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Ausgabe 50 • 2018

Das Fanzine für die Welt außerhalb von Aventurien


2 2 Inhalt
Impressum

3 Vorwort

4 Von Sklaven und Optimaten


ARS MYRANA Claas Rhodgeß Kurzgeschichte
16 Jäger und Sammler
ARS MYRANA J. Willmann, Chr. Michaelis, D. Maciuszek, K. Schwabe Spielhilfe
21 Von Meralis nach Vesayama
Memoria Myrana Information
22 Heimweh – Teil 1
Daniel Bluhm Kurzgeschichte
26 ARS MYRANA 2018
Memoria Myrana Wettbewerb
29 Nergabath – die Stadt der lebenden Toten
Jan Stawarz Spielhilfe
36 Nandramukti – Hochburg der Erleuchtung
Jan Stawarz Spielhilfe
39 Das Aggdrim oder Erzschnapper
Daniel Bluhm Spielhilfe
41 Der Zorn der Nanja
Roland Hofmeister Abenteuer-Szenario
47 Die magischen Traditionen der Kerrishiter: Die Priesterinnen
Peter Horstmann Spielhilfe

Impressum
Das Fanzine Memoria-Myrana versteht sich als inoffizielles und nicht-kommerzielles Fanprojekt zu dem Rollenspiel-
system „Das Schwarze Auge“. Alle Mitarbeiter arbeiten ausschließlich unentgeltlich und opfern ihre kostbare Freizeit
für Memoria-Myrana, wofür ihnen hier noch einmal herzlich gedankt sei!

„DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN, DERE, MYRANOR, THARUN, UTHURIA und RIESLAND sind eingetragene
Marken der Significant Fantasy Medienrechte GbR. Ohne vorherige schriftliche Genehmigung der Ulisses Medien und
Spiel Distribution GmbH ist eine Verwendung der genannten Markenzeichen nicht gestattet.“

Redaktion: Peter Horstmann Satz & Layout: Peter Horstmann, Bernadette Wunde

Texte: R
 oland Hofmeister, Peter Horstmann, Dennis Maciuszek, Christoph Michaelis, Claas Rhodgeß,
Kirsten Schwabe, Jan Stawarz, Jochen Willmann
Illustrationen: Peter Horstmann, Diana Rahfoth, Kirsten Schwabe

© 2018 Memoria Myrana


Nachdruck von Artikeln (auch auszugsweise) oder eine online-Verwertung nur mit vorheriger Genehmigung des He-
rausgebers sowie der jeweiligen Autoren. Die Urheberrechte der einzelnen Artikel liegen bei den jeweiligen Autoren.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und unbeabsichtigt.
3
Vorwort

M it Jenseits des Nebelwalds hat der Uhrwerk Verlag seine letzte Publikati-
on zu Myranor herausgebracht und für Tharun war es kurz zuvor Schwer-
ter und Giganten. Beide Werke haben in den bisherigen Rezensionen sehr po-
sitive Bewertungen erhalten und auch in den Foren ein erfreulich gutes Echo
gefunden. Nun sind erst einmal keine weiteren Werke angekündigt.

Doch es gibt noch eine Möglichkeit, auszudrücken, dass man Myranor und Tha-
run mag und eine baldige Fortsetzung der Settings wünscht:

Stimmt für Myranor oder Tharun


beim RPC Fantasy Award!
»Der RPC Fantasy Award versteht sich als Orientierungshilfe für Kunden, die ausgezeichnete Spiele
und Medien suchen, mit denen sie außergewöhnliche Momente erleben können.« So heißt es auf der
Homepage des Awards. Unserer Meinung nach passen Myranor und Tharun da hervorragend ins
Konzept. Wer gleicher Meinung ist, kann bis zum 30.04.2018, also nur noch wenige Tage, auf der
Homepage (https://www.rpc-germany.org/rpc-fantasy-award-2018) seine Stimme für Jenseits des
Nebelwalds oder Schwerter und Giganten abgeben.

Auf dass noch viele schöne Bücher zu Myranor und Tharun erscheinen und auch Uthuria wieder
mit Leben erfüllt werden möge.

Peter Horstmann,
für das Myranor-Team

Ars Myrana
In den kommenden Ausgaben werden wir weiterhin in Absprache mit Ulisses Spiele und Uhr-
werk Verlag immer mal wieder Beiträge aus dem ersten Wettbewerb Ars Myrana aus dem Jahre
2011 bringen. Wir denken, dass die bisher nicht publizierten Einsendungen das verdienen und den
Myranor-Fans nicht vorenthalten werden sollten. Wer noch seine Beiträge auf dem Rechner hat
und diese gerne in den kommenden Ausgaben sehen möchte, der sende sie uns bitte zu oder teile
uns kurz mit, welche Texte von ihm sind. Leider ist dies nicht bei allen Beiträgen bekannt.

Hinweis: Die Ausgabe wurde für die schnelle Nutzung auf mobilen Geräten optimiert und ist daher für
den Druck nur bedingt geeignet. Wer sich die Ausgabe ausdrucken möchte kann uns eine E-Mail an info@
myrana.de senden, dann stellen wir einen Link auf eine 300dpi-Datei zur Verfügung.
4 Als im Jahr 2011 der Wettbewerb Doch die angepeilte Sammlung
Ars Myrana zu einem Ende kam von Kurzgeschichten ist nie publi-
und der beste Beitrag zu krönen ziert worden. So blieb die Geschich-
war, hieß der Gewinner: Claas te bis heute ohne die verdiente Vor-
M Rhodgeß. stellung.

Y
R
A Von Sklaven und Optimaten
N
O arysalias ließ den Geruch des heißen Ba- In einer Leerlaufhandlung begann der junge

R
D dewassers für einen Moment auf sich wir-
ken, denn er stellte für ihn etwas Vertrautes
Optimat seine Augen zu reiben. Eine Ange-
wohnheit, die ihn schon ähnlich lange durch
dar. Schon seit seinen jüngsten Tagen war ihm sein Leben begleitete, wie der Duft seines hei-
die immer gleich bleibende Mischung wohlrie- ßen Bades, jedoch ungleich weniger willkom-
chender Öle in sein Bad gegeben worden. Mit men war. Unter denen, die ihn kannten, galt es
der rechten Hand fuhr er sich durch das feuch- als deutliches Zeichen für Verstimmtheit. Es
te, dunkle Haar und durchmaß den Raum mit war jedes Mal das Gleiche: Hielt er sich in dem
langen Schritten, bis er bar jeder Kleidung vor Palast seiner Familie in Sidor Corabis, der Stadt
dem Standspiegel verharrte, der das Zimmer auf den acht Hügeln auf, schienen die Leute zu
zierte. glauben, er habe verlernt die einfachsten Tätig-
Sein Spiegelbild zeigte ihm einen jungen keiten auszuüben: Man half ihm dabei sich an-
Mann Anfang zwanzig, hoch gewachsen und zuziehen, putzte seine Stiefel und schnitt ihm
breitschultrig. Von der schwülen Luft um sich Früchte, die er zu essen gedachte, in mundge-
herum in tiefsinnige Gedanken gedrängt, starr- rechte Happen. Einer der Diener war sogar so
te er dem Abbild seines Selbst regungslos ent- weit gegangen, das heiße Mahl vom gestrigen
gegen. Es war ein Augenblick, der ihm gefiel Abend mit einem Fächer abzukühlen, als er be-
und ihn gleichermaßen abstieß. Zwar konnte er reits ein Stück Fleisch auf seiner Gabel gehabt
sich beim besten Willen nicht als gutaussehend hatte. Zwar war ihm bewusst, dass beinahe alle
bezeichnen, andererseits war der Spiegel aller Mitglieder des Hauses Alantinos einen solchen
Wahrscheinlichkeit nach der einzige innerhalb Luxus für standesgemäße Dekadenz hielten, er
der Mauern des Anwesens, der ihm die reine jedoch fühlte sich dabei lächerlich.
Wahrheit zeigte. „Exzellenz? Könnt Ihr mich hören?“, drang
Das Gesicht in das Darysalias ul Alantinos die schwache Stimme des Dieners bemüht laut
blickte, war grob, wenig charismatisch und ein weiteres Mal in sein Bewusstsein. „Ja!“, ant-
hart. Scharfe Züge um Mund und Nase standen wortete er harscher als der gewissenhafte, alte
in einer paradox perfekten Disharmonie zu der Mann verdient hatte. „Ja zu beiden Fragen!“
fliehenden Stirn und den sanften Augen, die, fügte er dann an, legte mit geschickten Fingern
wie er fand, als einziges körperliches Merkmal die Triopta über die obere Hälfte seines Ge-
zu seiner Gesinnung passten. Obwohl er der sichts und seufzte bedauernd, als die Tür sich
Spross einer Optimatenfamilie war, prangte öffnete und drei kichernde Sklavinnen die Ruhe
kein drittes Auge auf seiner Stirn. Nicht ein mal des Raumes gründlich um ihre Besinnlichkeit
eine Furche oder Kuhle verriet die Abstammung brachten.
des Adelsgeschlechtes. Ein harsches Klopfen an “Eure Anwesenheit bei einem gemeinsamen
der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Abendmahl ist gewünscht, Exzellenz.”, ließ ihn
„Exzellenz? Erlaubt Ihr, dass ich die Diene- Gaiiu wissen, während eines der Mädchen das
rinnen hineinschicke, Euch anzukleiden?“, er- Seidenhemd des Optimaten mit flinken Händen
klang die Stimme des ältlichen Hausdieners schloss. Mit stoischer Miene ließ er das alberne
Gaiiu durch die Holztür. Zeremoniell über sich ergehen und antworte-
te bemüht:”Natürlich, lass sie wissen, dass ich Die Tür seines Gemachs erbebte unter den
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komme.“ Hieben einer kräftigen Faust und die dunkle
Als die zweite Dienerin versuchte die Finger Stimme einer der Wachen ertönte. “Exzellenz?
Darysalias‘ zu spreizen, um einen Ring an seine Das Abendmahl beginnt in Kürze. Ich wurde
Hand zu schieben, riss ihm der Geduldsfaden. gebeten Euch zu informieren und hinab zu be- M
Mit einer groben Bewegung zog er den Arm gleiten.”
zu sich heran und scheuchte alle drei aus dem Darysalias legte sich die Hand flach über die Y
Raum. Augenlöcher der Triopta, die er, wie es bei den
Befreit von der Last einer kriecherischen Die- Alantinos üblich war, auch in den Gemächern R
nerschaft dauerte es nur wenige Augenblicke, des eigenen Hauses selten ablegte, um die Welt
bis er vollständig angekleidet war. Vielleicht um sich herum auszublenden. Jetzt schickte A
hatte er wenigstens noch eine halbe Stunde, bis man schon Wachen, um ihn durch ein paar
einer der hörigen Diener an seine Tür poch- Flure hinab zum Speisesaal bringen zu lassen. N
te, um ihn höflich zu Tisch zu bitten. Begleitet Mit jeder Minute fühlte er sich mehr wie ein
vom leisen Rascheln seiner Tunika betrat er den Gefangener seiner eigenen Familie. Dann aber O
zweckmäßig eingerichteten Raum, der nach öffnete er die Tür, um dem Wachmann den lan-
dem Prunk des Bades, beinahe ärmlich wirk- gen Säulengang hinab zu folgen. R
te – der Raum, der für ihn selbst bereitstand,
wenn er nach Sidor Corabis kam. Den Kopf voll *
mit wenig erbaulichen Gedanken trat er zu den
rundbogigen Fenstern, die ihm den Blick auf Eilig wischte Pheronos sich mit dem grob
den Innenhof des Palastes gewährten. Zwei gewebten Ärmel seiner fleckigen Tunika den
Stockwerke unter ihm war einer der Sklaven Schweiß aus dem Gesicht und wuchtete das
des Haushaltes damit beschäftigt, von einem Heubündel, das er zuletzt von dem Karren ge-
Karren das Heu für die kostbaren, da seltenen hoben hatte, auf den eingezogenen Zwischen-
Pferde seiner gut betuchten Besitzer zu hieven boden des Stalls. Er war nicht für solche Ar-
und in den Stall zu befördern. Der dunkelhäuti- beiten geschaffen, war sein Körper doch eher
ge Bansumiter hatte wohl gerade das Mannesal- schmal und von zierlicher Statur. Angestrengt
ter erreicht. Sein dichtes, schwarzes Haar stand ließ er sich in das weiche Heu fallen und sah
nach allen Seiten ab und einigen Halme Stroh durch die im Licht tanzenden Staubpartikel
stachen hier und dort golden aus den dunklen zur hölzernen Decke des Gebäudes. Er war als
Locken. Pheronos war sein Name, wie Darysa- Sklave geboren worden und würde sicher auch
lias wusste. Der Sklave war ihm schon am Tage als Sklave sterben. Vorsichtig betastete er die
seiner Ankunft aufgefallen, weil er mit Birken- Hautzeichnung direkt über seinem Herzen. Er
rinde und Kohlegriffel auf einem umgekehrten war von Geburt an dazu verflucht, sich niemals
Eimer gesessen und etwas geschrieben hatte. über seine niedere Herkunft zu erheben, denn
Zusammen mit dem ansehnlichen Antlitz des mit Stallarbeit würde er sich nie freikaufen
Jungen hatte das die Neugier des Optimaten ge- können und so flüchtete er sich so oft er konnte
weckt und er hatte verlangt zu lesen, was auf in die schönen Künste. Unter den Deckenbal-
dem Pergament stand. Zu seiner Überraschung ken des Stallgebäudes hielt er Birkenrinde und
hatten sich seinen Augen rührende Verse mit einen groben Kohlegriffel versteckt, mit deren
geradezu meisterhaftem Reimschema offenbart. Hilfe er seine Gedanken niederschrieb, sie von
Ein Werk, dass kaum einem Honoraten zuzu- Zeit zu Zeit sogar in richtigen Gedichten ver-
trauen gewesen wäre, doch keinesfalls einem barg. Stets achtete er darauf seine Zeilen ge-
Sklaven. Hin und her gerissen zwischen der heim zu halten. Zum einen, weil er der Ansicht
Frage wie ein Unfreier die Kunst des Dichtens war, dass sein Innerstes nur ihn selbst anginge,
zu einer solchen Blüte treiben konnte und dem zum anderen, weil die Herrschaft die Zeit, die
Vorwurf, dass er sicher seine Arbeit vernach- er mit dem Schreiben verbrachte, nur zu leicht
lässigen musste, um einen solchen Müßiggang als reine Verschwendung ansehen und ihn stra-
zu betreiben, hatte er einen Moment zu lange fen könnte.
gezögert, so dass Gaiuu ihn gebeten hatte, zu Wie war er erschrocken, als der junge Dary-
eilen, auf das seine Familie nicht zu lange würde salias ihn vor einigen Tagen überrascht hatte
warten müssen ihn zu empfangen. - er konnte von Glück reden, dass der seltene
6 Gast ihm das Geschriebene kommentarlos zu- gen folgten. Selbst nachdem sein Dienst been-
rückgegeben hatte und gegangen war. Trotz- det und er zurück auf dem Heuboden gewesen
dem war ein unruhiges Gefühl in ihm zurück- war hatte er nicht aufgehört, über das was er
geblieben. gehört hatte, nachzusinnenn. Und schließlich
M Mit schmerzenden Armen richtete er sich auf – nach einer durchwachten Nacht – hatte er
und begutachtete ein Stück seiner kostbaren sich an seinem ersten eigenen Sonett versucht.
Y Schreibrinde, um der Furcht vor dem Verbot Bei dem Versuch allerdings war es geblieben.
seiner Leidenschaft Ausdruck zu verleihen. Er war über den Zeilen eingeschlafen und von
R einer zornigen Magd aus dem Stall getrieben
worden, als jemand sein Fehlen bei den anste-
A Man spreche nicht bei kleiner Geister Lei- henden Morgenpflichten bemerkt hatte.
denschaft von Verschwendung! Der Sklave schob sein Schreibzeug zurück in
N Gab die Oktade doch für alles einen Grund. das Versteck über dem Balken. Es war an der
Das Schreiben und das Dichten geben auch Zeit schlafen zu gehen, der morgige Tag käme
O dem Nied‘ren Kraft, früh und mit aller Macht.
verleihen ihm ein Stück Kultur
R und unterscheiden dadurch ihn vom Hund. *

