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STONEWALL

IN WIEN 1969-2009
Chronologie der lesbisch-schwulen-transgender Emanzipation

vom totalverbot zur Anerkennung, vom quick


zum ladyfest – queere geschichte nacherzählt
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VORWORT
Vor 40 Jahren wehrten sich Lesben, Schwule und Trans- Menschenrechts- und Gleichstellungsthemen so genannte Lektorat-Qualitäten bewies.
vestiten im New Yorker Lokal Stonewall Inn in der Chris- “Luxusthemen” wären, wieder deutlich zu vernehmen.
topher Street gegen die üblichen Polizeirazzien. Ein Jahr Auch deutliche artikulierte Ablehnung tritt vermehrt Meine Dankbarkeit richtet sich zusätzlich an die Grünen
später gedachte die Community dieses Ereignisses und zutage. Gleichzeitig haben sich in den letzten Jahren junge Wien, allem voran dem Landesvorstand, die Grünen Bil-
demonstrierte im Village. 1969 und das Jahr darauf gelten Menschen in einer funktionierenden Community mit dungswerkstatt sowie die Grünen SeniorInnen, die dieses
seitdem als Wendepunkt der Lesben- und Schwulen- großer Infrastruktur eingelebt. Wie jung diese Commu- Produkt, das Sie in Händen halten, großzügig unterstüt-
emanzipation. nity selbst aber erst ist, und wie hart diese Infrastruktur zen.
erkämpft wurde, ist dabei vielen völlig unbekannt. Das
In der ganzen (freien) Welt ziehen alljährlich Christopher versuchen wir mit diesem Projekt zu ändern. Vor allem möchte ich mich aber vor den Menschen
Street-Paraden durch die Städte. Die Emanzipationsge- verbeugen, die ihre Erinnerungen nicht nur bewahrten,
schichte von Lesben, Schwulen und Transgendern fand Ich möchte mich ganz herzlich bei Andreas Brunner sondern auch mit uns teilten, vor den Menschen, die eine
auch in Wien statt, wenn auch ein bisschen später und und Hannes Sulzenbacher von QWien, dem Zentrum für Wiener Community aufgebaut und organisiert haben.
ein bisschen gemütlicher. Was bewegte Lesben, Schwule schwul/lesbische Kultur und Geschichte, und bei Stefan Es war nicht leicht, aus den wunderbaren und ergreifen-
und Transgenders in Wien? Wie fand Emanzipation Sengstake, Stefan Sickert und Martin Ebner von queer den Geschichten eine Auswahl zu treffen. Vieles – allzu
statt? Wo trafen sich diejenigen, die ein Leben lebten, das Lounge, der Community-Sendung auf Okto, bedanken, die vieles – fand hier keinen Platz mehr. Ich hoffe, dass dieses
bis 1971 illegal war? Diese spannenden Fragen stellten Stonewall in Wien von Anfang an mit großer Begeisterung Projekt als Startschuss dient, um die Geschichte der Les-
wir zahlreichen Zeitzeug_innen, die nicht nur in dieser und enormen Engagement begleiteten. QWien war für die ben-, Schwulen- und Transgender-Bewegung intensiver
Publikation nachzulesen sind. Denn parallel zu diesem historische Recherche und für die Suche nach Bildmate- zu erforschen und zu publizieren. In diesem Zusammen-
Heft entstand auch ein Film, der sowohl unter der Adresse rial von unschätzbarer Bedeutung, queer Lounge sorgte für hang darf ich auch an alle Leser_innen appellieren, ihre
youtube.com/stonewallinwien als auch auf dem Wiener die filmische Umsetzung. Erfreulich, wie unkompliziert, Erinnerungen und historische Dokumente dem Archiv
TV-Kanal Okto in einem Queer Lounge Special zu sehen effizient und befruchtend eine Kooperation funktionieren von QWien zur Verfügung zu stellen. Denn es können
sein wird. kann. immer nur die Geschichten weitererzählt werden, die
auch dokumentiert werden. Der Rest mag zwar historisch
Die Erinnerung an das Stonewall-Jubiläum war für uns Bedanken möchte ich mich aber auch beim Team der wichtig sein, doch verschwindet er zu gerne im Dunkel
aber nicht der einzige Grund, dieses Projekt zu starten. Grünen Andersrum, die das Projekt tatkräftig unterstüt- des Vergessens.
Die Welt befindet sich zu Zeit in einer Wirtschaftskrise. zten, allem voran bei unserem Webdesigner und dem Art
Schon einmal führten ökonomisch schwierige Zeiten Director dieser Ausgabe, Willi Dolleschall, meinen Mitar- Marco Schreuder
zu schweren Menschenrechtsverletzungen, denen auch beitern Hansi Eitler und Peter Kraus, bei Ewa Dziedzic, Abgeordneter zum Wiener Landtag und Sprecher der
Homosexuelle zum Opfer fielen. Auch am Ende des ersten sowie meiner Co-Sprecherin bei den Grünen Andersrum, Grünen Andersrum Wien
Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts ist das Argument, dass Iris Hajiscek, die für dieses Projekt wieder ihre bewährte

inhalt
BEFORE STONEWALL Seite 3 • DIE 70ER Seite 9 • DIE 80ER Seite 15 • DIE 90ER Seite 21 • DIE 2000ER Seite 27

der film auf: youtube.com/stonewallinwien

partnerinnen
22 Interviews mit Zeitzeug_innen können Sie in kurzen Auszügen
in dieser Zeitung nachlesen.
22 Auszüge aus Interviews, die oft bis zu einer Stunde dauerten.
22 Lebensgeschichten und Erinnerungen an schwules, lesbisches,
transgender Leben.
Diese 22 Interviews kann mann/frau in voller Länge ab Winter
2009 in der Sammlung des QWIEN Archiv nachhören bzw. –sehen.
QWIEN Archiv sammelt Dokumente, Fotos,
Erinnerungen, Kostüme, Bücher, Manuskripte,
Memorabilia, Nachlässe von Lesben,
Schwulen und Transgender und archiviert sie
für zukünftige Generationen.
Damit unsere Geschichte nicht verloren geht.
www.qwien.at
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BEFORE
STONEWALL 1945-1969

In den Nachkriegsjahren ging die Verfolgung von Lesben und Schwule weiter.
NS-Opfer mit dem Rosa Winkel wurden nach wie vor nicht entschädigt. Der Verbots-
paragraf 129Ib blieb in Kraft. Trotzdem entfaltete sich wieder eine Subkultur.

In den letzten Apriltagen des Jahres 1945 ging Österreich Flossenbürg ein sehr zurückgezogenes Leben begann, da
nach der Befreiung durch die Alliierten Truppen von acht die Nachbarschaft über den „warmen KZler“ tuschelte.
Jahren selbstbejubelter Nazidiktatur an den Neustart. Einer rot-grünen Initiative ist es zu verdanken, dass in
In §1 (1) der Unabhängigkeitserklärung heißt es unter Bälde ein Teil des Zimmermann-Platzes im 9. Bezirk nach
Anderem, dass alle Gesetze, die „mit den Grundsätzen Heinz Heger benannt wird.
einer echten Demokratie unvereinbar“ seien oder „typ-
isches Gedankengut des Nationalsozialismus enthalten“, Bis 2005 hatten schwule und lesbische Opfer des Nation-
aufgehoben werden. Nicht so die Gesetze, die homo- alsozialismus keinen Rechtsanspruch auf so genannte
sexuelle Beziehungen verboten hatten! Bis heute gilt im “Wiedergutmachung”, denn erst 2005 wurde der Begriff
österreichischen Recht, dass die Maßnahmen der Nation- “sexuelle Orientierung” ins Opferfürsorgegesetz auf-
alsozialisten gegen Schwule und Lesben keine nationalso- genommen - zu einer Zeit, als kaum noch ein Opfer lebte.
zialistische Sonderbehandlung waren, da der betreffende Bis heute werden Haftzeiten im Konzentrationslager nicht
Paragraph 129Ib in gleich lautender Formulierung von als Beitragszeiten für die Pensionsversicherung anerkannt,
1852 bis 1971 auch während der Nazizeit in Kraft war. während die “Arbeitszeit” von KZ-Wärter_innen sehr
Halb Wien war in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein wohl angerechnet wird. Bis heute basiert der Neustart der
Lager für sogenannte „Displaced Persons“, Menschen, II. Republik für Lesben und Schwule auf einer Lüge - auf
die ohne Wohnsitz und ohne Heimat umher trieben und der Lüge, dass die nationalsozialistischen Urteile nach §
nicht wussten, wohin. Befreite aus den Konzentrations- 129Ib, nicht typisch nationalsozialistisches Gedankengut
lagern warteten, in ihr Herkunftsland zurückkehren oder reflektierten. Abgesehen davon, dass sich das Strafmaß
in eine neue Heimat einwandern zu können. Auch Rosa- für verurteilte Schwule und in einigen Fällen auch Lesben
Winkel-Häftlinge kehrten aus den Lagern zurück, zumeist drastisch erhöhte, zeigen unzählige Beispiele, dass vor
mit dem Druck, über den Grund ihrer Inhaftierung nicht allem Schwulen im Nationalsozialismus sehr wohl eine
sprechen zu dürfen. So erzählt Heinz Heger, der später rechtliche Sonderbehandlung erfuhren, auch wenn man
den Mut hatte über seine Erlebnisse im KZ in seinem nicht von einem „Homocaust“ sprechen kann, denn von
Buch Die Männer mit dem rosa Winkel Bericht zu erstat- einer systematischen Verfolgung und Vernichtung von
ten, dass er nach seiner Rückkehr nach Wien aus dem KZ Schwulen und Lesben kann man im Gegensatz zu rassisch

Heinz Heger, ca. 1947

before stonewall
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Rosa Winkel mit


Häftlingsnummer
von Heinz Heger

Verfolgten nicht sprechen. Es gibt auch einen deutlichen zucht wider die Natur“ kam Franz D. mit einer bedingten und Lesben erkannte die österreichische Justizbehörde
Unterschied in der Verfolgungsintensität zwischen Lesben Strafe davon. Aber schon ein Jahr später wurde er vor dem Urteile von Nazirichtern als rechtmäßig an. Adalbert H.
und Schwulen. Es ist in Wien kein Fall einer lesbischen Jugendgericht wegen homosexueller Betätigung zu einem erhielt 1940 einen Aufschub für seine einjährige Kerker-
Frau bekannt, die wegen ihrer sexuellen Orientierung Jahr schweren Kerkem verurteilt. haft, weil er sich zu einer Bewährungskompanie an die
ins KZ eingeliefert worden wäre, und auch das Strafmaß Front meldete. Er überlebte diesen meist tödlichen Einsatz
erhöht sich bei lesbischen Verstößen gegen § 129Ib von Franz D., der in ärmlichen Verhältnissen im 2. Bezirk und beantragte die Löschung seiner Strafe im Zuge
Einzelfällen abgesehen nicht so stark wie bei schwulen aufwuchs, war ein kleiner Praterstrizzi, der sich mit Sex der Generalamnestie von 1946, was aber – wie in allen
Männern. gegen Entgelt und kleinen Gaunereien durchschlug. Kaum anderen schwulen Fällen auch – abgelehnt wurde. Als er
war er 1943 aus der Haft entlassen worden, wurde er von 1949 erneut nach §129Ib straffällig wurde, widerrief das
Adolf S. im KZ Dachau einem Liebhaber (Kunden) wegen des Diebstahls eines Landesgericht den 1940 (!) erteilten Strafaufschub. Da
Blechweckers angezeigt. Inzwischen haben die Nazis mit auch das Oberlandesgericht eine Beschwerde ablehnte,
Im Februar 1941 wurde der 47-jährige Straßenbahn- dem Gesetz gegen „gefährliche Gewohnheitsverbrecher“ musste Adalbert H. am 4. Jänner 1952 seine zwölf (!) Jahre
schaffner Adolf S. im Wiener Landesgericht wegen eine weitere Handhabe gegen Männer wie Franz D., der zuvor von einem nationalsozialistischen Gericht verhän-
Unzucht mit verschiedenen Männern zu fünf Monaten im November 1943 vor das Sondergericht Wien gestellt gte Haftstrafe abbüßen.
schwerem Kerker verurteilt. Nach Verbüßung der Haft wurde. Der Kripobeamte Karl Seiringer hatte zuvor eine
wurde er als Homosexueller in „Vorbeugehaft“ überstellt Liste an Sexualkontakten aus Franz D. herausgepresst, Trotz aller Verfolgung gab es aber ab den 1950er Jahren
und ins Konzentrationslager Dachau verbracht. Die Maß- die den Richtersenat zum Urteil führte, Ds. Handlungen eine im Versteckten aktive Subkultur. Über lesbische Orte
nahme der Vorbeugehaft ist eindeutig ein nationalsozial- seien „derart verwerflich und seine sittliche Halt- und ist wenig bekannt, im Gegensatz zu Männern bevorzug-
istisches (Un)Rechtsmittel, das auf reiner Beamtenwillkür Hemmungslosigkeit [...] derart tiefgehend, unbeeinfluss- ten Frauen private Räume. Ob aus sozialer Not (Frauen
beruhte, denn Beamte der Staatsanwaltschaft oder der bar und unverbesserlich, dass sowohl das Bedürfnis nach verdienen heute noch weniger als Männer) oder Angst
Gestapo entschieden, wer ins KZ kam oder nicht. Vor- gerechter Sühne als auch der Schutz der Volksgemein- vor gesellschaftlicher Ächtung (für Frauen war es in der
beugehaft bedeutete Konzentrationslagerhaft auf un- schaft die Verhängung [...] der Todesstrafe“ erforderte. 1950er Jahren gar nicht so leicht allein aus zu gehen, ohne
bestimmte Zeit und mit ungewissem Ausgang für Leib Am 7. Februar 1944 wurde der erst 21-jährige Franz D. im schief angesehen zu werden) ist dabei schwer zu beur-
und Leben. Da Adolf S. noch in ein anderes Verfahren Wiener Landesgericht enthauptet. teilen. Einige Frauen schlossen sich auch mit schwulen
verwickelt war, wurde er aus Dachau nach Wien zurück- Männern zusammen, trafen sich in ihren Lokalen, die oft
gebracht, um hier erneut vor Gericht gestellt zu werden. Symbolische “Wiedergutmachung” am Rande der Halbwelt angesiedelt waren, und spielten
Die Staatsanwaltschaft erkannte aber an, dass das neu zu im Notfall ein heterosexuelles Paar. Das Café Puchheim
verhandelnde Delikt bereits mit der ersten Strafe abgeur- Es ist natürlich nur ein symbolischer Akt wie viele poli- und das Quick, beide in der Rauhensteingasse im 1. Bezirk
teilt worden war und verfügte, ohne irgendeine rechtliche tische Handlungen auch, aber das nationalsozialistische waren neben dem Centralbad beliebte Treffpunkte für
Grundlage, eine neuerliche „Verschubung“ – wie es im Unrechtsurteil gegen Franz D. ist bis heute nicht aufge- Schwule. Das Centralbad - der alte Name für die heutige
Nazijargon hieß - von Adolf S. nach Dachau. hoben und auch in anderen Fällen berufen sich ÖVP, SPÖ Kaiserbründl-Sauna in der Weihburggasse – war eine an
und natürlich auch FPÖ und BZÖ auf die Rechtmäßigkeit und für sich heterosexuelle Badeanstalt, in der Schwule
Ein besonders grausames Beispiel von nationalsozialist- von Urteilen wie diesem. geduldet waren. Die Anbahnung direkter sexueller Kon-
ischer Willkür belegt die Verhaftung des erst 17-jährigen takte war damals aber selbst an diesem Ort undenkbar,
Franz D., der von einer Nachbarin denunziert worden Aber auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit ging die durch die strikte Trennung der Geschlechter war es aber
war. Er sei ein „Warmer“, sagte sie bei der Polizei aus, Verfolgung von Schwulen und Lesben nahtlos weiter. Zum „normal“, dass Männer unter sich waren.
und soll gesagt haben: „Ich verdiene mir mit dem Arsch Teil waren dieselben Männer, wie der Kripobeamter Karl
mehr Geld als mit der Arbeit. Und mich kann der Hitler Seiringer, einer der eifrigsten Schwulenverfolger, für die Über das Schicksal zweier junger Männer erfahren wir aus
am Arsch lecken!“ Da die Denunziantin vor Gericht Ausforschung und Einvernahme von Schwulen zuständig. den Aufzeichnungen eines „unglücklichen Kameraden“
ihre Vorwürfe nicht beeiden wollte, wurde die Anklage Es ging aber auch soweit, dass Naziurteile erst in der II. (wie er sich selbst bezeichnet), die dieser in der in der
wegen Führerbeleidigung fallen gelassen, für die „Un- Republik vollstreckt wurden. Denn im Fall von Schwulen Schweiz erscheinenden Zeitschrift Der Kreis veröffentli-

Der erste
Lebensbericht
eines schwulen
KZ-Häftling

Hotel Metropol am Morzinplatz, die Gestapo-Zentrale in Wien


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Die Ausstellung “Aus dem Leben“ über die Verfolgung von Homosexuellen im Nationalsozialismus
am Heldenplatz wurde am 14. Juni 2001 von Vandalen zerstört

chte. Aus Kontaktanzeigen und regelmäßigen Berichten und kein Geisteskranker. Er ist zum Unterschied vom gesinnten einen Abend verbringen wollte – ein Akt der
aus Österreich, sowie Beiträgen des Wiener Schriftsteller Geisteskranken grundsätzlich imstande, seinen Treiben Polizeiwillkür und Gewalt.
und Aktivisten der Verbotszeit Erich Lifka ist zu erken- bzw. deren Auswirkungen Einhalt zu gebieten. Auch für
nen, dass Der Kreis auch hierzulande, wenn wohl auch ihn gilt das ‚Kein Mensch muß müssen’. So wenig wie der Angst vor Razzien
nur im Versteckten gelesen wurde: Als die verbotene Leber- bzw. Gallenwegkranke schwer verdauliches Fett,
Liebe der beiden jungen Männer bekannt wurde, wurde so wenig wie der Zuckerkranke Zucker, der Gefäßkranke Wenn die jetzige grüne Senior_innen-Sprecherin Birgit
einer aus dem Elternhaus verstoßen und beide zu acht starke Würzstoffe zu sich nehmen darf, so wenig darf Meinhard-Schiebel von Diskriminierung erzählt, können
Monaten Gefängnis verurteilt. In der Zelle erhängte sich auch der Homosexuelle seinen Trieben dritten Personen wir die Kraft der gesellschaftlichen Ächtung nachvollzie-
der Freund. Nach der Haft war es für den Überlebenden gegenüber die Zügel schießen lassen.“ hen. Als sie – noch in der Verbotszeit – im Jugendgericht
unmöglich, wieder Arbeit und einen Halt in der Gesell- arbeitete und sich in eine Kollegin verliebte, wurden
schaft zu finden. Er schrieb, es sei in Österreich, „leichter Zwar stellte die Kommission 1962 überraschenderweise beide, als ihre Beziehung ruchbar wurde, versetzt. Es
für einen Räuber Direktor einer Bank zu werden, als für einen Entwurf vor, der die Abschaffung des Paragraphen hätte schlimmer kommen können, gegen eine Kündigung
einen ‘Warmen’, wie man das so schön nennt, irgendeine empfahl, aber die ÖVP startete sofort eine Verhinder- wegen Homosexualität hätten sie damals kein Rechtsmit-
Stelle zu erhalten. Wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich ungskampagne und präsentierte in den vier Jahren der tel gehabt. Es ist sicher auch heute nicht immer einfach als
sagen, dass ich dieses Land hasse, dieses Land, in dem Tag Alleinregierung Josef Klaus einen Entwurf, der selbst das diskriminierte Lesbe oder als Schwuler zu seinem Recht
und Nacht von der Freiheit, vom goldenen Westen und geltende Strafrecht in den Schatten stellte. Da kirchliche zu kommen; wie der Fall eines Wiener Straßenbahn-
vom Wirtschaftswunder gesprochen wird, wo man sich Kreise eng in die Formulierung dieses Entwurfs eingebun- fahrers im Jahr 2009 zeigt, kann aber der Rechtsweg heute
aber nicht scheut, einen auf seine Art glücklichen Men- den waren, protestierte die Liga für Menschenrechte, die erfolgreich sein. Er hat gegen seine Kündigung, nachdem
schen in den Tod zu jagen und den anderen langsam auch sich seit den 1950er Jahren ebenfalls für einen Reform des er als offen schwuler Mann gemobbt wurde, berufen und
dahin zu bringen.“ §129Ib stark machte, bei der Bischofskonferenz mit der bekam in allen Instanzen gegen die Wiener Linien recht.
öffentlichen Aufforderung die Säkularität der Gesetzge-
Ein mutiger Hofrat bung zu achten. Auch in privaten Zirkeln konnte man der Verhaftung bei
Obwohl das Damoklesschwert der Verfolgung über Razzien entgehen, viele Bälle fanden in Privatwohnungen
Mitte der 1950er Jahre kam erstmals Bewegung in die ihren Gästen schwebte, fanden in den wenigen Lokalen statt, wenn die Nachbarn entsprechend tolerant waren.
Diskussion um die Abschaffung des § 129Ib. Der pen- mitunter rauschende Fest statt. Jedes hatte im Fasching Die Einladungen waren begehrt. Showstars, wie die Chan-
sionierte Direktor der Grazer Universitätsbibliothek seine eigenen Hausbälle, zu denen die Gäste in großer sonnière Greta Keller hielten Hof. Bei ihr konnte man
Hofrat Dr. Wolfgang Benndorf veröffentlichte 1956 die Robe antanzten, nachdem sie oft Monate an ihrem Outfit sicher sein. Immer wenn sie in der Wohnung ihrer Mutter
Schrift Unvernunft und Unheil im Sexualstrafrecht, in der gearbeitet hatten. Andere verarbeiteten weniger Stoff, wie in der Wiener Singerstraße auf einer ihrer Tourneen Sta-
er die Aufhebung des Totalverbots verlangte. Ein Jahr das aufreizende Kostüm von Ali vom Savoy zeigte, das er tion machte, lud sie ihren schwulen Freundeskreis zu sich,
später tagte im Parlament in Wien eine Kommission zur 1962 bei einem Hausball im Quick trug. Auch Ali selbst, kochte Gulasch und ermöglichte vielen unbeschwerte
Ausarbeitung eines Strafgesetzentwurfs, deren Protokolle der in Linz zwei Wochen im Gefängnis saß, ließ sich das Abende. Für Rudy Stoiber, der sie als ORF-Korrespondent
deutlich zeigen, wie tief homophobes Gedankengut in den Feiern nicht verderben. Von einer guten alten Zeit, wie es bei den Vereinten Nationen schon aus New York kannte,
Köpfen der tagenden Männer verankert war. Neben dem manche seiner Freunde tun, will er aber nicht sprechen. war sie eine „Schwulenmutter“ im besten Sinn des Wortes.
von der SPÖ nominierten liberalen Christian Broda fand „Wenn Du eine böse Hausmeisterin gehabt hast und die Bei ihr konnten die Männer sein, wie sie wollten, aber in
sich unter den „Experten“ auch der Altnazi Roland Graß- gesehen hat, dass da zwei Männer wohnen, hast Angst der Öffentlichkeit nicht wagen durften.
berger, der von der ÖVP bis in die 1970er Jahre gerne haben müssen, dass sie dich anzeigt. Und dann ist die
als Experte in Frage des Sexualstrafrechts herangezogen Polizei gekommen und hat g’schaut, ob’s Flecken finden
wurde. Erzkonservativ und wissenschaftlich schon dam- im Bett.“ Wie viele andere war auch Günter Tolar, damals
als höchst zweifelhaft äußerte sich der Nervenarzt Erwin noch nicht österreichweit bekannter Showmaster, aus der
Stransky: „Der Homosexuelle ist an sich ein Psychopath Alten Lampe abgeführt worden, nur weil er mit Gleich-

before stonewall
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Meine Nacht im Gefängnis,


weil ich einen Mann küsste
Der gebürtige Linzer Günter Tolar kam 1957 nach Wien. In den frühen 60-ern ging er eine Woche durch die Wiedener
Heumühlgasse bis er sich endlich in die Alte Lampe traute, eine damalige “Verbotszone” wie er das heute älteste noch
existierende Schwulenlokal nennt und wo er immer noch Stammgast ist. Nach einer Karriere als TV-Moderator outete
er sich 1992 in der Öffentlichkeit und wurde später Vorsitzender der SoHo (Sozialdemokratie und Homosexualität).

Wie gingen die Besucher der Alten Lampe und habe ihm einen tiefen Kuss gegeben. immer schon ein bisschen eine “Fetz’n”, Eingetragene Partnerschaft, all das – auf
vor 1971 mit dem Totalverbot um? Dann hatte ich schon die Hand eines schön war ich auch nie. Dadurch war der dem Wiener Landesparteitag beantragt
Polizisten an der Schulter: “Das hättest Schreck in der breiten Bevölkerung sehr haben, und alles ist brav einstimmig an-
Es hatten fast alle Decknamen – die du jetzt nicht tun dürfen, Burschi! Komm groß, aber dann kam das Wort “eigentlich” genommen worden. Darauf sind wir dann
“Fliege”, die “Blume”, das “Täubchen” – , mit”. Die nahmen uns beide mit, draußen ins Spiel. ich bin ja dann von einer Diskus- geritten. Auch beim Bundesparteitag, wo
damit man im Falle einer Razzia, einen an- stand eine Funkstreife. In der Wehrgasse sionssendung zur anderen gereicht worden wir dieselben Anträge stellten – mit einer
deren gar nicht kennt, nicht verraten kann. hat man dann ganz freundlich unsere und die Leute fragten “Wieso?” Ich fragte Gegenstimme aus Kärnten.
Das sind Dinge, über die man heute nicht Personalien aufgenommen und uns gesagt, dann: “Was hat sich denn geändert? Ich
mehr redet, aber das war damals so. wir müssten die Nacht da bleiben. Hinten bin halt verliebt in meinen Mann. Was än- Wie sieht der pensionierte Günter Tolar
hatten sie so eine Art Ausnüchterungszelle dert sich jetzt?” und dann kam “Eigentlich die Zukunft der Lesben- und Schwulenbe-
Wir hatten im Schnitt einmal die Woche mit Sichtgittern. Man sperrte uns zu zweit ist es eh wurscht”. wegung?
Polizei hier. Meisten schickten sie jüngere ein. Das war meine Nacht im Gefängnis,
fesche Polizisten. Die standen meistens da weil ich einen Mann küsste. Stonewall war Wie bist du in der SoHo gelandet? Es gibt natürlich politische Richtungen,
vorne, tranken ihr Pflichtbier, schauten dann ein Jahr später. Davon haben wir ein Strachismen, die sehr verbreitet sind,
uns mit einem einprägenden Blick unge- bisschen durch die Zeitung und natürlich Sofort nach meiner Pensionierung. So weil sie aus allen Lagern Stimmen sam-
heuer an, und gingen meistens grußlos durch Mundpropaganda erfahren. „Nach lange ich beim ORF mitgearbeitet habe, meln, die alte Sachen wieder aufwärmen,
und überbetont männlich wieder. Dann New York ins Village kann man auch hätte ich mich gar nicht parteipolitisch zum Beispiel christliche Werte, in denen
kam die 68-er Bewegung, das hat sich nicht mehr fahren, weil jetzt ist dort auch betätigen dürfen. Raoul Fortner hat mich Homosexuelle nach wie vor keinen Platz
dann in der so genannten “Uni-Ferkelei” überall die Polizei“, sagte man. Direkte geschnappt und auf schnellstem Weg haben. Wenn man bedenkt, dass die
entladen. Auswirkungen sind mir nicht bekannt. zum Vositzenden der SoHo gemacht. Das Judenprobleme – möchte man meinen –
war für mich der Sprung in die politische vorbei sind, dass es das nicht mehr gibt,
Der Effekt war dann der, dass diese ganze Nach dem Selbstmord deines HIV Betätigung. kann man trotzdem heute immer noch mit
sexuelle Befreierei bewirkte, dass wir die positiven Freundes 1991 hast du in der Antisemitismus Punkte machen. Das ist
Polizei zwei-, dreimal pro Woche hier Zeitschrift News und in einem Buch ein Als ich anfing, habe ich bemerkt, dass in- ein Kampf der lang bis nie aufhören wird.
hatten. Man dachte sich wahrscheinlich, Coming-out gewagt. nerhalb der Partei noch einiges aufzuräu-
wenn der Sex schon ausbricht, dann fängt men ist. Wobei, wie in jeder traditionellen Wenn die legalen Voraussetzungen stim-
das hier an, weil wir ja so etwas wie eine Ich habe mich geoutet. Die Leute, die Bewegung mit Geschichte, fühlt man sich men, sagen wir die totale Gleichstellung,
Eiterbeule waren. Es war immer unan- es wussten sagten: “Super, dass du dich auch alten Werten verpflichtet. Ich habe in dürfen wir uns trotzdem nie in Sicherheit
genehm, weil wir uns sehr wohlverhalten traust”. Das etwas Problematischere für der Sozialdemokratie das komplette Spe- wiegen.
mussten, also nix Bussi-Bussi, sondern einen Fernsehmoderator war aber das bre- ktrum vorgefunden. Totales dafür sein bis
brav sitzen und so tun, wie wenn nichts ite Publikum. Die sind da etwas erschrock- zu “Die sollen heiraten dürfen?” usw. Das
wäre. Zwei oder vier Tage nach dieser Uni- en. Ich bin ja nicht der Prototyp, wie man haben wir über die Parteimechanismen
Ferkelei hat mich der Teufel geritten. Ich sich einen Schwulen vorstellt. Schwule schnell aufgeräumt, indem wir einfach
saß hier mit meinem damaligen Freund sind ja immer schön und gestylt. Ich war alles, was wir wollten – Abschaffung § 209,

