Es findet sich auch die Anschauung, daß hierbei ein
Embryo entsteht, der eine gewisse Entwicklungszeit braucht, die Monate
dauert, aber künstlich verringert werden kann. Das Produkt ist Silber
und Gold. Es kommen bei solchen Vorstellungen, die hier nur angedeutet
werden können, Gedanken zum Ausdrucke, die in Wort und Bild — in
ähnlicher Weise sich im Mittelalter und später zeigen, und vielleicht
auch in der Homunkulus-Idee (Goethe, Faust) nachklingen.
Bei der Umwandlung und Veredelung wirken die Pneumata, die
Geister, d. h. flüchtige Stoffe, auf die Somata, die Körpermetalle ein und
vereinigen sich mit ihnen zu einem durchgeistigten Körper. Das ist, wie
alle diese Dinge, eine Verbindung von ursprünglich rein philosophischen
Vorstellungen (Pneumalehre der Stoiker), mit praktisch-chemischen bzw.
alchemistischen Dingen. Die Pneumata-Spiritus sind flüchtige, subli-
mierende Stoffe, wie Arsenik, Schwefel und auch Quecksilber.
Das Quecksilber hat durch seine merkwürdigen Eigenschaften, seinen
flüssigen Zustand und seine Sublimierbarkeit, bei gleichzeitigem metal-
lischem Charakter, immer das besondere Interesse der Alchemisten her-
vorgerufen. Sehr früh schon wurde es als Grundsubstanz aller Körper,
besonders der Metalle, betrachtet; aber auch andere, flüchtige Substanzen
wurden als Quecksilber, Merkur, bezeichnet. Schließlich war die Be-
zeichnung: Quecksilber, Merkur usw. zu einem Symbol geworden, unter
dem man weniger das alltägliche, gewöhnliche Quecksilber verstand, als
Die Alchemie. 19
anderes. Er ist übrigens aus dem arabischen Worte Zawuk (mit dem
Artikel al) Quecksilber, entstanden.
Nach G- eher werden die unedlen Metalle, z. B. Blei, Zinn, „präpa-
riert", d. h. es werden gewisse Salze hergestellt. Andererseits wird
das Gold „präpariert" und der erwähnte „Merkur" aus ihm gewonnen.
Durch die Vereinigung dieser Präparate entsteht dann erst die „Medizin"
— durch deren Wirkung die eigentliche Veredlung vor sich geht. Wenn
man den „Merkur" aus dem Golde gewinnen, isolieren will, muß man
das Gold in seine Bestandteile zerlegen. Die Alchemie behauptet das zu
können, im Gegensatz zur modernen Chemie. Es geschieht z. B. durch
die „Putrefactio" — die „Fäulnis" des Goldes.
Soviel über die Anschauungen und den Sinn der Alchemie. Die hier
angedeuteten Theorien sind im Verlaufe vieler Jahrhunderte im Prinzip
etwa die gleichen geblieben, erscheinen aber in der älteren Literatur
klarer und ursprünglicher, als etwa in der letzten Zeit der Alchemie,
z. B. im 17. und 18. Jahrhundert, wo allzuviel mißverstanden und ver-
wirrt wurde.
Auf die Geschichte dieser merkwürdigen Wissenschaft, die für viele
bedeutende Männer etwas Sicheres, Feststehendes war, auf ihre Stellung
bei den Arabern und ihre Ausbreitung in Europa, kann hier ebensowenig
eingegangen werden, wie auf die praktischen Methoden der Alchemisten,
und es muß auf die alte Literatur und auf die modernen Handbücher
usw. verwiesen werden 1).
Das Studium der alchemistischen Literatur, besonders der Älteren
bietet schon durch die eigenartige Verbindung chemischer, naturphilo-
sophischer und zum Teil mystischer, religiöser Gedanken — von Späteren
seien die Rosenkreuzer erwähnt — außerordentlich viel Wichtiges. Das
Gebiet der Alchemie ist nah rätselhaft genug und enthält' noch viele
unklare Dinge, die den Forscher dazu führen müssen, sich nicht nur mit
historischen Zusammenhängen, Schulen und Persönlichkeiten zu beschäf-
tigen, sondern mehr als bisher das eigentliche Wesen und die Leistungen
der Alchemie zu ergründen.
solch unerbittlicher Sachlichkeit wie das, was sich nicht einfügt; ja bei
letzterem wird er häufig nicht rein sachlich prüfen, sondern im Gegenteil,
nach der andern Seite zu weit gehen und statt mit sachlichem Ur teil
mit Vorurteil die Angelegenheit entscheiden, indem er nicht, wie es
die Sache eigentlich erfordern würde, die für eine Sache sprechenden
Gründe auf die eine Wagschale tut und die dagegensprechenden auf die
andere und beide je nach ihrer Gewichtigkeit wertet; einige dagegen-
sprechende Argumente fallen allzu leicht überhaupt unter den Tisch und
die anderen werden nicht in ihrem vollem Gewicht berechnet, sondern
leichter genommen als sie es verdienen würden').
Bis zu einem gewissen Grade ist das eine allgemein menschliche
Eigenschaft, und sie ist auch verständlich, ja, bis zu einem gewissen
Grade vielleicht berechtigt. Denn wenn man von einer Sache eine be-
stimmte Meinung hat, so wird man von vornherein die dagegen sprechenden
Gründe nicht so stark werten, als die dafür sprechenden, da man sich
schon eine feste Meinung gebildet hatte. Zu verlangen ist nur, daß man
trotzdem sich vorurteilslos mit der Sache beschäftigt und nun nicht
wirklich seine Meinung von vornherein für fest und unerschütterlich hält.
Aber abgesehen von dieser sozusagen logischen Wertung sprechen bei
dieser Wertung meist noch andere unsachliche und gefühlsmäßige Gründe
mit. Das ist schon bei gleichgültigen Themen der Fall, indem der Forscher,
falls er sich innerlich oder gar vor der Öffentlichkeit festgelegt hat, sich
nur schwer dazu entschließen kann, seine liebgewordenen Ansichten
aufzugeben, falls er nicht gar unbedingt Recht behalten will.
Noch schwerer ist natürlich eine völlig objektive Haltung des Forschers.
wenn irgendwelche anderen Affekte, Gemütsmomente wie weltanschauliche
Momente eine Rolle spielen.
Hätte ausschließlich die evissenschaftliche Objektivität das Wort
gehabt, so wäre z. B. vor 65 Jahren die Anerkennung der Darwinschen
Selektionstheorie nicht so schnell erfolgt, wie es der Fall war. Sie paßte
aber in das mechanistische Weltbild, ja, sie war der Schlußstein in dem
Gebäude des Mechanismus, indem nun auch die Zweckmäßigkeit der
organischen Welt, die bisher immer der mechanistischen Erklärung ge-
trotzt hatte und irgendwie einen psychischen Faktor zu fordern schien,
auf rein mechanischem Wege erklärbar schien. In dieser affektiv betonten
Einstellung zugunsten einer mechanistischen Anschauung übersah man
die dagegen sprechenden Momente, oder wertete sie jedenfalls zu niedrig,
und es bedurfte einer Arbeit von Jahrzehnten, um das damals Versäumte
nachzuholen. Denn es ist nicht so, wie man wohl manchmal sagt, daß
man auf Grund des damaligen Wissens zu diesen Schlüssen kommen
.
mußte, und erst auf Grund der späteren Forschungen die Unhaltbarkeit
der Selektionstheorie einsehen konnte; Leute wie Karl Ernst von Baer,
der Botaniker Wigand und besonders der Philosoph Eduard von
1 ) Über diese nicht objektive Einstellung des Menschen hat vor einigen Jahren
der Züricher Psychiater BI euler ein lesenswertes Buch geschrieben: „Das autistisch-
undisziplinierte Denken in der Medizin". Berlin 1919.
26 R. Tischner.
Hartmann zeigten schon in den 60er und 70er Jahren das Unhaltbare
der Selektionstheorie, aber sie drangen nicht durch, da ihre Argumente
bei all ihrer Richtigkeit wegen der affektiven Einstellung der Gegner
nicht anerkannt wurden. Dieses Beispiel diene als Vorbild für das, was
wir in verstärktem Grade jetzt beim Okkultismus erleben. Denn kaum
eine Frage der Wissenschaft ist mit solchen unsachlichen, affektiven
Momenten belastet, die ich jedoch nur kurz andeuten kann, ohne auf
die weltanschauliche Bedeutung der Metapsychik hier näher eingehen zu
können. Auf der einen Seite stehen die Vertreter der positivistischen,
mechanistischen Wissenschaft, die fürchten, daß die Metapsychik ihre
liebgewordenen Ansichten ihnen rauben und sie in die Gefilde der
„Mystik" und des Irrationalismus führen könne, deshalb tritt man der
Metapsychik mit mehr oder weniger unverhohlenem Mißtrauen entgegen
und stellt Beweisforderungen, die man auf andern Gebieten nicht erhebt.
Auf der andern Seite stehen diejenigen, die auf dem Okkultismus eine
mystische Weltanschauung aufbauen, ohne geprüft zu haben, ob er denn
nun wirklich eine tragfähige Grundlage dafür abgeben kann. Beide also
reagieren affektiv auf die im Okkultismus angeblich ver'borgene Mystik.
Mir scheint das nun von beiden Seiten voreilig zu sein, ich glaube früher
(Psych. Studien, 1924, Nr. 1 und 2) gezeigt zu haben, daß vorerst kein
Anlaß zu der Annahme vorliegt, daß der Okkultismus im Prinzip
„mystisch" oder irrational ist, mag auch zur Zeit vieles in ihm für unser
heutiges Wissen nicht recht erklärlich sein. Es liegt meiner Ansicht kein
Anlaß zu der Meinung vor, daß der Okkultismus wesentlich irrationaler
sei, als sonstige Wissenschaften, in denen ja, was man häufig übersieht,
gleichfalls starke nichtrationale Elemente vorhanden sind.
Die Gegner des Okkultismus werfen nun vielfach den Anhängern des
Okkultismus vor, sie hätten eben den Glauben an die okkulten Phäno-
mene und deshalb sei mit ihnen schwer über diese Erscheinungen zu
diskutieren, da man sich diesen Glauben nicht rauben lassen wolle. Da-
gegen ist nun manches zu sagen. Gewiß ist zugegeben, daß viele An-
hänger des Okkultismus stark affektiv eingestellt sind, zumal soweit sie
darin einen Beweis für das Fortleben nach dem Tode erblicken. Aber
von den Forschern gilt das keineswegs in diesem Ausmaße, ja in Deutsch-
land ist keiner der angesehenen Forscher Spiritist, man treibt vielmehr
diese Untersuchungen ebenso sachlich wie auf jedem andern Gebiete. Wir
werden hier nicht mehr affektives Denken voraussetzen dürfen, als man
auch sonst — wie oben dargelegt — auf andern Gebieten findet, indem
man das zu den sonstigen Ansichten Stimmende leichter annimmt als das,
was ihnen widerstreitet und jeder nur ungern seine früher geäußerten
Ansichten widerruft. Aber man darf weiter gehen und den Spieß um-
drehen, indem man behauptet, daß sogar bei den Gegnern ein höheres
Maß von affektivem Denken vorhanden ist als bei den Anhängern. Denn
bei diesen finden wir eine Anzahl Gelehrter, die sich zum Okkultismus
bekannt haben, nicht weil er zu ihren Ansichten paßte, sondern ob-
wohl er ihnen wi de rsp r a c h. Diese negativ affektive Einstellung fehlt
Zur Methodologie des Okkultismus. 27
aus begreiflichen Gründen bei den Gegnern, so daß bei diesen also ein
Plus an positiv affektiver Einstellung gegen die Metaphysik besteht.
Wir sehen also, daß abgesehen davon, daß es überhaupt methodisch
falsch ist, schon bei der Tatsachenfrage die theoretischen Erklärungs-
möglichkeiten mit hineinspielen zu lassen, es zur Zeit zum mindesten ver-
früht ist, das Gebiet deshalb abzulehnen, weil es angeblich irrational oder
„mystisch" ist. Weiter sahen wir, daß affektives Denken bei den For-
schern, die für die Realität der Erscheinungen eintreten, zum mindesten
keine größere Rolle spielt als bei den Gegnern, eher das Gegenteil.
Nach Klärung dieser Vorfragen sei nun auf die Methodologie näher
eingegangen. Ein Blick in die Literatur zeigt, daß hier in der Be-
urteilung von Versuchen die größten Unterschiede bestehen. Der eine hält
Versuche für beweisend, bei denen der andere starke Fehler findet und
dabei kann man nicht von vornherein dem einen „Gläubigkeit" und
mangelnde Intelligenz vorwerfen und den andern nicht ohne weiteres des
bösen Willen bezichtigen. Es erhebt sich also die Frage, was für An-
sprüche muß man an Versuche stellen, um sie als beweisend anerkennen
zu können, wo ist der Zweifel berechtigt und wo schießt die Zweifelsucht
über das Ziel hinaus ?
Die Methodologie des Beweisverfahrens ist je nach den Wissenschaften
verschieden., Gewisse Tatsachen der Mathematik und Logik sind apriorisch,
sie sind einem Beweise gar nicht zugänglich und bedürfen dessen auch
nicht, weil sie in der Struktur des Geistes selbst begründet sind. Von
diesen apriorischen Sätzen anfangend geht die Mathematik vielfach rein
deduktiv vor. Es ist von vornherein klar, daß in der modernen Meta-
psychik diese Methode nicht am Platze ist, indem man etwa aus dem Be-
griff eines Geistes deduziert, was er für Eigenschaften hat und was er
infolgedessen leisten kann. Diese Methodik müssen wir den gläubigen
Spiritisten überlassen. Für uns handelt es sich darum, auf Grund von
Erfahrungen unserer Sinne induktiv die Tatsachen festzustellen. Nun
gibt es verschiedene Arten von Wissenschaften, die sich auch durch ihre
Methodik vielfach unterscheiden. Es fragt sich also, wohin gehört die
Metapsychik?
Bevor wir aber auf diese Frage eingehenL können, muß ich zuerst
allgemein über die Einteilung der Wissenschaften sprechen, erst auf Grund
dieser allgemeinen Darlegungen wird klar werden, was die Metapsychik
ist, und was man von ihr in methodologischer Hinsicht zu halten hat.
Besonders die beiden Heidelberger Philosophen Wind elb and und
Rickert haben eindringende Arbeit auf diesem Gebiete geleistet. Windel-
band kam auf Grund seiner Untersuchungen dazu, zwei Arten der Wissen-
schaft zu unterscheiden, die er „nomothetische" und „idiographische"
nannte. Der erste Name drückt aus, daß wir es hier mit Wissenschaften
zu tun haben, die ihre Hauptaufgabe darin sehen, Gesetze aufzustellen,
man kann sie also auch „generalisierende" nennen ; es ist im wesentlichen
die Naturwissenschaft, die so eingestellt ist. Das einzelne Ereignis —
z. B. der Fall eines Steines — interessiert sie als solches gar nicht,
28 R. Tischner.
sondern nur insofern, als dies Ereignis sich unter ein Gesetz einordnen
läßt. Die idiographischen Wissenschaften haben es dagegen mit den
Einzelgeschehnissen zu tun, man kann sie also auch als „individuali-
sierende" bezeichnen. Diese individualisierende Einstellung finden wir
besonders ausgeprägt in den Geschichtswissenschaften. Hier interessiert
das einzelne Ereignis, soweit es irgendwie von Bedeutung ist. So er-
forscht die Geschichte z. B. die einzelnen Handlungen von Wallenstein,
handle es sich um eine Schlacht oder um diplomatische Verhandlungen
mit dem Kaiser oder den Schweden.
Aber diese Zweiteilung in die kausalforschende und Gesetze suchende
Naturwissenschaft und die den Einzelfall untersuchende und beschreibende
Geschichtswissenschaft ist doch recht schematisch und greift nicht durch.
Denn auch in den Naturwissenschaften hat man es nicht selten mit der
Erforschung von Einzeltatsachen zu tun, wie z. B. bei der Mondforschung,
andererseits sind aber auch in den sog. Geisteswissenschaften starke nomo-
thetische Bestandteile nachzuweisen, indem der Philologe etwa Sprach-
gesetze aufstellt, und auch in der Geschichte kann ich versuchen, Ge-
setze aufzustellen und Gemeinsamkeiten zu finden, so kann ich z. B. an
Wallenstein nicht die Einzelhandlung zum Ziele meines Forschens machen,
sondern ich kann Wallenstein als einen Typus, also als Vertreter eines
Allgemeinen ansehen und kann etwa das Gemeinsame und die Unterschiede
zwischen ihm und den italienischen Condottieri untersuchen.
Da diese Unterscheidung in Natur- und Geschichtswissenschaften
nicht durchgreifend ist, sich vielmehr beide Methoden in beiden Wissen-
schaftsarten anwenden lassen, so kommt man zu dem Ergebnis, daß es
sich nicht um zwei scharf unterschiedene Wissenschaftsarten handelt,
sondern um zwei verschiedene Einstellungen, die auf die meisten
Gegenstände anwendbar sind, vielfach wird je nach Art des in Rede
stehenden Gegenstandes bald die eine, bald die andere Methode zweck-
mäßiger und ergiebiger sein, bald werden auch beide mehr oder weniger
gemischt zur Anwendung kommen können oder müssen. Die nomotheti-
sehe Methode spielt aus innern Gründen in den Naturwissenschaften die
überwiegende Rolle, während in den Geschichtswissenschaften die idio-
graphische ein großes Anwendungsbereich hat.
Man hat diese methodologischen Untersuchungen noch weitergeführt,
ich kann aber in diesem Zusammenhange darauf naturgemäß nicht ein-
gehen; da wir jedoch gelegentlich auch andere Namen gebrauchen werden,
sei hier wenigstens gesagt, daß man die Wissenschaften von etwas andern
Gesichtspunkten aus auch in Real- und Geisteswissenschaften oder auch
Natur- und Kulturwissenschaften eingeteilt hat, die sich nicht mit den
nomothetischen und idiographischen decken ; in allen diesen Einteilungen
haben wir aber den Versuch, einen zweifellos vorhandenen Unterschied zu
fixieren. (Vgl. E. B eche r, Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften,
München-Leipzig 1921.)
Wenn wir nun auf die Psychologie im allgemeinen und die Meta-
psychik im besonderen übergehen, so haben wir es in der Psychologie
Zur Methodologie des Okkultismus. 29
an sich mit einer Geisteswissenschaft zu tun, aber man würde sich täuschen,
wenn man von vornherein annehmen würde, auch die Methodik sei die
geisteswissenschaftliche. Wie erinnerlich, tobte vor einigen Jahren ein
wissenschaftlicher Streit darüber, ob man die Psychologie zu den Natur-
oder den Geisteswissenschaften rechnen müsse. Schon die Tatsache, daß
darüber ein Streit entstehen konnte, zeigte, daß die Sachlage nicht ganz
einfach ist, und wir können hier auch nicht näher darauf eingehen, es
genüge uns die Feststellung, daß zahlreiche Forscher die Psychologie als
eine Geisteswissenschaft ansehen, was bei einer Wissenschaft vom Geiste
eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, aber der Tatbestand
wurde dadurch verdunkelt, daß die Psychologie zweifellos einen stark
naturwissenschaftlichen Einschlag in bezug auf ihre Forschungs m eth o dik
hat, der besonders in der Psychophysiologie hervortritt.
Was die Metapsychik im besonderen angeht, so liegen die Verhält-
nisse hier wieder etwas anders. Wenn wir rein die wahrnehmbaren
Phänomene betrachten, so haben wir es vielfach mit anscheinend rein
physischen Geschehnissen zu tun, wie irgend einem physikalischen Er-
eignis, indem sich telekinetisch ein Gegenstand bewegt oder dgl. Aber
es ist wohl keine willkürliche Deutung, sondern ein durch alles, was wir
von diesen Dingen wissen, aufgedrängter Schluß, daß alle diese Erschei-
nungen durch die Psyche des Mediums hervorgebracht werden, wenn auch
direkt davon meist keine Kunde zu erhalten ist, da diese psychische
Verursachung im Unterbewußtsein verläuft und uns das Medium im Ober-
bewußtsein keine Auskunft darüber geben kann. Wir haben es also wie
in der Psychologie und andern Wissenschaften mit einer Geisteswissen-
schaft zu tun, indem es sich nicht — wie etwa in der Physik — um
rein materielle, physische, sondern um psychisch bedingte Vorgänge handelt,
-
diese Bewegung auf ungewöhnlichem Wege erzeugt worden ist, indem etwa
eine Violine sich vom Tische hebt, ohne daß anscheinend sich eine nor-
male Ursache nachweisen läßt. Es gilt also bei diesen paraphysischen
Ereignissen, die besonderen physikalischen und in letzter Linie psychischen
Bedingungen zu untersuchen.
Wir werden also erwarten können, in der Metapsychik eine Mischung
30 R. Tischner.
es nicht sehen, daß es methodisch falsch ist, einen guten Versuch durch
die Widerlegung eines schwachen Versuches entwerten zu wollen, falls
nicht alle Einwände, die gegen den schlechten Versuch sprechen, auch
gegen den besseren geltend gemacht werden können und nichts anderes
für ihn spricht.
In der 1VIetapsychik finden nun die Versuche aus mehreren Gründen
meist nicht unter den gleichen unveränderlichen Bedingungen statt, so daß
es also nötig ist, jeden einzelnen Versuch daraufhin zu untersuchen,
welche schwachen Seiten er darbietet. Das wird nun schon aus Raum-
gründen selten in der gebotenen Ausführlichkeit möglich sein. Infolge-
dessen ist es um so nötiger nicht die schwächsten Versuche zur
bequemen Zielscheibe seiner Kritik zu machen, sondern sich an den
Versuchen die Zähne auszubeißen, die solcher billigen Kritik keine Hand-
habe bieten. Erst an ihnen kann sich zeigen, ob die Schlußfolgerungen,
zu denen der Forscher auf Grund seiner Versuche kommt, richtig sind,
oder ob nicht auch bei diesen besten Versuchen Versuchsfehler unter-
gelaufen sind, oder die Erörterung gewisse Punkte, wie etwa den Zufall,
nicht genügend beiücksichtigt.
Man muß demnach verlangen, daß der Kritiker der Metapsychik
wie der Historiker Quellenkritik treibt, vorerst also auf Grund des ganzen
Materials zu einem Urteil über die Zuverlässigkeit und Urteilsfähigkeit
des Autors kommt, wobei die gesamte Tätigkeit des Autors in Rück-
sicht zu ziehen ist. Falls der Autor also sonst im allgemeinen Vorsicht
und Kritikfähigkeit zeigt, darf der Kritiker nicht aus ihm einen Ab-
schaum von Leichtsinn und Urteilslosigkeit machen. Immer hat der
Kritiker darauf zu sehen, ob sein Einwand auch alle Versuche trifft
oder ob bei gewissen Versuchen der betreffende Einwand durch die Ver-
suchsanordnung von vornherein ausgeschlossen ist. Nur auf diese Weise
ist die in der Wissenschaft übliche Methodik durchführbar, daß man
objektiv alle Versuche berücksichtigt.
Nun ist gewiß das Ideal absoluter Vorurteilslosigkeit und Objekti-
vität nicht erreichbar, aber man sollte wenigstens das Streben nach
diesem Ideal finden, und da muß man allerdings sagen, daß es daran
vielfach fehlt. Und ich glaube sogar, ohne die Objektivität zu verletzen,
sagen zu dürfen, daß man in den besseren für den Okkultismus sprechen-
den Schriften mehr Objektivität findet als in den entsprechenden geg-
nerischen, indem in ersteren die positiven Instanzen, die fü r die Echtheit
sprechenden Gründe gegen die dage gp n sprechenden wie Betrug, Zu-
fall usw. abgewogen werden. Und wenn auch ein ideales über den Par-
teien schwebendes Urteil zu dem Ergebnis kommen sollte, daß die Ge-
wichte nicht ganz richtig verteilt sind und das Gewicht der Gründe
nicht richtig gewertet ist, so ist doch meist die Methode wenigstens im
Prinzip richtig. Wenn wir dagegen die Schriften der Gegner darauf an-
sehen, so finden wir meist ganz einseitig das herausgehoben, was gegen
die Echtheit spricht. Vielfach stehen die Ausführungen in Verkennung
36 R. Tischner.
Ereignissen meist der Fall zu sein pflegt. 3. Falls aber das Ereignis auf-
regender Natur ist, etwa ein Streit mit Totschlag, dann wird durch den
Affekt sowohl bei den unbeteiligten Zeugen des Vorgangs als auch be-
sonders bei den direkt Beteiligten eine stark subjektive Färbung fast
unvermeidlich sein. 4. Nur selten handelt es sich um Zeugen, die im
ruhigen Beobachten geübt sind. 5. Hat der Zeuge nach der einen oder
anderen Richtung meist ein Interesse daran, seinen Bericht subjektiv zu
färben, was er unwillkürlich oder auch absichtlich tut. 6. Wird selten
sofort nach dem Ereignis oder kurz nachher ein schriftlicher Bericht nieder-
gelegt, der den bewußten Zweck hat, das Ereignis möglichst objektiv zu
schildern. Der Zeuge wird vielmehr meist erst später über das Ereignis
vernommen ; entweder ist es dann, weil es an sich gleichgültig und nicht
affektbetont war, mehr oder weniger vergessen und wird mit starken
Lücken oder Erinnerungsanpassungen und -fälschungen berichtet, oder
falls es affektbetont war, wird es durch häufiges der Vernehmung vor-
hergehendes Erzählen — oder auch ohne das — nach einer bestimmten
Richtung gesteigert und entstellt.
Man sieht also, die ältesten Ladenhüter im Inventar der Kritik sind
bei genauerer Analyse nicht viel wert, auch hier zeigt sorgfältige Unter-
suchung, deren ausführliche Erörterung ich mir vorbehalte, daß mit all-
gemeinen Analogien nichts gesagt ist. Erst ausführliche Einzelunter-
suchung kann jeweils zeigen, was TOM Werte eines Arguments zu
-
halten ist.
(Schluß folgt in Heft .2.)
Faßt man diesen dualen Gegensatz ins Auge, so kann nichts auf-
fallender sein als der Umstand, daß die Lohen von positivem •und nega-
tivem Werte sich einander nicht anziehen, nicht abstoßen und nicht neu-
tralisieren; also nicht ineinander aufgehen, sondern selbstständigen Fort-
bestand nebeneinander, sogar in- und durcheinander behaupten. Wenn
ungleichnamige Kristallpole einander entgegengeführt werden, so sehen
wir ihre Lohen, sobald sie einander berühren, sich einander zur Verdickung
nötigen zu Ellipsoiden gegenseitiger Pressung sich eher umstülpen und
sich auftürmen als neutralisieren und vernichten.
Aus dem Vorgetragenen können wir als Ergebnis buchen, daß, nach
von Reichenb ach, die leuchtende Lohe das Gebiet ihrer mechanischen
Wirkung illustriert. Nehmen wir beispielsweise zwei Bergkristalle von
gleicher Größe, welche wir in den Meridian des Ortes hintereinander
legen, so werden in ihrem Zwischenraume die Lohen, das jeweilige Kraft-
feld des betreffenden Poles darstellend, gegeneinander abgeplattet er-
scheinen 8), an den freien Enden dagegen pilzförmig sich erheben.
Beim Umkehren der Kristalle (Drehung derselben um 180 0 ) wird
nunmehr die Basis rot und die Spitze blau leuchten. Wenn wir Ferdinand
') „Die odische Lohe" von v. Reichenbach, 8.56.
2 ) „Die odische Lohe" von v. Reichenbach, S. 36 ff. unter der -Überschrift
Neutralisation.
2 ) Wir wollen auf die spezifische Form der Kraftfelder nicht eingehen und be-
Meridian, > N
Abb. 1.
Abb. 2 a.
Elektromagnetische Abwurfvorrientung. Durch
Abb. 2. Stromschluß wird in deo Eisenkörpern E Ma-
gnetismus erregt und dadurch der Anker A
Auf der Glasglocke G der Hals, in angezogen, der in Scharnieren beweglich. An A
welchem die Aufhängevorrichtung A sind zwei Stifte befestigt, zwischen welchen
zentral befestigt ist. Das Thermometer ein Stückchen Seide eingespannt ist. Dieses
dient zur Kontrolle der Temperatur. trägt den Pendelkörper. Beim Offnen des Strom-
Der Pendelkris( all E wird mittels der kreises fällt der Anker, die Seidenfangfläche
elektromagnetischen Abwurfvorrichtung kommt in geneigte Lage und gibt den Pendel-
ins Schwingen geb' acht und mittels des körper frei (Wenn A in Abb. 2 richtig einge-
Mikroskops Mi beobachtet. Ti Tisch- stellt, kommt eine absolut stoßfreie Pendelung
fläche aus Glas. zustande.)
Strom geschlossen und der Anker angezogen, hat das Seidenstück eine
schwach ansteigende Lage. Sobald der Strom geöffnet, fällt der Anker
und damit kommt der Stoff in eine geneigte Lage und gibt den auf ihm
ruhenden Pendelkörper frei. Derselbe kommt dann stets in ein stoßfreies
Schwingen, wenn vorher zwei bis drei blinde Ablaufe versucht waren,
wodurch falscher Drall des Fadens bzw. Drahtes ausgeglichen wird.
Diese kleine Vorrichtung hat sich ausgezeichnet bewährt. Abb. 2 gibt
eine schematische Skizze des geschilderten Aufbaues, sie ist ohne weitere
Erklärun g verständlich.
Der Zweck der Pendelversuche war, zu ergründen, ob ein schwin-
gender Kristall von der angeblichen Lohe eines größeren Kristalls der-
selben oder anderer Art irgend eine Beeinflussung erlitte. Zu diesem
Zwecke wurden verwendet als Pendelkörper :
Zur Mechanik der Odstrahlen. 45
TZ ---
M — Gm Mt
iArb
im Abb. 3.
Darstellung der Versuchsbedingung von oben gesehen. x bzw. y sind die be-
einflusseulen Kristalle in — bzw. + Stellung. Die normale Schwingungsrichtung
ist m—m, das kleine Quadrat darin bezeichnet den schwingenden Kristall in
einer Endlage, die durch das Mikroskop Mi beobachtet wird. Sobald eine An-
ziehung oder Abstoßung durch X oder Y erfolgt, muß die Schwingungscbene sieh
nach n—n bzw. o—o verlagern, was in der Okularskala von Mi leicht festgestellt
werden kann
Wenn auch kein Einwand zu befürchten ist, die Art der beschrie-
benen Methode sei zu unvollkommen, um ein einwandfreies Ergebnis
zu gewährleisten, so wurde doch eine Kontrollserie von Versuchen an-
gestellt, nach Art der Coulomb'schen Drehwage.
Auf dem Halse der Luftpumpenglocke wurde ein, im Zentrum einer
Teilung, drehbar eingesetzter Zapfen angebracht, der an seinem unteren
Ende den feinen Silber- oder Nickelindraht trug, an dessen Ende der
kleine Wagebalken hing, an dem wiederum Kristall und Gegengewicht
befestigt waren.
Der Wagebalken schwebte in der Mitte des Holzuntersatzes. Er trug
über seiner Mitte einen feinen Galvanometerspiegel von 8 mm Durch-
messer. Im Abstande von 1 m war eine spaltförmige Lichtquelle auf-
gestellt mit vorgesetzter Linse, um eine scharfe Lichtlinie auf einer
über der Lampe horizontal aufgestellten Millimeterteilung gespiegelt zu
entwerfen. Jede noch so geringe Drehung des Wagebalkens mußte sich
durch eine entsprechende Verschiebung dieser Lichtlinie erkennen lassen,
wobei sich diese Winkelverschiebung auch messen ließ.
Abb. 4 stellt einen solchen Wagebalken dar. Sp. der Galvanometer-
spiegel, K der zu prüfende Kristall und G ein verschiebbares Gegen-
Zur Mechanik der Odstrahlen. 47
gewicht. Vor Anstellung eines jeden Versuches wurde sowohl der Wage-
balken als auch der Wirkungskristall mit der Erde verbunden, um jede
Elektrizitätsansammlung auf ihnen abzuleiten.
Als Wagebalken wurden angewendet:
Aluminiumdraht, Glasfaden, Silberdraht.
Als Untersuchungskörper:
1 kleiner Bergkristall von 7 g Schwere, 1 natürlicher Gipskristall
von 2,5 g Gewicht und 1 natürlicher Schwefelkristall von Girgenti von
äußerst scharf gebildeter Pyramide von 3,6 g.
Als Gegenkörper :
die oben genannten großen Kristalle.
Abb. 4.
Das untere Ende der Drehwage. An dem Ende des Fadens hängt die Gabel-
klaue. In die offenen Haken derselben wird der Wagebalken eingehängt.
Dieser trägt einerseits den zu prüfenden Kristall K und andererseits ein
verschiebbares Gegengewicht 0-. Die Drehung des Wagebalkens wird durch
die Wanderung des im Spitgel Sp. reilektierten Lichtstreifens auf der Skala
beobachtet.
Mediumistisches.
Von H ou dini, Slade, Weiß und anderen Dingen.
Von Graf C. von Klinckowstroern, München.
Als der Unterzeichnete in der „Umschau" (1922, Nr. 47, S. 736) auf
Grund einer Angabe in Paul He uz s Buch „Les morts vivent-ils?"
2. Teil, Paris 1922, S. 207, aus einer Sitzung mit dem Medium Franck
Kluski, das von Dr. Geley übergangene Detail des Paraffinabgusses eines
angeblich „teleplastisch" entstandenen Gesäßes mitteilte, da fielen die
Metapsychiker über mich her und warfen mir vor, daß ich unbeglaubigte
„Klatschgeschichten" des Journalisten Heu z e leichtfertig in Umlauf setze
und damit die okkultistische Forschung lächerlich machen wolle. Ich
ging dann der Sache nach und vermochte den Tatbestand als zutreffend
festzustellen („Der physikalische Mediumismus", 1925, S. 407 ff.).
Der gleiche Vorwurf wurde neuerdings gegen mich erhoben im
Zusammenhang mit einem eingehenden Referat über 11.g o U di rii' s Buch
„A Magician among the Spirits" 1) in der „Umschau", 1925, Nr. 15.
Dr. R. T i s ch n e r hat dieses Referat zum Anlaß genommen für ein paar
prinzipielle Bemerkungen über de,n Mangel an Kritik, die die Gegner
des Okkultismus bei Benutzung ihnen „in den Kram passender" Quellen
bekunden — den gleichen Mangel, den sie sonst den Okkultisten vor-
zuwerfen pflegten. Dabei sei es an sich gleichgültig, ob ein besonderer
Fall sich bei der Nachprüfung als richtig herausstellt oder nicht. Tis chn e r
denkt hier vornehmlich an das Selbstbekenntnis von Si ade. Er beschließt
seine in durchaus korrektem und sachlichem Tone gehaltener" Ausführungen
mit der zweifellos richtigen Erfahrung: „Wir alle neigen dazu, das,
was zu unseren sonstigen Ansichten paßt, nicht mit solch scharfer Kritik
zu untersuchen als das, was ihnen widerspricht." Tis c hner erkennt H o u -
dini nicht als wissenschaftlich zuverlässigen Gewährsmann an 2 ).
Das ist nun in der Tat nicht unrichtig. Das Buch des Taschen-
spielers Houdini ist kein wissenschaftliches Werk im eigentlichen Sinne
und will es auch nicht sein. H o u dini ist kein Gelehrter, philologische
Akribie ist ihm fremd. Es sind ihm auch eine Anzahl Fehler und Un-
genauigkeiten unterlaufen, u. a. auch in der Schreibung der Namen. Aber
hierin wird sein Buch von Oh. R i chets „Traite des Metapsy - chique",
das den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, bei weitem übertroffen!
Während sich T i sehne r in ganz sachlicher und ruhiger Weise ausge-
sprochen hat, hat hingegen Dr. Frhr. v. Sehr enck-Notzing (ebenda S.311)
seinem Ärger ungehemmt die Zügel schießen lassen. Er beschäftigt sich
hier nur mit dem Detail, daß Houdin i in einer seiner Sitzungen mit
Eva C. in London eine betrügerische Manipulation bemerkt zu haben
1) Vergl. das Referat über dieses Werk im vorliegenden Hefte, S. 78. Daselbst
auch der Wortlaut des Slade-Bekenntnisses.
2) „Psychische Studien", Juni 1925, S. 349 ff.
Mediumistisches. 49
denn sonst würde er sich wohl gehütet haben, dieses Protokoll über eine
„bedeutungsvolle Sitzung" noch in letzter Minute seinem Buch einzu-
verleiben. Es läßt das nicht darauf schließen, daß Dr. Schwab bei seinen
Untersuchungen über okkulte Phänomene mit der erforderlichen Selbst-
kritik und Besonnenheit vorgeht. Er veröffentlicht das Protokoll auch
mit sechs Unterschriften, während sich unter dem Orginal tatsächlich
nur zwei Unterschriften befunden haben, nämlich die von Dr. Sün ner
und von Dr. Bruc k. Er hat allerdings nach der Sitzung im Gespräch
anscheinend — bei Dr. Bruck ist es zweifelhaft — die allgemeine Ein-
willigung der Sitzungsteilnehmer zur Veröffentlichung des Protokolls,
aber nicht in der vorliegenden Fassung, erhalten. Damit aber durfte er
sich nicht begnügen. Es hat deshalb später zwischen ihm und Dr. Bruck
eine heftige Auseinandersetzung stattgefunden. Das Verhalten des Herrn
Dr. Schwab soll gewiß nicht gerechtfertigt werden; doch muß mit allem
Nachdruck betont werden, daß es keineswegs so ist, daß Dr. Sch w ab
der allein Schuldige oder auch nur der Hauptschuldige sei, wie es an-
scheinend Dr. Bruck und Dr. Sünner hinstellen wollen.
Weit schlimmere Fehler haben Dr. Bruck und besonders Dr. Sünner
begangen. Daß sie an einer Sitzung teilnahmen, ohne daß die einfachsten
Vorsichtsmaßregeln gegen Täuschung oder Selbsttäuschung ergriffen
wurden, mag noch hingehen. Auch daß sie, trotzdem sie zum erstenmal
eine Sitzung dieser Art mitmachten, die Kontrolle des Mediums über-
nahmen, soll ihnen nicht als Fehler angerechnet werden. Daß sie aber
trotz dieser Umstände der Überzeugung waren und sind, daß die Phäno-
mene, die sie erlebt haben wollen, echt sind, daß sie es für ausgeschlossen
halten, daß sie hätten getäuscht werden können, trotzdem doch Dr. M oll
sogar die Möglichkeit einer Selbttäuschung dem Richter gegenüber
Gerichtssaal in einwandfreier Weise demonstriert hat, das zeigt, daß sie
die kritische okkultistische Literatur, wenn überhaupt, so doch nur sehr
ungenügend kennen und daß sie von ihrer Unfehlbarkeit mehr überzeugt
sind, als gut ist. Je weniger jemand es für möglich hält, daß er getäuscht
werden kann, desto leichter gelingt dies bekanntlich. Solange man nicht
auf dem Standpunkt Molls steht, der trotz seiner jahrzehntelangen Erfah-
rung doch noch in jedem einzelnen Fall mit der Möglichkeit rechnet, daß
er getäuscht wird oder sich selbst täuscht, darf man nicht erwarten,
daß man Vertrauen findet, wenn man einen Versuch als beweiskräftig
bezeichnet.
Weit schlimmer aber noch ist, was sich über die Auffassungen
Dr. Brucks und Dr. Siinners über Protokollwahrheit ergeben hat.
Gewiß ist es richtig, daß vollkommen überzeugende Protokolle über
Experimente dieser Art wohl kaum möglich sind. Das ist ja auch einer
der Hauptgründe, die uns Skeptiker veranlassen, bis auf weiteres uns
auch auf die schönsten Protokolle nicht zu verlassen und zu erklären,
daß man nach dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens nur dann zu
der begründeten Überzeugung von der Echtheit der okkulten Erschei-
nungen gelangen könne, wenn man sie selbst unter zwingenden Be-
58 A. Hellwig.
okkulten Phänomene hat der Prozeß nichts ergeben und konnte er auch
nichts ergeben ; lediglich die Psychologie eines Teils der okkultistischen
Forscher hat eine weitere Beleuchtung erfahren; dadurch sind die be-
dauerlichen Fehlleistungen, mit denen wir auf diesem Gebiete in ganz
besonderem Maße zu rechnen haben, in ihrer die wirklich exakte For-
schung außerordentlich hemmenden Bedeutung klargestellt worden.
Verschiedenes.
Unmittelbar vor Schluß des ersten Heftes erreicht uns die Nachricht, daß laut
Nr. 7 der Mitteilungen des Volksgesundheitsamtes vom 30. Juli d. J. der Oberste
Sanitätsrat in Wien beschlossen hat, sein Verbot der Bildung einer „Gesellschaft für
Medienforschung" aufrecht zu erhalten und den dagegen eingelegten Rekurs zu ver-
werfen. An der Spitze dieses Vereins stand Frau M. Holub, die Witwe des bekann-
ten Chefarztes der Irrenanstalt Steinhof in Wien, der die vielberufenen Experimente
mit Willy Schneider veranstaltet hat, sowie zwei Ärzte. In den vorgelegten Statuten
war als Zweck des Vereins angegeben „Systematische Erforschung der Phänomene des
Mediumismus und der verwandten Gebiete". Maßgebend für die Verwerfung des
Rekurses war ein Gutachten des Hofrats Prof. Wagner- Ja uregg, der darauf hin-
wies, daß im Jahre 19'24 auch ein „Wiener parapsychisches Institut" und ein „Wiener
metapsychologisehes Institut- die Genehmigung nachgesucht habe. Die Häufung der-
artiger Anträge zeige, daß auf die frühere hypnotische Seuche eine spiritistische Seuche
gefolgt sei. „Für die Sanitätsbehörde kommt in erster Linie in Betracht, ob die Teil-
nahme an solchen Veranstaltungen für die Zuschauer und für die als Medien ver-
wendeten Personen eine gesundheitliche Gefährdung bedeuten kann. Diese Frage ist
auf Grund der Erfahrungen der psychiatrischen Klinik zu bejahen. Wenn dagegen (im
Rekurse) eingewendet wird, daß man mit demselben Rechte die Gründung von Rad-
fahrvereinen oder Rudervereinen verbieten könnte, weil einzelne Personen durch über-
mäßiges Radfahren und Rudern Schaden leiden können, hinkt dieser Vergleich. Durch
diese Sportbetätigung wird so viel an= Gesundheitsförderung erzielt, daß im Vergleiche
damit die Schäden, welche einzelne wenige erreichen, nicht in die Wagschale fallen.
Man müßte da zum Vergleiche Vereine heranziehen, die sich etwa zum Z:ele setzen,
sich durch Schnapstrinken oder Äthereinatmen in einen abnormen Bewußtseinszustand
zu versetzen." Das Gutachten empfiehlt nicht bloß das generelle Verbot allgemein
zugänglicher okkulter und spiritistischer Experimente, sondern auch jeder Beschäfti-
gung mit übersinnlichen Problemen im Wege der Vereinstätigkeit.
Bei der großen prinzipiellen Bedeutung, die dieser Maßnahme beizumessen ist,
wird es wichtig sein, die Stellungnahme der Gelehrten kennen zu lernen, die sieh mit
parapsychologischen Problemen beschäftigen, gleichviel ob sie den okkultistischen oder
antiokkultistischen Standpunkt vertreten. Wir bitten die Leser unserer Zeit-
schrift, sich unter Mitteilung ihrer Gründe über diese Frage zu
äuß e rn. Wir werden die etwa einlaufenden Darlegungen, soweit der Raum es zuläßt
und neue Gesichtspunkte darin enthalten sind, in einem der nächsten Hefte zum Ab-
druck bringen, je nach dem Wunsche der Verfasser mit oder ohne Namensnennung.
Die „Deutsche Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus" veranstaltete vom
23. April bis 6. Mai d. J. eine Ausstellung von Werken des holländischen Malmediums
B. C. Man sv el d , in der Kunsthandlung von Hugo Gr aez, Aschenbachstr. 21 in
Berlin. Der bekannte Okkultist Dr. Walter Krön er hielt einen einführenden Vor-
trag. Mehrere Berichte von Augenzeugen und Kunstkritikern liegen uns vor, so u. a.
ein „Inspiravit" betitelter von Fritz S tahl im Berliner Tageblatt vom 25. April und
ein anderer von H. G. in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom gleichen Tage.
62 Verschiedenes.
daß ein posthumer F a n ti n Latour zwar die Unterschrift gut nachahmte, sonst aber
die charakteristische mondäne Eleganz dieses Künstlers vermissen ließ.
Steckt hinter diesen Leistungen etwas Übernormales, vielleicht sogar etwas, das
wirklich für den Spiritismus sprechen könnte? Wenn wir der Versicherung Glauben
schenken wollen, daß Maus veld sonst nie gemalt, und daß er namentlich das Malen
mit der linken Hand nie geübt habe, so würde dies in der Tat eine Leistung darstellen,
die die Fähigkeiten des Wachbewußtseins überträfe. Allein die Behauptung der früheren
-
Nichtübung ist bei Medien dieser Art so stereotyp, daß die ganze Zunft sich einen
Gummistempel mit der Aufschrift : „Habe nie gezeichnet, gemalt, getanzt, gesungen,
nie eine Taste berührt" anfertigen lassen könnte. Genaue Nachahmung eines fremden
Stils ist keine Mehr-, sondern eher eine Minderleistung; ein Maler, der Eigenes leisten
will, hat oft Sorge zu tragen, daß er von seinem Vorbilde loskommt. Aber eins, meint
K röner, könne ihn fast in seiner Gegnerschaft gegen den Spiritismus wankend machen :
Die Tatsache, daß ei n Mensch die Stile ganz verschiedener Maler vollendet beherrschen
könne. Hier steht Kr ön er vor demselben Befund, der auch Hodgson infolge seiner
Versuche mit der Pip er zum Spiritismus bekehrt hat. Auch er fand, daß die Wissens-
komplexe von hunderten verschiedener Geister, reinlich geschieden, jahrelang im Ge-
dächtnis des Mediums aufgespeichert blieben, und hielt eine solche Fülle und Unver-
mischbarkeit im seelischen Raum einer einzigen Persönlichkeit für unglaubwürdig. Tat-
sächlich liegt hier doch nichts vor als die allerdings erstaunliche Hypermnesie des
Unterbewußtseins und die namentlich durch den Fall Staudenmaier belegte Tatsache,
daß die verschiedenen Sektionen des zerspaltenen Unterbewußtseins — die sich so gern
als verschiedene fremde Intelligenzen maskieren -- nicht nur getrennte Konstellations-
gebiete mit oft sehr dicken Scheidewänden sind, sondern auch die Tendenz haben, in
ausgesprochenen Gegensatz zueinander zu treten.
Die Zeitung „Der Deutsche" vom 19. April d. J. berichtet folgenden Vorfall: In
der französischen Stadt Capelle la Grande war der zwanzigjährige Charles Co emel
am 5. März bei der Arbeit au einer Dynamomaschine vom elektrischen Strom getötet
worden. Da die Bevölkerung ihn zuerst nur für scheintot hielt, wurde er erst nach
5 Tagen, also am 10. März beerdigt. Seine dauernd kranke Mutter mußte während der
Bestattung zu Hause bleiben, in dem Augenblicke aber, als man den Sarg in die Erde
senkte, sah sie die Hand des Toten an der Fensterscheibe. Sie hielt es zuerst für
Sinnestäuschung und beobachtete es nicht weiter, aber nach einigen Minuten gewahrte
sie einen deutlichen Fingerabdruck auf der Scheibe, der auch nicht abzuwaschen war.
Ihr Sohn hatte oft, wenn er abends aus der Fabrik heimkehrte, ans Fenster geklopft
und auch dabei Fingerspuren hinterlassen. Nun schien der Tote auf gleiche Weise von seiner
Anwesenheit Kenntnis zu geben. Die „Spiritistische Gesellschaft" von Dünkirchen sandte
2 Mitglieder nach Capelle la Grande, die den Abdruck besichtigten, und bestätigen, daß
alle 5 Finger der rechten Hand ihren Abdruck hinterlassen hatten.
Hier also schien der verbreitete Glaube an den Fingerabdruck der Toten Be-
stätigung zu finden. Ein Ingenieur aber, der in der gleichen Fabrik wie Charles Coemel
Verschiedenes. 63
arbeitete, löste das Rätsel in überraschend einfacher Weise, indem er darauf hinwies,
daß letzterer mit verschiedenen chemischen Substanzen, darunter auch mit glasätzen-
der Flußsäure hantiert hatte, die, als er am Abend vor seinem Tode wieder wie ge-
wöhnlich ans Fenster klopfte, ihre Wirkung auf der Scheibe geübt haben mußte. Die
Spiritisten von Dünkirchen wenden allerdings ein, die alte Frau habe in den 5 Tagen
zwischen Tod und Beerdigung nichts von der Handspur bemerkt, diese müsse also erst
im Augenblick der Beerdigung entstanden sein. Offenkundig genügt diese Überlegung
nicht, um die naheliegende natürliche Erklärung des Ingenieurs abzulehnen. Die
Fingerspur war anscheinend wenig sichtbar, das Oberbewußtsein der Mutter hatte sie
nicht bemerkt, wohl aber das schärfer wahrnehmende Unterbewußtsein, und das Zu-
sammenwirken des Wissens, daß im Augenblicke gerade die Leiche des Sohnes der
Erde übergeben wurde, des starken hierdurch ausgelösten Affekts, der Erinnerung an
seine frühere Gewohnheit, ans Fenster zu klopfen, und der latenten Kenntnis von der
achtlos gesehenen Fingerspur konnte sehr leicht eine Illusion wie die geschilderte
erzeugen. In vielen Fällen, in denen sich kürzlich Verstorbene angeblich durch physische
Veränderungen, z. B. durch stehenbleibende Uhren, in Erinnerung brachten, mag ein
ähnlicher Zusammenhang vorgelegen haben.
tiefes Schweigen seitens des geistigen Wesens und der Mitsitzenden folgte auf meine
Bemerkung. Ich erhob mich und sagte in feierlichem Tone : ,Ich frage dich jetzt im
Namen Gottes, bist du wirklich der verstorbene T. J.?' Zum grenzenlosen Erstaunen
aller AnWesenden kam die Antwort kurz und bündig : ‚Nein!' Ich sagte weiter : ‚Dann
frage ich dich im Namen Gottes: Wo hast du die Information hergenommen, durch
die es dir möglich geworden ist, diesen großen Betrug auszuführen?' Die höhnende
Antwort war ,Aus euren eignen dummen Gedankenkasten (thought boxes). Ihr sitzt
da wie die Narren, in passivem Zustande, in welchem ich eure Gedankenbilder fast
genau so ablesen kann, vele ihr eine Seite eures neuen Testaments.' Ich brauche kaum
zu versichern, daß mit dieser erschütternden Episode unsere Experimente auf lange
Zeit unterbrochen wurden".
Die Antwort des Pseudogeistes scheint eigentlich sowohl als Erklärung wie als
64 Verschiedenes.
Kritik vortrefflich zu sein und die Angelegenheit bestens zu erledigen. Warum hält
Raupert es trotzdem für wahrscheinlicher, daß die aus den Medien tönenden Stimmen
von Lügengeistern stammen, als daß sie bloß die Gedanken der Sitzungsteilnehmer
wiedergeben ? Nun, erstens bestimmt ihn dazu der Widerspruch, in dem die Angaben
der Geister zu den Ansichten und dem Willen der Medien und Anwesenden stehen.
Das „dämonische und rebellische Unterbewußtsein" erscheint auch hier als Zentralproblem
des Spiritismus, wird es zum Gegenstand gründlicher Untersuchung gemacht, so raubt
man der Geisterhypothese ihr Hauptargument. Ferner aber läßt Raupert sich be-
stimmen durch die Wahrnehmung, daß hochgebildete Geister aus ganz ungebildeten
Medien, philosophierende Geister aus kleinen Kindern reden — und nach seiner Angabe
gibt es in England Hunderte solcher Kindermedien, — und daß das Reden der Medien
in Sprachen, die sie sicher nicht gelernt haben können, sich nicht auf bloße aufge-
schnappte Redensarten beschränkt, die sich noch normalpsychologisch erklären ließen,
sondern sie zu stundenlangen sinnvollen Gesprächen befähigt. Diese Phänomene be-
weisen, daß hinter dem Medium eine andere, unabhängige, ihm oft weit überlegene
Intelligenz stehe. — Gewiß, dieser Schluß ist unanfechtbar. Aber warum soll diese
unabhängige Intelligenz nicht die der Sitzungsteilnehmer sein, aus deren Unterbewußtsein
das Medium zapft? Mögen die Beobachtungen, auf die sich Ra up ert stützt, noch so
weit reichen und noch so gesichert sein (was sie z. T. wohl in cht sind), sie würden
immer nur eine sehr weitgehende Fassung der telepathischen These erzwingen, nie
aber den Spiritismus beweisen. Somit scheint es doch, daß der Pseudogeist T. J. die
Sachlage am richtigsten beurteilt hat.
geschrieben überreicht werden, ziemlich gut zu erraten. Die Versuche der beiden
Forscher gingen zunächst darauf aus, die Möglichkeit einer Zeichengebung auf dem
Gebiete der verschiedenen Sinne zu unterbinden. Da während der Prufung Herr und
Frau K. sich in verschiedenen Zimmern befanden, war die Mitwirkung des Gesichtssinns
leicht auszuschließen. Elektrische Signale konnten nicht gegeben werden, da körper-
liche Untersuchung des Herrn K. keine Apparate zutage förderte. Auch eine Verbindung
durch Fäden wäre durch sinnreiche Vorkehrungen, die man traf, nachzuweisen gewesen,
fand aber nicht statt. Dagegen wurde es bald offenbar, daß der Gehörssinn eine Rolle
spielen müßte, denn rasselnde Geräusche im Zimmer verhinderten die Übertragung, und
wenn Herrn K. eine Binde über den Mund gelegt wurde, so verschlechterten sich die
Resultate. Schließlich erregte es Verdacht, daß Herr K., der während der Versuche
sehr aufgeregt und unruhig war, häufig, wenn ihm eine Zahl oder ein Buchstabe auf
Zetteln übergeben wurde, unartikulierte, interjektionsartige Laute ausstieß. Man be-
obachtete schärfer und fand, daß stets, wenn solch ein Laut geäußert wurde, die Zahl
richtig geraten wurde. Nun führten mehrere Beobachter unabhängig voneinander
Protokoll, verglichen ihre Resultate und stellten einwandfrei fest, daß z. B. der Aus-
ruf „esch" r bedeutete. Ebenso war „geh" b, „homma" 7, „mek" 4. Da solche Tem-
peramentzeichen nicht immer erfolgten und stets schon dann, wenn die Anwesenden
den Versuch noch gar nicht im Gange befindlich glaubten, so konnte dieser Trick
lange der Aufmerksamkeit entgehen. Er war so erfolgreich gewesen, daß z. B. eine
zehngliedrige Kommission einer süddeutschen „Gesellschaft für psychische Forschung"
attestiert hatte, sie habe „einwandfrei und einstimmmig festgestellt, daß bei K. ein
Fall von Mentalsuggestion, d. h. von sogenannter Gedankenübertragung vorliegt".
Der Fall lehrt aufs neue, daß es bei der Aufdeckung mediurnistischer Tricks vor
allem auf die unbewachten „Übergangsmomente" zu achten gilt, und daß der natürliche
oder fingierte Aufregungszustand, Krampf, Schütteltremor usw. der Medien die beste
Gelegenheit zur Anbringung taschenspielerischer Kniffe bildet.
Revue metaphysique, Jahrg. 1924. 65
fort. Kontrolle im zweiten Teil: links Frau v. C., rechts Oliv er Lodg e. Sofort starke
Erscheinungen, Schritte, Verstellen von Möbeln. Papier und Bleistift, die 1,20 m hinter
dem Medium auf einem Tisch lagen, werden zu Boden geworfen. Beide Kontrolleure
fühlen zahlreiche Berührungen. zwei Glieder wie Hände ohne Finger stützen sich auf
L o dges Schultern. Sein Hut wird mehrmals auf dem Kopf verschoben. Man hört
unbestimmtes Flüstern, dann spricht eine Stimme ganz nahe an Oli ver Lo cl ges
Ohr. Alle hören die Worte „Votre nom". Das Medium hustet und erwacht. Es hält
die Hand von Fr. v. C. ganz nach hinten und oben. Sie fühlt ein Wesen von der Größe
eines stehenden Menschen. Ihre Hand berührt einen behaarten Schädel. Dasselbe dann
mit Oliv er L o dg e. Nach dem Lichtmachen sieht man unzusammenhängende Zeichen
auf dem auf die Erde geworfenen Papier.
Ähnlich waren die Phänomene in den anderen Sitzungen, der Hund erschien
öfter und es wird auch berichtet, daß ein Geruch auftrat wie von einem feuchten Hunde-
fell, das verschwand, wenn der Hund nicht mehr bemerkbar war. Irgendwelche Ver-
dachtsmomente werden nicht mitgeteilt.
4. E. Bozzano, Über die Kryptästhesie und die Arten, durch die
si e sich manifestiert. Eine Polemik gegen R i ch ets Auffassung, gegen den er
den Standpunkt vertritt, daß die Kryptästhesie vielfach nicht auf physikalischen
Schwingungen beruht, die das Medium treffen, es handle sich meist um einen aktiven
Prozeß beim Medium. Viele Fälle des Hellsehens seien nur zu erklären, wenn man
einen aktivea dynamischen Prozeß von Seiten des Mediums annehme.
5) G. Geley. Über die Histolyse der Insekten. Antwort auf einen Auf-
satz von Prof. Zimmer, der Geleys Auffassung der Histolyse bestritten hatte.
Während Gel ey früher irrtümlich behauptet hatte, daß die Larve sich in einen amor-
phen Brei verwandele, aus dem sich dann das fertige Insekt materialisiere, muß er
jetzt zugeben, daß der Aufbau aus Zellen vor sich geht. Er verschiebt aber die Streit-
frage, indem er jetzt den Hauptwert darauf legt, daß die Larve im Gegensatz zur
normalen Ernährung sich von den Stoffen des eigenen Körpers nährt.
Nr.3. Mai-Juni.
1. C.Geley, Der Fall des Mediums Erto. Geley hatte schon früher
über diesen Neapolitaner berichtet. Obwohl er damals bei der Vielgestaltigkeit der
Phänomene Betrug für unwahrscheinlich hielt, so war er doch nur unter Vorbehalt
für die Echtheit der Phänomene eingetreten. In diesem Aufsatz teilt er nun mit, daß
Er to bei Betrug ertappt worden sei. Das Hauptphänomen bei Er to waren Blitze und
blitzähnliche Lichterscheinungen, während im Raum sonst völlige Dunkelheit herrschte.
Ert o wurde nach Entkleidung von Ärzten genau untersacht, mehrfach auch
das Rektum, dann zog er ein für ihn nach Maß angefertigtes Trikot an, das an den
Öffnungen (Handgelenke und Rücken) plombiert wurde, über den Kopf bekam er einen
Tüllschleier, der an das Trikot angenäht wurde. Über das Trikot zog er noch einen
Pyjama. An den Händen trug er sehr dicke Boxhandschuhe, um ihm die Verwendung
der Hände zu erschweren. Das Sitzungszimmer konnte er sonst nie betreten, man führte
ihn direkt vor der Sitzung iu das Zimmer, ließ ihn auf:einem Weidensessel Platz nehmen
und setzte sich um ihn in völliger Dunkelheit in einem Abstand von etwa 3 m.
Irgendwelche Beleuchtung ertrug Er t o nicht, weder durch Rotlicht noch Leucht-
streifen, er reagierte dann mit negativen Sitzungen. Aula das Fesseln der Hände ge-
stattete er nicht, so daß Gele y trotz der anscheinenden Strenge die Bedingungen
nicht für zufriedenstellend hielt.
Die bei ihm auftretenden Erscheinungen waren hauptsächlich Lichterscheinungen,
in Form von Lichtblitzen, vielfachen Lichtpunkten u. dgl.
Gel ey stellt das für die Echtheit und gegen sie sprechende nebeneinander.
Für die Echtheit spricht die genaue Untersuchung des Mediums vor der Sitzung sowie
die Vielgestaltigkeit der Phänomene, die verschiedene Instrumente zu fordern scheinen
würden. Gewisse Phänomene konnten künstlich nicht nachgeahmt werden. Außerdem
waren zwei Röntgenuntersuchungen des Mediums negativ.
68 R. Tischner.
Nach einer Sitzung fand man nun, nachdem sich Erto an einem Waschtisch
gewaschen hatte, im Siphon ein kleines Cereisen. Schon vorher hatte man festgestellt,
daß man damit fast alle seine Produktionen nachmachen konnte. In andern Sitzungen
wurde dann bei Erto auch Cereisen gefunden.
2. E. Bozzano, Hypothesen, die man nicht begreifen kann und
Hypothesen, die man nicht denk en kann. Polemik gegen die vierte Dimension
und das gegenwärtige Ewige (&ernel prsent).
3. R. Sudre, Die Hypothese der Reinkarnation. Sudre betont,
daß weder die von den Anhängern der Reinkarnation angeführten Fälle von Wunder-
kindern noch die angebliche Erinnerung an frühere Leben beweisend sind. Wenn die
Erinnerung an ein früheres Leben wirklich in das neue hinubergenommen würde,
dann sollte man erwarten, daß es nicht nur Wunderkinder auf dem Gebiete der
Musik und Mathematik — wo besondere Verhältnisse vorliegen — gäbe, sondern auch
auf dem Gebiete der Chemie und anderen Wissenschaften. Auch die Angaben von
Rochas in seinem Buche „Die aufeinandertolgenden Leben" beweisen nichts, da die
Angaben der Hypnotisierten über ein früheres Leben auf Phantasie beruhen können
und keinen Identitätsbeweis geben. Desgleichen sagen die Reinkarnationen der Helene
S m it h nichts, da sich einenteils beweisen und zum andern Teil sehr wahrscheinlich
machen ließ, daß es sich bei Helene Smith um subliminale Erinnerungen handelte.
Schließlich seien auch die angeblichen moralischen Beweise hinfällig. Was könne eine
Reinkarnation für einen Wert haben, wenn man an sein früheres Leben gar keine
Erinnerung habe und infolgedessen gar nicht wissen könne, für welche' Sünden man büßt?
Nr.4. Juli-August.
I. Charles Riehet, Gustave Geley, Nekrolog.
2. G.Geley, Der Fall des Mediums Erto. Mit 18 Bildern. Abgesehen
von den früher beschriebenen Erscheinungen bietet Erto noch andere. In den Sitzungen
mit Erto wurden vielfach Lichteindrücke auf photographischen Platten erhalten, die
z. T. in versiegelten Kassetten und Schachteln in die Nähe von Erto gelegt wurden,
z. T. sich auch in photographischen Apparaten befanden. Geley selbst hatte die Platten
gekauft und selbst allein vorsichtig eingelegt, die Schachteln oder Kassetten mit seinem
Siegel versiegelt und sie bis zur Sitzung in einem Geldschrank aufbewahrt. Trotzdem
traten, wenn Erto sie in der Dunkelheit kurze Zeit in der Hand hielt, bei der Ent-
wicklung z. T. dunkle, z. T. helle Flecke auf. Die Flecke waren z. T. wolkenartig, teils
scharf umrissen, kreisförmig oder strichförmig. Weiter traten Fingerabdrücke auf, die
nach den Hautlinien als solche des Mediums erwiesen wurden. Diese Fingerabdrucke
waren z. T. positiv, z. T. auch negativ. Dabei hatte das Medium die versiegelten Schachteln
nur kurze Zeit während der Dunkelsitzung zur Verfügung, ohne daß sie ihm für längere
Zeit in einem andern Zimmer als dem Sitzungsraum zugänglich gewesen wären, um
Manipulationen damit vorzunehmen. Auch andere Herren wie z. B. S u dr e brachten
sorgfältig versiegelte Schachteln mit, auch hier traten dieselben Flecke auf, während
andere Platten aus derselben Schachtel, die nicht in den Händen Ertos gewesen waren,
keine derartigen Spuren aufwiesen. Andere Platten zeigten Veränderungen, als ob sie
der Hitze ausgesetzt gewesen wären. Die Gelatine war beulig, hatte Sprünge, ja sie
war sogar geschmolzen.
Ähnliches fand sich auf Platten, die sich im photographischen Apparat befunden
hatten, obwohl die Kassette und das das Objektiv tragende Brett verklebt waren.
Natürlich erhob man als erstes die Frage des Betrugs und Geley ist ihr auch
ausführlich nachgegangen. Wie er betont, sei es natürlich für Erto leicht gewesen,
unter den gegebenen Bedingungen die Siegel usw. zu entfernen, aber es wäre, wie er
sagt, unmöglich gewesen, unter diesen Bedingungen sie unbemerkt wieder anzubringen,
da er, wenn er auch die Platten in der Dunkelheit in der Hand hatte, doch im übrigen
überwacht wurde und nicht die Möglichkeit hatte, die Kassetten auch wieder zu ver-
siegeln. Zudem hatte er nicht die Siegel der verschiedenen Experimentatoren zur Ver-
fügung. Auch das Vertauschen der Platten oder Kassetten sei unmöglich gewesen, dgl.
würde die Anwendung radioaktiver Substanzen die Erscheinungen nicht erklären, da-
Revue mAtapsychique, Jahrg. 1924. 69
durch würden höchstens die Flecken auf den Platten, aber nicht die Fingerabdrücke
erklärt werden.
G el ey betont zum Schluß, daß man natürlich, da bei Erto Betrug erwiesen sei,
in erster Linie an Betrug denken müsse. Er habe das Problem mit Taschenspielern,
Physikern und Chemikern überlegt, sei aber zu einem abschließenden Ergebnis nicht
gekommen. Abgesehen von dem moralischen Argument könne nichts Stichhaltiges gegen
die Echtheit angeführt werden. Man werde also die Echtheit des Phänomens ernsthaft
in Betracht ziehen müssen. Einerseits müsse man dann Erto für ein bewundernswertes
Medium und anderseits für einen Betrüger halten. Es sei das wissenschaftlich nicht
absurd.
3. BahudaSyamSundarlal.Fälle von anscheinender Erinnerung
an frühere L eben. Bericht über mehrere Fälle, in denen indische Kinder Tatsachen
aus ihrem früheren Leben angaben, die bestätigt werden konnten und die sie nicht
wissen konnten, ja von denen auch ihre Umgebung keine Kenntnis gehabt habe.
4. Die Arbeiten der Gesellschaft für psychische Forschung in
R ey ki avik. Ein vorläufiger Bericht von E. 11. Kvaran in einer dänischen Zeitung
über Sitzungen mit dem bekannten Medium Einer Ni els s en. Das Medium mußte
sich in den Sitzungen des Kontrollausschusses völlig entkleiden und zog dann einige
seiner vorher genau untersuchten Kleidungsstücke wieder an. Dann setzte es sich ohne
Handkontrolle in das Kabinett und die Sitzung ging bei Rotlicht vor sich. Mitglieder
des Ausschusses waren ein Jurist, ein Theologieprofessor, zwei Ärzte und ein Schrift-
steller. Man erlebte die Bildung teleplasmatischer Massen im Schoß des Mediums so-
wie die Bildung ganzer Gestalten, die sich in der Vorhangspalte zeigten. Irgendwelche
durchschlagenden Gründe, daß es nicht das Medium war, werden nicht angegeben. Sonst
erlebte man noch Telekinesen und Levitationen, die Beschreibung ist aber zu summa-
risch, um über die Versuchsbedingungen ins klare kommen zu können.
Nr.5. September-Oktober.
1. R.Sudre, Die Philosophie von Geley.
2. St anley de Brath, Ein übernormales Porträt von D r. Gele y. Bald nach
dem Tode Geleys erschien in einer Sitzung mit dem bekannten Medium für „Tran-
szendentalphotographie" Hope auf einer Platte ein Kopf, den der Autor als den von
Geley deutet, die Reproduktion ist zu undeutlich, um sich ein Urteil zu bilden.
3. R.Warcollier, Aktive und passiv e Telepathie. Theoretische Er-
örterungen über die Telepathie auf Grund einer physikalischen Wellentheorie.
4. E.Bozzano, Die zeitliche Vorschau und der Fatalismus. Unter
Bezugnahme auf metapsychisches Material wird das Thema eindringend erörtert. B o z-
z an 0 kommt zu dem Schluß, daß nicht der absolut freie Wille noch der Fatalismus,
sondern eine bedingte Freiheit den Tatsachen am besten gerecht werde.
5. P.v.Smurlo, Wechselseitige Tätigkeit zweier Medien. Schlägt
vor, bei den Sitzungen zwei Medien zu verwenden, er meint, daß man auf diese Weise
unter Umständen Ergebnisse erziele, die auf andere Weise nicht zu erreichen sind.
Nr.6. November-Dezember.
1. G.Gelev, Neuä Versuche mit dem Medium Kluski.
Sitzung vom 20.Juni 1924 in dem Arbeitszimmer von Kluski.
Genaue Kontrollmaßnahmen wie Durchsuchung der Wohnung, der Kleidung des
Mediums, Umkleidung usw. werden nicht angegpben. Geley kontrolliert auf der rechten
Seite, sein kleiner Finger der linken Hand ist in den kleinen Finger der rechten Hand
des Mediums eingehakt. Hände und Unterarme liegen gegeneinander. Sein linkes Bein
ist in enger Berührung mit dem rechten Bein des Mediums. Die Tür ist mittels Schlüssel
verschlossen. Alle Anwesenden bilden Kette. Dunkelheit. Bald nachdem das Medium
eingeschlafen ist, hört Gele y zuerst ein Rauschen hinter dem Medium, sofort darauf hat
Geley den Eindruck, als oh jemand neben ihm stände. Dann spürt er eine Berührung
durch eine Hand zuerst an der Seite, dann im Nacken. Kleine Lichter bilden sich um
70 Revue metapsychique, Jahrg. 1924.
das Medium, man nimmt einen Ozongeruch wahr. Neue Berührungen, eine sehr kleine
Hand streichelt Geley im Gesicht und kneift ihn in die Ohren. Er fühlt zu gleicher
Zeit zwei kleine Hände an den Ohren, dann auf dem Kopf und auf den Schultern.
Die beiden links von dem Medium Sitzenden fühlen auch kleine Hände gleichzeitig
mit Geley.
Dann sieht man ein Licht oberhalb des Eimers mit Paraffin schweben, man hört
mehrfach das Plätschern im Paraffin. Kinderfinger berühren Geley an der linken Hand.
Einen Augenblick später wird — in noch warmen Zustand — ein Paraffinhandschuh
gegen seine Rechte gelegt. (Dieser und die andern Abgüße sind bei dem Absturz von
Geley zerstört worden.) Dann wird ein zweiter Handschuh geliefert. Eine kleine Hand
ergreift die Geleys und schüttelt sie freundschaftlich. Die Materialisation war voll-
ständig, es war die Hand eines Kindes, warm und lebend. Dann fühlt er die Be-
rührung durch eine sehr große Hand, auch sie ergreift seine Hand und schüttelt sie,
derselbe Eindruck des Lebens.
Ein Leuchtschirm, der auf dem Tisch entfernt vom Medium lag, wird ergriffen
und sehr hoch gehalten. Sodann sieht man von dem Leuchtschirm beleuchtet einen
Oberkörper nebst Kopf und Armen. Die eine Hand hält den Schirm. Der Kopf ist
von einem Soldatenkäppi bedeckt. Junges Gesicht, kleiner Schnurrbart, es gleicht dem
Bruder von Ossowiecki, das Gesicht ist sehr lebendig. Er grüßt auf militärische Weise.