Als der Spross des Hauses Alantinos den luf-


Mit gerunzelter Stirn sah er auf die Zeilen tigen Speisesaal betrat, fand er dort bereits eine
hinab, ehe er nickte. Ein guter Anfang, beson- Auswahl seiner Blutsverwandten versammelt.
ders wenn man bedachte, dass sich Hunger und Rund um die lange, mit Intarsien versehene Ta-
Kraftlosigkeit zusehends in seinen Verstand fel saßen seine Brüder, sein Vater, sein Onkel
drängten. Rasch setzte er den Griffel wieder an, und seine Großmutter. Mit langen Schritten
um der Muse und nicht der Müdigkeit anheim und ohne einen Gruß, der über ein knappes Ni-
zu fallen. cken hinausging, trat er schweigend an seinen
Platz am Tisch. Als sei sein Setzen ein geheimes
Ist’s nicht Pflicht für ein Geschlecht Zeichen gewesen, öffnete sich die kleine Tür
von hohem Adel, zu gestatten, am gegenüberliegenden Ende des Raumes und
nein, zu fördern der Kultur so hohen Glanz? eine Schar von Bediensteten strömte in den üp-
Tut man nicht der Götter Wille, pig dekorierten Raum. Sofort erfüllten die Ge-
ist’s doch Grund zum Tadel! rüche erlesener Gerichte den Raum, als große
So lasst herrschen die Kultur, Platten mit Blutbüffelbraten, kleinere Teller mit
lasst sie herrschen voll und ganz. gekochtem Distelkohl und Schüsseln gefüllt
von süßen Bohnen auf dem großen Tisch ver-
teilt wurden. Während die Diener noch weitere
Mit dem Gefühl in seinen Armen kehrte auch Köstlichkeiten auftrugen, ließ Darysalias seine
das Lächeln in sein Gesicht zurück. Selbst wenn grauen Augen über die Anwesenden schwei-
er niemals den Posten eines Schreibers inne fen. Seine beiden älteren Brüder Roxdorenes
haben würde, denn die Alantinos brauchten und Dracsyru, beide Männer in ihren besten
Stallburschen, um ihrer Pferdenarretei zu frö- Jahren, saßen ihm in gewohnter Eintracht ge-
nen und keine Schreiber, von denen sie reich- genüber. Selbst jetzt, am Esstisch ihrer Familie
lich besaßen, so war es doch nicht verschwen- sahen die Zwillinge sich misstrauisch um und
det gewesen sich von dem alten Gaiuu zeigen flüsterten miteinander als planten sie einen
zu lassen wie man Buchstaben ausspricht. Es Mord – was Darysalias keinesfalls als unmög-
war dem Bansumitersklaven erstaunlich leicht lich betrachtete. Als er dem Blick Dracsyrus
gefallen, auf diesem Wissen selbsttätig aufzu- begegnete, sah er rasch zu seinem Vater hinü-
bauen. Nur einen Abend lang hatte Pheronos ber. Xarbolos dyr Alantinos war ein stattlicher
geholfen bei einer Feier die Speisen aufzutra- Mann mit einem dünnen Schnurrbart und den
gen und in dieser Zeit hatte er den Sonetten der scharfen Augen eines Adlers. Jede Bewegung
Dichter gelauscht. Stunde um Stunde hatte er unter dem seidenen Stoff der Tunika, war rei-
neben seiner dienenden Arbeit versucht, den ne Berechnung und wirkte beinahe kunstvoll.
Aufbau nachzuvollziehen, dem die Dichtun- Die dunklen Haare, die seiner Familie seit jeher
zu Eigen gewesen waren, trug der Mittvierzi- Die Macht dieser alten, spindeldürren Frau
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ger mit Hilfe von Öl nach hinten geglättet und stand jedenfalls außer Frage, obwohl ihre Haa-
seine Triopta entsprach nicht der Norm. Das re bereits weiß, ihre Falten tief und ihr Mund
linke Augenloch wurde von oben nach unten verkniffen waren. Stumm saß sie am Kopfende
von der stilisierten Kerbe eines Schwerthiebs des Tisches, die Augen weit offen, wie um der M
geziert. Diese Art des Schmucks war eine un- Blindheit zu trotzen. Knochige Hände hoben
ausgesprochene Warnung an alle Widersacher. sich aus den Ärmeln ihrer Wickelrobe als sie Y
In einer Nacht vor gut sieben Oktalen hatte es mit überraschend fester Stimme verkündete:
einen Angriff auf das Leben seines Vaters ge- ”Esst. Es sei euch gestattet.” R
geben. Zwar war die Triopta bei dem Angriff Sofort kam Bewegung in die Verwandtschaft.
glatt durchschlagen und das linke Auge darun- Das Klirren von Besteck auf Tellern und Ton- A
ter nur knapp verfehlt worden, Xarbolos aber krügen an Kelchrändern begann den Raum zu
war es gelungen zu entkommen und Rache zu erfüllen. Nur Hordanion lehnte sich zurück N
nehmen. und sah den anderen zu. Während des Mahls
Nichts hatte seinen Geschäftseifer dämpfen herrschte dankenswerte und ungewohnte Stil- O
können, auch dieser Angriff nicht. Die Jahre le unter den sonst so schwatzhaften Adeligen
hatten ihm ansehnliche Verbindungen zu den des Hauses Alantinos. Alleine mit sich, seinen R
Eigentümern verschiedenster Geschäfte ge- Gedanken und dem hervorragenden Essen auf
bracht, so dass man niemals sicher sein konnte, dem Teller sank Darysalias in eine trügerische
an welchen der Betriebe er beteiligt war und an Geborgenheit. Er nahm kaum wahr, dass nach
welchen nicht. den ersten stillen Minuten die üblichen Gesprä-
“Starr deinen Vater nicht so an Darysalias. che und der Tratsch aufzuflammen begannen.
Du siehst aus wie ein trauriger Blutbulle, wenn Neueste Informationen, wichtig oder unwich-
du so da sitzt.”, erklang die leise Stimme Hor- tig wurden ausgetauscht. Jeder hatte eine Ge-
danions tir Alantinos an seiner Seite. Darysali- schichte davon zu erzählen, von wie vielen
as Onkel saß in seinem fließenden Macalar am Hochrangigen er bewundert worden, wer ihm
Tisch und hatte die Beine gemütlich überein- eine Gefälligkeit schuldig war und wer schlech-
ander geschlagen. Zwar waren seine Schultern ten Modegeschmack bewiesen hatte.
weniger breit als die seines älteren Bruders, Erst beim dritten Mal reagierte er auf die nun
aber es war kaum zu verleugnen, dass sich un- harscher gestellte Frage seiner Großmutter.
ter den edlen Gewändern ein kräftiger Körper “Darysalias! Ich fragte, ob du dich der Kiche-
verbarg. Darysalias selbst empfand seinen Ohm rerbse aus dem Hause Eupherban entsinnst!”
stets als ein wenig unheimlich – nicht zuletzt Für einen Moment war er von der Frage zu
deshalb, weil er noch niemals sein Gesicht ge- irritiert, um sofort zu reagieren. Die “Kiche-
sehen hatte. Stets trug er eine Triopta in Voll- rerbse” war der Name, den seine Familie seit
maskenform, die zwar vergoldet, graviert und der ersten Begegnung für die jüngste Tochter
aufwändig mit Edelsteinen geschmückt war, des Hauses Eupherban hier in Sidor Corabis
ansonsten aber ein leeres, standardisiertes Ge- nutzte. Tatsächlich lautete ihr Name Flavimelia
sicht zeigte. tyr Eupherban und sie war die Großnichte des
“Nun starrst du mich auf die selbe Weise an, greisen Horas Velachos III., doch ließ sich nicht
Neffe. Das macht die Sache nicht besser, weißt verleugnen, dass ihr Spitzname den Nagel auf
du?”, lachte Hordanion offenkundig hinter sei- den Kopf traf. Nach allem was er wusste, be-
ner Maske und klopfte dem Angesprochenen gegnete sie ihrem Gesprächspartner nur all zu
kurz gegen die Schulter, ehe er sich abwandte gerne mit Spott, lachte viel und gerne und ver-
um eine Frage seines Bruders zu beantworten. höhnte jeden, der sich nicht mit ihrem schar-
Unabgelenkt glitt der Blick Darysalias zu fen Witz messen konnte. Viele sagten, dass dies
seiner Großmutter hinüber. Durch die Augen- der Grund sei, dass sich trotz ihrer offensicht-
löcher ihrer Triopta blickten milchig weiße lichen Jugend und Schönheit und der hohen
Augen, geschlagen von Blindheit. Trotz dieser Stellung ihres Hauses noch immer kein rech-
Schwäche stand sie dem Palast in Sidor Corabis ter Mann für sie gefunden hatte. Freier um ihre
vor. Es gab das Gerücht, dass der Verlust ihres Hand gab es zur Genüge, aber sie hatte bisher
Augenlichts im Gegensatz zu dem weit geöff- keinen einzigen gewollt. Auch ihrer diplomati-
neten schwarzen Auge auf ihrer Stirn stand. schen und beherrschten Familie kam die alber-
8 ne Gesinnung ihrer Jüngsten nur zu ungelegen. stützen soll, verboten!” Der amüsierte Zug um
“Sicher erinnere ich mich, Großmutter. Ich habe ihren Mund war Verbissenheit gewichen.
sie lange nicht gesehen.”, antwortete er rasch, Taumelnd erhob sich Darysalias und woll-
denn wie fast jeder Alantinos hasste sie nichts te schon gehen, als er sich seiner Manieren
M mehr als übersehen oder überhört zu werden. entsann. “Erlaubt Ihr, dass ich mich entferne,
“Oh mein Junge, dazu sollst du bald Gelegen- Großmutter?”, murmelte er in das abebbende
Y heit bekommen. Ihr Vater hat verkünden las- Lachen.
sen, dass er sein Wort darauf gibt, seine begeh- “Natürlich. Geh mein Junge, geh und bereite
R renswerte Tochter dem zur Frau zu geben, dem dich auf deinen großen Auftritt vor. Du wirst
es gelänge sie mit dem Vortrag eines Gedicht- wie alle Freier in den nächsten drei Tagen drei
A chens zu Tränen zu rühren.”. Ein Schmunzeln Versuche haben, um ihre Tränen hervorzulo-
legte sich um ihren strichförmigen Mund, als cken.”
N sie eine effektheischende Pause einlegte. “Ich Als er wieder allein war, fühlte er sich müde
möchte, dass du es bist, der ihr diese Tränen und kraftlos. Natürlich hatte er früh gelernt,
O entlockt, Darysalias.” dass es wichtig war andere beeindrucken zu
Schlagartig wurde es still im Raum. Der An- können, allerdings hatte er nie ein Händchen
R gesprochene konnte spüren, wie die Blicke der für all dies Blendwerk und die Poesie gehabt.
anderen sich an ihn ketteten und er musste sich Der Abend war schon weit vorangeschritten.
zwingen den Kopf erhoben zu halten. Mit schnellen Schritten ließ er den Gang, der
Seine Großmutter sprach ungerührt wei- zu seinen Gemächern führte, hinter sich und
ter. “Du weißt natürlich, dass Flavimelia die zog den Schlüssel aus seiner Tunika, mit dem
Großnichte unseres geschätzten Horas ist. Ich er sein Zimmer abzusperren pflegte. Dort an-
gedenke uns mit deiner Vermählung an sie zu gekommen, entriegelte er die Tür, stieß sie auf
binden, um wieder an Einfluss zu gewinnen. und zuckte erschrocken zusammen. Direkt vor
Also wirst du diesem Küken wahre Tränenströ- ihm, knapp außerhalb der Reichweite der auf-
me entlocken.” schwingenden Tür stand sein Onkel, die Hände
Hordanion begann als erster zu lachen. Von auf dem Rücken verschränkt und einen listigen
einer Sekunde auf die andere dröhnte seine Glanz in den Augen.
ganze Triopta von tief empfundenen Amüse- “Wie...wie bei der Oktade, konntest du vor
ment und schlagartig begannen die anderen mir hier sein? Und die Tür sie... Sie war...”
einzustimmen. Stocksteif saß Darysalias auf “...verschlossen?”, führte Hordanion den Satz
seinem Platz. Es konnte unmöglich der Wille an seiner Statt zu Ende und schmunzelte cha-
seiner Großmutter sein, ihn mit dieser Göre zu rismatisch. “Ich nutzte Wege, die andere anleg-
vermählen. Noch dazu war er ohnehin als der ten. Übrigens etwas, das auch du tun solltest.”,
am wenigsten Wortgewandte seiner Familie be- ließ er ihn wissen und deutete seinem Neffen
kannt, voll von Gedanken, aber ein Krüppel an mit einem Wink ihm zu folgen.
Worten. Während des anhaltenden Gelächters
traf eine sanfte Berührung sein Handgelenk. *
Die Maske seines Onkels hatte zu beben aufge-
hört und unter der Deckung des offensichtlich Zur Mittagsstunde des nächsten Tages melde-
absichtlich provozierten Lachens konnte er die ten die Wachen am Tor des Palastes der Familie
leise Stimme des Mannes hören. “Kein Grund Eupherban den Besuch eines Freiers. Begleitet
sich zu fürchten, Neffe. Die Frau ist hübsch und von wehenden Bannern mit den drei Kronen
wenn sie erst einmal geweint hat, wird sie es seines Hauses, einer Handvoll geschniegelter
auch wieder tun. Sie ist eine gute Partie und ich Wachen und weiteren Hofschranzen in schicker
werde dir nach Kräften helfen. Ein wenig Ma- Aufmachung, schritt Darysalias den Kieselweg
gie und du wirst reden wie ein Meister der So- entlang auf das Hauptportal zu. Seine Triopta
nette.” Ein gut gelauntes Zwinkern verdunkelte funkelte golden und silbern im Licht des Braja-
das rechte Augenloch der Volltriopta, ehe die ngestirns. Einzelne Lichtstrahlen brachen sich
Stimme der Hausältesten die Luft durchschnitt. in kleinen Edelsteinen, die die Augenlöcher der
“Ich mag blind sein, aber nicht taub! Du wirst Maske umgaben und an der hellroten Linie aus
ihm nicht helfen Hordanion! Der alte Eupher- Glasfluss, mit der das eingearbeitete schwarze
ban hat jegliche Magie, die den Vortrag unter- Auge betont wurde. Umschmeichelt von Samt
und Seide, angetan mit funkelndem Schmuck diehen. An den Wänden hingen Wandbehänge
9
und der roten Farbe auf seinen Wangen fühl- mit dem Wappen der Eupherban und von dem
te er erneut diese beschämende Lächerlichkeit Tor aus führte ein dicker, roter Teppich in gera-
mit der seine Familie sich so gerne hervorzu- de Linie zur hinteren Querwand der Halle, wo
tun suchte. Sein Oheim jedoch hatte ihm ver- er zu Füßen eines Marmorthrons endete. Dort M
sichert, er sähe unvergleichlich aus. Hordanion saß in aufrechter Haltung Flavimelia tyr Eu-
hatte ihn letzte Nacht durch den ganzen Palast pherban, deren flammend rotes Haar glatt über Y
geführt, bis tief in die untergründigen Gewöl- ihre Schulter nach vorn gekämmt war und ihre
be. Ein Raum voller Papiere, ein altes Archiv, silberne Triopta wie eine Mähne einzurahmen R
hatte sich dem Optimatensohn dort offenbart. schien. Als er sich näherte, konnte er die An-
Sein Onkel überreichte ihm dort eine Schatulle, deutung von Sommersprossen erkennen, die A
die zu Darysalias‘ Überraschung eine Gedicht- weder Puder, noch die Triopta hatten verde-
sammlung enthielt. Wie sein Ohm ihm versi- cken können. Lange Schleppen lagen über die N
cherte, wurde diese Sammlung schon seid Ge- Armlehnen des hohen Throns geworfen und
nerationen in der männlichen Linie des Hauses flossen die Stufen hinab, die zu dem Mädchen O
weitervererbt und von jedem Erben um einige hinaufführten.
Stücke bereichert. Die berühmten und angeb- Von irgendwoher verkündete eine Stim- R
lich spontanen Sonette des Hauses Alantinos me:”Es tritt ein: Darysalias ul Alantinos!”
zum charmanten Lob für die Schönheit einer Als seine Begleiter am Tor zurückblieben,