Schwulenzeitschrift
aus den 1950er Jahren
mit typischen Body-
Paula Wessely trat 1957 in dem schwulenfeindlichen builder-Fotos aus einer
Film “Anders als Du und Ich“ auf Wiener Sammlung
(Nur in Österreich “Das dritte Geschlecht“)
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Von sieben Bullen verdroschen


Friedemann Hoflehner wurde in Oberösterreich geboren und 1967 in Linz festgenommen. Er wurde wegen
Homosexualität zu schwerem Kerker verurteilt. Heute lebt er als Teppichweber in Wien.
Wie war die Zeit in Linz vor 1967, bevor In Linz gab es ein Lokal, das hieß Bruck- im Finanzamt nicht mehr nachgekommen „Mit wem?“ Ich sagte: „Das sage ich nicht“.
du nach Wien gekommen bist? nerstüberl und war in der Altstadt, in bin und den geregelten Wohnsitz verloren Daraufhin kam „selbstverständlich“ ein-
einem vollkommen abgefuckten sehr habe, weil ich mir das gar nicht leisten mal die erste Watsch’n. Das ging dann die
Das ist schwer in der Rückschau zu sagen, finsteren Winkel, in dem die Unterwelt konnte. Die Polizei wollte einen Ausweis ganze Zeit der Polizeiinhaftierung so, zwei
weil für jeden Menschen, das, was er verkehrte. Und dieses Brucknerstüberl sehen und ich hatte keinen, weil ich alle bis drei Tage und Nächte. Es hat bedeutet:
gerade erlebt, sein Normalität ist. Jetzt gibt hatte eine Führung von zwei Frauen, die meine Dokumente an einem sicheren Ort Nahrungsentzug, Schlafentzug und in
es zwei Möglichkeiten der Betrachtungs- einander nicht besonders mochten. Aber aufbewahrt hatte. Ich wurde mitgenom- etwa jeder Stunde Kreuzverhör. Das hat
weise: Entweder ich schau mir das Ganze die eine der Frauen war das, was man men. Dann wurde ich befragt nach meinen bedeutet, dass dieser kleine, ungeheuer
an, wie ich es damals erlebt hab, nämlich heute als eine Schwulenmami bezeich- Daten, nach meinem angemeldeten Wohn- dünne und sehr zerbrechlich wirkende
einfach als Alltag, als ganz normaler All- nen würde. Die Luise hat dafür gesorgt, sitz, den ich nicht sagen konnte, wurde junge Mann von sieben Bullen Tag und
tag, oder ich schau es mir an aus heutiger dass im Hinterzimmer dieses Lokals nach meiner aktuellen Arbeit befragt und Nacht einfach nur ununterbrochen verdro-
Rückschau: Wenn ich mir das heute so Schwule möglichst unbehelligt mitein- konnte nichts sagen und wurde dann zu schen worden ist. Nur damit sie einen Na-
anschaue, muss ich sagen, das war furcht- ander haben sitzen können. Samstags war meinem Aufenthalt im Brucknerstüberl men aus ihm herausprügeln. Dann wurde
erregend. Und das muss man wörtlich es sogar möglich, dass die Schwulen aus befragt. ich aus der Polizeihaft entlassen und kam
nehmen: Die Menschen hatten Furcht, sie dem Hinterzimmer herauskamen und im einen Monat in Untersuchungshaft mit
hatten Angst vor Denunziation, sie hatten Hauptraum dann Männer und Frauen Bei den ersten Befragungen war man einer ein Monat lang dauernden Befra-
Angst vor Erpressung, sie hatten Angst vor miteinander tanzten. Selbstverständlich noch sehr zurückhaltend. Man fragte, ob gung durch den Untersuchungsrichter
ihrem Elternhaus, sie hatten Angst vor jed- durften Männer mit Männern nicht tan- ich wisse, welchen Ruf das Lokal hatte, zu demselben Thema und mit demselben
er Arbeitsplatzsituation. Die Zeit war aus zen! dass dort Homosexuelle verkehrten und Ergebnis. Dann kam der Prozess und die
heutiger Sicht geprägt von Angst, Angst, ob ich selber homosexuell sei. Ich bejahte Verurteilung und die Überstellung in das
Angst. Was daraus resultiert: Menschen, Mindestens zweimal im Monat war, meist alle diese Fragen, was sehr ungewöhnlich sogenannte „Außenarbeitslager“ bei Linz
die in Angst leben und in Angst gehalten Samstags, Razzia. Das spielte sich so ab, gewesen sein muss. Nach dieser Antwort für weitere zwei Monate.
werden, werden selbst gemein. Wenn ich dass einzelne Polizisten zur Ausweiskon- glaubten die wahrscheinlich, jetzt hät-
mich heute an die damalige Linzer Szene trolle ins Lokal gekommen sind. Ich war ten sie leichtes Spiel, denn die erwarteten Wie war das in der Gefängnishierarchie
erinnere, habe ich zwei Dinge in Erinner- bereits zwei Jahre aus dem Elternhaus selbstverständlich in diesem Augenblick als Schwuler?
ung: Die Erbarmungswürdigkeit der Szene weg, denn ich wurde, als ich meinen Namen. Die waren an mir persönlich nur
durch die Umstände und die Gemeinheit, Eltern eröffnete, schwul zu sein, aus dem interessiert, als jemand der jung ist, jung An letzter Stelle, noch hinter den Kinder-
die daraus dann entstanden ist in einzel- elterlichen Verband entfernt, wie man und dumm, ihnen die Namen zu liefern, schändern. In der Hierarchie war das das
nen Fällen, im unerträglichen Umgang damals gesagt hat. Ich war – wörtlich auf die sie die ganze Zeit gewartet haben. Letzte, das absolut Letzte. Damals erlebt,
miteinander. zitiert – „verstoßen auf Lebenszeit“. Ich Die nächste Frage war: „Mit wem haben war das - das Schlimmste.
war dadurch so aus der Bahn geworfen Sie denn so? Haben Sie so was schon
Was geschah dir selbst 1967? gewesen, dass ich meiner geregelten Arbeit gemacht?“ und als ich sagte „Ja“, die Frage

einfach kein thema


Birgit Meinhard-Schiebel war seit den 1970er Jahren in feministischen Zusammen-
hängen organisiert, ohne sich aber formell einer Gruppe anzuschließen. Nach einer erfolg-
reichen Berufslaufbahn begann sie sich bei den Grünen im Senior_innenbereich zu engagie-
ren. Dabei stellte sie ihr Lesbisch-Sein nie in den Vordergrund, verheimlichte es aber auch
nicht, sondern stellte es immer als selbstverständlichen Bestandteil ihrer Persönlichkeit
dar.

Was verbindest du mit Stonewall? ich dort als lesbische Frau auftrete, das war Du hast also die Bedrohung von Staats Wo war das?
einfach kein Thema. Ich hab mich ehrlich wegen durchaus noch mitbekommen?
Verzeih, wenn ich lachen muss, aber mit nicht so damit auseinandergesetzt. Ich hab Das war ein kleines Beisl in der Schlössel-
Stonewall verbinden mich bestenfalls gesagt, ich leb’ mit einer Frau, das wurde Ich hab das mitbekommen. Ich hab sogar gasse im 8. Bezirk. Ich glaub, es hieß sogar
die allerletzten Erinnerungen der letzten anstandslos akzeptiert. Manchmal kam so, eine Strafversetzung deshalb bekommen. Schlösselstüberl. Dann das Café Savoy in
Monate. Ich geb’s ganz ehrlich zu, ich hab “du bist privilegiert, du hast es ja leicht”. Ich hab damals im Jugendgerichtshof der Hernalser Hauptstraße, das waren so
mich vorher nie damit beschäftigt. Ich hab nicht einmal gewusst, warum ich gearbeitet. Als es offiziell geworden ist, die damaligen Treffpunkte, die vorwiegend
es eigentlich leicht hab’. wurden die Frau, in die ich mich verliebt natürlich von Männern frequentiert wur-
Wie war es als lesbisch lebende Frau in hatte, und ich auseinander gesetzt – wie den, aber durchaus auch von Frauen, und
den 1970er und 1980er Jahren innerhalb War das noch in der Verbotszeit? in der Schule. Aber das war’s dann auch ich hab dort auch das erste Mal eine Frau
der Frauenbewegung? schon. Es war eine schwierige Zeit damals: geküsst. Da waren aber auch alle mögli-
Ja, noch kurz. Ich hatte damals tatsächlich Wir haben uns in diversen kleinen Cafés chen Menschen sonst, aus dem Gefängnis
Ich glaub, für mich war’s deshalb sehr ein- Schwierigkeiten, die man sich heute gar getroffen und da hat man gewusst, wenn Entlassene und so. Das war eine Heimat
fach, weil ich mich schon sehr früh geoutet nicht mehr vorstellen kann – bedroht die Polizei reinkommt, muss da immer ein sozusagen, da konnte man hingehen und
habe, mit 19, und eigentlich das Gefühl von Jobproblemen und dem Satz „Naja, Mann und eine Frau sitzen. Und wir haben hat gewusst, dass einem nichts passieren
gehabt hatte, mir wird nichts geschehen. das ist ja eigentlich noch strafbar.“ Aber das natürlich genauso gemacht, während wird. Diese ganz eigene Kultur hat sich
Die Frauenbewegung hat für mich eine mir wurde damals gesagt, dass es eine sonst auf der einen Seite die lesbischen erst aufgelöst, als es dann eine Frauenbe-
ganz andere Konnotation gehabt, mir ist es Strafrechtsreform geben wird, es wird mir Frauen gesessen sind, auf der anderen die wegung gegeben hat.
wirklich damals darum gegangen, Frauen nichts passieren. Und das war für mich die schwulen Männer.
zu unterstützen, dass sie selbstständig und Möglichkeit, einfach mein Leben zu leben.
selbstbestimmt leben können. Aber dass

before stonewall
8

Stonewall:
Die ungehörte Stunde Null
Dass sich in der Nacht von 27. auf den 28. minierung widerstandslos zur Kenntnis zu Bürgermeister geht noch immer nicht
Juni 1969 in der New Yorker Bar Stonewall nehmen. Noch heute feiern wir diesen Tag mit, wie es seine Amtskollegen in Berlin,
Inn die um ihr Idol Judy Garland, die erst als unseren Feiertag weltweit mit Paraden. Hamburg, München, Paris, Amsterdam,
wenige Stunde davor zu Grabe getragen In Österreich wurde der Christopher- London, New York, San Francisco und
worden war, trauenden „Transen“ gegen Street-Day erstmals in den 1980er Jahren zahlreichen anderen Städten machen –
eine Razzia zur Wehr setzten, wurde in von der HOSI Wien gefeiert, ohne dass selbst wenn sie konservativen Parteien
Österreich nicht wahrgenommen. Keine er unter Schwulen und Lesben oder der angehören.
Zeitung berichtete über den Aufstand der heterosexuellen Mehrheitsbevölkerung
Transvestiten, Transsexuellen, Schwulen großen Nachhall gefunden hätte. Erst mit
und Lesben in der New Yorker Christo- der ersten Regenbogenparade 1996, die
pher Street, denn selbst dort ahnte man für viele die Stadt für immer veränderte,
nicht, dass diese Tage Geschichte sch- wurde er – wie es Hermes Phettberg
reiben würden. Der Startschuss für die ausdrückte – zu einem Bestandteil des
moderne Transgender-, Schwulen- und liturgischen Festkalenders der Stadt. Heute
Lesbenbewegung war gegeben, Homo- wirbt Wien Tourismus mit der Regenbo-
sexuelle und Transgenderpersonen waren genparade international um schwule und
nicht mehr bereit Verfolgung und Diskri- lesbische Besucher_innen, nur der Wiener

Das Stonewall Inn in der New


Yorker Christopher Street, 1969

keine schwule bar


wie die anderen
Rudy Stoiber wurde in Ybbs geboren und ging nach seiner Kindheit in den Jahren des Nationalsozialismus in Wien
zur Schule. Nach einer Schauspielausbildung übersiedelte er Anfang der 1950er Jahre nach Kanada und schließlich
in die USA. Dort arbeitete er von 1955-1980 als ORF Korrespondent, u.a. bei den Vereinten Nationen. Eine Reihe von
Büchern und Dokumentationen (z.B. über Exil-Österreicher) erregten großes Aufsehen. Zuletzt erschien von ihm der
autobiografische Roman Fridolin (2008).

Als in New York lebender ORF-Korre- Liste ist sehr oft mit einem Pseudonym illegal war. Also wenn sich ein Mann wie teure gesagt, ja, das machen wir. Ich bin
spondent kannten Sie das Stonewall Inn unterschrieben worden. eine Frau angezogen hat und in einer Bar überzeugt, wäre ich dort gewesen, hätte ich
bereits vor dem Aufstand des Juni 1969. angetroffen wurde, konnte er verhaftet und darüber berichten können. Und vor allem
Was hatte der Tod von Judy Garland eingesperrt werden. Das heißt, die Trans- auch in dem Sinn, wie es sich abgespielt
Ich glaube man muss was vorneweg sagen damit zu tun? vestiten waren immer auf der Schneide, ob hat, auch mit meinem Background. Ich
über das Stonewall Inn. Das Stonewall sie jetzt verhaftet werden oder nicht, also hätte dazu sagen können, ich weiß genau,
Inn ist nicht eine schwule Bar wie alle Sie müssen sich denken, das Begräbnis von sie waren das gefährdetste Element dabei. was sich dort getan hat. Das ist natürlich
anderen im Village, sondern ist eine ganz Judy Garland war zwölf Stunden vor dem ein Loch in der Berichterstattung gewesen,
besondere Bar mit einem ganz beson- Ausbruch des Aufstands. Also es war ein In Österreich hat man ja 1969 davon dass ich durch reinen Zufall auf Urlaub
deren Konzept gewesen. Man konnte zum zeitlicher Zusammenhang da und die At- nichts mitbekommen. Glauben Sie, dass war und nicht grad dort war.
Beispiel im Stonewall Inn nicht einfach mosphäre war sehr aufgeladen. Jetzt kom- der ORF einen Bericht über diese Stone-
an die Bar gehen, einen Drink bestellen mt noch eines dazu, dass das Stonewall Inn wall Riots gesendet hätte?
und nehmen, weil es war keine wirkliche noch ein anderes Charakteristikum gehabt
Bar, sondern es war ein Club, – es war ein hat, das ich vielleicht erwähnen sollte. Jede Das glaube ich auf jeden Fall. Der Gener-
Bottle-Club, hat es geheißen. Also es hat schwule Bar hat einen gewissen Charakter alintendant Gerd Bacher war nicht scheu
keine Alkohol-Lizenz gegeben im Stone- gehabt und das Stonewall Inn war bekannt vor irgendwelchen Themen. Also wenn
wall Inn, sondern am Eingang musste man für die Transvestiten, also hatte einen ich gesagt hätte, das find ich enorm, wir
unterschreiben mit dem Namen und ist großen Anteil an Transvestiten. Jetzt muss müssen das machen, hätte er bestimmt
damit ein Mitglied des Clubs geworden. man noch dazu sagen, dass Transvestit ja gesagt. Ich hätte ja auch gar nicht ihn
Dann durfte man dort trinken. Aber diese zu sein, in der Zeit, im Sinne der Polizei fragen müssen, da hätten die Chefredak-
9

DIE 70ER
Die Stonewall Riots 1969 in New York wurden in Österreich vorerst nicht wahr-
genommen. 1971 wurde das Totalverbot aufgehoben, dafür neue diskriminierende
Gesetze eingeführt. Die Frauenbewegung wurde Heimat vieler Lesben, erste lesbische
Institutionen entstanden. Auch Männer organisierten sich. Am Ende des Jahrzehnts
war die HOSI geboren.

Mitte August 1971 war es soweit: Das Totalverbot für


einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen wurde
abgeschafft. Justizminister Christian Broda, der schon in
der Reformkommission 1957 dabei war, hatte es unter
der Minderheitsregierung von SP-Bundeskanzler Bruno
Kreisky geschafft, Teilen der ÖVP eine Strafrechtsreform
abzuringen, mit der auch die Strafbarkeit von Homo-
sexualität Vergangenheit war. Geschickt hatte Broda die
Homosexuellenfrage mit anderen Gesetzesänderungen,
die die ÖVP für ihre Klientel durchsetzen wollte, junktim-
iert. Schlussendlich stimmten in der freien Abstimmung
die meisten ÖVP-Abgeordneten für die Abschaffung.
Ein Foto im Kurier zeigte die Abgeordneten der ÖVP, die
aus Überzeugung der Abschaffung nicht zustimmten.
Allerdings herrschte zwischen SPÖ und ÖVP darüber
Einvernehmen, vier neue Paragraphen zu beschließen, die
in den ersten Jahren zu einem Hemmschuh für die sich
zaghaft entwickelnde Emanzipationsbewegung werden
sollten:

Die Paragraphen 209, 210, 220 und 221 sollten über Jahre
hinweg die politisch bewegte Szene beschäftigen, wobei §
209, der ein unterschiedliches Mindestalter für schwule
Beziehung mit 18 gegenüber 14 Jahren für heterosexuelle
und lesbische festschrieb, der hartnäckigste war und erst
unter der Regierung Schüssel/Riess-Passer abgeschafft
wurde. Der Verfassungsgerichtshof hob die Bestimmung
als verfassungswidrig auf, da sie nicht dem Gleichheits-
grundsatz entspräche. Oft war in den Debatten auch von
Fünf ÖVP-Abgeordnete blieben sitzen
Schutzalter die Rede, weil sich im Gesetz das Denken
spiegelte, dass männliche Jugendliche zu homosexuellen
Handlungen verführt und damit geprägt werden könnten.
Weibliche Homosexualität erschien dem Gesetzgeber wären und „die Grenzen zwischen freundschaftlichen wohl es rechtlich zu absurden und unhaltbaren Diskrimi-
weniger gefährlich, noch 1989 (!) erklärte das männerlas- und Zärtlichkeitsbezeugungen, Berührungen im Zuge nierungen kam, waren die großen Volksparteien SPÖ und
tige Gremium des Verfassungsgerichtshofes die Ungleich- von Hilfsleistungen bei der Körperpflege udgl. einerseits ÖVP aus ideologischen Gründen und, weil sie den von
behandlung von Frauen und Männern für rechtens, weil und echten gleichgeschlechtlichen Akten andererseits sich der Kirche vorgetragenen oft hanebüchenen Argumenten
lesbische „Tathandlungen in der Regel schwer fassbar“ weitgehend der Feststellung im Strafprozeß entzögen“. Ob- nicht widersprechen wollten, nicht zu einer Streichung

die siebziger
10

Lesbisches Demoplakat

Flyer “Coming Out-Lokal“

Plakat schwules Pfingstreffen 1977,


Das erste schwule Profil-Cover gesponsert von André Heller

bereit. Der Kampf gegen diese Ungleichbehandlung von of Lesbian Eroticism vom Zoll beschlagnahmt wurde, von Anderen abgegrenzt, sei es, ob du Maoist warst, oder
Schwulen gegenüber Heterosexuellen und Lesben beginnt weil es die „textliche und bildliche Widergabe intensiven Trotzkist oder Sozialist und genauso war’s in der Frauen-
aber erst nach der Formierung der Bewegung Anfang der lesbischen Unzuchtstreibens“ enthielt. Im Herbst 1990 bewegung auch. Diese Spaltungen durchdrangen alle
1990er Jahre. wurde ein Sendung der Safer-Sex-Broschüre Schwuler Szenen.“
Sex – Sicher beschlagnahmt, die mangels eigener geeigne-
Der § 210, der männliche homosexuelle Prostitution ter Aufklärungsmaterialien von der Beratungsstelle Rosa Die erste offene Lesbengruppe etablierte sich innerhalb
verbat, wurde 1989 abgeschafft, da es selbst ÖVP-Politik- Lila Tip bei der Deutschen Aidshilfe bestellt worden war. der AUF (Aktion Unabhängiger Frauen) im Jahr 1976, die
er_innen im Sinne der Aids-Prävention als gesundheit- Sie enthielt ein Bild, das zwei Männer beim Oralverkehr „allein durch ihre Existenz hitzige Debatten auslöste“, wie
spolitischen Unsinn erkannten, Stricher durch das Verbot zeigte! Da keine gewinnträchtige Absicht nachgewiesen Ulrike Repnik in einem Aufsatz feststellte. Heute stereotyp
in den Untergrund zu drängen. werden konnte, wurde das Verfahren eingestellt, die wirkende Zuschreibungen kennzeichnen die Austragung
Broschüren behielt sich aber der Zoll. Ein Jahr später traf der Konflikte. Innerhalb einer gemäßigten Frauenbewe-
Vereins- und Werbeverbot es die HOSI Wien, weil sie in ihrer Jugendzeitschrift Tabu gung wurde den Lesben Radikalität vorgeworfen, ein Vor-
Ludwig van Beethoven, Hans-Christian Andersen oder wurf, der verständlich wird, wenn man hört, wie radikale
Die §§ 220 und 221 waren zunächst das größte Hindernis Prinz Eugen als schwul bezeichnet hatten, was für das Lesben jegliche Kommunikation mit Männern ablehnten.
für die emanzipatorische politische Arbeit. Verfolgte er- Gericht einer „Empfehlung für die Homosexualität“ glei- Gleichzeitig produzierten sie in den Augen ihrer Gegner_
sterer die „Werbung für Unzucht mit Personen desselben chkam. Und noch 1993 hatte die Buchhandlung Löwen- innen männliches Verhalten, das sich sowohl in Kleidung,
Geschlechts“ machte letzterer „Verbindungen zur Begün- herz bald nach der Eröffnung die Beschlagnahme des in öffentlichem Auftreten als auch Habitus manifestierte.
stigung gleichgeschlechtlicher Unzucht“ strafbar. Es sollte Deutschland frei erhältlichen Sexbuches Die Freuden der
fast zehn Jahre dauern, bis es trotz dieser Paragraphen zur Schwulen zu beklagen. Als am 23. März 1977 in der Lange Gasse 11 die erste
Gründung offen schwuler und lesbischer Initiativen kom- Frauenbuchhandlung mit dem angeschlossenen Frauencafé
men sollte. Vor allem in Zusammenhang mit einem scharf Die Frauenbewegung als Startschuss eröffnete, war dies ein Meilenstein in der Geschichte des
formulierten Pornografiegesetz, das Darstellungen gleich- Feminismus in Österreich. Im Programmtext zur Gründ-
geschlechtlicher Handlungen (wenn sie nicht wie viele für In der Folge des gesellschaftlichen Aufbruchs von 1968, ung der Buchhandlung kamen zwar Lesben explizit nicht
Heteros gemachte lesbische Darstellungen zum Genuss der zwar in Österreich nicht wirklich stattfand, und der vor, doch gab es von Anfang an eine kleine Zahl lesbischer
der gesetzgebenden, heterosexuellen, männlichen Meh- amerikanischen Bürgerrechtsbewegung formierte sich Titel im Sortiment der Buchhandlung. Viele Bücher zu
rheit dienten) grundsätzlich als harte und damit zu verbi- die Frauenbewegung als wichtigste soziale und politische diesem Thema gab es damals ohnehin nicht lieferbar, das
etende Pornografie definierte, wurden diese Paragraphen Bewegung der frühen 1970er Jahre. Von den Debat- Sortiment war (wie auf schwuler Seite) höchst überblick-
für viele Institutionen zum Problem. Ironisch könnte man ten um die Fristenlösung geeint und von einer Visionen bar, was man sich in Anbetracht der Fülle schwuler bzw.
heute sagen, dass es kaum eine Organisation gab, die auf noch nicht als Krankheit definierenden SPÖ unterstützt, lesbischer Bücher, DVDs oder CDs, die man heute in der,
sich hielt, die nicht ein Verfahren wegen § 220 in Verbind- wurde die Frauenbewegung auch eine Heimat für viele inzwischen einzigen, schwul-lesbischen Buchhandlung
ung mit dem Pornografiegesetz durchzustehen hatte. Was Lesben, obwohl sie von der heterosexuellen Mehrheit Österreichs, der Buchhandlung Löwenherz, gar nicht
heute mitunter fast absurd klingt, war aber für viele eine nicht immer mit offenen Armen aufgenommen wurden. vorstellen kann.
existentielle Bedrohung - Gefängnis oder hohe Geld- Diese Konflikte lässt auch Ines Rieder in ihrem Interview
strafen drohten: 1981 wurde die Buchhandlung Frauenz- anklingen, sieht sie aber allgemeiner: „Es gab eine sehr Das Coming-out war für Schwule und Lesben in den
immer verurteilt, als A Women’s Touch – An Anthology starke Polarisierung, in jeglichem Bereich, alle haben sich 1970er und 1980er Jahren ein vollkommen anderes
11

Das erste Männerfest


im Treibhaus 1978

Aus Mangel an eigenen Bildern illustrierte die


AZ 1979 einen Bericht über Homosexuelle mit
einem mehr als 10 Jahre alten Filmfoto, das
Rex Harrison und Richard Burton im Stanley
Donen Film “Über der Treppe“ zeigt

Das Plakat zum wahrscheinlich ersten,


offiziellen Frauenfest Wiens

als heute. Für diese Generation gab es keine Vorbilder. Pankratz, die sich mit schwulen Männern solidarisierten Doch wie in der Frauenbewegung taten sich auch unter
Verstohlen hatte man sich vielleicht über Mutmaßungen und bereit waren, mit ihnen gemeinsam den Kampf zu be- den Männern rasch ideologische Gräben auf. Wollten die
informiert, dass Michelangelo, August von Platen oder streiten, was oft zu schwierigen, zwiespältigen Situationen einen unauffälliges Beisammensein unter Ihresgleichen
Oberst Redl schwul, bzw. Gertrude Stein, Helene von für engagierte Lesben führte: „Man kann natürlich nicht außerhalb der von vielen verabscheuten Subkultur, eine
Druskowitz oder Erika Mann lesbisch waren, Film- oder sagen, die ganze Frauenbewegung war so oder so ein- gemütliche Heimstatt also, waren die Anderen bereit zum
Popstars, die offen schwul oder lesbisch waren gab es aber gestellt oder umgekehrt,“ sagt Helga Pankratz. „Ich glaub politischen Kampf, den sie auch auf die Straße tragen
keine. In fast jedem Coming-out-Prozess gehört es wohl aus meiner jetzigen Perspektive, dass sich diese Konflikte wollten. Sichtbarkeit war schon in den ersten Stunden der
dazu, dass man irgendwann einmal glaubt, man sei der ja sehr oft innerhalb der Personen abspielen. Das ist ein Bewegung sowohl für Schwule als auch für Lesben sehr
bzw. die Einzige, die so sei. Heute kann man sich rasch gewisses Gespaltensein oder das Wissen, dass man zwei wichtig. Wollten Lesben innerhalb der Frauenbewegung
vom Gegenteil überzeugen, im Internet ist es leicht, zu Beine hat – Standbein und Spielbein und das wechselt. Ich wahrgenommen werden, was sie durch entsprechendes
Aufklärung zu kommen. Damals musste man lange und bin unverbrüchlich Feministin und wenn ich einen Sex- Outfit, Parolen oder Zeichen wie die Doppelaxt zu er-
oft an verbotenen oder verruchten Orten suchen, um zu ismus von den schwulen „Schwestern“ wahrnehme, dann reichen versuchen, wagten die Schwulen beim Pfingst-
Informationen über seinesgleichen zu kommen. Die Bu- kann ich das nicht einfach so hinnehmen.“ treffen 1977 den Schritt in die große Öffentlichkeit. Die
chhandlung des legendären Kommerzialrats Herzog in der Gruppe Coming Out hatte deutsche Homogruppen zum
U2-Passage Mariahilfer Straße war zumindest für Schwule Im April 1976 erschien im linksliberalen Neuen Forum Erfahrungsaustausch nach Wien geladen und ein großes
ein wichtiger Anlaufpunkt. eine Artikelserie über Homosexualität, wobei die Texte Fest in einer Villa in Purkersdorf organisiert. Zur öffentli-
großteils von Autoren aus der Berliner Szene stammten. chen Provokation bereit, aber wissend, dass eine offizielle
Auch die Männer werden aktiv Aber die Initiativgruppe Homosexualität, Wien gab in ei- Demonstration nie genehmigt werden würde, entschied
nem Infokasten die Gründung einer Gruppe CO bekannt: man sich zu einem locker inszenierten Spaziergang durch
In der Frühzeit der Bewegung Mitte der 1970er Jahre gab „Wir haben das Versteckspiel satt!“ Man traf sich (vor- den 1. Bezirk, der für großes Erstaunen bei der Bevölker-
es kaum institutionalisierte Berührungspunkte zwischen läufig) jeden Freitag im Albert-Schweitzer-Haus in der ung sorgte.
Lesben und Schwulen. Dass ein Teil der politisch engagi- Garnisonstraße im 9. Bezirk. Erhaltene Protokolle zeigen,
erten Schwulen durchaus auch Schlagworte der Frauen- dass man sich analog zur Berliner politischen Bewegung Mit den „Politschwestern“ gar nichts am Hut hatten viele
bewegung aufnahm, zeigt die Einladung zu einem Fest für Homosexuelle Aktion Wien (HAW) nennen wollte, aus Männer, die in der Verbotszeit schon eine verstecktes
die Gruppe Coming Out ins seit 1973 existierende Motto Angst vor dem Vereins- und Werbeparagraphen entschied schwules Leben führten. Oft erzählen heute noch Män-
in der Rüdigergasse, in der es hieß, dass das Fest für alle man sich aber nach einem Song von Lou Reed für den ner von den Hausbällen in diversen Lokalen, ob im Quick
sei, „die sich gegen die Reglementierung ihres Körpers unverfänglichen Namen Coming Out. Einen Monat später oder in der Alten Lampe. Aber auch privat traf man sich
wehren!“ Zu einer Zusammenarbeit über persönliche – im Mai 1976 – gab es das erste schwule Profil-Cover. zu ausgelassenen Festen, in den aufwändigen Kostümen
Freund- oder Bekanntschaften hinaus kam es zumindest steckte oft ein ganzes Jahr Arbeit und auch so mancher
Mitte der 1970er Jahre nicht, zumal viele Frauen grund- Heimstatt gegen Aktionismus Monatslohn. Schon vor der Strafrechtsreform fand in der
sätzlich jede Zusammenarbeit mit Männern ablehnten, Kopernikusstube, dem späteren Nightshift, der Bal Parée
egal ob hetero oder homo, egal ob die schwule Theorie Am Rande der Illegalität agierend fand man Unterschlupf statt, der in seiner Glanzzeit im Parkhotel Schönbrunn
den Analverkehr zum antipatriarchalen Skandalon erhob. im Vereinslokal der Arbeitsgruppe für kulturelle Aktivitäten abgehalten wurde, wo heute wieder alljährlich Lesben und
Männer waren grundsätzlich nicht Teil der Bewegung. (AKI), das eine Untergruppe der Jungen Generation der Schwule beim Regenbogenball das Tanzbein schwingen.
Auf der anderen Seite gab es sehr wohl Lesben, wie Helga SPÖ in der Krummgasse 1a im 3. Bezirk angemietet hatte.