Dasselbe tut er vor jedem Anwesenden. Dann legt er den Schirm vorsichtig hin und
verschwindet. Dann ein Mann von 40-50 Jahren, er hat eine Glatze. Als Dritter kommt
ein junger brauner Mensch mit einer Mütze auf dem Kopf. Der Paraffineimer wird
von unsichtbaren Händen über die Köpfe der Sitzer gehoben und auf die Erde gestellt.
Dann nochmals Lichter und Berührung von zwei groben Händen an den Schultern.
Eine Dame fühlt eine große, sehr kalte Hand.
Sitzung vom 3 0.Juni bei Kluski.
Abgesehen vom Medium 6 Anwesende. Geley hat, wie er ausdrücklich betont,
keinen Einfluß auf die Versuchsanordnung, da die Sitzung für ein Ehepaar veranstaltet
wurde, die einige Jahre vorher einen Sohn, der Soldat war, verloren hatten. Die Ver-
suchsanordnung war ungefähr dieselbe. Geleys Stuhl stand gegen die Tür, so daß sie
nicht geöffnet werden konnte, ohne daß er es gemerkt hätte. Die Erscheinungen sind
im wesentlichen von gleicher Art wie die der letzten Sitzung. Es kommt u. a. eine
Materialisation, die die Eltern des verstorbenen Soldaten als ihren Sohn bezeichnen.
2. Lodge,William Crookes und die Metapsychik. Ein Abdruck aus
den Proceedings for Psychical Research, Bd. 34. Plaudereien, die z.T. auf persönlichen
Mitteilungen beruhen. Lodge verteidigt Crookes und tritt für seine Untersuchungen
und auch für die Materialisationserscheinungen bei Florence Cook ein.
3. Rene Sudre, Metapsychik und Taschenspielerei. Besprechung
eines 1891 erschienenen Buches „Enthüllungen eines spiritistischen Mediums", das
Harry Price und Eric Dingwall auf englisch neu herausgegeben haben.
4. Delanne, Die Hypothese der Reinkarnation. Erwiderung auf Su-
dres Artikel.
Er bestreitet die Stringenz von Sudres Beweisen und meint, daß man die Leist-
ungen von Wunderkindern wie die des Lübecker Knaben Heineken nur verstehen
könne, wenn man eine Reinkarnation annimmt. Die Fälle, in denen Menschen aus ihrem
früheren Leben Angaben machten, die bestätigt werden konnten, seien durch Elellsehen
nicht erklärbar, da dieses immer eine Beziehung zwischen dem Seher und dem ge-
sehenen Objekt voraussetzt. Wenn eine Mutter, wie es mehrfach vorgekommen sei,
mitteile, daß durch sie sich eine verstorbene Tochter reinkarniere, so könne man das
nicht durch Hellsehen, Autosuggestion und Ideoplastik erklären. Die moralischen Folgen
seien auch durchaus nicht beklagenswert, wie Sudre meine, die aufeinanderfolgenden
Leben seien vielmehr durch eine immanente Gerechtigkeit geregelt, durch die In-
karnation komme gerade in moralischer Beziehung erst Sinn in das menschliche Leben.
Dr. Rudolf Tischner.
Pro*ceeding of the Society for Psychical Research. 71
anzugeben, was der Agent gedacht bat. Die 236 Einzelversuche verteilen sich auf
26 Sitzungen : ihre Zahl während einer Sitzung variierte zwischen 3 und 26. Sie ver-
liefen also relativ schnell.
Mrs. Sidgwick, bekanntlich eines der auf diesem Gebiete erfahrensten Mit-
glieder der S.P.R., hat mit gewissen Vorbehalten eine prozentuale Berechnung der
Erfolgsziffer angestellt und gibt selbst zu, daß man über die Bewertung der einzelnen
Versuche verschiedener Meinung sein kann. Sie kommt bei Anlegung eines strengen
Maßstabes zu folgenden Zahlen : 36 0 /0 Erfolge (85 Versuche), 23,3 0 / 0 Teilerfolge (55)
und 40,7 V o Mißerfolge. Die entsprechenden Ergebnisse der ersten Reihe waren nach
Mrs. Verr all s Berechnung: 33,19 0 Erfolge, 27,9 5/, Teilerfolge, 390/ Mißerfolge. Hin-
sichtlich der Fehlergebnisse ist aber zu bemerken, daß hier Prof. Murray oft nicht
etwa Falsches angab, sondern aussagte, er könne es nicht erkennen. Er gibt selbst an,
sich bei den Versuchen in einem Zustande leichter Hyperästhesie zu befinden, die ihn
auch auf jede Störung, namentlich Geräusche, sowie auf jede Änderung der gewohnten
Versuchsanordnung, auf die Anwesenheit neuer Sitzungsteilnehmer usw. unverhältnis-
mäßig stark reagieren läßt. Man kann die Mißerfolge also als die Folge von Dispo-
sitionshemmungen auffassen. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, muß man das
Ergebnis als außerordentlich günstig bezeichnen. Es fragt sich nur, ob man bei der
angewendeten Versuchsmethode genötigt ist, als Erklärung nur mehr echte parasenso-
rische Gedankenübertragung gelten zu lassen. Sind alle Fehlerquellen vermieden worden?
Im Hinblick auf die von Mur ray angegebene leichte Hyperästhesie während der
Versuche erwägt Mrs. Sidgwick (S. 230/31) mit Recht die Möglichkeit einer ab-
normen Steigerung des Gehörsinnes als Fehlerquelle. Obwohl es gelegentlich nachgeprüft
worden war, daß sich die Versuchsperson in dem Zimmer, in weiches sie sich jeweils
vor Beginn eines Versuchs begab, tatsächlich normalerweise außer Hörweite befand,
vermag Mrs. Sidgwick einige Fälle nachzuweisen (z. B. Versuch 24 und 25) , bei
welchen Mur r a y einen Namen oder ein Wort vernommen hatte. Das konnte dann
leicht zum Erraten des Motivs führen, welches der Aufgabe zugrunde lag. In wie
viel Fällen mag Murray unbewußt derartige Wahrnehmungen gemacht haben ? Es
wäre doch leicht gewesen, diese Fehlerquelle auszuschalten. Auch erscheint der alte
vielumstrittene L eh mann sehe Einwand des „unbewußten Flüsterns" seitens der
als Agent wirkenden Person oder eines anderen Anwesenden nicht hinreichend be-
rücksichtigt. Auch hinsichtlich der gewählten Motive bleibt für den Fernstehenden
noch manche Frage offen. Sehr oft handelt es sich um Szenen aus dem Leben der
Familie Murray oder aus Romanen. Im Murr ay sehen Familienkreise wird offen-
bar viel Lektüre getrieben, wohl auch viel darüber gesprochen. Es fragt sich also,
inwieweit die gestellten Aufgaben für Mitglieder der Familie nahelagen ob etwa
gerade eines der gewählten Bücher kurz zuvor Gegenstand der Unterhaltung gewesen
war, usw. Das würde naturgemäß manchen geradezu verblüffenden Erfolgen viel von
ihrem Wert nehmen.
Um die Art der Versuche anschaulich zu machen, mag hier ein solcher wieder-
gegeben werden (Vers. 7), den Mrs. Sidgwick nur als einen Teilerfolg gelten läßt :
Miß Agnes Murray (Agent): „Terence (ein Neffe von Prof. Murray) und Na-
poleon stehen auf einem Hügel oberhalb der Marne und beobachten das Artillerigefecht
im Grunde."
Prof. Murr a y: „Dies ist eine Handlung — ich kann die Personen nicht klar
erkennen, ich glaube auf einem Hügel auf Artillerie herabschauend. Es ist nicht Sau-
marez. Es mögen Oxfordleute sein. Ich vernehme das Bersten von Granaten. Ich möchte
annehmen, daß es Terence und noch jemand ist — ich glaube nicht, daß ich die andere
Person kenne. Nein, ich glaube nicht, daß ich sie kenne. Nein, ich kann sie nicht
erkennen."
Bis auf das Nichterkennen Napoleons, das aber auch auf eine nicht hinreichend
scharfe und anschauliche Vorstellung des Agenten zuruckgeführt werden kann, ist die
Aufgabe richtig gelöst. (Proc. Vol. XXXIV, Part 92, S. 201--274.)
"Cone-Literatur". 73
Vol. XXXV, Part ••3, June 1924: Experiences in Spiritualism with D. D. Horn e. By
the Earl of Dunrav en. Dieser Band ist ein von Oliver Lodge eingeleiteter, vorn Earl of
Dunrav en (Sohn) herausgegebener Neudruck des Privatdrucks von 1870, in welchem
seinerzeit der Earl of Dunr av en (Vater) seine Aufzeichnungen über 78 Sitzungen aus den
Jahren 1867-69 mit Daniel Dunglas Horn e veröffentlicht hatte 5. Die Veröffentlichung
kann nicht mehr als historisches Interesse beanspruchen. Sogar General Peter („Psych.
Studien", Mai 1925, S. 270) sagt zu diesen Sitzungen, daß die Mehrzahl im Fahrwasser
des reinen Offenbarungsspiritismus sich bewege und den Skeptiker schwerlich über-
zeugen werde. Hinsichtlich der Phänomene, die Home produzierte, sei auf das ent-
sprechende Kapitel in dem Werk „Der physikalische Mediumismus" von Gulat -Wellen-
burg, Klinckowstroem und Rosenbusch verwiesen (Berlin, Ullstein, 1925).
Graf Carl v. Klinckowstroem.
Journal of the Society for Psychical Research. London. Vol XXI, 1924.
8°. Nr. 401-410.
Neben den „Proceedings" gibt die S.P.R. ein nur für die Mitglieder bestimmtes
„Journal" heraus, das jetzt auch bereits im 22. Jahrgang steht. Während in den „Pro-
ceedings" größere Arbeiten zum Abdruck gelangen, finden im „Journal" neben ge-
schäftlichen Mitteilungen kleinere Artikel, Buchbesprechungen usw. Aufnahme. Meist
handelt es sich bei diesen Artikeln um irgend welche Fälle von Hellsehen, Telepathie usw.,
die der S.P.R. mitgeteilt und von dieser dann nach Möglichkeit geklärt werden. Das
so gewonnene Material, naturgemäß sehr verschiedenwertig, ist immerhin geeignet,
schon durch seine Masse einen gewissermaßen kumulativen Beweis für das Bestehen
solcher Erscheinungen mi erbringen. Aus dem Inhalt des Jahrganges 1924 heben wir
einen Artikel von Ch. Riehet (Juniheft) über Metapsychik und Fortleben nach dem
Tode heraus, in welchem Riehet an seine Auseinandersetzung mit Sir Oliver Lodge
(Spiritist) über diese Frage anknüpft (Proceed., Vol XXXIV, pag. 113 ff.). Riehet
steht bekanntlich auf dem Standpunkt, daß die von ihm in vollem Umfange anerkannten
mediumistischen Phänomene für die Annahme des Fortlebens nichts beweisen.
Graf Carl v. Klincko w stro em.
Coue-Literatur.
Der Coueismus gehört nicht zum Okkultismus, wohl aber zu den "Grenzfragen
des Seelenlebens", denn indem er bestrebt ist, die „Einbildung", d. h. die unterbewußte
Autosuggestion, zu einer vom bewußten Willen ganz unabhängigen Macht zu entwickeln
und für medizinische und pädagogische Zwecke brauchbar zu machen, bedient er sich
der keimhaften Ansätze zur Bewußtseinsspaltung und Verselbständigung des Unter-
bewußtseins, die bei sehr vielen, wenn nicht bei allen Menschen vorhanden sind. Außer-
dem gibt es, wie wir sehen werden, interessante verknüpfende Gedankenfäden zwischen
Okkultismus und Coueismus. Aus beiden Gründen gehört letzterer in das Betrachtungs-
gebiet unserer Zeitschrift.
Überblickt man die immer üppiger emporwachsende Literatur, die sich an
C u e und Baudo uin anschließt, so erkennt man sofort, daß ihre Bewegung nicht,
wie ihre Gegner wollten, als Kurpfuscherei, auch nicht als flüchtige Modeströmung
angesehen werden kann. In steigendem Maße beschäftigen sich Fachmänner von Ruf
mit dieser Lehre, und selbst in dem vielfachen Hersagen des Zauberspruches „Es geht
mir von Tag zu Tag besser und besser in jeglicher Hinsicht", das man zuerst dem
') Referent besitzt ein Exemplar dieses sehr seltenen Privatdrucks, das nach dem
handschriftlichen Besitzvermerk aus der Bibliothek des Viscount Adar e, eines Teil-
nehmers an diesen Sitzungen, stammt. Die Einleitung Adares ist im Neudruck weg-
gelassen worden. Der Titel des Privatdrucks lautet: Experiences in Spiritualism with
Mr. D. P. Home. By Viscount Adare, with introductory remarks by the Earl of Dun-
raven. o. 0. (London) u. .J. (1870). 8°. XXXII und 179 S.
74 R. Baerwald.
Gesundbeten hat gleichstellen wollen, erkennen sie einen vernunftigen Zweck. Man sieht
bereits, daß der CouAismus sich durchsetzen wird. Allerdings wird von den diesen
Gegenstand behandelnden Ärzten durchweg betont, daß die systematische Autosuggestion
nicht etwa den Arzt darf ersetzen wollen. Sie macht sorgfältige Diagnosestellung und
körperliche Behandlung organisch bedingter Krankheiten nicht überflüssig, und auch
wo es sich um rein funktionelle Störungen handelt, wird für die meisten Patienten
der Psychotherapeut als Lehrer der Methode und Führer für den Anfang unentbehr-
lich sein.
Dr. Fritz Schulhof: „Couismus, die Kunst der Selbstüberredung als
eine neue psychische Behandlungsmethode". Wien und Leipzig, Mor. Perles,
3. Aufl. 1925. Der Verfasser ist Primärarzt an einer großen Anstalt für Nervenleidende. Das
für die Selbstunterweisung von Laien berechnete Buch ist klar und gut geschrieben und
bietet namentlich eine wertvolle Erweiterung jener Vorübungen, durch die Cou dem
Patienten den Glauben an die Allmacht der Autosuggestion und die Gegenwart eines von
seinem Willen unabhängigen Unterbewußtseins beibringen will. Co u rät bekanntlich den
Gebrauch des Chev r eul schen Pendels an, das, als ob es in der Hand der Versuchs-
person lebendig würde, in einer bestimmten Richtung schwingt, sobald diese Richtung
vorgestellt wird, und zu schwingen aufhört, sobald an Ruhe gedacht wird. Nun rät
Schulhof , daran anschließend dem Patienten die Weisung zu geben : „Sehen sie
den Ring ganz gleichgültig, teilnahmlos an, denken sie gar nichts dabei!" Auf diesen
Befehl hin entsteht, weil der Patient Zeit zur Selbstbeobachtung gewinnt, große Müdig-
keit des lange wagrecht gehaltenen Arms. Wird sie aber so überwältigend, daß der
Patient glaubt, er müsse den Arm sinken lassen, dann gibt der Arzt den Befehl, aufs
neue an eine bestimmte Riclitung zu denken, und siehe da, der Ring beginnt wieder
zu schwingen, die Müdigkeit wird vergessen, der Arm kann noch lange ohne Er-
schöpfung wagerecht gehalten werden. Dieses Hin und Her kann man 10 Minuten lang
wiederholen. So wird dem Kranken der erstaunliche Einfluß der Vorstellung auf den
Körper von einer anderen Seite her, durch die Macht der Ablenkung, demonstriert. —
Schwingt der Ring, durch die bloße Vorstellung einer Richtung in Bewegung gesetzt,
und sagt man dem Patienten, er solle jetzt mit dem Willen eingreifen und versuchen,
das Pendel zur Ruhe zu bringen, so bewegt sich, wie schon Coue und Baudouin
festgestellt haben, bei vielen der Ring erst recht und stärker als vorher. Dieses Sym-
ptom betrachtet Schulhof als Unterscheidungsmerkmal dafur, we!che Patienten für
das Cou'C' -Verfahren geeignet sind. (Trifft diese Beobachtung zu, so beweist sie, daß
die Methode namentlich auf solche Personen zugeschnitten ist, bei denen das "rebellische
Unterbewußtsein", d. h. das antagonistische, dem Oberbewußtsein vielfach zum Tort
handelnde Unterbewußtsein sich stark ausgebildet hat. Bei den meisten Nervenkranken,
Degenerierten, Desequilibrierten wird diese Bedingung erfüllt sein). — Manchen vor-
wiegend geistig beschäftigten und interessierten Personen läßt sich die Macht der
Autosuggestion besser durch Denkubungen als durch Exerzitien der Körperbeeinflussung
veranschaulichen. Für solche Patienten empfiehlt Schulhof: Man solle ihnen ein
Schaufenster, ein Gebäude, ein Bild zeigen und sie veranlassen, sich mit leiser Mit-
bewegung der Lippen einzureden, sie hätten nie etwas Schöneres gesehen, und sich
alle einzelnen Schönheiten vorzusprechen, die dem Kunstwerke eigen seien. Ist diese
Selbstüberredung einigermaßen gelungen, dann soll die Versuchsperson ein verächt-
liches Lächeln annehmen und sich nun umgekehrt das Bild nach Kräften zu verleiden
suchen, seine Fehler aufstöbern, sich sagen, was man anders gemacht hätte, was da
und dort besser dargestellt worden sei usw. (Wer beobachtet hat, wie leicht uns ein
blasierter Mäkler die höchste Begeisterung trüben, das bewundertste Kunstwerk, indem
er es als Kitsch und Mache hinstellt, trotz unseres Protestes mit unaustilgbaren Flecken
besudeln kann, der weiß, wie wirksam diese Übung in ästhetischer Suggestion sein muß.)
Dr. v. G u 1 at-Wellenburg: „Das Wunder der Autosuggestion". Kempten
im Allgäu, Gesellsch. f. Bildungs- und Lebensreform, 1925, Kennt man die große Skepsis,
mit der der bekannte Münchener Nervenarzt zu urteilen pflegt, so sieht man nicht
ohne Verwunderung, wie weit er ohne Widerspruch den Bahnen Co u s folgt. Vor
allem bestätigt er zum Teil dessen Angabe, daß suggestive und sonstige seelische Ein-
„Cou6-Literatur”. 75
flüsse auch organische Erkrankungen zu heilen vermögen ; die geläufige Ansicht, daß
nur nervöse und andere funktionelle Störungen in das Bereich des Psychotherapeuten
fallen, sieht er als durch die neueren Erfahrungen überwunden an. Er hat mehrere Fälle
fortgeschrittener, unzweifelhaft richtig diagnostizierter Lungentuberkulose gesehen, in
denen die übliche Behandlung durch Futtern, Schonen, Luftkur versagte und die Kranken
dem Untergange geweiht schienen, bis ein starker seelischer Anstoß, Liebe, Ausbruch
des Weltkrieges, suggestive Einwirkung eines Wallfahrtsortes das Bild völlig veränderte
und eine Besserung oder sogar in mehreren Fällen eine totale Heilung einleitete, die
durch den lokalen Krankheitsbefund bestätigt wurde. Gulat sieht die Abhängigkeit
der Abwehrkraft der Phagozyten vom seelischen Zustand des Patienten als Ursache
solcher psychisch bedingten Heilungen an. Ferner werden bei manchen Geschwülsten,
zumal Myomen, bei Schleimhautpolypen, bei Warzen, bei infektiösem Schnupfen,
Suggestivheilungen beobachtet vermutlich dadurch, daß seelischer Einfluß die Blutzufuhr
und damit die Ernährung des Gewächses abschneidet oder die Blutanschoppung ver-
hindert, also die Wirkung des Codein oder Adrenalin nachahmt. Indessen über-
schätzt C o u 6 die Reichweite solcher Suggestivheilungen organischer Krankheiten, vor
allem hält er sie für zu gesichert. Es handelt sich um Vorgänge, die gelegentlich vor-
kommen, auf die man aber nicht rechnen kann, um deren Möglichkeit willen man also
keinesfalls die übliche körperliche Behandlung durch einen Arzt verabsäumen darf. —
Als besonders wichtigen Kunstgriff zur Verstärkung der Suggestionswirkung empfiehlt
Gulat das Erzeugen einer autosuggestivan Illusion, d. h. der Suggestionsgedanke soll,
wenn möglich, nicht bloße Vorstellung bleiben, sondern Empfindung werden. Jener
berühmte Fall, in dem ein in der Autosuggestion trainierter Mann unter einer auf
seine Haut gelegten Münze willkürlich Brandblasen entstehen ließ, war nur dadurch
möglich, daß er sich mit geschlossenen Augen einredete: „Ach, wie heiß, sehr heiß,
wie es brennt !", daß er schließlich schrie und wie im Schmerz stöhnte und durch diese
eindringliche Form der Autosuggestion sie zur wirklichen Schmerzempfindung steigerte.
Prof. Ferdinand W ink 1 er: „Gesundung durch Erziehung. Pädagogische
Psychogymnastik, Persua sion und Coueismus".Pfullingen,Joh.Baum.Einkennt-
nisreiches, aber seltsam eigenwilliges Buch, das zwar Cou6s Erfolge anerkennt, sie aber
systematisch in genau entgegengesetzter Weise erklärt als er selbst. Vor allem ver-
zichtet Winkl er mit El. K 1 em p erer auf den Begriff des Unterbewußtseins, weil seine
Bedeutung für seelische Prozesse noch zu ungeklärt sei. Damit verschwindet das meiste
in der Versenkung, was die neuere Zeit über den Mechanismus der Heilsuggestion
gelehrt hat. Die Vorübungen C o u s, Nie doch dazu bestimmt sind, dem Patienten das
Vorhandensein einer vom bewußten Willen unabhängigen psychischen Macht zu zeigen,
nennt W inkler Willensübungen, Turnen des Willens, Wegräumen von Hemmungen
des Willens, kehrt also den Befund der Selbstwahrnehmung einfach um. Alle Auto-
suggestion sei eigentlich Fremdsuggestion. — Co u 6 vertritt bekanntlich den um-
gekehrten Standpunkt —‚ denn, wie wiederum K le mp er er behauptet, der Patient
suggeriere sich nur auf Grund ärztlicher Ratschläge, gelesener Bucher, gesehener Bei-
spiele. (Wenn ein Hysterischer sich durch unbewußte oder bewußte Autosuggestion
krank macht, tut er das auch unter dem Einfluß solcher Fremdsuggestion ?) Ja vielfach
sei C ou6s Autosuggestion überhaupt nicht Suggestion, sondern „Persuasion", d. h.
das Aufzeigen vorhandener Tafbestände oder in Bereitschaft stehender Wege, auf denen
der Patient sich helfen kann. Was Winkle r praktisch unter Persuasion versteht und
als besonders wirksames psychotherapeutisches Mittel betrachtet, zeigt er an mehreren
Beispielen. Er beseitigt Zahnschmerzen oder nervöses Jucken einmal durch Amylnitrit,
und nun stellt sich der Patient bei späteren Anfällen den auffallenden Geruch dieses
Mittels und die Empfindung der Blutüberfüllung, die es veranlaßt, deutlich vor und
vermag das Leiden so zu verscheuchen. Der Schlaflose wird einmal in der Sprech-
stunde durch Äthernarkose eingeschläfert, von der ab hilft ihm die Vergegenwärtigung
der Situation der Narkose und des Äthergeruchs. (Was hier vorliegt, ist offenbar auch
Suggestion und Autosuggestion, die durch eine gleichgerichtete objektive Einwirkung
sozusagen auf den Trab gebracht wird, ein den Suggestionstherapeuten vertrauter,
namentlich von Dr. J. G- ro 13m ann viel angewendeter Trick.)
76 R. Baerwald. E. Bohn.
seines Buches zu erschweren. Seit Jahrhunderten (die erste Ausgabe des Nostradamus
erschien 1555, gedruckt von Mace Bonhomme in Lyon) bemühen sich die Gelehrten,
die richtige Anordnung zu finden. Pi obb ist das geglückt. Leider verschweigt er uns,
wie man auf Grund seiner kabbalistischen Methode mit Hilfe des Schlüssels das Buch
enträtselt. Er schlägt sich zwar vor die Brust und beteuert, er stelle die Vertrauensfrage,
ob er den Schlüssel auch richtig angewendet habe, aber den zweiten Teil seines Buches
könnte er auch ohne Zauberschlüssel geschrieben haben. Dieser zweite Teil bringt eine
Reihe von Versen des Nostradamus und ihre Entschlüsselung. Es sind z. T. bekannte
Auslegungen, die so dehnbar sind wie der Versailler Friedensvertrag. Man möchte
meinen, sie seien auf Gummi gedruckt, damit man sie immer länger auseinanderziehen
könne. Hm eine Probe zu geben, zitiere ich Seite 26. Der Krieg von 1914, schreibt
Pi obb, ist von Nostradamus mit der peinlichsten Genauigkeit beschrieben worden.
Beweis: 1,64 spricht Nostradamus von Le Pourceau Demi-Homme : „Das halb-
menschliche Schwein", mitunter auch „Halbschwein" genannt, ist der Deutsche Kaiser,
Wilhelm der Zweite, und die wilden Tiere, von denen Nostradamus spricht, sind die
Deutschen. „Nostradamus liebt nicht die Deutschen". Er bezeichnet sie als „M örde r,
furchtbare Ehebrecher, große Feinde des Menschengeschlechts, unmenschlich usw.".
An einer anderen Stelle spricht Nostradamus von dem Greis, der von dem Halbschwein
geboren wurde, das ist natürlich der Deutsche Kronprinz. Das Wort Madric braucht
man nur umzustellen, so liest man Damrick, das man als „D'Amerik" lesen muß.
So wird die Teilnahme Amerikas am Krieg bewiesen. Braucht es weiterer Beweise?
Am Schluß des Vortrages entschleiert uns Pi obb die Zukunft. 1927 wird Ruhe in allen
Schwierigkeiten eintreten. 1927 bis 1930 wird die französische Verfassung geändert.
Zwischen 1930 und 1940 allgemeine Entwaffnung, dann neue Kriege und so geht es
weiter bis zum Jahre 7000. Nach 1927 wird Frankreich die lebende Flamme der
Menschlichkeit sein".
Ein Witz der Weltgeschichte will es, daß im Jahre 1914 vor Kriegsausbruch
noch ein Kommentar über Nostradamus erschienen ist.
Charles Nicoulland: Nost-adamus Les propheties. Perrinet & Co.,
Paris 1914, 271 Seiten.
Er ist von einem Katholiken verfaßt und ganz auf kirchliche Geistesrichtung
eingestellt. Während das Buch von Piobb kaum mehr Wert hat, als den eines unfrei-
willigen Witzes vor einer Korona von alten Weibern, ist das Buch von Nico ul 1 an d
ernster zu nehmen. Ni c oul 1 an d hat Unmerhin Vorkenntnisse mitgebracht. Auch ihm
fehlt die Kenntnis der ältesten Nostradamus-Drucke (die Klinckowstroem schon im
Jahre 1913 im Heft 12 des 4. Jahrganges der Zeitschrift für „Bücherfreunde" so vor-
züglich bearbeitet hat). Auch er geht nicht auf die ältesten Drucke zurück. Bei der
Auslegung von Nostradamus kommt es aber auf die ältesten Drucke an, weil sie er-
heblich untereinander abweichen. Aber Nico ull an d hat doch einigermaßen Über-
blick über das Material, während Pi ob b mit einer leichtfertigen Geste, die er patrio-
tisch anstreicht, das Werk des Nostradamus zu beherrschen glaubt. Der Witz des
Buches von Nie oull an d liegt in der Tatsache, daß in diesem Buche der ganze Welt-
krieg nicht geahnt wurde, 1914, als schon der Donner das Gewitter ankündete ! Während
also Pi ob b 1924 behauptet, der Krieg sei mit größter Genauigkeit von Nostradamus
beschrieben worden, hat Nie oull and im Jahre 1914 davon nichts geahmt. Der Schlüssel
des Herrn Floh b bringt uns in die angenehme Lage, nun zwei Schlüssel zu dem Werk
des französischen Nationalpropheten zu besitzen. Im Jahre 1921 hat Loog in der
Schrift „Die Weissagungen des Nostradamus", Verlag von Joh. Baum, einen anderen
Schlüssel veröffentlicht. Leider hat auch er die Anwendung dieses Schlüssels einer
späteren Zeit vorbehalten. Das Loog sehe Schlüsselwort lautet : a deo, a natura. Wie
damit das Geheimnis des Nostradamus erschlossen wird, hat L oog nicht verraten.
Für das Studium des Nostradamus ist die erste Grundlage : Die Kenntnis der
alten Drucke. Die drei ältesten Drucke von Mac e Bonhomme 1555, von Pierr e
Roux Av ign on 1555 und 1556, sind verschollen. Der viertälteste Druck Lyon bei
A nt oin e Du R osne 1557 befindet sich auf der Staatsbibliothek in München. Über
alte Drucke und Manuskripte aus meinem Besitz veröffentliche ich demnächst einige
Angaben. Erich Bohn.
78 Graf c. v. Klinckowstroem. A Magician among the Spirits.
Houdini, Harry. A Magician among the Spirits. New York and London,
Harper & Brothers, 1924, 8°, XIX und 294 S. Mit 25 Abb.
Nach der leicht ironisch gefärbten Besprechung dieses Buches durch E. J. Ding-
wall im „Journal" der S.P.R., in welcher dem Verf. eine Reihe von Flüchtigkeits-
fehlern nachgewiesen werden, glaubte ich nicht viel davon erwarten zu dürfen, als ich
das Buch aufschlug. Ich war daher überrascht, dennoch eine Menge neuen und wich-
tigen Materials zu finden. Houdini ist ein bekannter Taschenspieler und Entfesselungs-
künstler, der seine erstaunlichen Künste auch in Deutschland schon gezeigt hat (z. B. vor
dem Kriege in Berlin im Wintergarten). Er ist kein bloßer Routinier, sondern ein schöpfe-
rischer Kopf. Und solche erscheinen mir neben demVertreter der modernen Experimental-
pschyologie als die geeignetsten Sachverständigen bei der Untersuchung physikalisch-
mediumistischer Phänomene. Seit vielen Jahren hat H ou dini für die mediumistischen
Phänomene großes Interesse gehabt und sie studiert, wo sich ihm Gelegenheit dazu
bot. Das Ergebnis war stets negativ. Wir wollen hier nur auf ein paar Punkte hin-
weisen, die Neues bringen. So sind die endgültigen Aufklärungen lehrreich, die uns
Houdini über die Entfesselungstricks der Gebrüder Dav enp ort gibt, die von Beginn
der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts an als „Medien die Welt bereisten und
großes Aufsehen erregten. Houdini hatte sich mit dem erst 1911 verstorbenen
jüngeren der beiden Brüder, Ira Erastus, angefreundet und ist von diesem in die Tricks
eingeweiht worden. Dazu ist zu bemerken, daß im Gegensatz zu englischen Okkultisten,
wie z. B. II. C ar ringto n, in Deutschland sogar ein immerhin kritisch zu nennender Ok-
kultist wie Tis eh n er (in seiner „Geschichte der okkultistischeneForschung", 1924, S. 41
und 42) die Produktionen der Davenports wenigstens zum Teil als echt mediumistisch
ansprechen möchte, wie in dem ganzen, im übrigen sehr verdienstvollen Buch von
Tischner das Bestreben zutage tritt, trotz mannigfacher Einwände und Bedenken.
die sich ihm aufdrängen, doch möglichst überall noch etwas für die Echtheit der
Phänomene herauszuschlagen.
Nicht minder interessant ist ein von Houdini wiedergegebenes bisher unbekanntes
Selbstbekenntnis des Betruges von Henry S1 a d e, der durch die bekannten Versuche
von Zöllner zu einer unverdienten Berühmtheit gelangte. Im Jahre 1882 wurde ihm
dieses Selbstbekenntnis von Remigius Weiß, der seine Tricks durchschaute, abgenötigt.
Weiß machte, nachdem er Sl a des modus operandi kennen gelernt hatte, ihm
schließlich den Vorschlag, einmal die Rollen zu tauschen : Er wolle die Slade schen
Tafelschriftexperimente ausführen, und Sla de solle ihn dabei beobachten. In der
Tat machte Weiß seinem Partner die gleichen Phänomene mit genau den gleichen
Mitteln vor. Sla de war äußerst verblufft und ließ nach einer weiteren Aussprache
die Maske fallen. Weiß gab sich damit nicht zufrieden. Er stellte Sla de vor die
Alternative : Entweder sollte er ein Selbstbekenntnis, das Weiß aufsetzte, unterzeichnen,
oder er, Weiß, werde ihn wegen Betruges ins Gefängnis bringen. Sla de ließ sich
darauf herbei, das folgende Selbstbekenntnis zu unterzeichnen (S. 99) : „Der Unter-
zeichnete, Henry S la de, bekannt unter dem Berufsnamen Dr. Henry Sla de, das
starke spiritistische Medium, der vor Jahren infolge ungünstiger Umstände zum spiri-
tistischen Tafelschrift- usw. Medium und zum spiritistischen Vortragsredner wurde, be-
kennt hiermit, daß alle (!) seine angeblich spiritistischen Manifestationen betrugerisch
waren und sind, ausgeführt mittels Tricks. (gez.) LI. S I ad e." Weiß verlangte noch
von Sla de, er solle seine Laufbahn als Medium aufgeben, aber Sla de bat ihn himmel-
hoch, Mitleid mit ihm zu haben, da er ja davon sein Leben friste. Leider hat Weiß
tatsächlich bis jetzt keinen Gebrauch von dem Selbstbekenntnis Slade s gemacht.
Houdini hat seinem Buch keine photographische Reproduktion dieses Dokuments
beigegeben, dessen Echtheit vermutlich seitens der Okkultisten angezweifelt werden
wird. Die Echtheit vorausgesetzt, würde es die Streitfrage über S1 ade , über die
viel Tinte geflossen ist, endgültig abschließen. — Im Jahre 1920 hatte Ho udini Ge-
legenheit, in London einer Reihe von Sitzungen der S.P.R. mit Eva C. beizuwohnen.
Mad. Bi sson hatte von ihrem Prinzip, Taschenspieler von den Sitzungen mit ihrem
großen Medium auszuschließen, eine Ausnahme gemacht, da sie sich von der Loyalität
H oudi nis überzeugte. Obwohl eine Entlarvung nicht stattfand — eine solche ist ja
Fournier d'Albe, E. E. The Life of Sir William Crookes. 79
schon durch die Versuchsbedingungen so gut wie ausgeschlossen, denn diese Bedingungen
dienen ja weit mehr der Sicherung des Mediums als der der Kontrolle —, kommt
H o u di ni, der ganz objektiv zu beobachten den besten Willen hatte, zu dem Schluß,
daß Betrug vorlag, und zwar auf Grund verdächtiger Indizien, die er wahrnahm. Nach
den Beobachtungen Dr. v. Gulat s 1 ) kann uns das nicht weiter überraschen.
Auch sonst bringt das Buch eine Fülle interessanten Materials. Eine deutsche
Übersetzung mit Fortlassung einiger Abschnitte, die nur für amerikanische Leser In-
teresse bieten, weil der Spiritismus in Europa nicht solche extravaganten Formen zeigt,
wäre jedenfalls erwünscht.
Graf Carl v. Klin ckowstroem.
Versuchspersonen und war mit ihnen befreundet. Er trat an die Versuche als über-
zeugter Spiritist heran (wir kommen darauf zurück). Merkwürdig ist, daß fast die
ganze Korrespondenz aus jener Zeit, die sich mit den mediumistischen Phänomenen
beschäftigt, aus dem Buch mit den sorgsam bewahrten Briefkopien wie auch die er-
haltenen Briefe offenbar absichtlich entfernt worden sind. Ob Cr o o k'e s damit die
Erinnerung an diese Periode seines Schaffens, die ihm nur Unannehmlichkeiten und
Streitigkeiten gebracht hat, hat ausstreichen wollen? Fournier d'A 1 b e beklagt den
Verlust von mehr als 200 Briefen, die noch manches Licht auf dieses interessante
Kapitel aus der Geschichte des Mediumismus hätten werfen können. Einen aufschluß-
reichen Brief von Cr o o k es an Huggins vom 12. April 1871 vermag F ournier
jedoch mitzuteilen, in welchem Cr o o k es über wunderbare Phänomene berichtet, die
er in einer Dunkelsitzung mit den Medien Home, Herne und Williams erlebte.
F o urni er sagt aber selbst in seinem Kommentar dazu, daß die von Cr o okes als
„exciting and satisfactory" bezeichneten Phänomene jeder Beweiskraft entbehren und
nur für den plumpen Schwindel zeugen, dessen mindestens zwei dieser Medien, Herne
und Williams, später überführt werden konnten. Wir wollen in diesem Punkt dem
Biographen nicht widersprechen. „Wir erkennen unsern Crook es nicht wieder," sagt
Fourni er d'A 1 b e , „wenn wir diesen Bericht lesen. Es scheint da zwei Cr o okes
zu geben : der eine, der gewissenhafte, sorgfältige, exakte Mann der Wissenschaft ...
und der andere, der impulsive, reizbare Wundersüchtler, dessen Vorsicht und gesunder
Menschenverstand durch ein paar Possentreiber über den Haufen geworfen werden..."
Auf jeden Fall wirft dieser Bericht ein bedenkliches Licht au f die Einstellung von
,
Crookes zu dem Phänomenkomplex und ist geeignet, seine Qualifikation als Beob-
achter mediumistischer Phänomene auch bei kritisch denkenden Okkultisten stark zu
erschüttern. Und daß Horn e mit den beiden Schwindelmedien offenbar im Einver-
nehmen stand, spricht auch nicht für ihn als das über jeden Verdacht des Betruges
erhabene Medium.
Cr o okes hat bekanntlich die von ihm beobachteten Phänomene mit einer
„psychischen Kraft" erklärt und gilt nicht als Spiritist. Ich habe in dem oben zitierten
Werk bereits ausgesprochen, daß Cr o okes wohl selbst diese Erklärung bei den Mate-
rialisstionsphänomenen, wie er sie bei Florence Cook erlebte, als unzureichend
empfunden haben muß. Von F o urni er d 'A 1 b e erfahren wir nun, daß Cr o ok es
zur Zeit seiner Experimente tatsächlich „a spiritnalist at heart" gewesen ist und als
solcher auch bei einer Anzahl seiner Freunde bekannt war. Öffentlich hat er das aber
nie zugegeben. Er wollte nach F o urni er d 'Alb e damit warten, bis die fraglichen
Phänomene von der Wissenschaft offiziell anerkannt sein würden. Ihm selbst gelang
es nicht dies durchzusetzen. Und heute, nach mehr als 50 Jahren, sind wir davon noch
fast ebensoweit entfernt.
Nach 1874 hat sich Cr o ok es nicht wieder mit dem Mediumismus beschäftigt.
Die unerquicklichen Polemiken, in die er sich verwickelt sah, haben ihn veranlaßt,
sich von da ab wieder ausschließlich seinen wissenschaftlichen Forschungen zuzuwenden.
Graf Carl v. Klin ckowstro em.
Versuche zur Feststellung des sog. Hellsehens
der Medien.
Von Graf Perovsky-Petrovo-Solovovo, Brüssel,
Ehrenmitglied der "Gesellschaft für psychische Forschung", London.
Hiermit gebe ich einen Bericht — dem später eine Kritik folgen
wird — über Versuche, in denen ich gewisse Erscheinungen des intellek-
tuellen Mediumismus zu prüfen unternahm, besonders solche des sog.
Hellsehens.
Einer dieser Versuche hat schon 1891 stattgefunden. Ich zählte
damals kaum 20 Jahre, war aber schon leidenschaftlich für okkulte
Fragen interessiert. Daher benutzte ich mit Freuden die unverhoffte Ge-
legenheit, die sich mir an einem Winterabend in Petrograd — damals
hieß es noch St. Petersburg — bot, an einer spiritistischen Sitzung teil-
zunehmen.
In Begleitung zweier Freunde war ich gekommen. Wir trafen einen
kleinen Kreis von Studenten, zwei von ihnen wirkten als Medien. Die
Sitzung fand statt in der Wohnung des Herrn Dimitri Schilkin, der
auch Student war und später einer meiner besten Freunde wurde.
Die Medien stehen an einer Seite eines großen Tisches; ihre Augen
sind verbunden, vor ihnen auf dem Tisch liegt ein großes Stück Pappe,
sie haben den Finger der einen Hand auf eine umgekehrte Untertasse
gelegt, und diese gleitet auf der Pappe hin und her und gibt recht ge-
schwind einen Buchstaben nach dem anderen an. Das Licht ist aus-
reichend, die Art, wie die Augen der Medien verbunden sind, scheint mir
einwandfrei.
Ich frage den angeblichen Geist: „Kannst Du lesen?", und als er be-
jaht, bringt man irgend ein Buch aus dem Nebenzimmer. Ich nehme ein
Blatt Papier, halte es über das Buch, öffne dieses aufs Geradewohl und
decke es mit dem Papier zu. Man bittet den Geist, er möchte die Seiten-
zahl angeben. Er antwortet:
„Ich muß nachsehen".
Darauf hebt sich die — natürlich von den Fingern der Medien ge-
l enkte — Untertasse zu dem Buche empor, das auf der Mitte des Tisches
liegt, gleitet unter das Papier, bleibt dort einige Zeit still, rutscht dann
wieder auf die Tischfläche herab und buchstabiert: "Es steht gar keine
Seitenzahl da."
Man sieht nach: Wirklich, die Seite ist leer! Große Aufregung! Wir
wiederholen den Versuch, diesmal wird als Seitenzahl „89" angegeben.
Und das war richtig!
Zeitschrift ftir Okkultismus I. 6
82 Graf Perovsky-Petrovo-Solovovo.
Bald danach Schluß der Sitzung. Einige Tage danach wird sie
wiederholt, aber diesmal gelingen die gleichen Versuche nicht. Man ver-
sucht es noch einmal, wieder mit negativem Erfolg. Aus irgend einem
Grunde hören bald nachher die Sitzungen überhaupt auf.
Ich muß gestehen, die Sache hatte großen Eindruck auf mich ge-
macht. Die Bedingungen, unter denen die geglückten Versuche statt-
gefunden hatten, schlossen, wie mir schien, einen Betrug beinahe aus.
Da die Medien standen, konnten sie meiner Meinung nach kaum unter
das Blatt Papier blicken, ganz abgesehen von den Taschentüchern, mit
denen man ihnen die Augen verbunden hatte.
Freilich war da das „Beinahe"! Aber damit wollte ich mich nicht
aufhalten. Und welchen Zweck, welches Motiv hätte auch ein Betrug
gehabt? Die Dringlichkeit, mit welcher die Untertasse die Seitenzahl
hatte „sehen" wollen, ehe sie sie angab, schien allerdings merkwürdig.
Aber als ich über die fragliche Sitzung mit dem damaligen Hohepriester
des russischen Spiritismus, Herrn Alexander Aksak ow 1 ) sprach,
fand er in seiner eigenen Erfahrung ähnliche oder gar identische Fälle.
Auch in ihnen war, seiner Angabe nach, das „Hellselen" der „Geister"
durch ganz physische Erfordernisse eingeschränkt. Kurz, alles dies sah
ebenso interessant wie ungewöhnlich aus.
Nur hatte ich leider etwa 10 Jahre lang zu warten, um wieder Zeuge
eines ähnlichen Vorganges zu werden. Eines schönen Tages lernte ich
einen gewissen G. kennen, der in Petrograd irgend ein Amt am Militär-
gericht bekleidete und durchaus ein Ehrenmann zu sein schien. Bei ihm
wurden spiritistische Sitzungen abgehalten, in denen sieh Tisch-
elevationen und ähnliche Dinge ereignen sollten. Mir war es vergönnt
etwas zu sehen, was für mich noch interessanter war. Als G. und noch
eine andere Person sich mit verbundenen Augen an einem Tische nieder-
gelassen hatten, erhielten wir schnell und mühelos „Botschaften", wieder
mit Hilfe einer Untertasse; und dieses Gerät „las" ganz richtig die Namen
von Visitenkarten, die man aufs Geradewohl aus einem Haufen gegriffen
hatte und die angeblich niemand von uns konnte.
Die Gutgläubigkeit der „anderen Person", die mit G. zusammen-
arbeitete, braucht nicht in Zweifel gezogen zu werden, was sie selbst be-
traf; nur die verbundenen Augen haben mir niemals übertriebenes Ver-
trauen eingeflößt. Ich wäre gern zu etwas exakteren, besser kontrollierten
') Den Titel „Hohepriester" verleihe ich ohne Ironie. Herr Aksakow war ein
reicher Grundbesitzer und ein rechtschaffener, vortrefflicher Mensch. Er hat eine Reihe
geschätzter Werke über den Spiritismus veröffentlicht, vor allem das zweibändige „Ani-
mismus und Spiritismus". Ich möchte glauben, daß er am Ende seines Lebens viel
von seinen einstigen Illusionen verloren hatte. Jedenfalls hatte er, als ich ihn kennen
lernte, nur noch eine sehr mäßige Schätzung der sog. Geister, wie sie sich in den
Sitzungen offenbaren. Gelegentlich entschlüpfte ihm einmal das Wort, nach seiner An-
sicht seien sie „Kanaillen". Wahrscheinlich haben die Medien ihn im Laufe seiner zahl-
losen Sitzungen mehr als einmal hineingelegt, aber mehrere hat er doch entlarvt. Jeden-
falls hatte seine Leichtgläubigkeit Grenzen. Er starb 1903. Friede seiner Asche!
Versuche zur Feststellung des sog. Hellsehens der Medien. 83
') Ich habe zuletzt zu diesem Zwecke das klassische vierbändige Werk des Fürsten
Dolgorukow eingesehen, das die Familien des russischen Adels behandelt. Das
ausgestorbene Geschlecht der Romodanovsky ist natürlich darin erwähnt, aber an-
scheinend nicht derjenige, den wir suchten. Ich habe ihn nicht finden können.
Versuche zur Feststellung des sog. Hellsehens der Medien. 85
Erraten der Seitenzahl; nur zwei hatten Erfolg, einer eitien vollen und
einer einen teilweisen. Bei jedem dieser Versuche sah die Untertasse unter
dem Papier nach, welches das Buch bedeckte; wie man sieht, verbesserte
dies kaum die Resultate.
Die Familie Y. siedelte ihrerseits im Mai nach Deutschland über und
mietete sich in K. bei Berlin ein. (Fast alle Anfangsbuchstaben in diesem
Artikel sind frei erfunden.) Ich verbrachte den Sommer 1921 im Harz
und fuhr von Zeit zu Zeit ein paar Tage nach Berlin hinüber. Ich benutzte
diese Reisen, um die Familie Y. zu besuchen, und jedesmal nach dem
Abendessen wurde eine Sitzung veranstaltet. Im August nahm ich selbst
meinen dauernden Aufenthalt in Berlin, von da ab wurden die Experi-
mente regelmäßiger fortgesetzt. Durchschnittlich alle 8 Tage fuhr ich
nach K.
In jeder Sitzung wurden auch Hellsehexperimente unternommen,
die Bedingungen waren immer oder fast immer die gleichen. Bald glück-
ten die Versuche, bald, und zwar viel öfter, gingen sie fehl. Jedesmal „sah
die Untertasse nach". Aber Fortschritte erzielten wir nicht, die Er-
folge blieben ziemlich auf gleicher Höhe. Mehr und mehr gewann ich den
Eindruck, daß man immer auf derselben Stelle herumstapfte. Außerdem
waren die allgemeinen Bedingungen recht unzureichend. Es standen fast
immer viele Leute um uns herum, es war ein beständiges Kommen und
Gehen. Frau Y. interessierte sich zwar für die Sitzungen, fand aber die
Hellsehversuche langweilig und störte die „Geister" mit ungereimten
Fragen. Aus Höflichkeit nrul3te ich gute Miene zum bösen Spiel machen,
aber innerlich ärgerte ich mich. Kurz, von Experimenten, die diesen
Namen verdienten, konnte unter solchen Umständen keine Rede sein, und
danach verlangte ich doch hier wie überall. Schließlich traf ich, wie wir
sehen werden, andere Anordrinngen, aber zunächst verlor ich viel Zeit mit
diesen Sitzungen in K.
Immerhin passierten auch hier, wie ich gleich zeigen werde, recht
merkwürdige Vorfälle. Für das Hellsehproblem war die Sitzung vom
22. August die wertvollste: Folgende Episoden waren besonders interessant:
Einmal teilte der sog., sich gerade manifestierende „Geist" mit, im
Schlafzimmer auf dem Divan läge ein Buch mit Erzählungen von
Tschechow, und dieses Buch sei bei der und der Seite aufgeschlagen,
auch gab er kurz den Inhalt der Seite wieder.
Wir sahen nach, alles traf zu. Aber ich legte der Sache kein Gewicht
bei, da das Buch der Familie Y. gehörte, deren Mitglieder es deswegen
nach Belieben hatten einsehen können. Das Buch wurde auf den Tisch
gelegt, an dem ich mit Nadja saß, die dauernd die Finger der einen Hand
auf der Untertasse liegen hatte. Ich warf eine Serviette darüber, öffnete
das Buch aufs Geradewohl und sagte zum „Geist": .,Kannst Du uns eine
Stelle der rechten Seite zitieren?" Darauf gleitete die Untertasse wie ge-
wöhnlich unter die Serviette, bleibt dort einige Augenblicke ganz still,
kommt wieder hervor und antwortet: „Wörtlich kann ich nicht zitieren,
aber dem Sinn nach bittet Alexis Michailowitsch die Julie Michailowna
86 Graf Perovsky-Petrovo-Solovovo.
um ihre Hand und erhält eine Absage." Ich hebe die Serviette auf und wir
sehen nach. Auf der fraglichen Seite ist in der Tat die Rede von einem
Heiratsantrag, den jemand der Julie Sergejewna (nicht Michailowna) ge-
macht hat, sie hat ihn abgelehnt und erzählt den Vorfall einem Dritten.
Der Name des Freiers wird hier nicht genannt, ich finde ihn aber an
anderer Stelle, er heißt in der Tat Alexis, aber der Vatersname lautet
Fedorowitsch, nicht Michailowitsch.
Allgemeines Erstaunen, um nicht zu sagen: Begeisterung! Nadja ver-
sichert, sie habe die fragliche Erzählung nicht einmal gelesen.
Es folgen noch andere Experimente. Diesmal operiere ich mit einem
dicken Buch, einer Naturgeschichte. Ich öffne es an beliebiger Stelle,
nachdem ich es vorher wieder zugedeckt habe, und frage nach der Seiten-
zahl.
Erster Versuch: Die Untertasse gibt die Zahl 398, sie erweist sich
tatsächlich als richtig.
Zweiter Versuch: In sehr gewählten Ausdrücken, was durchaus nicht
immer seine Gewohnheit ist, bittet uns der „Geist" um Erlaubnis, statt
Angabe der Seitenzahl das Bild schildern zu dürfen, da e sich an der be-
treffenden Stelle befindet. Als wir einwilligen, buchstabiert die Unter-
tasse
„Entweder ist es ein Rebhuhn oder eine Henne". Tatsächlich war es
ein Frosch.
Wir gehen weiter zu den Zitatversuchen, wobei die Untertasse, wie
gewöhnlich, „nachsieht". Beim ersten Versuch gibt sie an, die Seite sei
leer, und sie ist es wirklich. Bei zwei weiteren Versuchen werden zwei
Wortgruppen, die sich, wovon wir uns später überzeugen, auf der frag-
lichen Seite befinden, richtig wiedergegeben. Nur bemerkc ich mit Be-
dauern, daß der .,Geist" beidemal gerade die Worte der untersten, auf
der Seite stehenden Linie buchstabiert, und das behagt mir nicht sonder-
lich. Denn wenn Betrug im Spiele ist, muß Nadja diese Zeile am
leichtesten sehen können, weil das Buch gerade vor ihr liegt. Andererseits
stehen die Seitenzahlen ganz oben, man sieht also nicht recht ein, wie
Frl. Y. sie wahrnehmen kann, selbst wenn sie betrügen will. Und warum
sollte sie schwindeln, was hätte es für einen Zweck? — Alles in allem ist
mir diese Sitzung sehr interessant.
Nach 8 Tagen findet eine neue Sitzung statt. Ich bringe meinen
Sohn mit, der am gleichen Tage aus London angekommen ist, weil ich
wissen möchte, was er dazu sagt. Die Geister fordern diesmal das
französische Alphabet (Nadja spricht französisch), und wir erhalten
mehrere Botschaften von der Form: Auf der und der Seite des „Journal
des Voyages" (das sich im Besitz der Familie Y. befand) steht die und die
Zeile. Die Zitate stimmen, aber ich sehe darin natürlich nichts besonders
Auffälliges. Ich hatte aber selbst ein Buch mitgebracht, eingeschlagen
in Papier und mit Bindfaden zugebunden, und von diesem hatte ich keine
Zeile gelesen und hielt vor allen, selbst vor meinem Sohn, den Titel
geheim. Es war der vierte Band von dem Meisterwerke des General Kras-
Versuche zur Feststellung des sog. Hellsehens der Medien. 87
nov: „Vom Doppeladler zur roten Fahne", das soeben erschienen war.
Wären uns nur einige Worte dieses Buches mit Angabe der Seitenzahl
richtig übermittelt worden, so wäre dies gewiß eine ausgezeichnete Probe
von „Hellsehen" oder „zweitem Gesicht" gewesen. Unglücklicherweise
waren die Geister außerstande, uns diesen Gefallen zu tun, und ein Ver-
such, die Zahl der Seiten zu nennen, die das fragliche Buch enthielt und
die uns allen unbekannt war, ergab ein ungenaues Resultat: 216 statt
185.
Um nun dem ein Ende zu machen, was ich oben ein „Herumstapfen
auf derselben Stelle" nannte, und um meinen Versuchen einen mehr
wissenschaftlichen Anstrich zu geben, entschloß ich mich zu einem
Gesuch an die ausgezeichnete „Society for Psychical Research'' in
London, der ich seit 32 Jahren angehöre und deren Ehrenmitglied ich seit
1917 bin. Ich bat, mir eine Summe von 10 Pfund Sterling anzuweisen, mit
deren Hilfe ich mich anheischig machte, eine Reihe von Sitzungen durch-
zuführen, die zu einer Klärung der Angelegenheit ausreichend sein und
unter zufriedenstellenderen Bedingungen stattfinden würden. Man
wundert sich vielleicht über die kleine Summe; aber man bedenke, daß
in dem Augenblick, als ich die Bitte geltend machte, das Pfund Sterling
etwa 450 Mk. wert war.
Ich sagte mir: Nadia ist russische Emigrantin, es geht ihr Gott sei
Dank besser als vielen anderen, aber sie wird nichtsdestoweniger sehr
froh sein, fast alle 8 Tage 150-200 Mk. mehr zu haben. Als daher die
,,Society for Psychieal Research" mein Gesuch bewilligt hatte, schlug
ich Nadja eine neue Sitzungsreihe vor, aber nunmehr mit Bezahlung. Sie
sagte mit größter Bereitwilligkeit zu. Ich setzte mit freundschaftlichen
Worten hinzu, diese Sitzungen müßten einen etwas ernsthafteren
Charakter haben als die frühereh, vor allem müsse das Tohuwabolu, von
dem sie manchmal in K. begleitet gewesen seien, aufhören, und ihr
einziges Ziel werde die Veranstaltung von Hellsehversuchen, die Prüfung
des Lesens ohne Hilfe der Augen sein — in derselben Art und Weise wie
bei den bisherigen Experimenten. Nadia fügte sich wie sonst immer— das
will ich gern anerkennen — bereitwillig in alle meine Forderungen.
Inzwischen hatte am 1. Oktober eine unvorbereitete Sitzung statt-
gefunden, nicht mehr in K., sondern in Berlin, und zwar bei Frau von S.,
bei der Nadja ihren Besuch gemacht hatte und ich mit ihr zusammentraf.
Ein Hellsehversuch mit einem Buche aus dem Besitz der Frau von S. war
glänzend geglückt, der „Geist" gab einige Worte wieder, die auf einer
von mir beliebig aufgeschlagenen Seite s4nden, selbst das Komma hatte
er gesehen. Allerdings standen die fraglichen Worte schon wieder auf der
ersten Linie und die Untertasse hatte wie immer „nachgesehen". Aber die
allgemeinen Versuchsbedingungen schienen gut zu sein, das Buch war
sorgfältig zugedeckt. Daher waren auch die Teilnehmer sehr zufrieden.
Sie wurden es noch mehr, als ihnen ein sog. physikalisches Phäno-
men vorgeführt wurde. Man fand plötzlich ein abgerissenes Stück eines
Buchblattes vor einem der Teilnehmer liegen, die Untertasse hatte dies
88 Graf Perovsky-Petrovo-Solovovo.
wirklich ihre Angaben über Bücher vorbereiten sollte. Wir gingen so vor:
Die „Geschichte des englischen Rationalismus", die oben erwähnt wurde,
besteht aus zwei genau gleich eingebundenen Bänden Am Vormittag des
Tages der nächsten Sitzung, d. h. am 9. November, brachte ich diese
beiden Bände zu Frau von S. Der erste wurde augenfällig auf einen Tisch
des Sitzungszimmers gelegt, der zweite dagegen in einer Schublade ver-
steckt. Als Nadia kam, richtete Frau von S. es so ein, daß sie sie
3 Minuten allein im Zimmer ließ. Darauf legte sie, wieder recht auf-
fallend, diesen ersten Band in dieselbe Schublade, in der sich bereits der
zweite befand. Als danach die Sitzung begonnen hatte, nahm sie den
zweiten Band heraus, um ihn als Material für die Versuche zu be-
nutzen. Aller Wahrscheinlichkeit nach mußte Nadja annehmen, sie habe
es mit dem ersten Bande zu tun, zu dessen raschem Durchblättern ihr,
wenn sie es gewollt hätte, durch das absichtliche Hinausgehen der Frau
von S. Zeit und Gelegenheit geboten worden war.
Diese Gegenprobe hat kein entscheidendes Resultat ergeben. Zwei-
mal gaben die „Geister" vor, daß sie ins Russische übersetzte Stellen aus
dem Benn'schen Buche reproduzierten. Es ist mir aber nicht gelungen,
diese Stellen in einem der beiden Bände wiederzufinden. Es war also fast
sicher, daß Nadja wenigstens diesmal die dargebotene Gelegenheit zum
Betruge nicht ausgenutzt hatte.
Der allgemeine Eindruck, den Frau von S., Dr. De ss eir 1 ) und ich
selbst aus den 10 Sitzungen gewannen, war trotzdem schlechtweg un-
günstig. Es ereigneten sich, wie schon gesagt, etliche verdächtige Vor-
fälle 2 ), und kein Versuch glückte, der einwandfrei beweisend gewesen
wäre. Besonders Frau von S. verlor das Vertrauen, das sie zuerst Nadja
entgegenbrachte, und behauptet, sie habe von da ab das Spiel unseres an-
mutigen Mediums deutlich durchschaut und hege keinen Zweifel mehr
an der Tricknatur der „Phänomene".
Was mich betrifft, so bin ich trotz all er Bedenken geneigt, wenigstens
einen Teil der „Botschaften", welche die verzauberte Untertasse unter
den geschickten Fingern der Nadja Y. aufzeichnete, für echt zu halten.
„Echt" bedeutet hier nichts weiter als „nicht mit Bewußtsein gefälscht".
Ich glaube nicht, daß Nadja von Anfang an bis zum Schluß nur betrogen
hat: Alles in allem, eine solche Taschenspielerei kommt mir unwahr,
scheinlich vor. Der Wahrheit hat sie uns trotzdem nicht näher gebracht,
im Gegenteil, der Nebel ist vielleicht noch dichter geworden. Aber im
Bereiche des Okkultismus und Spiritismus sind wir es ja nicht anders
gewöhnt.
richten möchte. Freilich tue ich es mit einiger Zurückhaltung, weil die
im Gebiete des Hellsehens erzielten Ergebnisse zum mindesten ein
zweifelhaftes Licht auf die Gutgläubigkeit des Mediums werfen. Da ich
jedoch, wie gesagt, dazu neige, trotz allem gewisse Botschaften für echt
(im soeben erläuterten Wortsinne) zu halten, so möchte ich diese Epi-
soden nicht mit Stillschweigen übergehen; denke man darüber, wie man
will!
Fall S—n.
Die Sitzung findet im Verlauf des Sommers 1921 in K. statt. Einige
Tage zuvor hatte man die Nachricht erhalten, daß der Sohn des Herrn
S—n in Konstantinopel verstorben sei. Dieser Sohn manifestiert sich an-
geblich durch Vermittlung eines anderen „Geistes". Er gibt den 25. Mai
als sein Todesdatum an — was sich später als ungenau herausstellte') —
und spricht von einem „arabischen" Viertel in Konstantinopel, das
Nadia, wie sie mir erklärt, nicht kennt.
Plötzlich bellt ein im Zimmer anwesender Hund, und die Untertasse
unter den Fingern der Nadja macht einen förmlichen Sprung und
buchstabiert darauf: „Habe Schiki wiedererkannt". Schiki hieß der Hund,
und der angebliche Geist hatte ihn zu seinen Lebzeiten gekannt. Es lag
etwas ungemein — wie soll ich sagen? — Lebendiges, Natürliches,
Menschliches in diesem Sprung der Untertasse und diesem Wieder-
erkennen. Ich gestehe, der Vorfall machte einen starken Eindruck auf
mich.
Fall K—n.
Ein Geist meldet sich, gibt an, er sei K—n, ein alter Offizier der
russischen Garde, will einen anderen Gardeoffizier namens B. kennen, der
augenblicklich in R. wohnt, und diktiert, von mir dazu aufgefordert,
einige Sätze, die an diesen Kameraden gerichtet sind. Unter anderem
spricht er von einem Frl. Maikoff, von der B's. Mutter es gern sähe, daß
er sie heiratet; er selbst rät ihm das Gleiche mit Wärme. Nadja sagt, sie
wisse von alledem nichts; ihre Mutter aber (die zugegen ist, ohne an den
Versuchen teilzunehmen) gesteht, sie sei durch die Briefe ihres gleich-
falls in R. wohnenden Gatten über die Angelegenheit informiert. Eine
Abschrift der Botschaft wird an Herrn Y. gesandt, er soll sie B. über-
geben, dieser ist, wie es scheint, stark davon beeindruckt. Die „Bot-
schaft" schloß mit den Worten: „Wie langweilig ist es hier!", und B.,
versichert man mir, habe diesen Stoßseufzer als sehr bezeichnend für
K—n befunden.
Fall Kranni .
In der Sitzung vom 10. Oktober 1921 wurde der Name Knorrich ge-
nannt. (Später sagte der „Geist", er wisse den Namen nicht ganz sicher,
1 ) Doch möchte ich bemerken: S—n endete durch Selbstmord und starb erst
nach einigen Leidenstagen ; sein Versuch, sich zu töten, fand aber tatsächlich, wie man
mir mitgeteilt hat, am 25. Mai statt.
92 Graf Perovsky-Petrovo-Solovovo.
dieser könne auch Knobich oder ähnlich lauten, jedenfalls, sagt er,
endige der Name mit eh.) Der „Geist" will ein Deutscher und Neffe des
Rechtsanwalts gleichen Namens sein. Dann fährt er fort: „Ichi bin in
Knorrich eingedrungen und habe ihn unterjocht. Ich habe seine Seele ge-
tötet Als Bewohner von Knorrich's Leib habe ich eine große Sühne
vollzogen; iah habe keine Erinnerung an irgend etwas anderes. Aber er
war tot und man hielt mich für ihn. Das kommt sehr häufig vor, und ihr
Menschen ahnt nichts davon. Darum begibt es sieh manchmal, daß ein
Mensch sich von Grund aus ändert oder daß sich Gedanken und Wünsche
in euch auftun, über die ihr euch selbst wundert. Ich kann die Adresse
meines Onkels angeben: Breite Straße 57 in Berlin, Telephon Spandau
111" usw.
Man schlug nach, es fand sich aber kein Knorrich im Berliner
Telephonbuch; aber später teilte mir Dr. Dessoir, der auf meine Bitte
hin Nachforschungen angestellt hatte, mit, daß ja dem angegebenen
Hause ein Rechtsanwalt namens Krannich wohnte. Sein angeblicher
Neffe aber manifestierte sich noch einmal in der Sitzung vom 22. Ok-
tober, der Dr. Dessoir beiwohnte, und übermittelte uns auf eigenen
Antrieb folgende Einzelheiten:
Er war 1918, 22 Jahre alt, an Lungenentzündung gestorben.
Er nannte sich Otto, sein Onkel hieße Walter.
Er hatte Beziehungen zu einer Frau namens Ludwiga Jatsina aus
Warschau.
Dr. Dessoir hatte an Rechtsanwalt Krannich geschrieben und er-
hielt eine Antwort, aus der folgendes hervorging:
Er hieß nicht Walter, sondern Alexander, seine anderen Vornamen
lauteten Arthur und Konstantin.
Einen Neffen namens Otto hatte er nie gehabt. Sein einziger Neffe,
ein Brudersohn mit Namen Eckehardt, zählte — 4 Wochen.
Weder er noch seine Familie hatten mit Warschau oder überhaupt
mit Polen etwas zu tun.
Fall Abamelek.
Gleich darauf meldet sich ein neuer .,Geist". Er nennt sich Basil
Abamelek-Lasareff, sei 1921 gefallen, habe im Heere Wrangels bei der
berittenen Artillerie gedient, sei alter Kürassier gewesen. Seine „Bot-
Versuche zur Feststellung des sog. Hellsehens der Medien. 93
schaft" ist lang und charakteristisch. Es lebt darin ein reges patriotisches
Gefühl, etliche Absurditäten kommen vor, aber sie wären im Munde oder
unter der Feder eines jungen Gardeoffiziers, der in gewisse Vorurteile
verfangen ist und von den Fragen hoher Politik wenig versteht, ebenso
möglich. Kurz, diese „Botschaft" macht einen eminent persönlichen Ein-
druck.
Von diesem Abamelek weiß ich nichts, Nadja versichert das Gleiche.
Meine Tochter, die der Sitzung beiwohnt, erinnert sich eines Garde-
kürassiers dieses Namens. Nachforschungen haben ergeben, daß dieser
Abamelek, der aber anscheinend nur diesen einfachen Namen, nicht den
Doppelnamen Abamelek-Lasareff getragen hat, tatsächlich unter dem
Befehl Wrangels gestanden hat und 1921 oder 1920 gefallen ist; sein
Vorname soll Wladmir, nicht Basil gelautet haben. Weiter ließ sich die
Bestätigung der Botschaft nicht treiben.
Dies sind die merkwürdigsten Episoden, die in den Sitzungen mit
Nadia vorgekommen sind, abgesehen von den eigentlichen Hellseh-
versuchen. Offenbar liegt, wie ich wohl schon angedeutet habe, eine
Atmosphäre des Zweifels über allen diesen Manifestationen; wo steckt
der Beweis, wird man fragen, daß sie nicht gefälscht sind? Ich habe oben
meinen Eindruck wiedergegeben, der eher der Echtheit wenigstens eines
Teils der von Nadja aufgenommenen „Botschaften" zuneigt. Ich werde
übrigens noch zeigen, daß sie, selbst unter dieser Voraussetzung, leicht
eine natürliche Erklärung zulassen.
Ich habe noch hinzuzufügen, daß sehr oft im Verlaufe der
Sitzungen der Versuch gemacht wurde, auf rein innerlich gedachte
Fragen Antwort zu erhalten, Fragen, die der eine oder andere Teilnehmer
sich ausdachte. Alle diese Versuche waren fruchtlos, und glückte einer
ausnahmsweise, so konnte mau leicht vermuten, um welche Frage es sich
handelte.
In den Sitzungen zu K. kamen auch Töne von geheimnisvollem
Charakter vor, die dem Läuten der Türklingel ähnelten. Ich legte ihnen aber
keinen Wert bei, es waren dort zu viele Leute im Sitzungszimmer, so daß
es unmöglich war, diese Töne auf zufriedenstellende Weise zu unter-
suchen. Manchmal kündigte der sog. „Geist" sie vorher an. Zuweilen
blieben solche, die angemeldet waren, nachher aus. Ich stehe den „physj-
kalischen Phänomenen': des Spiritismus mit weitgehender Skepsis gegen-
über und ermutigte daher nicht gerade diese Ansätze, gleichviel welcher
Art sie wirklich sein mochten. Mich interessierte nur das Hellsehen, weil
ich glaubte, auf diesem Gebiete könne man etwas Faßbares in die Hand
bekommen, etwas, das sieh für eine des Namens würdige wissenschaftliche
Kontrolle eignete. Wie wir sahen, hat diese Hoffnung getrogen, nach mehr
als dreißig Sitzungen mit Nadja habe ich, trotz einiger recht fragwürdigen
positiverer Erfahrungen, die r arissima avis, nach der ich schon so
lange pürschte, immer noch nicht fangen können. übrigens tröste ich
mich darüber.
94 Graf Perovsky-Petrovo-Solovovo.
Ein anderer Punkt: Meine Sitzungen haben mir wieder einmal ge-
zeigt, wie wenig Intelligenz und Beobachtungsgabe identische Eigen-
schaften sind. Personen von eher überdurchschnittlicher Intelligenz waren
ganz verblüfft über gewisse mit Nadja angestellte Versuche, während die
betreffenden Leistungen sich leicht ganz einfach und natürlich hätten
erklären lassen. Aber noch mehr: Ich selbst bin doch gewiß kein Neuling
auf dem unfruchtbaren Felde der „psychischen Forschung" und habe
doch zweifellos, ohne es zu wollen, den Betrug in hohem Maße erleichtert
(sofern Betrug im Spiele war), indem ich den Geistern eine Methode
suggerierte, welche die Kontrolle viel schwieriger gestaltete und die Be-
dingungen arg komplizirte. Denn schwerlich würde Nadia, falls sie über-
haupt mit Tricks arbeitete, den Vorschlag riskiert haben, die Untertasse
sollte die Seitenzahl „nachsehen", wenn ich nicht so freundlich gewesen
wäre, ihn selbst in Anregung zu bringen. Allerdings darf ich mildernde
Umstände für mich in Anspruch nehmen: Den Präzedenzfall von
31 Jahren vorher, wo derartige Veranstaltungen nötig schienen.
Dies veranlaßt mich, einige Worte über die sog. „Gesetze" zu sagen,
die vermeintlich die spiritistischen Phänomene, oder wenigstens gewisse
derartige Phänomene, regieren. Diese Gesetze sind äußerst variabel, aber
eins haben sie alle gemein: Sie erleichtern durchweg den Be-
trug.
Mehr als das- Ein Spiritist, der sich nicht selbst widersprechen will,
kann fast niemals beweisen, daß sein Medium wirklich getäuscht hat.
Kann ein „materialisierter Geist" je von einem Skeptiker in einer
Materialisationssitzung ergriffen werden mit dem Ergebnis, daß das ver-
kleidete Medium selbst seine Rolle gespielt hat? Nein, man ergärt: Weil
die „materialisierte Form", die sich, nach der spiritistischen Hypothese,
aus der Substanz des Mediums gebildet hatte, durch das Zugreifen ver-
hindert worden ist, in das Medium zurückzufließen, so ist letzteres selbst
von seiner materialisierten Form angezogen worden, die Wieder-
vereinigung hat unter abnormen Bedingungen stattgefunden, und darum
— hat man an der Stelle des Geistes das Medium zu fassen bekommen.