Dame entsprangen, so erzählte er belustigt, fühlte er sich plötzlich einsam und musste sich
von Zeit zu Zeit einer Kiste wie dieser. bemühen den Raum ohne Zögern und festen
Seufzend rieb sich Darysalias mit der linken Schrittes zu durchqueren und in vollendeter
Hand die Augen, während er mit seiner Rechten Galanterie vor der jungen Frau niederzuknien.
den geraden Optimatenstab aus dem Kernholz “Ich grüße Euch, Schönste der Schönen! Erlaubt
mayenischer Esche fest umklammert hielt. Er mir Euch eines meiner Gedichte vorzutragen.
hatte von Geburt an unter seiner eigenen Fami- Es entstand – das versichere ich Euch – nur zu
lie gelitten. Stets war er als unerfahren, linkisch Euren Ehren!”, versprach er ihr, so wie sein On-
und unvorbereitet belächelt worden. In auffäl- kel es ihm aufgetragen hatte und entrollte noch
liger Mode Aufmerksamkeit zu erheischen, immer auf einem Knie ruhend, das Pergament.
sich mit den richtigen Worten anzubiedern und Schon als er seinen Vortrag über Schönheit,
hochtrabend daherzureden war nicht seine Art Verlust und Neugewinn begann, strauchelte
zu leben, wohl aber die, die schon immer von seine Zunge bei einem Wort des zweiten Verses
ihm erwartet worden war. Nervös schloss er und zwang ihn erneut zu beginnen. Am Anfang
seine Hand um das Pergament. Er hatte eini- der zweiten Strophe begann das Kichern über
ge Stunden damit verbracht es aus dem Fun- ihm, verhalten erst, doch immer heftiger. Als
dus seines Onkels herauszusuchen und obwohl er das Sonett mit glühenden Wangen zu einem
er nicht viel von derlei Dingen verstand, war eher unglücklichen Ende brachte, war das Ki-
er doch guter Dinge, dass es möglich war eine chern zu einem spöttischen Lachen angewach-
Dame mit solcherlei Versen zu Tränen zu rüh- sen.
ren. Schließlich erhob er sich stirnrunzelnd. Nicht
Vor ihm erhob sich der Palast. Der ursprüng- ob des Lachens. Wäre er nicht der arme Tor ge-
liche Pylonenstil, der im wesentlichen auf der wesen, der sich zum Narren gemacht hatte, so
Verwendung dicker trapezförmiger Eingangs- hätte vielleicht sogar ihm der ärmliche Vortrag
fronten fußte, war durch Glas, Wind- und ein Lächeln abgerungen. Nein, vielmehr muss-
Luftfänge durchbrochen worden und ließ den te er sich über das Gefühl wundern, das Besitz
Palast auf diesen Weise heller und offener wir- von ihm ergriffen hatte. Ihn quälte der Gedanke
ken. Als er den Fuß der ausladenden Freitreppe versagt zu haben. Er hatte seine Aufgabe nicht
erreichte, wurde das Hauptportal der Anlage erfüllt.
von innen geöffnet und gab den Blick auf eine “Darysalias ul Alantinos, hätte ich jemals
marmorne Halle frei. An ihren Längsseiten er- einen Funken Zuneigung für Euch empfun-
hob sich jeweils eine Reihe von Säulen, die den den, so hätte ihn Euer erbärmliches Sonett im
Blick auf die gepflegten Gärten freigaben, die Keim erstickt.”, ließ ihn die Tochter des Hau-
mit weißen Statuen bestückt im Innenhof ge- ses Eupherban wissen, ehe sie in einen weite-
10 ren Lachanfall ausbrach. Mit einer steifen Ver- “Ich… Setz dich einfach neben den Zuber,
beugung empfahl er sich und floh geradewegs ja? Ich möchte mich nur mit dir unterhalten.”
dem Ausgang entgegen, wobei er den Weg des Als er die rechte Hand hob, um ihr mit einla-
nächsten Freiers kreuzte. Seiner Triopta nach dendem Gestus die Erlaubnis zu erteilen sich
M ein Sohn des Hauses Illacrion, eine Künstlerna- zu setzen, bespritzte er sie ungewollt mit dem
tur also. Darysalias gab sich alle Mühe ihn und duftenden Badewasser.
Y sein kurzes, abfälliges Grinsen zu übersehen. “Verzeiht, O Exzellenz, dass ich den Flug
Der Tag war noch jung, vielleicht gab es eine Eures Wassers unterbrach.”, erlaubte sie sich
R zweite Gelegenheit, sich zu beweisen. zu witzeln. Das kecke, dennoch unschuldige
Lächeln auf ihren Lippen beraubte ihn der Fä-
A higkeit zu einer passenden Antwort, sodass er
Im heimischen Palast rief Darysalias nach wenig geistvoll zustimmend nickte, als sie sich
N einer Sklavin, die ihm ein Bad bereiten sollte. neben das Bad sinken ließ. “Nun Exzellenz,
Als er wenig später die feuchte Hitze des hei- worüber möchtet Ihr reden?” Die intensiven
O ßen Wassers spürte, die seinen Körper umgab, Augen musterten die unansehnlichen Teile sei-
entspannten sich seine Muskeln. Es war an der nes Gesichts, die nicht von der Triopta bedeckt
R Zeit den Kopf frei zu bekommen, sich zu ent- wurden ohne Scheu.
spannen und sich dann eingehend mit den Feh- “Wie ist Euer Name?”, entgegnete er rasch.
lern seines Vortrages und einem neuen Sonett Die Frage war unverfänglich und ließ ihm Zeit
zu befassen. sich ein sinnvolles Thema zu überlegen. Mit ei-
“Sklavin!”, rief er über die Schulter. “Kommt nem beinahe verschämten Lächeln antwortete
her und unterhaltet mich. Ich hatte einen schwe- sie.
ren Tag!” Mit einem leisen Seufzen ließ er sich “Cassyina, Exzellenz.” Mit ihren einnehmen-
tiefer in die wohlige Wärme des Wassers gleiten den grünen Augen sah sie ihn einen Moment
und schloss die Augen, während er die Schritte abwartend an, ehe sie ihren Blick scheu senkte.
der barfüßigen Dienerin hören konnte, die die Darysalias‘ Kopf fühlte sich plötzlich
Badewanne umrundete, um in sein Blickfeld zu schrecklich leer an. “Sag mir, wie kann man
treten. Dann erklang eine samtige Frauenstim- dich zu Tränen rühren?”, flüsterte er, vollkom-
me, die ihn tief in seinem Innersten zu berüh- men vereinnahmt von der Schönheit des einfa-
ren schien. “Selbstverständlich, O Exzellenz.” chen Mädchens. Erst als sich eine ihrer Brauen
Verblüfft öffnete er die Augen. Vor der Wanne vorsichtig hob, begriff er, was er gefragt hatte.
stand eine hochgewachsene Frau, die vielleicht Für einen Moment war er versucht ihr zu er-
ein wenig jünger war als er selbst. Die sanft ge- zählen, dass er von ihr Hilfe dabei erwartete
lockten Haare umspielten ein Gesicht von rei- Flavimelia zu erobern, dann aber überwog die
ner Schönheit und erinnerten ihn farblich an Erleichterung darüber, dass er es gewagt hat-
Kastanien im Herbst. Mandelförmige Augen te dieser Schönheit, Sklavin hin oder her eine
von beruhigendem Grün, eine schöngeformte solche Frage zu stellen. Beinahe bang erwartete
Nase und ein voller, dunkler Mund verbünde- er ihre Antwort, als sich die gehobene Braue
ten sich mit der bronzenen Farbe ihrer Haut zu senkte und einer ihrer Mundwinkel zum Aus-
einer unwiderstehlichen Anziehungskraft, die gleich in die Höhe schnellte.
ihn ohne jede Vorwarnung traf. Die schlanken “Eine ungewöhnliche Frage, aber schon der
Finger der Frau waren bereits damit beschäftigt Wunsch lediglich mit mir zu reden war bereits
die Kordel zu öffnen die ihre Tunika an dem ungewöhnlich, wenn Ihr gestattet O Exzellenz.
wohlgeformten Leib hielt, als er realisierte was Es gibt viele Dinge, die mich zu Tränen rühren.
sie tat. “Warte!”, brachte er hervor. “Ich meinte Die Liebe eines Welpen zu seiner Mutter, die
damit nicht DIESE Art der Unterhaltung.” Zum Geschichten alter Erzähler auf dem Markt...”,
zweiten Mal an diesem Tag spürte er wie seine seine Gedanken spülten die Worte davon. Zwar
Wangen brannten und er war sich sicher, dass haftete sein Blick auf ihrem Gesicht und von
seine Handflächen auch dann feucht gewesen Zeit zu Zeit nickte er zu dem was sie sagte, doch
wären, wenn er nicht in einem Badezuber ge- hörte er ihre Worte nicht. Vor seinem inneren
sessen hätte. Diese Sklavin hatte das gewisse Et- Auge sah er, was für eine Behandlung der Skla-
was. Wo seine Familie sie wohl erstanden hatte? vin wohl durch seine Verwandten widerfahren
Die Frau musste ein Vermögen gekostet haben. war. Wie harsch sie ihre Jugend und Schönheit
vernichten würden, wenn dadurch ein Feld Innentasche, um sicher zu gehen, dass sie noch
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mehr bestellt wäre. Er würde nichts anderes an ihrem Platz war. Er fühlte sich wie in einem
sein können als ein Herr über diese Sklavin. Traum. Mitten in der Nacht hatte ihn ein Wach-
Und doch: Die Vorstellung diese hier zum Wei- habender geweckt und ihn, verschlafen wie er
be zu nehmen war eine schöne und er ertappte war, quer durch den Palast in das Zimmer des M
sich dabei, wie er darin schwelgte, ehe er sich jungen Optimaten Darysalias gebracht. Dort
zwang wieder ihren Worten zu lauschen. Ihre hatte nicht nur der Optimatenspross selbst auf Y
Finger glitten gerade nachdenklich durch sein ihn gewartet, sondern auch dessen Onkel, ein
Badewasser und berührten dabei wie zufällig Mann, der ihm von jeher Angst eingeflößt hat- R
seinen Oberarm, doch sprach sie noch immer. te. Sie hatten befohlen über das Treffen Still-
“...und natürlich die Gedichte von Pheronos. schweigen zu bewahren und dann einen Plan A
Sie sind wunderschön, mitten aus dem Leben offenbart, den sie im Bezug auf irgendeine an-
gegriffen und nicht so... hochgestochen.” Sie dere Optimatin hatten. Zwar hatte der Stallbur- N
atmete leise durch. “Er ist ein netter Junge und sche nicht alles verstanden, aber sein Teil des
ich mag seine Gedichte sehr, aber niemals hät- Plans sah offenbar vor, dass er durch einen ge- O
te ich freiwillig mit ihm das Lager geteilt. Wir konnten Illusionszauber des älteren Alantinos
sind nur Freunde, ich...” in die Form des jungen Darysalias gebracht, R
Sie verstummte als der Optimat seine Hand eine Optimatin namens Flavimelia durch ei-
Einhalt gebietend anhob. “Ihr seid gezwungen nes seiner Sonette zu Tränen rühren sollte, die
worden das Lager mit ihm zu teilen?”, fragte ansonsten immer nur lachen und auslachen
er eilig und runzelte die Stirn. In seiner Brust konnte. Worum es genau ging, wusste er mit-
spürte er einen fragwürdigen Stich. Erleichtert nichten. Aber die Aussicht eines seiner Sonette
sah er mit an, wie sie ihren Kopf schüttelte. vor einer Optimatin vorzutragen, machte ihm
“Nein Exzellenz. Noch nicht. Aber eure Herzklopfen – viel mehr als es gut war. Am
Cousine äußerte den Wunsch, dass ich mich Vorabend hatte der Oheim des jungen Adeligen
mit ihm paaren solle. Sie möchte einen Hauss- ihn zu beruhigen versucht: ”Du brauchst keine
klaven, der eine Mischung aus ihm und mir ist, Angst zu haben, Junge. Das tragen einer Tri-
da sie unser Äußeres so sehr schätzt.” opta zieht nur die Todesstrafe nach sich, wenn
Darysalias‘ Nackenhaare hoben sich bei dem sie echt ist. Du trägst nur eine Illusion, dafür
bloßen Gedanken. Seine Cousine war kaum 10 wird dir bestenfalls eines, vielleicht zwei deiner
Oktaden alt, die Entscheidung ihrem Wunsch Glieder abgetrennt.”
nachzugeben war Wahnsinn, sogar für seine Noch einmal schluckte der Bansumiterskla-
Familie. ve schwer, während er sich auf dem roten Tep-
“Du sagst Pheronos‘ Gedichte rühren dich pich dem Thron näherte auf dem er die klein
zu Tränen?”, damit erhob er sich rasch aus der gewachsene, filigrane Gestalt seines Ziels aus-
Wanne. “Ich werde mich erst um mein Problem machen konnte. Als er schließlich am Fuße der
kümmern und dann um deines.” Die Ellenbo- prächtigen Sitzgelegenheit angelangte, stand
gen auf dem Steinrand seines Bades abgestützt, ihm der Mund offen und er war außer Stande
hob Cassyina bei dem Anblick seines nackten sich daran zu erinnern, was er zu tun hatte. Das
Körpers und in Folge seines letzten Satzes die rot schimmernde Haar der Frau, deren Tränen
Brauen an. “Ihr seid ein Mann von wahrhafter er brauchte, war vollkommen anzusehen. Die
Größe.”, entkam es ihr, ehe sie sich aufmachte Lippen, die sich unter ihrer Triopta abzeich-
ihm ein Handtuch zu besorgen. neten hatten einen ähnlichen Farbton wie ihr
Haar und waren offensichtlich mit etwas be-
* stäubt, das er nicht kannte. Auch ihr Kinn war
von gezeichneter Anmut. Welch ein raiaisches
Pheronos fühlte sich unwohl zwischen all Geschöpf! Ohne nachzudenken ließ er sich auf
den Höflingen und Gerüsteten. Jeder, der ihm die Knie sinken.
auf dem Weg zum Palast der Eupherban begeg- “Oh Herrin über mein Herz. In diesem Mo-
nete, neigte das Haupt und lächelte ihm in Eti- ment ist es mir unbegreiflich, dass ein Wesen
kette zu. Immer wieder rieb er seine Handflä- Eurer Vollkommenheit auf mich zeigen und
chen nervös an den edlen Stoffen ab, die er trug mich verlachen kann.”, murmelte er, ohne zu
und tastete nach der Pergamentrolle in seiner begreifen, dass er damit beinahe jene Worte
12 wählte, die ihm aufgetragen worden waren. ben zu lassen. Erst nach einer Minute erhobt
“Wenn Ihr erlaubt, dann will ich Euch ger- sie sich räuspernd. Schließlich hatte sie sich ge-
ne vortragen, was ich heute Nacht für Euch sammelt.
schrieb, ohne Euch wirklich zu kennen.” Die “Ich danke Euch für dieses rührende Sonett,
M Welt um den Sklaven und die Optimatin herum Darysalias. Es war wunderschön und doch
war für ihn vergessen. Obwohl er wusste, dass traurig. Ihr dürft gehen und ich freue mich dar-
Y er es nicht brauchen würde, zog er das Perga- auf Euch morgen wieder zu sehen.” ließ sie ihre
ment aus der Innentasche seines Macalars und helle, klare Stimme erklingen. Ihr Blick folgte
R begann erfüllt von feurigen Leidenschaft und dem Optimaten, der sich erhob und mit federn-
passionierter Inbrunst vorzutragen, was er in den Schritten zum Hauptportal schritt. Es sollte
A stiller Stunde ersonnen hatte. lange dauern, bis sie ihren Blick von ihm ab-
wenden konnte. Sie hatte nicht geweint, aber
N auch nicht gelacht.
Verstummt ist rund um uns die ganze Welt,
O beschämt von deiner Schönheit hält sie inne.
So formen wir die Stunden, die uns bleiben, Nicht alle verfolgten den Abgang des fal-
R wie’s uns gefällt. schen Optimaten mit gerührtem Gefühl. Fla-
Wir feiern uns, vrao tyr Illacrion sah dem Freier mit vereng-
erfahren uns mit jedem unserer Sinne. ten Augen nach. Etwas stimmte ganz und gar
nicht. Noch gestern hatte er beobachtet, wie
Und wenn dereinst der Tod der Spross des Hauses Alantinos mit fliegenden
mich deiner Seit’ entreißt, Fahnen untergegangen war. Heute aber beein-
sich bahnen Weg‘ der Trauer druckten die Verse des eitlen Narren die Hof-