die siebziger
12

Ein HOSI-Treffen im Treibhaus

Erstes HOSI-Gruppenfoto

Falter Inserat

Vor allem für Männer gab es um diese Zeit schon eine Gruppe fand. Dieser alternative Treffpunkt, später Rot- aus dieser Keimzelle die HOSI entwickeln würde. Der
recht vielfältige Lokalszene, die von den engagierten stilzchen genannt, war, wie es Birgit Meinhard-Schiebel Grundstein für die heute als NGO von allen politischen
Schwulen aber großteils abgelehnt wurde. Das Hydepark in einem Gespräch beschreibt, ein Schmelztiegel unter- Gruppen anerkannte HOSI wurde im Privaten gelegt, das
in der Sonnenfelsgasse 9 war die erste schwule Disco, es schiedlichster (linker) Interessen. Die schwulen Aktiv- nach den Parolen dieser Jahre öffentlich gemacht werden
gab bereits Alfi’s Goldenen Spiegel an der Wienzeile bei der isten Rudi Katzer und Florian Sommer produzierten eine musste, was mit einem Auftritt im ersten Club 2, den es
Kettenbrückengasse aber auch eine Reihe von Lokalen, die Stadtzeitung, die ZB, die eine breite Palette an Themen, zum Thema Homosexualität gab, öffentlichkeitswirksam
heute verschwunden sind und kaum Spuren hinterlassen einen alternativen Veranstaltungskalender und Adresse geschah. Am 25. September 1979 rief Wolfgang Förster
haben: das Café Reiner/Künstlerklause ist heute das Sling, von Gruppen bot. Der kurz darauf gegründete Falter im Club 2 live zur Gründung einer Schwulengruppe auf
das Herz Dame Ecke Albertgasse/Skodagasse war ein ab- übernahm dieses Konzept. Unterschiedlichste (linke) und hielt auch ein Taferl (er ist der Erfinder des Taferls im
genutztes Tanzcafé, die Weindiele in der Neustiftgasse oder Politgruppen trafen sich hier, und so auch eine „Män- Fernsehen nicht Jörg Haider) in die Kamera, auf dem der
das Bajazzo in der Schubertgasse im 9. Bezirk sind heute nergruppe“, die im Treibhaus 1978 ein erstes Männerfest Treffpunkt der Gruppe stand. Heute kaum mehr vorstell-
nur noch Wenigen ein Begriff. Ali, der von 1972-1978 die veranstaltete (es explizit „Schwulenfest“ zu nennen, wagte bar, rief diese Aktion einen Sturm der Empörung hervor,
Alte Lampe führte, erzählt, dass es an manchen Abenden man wegen des Werbeverbots aber nicht). der ORF erhielt massenweise Protestbriefe und –anrufe,
schon mal passieren konnte, dass Leonard Bernstein mit und ÖVP und FPÖ richteten an den Justizminister eine
seiner Entourage ins Lokal schneite und sich ans Klavier „Es gab immer wieder Lesbengruppen, die sich in parlamentarische Anfrage, ob mit dieser Aktion nicht
setzte. Das Motto war das erste Lokal, in dem man vor Privatwohnungen oder im Frauenzentrum in der Tendler- Werbe- und Vereinsverbot unterlaufen würden.
der verspiegelten Pissrinne stehend Schwulenpornos gasse getroffen haben“, erzählt Helga Pankratz. Auch das
anschauen konnte. Diese ersten Jahre der Befreiung in den alternative Amerlingbeisl am Rande des Spittelbergs war Hinter den Kulissen hatten aber die Aktivisten der ersten
1970er Jahren ließen den Hedonismus unter Schwulen ein Treffpunkt für zahlreiche Initiativen, so auch aus der Stunde schon Gespräche mit Sepp Rieder, dem damali-
blühen und die an ihm Beteiligten legten den Grundstein Frauenbewegung. Mit der Gründung des WUK – Verein gen Sekretär von Justizminister Broda geführt, der eine
dafür, dass sich die Meinung verfestigte, dass Schwule nur zur Schaffung offener Kultur- und Werkstättenhäuser im salomonische Interpretation der Paragraphen vorschlug.
dem Konsum frönten. Dies wirkt bis heute nach, wenn Jahr 1979 fanden viele seit der Räumung des Auslands- Man interpretierte ein „Und“ im Gesetz neu – und schon
wirtschaftspolitisch Engagierte die Schwulen als soge- schlachthofs in St. Marx heimatlose Gruppen eine Heim- stand der Vereinsgründung nichts mehr im Wege. Im §
nannte DINKs (Double-Income-No-Kids) zu Rettern des statt. Die Arenabewegung holte Mitte der 1970er Jahre in 221 StGB hieß es, dass eine Vereinsgründung verboten sei,
Konsums in der Wirtschaftskrise stilisieren. Dieser Hedo- Wien Entwicklungen nach, die andernorts von der Stu- wenn „gleichgeschlechtliche Unzucht“ begünstigt UND
nismus, der auch von den „Politschwestern“ gelebt wurde, dentenbewegung rund um 1968 formuliert worden waren. öffentliches Ärgernis erregt wird. Dieses UND sei früher
war auch immer ein Knackpunkt in den Beziehungen zur Im politisch liberalen Klima der ersten Jahre der Allein- als ODER interpretiert worden (obwohl eigentlich immer
Lesbenbewegung, die grundsätzlich antikapitalistisch und regierung Bruno Kreisky war es sowohl für die Schwulen- ein UND im Gesetz stand), inzwischen habe sich aber die
konsumkritischer war und ist. bewegung als auch für die sich aus der Frauenbewegung Rechtsmeinung verfestigt, dass beide Tatbestände erfüllt
entwickelnde Lesbenbewegung möglich, Freiräume zu sein müssten, um Anklage zu erheben. Wenn man also
Vor der HOSI-Gründung schaffen, die sich bald institutionalisierten. kein öffentliches Ärgernis errege, könne man „gleichge-
schlechtlich Unzucht“ ruhig begünstigen – die Spitz-
Die „Gemütliche Heimstatt“ und die offensiveren Teile der Als Wolfgang Förster im März 1979 im Falter ein Inserat findigkeiten verstehen wohl nur Jurist_innen.
Bewegung gingen schon längst getrennte Wege, als sich im zur Gründung einer „Männergruppe“ aufgab, dachte er in
Treibhaus in der Margaretenstraße 99 wieder ein schwule erster Linie an Selbsterfahrung und nicht daran, dass sich Die HOSI war geboren.
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wie die hineingeschwebt sind


Ali vom Savoy ist ein Wiener Szene-Urgestein. Ihm gehörte in den 1970er Jahren die Alte Lampe
und bis vor kurzer Zeit das legendäre Café Savoy, das nicht nur für nostalgisch veranlagten Tour-
ist_innen eine beliebter Treffpunkt ist. Unser Titelbild zeigt ihn mit seiner „Freundin“ Archimeda.
Was war dein erstes Lokal? gesessen, weil ich nicht zugegeben hab, gesessen dann. Und der Bal paré?
dass ich schwul bin. Sonst hätte man mich
Mein erstes Lokal war die Alte Lampe, von nur eine Woche behalten, so hat man mich Welche Lokale hat es zu dieser Zeit noch Die Lokale wollten das alle nachmachen,
1972 bis 1977, das war eine Glanzzeit für vierzehn Tage behalten. In Wien war das gegeben, außer der Alten Lampe? haben aber nicht die Räumlichkeiten
die Alte Lampe auch. Da ist Gott und die viel lockerer, in Linz hat es ja nicht einmal gehabt. Und die Lampe war ja auch ziem-
Welt aus und eingegangen. Wenn der Ber- ein Lokal gegeben, weil das ist sofort aus- Das Quick in der Rauhensteingasse war lich klein. Da haben sich dann ein paar
nstein in Wien war, ist er ganz automatisch gehoben worden. ein kleines Espresso und sehr bekannt, das Leute zusammengetan und haben gesagt.
mit seiner Entourage zu mir gekommen. Lurloch [später Nightshift] und sonst noch „Wir mieten einen Saal und machen
Er hat sich auch ans Klavier gesetzt und Wann bist du nach Wien gekommen? einige. Im Buchheim war ich nie drin- was Größeres“, aber erst nachdem sich
ein bisschen gespielt, das war schon eine nen, das war so ein bisschen anrüchig mit herumgesprochen hatte, dass die War-
Superzeit. 1961. Und hier habe ich als Kellner Strichern und so. Ins Central-Bad [heute men doch nicht mehr so verfolgt werden
gearbeitet in guten Häusern und bin halt Kaiserbründl] ist man gegangen, dort war’s und sich das Gesetz geändert hatte. 1974
Du hast ja auch die Verbotszeit erlebt? nebenher öfters in die Alte Lampe gegan- auch sehr angenehm, da war man geduldet hatte es sich ein bisschen beruhigt und ist
gen. Es hat mir sehr gut gefallen dort, es sozusagen. Aber eine Küsserei oder so hätt’ sogar ein bisschen in Mode gekommen.
Ja, man musste jederzeit damit rechnen, war ein sehr nettes Publikum, aber es war es dort nie gegeben, da wäre man sofort Ab Mitte der 70er Jahre hat sich das dann
dass jemand reinkommt und jemanden halt immer das Damoklesschwert, dass rausgeflogen. sukzessiv entwickelt, in einem großen Lo-
verhaftet und rausholt. Das war zu der Zeit jemand kommen könnte. Und dort war kal, dem Herz-Dame im achten Bezirk, da
damals wirklich... – es ist immer auch auf natürlich alles unter dem Deckmantel der Stichwort schwule Bälle. Woran kannst hat sich auch der erste Bal paré abgespielt.
den Polizeipräsidenten drauf angekom- Verschwiegenheit, obwohl das in Künstler- du dich erinnern? Danach ist man dann ins Parkhotel Schön-
men, wer da gerade am Ruder gesessen kreisen offiziell wurscht war. Vom Nurejew brunn.
ist, ob sich der interessiert hat für die Es hat ja nur die Bälle in der schwulen
oder so hat es ja jeder gewusst, aber da ist
Szene. Der Holaubek [Polizeipräsident von Szene gegeben, wie bei mir in der Lampe, In der Naschmarktgegend hat es sich ja
halt nicht drüber gesprochen worden. Der
Wien], kann man ja sagen, war ein netter die Hausbälle. Da sind sie mit der Kale- immer gesammelt.
Adlmüller konnte sich mit seinem Freund
Typ, der hat sich da nicht verkrallt in dem sche vorgefahren und die Damen mit den
in der höchsten Gesellschaft zeigen, da hat
Ganzen. Aber in Linz war der Eipeldauer Krinolinen sind ausgestiegen, das war Jaja, da waren ja alle diese Wirtshäuser
kein Mensch etwas drüber gesagt. Aber
Polizeipräsident und das war ein ganz schon eine tolle Sache. Die Fenster sind hier. Nachdem die Lokale zugesperrt
wenn eine Hausmeisterin zwei Burschen
scharfer Hund, auf die schwule Szene, der alle aufgegangen und alle haben runterge- haben in der Nacht, ist man eben noch
oder zwei Männer im Haus angezeigt hat,
hat alles dran gesetzt, dass er die hinter schaut, wie die hineingeschwebt sind. In in diese Lokale gegangen. Wenn man
sind die gekommen und haben nach-
Schloss und Riegel bekommt. Da bin sogar der Lampe hab ich jede Woche einen Ball geschickt war, hat man überall wen er-
geschaut im Bett, ob Flecken drinnen
ich drangekommen und bin vierzehn Tage gehabt. wischen können.
sind. Und die sind monatelang im Häf ’n

Wollt’s nicht eine Lesbengruppe machen?


Helga Pankratz wurde 1959 in Wiener Neustadt geboren und kam Mitte der 1970er Jahre
nach Wien. Hier schloss sie sich schnell der Frauenbewegung an und gründete gemeinsam
mit ihrer Freundin Doris Hauberger innerhalb der HOSI Wien eine Lesbengruppe. In den letz-
ten Jahren engagierte sie sich besonders für den Frauentanzsport. Als Autorin und Kabarettis-
tin schrieb sie zahlreiche Artikel und wurde vor allem mit ihrer Lyrik und Kurzprosa auch über
den deutschsprachigen Raum hinaus bekannt.
Wie kamst du in die Wiener Frauenszene? zusammenfand. irgendwann hat mich der Männerverein ja die Lesbenbewegung sowohl Teil der ge-
eingeladen, weil ich so oft Leserinnen- meinsamen Homosexuellenbewegung als
Mein Coming-out hab ich sehr alleine Und bei Lesbengruppen war es genauso: briefe schrieb, und so oft reagierte, auf auch Teil der Frauenbewegung. Das war
gehabt. Ich bin mir seit dem Alter von 12 Es gab Ansätze, es gab immer wieder Sachen, die in den Lambda gestanden ja vermutlich nicht ganz friktionsfrei.
Jahren bewusst, dass ich lesbisch bin und Lesbengruppen, die sich getroffen haben sind, dass sie gesagt haben „Komm ein-
wie das heißt und was das ist. Ich bin in in Privatwohnungen oder im Frauen- mal! Treffen wir uns einmal. Was möchtest Man kann natürlich nicht sagen, die ganze
Wiener Neustadt aufgewachsen, was eine zentrum in der Tendlergasse. Das hab du denn?“ Und ich wollte Kontakt zu Frauenbewegung war so oder so eingestellt
Kleinstadt ist und kannte keine Lesbe ich auch besucht und mir angeschaut, anderen Frauen, die Kontakt zur Hosi oder umgekehrt. Ich glaub aus meiner
außer mir selber und das sehr lang. Und hab im Frauencafé immer plakatiert haben oder suchen. Und dann war es der jetzigen Perspektive, dass sich diese Kon-
ich bin mit dadurch, dass ich gewusst gesehen, wie der Kontakt zu knüpfen ist, Kurt Krickler, mit dem meine Freundin flikte ja sehr oft innerhalb der Personen
habe, dass ich lesbisch bin, motiviert gewe- zur Lesbengruppe. Ja, und wie die HOSI und ich intensiver gesprochen haben und abspielen. Ich bin unverbrüchlich Feminis-
sen, studieren zu wollen und nach Wien gegründet worden ist, hat mich das sehr der gesagt hat. „Wollt’s nicht vielleicht eine tin und wenn ich einen Sexismus von den
zu wollen. fasziniert. Ich hab dann über die zweite Lesbengruppe bei uns aufmachen?“ Wir schwulen Schwestern wahrnehme, dann
Nummer der Lambda-Nachrichten, die ist hatten versucht zu überlegen, wie es denn kann ich das nicht einfach so hinnehmen.
Wie fandest du dann andere Lesben und mir in die Hände gekommen, weil ich am möglich sein könnte, in diesem Männerv- Nur meines und das von den Frauen, die
Schwule? Reumannplatz am Info-Stand war, davon erein aktiv zu werden. Und die Idee war es ähnlich gemacht haben wie ich, war
erfahren. Da war gleichzeitig ein großes sehr gut. es, nicht fernzubleiben oder dann aus-
Also zu der Zeit, wo ich die Frauenszene österreichisches Lesbentreffen im Amer- zutreten, sondern den Konflikt zu suchen,
gesucht und gefunden habe, hats die HOSI linghaus. Das erste große, das hab ich auch Wir waren ja integriert, ich war Stam- aber auch die Verständigung. Und es war
auch noch nicht gegeben, also das hat sich besucht. Und eigentlich konnte man sehr mgästin im Frauencafé, ich hab die so – ich krieg das jetzt nachträglich öfter
so parallel entwickelt, dass ich Anschluss viel erfahren, alle waren interessiert, an Zeitschrift AUF gelesen und alle großen noch erzählt, es haben sich die schwulen
an eine Bewegung gesucht hab, weil mir allem was es gibt. Frauen der feministischen Bewegung gut Männer in der HOSI wirklich gefürchtet
war Stonewall aus den Massenmedien gekannt und mit ihnen gesprochen. Wir vor uns, einfach, weil wir uns nicht immer
durchaus ein Begriff. Und ich hab erwar- Dennoch hast du dich zur Gründung haben sogar auf einem großen Frauenfest, alles haben bieten lassen, weil wir gesagt
tet, dass ich in Wien eine Bewegung finde, einer eigenen Lesbengruppe in der HOSI das die Frauenbuchhandlung organisiert haben, „Na, hoppla! Moment, so!“. Und es
die auf dem Stand von Amerika oder entschlossen? hatte, Flyer ausgeteilt mit Einladungen zur war ein Lernprozess, ich glaub, die Männer
Deutschland ist, wie ich jung war. Dann ersten Lesbengruppe. Ohne das hätten wir haben sehr viel mehr zum Lernen gehabt.
hab ich auch die Gründung der HOSI mi- Für mich war es eigentlich selbstverstän- ja die Frauen gar nicht gefunden, die zu
terlebt, ich hab‘ – wie soll ich sagen – den dlich, dass ich auch Lambda-Nachrichten uns in die HOSI kommen.
Falter gelesen, der ja auch ganz frisch war, lese und mit der HOSI kommuniziere –
und da die Annoncen, wie sich die HOSI die war aber halt ein Männerverein. Und Nicht zuletzt dank deiner Mitwirkung war

die achtziger
14

Gemma Schwule schauen


Evelyn Mollik-Werner ging auch – oder gerade – als heterosexuelle Frau, in
den 70-er Jahren in die Schwulenszene. Nicht nur auf Mykonos genoss sie das,
denn ihr Stammlokal war das Motto im 5. Bezirk, eröffnet 1973. Ein Jahrzehnt
später spielte sie auch im schwulen Film Wiener Brut mit.

Was bedeutete das Motto in den 70-er Jahre gefallen. Aber man musste nach wie führender Herr der Bezirksvorstehung mit war hier ja auch ein Prominentenlokal.
Jahren? vor mit massiven Razzien rechnen, und und regt sich auf, und man macht ihn da- Von Bernstein angefangen über... Ich
die haben hier stattgefunden, speziell nach rauf aufmerksam, dass der Paragraf doch erinnere mich an einen Geburtstag, da
Ich hätte im Motto eigentlich einen Mel- der Eröffnung. schon längst gefallen sei. Seine Antwort hat mir sogar der Nurejew gratuliert. Das
dezettel ausfüllen müssen. Das Motto war war: „Aber net bei uns im Bezirk!“ So war war das Motto, nur: Der Nurejew und der
für uns High Life. Es waren tolle Leute Wie liefen solche Razzien ab? die offizielle Einstellung, obwohl gesetzlich Bernstein sind behandelt worden, wie alle
hier und es war eines der ersten Schwul- schon längst geregelt. Anderen.
enlokale, die nicht unbedingt ein finsteres Hinten hat es eine kleine Bar gegeben,
Kellerloch waren. Allerdings hatte das dort saß ein schwules Pärchen. Es kamen Mittlerweile gilt das Motto nicht unbed- Gab es damals auch politische Bewegung?
Motto etwas, das die anderen Lokale auch zwei Männer in Zivil rein und es fängt ingt primär als Schwulenlokal.
hatten: Man musste draußen klingeln, ist eine Rangelei zwischen den Polizisten Es gibt etwas, was mich damals sehr ver-
durch ein Guckerl begutachtet worden und einem des schwulen Pärchens an. Das Motto war dann eines der Lokale, wundet hat und eigentlich bis heute wun-
und dann durfte man rein. Im Vergleich zu Darauf sagt der Schwule: „Geben Sie mir die immer offener geworden sind. Es dert. Es war damals parallel die Frauen-
den anderen Lokalen ist das Motto immer ihre Dienstmarke, ich mache eine An- gab eine Mixtur, so genannte “Normale” bewegung. Und da kam der Gedanke
offener geworden. Dann kam eine gewisse zeige.“ Das macht er dann auch und wird sind gekommen und daraus ist auch eine hoch, wenn sich jetzt die Frauen und die
Bewegung von wegen “Gemma Schwule später vorgeladen. Dort heißt es dann: gewisse Akzeptanz geworden. Anfangs Schwule auf ein Packl hauen, würden wir
schauen“, und dadurch wurde das Lokal „Sagen Sie mal, ihr Freund ist doch in hieß es noch “Gemma Schwule schauen” doch die Mehrheit erbringen und könnten
immer gemischter, was es anfangs nicht einer Bank angestellt?“ „Ja“, sagt er. „Und und dann war die Sensation gar nicht so viel mehr bewirken. Das wurde sonder-
war. Was mich anfangs wunderte, war, gibt es in dieser Bank nicht jede Menge groß. Abgesehen von einem, den wir alle barerweise von beiden Seiten abgelehnt.
wann immer es an der Tür geläutet hat, ha- Lehrbuben?“ Worauf er sagt: „Ja“. “Dann Die Vetsera genannt haben. Der hat einmal Diese Majorität, die man gehabt hätte, war
ben sich alle umgedreht und sich gefragt, würde ich mir im Sinne der Karriere ihres am Ende des Lokals einen wunderbaren offensichtlich nicht gewünscht, obwohl es
wer kommt jetzt rein? Erst später habe ich Freundes überlegen, ob die Anzeige nicht Strip hingelegt. Und ein Mann sagt zu teilweise durchaus um dieselben Anliegen
mitgekriegt, was eigentlich los war. Damals doch zurückgezogen wird“. So geschehen. seiner Frau: „Schau dir das an, da kannst gegangen wäre. Das hat nie stattgefunden.
war der Schwulenparagraf erst eineinhalb Bei einer anderen Razzia kommt ein noch was lernen!“ So war das damals. Es

Die Wiener Schwulen haben


immer die Hos’n vollgehabt
Rudi Katzer kam in den 1970er Jahren nach Wien und schloss sich hier der gerade im Entstehen begriffenen
Schwulenbewegung an. Er arbeitete ab 1976 bei der ersten Schwulengruppe Coming Out mit, war in die Gründung der
HOSI involviert und bezog als einer der ersten ein Abbruchhaus an der Linken Wienzeile, das zur weithin sichtbaren
Rosa Lila Villa werden sollte. Noch heute lebt er in dem Haus, das er mit seiner Arbeit und seinem Elan entscheidend
mitprägte.
Kannst du von der CO erzählen? hakt, und Verein – na danke!“ Aber dann von bürgerlichen Leuten getragen wurden, Wohnung, besetzt und auch immer sofort
waren wir doch so neugierig, was das ist, die einfach nur im Rasen liegen wollten instand gesetzt.
Die Gruppe Coming Out war eigentlich wer das ist und was da passiert, dass wir und die Repression der Behörden nicht
die erste Nachkriegsschwulen- und auch hingegangen sind in die Margaretenstraße, verstehen wollten. In der Bevölkerung hat Wie kam es zum Neujahrskonzert?
ein bissl Lesbenorganisation, also es waren ins Treibhaus – und dann waren wir schon das sehr schnell den Namen „Burggarten-
ein paar wenige Frauen auch dabei. Und wieder dabei. bewegung“ bekommen. Ja, ich bin gefragt worden, ob ich mit-
das war eine sehr kleine Gruppe. Und mache, aber ich hab mich nicht getraut!
dennoch haben sich sehr schnell zwei Wann übersiedelte die HOSI in die No- In diesem Klima hatte die Wiener Sozi- Vor einem Publikum, das hierher gekom-
Fraktionen herausgebildet. Die einen varagasse? aldemokratie die super Idee, einige wenige men ist, um um sehr teure Karten diese
wollten ihr Innerstes nach außen kehren der vielen Abbruchhäuser potentiellen wunderbare Musik zu hören: Denen in die
und haben gesagt, das Private ist auch Es war so, dass man bald den Eindruck Hausbesetzer_innen zur Verfügung zu Suppe zu spucken und sich nackt auszuzie-
politisch, und haben mit radikalen Slogans hatte, im Treibhaus sei es zu eng. Ich hab stellen zur – wie man das damals genannt hen, vorzurennen und den Dirigenten von
Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Und die an- den Eindruck nicht gehabt, mich hat hat – legalen Instandbesetzung. seinem Pult zu verscheuchen, das war mir
deren, die wollten so was wie eine gemütli- die Enge nicht gestört. Ich hab dagegen zu heftig. Dann hat’s der Florian Sommer
che Heimstatt, einfach einen Ort, wo man gesprochen, ein Vereinslokal zu suchen Das heißt, die Villa war nicht besetzt? mit dem Robert Herz gemacht.
sich gerne trifft und wo man dann auch und umzusiedeln, weil mir klar war, dass
gemeinsam was organisiert, gemeinsame es ungeheuer viel Energien binden würde. Doch. Die Lesben und Schwulen, die Dann gab’s auch zwiespältige Reaktionen.
Ausflüge oder so was. Und so war’s dann auch. eigentlich ein Stockwerk in einem Haus in
der Liniengasse besiedeln wollten, suchten Ja, die Wiener Schwulen haben immer die
Das war ja im Treibhaus, das ja wie ein Wie geschah dann der teilweise Auszug ein „Notquartier“, weil aus der Liniengasse Hos’n vollgehabt.
Sammelbecken gewesen sein muss. Dort aus der HOSI – in die Rosa Lila Villa? nichts wurde. Und dieses Notquartier
hat sich dann ja auch die HOSI gegrün- war zuerst nur eine Wohnung in diesem Auch die Lambda Nachrichten haben
det. In dieser Zeit, rund um 1982, geschahen Haus, der heutigen Villa. Da waren noch negativ berichtet.
Jugendrevolten in Berlin, Zürich und in zwei Baubüros der Gemeinde Wien und
Die CO hat 1978 das Zeitliche gesegnet. anderen Städten Mitteleuropas. In Wien ein privater Mieter. Also dieses Haus war Ja, als Leserbriefe, die in Wahrheit aus dem
Und ungefähr ein Jahr später haben wir – haben junge Menschen begonnen, sich im nicht zur „legalen Instandbesetzung“ Vorstand gekommen sind. Artikel gab’s
der Florian Sommer und ich – gehört, es Burggarten in die Wiese zu legen und sind vorgesehen gewesen. Aber dadurch dass keine negativen. Die Presse insgesamt war
soll da wieder ein Treffen geben und wir von der Polizei rausgeworfen und festgen- man schon einen Fuß herinnen gehabt hat, nicht negativ.
haben gesagt: „Jessas, na, das brauchen wir ommen worden. Es gab dann Demos im hat man sich dann ausgebreitet, sozusagen
nimmer, Schwulenbewegung, das ist abge- ersten Bezirk, die eigentlich hauptsächlich das Haus von innen her, Wohnung für
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DIE 80ER
Soziale und politische Bewegungen halten sich im Allgemeinen nicht an einen
Rhythmus in Dekaden. Trotzdem: Teilt man das Jahrzehnt der 1980er Jahre, kann
man die erste Hälfte als die Zeit des Aufbruchs und der vielfältigen Manifestationen
schwul-lesbischen Lebens verstehen, die zweite als Jahre des Schocks durch Aids
und der Konsolidierung zum Weg durch die Instanzen. Die Bedrohung durch Aids lag
wie eine dicke Decke über allen Entwicklungen dieser Jahre.