Oder kann es je passieren, daß man eine angeblich „fluidische" Hand mit
Farbstoff befleckt und diesen hinterher an der Hand des Mediums wieder-
findet? Nein, es heißt in solchem Falle, ein Transfert der Moleküle des
Farbstoffes habe stattgefunden, weil die fluidische Hand sich dernateriali-
si ert hat. Oder hat man schon je im Dunkelkabinett, wo, wie man an-
nimmt, das Medium während der Materialisationen in tiefem Trance
liegt, Schleier und Masken gefunden? Gott bewahre, das waren
.,Apporte", die Geister haben sie hereingebracht.
Und so weiter! In den letzten Jahren sind auf diesem Gebiete neue
Theorien aufgeblüht, die an Lächerlichkeit noch die hier angeführten
übertreffen, soweit das möglich ist. Aber wenn ich mir's recht überlege,
96 Graf Perovsky-Petrovo-Solovovo.
muß ich mir eingestehen, daß eine Untertasse, die liest (und sich sogar
ziemlich oft v e r liest) auch nicht viel besser ist als ein materialisierter
Faden, an dem ein Gegenstand hängt (wie bei den Versuchen mit Stanis-
lawa Tomczyk), oder eine flache Materialisation, auf der die Buch-
staben Mirol) stehen (welches Wunder sich bei Eva C. begeben hat).
Und doch, ich Skeptiker, ich hartgesottener Skeptiker sogar war dicht
daran, an diese lesende Untertasse zu glauben, oder ich verfuhr wenigstens
ganz so, als ob ich daran glaubte. So stark wirkt das Milieu, das die Spiri-
tisten zu ihrem Spezialvergnügen um ihre Phänomene geschaffen haben.
Indem man sich in diese Dinge einlebt, wird man schließlich die Ab-
surditäten und Albernheiten nicht mehr gewahr, die bei jedem Schritt
wie die Pilze aufschießen; man wird geradezu hypnotisiert. Bei wie
vielen ist der gesunde Menschenverstand in dieser Flut ertrunken! Ich
war glücklicher und konnte widerstehen, aber doch nicht ganz, da ich bei-
nahe zugestanden hätte, daß — eine Untertasse lesen kann!!!
Man sollte jetzt aufstehen und es deutlich und laut aussprechen, daß
alle oder fast alle diese sog. Gesetze, denen nach Aussage der Spiritisten
die Phänomene gehorchen, keine wirkliche Berechtigung haben und ganz
und gar erfunden sind, und zwar nur zu dem Zwecke, 'um entweder den
Betrug geradezu zu begünstigen oder um ein ungeschicktes Medium
herauszuhauen, wenn es ertappt wird. Mögen zukünftige Experimenta-
toren dies beherzigen und die Herren Geister es sich gesagt sein lassen!
Offenbar verlieren, wie schon gesagt, bei der Annahme, das Hell-
sehen der Nadia beruhe auf Tricks, auch die „Botschaften'', die wir in
ihren Sitzungen erhielten, viel von ihrer Bedeutung. Hat sie dort zu
Täuschungsmitteln gegriffen, so kann sie es auch hier getan haben.
Nimmt man es genau, so kann man auch die Fälle Krannich, Abamelek,
die Botschaft in serbischer Sprache usw., von denen oben die Rede war,
auf Schwindel zurückführen.
Tatsächlich glaube ich, wie schon gesagt, keineswegs, daß Nadia
immer und überall betrogen hat — selbst wenn das Hellsehen bloß trick-
mäßig zustande gekommen sein sollte — und ich neige zu der Ansicht,
daß manche dieser Botschaften wenigstens nicht bewußter Schwindel
waren. Aber wer sollte nicht erkennen, daß selbst hier alle diese Bot-
schaften sehr leicht aus dem „subliminalen Ich" des Mediums si ammen
können und daß die Hypothese der latenten Erinnerung oder Kryptomnesie
ihren Inhalt zufriedenstellend erklärt? Gibt man zu, daß Nadia guten
Glaubens war, als sie versicherte, sie wüßte nichts weder von der Existenz
noch von der Adresse z. B. der Krannich oder Knorrich oder Frl. Maäkoff
(vgl. Botschaft K—n!), wer garantiert uns, da ß sie das alles nicht doch
gewußt, später aber wieder vergessen hat? Jene Hypothese hat nichts be-
sonders Unwahrscheinliches an sich, jedenfalls weniger als jede andere.
') Aus dem Kopfdruck der Zeitung „Le Miroir".
Versuche . zur Feststellung des sog. Hellsehens der Medien. 97
Sprache entstanden sein. Bezeichnend für die Botschaften in fremden Sprachen ist es,
daß die in deutschen Worten mitgeteilte des angeblichen Neffen des Herrn Krannich
Fehler enthielt, die nach Aussage des Herrn Dr. Dessoir ein Deutscher nie gemacht
hätte. Auch manche französischen Wendungen schienen mir nicht einwandfrei ; und ein
angeblicher Auszug einer Stelle aus dem mehrfach erwähnten Buche von Benn, der
in der Sitzung vom 9. November vorgebracht wurde, erwies sich als unsinniges Gr 'e-
mengsel.
Zeitschrift für Okkultismus I. 7
98 Graf Perovsky-Petrovo-Solovovo.
1 ) Noch einen dritten Fall könnte ich anführen : Die Seitenzahl 398 wurde in der
Sitzung vom 22. August richtig angegeben (vgl. oben). Die Kontrollbedingungen schienen
mir damals recht gut.
Richard Baerwald. Das dämonische Unterbewußtsein. 99
zusehen genau angab, ist mir auch heute noch unerklärlich. Ich bleibe
dabei, daß die Versuchsbedingungen ausgezeichnet waren; Nadja sah das
Buch zum erstenmal.
Nachträglich aber habe ich bemerkt, daß das Buch sich immer be-
sonders leicht bei Seite 192-193 öffnete. Soll man daraus den Schluß
ziehen, daß ich unbewußt diesen Umstand wahrgenommen hatte?
Dann wäre ich selbst es gewesen, der unbewußt die Ziffern der Zahl 193
zusammengefügt hätte. Man muß gestehen, das ist wenig wahrscheinlich.
Kurz, dieser Vorfall bleibt im Schatten des Geheimnisses.
Man wird mir vielleicht die Frage stellen, warum ich nicht zu entscheiden-
deren Experimenten übergegangen sei, welche die von der S. P. R. sog. „con-
tinual observation" (ständige Überwachung) überflüssig gemacht hätten.
Hierauf eine einfache Antwort: Nach meiner Ansicht sollte man auf
metapsychischem Gebiete nur stufenweise vorgehen, es widerspricht den
wissenschaftlichen Forderungen, sofort mit den schwierigsten Tests zu
beginnen. In den Nadiasitzungen schien es mir daher wesentlich, das
Phänomen zuerst in seiner einfachsten Form zu studieren, aber natürlich
doch in systematischer Weise. Wäre dies geglückt, so hätte ich strengere
Tests angewendet. Leider bin ich, wie wir gesehen haben, nicht über jene
erste Stufe hinausgekommen.
mehr als einer Beziehung ein Neubeginner war und seiner Zeit vorauseiltel),
und zwar in seinem 1857 veröffentlichten Werke „Magisches Geistesleben".
Im Anschluß an den Polaritätsgedanken der Schelling sehen Naturphilo-
sophie behauptet er die Polarität, d. h. den sich ergänzenden Gegensatz von
Gehirn und (sympathischem) Gangliensystem, von Tag- und Nachtseite des
Geisteslebens. Die Tagseite strebt nach Intelligenz und Wissen, die Nachtseite
nach Glauben, erstere will die Natur beherrschen, letztere ist in sie eingesenkt,
die Vernunft der Tagseite steht in ewigem Kampfe mit der Triebhaftigkeit
der Nachtseite. Die Kulturgeschichte ist eine Epopöe des Kampfes beider
Seelenhälften, die ältere Zeit ist vorwiegend magisch, die neuere strebt nach
Intelligenz. Was die Tätigkeit des Gehirns hemmt, wie Nacht, Krankheit,
Schlafwandeln, Geisteskrankheit, Agonie, steigert die magische Seelentätig-
keit. Schindler kann hiernach als der eigentliche Begründer der Lehre vom
dämonischen Unterbewußtsein angesprochen werden.
In den dramatischen Kampf der Weltanschauunger trat diese Theorie
namentlich in den neunziger Jahren ein. Aksakow hatte in seinem 1890
erschienenen Buche „Animismus und Spiritismus" den Spiritismus, d. h. die
Lehre vom Eingreifen übersinnlicher Intelligenzen namentlich durch solche
Erfahrungen stützen wollen, in denen der „Geist" gegen den Willen des
Mediums handelte. Aksakow wies (Bd. II, S. 352 ff.) auf Medien hin, die
von ihrem Spirit zum Ausplaudern ihrer Geheimnisse gezwungen wurden, auf
ein junges Mädchen z. B., das trotz heftigen Widerstrebens die beschämenden
Fehltritte seines Lebens preisgeben mußte; auf Richter Edmonds, der,
vorher ungläubig, von einer unsichtbaren Macht am Arm ergriffen und
zum Schreiben von Geisterbotschaften genötigt wurde; auf anständige
Frauen und Kinder. die, von einem Geiste besessen, gelegentlich in un-
flätiges Schimpfen und Fluchen ausbrachen, was ihrem Charakter, ihren
Gewohnheiten, ihrer Erziehung strikt entgegengesetzt sei. Gegen diese
Beweisführung nun macht Eduard v. Hartmann in seinem 1891 er-
schienenen Buche „Die Geisterhypothese des Spiritismus und seine Phan-
tome" Front und weist auf antagonistische Unterströmungen unseres
Seelenlebens hin, die schon im Bewußtsein der Normalen, noch mehr aber
in der Hysterie und anderen Dissoziationszuständen eine Rolle spielen.
Hartmann, in dieser Beweisführung ein Gesinnungsgenosse von
Rogers, hat in seinem Kampfe mit Aksakow unstleitig gesiegt.
Beide beweisen, daß das allgemeine Bekanntwerden der Lehre vom dämo-
nischen Unterbewußtsein dem Spiritismus wahrscheinlich ein Ende be-
reiten wird 2 ).
Soviel über die Geschichte unseres psychologischen Problems. Um die
Äußerungen des dämonischen Unterbewußtseins selbst in ihrer deutlichsten
Form zu studieren, wenden wir uns am besten zunächst dem Gebiete zu, auf
dem sie extrem, ins Übermaß gesteigert aufzutreten pflegen, nämlich dem
') Man vergleiche den dämonologischen Spiritismus von Godfrey Raupert (Heft 1
dieser Zeitschrift, S. 63), der zweifellos bei ausreichender Kenntnis des dämonischen
Unterbewußtseins unmöglich wäre.
2 ) Vgl. Ru d. Tischner, „Geschichte der okkultistischen Forschung", S. 109 ff.
Das dämonische Unterbewußtsein. 101
zwischen beiden aus einer Feindschaft resultierte, die nicht von heute
und gestern war.
Fast die ganzen Erscheinungen der Besessenheit und des großen hyste-
rischen Anfalles gehören hierher; auch in ihnen gibt es einen erbitterten
Kampf mit einem scheinbaren dämonischen oder feindseligen Wesen, das in
Wahrheit nur ein abgesprengtes Bewußtseinsstück ist. Einen besonders lehr-
reichen Einblick bietet uns der Fall des Professors der Chemie Ludwig
S t a udenm aier 1 ), der sich die Besessenheit künstlich andressiert hat. Das
durch automatisches Schreiben zu ungewöhnlicher Selbständigkeit erzogene
Unterbewußtsein, das sich in „Stimmen" und Visionen äußerte, nahm selbst
bei diesem wissenschaftlich gebildeten Manne, der sich über den physischen
Ursprung der Erscheinungen völlig klar war, dieselbe spiritistische Ver-
kappung und denselben rebellisch dämonischen Charakter an, der uns von den
Wahngestalten der Besessenheit wie von den „Geistern" der Medien her so
geläufig ist. Die Stimmen legten sich Geisternamen bei, jedoch nur solche, die
S taudenmaier vorher gelesen hatte, machten falsche Angaben, erklärten
sich, wenn sie deswegen befragt wurden, für böse Spottgeister, die lügen
müßten; ärgerte sich St audenmaier über sie, so begannen sie zu schimpfen;
„zeitweilig bedingte schon der geringste unvorsichtige Gedanke an mein
Inneres einen Wutausbruch der inneren Stimme." In Wolken, Zweigen und
anderen formlosen Objekten sah er allerlei Gestalten, namentlich koboldartige
Spottgeister und Teufelsfratzen. Nachts hatte er zuweilen die Empfindung,
eine Kette werde um seinen Hals gelegt, gleich danach nahm er üblen
Schwefelwasserstoffgeruch wahr und eine unheimliche, aus seinem Innern
tönende Stimme sagte: „Jetzt bist du mein Gefangener, ich bin der Teufel!"
Manchmal versuchte er, ob er, vor einer chemischen Wage sitzend, durch seinen
Willen die eine Schale telekinetisch zum Sinken bringen könn re. Gelegentlich
kam es ihm vor, als habe er Erfolg, zuweilen aber schien gerade die andere
Schale der Wage, auf die er sich nicht konzentriert hatte, nach unten ge-
drückt zu werden. und gleichzeitig zeigte sich eine Spottfigur mit langer Nase
am Zünglein der Wage. Doch noch eine zweite Art von Gesichtshalluzinationen
neben den teuflischen und koboldartigen machte sich geltend. Bei Jagdaus-
flügen im Walde sah S taudenmaier neben den dämonischen Fratzen über-
all verführerische Mädchengestalten; das Phantom einer Dame, die er verehrte,
sah er nachts neben sich im Bette liegen. Wer denkt bei diesem Gemisch von
Teufeln und erotischen Trugbildern nicht an bekannte Bilder von der Ver-
suchung des heiligen Antonius!
Manches lehrt uns dieser Fall über die Gründe und Folgen der feindselig-
rebellischen Natur des sich emanzipierenden Unterbewußtseins. Wir erkennen
deutlich, wie dieser Damonismus der Nachtseite unserer Persönlichkeit mit
seinen höhnisch-fratzenhaften Halluzinationen der Ursprung des Teufels-
glaubens sein muß. Gewiß liegt in letzterem auch der tiefsinnig-abstrakte,
schon eine hohe Denkfähigkeit verlangende Gedanke von dem ewigen Wider-
streit des Guten und Bösen im Weltall. Aber diese Zoroasterphilosophie ist
1 ) L. S t a ud enmaier, „Die Magie als experimentelle Naturwissenschaft". Leipzig,
sicherlich viel jünger als der Dämonenglaube unkultivierter Völker und ist
wahrscheinlich teilweise dessen Produkt. Die primitive Wurzel des Teufels-
glaubens dürfte vielmehr die unmittelbare Anschauung der Tatsachen der
Bewußtseinsspaltung bilden. Und dann gewahren wir, wie eng Teuflisches
und Erotisches zusammengehören.Warum wohl? Die Psychoanalyse erklärt
es uns: Der Kulturmensch „verdrängt" alles, was ihm peinlich, verboten,
unschicklich, gefährlich erscheint, indem er sich Mühe gibt, nicht daran zu
denken, ins Unterbewußtsein herab; mit allem Tierischen, Unmoralischen,
Aggressiven stürzt auch das Sinnlich-Erotische in jene „Hölle" unserer Seele
hinab. Kommt das Unterbewußtsein zur Herrschaft, im Traum, im Delirium,
in der Geisteskrankheit, so hebt es jene verstoßenen Gedanken, Triebe und
Gefühle wieder ans Licht; die reine Ophelia, irrsinnig geworden, singt zotige
Lieder. Das Teuflische, Höhnische, Revoltierende und das Erotische steigen
somit aus der gleichen Tiefe empor. — Aber noch mehr erkennen wir bei
dieser Gelegenheit. Im Unterbewußtsein muß sich durch den geschilderten
Verdrängungsprozeß ein „Gegenreich" gegen das moralische, gebändigte Ober-
bewußtsein bilden, ähnlich wie im sozialen Organismus die Verbrechergesell-
schaft gegenüber der bürgerlichen. Dieses Gegenreich muß mit Notwendigkeit
dem Oberbewußtsein feindselig und gefährlich sein, nicht etwa aus Rache.
weil es verdrängt und in die Finsternis hinabgestoßen wurde — soweit darf
man gewiß das Gleichnis nicht treiben — wohl aber, weil eben alles Ver-
botene, Tückische, Widerstrebende, Bedenkliche in uns, weil das Tier, das im
Besten und Reinsten von uns verborgen weiterlebt, in das unterbewußte Gegen-
reich verbannt ist und diesew nun z. T. seinen eigenen rebellischen Charakter
verleiht. Dieses Gegenreich wird nicht bei allen Menschen zu deutlicher Ent-
wicklung kommen: Nicht bei dem kindlich-reinen oder spießbürgerlich leiden-
schaftslosen Menschen, der wenig zu verdrängen hat; nicht bei dem gefestigten
Charakter und systematischen Denker, bei dem sich keine Hirnteile di'ssoziieren
können, also das Unterbewußtsein unter so starkem Druck gehalten wird, daß
es sich gar nicht organisieren kann; er gleicht einem patriarchalischen Staate
von, strengen, spartanischen Sitten, die keiner Verbrechergesellschaft Raum
lassen. Endlich bildet sich kein bedenkliches Gegenreich bei dem gesund-
sinnigen, harmonischen, natürlich empfindenden Menschen, der gleichfalls
nicht viel zu verdrängen hat, weil er ohne Ängstlichkeit, Sündengefühl und
Prüderie dem Leiblichen wie dem Seelischen, dem Animalischen wie dem
Kulturellen in uns die ihm zukommende Form des Sichauslebens gestattet.
Goethe berichtet in der Iphigenie, wie er durch reine Menschlichkeit seiner
Furien Herr wurde. Wo aber solche günstigen Bedingungen fehlen, kann der
Gegensatz zwischen Unter- und Oberbewußtsein zu deutlicher Ausbildung ge-
langen, ja er kann so gewaltsam werden, daß er schließlich die Einheit der
Persönlichkeit zerreißt.
Nicht immer braucht das rebellische Unterbewußtsein Träger des schlech-
ten Prinzips zu sein. Auch gute Gedanken und Gefühle können „verdrängt"
werden, zumal da, wo sie dem Egoismus, der Bequemlichkeit, der Gewohnheit
im Wege stehen. Den Gegensatz zu dem dämonischen Unterbewußtsein im
schlechten Sinne -- wir könnten ihn als „heiliges" oder „erlöstes Unterbewußt-
104 Richard Baerwald.
Soviel weiß uns die Lehre von der Bewußtseinsteilung und die sich an-
schließende Okkultismusforschung vom Antagonismus der beiden Bewußt-
seinshälften zu berichten.
Fast ganz unabhängig von diesem Wissenschaftskreise haben einige ärzt-
liche und psychologische Forscher auch im normalen oder halbnormalen
Seelenleben die gleiche Erscheinung wiedergefunden. Mar cinowsk i 1 ),
Cone und B au do ui n 2 ) haben wenigstens einen wichtigen Teil des Pro-
blems erkannt, sie sind nämlich darauf aufmerksam geworden, daß heftiges
Streben nach Gesundheit oft nervöse Krankheiten verschlimmert, ja daß über-
haupt der bewußte Wille vielfach sein Ziel systematisch verfehlt, weil eine
dunkle Gegenmacht ihm ein Bein stellt. Die französischen Autoren und An-
hänger des Coueismus nennen diesen inneren Feind „Einbildungskraft", sie
meinen aber tatsächlich die unterbewußte Autosuggestion. M arcin o wski
schalt die Torheit der Ärzte, die einem Hysteriker oder Neurastheniker sagen:
„Nimm dich zusammen, gehe dagegen an!" Gerade das „verfluchte Mühe-
geben und Besonders-gut-und-richtig-machen-wollen" sei der Fehler der
Nervenkranken. Nur durch „korrekte Geringschätzung", durch Leichtnehmen,
durch eine gewisse Dickfelligkeit dem Leiden gegenüber kommt man ans Ziel.
„Das Schicksal narrt uns gewöhnlich so lange, bis wir das Wünschen endlich
aufgegeben haben, erst dann pflegt es in Erfüllung zu gehen." Darum die
Bibellehre von der Gnade: Gott läßt sich nichts abtrotzen. Das Unterbewußt-
sein vergleicht Marcino wski mit einer Spiralfeder: Je heftiger wir sie
niederdrücken, desto stärker drückt sie dagegen. Den Kranken, der zu leiden-
schaftlich gesund werden will und gerade dadurch seinen Zustand ver-
schlimmert, vergleicht er mit einem Verwundeten, der an dem eingedrungenen
Pfeil zerrt und dadurch dessen Widerhaken nur tiefer ins Fleisch bohrt. Der
soziale Organismus zeige das gleiche Bild: Eine revoltierende Bewegung
nimmt durch Unterdrückung zu. (Natürlich rät M. nicht bl oß Gehen- und
Gewährenlassen des Leidens. Wir haben ja hier nicht seine ganze Lehre dar-
zustellen.) Cone und B audou in stellen gleichfalls das „Gesetz der das
Gegenteil bewirkenden Anstrengung" auf. Der leidenschaftlich Wollende ist
ihnen ein Wanderer im Triebsand, der, je mehr er sich herausarbeiten will,
nur desto tiefer im Sande versinkt. Wo Wille und „Einbildungskraft" mit-
einander kämpfen, siegt nach ihrer Behauptung stets die letztere, denn wenn
der Wille sich in arithmetischer Progression steigert, wächst die Kraft der
gegenstrebenden Einbildungskraft in geometrischer. (Das ist offenbar eine
Übertreibung, denn wäre es richtig, so vermöchte, wo die Dämonen unserer
Brust ins Spiel kommen, Willenskraft und Selbstbeherrschung überhaupt
nichts.)
Die Erfahrungen und Beobachtungeii, durch die sich dieses Teilgebiet
der Lehre vom dämonischen Unterbewußtsein belegen läßt, finden sich bei
Mar cino wski bereits in so großer Vollständigkeit, daß die Franzosen —
') J. Marcinowski. "Im Kampf um gesunde Nerven". Berlin, Salle, 3. Aufl.
1907.
2 ) Charles Baudouin, „Suggestion und Autosuggestion". Dresden, Sibyllen-
verlag, 4. Aufl. 1925.
106 Richard Baerwald.
zu schützen. Ähnlich ergeht es uns, wenn wir auf einem hohen Viadukt oder
am Rande eines Abgrundes stehen: Die Tiefe zieht magnetisch an, der sicht-
bare Tod lockt. Lenau hat dieser Empfindung in einem schönen Gedicht
Ausdruck verliehen. Bei großen Feuersbrünsten rennen manche Menschen
direkt in die Flammen, bei ihnen wird das Oberbewußtsein vom tückischen
Unterbewußtsein überrumpelt. Einer meiner Hörer wurde, auf einer hohen
Rampe stehend, von seinem „Dämon" derart gepackt, daß er wirklich hinab-
sprang. Er war als kleines Kind einmal von einem Hausdache herabgerollt
und nur gerade am Dachrande noch hängen geblieben. Das hatte er inzwischen
ganz vergessen gehabt. Hier konnte also das Unterbewußtsein einen ver-
drängten Komplex in den Dienst seiner Tücke stellen und dadurch alle Hem-
mungen niederbrechen. — Kommt man zum Arzt, um ihm sein Leiden zu
demonstrieren, so verflüchtigt sich das Symptom, auf das es ankommt, im
Vorzimmer, um nach dem Verlassen der Sprechstunde wiederzukehren. Will
ein Darmkatarrhaliker einen Besuch machen, so wird er fast regelmäßig unten
an der Haustür von seinem häßlichen Leiden befallen. — Rühme dich nicht,
daß deine Krankheit sich erfreulich gebessert hat, sonst hast du morgen einen
Rückfall. Der von Paul Emile L 6 v y und seinen Nachfolgern, den Coueisten,
gegebene Rat, man solle nur optimistisch von seiner Krankheit und den Er-
folgen der autosuggestiven Kur sprechen, um sich den Glauben an diese°
Erfolge, indem man sie anderen gegenüber hervorhebt, selbst einzureden --
dieser Rat ist ein recht zweischneidiges Mittel zur Besserung. Lobe keinen
Schüler, sonst schießt er in der nächsten Minute einen dicken Bock! Daher die
internationale Angst vor dem „Berufen" und die entsprechenden Abwehr-
zeremonien — Toi-toi-toi-sagen, dreimal unter den Tisch klopfen. Ausspucken
— durch die man sich selbst eine Gegen- und Schutzsuggestion erteilt und den
Dämonen unseres eigenen Unterbewußtseins ein Sühnopfer darbringt. Weit
verbreitet ist daher der Glaube, man dürfe nie von seinem Glücke sprechen,
sonst verscheuche man es. Ein anmutiges altjüdisches Märchen erzählt von
einem alten Ehepaar, das wegen seiner Frömmigkeit und zärtlichen Gatten-
liebe von Gott gesegnet wurde, so daß ihm Brot und 01 nicht mehr weniger
wurden, so viel sie auch davon genossen. Keiner von ihnen aber sprach ein
Wort darüber. Als nun die alte Frau zu sterben kam, konnte sie das große
Geheimnis nicht mehr für sich behalten und begann mit brechender Stimme:
.,Hast du wohl gemerkt, daß Gott --" Hier aber hielt ihr der Gatte den Mund
zu und sagte: „Warte noch ein Weilchen, drüben wollen wir es uns erzählen!"
Bei den früher erwähnten Bewußtseinsteilungen wird es besonders deut-
lich, daß unsere These von einer allgemeinen Feindseligkeit des Unterbewußt-
seins im Rechte ist und Mar cin o wskis und Couös Ansicht, das
Unterbewußtsein wirke nur bei Pressung durch krampfhaftes Wollen als
obstinate Spiralfeder, bloß eine halbe Erkenntnis des Sachverhalts darstellt.
Das zweite Ich unternimmt hier seine Gehässigkeiten ganz von selbst, es ist
durchaus der aggressive Teil. Sally B e au eh am p s Niederträchtigkeiten,
Staudenmaiers teuflische Stimmen und Fratzen traten ohne besondere
Veranlassung auf. Die Dämonen bei der Besessenheit gehen ohne Heraus-
forderung zum Angriff über. Selbst bei jener Spezialform der Besessenheit, in
Das dämonische Unterbewußtsein. 109
der nicht ein teuflisches, sondern ein heiliges Unterbewußtsein dem wachen Ich
gegenübersteht und sich nicht etwa gegen den bewußten Willen zu wehren hat,
sondern seinerseits als fordernder Prophet dem alten Adam zu Leibe geht,
selbst hier scheint mir die Tendenz hervorzutreten, das normale Ich zu quälen
und zu Handlungen zu nötigen, vor denen es sich fürchtet. Darum heischt
diese angeblich höhere Macht be3tändig ein hartes Leben, Hunger und Ent-
sagungen, Selbstgeißelungen, Schlafminderung, andauernde Schweigsamkeit,
und wenn sie phantasievoll ist, verurteilt sie den unglücklichen „Heiligen"
dazu, jahrelang Tag und Nacht auf einer hohen, engen Säule zu stehen und
nicht einen Augenblick ohne Gefahr tödlichen Sturzes schlafen zu können,
oder eine Kette um den Leib zu tragen, deren Stacheln sieh in das Fleisch
bohren. Die Askese hat viele Wurzeln, aus denen sie erwachsen ist, aber
gerade ihre extravaganten Formen würden ohne die Tatsache des selbst-
quälerischen Unterbewußtseins kaum verständlich sein. Bei Tischklopf- und
Planschettesitzungen melden sich Spottgeister, die nicht etwa irgend eine
leidenschaftlich ersehnte Enthüllung zu verhindern, sondern schlechtweg
Schabernack zu treiben und die Sitzung zu stören suchen. So schildert Kin d-
b o rg i) eine Sitzung, in der die Geister durch Glasschreiben ihre Gedanken
kundtun. Plötzlich schreibt das Glas: „Gebt euch heute keine Mühe, heute
geht es nicht.' Die Beantwortung weiterer Fragen wird in unmotiviert
neckischem Ton abgelehnt. Die gleiche Neigung zum Stören schlechtweg, auch
wo bestimmt kein krampfhaftes Wollen vorliegt, konstatieren übrigens
manche, die ihrem Unterbewußtsein eine Autosuggestion im Sinne der
Methode C oue -Bau dou in einflößen wollen. Wenn sie sieh zu diesem Zwecke
in den Zustand einer somnolenten „Sammlung" und Willenlosigkeit zu bringen
suchen, so fühlen sie bald hier, bald da ein Zucken und Zwicken, Niesreiz
stellt sich ein, die Unterlage beginnt zu drücken, die Lage erscheint immer
wieder unbequem, kurz der Kobold in uns sucht auf hundert Arten die ganze
Vornahme zu erschweren. Auch als Kritiker zeigt das sich abtrennende Unter-
bewußtsein offen und deutlich jene Gehässigkeit, die uns da, wo es sich noch
nicht emanzipiert hat und nur in der Tiefe unserer Seele murrt, als Kleinmut,
Verzagtheit, geringes Selbstvertrauen Schwierigkeiten bereitet. In einem von
Tischner ') beobachteten Falle schimpfte das abgespaltene zweite Ich bei
gegebener Gelegenheit über die normale Persönlichkeit, äffte ihr karikierend
nach, sagte: „Dazu ist er viel zu dumm und ungeschickt! Er ist furchtbar
langsam, an einem Buch liest er 8 Tage, die einfachsten Sachen kapiert er
nicht." Bei solchen hämischen Bemerkungen kann von Widerstand gegen
krampfhaftes Wollen nicht die Rede sein, sie bedeuten Antagonismus sans
phrase.
Wir müssen also konstatieren: Die Psychologen, die bisher dieses Phä-
nomen beobachtet hatten, haben ihm eine zu beschränkte Reichweite gegeben.
Das rebellierende Unterbewußtsein verfolgt das normale Ich durchaus und
überall mit seiner Tücke, nicht weil es etwas ihm Mißliebiges will, oder weil
') Psychische Studien, April- und Maiheft 1924.
2) R u d. Tischner, „Einführung in den Okkultismus und Spiritismus". München
und Wiesbaden, Bergmann, 1921.
110 Richard Baerwald.
es zu stark will, sondern bloß weil es das Oberbewußtsein ist und weil der aus
dem Himmel des Wachbewußtseins gestürzte Teufel unseres Innern Übles im
Schilde führt. Als Grund der ganzen Erscheinung nahm Marcinowski an:
Wenn z. B. der Radfahrer dem Prellstein mit bewußtem Wollen ausweichen
will und seine Blicke auf ihn richtet, so beleuchtet er ihn mit allzu hellem
Licht der Aufmerksamkeit, auch macht Cr die Idee des gefährlichen
Gegenstandes, indem er sie mit Angstgefühl tränkt, überwertig, und
durch diese beiden Steigerungsmittel verleiht er ihr die Gewalt, seine Hand-
lungen zu bestimmen und ihn selbst magnetisch anzuziehen. Eben um eine
solche bedenkliche Beleuchtung des Hemmnisses zu vermeiden, empfahl M a r -
cinowski die Ablenkung und die „korrekte Geringschätzung" der Schwierig-
keit. Diese Erklärung, die das ganze Phänomen auf sog. „Konträrsuggestion"
zurückführt, ist gewiß teilweise richtig, sie bezeichnet einen Umstand, der mit
im Spiele ist, sie gibt ein Heilmittel an, das sich sehr oft trefflich bewährt;
aber sie kann gar nicht zureichend sein, weil die Gegensätzlichkeit des
Unterbewußtseins sich auch bei solchen Fällen zeigt, in denen die geschilderte
Übertonung eines Hemmnisses durch den Willen nicht stattfindet. Den
entscheidenderen, umfassenderen Grund haben wir daher anderwärts zu
suchen, nämlich in dem oben dargelegten Umstande, daß das Unter-
bewußtsein das Refugium des verdrängten Bewußtselnsabfall es ist. —
Wir fallen auch nicht bloß der Gefahr zum Opfer, weil wir durch ihre
angstweckende Drohung und ihre das Bewußtsein monopolisierende Ein-
drucksgröße fasziniert werden wie das Kaninchen durch den Blick der
Schlange, nein es ist etwas in uns, das die Gefahr und Schädigung positiv
wünscht und sucht, von ihr angelockert wird, weil es überhaupt auf
Schadenstiften ausgeht. Ganz deutlich wird das in den erwähnten
Fällen, in denen wir uns unter die Räder der heranbrausenden Lokomotive
oder in den Abgrund hinunter gezogen fühlen. Da ist nicht bloß etwas vor-
handen, das schreckt, sondern auch etwas geheimnisvoll Berückendes, als
spräche der Tod zu uns wie Erlkönig in Goethes Ballade. Einen in dieser Be-
ziehung lehrreid en Fall schildert Prof. Daniel Walter'): „Eine Dame hatte
nachts wiederholt geträumt, es sei bei ihr eingebrochen und Verschiedenes ge-
stohlen worden. Wer die Frau kennt, wird nicht überrascht sein, weil sie von
jeher sehr mißtrauisch gegenüber verschiedenen im Hause verkehrenden Per-
sonen war. Längere Zeit nach den berichteten Träumen fehlten im Haushalt
bald Wäschestücke, bald kleinere Mengen Speisevoträte u. dgl., die nachweis-
bar vorhanden waren und von keiner fremden Person hatten entfernt werden
können. Durch genaue Beobachtung ergab sich nun, daß die Frau selbst im
Dämmerzustand die Gegenstände von ihrem Aufbewahrungsort weggenom-
men und versteckt hatte. Beständig klagte sie aber, daß Sachen gestohlen
würden." Ist ein solcher Fall mit Hilfe von Marci 110W skis Erklärung zu
deuten? Blendung durch übermäßige Aufmerksamkeitsbeleuchtung, über-
wertigwerden einer Angstvorstellung kann sehr wohl den Radfahrer zu un-
geschickten Bewegungen zwingen, so daß er direkt auf den Prellstein losfährt.
Aber daß er durch diese Umstände genötigt werden kann, komplizierte Hand-
') Psychische Studien, Juli 192o.
Das dämonische Unterbewußtsein. 111
lungen auszuführen, um die Gefahr erst zu schaffen, daß er auf solche Weise
etwa dazu gelangen könnte, im Dämmerzustand hinzugehen und Prellsteine
zu setzen oder Glasscherben auf die Landstraße zu streuen, das sieht doch un-
glaubwürdig aus. Wo derartige Wirkungen entstehen, ist es wahrscheinlich,
daß ein positiver Schädigungswille vorhanden ist, der sich freut, wenn der
Gegenstand der Angst obsiegt. Nur die Lehre vom feindseligen Unterbewußt-
sein kann solchen Erfahrungen gerecht werden.
werfen es mit Steinen, zerschlagen oder verstecken ihm seinen liebsten Besitz,
schnellen das Geschirr, wenn das Medium es ergreifen möchte, blitzschnell zur
Seite, binden das Vieh im Stalle, so daß es halb erdrosselt, flechten den Pferden
Zöpfe in die Mähne, die schwer wieder aufzudröseln sind, ziehen nachts die
Bettdecke weg und lassen die Betten wie in sturmbewegter Schiffskoje
schaukeln, hängen das Medium gebunden an Bäume, klingeln ohrenzerreißend
ganze Tage lang; überdies kommt das unschuldige Opfer solcher Quälereien
oft bei der abergläubischen Umgebung in Verruf, gilt als behext und vom
Teufel besessen und wird zuweilen gezwungen, seinen Wohnort zu verlassen.
Ist es denkbar, vorstellbar, daß ein Mensch solche Pönitenz selbst über sich
verhängt? Haben wir hier nicht den klaren Beweis, daß fremde, unsichtbare
Mächte als verfolgende Furien im Spiele sind? Der gesunde Menschenverstand
wird von solchen Belegen ohne weiteres überwältigt. Wenn mir Laien der-
artige Fälle vorlegen und mich fragen, ob diese denn nicht unbedingt zur
Annahme der Geisterhypothese zwingen, und wenn ich ihnen dann in kurzen
Worten auseinandersetzen muß, es handele sich um Folgen von Bewußtseins-
spaltungen, so habe ich stets den Eindruck, daß ich niemand überzeuge und
der mit sarkastischem Lächeln dreinschauende Befrager alles, was ich vor-
bringe, für Verlegenheitsausflüchte einer hilflos gewordenen Gelehrsamkeit
hält. Erst durch eingehende Beschäftigung mit den Seltsamkeiten des
dämonischen Unterbewußtseins, durch die man jene auffallenden okkul-
tistischen Phänomene in den Zusammenhang einer natürlichen psychologischen
Gesetzmäßigkeit einordnen lernt, vermag sich ein denkender Mensch innerlich
davon zu überzeugen, daß die Geister selbst durch rabiateste Feindseligkeit
nicht imstande sind, ihre eigene Existenz zu beweisen.
Gewisse okkultistische, auf Bewußtseinsteilung zurückführbare Er-
scheinungen, die bisher schwer zu erklären waren, werden uns unter Zuhilfe-
nahme der Dämonie des Unterbewußtseins sofort deutlich. Dazu gehört die
Geheimniskrämerei, die der „Geist" so gern dem normalen Ich gegenüber
treibt. Nicht selten wird ein Schriftstück, das durch automatisches Schreiben
entsteht, mit allerlei Symbolen ausgestattet, mit Kreuzen, Sternen, Halb-
monden usw., und erst allmählich wird man gewahr, daß alle mit einem be-
stimmten Symbol signierten Schriftstücke auf ein und dieselbe schreibende
Intelligenz hinweisen. Die englische Automatistin Frau Holland ist durch
das Lesen des Buches „Human Personality" von F. W. My er s zum Spiri-
tismus bekehrt worden. In einer ihrer automatischen Schriften beginnt die
erste Seite mit einem mysteriösen F und schließt mit einem M, die Zeichen
17/, /1, /01 sind am Ende dreier Paragraphen verteilt. Erst allmählich kommen
die Erklärer dahinter, daß F und M die Initialen von F. Myers und 17. 1. 01
(17. Januar 1901) sein Todesdatum darstellen, M y er s also als „Kontrolle"
des Mediums wirke). Häufig werden die Buchstaben einer Geistermitteilung
zu „Anagrammen" durcheinander geschüttelt, so daß man sie erst umstellen
muß, um einen Sinn darin zu finden. Beliebt ist Spiegelschrift, desgleichen
Umkehrung der Buchstabenreihenfolge. Ein gutes Beispiel, dem das Ergebnis
') Alic e Johns on, „On the lutomatic Writings of Mrs. Holland". Proceedings
S.P.R. XXI, 1908, S. 178 ff.
Das dämonische Unterbewußtsein. 113
Zeitschrift, doch sei sie hier wenigstens angedeutet, damit die Reichweite des
neuen psychologischen Problems ersichtlich wird. Ein Krebsschaden jeder
Suggestionstherapie, gleichgültig, ob sie mit Fremd- oder mit Autosuggestion
arbeitet, waren von je die häufigen, erst allmählich einzudämmenden Rück-
fälle, das lang andauernde Flattern des Erfolges. Kaum nimmt der Patient
einen Fortschritt wahr, kaum beginnt er innerlich zu triumphieren oder äußer-
lich seine Kur zu loben, so stellt sich eine geheime Angst ein, die ganze Bes-
serung könne doch nur eingebildet, nur Momenterfolg sein, Zweifelsucht regt
sich, die mühsam eingeprägte überzeugung wird schwankend, und diese ge-
heime Gegensuggestion des Flau- und Mießmachers, des Nörglers und Kritt-
lers, des schadenfrohen Kobolds in uns verfehlt denn auch nicht ihr Ziel und
schafft einen schleunigen Rückfall. Kein Patient, der diesen Hergang in sich
selbst beobachtet hat, wird im Zweifel darüber sein, daß mindestens ein großer
Prozentsatz der Rückfälle, die für Suggestionsheilungen typisch sind und
viele namhafte Ärzte zu Gegnern der suggestiven Therapie gemacht haben.
auf Rechnung des dämonischen Unterbewußtseins kommt. Sieht und weiß
man das aber, und kennt man das Verfahren, durch Hypnose oder mit Hilfe
somnolenter Zustände die Suggestion direkt an das Unterbewußtsein heran-
zubringen und dieses von innen her zu lenken, so liegt es nähe, diese Lenkung
auch zur Austreibung des Feindes zu benutzen, der in uns zu unserem Schaden
wirkt. Der Patient sage sieh im Zustande der Sammlung (oder der Arzt sage
es ihm): „Nach dem errungenen Erfolge ist jeder Zweifel überflüssig, ich
weiß jetzt todsicher, daß dieser Fortschritt anhalten und sich steigern wird,
ich sehe und weiß, die Autosuggestion ist unwiderstehlich, es wird dem
Kobold in mir nicht gelingen, mich zu neuer Kopfhängerei zu beschwatzen,
ich mache ihn mit der starken Waffe meiner Autosuggestion unschädlich, ich
vertreibe ihn, ich erdrossele ihn, nachdem ich ihn und sein Tun kennen gelernt,
ist sein Spiel verloren!" Und so weiter. Man sieht, es handelt sich hier um
eine Art psychologischer Exorzisation. Die alten kirchlichen Exorzisationen
hat man mit Recht getadelt, denn sie gaben den unglücklichen Besessenen erst
ihren Vorrat an Wahnvorstellungen an die Hand und verbreiteten psychische
Seuchen durch öffentliche Schaustellungen abschreckender Seelenkrankheiten.
Diese schädlichen Nebenwirkungen sind bei unserem wahnfreien und ganz
privaten Verfahren nicht zu befürchten. Abgesehen von diesen unerwünschten
Nebeneffekten hat aber schon das kirchliche Exorzisieren oft große Heil-
erfolge zu verzeichnen; noch heute heißt es in manchen Berichten über Spuk-
häuser, daß die unheimlichen Erscheinungen sofort auf Nimmerwiedersehen
verschwinden, sobald ein Geistlicher die Exorzisation daselbst ausübte. Das
ist auch leicht zu verstehen, denn erstlich ist der Glaube ein mächtiger Ver-
stärker jeder Suggestion, und zweitens kommt noch der Appell an den
Kampftrieb hinzu, der, wie die politische Propaganda zeigt, gleichfalls die
Eindringlichkeit und Gefühlswirkung von Einflüsterungen zu steigern pflegt.
Eine ärztliche oder autosuggestive Exorzisation wird sich wenigstens etwas
von diesen Vorteilen zunutze machen können. In der Tat schien es mir, daß
in einigen Fällen die Rückfälle durch das geschilderte Verfahren abgekürzt
werden konnten.
A. Kollmann. Taschenspiel und Okkultismus. 115
der Psychologie des Okkultismus abgehalten, die zumeist auch mit taschen-
spielerischen Demonstrationen verknüpft waren. Im Wintersemester 1925/26
werden wir diese Übungen fortsetzen, dabei aber das Taschenspiel noch mehr
berücksichtigen.
Was ich im Laufe der Jahre bisher teils allein, teils zusammen mit
meinem Freund Professor 0. Frey vom Lehrerseminar betreffs der
Psychologie des Taschenspiels ermittelt habe, ist im wesentlichen ledig-
lich das Folgende: Erstens haben wir gefunden, daß bei Prüfungen
von Volksschulkindern der obersten Klasse ein deutlicher Unterschied be-
stand im Erfassungsvermögen der Knaben und dem der Mädchen, und
zweitens, daß es auch Erwachsenen nicht möglich ist, eine Vorstellung
betreffs ihrer Einzelheiten genau im Gedächtnis zu behalten. Bittet man eine
Anzahl von sonst urteilsfähigen Menschen um einen schriftlichen Bericht, so
kann man sicher sein, daß von zwölf verschiedenen Personen zwölf ver-
schiedene Berichte eingehen. Der mit der gesamten Magie aufs engste ver-
traute Schriftsteller Karl Willmann- Hamburg, der zugleich auch Grün-
der einer berühmten Werkstatt für magische Apparte war, hat schon viel
früher genau die gleichen Erfahrungen gemacht, und ebenso die bekannten
Engländer H o gson und Davey (siehe Proceedings of S. P. R., Bd. 4,
London 1887).
Ich habe bereits zu Anfang auf die Beziehungen des Taschenspiels zum
Okkultismus hingewiesen; sie sind äußerst mannigfaltig, zunächst ganz im
allgemeinen Man muß die hundert verschiedenen Tricks und den Fuchsbau
der Irreführung genauest 'rennen, um durch gewisse Wunder eines angeblich
echten, in Wirklichkeit aber nur künstlichen, betrügerischen Okkultismus
nicht überrascht zu werden. Aber es gibt auch besondere Teile des Taschen-
spiels, die für den Okkultismus ganz spezifische Bedeutung haben; ich meine
z. B. Fadenführungen verschiedener Art, sowie die Bildung von Knoten und
Verknüpfungen an Schnüren, Stricken, Tüchern usw. Diese Sachen sind zum
Teil äußerst kompliziert. Es soll sich nur niemand einbilden, daß man dies
bloß mit dem gesunden Menschenverstand oder mit recht genauem Aufpassen
richtig verstehen kann. Ja mir selbst ist es zum Teil nur schwer möglich, bei
manchen dieser Dinge vollkommen klar zu begreifen, warum das schließliche
Resultat so sein muß, wie es wirklich ist, das heißt, warum z. B. eine so und
so gebildete Knotenmasse bei der oder jener bestimmten Behandlung sich
zuletzt lösen muß, bei einer anderen Behandlung aber die Lösung nicht
erfolgt, und dies, obgleich ich die Ausführung der Tricks nicht nur genau
kenne, sondern diese auch selbst vorführen kann. Ich besitze eben das dafür
nötige räumliche Vorstellungsvermögen nicht im genügenden Maße. Ich habe
aber gesehen, daß es sehr vielen anderen Menschen genau so geht. Ich muß
mir daher sagen, wenn ich selbst als Fachmann nicht einmal imstande bin,
mir die Vorgänge stets ganz klar zu machen, um wie viel weniger wird es
andern möglich sein, die ohne alle Vorkenntnisse an solche Sachen heran-
treten! Sind diese mit besonderen Umständen verknüpft (wie z. B. Anwesen-
heit eines berühmten Mediums), so ist man dann schnell geneigt, an echt
okkultistische Kräfte zu glauben.
118 A. Kollmann.
Aber auch für ein anderes wichtiges Gebiet ist die Kenntnis des Taschen-
spiels und seine psychologische Durchforschung von großer Bedeutung; ich
meine die Rechtspflege. Da sich, wie oben angedeutet, aus den bei taschen-
spielerischen Vorstellungen gewonnenen Erfahrungen ergibt, daß kein Mensch
imstande ist, Vorgänge, die nur einigermaßen kompliziert sind, sowohl be-
treffs der einzelnen Bestandteile, als auch betreffs der zeitlichen Reihenfolge
genau im Gedächtnis zu behalten. so darf man daraus wohl ganz im all-
gemeinen die Schlußfolgerung ziehen, daß man auch gewissen Zeugen-
aussagen vor Gericht nur einen beschränkten Wert beimessen darf.
Ich sprach zuvor von der Schwierigkeit, die es bereitet, sich gewisse
Vorgänge durch räumliche Analyse klarzumachen. Ich will im folgenden
mehrere Beispiele davon geben; man kann sie leicht nachprüfen. Das erste
betrifft einige sonderbare Erscheinungen an zerschnittenen Papierringen. Man
verfertige zunächst einen Papierstreifen von etwa 1 in Länge und etwa 5 cm
Breite. Klebt man beide Enden zusammen, ohne zuvor den Streifen um seine
Längsachse zu drehen und schneidet dann den so entstandenen Ring seiner
ganzen Länge nach in der Mitte mit einer Schere durch, so erhält man selbst-
verständlich zwei einzelne, von einander getrennte Ringe. Was entsteht aber,
wenn man vor dem Zusammenkleben den Streifen in seiner Längsachse um
180 0 , resp. um 360° dreht? Wer das Experiment nicht kennt, wird kaum im-
stande sein, beide Fragen richtig zu beantworten und er wird sieh höehlichst
wundern, wenn er es selbst vornimmt. Bei der Drehung um 180° entsteht näm-
lich ein doppelt so großer einfacher Ring, bei der Drehung um 360° entstehen
aber zwei ineinanderhängende. Ich habe dieses Beispiel absichtlich gewählt,
weil das überraschende Resultat ohne alle tasehenspielerischen Manipulationen
ganz von selbst eintritt. Um wieviel mehr kann man aber in Erstaunen ver-
setzt werden, wenn bei diesen oder ähnlichen Experimenten auch letztere noch
im Spiele sind!
Ein anderes kleines höchst interessantes Experiment, das die Schwierig-
keit räumlicher Vorstellung ebenfalls dartut, betrifft eine Bindeproduktion.
Seine Wirkung is am amüsantesten, wenn man es von zwei Personen aus-
führen läßt. die nichts von der Sache wissen. Zu diesem Behufe fesselt man
mit einem starken Bindfaden die eine derselben an beiden Handgelenken,
während dazwischen ein langes Stück des Fadens herunterhängt. Nun nimmt
man einen anderen ebenso langen Faden, schlingt ihn um den ersten und
bindet dann, wie zuvor die erste Person, so auch eine zweite an beiden Hand-
gelenken. Die Personen 1 und 2 sind also durch eine Fadenschleife mitein-
ander verbunden. Die Aufgabe lautet, diese Verbindung zu lösen, ohne die
Faden zu zerschneiden, oder die Fesselung der Handgelenke irgendwie zu ver-
ändern. Man wird sehen, daß die zwei Personen, wenn sie nicht eingeweiht
sind, stets damit beginnen, über die Faden hinwegzusteigen, oder unter ihnen
durchzukriechen. Sie schaffen dadurch aber gerade das Gegenteil von dem
Gewollten, nämlich nur eine um so festere Verbindung miteinander. Die
einzige Möglichkeit, die Fadenschleifen der beiden Personen voneinander zu
lösen, besteht in etwas ganz anderem. Man muß nämlich den Faden der einen
Person anfassen und ihn in der Richtung vom Unterarm her unter der
Taschenspiel und Okkultismus. 119
Fesselung des einen Handgelenks der anderen Person hindurchschieben. Ist dies
geschehen, so genügt eine kleine Bewegung dieser Hand, um die Befreiung
der zwei Personen voneinander zu bewirken.
Auf diesem Prinzip beruhte z. B. eine der Bindeproduktionen der Ge-
brüder Davenp ort , die in den sechziger Jahren auch in Deutschland öffent-
liche Vorstellungen gaben. Ein anderer, von der gleichen Truppe und später
auch von Cumberlan d öfters angewandter Trick benutzt die sog. Schiebe-
knoten. Das taschenspielerische Kunststück, mehrere Tücher miteinander zu
verknüpfen und die Knoten dann ohne Berührung wieder zu lösen, beruht auf
der Bildung von solchen Schiebeknoten. Ein richtig gebildeter Knoten wird
nämlich dadurch verschiebbar, daß man ihn — wie der Ausdruck lautet —
umzieht; man tut dies unter dem Vorwancle, ihn absichtlich noch fester zu-
sammenzuziehen. Diese Knoten lassen sich bequem hin- und herschieben, was
man jedoch dem Knoten nicht ansieht. jedes bessere Lehrbuch der Taschen-
spielkunst (von älteren deutschen sei vor allem genannt Willmanns
„Moderne Salonmagie", Leipzig, Verlag von Spanier) gibt darüber genauere
Auskunft.
Solche und ähnliche Knotenbildungen und Bindeproduktionen, z. T. sehr
komplizierter Art, wurden früher bei okkultistisch en Sitzungen, als Siche-
rung gegen Betrug. regelmäßig angewandt; die Umbindungen wurden sehr oft
auch noch vernäht und versiegelt. Es hat sich aber gezeigt, daß auch die
ausgeklügeltsten Vorkehrungen durch gewisse Tricks unwirksam zu machen
sind.
In okkultistischen Schriften findet man häufig merkwürdige Phänomene
mit einer angeblichen Durchdringung der Stoffe erklärt. Man kann solche aber
auch in natürlicher Weise durch taschenspielerische Kniffe hervorrufen. Man
zeigt z. B. einen geschlossenen Ring in der Größe einer weiten Armspange.
Darauf läßt man sich mit einer Schnur an beiden Handgelenken fesseln. Die
Aufgabe ist, daß zuletzt der Ring an der Schnur hängen muß, ohne daß an
den Fesselungen irgend etwas geschieht. So verblüffend die Wirkung erscheint,
so einfach ist in Wirklichkeit die Ausführung. Während man sich umdreht,
steckt man nämlich den gezeigten Ring in eine Rocktasche oder unter die
•
Weste, zieht aber einen anderen, diesem gleichen, der, von dem Rockärmel
verdeckt, über den einen Unterarm geschoben war, über die Schnur hinweg.
Ein schwierigeres Kunststück besteht darin, daß der Vortragende, nach-
dem er, richtig gefesselt, in einem mit Vorhang versehenen spiritistischen
Kabinett Platz genommen hat, seine Weste herauswirft, trotzdem aber nach
Offnung des Kabinetts mit zugeknöpftem Rock und gänzlich unverletzten
Fesselungen vorgefunden wird. Das einst berühmte Mülsener Medium Emil
Schrap s zeigte dies öfters. gab es aber als echtes, durch Geisterhilfe be-
wirktes okkultistisches Phänomen aus. Um es vorführen zu können, muß man
natürlich vor allem die Knoten- und Bindetechnik beherrschen.
Englische Medien leisteten noch viel erstaunlicheres. Nach Wieder-
öffnung des Kabinetts fand man sie bei gänzlich unverändeter Bindung sogar
mit umgewendeter Weste unter dem vollständig zugeknöpften Rock; sie
konnten das Experiment auch nochmals wiederholen, selbst wenn ihnen einer
120 Fr. Freudenberg.
der Anwesenden seine eigene Weste zur Verfügung stellte. Aber auch hierfür
wurde bald eine Erklärung gefunden; die dazu nötigen Griffe sind allerdings
ziemlich kompliziert. Für unsere gegenwärtigen Betrachtungen ist das
Experiment von Emil Schraps und das zuletzt genannte englischer
Medien vor allem deswegen von Wert, weil es uns von neuem zeigt, wie
schwierig es ist, gewisse Vorgänge räumlich zu begreifen, und zwar auch
dann, wenn man das ihnen zugrunde liegende Geheimnis kennt.
Wer sich für diesen Gegenstand besonders interessiert, dem ist vor allem
zu raten, die Knotentechnik zu studieren, wie sie bei mehreren Gewerben seit
langen Zeiten ausgeübt wird; in Betracht kommt besonders das Gewerbe der
Zimmerer und Leineweber. Außerdem ist es aber auch sehr nützlich, behufs
Übung im räumlichen Denken, sich mit den kleinen Spielen zu beschäftigen,
die, zumeist aus Draht gebogen, als Vexier- oder Geduldspiele bekannt sind;
man findet sie fast in jedem Spielbuche beschrieben und abgebildet, kann sie
auch an allen größeren Plätzen in Spielwarenhandlungm und ähnlichen
Geschäften käuflich haben.
Als die den verschiedenen Fesselungsarten zugrunde liegenden Tricks in
weiteren Kreisen bekannt wurden, nahm man mehr und mehr, davon Abstand;
sie werden neuerdings bei okkultistischen Sitzungen nur noch selten an-
gewandt. Daß sie aber hie und da doch noch auftauchen und daß auch heute
noch selbst geschulte Beobachter durch sie getäuscht werden können, zeigt
u. a. eine Veröffentlichung von Geh. Rat Prof. Dr. S o m iii e r, Direktor der
psychiatrischen Universitätsklinik in Gießen („Zur Psychologie der Aussage
über das Geisterhafte und Wunderbare", Deutsche med. Wochenschrift,
Nr. 39, 1924). Während Sommer den Trick einer, irreführender Weise als
echte Telepathie bezeichneten Demonstration ganz richtig erkannte, blieb ihm
das einer einfachen Bindeproduktion zugrunde liegende Geheimnis zunächst
unerschlossen, bis es ihm später von dem Vortragenden freiwillig erklärt
wurde. (Schluß folgt in Heft 3.)
gegen erwies sich seine Sensibilität als enorm gesteigert, indem er durch
die ganze Länge des rechtwinkeligen Saales hindurch bei fest ver-
bundenen Augen unterscheiden konnte, ob man ihm eine warme Hand
entgegenstrecke oder eine solche, mit der flüchtig eine kalte Fenster-
scheibe berührt worden war.
Von den auf hypnotischer Leichtgläubigkeit beruhenden Experi-
menten, die im Verlauf der Sitzung mit der Vp. angestellt wurden, er-
wähne ich nur das eine, welches überdies spontan eintrat. Es war der
Vp. gesagt worden, sie werde einen bestimmten Herrn, wenn dieser das
Zimmer verließe, bei seinem Wiedereintritt nicht sehen können. Da dieser
Herr nun, um sich zugleich dringender Geschäfte wegen von der Gesell-
schaft zu verabschieden, mit dem Zylinder auf dem Kopf wieder in den
Saal trat, lachte der Hypnotisierte laut auf und schrie: „Herr Hofrat
(Experimentator), da fliegt ja ein Zylinder in der Luft herum!" Doch nun
zur eigentlichen Sache.
Der Vp. wurde ein Paket Visitenkarten, etwa 100 Stück, in die
Hand gegeben und von einer vorher auf der Rückseite leicht markierten
Karte gesagt, daß sie eine Photographie Bismarcks sei. Die Vp. behielt
sie einige Zeit in der Hand und bestätigte dann, immer mit fest-
verbundenen Augen, daß sie Bismarck erkenne. Auf die Frage, ob es
ganze Figur oder Kniesttick sei, erfolgte ein kurzes Besinnen. Darauf
entschied sie: Kniestück. Die Karten wurden nun gemischt, ihr sodann
zurückgegeben, einzeln von ihr betastet, bis sie die heimlich markierte
Karte dem Experimentator als die Photographie bezeichnete.
Es war das für mich das erste Mal, daß ich einer Exteriorisation der
Sensibilität beiwohnte. Denn als solche wenigstens imponierte mir der
Vorgang, indem ich annahm, daß die betreffende Karte von der Vp. mit
einem Teile ihrer Nervenkraft verladen worden war, die sich ihr später
hei der neuen Berührung wieder bemerklich machte.
Ich lasse es dahingestellt, ob ich bei dieser naiven Deutung das
Richtige traf oder nicht. Was war es denn, was die Vp. unter dem Ein-
fluß der Suggestion auf die Karte warf? Ein imaginäres Bild. Aber
dieses Bild war weder eine Selbsttäuschung, noch eine flüchtige
Schöpfung, sondern vielmehr für die Vp. etwas Standhaltendes und zu-
gleich Lebendiges, indem von ihm die Kraft ausging, sich ihr bei späterer
Berührung wieder wahrnehmbar und erkennbar zu machen. Man wird
einen derartigen Vorgang wohl verschieden zu deuten suchen, je nach-
dem man auf einem mehr mechanistischen oder psychistischen Stand-
punkt steht; seiner Rätselb aftigkeit ist er trotz unserer vorgeschrittenen
Erkenntnis überzeugenderweise bis heute wohl noch nicht völlig ent-
kleidet.
Später lernte ich dann ähnliche Verladungen von Wasser durch sog.
Magnetiseure kennen. Hierbei handelte es sich angeblich um die Aus-
scheidung von sog. Od aus dem menschlichen Organismus und die Über-
tragung desselben auf eine Portion Wasser, die dadurch ihre Eigenschaf-
ten insofern änderte, als ihr Geschmack sie für Sensitive, aber auch für
122 Fr. Freudenberg.
gleich gab er der Hypnotisierten den Befehl, in dieser Weise ihr Haut-
empfindungsvermögen auf das Wasser zu übertragen. Hierauf stellte T.
hinter dem Rücken der Vp. die Gläser mehrfach durcheinander und be-
auftragte sodann eine Assistentin, der er Handschuhe zum Anziehen
gab, um das behandelte Glas nicht etwa an der Wärme kenntlich zu
machen, die Gläser weiterhin umzustellen, während er selbst den Rücken
wandte. So wußte allerdings niemand, welches das beeindruckte Glas
war. Und da die Vp. unter diesen Umständen bei Berührung des Wassers
eines bestimmten Glases mit einer Pinzette regelmäßig Empfindungen
zu haben angab, so war allerdings der Beweis einer Art von Sensibilitäts-
übertragung auf einen leblosen Gegenstand gelungen.
Nun machte ich im verflossenen Spätherbst in einem Sanatorium zu-
sammen mit einem Kurgast, der ein sehr eindrucksvoller Hypnotiseur
war, an drei Abenden an drei weiblichen Angestellten der Anstalt
hypnotische Versuche. Alle drei Damen fielen rasch in Hypnose und ver-
richteten in dieser die bekannten sensationellen Handlungen, zu denen
sie sich wachbewußt nicht verstanden haben würden. Auch posthypno-
tischen Befehlen kamen sie ausgiebig nach. Als am übernächsten Abend
-
eine zweite Sitzung stattfinden sollte, erschienen nur zwei von den dreien,
da die eine, der erzählt worden war, was sie in der Hypnose für kuriose
Dinge getrieben hatte, strikte. Die beiden erschienenen jungen Damen
(beide den gebildeten Ständen angehörig) wies nun der Hypnotiseur, ein
Anhänger der Mesmer'schenTheorie, nacheinander an, ihre Fingerspitzen
5 Minuten lang über eins von 4 etwa dreiviertel voll mit Wasser gefüllten
Gläsern zu halten, um dieses, wie er den 5 Anwesenden und den in tiefer
Hypnose befindlichen Vpp. sagte, mit Od zu füllen. Nun wurden die Gläser
von ihm und den übrigen, vor und nach an den Tisch Herantretenden auf
dem Tisch hin- und hergeschoben und verstellt, bis in jedem der beiden
Fälle niemand mehr wußte, welches Glas behandelt worden war. Und nun
kosteten die Anwesenden von den verschiedenen Gläsern und einigten
sich dahin, daß eines derselben besonders erfrischend schmecke, während
der Inhalt der anderen einen faden Geschmack habe. Da aber dieser Ver-
such in keiner Weise vorbereitet war und ohne Kontrolle stattfand, so
blieb er natürlich bedeutungslos, ließ mich aber hoffen, daß bei unseren
beiden Getreuen an einem dritten Abend auch ein korrekt nach der
Tischnersehen Anordnung durchgeführtes Experiment gelingen werde.
Zwei Tage später stellte ich dieses Experiment mit 4 markierten
Gläsern an. Die Vpp. erhielten den Befehl, indem sie ihre Fingerspitzen
über das Wasser eines der Gläser hielten, bestrebt zu sein, ihre Emp-
findungsfähigkeit auf dieses zu überirrtgen. Zu diesem Zweck wurden
beide Vpp. nacheinander an den Tisch mit den Gläsern geführt und
darauf geachtet, daß jede ein eigenes Glas beeindruckte.
Das Experiment gelang bei beiden in überraschender Weise. über-
flüssig zu sagen, daß sich die Vpp. in tiefem Trance und mit fest-
verbundenen Augen befanden. Mit einem stumpfen Instrumente machte
nun der Versuchsleiter vorsichtige Stöße wahllos in den Inhalt der
124 Fr. Freudenberg.
Gläser, mit dem Erfolg, daß bei beiden Vpp. die Berührung je eines
Glases Empfindungen hervorrief, die sie bald in diese, bald in jene
Körperteile verlegten. Bei näherer Prüfung stellte sieh nun heraus, daß
es bei beiden Vpp. nur das von je einer derselben beeindruckte Glas war,
welches bei Berührung die betreffenden Empfindungen auslöste. Nur bei
einer der beiden Damen kam eine einzige Fehlangabe vor, als ich die
Oberfläche des Wassers in einem nicht von ihr behandelten Glase be-
rührte und sie doch eine Empfindung zu haben glaubte. Es war dies
wohl die Folge der Übermüdung und verschwand fast ganz gegenüber
den voraufgegangen zahllosen richtigen Angaben.
Der Versuch war ein vollständig unwissentlicher. Die Umstellung
der Gläser erfolgte genau nach der strengen Tischnerschen Anordnung,
vielleicht dadurch noch um so mehr gesichert, als die Person, welche
die Umstellung der Gläser mit Handschuhen in einer dunkeln Ecke des
Zimmers zu besorgen hatte, den Raum überhaupt erst betrat, nachdem
seitens anderer Teilnehmer die Gläser bereits mehrfach umgestellt
worden waren, so daß damals schon niemand die beeindruckten von den
nichtbeeindruckten Gläsern zu unterscheiden imstande war. Nach dieser
letzten Umstellung wurden die Gläser wieder auf den Fisch zurück-
gebracht. Während ich nun die Gläser, wie oben angegeben, berührte, be-
fanden sich die Vpp. noch immer in tiefem Trance und standen, mir den
Rücken zukehrend, abseits. Weder wußten sie, welches Glas ich berührte,
noch auch, ob ich überhaupt eins berührte, da ich nicht bei jedem Stich
fragte: „Fühlen Sie etwas?" Auch wohl so fragte, ohne in ein Glas ein-
zustechen. Gerade daß ungefragt Berührungen angegeben wurden, hatte
etwas vollkommen Überzeugendes.
Was ist es nun, was von den beiden jungen Damen auf das Wasser
übertragen wurde? An dem einen Abend waren sie angewiesen, ..0d" aus-
zuscheiden, an dem andern ihr _Gefühl". Von Od hatte die eine der beiden
nie etwas gehört, und beide hatten sicher keine irgendwie bestimmte Vor-
stellung davon. Noch ratloser aber standen sie dem anderen Befehl. ihr
Hautempfindungsvermögen auf ein Glas Wasser zu übertragen, gegen-
über, wenn sie gleich als gehorsame Hypnotisierte auf die Frage, ob sie
verstanden hätten, was sie sollten, mit Ja antworteten. Was also wurde
von ihnen auf das Wasser übertragen? Der Lösung dieses Rätsels kam
unser Experiment freilich nicht näher. So viel aber geht aus ihm hervor,
daß die Fähigkeit derartiger Sensibilitätsübertragungen doch wohl nicht
so selten ist, wie man im allgemeinen bisher angenommen hat, denn
unsere beiden Vpp. waren an Leib und Seele gesunde Menschenkinder.
Nichts ließ uns ahnen, daß wir bei ihnen auf solche hervorragende
„mediale" Begabungen stoßen sollten, und erst aus dem Spiel wurde ein
wissenschaftliches Experiment in strenger Durchführung. Bietet sich
aber der Forschung, wie ich daraufhin annehmen möchte, häufiger Ge-
legenheit zu solchen Versuchen, so dürfte wohl damit gerechnet werden,
daß sich das gegenwärtige Dunkel allmählich lichtet.
Graf C. v. Klinckowstroem. Glossen zur Entlarvung Guziks in Krakau. 125
Und ganz deutlich war auf der Platte zu sehen, daß der von der Wand
weggerissene Leitungsdraht zu seinem Sessel sieh hinzog und um
seinen Ärmel sich windet ... Daraus konnte man wohl schließen, daß
nicht durch mediale Kraft, nicht durch ein Phantom, aber durch Guzik
selbst, der sich eine Hand irgenwie befreite, das Magnesiumlicht ent-
zündet wurde. Auch die nächste Sitzung ergab daselbe Resultat ..".
Die erhaltenen Photographien wurden Guzik nicht gezeigt. Die
Krakauer Metapsychiker beschlossen nun, was sehr zu begrüßen ist, in-
folge dieser Betrugsindizien der Sache auf den Grund zu gehen. „Am
dritten Tage wurde aber, ohne Wissen des Mediums, ein
zweiter Zünder im Zimmer angebracht, und zwar gegenüber
dem ersten. Die Seance war diesmal ganz ergiebig. Es gab viele Be-
rührungen der Teilnehmer, Lichter flackerten herum, man sah ein nebel-
haftes Phantom, das undeutliche Worte murmelte und sich zum
Kontrolleur, der zur linken Seite Guziks saß (einem bekannten Maler,
HerrnW.), wandte... In diesem Momente blitzte das Licht
a u f. Aber es wurde nicht vom Phantom und nicht vom Medium, sondern
von m i r entzündet -- und zwar im interessantesten Augenblick."
Guzik zuckte zusammen, der Rest der Sitzung verlief ohne weitere Er-
scheinungen. Auch zwei weitere Sitzungen blieben vollkommen negativ.
Die Apparate mußten auf Wunsch Guziks entfernt werden.
Und das Ergebnis der Aufnahme?
„Auf den photographischen Platten sah man auf dem Tisch vor
Guzik nur drei Hände, anstatt vier. Die vierte Hand (die linke Hand
Guzik s) war über den Tisch erhoben. Guzik hatte sich nämlich
zweifellos seine linke Hand befreit. Wie war das möglich? Er hatte doch
den kleinen Finger dieser Hand um den kleinen Finger der Hand seines
linken Nachbars eingehängt! Nun, er hat eben den kleinen Finger frei-
gemacht und seinem Nachbar den Daumen oder vielleicht den Zeige-
finger seiner r echten, von einem anderen Herrn gehaltenen Hand ge-
reicht. Offenbar ist Guzik in diesem Kunstgriff sehr gewandt und weiß
ihn geschickt anzuwenden, wenn die Aufmerksamkeit des Beobachters
durch verschiedene geheimnisvolle Vorgänge in der Seance abgelenkt ist.
Dieses Kunststück ist übrigens gar nicht schwer nachzumachen.
Wir versuchten es nachträglich selbst, und es zeigte sich, daß das bei
Guzik übliche System der Handkontrolle Täuschungen leicht ermög-
licht. Bei manchen Personen ermüden die Finger so, daß sie ziem-
lich gefühllos werden. Auch eine ziemlich große Erfahrung
in medialen Sitzungen schützt gewisse Personen nicht
v or Täuschungen (vom Referenten gesperrt). Herr W., der wohl
vierzigmal schon mit Guzik saß, merkte es nicht, wie das Medium
sich seine Hand befreite.
Mit dieser freigewordenen linken Hand, resp. mit dem Arm, hatte
Guzik den schwarzen Vorhang, der in einer Entfernung von 1 m seit-
wärts hing, emporgehoben, hatte sich mit dem Tuch die Hand umwickelt,
deren Finger wohl mit einer phosphoreszierenden Pasta be-
128 Graf C. v. Klinckowstroem.
herzurichten was ihr 15elieNte. Nur einmal, als in der Sitzung vom
Glossen zur Entlarvung Guziks in Krakau. 129
a. a. 0., S. 379/80.