und des Kummers in dein Herz, schranzen und auch die Herzdame. Eine Nacht
so ist es doch die hehre, genügte in keinem Fall, um von einem erbärm-
echte Hoffnung wie es heißt, lichen Stümper zu einem eifrigen Meister zu
die dich tröstet, wiegt und wissen macht, wie werden. Nicht, wenn alles mit rechten Dingen
du dich schützt vor Schmerz. zuging. Vielleicht hatte der Zögling dieser Ban-
de von Schmarotzern sich seiner eigenen Art
Sitzt du dann allein auf deinem hohen Throne, der Magie bedient, trotz des Verbotes. Eine
allein in dieser Halle, Kontrolle gab es nicht, denn alle Freier hatten
sei nicht bang und versprich mir, ihr Ehrenwort gegeben, die Zunge nicht mit
fühle einsam dich nicht. Magie zu versüßen und in Corabeniu hielt man
Einsam sagt man sind die Witwen, für gewöhnlich sein Wort, also gab es keine
doch trifft das wirklich alle? Kontrolle. Wütend bleckte er die Zähne. Tief in
seiner Künstlerseele wollte er sich gegen die-
Nicht alle, viele, ja, se Schmach wehren, die ihm so eben von die-
doch sicher ist nicht jede arme Witwe gleich. sem Possenreißer beigebracht worden war. Am
Im Tod als Geist sitz’ dann ich bei dir, morgigen Tage würde er vorbereitet sein und
nehm in die Hände dein Gesicht. wissen und dafür sorgen, dass der Scharlatan
Dort werd ich warten, trösten, lieben, enttarnt wurde. Mit einer gereizten Geste wies
bis auch du eingehst in Neretons Reich. er seinen amaunischen Begleiter an ihm zu fol-
gen. Niemand beleidigte den Kunstsinn eines
Illacrion ungestraft.
Als der scheinbare Optimat zu ihren Füßen
geendet hatte und ihr seine Augen aus den *
Aussparungen der Triopta entgegen flammten
herrschte Stille in der großen Halle. Flavime- In dieser Nacht konnte Flavimelia nicht
lia lachte nicht. Der Gedanke daran einen Ge- schlafen. Die Euphorie, die sich ihrer während
liebten zu haben und zu verlieren, der ihr die des Sonetts bemächtigt hatte, war inzwischen
Treue über den Tod hinaus erhielt, ohne dafür dem Zweifel gewichen. Natürlich war ihr letzt-
jemals auf eine Belohnung hoffen zu können, endlich nicht verborgen geblieben, dass es für
schien ihr das Lachen im Halse stecken blei- den Mann, der am gestrigen Tage derart ver-
sagt hatte, eigentlich unmöglich gewesen war te eine Frau vor Anstrengung, ansonsten war
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nach nur einer Nacht Bedenkzeit ihr seine Lie- nichts zu hören. Das Grinsen auf ihren Lippen
be auf eine derart ehrliche Weise zu erklären, blieb bestehen. Eine einzige Person, die schwer
wie er es heute getan hatte. Es war vollkommen zu tragen hatte – die perfekte Gelegenheit.
gewesen. Nie zuvor hatte sie, die sie so gerne Noch einmal überprüfte sie den Sitz ihrer Ver- M
lachte, so viel gedankenvollen Ernst gespürt. kleidung, dann ging sie betont auffällig um die
Mit einer schwungvollen Bewegung verließ Mauerecke und schlurfte im trüben Licht einer Y
sie das Bett und verbarg ihr Gesicht, die kleine, Laterne zu der Dienerin mit wunderschönem,
waagerechte Kerbe in ihrer Stirn mit der Tri- lockigem Haar, die gerade daran versagte, die R
opta. Sie musste die Wahrheit wissen und die schweren Mehlsäcke an ihren Bestimmungs-
harrte nur an einem Ort ihrer Entdeckung – im ort zu transportieren. Die Dunkelhaarige sah A
Palast des Hauses Alantinos. auf, als die Magie Flavimelias sie traf. Belus-
Schnell und leise schnürte sie ein Bündel, das tigt nahm die Optimatentochter den verklären, N
hauptsächlich eine Perücke, untypische Klei- schwärmenden Ausdruck der grünen Augen
dungsstücke und einen falschen Bart verbarg, der Frau wahr. Sie war nicht besonders gut im O
ehe sie die Flure ihrer Gemächer hinter sich Umgang mit der Magie und wie es schien über
ließ. das Ziel hinausgeschossen. Aber das war nicht R
Nur wenig später hatte sie ohne Triopta, mit wichtig, die Wirkung des Zaubers würde noch
einer dunklen, eher schäbigen Perücke über vor Ablauf der Nacht verfliegen und diese Skla-
dem auffälligen Haar und mit der Kleidung ei- vin würde ihr gegenüber nun sehr viel aufge-
nes männlichen Dieners die hohen Außenmau- schlossener sein.
ern ihres Ziels erreicht. Die Hosen aus rauem “Guten Abend schönste Frau. Wie ist Euer
Leinen scheuerten auf ihrer Haut, aber es war Name?”, fragte die männliche Flavimelia mit
ein nötiges Übel, wie sie wusste. Steil ragte das der tiefsten Stimme zu der sie fähig war.
Gemäuer vor ihr in den Nachthimmel – es er- Wie in einen Bann gezogen entkam es dem
schien unmöglich, es zu überwinden. Zu ihrem zugegebenermaßen schön geformten Mund der
Glück war das aber auch nicht notwendig. Es Sklavin: ”Cassyina...”
lag ihr im Blut Informationen, die sie brauchte “Gut Cassyina!”, sie musste lächeln, wäh-
zu bekommen und sie dann in aller Heimlich- rend sie sich prüfend umsah und die schuften-
keit zu nutzen. Sie hatte in Erfahrung gebracht, de Dienerin mit sanfter Gewalt in den offenen
dass die Optimaten des Hauses Alantinos ver- Küchenraum schob, der das Ziel der Mehlsäcke
boten hatten, den Tag über die Einfahrt ihres sein sollte.
Palastes mit der Anlieferung von Vorräten zu “Ich habe gehört, dass unser Herr mit einem
verstopfen, sodass die Nahrungsmittel und an- wunderschönen Sonett bei … der Kichererbse
dere Notwendigkeiten für die großen Küchen Eindruck gemacht hat, ist das wahr?”
stets in der Nacht herangeschafft wurden. Sich Sie zwang sich zu einem möglichst männli-
auf einem der Wagen zu verstecken stellte für chen Lachen. Sie hasste den Spitznamen, den
sie keine große Herausforderung dar. Mitten in man ihr gegeben hatte, aber was sollte man von
der Stadt wurden die Karren nicht besonders einem Alantinos schon erwarten?
kontrolliert. Bei offensichtlichen Diebstählen Die Antwort der Sklavin kam gänzlich un-
oder Überfällen war die Brajan-Garde rasch zur erwartet. Mit einem geheimnisvollen Lächeln
Stelle und was sonst sollte einem Nahrungs- lehnte sich Cassyina vor, klimperte kokett mit
transport an Gefahr drohen? den langen Wimpern und flüsterte:”Aber es war
Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen, doch nicht der liebe Darysalias, mein Schöner.
rumpelte sie versteckt unter zwei Säcken Mehl Ich habe gehört, er musste nach seinem ersten
durch das hohe Tor, vorbei an den Wachen des Besuch dort einsehen, dass es ihm nicht mög-
Hauses und rutschte, sobald der Wagen um lich sein würde diese Flavimelia zu Tränen zu
eine Ecke gebogen war, von der Ladefläche. rühren. Er fragte mich noch gestern Abend,
Alles was sie nun zu tun hatte, war sich mit was mich weinen ließe und als ich ihm sagte,
den Sklaven zu unterhalten, die hier ihre Arbeit dass es die Sonette des Sklaven Pheronos seien,
verrichteten. Sklaven bekamen bekanntlich von ließ er nach ihm schicken. Irgendwie muss er
allem etwas mit. Vorsichtig schob sie sich um es dann geschafft haben, dass der gute Junge
eine dunkle Ecke und hielt inne. Vor ihr keuch- das Sonett für ihn vortragen konnte.”
14 Einen Moment hielt sie inne und betrachtet Pheronos war sich sicher gewesen, dass er
mit glasigem Blick das Gesicht des falschen bei seinem zweiten Treffen mit der Optimatin
Dieners. ruhiger sein würde. Er wusste, was ihn erwar-
“Der arme Pheronos. Seit seiner Rückkehr tete, wusste wer anwesend sein würde und
M erzählt er nur noch von der exotischen Schön- freute sich darauf dieses holde Geschöpf wie-
heit der Optimatin. Es scheint als habe sie ihm derzusehen. Diese Sicherheit war nun wie weg-
Y in dieser kurzen Zeit sein Herz gestohlen.” Ein geblasen. Als sich die hohen Pforten vor ihm
sanftes Lächeln glitt über das Gesicht der Skla- öffneten und er eingelassen wurde spürte er
R vin, ehe sie säuselnd fragte: ”Und Ihr? Glaubt erneut seine Hände feucht werden und fragte
Ihr an die Liebe auf den ersten Blick?” sich warum seine Blase ihn immer dann quäl-
A Wie aus einem tiefen Schlaf gerissen blinzel- te, wenn es kaum einen schlechteren Zeitpunkt
te Flavimelia überrumpelt. “Wie bitte? Oh, ich geben konnte. Mit einem schüchternen Lächeln
N weiß nicht, gutes Fräulein. Ich hatte ohnehin auf dem Gesicht zwang er sich zu einem festen
nur Euer angestrengtes Keuchen gehört und Schritt und trat bis an den Thron heran. Er sah
O wollte nachsehen, ob alles in Ordnung ist. Ihr auf zu ihr und wohlige Schauer durchdrangen
entschuldigt mich?” ihn, als ihm gewahr wurde, dass sie zurücklä-
R Ohne eine Antwort abzuwarten machte sich chelte.
die feingliedrige Optimatin in Männerkleidung Plötzlich spürte er ein seltsames Prickeln
auf den direkten Weg zum Tor. Ihr Herz raste. im Nacken. Die Umstehenden wurden unru-
Wie absurd das alles war. Ein falscher Optimat, hig, es wurde getuschelt. Was war geschehen?
der eigentlich ein Sklave war und gleichsam Von irgendwo zwischen den Säulen rief eine
ein brillanter Dichter. Der echte Optimat, in tiefe Stimme nach der Wache. Magie war ge-
hohem Stand geboren und dennoch nicht im wirkt worden. Mit vor Angst geweiteten Au-
Stande vernünftige Sätze hervorzutun. gen starrte der Sklave auf seine Hand, die nun
Als das Tor schon in Reichweite war, stieß im üblichen, dunklen Ton schimmerte. Nur
sie wortwörtlich mit einem dunkelhaarigen Sekunden später war er von zwei Männern im
Sklaven zusammen, der aus einer Türöffnung Kettenhemd zu Boden geworfen und überwäl-
rechts von ihr gelaufen kam, vermutlich um tigt worden. Sein rechter Arm war schmerzhaft
beim Abladen der Karren zu helfen. Der Sturz verdreht und ihm standen Tränen in den Au-
war unsanft, aber nichts im Vergleich zu dem gen, als er versuchte sein Gesicht weit genug
Schlag, der sie traf, als der Sklave sich entschul- zu heben um in das Gesicht der Angebeteten
digte. Obwohl sie nicht gewusst hatte, wie er zu sehen. Doch ein Mann fortgeschrittenen
aussah, war ihr doch sofort klar, wen sie vor Alters, mit einem vor Zorn verzerrten Gesicht
sich hatte. Die Art sich zu bewegen und zu versperrte ihm die Sicht. Die Ringe an seiner
sprechen hätte sie unter einer Myriade erkannt Hand funkelten in kaltem Gold, als er ihm ent-
– ER war der Mann, der ihr noch am Mittag auf gegenspie: ”Du beleidigst mit deiner Anwesen-
lyrischste Weise seine Liebe gestanden hatte. heit nicht nur meine Tochter, Sklave. Du hast
Gerade als sie mit tiefer Stimme eine Entschul- dir auch angemaßt eine Triopta zu tragen, auch
digung gemurmelt und sich erhoben hatte, run- wenn sie nur eine Illusion war. So oder so – du
zelte der junge Sklave die Stirn. wirst noch heute sterben. Schafft ihn weg!”
“Kenne ich Euch irgendwoher? Ihr habt et- Pheronos schloss resigniert die Augen, als
was an Euch, das mir unheimlich bekannt vor- ihn die beiden bewaffneten Wachen auf die
kommt.” Erschrocken riss sie die Augen auf und Beine rissen und in Richtung Tor schliffen,
wandte sich zur Flucht. Die Wachen am Tor durch das er die Halle betreten hatte. Einige Se-
riefen ihr nach sie solle stehen bleiben, wagten kunden lang herrschte eine Stille, die nur vom
es aber nicht ihr zu folgen, als hätten sie die regelmäßigen Rasseln der Kettenhemden sei-
Befürchtung, dass sie nur ein Ablenkungsma- ner Häscher gestört wurde. Dann mischte sich
növer sein könnte. Flavimelia rannte durch die ein anderer Ton darunter. Erst war er kaum zu
Nacht, bis sie mit brennenden Lungen das An- hören, dann aber wurde das Schluchzen einer
wesen ihrer Familie erreichte. jungen Frau lauter und ging in offenes Weinen
über. Die Wachen hielten auch ohne den Befehl
* ihres Herrn verdutzt inne.
Flavimelia hatte sich erhoben, die Fäuste ge- Nun bildete sich das erste Mal ein ehrliches
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ballt und ließ heiße Tränen ungehemmt über Lächeln auf dem Gesicht des Optimaten. “Wir
ihre Wangen rollen und auf den Boden tropfen. werden also einen aus dir machen müssen,
“Nehmt ihn mir nicht, Vater!”, bat sie fle- mein Junge.”
hentlich und starrte in Richtung des Mannes, M
der soeben über den nun Todgeweihten gerich- *
tet hatte. Einige Wochen später saß Darysalias ul Y
Wie von Donner gerührt stand der Ange- Alantinos auf einem Stuhl im Garten des An-
sprochene inmitten der Halle und betrachtete wesens. Sein Blick war in einem aufgerollten R
sein eigen Fleisch und Blut nachdenklich und Pergament versunken, einer Sammlung dich-
lange, ehe er eine Hand hob um das aufkom- terischer Weisen. Im Hause selbst herrschte A
mende Gemurmel in der Halle im Keim zu er- noch immer brüskierte Aufregung wegen der
sticken. anstehenden Hochzeit Flavimelias mit einem N
“Ich habe die Hand meiner Tochter demjeni- ehemaligen Sklaven, aber immer wieder hatte
gen Versprochen, dem es gelingt sie zu Tränen Darysalias betont, dass sie alle heilfroh sein O
zu rühren – und ich bin immer ein Mann von sollten, dass der Trubel des falschen Optimaten
Wort gewesen.“ Er besah sich eingehend die für sie selbst keine Konsequenzen gehabt hatte. R
Umstehenden, ehe er fortfuhr. Mit einem wissenden Lächeln sah er auf, als
„Löst seine Fesseln! Wie ist dein Name, Skla- sich leise Schritte auf dem Gras näherten.
ve?” “Setz dich ruhig ein paar Augenblicke zu mir,
Flavimelia antwortete an seiner Statt: ”Phe- wenn du den kühlen Wein abgestellt hast, Cas-
ronos, Vater. Sein Name ist Pheronos!” syina. Ein paar Momente werden das Heu für
Sachte nickte der Angesprochene. “Gut, Phe- die Pferde kaum verderben.”
ronos, dann erhebe dich als freier Mann. Ich Wenn sich auch im Haus die Unwissenden
werde zahlen, was die Alantinos für dich ver- über das Geschehene erregten, er hatte eine
langen. Gebt ihm ein Gemach! Und sorgt dafür, Lehre aus alledem gezogen. Wahre Liebe achtet
dass er für die Zeremonie der Erhebung vorbe- Stände nicht.
reitet wird. Ich gebe die Hand meiner Tochter
niemandem, der nicht mindestens den Rang ei-
nes Honoraten aufweisen kann.”
16
Jäger und Sammler
M
Y
R von Jochen Willmann, Christoph Michaelis Algo, der Jäger
(Algo, der Jäger), Dennis Maciuszek (Cassilia di
A Alantinos) und Kirsten Schwabe (Allorion, der lgo war Anführer einer Sippe Lutraa im