Im zeitlichen Umfeld mit der Gründung der HOSI kam es


zu einer Reihe von spektakulären Aktionen. Bei der Demo
zum Internationalen Frauentag am 8. März 1980 tauchte
zum ersten Mal ein Lesbenplakat auf und in der Wiener
Berggasse zog das Uni-Frauenzentrum in eine Substan-
dardwohnung und wurde damit zur Keimzelle und Basis
einer Reihe von feministischen und lesbischen Initiativen,
die in einem Nahverhältnis zur Universität und gen-
derspezifischen Forschung standen. In der HOSI selbst
begannen die Zwistigkeiten zwischen den Mitgliedern, die
angepasst und bürgerlich den Weg der kleinen Schritte
gehen wollten, und jenen, die zum Teil schon in der
Gruppe Coming Out radikalere politische Ideen verwirkli-
chen wollte. In der HOSI wiederholten sich die Konflikte,
die schon in den schwulen Gruppen der 1970er Jahren
virulent waren und die auch zu Spaltungen innerhalb
der Frauenbewegung zwischen Heteras und gemäßigten
Lesben mit gesellschaftspolitisch radikaleren Lesbengrup- Die Räumung des HOSI Infostands Plakat zum 1. Lesbentreffen
am Reumannplatz, 1980
pen führten.

Das erste Lesbentreffen aufbauen: „Homosexuell, das ist nicht alles was wir sind, kam es zur Gründung der HOSI Salzburg, 1982 folgte Linz
aber es gehört zu allem was wir sind. Solange Homosexu- und 1984 Steiermark und Tirol. Die Beziehungen zwisch-
Vom 5. bis 8. Juni 1980 fand im Amerlingbeisl das 1. Öster- alität nicht selbstverständlicher Teil befreiter Sexualität ist, en Männern und Frauen verliefen mitnichten friktionsfrei.
reichische Lesbentreffen statt. Ein zentrales Anliegen dieses sondern Gegenstand von Unterdrückung, Tabuisierung, Es gab Lesben die gegen eine Zusammenarbeit mit den
Treffens war, Lesben innerhalb der Frauenbewegung aber Diskriminierung, Angst, Elend, Vereinsamung, Verz- Schwulen waren – und umgekehrt. Auch im internation-
auch außerhalb sichtbar zu machen. Neben Selbsterfah- weiflung, werden wir nicht aufhören, für eine Befreiung alen Vergleich war diese Zusammenarbeit nicht selbstver-
rung und Gedankenaustausch hatten diese Tage für viele der Homosexualität von uns allen zu kämpfen!“ – waren ständlich. In der deutschen Bewegung, deren Aktionen
auch die Kraft einer politischen Initialzündung. Gleichze- Kernsätze des von 25 Gruppen unterschriebenen Mani- natürlich nach Österreich ausstrahlten, gab es kaum
itig baute die HOSI im Rahmen der Wiener Festwochen fests. Unter diesen auch das Frauenzimmer und eine institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen Lesben und
- alternativ auf dem Reumannplatz einen Infostand auf, Lesbengruppe Wien. Schwulen. Auch eine Organisation wie die ILGA (Interna-
der nach Beschwerden und rechtsradikalen Störaktionen tional Lesbian & Gay Association) wurde als IGA (Interna-
von der Polizei mit Gewalt geräumt und abgebaut wurde. „Wie die HOSI gegründet worden ist, hat mich das sehr tional Gay Association) gegründet. Die ersten Gay Games,
(Was heute noch in Ungarn, Polen, den baltischen Staaten fasziniert. Ich hab dann über die zweite Nummer der die 1982 in San Francisco stattfanden, waren eine schwule
oder Russland an der Tagesordnung ist, war vor nunmehr Lambda Nachrichten, die ist mir in die Hände gekommen, Erfindung. Umso erstaunlicher ist es im Rückblick, mit
fast 30 Jahren auch in Österreich ganz normal: Die Polizei weil ich am Reumannplatz am Info-Stand war, Kontakt welcher Konsequenz die Frauen der ersten Generation in
schützte nicht die für ihre Rechte demonstrierenden aufgenommen“, erzählt Helga Pankratz. „Und irgendwann der HOSI Wien – hier sind Helga Pankratz, Doris Hau-
Schwulen vor Angriffen sondern vertrieb sie und ließ die hat mich der Männerverein eingeladen. Es war dann der berger oder Waldtraud Riegler zu nennen – den Weg der
rechte Aggressoren unbehelligt.) Kurt Krickler, mit dem meine Freundin und ich intensiver Zusammenarbeit bestritten. Lesben, die sich mit einer
gesprochen haben und der gesagt hat: ‚Wollt’s nicht viel- schwul-lesbischen Community nicht identifizieren konnt-
Womit die Gemeinde Wien, die den Polizeieinsatz be- leicht eine Lesbengruppe bei uns aufmachen?’ Wir hatten en, organisierten sich in reinen Frauenzusammenhängen.
fürwortete, nicht gerechnet hatte, war die Solidarisierung versucht zu überlegen, wie es denn möglich sein könnte, So gründete sich im Frauenkommunikationszentrum im
aller teilnehmenden Gruppen der Alternativen Fest- in diesem Männerverein aktiv zu werden. Und die Idee WUK, das 1981 nach Jahren der Herbergssuche im neu
wochen. Alle Stände auf dem Reumannplatz, im Schweiz- war sehr gut. geschaffenen Kulturzentrum an der Währingerstraße
ergarten und in der Meidlinger Hauptstraße wurden mit einziehen konnte, im Herbst 1982 eine autonome Lesben-
HOSI-Parolen geschmückt, alle Gruppen unterschrieben Die HOSI wird schwul-lesbisch gruppe. Das im selben Jahr eröffnete Café Lila Löffel wech-
das Manifest Für eine neue Liebesunordnung und der da- selte in den folgenden Jahren immer wieder mal Namen
malige Kulturstadtrat Helmut Zilk ließ nach dieser für ihn So kam es 1981 zur Gründung der Lesbengruppe inner- und Funktion: Sonderbar und FZ-Beisl waren mal eher
wohl unerwarteten Schlappe auf Kosten der Gemeinde halb der HOSI Wien, und inzwischen hatten sich auch frauenbewegtes Beisl, schicke Bar oder Lesbendisco. 1981
den Infostand der HOSI am Reumannplatz wieder Bundesländergruppen der HOSI gebildet. Schon 1980 hat die HOSI Wien übrigens bei einem Infostand in der

die achtziger
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Ein Tänzchen für


Maria Theresia, 1982 Bei einer Friedensdemo ca. 1982

Rosa Lila Villa vor der Sanierung

Der erste offen schwule Kandidat bei einer Warmes Nest in der Rosa Lila Villa mit Foto
Rosa Wirbel, 1982 aus Hans Fädlers Wiener Brut
Nationalratswahl: Rudi Katzer, 1983

Opernpassage Ende Juni zur Gay Pride aufgerufen und auf verließen. Nach und nach sanierten die Bewohner_in- Stichwort umbenannte Verein bald eine international ver-
den Christopher Street Day Bezug genommen. nen mit geringen Mitteln das desolate Haus und richteten netzte Forschungsstelle für die Geschichte von Frauen und
neben Wohngemeinschaften, einer billigen Schlafstelle Lesben. Mit der Umbenennung kamen auch die Lesben in
Rosa Winkel für Wienbesucher_innen und einer Beratungsstelle auch den Untertitel Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung.
ein Kommunikationscafé, das Warme Nest, ein. Der Rosa
Auf schwuler Seite stand das Jahr 1982 unter dem Ein- Lila Tip wurde gerade wegen seiner Sichtbarkeit und des Schlussendlich war 1983 auch ein entscheidendes Jahr
druck der Aktionen des Rosa Wirbel: Gleich am 1. Jänner Prinzips, dass Betroffene für Betroffene beratend tätig in der österreichischen Innenpolitik. Mit der im April
ging es los. Während Lorin Maazel den Taktstock zur Pol- waren, zu einer wichtigen Institution in der Stadt. Hier stattfindenden Nationalratswahl war nach dem Verlust der
ka Die Emancipierte schwang, stürmten Florian Sommer konnte man sich zumindest sicher sein, dass man nicht absoluten Mehrheit die Ära Kreisky zu Ende. Bei dieser
und sein (heterosexueller) Kollege Robert Herz nackt die an homophobe Ansprechpartner_innen kam, wie in viele Wahl kandidierte auch die Alternative Liste Österreichs
Bühne des Neujahrkonzerts und schwangen ein Transpar- anderen Beratungsinstitutionen. Die Bunten Vögel der (ALÖ), die links der SPÖ zu einer der Keimzellen für die
ent: Menschenrechte für Schwule. Da der ORF zu dieser Busek-ÖVP spendeten die rosa Farbe für den Anstrich Grünen wurde, aber keinen Sitz im Nationalrat erringen
Zeit auf eine Balletteinlage geschaltet hatte, waren die des Erdgeschoßes, obwohl sich die Bezirks-ÖVP später konnte. In Wien kandidierte nach zum Teil heftigen Wid-
Bilder zwar nicht weltweit zu sehen, aber die Zeitungen heftig gegen den Sündenpfuhl RLV wehrte. Man beschul- erständen aus den Bundesländern Rudi Katzer als erster
berichteten in den nächsten Tagen ausführlich. Obwohl digte die Bewohner_innen, dass sie ihre Genitalien aus offen schwuler Kandidat bei einer Nationalratswahl unter
der Vorstand eingeweiht gewesen war, distanzierte sich die den Fenstern hängen ließen und für Verkehrsunfälle auf seinem Tuntennamen Gloria und dem provokanten Slo-
HOSI Wien offiziell von der Aktion, weil man rechtliche der Wienzeile verantwortlich seien, weil die Autofahrer gan PoPolitik ist mehr. Er ist lange Zeit der einzige offen
Schritte fürchtete und weil ein Teil der Mitglieder sich von der Existenz von Schwulen und Lesben so geschockt schwule Kandidat bei einer bundesweiten Wahl beblieben,
mit derart umstrittenen aber öffentlichkeitswirksamen seien, dass sie die Kontrolle über ihre Fahrzeuge verlören. erst mit Ulrike Lunacek sollte 1999 eine lesbische Frau für
Aktionen nicht identifizieren konnte. Wenige Wochen Man war sich nicht einmal zu dumm, die Drogenkeule die Grünen ins Parlament einziehen.
später sorgten zwei Männer und zwei Frauen – diesmal auszupacken und die Villa als Drogenhölle zu diffamieren.
waren auch Lesben mit von der Partie - aber erneut für gedenken in Mauthausen
Aufsehen, als sie kurz nach Eröffnung des Opernballs Wissenschaft gegen homophobie
rosa Flugzettel mit teilweise recht deftigen Sprüchen ins Dass 1984 in Mauthausen der erste Gedenkstein für die
Parkett regnen ließen: „Nerz und Brillanten für Tunten Anlässlich der IGA-Konferenz (International Gay As- homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus enthüllt
und Tanten. Sei mir nicht barsch, Zunge im Arsch!“ Die sociation, die kurz darauf nach Beitritt von Lesbenor- wurde, grenzt bei der Anfeindung, die Schwule und
Plakataktion Schwul – Na und?, bei der bekannten Persön- ganisationen in ILGA umbenannt wurde), die 1983 in Lesben in den ersten Jahren der Bewegung erfahren
lichkeiten wie Kardinal König oder Peter Alexander posi- Wien tagte, traten die HOSisters zum ersten Mal mit ihrer mussten, an ein Wunder. Auch der Umgang des offiziellen
tive Aussagen über Homosexualität in den Mund gelegt Version der Fledermaus auf. Die HOSI Wien etablierte Österreichs mit den schwulen und lesbischen Opfern des
wurden, war die letzte Aktion des Rosa Wirbel für Jahre. sich in diesen Jahren als Schnittstelle zu den öffentlich Nationalsozialismus ließ jahrelang mehr als zu wünschen
kaum auftretenden Organisationen hinter dem Eisernen übrig. Mit der Affäre Waldheim sollte es ab 1986 zu einer
Die HOSI Wien veranstaltete im April hingegen das Vorhang im Osten Europas. 1983 war aber auch ein wich- breiten Diskussion der Beteiligung Österreichs und der
erste Lesben- & Schwulen-Filmfest im Schikaneder-Kino tigen Jahr für die Wissenschaft. Die Österreichische Ge- Österreicher_innen an den Gräueln des Nationalsozialis-
und lud am Christopher Street Day Ende Juni zu Tanz sellschaft für Homosexuellen- und Lesbierinnenforschung, mus kommen, eine Anerkennung von Schwulen und Les-
und Demonstration vor das Maria-Theresien-Denkmal die einen bislang nicht stattfindenden wissenschaftlichen ben als Opfer war aber damals trotzdem in weiter Ferne,
zwischen den beiden Museen. Einige Aktivist_innen des Diskurs über Homosexualität an Universitäten und For- wie die Vertreibung von schwulen und lesbischen Demon-
Rosa Wirbels bezogen zur selben Zeit ein Abbruchhaus schungsinstitutionen einforderte und beförderte, wurde strant_innen bei der Eröffnung des Denkmals gegen
in der Linken Wienzeile 102, die sie rasch zur Rosa Lila gegründet. In den 1980er Jahren war es fast unmöglich Krieg und Faschismus (in Wien kurz Hrdlicka-Denkmal
Villa (RLV) instand sanierten, um dort im Februar 1983 im Vorlesungsverzeichnung Veranstaltungen zu finden, genannt) am Albertinaplatz 1988 zeigte. Ein Transparent
mit Unterstützung der damaligen Vize-Bürgermeisterin die sich abseits von medizinischen oder strafrechtlichen der HOSI Wien mit der Forderung nach Anerkennung der
Gertrude Fröhlich-Sandner die erste schwul-lesbische Bezügen mit Homosexualität auseinander setzten. Von schwulen und lesbischen Opfer des Nationalsozialismus
Beratungsstelle Österreichs zu eröffnen. Es war die große Homo-, Queer- oder Gender-Studies war an Wiener wurde unter dem Schweigen der gesamten anwesenden
Zeit der Hausbesetzungen in Wien: Spalowskygasse Universitäten noch lange nicht die Rede. Umso wichtiger antifaschistischen Schickeria Österreichs von der Polizei
und Gassergasse (die berühmte GaGa) waren Zentren waren die außeruniversitären Forschungsgruppen, kri- mit Gewalt entfernt.
des linken und aktionistischen Widerstands. Alle alter- tische Psycholog_innen, die den oft manifesten homopho-
nativen Wohnprojekte bis auf die Villa wurden in den ben Diskurs in der offiziellen Lehre durchbrachen, und Aufsehen erregte in diesem Jahr auch der inzwischen zum
nächsten Jahren geräumt, die GaGa in einer Nacht-und- erste historische Forschungen, die der jungen Bewegung Kultfilm avancierte Trash-Klassiker Wiener Brut in der
Nebel-Aktion abgerissen. Die Villa bliebt und war von eine historische Legitimität geben wollten. Im Herbst des Regie von Hans Fädler, der die Hausbesetzerszene und
der ersten Stunde an ein schwul-lesbisches Projekt, im Jahres wurde im Uni-Frauenzentrum in der Berggasse die den Umgang der Politik mit ihr gnadenlos karikierend
Stadtbild nicht zu übersehen, sichtbar für alle, die über Sektion Archiv gegründet. Zuerst unter dem Namen Archiv auch mit seiner Besetzung für Aufsehen sorgte. Peter Tur-
die Wienzeile nach Wien kamen oder die Stadt über diese der Neuen Frauenbewegung firmierend wurde der 1990 in rini, Hansi Lang und Marie-Therese Escribano spielten
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1.1.1982

Michael Handl und Friedl Nußbaumer heiraten


am Stephansplatz, 1989

Lesbisches Demoplakat

Memento Mori von Siegfried/Anton Felder,


Michael Handl wird am Albertinaplatz Rosa Lila Villa, 1989
abgeführt, 1988

Mauthausen 1984

Safer Sex Plakat für Ledermänner, ca. 1985

neben Szenengrößen wie Arthur Singer oder Johannes 1985 gegründete LMC Vienna (Leather & Motorbike Com- jeder hatte Freunde oder kannte Menschen, die infiziert
Weidinger. Was damals keiner der Beteiligten wusste, ein munity) setzte sich für die Vernetzung schwuler Leder- waren. Plötzlich verschwanden bekannte Gesichter aus
Virus würde bald viele Leben verändern. Hans Fädler männer ein, und war Anlaufstelle für eine Szene innerhalb den Szenelokalen, es wurde gemunkelt, oder man bekam
konnte nur diesen Film verwirklichen, denn er starb der Szene. an der Bar die neueste Todesnachricht erzählt. Heute erin-
1987 an den Folgen von Aids und Hauptdarsteller Arthur nert das Names Project Wien mit seinen Quilts – großen
Singer veröffentlichte heuer seine Autobiografie über 23 Die Lesbenszene funktionierte anders. Schon aufgrund quadratischen Tüchern, die in Erinnerung an Verstorbene
Jahre positives (Über)Leben. der Einkommensschere zwischen Frauen und Männern genäht wurden – an viele tote Freunde und Freundinnen.
gab es weniger Lokale für Frauen. Das Frauencafé in der Viele hatten Angst vor Stigmatisierung und wagten es
Waren es in den ersten Jahren der 1980er Jahre nur Lange Gasse und das Lokal im Frauenhaus des WUK (mit nicht über ihr Testergebnis zu sprechen, Andere gingen
vereinzelte Meldungen von einer Krankheit, die in den wechselnden Namen Lila Löffel, FZ-Beisl oder Sonderbar) hingegen in die Offensive und engagierten sich, thema-
schwulen Metropolen der Welt Männer befiel, überschlu- waren jahrelang die einzigen Orte, wo Lesben unter sich tisierten Tod und Erkrankung. In der Rosa Lila Villa, die,
gen sich ab 1983 in den Medien Sensationsmeldungen von waren. Ihr Konsumverhalten war auch anders und viel nachdem die Bewohner_innen 1985 von der Gemeinde
einer Schwulenpest, die das Leben Zehntausender bed- konsumkritischer als in weiten Teilen der schwulen Com- Wien einen Baurechtsvertrag für 30 Jahre erhalten hatten,
rohte. Die HOSI Wien reagierte rasch und veröffentlichte munity. generalsaniert wurde, setze sich z. B. Siegfried/Anton
bereits 1983 einen ersten Folder über eine Krankheit, von Felder künstlerisch mit seinem eigenen Tod ausein-
der man wenig wusste und die auch noch keinen Namen Kampf gegen Windmühlen ander und hinterließ ein heute leider teilweise zerstörtes
hatte. Man wusste nur: Sex war gefährlich, denn über sex- Memento Mori im Stiegenausgang des Hauses. Er war
uelle Kontakte wurde die Krankheit übertragen. Mit dem Die Energien der HOSI Wien flossen ab Mitte der 1980er auch maßgeblich an der Gestaltung des 1988 eröffneten
schwulen Hedonismus war es in Wien schon vorbei, bevor Jahre neben dem, fast dem Kampf gegen Windmühlen Café Willendorf beteiligt, das nach der Sanierung der Villa
er überhaupt richtig begonnen hatte. Wien, das in unmit- gleichenden Einsatz gegen die Strafrechtsparagraphen, zu einem beliebten Treffpunkt für Lesben und Schwule
telbarer Nähe des Eisernen Vorhangs der Endbahnhof vor allem in den Kampf gegen Aids. Reinhardt Brandstät- sowie ihre heterosexuellen Freunde werden sollte. Gerade
Europas war, war in diesen Jahren ohnehin alles andere ter erkannte als HOSI Obmann und Arzt die Gefahr des weil drauf steht, was drin ist, weil die Villa ein deutliches
als eine schwule Partystadt, die Lokalszene vergleichs- Virus für die schwule Szene. Obwohl rasch klar war, dass Zeichen für die Sichtbarkeit von Lesben und Schwulen im
weise klein: das Why Not war die einzige Disco, die Lokale das Virus keine Moral und auch kein Geschlecht kannte, Stadtbild ist, ist das Haus inzwischen eine Wiener Institu-
rund um den Naschmarkt waren nur zu betreten, wenn waren in der Anfangszeit der Krise vor allem schwule tion.
man eine Glocke läutetete und manche so versteckt, dass Männer Opfer des Virus und Angriffsziel reaktionärer
man sie nur als Eingeweihter fand. Alte Lampe, Alfi’s und Kreise. Es ist dem besonnenen Handeln und klugen Lob- Partner starben; Wohnungen mussten geräumt werden,
Café Reiner waren schon Klassiker, ebenso das Nightshift, bying der Männer und Frauen innerhalb der HOSI Wien weil der verstorbene Partner den Mietvertrag hatte; selbst
das unter dem Namen Lurloch schon in der Nazizeit ein um Reinhardt Brandstätter zu verdanken, dass die öster- das Besuchsrecht im Spital war umstritten; nach dem
Treffpunkt für Schwule gewesen sein soll. Ali eröffnete an reichische Politik trotz mancher Widerstände rasch und Tod durfte so mancher Lebenspartner nicht einmal zum
der Wienzeile das Café Savoy, dort, wo heute die Mango großteils ohne moralische Wertungen in die Prävention- Begräbnis des geliebten Menschen kommen, wenn es die
Bar ist, war in den 1980er Jahren eine trendige Bar mit sarbeit investierte. Und es ist im Rückblick den organisi- Familie, die den wahren Grund des Todes oft verschwieg,
dem Namen Manhattan, die von Jeanstypen bevorzugt erten lesbischen Frauen, die nicht in vorderster Front von dies nicht zuließ; - denn schwule Paare waren von Rechts
wurde. Von dort gab es einen regen Pendelverkehr über Aids betroffen waren, zu danken, die sie ihre schwulen wegen Fremde zueinander. Dies alles änderte die poli-
den Naschmarkt ins Smile, das ebenso schick, aber von Freunde in diesem Kampf unterstützten. Nachdem ein tischen Schwerpunkte: Schwule traten mit der Forderung
einer etwas modebewussteren Klientel besucht wurde. zuverlässiger HIV-Test auf dem Markt war, war klar, dass nach „Ehe“, aber zumindest einem eheähnlichen Part-
Doch waren in den 1980er Jahren die Szenen noch lange eine Beratungsstelle gegründet werden musste, weil man nerschaftsrecht an die Öffentlichkeit und ernteten damit
nicht so differenziert. In der Schleifmühlgasse war einige die Betroffenen mit einem positiven Testergebnis, das in oft Unverständnis bei feministischen Weggefährtinnen,
Jahre das CO oder Coming Out ein beliebtes Lokal, in dem diesen Jahren ohne wirksame Medikamente oft mit einem für die die Ehe das patriarchale Knebelungsinstrument
man einerseits gemütlich essen und an der Bar seinen Todesurteil gleichgesetzt wurde, unterstützen musste. schlechthin war. Doch die Realpolitik überholte die
Aufriss tätigen konnte. Aber wie beim Motto musste man 1985 öffnete das erste Büro der Aids-Hilfe in der Wicken- Ideologie – so tanzte der HOSI Aktivist Michael Handl,
auch hier die Glocke überwinden, um Einlass zu finden. burggasse im 8. Bezirk. der wenige Jahre später an den Folgen von Aids verstarb,
Selbst eine Lederszene hatte sich etabliert, zuerst in einem mit seinem Partner Friedl Nussbaumer bei der ersten
Kellerlokal des Lederschneiders Peter Holub, dann ab Hochzeitsaktion 1989 auf dem Stephansplatz in ein neues
1982/83 im heute noch existierenden Stiefelknecht in der aids trifft alle Jahrzehnt.
Wimmergasse. Obwohl etwas ab vom Schuss, steppte dort
jedes Wochenende der Bär. Sexuelle Freizügigkeit war Was sich junge Schwule heute kaum vorstellen können,
angesagt, ein langsam keimendes schwules Selbstbewusst- war die unmittelbare Betroffenheit von HIV und Aids,
sein ließ viele Männer die sexuelle Freiheit genießen. Die selbst wenn man nicht mit dem Virus infiziert war. Fast

die achtziger
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wir sind jetzt eine kraft


Ines Rieder wurde 1954 in Wien geboren, studierte Politologie und Ethnologie und ist seit den späten 1960er
Jahren in der Frauen- und Lesbenbewegung aktiv. In den 1970er Jahren ging sie in die USA, erlebte in San Francisco
den Aufbruch der Schwulen- und Lesbenbewegung aber auch die Katastrophe von Aids hautnah mit. Sie ist Autorin
des ersten Buches über Frauen und Aids in den USA (Frauen sprechen über Aids, deutsch 1991). Weitere Bücher: Wer
mit wem? (1994) und Heimliches Begehren (2000).
Wann hast du zum ersten Mal von Stone- Bereich, alle haben sich von den anderen begonnen. Und habe dann darüber mit eine gesellschaftliche Position, die wir
wall gehört? abgegrenzt, sei es jetzt ob du Maoist warst einer Verlegerin, mit einer Freundin von beziehen müssen und es gibt Ansätze im
oder Trotzkist oder Sozialist und genauso mir in San Francisco, gesprochen. Was Gesundheitssystem, - in den Vereinigten
Meine erste Erinnerung an Stonewall geht wars in der Frauenbewegung auch. Also wir damals ganz stark versucht haben, was Staaten ist das noch zehnmal wichtiger
eigentlich auf die 70er Jahre zurück, da diese ganzen Spaltungen. Eines, soweit sehr schwer war damals, auch Frauen zu als hier in Europa – es gibt Schienen im
war ich in den Vereinigten Staaten. Aber ich das jedenfalls in Erinnerung habe, in finden, die HIV-positiv waren, und das Gesundheitssystem, wo wir uns ganz
diese Geschichte von lesbischwulen Kämp- Österreich gabs zwar immer wieder Dis- andere, dass wir uns auch eben über das einfach positionieren müssen. Und da sind
fen, das ist mir eigentlich erst in Kaliforn- kussionen, aber diese Diskussion, Frauen Thema Lesben und HIV auseinanderge- wir jetzt eine Kraft die das kann und wir
ien in seiner vollen geschichtlichen Größe und Lesben, wie sie zusammenarbeiten setzt haben. Und das war sicher in dieser ziehen andere auch mit. Also auch so ein
und Dimension bekannt geworden. sollen oder wie sie sich aufgrund der Konstellation einmalig. gesellschaftlicher Dialog, der diesbezüglich
sexuellen Präferenz dividieren - das hab entsteht.
Also nicht aus Österreich? ich dann wesentlich stärker in Kalifornien Ich habe den Eindruck, dass diese Zeit
miterlebt, weil ich glaub dieser Diskurs ist Lesben und Schwule richtig zusammenge- Was sicherlich auch war, und das war
Also diese Stonewall-Sache, so wie sie hier wirklich erst gekommen so mit der schweißt hat. sicher auch der gute Punkt, dass sich auch
eben damals wirklich passiert ist, da hätte Arena-Bewegung. Lesben eingebracht haben, das hat dann
ich jetzt keine Erinnerung, dass ich die Ich glaub, die Aids-Krise und der Umgang einfach auch diesen Druck weggenommen
damals wahrgenommen hätte. Du hast das erste Buch über Frauen und damit, das war so die politische Schule für und auch die Augen geöffnet, dass das jetzt
Aids weltweit geschrieben. Worauf ging die Lesben und Schwulen, das war so ihre nicht eine Krankheit ist, die nur schwule
Wie waren die Erfahrungen der Lesben in das zurück? Möglichkeit sich zu profilieren. Und da Männer betrifft, sondern – wie sich in der
der österreichischen Frauenbewegung? wurden sie auch als Einheit wahrgenom- Zwischenzeit herausgestellt hat – sondern
Das kam aus einer persönlichen Ge- men. Ich glaube, das war sowohl in den es ist eher eine Krankheit, die arme Leute
Was ich hier noch in Österreich mit- schichte heraus. Mein bester Freund aus Staaten so als auch hier, und auch in betrifft – oder jeden betrifft.
bekommen habe, bevor ich nach Kali- Kalifornien war unter den ersten schwulen anderen Ländern. In der Zwischenzeit hat
fornien gezogen bin, habe ich überhaupt Männern, die sich da infiziert haben und sich das alles wieder verschoben, aber das
generell den Eindruck gehabt, dass es eine der ist 1986 gestorben. Aus dieser Erfah- war wirklich so die Möglichkeit zu sagen,
sehr starke Polarisierung war, in jeglichem rung heraus habe ich darüber zu schreiben wir haben politisches Wissen, wir haben

sich irgendwie treffen


Dieter Schmutzer, 1953 in Wien geboren, machte nach seinem Studium der Theaterwis-
senschaften ein Diplom in Sexualberatung und –pädagogik. Er ist seit den ersten Tagen Mit-
glied der HOSI Wien und gründete deren Show-Truppe „HOSIsters“. Er engagierte sich auch
früh in der Aids-Arbeit innerhalb der Aidshilfe Wien. Über die Szene hinaus wurde er durch
seine Auftritte in der Ö3-Sex-Hotline bekannt. Heute arbeitet er für die Barbara-Karlich-Show.