Zeitschrift für Okkultismus I. 9
130 Graf C. v. Klinckowstroem.
haltlos darzutun (a. a. 0., S. 428). Das gleiche naive Vertrauen zum
Medium bekundete nach der Darstellung von Prof. Dr. Busch
(„Psychische Studien" Juni 1925, S. 335), der Gymnasialprofessor
Chr. Schröder bei Frau Vollhart. Es handelte sich um vertrauliche
Äußerungen Buschs über gewisse Verdachtsmomente, die er bei
Frau V. beobachtet hatte. „Obwohl ich in keiner Weise gebunden war",
schreibt Busch, „hatte ich nur einigen Herren vorwiegend okkulter
Richtung und nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit Mitteilung ge-
macht, denn es war für jeden wissenschaftlich Denkenden klar, daß be-
hufs ungestörter Weiterprüfung unter keinen Umständen das Medium
etwas davon erfahren durfte. Ein Standpunkt, den selbstverständlich
auch diese Herren teilten. Was aber tat Herr Schröder? Man sollte es
nicht für möglich halten, bei jemand, der doch auch wissenschaftliche
Vorbildung hat.Er teilte es schleunigst dem Medium mit. Er
machte somit bewußt und absichtlich eine Nachprüfung unmög-
lich, trieb also die eindeutigste Verschleierungspolitik." Es kann jeden-
falls nicht wundernehmen, daß die Medien mit solchen „Forschern" und
„Sachverständigen" ein leichtes Spiel haben, und diese dürfen sich ihrer-
seits nicht wundern, wenn sie von der Wissenschaft nicht ernst ge-
nommen werden. Als solche fühlen sich aber die Metapsychiker, wenn sie
eine Zeitlang mit einem oder mehreren Medien in dieser Weise gearbeitet
haben, und dünken sich erhaben über die Kritik Unerfahrener. Hätten die
Krakauer Herren nach dem üblichen Prinzip, das Medium vor Über-
raschungen zu sichern und nichts ohne sein Wissen vorzunehmen, ge-
handelt, so würde sicherlich seitens der Okkultisten auch weiterhin an
die Allgemeinheit das Ansinnen gestellt werden, an die Echtheit der
Guzik sehen Phänomene, wie sie Geley, Neumann und andere be-
schrieben haben, zu glauben. Es sei in diesem Zusammenbange auch an
Eusapia Paladino erinnert, deren jetzt durchsichtige Betrugstechnik
durch MetapsyeIker wie Lodge, Lombroso oder Riehet niemals enthüllt
worden wäre. Glücklicherweise geriet sie im Laufe ihrer jahrzehntelangen
Praxis auch in die Hände besserer Beobachter und wirklich sachkundiger
Forscher, die ihr überlegen waren und ihre Bedingungen zu umgehen
wußten, ohne daß sie es merkte: Hodgson, Krebs, Davis usw.
(a. a. 0.. S. 230 ff.). Ehe nicht die mediumistische Forschung in die
Hände dafür wirklich qualifizierter und mit der Materie vertrauter Fach-
gelehrter gelangt, die mit der psychologisch richtigen Behandlung der
Medien eine wissenschaftlich zuverlässige Untersuchungsmethode zu ver-
binden wissen, wird eine Förderung dieser umstrittenen Fragen sowie ein
Fortschritt im Sinne einer allgemeingültigen Sicherstellung der Ver-
suchsergebnisse und einer Erkenntnis der Kausalzusammenhänge nicht
zu erwarten sein.
Es erübrigt noch, der Betrugstechnik Guziks einige Worte zu
widmen. Man sollte es kaum glauben, daß Guzik mit einem so alten
Trick wie dem der Handvertauschung, mit dem sieh jeder Durchschnitts-
Metapsychiker vertraut glaubt, noch Erfolg haben konnte. Daß dies aber
171. Tischner. Zur Methodologie des Okkultismus. 131
der Fall war, ist besonders lehrreich. Die links neben Guzik sitzende
Kontrollperson, der Maler W., wird von Szczepanski als erfahrener
Metapsychiker bezeichnet, der in 40 Sitzungen neben Guzik saß. Und
niemals hat er etwas von der Handsubstitution gemerkt! Wer wird den
auf ihre Erfahrung pochenden Okkultisten noch glauben wollen, wenn
sie behaupten, auf solche Tricks könnten sie nicht hereinfallen? Die Er-
fahrung lehrt immer wieder das Gegenteil. Die Okkultisten unter-
schätzen offenbar im allgemeinen die Schwierigkeiten der Beobachtung
sowie der Überwachung eines gewandten Mediums unter den in
mediumistischen Sitzungen üblichen Verhältnissen. Im 6. Kapitel des
oben zitierten Werkes ist ausführlich dargelegt, wie beispielsweise
Eusapia, die Meisterin in der Handvertauschung, ihre Untersucher,
darunter auch tasc,henspielerisch ausgebildete und erfahrene Meta-
psychiker, immer wieder zu täuschen wußte. Das liegt durchaus nicht
etwa immer an der Unfähigkeit der Beobachter. Dem menschlichen
Beobachtungs - und Erkenntnisvermögen sind Grenzen gesetzt, die in
der begrenzten Leistungsfähigkeit der Sinne begründet liegen.
„S ehre n ck s Vertrauen in die Leichtigkeit der Sinneserkenntnis ist
viel zu groß", sagt Rosenbusch (a. a. 0., S. 274) einmal im Zusammhang
mit Schrencks Versuchen mit Stanislawa Tomczyk. „In seinem
ganzen Buch findet sich auch bei den schwierigsten Feststellungen unter
ungünstigsten Verhältnissen kein Wort des Zweifels an der Überein-
stimmung seiner Angaben mit dem wirklichen Vorgang selbst. Daß nur
die Unfähigkeit nicht imstande sein soll, dieses schwierige Gebiet wie
einen ‚außerordentlich einfachen Trick zu durchschauen', widerspricht
aller Erfahrung."
sein, den Lehrer hinter das Licht geführt zu haben, das andere, sich aus
einer unangenehmen Lage befreit zu haben, durchaus auf. Mir scheint
nun, auch bei den Medien spricht dieser Punkt mit, ohne daß ich auch
hier die andern schon häufig erörterten Gründe übersehen will, und ge-
rade je mißtrauischer, ich sage nicht „j e besser" — die Kon-
trolle ist, desto eher werden manche Medien der Versuchung unterliegen,
der Kontrolle ein Schnippchen schlagen zu wollen. Der Skeptiker pflegt
nun meist sein Mißtrauen unverhohlen zu zeigen und fordert dadurch
gerade diese Reaktion des Mediums heraus, es ist das also neben man-
chem Anderen eine Ursache, warum der Skeptiker so oft schlechte Er-
gebnisse hat, ja direkt betrügerische Ergebnisse erzielt. Wenn ich diesen
psychologischen Grund hier betone, so verkenne ich natürlich nicht, daß
es daneben noch viele andere gibt, und übersehe besonders nicht, daß
vielfach auch die lässige Kontrolle der Gutgläubigen Betrug hervorruft,
der von diesen nur vielfach nicht als solcher erkannt wird. Für die
Methodik folgt daraus, daß man gut tut, die Kontrolle nicht in unver-
kennbar mißtrauischer Einstellung gegen das Medium durchzuführen,
sondern zu versuchen, dem Medium begreiflich zu machen, daß diese
Kontrolle aus methodischen Gründen so sein muß, zumal um auch dem
Außenstehenden das Gefühl der Sicherheit diesen Versuchen gegenüber
zu geben. Diese vertrauensvolle Darlegung wird vielfach besser wirken
— ohne jedoch gegen bewußten oder unbewußten Betrug zu sichern
als das dem Medium unverhohlen entgegengebrachte Mißtrauen.
Aus diesen methodologischen Erwägungen heraus muß man verlangen,
daß die Metapsyehik deDselben Weg geht, den man in andern Wissen-
schaften mit stark historischem Einschlag schon längst beschritten hat:
den der genauen Einzelanalyse des individuellen Falles, wobei es sich
darum handelt, jedes einzelne Medium einzeln zu behandeln, anstatt
zu sagen, alle Medien betrügen und sind deshalb der BeaCitung der
Wissenschaft gar nicht wert. Und auch beim einzelnen Medium handelt
es sich nicht darum, die einzelnen Sitzungen zu kritisieren, man muß
vielmehr verlangen, daß jedes einzelne Phänomen auf seine Bedingungen,
unter denen es sich ereignete, untersucht wird. Da das vielfach zu weit
führen würde, muß man jedenfalls fordern, daß gerade die besten Ver-
suche auf ihte Stichhaltigkeit untersucht werden. Und auch in der Be-
wertung muß man Unterscheidungen treffen, indem von „streng bewiesen"
bis zu „betrügerisch hervorgebracht" oder „auf Sinnestäuschungen oder
falscher Deutung beruhend" ein weiter Weg ist, der viele Stationen hat,
wie „sehr wahrscheinlich echt", „zweifelhaft", „unerwiesen" u. dgl.
Wer diese Forderung nicht erfüll,t sondern sich darauf beschränkt
an Hand von schwachen Seiten der Versuche ein einseitiges Bild zu ent-
werfen, kann nicht als Forscher gewertet werden, er stellt sich damit
auf den Standpunkt des Anwalts und des Tendenzhistorikers, deren Stel-
lung in der Wahrheitsforschung wir oben kennen gelernt haben.
Wenn ich hier die methodologische Forderung erhebe, daß der For-
scher sich als Richter und nicht als Advokat fühlen und dementsprechend
134 R. Tischner.
handeln sollte, so schließt das natürlich nicht aus, daß man im gegebenen
Falle als Antwort auf eine gegnerische Arbeit nur die der Ansicht des
Gegners widerstreitenden Punkte erwähnt oder diese wenigstens in den
Vordergrund rückt, aber im allgemeinen muß man fordern, daß beide
Seiten berücksichtigt werden, zumal in Darstellungen, die ein Gesamtbild
eines Gegenstandes geben wollen.
Ein paar Worte seien nun noch den para psychischen Phänomenen,
soweit sie nicht oben schon besprochen wurden, und den spontanen Er-
eignissen gewidmet.
Diese Experimente finden unter weniger verwickelten Bedingungen
statt als die paraphysischen, insbesondere ist es leichter möglich — und
es sollte auch immer geschehen — ein genaues Protokoll zu führen,
so daß die historischen Quellen auch für eine spätere Kritik durchsichtiger
und zuverlässiger sind als bei den paraphysischen Dunkelsitzungen. Ins-
besondere können „Hellsehversuche" d. h. Versuche, bei denen kein An-
wesender oder überhaupt niemand um den in Frage stehenden Gegen-
stand weiß, so klar angelegt werden, daß auch der Außenstehende sich
ein genaues Bild von den Versuchen machen und auf Grund des Berichtes zu
einem Erteil kommen kann, falls man nicht den Forscher on vornherein
für einen Betrüger halten will. Zumal wenn die Teilnehmer mehrfach
wechseln, darf man auch den Einwand ausschließen, daß eine Konspira-
tion eines Mitarbeiters mit dein Medium stattgefunden hat. Da ich hier
im wesentlichen über die Methodologie und nicht die Methodik handle,
kann ich auf Einzelheiten in bezug auf Anstellung der Versuche nicht
eingehen. Immer handelt es sich darum, möglichst einwandfreies histori-
sches Quellenmaterial zu liefern.
Was nun die spontanen Ereignisse wie z. B. die Anmeldung Ster-
bender usw. angeht, so haben wir es mit rein historischem Material zu
tun ; gerade bei ihm spielt die genaue Anwendung der historischen Me-
thode eine große Rolle. Immer gilt es, die Glaubwürdigkeit der Bericht-
erstatter und die Genauigkeit des Berichtes zu untersuchen. Hier spielen
auch die Fehler der Berichterstatter und der Zeugenaussagen eine wesent-
lich größere Rolle als bei den Versuchen, denn es handelt sich dabei
fast immer um spontane Ereignisse, die vielfach erst später aufgezeichnet
und berichtet werden. Besonderer Wert ist auf den Bericht von zwei
voneinander unabhängigen Zeugen zu legen, da gerade auf diesem
Gebiete wegen des vielfach vorhandenen affektiven Momentes Erinnerungs-
fälschungen, Auto- und Fremdsuggestionen eine große Rolle spielen.
Wir sahen oben, daß im Widerspruch mit der historischen Methodik
die Forscher meist als ganz leichtsinnige Beobachter und kritiklose
Untersucher hingestellt zu werden pflegen. Im Gegensatz dazu macht
man aus ihren Gegenspielern, den Medien, Halbgötter an Klugheit,
Menschenkenntnis und Geschicklichkeit. Durch diese unterschiedliche Be-
handlung tritt nun eine völlige Verzeichnung der tatsächlich bestehenden
Verhältnisse ein. Die Gewichte sind so verschieden verteilt, daß es in
der Tat dann nicht schwer fällt, alle Untersuchungen zu entwerten. Ge-
Zur Methodologie des Okkultismus. 135
wiß soll man den Gegner nicht unterschätzen, aber auch hier gilt es zu
untersuchen, ob denn wirklich diese Voraussetzung, daß das Medium ein
Taschenspieler von hohem Range ist, mit den Tatsachen durchweg über-
einstimmt. Da macht man darauf aufmerksam, daß, je strenger die Kon-
trolle ist, desto weniger ergiebig die Phänomene zu sein pflegen. Dieser
Einwand ist erstens noch nicht einmal richtig, und dann wäre zu unter-
suchen, ob die veränderte Versuchsbedingung nicht auch nach der Rich-
tung wirken könne, daß eben die übernormalen Fähigkeiten auf irgend
eine Weise behindert werden; auch hier vermißt man die genauere Ana-
lyse. Ich sagte eben, daß die Behauptung von der geringeren Ergiebig-
keit der strengeren Sitzungen an Phänomenen nicht einmal ganz richtig
sei; so betonen die skeptischen Untersucher von Eusapia Paladino B a g -
g all y, Feilding und Carrington ausdrücklich, daß gerade die Sitz-
ungen mit besser er Beleuchtung mehr Phänomene gebracht hätten
als die andern, in denen es dunkler war. Und bei den Gebrüdern
Schneider sind auch unter strengen Bedingungen reichlich Phänomene
aufgetreten. Außerdem ist es doch klar, daß es nicht angeht zu fordern,
daß die Phänomene nicht durch Änderung der Bedingungen beeinflußt
werden ; hier fordert der Skeptiker gerade das Wunder des bedingungs-
losen unveränderlichen Auftretens der Erscheinungen. Dabei werden diese
Einflüsse z. T. psychischer Natur sein, z. T. physischer.
Weiter sei noch kurz an das oben Gesagte erinnert, daß die Medien
vielfach ein Phänomen anzeigen oder dasselbe Phänomen mehrfach hinter-
einander wiederholen, was ganz den taschenspielerischen Grundsätzen
widerspricht. Ein Taschenspieler, der unter den Bedingungen der meta-
psychischen Sitzungen Positives leistet (Durchsuchung, Festhalten an
Händen und Füßen, Leuchtbänder, ohne Helfeshelfer in fremden Räumen)
muß erst gefunden werden. Auf die Henning sehen Mitteilungen gehe
ich hier nicht ein, da sie so unklar sind, daß sie wohl für den Gegner
der Metapsychik ein gefundenes Fressen, aber sonst in historischer Hin-
sieht völlig ungenügend sind, was Berichterstattung usw. angeht, so daß
eine kritische Auseinandersetzung unmöglich ist.
Endlich sollen hier noch einige Worte über diejenigen Forscher
gesagt sein, die dem Okkultismus bej ah en d gegenüberstehen. Ich sagte
oben, daß im Prinz ip mir deren Stellungnahme richtiger zu sein scheine ;
das schließt natürlich nicht aus, daß im Einzelnen auch hier vielfach
Fehler gemacht werden. Wer von den Erscheinungen überzeugt ist, wird
naturgemäß dazu neigen, wenn er einem neuen Medium gegenübertritt
oder neue Untersuchungen kennen lernt, die Echtheit in stärkerem Maße
in das Bereich der Möglichkeit zu ziehen als der Skeptiker, der noch
nicht überzeugt ist. Da liegen gewisse Gefahren, wenn man voreilig, weil
man von andern Phänomenen überzeugt worden ist, auch jetzt von vorn-
herein zugunsten der Phänomene gestimmt ist. Besonders was die histo-
rische Kritik anlangt, werden hier vielfach Fehler gemacht, indem die
negativen Momente nicht so stark gewogen werden als die positiven und
man die Betrugsmöglichkeiten, die Erinnerungsfehler und sonstigen Irr-
136 R. Tischner.
deutet das also gar keinen prinzipiellen Fortschritt. Falls bei der S omm er-
schen Fesselung Phänomene, also sagen wir einmal Bewegungen eines
Gegenstandes auftreten, so fragt es sich, waren diese Phänomene echt
oder sind auch sie betrügerisch hervorgebracht. Von den verschiedenen
Möglichkeiten erwähne ich zwei, um zu zeigen, daß auch bei dieser
Methodik nicht das absolut sichere Ergebnis wie aus einem Automaten
herausspringt, auch hier muß erst die Erörterung Klarheit schaffen. Wenn
bei einer Sitzung mit S omm er scher Fesselung die Bewegung eines Gegen-
standes eintritt und außerdem die gleichzeitige Bewegung einer Hand auf-
gezeichnet wird, so beweist das nicht, daß Betrug vorliegt, es könnte
sich auch um eine konkomitierende Bewegung handeln, wie man sie öfter
bei Medien wahrgenommen hat. Falls aber eine Bewegung des Gegen-
standes eintritt und keine gleichzeitige Bewegung eines Gliedes auf-
gezeichnet worden ist, dann braucht das Phänomen trotzdem nicht echt
zu sein, indem es dem Medium gelungen sein könnte, sich vorher — etwa
während eines fingierten klonischen Krampfes — zu befreien, und mit der
befreiten Gliedmaße die Bewegung betrügerisch hervorzubringen. Unter
der ja gerade von den Gegnern so oft betonten Voraussetzung, daß keine
mechanische Fesselung vor Betrug schützt, beweist also eine Bewegung,
ohne daß sich gleichzeitig eine Kurve aufgezeichnet findet, nichts für die
Echtheit des Phänomens.
Noch ein anderer Punkt bedarf der Erörterung. Bei dieser historischen
Bewertung eines historischen Eieignisses ist es natürlich besonders wichtig,
daß die Zeugen, die darüber berichten, auch dazu geeignet sind, so daß
ihrem Zeugnis auch Gewicht zukommt. Es ist also zu fordern, daß ihr
Zeugnis hochwertig ist. Demnach ist es erwünscht, daß die Untersucher
und Zeugen nicht nur die jeweils in Frage kommenden naturwissenschaft-
lichen Punkte kennen, wie z. B. bei Untersuchung auf den Ferromagnetis-
mus eines Mediums die Lehre von der Elektrizität und dem 1V1agnetismus,
sondern auch psychologisch geschult sind. Sie müssen sowohl das Medium
als sehr heiklen Untersuchungsapparat, der zum Unterschiede zu andern
Apparaten auch eine Seele mit all ihren Tücken (Betrug!) hat, kennen
und berücksichtigen, als auch die Probleme der Beobachtungspsychologie
und Zeugenaussage mit ihren zahlreichen Fehlerquellen kennen. Nur auf
diese Weise wird man ein Material bekommen, das den Forderungen
-
nicht überzeugt worden sei, die Überzeugung von der Wirklichkeit der
metapsychischen Phänomene habe ihm erst das persönliche Erleben ge-
bracht. So sehr man einen derartigen Standpunkt psychologisch verständ-
lich finden wird, so wird man doch diesen Ausspruch nicht zu einem
methodologischen Prinzip erheben dürfen. Wenn es überhaupt möglich
ist, Geschehenes auf Grund von Zeugenaussagen sicherzustellen, dann ist
es auch im Bereich der metapsychischen Untersuchung möglich, und
wenn man behauptet, es sei hier nicht möglich, dann fallen, wie schon
oben erwähnt, auch zahlreiche auf Zeugenaussagen beruhende Urteile
und Feststellungen, sei es nun in Wissenschaft oder Leben, in sich
.
daß diese meist übliche Kritik wertlos ist und wir erst dann zu einer
fruchtbringenden Erörterung gelangen, wenn die hier erhobene Forderung
einer individualisierenden Kritik erfüllt ist, die die Gewichte zwischen
Forscher und Medium richtig verteilt.
Verschiedenes.
Die Frage des Hellsehens und der Telepathie im Bernburger Prozeß.
Von Dr. Albert Hellwig, Potsdam.
Vom 12. bis zum 17. Oktober d. J. hat gegen den Lehrer Dr o st in Bernburg
vor dem dortigen großen Schöffengericht eine Hauptverhandlung wegen Betruges
stattgefunden. Dr o st ist freigesprochen worden. Eine Entschädigung für un-
schuldig erlittene Untersuchungshaft — er hat fünf Monate in Untersuchungshaft
gesessen — hat das Gericht ihm nicht zugebilligt. Daraus ergibt sich nach den
maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen, daß das Gericht nicht der Ansicht
gewesen ist, daß das Verfahren die „Unschuld" des Angeklagten ergeben oder
dargetan hat, daß ein „begründeter Verdacht" gegen ihn nicht vorliegt 1 ). Das
Urteil ist rechtskräftig geworden.
Es handelte sich in diesem Verfahren um die sog. Kriminaltelepathie.
Dr ost hatte nämlich seit Jahren in sehr großem Umfange versucht, durch „hell-
sehende" Medien Verbrechen aufzuklären. Er hatte zweifellos mehrere auf den
ersten Blick verblüffende Scheinerfolge aufzuweisen; dagegen ist in keinem
einzigen der Fälle der Nachweis erbracht, daß die Medien von Dr ost tatsächlich
auch durch ihre auf supranormalem Wege gewonnenen Kenntnisse irgendwie zur
Aufklärung eines Verbrechens beigetragen haben.
Die anscheinende Aufklärung eines Mordes durch D ro st begründete seinen
Ruhm. Am 26. Februar 1921 wurde Anzeige erstattet, daß eine Frau He ese tot
aufgefunden sei; es bestehe der Verdacht, daß ihr Mann sie erdrosselt habe. Eine
Reihe von Einzelheiten, die nachher auch in den Aussagen des Mediums wieder-
kehren, waren schon vor der Sitzung mit dem Medium bekannt. Die 'Sitzung fand
am 1. März 1921 statt. Ein eigentliches Protokoll über diese Sitzung, die am
Tatort stattfand, besteht Eicht. Wir sind auf einen Bericht angewiesen, den der
bei dem Versuch anwesende Polizeikommissar Hildebrandt am nächsten
Tage erstattet hat. Wenn dieser Bericht zuverlässig wäre, so würde allerdings
eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, daß die Angaben des
Mediums auf Telepathie oder Hellsehen beruhten. Es wird ausdrücklich erklärt,
weder Dr o st noch sein Medium seien informiert worden. Das trifft aber, wie
sich in der Voruntersuchung gegen Dr o st ergeben hat, nicht zu, da zwar nicht
Hilde br an dt sie informiert hatte, wohl aber sein Kollege Rössel, zum
mindesten Dr o st. wahrscheinlich auch das Medium, die beide bei dem
Schwiegervater Rössels, bei dem sie ihren ersten kriminaltelepathischen Ver-
such gemacht hatten, freundschaftlich verkehrten. Daß der Bericht Hilde-
br an dt s nicht zuverlässig ist, dafür spricht auch, daß nach einem am 5. März
1921 — also nach der Sitzung — in dein „Anhaltischen Generalanzeiger" er-
schienenen ausführlichen Aufsatz über den Verlauf der Sitzung, der offenbar auf
Informationen von unterrichteter Seite zurückgeht, "das Medium „wohl an die
fünfzig Fragen" beantwortet hat: ,.jedesmal, wenn ihm die Hellseherei nach-
i) Vgl, jetzt auch die Darstellung, die der Berichterstatter des Bernburger großen
Schöffengerichts, Amtsgerichtsrat Dr. Ei s in g, in der Dezembernummer der „Deutschen
Juristenzeitung" gibt.
140 Verschiedenes.
zulassen drohte, wurde es von Dr ost stets neu und mit Erfolg angefeuert." In
dem Bericht Hildebr andts kommt dagegen in keiner Weise zum Ausdruck,
daß Fragen an das Medium gestellt worden sind. In einer mir am 20. Februar 1924
von der Polizeiverwaltung Bernburg gemachten brieflichen Mitteilung, deren
Grundlagen ich noch nicht habe nachprüfen können, heißt es: „Sobald das Medium
eine falsche Angabe gemacht hatte, verbesserte es sieh." Das sind alles Tatsachen,
die sicherlich geeignet sind, zur größten Vorsicht bei der Verwertung des Berichts
von Hildebr andt über die Sitzung zu mahnen. Vor allein aber ist von Be-
deutung, daß ich in meinem schriftlichen Gutachten nachgewiesen habe, daß
schon die „Bernburgische Zeitung" vom 28. Februar 1921 einen ganz ausführlichen
Bericht über den mutmaßlichen Verlauf der Mordtat gebracht hat, und zwar mit
zahlreichen Einzelheiten, die dann in den Angaben des Mediums in der am
nächsten Tage veranstalteten Sitzung wiederkehren. Keine einzige Angabe des
Mediums ist derart, daß man aus ihr auch nur einen Wahrscheinlichkeitsschluß
auf Hellsehen zu ziehen berechtigt wäre Der ganze Sachverhalt war vielmehr so,
daß man, soweit nicht auf dem üblichen Wege schon \ or der Sitzung erworbene
Kenntnisse vorliegen, auf Muskellesen schließen müßte. Dies :st auch die Auf-
fassung Professor Dr. Heyses, die er in seinem Gutachten in der Haupt-
verhandlung zum Ausdruck gebracht hat. Der Fall ist im übrigen in der Haupt-
verhandlung nicht näher erörtert worden.
Andererseits ist der Fall Heese auf den ersten Blick so verblüffend, daß es
vollkommen zu verstehen ist, daß Dr ost die Angaben seines Mediums in diesem
Falle als einen Beweis für Hellsehen angesehen hat. Ich habe deshalb auch stets
betont, daß alles dafür spricht, daß Dr ost selbst in der ersten Zeit seiner
kriminaltelepathischen Tätigkeit gutgläubig gewesen ist.
Der Fall Heese hat auch den Anlaß gegeben, daß ich mich mit Dr ost
beschäftigt habe.
Ich war an die Polizeiverwaltung Bernburg herangetreten und hatte sie um
Auskunft gebeten, ob der Bericht der "Täglichen Rundschau" über die Aufklärung
des Mordes an Frau Reese durch ein Medium von Dr ost den Tatsachen ent-
spreche. Am 26. Februar 1924 äußerte sich die Polizeiverwaltung Bernburg über
diesen Fall in äußerst skeptischer Weise. Am 15. März 1924 schrieb ich an Dr ost
folgendermaßen: „Es ist mir bekannt geworden, daß Sie glauben imstande zu sein,
durch Hellsehen Straffälle aufklären zu können. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn
Sie mir nähere Mitteilungen machen würden, insbesondere mir Fälle angeben
könnten, in denen Sie Ihrer -Überzeugung nach Erfolge erzielt haben. Es müßte
sich aber um Fälle handeln, die ich nachprüfen kann. Deshalb wären mir solche
Fälle von besonderem Wert, die nachher zur gerichtlichen Verhandlung ge-
kommen sind. Ich will Ihnen offen sagen, daß ich nach meinen bisherigen Er-
fahrungen sehr skeptisch in dieser Frage bin, da ich bisher immer erlebt habe,
daß es sich um Scheinerfolge handelt. Immerhin halte ich es nicht für aus-
geschlossen, daß ich eines Tages noch zu einer anderen Überzeugung gelange. Ich
würde mich jedenfalls nicht scheuen, wenn ich auf Grund sorgsamer Nachprüfung
eines bestimmten Falles zur Überzeugung gelange, daß hier ein Hellsehen als
erwiesen gelten muß, dieser 'Überzeugung auch öffentlich Ausdruck zu geben" 1 ).
Ich bat dann noch um möglichst genaue Angaben, leihweise überlassung etwaigen
1 ) Das habe ich schon vor 10 Jahren erwiesen, als ich mich in meinem Buche
über „Die Bedeutung des kriminellen Aberglaubens für die gerichtliche Medizin",
Berlin 1914, S. 39 ff. entgegen den zur Vorsicht mahnenden Warnungen Geheimrat
M oll s auf Grund des Berichts von Prof. Schotte li u s und auf Grund meines Akten-
studiums öffentlich für die hellseherischen Fähigkeiten von K ahn eingesetzt habe.
Später ist Kahn, auch in der okkultistischen Literatur, in der Regel als ein Schwindler
hingestellt worden. Neuerdings wird auf Grund von neuen Ve2suchen nachdrücklich
wieder für seine supranormalen Fähigkeiten eingetreten. Vgl. Tischner in den
„Psychischen Studien", Oktoberheft 1925.
Verschiedenes. 141
Materials und sagte, ich würde mich freuen, seine persönliche Bekanntschaft zu
machen, wenn er einmal nach Berlin komme'). Eine Antwort habe ich auf diesen
Brief nicht erhalten.
Durch Schreiben vom 22.Apri11924 teilte mir die Bernburger Polizeiverwaltung
zu meinem Erstaunen mit, daß Dr o st wegen seiner kriminaltelepathischen
Schwindeleien verhaftet worden sei. Ich trat nunmehr erst mit der Staatsanwalt-
schaft in Verbindung, wies auf die großen Schwierigkeiten eines jeden derartigen
Betrugsverfahrens hin, riet, nachdem nun einmal das Betrugsverfahren ein-
geleitet und Dr o st sogar verhaftet worden sei, das gesamte Material sorgsam
nachzuprüfen, da sich dann wohl die zuverlässigen Unterlagen für eine sach-
gemäße Beurteilung der Sachlage ergeben würden. Ich gab dann noch aus meiner
Erfahrung einige Winke für die anzustellenden Ermittlungen und erbot mich,
wenn Versuche mit den Medien angestellt würden, auf meine Kosten nach Bern-
burg zu kommen, wenn sich dies dienstlich ermöglichen ließe. Ich habe dann Ende
Mai und Anfang Juni 1924 derartigen Versuchen beigewohnt und bin erst dann,
ohne daß ich das angeregt hätte, zum Sachverständigen ernannt worden. Ich habe
dann mehrere umfangreiche schriftliche Gutachten erstattet und auch der Haupt-
verhandlung beigewohnt. Es war mir anfangs außerordentlich zweifelhaft, ob
nicht Dr o st zum mindesten davon überzeugt gewesen sei, daß seine Medien im-
stande seien, durch Hellsehen Verbrechen aufzuklären, ich bin dann aber schließ-
lich zu der überzeugung gelangt, daß Dr o st seit Jahr und Tag diesen Glauben
nicht mehr gehabt haben könne. Ich bin also in die ganze Sache erst hinein-
gekommen, als das Betrugsverfahren schon schwebte und als Professor Dr. He y s e,
der Direktor der Bernburger Heil- und Pflegeanstalt, als Sachverständiger schon
tätig war. -über die Frage der Gutgläubigkeit Dr o st s habe ich mich in meinem
schriftlichen Gutachten auf ausdrücklichen Wunsch der Staatsanwaltschaft ge-
äußert, wie dies in gleicher Weise auch Professor Heyse getan hat. Desgleichen
haben wir und Dr. T i sehn er, der auf Wunsch Dr osts, den ich auf Anfrage
warm unterstützt habe, schon in einem späteren Stadium der Voruntersuchung
als dritter Sachverständiger hinzugezogen worden war, uns in der Hauptverhand-
lung über diese Frage auf aosdrücklichen Wunsch des Vorsitzenden geäußert.
Auch Professor Dr. He yse war schon in seinem schriftlichen Gutachten im End-
ergebnis zu dem gleichen Ergebnis gelangt wie ich. Irgend einen Einfluß auf die
Erhebung der Anklage habe ich selbstverständlich nicht ausgeübt. Dagegen ist es
andererseits auch nur selbstverständlich, daß die Anklage sich auf unsere Gut-
achten, besonders auf mein ausführliches Gutachten, in welchem ich zu den
einzelnen Fällen das gesamte damals vorhandene Material zusammengetragen
und kritisch analysiert hatte, stützte”. Noch im Laufe der Hauptverhandlung
wurde ich einmal schwankend, ob ich die Persönlichkeit Dr o sts richtig
beurteilt habe; ich rechnete damals mit der Möglichkeit, daß ich mein Gutachten
nach der subjektiven Seite hin werde zugunsten Dr o st s abändern müssen. Ich
erklärte dem Staatsanwalt, ich werde ihm, wenn ich zu der überzeugung komme,
daß ich nicht die bestimmte Überzeugung von der mangelnden Gutgläubigkeit
Dr o st s gewinnen könne, sofort Mitteilung machen, damit dann, wenn das Ge-
richt dies für zulässig und zweckmäßig halte, die Beweisaufnahme abgekürzt
1) Unter den vielen Märchen, die über mich verbreitet worden sind, ist auch das,
ich habe mich heimtückisch an Drost herangemacht und habe dann seine Verhaftung
veranlaßt. Vgl. schon Sc hr öder, „Pseudoentlarvungen", S. 739 f. auf Grund brieflicher
Mitteilungen Dr ost s. So auch Otto -0 tto in Gegenwart Dr osts unter ausdrück-
licher Bezugnahme auf meinen Brief in einem Vortrag, den er am 31. Oktober 1925 in
Berlin gehalten hat.
2) Um ein- für alle allemal den entstellenden Preßberichten usw., die z. T. nach-
weisbar durch Dr ost und seinen Anhang beeinflußt worden sind, entgegenzutreten,
habe ich hier die Vorgeschichte des Prozesses, soweit es sich um meine Beteiligung
handelt, etwas ausführlicher geschildert.
142 Verschiedenes.
werden könnel). Durch den weiteren Verlauf der Verhandlung wurden meine Be-
denken zerstreut. Ich habe daher nach Schluß der Hauptverhandlung mein Gut-
achten in genau dem gleichen Sinne abgegeben wie in der Voruntersuchung. Das
Gleiche gilt für Professor Dr. He ys e. Dr. Tischner dagegen, der in seinem
Schlußgutachten erklärte, er sei auf Grund der Ergebnisse der Voruntersuchung
sehr skeptisch Dr ost gegenüber gewesen, hatte aus dem Ergebnis der Haupt-
verhandlung die tberzeugung gewonnen, daß Dr ost gutgläubig sei.
Sowohl Professor Dr. He yse als auch Dr. Tischner und ich stimmen
darin überein, daß in keinem einzigen der mehr als 40 Fälle, die in der Haupt-
verhandlung erörtert worden sind, in wissenschaftlich einwandfreier Weise der
Beweis für Hellsehen oder auch nur für Telepathie geführt worden ist. Ich gebe
zu, daß, wenn man Telepathie und Hellsehen überhaupt als schon erwiesene Tat-
sachen ansieht, dann allerdings bei einigen Angaben der Medien eine gewisse
Wahrscheinlichkeit dafür sprechen könnte, daß diese Angaben durch Hellsehen
oder durch telepathische Einfühlung gewonnen sein könnten. Im Gegensatz zu
den beiden anderen Sachverständigen genügt mir aber diese Wahrscheinlichkeit
nicht. Dies umsoweniger, als in einer ganzen Reihe von Fällen sich oft erst durch
einen bloßen Zufall schließlich herausgestellt hat, daß sieh hier eine bestimmte
Angabe des Mediums, bei der man mindestens mit gleicher Berechtigung auf
supranormal erworbene Kenntnisse hätte schließen können, sich ungezwungen
durch Information, durch eine nachweisbare Erinnerungsfälschung, durch ein
nachweisbar falsches Protokoll usw. erklärte 2 ).
Die Angaben, die Professor Dr. Heyse und Dr. Tischner als aller
Wahrscheinlichkeit nach auf Telepathie oder auf Hellsehen zurückführbar be-
zeichneten, betrafen so gut wie ausschließlich solche Angaben der Medien, die
kriminalistisch ohne irgendeine Bedeutung waren, so etwa Beschreibung einer
gestohlenen Uhr oder Schilderung des Tatortes usw. Für die rechtliche Würdigung
der Angaben der Medien war diese Tatsache in dem Betrugsverfahren von erheb-
licher Bedeutung. Vom psychologischen Standpunkt aus dagegen, der uns hier
allein interessiert, ist es natürlich ganz gleichgültig, ob die betreffende Mitteilung
des Mediums kriminalistisch verwertbar war oder nicht.
Es ist mir natürlich nicht möglich, auf den wenigen Seiten, die mir zur
Verfügung stehen, auch nur einen einzigen Fall in allen seinen in Betracht
kommenden wesentlichen Einzelheiten zu schildern. Dafür ist die Sachlage zu
kompliziert. Ich werde aber selbstverständlich das auch psychologisch außer-
ordentlich interessante Material, das der Prozeß geboten hat, nach und nach ver-
arbeiten und hoffe, den einen oder anderen Fall auch in einem der nächsten Hefte
unserer Zeitschrift darstellen zu können. Ich will mich für heute im wesent-
lichen damit begnügen, einige allgemeine Gesichtspunkte hervorzuheben.
Was zunächst die Terminologie betrifft, so haben wir uns in der Haupt-
verhandlung auf meine Anregung hin aus rein praktischen Erwägungen heraus
dahin geeinigt, daß wir als „Hellsehen" nicht nur diejenigen auf supranormalem
Wege erlangten Erkenntnisse bezeichnen wollten, die überhaupt keinem zur Zeit
lebenden Menschen bekannt waren, sondern auch diejenigen, die nur keinem der
bei dem Versuche anwesenden Personen bekannt waren. Der Begriff der Tele-
pathie wurde also auf die sog. Nahtelepathie eingeschränkt, während wir die
Ferntelepathie mit zum Hellsehen rechneten.
1) Als Richter weiß ich ans Erfahrung, daß das vorläufige Urteil, das man sieh
aus dem Studium der Akten bildet, sich nicht selten durch die Ergebnisse der Haupt-
verhandlung ändert. In Erfurt ist eine Chiromantin auf Grund meines Gutachtens frei-
gesprochen worden. In meinem schriftlichen Gutachten hatte ich mich skeptischer über
ihre Gutgläubigkeit ausgesprochen.
2) Über die Stellungnahme von Professor Dr. Heyse, Dr. Tischner und mir
vgl. ferner Hellwig, „Psychologische Bemerkungen zu dem Bernburger Hellseher-
prozeß" („Deutsche medizinische Wochenschrift" 1925, Nr. 45).
Verschiedenes. 143
Ein Fall von Hellsehen im engeren Sinne kam meines Wissens überhaupt
nicht in Frage. Dagegen haben die beiden anderen Sachverständigen mehrfach
geglaubt, einzelne Angaben der Medien auf Hellsehen in jenem weiteren Sinn,
also auf Ferntelepathie, zurückführen zu sollen.
Wie unübersichtlich die Verhältnisse waren, mag folgendes Beispiel zeigen.
Im Jahre 1922 wurde auf dem Bahnhof in Magdeburg ein Bahnbeamter
erschossen. Der Zeuge Gr an t z gab bei seiner am 2. Juni 1924 vor dem Amts-
gericht in Bernburg erfolgten Vernehmung an, er habe Dr ost über die Auf-
findung informiert, so gut er es gekonnt habe. Die erste Sitzung, die in der Woh-
nung von Dr ost in Bernburg stattgefunden habe, sei von Dr ost nach einer
Stunde abgebrochen worden, weil das Medium ermüdet sei und nichts heraus-
gebracht habe. Die zweite Sitzung habe in Magdeburg stattgefunden. Auch hier
habe das Medium „im wesentlichen" nur das gesagt, was ihnen schon bekannt
gewesen sei und worüber Dr ost im großen und ganzen informiert gewesen sei.
Als Täter habe das Medium zwei Brüder Br aß angegeben. Die Personalien habe
das Medium „ziemlich genau' beschrieben. Es habe die Orte Duisburg und Reck-
linghausen genannt. Er sei nun hingefahren und habe dort zufällig in der Zeitung
gelesen, daß die beiden Brüder Br aß in Marl gefaßt worden seien. In Marl habe
er erfahren, daß die beiden Brüder wegen 20 Mordtaten verfolgt würden. Von den
beiden Brüdern sei der eine erschossen worden, der andere habe sich aufgehängt.
Den Erschossenen habe er gesehen; auf ihn habe die Beschreibung des Mediums
„auffallend" gepaßt. Trotzdem glaube er nicht, daß das Medium habe hellsehen
können, sondern nehme an, Dr ost werde über das Mörderpaar schon irgend
etwas gelesen haben. Inwiefern die Personalbeschreibung „ziemlich genau" ge-
wesen sei, welche Einzelheiten das Medium angegeben habe, darüber konnte der
Zeuge in der Hauptverhandlung Angaben nicht machen. Er erwähnte aber, daß
ihn ganz besonders frappiert habe, daß das Medium von einem „Doppelrock"
gesprochen habe und daß der Erschossene tatsächlich zwei Jacken übereinander
getragen habe.
Nimmt man einmal an. die Angaben des Zeugen seien zuverlässig und die
Brüder Braß hätten tatsächlich auch den Mord in Magdeburg verübt und das
Medium habe vorher auf keinerlei Weise davon erfahren können, daß der eine
der Brüder einen Doppelrock trage, so würde es sich allerdings um einen Fall von
„Hellsehen" handeln, denn keiner der bei dem Versuch Anwesenden wußte ja,
daß die Mörder Br aß die Täter seien und daß der eine von ihnen einen Doppel-
rock trage. Ich halte es aber methodisch für durchaus unzulässig, in solchen
Fällen auch nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit einen Fall von Hellsehen
anzunehmen.
Zunächst ist in keiner Weise festgestellt oder auch nur wahrscheinlich, daß
die Brüder Br aß tatsächlich den Mord, der aufgeklärt werden sollte, begangen
haben. Ferner ist es unzulässig, auf Grund einer wenigstens zwei Jahre nach der
Sitzung gemachten Zeugenaussage bestimmte Angaben des Mediums als einwand-
frei festgestellt zu betrachten. Die Behauptung des Zeugen, daß die Beschreibung
„ganz genau" gestimmt habe, wird man deshalb skeptisch betrachten müssen. Es
ist überdies auch eine jedem Kriminalisten bekannte Tatsache, daß auf Grund
der Beschreibung von Vermißten oder Verunglückten sich zahlreiche Personen
zu melden pflegen, die der Überzeugung sind, daß die Beschreibung auf ihnen
bekannte Personen zutrifft, während dies ‚doch nicht der Fall ist, ja daß nach
Photographien in zahlreichen Fällen falsche Wiederverkennungen erfolgen und
(laß Leichen, ja Lebende, die in Wirklichkeit ganz anders aussehen als der Ver-
mißte, trotzdem gutgläubig mit Bestimmtheit wiedererkannt werdenn. Man kann
1 ) Reiß, „Fausse ou non-reconnaissance par les tümoins d'individus vivants
morts" („Archives d'anthropologie criminelle", Bd. 25, S. 473 ff.); Hellwig, „Einige
merkwürdige Fälle von Irrtum über die Identität von Sachen oder Personen" („Archiv
für Kriminalanthropologie", Bd. 27, 5. 352 ff.); Go rph e, „La critique du tümoignage",
Paris 1924, S. 391 ff.; Altavilla, „La psicologia giudiziaria", Turin 1925, S. 356 ff.
144 Verschiedenes.
daraus entnehmen, wie wenig auf die Angabe eines Zeugen zu geben ist, daß eine
Beschreibung auf eine bestimmte Person genau zugetroffen habe, es sei denn, daß
tatsächlich ganz eindeutige Besonderheiten angegeben waren, die dann auch tat-
sächlich zugetroffen haben. Lehrreich ist in dieser Hinsicht auch der Fall des
Heidelberger Bürgermeistermordes, bei dem eine Frankfurter Hellseherin zwei
Beschreibungen gegeben hatte, einmal eine solche des Ortes, an dem die Leichen
der ermordeten Bürgermeister liegen sollten, und dann des Wohnhauses des
Täters. Der Untersuchungsrichter hat mir seinerzeit mitgeteilt, die Angaben über
den Fundort der Leichen hätten zwar nur zum Teil zugetroffen, die Beschreibung
des Wohnhauses des Täters dagegen sei zutreffend gewesen. Trotzdem hier also
der Untersuchungsrichter glaubte, nach der Beschreibung, die die Hellseherin
gegeben hatte, das Haus identifizieren zu können, erklärte die Hellseherin selbst,
als sie später das Haus besichtigte, so habe das Haus nicht ausgesehen, das sie in
ihrem Gesicht geschaut habet).
Andererseits kann man hier nicht annehmen, daß alles, was der Zeuge über
angebliche Angaben des Mediums macht, unzuverlässig ist, auch nicht, soweit es
sich erst um in der Hauptverhandlung, also nach mehr als drei Jahren, gemachte
Bekundungen handelt. Wenn er nach Duisburg und Recklinghausen auf Grund
der Angaben des Mediums gefahren ist, so wird man annehmen müssen, daß das
Medium diese beiden Orte auch genannt habe. Ob die Brüder Br aß in diesen
beiden Städten gewesen sind, kann aber wieder nicht als festgestellt angesehen
werden.
• Daß der eine Bruder einen Doppelrock trug, ist auch eine so eigenartige
Bekundung, daß man es kaum für möglich halten möchte, daß ein Zeuge sich
darüber irren kann. Für ganz unmöglich wird man allerdings selbst einen so
krassen Irrtum nicht halten können, wenn man an einen anderen Fall denkt, der
auch in Bernburg verhandelt worden ist. Ein durchaus skeptischer Sanitätsrat
bekundete nämlich als Zeuge, daß die Angaben des Mediums in der Hauptsache
zwar nicht zugetroffen hätten, doch seien immerhin einige Angaben „merk-
würdig" gewesen. Sc insbesondere, daß ihn erst das Medium darauf aufmerksam
gemacht habe, daß ihm auch ein Scheckbuch gestohlen worden sei. Er sei dann
an seinen Schreibtisch gegangen, habe festgestellt, daß ihm das Sci -,eckbuch tat-
sächlich gestohlen worden sei. Auch hier sollte man einen Irrtum für fast undenk-
bar halten. Und doch kann man dem Zeugen einwandfrei nachweisen, das er sich
geirrt hat. Bei seiner schon 19 Tage vor der Vernehmung des Mediums erstatteten
Anzeige hat er selbst nämlich unter den gestohlenen Sachen auch das Scheckbuch
mit angeführt').
Aber auch wenn wir einmal annehmen, das Medium habe tatsächlich den
später Erschossenen richtig beschrieben, es habe auch richtig angegeben, er trage
einen Doppelrock: Auch dann ist noch in keiner Weise Hellsehen erwiesen. Daß
von einem wegen zwanzig angeblicher Mordtaten verfolgten Brüderpaar schon in
den Zeitungen gestanden haben wird, läßt sich mit Bestimmtheit sagen. Es ist
auch auf jeden Fall mit der Möglichkeit zu rechnen, daß das Medium davon schon
gelesen hatte. Und auch die Möglichkeit is+ nicht von der Hand zu weisen, daß
als besonderes Kennzeichen des einen in der Zeitung schon geschildert war, daß er
einen Doppelrock zu tragen pflegen).
ihr wohl entnehmen mußte, daß er dazu neige, Hellsehen als erwiesen anzusehen. Es
dürfte das vermutlich einer der Fälle sein, in denen es sich um die Suggestivwirkung der
entstellenden und suggerierenden Zeitungsberichte handelt. Vgl. darüber v. S ehren ck-
N o tzing, „Kriminalpsychologische und psychopathologische Studien", Leipzig 1902,
S. 115 ff.; Seile, „Zur Psychologie der cause c6läbre", Berlin 1910; Hellwig,
„Justiz und Presse" („Archiv für Kriminalanthropologie", Bd. 58, S. 193 ff.).
1) Bär w ald, „Die intellektuellen Phänomene" (D e ssoir, _Der Okkultismus in
Urkunden", Bd. II, Berlin 1925), S. 155 fr.
2) Matti e s s e n, „Der jenseitige Mensch", Berlin 1925, S. 362 ff.
2) Tischner, in dieser Zeitschrift, S. 30 ff.
4 ) a. a. 0., S. 40.
2 ) S e 110, „Die Irrtümer der Strafjustiz »und ihre Ursachen", Berlin 1911; Als -
Zeitschrift ftir Okkultismus I. 10
146 Zeitschriftenreferate.
Zeitschriftenreferate.
Proceedings of the Society for Psychical Research.
Vol. XXXIV, Appendix to Part XCII. Julie, 1925.
Enthält das Verzeichnis der Mitglieder und das Inhaltsverzeichnis zu
Band XXXIV.
Vol. XXXV, Part XCIV. May, 1925.
Inhalt: An introductory study of hypnagogic Phenomena, by F. E
Leaning, S. 287-411. Eine sehr eingehende, kasuistisch reich belegte
Abhandlung über pseudohalluzinatorische und illusionäre Erscheinungen, wie
sie beim Einschlafen auftreten. Manches, was bisher bei diesen Erscheinungen
schwer erklärlich schien, mag durch E. R. J a en schs Lehre von den
„eidetischen Bildern"Aufklärung finden, die Verf. nicht kennt. Vgl. Ja en schs
neues Werk „Eidetik", Leipzig 1925.
Vol. XXXV, Part XCV. July, 1925.
Zeitschriftenreferate. 147
Oliver Lodge erlebt hat. Beim Licht einer Kerze hatte Richets Zeigefinger,
von Eusapia über ein Blatt Papier geführt, eine Blaustiftspur gezogen, ohne
daß die Beobachter sich hätten erklären können, wie diese Spur entstand. Riehet
hat keinen Zweifel an der Echtheit dieses merkwürdigen Phänomens. — In der
Zusammenfassung gibt Riehet zu, daß man damit beginnen müsse, die persön-
liche Gewißheit zu erlangen, und das könne nur durch wiederholte Versuche er-
reicht werden. Ist man einmal so weit, so wird es sich darum handeln, die Öffent-
lichkeit an dieser persönlichen Gewißheit teilnehmen zu lassen. Riehet ver-
kennt nicht, wie schwierig das ist. „Lä encore il faudra la repkition. II faudra
rendre les phenom6nes m6tapsychiques habituels ..". Ganz richtig! Da liegt
der Hase im Pfeffer. Riehet weist auf eine geschickt herangezogene Parallele:
Bis in die ersten Jahre unseres Jahrhunderts glaubte niemand an die Möglichkeit
des Fliegens mit Maschinen, die schwerer sind als die Luft. Man lachte deren
Konstrukteure aus. Bis der Erfolg da war. Und jetzt meint jeder, niemals an der
Möglichkeit gezweifelt zu haben. Ebenso wird es — das ist Richets Zuversicht
— mit den metapsychischen Phänomenen gehen.
Richets Aufsatz ist in vieler Hinsicht interessant und geistvoll durch-
geführt. Der Verf. definiert und entwickelt logisch richtig den Begriff der „Ge-
wißheit". Vielleicht unterschätzt er doch ein wenig den Grad der Gewißheit, den
wir für wissenschaftliche Tatsachen beanspruchen. So steht z. B. (nach A. Mosz-
k owsk i) die von Kirchhof f für die Spektralanalyse festgestellte Wahr-
scheinlichkeit in einem Verhältnis von einer Trillion gegen eins, was eine weit
höhere Gewißheit bedeutet, als irgendeine überzeugung von der Wahrheit irgend-
welcher historischen Tatsache. Und ähnlich steht es mit der Gewißheit der
modernen Atomtheorie. Sehr zutreffend erkennt Riehet, daß die Gewißheit
einer Tatsache nicht von der Zahl, sondern insbesondere auch von der Qualität
der Zeugnisse bestimmt wird, lind die Qualität der Zeugen für die Echtheit meta-
psychischer Phänomene scheint uns Riehet stark zu überschätzen. Es handelt
sich ja hier nicht um ethische Qualitäten der betreffenden Zeugen, an deren
gutem Glauben niemand zweifeln wird, sondern um die Gewißheit, daß diese
keiner Täuschung anheimgefallen sein können. Und diese Gewißheit ist leider,
wie die Erfahrung lehrt, eine sehr gering e. Das zeigt deutlich das von
Riehet angeführte zweite Beispiel aus seiner eigenen Erfahrung. Man muß
schon wissen, was sich die Okkultisten als mediumistische Phänomene bieten zu
lassen gewöhnt haben, um es überhaupt begreiflich zu finden, daß ein Mann vom
Range Riehet s einen solchen kindischen Trick der Eusapia auch nur ernst-
haft diskutabel findet — weil er den Trick nicht durchschaut hat. Und dann will
uns Riehet zumuten, daß wir mit ihm diejenigen Phänomene, deren natürliche
Entstehung er nicht erkennt und damit für echt hält, ebenfalls für echt ansehen
sollen. An der Realität des von Riehet beobachteten und beschriebenen
Eusapianischen Phänomens zweifeln wir nicht, wohl aber vermögen wir Richets
überzeugung von dessen Echtheit keineswegs zu teilen. Für uns ist es eine nahezu
absolute Gewißheit, daß hier nur einer der gewandten Tricks der Neapolitanerin
vorliegt. Das von Riehet hier herangezogene Phänomen ist auch in dem „Drei-
männerbuch": „Der physikalische Mediurnismus" (S. 181/82) analysiert worden.
Wir setzen den betreffenden Absatz hierher: Den Taschenspielcharakter der
Phänomene zeigt noch das Folgende: Nach der Sitzung gab es eine merkwürdige
Schreibepisode, bei der Prof. Richets „blanker Fingernagel, von Eusapia
gehalten, wie ein Blaustift zu wirken begann und eine dicke Blaustiftspur hinter-
ließ, als er bei vollem Kerzenlicht über das weiße Papier gezogen wurde .. Es
schien Lodge, wie wenn die blaue Linie nicht direkt unter dem Nagel erschien.
sondern leicht seitlich, als hätte sie in Wirklichkeit ... eine unsichtbare Ver-
längerung von Eusapias Finger hervorgebracht". Hodg so n bemerkt hierzu:
„Wie, im einzelnen, wurde Prof. R ichet s Fingernagel von Eu sapia gehalten?
Welche Untersuchung von Eusapias Hand oder Händen war unmittelbar vor
und nach der Episode gemacht worden? Wieso weiß Prof. Lodge, daß ein Stück
Zeitschriftenreferate. 149
Blaustift nicht verstohlen von Eusapia gehalten und hinter ihrem eignen oder
Richets Finger verborgen war? über solche Einzelheiten, die einzig wichtigen
der ‚merkwürdigen Schreibepisode' — nicht ein Wort!" Wer noch einer Erklärung
dieses dem Physiker Oliver Lodge unerklärlichen Phänomens bedarf, findet sie
bei Dr. v. Sehr enck-Notzing 1 ): „Am 20. Febr. 1903 erzeugte sie eine
,direkte Schrift' auf meiner Hemdmanschette. Indessen hatte ich vorher bemerkt,
daß sie mit einem Bleistift spielte, dessen Spitze, wie sich nachträglich heraus-
stellte, abgebrochen und sicherlich von ihr verwendet worden war". — Sapienti sat!
Riehet s Abhandlung über die Bedingungen der Gewißheit ist sehr instruk-
tiv, nur hinsichtlich der von ihm gezogenen Nutzanwendung können wir ihm
nicht folgen. Wir müssen vielmehr daraus lernen, daß die persönliche überzeugt-
heit eines okkultistischen Forschers von der Echtheit eines mediumistischen
Phänomens für die Gewißheit des supranormalen Zustandekommens dieses Phäno-
mens sehr wenig bedeutet. Hier kann in der Tat nur die Wiederholung des Ex-
periments unter exakter Methodik Klärung schaffen. Vielleicht daß dann mit der
Zeit eine relative Gewißheit der Echtheit gewisser Phänomene einmal gewonnen
wird. Aber erst müssen solche Fälle wie Eva 0., Kathleen Goligher usw. aus
der Diskussion über deren mögliche Echtheit überhaupt ausscheiden; erst muß
einmal reiner Tisch gemacht werden mit den Phänomenen, die eine ernste Be-
achtung nicht verdienen. Graf Klinckowstroem.
Buchbesprechungen.
Tischner, Rudolf : Geschichte der okkultistischen (meta-
psychischen) Forschung von der Antike bis zur Gegen-
wart. II. Teil: Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart.
Pfullingen, Verlag Johannes Baum, 1924. gr. 8 0 . 371 S.
Während für das englische Sprachgebiet in zwei wertvollen Werken von
Frank Podmo r et) eine kritische und zuverlässig orientierende historische Be-
handlung des Gesamtgebietes des Mediumismus gegeben ist, hatten wir in Deutsch-
land dem bisher nichts ähnliches an die Seite zu stellen. Denn die „Geschichte des
Spiritismus" von Vesme (3 Bde., Leipz. 1895/1903) ist völlig wertlos, und auch
K iesewett e rs "Geschichte des neueren Okkultismus" (Leipz. 1891) ist veraltet
schwerer Fehler. Auch ist es für die Frage der Echtheit gleichgültig, ob ein
Betrug bewußt oder unbewußt geschieht. Im Gegensatz zu Gruber möchte ich
doch die Betrugstechnik für wichtiger halten als die Frage der Betrugsmotive,
die nur ein psychologisches Interesse bieten, während sich jeder Forscher auf dem
schwierigen Gebiet der Parapsychologie mit der Betrugstechnik so weit wie
irgend möglich vertraut machen sollte.
Im Einleitungskapitel wiederholt Verfasser die üblichen Gründe, die für
die Ablehnung der okkulten Phänomene von seiten der Wissenschaft angeblich
maßgebend sein sollen: „Das Phänomen . . . kann ich mir nicht erklären, f o 1 g -
lich muß es falsch sein." Diese kindliche Logik wird sich wohl kein ernst zu
nehmender Gelehrter zu eigen machen wollen. Dagegen findet man bei Okkul-
tisten vielfach den logischen Fehlschluß: Ich sehe keine Betrugsmöglichkeit,
f olglich ist das Phänomen echt. Wenn ein Kenner wie Dessoir neuerdings
bei Hellsehversuchen mit einem sog. Telepathenpaar erst nach neun Sitzungen
dem Trick auf die Spur kam, so kann man sich wohl denken, wie leicht ein
glaubensfreudiger Okkultist sich zur Echtheit eines Phänomens bekennen wird.
überhaupt scheint mir die Argumentation der Okkultisten, daß Weltanschauungs-
fragen für die ablehnende Haltung bestimmend seien, stark übertrieben zu sein.
Gewiß spricht das mit. Aber es handelt sich doch hier zunächst um die ,reine
T atsachenf r age, und da ist der Mann der exakten Wissenschaft eben
gewohnt, andere Anforderungen zu stellen als der Okkultist, der die Schwierig-
keiten unterschätzt. Man bedenke auch, wie unendlich viel schwieriger parapsycho-
logische Experimente mit launischen, schwer zu behandelnden Medien anzu-
stellen sind als beispielsweise physikalische Experimente, die unmittelbar nach-
prüfbar sind und für 20 mannigfaltige Täuschungsmöglichkeiten keinen Raum
bieten. Graf Carly.Klinekowstroem.
Sehr öder, Christoph, Pseud o-E ntlar v ung e n. Ein kritischer Beitrag
zur „Medien"-Entlarvungstaktik. S.-A. aus den „Psychischen Studien", Ok-
tober-Dezemberheft 1924. Leipzig, 0. Mutze, 1925. 8 0 .
Unter den prominenten Vertretern der okkultistischen Bewegung sind
einige, die ob ihrer gründlichen Sachkenntnis und ihres loyalen Verhaltens gegen-
über gegnerischen Ansichten durchaus ernst genommen zu werden verdienen. Ich
möchte nur Tischner und L amber t nennen. Diesen wird durch okkultistische
Heißsporne wie den Verfasser der vorliegenden Broschüre ein schlechter Dienst
geleistet. Gymnasial-Professor Sehr öder mag als Insektenbiologe, etwa mit
einer Varietätenstatistik der Marienkäferchen, Bahnbrechendes geleistet haben
— auf dem nicht ganz einfachen Gebiet der okkulten Erscheinungen steht er
offenbar ganz traditionslos da und wirkt durch seine schulmeisterlich abkanzelnde
Art mehr komisch als imponierend. Die ganze Schrift ist eine weitschweifige und
unbeholfene Polemik mit ganz unzureichenden Mitteln, in welcher Sachlichkeit
ersetzt wird durch maßlose Gereiztheit im Ton und persönliche Verunglimpfung
der Gegner, die bedenklich an Zöllner unseligen Angedenkens gemahnt. Es
sei gar nicht bestritten, daß Sehr öder in einzelnen Punkten im Recht ist.
Aber konnte er das nicht in einer anständigen Form sagen? Was er sich hier
gegen Dessoir, Hellwig, Henning, Mollund den Referenten heraus-
nimmt, ist schon ein starkes Stück. Man wird an die Zeiten erinnert, da Fichte
seinen Gegner Friedrich Nicolai als „literarisches Stinktier" apostrophierte.
Auf solch einer Plattform ist eine Diskussion nach meinem Dafürhalten unmög-
lich, und es muß als ein sehr weitgehendes Entgegenkommen bezeichnet werden,
wenn Prof. Dessoir in einem „offenen Brief" („Psych. Studien", Febr, 1925)
Gelegenheit genommen hat, einige Punkte richtigzustellen. Allerdings besitzt
Schröder für die feine Ironie dieses offenen Briefes, wie sein Schlußwort
zeigt, kein Organ. Was speziell Sehr öder gegen den Referenten vorgebracht
hat, ist teils völlig belanglos, teils irrig, teils geradezu kindisch. Er hat nicht
154 Buchbesprechungen.
einmal den Versuch gemacht, die von ihm zitierten Aufsätze des Referenten in
der „Umschau" sachlich zu widerlegen, was ihm freilich auch bei größerer Sach-
kenntnis schwer gefallen wäre. Was nützt es, wenn mir z. B. Dr. Frhr. v.
Sehr enck-Notzing brieflich versichert, daß er sich mit den Ausführungen
Sehr ö cl e r s durchaus nicht identifiziere und dafür keinerlei Verantwortung
trage. Sollen doch die Herren Okkultisten unter sich etwas mehr auf Disziplin
sehen und dafür sorgen, daß derartige Pamphlete, die der ganzen Bewegung nur
schaden können und sie auf ein nicht mehr diskutables Niveau herabdrücken,
nicht ohne Vorzensur oder mindestens nicht an einer Stelle, die Anspruch auf
Beachtung erhebt, an die Öffentlichkeit gelangen. Bezeichnend für den Mangel an
Einsicht in gewissen Kreisen ist es aber, daß der Schmähschrift S ehr öder s
durch die Broschürenausgabe, wie verlautet: noch eine besondere Verbreitung ver-
liehen werden soll. Nun denn, Glückauf! Graf Carl v. Klinekowstroe m.
daß ich mir ein einigermaßen zuverlässiges Bild von den scheinbaren oder wirk-
lichen Leistungen des betreffenden Mediums machen kann. Natürlich hängt hier
wie bei allen derartigen kritischen Berichten alles von dem Vertrauen zu der
Sachkenntnis und zu dem unbedingten Willen der Verfasser zur Objektivität ab.
Aus den sonstigen mir bekannten Veröffentlichungen der drei Verfasser habe ich
dieses Vertrauen gewonnen.
Ich habe das ganze Buch von der ersten bis zur letzten Seite mit immer
gleichbleibendem Interesse durchstudiert. Auch derjenige, der als überzeugter
Okkultist, vielleicht auf Grund eigener Erlebnisse, trotz alledem fest von der
Echtheit der Erscheinungen überzeugt ist, kann aus der scharfsinnigen kritischen
Analyse, die die Verfasser an den Protokollen und den Sitzungsberichten vor-
nehmen, ihrer Kritik der Versuchsanordnung, ihren Bemerkungen, die sie über die
Persönlichkeit der Medien und der Versuchsleiter sowie der sonstigen Teilnehmer
und der Berichterstatter machen, viel lernen, vorausgesetzt, daß er lernen will.
Wenn man die soeben in den „Psychischen Studien" erschienene polemische Er-
örterung v. Schrenck-Notzings liest — eine Besprechung kann man seinen
Artikel nicht nennen — so wird man allerdings keine allzu große Hoffnung
hegen, daß die, die es in besonderem Maße angeht, aus dein Buche viel lernen
werden. Anders zu beurteilen sind die Einwände, die La mber t, gleichfalls im
Novemberheft der „Psychischen Studien", gegen die Verläßlichkeit der Darstellung
der Versuche mit Eusapia Paladino durch Rosenb usch macht. Mit ihnen
wird sich R osenbusch noch auseinandersetzen müssen. Ohne ,ein eingehendes
Studium der Quellen läßt sich nicht nachprüfen, inwiefern die Einwände etwa be-
gründet sind. Die große Mehrzahl derjenigen, die nicht die Möglichkeit haben,
selbst Experimente zu veranstalten oder ihnen doch beizuwohnen, die auch sich
nicht die mühevolle Arbeit machen können, die Originalberichte selbst durch-
zuarbeiten, wird den Verfassern für ihre ausgezeichnete Arbeit dankbar sein. Die
Früchte ihrer Arbeit werden sich in den Untersuchungen der nächsten Jahre
vielfältig zeigen. Ihre Arbeiten sind — auch on dem einleitenden allgemeinen
,,
N o tzing (195). Bestimmte Tricks können nicht erkannt werden, da dies jen-
seits der menschlichen Beobachtungsfähigkeit liegt (273 f.). Erst durch die Photo-
graphie bemerkt Schrenck-Notzing in einem bestimmten Fall, daß er
falsch beobachtet hat (194 f.). Sein Vertrauen auf die Richtigkeit der sinnlichen
Erkenntnis ist viel zu groß (274). Wer von der Realität der Erscheinungen über-
zeugt ist, kontrolliert nicht mehr genau (203). Experimenteller Nachweis, daß die
Fußkontrolle nicht exakt war, trotzdem der Kontrolleur fest davon überzeugt
war (231). über die Unfähigkeit okkultistischer Forscher einwandfrei zu beob-
achten (71). Falsch ist es, es auf den Gesamteindruck der verschiedenen Unter-
suchungen abzustellen (273). Eingehende Analyse des gesamten Beweismaterials
ist erforderlich, wenn man sich ein Urteil bilden will (210). Zur Klärung eines
Berichts über nicht nachprüfbare Vorgänge muß man sich über Kritik und Phan-
tasie des Erzählenden gut unterrichten (161). Das Stenogramm muß genau sein.
ist dies aber selten (210 f.). Durch das Diktieren eines Stenogramms während der
Sitzung werden die anderen Teilnehmer leicht suggestiv beeinflußt (300).
Sehrenek-Notzing hat wichtige Protokolle nicht veröffentlicht (435 Anm.,
Ziff. 6).
Ein irreführendes Referat Osterreichs (488). Sitzungsberichte geben ein
falsches Bild (193). Unzuverlässigkeit von Berichten auch erfahrener Forscher
(208). Ein ganz besonders ausgezeichneter Bericht, der kaum übertroffen werden
kann und trotzdem nicht ausreicht (200). Entstellung eines Berichts durch Oste r-
r eich (229). Es ist fast unmöglich, ein Referat über mediumistische Experimente
so zu sichern, daß es schlüssige Gewißheit verschafft (188). Das Problem ist, fest-
zustellen, ob die bei den Experimenten verwendete Methode geeignet ist, eine
natürliche Erklärungsweise der berichteten Phänomene mit wissenschaftlicher
Sicherheit auszuschließen (271). Ein Phänomen, das man sich nicht erklären
kann, ist deswegen noch nicht okkult (153). Es ist eine irrige Annahme, daß der
Inhalt einer bestimmten Beschreibung durch das Vorhandensein einer Anzahl
ähnlicher Beschreibungen Tatsache werden kann (100). Es hängt oft alles von
dem Vertrauen auf die Persönlichkeit des Untersuchenden ab (241). Bedeutung
der Dunkelheit (83 f.), der Musik (84), der Kettenbildung (84 f.). Berichte statt
Protokolle genügen nicht (210). Die zusammenfassenden Berichte geben keine
objektiven Merkmale des momentanen Tatbestandes (105). Ihre Wertlosigkeit (101).
Das Buch ist übrigens flüssig geschrieben. Sein Inhalt ist, soweit sich das
eben ohne eigene Nachprüfung des Quellenmaterials beurteilen läßt; gediegen und
zuverlässig. Die endgüldige Beurteilung der Versuche von Cr ook es mit Home
(129) hat mich überrascht, da ich nach den vorher gemachten Feststellungen (124.
125) eine etwas schärfere Ablehnung erwartet hätte. Die Bedeutung des Falles
Laszlo könnte meines Erachtens weit eindringlicher dargelegt werden; eine
Umarbeitung dieses Abschnittes würde ich bei einer Neuauflage für erwünscht
halten.
Alles in allem kann ich sagen: Herausgeber, Verfasser und — für die
mustergültige buchtechnische Ausstattung bei außerordentlich billigem Preis —
auch der Verlag haben in gleichem Maße Anspruch auf unsere Dankbarkeit.
Albert Hellwig (Potsdam).
barer Höhe ohne sichtbaren Befestigungsgrund hängen bleibt. Ein Knabe klettert
am Seil empor, der Fakir ihm nach, beide verschwinden in der Höhe. Die blutigen
Glieder des Kindes fallen herab, der Fakir kommt wieder herunter, fügt die Glieder
zusammen, und der Knabe steht plötzlich lebendig und unversehrt auf. Das Zauber-
kunststück vollzieht sich mit allerlei Varianten und Auslassungen, die obligaten
Grundelemente sind das Stehenbleiben des Seils in der Luft und das Verschwinden
der Kletterer in der Höhe.
Kl. hat sämtliche ihm erreichbaren Berichte gesammelt und stellt fest, daß
der Seiltrick, wenn er auch selten in Indien zu sehen ist, doch wirklich hier und da
zur Ausführung gekommen ist. Er muß da, wo er lückenlos vorgeführt wird, auf
Suggestion beruhen, auch der vielfach angezweifelte Zug, daß, wenn man die Vor-
gänge photographiert, nur der Fakir und eventuell auch der Knabe, lächelnd auf
dem Boden hockend, auf der Platte sichtbar sind, kann als verbürgt gelten. Das
Problem, das hier zu lösen bleibt, ist dies: Wie kann man ganze Massen von
Menschen, die einer solchen Produktion zuschauen, so einheitlich in tiefe Hypnose
versetzen, daß ihnen sämtlich die gleiche Halluzination suggeriert werden kann?
Zu dieser für das ganze Kapitel der Massenhalluzinationen wichtigen Frage er-
gaben die Berichte folgendes: Nicht immer nehmen sämtliche Zuschauer an der
Täuschung teil, manche blicken ganz unbeteiligt zu und wollen später nichts Auf-
fallendes gesehen haben; nach Prof. Hans Hennings Annahme sind das nament-
lich solche Personen, welche die Sprache des Fakirs nich+ verstehen, so daß bloße
Mentalsuggestion ohne Worte keine Rolle zu spielen scheint (eine Annahme, die
sich aber mit dem Tnh alt anderer Berichte nicht deckt). Dr. Paul V ag ele r macht
geltend, daß eine solche FIypnotisierung ganzer Massen bei uns im kühlen phan-
tasiearmen Norden nicht glücken würde; in Indien aber wirken Hitze, ein-
schläfernde Musik und die phantastische Anlage des Volkes zusammen, um der-
artige Wunder der Suggestion zu ermöglichen. Man muß sich, möchte Referent
hinzufügen, auch vergegenwärtigen, wie entgegengesetzt sich mit Bezug auf
Suggestibilität und somnambule Anlage die Auslese bei halb- und bei vollzivilisier-
ten Völkern vollzieht; bei ersteren ist der Halluzinant ein Begnadeter, ein werden-
der Prophet, bei letzteren ein Anwärter auf das Irrenhaus. Schon hieraus ist es ver-
ständlich, daß im heutigen Indien wie im europäischen Mittelalter für Massen-
halluzinationen ein weit geeigneter Boden vorhanden war: als im modernen West-
europa. Schließlich führt Kl. zwei Fälle an, in denen einmal ein indischer
Mahatma, ein andermal ein bekannter Hypnotiseur, allerdings in kleinerem
Kreise, auch in Europa einer Gesellschaft Vorgänge vorspiegelte, die später als
illusionär entlarvt wurden. Eine ungewöhnliche Schulung in der Konzentration,
wie sie den indischen Esoterikern eigen ist, kann also wohl auch bei Europäern
seltsame Massenhalluzinationen stiften. Richard B a er w al d.
schwimmen. Aber ist denn das richtig? Auch die Träume prätendieren, einen Zu-
sammenhang, eine Tradition zu besitzen. Ich träume, ich mache eine Abend-
gesellschaft mit, und erinnere mich ganz sicher, vorgestern die Einladung dazu
erhalten und heute abend längere Zeit Toilette dafür gemacht zu haben. Ich
träume von einer Gegend, die ich wachend nie gesehen, und bin im Traum gewiß,
sie seit Jahren zu kennen. "Aber diese Tradition widerspricht doch der Erfahrung
des wachen Lebens!" Was tut das, sie kann trotzdem wirklich sein, wir waren uns
ihrer im Wachen nur nicht bewußt, es handelt sich hier um zwei Wirklichkeiten,
die auf verschiedenen Ebenen liegen. Wenn wir aus einem Traum erwachen, sind
wir oft überrascht und müssen uns erst sammeln, im Beginn des Traumes sind wir
es nie, sind sofort im Bilde, fühlen uns gleich heimisch und alles Erlebte selbst-
verständlich, selbst wenn wir fliegen oder Millionäre sind. Die Traumwirklichkeit
liegt uns also näher, ist uns natürlicher als die Wachwirklichkeit. Haben wir uns
einst im Tode ganz vom Körper befreit und sind völlig in die Traumwirklichkeit
übergegangen, so werden wir auch keinen Verlust, keine Veränderung merken.
nur eine entbehrliche Nebenreihe von Erlebnissen ist weggefallen.