N
Humanoidologe) A Norden Ochobenius. Er war von den Geis-
tern mit Magie gesegnet und konnte seinen
äger sind dereweit Personen, die die Jagd Leuten so in der Not helfen. Neben der Jagd
O J ausüben, wobei sich je nach Spezies und
Kultur ihre Beute unterscheidet. Die meisten
unternahm die Sippe auch Überfälle auf die we-
nigen Wanderer, die sich in ihr Gebiet verirrten
R von ihnen jagen, um ihren Lebensunterhalt zu und befreiten sie von ihrem Besitz. Für die weit
sichern, aber es gibt auch welche, die aus an- entfernte Obrigkeit war dies, wenn überhaupt,
deren Beweggründen auf die Pirsch gehen. Zu nur ein kleines Ärgernis – bis zu dem Tag, da
diesen Beweggründen zählen unter anderem die Holz-Collegien ihre Augen nach Norden
Rache, Gier und Sammelleidenschaft. wandten und immer mehr Menschen kamen.
Der Sammler ist jemand, der ein Objekt der Mit der Zeit wandelte sich Algos Sippe zu einer
Begierde kritisch begutachtet und nur das aus- gut organisierten Räuberbande. So gut, dass
wählt, das in seiner Sammlung noch fehlt und man beschloss, sie mit Gewalt loszuwerden.
diese bereichern würde. Auch das Sammeln von Mit den Soldaten kam das Ende der Sippe.
Wissen über bestimmte Dinge oder Lebewesen Gnadenlos wurden sie gejagt und niederge-
kann dabei eine Sammelleidenschaft darstellen. macht und Algo konnte nichts dagegen tun.
Um es zu erhalten, gehen manche Sammler so- Die Geister hatten ihn verlassen … doch ein an-
gar selber auf die Jagd oder beauftragen andere derer Geist kam zu ihm, als er bereits umzingelt
Personen ihnen diese zu beschaffen. war: Neue Kraft durchfloss ihn und im Rausch
Unterschiedlicher können die Beweggründe zerfetzte er seine Gegner. Sein neuer Gott Om-
der fünf hier vorgestellten Charaktere nicht door beschenkte ihn reich, machte ihn größer
sein, doch sind sie im Grunde alle Jäger und und stärker. Seither hört man an den Lagerfeu-
Sammler und manch einer ist sogar beides. ern seine schaurige Geschichte: vom weißen
Im hohen Norden ist der Lutraa Arlo an- Schatten, begleitet von tollwütigen Jagdbesti-
zutreffen, während im Horasiat Narinion der en, der unermüdlich an den Fersen seiner Beute
Zah’Re Talenosh‘Ra seinen Tagwerk nach- hängt. Auch wenn ein Opfer es in die Sicher-
geht. Die Spezies der Zah`Re wurde in der ers- heit einer Stadt schafft, ist sein Schicksal besie-
ten Ausgabe der Memoria Myrana vorgestellt gelt, denn wenn es die Mauern wieder verlässt,
und soll in Ausgabe 50 noch einmal an die An- ist der Jäger schon auf seiner Spur. Rache an
fänge der Memoria Myrana erinnern. Weiter den Menschen für den Tod seiner Sippe – da ist
südlich in Sidor Valantis hat Cassilia di Alan- eine Seele doch ein kleiner Preis.
tinos ihre Heimat und dem Ashariel Allorion
kann man überall auf Myranor begegnen. In Größe: 1,3 Schritt
Dragestan hingegen trifft man auf den Maru Fellfarbe: weiß
Niktairos. Augenfarbe: rot
Drei NSC wurden als Beitrag in Runde I des Wichtige Eigenschaften: MU 18, KL 11, IN 15, CH 11,
ArsMyrana 2011 eingesandt, während die an- Richtungssinn, Eisern, Jagdfieber 13, Rachsucht 9
deren zwei an die Anfänge der Memoria Myra- Eisige Krallen: AT 17, TP W6+6, viele waffenlose Ma-
na erinnern sowie die neuesten offiziellen Ent- növer
wicklungen aufzeigen sollen. PA/Ausw. 17 AE 36 LE 60 RS 4
Herausragende Talente: Sinnenschärfe, Schwimmen,
Naturtalente mindestens meisterlich
17