Wie hat sich dein Eintritt in die HOSI Gründung? Aids-Hilfe, hat vor allem der Reinhardt Behandlung lesbisch/schwuler Themen
Wien gestaltet? Brandstädter als HOSI-Obmann mit verändert?
Ein paar Wahnsinnige haben sich hing- dem Ministerium Kontakt gesucht und
Im Frühjahr 1979 kam Wolfgang Förster, estellt und ohne große Vorbereitung und hat ein Netzwerk betrieben. Man hat mit Was sich verändert hat, ist schon bei vielen
mit dem ich schon viele Jahre befreundet ohne alles begonnen Arien zu schmet- anderen gemeinsam dann überlegt, wie Menschen, dass Homosexualität nicht per
gewesen war, eines schönen Tages zu mir tern, und das hat einfach Spaß gemacht. könnte man, nach deutschem Vorbild se etwas ganz Grausliches, Furchtbares,
und sagte: „Du, weißt du was, ich hab da Und dann gab es eben ein paar, die gesagt auch so etwas in diesem Land installieren. Perverses, Krankhaftes ist, sondern dass
eine Annonce aufgegeben, dass einfach so haben, „Das wär’ doch was“, und wir Sie haben ein Modell gebastelt, Statuten das halt auch irgendwie Leut’ sind wie du
schwule Männer sich irgendwie treffen. haben dann bald danach die erste Produk- erstellt, als HOSI, als politische Vertretung und ich.
Und magst du daran teilnehmen?“ Und es tion gemacht, die dann so ausgeschaut hat, mit einem Personen-Proponentenkomitee
war dann das zweite Treffen, bei dem ich dass wir uns zusammengesetzt haben und für den zu gründenden Verein Aids- Was ich für wichtig halte, ist aber, diese
dann dabei war . überlegt haben, wer täte gern was singen, Hilfe beim damaligen Minister Steyrer Veränderung bewusst zu machen. Das ist
einen Freund gefragt haben, der Klavier vorgesprochen, finanzielle Zusagen geholt, nicht so selbstverständlich. Und das muss
Hattet ihr von Stonewall gehört? spielen kann, Noten besorgt haben, zwei Unterstützungserklärungen eingeholt und ich jetzt als politischer Mensch einfach
Proben am Nachmittag gemacht haben daraus ist dann im Jahre 1985 die „Öster- dazu sagen: Wenn wir nicht wahnsinnig
Einige hatten gehört, andere überhaupt und uns dann ins Gewühl gestürzt haben. reichische Aids-Hilfe“ entstanden. Das aufpassen und am Ball bleiben, sondern
nicht. Mir war Stonewall durchaus ein Be- war kein Honiglecken. Die ersten Informa- uns zurücklehnen und sagen „Is’ eh a
griff, was einfach damit zu tun hatte, dass Die HOSI hat sich später ja sehr früh tionsgeschichten, die wir gemacht haben, g’mahte Wies’n, es kann nichts mehr
ich immer ein sehr politisch interessierter schon in der Aids-Krise engagiert. Infostände, wo du beschimpft worden bist passieren“, fürchte ich, wird es oder kann
Mensch war seit meiner Mittelschulzeit. und gefragt: „Wen interessiert des? Des es massive Rückschläge geben. In dem
Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Er- Im März 1983 – also ganz ganz früh – war sollen sich die Warmen untereinander Maße wie bestimmte politische Kräfte
eignisse von Stonewall mitgekriegt hab, als die HOSI Mitherausgeberin einer der ausmachen.“ und Parteien das Sagen kriegen, lege ich
es passiert ist. Da würde ich jetzt einmal ersten deutschsprachigen Aids-Informa- nicht meine Hand ins Feuer, dass wir nicht
sagen: nein. Da war ich 15 oder so und da tionsbroschüren (mit der Universitätshaut- Du hast ja dann ein weiteres Betäti- in ein paar Jahren wieder eine Situation
hatte ich andere Interessen. klinik und dem Gesundheitsstadtrat in gungsfeld erschlossen als sehr öffentliche haben, die an die späten 1970-er gemahnt,
Wien damals) und hat sich seither dann Person, nämlich als langjähriger Sexual- wo man um die einfachsten Rechte kämp-
Dann warst du ja auch bei den HOSIsters immer mit der Thematik Aids befasst. berater in den Medien bei Ö3 bis hin zur fen muss. Und das will ich eigentlich nicht
stark engagiert. Wie kam es zu dieser Im Jahr 1985, also im Gründungsjahr der Barbara Karlich-Show. Wie hat sich die haben.
19

Alles unter einem Dach


Kurt Krickler wurde 1959 geboren und absolvierte ein Dolmetsch-Studium. Als Gründ-
ungsmitglied ist er heute noch in der HOSI Wien aktiv. Von 1997 bis 2003 war er als Vorstands-
vorsitzender der ILGA-Europe tätig, seit September 2004 als Vorstandsmitglied der European
Pride Organisers Organisation (EPOA). In Wien war er 1985 Mitbegründer und bis 1991 Mit-
arbeiter der Österreichischen Aids-Hilfe und ist auch heute noch im Aids-Bereich engagiert.

Was ist deine erste Erinnerung an „Stone- der Zeitungsgruppe, politisches Lobbying. Wir waren auch international schon gut um eingetragene Partner_innenschaften
wall“? Aber dann gab’s natürlich auch Leute, die vernetzt. Aber es war natürlich eine große enorm beschleunigt.
hauptsächlich Selbsterfahrung wollten – Herausforderung, die wir, glaube ich,
Eigentlich erinnere ich mich gar nicht das war ja damals sehr modern. Wir haben gut bestanden haben. Das kam ja in zwei Es war sicher ein Auslöser, aber es wär
dran. Wie wir mit der HOSI 1979/80 dann aber eigentlich alles unter das Dach Phasen. Die erste 1982-83 und dann hörte auch sonst gekommen. Die HOSI Wien ist
begonnen haben, haben wir uns auch mit der HOSI Wien gebracht. Die Entkrimi- man ein Jahr lang relativ wenig. Wirklich dann auch unter Zugzwang gekommen,
Geschichte insgesamt viel beschäftigt, von nalisierung im Strafrecht – also Vereins- losgegangen ist es dann 1985, als die HIV- weil es war ihr ja bis dahin kein großes
Ulrichs bis Kertbeny... Und da sind wir verbot, Werbeverbot, unterschiedliches Tests auf den Markt kamen. Der wurde Anliegen gewesen. Wir haben inzwischen
wahrscheinlich bald drüber gestolpert. Mindestalter usw. – hatte aber schon ober- in der Anfangszeit selbst getestet, ob er einen recht pragmatischen Ansatz dazu:
Aber ich kann mich erinnern, dass wir ste Priorität. Und wir hatten eine wichtige funktioniert. Und da hat die HOSI Wien Auf der einen Seite beklagen wir diese
schon 1981 einen Info-Stand am Karls- soziale Aufgabe damals, denn das HOSI- gemeinsam mit Dr. Hutterer und anderen Heteronormativität, die uns aufgezwun-
platz Ende Juni gemacht haben – unter Zentrum war ja die erste nicht-kommer- Ärzten eine Teststudie gemacht. Das waren gen wird, auf der anderen Seite haben wir
dem Motto „Stonewall“. Zum Jubiläum „15 zielle, nicht-subkulturelle Alternative, wo über 300 Leute, die daran teilgenommen nichts besseres zu tun, als auf Punkt und
Jahre Stonewall“ habe ich dann 1984 selber man einfach hingehen und sich zwanglos hatten. Und nach zwei Monaten saßen Beistrich die Heteronormen zu übernehm-
einen Artikel in den Lambda Nachrichten treffen konnte. wir dann auf über 60 positiven Befunden. en. Aber man kann halt nur hoffen, dass es
geschrieben. Da war uns klar, wenn diese Leute jetzt was Besseres und Moderneres wird als die
Kurz nach Etablierung der HOSI brach ihre Befunde bekommen, werden wir eine Ehe. Wie es ausschaut, kriegen wir aber
Was waren die deklarierten Ziele der die Aids-Krise aus. Ihr wart dann auch professionelle Beratungsstelle brauchen. die eingetragene Partner_innenschaft mit
ersten Jahren? die ersten, die hier auch professionelle Und dann haben wir an deren Umsetzung dem völlig altmodischen Scheidungsrecht,
Aufklärungsarbeit geleistet habt. gearbeitet und 1985 die Österreichische aber da müssen sich dann die Leute selber
Sehr vielfältig, weil es waren sehr viele Aids-Hilfe gegründet. überlegen, was sie wollen.
Leute mit verschiedenen Ideen und Die HOSI Wien war zu diesem Zeitpunkt,
Ansprüchen dabei, von der Theatergruppe, Gott sei Dank, schon relativ gefestigt. Die Aids-Krise hat ja auch die Diskussion

so wie die wilde wanda


Waltraud Riegler ist eine der frühen Aktivistinnen der HOSI-Wien-Lesbengruppe und war in
der 1990er Jahren auch Obfrau der HOSI Wien. Heute arbeitet sie als Erwachsenenbilderin in
Wien.
Was war für dich, als du Ende der 70er hineinzuwachsen. Anliegen gekämpft haben. Hier ist man
Jahre nach Wien gekommen bist die Mo- zusammen marschiert und ich denke, dass
tivation, dich der kleinen Frauengruppe Wo du dann auch mit den HOSI-Män- das hilfreich war. Auch für die lesbischen
in der HOSI anzuschließen und nicht den nern zusammengearbeitet hast. Frauen, dass Männer ihre Anliegen mit-
lesbischen Teilen der Frauenbewegung? transportiert haben. Es ist in der Lesben- und Schwulen-
Für mich war von Anfang an klar, dass bewegung leider so, dass vieles aus der
Als ich 1979 aus dem Burgenland nach Lesben und Schwule etwas gemeinsam Du hast dann das Thema NS-Verfolgung Geschichte nicht bekannt ist. Aber ich
Wien kam, hab ich angefangen zu stud- haben. Und dass es sinnvoll ist, gemein- sehr stark in die Bewegung getragen und finde es für unsere Identität so wichtig zu
ieren und war aber sehr unzufrieden mit sam gegen Diskriminierung anzukämpfen, Lesben und Schwule über diese Vergan- wissen, wie es Lesben und Schwulen im
mir. Ich hab’ dann Kontakte geknüpft zu gemeinsam zu marschieren und gemein- genheit informiert. 19. Jahrhundert ergangen ist, wie es ihnen
literarischen Frauengruppen. Im Falter sam unsere Anliegen nach außen zu Mitte des 20. Jahrhunderts ergangen ist,
hab ich dann das Inserat gelesen, dass es vertreten. Aber gleichzeitig war mir auch Eine wesentliche Arbeit in den 1980er was es bedeutet hat, als Lesbe oder als
eine Lesbengruppe gibt und bin dann mit klar, dass die lesbischen Frauen ein eigenes Jahren war der Kampf gegen die beste- Schwuler zu leben. Das hat bedeutet, im
klopfendem Herzen in die Novaragasse Platzerl, eigene Räumlichkeiten und henden Strafrechtsparagrafen. Was noch Untergrund zu sein, in ein KZ zu kom-
gefahren. Dort hab ich angeläutet und eigene Treffen brauchten – und das hat es dazu kam, waren nicht nur diese Bestim- men – das konnte dazu führen, dass
war dann sehr erstaunt darüber, dass in in der Novaragasse gegeben. Das war zur mungen, sondern auch der Wunsch, dass man umgebracht wurde. Dass man vieles
dieser Frauengruppe ganz normale Frauen damaligen Zeit ein bisschen unüblich: Die schwule KZ-Opfer in das Opferfürsorgege- verschweigen musste, dass man sich nie
gesessen sind, weil mein Bild, das ich so lesbischen Frauen waren sehr feminist- setz ausgenommen werden. Mir war es dazu bekennen konnte – und das finde ich
in den 70er Jahren mitgekriegt hatte, war isch und autonom engagiert und haben immer ein großes Anliegen, auf diese Zeit auch sehr wichtig für junge Lesben und
dass Lesben kriminelle Frauen waren – so für sich gekämpft. Für mich war der Weg hinzuweisen. Wir sind dann immer auch Schwule, sich dessen bewusst zu werden.
wie die wilde Wanda. Die wilde Wanda aber nicht optimal, ich fand, wir müssen zu den Befreiungsfeiern nach Mauthausen Dass sozusagen dieses Leben, das sie jetzt
war eine bekannte lesbische Frau, die eine gemeinsam kämpfen. Und, vor allem, wir gefahren – da gibt’s ja den Gedenkstein für führen können, mit den vielen Lokalen,
Menge Frauenbeziehungen gehabt hat und müssen auch die Lesben innerhalb der Ho- die homosexuellen Opfer, und mussten mit der tollen Infrastruktur, mit Filmen,
ihre Freundinnen angeblich auch auf den mosexuellenbewegung sichtbar machen. dort immer wieder furchtbare Aussagen die Homosexualität nicht verschweigen,
Strich geschickt hat, wilde Schlägereien über uns ergehen lassen. Ein KZ-Über- sondern zum Thema machen und Medien,
provoziert hat und mit dem Gesetz in Anfang der 90er Jahre bist du zur ersten lebender sagte uns dort den Satz „Ab- die über Lesben und Schwule berichten:
ständigem Konflikt war. Ich war dann Obfrau der HOSI Wien gewählt worden. artigkeit hat kein Recht auf Wiedergut- Dass das nicht vom Himmel gefallen ist,
lange in der HOSI-Lesbengruppe aktiv machung!“. Durch diese Erlebnisse habe sondern sich aus der Geschichte ent-
und bin Mitte der 80er Jahre zur Lesben- In Österreich ist etwas ganz Spezielles ich gemerkt, man muss wesentlich mehr wickelt hat. Vom Totschweigen über den
delegierten gewählt worden. Da hab’ ich passiert im Gegensatz zu Deutschland, machen und wesentlich mehr Aufklärung aufrechten Gang bis zur eigenen Sichtbar-
erst begonnen, in die politische Arbeit wo Lesben und Schwule separat für ihre betreiben. machung.

die achtziger
20

Vom Abendkleid
in die Lederkluft
Peter Holub, in Wien geboren, war in den 1970er und 1980er Jahren DER Lederschneider der Stadt. Als Kostüm-
schneider arbeitete er für alle großen Theater und Festspiele Österreichs. Gemeinsam mit seinem Partner Alkis
Vlassakakis gründete und finanzierte er das Szenemagazin Bussi.
Kannst du dich an Stonewall erinnern? in die Margaretenstraße [Anmerkung: waren ja auch kaum andere Gäste da. Dann haben wir die LMC da unten
ins Treibhaus] marschiert bin, habe ich Ich glaub, die haben einen guten Schnitt gegründet und auch begonnen, erste kleine
In meiner frühen schwulen Zeit hab ich natürlich ein bisschen was mitbekommen. gemacht mit uns damals. In der Zeit hab Touren zu organisieren. Das Ganze ist aber
nichts davon gehört. Da war das kein Beg- Es hat sich ja sonst damals alles privat ab- ich dann mehr Kontakt mit der HOSI dann bald in eine ziemliche Vereinsmeierei
riff für mich. gespielt, ein paar Lokale hat es gegeben. Im gehabt und bin selber sozusagen vom ausgeartet. Und das brauchte ich wirklich
Quick haben wir einen Stammtisch gehabt Abendkleid in die Lederkluft gesprungen. nicht. Und dann hat auch der Stiefelknecht
Wie ist man denn zu Informationen mit der „Flickenschild“ und der „Archime- Jede Woche ein anderes Ballkleid – das ist aufgesperrt und wir haben ein Aus-
gekommen? da“. Die waren damals ein Paar und haben mir so was von auf den Geist gegangen! weichlokal gehabt und meins wurde nicht
Über Freunde, die herumgereist sind und die irrsten Bälle gegeben in Wien. Da mehr gebraucht.
dann mit irgendwelchen Informationen wurde die Wohnung ausgeräumt und dann Du hast dann begonnen, anderen die
nach Hause gekommen sind. sind 50 Leute gekommen – und haben Ball Lederkluft anzumessen. Die Lederszene hat sehr früh auf die
gemacht, alle in Fetzen natürlich. Aids-Krise reagiert, was Aufklärung und
Du warst schon in der Verbotszeit aktiv? Ich hab mich selbstständig gemacht, bin Prävention betrifft. Wie ist das eingesick-
Hast du dieses Lebensgefühl noch mit- Den legendären Bal paré hast du auch in die Graf-Starhemberg-Gasse gezogen ert?
bekommen? besucht? – eigentlich nur, weil ich mich in ihren
Keller verliebt hatte. Und ich dachte mir, Leider sehr schnell. Man hat von den er-
Ja natürlich! Ich hab mit vierzehn meinen Ja, natürlich! Die ersten drei waren, glaube was machst du mit dem? Und nachdem sten Fällen gehört und dann, wie man sich
ersten fixen Freund gehabt. Der war 18 ich, im Parkhotel Schönbrunn. es in Wien eh keine Lokale gegeben hat, schützen kann. Man hat versucht, Infor-
Jahre älter als ich und Lehrer. Ich hab das machten wir so was, wo man sich nach der mationen zu kriegen. Und da gab’s relativ
alles genau mitgekriegt, dass der jeden Gab´s da kein Problem mit der Öffentlich- Arbeit traf, bevor man dann weiterging. wenig. Da sich mein damaliger Freund
Moment abgeführt werden kann und prak- keit, mit dem Hotel, haben da alle mit- Da unten hatte ich auch, glaube ich, den auch infiziert hatte, ist die Aufklärung
tisch mit zwei Füßen im Gefängnis steht. gespielt? ersten schwulen Sex-Shop. Also da bin dann aber auch schnell gegangen. Und
Und ich dazu. ich wochenlang am Zoll gesessen und hab dann hat man halt auch jede freie Min-
Ja, die haben alle mitgespielt. War kein dem Zöllner erklärt, wozu man so große ute daran mitgearbeitet, Aufklärung zu
Hast du die Anfänge der Schwulenbewe- Problem. Die meisten Hotelzimmer waren Dildos braucht. Ja, und ich hab dann Bier verbreiten.
gung und die Arena mitbekommen? eh ausgebucht, weil sich die Gäste umgezo- und andere Getränke zum Selbstkosten-
gen haben oder sich ein Zimmer für die preis hergegeben.
Ja, dadurch dass ich ab und zu zur HOSI Nacht genommen haben. Und dadurch

Eigentlich ganz ganz fürchterlich


Sepp Engelmaier wurde in Maissau, NÖ, geboren und lebt heute in Wien. Er gehört zur Gründergeneration der LMC
Vienna (Leather & Motorbike Community) und setzte sich früh in der Aids-Arbeit ein, wobei er sein Talent als Grafiker
nutzte und immer wieder Aufklärungsmaterial entwarf. Seit Jahren ist er als Künstler unter dem Namen Sepp of
Vienna weit über die Grenzen Österreichs bekannt.
Was ist deine erste Erinnerung an Stone- ganz fürchterlich. Das war unvorstellbar, dort rein und dann hab ich meinen Mut als auch was Hilfe und Selbsthilfe anbe-
wall? ja, das war für mich Mittelalter eigentlich. zusammen genommen und bin über die langt.
Straße und wollte rein. Dann bin ich vor
Also Stonewall kam für mich später – Welche Lokale waren das? verschlossener Türe gestanden – es ist Wir waren damals eine Gruppe, die auch
nach meinem Coming-Out. Man hat was gestanden „Wegen Umbau geschlossen“ – viel Schifahren ging, und da war ein Arzt
mitbekommen, aber Amerika war damals Ich kann mich ganz genau an die Lokale und in ein paar Wochen wurde es dann als dabei, der sich sehr engagiert hat. Der hat
noch weit weg – für mich zumindest. Ich erinnern, aber an die Namen überhaupt Hyde Park aufgesperrt. Am nächsten Tag die Leute aufgefordert mitzukommen und
hab immer von Freunden gehört, die viel nicht. Die waren so obskur. Das eine hab war ich gleich wieder drin, weil’s so toll eine Blutuntersuchung zu machen. Man
rübergefahren sind. Aber vom Politischen ich dann bezeichnet als chinesischen Heu- war für mich. wusste ja fast noch gar nichts. Die Leder-
her habe ich das erst viel später registriert. rigen, das war irgendwo im Achten, bei szene hat sich dann bald sehr gut organisi-
der Laudongasse oder so. Es dürfte einmal In den 1980er Jahren passierten ja auch ert gehabt, ich als Grafiker hab die ganzen
Wo waren deine Anlaufstellen in der ein Kino gewesen sein, so Riesenhallen die ersten Vereinsgründungen in der Led- Flyer und Plakate für die Clubs gemacht.
Szene zu dieser Zeit? waren das, drinnen sind Heurigenbänke erszene. Wie hast du das erlebt? Über die internationalen Gruppen gab’s
und Heurigentische mit karierten, rot- dann auch Zusammenarbeit, vor allem mit
Der Beginn – das hat mit meinem Com- weiß karierten Servietterln in der Mitte, Nach den ersten informellen Motor- den Schweizern, die eine Safer-Sex-Bro-
ing-out zu tun gehabt – war 1974, da hab wo der Aschenbecher drauf gestanden ist radausflügen entstand so der Wunsch, schüre für Ledermänner herausgebracht
ich dann gesucht und geschaut, ob es was und so was. Es gab sogar einen DJ, also ein bisschen mehr draus zu machen. Der haben.
gibt. Bis dahin hab ich wirklich geglaubt, jemanden, der Platten aufgelegt hat – und Peter Holub und sein Freund haben dann
ich bin der einzige Mensch! Und drauf- das wurde als Lokal verkauft, als schwules. den Verein LMC gegründet. Ich hab dann Was hat für dich eine Lesben- und
gekommen bin ich eigentlich in München, Also für mich war das entsetzlich. später die Organisation übernommen, Schwulenvertretung über die Jahrzehnte
wo ich am Bahnhofskiosk das Du & Ich hab das ganze LMC Vienna genannt und bedeutet?
oder irgend so etwas oder auch das HOM Das nächste war dann, da hab ich davon hab das so über die nächsten zehn Jahre
entdeckt habe. Und zufälligerweise war da gelesen, in der Schönlaterngasse oder betrieben. Also das war damals ein reges Damals war es einfach eine politische Not-
grad ein Artikel über Wien und was es in in der Bäckerstraße. Die Weinstub’n hat Community-Leben. wendigkeit, in Gruppen zu sein oder mit-
Wien gibt. Ich war ganz überrascht, dass es geheißen und hat dann als Hyde Park zutun, sich zu engagieren, weil es einfach
es auch in Wien Lokale gab, und dann bin aufgemacht. Ich bin da tagelang vor In der Außensicht war dann die LMC politisch irrsinnig schwierig war. Wie die
ich halt auf die Suche gegangen. Die waren dem Lokal – da gab so eine Seitengasse angesichts der Aids-Krise eine sehr aktive Situation wirklich früher war für Schwule,
alle ganz versteckt und eigentlich ganz – herum gecruised, geschaut, wer geht Gruppe, sowohl was Präventionsarbeit, kann sich keiner mehr vorstellen.
21

DIE 90ER
Die schwul-lesbische Community splittert sich in Sub-Szenen auf und bekommt
zahlreiche Medien und das Internet. Die Party-Szene feiert den großen Durchbruch.
Das Rechtskomitee Lambda wird gegründet und viele Forderungen finden Eingang in
die Parteipolitik. Die erste Regenbogenparade findet 1996 statt und für HIV-Infizierte
gibt es erstmals wirksame Medikamente.

Waren die 1980er Jahre das Jahrzehnt des Aufbruchs und


der Professionalisierung der schwul-lesbischen Commu-
nity, die vor allem dadurch befördert wurde, weil Lesben
und Schwule in der Aids-Arbeit eine Expert_innen-Stel-
lung zugesprochen bekamen, so war das letzte Jahrzehnt
des Jahrtausends besonders durch Diversität und die Auf-
splitterung in viele Sub-Szenen geprägt. Gab es zwischen
Lesben und Schwulen schon immer Bereiche und Orte,
in denen es keine Überschneidungen oder Zusammenar-
beit gab, beginnen sich im Laufe des Jahrzehnts sowohl
bei den Frauen als auch den Männern oft eng definierte
Räume zu bilden, in denen man unter Seinesgleichen war.
Fand früher eine Durchmischung in den wenigen Lokalen
statt, bilden sich nun Treffpunkte für die jeweiligen Spe-
zialinteressen heraus. Schwule Ledermänner haben dabei
kaum noch Berührungspunkte zu trendigen Jungschwu-
len, wie diese um Bärentreffs einen weiten Bogen ma-
chen. Und was verbindet Lesben, die scharenweise einer
heteronormativ konnotierten und konservativen Freizeit-
beschäftigung wie dem klassischen Paartanz frönen, mit
Doppelaxt schwingenden Butch-Dykes, die im Holzfäller-
hemd Männerdomänen erobern?
Festivalplakat “Wien ist andersrum“ 1996 Heaven Plakat, 1991
Bereits 1989 ging aus Walter’s Club die Institution des
schwulen Partylebens hervor: das Heaven im U4, das noch
heute unter der Ägide von Holger Thor wöchentlich im
Camera Club stattfindet. Daneben entwickelte sich eine soweit war, arbeiteten Lesben und Schwule noch an ihrer je nach Redaktionsteam mehr oder weniger lesbischen
vielfältige Clubbing-Szene in oft wechselnden Locations, Sichtbarkeit in der Gesellschaft. an.schlägen kam es fast zu einer Flut von schwulen oder
vom Volksgarten bis zur Ottakringer Brauerei, von der schwul-lesbischen Printprodukten: tamtam – die Zei-
Innenstadtdisco bis zum Technischen Museum, die man Zu diesem Zwecke war die Wahrnehmung in den Medien tung aus dem Lesben- und Schwulenhaus, die später als
für ein Fest adaptierte. Vermehrt mischten auch lesbische unumgänglich. Erregten in den Mainstream-Medien Die V. weitergeführt wurde; das heute noch monatlich
DJanes mit. Die Party-Macherinnen von Female Planet zuerst vor allem schwule Aids-Opfer von Rock Hudson verteilte Gratismagazin XTRA!, das feministische Magazin
mit ihren DIVA Parties, Queer Junction, FM-Queer, die bis Freddy Mercury Aufsehen, musste bald in jeder Talk- [sic!], oft nur kurzlebige Schwulenmagazine wie Connect,
Frauen des DJane-Netzwerks Quote – sie alle bereicherten Show, die auf sich hielt, über Lesben und Schwule disku- Rainbow News, Rainbow Life, G, oder das Bussi. Eine Ge-
das Angebot in Wien. Gegen Ende des Jahrzehnts lösten tiert werden, wobei exaltierten Schwulen gegenüber oft meinschaftsproduktion aus Linz und Graz ist das Ver-
sich im Sinne von queer die strikten Gendergrenzen politisch argumentierenden Lesben der Vorzug gegeben einsmagazin Pride. Hochglanzpostillen wie gib oder das
auf. Die von Aktivist_innen der alten Schule erkämpften wurde. Aber auch eigene Medien sollten für Öffentlichkeit Gratismagazin Coxx haben erst kürzlich ihr Erscheinen
Identitäten begannen sich in Kontexten wie der jungen sorgen. Neben den Lambda Nachrichten der HOSI Wien, eingestellt. Als schwules Life-Style-Magazin erscheint
Clubszene oder den der Queer Theory nahestehenden dem sporadisch erscheinenden Lesbenrundbrief und den monatlich noch Name It, das entweder den Namen des
politischen Gruppen wieder aufzulösen. Bevor es aber auch schon in den frühen 1980er Jahren gegründeten und Abonnenten trägt oder am Kiosk als Daniel, Alexander,