Im leichten Schlaf freilich hängen wir noch eng mit dem Körper zusammen,
Sinnesreize verweben sich in den Traum, so daß z. B. Uhrticken sich in die Fuß-
tritte eines die Treppe heraufkommenden Mannes verwandelt, Erinnerungen de:,
gestrigen Tages, Wünsche für den kommenden Tag werden zu Träumen des
flachen Schlafes und können nicht als Wirklichkeit angesprochen werden. Aber
wenn der Schlaf sich vertieft, verschwinden mit wachsender Lockerung vom Kör-
.
per diese rein subjektiven Träume (?) und die realen beginnen.*
Aber selbst die Träume des leichten Schlafes sind keine chaotisches Durch-
. einander, sie haben Sinn und Zusammenhang. Nicht das Ich hat diesen Zu-
sammenhang ersonnen, denn es weiß nichts davon, auch wehrt und verteidigt es
sich oft gegen die Geschehnisse, die im Traum auf es eindringen, auch reden
Traumgestalten zuweilen undeutlich und unverständlich, was alles unmöglich
wäre, wenn das Ich selbst der Dichter seiner Träume wäre. Es gibt also andere,
traumwirkende Mächte außer uns. 17nd sie müssen z. T. gleichfalls in unserem
Körper wohnen, denn körperliche Sinnesempfindungen spielen, wie gesagt, in den
Traum hinein. Unser Ich beherrscht ja nicht unseren ganzen Körper, wie die
unbewußten und organischen Vorgänge beweisen. Der Organismus besteht aus
Milliarden Zellen, jede ist ein lebendes Wesen, muß also auch eine Seele haben (?).
Alle diese Ichs sind von der Außenwelt ähnlich beeindruckt wie unser bewußtes
Ich, nur merken sie im Wachen nichts voneinander, weil ihre Wechselwirkung
durch das Getöse der Außenwelt überdröhnt wird. Sie gleichen vielen, in Logen
sitzenden Theaterbesuchern, die alle die Bühne, aber nicht einander sehen können.
Rückt uns aber im Traum Körper und Außenwelt ferner, dann fallen die Logen-
wände, die zahllosen Ichs treten in sichtbaren Verkehr miteinander, sie werden
meine Traumpersonen. In unsichtbarem Verkehr standen sie schon früher mit
..mir", die Einladung zu jener geträumten Gesellschaft hat mir mein Zellen-
nachbar schon während meines Wachens zukommen lassen, nur blieb mir das
damals unbewußt, jetzt, im Traum, wird es erinnert. Aber nicht nur meine Zellen-
nachbarn bilden die Wirklichkeiten meiner Träume. Wir träumen zuweilen von
himmlischer Musik, überirdisch schönen Gestalten. Das kann nicht aus unserem
Körper stammen, die Wirklichkeit höherer Sphären enthüllt sich uns in solchen,
von Erdenschwere ganz befreiten Träumen.
Man sieht, Cohen ist bei der Leibniz sehen Monadenlehre angelangt.
Nur hat er deren bestes Stück, den Entwicklungsgedanken, verloren, denn seine
Ichs sollen, weil absolut einfach, unveränderlich sein. Das Buch ist eine Begriffs-
dichtung, in der eine gedankenreiche, sinnige, gesund-harmonische, frohgestimmte
(also auch Leibniz ähnliche) Persönlichkeit sich spiegelt. Sie hat die ästhetischen
und kulturhistorischen Werte einer solchen Dichtung; über ihren Wahrheitswert
läßt sich natürlich streiten. R. Baerwald.
Erklärung.
Herr Dr. Rudolf Tise hn er hat die Schriftleitung der Zeitschrift
„Der Okkultismus" (Verlag Gustav Wittler, Bielefeld) übernommen und
ist deswegen aus unserer Redaktion ausgeschieden. Wir erhoffen von
diesem Wechsel einen Gewinn an Beziehungen, denn beide Organe ge-
denken gute Kameradschaft zu halten und einander durch Mitarbeit zu
fördern.
An Stelle des Herrn Dr. T is ah n er ist 'Herr Graf P er ov sky-
P et rovo-Solovovo, Brüssel, in unser Redaktionskollegium eingetreten.
Unser Programm der Parteilosigkeit erleidet durch den Personen-
wechsel keine Änderung. Daß bisher mehr Gegner als Anhänger des
Okkultismus in unserem Blatte das Wort ergriffen haben, beruht auf
Umständen, auf die wir keinen Einfluß haben.
Die Schriftleitung.
umständen, von Reese und Kahn hin. Beide waren in früher Jugend
nach ihren Angaben nach Amerika geschickt, beide lebten in New York,
und Kahn hätte auch den Trick in Amerika erlernt 1 ). Robert Mey er
teilte noch weiteres aus der Vergangenheit Kahns mit und kam zu dem
Ergebnis, daß es sich auch bei Kahn um Vertauschung von Zetteln
handle. Er schloß die zweite Arbeit mit den Worten : „Der Fall Reese
und der Fall Kahn hören somit auf, die Wissenschaft anzugehen ; es gibt
dafür nur ein kriminalistisches Forum."
Schon vor einiger Zeit las man, daß Kahn großes Aufsehen in Paris
bewirke, den ersten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, u. a. Poin-
care, Loucheur, die Gabe seines Hellsehens gezeigt hätte und von Ok-
kultisten untersucht würde. Den Bericht dieser Untersuchungen bringt
Eugene Osty in zwei Heften der Revue Metapsychique, und zwar
vom März/April und Mai/Juni 1925 2).
Die meisten Untersuchungen, über die Osty beridtet, fanden nicht,
wie die von S c hottelius , unter vier Augen statt, sondern es waren
mehrere Personen zugegen. Die Sitzungen fanden am 4. Februar, 7. Fe-
bruar, 21. Februar, 10. März und 23. März 1925 statt.
Nehmen wir als Beispiel etwa den folgenden Versuch vom 3. März :
Leiter der Sitzung ist Riehet. Als Beobachter nehmen teil : Berth e-
1 o t Ferrie, Riehet Vater, Riehet Sohn, Lassabliere, Ripert,
Frau L e B er und 0 sty.
Experimentatoren sind Bertb elot und Frau Le Ber.
Kahn fordert sie auf, sie möchten jeder auf zwei Zettel schreiben.
Berthelot und Frau Le Ber bleiben allein in Richets Atbeitszimmer,
Kahn und die anderen gehen in den daneben liegenden Salon, der durch
eine Doppeltür von dem Arbeitszimmer getrennt ist.
1) Die Gleichartigkeit in den Lebensschicksalen von Reese und Kahn wird zum
Teil auch dadurch erklärbar, daß sich tatsächlich beide gut kannten Bei einer gericht-
lichen Vernehmung hat der am 21. Juni 1873 in Offenburg geborene Kahn folgendes
angegeben : „Ich besuchte in Offenburg die höhere Bürgerschule bis zu meinem
14. Lebensjahre, dann ging ich 1888 nach Amerika zu meinem Schwager, Kaufmann
Schott in Mississippi. Nachdem ich in seinem Geschäft die englische Sprache erlernt
und etwa 3 Monate bei ihm gearbeitet hatte, war ich etwa 6 Monate in Memphis in
einem Geschäft angestellt. Während meines Aufenthalts in Memphis lernte ich einen
Professor Rees kennen, der als Gedankenleser tätig war, und wurde durch den Ver-
kehr mit ihm darauf gebracht, mich ebenfalls mit derartigem zu befassen. Ich war
eine Zeitlang sein Gehilfe, machte mich aber schon im Alter von 16-17 Jahren
(1888/1890) selbständig."
2) Eine Übersetzung dieser Arbeit durch Tischner findet sich in den Psychi-
schen Studien, Oktober und November 1925. Diese von S ünn er herausgegebene Zeit-
schrift enthielt im März 1924 ein Artikelchen von S im n n e r , in dem es u. a. heißt,
daß Ludwig Kahn ein „amerikanischer Humbugprofessor" sei und eine übelberüchtigte
Existenz. Er sei, ebenso wie Reese, schon von Robert Meyer als Spielernatur ab-
getan worden, und zwar mit dem Schlußsatz : „Der Fall Reese und der Fall Kahn
hören somit auf, die Wissenschaft anzugehen ; es gibt dafür nur ein kriminalistisches
Forum".
Der „Hellseher" Ludwig Kahn und seine Untersucher. 165
tauschen imstande ist, jedem zu sagen, von wem der Zettel, den einer in der
Hand hat, beschrieben ist. Daß er den Zettel sehen kann, ist gar nicht
zweifelhaft. Ohne diesen einfachen Kniff auszuschließen, werden uns Ge-
dankengänge entwickelt von EM an ationen und Radiationen. Dazu gehört
in der Tat schon eine erhebliche Kritiklosigkeit.
Wenn wir nun aber uns sagen, wie sehr die Experimentatoren, ein-
schließlich Riehet, ihren Mangel an Begabung für Experimente ausschließ-
lich durch das Nicht-Erkennen dieses Tricks bewiesen haben, so werden
wir ihren anderen Angaben schon recht mißtrauisch gegenübertreten.
Dabei haben wir zu berücksichtigen, daß für den Hellseher die nötige
Stimmung etwas Wesentliches ist, und die Stimmung, die Überzeugung
von einem Wunder ist, wie gerade die Berichte zeigen, bei den Experi-
mentatoren schon dadurch hervorgerufen, daß sie in der Wiedererkennung
des Schreibers eine okkulte Leistung, eine Kryptästhesie erblicken, da-
bei an Emanationen und andere gelehrte Dinge denkea.
Man wende etwa nicht in der beliebten Weise ein, die beiden werden
schon „die Zettel so gehalten haben, daß Kahn es nicht gesehen hat."
Aus der ganzen Beschreibung geht vielmehr hervor, daß allen Teilnehmern
• die Fähigkeit, die Bedeutung dieses Sehens zu erkennen, abgeht. Und des-
-
halb muß nicht die Möglichkeit, sondern die Gewißheit, daß Kahn ge-
sehen hat, wer vor dem Tausch den einzelnen Zettel hielt, nach wissen-
schaftlichen Voraussetzungen angenommen werden.
Noch mehr zeigt uns das Verhalten Kahns bei den Versuchen. Es
muß jedem auffallen und ist sogar den Pariser Untersuchern aufgefallen,
daß Kahn so häufig einen Zettel zu berühren fordert. Das hat er auch
in diesem eben geschilderten Versuche getan. Aus der Beschreibung sehen
wir, wie das Berühren verlief. Frau Le Ber, Richets Tochter, zeigt ihre
linke geschlossene Hand. Kahn verlangt, daß er dieses erste Papier be-
rührt; er macht das angeblich nur mit der Spitze des Zeigefingers, ohne
daß Frau Le Ber angeblich das Papier Iosläßt, und sofort schließt sich
ihre Hand über dem Papier. Es gehört nicht viel Fähigkeit dazu, zu
sehen, was in diesem Augenblick Kahn gemacht hat ; Kahn hat den Zettel
vertauscht. Jeder auf diesem Gebiete erfahrene Taschenspieler macht die
Kunst nach, ein Geldstück oder Stück Papier, das jemand in der Hand
hat und das er berührt, mit einem anderen zu vertauschen. Das andere
ist vorher in seiner hohlen Hand verborgen, und in diese kommt nach-
her der berührte Zettel. Dieses Vertauschen ist ein so alter Taschenspieler-
trick, daß ich einstweilen auch bei Kahn dessen Ausführung annehme. Daran
ändert auch nichts, daß Frau Le Ber behauptet, er hätte den Zettel nur
mit dem Zeigefinger berührt. Für eine klassische Zeugin kann Frau Le
Ber nicht gerade gelten, ebensowenig wie die anderen, nach dem, was ich
oben schon erwähnt habe. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Frau Le
Ber die Zettel in der hohlen Hand gehalten hat, dafür spricht die Er-
wähnung von der geschlossenen Hand. Schwerer wäre es, den Zettel zu
vertauschen, wenn sie ihn nur mit zwei Fingern hielte, etwa zwischen
Der „Hellseher" Ludwig Kahn und seine Untersucher. 169
Daunien und Zeigefinger der Hand. Aber auch dann würde es einem ge-
wandten Taschenspieler möglich sein, besonders durch Ablenkung der
Aufmerksamkeit, einen anderen Zettel zwischen Daumen und Zeigefinger
hineinzuschieben und den richtigen herauszunehmen. Ich erinnere hier an
die „Schere" des Taschendiebes. Es wird uns nicht mitgeteilt, wie Frau
Le Ber und in den anderen Fällen die anderen Experimentatoren, als
Kahn einen Zettel berührte, es kontrollierten, daß sie denselben Zettel
in der Hand behielten. Nichts davon findet sich, ob sie es mit den Augen,
ob sie es mit dem Gefühl allein kontrollierten. Das Wichtigste ist in
solchen Fällen aber die Ablenkung der Aufmerksamkeit, und wie es bei
den Pariser Versuchen zuging, darüber werde ich sofort weitersprechen.
Nun wird allerdings im Bericht sehr oft behauptet, Kahn hätte die
anderen Zettel nicht berührt, er hätte also beispielsweise zwar den ersten
Zettel, nicht aber die drei anderen berührt. Die Botschaft hör' ich wohl,
allein mir fehlt der Glaube. Hier haben wir uns zunächst die Frage vor-
zulegen, wie der ganze Bericht zustandegekommen ist, und in dieser Be-
ziehung haben wir das Analogon von dem, was ein Berliner Okkultist in
neuerer Zeit „Kompromißprotokoll" genannt hat. Die Teilnehmer treten
nachher zusammen, jeder erzählt, was er beobachtet hat, und danach
wird ein „Protokoll" zusammengestellt. Hat ein solches Protokoll irgend
etwas mit Wissenschaft zu tun? Mancher Berliner Okkultist hat vielleicht
allmählich einzusehen begonnen, daß ein solches „Kompromißprotokoll" allen
wissenschaftlichen Wertes ermangelt. Um so typischer ist es, daß Pariser
Okkultisten offenbar noch denselben Weg wandeln, womit ich nicht etwa
sagen will, daß sonst die Berliner ihnen überlegen sind. Denn auch diese
werden wohl auch fürder ihre alten, unwissenschaftlichen Methoden an-
wenden.
Daß ich mit dem Kompromißprotokoll in Paris nicht nur unbegründete
Behauptungen aufstelle, ergibt sich aus dem Aufsatz Ost ys. Hier heißt es
z. B. bei der Sitzung vom 4. Februar am Schluß des ersten Versuchs
-
(5. 72): „Alle Anwesenden vereinigen sich dann im Salon. Die Erzählung
von dem, was vorgegangen ist, erfolgt der Reihe nach durch jeden der
Professoren in dem, was sie betrifft. Was man eben gelesen hat, ist die
Reproduktion davon." Die Reproduktion sagt durchaus nicht, was jeder
einzelne gesagt hat. Es wird nur eine summarische Zusammenfassung ge-
geben, die 0 sty offenbar aus den Mitteilungen der einzelnen gewonnen
hat. Wie die Mitteilung jedes einzelnen lautete, und was jeder gesagt
hat, davon erfahren wir nicht das geringste. Es muß diese Art Bericht-
erstattung als ein Kardinalfehler bezeichnet werden. Unbedingt mußte
jeder einzelne mitteilen, was er beobachtet hat, und zwar jeder für sich
allein, ohne daß er mit dem anderen sprach. Ich_ halte es nicht gerade
für unwahrscheinlich, daß sich dann schon manche Differenzen ergeben
hätten, die die Untersucher wenigstens hätten belehren können, wie trüge-
risch solche „Beobachtungen" sind.
Das Kompromißprotokoll scheint auch sonst der Bericht zu bieten.
Beim zweiten 'Versuch heißt es wieder: „Diese drei Experimentatoren
170 Albert Moll.
gaben, nachdem sich alle Teilnehmer der Sitzung vereinigt hatten, über
den Ablauf dieses zweiten Teils einen Bericht. Sie bezeugen das Wunder-
bare des Phänomens. Kein Einwand ihrerseits wird ausgedrückt." Auch
das zeigt, wie der Bericht zustarde gekommen ist. Auch hier erzählen
wieder die Teilnehmer etwas, und danach wird der Bericht gemacht.
Was jeder einzelne gesehen hat, erfahren wir nicht. Stets hätte jeder
getrennt seine Beobachtungen aufschreiben müssen, um wenigstens eine
Vergleichsmöglichkeit zu bieten.
Noch einige weitere Punkte, die uns zeigen, daß doch nicht die
nötige Zuverlässigkeit den Teilnehmern eigen war. Bei dem einen Ver-
such hatte Humbert mit Bleistift folgendes geschrieben:
Une epidemic de
variole sevit
parmi les Indiens
de Montreal en
l'annee 1498.
In einer Anmerkung des veröffentlichten Berichts heißt es nun: „Nach
der Sitzung sagte Dr. Humb er t zu mir (d. h. zu 0 s ty): ",Ich bitte Sie,
in dem zur Veröffentlichung bestimmten Bericht (compte rendu) den Lapsus,
den ich begangen habe, auszubessern (reparer). An Stelle von 1498 setzen
Sie 1640. Man würde mir einen groben Irrtum zuschreiben." Humbert
sagt etwa nicht zu 0 st y, er solle nachträglich mitteilen, daß er (II um -
b ert) sieh geirrt urd diesen Irrtum nach der Sitzung richtiggestellt hätte,
sondern nach der eigenen Mitteilung von 0 st y hat num b er t verlangt,
daß man im Protokoll den Lapsus ändere. 0 sty hat das nicht getan,
und das ist richtig. Immerhin scheint mir mit dem Ernst der Forschung
Hu in b er ts Äußerung nicht ganz vereinbar zu sein. Es heißt ausdrück-
lich: „An Stelle von 1498 setzen Sie 1640."
Dabei behaupte ich etwa nicht, daß die französischen Untersucher
unvorsichtiger waren als deutsche. Man lese die Veröffentlichung von
Schottelius (Kosmos, Dezember 1913); da sagt z. B. Schottelins
von dem einen Zettel : er hätte einen Talmudvers in zwei Wortreihen in
kleiner Schrift auf dem vielfach zusammengefalteten Zettel in der rechten
Faust gehalten. In Wirklichkeit hatte der Tahnudvers drei Zeilen. An
sich wäre das gleichgültig; es beweist nur, wie ungenau berichtet wird.
Die Ablenkung der Aufmerksamkeit versteht Kahn, ebenso wie R e es e,
glänzend. Offenbar sucht K ahn, ähnlich wie andere Medien, die Auf-
merksamkeit vom Wichtigen abzulenken und auf Iinwiehtiges hinzu-
lenken. Nur irren sieh die Untersucher gewöhnlich über das, was wich-
tig ist. Schottelius hatte berichtet, daß K ab n nicht auf die Faust
sieht, in der der Experimerrtator den Zettel hält, sondern in die Luft
starrt. In Wirklichkeit ist es ganz gleichgültig, wohin der Hellseher später
sieht. Denn den Zettel hat er längst gelesen, während der andere glaubt,
er sei nie aus seinen Händen gekommen, und durch allerlei „Theater"
auf Gleichgültiges hingelenkt wird. Es wird berichtet, K ahn bemühe
Der „Hellseher" Ludwig Kahn und seine Untersucher. 171
verständlich aus den obengenannten Gründen an sich schon ein grober Fehler ist.
Aber noch wichtiger ist der Umstand, daß diese wichtige Tatsache so ganz beiläufig
erwähnt wird. Es zeigt sich immer wieder, daß Okkultisten die wichtigsten Dinge für
nebensächlich ansehen.
172 Albert Moll.
und habe den Satz auf einem anderen Stück Papier wieder begonnen.
Das Unbedeutende des Aktes hat mich ihn vergessen lassen. Ich bin da-
rüber glücklich!"
Anstatt die Konsequenz zu ziehen, daß das Abstreiten durch Lass a-
bliere beweist, wie unzuverlässig seine, aber auch unter Umständen
anderer Untersucher Mitteilungen sind, wird dieser Fall nur angeführt,
um zu beweisen, daß Kahn den Schreiber jedes Zettels herausfindet. Auch
Fraisse gab etwas Falsches an. Er sah L a s s a 1)1 i 1 r e einen Zettel
wegwerfen (jeter), während dieser in die Tasche gesteckt wurde. Wie
K ahn es erkannt hat, daß Lass ab li i r e seinen früheren Zettel nicht
hatte, ist natürlich sehr einfach, denn Kahn hatte selber die Zettel zer-
rissen, auf denen geschrieben wurde. Aus den oben angegebenen Gründen
konnte 'Kahn erkennen, daß der von ihm gegebene Zettel sich nicht unter
den in Frage kommenden befand. Anstatt ein bißchen gesunden Menschen-
verstand mitsprechen zu lassen, kommen hier die Untersuch er wieder auf eine
ganz falsche Fährte, indem der sehr kluge K ahn sie in sehr geschickter
Weise nach der Richtung beeinflußt, daß ohne neues Experiment er so-
fort sagen könne, was vorgegangen ist. Ist nicht der ganze Zwischenfall
vielmehr ein Kriterium dafür, wie ungenau die Autoren vorgingen ? Denn
'das hätte doch zunächst ins Protokoll gehört, daß Lassabliere einen
Zettel weggetan und einen neuen genommen bat. Das ist ein so wichtiger
Vorgang, daß dessen Verschweigung allein genügt, das Experimentieren
dieser Art vollkommen wertlos erscheinen zu lassen. Aber Lassabli er e
sagt, der Vorgang sei so unbedeutend, daß er ihn deshalb vergessen hatte.
Man kann von diesem Versuch auf andere schließen. Was der Untersucher
für unwichtig hält, ist oft das Wichtigste. Da die Untersucher in Paris
dauernd auf falscher Fährte waren, haben sie offenbar manches, was sie
für unwichtig hielten, nicht gemerkt. Dabei wohnte Osty diesen Ver-
suchen bei.
Nun weiter: Riehet erklärte eines Tages (5. 75), er fürchte einen
Trick, es handle sich um etwas zu Außerordentliches. Er wollte deshalb
mit Kahn unter vier Augen experimentieren, und nun heißt es weiter:
„Denn meines Erachtens sind besonders und bei äußerster Strenge allein
wertvoll die Versuche, die man unter vier Augen macht, ohne durch die
Bemerkungen und Unterhaltungen der Anwesenden zerstreut zu werden."
Diese Worte Richets sprechen Bände. Erstens kann unter kritischen
Forschern doch gar kein Zweifel darüber bestehen, daß nur solche Ver-
suche Beachtung verdienen, die bei äußerster Strenge (extreme rigueur)
gemacht sind; alles andere gehört in den Papierkorb und ist höchstens
für die Psychologie der Experimentatoren zu verwerten, hat aber mit
beweisenden Versuchen nichts zu tun. Trotzdem sehen wir, daß den über-
wiegenden Teil der vorliegenden Arbeit die Versuche ausmachen, die nicht
unter vier Augen gemacht wurden, denen also nach Ri ehe ts eigener An-
sicht vom Standpunkt äußerster Strenge aus ein Wert nicht beizumessen
ist. Dabei sehen wir, wie schnell Anwesende, auch ohne daß die Versuche
unter vier Augen gemacht sind, gelegentlich auf Grund eines ihnen im-
Der „Hellseher" Ludwig Kahn und seine Untersucher. 173
beweisen, und die Anwesenden unterhalten sieh und stören. Kahn braucht
nicht einmal durch eigene Reden oder Handlungen die Aufmerksamkeit
der anderen Teilnehmer abzulenken oder zu zerstreuen, wenn er zwei
Papierstücke vertauscht. Die Anwesenden unterhalten sich und sorgen
selbst für Ablenkung. Ich würde, wenn sich Anwesende bei Versuchen
über Hellsehen unterhalten, nach einmaliger Verwarnung sie wegschicken.
Vielleicht würde ich aber auch nicht einmal verwarnen, da ich vorher
stets die Art des Versuches überlege und allen Anwesenden untersage,
während des Versuches irgendwelche Bemerkungen zu machen oder sich
gar zu unterhalten. Nun könnte man vielleicht annehmen, daß der von
Riehet unter viel Augen gemachte Versuch eine Bedeutung hätte, da
bekanntlich ein positiver Fall, wenn der Versuch korrekt angestellt ist,
genügen könnte. Sehen wir deshalb, wie Rich et den Versuch angestellt
hat, soweit wir ihn nach der Beschreibung beurteilen können:
„Kahn ließ mich auf zwei kleine Stückchen Papier zwei Sätze
aufschreiben, und nachdem ich sie niedergeschrieben hatte, hat er diese
.
anderes lege ich in meine rechte Hand, die ich geschlossen halte, ein
anderes in meine linke, gleichfalls geschlossene Hand, und das vierte
Stück, stets gefaltet, wird durch mich selbst mit einem Streichholz ver-
brannt, bis nur noch ein Pakctehen mit Asche übrig bleibt."
Auch hier sehen wir ein positives Ergebnis. Indem ich auf den
weiteren Versuch, bei dein sich Frau Riehet beteiligte, nicht eingehe,
bemerke ich folgendes zunächst : Riehet hat ein Papier in der rechten
Hand, ein weiteres in der linken Hand, das vierte verbrennt er selbst
mit einem Streichholz. Das ist möglich, obwohl ich gern etwas darüber
erfahren hätte, wie er das Streichholz angezündet hat ; denn wenn er
einen Zettel verbrennt, kann er nicht mehr die ganze Hand geschlossen
halten. Hier müßte genau alles geschildert sein. Wo standen die Streich-
hölzer? Wie hat R ichet die Streichhölzer ergriffen, wie hat er das
Streichholz angezündet, und wie hat er das Papier, das verbrannt werden
sollte, gehalten ? Es ist das keineswegs eine ganz einfache Aufgabe, die
Band geschlossen zu halten, während man ein Streichholz ergreift. Hat
er das Streichholz aus einer Schachtel genommen ? Alles dies ist des-
wegen sehr wichtig, weil der Verdacht, daß, trotz er Vorsichtsmali-
regeln von Riehet, K ahn die Zettel vertauscht hat, unabweisbar bleibt,
und zwar, weil wir über die Manipulationen 11 ichets bei dem Ent-
zünden des Streliiholzes und dem Verbrennen des Zettels nichts Genaues
erfahren.
Es ist folgender 'Fall zu bedenken : Während Eichet diese ziem-
lich komplizierte Handlung ausführt, niete er gleichzeitig auf den Zettel
unter dem Hefte achten. Wir erfahren auch nichts darüber, wie er das
gemacht hat. Hatte ar den Arm auf dem Heft liegen? Aber selbst dann
bleiben große Zweifel übrig. Solche Versuche unter vier Augen sind
keineswegs so einfach, wie sie sich Riehet vorstellt, weam der andere
seinen Trick versteht. Riehet traut sich etwas viel zu, wenn er glaubt,
er könne gleichzeitig das Experiment machen, gleichzeitig alles beob-
achten und glei2hzeitig womöglich Protokoll führen. Oder hat er nach-
träglich nur aus der Erinnerung geschöpft? Die Versuche unter vier
Augen sind grundsätzlich falsch. Das erbrennen des Zettels führt viel-
mehr zu der Annahme, daß Kahn denselben Trick angewendet hat.
den wir schon von Reese kennen, der ebenfalls gelegentlich einen Zettel
verbrennen ließ, von dem B. Birnbaum seinerzeit nachgewiesen hat.
daß es der eingeschmuggelte war, während der Sitzungsteilnchilier ge-
wöhnlich glaubt, der Zettel sei einer der beschriebenen. Mindestens ver-
-
brennt er den Zettel nicht, bevor er ihn entfaltet hat. Das können wir
aus der genauen Beschreibung, die seinerzeit Birnbaum gegeben hat.
mit Recht annehmen.
Die ganze Versuchsanordnung, die bei Kahn getroffen wird, ist
falsch. Dabei lasse ich unerörtert, daß von Riehet die Raumanordnung
uns nicht genügend klar beschrieben wird, nicht einmal ob die Tür zum
Nebenzimmer bei dem zweiten Versuch geschlossen war. Wir erfahren
auch nichts darüber, ob Riehet auf einen Block schrieb, so daß das
Der „Hellseher.' Ludwig Kahn und seine Untersucher. 175
') Man ist in Deutschland leicht geneigt, die ausländischen Forscher zu uber-
schätzen. Weder Riehet, noch die Hauptforscher der S.P.R. in England sind beson-
ders kritisch. Ich beabsichtige, in kurzem besonders wegen der Überschätzung der
Engländer, an anderer Stelle auf diesen Punkt zurückzukommen. Das ist um so not-
wendiger, als gerade aus England uns so häufig Persönlichkeiten genannt werden,
deren Kompetenz als Taschenspieler besonders in die Wagschale geworfen wird,
während sie in Wirklichkeit ebenso unbeholfen wie die meisten deutschen Okkultisten
sind. Heute erwähne ich nur, daß z. B. B aggally, einer der „taschenspielerisch ge-
schulten" Untersucher von Eusapia P al 1 a dino, sogar die beiden Z an ci g s für
echte Medien hielt, wie H ou din i mitteilt. Und gerade bei diesen Zan cigs ist es
Dessoir und mir schon in der ersten Sitzung gelungen, den Trick festzustellen.
176 Albert Moll.
sonders für die Zeit, wo Herr K ah n den mit der Hand festgehaltenen
Zettel berührt. Sollten die Okkultisten ernstlich behaupten, K ahn könne
wohl drei Zettel lesen, aber nicht einen, was ich bei dem psychischen
Zustand vieler Okkultisten durchaus für denkbar halte, so würde sich
eine weitere Diskussion erübrigen. Jedenfalls füge ich ausdrücklich noch-
mals hinzu : K ahn wählt nach meiner festen Überzeugung einen Ver-
such mit mehreren Zetteln, nicht um ihn zu erschweren, sondern um es
sieh zu erleichtern. Ich verweise hier nochmals auf das, was B. B irrt-
baum über den .Fall Reese mitgeteilt hat, desgleichen Robert Meyer,
der mit vollem Recht das Vertauschen der Zettel auch da annimmt,
wo die Anwesenden bestreiten, daß es möglich gewesen sei, der auch
mit vollem Recht es bezweifelt, ob die Angabe, der Hellseher hätte
einen bestimmten Zettel nicht berührt, den Tatsachen wirklich entspricht.
Ich rechne mit der starken Wahrscheinlichkeit, daß, wenn in dieser
einfachen Weise durch einige wenige zuverlässige Personen der Versuch
gemacht wird, die „Emanationen" aus dem Zettel ausbleiben werden,
und daß sich Ludwig K ahns Hellsehen so aufklären wird, wie das von
Rees e und anderen aufgeklärt worden ist.
Meine Mitteilungen wären nicht vollständig, wenn ich nicht noch
auf die ganze Art der Sitzungen in Paris kurz eingehen würde. Ich
bringe im folgenden zunächst eine kleine Liste der Sitzungsteilnehmer bei
den einzelnen Sitzungen. Wir \N erden sofort sehen, wie lehrreich diese ist.
-
durch den Pulsschlag des Experimentators. Von den durch den Puls-
schlag der Hand, bzw. der Fingerspitzen in Bewegung gesetzten kleinen
Körpern machte man vielfach abergläubischen Gebrauch zu Wahrsage-
zwecken. •
Wer sich dafür interessiert, findet reiches Material in einem jetzt
sehr selten gewordenen Schriftehen: Citrus St erne „Die Wahrsagung
aus den Bewegungen lebloser Körper unter dem Einflusse der mensch-
lichen Hand. (1)okt 0°month'). Ein kulturgeschichtlicher Versuch mit
-
23 Illustrationen" 1862.
Man stellt nun einen der Schnitte senkrecht auf den Rand einer
der Kreisscheiben aus Karton und befestigt zwei der vorgenannten
Parallelogramme daran, darauf schiebt man den zweiten Schnitt ein
und klebt nun das dritte .Kartonstück an und darauf schiebt man den
letzten Schnitt ein. Man hat nun einen festen handlichen Körper, auf
dem man die zweite Kreisscheibe leicht aufkleben kann. Nach dem
Trocknen des Klebstoffes — was eine Stunde etwa dauert — kann man
den Bewegungskörper fertig aus der Hilfsform herausnehmen. Legt man
denselben auf eine glatte Spiegelglasplatte, die auf dem Tische genau
horizontal mittelst feiner untergelegter Holzkeile festgelegt ist, so kann
man durch Konzentration des Willens, indem man scharf auf den Mittel-
-
Als eine Substanz, die dem Durchgange der „Strahlen" kaum ein
Hindernis bildet, habe ich eine Gelatineplatte gefunden, wie sie der
Handel in prachtvoll durchsichtiger Qualität bringt. Leider sind diese
oft mit Alaun stark gehärtet und dieser Körper als solcher ist an sich
ein stärkeres Absorbens für diese „Strahlen". Aber mit leichter Mühe
sind solche klare Gelatineplatten ohne Alaunzusatz herzustellen. Man gießt
in eine Entwicklungsschale für photographische Platten, etwa für 9 X 12,
eine Schicht Quecksilber, 4-5 mm genügen, und stellt diese Schale an
einen ruhigen staubfreien Ort. Auf diese Quecksilberschicht gießt man.
eine Schicht von 1 1 1 / 2 mni Stärke, bestehend aus reiner photographischer
Gelatine.
2 Tafeln davon in Wasser gequollen, sie wiegen etwa 3,4 g
man setzt dazu an klarem reinem Glyzerin 0,5 g
und an Zucker 0,1 g
Die Mischung wird im Wasserbade bei möglicl. st niedriger Tem-
peratur geschmolzen und 0,1 ccm =-- 10 Tropfen Fonwahn zugesetzt und
umgerührt.
Diese Schicht erstarrt zu einer niemals spröde mid hart, also nie-
mals brüchig werdenden _Cafei, die man mittelst eines vierseitig gebogenen
Drahtrahmens herausnimmt. Derselbe wird zusammengelötet und nachher
lackiert, man läßt ihn in der auf dem Quecksilber in dünner Schicht be-
findlichen Gelatine schwimmen, faßt dieselbe nach dem Eintrocknen und
kann sie als Schutztafel überall verwenden.
Vier solcher Tafeln -- deren jede etwa 0,2 mm Stärke hatte —
hintereinander geschaltet gaben bei einer geprüften Person eine kaum
geminderte Intensität der Willenskraft. Dagegen gaben vier Spiegelglas-
tafeln it 1,2 mm Stärke eine Verminderung der Kraft auf etwa 1 /4 der
ursprünglichen!
Bei den Versuchen, die Kugel in Bewegung zu setzen, hat man
seinen Willen auf deren Mitte zu konzentieren und diese scharf mit dein
Blick zu erfassen. Gleitet der Blick nur ein wenig zur Seite, so tritt
das ein, was auf dein Billard ein exzentrischer Stoß genannt wird. Die
Kugel weicht aus und wird nach der entgegengesetzten Seite getrieben.
Es entsteht ein elliptisches Pendeln derselben in der Querrichtung. —
Man muß solche Versuche abbrechen und die Kugel erst wieder zur
Ruhe kommen lassen, ehe man sich vergebens abmüht.
War diese obengenannte Kugel mittelst eines feinen Drahtes von
0,05 mm Stärke aufgehängt, so gelang es nicht, sie in Bewegung zu
setzen, wohl aber wenn zum Aufhängen ein feiner gut gewachster Seiden-
faden genommen wurde. Leicht gelang es, die Kugel zum Anschlagen
an den gegenüberliegenden Rand des Becherglases zu bringen.
Wurde der Draht im ersten Falle nicht am Haken der Decke direkt
befestigt, sondern unter Zwischenschiebung eines Porzellanringes, dann
gelang der Bewegungsversuch fast ebensogut.
Zur Energetik des Wollens. 185
Einen gleichen .Erfolg hatte ich mit einem mit Metallfarben bunt
bemalten Zelluloidballe, der in jedem Spielwarengeschäft zu haben war.
Derselbe hatte 5,4 cm Durchmesser und wog nur 4,9 g. Zum Aufhängen
desselben wurde ein feines Loch in seine dünne Haut gebohrt und ein
aus einem Glasfaden gebogener Haken von einigen Millimetern Höhe
eingekittet; sein Gewicht betrug 0,01 g.
Auch dieser Ball folgte dem Willen und schlug an den Rand des
ihn vor Luftströmungen schützenden Becherglases nach kurzer Zeit an 1).
Lange Aufhängefaden wählte ich deshalb, um ein merkbares lieben
der Kugeln beim Versuche zu verhindern, was die Frage vielleicht
kompliziert haben würde; die Bewegung der Kugel geht in einer hori-
zontalen Linie während des geringen Ausschlages. (Es sei daran er-
innert, daß in der Trigonometrie die Tangente und der Sinus bis 2°
als identisch angesehen werden, und da das entsprechende Bogenstück
des Kreises dazwischen liegt, kann es als gerade Linie angesprochen
werden). Es gelang unter keinen Umständen, eine Christbaumkugel
gleicher Art, wie vorhin beschrieben, in Bewegung zu setzen, wenn ihre
Versilberung durch einige Tropfen Salpetersäure aufgelöst und sie nach
dem Ausspülen in gut trockenem Zustande sie war wenigstens
30 Stunden im Trockenschranke gewesen und es war mehrfach die Luft
darin, durch Aussaugen mittelst einer Kapillare, gewechselt worden, uni
jede Spur von Feuchtigkeit zu entfernen dem Versuch unterworfen
war. Manchmal, wenn eine Störung in der Willenskonzentration eintritt,
schlägt der Ball 7i ixtick, weil die treibende Kraft aussetzt. Man darf
-
sich in diesem Falle nicht ermüden, den pendelnden Ball weiter anzu-
treiben, denn es gelingt nur sehr schwer, seine Kraft synchronisch den
Pendelungen anzupassen. Beim Gegenlauf bremst die Kraft und der Ball
kommt schnell zur Ruhe. Am besten versucht man noch einmal seinen
Willen an dem ganz zur Ruhe gekommenen Balle. Uni die Aufmerk-
samkeit des Blickes nicht abzulenken, habe ich bei meinen Experimenten
') Für diejenigen, denen solche Kugeln nicht zur Hand sind, die Notiz, daß man
sich leicht für ähnliche Versuche brauchbare Körper aus Papier formen kann. Man
schneide drei Kreise von 55 mm Durchmesser aus weißem Briefpapier. Den einen teile
man durch glatte Scherenschnitte in zwei Hälften und den andern in vier Viertel.
Nun klebe man mit ein wenig Syndetikon die beiden Halbkreise so an den Vollkreis,
daß zwei senkrecht zueinander stehende Vollkreise sich ergeben. Die vier Viertelstücke
werden nun in die Mitten der vier eben entstandenen Winkel eingeklebt, so daß sie
zusammen wieder in einer Ebene liegen. Es resultiert ein kugelförmiges Gebilde, dem
die Kugeloberfläche fehlt; es läßt sich sehr leicht für diese Versuche an einem Faden
aufhängen. Ein solches Gebilde aus mittlerem weißen Briefpapier von den angegebenen
Dimensionen wog inkl, des verwendeten Klebstoffes nur 0,64 g.
Klebt man zwei Stücke Gold- und Silberpapier (am besten solches, welches mit
Aluminiumbronze bedeckt ist) mit sehr dünnem Roggenkleister aufeinander und läßt
sie glatt zwischen den Blättern eines Buches trocknen, so erzielt man daraus leicht
einen Versuchskörper, welcher bei einem Gewichte von 1,4 g auch die Ladefähigkeit,
bzw. Umwandlung der Kraft des „Wollens" in „Elektrische Kraft" studieren läßt. Für
manche Versuche sind diese Körper zu leicht und muß man dann einen Tropfen Siegel-
lack am unteren Ende des Fadens ankleben, um diesen etwas zu spannen.
186 Albert Hofmann.
ein größeres Stück Wellpappe uni den Apparat gestellt, in einer Ent-
fernung von etwa 25 ein vom Rande des Becherglases. Dieser eintönige
Hintergrund begünstigt nicht eine Gedankenabsehweifung. Auch diese
Versuche bestätigten den Befund der Wageversuche: Glas lässt den
_Willen" hindurch, er wird nicht in motorische Kraft umgewandelt.
Wurde bei der versilberten Kugel die „Willenskraft", die viel -
lei c ht in Elektrizität umg2wandelt wird (Ionenladung), durch
den Faden abgeleitet, so tritt keine Bewegung ein, wohl aber dann, wenn.
die Ableitung durch die gewachste Seide oder den eingeknoteten Por-
zellanring verhütet wurde.
'Ein gleiches gilt von dem Wageversuch. Die Wageschale ist mittelst
Bergkristallschneiden vom, meist aus Aluminium hergestellten,Wagebalken
isoliert. Sie kann also die Kraft aufnehmen und umwandeln und einige
Zeit aufspeichern. Da beide Wageschalen isoliert aufgehängt sind, beide
-
Abb. 3.
Eine schematische Darstellung der Vorrichtung. A=Wecuselstromerzeuger. 13Batterie
von zwei Elementen (Akkus). G=Differentialgalvanometer. Sp l =Spule 1, in welche der
Kopf der Versuchsperson kommt. Sp 2=Spule 2, in welche der (zum Ausgleich des sta-
tischen Feldes bestimmte) Puppenkopf gestellt wird. K1 und K 2= zwei gleiche Konden-
satoren, von denen die oberen Platten verschiebbar sind zmn Ausgleichen ungleicher
elektrischer Verteilung im System.
1 ) Der Hammer des den Wechselstrom erzeugenden Induktoriums war durch einen
Hälfte durch irgend eine elektrische Kraft gestört, dann zeigt sich ein
Ausschlag des Galvanometers. Zum Verständnisse dieser etwas ungewohnten
Art der Schaltung sei den Nichtphysikern unter den Lesern kurz gesagt,
daß, wenn statt des Wechselstromes ein Gleichstrom an den genannten
Stellen angelegt würde, überhaupt kein Strom im System zirkulieren
könnte, weil die Kondensatoren als Stromunterbrecher dienen.
Der Wechselstrom von hoher Spannung ladet aber die einander gegen-
überstehenden Kondensatorplatten und haben diese in jedem Augenblicke
die Spannung der Stromquelle. Die Spannung der Platten wechselt aber
konstant zwischen positiver Elektrizität und negativer Elektrizität. Es
ist ein permanentes Schwingen zwischen Maximum und Minimum, es
kommt so ein Strom zustande, den das Galvanometer anzeigt, wenn er
nur einseitig hindurchgeht. Da aber beide Stromhälften an das Galvano-
meter angeschlossen sind, und zwar gegeneinander, so kann, solange der
Strom in beiden Hälften gleich stark ist, kein Nadelausschlag resultieren.
Sowie aber in einer Hälfte des Systems irgend eine sekundäre elek-
trische Kraft wirkt, wird je nach der Art derselben ein Nadelausschlag
in der einen oder andern Weise erfolgen.
Eine hohle Pappmache-Kopfform, wie sie zum Garnieren von Hüten
und ähnlichen Arbeiten benützt werden, wurde in das Innere des einen
der beiden Solenoide gestellt, in das Innere des andern steckte die Ver-
suchsperson den Kopf. Sie war gebeten, an nichts zu denken und erst
zu reagieren, wenn eine direkte Frage an sie gestellt wurde.
Ein geringes Verstellen des einen der beiden Kondensatoren brachte
die beiden Hälften des Systems wieder ins Gleichgewicht; das Differential-
galvanometer stand auf Null ein.
Wurde nun plötzlich der Versuchsperson eine Frage zugerufen (z. B.
„Wieviel ist 8 x 7?" oder „die Hauptstadt von Polen heißt?"), so trat
im Momente des Denkens eine erhebliche Störung des elektrischen Feldes
ein. Die Ladung des Solenoids, das den „Denkenden" umgab, wurde ent-
spannt. Wir dürfen wohl daraus entnehmen, daß beim Denkprozeß irgend
welche .... (sagen wir kurz einmal) Elektronen den Kopf verlassen und
den elektrischen Zustand des Solenoids verändern. Leider waren die Aus-
schläge des mir zu Gebote stehenden Differentialgalvanometers, obwohl
recht kräftig, doch nicht zu messenden Versuchen zu verwenden. Meine
Arbeit ist in dieser Hinsicht nur als eine wegsuchende zu bezeichnen.
Mit einem so unvollkommenen Instrumentarium, wie es z. Zt. den Privat-
personen zu Dienste stehen kann, sind weitergehende Forschungen nicht zu
ermöglichen. Es gelang aber, das Prinzip des Verfahrens festzustellen
und darzutun, daß besser ausgerüsteten Forschern hier ein Weg zu dankens-
werter Betätigung sieh bietet.
Außer mit diesen Versuchen beschäftigte ich mich, die Wirkung der
vom Kopfe ausgehenden „Strahlen.' auf eine Branlysche Röhre zu stu-
dieren. Eine solche, mit Silber- und Nickelfeilspänen gefüllt, wurde in
der .A Ase eines Paraffinhohlspiegels aufgestellt und die zu prüfende Person
192 A. Kollmann.
hält die ganze Tafel unter den Tisch. Es würde zu weit führen, in diesem
Aufsatz auf die Einzelheiten dieser Tafelexperimente näher einzugehen.
Andere öfters vorkommende Täuschungen betreffen das akustische
Gebiet. Man weiß vom sog. Bauchreden her, wie leicht man sich betreffs des
Ortes. von dem der Schall kommt, irrt. Der Vortragende bewegt eine Puppe,
während er selbst, vor allein in seinem Gesicht, ganz ruhig bleibt. und unwill-
kürlich glaubt man, daß das Gesprochene von der bewegten Puppe kommt.
Aber auch bei ausgeschaltetem Sehen ist diese Unsicherheit vorhanden, ja sie
ist hierbei sogar noch stärker ausgeprägt. Um sich davon zu überzeugen, lasse
man z. B. eine Person auf einem Stuhl Platz nehmen und binde ihr ein Tuch
uni die Augen. Dann nehme man zwei kleine metallene Gegenstände, die
einen lauten Klang geben, z. B. zwei Münzen, und schlage mit ihnen anein-
ander. Wenn man dies über dem Kopf der sitzenden Person, vor ihrem Gesicht
und unterhalb des Kopfes verschiedene Male ausführt, wird man zu seinem
Erstaunen sehen, wie unrichtig lokalisiert wird.
An alles dies sollte man stets denken, wenn man von merk würdigen
akustischen Phänomenen hört, die bei okkultistischen Sitzungen auftreten.
Als ein Beispiel solcher Art erwähne ich die geheimnisvolle Spieldose, die
angeblich durch mediale Kräfte in Bewegung gesetzt wird. Das Taschenspiel
liefert uns auch dazu einen Beitrag. Seit vielen Jahrzehnten kennt man hier
das Kunststück, eine jede beliebige Taschenuhr repetieren zu lassen. Um dies
auszuführen, benutzt der Künstler einen zumeist in der Westentasche ver-
borgenen Apparat, der bei einem leisen Druck des Ellbogens oder sogar nur
durch tiefes Atemholen ein Schlagwerk auslöst. Bei der Produktion der
pseudookkultistischen Spieldose würde es natürlich dann nicht diese sein, die
Taschenspiel und Okkultismus. 195
spielt, sondern eine verborgene zweite, die entweder der die Sitzung Leitende
oder ein Helfershelfer, eventuell sogar das Medium selbst irgendwie in Tätig-
keit setzt. In der Literatur wird von einem Fall berichtet, in dem ein solcher
Trick wirklich angewandt worden ist. Die betreffende pseudo-okkultistische
Sitzung fand bei hell erleuchtetem Zimmer statt. Die Spieldose wurde in ein
Kistchen verschlossen auf einen Tisch gestellt; die Teilnehmer an der
Sitzung und der die Sitzung Leitende saßen um den Tisch herum und bildeten
Kette. Letzterer trug eine zweite Spieldose unter der Hose verborgen; sie war
am Oberschenkel in der Nähe des Knies befestigt. Ein Heben des Knies und
Andrücken gegen die untere Seite des Tisches ließ diese zweite Spieldose er-
klingen; wenn der Druck nachließ, hörte das Spiel wieder auf. Die an der
Sitzung Teilnehmenden, die von dieser zweiten Spieldose nichts wußten,
glaubten natürlich, daß es die in dem Kistchen verschlossene Spieldose sei,
welche spiele.
Die umfangreiche Weltliteratur des Taschenspiels und des Antispiritis-
mus macht uns mit der Ausführung aller bisher erwähnten Tricks in ihren
Einzelheiten auf das genaueste bekannt. Da sie nicht jedem zugänglich ist,
verweise ich deutsche Interessenten vor allem auf das schon weiter oben
zitierte Buch von Karl W illmann „Moderne Salonmagie". sowie auf sein
anderes Buch ,.Moderne Wunder" (beide im Verlag von Otto Spamer,
Leipzig). Das sechste Bändchen von W i 11 in an im illustrierter magischer
Bibliothek (Leipzig, Verlag Alfred Hahn) enthält eine gedrängte
Darstellung des Gegenstandes. Außerdem findet man auch eine große
Reihe von äußerst lehrreichen Aufsätzen in den zehn Jahrgängen von W ii 1 -
m anns Monatsschrift „Die Zauberwelt". Obgleich diese Willmann scheu
Publikationen älteren Datums sind, haben sie doch auch heute noch ihren
unbestreitbaren Wert. Viele hierher gehörigen Dinge finden sich außerdem in
den Spielbüchern des bekannten Verlags von Otto Maier in Ravensburg.
Daß eine mit Hilfe taschenspielerischer Kenntnisse vorgenommene
Prüfung okkultistischer Vorgänge wirklich etwas leisten kann, wird übrigens
neuerdings wieder durch das Buch von Harry Houdini Magician
among the Spirits, New York an.d London, 1924, ausführlich besprochen von
Carl v. Klinekowstroem im ersten Heft dieser Zeitschrift] bewiesen.
Houdini konnte trotz seines großen Interesses für den Gegenstand niemals
zur überzeugung von der Echtheit der Phänomene gelangen. Ich kenne H o u -
dini persönlich sehr genau von seiner einstigen Anwesenheit in Leipzig her;
wir kamen öfters zusammen. Ich habe dabei Dinge von ihm gesehen und ge-
lernt, von denen ich zuvor nichts wußte, und die ich auch später niemals bei
einem andern Zauberkünstler wieder gesehen habe. Er kannte sogar den ge-
heimnisvoll-mystischen Apparat. den Graf de Grisy-Torrini bei der
Ausführung seines berühmten Kunststückes "Die Partie Piquet eines Blinden"
benutzt hat'. Ich habe also allen Grund. auf Houdinis Urteil Wert zu legen.
Trotz alledem möchte ich aber raten, die taschenspielerische Erfahrung
niemals zur Voreingenommenheit gegen okkultistische Phänomene werden zu
lassen; man soll an die Prüfung jedes einzelnen Falles stets unparteiisch
herantreten. Wenn ich einmal wirklich Erscheinungen erleben sollte, die ich
196 Graf Perovsky-Petrovo-Solovovo.
mir in natürlicher Weise nicht erklären könnte, würde ich dies mit Freuden
bekennen. Bei der Beurteilung der Echtheit oder Unechtheit okkultistischer
Phänomene ist aber meiner absoluten Überzeugung nach die genauere Kennt-
nis des Taschenspiels nicht zu entbehren. Wer sich in diesem praktisch aus-
bilden will, dem ist vor allem zu empfehlen, Mitglied des in diesem Aufsatz
schon mehrfach genannten magischen Zirkels zu werden (1. Vorsitzender
Ferdinand Ut er, Leipzig, Kolonnadenstraße 18). Dadurch, daß jede
Ortsgruppe monatlich mindestens einmal Zusammenkünfte mit Vor-
führungen abhält und durch das jeden Monat erscheinende Vereinsorgan
„M a g i e", das stets auch eine Anzahl neuer Tricks bringt, wird man am
sichersten mit der Materie vertraut.
Daß man die Sache nicht vorwiegend vorn Standpunkt des Taschen-
spielers aus betrachten darf, ist natürlich klar; ich habe darauf auch schon
hingewiesen. Wem es mit dem Gegenstand wirklich ernst ist, der muß daher
auch die wissenschaftlichen Publikationen, das gewaltige Gebiet des Okkul-
tismus betreffend, gründlich studieren. Enter den neuesten Werken deutscher
Herkunft ragt vor allem eine Schöpfung hervor: „D er Okkultismus in
Urkunde n". herausgegeben von Max Dessoir tVerla Ullstein, Berlin).
Ein Band, bearbeitet von v. Gulat-Wellenburg, Graf Carl
v. Klinckowstroem und Hans Rosenbusch behandelt den physi-
kal ischen Mediumismus, ein zweiter, bearbeitet von Richard Bae r-
wald, die intellektuellen Phänomene. Ein dritter, Suggestion
und Hypnose, bearbeitet von Albert Moll, wird in Bälde folgen. „Der
physikalische Mediumismus" geht übrigens an vielen Stellen auch auf die
Beziehungen des Taschenspiels zum Okkultismus ganz besonders gründlich
ein.
Daß die Leitung der vorliegenden Zeitschrift bemüht ist, bei dem
weiteren Ausbau der wissenschaftlichen Forschung und der Verbreitung der
einschlägigen Kenntnisse nach besten Kräften mitzuwirken, wird aber hoffent-
lich auch bald allgemein anerkannt werden.
auf uns. Alle schwiegen, es herrschte Totenstille. Ich glaube, meine Ge-
danken standen auch still. Ich kann mich jetzt nicht mehr entsinnen,
ob ich in jenem Augenblick an irgend etwas denken konnte, mir irgend
eine Frage vorlegte. Aber mit meinen Augen blieb ich unverwandt an
dem Manne in der Mitte des Kreises hängen.
Und wirklich, ich sah es ganz deutlich, wie er sieh vom Boden zu
lösen begann. Der Korb, den er neben sich hatte, blieb unten stehen,
während er selbst höher und immer höher emporschwebte. Schon mußte
man den Kopf heben, um dem Steigen seines Körpers folgen zu können.
Die Umrisse des Mannes waren deutlich sichtbar, aber sein Gesicht
(Form, Nase, Augen) konnte man nicht mehr unterscheiden. Wie hoch
war der Inder gestiegen?
Schon einige Tage nachher, und auch nach Jahren immer wieder,
habe ich, wenn ich mir jenes Ereignis zurückrief, versucht, mir diese
Frage zu beantworten, konnte aber zu keiner Entscheidung kommen.
Auch heute vermag ich es nicht. Nur wenn ich eine fünfstöckige städtische
Mietskaserne ansehe, denke ich mir, daß der Inder anderthalb bis zwei-
mal so hoch emporgestiegen sein muß.
Ich blickte in die Luft und sah nichts um mich herum, fühlte aber
eine tiefe Stille um mich. Kein Schürfen eines Gewandes, kein Ton, kein
tiefer Atemzug durchbrach sie. Alles war wie erstarrt während eines
Zeitraumes, den ich durchaus nicht abzuschätzen vermag. Gegenwärtig
scheint es mir, die Geschwindigkeit, mit welcher der Inder emporgeführt
wurde, glich der eines gemächlich schreitenden Mannes.
Am höchsten Punkt seines Aufsteigens angelangt, blieb der Inder
einen Augenblick unbewegt, dann begann er ebenso langsam wieder zu
sinken. Er ließ einen Arm parallel dem Körper herabhängen, mit dem
anderen hielt er das Tuch fest, das ihn umhüllte; so berührte ,er schließ-
lich den Erdboden, nahm seinen dort stehenden Korb auf, ließ seinen
Blick über die Menge rundum gleiten, sprach einige Worte mit scharfer
Stimme und verließ den Kreis.
Die Schar war in großer Erregung; viele warfen sich auf den Boden,
als wären sie von hysterischen Anfällen gepackt; man hörte bald wilde,
bald klagende Ausrufe, Der Inder aber entfernte sich schweigend, ruhig
geradeaus blickend, von dem Kreise, der sich sofort zerstreut hatte, uni
ihn hindurchgehen zu lassen, und verschwand in dem Walde, aus dem
wir gekommen waren.
Die Menge begann sogleich auseinander zu gehen, nur einige blieben
noch auf der Erde liegen, den Kopf gegen den Boden gestemmt, ihre
Schultern wurden von konvulsivischen' Zuckungen geschüttelt. Erfüllt
von dem Gefühl eines unverständlichen, die Grenzen unserer Vernunft
überschreitenden Erlebnisses, ohne Fragen, ohne Worte, ja, wie ich glaube,
selbst ohne Gedanken setzten wir unsere Wanderung fort.
Michael Schipovskyi).
1 ) Ich muß hinzufügen : Schon 2-3 Jahre, ehe ich diese Darstellung von Herrn
Schipovsky erhielt, hatte er mir einen anderen schriftlichen Bericht über den gleichen,
200 R. W. Schulte.
Zwischenfall nach Berlin gesandt. In dieser früheren Schilderung war die Höhe, bis
zu welcher der Fakir emporstieg, noch weit größer angegeben worden, so daß ich Herrn
Sebipovsky auf diesen Punkt aufmerksam machte. In seinem zweiten Bericht hat er
sie dann viel zurückhaltender taxiert. Ich messe dieser Abweichung kein besonderes
Gewicht bei. Sonst glichen sich die beiden Darstellungen vollkommen.
Kritische Betrachtungen zum Problem des Okkultismus 201
des biologisch jetzt oder später „klar um! deutlich" Faßbaren (im Gegen-
satz zum Okkultismus) hinausgingen.
Im Okkultistenprozeß handelte es sich u. a. wesentlich um die Fest-
stellung, ob die in Frage stehenden Phänomene (Apport von Holzreifen
und Buchsbaum, Durchdringung der Materie und Materialisation durch
die psychischen Kräfte des Mediums) echt, wahr, objektiv seien. Zeugen
und Gegenzeugen, Sachverständige beider Richtungen traten auf. Über
die Bewertung all dieser Aussagen soll kein Werturteil gefällt werden.
Eins aber mußte jedem Fachmann auffallen, daß in diesem rein psycho-
logischen Fragen gewidmeten Prozeß mit Ausnahme des Professor Dessoir
kein einziger F ach psych olo ge, insbesonders experimenteller Psycho-
loge, vernommen wurde. Von der medizinischen Fakultät kann nur der
speziell psychologisch vorgebildete Nervenarzt als sachverständig bezeich-
net werden, während dem nicht psychologisch orientierten Arzt als solchem
unbedingt die Fähigkeit eingehender Sachbeurteilung abgesprochen werden
muß. Und auch der Nervenarzt wiederum beschäftigt sich ja mit den
pathologischen Verzerrungen des Seelischen, aber nicht mit den seltenen
„übernatürlichen" Formen der psychischen Begabung, wie sie zur De-
' hatte stehen. Die gerichtliche Verhandlung ergab eine solche Fülle ab-
solut strittiger und der fachlichen Kritik jener Phänomene Anhaltspunkte
bietender Momente, daß es nicht nur für die Wissenschaft, sondern gerade
in diesem Fall für den Gerichtshof als den Vertreter der juristischen Ob-
jektivität zweckmäßig gewesen wäre, neben dem Mediziner und Physiker
in allererster Linie die Fachpsychologen zu befragen, unter denen nach
unserer Kenntnis führende Hochschulprofessoren besondere (häufig experi-
mentelle) Erfahrungen von z. T. ausgedehnter Art besitzen.
Die genaue Durchsicht des in Frage stehenden Protokolls') der
okkultistischen Sitzung ergibt, nach der Beurteilung vom fachpsycho-
logischen Standpunkte aus, eine solche 1' 1111 e von 1' ehlermö gli ch-
k eit en , daß man sich auf das höchste wundern muß, wenn derartige
Protokolle mit dem Begriff einer wissenschaftlichen Feststellung über-
haupt in Zusammenhang gebracht werden. Wir zweifeln nicht daran, daß
die Führer der Berliner Okkultistenbewegung- subjektiv von der Wahr-
heit der von ihnen beobachteten Phänomene überzeugt waren. Aber
es muß ebenso nachdrücklich festgestellt werden, daß irgendein Be-
weis ihrerseits absolut nicht erbracht worden ist. Man fordert
von dem Standpunkte der wissenschaftlichen experimentellen Psychologie
und überhaupt jeder empirischen Disziplin vor allen Dingen Wide r-
spruchslosigkeit, Eindeutigkeit, tunlichste Ausschaltung
von technischen und menschlichen Fehlermöglichkeiten,
beliebige Wiederholbarkeit des Phänomens, allmähliche
-
schwebte die Dame trotz sofortiger ärztlicher Hilfe zwischen lieben und
Tod, und während dieser Zeit lief zu aller Erstaunen die Nachricht ein,
daß ihr Ehegatte tatsächlich gefallen war. Man verheimlichte der Dame,
als sie sich langsam wieder erholt hatte, diese unglückliche Nachricht sorg-
fältig und fälschte sogar Briefe ihres Mannes, so daß sie sich allmählich
wieder beruhigte. „Als sie in der Besserung war, betrog sie die Wach-
samkeit ihrer Hüterinnen ; und wie sie ihren Traum tief ins Gedächtnis
eingegraben bewahrte, so zeichnete sie den Ort, wo sie ihren Liebsten
gesehen hatte, nebst dem Offizier, der seine letzten Seufzer empfing, ab.
Da man hierauf ihre Gesundheit wiederhergestellt sah, so trug man
ihrem Beichtvater auf, ihr den Verlust, den sie erlitten hatte, zu hinter-
bringen. Und ungeachtet der Bewegungsgründe, die er ihr ins Gedächt-
nis brachte, sich dem göttlichen Willen zu ergeben, zitterte man lange
Zeit für ihr Leben.
Es waren schon vier Monate vergangen, seitdem sie Witwe war,
-
als sie gegen den Anfang des Winters eine Messe hörte. Die Messe war
-
fast vorbei, da sie auf einen Kavalier, der neben ihr einen Stuhl nahm,
einen Blick warf, ein großes Geschrei erhob und in Ohnmacht fiel. Man
gab sich alle Mühe, ihr zu Hilfe zu kommen. Sie öffnete endlich die
Augen, und der erste Gebrauch, den sie von ihrer Sprache machte, war,
daß sie ihren Leuten befahl, den Herrn aufzusuchen, der die Ursache-
und ich, wie ich mich genau erinnere, in dem Augenblick an das Karten-
spiel dachte, was ich in der Gesellschaft gespielt hatte, über dessen
Ausgang ich Reflexion machte, so hörte ich im Zimmer ein Klopfen, als
wenn jemand mit einem Finger auf die 'Leisten der Panelung klopft, ob-
gleich keine solche im Zimmer war; und dies Klopfen ging im ganzen Zimmer
herum und war abwechselnd mit einem Geräusch verbunden, das dein
ganz ähnlich war, wenn man die eine platte Hand unter der andern
stark wegstreicht. Meine Lage im Bette dabei war mit dem Gesicht
gegen die Wand. Ohne daß ich im mindesten dadurch beunruhiget ward
oder nur entfernt den Gedanken hatte, daß dies ein unnatürliches Ge-
räusch oder gar Vorbedeutungen von meiner kranken Mutter sein könnten,
an die ich auch im Augenblick gar nicht dachte, glaubte ich, es wären
Ratten oder Mäuse und wunderte mich über die große Menge, die im
Zimmer sein müßte, welche ich doch niemals vorher bemerkt hatte, ob
ich gleich schon einige Wochen darin logiert hatte. Von diesen Gedanken
eingenommen, klopfte es, mit dein bemerkten Geräusch begleitet, an der
Wand, dicht vor meinem Gesicht, so daß ich glaubte, weil ich in dem
Wahn der Ratten und Mäuse stand, daß mir solche ins Gesicht springen
würden. Ich kehrte mich daher im Bette nach der andern Seite hin und
ward darauf in einer Entfernung von einem Schritte von meinem Bette
eine weiße Dunstfigur gewahr, die in einer gebückten Stellung stand
(wie auch damals die Stellung meiner kranken Mutter war), mir den
_Rücken zugekehrt hatte und mich mit bei Seite gedrehtem Kopf ansah.
Ich erkannte sie sogleich für die Gestalt meiner Mutter und rief in
Bestürzung: Herr Jesus, Mutter ! Sie schien dies zu hören und drehte
den Kopf in dem Augenblick weiter, mit einem wehmütigen Blick zu
mir herum, und ich erkannte deutlich ein violettes Band das sie auf der
Nachthaube hatte. Ich fuhr aus dein Bette heraus, stand auf den Füßen
und sie war noch da. In eben dem Augenblick aber floh sie einige
Schritte von mir weg, ich sah auf der Stelle, wo sie verschwand, einen
Feuerstrahl, der vorne spitz, hinten breit und etwa 1 1 /2 Ellen lang war,
entstehen, welcher sich in einen Dunst, wie eine Wolke auflöste, immer
dünner durch seine Ausdehnung ward, bis er gänzlich verschwand. Es
war Mondenschein, so daß ich im Zimmer alles unterscheiden konnte.
Ich war im Begriff, mich wieder zu Bette zu legen, uni keine -Unruhe
im Hause zu machen, aber es überfiel mich ein so heftiger Schauder,
daß ich es für ratsam hielt, Hilfe zu suchen. Ich hielt es für ausgemacht
gewiß, daß meine kranke Mutter in dem Augenblick der Erscheinung
gestorben sei, bis ich einen Tag nachher durch einen Wagen von dort-
her, der den Arzt abholen sollte, vom Gegenteil überzeugt wurde. Meine
Tante fuhr zwei Tage nach diesem Vorfall mit dem Arzt zu meiner
Mutter, und ich blieb, um mich einigermaßen von diesem Schreck wieder
zu erholen, noch dort. Auf Befragen des Arztes in Gegenwart meiner
Tante, wie sich meine Mutter seit seiner Abwesenheit befunden, hat sie
alle Zufälle und die Zeit derselben genau angeführt, hauptsächlich aber
die Nacht, wo ich die Erscheinung hatte, und die Stunde zwischen
Ein Beitrag zur Geschichte der Telepathie. 211
1 und 2 Uhr, bemerkt, wo sie äußerst elend gewesen ist und gewiß
geglaubt hätte zu sterben. Sie hat hierbei ausdrücklich, in Gegenwart
des Arztes, ihre Schwester gefragt, ob sie nicht ihr oder mir erschienen
sei ; sie hätte so sehnlich und stark in den Augenblicken an uns, und
besonders an mich, gedacht und gewünscht, daß ich da sein möchte,
um, wenn sie stürbe, ein Beistand meines Vaters und meiner Geschwister
zu sein. Auch hat sie damals ein violettes Band, wie ich es gesehen,
nm ihre Nachthaube gehabt, und die Wächter haben mir hoch und teuer
versichert, daß sie in der Nacht und um die Zeit, als ich sie gesehen,
wie tot gelegen, daß sie keinen Atemzug von ihr gehört und daher auch
.
schon wirklich geglaubt hätten, daß sie tot wäre, bis sich nach mehreren
Minuten solcher wieder eingestellt hätte. Jenes habe ich aus dem eigenen
Munde meiner Tante und des Arztes." Die Mutter des Berichterstatters
starb erst sieben Wochen nach der Erscheinung. Dieser beteuert noch
bei allem, was ihm lieb und heilig sei, die volle Wahrheit seines Be-
richtes und versichert, daß er weder leichtgläubig noch für dergleichen
Geschichten eingenommen sei. "Daher habe ich bei mir selbst die ge-
naueste Untersuchung angestellt, ob hierzu ein Betrug der Sinne, ein
lebhaftes Bild der Imagination oder sonst etwas könne beigetragen haben.
Allein ich habe dergleichen nicht bei mir, nur wahrscheinlich, entdecken
können. Ich hatte zu Abend wenig gegessen und gar keinen Wein ge-
trunken, ich hatte den ganzen Tag über nicht an meine Mutter gedacht,
ich war nicht im Schlafe, nicht krank, und die Geschichte selbst und
die Harmonie aller dabei konkurrierenden Umstände heben, wie ich
glaube, alle Einwendungen, die man hiergegen machen könnte. Aber
welcher Philosoph erklärt mir diese Geschichte nach seinen einfachen
und zusammengesetzten Begriffen von Geist und Körper?" Im Anschluß
daran erzählt derselbe Berichterstatter noch einen weiteren Fall von
„Anmeldung eines Sterbenden", den er als Knabe erlebt hatte, als sein
Bruder starb.
Die Schilderung hinterläßt den Eindruck, daß der Berichterstatter
ein intelligenter und guter Beobachter war. Unstreitig liegt eine starke
telepathische Einwirkung seitens der in einer schweren Krankheitskrise
liegenden Mutter auf den Sohn vor, die sich in Halluzinationen des Ge-
sichts und des Gehörs äußerte.
Von der telepathischen tbertragung eines Traumes erzählt uns aus.
eigener Erfahrung der Philosoph Salomon Maimon im 10. Bande des ge-
nannten „Magazins" (1793, 5. 7ff.). Maim o n (1754-1800) war ein Philosoph,
der die Skepsis innerhalb des Kritizismus vertrat. Er hat an Kant scharfe
Kritik geübt und wurde von diesem 1790 als derjenige Gegner anerkannt,
der ihn am besten verstanden habe. Seine natürliche Begabung und seine
Talmudstudien -- er war ein Jude aus Neschwitz in Litauen ließen
ihn zu besonders haarspaltendem Scharfsinn gelangen. Rosenkranz
bezeichnet ihn geradezu als einen rechten talmudischen Ideenspalter, als
einen „Zerdenker". Maimon nannte sieh sellYst K ant gegenüber einen
„empirischen Skeptiker", d. h. einen Zweifler an der Wirklichkeit der
212 Graf C. v. Klinckowstroem.
Erfahrung. Auf jeden Fall ist es bemerkenswert, einen solchen Mann, der
als der Typ des mehr zersetzenden als sehöpferischen jüdischen Geistes
bezeichnet werden kann, über „okkulte" Erlebnisse berichten zu hören.