M
Y
R
A
N
O
R

Bild: K. Schwabe, »Algo«, 2018

Zauberfertigkeiten: Tiergeister 13, Naggarach (W 16/E unliebsamen Gästen zu schützen.


15); v. a. Jagdbestien und -formeln Viele Jahre lebte der Sammler mit Frau und
Pakt (3. Kreis): Blutzauberei, Herrschaft über Geister/ Kind in Patharia und verbrachte seine Tage
Genien, Beutesinn, Sicherer Tritt mit dem erfolgreichen Handel von kostbaren
Verwendung im Spiel: Leicht zu unterschätzende Be- Gegenständen unter Lizenz des Hauses Rhida-
drohung in den Wäldern des Nordens. man. Vor über zwei Jahrzehnten, als seine Frau
Mashtani‘Ti und sein Sohn während einer Rei-
se von einer Horde Leonir verschleppt wurden,
änderte sich sein Leben. Die Suche nach ihnen
Talenosh‘Ra, der Sammler verlief erfolglos und sein Handelshaus litt so
sehr unter seiner Trauer, dass er es verkaufen

D er bereits 100jährige Talenosh‘Ra ist trotz


seiner Größe von fast 94 Fingern recht
schlank und schwach gebaut. Er gehört der sel-
musste.
Er zog nach Sidor Narinia und fing an, mit
dem angesparten Geld seine Schmucksamm-
tenen Echsenrasse Zah’Re (siehe MM 1, S. 5–7) lung zu erweitern. Schließlich erreichte seine
an, die man leicht an den zwei Krausen links Besessenheit solche Höhen, dass er sammelte,
und rechts des Gesichtes erkennen kann. Seine was er für selten oder wertvoll hielt, nur um
olivgrünen Schuppen werden normalerweise des Sammelns willen. Seine Überredungskunst
von einer einfachen beigen Tunika und einer half ihm dabei die Unikate zu sehr guten Prei-
Toga bedeckt. sen zu erstehen und andere wieder teuer zu
Diese einzelgängerische Spezies hat eine verkaufen.
ständige Gier nach Edelsteinen, daher besitzt
der Sammler eine Unzahl an Schmuckstücken, Größe: 1,87 Schritt
Artefakten und anderen Kostbarkeiten die Schuppenfarbe: olivgrün
Edelsteine enthalten. Einige seiner Artefakte Augenfarbe: bernstein
dienen zudem dazu, diese große Sammlung vor Wichtige Eigenschaften: MU 12, KL 16, IN 14, CH 15,
18 Dämmerungssicht, Natürlicher Rüstungsschutz 1, Gutes Für die Helden ist Cassilia eine interessante
Gedächtnis, Nahrungsrestriktion Pflanzliche Nahrung, Kontaktperson, wenn sie nach Wissen suchen
Gier (Edelsteine) 7, Sprachfehler (Zischen) oder einen einfachen magischen Gegenstand
Friedenstifter: AT 9, PA 8, TP 1W6+2 benötigen – im Tausch gegen neue Informa-
M LeP 21 tionen oder Objekte, die den Wert des Hortes
RS 1 mehren. Dass Cassilias Ware oft von fragwür-
Y Herausragende Talente: Sinnenschärfe, Etikette, Men- diger Qualität ist, merkt man jedoch erst, wenn
schenkenntnis, Schriftlicher Ausdruck, Überreden, Über- die sprunghafte Archivarin schon wieder über
R zeugen, Gesteinskunde (Edelsteine), Schätzen, Handel alle Inseln entschwunden ist.
Geisteskräfte: Talentschub (Überreden)
A Verwendung im Spiel: Talenosh‘Ra hat schon des öf- Eigenschaften: MU 13, KL 13, IN 13, CH 14, FF 12, GE
teren junge Glücksritter auf die Suche nach besonderen 13, KO 12, KK 10.
N Schmuckstücken oder Edelsteinen geschickt. Ebenso Talente: Schleichen 7, Sich Verstecken 5, Etikette 5,
kann man ihn um Rat fragen, um den Wert einer Kost- Menschenkenntnis 9, Sich Verkleiden 7, Überreden 8.
O barkeit zu ermitteln. Dabei muss man aber auf der Hut
sein, denn sollte er diesen Gegenstand selber begehren, Garmesh:
R so greift er nach erfolglosen Verhandlungen auch zu un- INI 9+1W6 AT 12 PA 8 TP 1W+2 DK HN
lauteren Mitteln. Je nach Stand des Schmuckeigentümers Raufen:
kann es ein Trupp Schläger oder ein hoch professioneller INI 9+1W6 AT 13 PA 8 TP (A) 1W
Einbrecher sein. LeP 27 AuP29 AsP 35 MR 6 GS 7
RS 1 WS 6

Cassilia di Alantinos
m Tage begegnet man der ele-
A ganten Elevin im weinroten
Calar, stets geschminkt und das
geflochtene Haar kunstvoll auf-
getürmt.
Leicht verfällt man Cassilias zau-
berhaftem Charme (unterstützt

Bild: D. Rahfoth, »Cassilia inkognito«, 2018


durch Harmonie-Formeln). Abseits
des Lichtes ist sie jedoch eine raf-
finierte Diebin und Spionin. Dann
streift Cassilia verhüllt durch Sidor
Valantis, auf der Jagd nach magi-
schen Schätzen und verbotenem
Wissen. Matrizen helfen ihr, Ge-
rüchte zu sammeln und Hindernisse
zu überwinden. Für die waghalsigs-
ten Beutezüge ruft sie auch mal ei-
nen Uttrava herbei – „es ist ja nur
ein ganz kleiner Dämon.“

Cassilia wurde während ihrer


Ausbildung zu einer Hüterin des
Hortes berufen. Je nachdem, wen
man fragt, handelt es sich dabei
um ein verzweigtes Gewölbe un-
ter der Alantinos-Cammer auf
Alt-Valantis oder um eine Erfin-
dung verspielter Eleven.
Sonderfertigkeiten: Aura verhüllen, Spontanzauberei bereist und erkundet oder als Deus-Ex Machi-
19
I (Struktur, Zauberdauer), Spontanzau-berer Instruktion. na, der ausnahmsweise seinen Forscherethos
Zauberfertigkeiten: Essenzen Erz 8, Luft 6, Humus 7, außer acht lässt und einer Heldengruppe be-
Harmonie 6, Wesen Xolovar 6. Beseelung, Hellsicht, Ob- hilflich ist.
jektbewegung, Verhüllung, Verwandlung. Blick durch M
die Wand Qualität 6, Öffnende Hand 2, Das goldene Ohr Herausragende Eigenschaften: IN 16, GE 16, MU 15, KO
4, Federfall 3, Chamäleonhaut 6, Die Waffen des Löwen 12, Herausragende Balance, Neugier 10, Ausweichen 17 Y
3, Verhülltes Gesicht 3, Wasseratmung 3, Überzeugung Herausragende Talente: verschiedenste Kulturkun-
der Zufriedenheit 5, Invokation Uttrava 5. den, Geografie 14, Menschen- (Feliden-, Neristu-, etc.) R
-kenntnis 18, Philosophie 12, Götter/Kulte 11, freies Flie-
gen 16 A
Allorion, der Humanoidologe Ashariel-Lanze: N
INI 12+1W6 AT 16 PA 12 TP 2W6 DK SP
Erscheinung LeP 38 AuP42 AsP MR 6 GS 9 O
ür einen Ashariel ist Allorion mit 2,36
F Schritt nicht besonders groß. Seine Haare
liegen lang und weiß über den dunkelgrauen
RS 0 WS 6

Kampfsonderfertigkeiten: Sturzflugangriff, Todesstoß


R
Schwingen. Weder sein Körper, noch seine wa-
chen hellblauen Augen, verraten sein hohes Al-
ter von 115 Jahren.
Niktairos, der Kopfgeldjäger
Charakter
Nach seiner ungestümen Jugend begann sich in igentlich N‘krta‘rrz wie sein Name in der
Allorion eine unbändige Neugier auf alles zu
regen, das ihn umgab. Den Weg zum Weltgeist
E Sprache der Echsen richtig ausgesprochen
wird, aber die meisten Bewohner Dragestans
Nairak suchte er nicht durch Meditation, son- kennen ihn unter dem leichter aussprechbaren
dern durch Forschung. Seiner Meinung nach Namen Niktairos.
kann man nur eins mit etwas werden, das man Niktairos gehört zu den besten Kopfgeldjä-
auch versteht. Schon nach kurzer Zeit fand er gern in Balan Rurasar und über dessen Stadt-
das Thema, das ihn am meisten interessierte: grenzen hinaus. Auch wenn er hin und wieder
Andere Humanoide. Kleinverbrecher hinter Gitter bringt, so liegt
sein Hauptaugenmerk auf flüchtige Verbrecher
Darstellung die zum Tode verurteilt sind. Einerseits ist de-
Allorion sucht sich stets nur ein Forschungsob- ren Kopfgeld in der Regel höher, andererseits
jekt, das er dann aufs Genauste untersucht. Zu- reizt ihm das lebendig Fangen solch starke
erst verfolgt er es ein paar Tage möglichst un- Gegner, um sie den Drachen zum Fraß vorwer-
erkannt, um sein Forschungsobjekt in seinem fen zu lassen. Er gehört dem Stand der Kushar
natürlichen Verhalten zu beobachten. Dann gibt an und Besitz in seiner Heimatstadt eine klei-
er sich zu erkennen und folgt dem Objekt offen ne Stadtvilla, die während seiner Abwesenheit
und aus der Nähe. Alle Beobachtungen hält er von seinem menschlichen Diener Porfenius
schriftlich fest. Allorion sieht sich als Forscher in Ordnung gehalten wird. Aber als typischer
und mischt sich nicht in das Leben seines For- Rurasarer ist er nur selten dort anzutreffen und
schungsgegenstandes ein. Das gilt auch, wenn ständig im Land unterwegs und auf Kopfjagd.
er z. B. aus der Luft einen Hinterhalt sieht, in Mit der typischen unauffälligen Tracht und
den die Gruppe hineinläuft. Wenn er selbst leichter Rüstung eines Kopfgeldjägers beklei-
angegriffen wird, wird er sich hingegen weh- det, kann man ihn in jeder Region Dragestans
ren. Nur besonders charismatische, karmatisch antreffen. Als Waffen führt der 96 Finger große
oder magisch begabte Helden können Allorion Maru hierbei immer zwei Khopesh auf dem Rü-
möglicherweise zu Mithilfe überreden. cken mit sich und einen Garmesh am Gürtel. In
seinen Gürteltaschen hat er außerdem die neu-
Funktion esten Steckbriefe und Federkiel sowie Tinte für
Als Informant der Myranor schon sehr lange Ermittlungsnotizen.
20 Größe: 1,92 Schritt Khopesh:
Schuppenfarbe: braun INI 15+1W6 AT 16 PA 14 TP 1W6+5 DK N
Augenfarbe: hellbraun LeP 32 AuP35 AsP MR 3
Herausragende Eigenschaften: MU 15, GE 14, KO 14, RS 4
M KK 16, Balance, Beidhändig, Dämmerungssicht, Natür- Kampfsonderfertigkeiten: Entwaffnen, Festnageln,
licher Rüstungsschutz (RS 2), Natürliche Waffen (Biss Kampfreflexe, Scharfschütze, Waffenlose Manöver: Biss,
Y 1W6+5 TP, Schwanz 1W6+4 TP(A)), Schnelle Heilung Schwanzschlag, Waffenlose Manöver: Schwanzfeger
I, Verbindungen, Zusätzliche Gliedmaßen (bemuskelter Verwendung im Spiel: Bei besonders schweren Gegner
R Schwanz) / Impulsiv, Kältestarre, Nahrungsrestriktion geht er gegen diese mit weiteren Mitarbeitern vor, dies
(Fleischfresser), Raubtiergeruch können Freunde aus seiner Heimatstadt, andere Kopf-
A Herausragende Talente: Athletik 11, Selbstbeherr- geldjäger oder Spezialisten (z. B. im Bereich Magie) sein.
schung 10, Menschenkenntnis 16, Fährtensuchen 12, Aber nicht nur als Verbündeten können die Helden ihn
N Geografie 14, Orientierung 15 kennen lernen. Wenn sie einer Straftat beschuldigt wer-
den und flüchtig sind, so kann Niktairos der sie jagende
O Kopfgeldjäger sein.

R
21
Von Meralis nach Vesayama
V
D ie Imperialen benannten den Kontinent
südlich von Myranor Meralis, nach der
von ihnen begründeten Kolonie an dessen
Weg aus der ehemaligen Kolonie des Imperi-
ums in die freien Weiten. Ob deine Helden im
Auftrag eines myranischen Optimaten-Hauses
E
Nordwestspitze. Die Kolonie ist lange verloren den Kontinent erkunden, sich aus Aventurien S
und das Imperium hat andere Sorgen, als sich durch eine Feenglobule dorthin verirrt haben
mit ehemaligen Kolonien zu bekriegen. oder sogar auf dem Kontinent geboren wurden, A
Tief in den verschlossenen Archiven Balan ist deiner Phantasie überlassen. Wir werden
Mayeks finden sich noch bröckelige alte Karten versuchen, Vesayama für alle Helden offen und Y
des Hauses Charybalis, die den Archipel von reizvoll zu gestalten.
Talaminas und die Nordküste von Meralis zei- A
gen. Auch alte Logbücher weisen noch auf die Wir werden uns in diesem neuen Abschnitt
Verhältnisse und Gefahren an der Küste von des Magazins bemühen, dich möglichst regel- M
Meralis hin, doch werden sie vermutlich nie mäßig mit Hintergründen, Geschichten, Aben-
wieder das Tageslicht erblicken. teuerskizzen und Anregungen zum Südkon- A
Wie man es auch nennen mag, Vesayama ist tinent zu versorgen, und wir hoffen, dass du
ein Kontinent voller Geheimnisse und Konflik- ebenso viel Spaß am Bespielen haben wirst, wie
te, die zu Teilen dem Kontinent eigen sind, zu wir beim Gestalten.
Teilen von den Myranern eingetragen wurden.
Von Meralis an der Nordspitze, über die Skor- Um die Erkundung des Kontinents für dich
pionwüste und Ailish-Merkhaba, bis zum Reich spannender zu gestalten, werden wir die Reise
des Drachenkaisers der Vesai, von den Stahlzin- zweier Myraner durch Vesayama in einer Art
nen, über die Kalten Wälder und die Tundra der Fortsetzungsroman festhalten. Die jungen Pro-
Okamui erstrecken sich die Weiten Vesayamas spektorinnen Tychanera und Ua Ti’Ea wer-
bis zum ewigen Südeis hin. den aus ihrem Alltag heraus in eine nahe und
doch sehr fremde Welt gerissen. Rund um die
Auf diesen von Myranern wenig erforsch- Geschichte werden wir dich mit den passenden
ten und beschriebenen Kontinent möchten wir Informationen versorgen.
dich entführen. Wir laden dich ein, Vesaya-
ma – seine Völker, Landschaften und Mysteri- Viel Vergnügen!
en – mit uns zu erkunden. Folge uns auf dem Dein Memoria Myrana-Team
Bild: P. Horstmann
22
Heimweh
V
Kapitel 1 Die Morgendämmerung war angebrochen. Im
E ersten Licht des Tages huschten zwei Gestalten