die neunziger
22

Der größte Rosa Winkel der Welt auf dem


Stephansplatz, 1991

Günter Tolars Outing in News, 19992

Beschlagnahmte Safer Sex Broschüre der Plakat der 1. Regen-


Deutschen Aids Hilfe, 1990 bogenparade 1996

Sebastian usw. erhältlich ist. In der zweiten Hälfte der Partnerschaften durchgesetzt hätte. Mehrheiten hätte es Spalten, wobei Lesben dabei praktisch nie vorkamen.
1990er Jahre hatte allerdings die rasche Verbreitung des mit den Grünen und dem Liberalen Forum, das ab 1993 „Lesben sind immer und überall“ hatten Lesbengruppen
Internet die lesbische und schwule Kommunikation in der österreichischen Politik für einige Jahre einen anlässlich des Internationalen Frauentags bereits 1988 auf
grundlegend verändert. Neben Infoseiten wie gay.or.at gesellschaftspolitischen Aufwind brachte, mehrmals gege- Wiener Straßenbahnen plakatieren wollen, doch lehnte
oder lesbian.or.at eroberten Datingportale, die sich mit ben. Bei einer entscheidenden Abstimmung verließen die die Gewista den Spruch als sittenwidrig ab, worauf die
Infohappen schmückten, den Markt. Jeder Verein, jede In- SP-Abgeordnete allerdings das Plenum. engagierten Lesben klagten. Sie bekamen zwar in zwei In-
stitution und jede schwul-lesbische Parteiorganisation hat stanzen Recht, doch lehnten dann die Wiener Linien ab -
heute ihre entsprechenden Seiten, wie auch Wien Touris- 1993 – Wien startet durch andere weibliche Fahrgäste könnten sich abgestoßen füh-
mus ein eigenes Portal mit Informationen für schwule und len, man könne ihnen den Spruch daher nicht zumuten.
lesbische Tourist_innen unterhält. Mit dem Liberalen Forum unter Heide Schmidt bekamen 1993 fand das letzte von insgesamt neun österreichischen
auch Lesben und Schwule in der politischen Diskus- Lesbentreffen statt. Eine eigenständige Lesbenbewegung
Aber 1991 ging man noch traditionelle Wege, als sich sion eine neue Kraft, die ihre Anliegen unterstützte. Das fand aufgrund mangelnden Interesses der Frauen nicht
Helmut Graupner von der HOSI Wien trennte und Liberale Forum war auch die erste Partei, die mit Anders mehr statt. Der Lesbenrundbrief wurde eingestellt, erst
das Rechtskommitee Lambda (RKL) ins Leben rief. Als L(i)eben einen eigenen Arbeitskreis für und mit Lesben 2006 gab es wieder Versuche, ein eigenständiges Les-
überparteiliche Organisation war das RKL sogar bereit, und Schwulen hatte. Die SPÖ folgte diesem Vorbild bald bentreffen zu organisieren. Bevor sich junge Lesben mit
Mitglieder der von der Emanzipationsbewegung zu Recht mit der Gründung der SoHo – Sozialdemokratie und einem queeren Diskurs etablieren konnten, spalteten
geschmähten FPÖ in ihr Kuratorium aufzunehmen. Die Homosexualität. Die Grünen waren mit den Grünen An- Diskussionen über transsexuelle Frauen, ob diese als Trä-
Verdienste des RKL bei der rechtlichen Unterstützung von dersrum zwar die letzten, sind aber heute die bei weitem gerinnen von XY-Chromosomen Frauenräume überhaupt
Opfern der § 209 und später § 207 darf trotzdem nicht aktivste Parteiorganisation und stellen unter anderem betreten dürfen, in den späten 1990er Jahren die les-
unterschätzt werden. Als Experten_innen, die auch die mit Ulrike Lunacek als Europaabgeordnete und Marco bische Szene. Die Lesbenbewegung hatte sich damit zum
internationale Rechtsentwicklung im Auge haben, sind die Schreuder als Wiener Gemeinderat auch als einzige Partei Teil selbst marginalisiert. Viele Lesben engagierten sich
Mitarbeiter_innen des RKL zu einer wichtigen NGO (Non offen lebende Lesben und Schwule in zentralen politisch- währenddessen in gemischten Zusammenhängen.
Governmental Organisation) Österreichs geworden. en Funktionen.
1994 organisierte Barbara Reumüller mit Unterstützung
Obwohl die Zahl der Neuinfektionen aufgrund funktion- Von viel größerer Tragweite war in diesem Jahr aber ein der Viennale “trans-X. Eine filmische Identity Tour” im
ierender Präventionsarbeit rückläufig war, blieb Aids auch Ereignis, das im Wiener Rathaus stattfand: der erste Life Filmcasino und bot damit in homokulturell dürftigen
Anfang der 1990er Jahre unter Schwulen ein wichtiges Ball. Gery Keszler konnte den Wiener Bürgermeister Zeiten einen Lichtblick. Im Jahr 1995 wurde ein neuer
Thema. Innerhalb der Politszene wurde über personelle Helmut Zilk überzeugen, ihm für diesen schrägen und Verein gegründet: Trans X, um sich für die Rechte trans-
Besetzung und Ausrichtung der Aids-Hilfe gestritten, schillernden Charity-Event, der sich mit den Jahren zu sexueller Frauen und Männer einzusetzen. Heute ist es
Selbsthilfegruppen wie Positiv Leben engagierten sich einem bedeutenderen Aushängeschild Wiens in der Welt selbstverständlich Transgenders in allen homopolitischen
für Betroffene und im Dezember 1992 sorgte ein NEWS- als der Opernball entwickeln sollte, zu überlassen. Der und queeren Zusammenhängen mitzudenken, Mitte der
Cover für hitzige Debatten: Mister Made in Austria [ein Erlös des ersten Jahres betrug 1,1 Millionen Schilling, 1990er Jahre waren öffentliche Diskussionen über Namen-
beliebtes ORF Quiz aus den 1980er Jahren] Günter heute bringt ein Abend mehr als das Zehnfache und die srecht, Geschlechtsanpassung und die Normativität von
Tolar outete sich als schwul. Zu diesem Schritt bewogen Liste der internationalen Stars, die dem Life Ball ihre Auf- Geschlechteridentitäten ein Novum. Umso mutiger war
hatte ihn der Selbstmord seines Partners, der nach einen wartung machten, übertrifft alle Events die in Österreich das Auftreten einiger weniger Kämpfer_innen, die sich
positiven HIV-Testergebnis und der dadurch verursa- je stattgefunden haben. 1993 eröffnete aber auch die erste auch in Vereinen wie dem ÖLSF (Österreichisches Les-
chten möglichen gesellschaftlichen Ächtung das Leben schwule Buchhandlung Österreichs: die Buchhandlung ben- und Schwulenforum) oder bei der Regenbogenparade
genommen hatte. Tolar nützte als Sozialdemokrat in der Löwenherz (seit Schließung der Frauenzimmer-Buchhan- tatkräftig engagierten.
Folge seine Bekanntheit um öffentlichkeitswirksam für dlung auch mit einem umfangreichen lesbischen Sorti-
homopolitische Reformen innerhalb der SPÖ einzutreten. ment) und das erste schwule Tagescafé Wiens, das Café Medial stand 1995 hingegen ganz unter dem Eindruck
Trotzdem waren der SPÖ in all den Jahren der Koalition Berg, das bald zu einem beliebten Treffpunkt für trendige der Affäre Hans-Hermann Groer und dem Bischofs-
mit der ÖVP Lesben und Schwule nie wichtig genug, als Schwule, Lesben und ihre Freund_innen wurde. Outing durch Kurt Krickler. Der Wiener Erzbischof war
dass sie die Abschaffung der diskriminierenden Strafre- beschuldigt worden, Zöglinge eines Konvikts sexuell
chtsparagraphen oder gar eine vernünftige Regelung für Homosexualität wurde zu einem Thema für die Society- missbraucht zu haben, was zu einer breiten Debatte über
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Renate Brauner, Gela Schwarz,


Wolfgang Wilhelm und Sonja
Wehsely hissen den Red Ribbon
Safer Sex Broschüre für Lesben, 1997
am Rathaus

identities Plakat, 1998

Messe mit Johannes Wahala


Gela Schwarz bei einer Demo

die verlogene Sexualmoral der katholischen Kirche führte Strobl, Veit Georg Schmidt, Hannes Sulzenbacher und Die Aufsplitterung und Kommerzialisierung der schwulen
und schließlich Kurt Krickler dazu veranlasste, die Kirche Andreas Brunner nicht geschafft, die erste Regenbogenpa- Szene setzte sich in der 2. Hälfte des Jahrzehnts fort: 1998
zu provozieren, indem er vier österreichische Bischofe rade, für die Mario Soldo den Namen erfand, damals noch eröffnete die LMC Vienna ihr Clublokal [lo:sch], 1999
als homosexuell outete. Damit fand eine seit längerem nicht andersrum über die Wiener Ringstraße zu führen. fand der 1. Bärenkongress statt, neue Lokale öffneten und
schwelende Diskussion über den Umgang der Kirchen mit Als sich die teilnehmenden Gruppen am 29. Juni 1996 am schlossen wieder, darunter auch heute bereits legendäre
Homosexualität einen ersten Höhepunkt. Der Verein HuK Schwarzenbergplatz sammelten, wagte keiner zu sagen, Projekte wie das lesbisch geführte aber gemischt besuchte
– Homosexualität und Kirche, woraus später der inter- was sie oder ihn erwarten würde. Doch tausende Men- Orlando. 1998 erschien mit Schwules Wien der erste
konfessionelle Verein HuG – Homosexualität und Glaube schen säumten den Weg. Der Bann war gebrochen. schwule Reiseführer durch die Donaumetropole. 2001
hervorging, kämpfte um die Anerkennung von Homosex- folgte Lesbisches Wien nach.
uellen durch die großen Kirchen, wobei die katholische Im Vorfeld der Parade trat Identities erstmals unter neuem
von ihrer radikal ablehnenden und menschenverachten- Namen auf und auch das erste Festival Wien ist andersrum Auch die politische Community fächerte sich auf. Neben
den Haltung, die auch die Ablehnung von zivilrechtlichen (WIA) fand statt, das mit seinen Plakaten und den Stars die alteingesessenen Organisationen traten nach den Par-
Partnerschaftsregelungen beinhaltet, bis heute keinen aus der deutschen Entertainment-Szene Furore machte: teiorganisationen eine Reihe von Gruppen, die durch die
Millimeter abwich. Die evangelischen Kirchen stehen die Geschwister Pfister, Lilo Wanders oder Georgette Dee. Bank alle von Lesben und Schwulen gemeinsam betrieben
heute Lesben und Schwulen differenzierter gegenüber: So Einen publizistischen, wenn auch umstrittenen Höhe- werden: die Rosa Antifa trat mit vereinzelten Aktionen
werden bei der reformierten Kirche Helvetischen Beken- punkt erreichte WIA im Jahr 2000, als eine Plakataktion an die Öffentlichkeit. Erste Uni-Gruppen organisierten
ntnisses (H.B.) homosexuelle Paare bereits gesegnet, bei gegen die schwarz-blaue Bundesregierung unter Wolfgang Vorträge und förderten den wissenschaftlichen Diskurs.
den Lutheranern (Augsburger Bekenntnis, A.B.) nicht. Schüssel und Jörg Haider mit Sujets wie „Jörg ist schwul“ Das ÖLSF versuchte die Gründung eines Dachverbands
Für die Segnung homosexueller Paare tritt heute auch die oder „Wolfgang ist eine richtige Sau“ nicht nur die schwul- aller lesbischen und schwulen Organisationen Öster-
Altkatholische Kirche in Österreich ein. lesbische Szene spaltete. Ein wichtiges Anliegen des Festi- reichs und beeindruckte mit witzigen Aktionen, wie den
vals war auch die Förderung heimischer Künstler_innen. Aufklebern zur Bundespräsidentschaftswahl 1998, als sie
Im Oktober 1997 kam es innerhalb der katholischen Die Villa Valium und Chanteuse Lucy McEvil feierten die Erste lesbische Bundespräsidentin und den Ersten
Kirche zum Skandal: Johannes Wahala hatte als bei WIA ihre ersten Triumphe. Zu Europride bespielte schwulen Bundespräsidenten vorstellten. Darüber hinaus
katholischer Priester schon seit 1996 ökumenische Junia- das Festival unter der Leitung von Jochen Herdieckerhoff entwarf das ÖSLF als erste Organisation ein neues Part-
Gottesdienste abgehalten. Als ihm Erzbischof Christoph und Hannes Sulzenbacher einen Monat lang ein Festzelt nerschaftsrecht, das mit einem neuen Rechtsinstrument
Schönborn verbot, diese in katholischen Kirchen zu auf der Votivparkwiese und sorgte für Sichtbarkeit und jenseits der Ehe hetero- und homosexuelle Paare gleich
feiern, übersiedelte Wahala in einer medial Aufsehen er- tiefgründige Unterhaltung vom anderen Ufer. behandeln sollte. Die Gemeinde Wien gründete 1998 die
regenden Aktion die Messe in den Kanal des Wienflusses Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebens-
beim Stadtpark, um gegen die Ausgrenzung zu protes- 1996 bedeutete aber auch für viele HIV-Infizierte eine weisen, die aber nur für Gemeindebedienstete beratende
tieren. Postwendend enthob ihn Schönborn darauf hin Wende. Die Kombinationstherapie kam auf den Markt Funktion hat.
seines Amtes und erteilte ihm Schweigegebot zum Thema und rettete vielen Infizierten das Leben. HIV und Aids
Homosexualität. wurden damit zu einer behandelbaren Krankheit , was Und mit Ulrike Lunacek hatte das österreichische Parla-
viele zu einem sorglosen Umgang mit Safer Sex Regeln ment 1999 erstmals eine offen lesbische Abgeordnete.
1996 – drei Meilensteine verleitete. Bareback – Sex ohne Gummi – wurde zu einem Alles paletti also zur Jahrtausendwende? Mitnichten. Das
Schlagwort der Jahrtausendwende. Viele vergessen beim Vereinsverbot und der Werbeparagraph waren 1996 zwar
Unter dem Motto Sichtbar ´96 sammelte sich schon kurzen Spaß aber die Nebenwirkungen der Medikamente, als totes Recht abgeschafft worden. Der § 209 war aber
1995 eine Gruppe schwuler Männer, um endlich auch in die das HI-Virus in Schach halten, zudem sind Resisten- nach wie vor in Kraft, von einem wirksamen Antidiskrim-
Wien eine CSD-Parade nach internationalem Vorbild zu zen gegen Bestandteile des Medikamentenmix keine inierungsgesetz und zeitgemäßen Partnerschaftsregelun-
organisieren. Ohne Erfahrung mit der Organisation von Seltenheit, was die Behandlung schwierig und in manchen gen war Österreich noch weit entfernt und wird es durch
Großevents übernahm für kurze Zeit Christian Michelides Fällen sogar unmöglich macht. Mit der Eröffnung des den Rechtsruck der schwarzblauen Regierung ab 2000
vom ÖLSF (Österreichisches Lesben- und SchwulenForum) Aids-Hilfe-Hauses zum Weltaids-Tag 1997 am Mariahil- auch noch bleiben. Gemischte Aussichten also gegen Ende
zusammen mit einigen Mitstreitern den Gang durch den fer Gürtel setzte die Gemeinde Wien einen Meilenstein. des Jahrtausends – trotz aller Erfolge!
Bewilligungsdschungel. Ohne Unterstützung durch die Prävention, medizinische aber auch die soziale Betreuung
Gemeinde Wien hätte es aber auch das Kleeblatt Günter Betroffener wurde unter einem Dach vereint.

die neunziger
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Wahlwerbung ÖLSF, 1998

Names Project Wien: Quilt-Quadrat

in meiner glaubens-
gemeinschaft nicht möglich
Johannes Wahala ist geweihter katholischer Priester, Theologe und Psychotherapeut. Er
setzte sich als aktiver Pfarrer für die Anerkennung Homosexueller in der katholischen Kirche
und für deren Segnung ein und wurde dafür vom Erzbischof von Wien, Kardinal Christoph
Schönborn, suspendiert. Heute leitet er die Beratungsstelle Courage.

Was hat sich in den letzten 40 Jahren schwer? auch das 6. Österreichische Lesben- und Dann haben wir einen neuen Ort für
seitens der katholischen Kirche in Bezug Schwulenforum in Dornbirn, und der den Gottesdienst gefunden, die Univer-
auf die Homosexualität geändert? Wir leben in einer Gesellschaft, die sich damalige Generalvikar des Bischofs von sitätskirche bei den Jesuiten. Daraufhin hat
wenigstens in den letzten 30-40 Jahren Feldkirch, Elmar Fischer, hat ein wirklich der Kardinal diese Gottesdienste in seinem
Also in der katholischen Kirche gab es doch sehr deutlich individualisiert hat. schauriges Pamphlet über Homosexuelle Wirkungsbereich verboten. Und dann war
sehr wohl einen Wandel im Bereich des Das heißt, die Gesellschaft hat sich immer herausgegeben, das homosexuelle Men- mir endgültig klar, in meiner Glaubensge-
Themas Homosexualität. Früher war es so, mehr aus dem Individualleben des Men- schen massiv pathologisiert und verletzt meinschaft ist ein ehrliches Engagement in
dass Homosexualität rein als Sünde galt, schen zurückgezogen, so auch die Politik. hat. Als Mitglied des Arbeitskreises habe dieser Sache nicht möglich. Das Zeichen,
als Sünde wider die Natur, als – psycho- Die katholische Kirche vollzieht letztlich ich mich damals entschlossen, eine Stel- dass wir dann gesetzt haben, war der
analytisch gesprochen – pervers. Heute hat verspätet eine ähnliche Tendenz. Wenn lungnahme zu schreiben, von der ich Junia-Gottesdienst im Wiental. Und erst
man in der katholischen Kirche wenig- ich mir jetzt die Diskussion in Österreich wollte, dass sie kirchenintern bleibt. Aber dort habe ich dann erfahren, dass der
stens einen wichtigen Paradigmenwechsel um das Lebenspartnergesetz ansehe, dann am folgenden Montag stand Alfred Worm Kardinal in einem Radio-Interview gesagt
gemacht. So unterscheidet man heute nehme ich derzeit kaum etwas von Reak- vor meiner Tür. Der Bischof von Feld- hat, dass ich ein Verbot von ihm erhalten
zwischen einer homosexuellen Veran- tionen der katholischen Kirche wahr. Das kirch hat allen Priestern die Teilnahme habe und ich gegen seine Intentionen
lagung und homosexuellem Verhalten. heißt, die katholische Kirche hat erkannt, am ökumenischen Gottesdienst des ÖLSF handeln würde. Das war einfach eine Lüge.
Man sagt in der katholischen Kirche dass sie derart individuell in das Leben der verboten. Das war für mich der erste Am Ende eines Jahres entschloss ich mich
heute– und das ist auch offizielle Lehre Einzelnen nicht oder nicht mehr eing- Bruch mit der katholischen Kirche und dann, von meinen priesterlichen Funk-
laut Weltkatechismus - eine nicht geringe reifen kann, weil sie hier ihre moralische ich hab mich entschlossen, sofort nach tionen zurückzutreten..
Anzahl von Frauen und Männern haben Kompetenz oder Macht zunehmend Vorarlberg zu fliegen und am Gottesdienst
eine homosexuelle Veranlagung. Sie haben verloren hat. teilzunehmen. Ein Jahr später hast du dann die Bera-
diese nicht selbst gewählt.“ Das heißt, es tungsstelle Courage gegründet.
gibt heute zumindest ein Rezipieren der Du hast aber ihre alte Macht noch am Wir haben dann in Wien begonnen, die
Humanwissenschaften. Das zweite, wo eigenen Leib erfahren. Was geschah dam- sogenannten Junia-Gottesdienste zu fei- Ja, ich hab dann noch eine zweite psycho-
sich die katholische Kirche nicht verändert als? ern, zunächst im Schottenstift – der Abt ist therapeutische und eine sexualtherapeu-
hat bis zum heutigen Tage, ist, dass sie voll dahinter gestanden und der erste Got- tische Ausbildung gemacht. Wir sehen
sagt, homosexuelles Verhalten auch zweier Im Zuge der Causa Groer hat der neue tesdienst fand dort am 24. Dezember 1996 uns nicht als politischer Lobbying-Verein.
gleichgeschlechtlich empfindender und Bischof damals eine Arbeitsgruppe statt - , wo sie der Kardinal erneut verbo- Unsere Aufgaben heißen: Beratung,
liebender Menschen ist letztlich Sünde einberufen. Der Kardinal hatte aber zwei ten hat – mit der Begründung der Nähe Aufklärungs- und Bildungsarbeit und
und letztlich wider die Natur. sehr fundamentalistische Vertreter_innen zur Schule. Das war mein zweiter Crash, Forschung.
eingeladen, an denen jede inhaltliche Dis- da war ich innerlich schwer betroffen und
Warum macht es die katholische Kirche kussion gescheitert ist. Während ich noch es hat meinen Kampfgeist angeheizt.
ihren Gläubigen und ihrem Personal so in der Arbeitsgruppe war, war gleichzeitig
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Es war ein groSSer Schock!


Dennis Beck gilt als „Mister Aids-Hilfe Wien“. Er leitete die Wiener Beratungsstelle jahrelang und kämpfte dafür,
dass die Aids-Hilfe Wien 1997 ein eigenes Haus am Gumpendorfer Gürtel erhielt. Er ist nach wie vor Obmann der Aids
Hilfe Wien.
Was bedeutete das Aufkommen von Aids hat, dass Schwule – auch mit der deklari- In den 80er Jahren trat auch die Forde- Jahren. Wenn heute jemand die Diagnose
für die Schwulenszene der 80er Jahre? erten Bekennung zum Schwulsein – als rung nach Anerkennung lesbischer und HIV positiv bekommt, bedeutet das Gott
Gesprächspartner und Experten akzeptiert schwuler Partnerschaften auf. Gibt es da sei Dank ganz was anderes, als es in den
Ich erinnere mich noch an 1982, noch wurden. einen thematischen Zusammenhang? 80er Jahren der Fall war. War es damals
bevor Aids ein Thema war. Da gab’s Pickerl wirklich ein Todesurteil, ist es das heute in
mit “Homosexualität ist sicherer als die Aber wie wirkte sich das auf das schwule Natürlich gibt es sachliche Verbindungen. aller Regel nicht mehr. HIV und Aids hat
Pille”. Schwule Männer hatten nie Kon- Leben selbst aus? In den Lokalen, in den Durch Aids starben Partner. Themen sich durch die Entwicklung der Medika-
dome verwendet. Diese Zeit war schlagar- Darkrooms? wie “kann ich meinen Partner im Spital mente massiv verändert. Seit 1996 wird
tig vorbei. 1983 wurden die ersten Fälle in besuchen?” oder “Was ist mit der Woh- die Kombinationstherapie breit eingesetzt,
Europa beschrieben. In Österreich hat man Es war ein großer Schock, der ein paar nung, wenn einer gestorben ist?”, Erbrecht, mit immer besseren Erfolgen, weil immer
schnell reagiert. 1985 wurde die Aids-Hilfe Jahre angehalten hat. Einfach dadurch, usw. waren viel früher im Lebenslauf eines bessere Wirkstoffen und Kombinationen
gegründet. Das war damals eine Initiative dass viele Leute erkrankt und gestorben Schwulen Menschen auf die Tagesordnung entstanden sind. Das bewirkt tatsächlich,
einiger Aktivisten der HOSI, wie Rein- sind. Wer damals die Diagnose bekommen gekommen, als es vor Aids und HIV der dass man heute bei Aids von einer chro-
hardt Brandstätter, Kurt Krickler, Dieter hat, hat leider oft mit der Annahme recht Fall war. nischen Krankheit sprechen kann, mit der
Schmutzer und Beamte des Gesund- behalten, dass er in drei oder fünf Jahren man Jahrzehnte leben kann und wir auf
heitsministeriums. Die Auswirkung auf stirbt. Das war die Zeit, wo es noch über- Mitte der 90er Jahre gab es dann die er- den besten Weg sind, dass Menschen, die
die Schwulenszene war eine, die bis heute haupt keine Therapie gab. Erst ein paar sten Kombinationstherapien. Was hat sich den positiven HIV-Test bekommen, eine
wirkt. Einerseits dadurch, dass Schwule Jahre danach hat dann ein rationellerer dadurch geändert? normale Lebenserwartung haben können.
medial als Gefahr dargestellt wurden. Umgang mit HIV und Aids stattgefunden
Die andere Seite war, und da ist für mich und haben dann auch die Präventionspro- HIV und Aids ist noch immer ein Thema,
Dr. Reinhardt Brandstätter ein Symbol gramme greifen können. noch immer wichtig, aber es ist ein ganz
gewesen , dass Aids auch dazu beigetragen anderes Thema, als damals in den 80er

Das war so eine sexy Zeit


Nadja (Boris) Schefzig studierte Philosophie an der Universität Wien. Projektleiterin (Diversity Management, Ge-
bärdensprachprojekte, Diversityball) bei equalizent in Wien. Darüber hinaus seit ca. 15 Jahren Engagement im queer-
feministischen Kunst- und Kulturbereich im Rahmen unterschiedlicher Formate wie z.B. Performancedramaturgie,
Ausstellungskuratierung, Text- oder Eventproduktion.
Wann hast du zum ersten Mal von Stone- Spielplatz, wir waren damals verspielt. Für Menschen interessant und anziehend und sozial konstruiert ist, dann muss ich das
wall gehört? den Sex war’s gut, für die Liebe nicht im- attraktiv. Und ob es nun eine Frau oder ein ernst nehmen, wenn da ein Mensch steht,
mer so gut, und für die Beziehungen war’s Mann ist: Nicht, dass es mir egal ist, aber der als Mann geboren wurde und sagt,
Ich erinnere mich nicht an den konkreten schwierig. ich war für beides offen. Und es war auch „Ich lebe jetzt gesellschaftlich als Frau.
Moment, ich kann nur schätzen, wann das so was Widerständiges in mir, das sich Ich möchte rein.“ Dann sag’ ich: „Komm
gewesen sein könnte: so Mitte der neun- Du warst ja zu Zeiten des „queer turn“ nicht einordnen lassen wollte. rein!“ Und das blieb mir so: Das was je-
ziger Jahre. an der Universität, wie hat sich das ab- mand sein möchte, das gilt für mich.
gespielt? In den 90ern ist in Österreich auch die
Wann bist du selber in die Szene gekom- Transgender-Bewegung zur Lesben- und Hast du eine Erinnerung an die erste
men? Der „queer turn“ war natürlich sehr Schwulenbewegung gestoßen und man hat Regenbogenparade?
verbunden mit Judith Butler, zu der ich sich gegenseitig vorsichtig vereinnahmt.
Bisschen früher, so 1992 war das. Ich hab aus meinem Fach, der Philosophie heraus, Transgenders selber hatten aber oft große Die erste war 1996, und das war für mich
das damals noch nicht als Coming-out einen guten Zugang hatte. Ich hatte jeden- Schwierigkeiten mit der Akzeptanz durch so umwerfend, Gänsehaut allüberall. Es
betrachtet, doch im Herbst drauf hab ich falls das Gefühl, dass ihr Begriff „queer“ Lesben. Wie hat sich das aus der doch hat mich so berührt, so bewegt – ich krieg
mich dann total verliebt. Das erste Lokal, genau trifft, wie ich mich befinde, was ich privilegierten queeren Perspektive der bis heute Gänsehaut, wenn ich drüber
in dem ich 1992 war, war die Villa. Da spüre, was mich interessiert, was in mei- Universität dargestellt? spreche – so toll. Ich hatte das auch noch
waren auf den Tischen so Ständer mit nem ganz persönlichen Leben abgeht. Die in keinem anderen Land vorher erlebt,
Flyern und in denen ging’s um Safer Sex beschreibt das, was ich bin: Eine Identität, Es gab viele Diskussionen um „women- das war überhaupt meine erste Parade.
für Lesben, eine Veranstaltung der HOSI. die keine ist, was ich auf mich total an- only“-places, was aus meiner Sicht an einer Die zweite war noch schön, und dann war
Wir haben dann so gescherzt, wie geht wenden konnte. Für mich war klar, ich bin bestimmten Stelle der Geschichte dur- ich manchmal dort oder manchmal auch
denn das, haben uns das so vorgestellt keine Lesbe, für mich war eigentlich auch chaus Sinn gemacht hat und für manche nicht. Und jetzt ist das Jahr 2009, und ich
und haben spaßeshalber gesagt: „Mit nie verständlich, was eine Frau ist. Ich aus ihrer Geschichte heraus noch immer geh’ wahrscheinlich nicht zur Regenbogen-
Handschuhen vielleicht?“ Also gehen hab’s halt benützt, weil es die Gesellschaft Sinn macht. Die Gemüter haben sich bis parade, außer ich komm’ zufällig vorbei.
wir zur HOSI, und die HOSI ist voll mit benützt hat, aber ich wusste nie genau, was zum Geht-nicht-mehr erhitzt darüber, ob Für mich persönlich ist das nicht mehr
Frauen – und die Handschuhe sind schon das heißen soll. Ich hab dann auch meine eine Transgender-Frau nun solche Orte so interessant oder so wichtig, das ist die
rausgezogen worden. Wir waren irgend- männlichen Anteile ausprobiert und bin betreten darf oder nicht. Meine Pers- Wahrheit und schon länger so. Ich kann
wie zwischen überrascht, schockiert und in meiner Arbeit neben dem Studium viel pektive war ein antidiskriminierender jetzt nicht sagen, ist das eine gesellschaftli-
interessiert. Das blieb für die 90er Jahre Lastwagen gefahren und hab auf Baustel- Ansatz, ein emanzipatorischer. Ich dachte che Entwicklung oder eine persönliche
mein Gefühl: Das war so eine sexy Zeit, len in ganz männlichen Zusammenhängen mir, wenn wir das nun ernst nehmen von mir.
eine sexuelle Zeit und auch eine sexualisi- gearbeitet. Für mich war klar, was die wollen, dass nicht unsere Biologie unser
erte Zeit. Deshalb sind wir hier auch am Liebe angeht und den Sex: Ich find’ den Geschlecht konstruiert, sondern dass es

die neunziger
26

Ein Riesenrisiko
Gery Keszler wurde 1963 in Mödling geboren und erlernte eigentlich den Beruf des Fein-
mechanikers, bevor er beschloss, die Welt zu erkunden und sich in so illustren Berufen wie
Opalschürfer oder Zirkuskoch durchs Leben schlug. Nach einer Ausbildung zum Visagisten über-
siedelte er nach Paris und arbeitete u.a. für Thierry Mugler, Vivienne Westwood oder Jean-Paul
Gaultier. 1993 erfand er den Life Ball, der heute zu den weltweit erfolgreichsten Charity-Verans-
taltungen zählt.
Wie kamst du auf die Idee, den Life Ball nichts unterkriegen lassen, und er ist auch len, wenn wir dieselben Trends auslösen Gleichzeitig hat sich die öffentliche Mei-
im Rathaus statt finden zu lassen? ziemlich oft angefeindet worden. Aber er würden und uns statisch verhalten wie nung zur Homosexualität stark geändert,
hat ein natürliches und sehr professio- 1993, dann würde es längst keinen Life sicher auch durch den Beitrag des Life
Naja, der Wunsch, den Life Ball, eine Aids- nelles Gespür gehabt, Dinge im Sinne auch Ball mehr geben. Er ist einer Wandlung Balls.
Charity damals, die einmalig geplant war, der Zeit und der Anliegen zu begreifen. Er unterlegen wie alles in den letzten 20
hier stattfinden zu lassen, war natürlich ein war ein Visionär für mich in Sachen Life Jahren. Vieles darf – Gott sei Dank – nach In der Hinsicht bin ich unverbesserlicher
bedeutungsvoller, weil’s eine ganz düstere Ball, während alle anderen sich bekreuzigt außen hin viel offener sein. Das meine ich Fanatiker und Idealist, in dem Glauben,
neugotische Aktenburg ist und auch da- haben und in Panik ausgebrochen sind, jetzt nicht nur, was HIV und schwule The- dass diese reaktionären Einstellungen und
mals das einzige politische Gebäude der hat der Zilk das wie ein Trüffelschwein men anbelangt. Der einzige Life Ball, der Vorurteile gegen Schwule irgendwann
Welt war, wo eine Aids-Charity stattfinden gerochen, und hat mir sehr viel Vertrauen wahrscheinlich ein wirkliches Szene-Event einmal so unbedeutend werden, dass man
durfte, bei der sich alle Gesellschaftsgrup- geschenkt und dieser Veranstaltung. Schon war, war wahrscheinlich der allererste Life nicht einmal mehr sagen muss, wie viel
pen vereint haben, egal ob hetero oder mit viel Sorge auch, er ist ja ein Riesen- Ball – ein Event, den man sicher nicht Prozent Schwule sind jetzt am Life Ball
schwul oder jung oder alt oder reich oder risiko eingegangen. wiederholen kann, weil keiner gewusst hat, und wie viel Prozent Heteros.
arm. was passieren wird. Er war von einem En-
Kritiker_innen bemängeln, der Life Ball gagement getragen von vielen Menschen,
Wie war dein Verhältnis zu Helmut Zilk? hätte sich von der schwulen Szene weit die heute nicht mehr leben. Und auch die
entfernt. Klientel natürlich war viel betroffener von
Der Zilk, obwohl er mich geduzt hat, war
HIV und Aids, zumal es damals noch im-
bis zu seinem Ableben für mich immer Der Life Ball hat natürlich eine Entwick- mer ein Todesurteil war.
ein großes Vorbild. Der hat sich durch lung in allen Bereichen – um Gottes Wil-