„Im Jahre ...", schreibt Mai ni o n , „ war ich Hofmeister bei einem
Pächter in P., bei dem ich sowohl wegen der damaligen Hungersnot
in P. als besonders wegen des armseligen Zustandes dieses Mannes und
der Ungelehrigkeit meiner Schüler viel auszustehen hatte. Dazu kam
noch eins, daß ich einige Tage nacheinander außerordentliche Zahn-
schmerzen leiden mußte. In diesem Zustande der Betrübnis und der
Schmerzen schlief ich eines Abends auf meinen) harten Lager ein. Es
träumte mir, daß ich, ohne zu wissen wie, im himmlischen Jerusalem
angelangt sei. Ein alter ehrwürdiger Mami empfing mich am Tor lieb-
reich, führte inich nach dem Tempel des Herrn, um in3r alle Merkwürdig-
keiten darin zu zeigen. Ich kam in einen großen Saal, worin ich einen
Bücherschrank fand. Ich griff also meiner Gewohnheit nach nach einem
Buche, um es zu besehen. Sobald ich es aufmachte, fand ich gleich auf
dem Titelblatt den Titel eines mir dem Namen nach schon längst be-
kannten kabbalistischen Buchs, und darunter den Namen Jehova mit
großen Lettern. Ich blätterte darin weiter und fand überall heilige Namen
und Stellen aus der Bibel nach kabbalistischer Art erklärt.
Dieses versetzte mich in einen Gemütszustand, der ans Erstaunen,
Ehrfurcht und Freude zusammengesetzt war. Ich hatte darauf noch mehr
Szenen dieser Art, konnte mich aber beim Aufwachen derselben nicht
erinnern. Sobald ich aus diesem Schlafe erwacht war, kamen meine
Schüler (die in einem entfernten Zimmer geschlafen hatten) zu mir,
schauten mich (wider ihre Gewohnheit) mit der größten Aufmerksamkeit
an und schienen über meinen Anblick in Verwunderung zu geraten. Ich
fragte sie nach der Ursache ihres seltsamen Benehmens, konnte aber
anfangs von ihnen nichts herausbringen. Da ich aber weiter in sie drang,
so sagten sie mir: ihr Bruder, der Pächter des nächsten Dorfs, der
gestern hier (wie er öfters zu tun pflegte) zum Besuche gekommen und
über Nacht geblieben war, wäre heute morgen in ihre Wohnstube ge-
kommen (er schlief des Nachts in einer Heuscheune, die sowohl t on
der Wohnstube als von meiner Studierstube, wo ich geschlafen hatte,
entfernt war) und habe ihnen allen einen sonderbaren Traum erzählt,
den er diese Nacht gehabt hätte, und der hauptsächlich mich anginge.
Es kam ihm nämlich vor, als sähen sie mich alle nach dem himmlischen
Jerusalem zugehen. Ein alter ehrwürdiger Greis kam mir am Tor ent-
gegen, führte mich hinein und stieß sie, indem sie mir nachfolgen wollten,
zurück. Sie blieben am Tor stehen, um ineine Rückkunft abzuwarten
endlich kam ich wieder heraus, meine Gestalt war sehr ehrwürdig, mein
Angesicht leuchtete wie das Angesicht Mosis, da er die zwei Tafeln
empfing. Sie fürchteten sich, sich mir zu nähern, und waren in der größten
Verlegenheit, wie sie mit mir in Zukunft umgehen sollten. Dieses,
sagten meine Schüler ferner, war die Ursache, warum wir Sie mit einer
solchen Aufmerksamkeit ansahen, und über Ihren Anblick unsere Ver-
Ein Beitrag zur Geschichte der Telepathie. 213
wunderung. äußerten. Bald darauf kam auch der träumende Bruder und
bekräftigte dieses alles aufs neue. Seit der Zeit bin ich auch in diesem
hause ganz anders als vorher behandelt worden."
Der philosophische Kommentar dazu, den Mai m on im Anschluß
gibt, lautet: „Alle menschlichen Seelen sind gleichsam verschiedene Aus-
flüsse aus einerlei quelle, sie mögen daher in ihrem gegenwärtigen Zu-
stande voneinander noch so sehr entfernt sein, so kommunizieren sie doch
in ihrem Ursprung miteinander. Diese Kommunikation ist aber zwischen
einigen Seelen mehr, zwischen anderen weniger, nach dem Grad ihrer
Ähnlichkeit untereinander. Die Wirkung dieser Kommunikation wird
aber hauptsächlich im Schlaf, da die Seelen zu ihrem Ursprung zurück-
kehren (in der philosophischen Sprache würde es heißen: da die innere
Seelenwirkung durch die sinnlichen Eindrücke nicht mehr unterbrochen
wird) und folglich unmittelbar einander anschauen. Daher konnte dieser
Mann im Traum sehen, alles was mit mir zur Zeit vorging. Wenn ich
jetzt diese Sache reiflich überlege, so muß ich gestehen, daß, alle schwär-
merischen Vorstellungen abgerechnet, in der Sache weit mehr stecken
muß, als wovon unsere bisherige Psychologie Rechenschaft geben kann."
Maimon gesteht hier also zu, daß ihn sein Grundsatz von der
Einheit des Prinzips: das Oekonomieprinzip, im Stich läßt. An anderer
Stelle (ebenda 8. 100) hat er seine Ansicht von der „zu einer jeden
Wissenschaft erforderlichen Sparsamkeit des Prinzips" ausgesprochen,
„so daß man kein unbekanntes Prinzip annehmen darf, solange die Er-
scheinungen aus den ,.chon bekannten Prinzipien sich erklären lassen.
Solange daher die psychologischen Erscheinungen sich aus dem Gesetz
der Ideenassoziation (dem einzigen bekannten psychologischen Prinzip)
erklären lassen, haben wir kein Recht, zur Erklärung gewisser Erschei-
nungen andere Prinzipien außer demselben anzunehmen."
Von einer anderen, nicht minder interessanten, telepathischen Traum-
vision berichtet uns J. D. 1\i auch in seinem „Allgemeinen Reper-
torium für empirische Psychologie" (2.Bd., 1792, 5. 116 ff.), Wir geben
ihm das Wort. „Ein Beamter in einer Württembergischen Amtsstadt
hatte zween Schreiber, wovon der eine als Substitut, der andere aber
noch als Lehrling in seinen Diensten stand. Der Substitut war ein un-
ordentlicher, ausschweifender Mensch, der gerne auch den Lehrling ver-
fährt und zum Genossen seiner Ausschweifungen gemacht hätte, um sich
dadurch sicher zu stellen, daß sie nicht durch eben diesen jungen Men-
schen dem Beamten. der auf strenge Ordnung bei seinen Untergebenen
hielt, verraten werden möchten. Allein der Jüngling, von Haus aus durch
eine gute Erziehung und eingepflanzte gute sittliche Grundsätze gegen.
das Gift der Verführung gewappnet, widerstand lange standhaft. Doch,
als die nämlichen tberredungen immer wiederholt wurden und er viel-
leicht fühlen mochte, daß er am Ende schwach genug werden könnte,
nachzugeben, so wußte er sich endlich nicht mehr anders zu helfen, als
daß er dem Beamten die Ausschweifungen des Substituten entdeckte und
ihn bat, ihn vor seinen Verführungen sicher zu stellen.
214 Graf C. v. Klinckowstroem.
nnng von der geliebten Schwester sagte er damals unter anderen auch
die Worte zu ihr: ‚Schwester, wenn ich weit von dir sterben sollte,
dann überbringe ich dir selber die Todespost.' Selten nur hatte Frau
Kahlow, nach einer mehrjährigen Entfernung ihres Bruders, so lebhaft
an denselben gedacht, und unter den gegenwärtigen Umständen gar nicht,
daß er ihr gerade jetzt hätte einfallen sollen. Sobald aber, wie sie in
dem täuschenden Mann den abwesenden Bruder erblickt, schreit sie auch
auf: ‚Ach, Leopold, mein Bruder!' und weg ist das Bild. Frau Kahlow
erzählte diese Begebenheit ihrem Mann, der Tag und Stunde aufzeichnete.
Ungefähr 18 Wochen hierauf kamen Briefe aus Konstantinopel, welche
meldeten, daß an dem und dem Tage, zu dieser und dieser Stunde, der
Bruder verschieden sei."
Wenzel siebt die Geschichte als ein Werk der Einbildungskraft
und des Zufalls an und sucht sie damit zu erklären, daß die Wöchnerin
in einem Zustand gewesen sei, der für derartige Einbildungen disponiere.
Den zweiten Fall erzählt der skeptische Verfasser als eigenes Er-
lebnis (5. 44 ff.): „Mein seliger Vater praktizierte in seinen jüngeren
Jahren bei einem Geschäftsmann namens Palm. Die Jahre der Praxis
waren vorüber, und mein Vater trat in Dienste. Noch einige Jahre kor-
respondierte er mit seinem ehemaligen Anführer und erholte sich 'Rats
bei demselben. Der Briefwechsel hörte endlich auf, und es verflossen
volle 25 Jahre, daß in meinem väterlichen _Hause von dem alten Palm-
nichts mehr zu hören war. Im Jahre 1779, als ich im September gerade
zu Hause war, trat eines Morgens es war, wenn ich mich recht er-
innere, der 18. dieses Monats ganz unvermutet mein Vater vor mein
Bett und weckte mich aus dem Schlafe. ,Ich habe sehr sonderbar in
dieser Nacht geträumt,' sagte er, ‚und bin sehr unruhig darüber. Der
alte Palm, von welchem ich dir öfters erzählte, war bei mir und sprach
viel von Amtsgeschäften mit mir, küßte mich und sah mich beim Ab-
gehen sehr wehmütig an. Ich fragte ihn nach. der Ursache. Ich sterbe,
war seine Antwort, und so verschwand er aus meinen Augen. Ich er-
wachte. Schreibe doch auf jeden .Fall das heutige Datum auf. Ich be-
sorge, der Mann ist wirklich gestorben.'
Ich verzeichnete das Datum und den Inhalt des Traumes. 14 Tage
vergingen, und mein Vater erhielt Briefe, die ihm meldeten, daß Palm
am 18. September nachts 2 Ehr verschieden wäre und sich bei seinem
Hinscheiden meines Vaters, den er immer sehr liebte, erinnert hatte."
Dazu schreibt Wen z cl: „Man hielt diesen Traum allgemein für
bedeutend. Mir scheint er es nicht zu sein; denn die Seele meines Vaters
hatte keine Data vor sieh, aus denen sie hätte auf den gerade jetzt er-
folgten Tod eines alten abwesenden, schon vergessenen Freundes schließen
können. Daß er sterben würde, dies täglich zu erwarten, dazu berech-
tigte das hohe Alter des Mannes, daß er aber just in dieser Nacht sterbe,
das konnte unmöglich erraten werden. ‚Aber Palm erschien ja im Traum
meinem Vater und sagte ihm, (laß er sterbe.' Bloß Spiel der Phantasie,
dessen Inhalt bloß durch einen Zufall in Erfüllung kam. ,Wie aber eilt-
Psychotherapie und Okkultismus. 217
stand der Traum?' Ich behaupte, mein Vater habe an Palm gedacht,
habe sich der bei ihm zugebrachten Jahre erinnert, und der Gedanke
sei flüchtig in ihm rege geworden, daß der Greis nun wohl auch bald
abtreten dürfte. Freilich wußte von alledem mein Vater nichts; aber dies
beweist nicht, daß diese Ideen nicht die Vorgänger des Traumes waren."
(Schluß folgt in Heft 4.)
• netiseur jederzeit bei sich selbst herstellen könnten. Das Erlebnis der
Gefäßverengerung, der „kühle Hauch", hat bis in die letzte Zeit im
Okkultismus im Sinne eines Geisterhauches mißverständliche Beachtung
gefunden; in der Tat genügt eine ganz leichte Kontraktion der Blut-
-
der Zeigefinger) das eine Ende eines dünnen Fadens, den man so lang
wählt (etwa 30 cm), daß ein Knopf oder Ring, den man an das untere
Ende anbindet, gerade über dem Zifferblatt schwebt, ohne es zu berühren."
Während man den zunächst stillestehenden Ring beobachtet, gebe
man sich dem Gedanken hin : jetzt wird der Ring in der geraden Linie
zwischen der Ziffer 6 und der Ziffer 12 hin und her pendeln und ver-
folgt dann diesen Gedanken eine Zeitlang. Sehr bald schlägt der Ring die ge-
dachte Richtung ein. Stellt die Versuchsperson sich dann auf eine andere
Richtung ein, so arretiert das Pendel, uni sehr bald in die neue Rich-
tung überzugehen, ebenso beschreibt es Kreise und Ellipsen, alles nach
Wunsch und Gedanken. Es wäre sehr wünschenswert, wenn die Wünschel-
rutengänger, Pendeldiagnostiker e tutti quanti sich diese kleine Banali-
tät in ihr Tagebuch schreiben wollten! Gewiß liegt es dem modernen
kritisch und psychologisch orientierten Nervenarzte gänzlich fern, als
.
Psychiater hat diese Sachlage einmal durch das sehr drastische Scherz-
wort charakterisiert, bei der Hypnose wisse man nie, wer der Angeschmierte
sei, der Patient oder der Arzt. Es wäre allerdings durchaus einseitig, diese
Schwierigkeiten lediglich am Phänomen der Hypnose sehen zu wollen ;
wenn in einem Konzert ein Besucher den Darbietungen mit den Zeichen
sichtlicher Ergriffenheit folgt, wird zunächst jeder Mensch annehmen, daß
das Innenerlebnis der Haltung entspricht. So hat auch im allgemeinen
der Leiter hypnotischer Versuche keinen Grund, die Echtheit der von ihm
beobachteten Erscheinungen zu bezweifeln, um so weniger als ja im all-
gemeinen unter ärztlichen Umständen kein Motiv für eine Täuschung
vorliegt. Aber gerade in diesem Punkt unterscheidet sich die ärztliche
'Heilarbeit prinzipiell vom Okkultismus. Sie erhebt nicht den Anspruch
-
Verschiedenes. •
Es gibt eine Dunkelheit, bei der man nichts sehen, aber gut photographieren
kann und noch mehr: manche Stoffe auf ihre Zusammensetzung erkennen.
Diese merkwürdige Dunkelheit wird erzeugt durch die Quarzlampe der
Quarzlampengesellschaft m. b. H. in Hanau, in Verbindung mit dem Diagnose-
Ansatz zur bekannten künstlichen Höhensonne. Erstere ist fast überall bei
Ärzten zu finden; es dürfte also keine Schwierigkeit machen, eine oder besser
zwei derselben zu medialen Versuchen leihweise zu beschaffen. Erforderlich wäre
nur noch der Erwerb eines bzw. zweier Exemplare des Diagnose-Ansatzes mit
dein Dunkelfilter, die zum Preise von 82,50 Mk. geliefert werden.
Als Lichtquelle der Höhensonne dient eine Quarzquecksilberlampe, die
reich an ultravioletten Strahlen ist. Filtriert man diese mit dem neuen eigen-
artigen Filterglase heraus, so wird fast alles sichtbare Licht ausgelöscht und nur
Licht von der Spektrallinie 400 2. und darunter durchgelassen. Diese Wellen
liegen jenseits der Sichtbarkeitsgrenze des Auges; sie sind aber von großer photo-
graphischer Energie.
Leider wird dieses Licht vom Glase absorbiert, also nicht durchgelassen.
Gewöhnliche Objektive, auch die der besten Marken, können in diesem Falle
nicht gebraucht werden.
Dafür bietet aber vollkommenen Ersatz das Quarzobjektiv. Seit mehr als
20 Jahren bediene ich mich eines solchen mit sehr gutem Erfolge, wobei ich eine
Bogenlampe mit vorgeschaltetem Wood'schen Filter als Lichtquelle verwendete.
Dasselbe kann natürlich nicht visuell auf der Mattscheibe eingestellt werden,
sein ultravioletter Strahlenfokus ist fürs Auge unprojizierbar, dafür bedient man
sich einer Einstellskala, die man entweder berechnen oder experimentell be-
stimmen kann. Eine Arbeit, die nicht jedem liegt.
Es ist mir gelungen, die bekannten optischen Werke Ernst Leitz in Wetzlar
zu veranlassen, zu ihrer vorteilhaft bekannten kleinen „Leica-Kamera" ein
passendes Quarzobjektiv zu berechnen und herzustellen, mit einer Einstellskala
von 1 Meter an bzw. ein Triplet aus Uviolglas. Diese bequeme Zwergkamera
arbeitet mit den überall erhHtlichen Kinofilms und zwar mit Stücken von 1,60 m
Länge. welche 36 Aufnahmen Raum geben. Die Bilder haben 24 X 36 mm Größe,
sind äußerst detailreich und lassen sich bis auf das Zehnfache vergrößern, ohne
daß das feine Korn des Films störend auftritt. Zu jedem Apparate werden
3 Rollfilm-Kassetten mitgeliefert; man hat also für eine Sitzung 108 Platten zur
Verfügung, auf welchen man ein fast lückenloses Protokoll photogräphisch auf-
nehmen kann. Es bleibt natürlich unbenommen, ein größeres Arsenal sich zuzu-
legen, was bei dem billigen Preise der Spulen (1,50 Mk. für 36 Aufnahmen)
keinerlei Schwierigkeiten machen kann.
Die merkwürdige Dunkelheit der Filterquarzlampe bietet aber noch eine
Besonderheit: Sie erlaubt eine Menge ion Konstatierungen, die bei gewöhnlichem
Lichte, auch dem „hellsten", unmöglich sind. So z. B. in Bezugnahme auf das
Auftreten der Pseudopodien. Es würden diese mit Leichtigkeit von allen Kunst-
produkten zu unterscheiden sein und sich, unter Anwendung besonderer
Methoden, auch von der gewöhnlichen Haut abheben. Ein Blick würde genügen,
festzustellen, ob angeblich telepathische Gebilde aus Seide, Wolle, Baumwolle
oder Zellulose hergestellt sind und noch manches andere.
Albert Ho f man n (Mehlein).
.•
Von Gliedabgüssen in Paraffin.
Von jeher ist seitens der Spiritisten und Okkultisten der Wachs- oder
Paraffin-Abguß von „Geisterhänden" oder „teleplastischen Gliedmaßen" als
exquisites Beweisstück für die supranormale Entstehung solcher Phänomene an-
gesehen worden. Denn nur die sich dematerialisierende Geisterhand soll imstande
sein, die Paraffinform abzustreifen, ohne sie zu sprengen. In neuerer Zeit hat
insbesondere Fr anek-Kluski derartige Phänomene produziert, von denen
224 Verschiedenes.
Pro Domo.
Am Fuße der zweiten Umschlagseite von Heft 1 und 2 unserer Zeitschrift
stand eine kleine Notiz, die inhaltlich sicher insofern berechtigt war, als sie
zum Ausdruck bringen wollte, daß unser Blatt als erstes und einziges in Deutsch-
land beiden Lagern der okkultistischen Forschung unparteiisch zu dienen und
ausschließlich Wissenschaft zu treiben, nicht aber einen bestimmten Standpunkt
zu verfechten suche. Weil man aber aus jener Notiz vielleicht auch die (nicht
gemeinte) Absicht herauslesen konnte, daß wir nicht bloß ein Anderssein, son-
dern auch ein Bessersein für uns in Anspruch nahmen, so wurde sie von okkul-
tistischer Seite abfällig kritisiert; besonders unwillig hat sich Herr Dr. Edgard
Drehe r in der „Zeitschrift für Parapsychologie" (Februar 1926, S. 118) darüber
geäußert, indem er sie als Eigenlob charakterisierte. Es ist nun wohl durchweg
bei Büchern und Zeitschriften üblich, daß die Umschlagsseiten (abgesehen von
Inhaltsangaben und Mitarbeiterverzeichnissen) Herrschaftsbereich des Verlages
sind; die Empfehlungen und Ankündigungen, die dort abgedruckt werden, be-
kommt der Autor oder Schriftleiter gewöhnlich erst nach der Drucklegung zu
sehen, sie können also auch nicht seine Gesinnungen oder Ansprüche wider-
spiegeln. Obgleich uns also die Sache wenig angeht, haben wir doch den Verlag
ersucht, den Stein des Anstoßes zu entfernen. Nachdem wir so unserseits das Er-
forderliche getan haben, sollte Herr Dr. Dreher das Seinige tun, indem er erklärt,
was er sieh, oder der Zeitschrift für Parapsychologie. oder der Sache des Okkul-
tismus im Allgemeinen durch diese Aufbauschung einer unscheinbaren Verlags-
notiz zu nützen glaubte. Die Schriftleitun g.
Referate und Zeitschriftenschau. 225
hatte diesen Apparat erfunden, um Stellen der den Schädel umgebenden Haut
ausfindig zu machen, die für elektrische Reize besonders empfindlich sind. Er
nahm an, daß bestimmte Reflexstellen bestimmten Organen, Krankheiten.
geistigen Eigenschaften und Begabungen (wie Organisations- und Kombinations-
gabe, Faulheit, Mystizismus) zugeordnet seien, ja ursprünglich hat er wohl, aus-
gehend von der Phrenologie, angenommen, man könne mit Hilfe des elektrischen
Stroms durch den Schädel hindurch die den betr. Organen oder Eigenschaften
entsprechenden Hirnzentren unmittelbar abtasten. S c h ult e verwirft diese
etwas phantastische theoretische Grundlage der Erfindung, stellt aber durch
genaue Untersuchungen an mehr als 300 Versuchspersonen fest, daß die Ergebnisse
der elektrodiagnoskopischen Prüfung sich so genau mit denjenigen der Selbst-
analyse der Versuchspersonen, der äußeren Beobachtung, der psychologischen
Testprüfung decken, daß ein Zufall als ausgeschlossen angesehen werden muß.
Diagnoskopprüfung und Eichungsfeststellung wurden so völlig getrennt vor-
genommen, daß nach 5 c hu lt e s Ansieht jede Suggestion bei Versuchsperson wie
bei Prüfungsleiter vermieden war, bei der Diagnoskopprüfung wurden immer
nur die Zahlen der Reaktionsfelder, nicht deren Bedeutung genannt. Wie die
Übereinstimmung zustande kommt. muß die Zukunft lehren. vorhanden ist sie
auf jeden Fall. R. Baerwald.
verdrängten Trieb einen Teil der Kraft seiner Individualität von sich 'abtrennt.
Disharmonierende, unsoziale Triebe soll man ablenken, vergeistigen, „subli-
mieren". nicht ersticken wollen, wie chinesische Kaiser Räuberhauptleute zu
Heerführern machten, um jede starke Kraft zu nutzen. — Soweit der Wille als
berechtigt anerkannt wird, sucht B. ihn zu intellektualisieren, ihn auf reiches
Innenleben, konzentriert, d. h. mit höchster Aufmerksamkeit vorgestellte Ge-
danken, ja auf Träumerei und Phantasiespiel zurückzuführen. Hier gewinnt B.
Anschluß an den modernen Individualismus, der sich gegen die Versklavung und
Veräußerlichung des großen Menschen durch Gesellschaft, Sozialismus, Demo-
kratie, Arbeitsmechanisierung wehrt; aber der Psychologe wird diese Ent-
thronung des eigentlichen Willenskernes nicht ganz billigen und mitmachen
können.
Dr.Fritz Wittels: „Wunderbare Heilungen".Leipzig,Wien,
Anzengruberverlag. 1925. Ein theoretischer Gegner C oues und B audouin 5,
die er an die Seite der Gesundbeter und anderer Kurpfuscher stellt. Es ist aber
bezeichnend, daß selbst solche Kritiker, die der Cou(ischule neue Erkenntnisse
und wissenschaftliche Verdienste abstreiten, an ihren praktischen Resultaten
nicht zweifeln und die Zukunftsbedeutung autosuggestiver Heilmethoden an-
erkennen.
D r. Emeri ch De c s i, Nervenarzt in Budapest: „ -Cr b er Autosug-
g estionsbeliandlung,insbesondere die Lehren vonCoueund
ihr Verhältnis zur Medizin und Kurpfuscherei". Stuttgart,
Püttmann, 1925. Der Verfasset hält die Theorie der Coueisten für laienhaft, glaubt
aber, daß bei der praktischen Anwendung der Autosuggestion schließlich alle
Wege nach Rom führen, erkennt die großen Heilerfolge dieser Methode in weitem
-Umfange an und meint, daß wichtige Lücken in der allzu technischen, unpersön-
lichen, nur auf die Bekämpfung der Symptome bedachten, den Patienten mehr
_erledigenden" als heilenden Praxis der heutigen Medizin durch den Coueismus
glücklich ausgefüllt werden. Sein eigenes Verfahren besteht darin, daß er zu-
nächst, mit ähnlichen Mitteln wie Coue. den Patienten in eine Art Halbschlaf
versinken läßt. Dabei stellen sich leicht "Parästhesien ein, welche die Suggesti-
bilität noch erhöhen, indem sie handgreiflich fühlen lassen, daß etwas Besonderes
vorgeht." Aus diesem Zustand heraus nun soll der Patient ein scharfes, an-
strengendes Training der Aufmerksamkeit vornehmen, indem er z. B. die Ereig-
nisse des letzten Tages leise vor sich hinspricht, so ausführlich und richtig. ,.als
ob jedes Wort sofort protokolliert würde und sein Leben davon abhänge. daß er
nichts ausläßt und nicht lügt". Ist diese Leistung eingeübt, so wird in derselben
Weise die Autosuggestion gesprochen, mit der größten eireichbaren Schnellig-
keit. als „angestrengte und anstrengende Predigt". — Was hier angestrebt wird,
ist das Gegenteil der Coue sehen „Willenlosigkeit".
Besprechungen.
Henze, Paul: 0ü en est la Met apsychiqu e. Paris, Gauthier-Villars et
Cie., Editeurs, 1926. 8 0 , 2 Ell. und 272 S. Mit 31 Abb. im Text. Preis: brosch.
franz. Fr. 18.--.
Wir verdanken dem Pariser Schriftstejler Paul Heu zC, der das Verdienst
hat, die Sorbonne für die Phänomene des Mediumismus interessiert zu haben,
bereits zwei gut geschriebene Bändchen „Les Morts vivent-ils?" 1 ). Die neue
Schrift stellt das Ergebnis dar, zu dem ihn die Frage: „Wie steht es mit der Meta-
psychik?" geführt hat. Heuze ist auf die mannigfachen Theorien, die von den
Metapsychikern aufgestellt worden sind, nicht eingegangen. Er beschränkt sich
ganz auf die Tatsachenfrage und hat diese an der Hand typischer Beispiele ein-
gehend erörtert, wobei er, wohl aus Mangel an Sprachkenntnissen. die deutsche
Literatur auf diesem Gebiet so gut wie gar nicht berücksichtigt hat. Henze
trennt die intellektuellen Phänomene von den physikalisch-mediumistischen und
hat den letzteren einen breiteren Raum gewidmet. Den Erscheinungen der Tele-
pathie und des Hellsehens, die er hauptsächlich an den Experimenten mit
St. Osso wiecki und Ludwig K ahn erläutert, steht Henze nicht ablehnend
gegenüber. Er gibt zu, daß diese Experimente in der Tat zu der Hoffnung berech-
tigen, die Wissenschaft werde hier zur Anerkennung eines neuen Tatsachen-
komplexes gelangen. Anders steht es mit den sog. paraphysischen Phänomenen:
Telekinese, Materialisation, Leuchterscheinungen usw. Die Versuche mit Eusapia
Paladino, Eva C., Guzik, Kluski, Erto, Kathleen Goligher usw.
werden in gedrängter Kürze analysiert.
Zum Thema Crookes-Florence Cook ist eine Bemerkung von Interesse, die
H euze dem Buch von F lammar ion „Les forees naturelles inconnues"
(S. 462) entnimmt. Danach hat Home Fl a m in arion gegenüber das Medium
Florence Co ok als eine „farceuse" (Possentreiberin) bezeichnet. Auch Home
selbst, der bekanntlich von den Spiritisten gern als über jeden Verdacht des Be-
truges erhaben hingestellt wird, ist offenbar im Jahre 1867 am Hofe Napoleons III.
in Biarritz durch Mono d e 1 e beim Betrug ertappt wordeu, der plötzlich Licht
machte. Henze bezieht sich hier auf die auch von uns („Der physikalische
Mediumismus", S. 113) zitierten Briefe des Leibarztes Dr. B arthez (veröffent-
licht in der „Revue de Paris", 1. Jan. 1912). Home soll Geister.berührungen durch
seinen geschickt aus dem Schuh geschlüpften Fuß vorgetäuscht haben. Dieses.
Detail wurde Henze auch vom Prinzen Roland Bonaparte bestätigt, der es aus.
dem Munde der Kaiserin Eugenie selbst gehört hat.
Henze kommt zu dem Schluß, daß sich die Metapsychik in einer schweren
Krise befindet, die ihr aber nur heilsam sein kann. Denn die Metapsychiker wer-
den sieh genötigt sehen, weitere Anstrengungen zu machen, uni endlich den
strikten Beweis für ihre Behauptungen zu erbringen.
Wichtig sind vier Anhänge zum Buch Heuz es: der wortgetreue Bericht
der Sorbonnekommission über die Versuche mit Eva C.; der ,,Bericht der 34" über
Sitzungen mit Guzik ; der Sorbonne-Bericht über eine Sitzungsreihe mit
Guzik ; und der Bericht einer Prüfungskommission über Versuche mit E r t o.
Diese wichtigen und aufschlußreichen Dokumente werden damit leichter zu-
gänglich.
Ein Fehler wäre zu korrigieren: ein paar Abbildungen, die ein weibliches
Medium mit Teleplasma zeigen, stellen nicht, wie die Unterschrift besagt, das
Medium Maria S. (S ilbet t ?) dar, sondern Stanislawa P.
Graf Carly.Klinckowstroem.
Rudolf T i sch ner : ,.D a s Medium_ D. D. H ome". Untersuchungen und
Beobachtungen (nach Crookes, Butlerow, Varley, Aksakow und Lord Dun-
raven). Ausgewählt und herausgegeben von Rudolf Tisch ne r. Mit Titel-
bild ven Home und zahlreichen Textfiguren. Leipzig, Oswald Mutze, 1925.
gr. 8 0 , 163 S. Preis: brosch. Mk. 3.60; geb. Mk. 4.80.
Tisch mm er hat in der vorliegenden verdienstvollen Schrift die zum Teil
schwer erreichbaren Veröffentlichungen über Sitzungen mit dem berühmten
Medium Daniel Dunglas Home wieder leicht zugänglich gemacht. Das ist
begriißenswert, denn die Versuche mit Home genießen bei den Okkultisten noch
heute eine besonders hohe Schätzung. Crookes hat über seine Experimente mit
Home in drei Veröffentlichungen berichtet: in zwei zusammenfassenden Be-
richten von 1871 und in der Veröffentlichung von 11 vollständigen Sitzungsproto-
kollen im Jahre 1889. Ferner finden wir in dem Buch einen brieflichen Bericht
des Elektrikers Cr. Fl. V arley von 1868, die Sitzungsberichte von Lord Dumm -
r av en aus den fahren 1868--70, Berichte A k sa kows usw. In einer Einleitung
orientiert uns der Verfasser über das Leben Home s. und in einem ausführ-
Besprechungen. '233
liehen Nachwort hat er die Versuche kommentiert und die gegnerische Kritik zu
entkräften versucht. Wenn A. Lehm ann in seinem bekannten Buch „Aber-
glaube und Zauberei" (von welchem soeben die dritte deutsche Auflage erschienen
Ist) auf den Gegensatz zwischen Cr ookes' zusammenfassenden Berichten und
den später veröffentlichten Sitzungsprotokollen aufmerksam macht und meint,
danach hätten sich diese von gewöhnlichen spiritistischen Sitzungen nicht unter-
schieden, so zeiht ihn Tischner grober Übertreibung. Er weist darauf hin, daß,
im Gegensatz zu den Bedingungen heutiger Medien, die Beleuchtung meistens
nicht unzureichend gewesen sei, daß des öfteren von Hand- und Fußkontrolle die
Rede sei, und daß namentlich bei den entscheidenden Experimenten mit dem
Wage- und Hebel-Apparat die Versuchsanordnung einfach und übersichtlich ge-
wesen sei, so daß er einen Betrug Homes glaubt abweisen zu dürfen. Auch
gegen die kritischen Einwände des Referenten („Der physikalische Mediumis-
mus", S. 112 ff.) macht Tischner als sachkundiger und geschickter Verteidiger
eine Anzahl von Beobachtungen geltend, die er für hinreichend gut bezeugt hält,
um sie auf der Habenseite von H o rn e verbuchen zu könnn.
In den Protokollen von Cr ookes finden sich allerdings mehrfach kurze
Bemerkungen über Hand- und Fußkontrolle. Wir wissen aber aus der sorg-
fältigen und mühevollen Analyse Rosenbuschs über die Kontrollmaßnahmen
bei Eusapia Paladino, daß solche kurzen Bemerkungen an sich keinen Wert
haben. Denn sie sagen nichts darüber aus, ob diese Kontrolle auch zuverlässig
aufrechterhalten werden konnte. Heute glaubt doch jeder Metapsychiker mit dein
Trick der Hand- und Fußvertauschung ausreichend vertraut zu sein, und doch
gelingt es, wie der Fall Guzik zeigt, geschickten Medien immer wieder, diesen
anscheinend so einfachen Trick mit Erfolg auszuführen. Was wußte man davon
zu Zeiten von Cr ookes? Wie wollen wir heute behaupten können, man habe
sich damals dagegen zu sichern gewußt? Die Cr ookes sehen Protokolle hinter-
lassen im übrigen den Eindruck, daß Home meistens nicht kontrolliert war
und sich nach Belieben im Zimmer umherbewegte und überhaupt selbst die Art
der Phänomene bestimmte. Bei diesen Sitzungen herrschte offenbar eine Atmo-
sphäre vollen Vertrauens, H o nie war mit Cr ookes befreundet und redete ihn
bei seinem Vornamen an. Immerhin sind Phänomene geschildert. deren Zustande-
kommen auf taschenspielerischem Wege nach den Berichten nicht ersichtlich
wird. Dürfen wir uns darauf verlassen, daß die Berichte genau das wiedergeben,
was sich wirklich ereignet hat? Man versuche doch einmal, Vorführungen eines
Magikers zu schildern, die man nicht durchschaut, und man wird sie ebenfalls
unerklärlich finden. Dennoch hat Referent in seinem Kapitel über II onic
(a. a. 0.) der Tatsache, daß manche Phänomene über taschenspielerische Mög-
lichkeiten hinauszugehen scheinen, Rechnung getragen und sein Endurteil in
einem .,non liquet" gipfeln lassen. Nun macht aber Fournier d'Albe in seiner
Biographie ■ron Cr ook es Angaben. die uns an der Qualifikation von Cr ooke s
als Beobachter mediumistischer Phänomene doch ernstlich zweifeln lassen
müssen (siehe hier die Besprechung in Heft 1, S. 80). Freilich haben wir es heute
nach mannigfacher Aufdeckung mediumistischen Raffinements, von dem
Cr ookes noch keine Ahnung haben konnte, leicht, ihn zu verurteilen. Wir
müssen es ihm schließlich zugutehalten, worauf auch Tischner gelegentlich
hinweist, daß seine Versuche die ersten waren, die überhaupt eine ernsthafte
Untersuchung der fraglichen Erscheinungen bezweckten. Aber können diese Ver-
suche heute noch Anspruch darauf erheben, daß wir die Ergebnisse als unantast-
bar gelten lassen? Gewiß nicht! Wie die Phänomene zustandegekommen sind, läßt
sieh heute nicht mehr aufklären, und wir können nach meinem Dafürhalten
nichts tun als bestenfalls bei einem non liquet bleiben. H o m e s Phänomene er-
wecken auch zu stark den Eindruck taschenspielerischer Kunststücke und er-
scheinen ebenso sinn- und zwecklos, wie die der heutigen Medien. Wir dürfen
auch nicht vergessen, daß Home im Jahre 1867 in Biarritz offenbar bei Betrug
ertappt worden ist (siehe hier die Besprechung des neuen Buches von
234 Besprechungen.
Paul H euz, S. 232. Mag man also auch Tischner darin recht geben, wenn
er zum Schluß sagt, die Halluzinations- und die Betrugshypothese reichten nicht
aus, um die berichteten Phänomene Homes restlos zu erklären, so erscheinen
uns dennoch die Berichte nicht sicher genug, uni „den Großteil der Phänomene"
als echt ansprechen zu dürfen, wie Tischner es möchte.
Graf Carl v. Klinckowstroem.
Rechtsanwalt Dr. Erich Bohn (Breslau): „Der Spuk in Öl s". Beiträge zur
Metapsychik in Einzeldarstellungen. Heft 1, 2. Aufl., im Selbstverlag des Ver-
fassers.
Der berühmt gewordene Spuk in Öls, den Bohn als psychologischer Sach-
verstLndiger genau zu untersuchen Gelegenheit hatte, wird von ihm als typischer
Fall eines unechten, nur auf Aberglauben und Unfug beruhenden Spuks auf-
gefaßt. Die Geräusche, durch die die Bewohner der betroffenen Wohnung in
Schrecken versetzt wurden, ließen sich 711111 Teil auf ganz natürliche Ursachen
zurückführen; Regenwasser plätscherte, wenn es durch das undichte Dach drang.
Rauschen und Biummen entstand in der Wasserleitung, wenn in der tieferen
Etage der Hahn aufgedreht wurde, das Ticken einer Uhr, die in einer anderen
Wohnung an der „Spukwand" hing, wurde im höheren Stockwerk vernehmbar.
Nur die Geistergläubigkeit der gequälten Familie F. veranlaßte sie, allen solchen
Geräuschen mystische Ursachen unterzuschieben. Dazu kam nun der "Ulk" und
Unfug, anscheinend von mehreren Seiten ausgeübt, die sich die gute Gelegenheit
zur Schadenfreude nicht entgehen lassen wollten. Die meisten Spukgeräusche, die
zutage getreten waren, konnte Bohn von einem unter der F.schen Wohnung ge-
legenen, allgemein zugänglichen Keller aus mit größtem Echtheitseffekt künst-
lich erzeugen; als cler Keller abgeschlossen wurde, hörte der Spuk auf. Die Mit-
wirkung des Unfugs machte es verständlich, daß der Spukgeist Intelligenz zeigte,
bei Nennung gewisser Namen stärker klopfte, mit dem Schlagen der Turmuhr
Schritt hielt usw.
Psychologisch interessanter ist, daß doch auch in diesem scheinbar ganz
simplen Falle Erscheinungen übrig blieben, die nicht nur auf mißdeutete objek-
236 Besprechungen.
zu beruhen, sondern wer einmal auf Grund wiederholter Anregungen, nach einer
oft deutlich erkennbaren tbungszeit, in den Bann der gleichlaufenden Hallit-
Besprechungen. 237
zinationen geraten ist, kann sie auf eignen Antrieb hin fortsetzen und weiter
ausbauen. Bei dieser Annahme schwinden die von Bohn hervorgehobenen Wider-
sprüche.
Bohns Buch gehört zu den kritischsten und methodisoh reifsten, die über
Spukerscheinungen geschrieben sind. Daß es trotz seiner scheinbar negativen
Resultate doch neues Material für die Halluzinationstheorie des Spuks beibringt,
scheint mir sehr zu deren Gunsten zu sprechen.
Richard Baerw al d.
Johannes Illig: ..Ewiges Schweigen?" Stuttgart, Union Deutsche
Verlagsgesellschaft. 1925.
Kritisch wissenschaftlich, mit logischer Strenge beweisend will dieses
Buch nicht sein, aber ihm haftet der Zauber einer dichterisch-religiösen, ver-
sonnenen, aus eigenem Erlebnis hervorgegangenen Weltanschauung an. Eine
Ekstase, die I. im Anschluß an ein großes Unglück, an den Tod seines Sohnes im
Weltkriege. erlebte. hat ihn zum Mystiker werden lassen. Zwei Spukfälle, die er
persönlich mit ansah, gaben seinem Denken eine Wendung zum Spiritismus. Er
glaubt nicht an die Beweiskraft mediumistisch-spiritistischer Experimente. denn
ihre Phänomene lassen sich restlos aus dem suggestiblen Unterbewußtsein der
Medien erklären. Spukphantome dagegen, die sich meist unmittelbar an Todes-
fälle anschließen, bilden die Tätigkeiten und Eigenheiten des Verstorbenen
ebenso genau nach wie das spiritistische Medium, sind aber von Medien und über-
haupt von allen Zeugen unabhängig, weil sie sich zuweilen über Jahrzehnte, ja
Jahrhunderte ausdehnen und sich in Gegenwart der verschiedensten, von-
einander unabhängigen Personen zeigen. Auch deshalb ist es unmöglich. dal3
solche Phantome nur Gedankenbilder sind, die anwesende Menschen von der
Persönlichkeit der Toten zurückbehalten haben, weil das Phantom sich manch-
mal neuen Verhältnissen. z. B. baulichen Veränderungen, anpaßt. die vor dem
Tode des Urbildes noch gar nicht bestanden haben. (Ein fadenscheiniger Grund!
Passen sich nicht auch paranoische Wahnvorstellungen allen möglichen neuen
Eindrücken und Umständen an?) Die Sinnlosigkeit des Tuns der Phantome ist
kein Einwand; beim Zerfall des Körpers lebt ja nicht das von festen Zielen ge-
leitete Wachbewußtsein, sondern das träumende, übersinnliche Unterbewußtsein
weiter, so daß die Tätigkeit des Spukgeistes derjenigen eines Nachtwandlers
gleicht. Um die Monotonie dieses Tuns zu begründen, verbindet 1. die- Idee Du
Prels vom Monoideismus und der Erdgebundenheit der Geister mit modernen Vor-
stellungen. Wie Coues Autosuggestionen, im Moment des Einschlafens zu-
geflüstert, die Nacht über im Unterbewußtsein weiterwirken, so können Ge-
danken und Wünsche, die den Geist in der Todesstunde leidenschaftlich beschäf-
tigten, oft jahrelang nicht zur Ruhe kommen, und wie unterbewußte Komplexe zu
einem neurotischen Wiederholungszwang führen, ähnlich dem Nachtwandeln der
Lady Macbetin so bewirken Sterbesuggestionen eine beständige Erneuerung etwa
des Vorganges des eigenen Todes oder Selbstmordes, bis schließlich der Gedanke
seine Nachwirkung abnutzt oder Gelegenheit zum Abreagieren findet. Wie
letztere gesucht wird, zeigt das Streben vieler Spukphantome nach Erlösung.
nach einem lebenden Menschen. dem sie beichten und mit dem sie beten können.
Ein ziemlich vollständiges Gedankengebäude! Aber es hat Risse und
Spalten wie alles, was der Spiritismus baut. Beruht das Spukphantom auf an-
steckenden Halluzinationen, so kann es vom, einzelnen Zeugen oder Medium
gleichfalls unabhängig sein. Und sind solche Halluzinationen Symptome oder
Kristallisationspunkte von Komplexen, die solche Personen, die den Spuk zuerst
wahrnehmen, im Unterbewußtsein tragen. so ist der Wiederholungszwang auch
gerechtfertigt. In den Spukfällen, die I. beobachtet hat, spielen Erscheinungen
Lebender und Figuren klassischer Gemälde eine Rolle, was sich doch am ein-
fachsten erklären läßt. wenn wir die gesamten Phänomene für subjektive Ge-
bilde halten. Und das Hauptbedenken: Warum sind die sichtbaren wie die hör-
baren Erscheinungen des Spuks fast durchweg grauenhaft und häßlich? Würde
238 Besprechungen.
der Geist, wenn ein solcher vorhanden wäre, sich selber schreckeinflößend er-
scheinen? Nein, aber der Visionär verbindet mit der Vorstellung wieder-
kehrender Toten furchtbare und angsterregende Ideen, und sie spiegeln sich in
den Phantomen wieder; also müssen diese wohl innerseelische Produkte der
Visionäre sein.
Doch, wie gesagt, mit solchen Widerlegungen des Verstandes raubt man
diesem Träumerbuche nicht seinen religiösen und poetischen Wert. Es ragt turm-
hoch aus der sonstigen zeitgenössischen Literatur des Okkultismus empor.
R.Baerwald.
„R evelations of a Spirit Medi um." Facsimile Edition with Notes,
Bibliography, Glossary and Index. By Harry Price and Eric J. Dingwall.
London: Kegan Paul, Trench, Trubner & Co., Ltd., New York: E. P. Dutton
& Co. 1922. 8 0 . LXIV und 327 S. Mit Abb. Preis geb. 7/6 sh.
Die vorliegende Neuausgabe des zuerst 1891 erschienenen anonymen
Buches zeigt wieder einmal den prinzipiellen Unterschied in der Einstellung eng-
lischer und deutscher Okkultisten. Die deutschen Okkultisten verschließen zum
größten Teil ihre Augen für den Betrug von Medien. Sie lassen Taschenspieler
zu ihren Sitzungen nicht zu und gehen Aufklärungen von dieser Seite aus dem
Wege. Sie verteidigen, offenbar aus taktischen Gründen, sogar die Echtheit von
Phänomenen wie derjenigen von Kathleen Goligh er oder Eva C., die doch
jetzt endlich aus einer ernsthaften Diskussion ausscheiden sollten. Den Eng-
ländern ist es mehr um die Feststellung der Wahrheit, ume die Scheidung von
echt und unecht, zu tun. Unter den Mitgliedern der Londoner S.P.R. finden sich
nicht wenige, die eine taschenspielerische Ausbildung genossen haben. Denn
ihnen ist es längst klar geworden, daß eine soiehe erst zur Beobachtung so ver-
dächtiger Individuen, wie es Medien im allgemeinen sind. befähigt. Dazu ge-
hören auch die beiden Herausgeber (ler vorliegenden Schrift. Sie vertreten mit
Recht den Standpunkt, daß es für jeden Forscher auf diesem heiklen Gebiet
wichtig, ja notwendig ist, sich mit den taschenspielerischen Methoden der
Pseudomedien vertraut zu machen. Sie haben daher nicht nur den Text des alten
Buches in anastatischem Neudruck gegeben, sondern auch noch außer einer Ein-
leitung, kurzen Kommentaren und einem Glossarium eine sehr begrüßenswerte
reichhaltige bibliographische Zusammenstellung von Büchern und Zeitschriften-
aufsätzen (ca. 530 Nummern) geliefert, die zum Thema des mediumistischen Be-
trugs Aufklärung zu geben geeignet sind.
Das Buch ist in der alten Originalausgabe von großer Seltenheit, weil es
gleich nach seinem Erscheinen bei Farrington & Co. in St. Paul, Minn., im Jahre
1991 von den amerikanischen Spiritisten und Medien aufgekauft und vernichtet
worden ist. Der Verfasser, als welcher entweder Ch. F. Pidgeon oder Donovan in
Frage kommen, war ein „Medium", das nach 20jähriger Tätigkeit aus der Schule
plaudert und über die von ihm angewendeten Trickmethoden bei sog. physi-
kalischen und psychischen Phänomenen genaue Aufklärung gibt und diese, wo
nötig, an Abbildungen erläutert. Es ist also keine theoretische Darlegung
von Betrugsmöglichkeiten; alle dargelegten Tricks sind vielmehr, wie der
Verfasser betont, von ihm in seiner langjährigen Praxis als ,,Medium" tat-
sächlich und mit Erfolg angewendet worden. Das Buch bietet somit einen
wertvollen Einblick in die Methoden von Schwindelmedien aus der Blüte-
zeit des amerikanischen Spiritismus und ist auch heute noch lehrreich. Auf jeden
Fall ist die Neuausgabe dankbar zu begrüßen. Und das einsichtsvolle Verhalten
der englischen Okkultisten sollte ihren deutschen Kollegen zum Muster dienen.
Graf Carl v. Klinckowstroem.
Carl Christian Bry: „Verkappte Religionen." 4.-6. Tausend.
Gotha-Stuttgart, Verlag Fr. A. Perthes A.-0., 1925. 8 0 . VIII und 250 S.
Ein originelles und geistreiches Buch! „Verkappte Religionen" nennt Verf.
Bewegungen, deren Hintergründe affektbetont sind: Kommunismus und Faseis-
Besprechungen. 239
Augendiagnose und läßt die, welche sie ausüben, nicht im Lichte des Betrugs er-
scheinen, ohne freilich ihr Vorgehen zu rechtfertigen. Betrachtet man die Ent-
wicklung der Medizin von den Tagen an, da im Zeitalter der Hexenprozesse
Horoskop, Harn- und Augenuntersuchung und dergleichen die wesentlichen
Methoden des Arztes darstellten, bedenkt man dann die im engstirnigen Jahr-
hundert der Aufklärung eingetretene Reaktion, den Rationalismus noch der
Generation unserer Väter, dann wird man eher geneigt sein. die Augen-
diagnostiker als. Opfer einer tiefen Tradition, einer nicht unbegründeten histo-
rischen Kontinuität zu betrachten. In diesem Lichte besehen, wird man der
Augendiagnose nicht einmal — ohne sie von der Schuld medizinischer Fehl-
leistungen freizusprechen -- ein nützliches Moment absprechen können: sie trägt
mit dazu bei zur Zerstörung eines Zeitalters, dessen Überwindung dringend ge-
boten erscheint.
Und der Okkultismus? Geht man von einem ernsten und wohldefinierten
.
Sinn dieses Begriffes aus, so hat die Augendiagnose nichts mit ihm zu schaffen.
Wie mancher gute Arzt mag freilich auch der Irisdeuter stark mit den Mitteln
der Suggestion und der Hypnose arbeiten. Aber das berührt die Augendiagnose
im besonderen nicht. Die Augendiagnostiker sind keine Hellseher, allein ihre
Resultate beweisen es, und dann beweist es schließlich auch ihre Arbeitsmethode.
Denn allen bisher aufgefundenen Bedingungen des Hellsehens in jeglicher Form
widerspricht es, daß der Augendiagnostiker zu jeder Tages- und Nachtzeit bereit
ist, Diagnosen zu stellen, daß er nicht daran denkt, bei seingn Patienten die an
ein Medium zu stellenden Ansprüche geltend zu machen usf. Daher kann nur mit
Salzer die Forderung erhoben werden, daß von seiten eines ernsi gemeinten
Okkultismus entschieden jeder Annäherungsversuch der Augendiagnostiker ab-
gelehnt werden muß. Dr. H.Dreyfuß.
Dr.Gustav Zeller: „Okkultismus unddeutsche Wissenschaft
seit Kant und Goeth e". 1. und 2 Auflage. Verlag Max Altmann. Leip-
zig. 1922. 40 S.
Die kleine Schrift Zellers stellt einen wirksamen Protest der gegen die
Gleichgültigkeit, die die offizielle deutsche Wissenschaft gegenüber der okkulten
Forschung bisher an den Tag gelegt hat. Sie betont mit propagandistischem Ge-
schick und mit Temperament, daß es sich bei dem okkulten MaterW heute nicht
mehr um Möglichkeiten und Vermutungen handelt, um Dinge, die man je nach
Willkür annehmen oder ablehnen kann, sondern um einen mehr oder weniger
geschlossenen Komplex von Tatsachen, an denen kein Forscher, keine Wissen-
schaft mehr vorübergehen darf. Der geschichtliche Überblick, der den Hauptteil
der Broschüre bildet, beschäftigt sich weniger mit diesen Tatsachen selbst, als
mit der Beurteilung, die sie von Kant bis zu Dr iesch und Konstantin
Österreich bei den wenigen deutschen Forschern von Rang. die dieses Gebiet
ihrer Aufmerksamkeit würdigten, gefunden haben. Bei den zahlreichen Literatur-
angaben wurde auch die Zeitschriften-Literatur in ausgiebigem Maße berück-
sichtigt, und mancher Fingerzeig bewährt sich dabei auch für den, der sich auf
diesem Felde einigermaßen zu Hause fühlt, als brauchbar. Daß der Verfasser die
Gelegenheit wahrnimmt, auf die von ihm als Spiritisten empfundene und auch
in seinen anderen Publikationen des öfteren nachdrücklich betonte Unzulänglich-
keit der den Spiritismus ausschließenden Erklärungshpothesen hinzuweisen, sei
ihm nicht verdacht; daß er sich dem stillschweigenden Übereinkommen der
deutschen okkulten Forscher, H. Dur ville nicht ernst zu nehmen und nicht
mehr zu zitieren, nicht anschließt, sei ihm sogar gedankt. Aber die nationalisti-
schen Entgleisungen des Schlußabschnittes hätte er sich füglich sparen
dürfen. Sätze wie der folgende: „Die Deutschen, als das philosophischste Volk
der Welt, wollen philosophisch und religiös, nicht bloß politisch und sozial ge-
führt werden, um das ihnen gesteckte Ziel, ein anderes als das der
übrigen, nur auf ihren eigenen Vorteil und Gewinn bedach-
ten Völker. zu erreichen" können nur benebeln und schaden.
Eberhard Ruchne r.
Zur Frage der Biostrahlen.
Von Albert Hofmann, Mehlem.
Mit 4 Abbildungen.
nächst gießt man auf den Boden der Hülse eine Schicht nur eben über
den Schmelzpunkt erwärmten Paraffins von 2 1 / 2 cm Höhe. Ist sie erhärtet,
was immer eine geraume Zeit verlangt, dann stellt man die Flasche
darauf und befestigt sie mit drei kleinen Holzkeilen am oberen Rande,
um ihre zentrale Stellung in der Hülse zu sichern. Nun stellt man einen
Eisenstab, etwa 250 g schwer, durch den Hals in die Flasche und füllt
den leeren Raum zwischen Hülse und Flasche in 2-3 Güssen voll,
immer mit Paraffin, das nur 2 30 höher erwärmt ist, als dem Er-
starrungspunkte entspricht ; am Schlusse entfernt man die drei Holzkeile
und füllt ihren Platz mit Paraffin aus. In den Deckel gießt man eben-
falls eine 1 1 / 2 ein hohe Schicht von Paraffin.
Nach 8 Tagen Ruhe ist die Vorrichtung gebrauchsfertig. Den Flaschen-
hals schließt man mit einem gut paraffinierten Korken.
1292
4 4f'2 .>21
Abb. 1.
Zur Messung der Ladung läßt man den Goldknopf 1 Minute lang
in 1 cm Abstand auf das geladene Elektrometer wirken und bestimmt
den Ladungsverlust desselben. Dabei wird angenommen — bis auf weiteres
dürfte dies zulässig sein —, daß die Ladung der Emanationsflaschen um
so stärker ist, je weiter der Spannungsverlust des Elektrometers unter ihrem
Einflusse geht.
Man kann auch eine Entladungskurve aufzunehmen versuchen, in-
dem man die Ladungsflasche mittelst einer Schnur mit der Erde in Ver-
bindung bringt und alle 5 Minuten feststellt, wie weit die Zerstreuungs-
fähigkeit auf das geladene Elektrometer gesunken.
Eine aufgeladene Flasche blieb mit dem eingeführten Drahte au
dem Laboratoriumstische stehen.
Sofort gemessen ergab sie ein Zerstreuungsvermögen von
175 Volt auf 50 Volt,
nach 1 Stunde
von 175 „
nach 2 Stunden
von 175 „ ca. 90
nach 4 Stunden
von 175 „ ca. 110.
nach 6 Stunden
von 175 „ ca. 125
nach 24 Stunden war sie vollkommen entladen.
Ähnliche Versuche müßten in einer Anstalt wiederholt werden, wo-
selbst zugleich über die Versuchspersonen eine stete Kontrolle ausgeübt
werden kann. Gelegentliche Messungen, wie ich sie z. B. als Privatmann
vornehmen kann, können über die Zusammenhänge der Emanierfähigkeit
mit dem Gesundheitszustande, den etwa genossenen Narkotika usw. keiner-
lei Aufschluß geben, und es sind gerade diese Zusammenhänge, die allein
Interesse einflößen können. Dabei würden die Verladeverhältnisse ver-
schiedener Salzlösungen bestimmt werden, aber auch reine Säuren und
Alkalien mit in Betracht genommen werden.
Vorläufig arbeitete ich mit den Nitraten von Barium, Blei und Uran,
die verschiedene Aufspeicherkoeffizienten haben.
Als einfacher, aber unbezweifelbarer Beweis für die Existenz der
„Strahlen" diene folgender Versuch :
Auf ein Glasplättchen von 22 X 22 mm Seite wurde ein Blatt
Stanniol von 20 x 20 min geklebt. An zwei einander gegenüberliegenden
Ecken wurden Drähte von 0,2 mm Stärke angelötet 1). Mittelst eines
') Das Löten von Stanniol geht nicht leicht, trotz der Anwendung von „Tinol",
einem sehr leicht fließenden Lote. Deshalb rate ich zu einer anderen Befestigungs-
methode, die keinerlei besondere Handfertigkeit erfordert. Man läßt an beiden Ecken
des Stanniolplättchens davon ein Stück 5 X 10 mm groß überstehen. Diesen Lappen
wickelt man 2-3mal um den Leitungsdraht, biegt das überstehende Ende (5 mm)
zurück und verkupfert alsdann diese Stelle in einem gewöhnlichen elektrolytischen
Bade, und zwar erst die eine Ecke, dann die andere Ecke. Diese Verbindung ist voll-
ständig einwandfrei und dauernd brauchbar.
246 Albert Hofmann.
I, - Lotstellen ,
did2-Ableibingsdrähte
K= .ffinicem,auf den,das
alasplattchen ge-
klebt ist
.11 = Hall , iiralzt
Ga,
Leitungssehena,
Abb. 3.
Axe
m
#
Abb. 3 a.
wird sich in der Luft auflösen und kann nicht auf die andere Seite des
Plattchens A wirken.
Um aber dem bezeichneten Einwurfe noch gründlicher zu begegnen,
wurde an Stelle der Hand in das Loch des vertikalen Brettes eine Por-
zellanschale gebracht, in der ein Schwamm mit lauwarmem Wasser lag.
Derselbe wirkte auf die Unterbrechung auf der Glasplatte in keiner
Weise ein, wie der Stillstand des Galvanometers zeigte.
Bei einigen Personen war der Ausschlag des G-alvanometers h tempo
zu beobachten ; bei andern dauerte es einige Sekunden, bis die angestrahlte
Emanation zur Überbrückung ausreichte.
Ein Hr. Sch. gab 2° Ausschlag, ein Hr. F. 50, ein Frl. R. 6 1/ 2 0 , ein
Mädchen von 16 Jahren (noch ohne Menses) =- 22'/ 2 °. Selbstverständlich
bildet die Zahl der Personen, die keine Emanation zeigen, die große Masse 1).
1 ) Ob man diese Zahlen direkt als Maßstab dienen lassen kann, oder man daraus
erst eine korrigierte Zahl abzuleiten habe, soll später untersucht werden. (Verf.)
Anmerkung bei der Drucklegung: Nachdem die Menses eingetreten waren, konnte
eine nochmalige Prüfung vorgenommen werden. Der Ausschlag des Galvanometers war
jetzt kaum 1 °.
248 R. W. Schulte.
verschieden schlecht (wie man es nimmt) beobachten. Ferner konnte mit der größten
Eindeutigkeit, unter Zuhilfenahme eines ganz einfachen Reaktionsprüfers, der Beweis
geführt werden, daß es dem menschlichen Bewußtsein unmöglich ist, in
Bruchteilen einer Sekunde, mit voller Klarheit verschiedenartige Apper-
zeptionsobjekte gleichzeitig zu beobachten. Ja, es gelang sogar, ebenfalls
mit ganz einfachen Hilfsmitteln, darzutun, daß auch b ei längerer Beanspruchun g,
und vielleicht gerade da, eine Verteilung derAufmerksamkeit, selbst bei
E in ub ung auf verschiedene und besonders verschiedenartige Tatbestände, auß e r-
ordentlich erschwert und beinahe unmöglich ist. Eine einzige Frage, eine
Verzögerung des Vorsignals bei Reaktionsversuchen, besonders aber schon geringe
Schreckreize, suggestiv wirkende Instruktionen und endlich besonders die Erzeugung
von gefühlsstarken Vorstellungen und Affekten, vermögen sofort die klare Auffassung
und Beobachtung der Versuchs-, in diesem Falle der Kontrollperson, auf das wesent-
lichste zu beeinträchtigen.
Ich möchte, genau wie ich es auf dem Gebiete der Zeitmessung für Sport und
Verkehrswesen angeregt und durchgeführt habe, ganz besonders auch für okkultistische
Forscher eine Eignungsprüfung und besonders das Anlernverfahren zur
eigenen Kontrolle auf das dringendste empfehlen, besonders aber den Rat geben, daß
ein jeder, und gerade der wissenschaftlich eingestellte Forscher, der sich mit dem
Problem des Okkultismus beschäftigt, zuvor im psychologischen
Laboratorium sich selbst untersuchen und die grundlegenden Ver-
haltungsmaßregeln erklär en läßt. Jeder, der das Gebiet kennt, wird mir
bestätigen, daß manchem dabei die Augen aufgehen werden.
Beim Okkultismus handelt es sieh um so dif f iz i 1 e Psy ch o p h än o m en e und
um so schwer durchfuhrbare psychologische Kontrollmaßnahmen,
daß die Forderung, bei jeder ernst zu nehmenden okkultistischen Kontrolisitzung einen
oder mehrere Fachpsychologen hinzuzuziehen, noch viel zu gering erscheint. Das Ideal
ist unbedingt, das menschliche Bewußtsein überhaupt gänzlich aus-
zuschalten, seine vielfachen und vor allem nicht immer bekannten Fehler-
möglichkeiten mit Sicherheit auszuschließen und an die Stelle des be-
sonders in kritischen Situationen unzuverlässigen, menschlichen Bewußtseins eindeutige
und rein mechanisch und automatisch arbeitende, gesicherte tech-
nische Vorrichtungen möglichst mit räumlicher und zeitlicher Regi-
strierung des Tatsachenverfaufes und am besten mit mehrfacher
gegenseitiger selbsttätiger Kontrolle zu verwenden.
Ich habe im Gespräch mit Okkultisten vielfach darauf hinweisen können, daß
nicht der Schein einer exakten wissenschaftlichen Kontrolle in Form eines „parapsycho-
logischen" „Laboratoriums" oder eines Aufwandes von Apparaten das Wesentliche sei
und daß auch die Vielheit der Kontrollbedingungen nur pseudowissenschaftlich und des-
halb nicht maßgeblich sei, sondern daß es darauf ankommt, die kritischen Punkte
der Kontrolle physikalisch und psychologisch mit unbedingter
Sicherheit zu erfassen und hier jede Möglichkeit eines andersartigen Zustande-
kommens zu vernichten.
Wenn wir uns erinnern, mit welcher ungeheuren und immer wieder raffiniert ge-
steigerten Genauigkeit die chemischen Laboratorien gegenwärtig die behauptete Trans-
formation von Quecksilber in Gold nachprüfen und wie außerordentlich widersprechend
hier infolge der von mancher Seite angenommenen noch bestehenden Unzuverlässigkeit
der Kontrollbedingungen die Ergebnisse sind, so werden wir das M oll sehe Postulat
durchaus unterschreiben müssen, daß es nicht genüge, von 60 Löchern eines Siebes
59 zu stopfen und durch das letzte dem Betrug, dem Zufall oder einer natürlichen Ent-
stehungsweise eine Möglichkeit offen zu lassen.
Vielleicht werde ich in einer späteren Arbeit Möglichkeiten und Forderungen für
eine exakte wissenschaftliche Kontrollmethodik bei okkultistischen
Dunkelsitzung en vorschlagen. Ihre größte Bedeutung sehe ich in der absolut
zuverlässigen Ausschaltung der in der mangelhaften Beschaffen-
heit des menschlichen Bewußtseins gelegenen Täuschungs- und
252 R. W. Schulte.
Blattes erheblich vergrößert gegen das Fenster geworfen und konnte so eine Il lusion
von ausgesprochen unheimlichem Charakter erzeugen.
Weiter habe ich in der Zeit der gehäuften Dachstuhlbrände in Berlin abends mehr-
fach feststellen können, daß Straßenpassanten behaupteten, aus einem bestimmten Hause
Rauch und Feuer aufsteigen zu sehen, was sich dann nachher als Sinn estäuschung
infolge der bestimmten Einstellung erwies. Hunderte oder vielleicht Tausende von Fällen
ließen sich aus dem Felde berichten, wo die Soldaten nachts glaubten, Feinde fest-
zustellen, und besonders auf Horchposten und im Schützengraben usw. einfach darauf los-
knallten. Von meinem Schwager wurde mir z. B. ein Fall berichtet, wo ein nächtlicher
Überfall auf die Russen in der Sumpfgegend der Schtschara dadurch vereitelt wurde,
daß einer seiner Soldaten plötzlich Gegner zu sehen glaubte und schoß. Man erinnere
sich auch der Massenpsychose der „Spionenfurcht" in den ersten Kriegswochen.
Besonders häufig treten diese durch zahllose Beispiele des täglichen Lebens zu
erweiternden Fälle dann auf, wenn die Wahrnehmung in d er Dunkelheit er-
folgt. Geheimrat So mm er konnte mittels einer Leuchtmaske, die aus Papier, Schleier-
gewebe und Schwefelkalzium zusammengesetzt war, den Eindruck einer Geistererschei-
nung hervorrufen. Bekanntlich sieht die Anthroposophie St ei ne rs durch das sog. geistige
Schauen alle möglichen Gestalten, die für jeden unbefangenen Menschen und vor allem
den Psychologen den Eindruck allergrößter Subjektivität machen müssen.
Schon nach allen diesen Bemerkungen erscheint es wunderbar, daß das unter den
— psychologisch gesprochen — günstigsten Bedingungen erfolgende Auftreten von
okkultistisch ui Phänomenen eigentlich längst nicht eine so große Sache darstellt wie
die viel bedeutenderen Produktionen eines geschickten Taschenspielers, die in vollstem
Licht ausgeführt werden und zu denen erschwerend der Umstand hinzutritt, daß
jeder sich mit höchster Konzentration bemüht, hinter den Trick zu kommen.
Auch die sog. Kristallvision en auf parapsychologischem Gebiete gehören hierher.
Ferner liefert vor allem die forensische Psychologie zahlreiche Beispiele von Illusionen.
Besonders berichtet Mar b e über mehrere Fälle, wo zufällig im Walde befindliche
Menschen für Wild gehalten und angeschossen wurden. Jeder, der einmal auf dem
Anstand gesessen hat, weiß, wie groß das Jagdfieber als „Einstellung" brennen kann.
Klein t führt in seiner Arbeit eine Reihe von interessanten Beispielen an, von denen
wir nur das folgende (nach Hellwig) wiedergeben wollen. Nach einem ehelichen Zwist
läuft eine Frau erregt weg. Einige Zeit darauf hört der betreffende Ehemann Lärm
und erfährt, daß eine Frau in den in der Nähe fließenden Fluß gesprungen sei. Die
Frau wurde ans Land gezogen und der Mann erkannte mit Bestimmtheit'seine Frau.
Als er sich jedoch später in das Schlafzimmer begibt, findet er dort seine Frau schlafend.
Die gefühlsmäßige Einstellung hatte in diesem Falle trotz heller Lampenbeleuch-
tung und trotz fehlender Ähnlichkeit den Mann und außerdem drei Ge-
schwister von ihm stundenlang in diesem Irrtum gehalten.
In der Kinderpsychologie und vor allem auch in der Tierpsychologie spielt die
Einstellung eine wichtige Rolle. Bekannt ist ja das Beispiel der sprechenden Hunde,
wo Pf ungst zu dem Schluß kommt, daß nicht der Hund das vermeintliche Wunder-
tier ist, sondern der Mensch als Opfer der Illusion. Erinnert sei ferner an die nach-
her als Irrtum erwiesene Odlehre R ei ch enbachs, sowie an die sog. N-Strahlen
der Nancy er Schule, deren Nichtexistenz später bewiesen wurde. Interessant sind
auch die Beobachtungen des Astronomen N ew c omb über die Sichtbarkeit und Deutung
schwacher dunkler Linien auf hellem Grunde, um die Streitfrage der Marskanäle zu
klären. Die Ergebnisse, die dabei gewonnen wurden, waren so ausschlaggebend, d. h.
die Fehlerquellen so groß, daß auch andere Astronomen sich mit diesem Problem der
Täuschungsmöglichkeit bei Himmelsbeobachtungen beschäftigten.
Bekannt ist die auch von Yu n g beobachtete Tatsache, daß Studierende manch-
mal Zeichnungen von Präparaten liefern, die gar kein Objekt enthalten; ferner der von
Kroh erwähnte Umstand, daß Ärzte schon vor dem Aderlaß, infolge ihrer Einstellung,
Blut spritzen sehen. Bei Experimenten kommt es sehr häufig vor, daß man (so auch
Mach) das Eintreten eines Phänomens eher zu beobachten glaubt, als es in Wirklichkeit
eintritt.
254 R. W. Schulte.
sie auch bei längerer Beobachtungs dauer auftreten. Ferner ist wichtig,
daß zwischen der Sehfähigkeit und der Häufigkeit der optischen Illusionen kein Zu-
sammenhang besteht, es sich also offenbar um rein zentrale Bewußtseins-
fragen handelt. Wenn eine Illusion einmal aufgetreten ist, so ist es relativ gleich-
gültig, ob der zu Grunde liegende Gegenstand deutlicher wird. Bei geringerer
Helligkeit treten die Illusionen in erhöhtem Maße auf.
Nach allen diesen Darlegungen erscheint die Zuverlässigkeit subjektiver Kontroll-
maßnahmen bei okkultistischen Sitzungen, insbesondere bei Dunkelsitzungen, bereits
sehr bedenklich, besonders wenn man das bekannte stundenlange Murb emach en
des Bewußtseins belücksichtigt, wenn man ferner die starke vorstellungs-
mäßige und affektiv hochgespannte Erwartung und Einstellung der
Sitzungsteilnehmer, die unbedingt etwas „erleben" wollen, in Betracht zieht. Wer unter
diesen Umständen noch glaubt, nach einiger Zeit durch bloßes Kontrollieren mittels
Handkette und Auge eine hinreichende und zwingende Kontrollmaßnahme zu gewähr-
leisten, der muß es sich schon vom wissenschaftlichen Standpunkte aus gefallen lassen,
der größten Fahrlässigkeit und Leichtfertigkeit geziehen zu werden.
Uns genügten jedoch diese Erfahrungen nicht, sondern wir haben selbst auf Grund
der im Berliner Okkultistenprozeß aufgetretenen Meinungsverschiedenheiten eine Reihe
wichtiger und maßgeblicher Kontrollbedingungen eingehend experimen-
tal-psychologisch untersucht').
Den äußeren Anlaß dazu bot ein Sitzungsprotokoll, das als besonders be-
deutungsvoll von den Berliner Okkultisten veröffentlicht wurde und aus
') Mit freundlicher Unterstützung, vor allem meiner langjährigen Mitarbeiter, der
Herren Lehrer Nolte und Dipl.-Ing. Er d tm a n n , sowie mehrerer Sportlehrer, be-
sonders des Herrn Turn- und Sportlehrers Friesecke, und Studenten.
Untersuchungen zur Prüfung der Kontrollbedingungen bei Dunkelsitzungen. 255
diesem Grunde Anlaß zu der schärfsten Kritik des Geheimrats M o 11 gab. Die Haupt-
punkte schildern etwa folgenden Vorgang, dessen genauer Text in den Originalproto-
kollen nachgelesen werden muß.
Um einen Tisch herum sitzen in einem zuvor oberflächlich untersuchten Raum
eine Anzahl von Kontrollpersonen, in deren Mitte sich das zuvor nicht untersuchte
Medium befindet. Zu dem Kreis der Kontrollpersonen gehört auch die Tochter des
Mediums. Das Licht wird gelöscht. „Sofort" nach Lichtlöschen wird das Medium
an beiden Händen angefaßt und Kette gebildet. Es treten nun nach etwa 10 Minuten
die bekannten „mediumistischen Wehen" auf, d. h. starke Affekterscheinungen des
Mediums und tranceähnliche Zustände. Nach einiger Zeit erhebt sich das Medium nach
heftigen Krampferscheinungen, die eine der Kontrollpersonen fühlt Schläge am Ober-
arm; dann wird nach Stöhnen und Seufzen des Mediums festgestellt, daß irgend etwas
vorgegangen ist, und endlich befinden sich auf den dem Medium zugewandten Ober-
armen der Kontrollpersonen links und rechts je ein Holzreif von 28 cm Durchmesser,
obwohl die Kette noch geschlossen und nach bestimmten Angaben nicht gelöst worden
ist. Der Ring wird sofort untersucht und nichts Auffälliges an ihm gefunden.