S K imnaras Kopf dröhnte noch vom Schlag


der Wache, als sie erwachte. Ihre linke Ge-
sichtshälfte fühlte sich heiß und geschwollen an,
durch den Nebel. Sie waren aus einem der gut
versteckten Eingänge Narakams geklettert und
eilten über den fleckigen Boden. Viel Zeit blieb
A sodass sie fast dankbar für den kalten Stein war ihnen nicht, bis sie die Aufmerksamkeit eines
auf dem sie lag. Langsam tasteten sich ihre Fin- der hier lebenden Daimoniden wecken würden.
Y ger über den Boden. Grober Stein, verfugt mit Tatsächlich war dies unausweichlich. Tychanera
festem Mörtel … das verschaffte ihr die Gewiss- warf kurz einen Blick auf den Lähmungstrank
A heit, diesmal tatsächlich im Kerker gelandet zu in ihrer Hand und betete, das Anmaril gute Ar-
sein. Und Stroh, trockenes Stroh, wie sie erleich- beit geleistet hatte. Das Blut eines Daimoniden
M tert feststellte, lag auf dem Granit. Sie hievte zu beschaffen war immer schwierig, aber die Be-
sich, soweit es ihr Schwindelgefühl ermöglich- zahlung war gut und die Alchemisten leisteten
A te, auf und robbte auf einen Strohhaufen. Von einen wichtigen Beitrag zur Gemeinschaft Nara-
diesem aus erkundete sie mit verschwommenen kams.1 Vor ihr glitt die Amauna geschmeidig und
Blick den Raum. Ein winziges Fenster sorgte für leichtfüßig durch den verdorbenen Bewuchs.
ein wenig Luft und noch weniger Licht. Nicht Da die Pflanzen fast alle giftig waren, trugen
einmal sie würde sich dort hindurchwinden Ua Ti’Ea und Tychonera dicke Schutzkleidung
können. Das Halbdunkel und ihr wiederkeh- aus Stoff und gehärtetem Leder. Tychanera war
render Schwindel unterbanden zunächst weite- immer wieder erstaunt, wie wenig die schweren
re Erkenntnisse. So ließ sie sich ins Stroh sin- Lagen Textil Ti einschränkten. Sie selbst hatte
ken und tat das wahrscheinlich sinnvollste, sie sich nie an diese Rüstung gewöhnt.
schlief ein. Um das Nest des Aggdrims herum lagen die
Von der Dunkelheit des Raumes verborgen, Überreste seiner letzten Mahlzeiten verstreut.
war an der gegenüber liegenden Mauer eine Die Knochen kleinerer Daimoniden, verwach-
Gestalt angekettet. Sie beobachtete das unbe- sen, verbogen und oft schwarz, spickten den Bo-
holfene Kriechen des Neuankömmlings und be- den. Ti winkte sie hektisch heran. Der Agg-drim
fand sie für nicht hilfreich. Also hing sie weiter lag in einer kleinen Kuhle aus Knochen und
stumm in ihren Ketten und zerbrach sich den Eingeweiden und wand sich unruhig. Ätzender
Kopf darüber, wie sie Folter und Henker ent- Sabber lief die schuppigen Lefzen hinab und
kommen sollte. tropfte schäumend auf den Untergrund. Tycha-
Die Nacht brachte Kälte und Finsternis in die nera entkorkte den Lähmungstrank und schlich
Mauern des Verlieses. Nur die Geräusche der sich heran. Für gewöhnlich waren Agg-drims
Ratten leisteten den Gefangenen und Wächtern zu dieser Stunde nicht besonders aktiv, doch
Gesellschaft. man durfte nichts riskieren. Ti hielt ihren Speer
auf das Vieh gerichtet. Der Moment des Über-
gießens war immer kritisch. Manchmal wachte
der Daimonid auf und dann war es ratsam, sehr
schnell zu sein, bis er sehr langsam wurde. Zäh
und grün triefte der Trank auf den Kopf des Ag-
Aggdrim: der Aggdrim, des Aggdrims; reptilienar-
gdrims. Er blinzelte, Tychanera und Ti sprangen
tige Daimonoide, die der Domäne Aggari zugeord-
net werden (s. S. 38f.).
zurück.
Dagath: kerr. Gottheit des Meeres, gilt als böse und Und plötzlich zerriss eine Lanze aus violetter
Herrin aller Seemonster Energie den noch halb schlafenden Daimoniden.
Daimonid: Durch dämonischen Einfluss veränder-
te Kreatur
Goldener Gott: höchster Gott des Reiches von Me- 1 Mehr über das Unterreich Narakam findest Du in der
ralis im März erschienen Publikation Jenseits des Nebel-
walds.
Sie waren von meralischen Sklavenjägern um- Tychanera schaute mit glasigem Blick durch
23
stellt. Der Befehlshaber trat auf sie zu. Hinter den Frachtraum. Sie konnte erst wenige Tage
seiner goldenen Maske konnten sie kaum die an Bord sein, doch sie hatte jedes Zeitgefühl
Augen des Mannes erkennen. Er war von athle- verloren. Die Versorgung der Gefangenen war
tischem Körperbau, Arme und Beine braun ge- schlecht. Es gab zu wenig Wasser und fast nichts V
brannt, wo die Rüstung die Haut frei ließ. Durch zu essen. Ti hing schlaff in ihren Fesseln. Es war
die Maske gedämpft, sprach er in gönnerhaftem nicht möglich auszumachen, ob sie nur schlief E
Tonfall zu ihnen: »Eure Rettung ist da! Fürchtet oder bereits tot war. Tychanera schluchzte lei-
nicht länger die Dämonen, denn wir sind es!«. se. Dies alles war ein böser Alptraum. Es durfte S
Ti blickte kurz aus dem Augenwinkel zu Ty- nichts anderes sein.
chanera, ohne den Magier aus den Augen zu las- Kraftlos stemmte sie sich gegen die Wand, an A
sen. Weitere meralische Soldaten traten neben die sie gekettet war. Dann sank auch sie wieder
ihn. Tychanera schüttelte fast unmerklich den in einen unruhigen Dämmerschlaf. Y
Kopf. Es waren zu viele für sie und der Geruch
des explodierten Aggdrims verdrängte die Ge- Phenatalia saß Kimnara gegenüber in der ge- A
danken an Widerstand so schnell wie der Wind. meinsamen Zelle. Sie waren gut behandelt wor-
Eine halbe Stunde Gewaltmarsch brachte den, was bedeutete, dass jemand sich von ihren M
sie an die Küste. Die meralischen Sklavenjäger Verhandlungen einen politischen Vorteil ver-
hatten keinerlei Hemmungen ihre Gefangenen sprach. Sie betrachtete Kimnara argwöhnisch. A
zu schlagen. Mit einigen anderen drängte man Welchen politischen Wert konnte eine Fremde
sie auf einen düsteren Dreimaster unter gülden haben, wenn sie keine Spionin war? So unbe-
und purpurnen Segeln und Flagge. Im Bauch des darft sie auch wirken mochte, konnte Phenatalia
Schiffes wurden sie an die Wand gekettet und sich in ihrer Gegenwart nicht entspannen. Was
so geknebelt, dass sie weder sprechen, noch ihre aber nichts heißen sollte, denn sie ließ anderen
Zunge verschlucken konnten. Dennoch mussten Individuen nie die Möglichkeit, sie zu überra-
die Meralier bereits tote Leiber losmachen und schen.
über Bord bringen. Die Meralier waren weithin So hockte sie dort und überlegte, ob ihre Zel-
bekannt für ihre Grausamkeit und viele zogen lengenossin ihr noch von Nutzen sein konnte.
ein schnelles oder auch langsames Ende einem Kimnara war fest entschlossen, so viel Abstand
Leben unter ihrer Herrschaft vor. wie möglich zu dem Ding, das sich als Phenata-
Als die Meralier den Frachtraum verließen, lia vorgestellt hatte, einzuhalten. Sie hatte von
ließ Ti ihren Blick durch den Raum schweifen. ihrer Art in den Straßen von Sidor Meralis ge-
Menschen und Amaunir, Calmahi und Risso, hört. Sie waren Spione und Auftragsmörder, un-
aber auch Achaz waren, mit Blut und anderen natürliche Geschöpfe und Diener des güldenen
Körperausscheidungen verschmiert, an den Gottes ohne Namen. Bisher hatte es versucht,
Boden oder die Wände gekettet. Einige hingen freundlich zu sein und mit an Sicherheit gren-
bereits leblos in den Fesseln, andere würde die zender Wahrscheinlichkeit bezweckte es damit
Fahrt nach Meralis nicht überleben. Manche etwas.
der Gefangenen hatten noch genug Kraft, sich Hatte sie bei ihrem Aufbruch die Fesseln ihrer
gegenseitig anzufeinden, weil der andere falsch kerrishitischen Heimat hinter sich lassen wol-
aussah. len, so sehnte sie sich jetzt nach der Freiheit und
Ti war so etwas fremd. In Narakam offenbarte Sicherheit unter Bal’ Ingras Schutz zurück. Die-
die Dunkelheit, dass die Unterschiede zwischen ses dagathverfluchte Volk würde jeden für den
den Völkern vernachlässigbar waren, wenn es eigenen Vorteil verraten, die Armen aus Angst
um das Überleben der Gemeinschaft ging. Sie und die Reichen aus Gier heraus. Kimnara sah
sah Tychanera an und ihre Blicke blieben lange auf das kleine vergitterte Fenster, das spärlich
aneinander hängen. In einigen Wochen hatten Licht in die Zelle ließ und wünschte sich weit
sie das Ritual vollziehen wollen. Lange hatten fort.
sie von eigenen Kindern geträumt, doch in die-
sem Moment waren alle Träume und Hoffnun- Tychanera und Ua Ti’Ea waren grob aus ihren
gen fern. Stumme Tränen rannen ihre Gesichter Ketten gelöst und vom Schiff geschleift worden.
hinab und Verzweiflung machte sich in ihrem Sie waren zu schwach gewesen, um an Flucht
Bewusstsein breit. auch nur zu denken. Das Liegen im dunklen Kar-
24 ren empfanden sie nach der Zeit des Hängens an der Situation. Phenatalia versuchte sich mit ei-
der Schiffswand als ungewöhnlich angenehm. nigen der ihr bekannten Sprachen mit den Neu-
Weitere Überlebende der Fahrt wurden neben ankömmlingen zu verständigen. Kimnara hörte
sie in den Karren gelegt. Ti stupste Tychanera ihre Stimme zum ersten Mal in der None, die sie
V mit der Nase an und diese erwiderte die Geste. bisher zusammen eingesperrt waren. Wider ih-
Vor dem Karren besprachen die Soldaten und rer Erwartung war sie nicht kalt und zischend,
E Sklavenhändler, an wen sie verkauft worden wa- sondern warm und weich. Eine Stimme, die das
ren. Sie verstanden kaum etwas. Nur ein Name Ohr umschmeichelte und einen lächeln lies. Sie
S sank tief in ihr Bewusstsein: Sidor Meralis. schüttelte die Verwunderung ab und fokussierte
sich auf das Gesprochene.
A Kimnara und Phenatalia schreckten hoch, als zu Phenatalia sprach in fließendem Kerrishitisch
ungewohnter Zeit Schritte durch den Gang vor zu den Sklaven. »Hallo, geht es euch gut?«, er-
Y ihrer Zelle hallten. kundigte sie sich.
»Diese zwei Sklaven kommen hier rein. Wir Tychanera durchforstete ihren müden Kopf
A haben sonst keinen Platz und da drin sitzen Po- nach den paar Brocken Kerrishitisch, die sie be-
litische. Eure Ware ist also sicher.« Der Wächter herrschte.
M warf einen hasserfüllten Blick in die Zelle, als »Schön Gaststätte, Wasser strahlend. Schmerz
wolle er seinen Worten Gewicht verleihen. schläfrig.«, brachte sie unsicher hervor. Noch im-
A Der hagere Sklavenhändler strich sich mit der mer versuchte sie die Ereignisse der letzten Tage
Handfläche über die tätowierte Glatze. »Wenn zu ordnen. Ti war bereits wieder eingeschlafen,
dem nicht so ist, wirst du an ihre Stelle treten. den Kopf auf Tychaneras Schoß gebettet.
Ordraimon tir Chrysotheos ist ein sehr strenger Kimnara setzte sich zwischen die Beiden und
Herr.«, sprach er hämisch und zog die letzten Phenatalia. »Keine Angst!«, sprach sie ruhig.
Worte in die Länge. »Lass ihnen Wasser und »Von mir habt ihr nichts zu befürchten.« Sie
Nahrung bringen. Am Ende der None müssen strich Tychanera vorsichtig über die Stirn und
sie vorzeigbar sein. Du hast also nur noch acht fühlte ihr leichtes Fieber. »Schlaf!«, murmelte
Tage.« sie. »Ich passe auf euch auf.« Tychanera lächel-
Der Wächter neigte sein Haupt. »Ja, Herr!«, te und sank müde gegen Kimnaras Schulter, an
murmelte er schnell. Daraufhin öffnete er die der sie nur Augenblicke später zu schnarchen
Tür und legte die ausgemergelten Sklaven auf anfing.
den Boden der Zelle. Als er die Tür wieder ver- Phenatalia lächelte Kimnara an. »Du besitzt
schloss, war der Sklavenhändler bereits gegan- ja doch menschliche Züge.«, merkte sie ver-
gen. »Krepiert mir hier bloß nicht!«, zischte der schmitzt an. »Ich dachte schon dein Herz sei kalt
Wärter und ging Wasser und Brei holen. und dunkel wie Dagaths Tiefen.«
Kimnara sah sie missbilligend an. »Das selbe
Tychanera und Ti erwachten mit steifen Glie- könnte ich von dir behaupten Rothaar.«, entgeg-
dern auf dem Steinboden des Kerkers. Ausge- nete sie kühl. Sie saßen sich das erste Mal richtig
hungert und durstig suchten sie nach etwas im Licht gegenüber. Phenatalias blasse Haut und
Essbarem und Wasser. Phenatalia schob die die feinen Gesichtszüge aus denen dunkle, vio-
Wasserschüssel zu ihnen hinüber und sprach lette Augen blickten, ließen sie zerbrechlich aus-
einige für die Narakami unverständliche Wor- sehen. Kimnara hatte wache schwarze Augen in
te. Kimnara betrachtete die Situation abschät- einem bronzefarbenen Gesicht, umrahmt von
zig. Sollte den Sklaven etwas passieren, würde wilden schwarzen Locken, die ihr eher scharf
sie mit zur Verantwortung gezogen. Sie musste geschnittenes Gesicht kontrastierten. Sie starr-
ein Auge auf ihre Zellengenossin haben, besser ten sich einige Momente schweigend an. Aber
zwei. Kimnara beobachtete, wie die Amauna die Stille war gebrochen und Neugier trieb die
und die Frau die Wasserschale schnell leerten. Worte heraus. Zu erleichternd waren es, wieder
Dank des eingeschüchterten Wächters, wur- mit jemand sprechen zu können.
de diese Zelle nun bevorzugt behandelt. Fri- Kimnara erzählte von Kerrish Thalam und
sches Wasser wurde in regelmäßigen Abständen ihrer heimlichen Flucht aus der Priesterinnen-
aufgefüllt. Im Vergleich zu der abgestandenen schule, von ihrem Leben auf den Straßen des
Brühe, die sie sich die letzten Tage hatten tei- Hafens und aus den Taschen unvorsichtiger
len müssen, war es sicherlich eine Verbesserung Händler. Phenatalia hörte zu und stellte hin und
wieder eine Frage, um den Redefluss aufrecht zu hatte, wusch Ti sich immer noch. Immer wieder
25
erhalten. Sie bestätigte Kimnaras Verdacht über sah sie auf ihre Hand und schüttelte sich. Das
ihre Herkunft, gab aber so wenig wie möglich rotgestreifte Fell an ihrem Arm klebte nass auf
über sich Preis. der Haut.
In den letzten Sonnenstunden des Tages er- Tychanera streichelte ihr beruhigend zwi- V
wachte Ti. Sie tapselte zum Wasser und aß auch schen den Ohren entlang. »Tycha, ich will fort
etwas Milchbrei. Die Amauna war etwas verun- von hier.«, grummelte die Amauna. »Genau da- E
sichert, doch ihr unbekümmertes Wesen dräng- ran arbeiten wir doch!«, mischte Phenatalia sich
te ihre Ängste bald bei Seite. Sie streckte und ein. S
putzte sich ausgiebig, um ihre Mitinsassen im
Anschluss neugierig zu beäugen. Wenige Augenblicke, nachdem der Wärter auf A
Tychanera erwachte kurz nach ihr. Das seiner Runde bei ihnen gewesen war, hatte Kim-
Schwindelgefühl, das sie nach dem ersten Erwa- nara ihre Ketten und die Tür geöffnet. Gemein- Y
chen im Kerker verspürt hatte, hatte sich gelegt sam huschten sie durch die dunklen Steingän-
und einem dumpfen Kopfschmerz seinen Platz ge. Die grob behauenen Steinquader der Wände A
überlassen. Sie setzte sich halb auf und rieb sich wirkten bedrückend und die vereinzelten Fa-
Schläfen und Augen. ckeln warfen unregelmäßig unruhiges Licht M
auf Boden und Stein. Phenatalia führte sie zum
Wenn die Wächter nicht vor ihrer Zelle stan- Wachraum. Sie benötigten Waffen und vielleicht A
den, unterhielten die vier Frauen sich leise. eine Verkleidung, obwohl es vermutlich ein ver-
Schließlich beugte Phenatalia sich verschwöre- gebliches Unterfangen wäre, die Amauna zu
risch vor und wisperte: »Wenn ihr eure Freiheit verkleiden. Notfalls würde die Amauna ihr et-
und wir unser Leben retten wollen, werden wir was Zeit zur Flucht kaufen, dachte sie bei sich
heute Nacht ausbrechen müssen.« und lauschte an der Tür zum Wachraum. Sie hob
Tychanera blinzelte ungläubig. »Tür und die Hand und bedeutete den Anderen sich still
Schloss sehen«, sie suchte kurz nach einen pas- zu verhalten. Langsam öffnete sie die Türe ei-
senden Wort, »mächtig aus.«, beendete sie den nen Spalt und zwängte sich hindurch. Der Wär-
Satz etwas unsicher. ter war schlafend auf seinem Stuhl zusammen
Kimnara nickte. »Ohne Dietrich ist da nichts gesunken. Kurz überlegte sie, ob sie ihn töten
zu machen.«, stellte sie nüchtern fest. sollte, dann brach sie ihm mit einer schnellen
Phenatalia atmete tief durch und entblößte Bewegung das Genick. Keine unnötigen Risiken
ihren Unterarm. »Was, wenn ich ein passen- eingehen. Dieses Motto hatte sie bis hierher ge-
des Werkzeug hätte?«, die Worte schienen ihr bracht und würde sie auch aus dieser Situation
Unbehagen zu bereiten. Kimnara grinste breit. wieder heraus bringen. Sie sammelte die Waffen
»Dann hätte ich das Ding, welches sie hier so im Wachraum ein und entwendete dem kälter
arrogant als Schloss bezeichnen in weniger als werdenden Wärter die Schlüssel.
einem Hammerschlag geöffnet.«, erwiderte sie Wieder auf dem Gang drückte sie Tycha und
selbstsicher. Phenatalia schluckte. »Ich trage ei- Ti je eine Faustbela in die Hand, Kimnara reich-
nen Dietrich unter meiner Haut.«, brachte sie te sie etwas widerwillig das Kurzschwert des
hervor. »Für den absoluten Notfall.«, fügte sie Wärters. Sie selbst behielt das Schwert aus dem
hastig hinzu. Wachraum, obwohl sie etwas leichteres bevor-
Tychanera und Ti blickten sie entsetzt an. zugt hätte. Stumm und leise duckten sich die
Kimnara verzog Anerkennend den Mund zu ei- Vier weiter durch die muffigen Gänge. Schließ-
ner Schnute. lich erreichten sie eine Treppe, die sie nach oben
Ti schüttelte sich. »Und wie bekommen wir bringen würde.
den da heraus?«, fragte sie und strich mit der
Hand über Phenatalias Arm. Ihre Augen wei- Daniel Bluhm
teten sich und sie schüttelte den Kopf. »Nein!
Nein! Nein!«, protestierte sie, hatte aber keine
andere Wahl, als die Haut an Phenatalias Arm …wird fortgesetzt!
mit ihrer Kralle zu öffnen, damit diese an den
Dietrich gelangen konnte.
Als Kimnara Phenatalia notdürftig verbunden
26