Die Lesbe in der


österreichischen Politik
Ulrike Lunacek studierte Dolmetsch und arbeitete bereits in den 80-er Jahren im Frauenhaus Innsbruck und später
in der Frauensolidarität Wien. Durch ihr Engagement in der feministischen Frauenbewegung landete sie auch in der
Lesbenpolitik. Ebenso engagierte sie sich in der Entwicklungspolitik und im Österreichischen Lesben- und Schwulenfo-
rum (ÖLSF). 1996 wurde sie Bundesgeschäftsführerin der Grünen, seit 1999 ist sie die erste und bisher einzige offen
lesbische Nationalratsabgeordnete Österreichs. 2009 kandidierte sie als Spitzenkandidatin der Grünen für das
Europäische Parlament und wurde Abgeordnete zum Europaparlament.
Wie kamen die Forderungen der Lesben-. Als ich 1995 offen als Lesbe kandidierte, verständlich Lesben und Schwule haben. und die Öffnung der Ehe. Und dann bleibt
Schwulen- und Transgender-Bewegung in ging es mir auch um diese Forderungen Das ist in keiner anderen österreichischen sehr wohl noch viel zu tun. Was wird in
die Politik? – es ging ja nicht um mein Privatleben – Partei der Fall. Da müssen sie sich noch den Schulen unterrichtet? Wie bekom-
und um Lesben sichtbar zu machen. Ich verstecken. Das ist bei den Grünen men junge Leute Aufklärung – positive
Es war sehr wohl so, dass schon vor mei- war schon sehr erstaunt, dass das dann wirklich eine positive Ausnahmeerschei- Aufklärung darüber? Wo einfach gesagt
nem Einzug ins Hohe Haus, zahlreiche Or- Hauptthema war, was in den Zeitungen nung und das ist auch bei den Europäisch- wird: Lesbisches und schwules Leben ist
ganisationen diese Themen den Parteien präsentiert wurde, denn ich komme ja en Grünen so. Ich bin ja auch Vorsitzende so normal, wie das heterosexuelle. Es gibt
immer wieder präsentiert haben. Bei den aus der internationalen Solidaritätsbe- der Europäischen Grünen und dort sind 10% der Bevölkerung, die so leben, das
Grünen war es Terezija Stoisits, die jetzt wegung mit den Entwicklungsländern, sie auch stolz darauf, dass es mich gibt und war immer schon so und wird immer
Volksanwältin ist und damals Justizspre- und das war eigentlich mein Hauptpunkt. das ist schon etwas, das mich freut. so sein. Fürchtet euch nicht davor! Das
cherin war, die sehr aktiv diese Themen In den Zeitungen stand dann ganz groß ist eine ganz große Herausforderung in
immer wieder in den Nationalrat und in “Vertreterin des Lesben- und Schwulen- Ließ sich die Rolle der außenpolitischen der Lehrer_innenausbildung und in den
den Justizausschuss eingebracht hat, auch forums”, “Lesbe”, “sichtbar” usw. Das hat Sprecherin und der Gleichstellungsspre- Schulbüchern. Ein anderer Bereich ist
Anträge gestellt hat, Gesetzesanträge zu mich gefreut, weil ich schon glaube, dass cherin auch kombinieren? öffentliche Aufklärung. Wir wissen, wie
Partnerschaft, damals noch vor allem zur es für viele Leute etwas bewirkt hat. Ich viele Menschen Vorurteile haben. Ich hoffe
Abschaffung des Paragraphen 209, auch habe auch viele Zuschriften bekommen. Es macht Sinn die diplomatischen Kon- sehr, dass mit besseren Gesetzen die Men-
220 und 221. Wenn ich dran denke, ist das Dann war es so, dass ich viele Interviews takte, die ich aus meiner Funktion heraus schen, die jetzt homophob sind, mitkrie-
zwar schon lange her, aber es sind erst 12 hatte und als “die Lesbe in der öster- habe, auch zu nützen, um mich für die gen, dass wenn der Staat das erlaubt, dann
Jahre, dass die Paragraphen 220 und 221 - reichischen Politik” bekannt wurde, was Menschenrechte von Lesben, Schwulen ist es ja vielleicht doch nicht so schlimm,
Werbe- und Organisationsverbot - abge- mich nicht weiter gestört hat. Es ging und Transgender-Personen weltweit einzu- und werden auch ihre Homophobie etwas
schafft wurden. In den 90-er Jahren haben mir ja auch darum, die Sichtbarkeit zu setzen. Das werde ich auch weiterhin vom einschränken. Es wird auch dazu führen,
sich die Forderungen konkretisiert, wo erhöhen. Als ich mein Coming-out hatte, Europaparlament aus tun, und mit mir die dass Lesben und Schwule selbst, die jetzt
auch die Regenbogenparaden bei uns erst gab es keine, die ich kannte. gesamte Grüne Fraktion. noch Angst davor haben in ihrer Fami-
begonnen haben stattzufinden. Da wurden lie, im Beruf, in der Öffentlichkeit dazu
die Forderungen nach Gesetzesänderun- Hatte deine Kandidatur Folgen? Stellen wir uns vor, Lesben, Schwule und zu stehen, sich auch mehr trauen, und
gen stärker im Hohen Haus thematisiert Transgenders wären im Rechtsbereich dadurch lesbisches und schwules Leben
- sicher auch stark von mir, als Aushän- Zum einen freut es mich schon, dass es bei vollkommen gleichgestellt. Was gäbe es viel Selbstverständlicher machen als es
geschild, als personifizierte Lesben- und den Grünen mittlerweile so selbstverstän- dann noch zu tun? heute zum Glück eh schon ist. Vor 10, vor
Schwulenforderung. dlich möglich ist, dass eine deklarierte Les- 20 Jahren war noch viel weniger da. Aber
be Spitzenkandidatin für die Europawahl Zuerst tatsächlich einmal die Gleichstel- diesen Prozess sehe ich schon noch, und
Wie lief deine Kandidatur als deklarierte wird. Ich bin auch stellvertretende Klubob- lung der Partnerschaften, inklusive der da wird noch einiges nötig sein, um das
Lesbe öffentlich ab? frau im Parlament. Auch hohe Parteipo- Ehe. Das würde ich mir wünschen: Beides, weiterzubringen.
sitionen können bei den Grünen selbst- also ein modernes Partnerschaftsmodell
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DIE 2000ER
Durch die Ereignisse des 11. September 2001 geraten Lesben und Schwule in eine
so genannte Wertedebatte. Migration wird auch in der Community ein Thema. In
Österreich regiert gleichzeitig eine schwarzblaue Koalition. 2001 findet Europride in
Wien statt. Der diskriminierendste Paragraf fällt und am Ende des Jahrzehnts könnte
sogar ein Partnerschaftsgesetz in Kraft treten. In der akademischen Debatte feiert
die Queer Theory ihren Durchbruch.
Die Jahre des neuen Millenniums historisch zu bewerten
ist nahezu unmöglich. Zu sehr leben wir mittendrin.
Trotzdem können auch am Ende des Jahrzehnts Ereignisse
als Schlüssel zum neuen Millenium definiert werden –
auch aus queerer Sicht.

Der 11. September 2001

Am 20. Jänner 2001 wurde George Walker Bush als neuer


Präsident der USA vereidigt. Er machte rasch Schluss
mit der liberalen Amtsführung seines Vorgängers Bill
Clinton. Neokonservative wurden an den entscheiden-
den Schalthebeln der Macht installiert. Religiöse Motive
beherrschten Washington und somit die Welt. Am 11.
September 2001 – oder kurz 9/11 – entführten islamis-
tische Terroristen Flugzeuge und griffen New York und
Washington an, die Twin Towers in New York stürzten mit
tausenden Opfern ein. Die durch den Fall des Eisernen
Vorhangs 1989 erreichte Gemeinschaft, die sich einem lib-
eralisierten und globalisierten Markt verschrieb, erkannte
einen neuen Feind: Die islamische Welt, wie generalisie-
rende Statements meinten. Die islamistische Welt, wie
differenziertere Kommentare sagten.
Das lesbischschwule Euopa Auch Lesben, Schwule und Transgenders demonstrieren ab
Für Lesben, Schwule und Transgenders bedeutet 9/11 vor feiert in WIen: Europride 2001 2000 gegen Schwarzblau
allem eine Auseinandersetzung mit einer ausgebrochenen
so genannten „Wertedebatte“ in Medien und Politik. Die
erreichte Emanzipation von homo-, bi- und transsexuel-
len Menschen wurde von vielen Kommentator_innen als
„westlicher Wert“ erkannt – nicht nur von der politischen verknüpfte Mitte-Rechts-Partei ging eine Regierung mit kalten Krieges als Drehscheibe zwischen Ost und West
Linken, sondern zunehmend auch von der politischen einer extrem rechten Partei ein. So war es nicht verwun- diente – stattfand, war für die Präsident_innen des damals
Rechten. Dies geschah fast überall – nur nicht in Öster- derlich, dass bei den Demonstrationen gegen die schwarz- verantwortlichen Vereins CSD, Connie Lichtenegger und
reich, in dem die Rechte das Thema Homosexualität nach blaue Regierung zahlreiche Regenbogenfahnen zu sehen Veit Georg Schmidt, entscheidend. So sagt Lichtenegger
wie vor negativ behandelt(e). waren. „Wir haben sehr viel Wert darauf gelegt, dass es wirklich
eine europäische Parade wird. Wir haben damals schon
Als die USA nach einem Feldzug 2001 gegen die radikal- 2001 fand die europäische Dach-Parade aller CSD- und versucht, diese Idee Europa mit Ostöffnung aufzugreifen
islamistische Taliban in Afghanistan und 2003 den Irak Regenbogenparaden in Wien statt. Europride, wie das all- und haben uns sehr bemüht auch Menschen aus dem
angriffen, entstand auch in Europa eine neue Friedens- jährlich in einer anderen Stadt stattfindende Großereignis ehemaligen Osten die Teilnahme zu ermöglichen.“
bewegung, die ein Symbol aufbrachte, das Lesben und genannt wird, zog am 30. Juni 2001 „andersrum“ (d. h.
Schwule verwirrte: Eine Regenbogenfahne, allerdings mit gegen die übliche Fahrtrichtung) über die Wiener Ring- Im selben Jahr fand auch das erste Mal das von der Vien-
etwas anderen Farben und mit dem Schriftzug „Frieden“. straße und zählte laut Angaben des Veranstalters 250.000 nale mittlerweile losgelöste und nunmehr selbstständig
Diese war auch bei den Friedensdemos in Österreich zu Teilnehmer_innen. Bereits im Monat davor fanden täglich agierende Festival identities. Queer Film Festival statt, das
sehen – gemeinsam mit der Regenbogenfahne der Lesben- mehrere Veranstaltungen statt und flatterten erstmals biennal in Wien stattfindet und mittlerweile zum zweit-
und Schwulenbewegung. Regenbogenfähnchen auf allen Straßenbahnen Wiens. größten Filmfestival Wiens gewachsen ist.
Die lesbisch-schwule-transgender Community Wiens
lesben & schwule trotzen Schwarzblau arbeitete eng zusammen und präsentierte sich kulturell Auf der Regenbogenparade 2002 gab es erneut Anlass
aktiv, vielfältig und in bester Partylaune. Wien rückte ins ausgelassen zu feiern, diesmal war der Grund ein poli-
In Österreich begann das Jahr 2000 mit einem Tabubruch. Zentrum des queeren Europa. Auch der Stadt und seinen tischer Sieg. Der berühmt-berüchtigte Paragraf 209 des
Die ÖVP ging eine Koalition mit der FPÖ ein. Eine kon- Institutionen wurde dies zunehmend bewusst. Dass Euro- Strafgesetzbuchs, der ein höheres Schutzalter für schwu-
servative und traditionell mit der katholischen Kirche pride 2001 in Wien - der Stadt, die in Zeiten des len – nämlich 18 – als für lesbischen und heterosexuel-

die zweitausender
28

Die AGPRO hisst die größte Regenbogen-


fahne am Wiener Donauturm anlässlich von
Europride 2001

Plakatkampagne gegen die schwarzblaue


Bundesregierung, Wien ist andersrum 2000

len Sex vorsah, wurde am 24. Juni 2002 und somit fünf Globalisierung und Migration 2008 die Info-Offensive homohetero.at, in der vielsprachig
Tage vor der Parade vom Verfassungsgerichtshof gekippt. Grundfragen zu Homosexualität beantwortet werden.
Der höchste Gerichtshof der Republik erkannte, dass der Die Globalisierung der politischen Debatte bewirkte unter 2009 startet die Beratungsstelle Courage eine dreis-
umstrittene und jahrelang heftig bekämpfte Paragraf den Lesben, Schwulen und Transgenders eine internationalere prachige Anti-Homophobie-Plakatkampagne. Die Wiener
Gleichheitsgrundsatz verletzte. Kurz darauf verurteile Auseinandersetzung mit ihrem Thema der Gleichstel- FPÖ fordert daraufhin ein „Verbot für die Werbung von
auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte lung und einer queeren Gesellschaftspolitik. Lag die Homosexualität in den Schulen“. Im selben Jahr startet
Österreich wegen des diskriminierenden Paragrafens. Die Konzentration der Forderungen davor vor allem auf in- auch das Magazin-Projekt MiGay, das von und für les-
rechtsgerichtete Regierung, angeführt vom ÖVP Bundes- nerstaatlichen Fragen und Diskriminierungen, wurde das bische, schwule und transgender Migrant_innen gestaltet
kanzler Wolfgang Schüssel, der § 209 immer verteidigte Menschenrechtsthema verstärkt global betrachtet. 2005 wird.
und der während seiner gesamten politischen Laufbahn schockierten Bilder aus dem Iran die Welt. Die Exekution
immer wieder homophobe Aussagen machte, sah sich von zwei schwulen jungen Männern führte zu weltweiten Das größte Herkunftsgebiet von Migrant_innen in Wien
gezwungen den 209er abzuschaffen. Aber ganz aufgeben Protesten. Auch in Wien demonstrierten Aktivist_innen ist – neben Deutschland und der Türkei – der Balkan,
wollte die schwarzblaue Regierung ihre Ressentiments der HOSI Wien und der Grünen Andersrum gegen das Re- insbesondere die ehemaligen jugoslawischen Staaten,
nicht und schaffte dafür den Ersatzparagrafen 207b, der gime im Iran. In Osteuropa wiederum fanden die ersten Rumänien, Bulgarien und Albanien. Zu einem Sprachohr
heute noch gültig ist. Dieser ist zwar geschlechtsneutral Paraden statt, die auch von österreichischen Aktivist_in- der BallCanCan-Community ist mittlerweile Sabrina
formuliert und bestraft Sex mit Unter-16-Jährigen zwar nen wie Kurt Krickler, Ulrike Lunacek, Gebi Mair oder Andersrum gemeinsam mit dem 2005 gegründeten Club
nicht generell, sondern nur unter gewissen Voraussetzun- Marco Schreuder, solidarisch besucht wurden. In Moskau geworden. Sie fasst eines der Hauptprobleme von schwul-
gen (etwa Ausnützung eines Abhängigkeitsverhältnisses fanden (und finden) alljährlich heftige Auseinandersetz- en Migranten kurz zusammen: „Sie müssen ihre Sexualität
oder Sex gegen Entgelt). Da es aber dafür eigentlich zungen zwischen Ordnungsmacht und Demonstrant_in- unterdrücken, heiraten, sich zwingen und stürzen dann
ohnehin andere Paragrafen gibt, war es nicht verwun- nen statt. 2007 wurde dabei der Generalsekretär der HOSI die Frau ins Unglück.“
derlich, dass diese Bestimmung vor allem gegen Schwule Wien, Kurt Krickler, verletzt.
eingesetzt wurde, wie eine parlamentarische Anfrage der Die Auseinandersetzung mit Zuwanderung und die
Grünen ergab. Eine weitere Facette der globalen Debatte um Menschen- Antidiskriminierungsregelungen führten auch zu einem
rechte, war die Wahrnehmung von Migrant_innen in der neuen Managementkonzept, das sich vor allem an die
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel war als europäisch eigenen Community – in der eigenen Stadt, im eigenen Wirtschaft richtete, aber nunmehr auch in der Politik
denkender und handelnder Politiker bekannt. Noch in Land, in einem diversen Europa. Der Gesellschaft und der diskutiert wird: Dem Diversity Management. Bei diesem
seiner Funktion als Außenminister war er Mitautor des Politik wurde so verstärkt bewusst, dass globale Fragen, Konzept wird auf die Vielfalt Wert gelegt, und Hilfe beim
Amsterdamer Vertrags der Europäischen Union aus dem die oft auf sozio-kulturelle Hintergründe zurückzuführen Managen und Kooperieren unterschiedlicher Bedürfnisse
Jahre 1997, der 1999 in Kraft trat. Eines der von Schüssel sind, höchst innenpolitische Fragen sind, genauso wie sie und Lebenswelten geleistet. Auch die Vereine Austrian
mit geschriebenen Kapiteln behandelte den Diskriminier- kommunalpolitische Aufgaben berühren. Die lesbisch- Gay Professionals (agpro), einem Verein schwuler Man-
ungsschutz, die so genannte Antidiskriminierungsricht- schwule Community befindet sich dabei durchaus in ge- ager und Wirtschaftstreibender, sowie die Queer Business
linie. Laut dieser Regelung sollten Menschen geschützt gensätzlichen Positionen: Unterstützten etwa 2008 auf der Women widmen sich diesem Konzept und veröffentlichten
werden, die aufgrund des Geschlechts, der ethnischen schwulen Internet-Plattform gayboy.at über 20 % der User dazu gemeinsam eine viel beachtete Broschüre.
Herkunft, der „Rasse“, der Religion oder Weltanschauung, (vereinzelt auch Userinnen) die FPÖ und einen radikalen
des Alter und der sexuellen Orientierung im Arbeitsleben „Anti-Ausländer-Kurs“, versuchten oft neu gegründete Eine Geheimsache wird öffentlich
diskriminiert werden. Für Diskriminierungen aufgrund Initiativen, Migrant_innen als Zielgruppe anzusprechen.
der Herkunft galt zudem ein weiterer Diskriminierungs- Den Anfang machte noch in den 1990-er Jahren die Aids 2005 begann in Wien die Auseinandersetzung mit der
schutz, der auch im Alltag schützte. Ob der Begriff „sex- Hilfe Wien, die Safer-Sex-Broschüren auch in anderen eigenen lesbisch-schwulen Geschichte. Die von der Stadt
uelle Orientierung“ auch für Transgenders gilt, ist noch Sprachen als Deutsch veröffentlichte. 1999 begann ebenso Wien unterstützte Ausstellung geheimsache:leben zeigte
nicht ausjudiziert, denn das Diskriminierungsmerkmal die Party-Szene den multi-kulturellen Reiz der eigenen und erforschte Lebenswelten und Auseinandersetzungen
„Geschlechtsidentität“ fehlt sowohl in der EU-Richtlinie Community zu entdecken. Die DJs Kairo Boys starteten in mit Homosexualität im Wien des 20. Jahrhunderts, und
als auch im 2004 – und damit spät – umgesetzten Antidis- der Wiener Arena mit dem noch heute beliebten Clubbing ermöglichte Einblicke, wie sie noch nie möglich waren. Im
kriminierungsgesetz. Die Geschlechtidentität als Merkmal Homoriental. selben Jahr wurde von Kulturstadtrat Andreas Mailath-
ist aufgrund einer Grünen Initiative nur im Landes- Pokorny der Plan präsentiert, ein Mahnmal für die homo-
Antidiskriminierungsgesetz Wiens zu finden. Faktisch Auf der politischen Ebene beginnt die Sichtbarmachung sexuellen Opfer der NS-Zeit am Morzinplatz zu errichten.
gibt es kein Antidiskriminierungsgesetz in Österreich, von zugewanderten Lesben, Schwulen und Transgenders Nach einem langen Prozess mit Jury blieb das Projekt bis
denn die EU-Richtlinie wurde im Gleichbehandlungsge- durch EU-weite Initiativen wie LesMigras, woraus 2002 in heute aus technischen Gründen unverwirklicht.
setz versteckt. 2009 wird auf europäischer Ebene eine Österreich der Verein LesMAus (Lesbian Migrants in Aus-
Angleichung des Diskriminierungsschutzes diskutiert, das tria) enstand. 2004 etablierte sich der Verein ViennaMix, Die Partnerschaftsdebatte
heißt auch die anderen Gründe einer Diskriminierung das allerdings seine Aktivitäten nach knapp zwei Jahren
sollen zukünftig im Alltag gelten. Ob diese Angleichung einstellte. Die sozialdemokratische SoHo kampagnisierte In der politischen Auseinandersetzung Österreichs stand
tatsächlich beschlossen wird, ist allerdings noch nicht das Thema „lesbischwule&transgender Migrant_innen“ während des gesamten Jahrzehnts die Gleichstellung glei-
absehbar. ebenso, wie die Grünen Andersrum. Letztere starteten chgeschlechtlicher Partnerschaften im Vordergrund. Zu
29

Ladyfest, 2005

Provokante Sprüche gegen den neuen


Bundeskanzler Wolfgang Schüssel vom
Festval “Wien ist Andersrum” Die Grünen und die HOSI Wien gegen § 209 vor der
ÖVP Zentrale. Weniger Wochen später wurde er vom
Verfassungsgerichtshof aufgehoben.

Beginn des Jahrzehnts trat allerdings ein Bruch innerhalb Sie galt als parteipolitisch unabhängig, wurde aber von Wien, die mittlerweile nicht nur Dutzende Bands und
der lesbisch-schwulen Community und ihren Organisa- der ÖVP bestellt. Deren Obmann wurde der nunmeh- Kulturschaffende hervorgebracht hat, sondern der auch zu
tionen zutage, der bis heute nie gekittet werden konnte. rige Vizekanzler Josef Pröll, der schon zuvor in einer so verdanken ist, dass in Wien 2008 nicht nur das von den
Zahlreiche und wichtige Organisationen distanzierten genannten Perspektivengruppe eine Eingetragene Part- Grünen Wien mitgetragene zweitägige Musikfestival La-
sich in einem offenen Brief von der HOSI Wien, allem nerschaft nach Schweizer Vorbild vorschlug. Ob und mit dyzzz‘ Mile stattgefunden hat, sondern auch die rund um
voran von ihrem Generalsekretär Kurt Krickler. Die HOSI welcher Gleichstellung bzw. Nicht-Gleichstellungen ein die Österreichische HochschülerInnenschaft organisierten
Wien, die traditionell als wichtigste NGO im Bereich der Partnerschaftsgesetz kommen wird, dürfte vermutlich ersten Queer-feministischen Tage außerhalb Deutschlands
Lesben- und Schwulenpolitik betrachtet wurde, erhielt mit noch am Ende dieses Jahrzehnts feststehen. Währenddes- organisiert werden konnten oder dass im Herbst 2009
dem Rechtskomitee Lambda eine ebenso starke Konkur- sen wurde nach den Niederlanden und Belgien sogar im bereits zum zweiten Mal nach 2006 das von der feminis-
renz. Das Rechtskomitee Lambda mit seinem Obmann, katholischen Spanien die Ehe geöffnet. Es folgten danach tischen Popkulturzeitschrift fiber organisierte Festival
dem Anwalt Dr. Helmut Graupner, konnte vermehrt Staaten wie Norwegen und Schweden. Rampenfiber stattfinden kann.
Partner-Organisationen gewinnen und einen Großteil
der Vereine auf seine Seite ziehen. Dieser Bruch begleitete Queer in Theorie und Praxis Die Krise als chance?
und begleitet die Community bis heute und spielt auch in
der Auseinandersetzung zur Gleichstellung von Partner- Auf akademischer Ebene erlebte das Jahrzehnt einen Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts endet mit einer
schaften eine große Rolle. Durchbruch: Die Queer Theory wurde eine der wes- großen Hoffnung und einer großen Krise. Die Hoffnung
entlichsten Kulturtheorien, und ist mit dem Themenkreis lautet Barack Obama, der als 44. Präsident der Vereinigten
Die Grünen, die SPÖ sowie die nicht mehr im Parla- Homosexualität eng verknüpft. Die auf Judith Butler und Staaten vereidigt wurde, und so gut wie alles anders ma-
ment vertretenen Parteien LiF und KPÖ forderten ihren noch in den 1990er Jahren formulierten Thesen chen möchte, als sein Vorgänger Bush. Sein Wahlkampf
diesbezüglich eine Gleichstellung. Einen konkreten zurückzuführende Theorie untersucht die vorgegebenen wurde aber von einem Ereignis überschattet, das die Welt
Vorschlag gab es bald von der SoHo, die eine Eingetragene Geschlechterrollen, das Begehren sowie die Frage nach erschütterte: Die von den USA ausgehende Finanzkrise
Partnerschaft nach skandinavischem Vorbild forderte. dem Zusammenhang mit dem biologischen Geschlecht. entwickelte sich zu einer globalen Wirtschaftskrise. Die
Die Grünen wiederum gingen einen Schritt weiter und Die Dekonstruktion von vorgegeben Rollen und Mustern großen Herausforderungen der Weltpolitik hatten sich
forderten ein modernes Partnerschaftsinstitut nicht nur spielt in der Queer Theory eine Hauptrolle. Es geht in der innnerhalb einiger weniger Monate dramatisch geän-
für Lesben und Schwule, sondern auch für heterosexuelle Queer Theory um das Zerstören der Hetero-Normativität. dert. Nach Rettungspaketen für zahlreiche Banken und
Paare. Gleichzeitig sollte die Ehe für gleichgeschlechtliche In vielen Bereichen erinnert die Queer Theory durchaus Industrien, steht das Ausmaß der Krise, deren Folgen für
Paare geöffnet werden. Zur Behandlung im Parlament an Magnus Hirschfeld, der sehr ähnliche Theorien bereits Arbeitsplätze und Wohlstand, noch nicht fest. Für Lesben,
gelangten die Vorschläge allerdings nie und wurden von am Anfang des 20. Jahrhunderts postulierte. In jüngeren Schwule und Transgenders sind die Auswirkungen eben-
den regierenden Parteien ÖVP sowie FPÖ (bzw. später das – meist besser gebildeteren – lesbisch-schwulen und falls noch nicht absehbar. Erste Mahner_innen erinnern
von der FPÖ abgespaltene BZÖ) nie auf die Tagesordnung transgender Gruppen spielt die Queer Theory mittlerweile aber bereits an die letzte große Krise 1929 und die drama-
gesetzt. eine große Rolle. Besonders Transgenders haben sich tischen Folgen – etwa in Deutschland, die zur Machter-
die Theorie zueigen gemacht. So forderte Eva Fels vom greifung der Nationalsozialisten führten. Und tatsächlich
Als ab Jänner 2007 eine Große Koalition von SPÖ und Wiener Verein TransX auch bereits die Abschaffung des finden sich schon erste Meinungen im Internet, die das
ÖVP mit Bundeskanzler Alfred Gusenbauer das Regier- Geschlechts – zumindest wenn es sich um Bürokratie und Thema der Gleichstellung von Lesben und Schwulen als
ungsruder übernahm, setzten Justizministerin Maria Verwaltung handelt. Queer-feministische Gruppen ent- „Luxusthema“ abqualifizieren, das in schwierigen Zeiten
Berger (SPÖ) sowie Familienministerin Andrea Kdolsky wickelten sich auch in Wien und mit den Ladyfesten Wien keine Rolle spielen darf. Andererseits formieren sich poli-
(ÖVP) nach Beschluss des Ministerrats eine Arbeits- fand diese Idee ein kulturelles und gesellschaftspolitisches tische und gesellschaftliche Gruppen, die in dieser Krise
gruppe ein, um ein neues Partnerschaftsgesetz zu ent- Highlight.“ auch eine Chance sehen, damit zukünftig anders gelebt
wickeln. Darin befanden sich Parteiorganisationen ebenso wird, ein anderes gesellschaftliches Selbstverständnis ent-
wie NGOs aus der lesbisch-schwulen Community. Bevor Ladyfeste sind ab dem Jahr 2000 weltweit in der Nachfolge steht, das sorgsam mit ökonomischen und ökologischen
jedoch ein Ergebnis überhaupt erzielt worden wäre, stellte der feministischen Punk- und Do-It-Yourself- (DIY)-Be- Ressourcen umgeht, nachhaltig wirtschaftet, in Zukunfts-
die Justizministerin – ausgerechnet vor einem solchen Ar- wegung, die in den frühen 1990er Jahren als Riot Grrrlll- branchen investiert, globale Gerechtigkeit erreichen
beitsgruppentreffen, das ja eigentlich ein Gesetz entwick- Bewegung begonnen hatte, als jeweils mehrtägige Festivals möchte und nach wie vor mit hoher Aufmerksamkeit die
eln sollte – ein Lebenspartnerschaftsgesetz vor. Sehr bald entstanden. In Wien wurden bisher drei Ladyfeste - in den Menschenrechte achtet.
spaltete der Berger-Entwurf: Waren die HOSI Wien und Jahren 2004, 2005 und 2007 – veranstaltet. Mit ihrem Mix
die SoHo Unterstützer_innen, lehnten alle anderen Grup- aus queer-feministischen Interventionen im öffentlichen Auch daran können Lesben, Schwule und Transgenders
pierungen dieses Gesetz scharf ab. Die Hauptkritik lag an Raum - wie etwa den dabei jedesmal abgehaltenen Dyke denken, wenn sie dieses Jahr sich selbst und ihre bisher
den zahlreichen unterschiedlichen Regelungen zur Ehe Marches -, alternativen Veranstaltungen wie der beim erreichte Emanzipation feiern: Wachsam zu sein und an
und vor allem waren Gleichstellungsregelungen in den an- letzten Ladyfest heißdiskutierten Queer-feministischen einer - nicht nur für sie selbst, sondern auch für alle An-
deren Ministerien noch vollkommen ungeklärt, etwa im Sexparty, (Selbstermächtigungs-)Workshops und einem deren - gerechten Gesellschaft teilzuhaben.
Fremden-, Asyl-, Sozialversicherungs- und Steuerrecht. kulturellen Programm von Filmabenden bis Open Stages
2009 wurde unter dem erneut großkoalitionärem Kabinett für Literatur und Musik waren sie Geburtshelfer_innen
Werner Faymann Claudia Bandion-Ortner Justizmisterin. für eine zunehmend aktive queer-feministische Szene in