Wieder wird verdunkelt und die Sitzung unter ähnlichen Bedingungen fortgesetzt.
Nun entwickelt sich nach einiger Zeit unter den Händen der Kontrollpersonen, bzw.
auf dem Tisch, Buchsbaum.
Die Erklärung dieser Wunder wird von den Okkultisten in der Weise gegeben,
daß Ringe und Buchsbaum sieh dematerialisiert und dann richtig wieder zusammen-
gesetzt hätten.
Als Wissenschaftler muß ich dabei fragen, ob es in Anbetracht alles bisherigen
menschlichen und wissenschaftlichen Erfahrungsbestandes denkbar oder möglich ist, daß
ein in sich geschlossener Reifen bei ständig geschlossener Armkette über den Arm
gelangen kann oder ob nicht vielmehr andere natürliche Erklärungsmöglichkeiten bei
diesem Experiment anzunehmen sind.
Wenn die Okkultisten bAaupten, ein einwandfreies Phänomen festgestellt zu haben,
so sind sie uns dafür den Wahrheitsbeweis schuldig, d. h. sie müssen beweisen,
daß die Phänomene unter denvon uns geforderten wissenschaftlich
einwandfreien Kontrollbedingungen entstanden sind. Nach unseren
bisherigen Ausfuhrungen wird es wohl ohne weiteres klar sein, daß die in dem er-
wähnten Protokoll geschilderten Vorgänge ganz ungemein subjektiv, ohne
Verwendung auch nur eines primitiven technischen Hilfsmittels, verfolgt wurden. Da
jedoch bei okkultistischen Sitzungen sehr häufig eine derart naive Kontrolle angewandt
wird und man trotzdem, falls es sich nur um maßgebliche Namen von Gewicht handelt,
der ehrenwörtlichen Erklärung der Kontrollpersonen vielfach mehr
glaubt als dem wissenschaftlichen Hinweis auf die Unzulänglichkeit
unseres Bewußtseins, so wurden von uns ganz ausfuhrliche Kontrollreihen durch-
geführt, um auf experimental-psychologischem Wege die Zuverlässig-
keit dieser Kontrollbedingungen nachzuprüfen.
Wir haben im ganzen an 12 langen Abenden, die über ein halbes Jahr verteilt
wurden, über 50 Versuchspersonen in Einzel- oder Gruppensitzungen,
in bezug auf ihre Wahrnehmungsfähigkeit und die Täuschungsmöglichkeiten bei solchen
Sitzungen untersucht.
Bei den wirklichen okkultistischen Dunkelsitzungen handelte es sich um sehr k o m-
pl ex e Kontrollbedingungen. In dem..zur Diskussion stehenden Protokoll be-
haupteten die Kontrollpersonen, sie hätten auch Fußkette gebildet. Was wäre nun wohl
geschehen, wenn sich die Reifen plötzlich an den Füßen befunden hätten? Jedem
Fachpsychologen ist es klar, daß eine gleich z ei ti g e K o ntr olle sowohl der
Hand- wi e der Fußkette psychologisch ein Unding ist. Trotzdem haben wir uns
bei unseren Untersuchungen den strikten empirischen und fachwissenschaftlichen Be-
weis dieser Tatsache vorgenommen. An Stelle der komplexen tatsächlichen
Situation bei okkultistischen Dunkelsitzungen haben wir, wie es bei
jeder exakten wissenschaftlichen Forschung üblich ist, die K o ntr o 1 lb e d in gu n gen
256 R. W. Schulte.
erscheinungen dabei auftreten. Auf der anderen Seite wurden vielleicht Argumente ge-
sucht für bereits bestehende Hypothesen.
Ich wurde vielleicht aus Wissensdurst (evtl. auch Neugierde) dazu getrieben, hierher
zu kommen.
3. Spukerscheinungen sind mir nicht fremd.
Habe oft des Nachts auf meinem Bett weiße Nebelerscheinungen, die auch für
mich nicht sofort verschwinden, wenn ich dann vollkommen wach bin. Wenn ich allein
bin, habe ich oft das Gefühl, daß jemand bei mir ist. Es lösen diese Dinge bei mir
aber kein unangenehmes Gefühl oder gar ein Gruseln aus."
Im wesentlichen ergaben sich folgende Typen:
1. Solche, die zuviel sehen, d. h. Vorgänge angeben, die in Wirklichkeit nicht
passiert sind, also der zu Halluzinationen neigende Typ.
2. Solche, die tatsächliche Vorgänge in ihrer Wahrnehmung und Auffassung ent-
stellen, also dem Typ der Illusio neu angehören.
3. Solche, die tatsächliche Vorgänge nicht wahrnehmen, d. h. hören, fühlen, sehen
usf., also der Typ der Konzentrations- oder Reproduktionsversager.
Die Erwartung spielte besonders bei den Versuchspersonen, die etwas „er-
leben" wollten, eine sehr große Rolle ; aber auch Affekte, besonders kleine Schreck-
reize, ferner suggestives Zureden, Erzeugen von unheimlichen Geräuschen, Stimmungen
usf. ließen fast mit Leichtigkeit bestimmte Einstellungen und damit sub-
jektive Täuschungen entstehen.
Manchmal wurdeu rätselhafte Lichterscheinungen oder Klopfgeräusche angegeben,
wo sie tatsächlich gar nicht aufgetreten waren Unter der Einwirkung der Dunkelheit
wurden bestimmte Reize, z. B. ein auf den Tisch geworfenes Taschentuch, gänzlich
verändert wiedergegeben, z. B. als feuriger Lichtblitz usf. Räumliche Schätzung
von akustischen Reizen im Raum wurden in vielen Fällen gänzlich falsch angegeben.
Bekanntlich wurden alle diese Gesetzmäßigkeiten in okkultistischen Sitzungen vielfach
zu betrügerischen Manipulationen verwendet.
Die Entf ernungsschätzung versagte bei diesen Versuchen sehr häufig;
gerade auch in Rotlichtsitzungen wurden erhebliche Schätzungsfehler festgestellt. Hier-
bei kamen ganz grobe Täuschungen vor, so z. B., daß bei einem Einzelversuch e in
Teilnehmer überhaupt nicht merkte, daß das ziemlich starke Rot-
licht, von dem das Zimmer erheblich beleuchtet wurde, etwa 20mal aus- und ab-
geschaltet wurde. In diesem Falle wurde lediglich das Knipsen des Schalters in
einigen Fällen angegeben und durch Befragen festgestellt, daß die Versuchsperson die
sehr erhebliche Veränderung in der Beleuchtung des Raumes gai nicht wahrgenommen
hatte.
Bewegungen eines Vorhanges vor dem Fenster, auf den geachtet werden sollte,
wurden vielfach nicht oder aber falsch angegeben. Mit Hochfrequenz-Diathermieröhren,
kapazitiv angeschlossenen Lautsprechern, durch Schnurzffge in Bewegung gesetzten
Schallklappen und Fallgeräuschen, durch mit Film- und Projektionsapparaten schwach an
die Wand geworfene Bilder, die momentan auftreten und wieder verschwinden konnten,
durch geheimnisvolle, schwache Beleuchtung eines Gipsschädels und viele andere Reize
konnte nach Belieben experimentell eine große Fülle der interessan-
testen Illusionen erzeugt werden.
Besonders charakteristisch waren die mit zunehmender Müdigkeit immer leichter
und häufiger auftretenden Parästh esi en, z. • B. Makropsien, d. h. ein Vergrößert-
Sehen von Gegenständen, die mit besonderer Erwartung, Konzentration oder innerer
affektiver Einstellung betrachtet werden. Die bloße Suggestion, auf die Hand des Nach-
bars bei der Kettebildung zu achten, veranlaßte mehrere Teilnehmer, insbesondere Damen,
plötzlich ihre Finger ins Riesenhafte vergrößert zu sehen.
Die Raumvorstellung, besonders unter dem Einfluß der Suggestion, nahm ebensolche
absonderliche Dimensionen an. Weiter fühlten manche Teilnehmer deutlich magnetische
elektrische Ströme, während andere nur Erhöhung des Pulses (eine sehr charakteristische
Erscheinung bei den meisten unserer Versuchspersonen, die häufig trotz beruhigenden
Zeitschrift für Okkultismus 1. 17
258 R. W. Schulte.
Zuspruches sehr aufgeregt waren) feststellen konnten, wie überhaupt nach unserer früher
gegebenen Bemerkung die persönlichen Unterschiede der Verhaltungsweise recht be-
trächtliche waren.
Besonders interessierten uns die Täuschungen des Tastsinnes in der
Dunkelheit. In einer früheren Arbeit') aus dem Wundtschen Institut haben wir aus-
drücklich nachgewiesen, daß benachbarte Druckempfindungen sich gegen-
seitig summierend oder hemmend beeinflussen. Zur Untersuchung
der konzentrativen Leistung des Tastsinnes bei der Bildung der Handkette wurde
von uns zunächst die in Abb. 1 dargestellte Anordnung benutzt, bei der die eine
Hand auf eine Korkkugel gelegt wurde, durch deren Durchbohrung ein Holzstab nach
unten führte, so daß der Versuchsleiter durch Heben des Holzstabes die Innenfläche
der Hand leicht berühren konnte. Es zeigte sich im allgemeinen, auch bei längeren
Versuchen, daß isolierte punktförmige Reize ziemlich leicht, auch bei Verteilung der
Abb. 1.
Aufmerksamkeit auf verschiedene Sinnesgebiete, wahrgenommen werden können. Das
stimmt mit den Erfahrungen der Psychologie durchaus überein, die festgestellt hat, daß
differente, punktf örmige, etwa in Dreiecks-, Vierecks- oder Kreisform gesetzte
Reize zu einer ziemlich guten räumlichen Wahrnehmung und Vor-
stellung führ en, daß jedoch dieselben geometrischen Figuren in fläch en-
f örmiger Reizung zu den größten Irrtümern und Täuschungsmög-
lichkeiten Anlaß geben können. Genau dasselbe ergab sich bei unsern Ver-
suchen zur Prüfung der taktilen Täuschungsmöglichkeiten in der Dunkelheit.
Wir machten dazu folgenden Komplexversuch: die zu prüfende Kontroll-
person saß in einem verdunkelten oder schwach erleuchteten Zimmer auf einem Stuhl.
ihr zur Seite saßen zwei VersuchAeiter, die mit der zu prüfenden Versuchsperson
links und rechts Hand- und gleichzeitig Fußkette bildeten. Außerdem befanden
') R. W. Schulte, Die gegenseitige Beeinflussung von Druckempfindungen. Mit
15 Abb. im Text. — In „Wundts Psychologischen Studien", X .Bd., 4. und 5. Heft. Leipzig
1917. (Aus den Veröffentlichungen des Sächs. Forschungs-Institutes für experimentelle
Psychologie). Vgl. auch R.W. Schulte, Eine Modifikation des Moedeschen Tastsinnprüfers
für die Zwecke der Konzentrationsschulung. (Mit 1 Abb.) „Die Werkzeugmaschine", 1920,
und viele psychotechnische Konstruktionen zur Prüfung des Tast-, Muskel- u. Gelenksinnes.
Untersuchungen zur Prüfung der Kontrollbedingungen bei Dunkelsitzungen. 259
sich im gleichen Raum weitere Kontrollpersonen, die optische und akus ti s ehe,
evtl. auch Schreckreize gaben. Jeder Versuchsleiter hatte für sich die Versuchs-
person zu überwachen und darüber Protokoll zu fuhren.
Die Versuche wurden einmal in der Weise ausgeführt, daß der Versuchsleiter, also
das vorgestellte Medium, seine Hand auf die auf dem Tisch liegende Hand der zu
untersuchenden „Kontrollperson" auflegte. Später wurden Versuche in der Weise vor-
genommen, daß umgekehrt der Versuchsleiter, d. h. das „Medium", seine Hand unten
hielt. Die Versuchsperson, also die zu prüfende Kontrollperson, bekam den strikt en
Auftrag, ganz genau auf die dauernde Schließung der Hand- und
Fußkette zu achten und etwaige Unterbrechungen unbedingt in jedem
Falle sofort zu melden, und zwar sollte sie sagen: „Hand" oder „Fuß", „links"
oder „rechts". Außerdem sollte sie bei Licht- und Schallreizen angeben, wann und wo
sie auftraten, also etwa „links vorn am Fenster Licht", „rechts hinter mir Schallreiz"
usf. Es wurde der Versuchsperson immer wieder eingeschärft, daß sie nach Schluß des
Versuchs ein Protokoll abgeben solle und dafür einzust eh en hab e, d aß Hand-
oder Fußkette niemals gelöst seien.
Es war ungemein interessant, zu beobachten, daß manche Versuchsperson en unter
dem Einfluß von Schreckreizen, interessanten Fragen, Wahrnehmungen usf. un will-
kürlich selbst die Hand- oder Fußkette lösten und nachher auf Be-
fragen angaben, die Kette bestimmt geschlossen gehalten zu haben.
Psychologisch ist ja ganz selbstverständlich, daß diese reflektorisch erfolgenden Be-
wegungen dem Bewußtsein vielfach nicht oder höchstens nachträglich zur Kenntnis
gelangen.
Nachdem der Versuchsleiter einmal den Trick heraus hat, braucht er, ich möchte
sagen, eigentlich nur noch mit einer gewissen psychologischen Frech-
heit vorzugehen, um die Versuchsperson in der kürzesten Zeit be-
liebig zu täuschen. Allerdings sind die Versuchspersonen nicht gleich leicht zu
täuschen ; doch gelingt es einem psychologisch gut beobachtenden Versuchsleiter auch
in den schwierigen Fällen 14st stets, Hand- oder Fußkette zu unterbrechen, ohne daß
die Versuchsperson es merkt. In einigen Fällen gelang mir dies in wenigen
Minuten bis zu 6- oder 10mal, während die Versuchsperson nach
Beendigung des Versuchs steif und fest behauptete, beschwören zu
können, daß bestimmt die Kette nicht ein einziges Mal unterbrochen sei.
Besonders einfach gelingt das Lösen der Kette sofort nach Schreckreizen bzw.
wen n man die Versuchsperson irgendwie, oft nur mit einer Kleinigkeit. ab -
lenkt; Singen eines Liedes, Stellen einer Frage, Ausrechnenlassen einer kleinen Rechen-
aufgabe, Erzeugen einer unheimlichen Stimmung, gleichzeitige Berührung mit einem
Staubwedel irgendwo am Körper, längere Zeit dauerndes beunruhigendes Geräusch,
das sich zu nähern oder zu entfernen scheint, lassen derartige Täuschungen auf die
leichteste Weise gelingen.
Sehr schwer fur den Versuchsleiter wird die Täuschung, wenn seine Hand, d. h.
die des Mediums, sich unter der der Versuchsperson (bzw. der zu unter-
suchenden Kontrollperson) befindet. In diesem Falle gehört schon eine
außerordentliche psychologische Anpassungsfähigkeit dazu, die Täuschung zu vollbringen.
Aber trotz der mir persönlich mangelnden taschenspielerischen Geschicklichkeit ist doch
auch dieser Versuch manchmalgelungen, ohne dat, die Versuchsperson das
e rin gste m erkt e. Bei einiger Übung wird sicherlich auch diese Modifikation, die
in der Fachliteratur durch einen bekannten Trick immer wieder erläutert wurde, mit
fast unbegrenzter Wahrscheinlichkeit gelingen.
Das Wichtigste in jedem einzelnen Falle ist jedoch immer wieder die psycho-
logische „Ausnutzung des richtigenAugenblicks", auf die alles ankommt.
Je unbekümmerter und freier, aber auch je vorsichtiger man dabei verfährt, uni so eher
gelingt die Täuschung. Besonders wichtig ist es, unbedingt di e Situation zu b e -
he rrs eh en und einen Versuch im Augenblick des Mißlingens so geschickt umzubiegen,
d. h. etwa durch eine neue Frage oder Aufmerksamkeitserregung bei der Versuchsperson
260 R. W. Schulte.
diese so abzulenken, daß sie nichts merkt. Wie aus den Beispielen der Abb. 2 hervor-
geht, gelingt es auch bei punktförmiger Taktilreizung der Hand und
Beobachtungsresultat
Reiz
(f) 0 •
richtig nicht falsch war obfeidichleeit
angegeben gemerkt miedergegeben, nicht erfolgt
Schall
• 4 4 4 0 0 4 • 4 4 0 0
Licht
4 4 0 4 4 •44
Fuss
4 4. „4;4 0
Hand
Punktföreeige 4 4 4 4 4 4
Itgumg) Zeit
VerS71ChSperSOIL , I 15Min„.
Seluelt
4 4 • 4 4 4 04444
Licht (5(5 •4; (50(5 04; (50 00
Fuss
4; 4;4;.• • 0 (5 00
Hand
ee 4,4 oe Zeit
Versuchsperson II
schnit
Licht
leeee. e. 4 • e
(5 0 (5 (5 •
00 4 ee ,
444
Ass 4; 00(5(5 00(5(5 4•
Hancl (h e cf. •eo •4;4; cr) • .
Zeit
Versuchsperson, III
Schall
4 4
, • 4 0 4 4 4 0 o4; ,
4 0 4Lieht
4 4 • 4•4 4 oe
Fuss 0. 4, .0 .004;.. 00
Hand
e • e e • e ec. e e 4 •4 4 e eeoe
Versuchsperson, IV
> Zeit
Narli,DrRWSehliBr
Abb. 2.
erkennung der Produktionen von Moss, anschließend an ein Urteil von Harry Pric e
im „Journal" der amerikanischen S.P.R., einer Revision unterzogen und die bei der
Geisterphotographie üblichen Tricks eingehend geschildert. Der hier veröffentlichte Auf-
satz Dingwalls ging uns schon Anfang Februar zu, ist also älter als der zweite Ar-
tikel des Herrn General Peter. (Die Schriftleitung.)
264 E. J. Dingwall.
wickeln" zu lassen, so bleibt dem Medium immer der Ausweg, gar nichts
zu produzieren und auf einen Leichtgläubigen zu warten. Die Leistung
ist ja nicht an bestimmte Zeitgrenzen gebunden, und der Geisterphoto-
graph hat es insofern leichter als der Tafelschreiber, als man von ihm
keine Schrift verlangt, deren Herstellung Zeit braucht und sich bei hellem
Licht vollziehen muß. Der Sitzungsteilnehmer fordert vom Geisterphoto-
graphen nur, daß etwas Porträtartiges auf den Platten zutage tritt, dessen
Herkunft nicht auf normale Weise erklärt werden kann. Außerdem braucht
die Herstellung nicht bei Licht zu erfolgen, sie kann sich in der be-
quemen Finsternis der photographischen Dunkelkammer vollziehen, und
unter Umständen wird selbst das überflüssig, wenn man dein Medium den
Gebrauch seiner eigenen Platten gestattet, die es vorher in Muße zu Hause
unter selbstgewählten Bedingungen prili mriert hat.
-
') Der Raum verbietet hier, die Frage des Wiedererkennens zu erörtern. Die
meisten sog. Wiedererkennungen sind wissenschaftlich ganz wertlos. Die Teilnehmer
sind schon mit einem unanalysi erten Totaleindruck zufrieden, zieht man dagegen die
einzelnen Züge des Porträts in Betracht, so wird die Täuschung sofort offenkundig. In
manchen Fällen freilich läßt sich die Ähnlichkeit mit der angeblich dargestellten Person
nicht leugnen, und einige derartige Fälle sind merkwürdig und bieten einer natürlichen
Erklärung Schwierigkeiten.
266 E. J. Dingwall.
empfehlen, die sich für diese spezielle Art von Geisterbekundungen inter-
essieren oder darin Trost suchen."
Die nächste Notiz, die ich sah, stand in „Light" am 16. Mai 1925.
„Herr George H. Moss, das photographierende 'Medium, beweist seine
Begabung durch hervorragende Ergebnisse: Die große Deutlichkeit man-
cher seiner „Extras" (d. h. Porträts) fällt in die Augen, und die sehr
variablen, seltsamen Formen des Ektoplasmas, das die Bilder umgibt,
geben seiner Produktion eine wertvolle eigene Note, die sie von der an-
derer Geisterphotographen unterscheidet."
In der Aprilnummer der „Transactions" des Br. Coll. of Ps. Sc.
bringt die Sekretärin des Vereins, Frau Mc Kenzie einen Bericht über
die von ihr sog. „beweiskräftige Geisterphotographie", wie Moss sie her-
vorbringt. Dieser Bericht und ein anderer, noch erstaunlicherer, hat Gene-
ral Peter das Material für seine Aufsätze geliefert. Moss hatte schon
eine Zeitlang für das College gearbeitet, in den meisten Sitzungen hatte
er seine eigenen Platten benutzt. Mehrere Teilnehmer behaupteten, Ver-
storbene wiederzuerkennen, und Frau M c K en z je reproduziert etliche
der betreffenden Bilder, die aber für den Wissenschaftler ganz wertlos
sind. In der gleichen Nummer der Transactions findet sich auch ein zweiter
Bericht über die mit dein gleichen Medium angestellten Versuche von dem
Vorsitzenden der Gesellschaft, Herrn He wat Mc Kcnzi e. Diese Ex-
perimente entsprachen der üblichen Behauptung der Geisterphotographen,
sie müßten erst die Platten „magnetisieren", ehe sie sie in der Sitzung
benutzen könnten. Man erwog aber, ob nicht doch möglicherweise das in
Frage stehende „Magnetisieren" einen Einfluß auf den sensitiven Belag
der noch nicht entwickelten Platte habe, und um dies zu prüfen, wollte
man eine Reihe magnetisierter Platten entwickeln, daneben aber auch eine
Anzahl unma,gnetisierter. d. h. solcher, die das Medium nicht in Händen
gehabt hatte. Das geschah auch, und zwar nach einer Methode, die, wie
dem Leser in Mc Kenzies Bericht versichert wurde, ziemlich genaue
Protokollierung einschloß und die Anwendung mechanischer Tricks un-
möglich machte. Er schreibt: „Vernünftige Kritik ist willkommen, aber
es wäre Zeitvergeudung, sich mit jedem. ABC-Schützen auf dem Crebiete
okkultistischer Forschung in Wortgefechte einzulassen, der die sorgfältig
gewonnenen Resultate verantwortungsvoller praktischer Experimental-
forschung anfechten will."
Man kann sich aber schwer vorstellen, welchen Wert diese Ex-
perimente haben sollten, da das Medium meist dabei sein durfte, ja sogar
die Erlaubnis erhielt, viele Platten selbst zu entwickeln. Da der Zweck
der Übung doch darin bestand, daß man erproben wollte, welche Ein-
wirkung auf die Platten jenes mediumistische „Magnetisieren" hervor-
bringen könnte, und da man diese Einwirkung auf dem Wege des Ver-
gleiches mit dein Verhalten umnagnetisierter Platten studieren wollte, die
zur gleichen Zeit und unter gleichen Bedingungen entwickelt wurden,
so war, selbst die Echtheit des Mediums vorausgesetzt, die Forderung
unabweisbar, daß das Medium sich während der Entwicklung nicht den
Ein neuer Geisterphotograph. 267
daß man sich durch eine einfache Maßnahme instand setzte, eine etwa
versuchte Öffnung des vom Medium in seine Wohnung mitgenommenen
Plattenpakets nachträglich festzustellen; wenn man aber selbst diese
ganz elementare Vorsichtsmaßregel nicht traf, so mußte schon eine auf-
merksame Prüfung der mit Geisterporträts versehenen Platten zur Ent-
deckung der aufgeraniden Kante führen, wie sie schließlich dem Experi-
mentator in Birmingham gelang. Derartige Kontrollmaßregeln erfordern
nichts als Sorgfalt und Geduld, und doch wurden sie, wie wir gesehen
haben, außer acht gelassen. Wie wenig Vertrauen man den Berichten und
Beobachtungen solcher Forscher entgegenbringen kann, wenn es sich gar
268 E. J. Dingwall : Ein neuer Geisterphotograph.
Bibliographische Auslese.
Die nachstehende Bibliographie gibt eine Auswahl solcher Quellen über Geister-
photographie, die dem fur diesen Gegenstand Interessierten nützlich werden können.
Ich gebe sie in chronologischer Reihenfolge, sie umfassen die ganze Zeit vom Anfang
der Greisterphotographie (gegen 1861) bis auf unsere Tage.
Dämmerung, G. „Ansichten über die angeblich neue Entdeckung von odogno-
stischen Photographien des Dr.William H. Mumler zu Boston in Amerika". 2 S. Wien 1863.
(Eine Notitz uber die fruhesten Arbeiten des ersten amerikanischen Geisterphotographen
W. H. Mumler.) - Gerry, E. T. „The Mumler ‚Spirit' Photograph Case 3. Mai 1869".
New York 1869. (Gibt einen Bericht uber den Betrugsprozeß Mumler im Jahre 1869.)
Muml er, William H. „The personal experiences of W. H. Mumler in spirit photo-
graphy". 68 S. Boston 1875. - Moses, Stainton : Mehrere A rfsätze in der Zeitschrift
„Human Nature", Jahrgang 1874 u. 1875. London. (Ein guter, wenn auch unkritischer
Bericht über die Produktionen der Medien jener Zeit ) - Leymarie, Marina P. G.
„Proces des spirites". 256 S. Paris 1875. (Ein Bericht uber dm Betrugsprozeß des
französichen Geisterphotographen Buguet in Paris.) - L egas, L. La photographie
spirite et l'analyse spectrale comparee. Paris 1875. - Hough Co n, Georgina. „Chro-
nicles of the photographs m' spiritual beings. X u. 273 S. London 1872. tOhne Beweis-
kraft, behandelt das Medium Hudson.) - Aks4kow, A. ‚Animismus und Spiritis-
mus". Leipzig 1890. (Die Seiten 49-115 des enten Bandes behandeln die Geister-
photographie.) - Wallace, Alfred Russet. „Are there objective apparitions?" The
Arena, Januar 1391. (Unkritischer und wirrer Bericht über das damals vorliegende
Material.) - Sidgwick, 1VIrs. Henry. On spirit photographs ; a reply to Mr. A. R.
Wallace". Proceedings of the S. P. R. 1891. VII, S. 268 -289. (Die beste kritische
Übersicht bis 1891.) - Opi e, E. A. D. „Spirit photography". Adelaide 1891. (Be-
handelt das Medium Mrs. Carter u. a.) - Taylor, J. Traill. „Spirit phetography
with rernarks on Fluorescence. Brit. Journ. of Photography". 17. März 1893, XV,
5. 167-169. (Der Autor war photographischer Fachmann und beschreibt seine Experi-
mente mit den Medien Hudson und Duguid, seine Resultate aber kann man nicht
durchaus billigen). - Wilmot, T. 5. „Twenty photographs of the risen dead". 56 S.
Birmingham-London 1894. (Behandelt das Medium Sarah Power, ohne wissenschaft-
lichen Wert.) - .The Veil Lifted: modern developments of spirit photography. Editor
A. Glendinning-. VIII u. 164 5. (Hat nur geringen wissenschaftlichen Wert, behandelt
das Medium Duguid.) - Bar aclu c, H. „Ieonographie de la force vitale cosmique".
89 S. Paris 1896. (Eine der ersten Schriften uber angebliche Photographie menschlicher
Emanationen, aber wissenschaftlich wertlos.) - Santini, E. N. „Photographie des
efiluves humains". XI u. 128 5. Paris 1898. (Unkritisch und von geringem Wert.) -
Reid, H. E. „Unseen faces photographed." 54 S. Los Angeles 1901. (Interessanter
Bericht nber die Photographien des Mediums Edward Wyllie. - Morse, .T. J. „A
history of spirit photography". Manchester 1909. (Zu kurz, um wertvoll zu sein.) -
D ar g et, Louis. „Expose des differentes methodes pour l'obtention de photographies
fluido-magnetiques et spirites". Paris 1909. (Phantastisch und unkritisch.) - P., C. „La
photographie transcendentale". VII u. 152 5., Paris 1911. (Ganz unkritisch.) - o n -
t enay, G. de, „La photographie et l'etude des phenomenes psychiques". 112 5. Paris
1912. (Brauchbare Kritik uber Baraduc, Darget und ihre Schule.) -- Gri r o d , F.
„Pour photographier les rayons humains". II u. 172 S. Paris 1912. (Von geringem
wissenschaflichen Wert.) - Hyslop, .1. H. „Some unusual phenomena in photo-
graphy". Proceedings of the American S. P. R. 1914, VIII, S.395-464. (Ein interessanter
Bericht über viele merkwürdige Experimente, die schwer auf naturliche Weise zu
erklären schienen, später aber von W. F. Prince in seinem „Supplementary Report
Graf Carl v. Klinkowstroem: Ein Beitrag zur Geschichte der Telepathie. 269
„Nahe dem Orte, wo sie (d. h. Frau y. K.) sich gewöhnlich aufhielt,
liegt ein von dem fürstlichen Stift .... abhängiges Kloster von Benedik-
tiner-Nonnen, welches von dem jeweiligen Abt als sog. Pater domus aus
der Zahl seiner Konventualen mit einem Probst, der über das Zeitliche
des Klosters die Aufsieht hat und mit einem Beichtiger, der die geist-
lichen Angelegenheiten der guten Mädchen besorgt, versehen wird. Seit
mehreren Jahren hatte ein gewisser Pater Cajetan (wie ich ihn nennen
270 Graf Carl v. Klinckowstroem.
will, da mir sein wahrer Name entfallen ist) die letztere Stelle verwaltet;
ein Mann, der aus einer edlen niederländischen Familie stammte und
seiner vorzüglichen Eigenschaften, sowie eines unsträflichen Lebens wegen
in allgemeiner Achtung stand. Zwischen diesem und dein Herrn v. K.,
der als ein Herr v ein Lehensmann des besagten Klosters war, hatte
sich eine vertraute Freundschaft entsponnen, an welcher die ganze Familie
um so mehr Anteil nahm, da der Mangel an einer zu ihnen passenden
Gesellschaft den Umgang mit einem Manne von so vielen Kenntnissen
und so gefälligen Sitten (nichts von seinem musikalischen Talente zu sagen)
zu einem sehr schätzbaren Vorteil für sie machte. Kurz, Pater Cajetan
ward der Freund vom Hause, und, des Unterschiedes der Religion un-
geachtet, von allen nicht weniger geliebt, als ob er ein Glied der Familie
gewesen wäre.
Eine geraume Zeit vor dem Ableben dor Frau v. K. wurde Pater
Cajetan von seinem Fürsten nach Bellinzona versetzt, um auf einer dor-
tigen Schule, die mit Lehrern aus seinem Stifte versehen werden mußte,
in der Mathematik und Naturlehre Unterricht zu geben. Da diese Trennung
dem wackeren Benediktiner und dem Herrn und der Frau v. K. gleich
schmerzlich war, so versprachen sie einander, ihre Freundschaft wenigstens
durch einen traulichen Briefwechsel warm zu erhalten, der denn au
zwischen beiden Teilen ziemlich fleißig geführt wurde.
Nach Jahr und Tag fiel Frau v. K. in eine Krankheit, worüber die
Ihrigen sich keine sorglichen Gedanken machten, weil sie die nämliche
Krankheit mit ebendenselben Zufällen schon mehrere Male glücklich über-
standen hatte. Sie allein dachte anders davon und sagte ihrer einzigen
Tochter, die damals siebzehn oder achtzehn Jahre haben mochte, den Tag
und die Stunde, wann sie sterben würde, ganz bestimmt voraus, doch
mit dem ernstlichen Verbot, niemandem, selbst dem Vater, nichts davon
merken zu lassen. Dieser blieb auch ganz unbekümmert und zweifelte
so wenig an der baldigen Genesung seiner Gemahlin. daß er Bedenken
trug, seinen Freund in Bellenz durch die Nachricht von ihrer Krankheit
zu beunruhigen. Indessen war unverm erkt der Tag herangekommen, an
welchem Frau v. K. (ihrer Vorhersag,ung zufolge) sterben sollte. Sie
schien sieh um vieles besser zu befinden, war sehr heiter und sprach mit
ihrer Tochter (der einzigen Person, die sie an diesem Tage uni sieh haben
wollte) von ihrem bevorstehenden Tode so gelassen, als ob von einer
kleinen Fahrt nach Z. oder B. die Rede wäre, wandte aber doch die
wenigen Stunden, so sie, nach ihrem Vorgefühl, noch zu leben hatte,
dazu an, ihrer noch immer zwischen Angst und Hoffnung schwebenden
Tochter eine Menge guter Lehren und Warnungen zu geben. Gegen
Mitternacht endlich richtete sich die Kranke auf und sagte: Nun ist's
Zeit, daß ich gehe und von Pater Cajetan Abschied nehme. Mit diesem
Worte legte sie sich auf die andere Seite und schien in wenigen Augen-
blicken sanft eingeschlafen zu sein. Nach einer kleinen Weile erwacht
sie wieder, wendet sich mit einem Blick voll Liebe und Ruhe zu ihrer
Tochter, spricht noch wenige einzelne Worte und entsehläft auf immer.
Ein Beitrag zur Geschichte der Telepathie. 271
An eben diesem Tage, und (wie es sich in der Folge zeigte) in eben
dieser Stunde saß Pater Cajetan zu Bellinzona in seinem Zimmer am
Schreibtisch, bei einer Studierlampe mit Ausrechnung einer mathematischen
Aufgabe, die er am folgenden Tage seinen Schülern vortragen wollte,
ernstlich beschäftigt und an nichts weniger als an seine Freundin denkend,
von deren Krankheit er nicht die geringste Kunde hatte. An einer Seiten-
wand neben der Tür des Zimmers hing seine Pandore, ein Instrument,
das er liebte und sehr geschickt zu spielen wußte. Auf einmal hört er
die Pandore einen starken Knall, als ob der Resonanzboden gesprungen
sei, von sich geben. Er fährt auf, sieht sich um und erblickt mit einem
Schauder, der ihn einige Augenblicke unbeweglich macht, eine weiße,
der Frau v. K. vollkommen gleichende Gestalt, die ihn mit freundlichem
Ernst ansieht und dann verschwindet. Er faßt sich wieder, ist sich aufs
deutlichste bewußt, daß er wacht und die Gestalt seiner mehr als 30 Meilen
von ihm entfernten Freundin gesehen hat. Er untersucht die Pandore
und findet den Resonanzboden gesprungen. Er weiß sich eine so sonder-
bare Erscheinung nicht zu erklären, kann aber doch, die ganze Nacht
durch, den Gedanken nicht los werden, daß sie ihm vielleicht den Tod
der Frau v. K. angekündigt habe. Er schreibt mit der nächsten Post an
ihren Gemahl, erkundigt sich mit einer Unruhe, deren Ursache er jedoch
-
verschweigt, nach ihrem Befinden, erhält die Nachricht von ihm, daß sie
in eben derselben Stunde, da er die Erscheinung hatte, gestorben sei, und
entdeckt ihm nun in einem zweiten Briefe, was ihm in der nämlichen
Stunde begegnet war."
Einen weiteren Fall unserer Sammlung entnehme ich dem 9. Bande des
„Museums des Wundervollen", 1809, S. 311 ff. „Per verstorbene Schrift-
steller Spieß hat folgende drei Träume erzählt (von denen wir nur den
ersten hierhersetzen) : Im Mai des Jahres 1793 schrieb der Hauptmann W
welcher bei der niederländitchen Kaiserlichen Armee stand folgenden
Brief an seine geliebte Gattin: ,Mit innigstem Vergnügen berichte ich
Dir, teuerstes Weib, daß ich eben heute eine Kompagnie erhalten habe.
Ich befinde mich vollkommen wohl und gesund, und hoffe mit Gottes
Hilfe, Dich einst ebenso wieder umarmen zu können.' Seine immer hoffende
und stets fürchtende Gattin erhielt diesen Brief am 15. des genannten
Monats durch die Post und machte dessen angenehmen Inhalt verschie-
denen ihrer Freundinnen noch am nämlichen Tage bekannt. Froh und
vergnügt legte sie sich am Abend nieder. Aber als sie kaum einige
Stunden geschlafen hatte, träumte ihr, daß der geliebte Gatte sich mit
verbundenem Haupte ihrem Lager nahe, ihre Hand ergreife, neunmal mit
der seinigen sanft darein schlage und unter einem seufzenden ,Lebe wohl!'
verschwinde.
Früh fanden sie einige gute Freundinnen, welche sie zu besuchen
kamen, weinend im Bette. Mein Mann ist tot, rief sie unaufhörlich aus
und erzählte endlich den nach der Ursache dieser Vermutung forschenden
Freundinnen ihren gehabten Traum. Vergebens bemühten sich diese, ihr
das Unwahrscheinliche desselben darzutun. Vergebens beriefen sie sich
'272 Graf Carl v. Klinckowstroem.
auf den erst gestern erhaltenen Brief, nach welchem ihr Mann noch vor
acht Tagen vollkommen gesund sich befand. Die erschrockene Gattin be-
rief sich immer auf ihren Traum und behauptete fest, daß dieser in Er-
füllung gehen müsse, weil sie ihre ganze Lebenszeit hindurch nie so hell,
nie so einleuchtend geträumt habe.
Der seltene Traum wurde in der nicht allzugroßen Stadt E r,
wo W.... s Gattin lebte, noch am nämlichen Tage bekannt. Man er-
zählte ihn sich in allen Gesellschaften, und ich war selbst zugegen, als
man am dritten Tage darauf die Erzählung desselben in einem zahl-
reichen Zirkel wiederholte. Es wurde manches darüber gesprochen, und
ich selbst war unter der Zahl derjenigen, welche dreist behaupteten, daß
die gereizte und gespannte Phantasie jener sehnsuchtsvollen Gattin sehr
leicht solch einen Traum erfinden könne, daß aber der Erfolg beweisen
werde, daß ihr liebendes Herz durch diese oft qualvolle Künstlerin ver-
gebens sei getäuscht worden.
Am 24. des Monats, und folglich am neunten Tage nach dem er-
zählten Traume, kam die niederländische Post zu E r und mit ihr die
gewisse Nachricht an, daß Hauptmann W... am 15. in .einem Treffen
.durch eine Kanonenkugel, welche ihm den Kopf zerschmetterte, getötet
worden sei."
Endlich möchte ich noch eines vergessenen, aber nicht uninteres-
santen Schriftchens gedenken, in welchem der Dorstener praktische Arzt
Dr. Sebr egondi über das Thema der Telepathie und des Hellsehens
sich nicht unkritisch geäußert hat i). Im Vorwort sagt der Verfasser :
„So wenig dieser Gegenstand in wissenschaftlicher Hinsicht berück-
sichtigt wird, um so mehr kommt derselbe im täglichen Verkehr und
in traulichen Unterhaltungen zur Sprache, und ist dann nicht selten die
unschuldige Ursache, daß dem Aberglauben jeder mögliche Eingang er-
öffnet .. wird". S eb r egon di wurde durch die Beobachtung eines merk-
würdigen Krankheitsfalles aus seiner Praxis auf die wunderbaren Eigen-
schaften dieser Seite des Erkenntnisvermögens der menschlichen Seele,
wie er sagt, aufmerksam gemacht, der außer einer abnormen Steigerung
der Sinnesqualitäten (Hyperästhesie des Gefühls und des Gehörs) zweifel-
los eine telepathische Beeinflussung seiner in schwerer Krankheitskrise
befindlichen Patientin aufweist. S. 8 ff. seiner Schrift hat er den Fall
mitgeteilt. Wir geben dem Verfasser das Wort.
„Am 12. Februar 1825 erkrankte dahier das 17 Jahre alte, blühende
Fräulein N. an den Erscheinungen eines entzündlichen Fiebers mit Ent-
zündung edlerer Eingeweide des Unterleibs verbunden. In den ersten
sechs Tagen hielt die Krankheit ihren natürlichen Verlauf, und man
konnte mit Ruhe der Entscheidung am siebten Tage der Krankheit ent-
gegensehen. Aber gerade in der Zeit, als diese durch Schweiß erfolgen
und das Gefäßsystem sich entladen sollte, erstieg die Krankheit wegen
über die Fern-Gesichte, Mit-Gefühle und Vorgesichte Münster (Theissing) 1840, 8°.
Ein Beitrag zur Geschichte der Telepathie. 273
Mutter hier an. Von dieser erfuhren wir mit Erstaunen, daß einer ihrer
Söhne bereits eine geraume Zeit an stillem Irresein gelitten habe. Dieser
Zustand aber sei plötzlich in Tobsucht übergegangen und, da er in einem
Anfall von Wut sogar das Leben des Vaters bedroht habe, so sei man
genötigt gewesen, ihn der Irrenheilanstalt in Marsberg anzuvertrauen.
Die bekümmerte Mutter beschrieb diesen ganzen Hergang mit ebenden-
selben Umständen, wie ihn die Tochter in jener Nacht erzählt hatte."
Nach ungefähr vier Wochen trat bei der Kranken endlich die Krisis
ein und sie genas langsam. Sie erhielt das Sehvermögen wieder, und die
abnormen Erscheinungen verschwanden. Die „ungewöhnlich erweiterte
Sphäre des Gemeingefühls", wie Sebregondi sich ausdrückt, verlor
sich wieder. Von den berichteten ungewöhnlichen Erscheinungen brauchen
wir nur die offenbar telepathisch ersch autc Szene mit dem tobsüchtig
gewordenen Bruder als „okkult" anzusprechen.
Dr. Sebregondi geht in seiner Schrift auch theoretisch und an
der Hand weiterer Erfahrungsbeispiele, z. T. aus der magnetistischen
Literatur, auf die Erscheinungen des Hellsehens und derjenigen, die wir
heute als Hyperästhesie der Sinne bezeichnen, ein und beruft sich u. a.
auch auf den bekannten Mediziner J. Chr. R e il, der 179i die Vermutung
aussprach, „daß um die Nerven der Körperoberfläche herum eine empfind-
liche Sphäre befindlich sei", was auch Alexander v. Humboldt (1798)
bestätigt habe (Metallreiz ohne Berührung). Das erinnert an die heute
von okkultistischer Seite aufgestellte Behauptung von dem Phänomen der
sog. „Exteriorisation des Empfindungsvermögens" 1).
Okkultistische Wanderanekdoten.
Von Graf Carl v. Klinckowstroem, München.
Wir finden zuweilen in der Tagespresse Notizen über okkulte Er-
lebnisse, oft mit Namen und sonstigen genaueren Angaben, die offenbar
beanspruchen, ernst genommen zu werden. Derartigen Zeitungsnotizen
ist erfahrungsgemäß ein hohes Maß von Mißtrauen entgegenzubringen.
Weiß man doch, daß auch sonst Zeitungsnachrichten mit Vorsicht auf-
zunehmen sind. So haben sich zum Beispiel, wie sich durch systematische
Nachprüfung von ärztlicher Seite ergab 2), die meisten Berichte über
Todesfälle durch Schlangenbiß als „Enten" oder als grobe Entstellungen
bzw. Übertreibungen des Tatbestandes herausgestellt. Genau so liegt es
mit Nachrichten über okkulte Dinge. Ein typisches Beispiel dafür ist
die folgende Notiz, die Anfang Januar 1926 durch die Presse ging (z. B.
im „Sammler", Beiblatt der „München-Augsburger Abendzeitung", Nr. 4
vom 6. Jan. 1926) :
') Vgl. R. Tischner, Fernfühlen und Mesmerismus. München 1925.
) Vgl. F. v. G- at f eld , „Medizinische Berichterstattung in der Tagespresse",
2
melnd, zu Fuß auf den Weg. Er begibt sich zunächst in das Hotel-
bureau, um über die Person des Liftführers Erkundigungen einzuziehen,
aber er kam nicht mehr dazu : im gleichen Augenblick hört man ein
furchtbares Krachen, vermischt mit Angstrufen. Der Fahrstuhl war ab-
gestürzt und begrub mit sich die unglücklichen Mitfahrenden. Darunter
befand sich auch der Angestellte mit dem abschreckenden Gesicht, dessen
Person aber nachher angeblich nicht identifiziert werden konnte.
Wir haben hier also dasselbe Motiv, wie in der eingangs mitgeteilten
Geschichte, nur daß hier durch allerhand Details die Glaubwürdigkeit
erhöht erscheint. Es werden uns Namen genannt, der Ort der Handlung
ist angegeben, und als Berichterstatter wird ein Verwandter desjenigen
genannt, der das Erlebnis hatte. Diese Angaben ermöglichen also bis
zu einem gewissen Grade die Nachprüfung.
Der französische Schriftsteller Paul Henze hat sich nun die Mühe
gemacht, diesen Fall nachzuprüfen 1 ). Das Ergebnis ist bezeichnend für
die Sorglosigkeit, mit der manche Okkultisten angebliche okkulte Er-
lebnisse und Geschehnisse als gutbezeugt verbreiten. Lord Dufferin war
Botschafter in Paris von 1892-96. In diese Zeit münte also das Er-
lebnis fallen. In Paris gibt es nur ein Grand-Hotel. In diesem Hotel
hat seit dem Jahre 1878 kein Liftunglück stattgefunden. Henze sprach
mit einem Angestellten des Hotels, der Zeuge dieses Unglücks aus dem
Jahre 1878 war; damals kam eine junge Frau dabei ums Leben. An
jenem Tage war auch kein diplomatischer Empfang im Hotel, und Lord
Dufferin, damals 52 Jahre alt, befand sich im Jahre 1878 teils in Kanada,
teils in St. Petersburg.
Henze hat von dem Ergebnis seiner Recherchen schon im Jahre
1922 Kenntnis gegeben, worauf Flammarion in seinem Buch ,,Les maisons
hantees" ganz naiv sagt, er kenne drei verschiedene Versionen des Falles
Dufferin. Soll das ein Argument gegen H eu z e sein? Offenbar sieht
Flammarion gar nicht, daß er damit die Geschichte selbst als ein Märchen
charakterisiert.
Henz e weist ferner darauf hin, daß in dem 1914 erschienenen
'Werk von E. Bozzano „Des Phenolnkies premonitoires" (S. 397) ein
ganz ähnlicher Fall, aber wieder ohne nähere Details, mitgeteilt wird,
der sich in Chikago zugetragen habe. Ich habe das Buch von Bozzano
nicht zur Hand, vermute aber, daß es sich um die eingangs erwähnte
Geschichte handelt, die ein findiger Journalist jetzt nur neu aufwärmt.
Auch Ch. lii ehe t gibt in seinem sehr lesenswerten Aufsatz „Des
conditions de la certitude" in den „Proceedings of the S.P.R.", Juli
1925 (Vol. 33, Part 95, S. 429) einen Beitrag zu unserem Thema (die
Arbeit ist hier in Heft 2, S. 146 ff. besprochen). Er hatte seinerzeit zusammen
mit D ari ex den Fall des Leutnants Escourrou mitgeteilt, der beim
Sturm auf La Puebla am linken Auge durch eine Gewehrkugel tödlich
verletzt wurde. Die Mutter des Offiziers hatte die Verwundung ihres
') Heuz6, Oü en est la Metapsychique? Paris 1926, S. 36/37.
Richard BAerwald: Urteilsblendung durch psychische Osmose usw. 277
hielten, sich in die Hauptstadt ergossen hatten. Die Folge war die Ge-
fangennahme des Königs und das Ende des Königtums. Also sogar die
Zahl, die den Mordbrennern ihren Namen gab, wird im Quatrain richtig
angegeben.
Ebenso der Ort. Katharina von Medici hatte erst kurz vor dem
Tode des Nostradamus (1564) an der Stelle, wo früher Ziegeleien standen
— daher der Name — den Grundstein zu den Tuilerien gelegt. Da die
französischen Könige dieses Schloß nur selten bewohnten, ist die Prophe-
zeiung um so merkwürdiger. Als Nostradamus seine Prophezeiungen
schrieb, existierten die Tuilerien noch gar nicht.
Narbon „mit hohem Titel" wird als Verräter bezeichnet. Dieser Nar-
bon ist natürlich identisch mit Louis Graf Narbonne-Lara, der bis März
1792 Kriegsminister Ludwigs XVI. war. Da er sowohl dem Königtum wie
der neuen Verfassung gerecht zu werden trachtete, wurde er von beiden
Parteien verdächtigt. Der König entließ ihn unter dem Einfluß der Hof-
kreise durch einen lakonischen, ungnädigen Brief. Ein Verräter war der
Graf, der am 10. August von den Jakobinern fast umgebracht wurde,
sicherlich nicht. Da aber Nostradamus vorn royalistischen Standpunkt aus
schrieb, konnte er ihn doch so bezeichnen.
Der andere Verräter ist Saulce „unter seinen Ahnen Hüter des Öls".
Auch dieser Name ist historisch. Sauce, ohne 1, hieß nämlich der Krämer
und Gastwirt in Varennes, der Ludwig XVI. auf der Flucht erkannte und
anhalten ließ. Wie Le Pelletier feststellte, waren schon die Vorfahren von
Sauce Inhaber dieses Krämerladens. „Hüter des Öls" könnte unserem
„Heringsbändiger" entsprechen. Der Verrat des Sauce wurde durch die
Nationalversammlung durch eine Dotation von 20 000 Livres belohnt.
Hyperkritiker könnten am fehlenden 1 Anstoß nehmen, es entspricht aber
der Differenz der alten und modernen französischen Sprache.
Bormann und Kemmerich hielten die Übereinstimmung des Quatrains
mit der späteren geschichtlichen Wirklichkeit für so unglaublich, daß sie
große Mühe aufwandten, um seine Echtheit zu beweisen. Sie braucht auch
nicht angezweifelt zu werden.
Wer diese Darlegung naiv durchliest, fühlt sich in der Tat geblendet.
Mir war es sogleich klar, daß hier einiges nicht stimmte und eine Glanz-
leistung psychischer Osmose vorlag. Da ich mich aber als Historiker
nicht zuständig fühlte, machte ich Herrn Professor Richard Hennig da-
rauf aufmerksam, wie wünschenswert es sei, durch historische Nach-
forschungen Licht in diese recht dunkle Angelegenheit zu bringen. Er
hatte die Güte, sich im Jahre 1924 für die Sache zu interessieren und
mir seine Ergebnisse zur Verfügung zu stellen. Es ergab sich uns nun
folgendes Bild:
Le part soluz, der einsame Gatte. Wenn ein Gatte „einsam" ist, so-
bald seine Frau im Nebenzimmer sitzt, ist es leicht, Strohwitwer zu
werden.
mary, traurig. Sicher war Ludwig XVI. im Juni 1792 traurig.
Aber soluz mary heißt doch wohl „einsam und traurig", traurig, weil
282 Richard Baerwald.
man verlassen ist, oder um so trauriger, als man zugleich verlassen ist,
und das traf hier durchaus nicht zu.
mitre, mit der Mitra geschmückt. Mitra war im Altertum die Kopf-
binde persischer und anderer orientalischer Könige in der christlichen
;
Zeit nannte man die Bischofsmütze mit diesem Namen. Zwischen der phry-
gischen Mütze, die die Jakobiner als Abzeichen wählten und dem un-
glücklichen Ludwig XVI. zum Hohne auf den Kopf setzten, und der
Mitra gibt es weiter keine Ähnlichkeit, als daß beide aus Vorderasien
und dem Altertum stammen. Nicht einmal Kemmerichs Behauptung, beide
Kopfbedeckungen seien rot, trifft durchweg zu, die Bischofsmitra kann
auch weiß sein. Bormann übersetzt denn auch mitre mit „infuliert", d. h.
„mit den bischöflichen 1VIitrabändern geschmückt". Wie paßt das aber
auf Ludwig und seine Jakobinermütze? Kemmerich meint, es stecke Ironie
dahinter, statt des zum Zölibat verpflichteten Bischofs werde hier der
„Gatte" infuliert. Sollte Nostradamus so schlechte Witze gemacht haben,
deren Gleichnis auf sämtlichen Beinen hinkt? Es ist klar, daß man, wenn
man erst mit Ironie hineindeuteln muß, keine Übereinstimmung zwischen
Prophezeiung und Geschichte beweisen kann.
Retour, heimgekehrt. Pflegen wir, wenn wir im Juni vorigen Jahres
eine kleine Reise unternommen haben, uns noch im Juni dieses Jahres als
„heimgekehrt" zu bezeichnen?
conflict passera sur le thuille. Ein Streit wird vor sich gehen auf
dem Ziegel. Also nicht von den Tuilerien hat Nostradamus geredet, son-
dern von Ziegeln. Wenn ein Streit oder Kampf auf einem mit Ziegeln
gepflasterten Weg oder auf einem Bauplatz oder Hafenplatz mit Ziegel-
haufen stattgefunden hätte, würde seine Prophezeiung ebensogut stimmen,
und welche aufgeregte Epoche der Geschichte läßt sich denken, in der
eine so allgemeine Vorhersage sich nicht verschiedene Male erfüllt! Frei-
lich soll zugestanden werden: Weil der betreffende Akt der Revolutions-
tragödie sich gerade in den Tuilerien abgespielt hat, die die Ziegel schon
im Namen tragen, gewann diese Art der Verwirklichung etwas besonders
Pointiertes. Aber solche hübschen Treffer bringt auch der Zufall gern zu-
stande. Wenn zwei Kinder sich damit vergnügen, zwei verschiedene Ge-
dichte zeilenweise abwechselnd zu lesen, fehlt es durchaus nicht an ähn-
lichen amüsanten Übereinstimmungen.
Par cinq cens, durch fünfhundert. Professor Hennig stellte fest, daß
mehr als 15 000 Menschen am Sturm auf die Tuilerien teilnahmen. 2400 Sol-
daten, Schweizergarden, verteidigten das Schloß und kamen dabei um ;
fünfhundert Angreifer hätten sie gewiß nicht überwältigen können. Haben
also die fünfhundert Marseiller überhaupt an dem Sturm teilgenommen,
so waren sie eine Schar unter vielen. Welches Heer und welche Volks-
menge sollte nicht u. a. auch Abteilungen von fünfhundert gehabt haben!
Können solche Prophezeiungen, die immer eintreffen müssen, irgend einen
Wert haben? — Man sieht an diesem Fall ebenso wie am Malachiasfall,
auf welche Weise man psychische Osmose entlarvt: Man stellt sich vor,
es handle sich um eine ganz andere Wirklichkeit, läßt also die Osmose
Urteilsblendung durch psychische Osmose in der Prophetie und Psychoanalyse. 283
bald in dieser, bald in jener Richtung verlaufen und erkennt dabei, daß
die Prophezeiung die verschiedensten Angleichungen und Mischungen zu-
läßt. Wir haben diese Methode schon oben als „Auswechselungsverfahren"
bezeichnet. Sie stellt uns, wo sie anwendbar ist, unbedingt gegen die
Urteilsblendung sicher, die von psychischer Osmose ausgeht. Wir meinen
im Grunde das Auswechselungsverfahren, wenn wir sagen: „Auf diese
Weise läßt sich alles beweisen!"
Un trahyr sera ti1tr Narbon: Ein Verräter wird sein der betitelte
Narbon. Daß im Verlauf der Revolution auch ein Mensch eine Rolle ge-
spielt hat, dessen Name Ähnlichkeit mit dem von Nostradamus genannten
hatte, wird nicht wundernehmen. In beiden Fällen kommen ja französische
Namen in Betracht. Dafür paßt aber auch die weitere Kennzeichnung des
Trägers dieses Namens absolut nicht. Wenn jeder Minister eines kon-
stitutionellen Monarchen, der nicht mit seinem Herrn durch Dick und
Dünn geht, sondern die Verfassung zu halten bemüht ist, von den Roy-
alisten Verräter genannt werden könnte, wohin kämen wir dann? Nur
durch wüste Deutelei gelingt es doch hier, Narbonne-Lara zu der Weis-
sagung des Nostradamus in Beziehung zu setzen.
Saulce par coutaux avous d'huille. Saulee unter seinen Vorfahren
Hüter des Öls habend. Sauce ist ein nicht seltener französischer Name;
er fehlt z. B. im Berliner Telephonbuch nicht. Wenn ich mir erlauben darf,
zu prophezeien, daß in den Unruhen, die Deutschland in den nächsten
zwei Jahrhunderten durchmachen wird, ein Mann namens Berger oder
Kruse eine Rolle spielen wird, so werde ich mit dieser ungefährlichen
Vorhersage ähnliche Wunder verrichten wie mein bekannterer französi-
scher Vorgänger. Was aber von diesem Sauce ausgesagt wird, verwan-
delt Le Pelletier-Kemmerich nur dadurch in eine Prophezeiung, daß er
sowohl der Sprache wie der Geschichte Gewalt antut. Nicht Sauce, son-
dern der Postmeister Drouet hat den König erkannt und festgenommen.
Schon gefangen wurde er nach Varennes gebracht, wo Sauce Maire (Bürger-
meister) war. Der König gab sich ihm zu erkennen, umarmte ihn, erbat
seinen Schutz, und Sauce nahm sich seiner an und schaffte für ihn und
Marie-Antoinette Speise und Trank herbei. Darin bestand sein „Verrat". —
Im Text heißt es nicht coutaux d'huille, sondern avous d'huille. Man kann
also nicht übersetzen „Wächter des Ols", sondern nur „Vorfahren des Öls".
Neuphilologen erklären, daß sich aus der absichtlich dunklen Sprache des
Nostradamus alles Erdenkliche herauslesen läßt, am ehesten dürfte er hier
an „gesalbte Ahnen", also fürstliche Ahnen gedacht haben. Das paßte nun
auf Sauce zu schlecht, darum die gewaltsame Umstellung. Leider ist es
dabei den Auslegern passiert, wegen einer unhaltbaren Übereinstimmung
— Wächter des Öls sollte ja eine Verspottnlig. des Gastwirts und Krämers
-
Sauce sein — eine reelle zu verscherzen, Denn „Sauce par coutaux" hätte
geheißen „Sauce unter den Wächtern". Nun, Sauce als Maire hatte ge-
wiß u. a. die Pflicht, den König nicht fliehen zu lassen, und weil nichts
dergleichen geschah, hat er wahrscheinlich die erwähnte Dotation er-
halten. Zu den „Wächtern des Königs" also konnte er wohl gerechnet
284 Richard Baerwald.
werden, hier hätte ein ähnlicher Zufallstreffer vorgelegen wie bei dem
Worte thuille, und gerade den ließen sich die Erklärer entgehen.
Übrigens haben in der Geschichte der Revolution wie in der Tra-
gödie Ludwigs XVI. sowohl Narbonne-Lara wie Sauce eine so unbeträcht-
liche, rein passive Rolle gespielt, daß man wirklich nicht einsehen kann,
wozu sich ein Prophet zwei Jahrhunderte vorher ihretwegen in Unkosten
stürzen mußte. Daß es sich bei ihrer Nennung um rein zufällige Über-
einstimmung handelte, wird gerade durch diesen Umstand erhärtet. Hätte
ein wirklicher Verkünder der Zukunft nicht eher Namen wie Mirabeau,
Robespierre, Danton gewählt?
Reduzieren wir einmal die Prophezeiung auf das, was von ihr wirk-
lich eingetroffen ist, d. h. extrahieren wir die Übereinstimmungsmomente,
so bleibt uns nichts in den Händen als dies : Einem betrübten Gatten
wird etwas Ungewöhnliches auf den Kopf gesetzt. Eire Menschenmenge
wird an einer Stelle, die mit Ziegeln zu tun hat, Streit haben. Zwei
Männer, deren Namen ähnlich wie Narbon und Saulee klingen, deren
einer einen Titel trägt, während der andere irgendeine Beziehung zu Öl
hat, spielen eine nicht näher definierbare Rolle. — Man sieht, daß sich dieser
prophetische Rest ebensogut an zahlreiche andere Ereignisse anpassen
ließe; sind doch von den positiven Angaben des Quatrains die wichtigsten
auf der Strecke geblieben! Versuchen wir eine Konstruktion im Sinne des
Auswechselungsverfahrens: Bauarbeiterstreik. Der verheiratete Maurer-
meister X sitzt deswegen mißmutig allein zu Hause, selbst das gemüt-
liche Hauskäppchen kann ihn nicht trösten. Gleichzeitig prügeln sieh die
Streikenden mit den Arbeitswilligeri auf dem mit Ziegelstapeln bedeckten
Bauplatz. Letztere werden wie üblich Streikbrecher und Aufpasser
(Wächter) gescholten. Auch von einem gewissen Kruse, Cruse oder Krause,
der bürgerlicher Abkunft ist, sagen die Streikenden: „Natürlich, dieser
Feudale („gesalbte Ahnen") hält es mit den Aufpassern!" Vielleicht ge-
hört dieser Kruse selbst zu den Arbeitswilligen, vielleicht ist er ein Re-
staurateur, der ihnen Kredit gibt, vielleicht ein Reporter, der in ihrem
Sinne schreibt, vielleicht ein Polizist, der den Neubau gegen Sabotage
schützt; er kann in hundert Beziehungen zu den Streikbrechern stehen.
Was ein in der gleichen Zeit lebender, mit einem Titel geschmückter Herr
Berger, Bergner oder Burger mit der Sache zu tun hat, ist vollends nicht
auszumachen.— Man sieht aus dieser Konstruktion, daß ein beständig sich
wiederholender, banaler Vorgang der Prophezeiung genau so gut entspricht
wie die Tragödie Ludwigs XVI. Ohne solche Auswechselung kann man
sich oft nur schwer von der Blendung befreien, der man unterliegt, wenn
man ein Ereignis kennt und nun eine Prophezeiung oder einen Traum
hört, der darauf Bezug haben soll; selbst die molluskenhaftesten Angaben
scheinen dann Form und Festigkeit zu gewinnen, weil sie sich mit De-
terminationen vollsaugen, die sie der Wirklichkeit entwendet haben, und
gewinnen eine bestimmte Richtung und Tendenz, die sie, wenn man sie
auf ihre endogene Bedeutung zurückführt, durchaus nicht haben. Aus den
an sich ganz unbestimmten „Ziegeln" werden, wenn die Erinnerung an
Urteilsblendung durch psychische Osmose in der Prophetie und Psychoanalyse. 285
wird. Der Blumenschmuck und seine Kostbarkeit deutet auf den hohen
Wert der Jungfräulichkeit.
Freud fordert nun Assoziationen, freie Einfälle zu den einzelnen
Traumstücken. Zu lily (Lilie) wird natürlich purity (Reinheit) hinzu-
assoziiert. Da valley (Tal) für die Psychoanalyse gleichfalls auf das Geni-
tale hinweist, spielen beide Worte wiederum auf die Keuschheit an.
Bei violets (Veilchen) denkt die Träumerin an das fast gleichklingende
violate (verletzen, vergewaltigen). Also wieder das gleiche Thema. Zu
pinks (Nelken) und carnations (ebenfalls : Nelken) findet die Dame zu-
erst colour (Farbe), dann incarnation (Fleischwerdung). Da pink colour
auch „fleischfarbig" bedeutet, weisen beide Einfälle auf dasselbe Grund-
motiv hin, nämlich auf die Zeugung und Geburt des Kindes. Indem sie
hinzufügt, daß ihr Verlobter ihr oft carnations geschenkt habe, ist dieser
„phallische Sinn" der Nelken im Traume noch gesicherter.
Später fällt ihr noch ein Nachtrag ein '): „I decorate the flowers
with green crinkled (gekräuselt) paper, fancy paper, to hide (verbergen)
untidy (häßliche, unsaubere) things, whatever was to be seen, which was
not pretty to the eye; there is a gap (Loch), a little space (Zwischen-
raum) in the flowers; the paper looks like velvet (Samt) ör moss (Moos)".
Zu decorate assoziiert sie „decorum" (Ehre, Anstand), zu green „hope"
(Hoffnung). Was die untidy things und das gap für den Psychoanalytiker
bedeuten, ist klar. Samt und Moos weisen auf die crines pubis, hope
auf „guter Hoffnung sein", d. i. Gravidität, decorum wieder auf Unschuld
und Defloration hin.
Eine prachtvolle Übereinstimmung! Wollte man den osmetischen
Einfluß eines anderen Lösungsversuches probieren, so würde man schwer-
lich Glück damit haben (denn es gibt keinen anderen Gedankenkreis,
der sich an osmotischer Durchdringungskraft mit dem sexuellen messen
kann). Wohl aber glückt sofort die umgekehrte Form des Auswechselungs-
verfahrens: die junge Dame könnte zu den Stücken ihres Traumes hinzu-
assoziieren, was sie will -- die Freu dsche Lösung würde immer stimmen.
Hätte lily of the valley (Maiglöckchen) in ihr den auch naheliegenden
Einfall bells (Glocken) hervorgerufen, so bedeutet auch „Glocke" gleich
anderen hohlen, gefäßartigen Gegenständen nach der psychoanalytischen
Symbolik den Frauenleib, und bells erinnert an belly (Lauch), was dann
vorzüglich mit dem „valley" übereinstimmt. Oder hätte lily „snow"
(Schnee) heraufbeschworen, so wäre an den schneeweißen Busen gedacht
worden, der auch wieder ein valley dargestellt hätte, und die orange-
farbenen Staubgefäße der Lilien hätten an die Brustwarzen auf diesem
Schnee gemahnt. Hätte sich an carnation das auch sehr ähnlich klingende
„concentration" angeschlossen, so hätte es den Zusammenfluß der Körper-
säfte zum werdenden Embryo symbolisiert. Hätte violet „perfmne" (Duft)
ausgelöst, so hätten rL die zugrundeliegenden „latenten Traumgedanken"
1 ) Geschah das, nachdem die Dame aus Freuds Fragen und Erläuterungen den
„phallischen Sinn" ihres Traumes bereits begriffen hatte? Dies zu wissen, wäre für die
Beurteilung der nachfolgenden Berichtstücke wichtig.
Urteilsblendung dur ch psychische Osmose in der Prophetie und Psychoanalyse. 287
.
es mit dem berückenden Duft des weiblichen Körpers oder mit liebe-
werbendem Parfüm zu tun gehabt. Wie jener offenherzige Zeuge sagte :
„Den Eid möchte ich sehen, den ich nicht schwören könnte !", so könnten
wir erklären: „D je Assoziation möchte ich sehen, der ich keine sexuellen
Beziehungen überstülpen könnte !" Auch hier wieder läßt sich nach der
gleichen Methode „eben alles beweisen", und darum fehlt der angebotenen
Lösung jegliche Beweiskraft. Leute mit „schmutziger Phantasie" zeigen
uns, daß sie nichts in der Welt ohne geschlechtliche Hintergedanken
sehen oder hören können ; die Welt ist aber doch wohl kein Traum
mit einem aufzuspürenden latenten Traumgedanken ; also muß die Ein-
heitlichkeit, mit der bei solchen Personen alle Dinge auf den gleichen
Punkt weisen, an der universellen osmotischen Durchdringungskraft dieses
ein für alle mal feststehenden Grundmotivs liegen.
Die Übereinstimmung ist in anderen Traumauslegungen nicht immer
so deutlich wie in dem vorgeführten Falle. Oft macht die Deutung den
Eindruck wüster Deutelei. Das geben auch die Psychoanalytiker zu; sie
fügen aber hinzu: „Vergeßt nicht, wir erfinden uns ja die Deutungen
nicht aus dem freien Handgelenk, sondern halten uns an die Einfälle,
die dem Patienten in den Sinn kommen, wenn er, kritik- und steuerlos
vor sich hinträumend, von den einzelnen Stücken des manifesten Traum-
inhalts seinen Ausgang nimmt. Da aber der Patient dauernd von dem
Gedanken an das Ziel der Behandlung beherrscht wird, so assoziieren
seine freien Einfälle, auch wenn sie zunächst ganz sinnlos, ganz ober-
flächlich, rein durch den Wortklang bedingt erscheinen, stets in der
Richtung auf den werboigenen, unbewußten Komplex zu, der sich im
Trauminhalt vermummt. Ao.ch hier herrscht jener strenge Determinis-
mus, den der Psychoanalytiker in allen scheinbar ganz zufälligen Vor-
gängen des Seelenlebens annimmt." Womit, fragen wir, wollt ihr diese
kühne Behauptung beweisen? „Damit", erwidert der Psychodnalytiker,
„daß die freien Einfälle oft konzentrisch auf ein Thema oder eine kleine
Zahl von Themen lossteuern, so daß man erkennt, ihre anfängliche Ziel-
losigkeit war nur Schein, in Wahrheit laufen sie längs vorbestimmter
Bahnen, sie laufen von den Verschiebungen, zu denen die „Zensur" die
latenten Traumgedanken gezwungen hat, zu diesen letzteren selbst zurück."
Hierauf aber müssen wir, durch unser obiges Beispiel gewarnt, ent-
gegnen : „Bedaure, diesen Wechsel nicht diskontieren zu können ! Ich
-
wird. Eine zweite, eine dritte Deutung führt dann neue Pseudoharmonien
herbei. Eben darum kann Freud in jedem Traum mehrere Schichten
latenter Traumgedanken finden, denn wo er einen vermutet, nehmen
die Späne des Trauminhalts sofort Richtung auf ihn zu. Die Methode,
die ihr verwendet, ist also offenbar viel unsicherer, viel problematischer,
als ihr gedacht habt, vieles, was ihr für empirisch feststellbare Sach-
verhalte angesehen habt, war nur osmotische Blendungswirkung."
Ich breche hier ab, obgleich zu diesem Thema noch sehr viel für
und wider zu sagen wäre. Aber wir wollen ja nur die Bedeutung der
psychischen Osmose für die Psychoanalyse kennen lernen, nicht aber
ein Gesamturteil über das psychoanalytische Gedankensystem gewinnen.
Keineswegs glaube ich, daß meine Feststellungen so weit reichen, daß
sie letzteres erschüttern könnten. Es gibt zahlreiche psychoanalytische
Deutungen, die sich nicht auf bloße Osmosewirkung zurückführen lassen,
bei denen das Auswechselungsverfahren erfolglos abprallen würde. Freuds
unsterbliche Verdienste zu leugnen', kommt mir nicht in den Sinn. Aber
ein e Konsequenz für die Gesamtlehre wird man doch aus unseren Dar-
legungen ziehen müssen : Mit einem so unsicheren tastenden Instrument,
wie es die psychoanalytische Methode ist, darf man keine unbedingten,
allgemeinen Gesetze finden wollen. Das „Immer" und das „Muß" ist
aus der Lehre Freuds zu eliminieren. Es kommt vor, daß ein Traum
eine Wunscherfüllung vorstellt; der manifeste Trauminhalt symbolisiert
manchmal eine tiefer liegende Idee ; diese Idee ist oft eine sexuelle ;
sie ist zuweilen infantilen Ursprungs, Das alles kann man sagen und
durch gute, sichere Fälle belegen. Aber sobald man solches „Vorkommen" in
ein „Seinmüssen" verwandeln will, übernimmt man eine unerfüllbare
-
nur der Vortrag soll fesseln. Stellung, Haltung und Bewegung deuten
zwingend auf den gewünschten Ort hin, wobei die scheinbare Unabsicht-
lichkeit der Bewegung den Anreiz geben muß, das Bekanntheitsgefühl
zum Sympathisieren zu bringen. Die „Natürlichkeit" der Handlung muß
so groß sein, daß der Wunsch nach Deutung des Gesehenen und Ge-
hörten nicht aufkommt. Um eine bestimmte Richtung der Kontrolle zu
verhindern, wird eine vorherige Bekanntgabe der zu erwartenden Er-
scheinung vermieden. So tritt die Erwartung eines bestimmten Vorganges
ein und plötzlich zeigt sich das Gegenteil. Ein einfacher Vorgang zeigt
dies deutlich. Der Taschenkünstler schwenkt in der rechten Hand ein Tuch,
hält die linke Hand vor sich hin, ballt sie zur Faust und steckt nun das
Tuch, mit dem Finger nachhelfend, langsam in die Faust, es sozusagen
in derselben zusammenpressend. Er greift mit dieser linken Hand in die
Luft und zeigt ein Ei; das Taschentuch ist verschwunden. Das Bestreben
der Zuschauer wurde darauf hingelenkt, zu beobachten, wo das Taschen-
tuch bleibt,.und die Erscheinung bzw. die Verwandlung des Taschentuches
in ein Ei wurde nicht vorher angezeigt, erschien also doppelt wunderbar.
So spielt sich dieser Vorgang vor den Augen der Zuschauer ab. Zum
Beweis für die Konsistenz des Eies klopft der Künstler mit demselben
irgendwo an, damit man hören kann, daß das Ei aus Holz und nicht
hohl ist. — Zur Erklärung sei gesagt, daß während der Manipulationen
mit dem Taschentuch sich die linke Hand unauffällig des hohlen Holz-
eis bemächtigte und es „palmierte", d. h. dasselbe in der hohlen Hand
verbarg, ohne daß man der Hand von außen ansah, welchen Inhalt sie
barg. Nun wurde diese Hand zur Faust geballt, wobei Zeigefinger und
Daumen eine kleine Öffnung frei ließen, in welche der Zeigefinger der
rechten Hand langsam, sozusagen portionsweise, das Taschentuch hinein-
stopfte. Das Ei lag in der linken Hand so, daß natürlich seine Öffnung
nach oben zeigte. An der langsamen Einführung hat sicher kein Zu-
schauer Anstoß genommen, sondern sicher geglaubt, es geschähe, um Zeit
zu gewinnen, während in Wirklichkeit dies der einzige Weg ist, ein
-
groees Tuch durch Druck in ein hohles Ei einzuführen und darin zu-
sammenzupressen. Beim Vorzeigen liegt natürlich das Loch nach hinten
und ist unsichtbar. Außerdem sind seine Wandungen nicht so dünn, daß
beim Anklopfen ein hohler Ton entsteht, der aber trotzdem noch unhör-
bar gemacht werden kann, wenn man das Ei voll anfäßt. — Der Zauber-
künstler legt nun das Ei auf einen Tisch, als vom Publikum der Wunsch
laut wird, das Ei ansehen zu dürfen. Sofort greift er nach dem Tisch,
nimmt das Ei und reicht es herunter. Bei der Prüfung ergibt sich ein
volles, weiß lackiertes Holzei. — Dieser Fall der Kontrolle ist nicht neu.
Man glaubt, daß der Gegenstand irgendwie „präpariert" wäre und wird
nie im Leben darauf kommen, daß sich die Täuschung vor aller Augen
vollzogen hat, eben gerade in dein Augenblicke, wo aller Augen gespannt
nach einer anderen Stelle sahen. Zur Kontrolle wird natürlich ein anderes
volles Holzei, welches schon vorher zu diesem (vielleicht eintretenden)
Zwecke bereitgelegt wurde, benutzt. Man stelle sich nur unter den Zu-
292 Ernst Paasche.
gerade bei dem betreffenden Herrn, drängte sich der Künstler zwischen
Kind und Vater, zog dem Kinde ein paar Karten mit der rechten Hand
aus der Nase und benutzte die gespannte Aufmerksamkeit, um dem Vater
die gewünschte Karte in die Tasche zu stecken. Er hatte sich gerade
die ihm besonders geeignet erscheinenden Personen ausgesucht. Danach
gab er seinem hinten im Zuschauerraume befindlichen Gehilfen ein ver-
abredetes Zeichen, woraus sich zwanglos alles weitere erklärt. Für die
weitere Behandlung ist wichtig, folgendes festzustellen: 1. die Karte wurde
vor aller Augen auf den Tisch gelegt; 2. sie hätte dann (falls nicht ein
zweites, genau gleiches Spiel im Besitz des Künstlers war) im Spiel,
welches im Publikum benutzt wurde und welches ohne Gefahr kontrolliert
werden konnte, fehlen müssen; 3. durch Inaugenscheinnahme durch das
Publikum, dem dieser Umstand nicht bekannt war, wurde festgestellt,
daß sie in das Spiel des Künstlers paßte (Art, Größe, Abnützung). Dem
prüfenden Auge des Publikums wurde also ein Fall gezeigt, wo eine
Karte, ohne Spuren zu hinterlassen, verschwindet (unbemerkbar), wo die-
selbe eine Fernbewegung ausführt, und was vielleicht am seltsamsten ist,
an einer zu bestimmenden Stelle wieder auftaucht.
Ein drittes Kunststück zeigt besonders die durch Überraschung
hervorgerufene Trübung des Denkvorganges, eine nicht nur für solche
Art von Vorstellungen typische Erscheinung. Der Künstler zerschnitzelt
in einer vorher leer gezeigten und herumgereichten Kasserolle, die vor
aller Augen, damit sie besonders gut, beobachtet werden kann, auf einen
vor dem Künstler befindlichen Stuhl gestellt wird und noch einmal leer
gezeigt wird (ich darf verraten, daß sie wirklich leer ist) verschiedene
Papiersorten, versichert dem Publikum, daß er damit einen Eierkuchen
backen werde, zündet die Schnipsel mit einem Streichholz an und deckt,
wenn sie recht hell lodern, den Deckel darauf. Einige beschwörende
Bewegungen, vielleicht mit dem Zauberstab, er hebt den Deckel auf —
und heraus flattert eine wirklich echte Taube. Ich füge aus meiner
Kenntnis hinzu, daß kein Gehilfe auf der Bühne anwesend zu sein braucht
und daß ein von einem mir bekannten Künstler verwendetes Tier ein
hohes Alter bei prächtigem Gesundheitszustand erreichte. Tierquälerei
ist hierbei nicht vorhanden. — Wir sehen hier ein Extrem. Der Erfolg
eines Kunststückes steht in keinerlei Zusammenhang mit dem erwarteten
Endeffekt. Trotzdem die Art der Vorführung eine Kontrolle, diesmal
noch in einem größeren Umfange, gestattete, spielt sich ein Wunder ab.
Hier wechselt die Arbeitsmethode. Durch die große Zahl der voran-
gegangenen Experimente kann vielleicht (und mit Recht) die Auffassung
entstanden sein, daß sich der wunderbare Teil des Vorganges auf ganz
natürliche Weise bereits vor dem Resultat des Experiments vollzogen
hat. Daher wird eine, nebenbei bemerkt völlig einwandfreie, Kontrolle
solange geboten, bis die Erscheinung eintritt. Die Ausführung gestattet
sogar die Anwesenheit einer beobachtenden Person auf der Bühne. Nun-
mehr, da der Zuschauer Gelegenheit hatte, die Vorbereitungen noch
eingehender zu verfolgen und zu kontrollieren, ist das Resultat noch
294 Ernst Paasche.
Sitzung (vor und während des Ablaufs der Erscheinungen). Bei genauer
Befolgung der gegebenen Anweisungen üblicher Art ist, wenigstens für
einen Taschenspieler, eine freie Urteilsbildung schwer möglich. Allerdings
wird er weniger der suggestiven Beeinflussung, weniger leicht der Beein-
flussung durch die suggestive Sphäre unterliegen, als jeder andere. Dem
Einwand, daß er die Harmonie stören könnte, ist nur dadurch zu be-
gegnen, daß sein Beruf möglichst allen Teilnehmern, zum mindesten aber
dem Medium wie dessen Freunden, unbekannt bleibt. Seine Tätigkeit
wird vorzugsweise eine rein beobachtende sein müssen. So soll während
der Sitzung eine Berührung gemeldet werden und kurz darauf ein Apport
zustande kommen. Es wird dem Taschenspieler leichter als jedem anderen
sein, schon vor Erscheinen des Apports dessen Ort zu entdecken, weil
er aus den Bewegungen des Mediums und der Beisitzer Schlüsse zieht,
die der Laie aus Unkenntnis verabsäumt. Vor allem wird bei ihm nie
die geforderte Ablenkung so leicht gelingen, da ihn die Erscheinungen
als solche überhaupt nicht interessieren und seine Aufmerksamkeit nur
ihrem Zustandekommen zugewendet ist. Auch das Verschwinden von
Gegenständen aller Art unterliegt dann einer ganz anders gearteten
Kontrolle, da bereits die Gelegenheit für solche Möglichkeiten besser und
schneller erkannt wird. Es lassen sich noch viele andere Erscheinungen
auf ihren Zusammenhang mit der Taschenspielerei untersuchen. Bekannt
waren im vergangenen Jahrhundert die Künste von Alfred Firman u,nd
seinem Gehilfen Chapman, die im Buguet-Prozeß leider aber auch nicht
ganz an die Öffentlichkeit kamen. Firman gelang es stets, allerdings nur
in völlig dunklem Raume, bei einer Tischsitzung den Tisch über einen
bis fast zwei Meter hoch steigen zu lassen, was an sich kein Wunder
gewesen wäre, wenn nicht die Kontrolle durch die beiden Kontrolleure
neben ihm eine äußerst strenge gewesen wäre. Er befreite die Hände für
dieses Experiment nie aus der 'Hand des Nachbarn, und auch seine beiden
Füße, auf welche die Füße der Danebensitzenden gestellt wurden, entzog
er nicht der Berührung. Dieser Umstand ist festgestellt und keine bloße
Vermutung. Hilfsmittel benötigte er hierfür nicht, und so war es kein
Wunder, wenn sein Ruhm wuchs. Dieser gestattete ihm dann, bei ziemlich
rigorosen, durch die spiritistisch eingestellten Kontrollpersonen verlangten
Bedingungen die üblichen Erscheinungen der spiritistischen Sitzungen des
vergangenen Jahrhunderts zu erzielen. Wäre nur ein einziges Mal ein
Taschenspieler dabei gewesen, so wäre diesem der Umstand aufgefallen,
daß die Mehrzahl der Erscheinungen nur bei völliger Dunkelheit zustande
kam, was in Anbetracht der großartigen Phänomene nie sonderlich be-
achtet worden ist. Es ist kennzeichnend für die angewendeten Beobachtungs-
methoden, daß eine vollständige, im allgemeinen auch sehr reizvolle Er-
klärung erst durch Chapmans eigene Enthüllungsschrift gegeben wurde.
Aber auch für die Beobachtungen bei gedämpftem Lichte, welches
den Zweifel um so mehr beseitigt, als es die Beobachtungsmöglichkeit
erhöht, ergeben sich vielerlei Täuschungsmöglichkeiten. Die Hand des
Mediums kann längst im Besitz des hervorzubringenden Gegenstandes
296 Ernst Paasche: Trickmäßige und okkulte Erscheinungen.
sein, ohne daß es auch nur einer der Anwesenden merkt. Ich habe mal
eine ganze Reihe von Beobachtern gefragt, was Palmage ist, und keiner
konnte mir eine einwandfreie, zutreffende Erklärung geben. Es ist dies
allerdings schon eine Reihe von Jahren her ; aber in den letzten Jahren
hat doch eine ganze Anzahl einwandfreier Entlarvungen stattgefunden,
so daß es mir scheint, als ob man mit diesem Studium noch nicht be-
gonnen hätte. Man versteht unter Palmage die Erfassung und Verbergung
eines mehr oder minder großen Gegenstandes in der inneren Handfläche
durch Daumenwurzel und Muskeln des kleinen Fingers, wobei der Rücken
der Hand den Gegenstand deckt und sämtliche Finger frei bewegt werden
können. Durch Annahme einer möglichst natürlichen Stellung derselben
wird der Anschein erweckt, als ob die Hand leer ist, da man ja gewöhnlich
jeden Gegenstand mit den Fingern zu fassen pflegt. Es ist hierbei leicht
denkbar, daß ein Medium im Nebenzimmer völlig nackt untersucht wird,
beim Herausgehen oder vor dem Platznehmen den irgendwo liegenden
Gegenstand des Apports unauffällig ergreift, palmiert und ihn erst in der
Sitzung zum Vorschein bringt. Ich habe noch nie gelesen, daß durch
entsprechende Untersuchung diese einfachste Möglichkeit des Hervor-
zauberns unterbunden worden wäre. Gerade die Beherrschung dieser
Kunst kann bei Entkleidungssitzungen recht beachtbare Wunder erzeugen.
Der Laie auf dem Gebiet der Taschenspielerei ist ohne Ausnahme immer zu
täuschen, gleichgültig, ob er im zivilen Leben den Beruf ein es Honorarprofes-
sors oder vielleicht den eines Physikers ausübt. Damit sei nicht gesagt, daß
nicht auch der Taschenspieler zu täuschen wäre. Hervorragende Tricks
sind oft auch in den Fachkreisen ungeklärt geblieben, aber es ist dann
doch ohne weiteres festzustellen, ob das Medium eine große oder nur
geringe taschenspielerische Begabung besitzt. Von einem mir bekannten
Medium wurden mir übrigens einige Tricks, die ich selber beherrsche,
so einwandfrei vorgeführt, daß ich meine Anerkennung nicht versagen
konnte. Trotzdem glaube ich, selbst ohne seinen bedeutenden Sitzungen
beigewohnt zu haben, daß dasselbe auf keinen Fall bewußt derartige
Kunststücke anwendet, weil die Art der produzierten Erscheinungen be-
kannte Taschenspielertricks ausschließt und ihre psychische Beschaffenheit
abnorme Erscheinungen wohl in den Bereich der Möglichkeit rückt.
Die Summe der in das Gebiet fallenden Erscheinungen reicht bis
zur Telepathie und bis zum Hellsehen. Bei telepathischen Experimenten
ist z. B. eine Täuschung leichter zu erklären als nachzuahmen, weil sehr
viele Fälle bekannt sind, deren Erzeugung eine langjährige Übung er-
forderte, die nicht ohne weiteres erworben werden konnte. Der Nachweis
ist so möglich, daß die Bedingungen des Zustandekommens vom Taschen-
spieler erkannt werden und durch Versuchsanordnung auszuschalten sind.
Diese Ausschaltung ist hier einfach und leicht im Verhältnis zu der bei
Materialisationssitzungen schon aus dem Grunde, weil die Zuschauer eine
aktive Rolle spielen. Bei allen Fällen des Hellsehens gestattet die Versuchs-
anordnung bereits dem Taschenspieler ein Urteil, wenn es auch viele
Fälle in diesem so überreichen und wunderbar zu bearbeitenden Gebiete
Graf Perovsky-Petriivo-Solovovo : Ein indirekter Beitrag zum Falle Slade-Zöllner. 297
ihm. Sie verliefen recht unbefriedigend. Soviel ich weiß, ist nie ein Be-
richt darüber erschienen, und zwar, wie mir Herr Aksäkow sagte, den
ich gut gekannt habe (er starb 1903), weil er dem Rufe des Mediums
nicht schaden wollte, den die Leipziger Sitzungen zu einem so berühmten
Manne gemacht hatten.
Diese Begründung ist gewiß bezeichnend, um so mehr als Aks äko w
ein vollendeter Gentleman war und gar nichts vom Fanatiker an sich hatte.
Die Ergebnisse seiner Experimente mit Si ade waren so ungünstig,
daß sie, wie er mir mehrmals sagte, ihn zu der Schlußfolgerung drängten,
das eigentlich wirksame Medium in Leipzig sei nicht der Amerikaner,
sondern — Zöllner gewesen; genauer gesprochen, der letztere müßte eine
„katalytische" Kraft besitzen, die einen besonders günstigen Einfluß auf
Slades Fähigkeiten ausgeübt habe.
Die Einzelheiten der Sitzungen von 1878 sind mir nicht bekannt.
Ich weiß nur, daß sie zahlreich waren, daß das Medium bei Betrügereien
in flagranti ertappt wurde, daß kein entscheidender Versuch nach Art
derjenigen, welche die Leipziger Sitzungen unsterblich gemacht haben,
gelang. Kurz, diese Experimente bereiteten Herrn Aksäkow eine tiefe
Enttäuschung.
Alles dies hat er mir wiederholt erzählt. Trotzdem glaubte er, wie
das ja bei den Spiritisten und überzeugten Metapsychisten die Regel ist,
auch echte Phänomene beachtet zu haben, besonders auf dem Gebiete
der Tafelschrift.
Ich habe dieses negative Ergebnis ganz kurz erwähnt in einem
Satze des Bandes, den ich teilweise dem russischen Spiritismus widmete
Wolfgang Greiser : Von Amuletten und Talismanen. 299
und den ich im Jahre 1905 meiner russischen Übersetzung des Buches
„Modern Spiritualism" von Frank Podmore als Anhang beifügte.
Wenn ich nicht irre, haben die „Psychischen Studien" 1899 an
ihrem 25. Jahrestage — der russische Forscher hatte sie 1874 begründet —
eine Biographie Aksük o ws in deutscher Sprache erscheinen lassen, die
er selbst durchgesehen hat ; in dieser Broschüre wies ein Wort, buch-
stäblich eines, auf das Ergebnis jener Petersburger Sitzungen mit Slade
hin, die ihn so sehr enttäuscht hatten. Das Wort lautete „unbefriedigend" !
Es schien mir wichtig, hier eine Tatsache zu vermerken, die so
wenig bekannt ist, daß ich möglicherweise heute der einzige Mensch
bin, der sich ihrer noch entsinnt.
Der Mißerfolg der Experimente Aksäkows mit Slade liefert na-
türlich nicht den unzweifelhaften Beweis, daß die ein paar Monate
vorher veranstalteten Versuche Z öllners mit dem gleichen Medium
nur durch Betrug entstandene Resultate gezeitigt haben, versetzt aber
nichtsdestoweniger dem schon recht brüchig gewordenen Ansehen des
Amerikaners einen neuen Hieb, und zwar, wie mir scheint, den stärksten
von allen. Sehr bezeichnend ist auch das Opfer des Schweigens, das
Aksäkow sich auferlegt hat. Wie oft haben andere Forscher aus ähn-
lichen Gründen sein Beispiel nachgeahmt ! Amica veritas, sed magis
amici media, so scheint es! . . Ich wünsche aber um keinen Preis, daß
man A. N. A k s i k o w ausschließlich nach diesem seinem Schweigen en-
schätzt. Er hat sein ganzes Leben dem Suchen nach Wahrheit im Gebiete
der Metapsychik geopfert, er hat sich für diese Aufgabe selbst ver-
schwendet, ohne 7u rechnen, er hat im ganzen unparteiisch und mit mög-
lichster Objektivität gearbeitet. „Nicht immer" sagt man vielleicht. Nein,
leider nicht immer! Aber wer sich selbst in dieser Hinsicht ohne Sünde
fühlt, nur der werfe den ersten Stein auf ihn !
Gesetze und Lebenskräfte das Überspringen der Lichtfunken aus dem Be-
reiche des Sinnlich-Beschaulichen in dasjenige des Übersinnlichen, das
bewußte oder unbewußte Eingreifen aus der Welt des Glaubens in die
Welt des Bestehens.
Hunderterlei Dinge sind es, die uns täglich umgeben oder die wir
tagsaus, tagein anlegen, uni sie in Form von Ketten, Ringen, Broschen,
Ohrringen, Nadeln und ähnlichem Schmuckwerk zu tragen, ohne uns viel-
leicht auch nur im geringsten Gedanken darüber zu machen oder jemals
gemacht zu haben, daß sie altheidnischem Wunderglauben entnommen
sind, vorchristlichem Auchglauben, christlichem Trutzschutz oder dem „ge-
klärteren" und zeitgemäßen Suggestionswissen. Immer aber zollen wir
mit diesen Dingen unserem Innern einen Tribut an sein fühlendes, un-
geschriebenes Gesetz, ganz unabhängig davon, ob wir solche Sachen dieser
Tendenz zu- oder absprechen, glaubend einräumen oder „unglaubend" vor-
enthalten wollen.
Denn alle jene Dinge aus Stein, Ton, Knochen, Bronze- und anderen
Legierungen, Metallen aller Art und Edelmetallen, die wir, und vor allen
Dingen unsere Frauenwelt uns angewöhnt haben, als Schmucksachen an
dem Halse oder an den Händen mehr oder weniger absichtlich verborgen
oder auch völlig frei und sichtlich zu tragen, sind Amulette, die in ihrer
suggestiven Wertung durch die Macht tlei Gewohnheit und durch das
Übel der Verallgemeinerung an ihrer ursprünglichen Bedeutung verloren
haben, aber dennoch zu einem etwa gar nicht verschwindend geringen Teile
in unserem Volke fast wie ungewollt noch eine autosuggestive Wertung
erfahren.
„Perlen bedeuten Tränen," sagt beispielsweise der Volksmund in An-
lehnung an ein bekanntes Dichterwort, und es gibt gewiß nicht eine ge-
ringe Zahl derer, die sich eben einen Perlenhalsschmuck nur deshalb ver-
sagen, weil unsere Volksweisheit dies Sprüchelchen erfand und prägte.
Der Amethyst hat seine Sonderwertung ebenfalls beibehalten, auch die
Koralle, der Opal und der Smaragd. Ja, man spricht geradezu von einem
gesamten „Edelgesteinsglauben", der sich fast bei jedem Kauf solcher
Steine in Ringen und Ketten bemerkbar macht, und die Verallgemeinerung
solchen Glaubens ist ganz bestimmt größer, als man sich zuzugeben in
weiten Kreisen entschließen mag. Also sind alle diese Dinge eigentlich
nichts anderes und nichts mehr und nichts weniger als im wahren Sinne
des Wortes — Amulette.
Ob wir dieses Wort vom altarabischen „hamäil", d. h. Halsschnur,
ableiten oder ob wir es unter Plinius aus dem lateinischen „amuletum"
entstanden wissen möchten, immer sind dabei Figuren mit Charakteren
und Inschriften gemeint, die aus Stein, Metall, Horn oder Pergament am
Halse getragen wurden und gegen Zauber, Krankheiten, Verwundungen
und allerlei körperliche Schäden schützen sollten. Die ältesten Formen
solcher Amulette mögen die Skarabäen der alten Ägypter und Chaldäer
gewesen sein. Sie verehrten in mächtigen Steinbildern eine von ihnen
als heilig gepriesene Käferart (den Pillenkäfer), den sie auch bald in den
Von Amuletten und Talismanen. 301
Grazer Brief.
Von Prof. Daniel Walter, Graz.
Ein an Medien gesegneter Erdenwinkel ist die steirische Landes-
hauptstadt G r a z. Sie beherbergt in ihren Mauern niclit nur das bereits
europaberühmte Medium Frau Silbert, sondern auch noch eine Anzahl
anderer Medien, die höchst beachtenswerte physikalische Leistungen auf-
weisen. Leider hat es die Verfolgung, der sich Frau Silbert ausgesetzt
sah, mit sich gebracht, daß zwei starke physikalische Medien sich unter
keinen Umständen bewegen lassen, in die Öffentlichkeit zu gehen, ja
sogar mit ängstlicher Beflissenheit alles abwehren, was sie. als Medien
bekannt machen könnte. Ein Sprechmedium von schönen Fähigkeiten
ist Frau N., eine Offizierswitwe. An ihr läßt sich besonders die poetische
Schwungkraft der Ekstase studieren. In naher Zeit wird auch eine anerkannte
steirische Dichterin mit ihren Einblicken in das traumwandelhafte dich-
terische Schaffen an die Öffentlichkeit treten. Kürzlich weilte hier der
Gießener Hochschulprofessor Messer. Er hatte mit Frau Silbert unter
zwingenden Bedingungen und Sicherungen zwei Sitzungen, die an medi-
alen Erscheinungen reich waren. Es gab Klopflaute, Berührungen, Lichter,
Teilmaterialisationen, Hellsehexperimente u. a. in. Ein ausführlicher Be-
richt folgt.
Verschiedenes.
Erwiderung.
Berichtigungen.
Die an dieser Stelle in Heft 1, S. 78 zitierte anonyme Besprechung des Buches
von H ou dini im „Journal" der S. P. R. stammt, wie wir auf Wunsch der beteiligten
Herren hiermit richtigstellen, nicht von Mr. Dingwall, sondern von Mr. Harry Pric e.
v. Klinckowstroem.
In der Besprechung des Buches „Cou6 und der Couksmus" von 0. S e eling und
Dr. Fr anz in e y er findet sich der Satz „Wie in jeder wissenschaftlichen Sekte wird
auch hier die Diskussion teilweise von Leuten bestritten, die viel überschüssige Zeit
für überflüssige Fragen haben". In diesem Satze ist das Wort „hier" so mißverstanden
worden, als bezöge es sich nicht auf die coukstische Bewegung und etliche in ihr zutage
tretende Gedanken, sondern auf das rezensierte Buch und seine beiden verdienstvollen
Verfasser. Nein, ein so grobschlächtiger Kritiker bin ich nicht! Hier hatte mein Be-
denken es nur mit Ideen zu tun, über die Seeling und Franzmeyer referieren, nicht
mit solchen, die sie selber äußern.
In der Revue Mkapsychique, November—Dezember 1925, S. 424, bespricht Ren
Sudre unsere Zeitschrift. In meiner „Einführung" in unsrem ersten Heft habe ich
gesagt, der Ausdruck „Okkultismus" — wohlgemerkt, der Aus dru ck — sei des-
infektionsbedürftig, aber „Metapsychik" und „Parapsychologie" (in Gänsefüßchen, also
auch nur als Worte, als wissenschaftliche Termini) seien es auch bereits. Sudre sagt
auf S. 422 selbst „Le mot ,oecultisme‘ est tout ä fait discrklitö auprCs des gens de
science," uns aber imputiert er die Absicht „de Usinfecter l'occultisme" ebenso wie
die Metapsychik. Daraus schließt er auf eine Auffassung „qui tenel ä, rendre suspects
une foule de travaux frainais et alleniands consids jusqu' ici comme inattaquables",
und schiebt uns eine überradikale, der okkultistischen Bewegung feindliche Tendenz zu.
In meiner ganz neutral gehaltenen Einführung steht davon natürlich kein Wort. An
diesem offenkundigen Mißverständnis tragen vielleicht sprachliche Schwierigkeiten die
Schuld. R. B.
Zeitschriftenreferate.
Proceedings of the Society for Psychical Research.
Vol XXXV, Part 96, December 1925:- S.471-4.-594: A Report on some Communi-
cations received through Mrs. Blanche Cooper. By 5. G. Soal, M. A., B. Sc.
S. G. S o al berichtet ausführlich über eine Anzahl von Sitzungen mit dem Berufs-
medium Blanche Cooper in London, einem sog. „Trompetenmedium"; d. h. die sich
durch ihre Vermittlung äußernden „Geister" Verstorbener geben sich mit Hilfe eines
Sprachrohrs kund. S o al hat dabei lediglich die intellektuellen Phänomene berück-
sichtigt; er hat nicht weiter untersucht, ob es sich um „direkte Stimmen" handelt oder
ob die Mitteilungen aus dem Jenseits durch die Stimme des Mediums selbst erfolgten.
Es waren Dunkelsitzungen, während welcher ständig eine Spieldose in Tätigkeit war.
Im Laufe dieser Sitzungen haben sich mehrere Persönlichkeiten angeblich Verstorbener
mitgeteilt, ohne aber den Beweis ihrer Identität erbringen zu können. Ja, eine der-
selben (der Fall Gordon Davis) stellte sich nachher als noch lebend heraus. Eine andere
(John Ferguson) konnte überhaupt nicht nachgewiesen werden. Die auf diese Art ge-
wonnenen Mitteilungen haben aber nach dem Bericht immerhin so viel ergeben, daß
der Berichterstatter Gedankenübertragung annimmt: ein „Abzapfen" von allerhand dem
Medium unbekannten Details aus dein Unterbewußtsein der Sitzungsteilnehmer, nament-
lich So als selbst, gelegentlich wohl auch das, was Ba erwal d als „dreieckige Tele-
pathie" bezeichnet hat.
Vol. XXXVI, Part 97, January 1926. Inhalt: I. A Report on a Series of Sittings
with Mr. Willy S chn ei de r. By E. J. Dingwall, S. 1-33. II. Luminous and other
Phenomena observed with the Medium Janusz Fronczek. By V. J. Weolley and
E. J. Dingwall, S. 34-51. IH. An Account of a Series of Sittings with Mr. George
Valiantine. By V. J. Woolley, S. 52-77.
Zeitschriftenreferate. 307
1. Dem Referat uber Dingwalls Bericht über eine Reihe von Sitzungen mit Willy
in London möchte ich ein paar Bemerkungen allgemeiner Art vorausschicken. Die von
diesem Medium gezeigten Phänomene machen einen so läppischen Eindruck, daß sich
niemand wundern darf, wenn sie Fernerstehenden, die sich dem Niveau solcher Sitzungen
nicht adaptiert haben, völlig unglaubhaft erscheinen, trotz der bei ihm angewendeten
Kontrollmethodik. In den Experimenten Dr. v. S c hr encks mit Willy tritt nun, ob-
wohl er jetzt schon viele Jahre mit Willy arbeitet, nicht das Bestreben zutage, die
Phänomene ihres läppischen Charakters zu entkleiden und uberhaupt einmal durch
Variierung der Versuchsmethoden einen Schritt weiter zu kommen. Er begnügt sich
mit dem eintönigen Schauspiel einer ständigen Wiederholung desselben Repertoires,
und man muß sich wundern, daß ihm das noch nicht langweilig geworden ist. Referent
hat schon im „Dreimännerbuch" sich dahin ausgesprochen, daß S chr en ck nicht als
der geeignete Kopf erscheinen kann, um seiner Sache zum durchschlagenden Siege zu
verhelfen. Denn wenn es sich hier wirklich um die Äußerung bisher unbekannter und
uPerfurschter Kräfte handelt, dann ist es doch außerordentlich bedauerlich, daß die
Forschung auf diesem schwierigen Gebiete nicht weiterkommt, weil sie in dazu offen-
bar nicht hinreichend befähigten Händen gewissermaßen menepplisiert”-eeselteint. Mit
einer gelehrt klingenden Tertiainologie ist es nicht getan, ebensowenig wie mit theo-
-
retischen Möglichkeiten. Und auch die Feststellung der Tatsächlichkeit der Phänomene
selbst läßt nach der bisher ublichen Methodik noch zu wunschen ubrig. So sollte doch
Sehr enck berucksichtigen, daß fur jemanden, dem das nicht zu einem gewohnten
Schauspiel geworden ist, beispielsweise das Erscheinen einer lebenden Hand aus dem
Nichts als ein ganz unglaubhafter Vorgang erscheinen muß. Wenn eine solche Hand
erscheint, dann gibt es fur den Skeptiker zunächst nur die Alternative: das ist ent-
weder die Hand des Mediums oder die eines der anderen Anwesenden. Da muß doch
alles versucht werden, um solche Möglichkeiten auszuschließen: also in Mister Linie
starke Leuchtbänder um die Handgelenke aller Sitzungsteilnehmer, uberraschende
Blitzlichtaufnahmen, automatische Kontrollen usw. --
Ferner wird die Forderung immer lauter werden, daß man versuchen muß, den
Phänomenen einmal auf ganz anderem Wege beizukommen. Von einer weiteren Häufung
derartiger Berichte wie bisher nach der gleichen Untersuchungsmethodik kann ich mir
nichts versprechen. Möglicherweise ist jetzt Willy bereits fur eine grundlegende Änderung
im Aufbau der Veisuche verdorben, da man sieh jahrelang den,,Bedingungen" fugte, die
man fur gegeben hielt, um uberhaupt Resultate zu erzielen. Willy soll doch anfangs
im Elternhause auch bei heller Beleuchtung Phänomene erzeugt haben : Flournoy
wäre niemals zu seiner glänzenden psychologischen Analyse der erstaunlichen intellek-
tuellen Phänomene der Helene Smith gelangt, wenn er es nicht verstanden hätte, uber
das naive spiritistische Niveau seiner Versuchsperson hinauszugelangen und den Ablauf
der Phänomene in gewunschte Bahnen zu lenken. Warum soll das bei den sog. physi-
kalischen Medien nicht auch zu erreichen sein? Hätten wir uns damit begnugt, das
Glimmlicht in den G-eißlerröhren anzustaunen, anstatt diese Erscheinungen in jahr-
zehntelangen Untersuchungen zu studieren, so wußten wir heute nichts von Kathoden-
oder Röntgenstrahlen. Kurz : ich sehe keinen Weg, auf die Art und Weise, auf die
Sehr enck sich beschränkt, diese dunklen Phänomene zu klären und ihre Erkenntnis
zu fördern, vorausgesetzt, daß es sich um echte Phänomene handelt. Denn es ist ja
möglich, daß wir uber kurz oder lang zu einer Anerkennung derartiger Erscheinungen
gelangen. Wenn wir heute noch nicht so weit sind, so ist das die Schuld Dr. v. Schrenc k-
Notzings, der seine Rand auf die Versuchspersonen legte und angesichts des Mangels
an medial begabten Personen damit unabhängige Untersuchungen von anderer, viel-
leicht zuständigerer Seite de facto so gut wie verhinderte
Es ist daher sehr zu begrußen, daß die S. P. R. Gelegenheit hatte, im November
und Dezember 1924 eine kurze Reihe von Sitzungen mit Willy in London abzuhalten,
nachdem E. J. Dingwall bereits im Jahre 1922 in Munchen 3 Sitzungen bei Dr. v. Sehr e ne k-
Not zing beiwohnen konnte Man wird es unter diesen Umständen begreiflich
finden, daß die englischen Untersucher die ubliche und dem Medium gewohnte Unter-
suchungsmethodik anwendeten. Frau Holub, die nach dem Tode ihres Gatten in
308 Zeitschriftenreferate.
Wien Willy betreute, war mit ihm nach London gekommen und nahm an allen
Sitzungen teil.
Es fanden in London im Sitzungsraum der S. P. R. 12 Sitzungen mit Willy statt,
von denen 8 positiv waren. Die Kontrolle war im großen und ganzen die übliche, doch
wurde das Medium nicht vorher körperlich untersucht. Das Medium betrat den Raum
stets zu Beginn der Sitzung und wurde sogleich von den beiden Kontrollpersonen, die
stets die gleichen waren: Dingwall und Woolley, an seinen Platz geleitet. Erst im
Sitzungsraum wechselte das Medium die Kleider: es zog einen Pijama und einen Rock
an, die während der ganzen Sitzungsperiode ständig im Sitzungszimmer verwahrt blieben.
Die Schuhe und Strümpfe behielt es an. Über die Verteilung der Teilnehmer, Platz
des Mediums usw. unterrichtet die beigegebene Situationsskizze. Platz des Mediums (M)
M So ra,
• Ta
•
c,• Tisch,
•
c,
•
•
0 •
L • • e,
1,viiv
H
Situationsskizze.
31= Medium. C, = Mr. Wooley. C, Mr. Dingwall, die beiden Kontrollpersonen.
L -=- Tisch mit Rotlichtlampe. H -= Frau Holub. NTT = Tisch des Protokollführers.
in der Ecke auf dem Sofa, vor dem der Tisch stand, mit der Front zum ersten Beob-
achter (C, Woolley). Vor ihm saßen die beiden Kontrollpersoner mit der Front gegen
den Tisch. C i faßte von der Seite die beiden Hände des Mediums bei Daumen und
Vorderhand, C, (Dingwall) bei den Fingerspitzen. Die Beine streckte das Medium ent-
weder seitlich unter den Stuhl von C, oder es ließ eines in dieser Stellung, während
das andere vor seinem eigenen Sitz stehen blieb; in jedem Fall aber blieben seine Beine
hinter den Beinen von 0. Um Hand- und Fußgelenke des Mediums Leuchtbänder.
Bei besonderen Gelegenheiten wurden außerdem noch Leuchtnadeln verwendet. Die
Protokolle der 8 positiven Sitzungen werden von Dingwall nach den Niederschriften
des Protokollführers (Mrs. Dingwall) wiedergegeben. Die Phänomene waren weit schwächer
als in München und Wien und waren nach Dingwall nur bei wenigen Gelegenheiten
beweiskräftig. Es wurden im wesentlichen telekinetische Wirkungen beobachtet; ge-
legentlich zeigten sich vage Formen silhouettenartig in der Nähe eines Gegenstandes,
der dann unmittelbar darauf bewegt wurde. Aber diese Formen waren zu flüchtig und
schattenhaft, um einen bündigen Schluß auf teleplastische Gebilde zuzulassen. Der
Wunsch des Mediums nach reger Unterhaltung, Lärm und Musik war stets lebhaft.
Ein Grammophon sorgte für die nötige Musik. Dauer der Sitzungen durchschnittlich
8 Stunden. Beleuchtung: Rotlic,htlampe auf dem Tischchen L, mittelst Rheostat in der
Zeitschriftenreferate. 309
Lichtstärke vom Protokolltisch aus regulierbar. Das Licht genügte, um den Raum un-
mittelbar vor Frau Holub (H) hinreichend zu beleuchten. Die Phänomene waren, ab-
gesehen von dem bekannten „kalten Wind", dessen Ursache nicht geklärt werden konnte:
ziemlich schwache, aber doch immerhin deutliche Bewegungen eines Taschentuchs, eines
auf der einen Seite selbstleuchtenden Tamburins mit Schellen, eines Streifens Leucht-
karton, eines Leuchtringes usw., die sämtlich bei den Versuchen auf dem Tische lagen.
Diese Fernbewegungen gelangen auch, wenn die Gegenstände in einem Gazekäfig dem
unmittelbaren Zugriff des Mediums entzogen waren (so namentlich in der 8. Sitzung).
Die Öffnung dieses Käfigs befand sich auf der von den Sitzungsteilnehmern abgewandten
Seite und seitlich vom Medium, so, daß eine gerade Linie vom Kopf des Mediums zu
den Objekten im Käfig durch die Grazewand hindurchführte. Die Entfernung der Ob-
jekte vom Medium war im Höchstfall 90 cm, meist weniger. Hätte das an den Händen
und Füßen kontrollierte Medium die Fernbewegungen etwa mit dem Munde ausführen
wollen, so hätte das nach Dingwall wegen des dazu unerläßlichen Vorneigens des Ober-
körpers unmöglich verborgen bleiben können. In der 7. Sitzung war ein Taschenspieler,
Douglas Dexter (Marks) zugegen, der ein bemerkenswertes Votum in dem Sinne abgab,
daß nach seiner Meinung unter den gegebenen Verhältnissen weder das Medium noch
einer der Teilnehmer die beobachteten telekinetischen Phänomene hätte betrügerisch
erzeugen können, ohne sofort dabei ertappt zu werden. Im Anschluß an das Protokoll
der 8. Sitzung diskutiert dann D in gwa 11 selbst ohne Scheu die Möglichkeit, ob außer
dem Medium etwa einer der Teilnehmer in der Lage gewesen wäre, die Phänomene —
Bewegung des Tamburins innerhalb des Gazekäfigs — auf natürliche Weise zu bewerk-
stelligen. Nur Mr. W. H. Salter, der Ehrenschatzmeister der 5. P. R., hätte von seinem
Platz aus dazu die Möglichkeit gehabt, wenn er eine Hand aus der Kette befreit hätte.
Er hielt aber während der ganzen Sitzung mit beiden Händen die rechte Hand seines
Nachbarn Mr. F. M. Stratten, wie dieser bezeugt. Das Medium hätte die Wirkung
nur mit Hilfe feiner Drähte erzielen können, die vorher an dem Tamburin hätten be-
festigt worden sein müssen und die es mit seinem Munde hätte dirigieren müssen.
Der Versuch, eine volle Levitation des Mediums zu erzielen, wie sie in Wien beob-
achtet worden war, mißlang
In seiner sorgsam abwägenden Schlußzusammenfassung kommt Dingwall zu dem
Ergebnis, daß Willy wohl einzelne Phänomene, wie die Bewegung des Tisches, mit
seinem Kopf hätte ausführen können; daß der kalte Wind und das Klingeln der Tam-
burinschellen durch Blasen hätte erzeugt werden können; daß aber z. B. die Fern-
bewegung des Leuchtringes oder des Kartonstreifens nur die Annahnie' einer über-
normalen Kraftäußerung zulasse. Dingwall stellt zugleich Überlegungen an, mit
welchen Hilfsmitteln etwa das Medium diesen Effekt auf betrügerische Weise hätte er-
reichen können, glaubt diese aber ausschließen zu dürfen. Er erklärt sich aber bereit,
seine telekinetische Hypothese sogleich aufgeben zu wollen, wenn ihm d3r G-egenbeweis
geliefert würde. So gelangt denn Dingwall im großen und ganzen zu einer Be-
stätigung der Ergebnisse Sc hr en ck-N o tzing s.
Wir halten es danach für dringend geboten, daß nunmehr einem befähigten
Experimentalpsychologen, etwa Prof. K. Marbe, die Möglichkeit zu einer selbständigen
längeren Untersuchungsreihe mit den Brüdern Schneider geboten würde und zugleich
damit die erforderlichen Geldmittel. Durch unfruchtbare Debatten läßt sich die Frage
jedenfalls nicht klären.
2. Hinsichtlich der Versuche mit dem jungen polnischen Medium Janusz Fronczek,
einem Bergingenieur, können wir uns kürzer fassen. Im August und September 1923
hatte Ding Wal 1 drei Sitznngen mit ihm ih Warschau, wobei telekinetische, tele-
plastische und Leucht-Phänomene beobachtet wurden. Im April und Mai 1925 fanden
dann 9 Sitzungen mit diesem Medium in London statt, von denen nur 3 positiv waren.
Die von Dingwall und Wo oll ey ausgeübte Kontrolle war ähnlich wie bei Willy.
Dingwall kam auch hier sehr bald zur Überzeugung, daß die gezeigten telekinetischen
Phänomene — Bewegung eines Leuchtringes und einer Handschelle am Boden un-
mittelbar zu Füßen des Mediums — auf betrügerischem Wege nur mittelst des Mundes
erzielt werden konnten. Dazu hätte es aber eines geeigneten Instrumentes bedurft. Nun
310 Zeitschriftenreferate.
fiel es Dingwall auf, daß sich das Medium ein Kissen als Polster für seinen Kopf
geben ließ. Der Verdacht konzentrierte sich also auf dieses Kissen, und es konnte dann
tatsächlich mit Sicherheit festgestellt werden, daß Fronczek mit Hilfe des Kissens, das
er mit den Zähnen faßte, die Fernbewegungen vortäuschte. Außerdem wurden merk-
würdige Leuchtphänomene am Munde und in der Nähe des Mundes des Mediums beob-
achtet, die z. T. an Fäden zu hängen und zu pendeln schienen und offenber durch
Kopfbewegungen des Mediums bewegt wurden. Der Verdacht lag nahe, daß auch diese
Phänomene auf betrügerischem Wege erzeugt wurden, jedoch gelang es Dingwall
nicht, dem Trick auf die Spur zu kommen, obwohl ein eigentümlicher Husten die Pro-
venienz aus dem Munde nahelegte.
3. George Valiantine ist wieder ein „Trompetenmedium", das mit angeblichen
„direkten Stimmen" aus dem Geisterreich arbeitet. Die Sitzungen fanden statt im Hause
eines Spiritisten, H. D. B r a dl e y, bei welchem Valiantine zu Gast war. Als Vertreter
der S. P. R. nahmen Una Lady Troubridge und Miß Radclyffe Hall im Jahre 1925 an
einer Reihe von Sitzungen teil, die meist im Dunkeln, einmal aber auch bei Tageslicht
stattfanden. Die Berichte der beiden Damen sind hier von Woolley veröffentlicht worden.
Die Berichterstatterinnen scheinen von der Echtheit der Phänomene ziemlich überzeugt
zu sein, jedenfalls vermochten sie einem Betrug nicht auf die SFur zu kommen. Es
erübrigt sich, näher auf die Phänomene einzugehen, über die man kein klares Bild ge-
winnen kann. Wie in den Dunkelsitzungen die benutzten Sprachrohre, die sich nach
den Sitzungen als innen behaucht erwiesen, bewegt wurden, entzog sich jeder Kontrolle,
und bei der Tagessitzung ließen sich nur flüsternde Stimmen im Rohii vernehmen, über
deren Entstehung die Damen sich nicht klar werden konnten.
Graf Carl v. Klinckowstro cm.
„Der Okkultismus".
(Verlag G. Wittler, Bielefeld). März 1926.
Das Heft enthält einige wertvolle Beiträge Dr. Tischner s. In dem Aufsatz
„Eigenartige Hellsehversuche" schildert er die Experimente eines Gelehrten Kr., der
die seiner Ansicht nach in jedem Menschen schlummernde hellseherische Anlage durch
bestimmte Yogha-tibungen geweckt hatte. (Es ist sehr zu bedauern, daß diese nicht
näher geschildert werden.) Er vermochte eine umgekehrte, d. h. mit der kartonnierten
Seite nach oben liegende, ihm unbekannte Photographie bei geschlossenen Augen mit
den Fingern abzutasten, anzugeben, welche Stellen hell oder dunkel waren, wo sich
ein spitzer Turm, wo Himmel, wo sich die netzartige Rieselung im Mauerwerk eines
Hauses befand ; nach seinen Angaben konnten einige Umrisse richtig durchgepaust
werden. Es wurden aber nur die markantesten Linien, nur die schärfsten Helligkeits-
kontraste erkannt. Dadurch kennzeichnet sich diese Leistung deutlich als hyperästhe-
tische Wahrnehmung eines schwach durchdringenden Reizes, der, wie Ch o wri n gezeigt
hat, auch mit dem Tastsinn im abnormen Bewußtseinszustand empfunden werden kann.
In der okkultistischen Terminologie wird bekanntlich eine Sinnesverfeinerung, welche
die uns gewohnten Grenzen überschreitet, regelmäßig als Hellsehen bezeichnet. Daß
es sich hier um übersinnliches Hellsehen nicht handeln kann, beweist schon das Ab-
tasten; wozu braucht ein sinnenfreies Erkennen die Finger? Herr Dr. Tisch n er rügte
früher einmal mir gegenüber, daß die Chowrin schen Versuche, aus denen so viele
antiokkultistische Folgerungen gezogen würden, nie eine Bestätigung gefunden hätten.
La voilä.
In „Die medizinische Pendeldiagnose" bespricht Tischner die Versuche von
B en e di ct und Weiß, mit Hilfe des Pendels Krankheiten zu diagnostizieren und
die dafür geeigneten Arzneien herauszufinden. Er übt berechtigte Kritik an der mangel-
haften TJnwissentlichkeit dieser Versuche und erkennt im Gegensatz zu beiden Forschern,
daß das Pendel keinen objektiven „dynamischen Einwirkungen" gehorcht, sondern nur
als Fühlhebel für das unbewußte Wissen des Arztes dient. Aber, fährt T is ch n er fort,
da man in der modernen Medizin so oft das Vorwiegen des rein Verstandesmäßigen,
äußerlich Angedrillten beklagt und das künstlerische und intuitive Moment vermißt, so
könnte das Pendel vielleicht doch eine fühlbare Lücke ausfüllen.
E. Kind b org behandelt in dem Aufsatze „Irrtümer in der modernen Hypnosen-
lehre" einige Versuche, in denen er nachweisen wollte, daß Hypnose nicht allein durch
Suggestion im Sinne der Nancyer Schule entsteht, sondern daß auch Mesmer mit
seiner Strahlungslehre etwas Richtiges gesehen habe. So gelang es Kindbor g, durch
Besprechungen. 313
Annäherung des Magneten oder seiner Hand, die beide durch ein vorgehaltenes Karton-
blatt dem Auge der hypnotisierten Versuchsperson verborgen waren, Sprachhemmung
zu bewirken. Ziel und Methode sind ähnlich wie bei den Alrutzs chen Experimenten,
aber bei letzteren war die Unwissentlichkeit weit besser gewahrt. Kindborg meint,
das schade nichts, denn die Versuchsperson sei ihm gegenüber nicht telepathisch ver-
anlagt gewesen. Woher weiß er das ? Absichtlich angestellte, also vom Oberbewußtsein
durchgeführte telepathische Versuche sind doch nicht etwa ein Maß für die fast nur
von Unterbewußtsein zu Unterbewußtsein hinüberwirkende Telepathie! Und außerdem
spielt da, wo der Experimentator zu gut informiert ist, auch unwillkürliche Zeichen-
gebung eine bedenkliche Rolle. R. Baerwald.
Besprechungen.
A. Besant und C. W. Leadbeater : „Okkulte Chemie". (Theosophisches
Verlagshaus, Leipzig.)
Soll man diese Schrift ernst nehmen? Sie ist auf vorzüglichem Papier ge-
druckt und mit zahlreichen Tafeln ausgestattet, man bedauert aufrichtig, daß
„ein großer Aufwand, schmählich! ist vertan".
Theosophen-Hellseher ergründen das Geheimnis der Atomwelt; von irgend-
welchen chemischen oder physikalischen Kenntnissen sind sie nicht angekränkelt.
Was alle wissenschaftlichen Institute der Welt mit Aufwand von Milliarden nicht
erreichten, gelingt ihnen auf einem Spaziergange. Hellsehend ergründen sie das
Geheimnis des Atoms. Anfänglich waren sie noch in dem Irrglauben befangen,
der Hellseher müsse eine Spur des betr. Materiales in der Hand haben,dessen Atom-
aufbau er ergründen wolle. Später fand man auch dieses überflüssig und konnte
auf 17 km weit die seltensten Elemente, die im tiefverschlossenen Museum ruhten,
hellseherisch so vergrößert erschauen, daß es gelang, ihre Atomkonstruktion
zeichnerisch festzuhalten.
Da uns Mittel und Wege fehlen, die Angaben unserer Theosophen nachzu-
prüfen, müssen wir sie unbesehen annehmen. Daß irgend eine Selbsttäuschung
der Hellseher vorliegen könnte, ist ausgeschlossen; ihre Inspiration kommt, wie
das ganze Gebäude der Theosophie, von „oben". Ausdrücklich erklären unsere
Beobachter, daß sie ihre wissenschaftlichen Forschungen nicht von ihrer Ethik
und Religiosität trennen; sie stehen mit einer Hierarchie spiritueller Lehrer in
Verbindung, die ihnen gewisse Einschränkungen auferlegen. Darunter ist be-
sonders hervorzuheben, daß irgend eine „Probe", irgend ein materieller Beweis
streng verboten sind.
Wir müssen also dies auf 182 Seiten servierte Dogma als Ganzes schlucken
oder ablehnen Wir entscheiden uns für das letztere. H—nn.
Karl Blacher: „Das Okkulte von der Naturwissenschaft aus
betrachte t". Wiener Parapsychische Bibliothek. Heft 7. (Die Okkulte
Welt. Nr. 120/21). Pfuningen, Verlag Johannes Baum, o. J. (1925). 8°. 62 5.
Preis: brosch. M. 1.20.
Dr. Karl B1 a cher, Prof. der chem. Technologie an der lettländischen
Universität Riga, ist 1913 durch einen Wünschelrutengänger davon überzeugt
worden, daß hier kein Schwindel vorliegt; ähnlich wirkte 1914 auf ihn eine
spiritistische Sitzung. "Als nun noch.' die Schrenck-Notzing sehen
,Materialisationsphänomene` erschienen, war meine Stellung dem Okkultismus
gegenüber entschieden. Wie man noch von eitel Betrug und Schwindel sprechen
kann, ist jetzt für mich ganz unbegreiflich." Abgesehen davon, daß das Wünschel-
rutenproblem auf einem ganz anderen Blatte steht, ist es ein interessantes docu-
reent humain, daß Blac her gerade durch das Schrenck sehe Buch mit
seinen zahlreichen ausgezeichneten, in der Mehrzahl einen geradezu entlarven-
den Aspekt bietenden, photographischen Materialisationsbildern für den Okkultis-
314 Besprechungen.
mus gewonnen wurde. Dem Referenten, der früher den okkultistischen Problemen
durchaus nicht ablehnend gegenüberstand und dem B1 a c her jetzt Verständnis-
unvermögen und Mangel an Objektivität vorwirft, ist es gerade umgekehrt ge-
gangen. B1 a cher gehört zu den Okkultisten, die die ganze mediumistische
Phänomenologie nahezu ohne Einschränkung als echt anerkennen. Er geht darin
viel weiter als beispielsweise T ischn er und die übrigen kritischen Okkultisten,
von der englischen S.P.R. ganz zu schweigen. — In drei Abschnitten behandelt
Bla cher eingehend die Stellungnahme zu den okkulten Phänomenen, die
okkulten Phänomene und ihre Erklärung, und die philosophisch-metaphysischen
Ergebnisse. Vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus, unter Heranziehung
neuerer psychologischer, biologischer und philosophischer Auffassungen vita-
listischer Richtung sucht der Verf. Zusammenhänge aufzudecken, die das Ver-
ständnis für diese Probleme zu erschließen und zu begründen geeignet erscheinen.
Solche Darlegungen, wie wir solche auch aus der Feder von Wilhelm Haas,
FL Driesch, T. K. Österreich, Camillo Schneider u. a. besitzen, sind gewiß wichtig,
lehrreich und mögen sich für die Zukunft als fruchtbar erweisen. Aber vorläufig
erscheint uns die Tatsachenfrage selbst noch wichtiger, die wir nicht als in posi-
tivem Sinne erledigt anerkennen können, namentlich nicht hinsichtlich der sog.
paraphysischen Phänomene, wie der Verf. es tut. Auf eine Diskussion über diesen
Punkt geht er gar nicht ein. Dem reinen Theoretiker wird das Recht auf Kritik,
wie üblich, bestritten (S. 30): „Die Kritik eines Versuches, dem man nicht bei-
gewohnt hat, ist gänzlich wertlos", besagt eine Fußnote der Schriftleitung. Das
ist insofern ein Irrtum, als sich eine solche Kritik gegen die M e th o dik richtet,
die zur Anwendung gelangt ist. Diese Methodik kann doch keine okkultistische
Spezialmethodik sein. Eine solche kritische Untersuchung beschränkt sich auf
die Kritik der naturwissenschaftlichen „konkreten Tatbestände" und ist eine
Untersuchung auf die Richtigkeit und Zuverlässigkeit von Beobachtungen. Und
diese auf Anwendung von Sinneswahrnehmungen beruhende Methodik unter-
steht selbstverständlich einer beobachtungswissenschaftlichen, d. h. naturwissen-
schaftlich legitimierten Kritik. Nichtsdestoweniger bieten die Gedankengänge
des gut orientierten Verfassers auch für den kritisch eingestellten Leser Interesse.
Graf Carl v. Klinckowstroem.
A. J. J. Ratcliff : „Traum und Schicksal". Deutsch von Prof.
0. Francke. Dresden, Sibyllenverlag, 1925. 328 S.
Als fleißiger Sammler hat der Verfasser Ethnologie, Kultur- und Literatur-
geschichte, Philosophie und Psychologie durchwandert und zusammengetragen,
was Menschen und Völker aller Zeiten über Träume gedacht, beobachtet und
künstlerisch aus ihnen gestaltet haben. Die vorläufig endgültige Lösung des
Traumproblems erblickt er in der Psychoanalyse, der eine durch gute Beispiele
veranschaulichte ausführliche Darstellung gewidmet ist. Fr eud und Jun g
steht der Verfasser gleich nahe, dagegen wird Adler s Individualpsychologie
gar nicht erwähnt. Einen Hauptvorzug des Buches kann man darin erblicken,
daß der Autor nicht in der Fülle seines Stoffes ertrinkt, sondern ihn leicht und
anmutig plaudernd in liebenswürdigster Form darzubieten weiß, getreu der guten
Tradition englischer Essayisten. Hätte nur die "Übersetzung dieses Geistes einen
Hauch verspürt! Oft ist sie ganz unverständlich; manchmal kann man nur da-
durch einen Zusammenhang in die schiefgezielten deutschen Worte bringen, daß
man sich aus ihnen rekonstruiert, wie wohl der englische Urtext gelautet haben
mag. Aber wer das kann, wozu braucht der eine übersetzung? R. B.
Prof. Hans Henning: „Psychologie der Gegenwart". Berlin, Mauritius-
Verlag, 1925. 184 S.
Im ganzen ein frisch und anregend geschriebenes. kenntnisreiches Buch, das über
die in deutschen Universitätskreisen vorherrschenden psychologischen Grundanschauungen
gut informiert. Hier aber haben wir es mit den wenigen Seiten zu tun, die okkul-
tistischen Fragen gewidmet sind. Henning lehnt das Unterbewußtsein ab. Das Un-
bewußte ist bei ihm wie bei anderen modernen Psychologen nur ein unvorstellbarer
Besprechungen. 315
tistischen Beeinflussungen der Medien ausgehen. Aber auch eine einwandfreie Fest,
stellung in dieser Richtung würde von Wert und Interesse sein. Was 0 es t e rr ei c h
über indische Fakire und Yoga sagt, ist oberflächlich und unzureichend, und die
temperamentvolle Ablehnung Steiners gehört vielleicht nicht ganz in den Rahmen
hinein. Dagegen würde man wunschen, daß andere Phänomene, z. B. Apporte, das
große Gebiet des Spuks, mediale Kunstleistungen, Gedankenphotographie, in einer
neuen Auflage in den Kreis der Betrachtung gezogen würden. Das Buch, das sich
allerdings zunächst um die Persönlichkeiten der bekanntesten Medien herum aufbaut
und daher keine sachliche Vollständigkeit bieten will und kann, wurde dadurch doch
wohl noch an innerer Geschlossenheit und Wirkungskraft gewinnen.
Eberhard Buchner.
Der Spiritismus. Von Geh. San.-Rat Dr. A. M o 1 1. Franckhsche Verlagsbuch-
handlung, Stuttgart.
Das Büchlein enthält mehr, als der Titel und das Titelbild (der Verlag sollte
gute Arbeiten durch die äußere an den Jahrmarkt gemahnende Aufmachung nicht
diskreditieren) erwarten lassen.
Ein erfahrener Kritiker fuhrt den Laien durch das 'weite Gebiet des Okkultismus
(Klopftöne, Tischrucken, Fernbewegung, Spuk, Materialisation wcrden besprochen, die
Quellen von Irrtum und Täuschung aufgedeckt.) Aus den Bildern kann jeder das
Moll sehe Urteil, seine ablehnende Haltung nachprufen. Professor Kupfer (Riga)
ergänzt die Moll sehe Arbeit durch eine "Kritik angeblich teleplastischer und tele-
kinetischer Erscheinungen".
Beide Verfasser stehen auf dem Standpunkt des Referenten : Was wir bisher
aber die okkultistischen Erscheinungen erfuhren, berechtigt nicht, von einem „Wissen"
zu sprechen. Prof. Dr. med. A. A. Fri edländer, Freiburg i. Br.
Mediale Diagnostik. Von Dr. W. KI öne r. Verlag 0. Mutze, Leipzig.
Kröner kommt auf Grund zahlreicher Versuche mit dem „telästhetischen" Medium
Elisabeth F. zu dem Ergebnis, daß „die Möglichkeit, Krankheitszustände auf uber-
sinnlichem Wege zu erkennen" vorhanden sei.
Ich glaube der Pflicht des objektiven Referenten am besten nachzukommen, wenn
ich jede Kritik unterlasse. Die aufgetauchten Bedenken können hier schon des Raum-
mangels wegen nicht aufgezählt werden. Ihre Wiedergabe hätte aber auch keinen
Zweck, da man solche Versuche nur angreifen oder bestätigen darf, wenn man ihnen
angewohnt hat.
Die "medialen Diagnosen" lauten oft sehr unbestimmt, sie sind dehn- und viel-
seitig deutbar. Einige Versuche dagegen brachten Ergebnisse, die der Beachtung wert sind.
Kröner scheint möglichste Vorsicht angewendet zu haben. Bezuglich eines auf
S. 32 erwähnten Falles bemuhte ich mich durch schriftliche Anfragen bei den in Frank-
furt a. M. lebenden Verwandten einer Kranken etwas Sicheres aber den weiteren
Verlauf der Krankheit und Bestätigung der „Ferndiagnose" in Erfahrung zu bringen.
Meine Anfrage wurde nicht beantwortet! Kröner stellt weitere Mittei-
lungen fur spätere Zeit in Aussicht. Wir wollen diese abwarten in der Hoffnung, daß
die von Kröner aufgeworfenen Fragen eine Lösung finden, die nicht nur fur den
Verfasser, sondern für die Wissenschaft bedeutungsvoll wären.
Prof. Dr. A. A. Friedländer, Freiburg i. Er.
Prof. Oskar Fischer, Prag. Experimente mit Raphaei Schermann. Ein
Beitrag zu den Problemen der Graphologie, Telepathie und des Hellsehens. Berlin,
Wien. Urban und Schwarzenberg, 1924, 200 S.
Es ist kein Wunder, daß dieses bekannte Werk bald sehr gelobt, bald herb ge_
tadelt wird. Schermann ist ein ausgezeichnetes „Medium", Fischer ist ein namhafter
Psychiater, hat jahrelange emsige Forscherarbeit auf dieses Werk verwandt, hat seine
Versuche mit unleugbar ingeniöser Erfindungsgabe abgewandelt, so daß man wichtige
Resultate erwarten darf, und schließlich sind doch nur ziemlich unsichere Ergebnisse
herausgekommen, weil auch hier die zahlreichen Klippen des Gebietes nicht mit der
erforderlichen Sorgfalt und Kenntnis umschifft worden sind.
Besprechungen. 319
Es scheint mir nicht zweifelhaft, daß Schermann nicht nur die Höchstleistungen des
Graphologen darbietet, so daß er nervöse und geistige Erkrankung, Selbstmordsabsicht,
verstellte und nachgemachte Schrift feststellen kann, sondern daß er noch andere Er-
kenntnisquellen benutzt, vor allem aus dem Wissen der Anwesenden „zapft". Schwer-
lich kann man bloß aus der Schrift eines Menschen entnehmen, daß er gern Hüte mit
Pleureusen trägt, mit einer bestimmten Person verlobt ist, den Brief im Gefängnis ge-
schrieben hat, sich beim Essen bekleckst, eine kreischende Stimme hat usw. Alle diese
und zahlreiche ähnliche Aussagen wurden von Bekannten der geschilderten Person be-
stätigt.
Aber als Basis der ganzen Untersuchung müßte doch erst die Feststellung da sein,
wieviel von dem Wissen Schermanns echt und wieviel Schein ist. Wenn man eine so
unübersehbare Tatsachenmasse, wie sie das Wesen eines Menschen bildet, in einer wort-
reichen, oft mit unbestimmten Ausdrücken hantierenden Schilderung wiedergibt, so spielt
die psychische Osmose (vgl. S. 277 ff. ds. Hefts) ihre verwirrende Rolle, das Undeutliche
gewinnt eine übertriebene Bestimmtheit, das Schiefe sieht gerade aus, ob man den be-
treffenden Menschen als liebenswürdig oder brutal, als offen oder verschlossen schildert,
immer kann das irgendwie stimmen Gegen diese Scheinrichtigkeit gibt es ein bewähr-
tes Mittel : Der Experimentator schreibt vor dem Versuch alle ihm bekannten charak-
teristischen Eigenschaften des Briefschreibers auf. Das ist dann ein verhältnismäßig ob-
jektiver, noch nicht osmotisch infiltrierter und durch Deutelei an die Graphologenaus.
sage angepaßter Befund, und stimmt letzterer trotzdem in mehreren wichtigen Punkten
mit ihm überein, so sind wir sicher, daß wir uns die Leistung des Schriftdeuters nicht
bloß einbilden. Fisch er hat dieses Mittel der vorgängigen Fixierung nicht angewendet,
dadurch wackelt das Fundament seines Baues.
Immerhin, daß Schermann aus dem Geiste der Anwesenden zapft, scheint nicht
zweifelhaft. Dafür spricht schon, daß Sch. eine Person fast ebenso sicher und gut
schildern kann, wenn sich ein Anwesender dieselbe nur optisch vorstellt, als wenn er
selbst ein Schriftstück von ihrer Hand vor Augen hat. Und stellen sich nacheinander
zwei Anwesende denselben Menschen vor, so fällt Schermanns Beurteilung günstiger oder
ungünstiger aus, je nach dem Urteil, das der augenblicklich gerade Übertragende von
jenem Menschen hat. Betrachtet Sch. eine Photographie und sagt darauf, der Dar-
gestellte habe spät geheiratet und sei schon tot, so kann er auch das nicht dem Bilde,
sondern nur dem Wissen der Anwesenden entnommen haben. Unter acht Kärtchen über-
gibt Fischer Herrn Schermann auch eins, auf das er mit dem Finger — also unsicht-
bar — den jüdischen Davidsstern,gezeichnet hatte. Sch, zeichnet ihn nach, aber zu klein,
so daß also hyperästhetische Wahrnehmung der Fingerausdünstung keine Rolle gespielt
haben kann, und sagt, er sähe ihn leuchten. Fischer aber stellt sich den Davidsstern
vergoldet vor, wie er auf den Synagogen zu sehen ist. Wenn auch F., die Macht unter-
bewußter Hypermnesie unterschätzend, glaubt, er habe die betreffende Karte nicht wieder-
erkannt, als Sch. sie in Händen hielt, so ist es doch wohl sicher, daß Sch. auch hier
aus seinem Geiste gezapft hat.
Aber wie gezapft? Vielleicht nur dadurch, daß sein hyperästhetisches Unter-
bewußtsein das unwillkürliche Flüstern des intensiv denkenden Experimentators oder
andere verräterische Signale wahrgenommen hat? Damit wäre ja für die Telepathie-
frage nichts erreicht. Ausschließen lassen sich diese Fehlerquellen beim Nahversuche
niemals, auch wenn F. die Schwierigkeit damit erledigt zu haben glaubt, daß er ver-
sichert, er habe sich vor Flüstern gehütet, seine Mienen festgehalten, er habe Sch. das
von ihm selbst fixierte Schriftstück nicht sehen lassen. Mit der unbegrenzbaren Reich-
weite der hyperästhetischen Wahrnehmung • rechnet er ebensowenig wie Bruck in
seinen telepathischen Versuchen.
Es gibt aber gewisse Anzeichen dafür, daß Sch.s „Zapfen" jedenfalls nicht ganz
von dieser unechten, untelepathisehen Art ist. Durch unwillkürliche Zeichen muß sich
vor allem das mit scharfer Aufmerksamkeit Gedachte übertragen. Das intensiv Vor-
gestellte drängt sich, wie gesagt, auf unsere Lippen und bewegt unser Gesicht. Telepathie
dagegen betrifft vornehmlich das unterbewußt, unaufmerksam, beiläufig Gedachte. Nun
fällt es auf, daß Sch. besonders schlecht jene präzisen Charakteristika errät, die wir als das
320 Besprechungen.
„Nationale" einer Person zu bezeichnen pflegen : ihren Namen, ihr Alter, ob Mann oder
Weib, ob verheiratet oder ledig. Ebenso übertrugen sich gar nicht einzelne Worte oder
geometrische Figuren. Fixiert F. ein Schriftstück, ohne es sehen zu lassen, so erilit Sch.
wohl unter Umständen den Charakter des Schreibers und der Schriftzüge, kann aber
kein einzelnes Wort wiedergeben. Also das Klare, Bestimmte, Vordergründliche, zumeist
von der Aufmerksamkeit Beleuchtete überträgt sich schlecht. Besonders gut dagegen
errät Sch. die Gestalt und ihre Abnormitäten, den Gang, die Kleidung und vor allem
die Geste, also jene Eigenheiten, die uns beim Denken an eine Person beständig im
Hintergrunde des Bewußtseins stehen bleiben und sich, wie Wasiel ewskis Versuche
zeigen, beim ferntelepathischen Versuch in den Vordergrund drängen. Das spricht ent-
schieden für echte, nicht sinnlich vermittelte Gedankenübertragung. Ausgezeichnet er-
riet Sch. das Verhältnis verschiedener Personen zueinander (Verlobte, Lehrer und Schüler,
Achtung oder Nichtachtung); hier ergeben die Versuche 100% Treffer.
Gerade bei Sch. wäre eine ganz exakte Feststellung echter Gedankenübertragung
leicht gewesen: Handschrift läßt sich nicht durch Flüstern oder Mienenspiel ausdrücken;
hätte Sch. im Anschluß an eine gedachte Person eine ihm ganz mbekannte Handschrift
nachahmen können, so wäre der Beweis geliefert gewesen. F. hat mehrere Versuche
dieser Art angestellt; er stellte sich eine Person optisch vor oder fixierte ein vor Sch.
verborgenes Schriftstück, und Sch. sollte daraufhin versuchen, die Handschrift richtig
nachzuahmen. Obgleich F. diese Versuche für gelungen hält, sind sie tatsächlich durch-
weg zweifelhaft. Entweder war die Ähnlichkeit der originalen und der von Sch. imi-
tierten Handschrift nicht sicher genug, oder es war, wenn F. ein Schriftstück fixierte,
Augenspiegelung möglich, oder der Schreiber war in früheren Versuchen schon vor-
gekommen, Sch. hatte seine Handschrift also schon gesehen, und da er, wenn eine Per-
son mehrfach zum Objekt des Versuchs gemacht wurde, überrsachend schnell und sicher
im Bilde war — vielleicht weil ein unabsichtlich ansatzweise geflüsterter Name für diesen
Zweck genügte —, so war in solchen Fällen die imitierte Handschrift für ihn keine ganz
unbekannte. — Am einfachsten wäre es gewesen, man hätte Sch. in einen Kreis ganz
fremder Menschen geführt, er hätte die Handschrift einiger willkürlich gewählter Per-
sonen zu treffen versucht, diese hätten sodann eine Probe ihrer wirklichen Handschrift
gegeben und man hätte beide Schriftzüge verglichen. Diese Leistung soll Sch. ander-
wärts, wo nicht exakt geprüft wurde, mehrfach vollzogen haben, aber F. hat leider
diesen Versuch nicht angestellt.
Die kryptoskopischen Versuche waren so mangelhaft, daß sie keine Analyse lohnen.
Die berüchtigten „gleichen Kuverts" — für das hyperästhetische Unterbewußtsein gibt
es nichts gleiches -- sollten dabei die Unwissentlichkeit garantieren, auf das selbstver-
ständliche Verfahren, Briefe ertasten zu lassen, die abwesende Personen ausgewählt, un-
durchsichtig verschlossen und durch die Post übersandt hatten, ohne mit dem Experi-
mentator zusammenzutreffen, ist man überhaupt nicht verfallen. Von einem Beweise für
die Existenz des Hellsehens kann hier keine Rede sein.
Die größte Aufmerksamkeit wurde der Frage zugewandt: Wenn man ein und die-
selbe Person zum Gegenstand verschiedenartiger Versuche macht, bald Sch. einen ihrer
Briefe graphologisch studieren läßt, bald das optische Bild der Person telepathisch über-
trägt, bald eines ihrer Schriftstücke, offen oder im Kuvert, Sch. zum Betasten ohne Ge-
brauch der Augen übergibt, wird er dann jedesmal das gleiche Charakterbild von ihr
entwerfen? Diese Frage wurde durchaus im bejahenden Sinne gelöst. Aber wenn F.
daraus schließt, die in so vielen Formen bestätigte Charakterschilderung müsse des-
wegen objektiv richtig sein, so sehe ich nicht, wie dieser Schluß sich logisch recht-
fertigen läßt. Bewiesen ist nur, daß der Gedanke des Experimentators, „auch jetzt haben
wir es mit Herrn N. zu tun, der im Versuche H. eine Rolle gespielt hat", sich leicht
übertrug und Sch. hierbei ein gutes Gedächtnis bewies.
Diese Bedenken beweisen, daß die experimentelle Methodik des übernormalen Er-
kennens noch in den Kinderschuhen steckt, man braucht aber ihretwegen den Wert und
die Bedeutung des ungemein reichhaltigen Buches nicht zu leugnen. R. B a er w a I d.