die zweitausender
30

Identitäten radikal hinterfragen


Katharina Miko ist: Soziologin, Lektorin am Institut für Soziologie der Universität Wien,
Projektleiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungseinrichtung Kompetenz-
zentrum für soziale Arbeit am FH Campus Wien. Arbeitsschwerpunkte: Familiensoziologie,
Gender Studies, qualitative Forschungsmethoden.
Was hat sich seit dem Aufkommen von Das ist eine tatsächliche Entwicklung der und ob die oder der Mann oder Frau ist, und Frau, sage ich, dass es sich sehr verän-
„queer“ in der Geschlechterlandschaft 2000er Jahre, dass der „queer“-Begriff werden diese Kategorien brüchig. Damit dert hat. Als ich 1992 gestartet habe, in die
verändert? kommerzialisiert wird und im Mainstream wurde für mich als Familiensoziologin Szene zu gehen, gab es „Women only“-
ist. Als Soziologin finde ich es spannend, auch die Kategorie der „Regenbogen“- Feste. Das hat sich dann verändert in
Es gibt nicht nur mehr eine Geschlech- dass unterschiedliche Sub-Gruppen sich Familie fragwürdig: Denn man lebt in Richtung „Women only with gay friends“
terlandschaft, es gibt Geschlechterland- diesen Begriff genommen haben und ein einer Phase seines Lebens schwul/lesbisch und wurde zu „queer“. Meiner Ansicht
schaften. Und ich kann das ganz gut Label drauf gemacht haben. Ich finde diese oder heterosexuell, kann dorthin oder wie- nach ist das Verhältnis insofern verändert,
verdeutlichen, damit wo ich eingestiegen Entwicklung nicht nur negativ. der zurück. Wenngleich ich persönlich die als es weniger hier diese männlichen und
bin. Das war 1992, und da hatte man ganz Rechte von lesbischwulen Familien ganz hier diese weibliche Szenen gibt, sondern
wenige Räume. Also es gab sozusagen das Was ist denn der Unterschied zum Les- wichtig finde, sind auch da diese Iden- ein „Wir“ in einer „queeren“ Szene. Dane-
FZ und das Frauencafé. Und das waren ben-& Schwulenmodell? titäten brüchig geworden. ben gibt es aber natürlich nach wie vor die
reine Frauenräume, obwohl der Begriff Männer- und die Frauenräume, die realpo-
„queer“ im akademischen Bereich bereits Lesben und Schwule sind sexuelle Iden- Welche Zentren der „Queerness“ würdest litisch großen Einfluss haben.
aufgetaucht ist. Das hat sich geöffnet und titäten, ganz klar biologische Identitäten du denn in Wien ausmachen?
hat in Wien zu unterschiedlichen neuen und klassische „Wie lebe ich Sexualität?“- Zum Schluss eine Ranking-Frage: was
Szenen und Themen geführt. Queer Identitäten. Also man weiß, ein Mann ist Die Partyszenen und Musikszenen, dann sind für dich seit 2000 die fünf queersten
families, Queer Business, und vieles mehr. ein Mann, oder eine Frau ist eine Frau. gibt es queere wirtschaftliche Bewegungen Räume in Wien?
„Queer“ wurde zu einer Kategorie, die weit Und sie liebt und lebt mit Frauen und wie die Queer Business Women, die Uni-
über les-bi-schwul hinausgeht und die vor er liebt und lebt mit Männern. „Queer“ Szene, auch der Life Ball, der Diversity Ball Das Marea Alta, nach wie vor die Rosa Lila
allem mainstreamig geworden ist. Was bedeutet aus meiner Sicht, Identitäten ra- und queere Sportveranstaltungen. Es sind Villa, dann ist es für mich der ganze Dun-
viele auch kritisieren: Das heißt, auch dort, dikal zu hinterfragen. Hier geht es also um Szenen geworden, die in gewisser Hinsicht stkreis FM queer, sicher die Quote-Abende
wo man nicht genau weiß, wollen die jetzt die Frage, ob es Homosexualität überhaupt bei „lesbischwul“ bleiben, aber trotzdem und dann – war es für mich sicher auch
Geschlechteridentitäten zerbrechen oder gibt bzw. ob es nur zwei Geschlechter gibt? darüber hinausgehen. mein langjähriger Arbeitsplatz wienweb,
brauchen sie nur ein trendiges Label? Also Die Kategorie Homosexualität wird selbst das ist für mich einer der queersten Arbe-
wollen sie sich darüber Gedanken machen, brüchig. Die eigene sexuelle Identität wird Hat sich dadurch das Verhältnis von itgeber, den’s gibt. Als sechsten Ort nenne
was Mann oder Frau ist, wo also nicht nur insgesamt hinterfragt. Provokant gesagt: Frauen zu Männern in den verschiedenen ich noch den sozialwissenschaftliche
„gender“, sondern auch „sex“ dekonstrui- Da ja überhaupt nicht klar ist, ob er oder Szenen verändert? Bereich. Im Uni-Bereich ist es auch – also
ert wird oder geht es um den Verkauf eines sie Mann oder Frau ist und auch nicht jetzt im Unterschied, wenn man irgendwo
Inhalts. klar ist, mit wem er oder sie im Bett liegt Sofern ich diese Frage beantworte unter als Verkäuferin arbeitet – relativ einfach
der Prämisse, es gäbe die Kategorien Mann queer zu sein.

Ein ganz besonderes Jahr


Wiener Höhepunkt der Stonewall-Erinnerung war Europride 2001 mit 250.000 Teilnehmer_innen.
Europride ist die europäische Dach-Parade, die jedes Jahr in einer anderen Stadt Europas statt-
findet. Connie Lichtenegger, damals bekannt als Szenewirtin, und Veit Georg Schmidt,
Buchhändler im Löwenherz, dem einzigen lesbisch-schwulen Buchladen Wiens, waren die Co-Präsi-
dent_innen des austragenden Vereins CSD. Die Idee Europride 2001 entstand im Café Berg, wo wir
die beiden auch trafen.
Europride 2001 war sicher eine große eigentlich schon gescheitert und plötzlich schen aus dem ehemaligen Osten die
Herausforderung. Wie hat das im Vorfeld bekam ich einen Anruf der Wiener Linien, Teilnahme zu ermöglichen.
funktioniert? sie möchten das doch machen. Daher Wie bettet ihr Europride in die Eman-
musste ich mit in Windeseile was überle- Soll sich Wien wieder für einen Europride zipationsgeschichte ein, insbesondere zu
Connie Lichtenegger: 2001 war sicher ein gen, und so kam die Geschichte mit den bewerben? Stonewall 1969?
ganz besonderes Jahr für die Lesben- und Patenschaften in die Welt. Die Fähnchen
Schwulenbewegung in Wien. Wir waren sind also passend zu Europride gekommen, CL: Europride in der Form kann man VGS: Wichtig ist immer, dass man sich
nicht ganz 10 Leute, die das gemacht aber eigentlich war Europride sogar eine sicher nicht mehr nach Wien holen. Das bewusst macht, dass wir als Veranstal-
haben, je nach Ressourcen und Möglich- Gefahr für die Fähnchen. war erstmalig, einzigartig und nie wieder ter_innen von Paraden diese Kontinuität,
keiten - und das mit ziemlicher Beachtung bringbar. Ich denke mir aber schon, den diesen Bezug, herstellen, den es eigentlich
international. Wie habt ihr den Tag selbst erlebt? europäischen Gedanken, Wien als dieses gar nicht gibt. Das ist seit über 100 Jahren
Tor, das Wien ja auch darstellt, zu trans- so. Die lesbisch-schwule Emanzipationsge-
Was waren die schwierigsten Aufgaben? CL: Den Tag von Europride selbst werde portieren, wäre schon etwas, das ganz fein schichte ist eine Geschichte von Diskon-
ich nie vergessen. Ich habe natürlich kein wäre. tinuitäten, teilweise erzwungenen durch
CL: Das kann man so nicht sagen, denn es Auge zugetan. Wir waren um 5 Uhr früh öffentliche, staatliche, gesellschaftliche
hat sich irgendwann in einem “Es ist alles am Parkplatz, schon mal schauen, was Wie nachhaltig war Europride? Repressionen, sei es aber auch dadurch,
zuviel” verloren. Das Gesamte war ein un- sich so tut. Ab 6 kamen die ersten LKWs dass es zu keiner Zeit eine beständige,
glaubliches Ding, das wir doch gemeinsam zum Dekorieren. Ich war auch Gastro- CL: Das ist eine Frage, die ich mir auch legitimierende und repräsentative Struktur
geschafft haben. Verantwortliche und musste schauen, ob oft stelle. Es war sehr nachhaltig unmit- gegeben hat. Insofern sind alle Aktivitäten
alle Getränkewagen unterwegs sind. Es telbar danach. Was mich sehr beeindruckt die man tut in einem gewissen Emanzipa-
Es gab 2001 zum ersten Mal Regenbogen- ging von 5 Uhr früh bis zum nächsten Tag hatte, war zu sehen, was in Wien möglich tionswillen eingebettet und der bezieht
fähnchen auf Straßenbahnen. Wie kam es mittags durch. ist, was mit verschiedenen Vereinen, sich natürlich auf dieses Highlight 1969,
dazu? Organisationen und Initiativen in Wien bzw., die erste Demonstration ein Jahr
Wie europäisch war Europride? gemeinsam möglich ist. Wir hatten ja ein später. Aber im Sinne einer klassischen
Veit Georg Schmidt: Ich war an diesen Europride-Monat, das heißt wir hatten Geschichte, die auf Kontinuitäten abzielt,
Straßenbahnfähnchen seit etwa zwei- CL: Es war sehr europäisch. Wir ha- jeden Tag mindestens zwei, drei Veranstal- gibt es diese Kontinuität nicht. Es gibt
einhalb Jahre dran. Die Erstauskunft der ben sehr viel Wert darauf gelegt, dass es tungen. Aber die Nachhaltigkeit? Ich weiß im Gegensatz zu allen gesellschaftlichen
Wiener Linien war: „Wir wissen nicht wie wirklich eine europäische Parade wird. nicht, warum es nicht blieb. Das weiß ich Vorgängen, die überprüfende Instanz
viele Garnituren wir in Betrieb haben und Wir haben damals schon versucht, diese bis heute nicht. nicht. Die ist man immer nur selbst.
können deshalb auch gar keine Aussage Idee Europa mit Ostöffnung aufzugreifen Insofern ist es auch wichtig, dass man so
machen, wie das möglich sein soll“. Es war und haben uns sehr bemüht auch Men- einen historischen Bezug herstellt, an dem
man sich selbst misst.
31

Die Suppe wird nicht so


heiSS gekocht wie gegessen
2005 begann Sabrina Andersrum mit einigen Freunden die erste BallCanCan-Party in Wien. Seit dieser Zeit gilt die
Party als Anziehungspunkt vor allem von Lesben, Schwulen und Transgendern vom Balkan. Sabrina Andersrum wohnt in
“Little Balkan”, wie sie den 10. Wiener Gemeindebezirk nennt und lebt als transidente Frau. Manchmal komme bei ihr
mehr die Frau, manchmal mehr der Mann durch, betont Sabrina. Sie tritt lieber als Frau auf, beim Autofahren sei sie typ-
ischer Macho. Sie wurde 1970 als René und als Sohn einer slowakischen Mutter, eines serbischen Vaters, einer kroatisch-
en Großmutter und eines serbischen Großvaters mit Roma-Hintergrund geboren und wuchs in Wien auf. Mit BallCanCan
wurde sie zur Galionsfigur lesbischer, schwuler und transidenter Migrant_innen.
Mit deinem BallCanCan, aber auch nicht fotografieren lassen wollten oder Verschwinden Migrant_innen aus deinem Familie, vor Mutter, vor Vater, vor Bruder.
anderen Initiativen wie Homoriental, Vi- Sonenbrillen aufhatten. Auch die jüngere Blickfeld wieder, weil sie sich dem Druck, Er wird bedroht, er wird terrorisiert, hat
ennaMix und MiGay wurden zum ersten Generation hat da leider Gottes immer zu heiraten und eine Familie zu gründen, die Wohnung gewechselt und denkt sogar
Mal lesbische, schwule und transgender noch ein Handicap. Serbische Männer sind unterwerfen? daran von Österreich wegzuziehen. Und
Migrant_innen sichtbar. Davor war Patriarchen und wollen, dass der Sohn das im Jahre 2009.
die Bewegung von der österreichischen verheiratet ist und für Nachwuchs sorgt, Ja, sie müssen einfach. Bei Ex-Jugoslawen
Mehrheitsgesellschaft geprägt und wurde Stammhalter wird. Das macht es enorm nicht so sehr, aber bei türkischen Männern Wenn man mit Lesben und Schwulen am
auch für diese kommuniziert. Gibt es bei schwierig, sich dazu zu bekennen. Auch ist der Druck von der Familie schon sehr Balkan selbst spricht, kennt jede und jeder
Migrant_innen – immerhin etwa ein Drit- wenn jemand zu BallCanCan kommt, groß, riesig. Sie müssen ihre Sexualität Sabrina Andersrum und BallCanCan.
tel der Wienerinnen und Wiener – andere muss das nicht heißen, dass er dazu steht. unterdrücken, heiraten, sich zwingen und Wie wichtig ist die Stadt Wien für die
Schwerpunkte? Aber durch BallCanCan und Homoriental stürzen die Frau ins Unglück. das endet Region Südosteuropa als Drehscheibe?
haben sich jetzt mittlerweile doch mehr dann meistens doch mit einer Scheidung,
Vergleichbar ist es nicht, weil sehr viele getraut. Auch durch mich ein bisschen. wo er wegrennt oder sie unglücklich ist, Ja, auf jeden Fall. Es ist das erste westli-
Serben oder Bosnier sind nach dem Krieg Dass die Suppe nicht so heiß gekocht wird, weil sie keinen Sex hat. Ich kenne einen che Land, das Fenster zum Westen. In
hergekommen und haben das verheim- wie gegessen. Dass die Gesellschaft nicht Bekannten aus Albanien, der hat das ver- der kommunistischen Zeit warst du in 2
licht, hatten kein Coming-out. Mittler- immer so aggressiv und intolerant ist. Man sucht durchzuziehen und es war immer oder 4 Stunden da. Am Anfang hat man
weile haben wir, also BallCanCan und muss aber auch manchmal etwas einsteck- Krieg. Er hat eine 12-jährige Tochter, die es übers Fernsehen, über Satellit verfolgt.
Homoriental etwa, dazu beigetragen, dass en, ein bisschen ein dickes Fell haben, eine war unglücklich, er war unglücklich und Mittlerweile kommen sie her. Wien als
sich die Leute mehr trauen, dass sie auch Elefantenhaut. Aber das ist es wert. die Frau war unglücklich. Letztendlich hat Drehscheibe ist sehr wichtig.
ausgehen und sich outen. Am Anfang es damit geendet, dass er sich scheiden
sind viele Leute gekommen, die sich hat lassen. Aber er hat jetzt Angst vor der

Schubladisieren tun eh die anderen


Sehen sich junge Lesben und Schwule als Teil der Emanzipationsgeschichte der Lesben, Schwulen
und Transgenders? Und wenn ja: wohin soll sich diese Geschichte künftig hin entwickeln? Diese
Fragen stellten wir Sabrina Rotter, 24, Politikwissenschaftstudentin an der Universität Wien,
und Marc Damm, 21, Grafikdesignstudent an der Universität für Angewandte Kunst. Am Ende
des Gesprächs stellten wir fest, wie ähnlich der Wunsch junger Menschen heute und die Anliegen
der ersten Demonstrant_innen eigentlich sind: Es geht um Sichtbarkeit. Vom Versteckspiel hatten
1969 Lesben, Schwule und Transgenders genug. Das scheint auch 2009 noch der Fall zu sein.
Siehst du dich als Teil der Emanzipations- Geschlecht definieren, sondern andere mich auch persönlich. Mehr Outgoing antworten, aber da wird es bisweilen auch
geschichte der lesbisch-schwulen Com- Dinge finden, die sie ausmachen, egal und mehr Offensein wäre das, was ich mir bleiben. Einfach darüber reden, weiter
munity? welche sexuellen Einstellungen sie haben. wünschen würde. darüber reden, Fragen stellen. Ich finde
Ich für mich fühle mich definitionslos, es wichtig, dass im Sexualunterricht
Sabrina Rotter: Teilweise sehe ich mich denn das tun eh die anderen für mich, Hattest du dein Coming-out übers Inter- diese Sache anklingt. Es ist eine Unver-
schon als Teil dieser Emanzipationsge- mich schubladisieren und Definitionen für net? schämtheit, dass es verschwiegen wird. Ich
schichte, weil das Leben heute so nicht mich erfinden. Wenn man mutig ist, kann habe mir das selbst erdichten müssen und
möglich wäre, wenn es diese Geschichte man ja rausfinden, ob es wahr ist, was man MD: Ich habe mich nie geoutet. Ich finde, habe jahrelang mit irgendwelchen Speku-
nicht geben würde. sich denkt. Outing ist heutzutage so ein Druck, dem lationen gelebt. Bei mir hat sich sehr früh
ein Jugendlicher ausgesetzt wird; ich weiß für mich herausgestellt, dass ich homo-
Marc Damm: Ich bin nicht auf der Regen- Wo würdest du die Emanzipationsge- nicht, ob das so notwendig ist. Ich will sexuell bin. Das kann’s nicht sein, dass es
bogenparade aus Protest, aber ich bin dort, schichte gerne hin entwickeln? einfach, dass es zu einer Normalität wird verschwiegen wird. Das ist eine Gemein-
weil ich keine Angst habe, weil ich gerne und zu einer Normativität. Das Outing heit an sich.
auftreten will als das, was ich bin. Und SR: Ich würde die Emanzipationsge- an sich ist heutzutage wirklich Zwang, ein
sehe ich mich in der Emanzipationsge- schichte gerne dorthin entwickeln, dass es unnötiger Stress, dem sich Jugendliche, Braucht es denn die Regenbogenparade
schichte? Ich würde sagen Nein. Dazu bin vollkommen egal ist, wie ich mich selbst zumeist auch Ältere, aussetzen müssen. Ich noch?
ich vielleicht zu individuell. Ich bin nicht definiere – ob als bisexuell oder homosex- habe mich da nicht jahrelang bewegt, aber
das, wofür die Emanzipationsgeschichte uell oder heterosexuell – dass einfach der ich habe meine Zeit gehabt, da wurde ich SR: Dazu möchte ich schon sagen, dass es
steht. Mensch zählt, und weder das Geschlecht mit Doppelmoral konfrontiert. Du wirst sehr wohl momentan noch wichtig ist, ein
noch die Orientierung. im Internet von 50-jährigen, 60-jährigen Zeichen zu setzen, dass es das gibt. Meine
Wenn in unserem Fall von einer Eman- Männern angeschrieben, die ihre Frau Utopie von mir wäre, dass man das nicht
zipationsgeschichte gesprochen wird, MD: Ich würde gerne die Situation bescheißen. Das kann’s nicht sein. Es kann mehr machen muss, weil es so normal ist.
meinen wir damit die Emanzipation von herbeischaffen, oder dabei mitgestalten, nicht mehr dieses Versteckspiel geben, Weil die Menschen es nicht mehr wichtig
Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans- dass sich niemand verstecken muss. Ich nicht mehr heute. finden, ob jemand schwul oder lesbisch ist.
gendern. Wie stehst du dazu? gehöre zu den Jugendlichen, die sich vom Die Gleichstellung von jedem Menschen
Internet entjungfern haben lassen und Was müsste denn geschehen? in seiner Partnerschaft, wie immer er sich
SR: Schrecklich kleinkariert finde ich das. das soll’s nicht sein, dieses Versteckspiel das wünscht, egal aus welcher Richtung er
Man sollte Menschen nicht prinzipiell per soll aufhören. Das nervt mich und betrifft MD: Ich könnte jetzt einfach mit “Reden” kommt oder welches Geschlecht er hat.

die zweitausender
IMPRESSUM
Redaktionelle Beiträge:
Andreas Brunner (QWien), Ewa Dziedzic, Iris Hajicsek, Marco Schreuder, Hannes Sulzenbacher (QWien)
queer Lounge Lektorat: Iris Hajicsek
Grafik & Layout: Willi Dolleschall
speziaL Video-Umsetzung: Stefan Sengstake, Stefan Sickert, Martin Ebner (queer Lounge)
sToneWaLL in Wien Mitarbeit: Hansi Eitler, Peter Kraus
Idee: Marco Schreuder
Chronologie der lesbisch- Eine Kooperation der Grünen Andersrum Wien, QWien - Zentrum für schwul/lesbische Geschichte, queer Lounge
schwulen-transgender mit freundlicher Unterstützung der Grünen Wien, der Grünen Bildungswerkstatt und den Grünen SeniorInnen
Emanzipation Für den Inhalt verantwortlich: Die Grünen Andersrum Wien, 1070 Wien, Lindengasse 40
Do., 16. Juli 2009, 20.00 Uhr Druck: Buttons 4 you & Druckerei, Fa. Hannes Schmitz, Leystraße 43, 1200 Wien
www.okto.tv/queerlounge
Fotonachweis
Umschlagfoto: Ali vom Savoy, Seite 2: Daniel Gebhardt, Seite 3, 4, 5, 6: QWien Archiv, Seite 8: Common License, Seite 9,
10, 11: QWien Archiv, Seite 12: HOSI Wien, Seite 15: HOSI Wien, QWien Archiv, Seite 16, 17: HOSI Wien, QWien Archiv, Rudi
Katzer, Seite 21: QWien Archiv, Seite 22: Rudi Katzer, QWien Archiv, Seite 23: Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichge-
schlechtliche Lebensweisen, Rudi Katzer, QWien Archiv, Seite 24: QWien Archiv, HOSI Wien, Seite 27: Alkis Vlassakakis, Seite
28: Alkis Vlassakakis, Ladyfest, Seite 29: QWien Archiv, Alkis Vlassakakis, Grüne Wien, alle Interviewfotos: queer Lounge; alle
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Qwien Archiv Fotos aus dem Bestand der Ausstellung geheimsache:leben, 2005

Spiel nicht
mit den Schmuddelkindern... von Birgit Meinhard-Schiebel
Stell Dir vor, Du bist a Warmer singt Georg Danzer in der Frauenbewegung waren die ersten Chancen, Wir Grünen SeniorInnen fordern gleiche Rechte auf
einem seiner Lieder. Ein letztes Bekenntnis, was es aus der Finsternis auszutreten. Eine sich etablier- soziale Teilhabe, Selbstbestimmung, individuelle
bedeutet hat und immer noch bedeutet, anderssein ende Szene hat auch Zuflucht geboten und sich zu Wohnformen, Grundsicherung im Alter u.v m. für
zu müssen statt anderssein zu können. Als Gen- einer gesellschaftspolitisch relevanten Teilheimat ALLE Menschen, egal welcher sexueller Orientier-
eration 60+ “andersrum” durch die vergangenen empor-gewirtschaftet. Aber lange noch ist das Ziel ung, Konfession, Hautfarbe oder Nationalität sie
50 Jahre gegangen zu sein ist wie die Irrfahrt durch der Grünen Andersrum nicht erreicht. Immer noch sind. Punkt.
ein unendliches Labyrinth. gibt es weder gleiche Rechte noch gleiche Pflichten.
 
Was aber heißt es, als Mensch mit anderer sexuel- Die Initiative Grüner SeniorInnen Wien bietet
Sich selbst zu entdecken als nicht-heterosexuell, ler Orientierung zu altern? Wie stehen die Chan- lebendige Informationen, politische Bildung,
war der Schlag, der haargenau in den Solarplexus cen, neue Partnerschaften einzugehen? Was, wenn gemeinsame kulturelle und sportliche
trifft und schlimmer noch, eine Etage tiefer. die homosexuelle Gemeinde nicht frei davon ist, Aktivitäten und ein spannendes Leben mit
Bedürfnisse, die einem in frühen Kindertagen körperliche Attraktivität und fitte Jugendlichkeit als engagierten älter werdenden und alten
schon ausgetrieben werden und dann auch noch Auswahlkriterium zu bevorzugen?
solche. Warmer, Lesbe und Sexualverbrecher_in Menschen. Wir stehen für Grüne Generationen-
Wo ist der Unterschied eines Alters außerhalb der
in unseliger Eintracht. Wer das Mäntelchen der Normen? Heißt Älterwerden noch ein Stück weiter politik und wissen, was wir wollen.
schonenden und gesellschaftsfähigen Ehe darüber an den Rand zu rutschen? Noch mehr in einen im- Infos unter: seniorinnen.gruene.at
breiten konnte, stand im Leo. Zumindest eine mer kleiner werdenden Kreis zu geraten, in dem
zeitlang. Verlogenes Glück, um nicht restlos dem
email: birgit.meinhard-schiebel@gruene.at
das Überleben möglich ist?
Unglück ausgeliefert zu werden. Die ewige Angst im Was bleibt, wenn Partner_innen sterben? Was
Nacken, entdeckt zu werden oder schlimmer noch, bleibt, wenn der Schutz des beruflichen Status
nirgendwo hinzugehören. Als Warmer, Mannweib endet? Was bleibt, wenn Menschen mit anderer
oder Mensch im falschem Geschlecht diffamiert zu sexueller Orientierung während ihres ganzen
werden. Spielt nicht mit den Schmuddelkindern, Lebenslaufes nicht „normal“ leben können? Muss
steckt Euch nicht an. eine ganze Gesellschaft erst mühsam lernen, dass
Die Demonstrationen der Homosexuellen und die niemand anders ist, weil jede_r anders ist?

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