ARS • 2018 • MYRANA

50 Ausgaben der Memoria Myrana sind uns so einiges wert. Und deshalb wollen wir das mit
euch zusammen feiern und Geschenke verteilen. Da wir alle einem kreativen Hobby frönen,
erschien es uns am passendsten, dies mit einem Wettbewerb zu verbinden.

Ablauf
Der Kreativ-Wettbewerb findet in mehreren Etappen statt, bei der die Teilnehmenden ihrer Kre-
ativität und ihrem Spieltrieb nahezu freien Lauf lassen können. Um am Ende der Runde 2 oder
3 einen der ausgeschriebenen Preise zu erhalten, ist es nötig an allen Runden davor erfolgreich
teilzunehmen.

Fristen

Runde 1 28.04.2018 18.05.2018 Jede Etappe hat eine festgelegte Dauer, nach
Bewertungsphase 19.05.2018 01.06.2018 der eine Jury über das Weiterkommen in die
Runde 2 02.06.2018 22.06.2018 nächste Runde entscheidet.
Bewertungsphase 23.06.2018 06.07.2018
Runde 3 07.07.2018 03.08.2018
Bewertungsphase 04.08.2018 18.08.2018

Bewertung & Preise


Alle Einsendungen werden von einer mehrköpfigen Jury aus Vertretern der Memoria Myrana und
anderer in der Rollenspielszene bekannten Personen bewertet.
Jede Runde bewertet: die technische Ausführung, den geleisteten Aufwand, die myranische Stim-
migkeit, die Regelkonformität sowie die dargestellte Kreativität (genauere Beschreibungen dazu
s. u.).

1. Runde
Der beste Beitrag erhält die Kurzgeschichtensammlung Netzt der Intrige.

2. Runde
Wahlweise Myranisches Zauberwerk, Myranische Meere oder Jenseits des Nebelwalds als
Standard-Ausgabe.

3. Runde
Jenseits des Nebelwalds oder Myranische Monstren als Limitierte Version.
Bewertungskriterien 27

Aspekt 1: Aufwand
Je nach Runde werden die einzelnen Beiträge in den einzelnen Kategorien mehr oder weniger
Aufwand bedeuten.

Aspekt 2: Myranische Stimmigkeit


Alle Ergebnisse sollten in die bisherige Ausgestaltung des Kontinentes passen und diesen ergänzen,
ohne dabei mit den bekannten Setting-Vorgaben zu brechen.

Aspekt 3: Regelkonformität
Alle Beiträge sollten sich an Regeln und bisherigen Beschreibungen orientieren und diese als ge-
gebene Grenzen beachten. So sind Beschreibungen von zwergenwüchsigen Baramunen ebenso
„unpassend“, wie NPCs mit KK 50+ etc.

Aspekt 4: Kreativität
Trotz der Aspekte 2 und 3 ist es immer noch ein Kreativwettbewerb. Die interessante Ausgestal-
tung, Umsetzung und Weiterführung der bisherigen Beschreibungen und Grundlagen wird als
Bereicherung Myranors angesehen und entsprechend positiv bewertet.

Aspekt 5: Technisches Können


Fehlerfreie Rechtschreibung oder auch sprachliche Feinheiten sind ein Gewinn und werden ent-
sprechend mit Punkten vergütet. Wer dagegen meint, er könne mit einer einfachen Aventurien-
Konvertierung in die nächste Runde kommen, wird wohl wenig Beifall finden.

Veröffentlichung
Wir würden gerne alle Beiträge, nach Bekanntgabe des Siegers aus Runde 3, in der Memoria My-
rana veröffentlichen. Dazu werden wir alle Autoren nochmals anschreiben und deren Erlaubnis
einholen. Um uns die Arbeit zu erleichtern, könnt ihr dies aber auch gleich beim Einsenden der
Beiträge mit angeben.

Zum Format
Die Texte dürfen die vorgegebene Länge (inkl. Leerzeichen) nicht überschreiten. Eine Überschrei-
tung der Zeichenmenge führt zur Abwertung. Alle Werke müssen in digitaler Form (als .rtf oder
.doc-Datei, .pdf-Versionen allenfalls zusätzlich) und in zweifacher Ausfertigung eingesandt wer-
den: Der ersten Version muss eine Anfangsseite voranstehen, auf welcher der Titel des Textes und
der Name und die Verfasser-Anschrift verzeichnet ist. In der zweiten Version für Bewertungszwe-
cke darf der Name des/der Autoren nicht erscheinen.

Für die Teilnahme gelten folgende weiteren Bedingungen:

• Teilnehmende müssen das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben.


• Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
• Fest angestellte Mitarbeiter der Firmen Uhrwerk Verlag oder Ulisses Spiele sind von der Teilnah-
me ausgeschlossen.
• Letzter Abgabetermin ist der jeweils angegebene Tag (“Einsenden”, s. o.), 0.00 Uhr. Auf Wunsch
werden Eintreffen und technische Lesbarkeit des Beitrages bestätigt.
28 • Die Beiträge sind einzusenden an: myranorwettbewerb@myrana.de
• Teilnehmende müssen in jeder Runde eine Einsendung tätigen, um in die Endausscheidung zu
kommen.

1. Runde
Beiträge von je 4.500 – 5.000 Zeichen in den möglichen Kategorien
• Antagonisten-NSC
• Auftraggeber-NSC

2. Runde
Schauplätze, mit Beiträgen von 8.000 – 10.000 Zeichen in den möglichen Kategorien
• Ruinen und Kavernen – Orte unterwegs
• Tempel und öffentliche Gebäude – Orte der Allgemeinheit
• Herbergen, Tavernen und Wohnhäuser – Rückzugsorte

3. Runde
Szenarien, One-Shots auf 2-3 Seiten (15.000 Zeichen) in den möglichen Kategorien
• Die Dschungel des Ostens (Tharpura, Makshapuram, Archipel von Shindrabar)
• Die neuen Lande (Dragestan, Nacennia-Straße)
• Unter Kerrishitern (Yiheni, Talameni, Merkhabiter, Vesayama)
• Zwischen Mholuren und Minotauren (Cantera, Valantia, Corabenius, Centralis)
• Die Wacht am Strom (Karonius, Harpalis)

Die Dreingabe von Plänen und Handouts ist möglich, allerdings sollte deutlich werden, dass die
Einsendung auch ohne diese vollständig wäre. Diese Dreingaben werden nicht auf die Zeichenzahl
angerechnet.

Viel Spaß und viel Erfolg!


29
Nergabath – die Stadt
der lebenden Toten M
Y
Einwohner: Menschen (Bansumiter) nannt wird. Die schmalen Pfade am Rand der R
Symbol: Weißer Skarabäus mit gespreizten Flü- Schlucht bilden den einzigen richtigen Zugang
geln, die einen gekrönten Schädel an der Spitze nach Nergabath. Die lokalen Mythen berichten A
einrahmen, auf schwarzem Grund davon, dass im Rauschen der fallenden Wasser
Herrschaft: Nekrokratie mit visra-gefälligen die Klagen der Verstorbenen zu hören seien. In N
VisRamanten-Rat und Herrscher Khaldun als den Schleiern des Wasserfalls sollen in klaren
tonangebender Figur Vollmondnächten klagende Gesichter zu sehen O
Bewohner: Herrscher und religionstreue Bür- sein. Im Frühjahr kommt es regelmäßig zu ei-
ger, mit der Hoffnung auf Wiederauferstehung nem Hochwasser, das fruchtbaren Schlamm auf R
die Felder spült und die Schlucht der Klagen für
mehrere Wochen unpassierbar macht.
Der Fluss beherbergt einige Fischarten so-
wie Frösche und Lurche. Auch einige Kroko-
dile liegen im Schilfgürtel des Flusses auf der
Lauer. Die Felder sind von Dattelpalmenhainen
unterbrochen und auf felsigen Wiesen suchen
Ziegen und Varken nach Gras. Krüppelige Dor-
nenbüsche und niedrige Bäume finden sich
vereinzelt zwischen den Felsen. Der Fluss ver-
sickert etwa eine halbe Meilen vor den Ausläu-
fern der eigentlichen Stadt, die sich an den Berg
am Ende der Schlucht schmiegt. Der Fluss stellt
die einzige größere Wasserquelle der Stadt dar
und ist daher sehr wertvoll für die Eshbathya.
Zusätzlich verlaufen durch das ganze Tal un-
terirdische Kanäle, die über Luftschächte mit
Bild: P. Horstmann der Oberfläche verbunden sind und in großen
unterirdischen Zisternen zusammenlaufen. Die
Zisternen speisen die Brunnen Nergabaths.

Das Umland
Die Stadt
n den südlichen Ausläufern der Wolken-
A kämme liegt eine der ältesten Eshbathi der
östlichen Narkramar. In einer schwer zu er-
Nergabath ist auf den ersten Blick wie jede
andere Eshbathya in der Narkramar. Händler
reichenden Schlucht, die fast den ganzen Tag gehen ihren Geschäften nach, Bauern bestel-
in schattiges Zwielicht getaucht ist, erstreckt len die kargen Felder, Handwerker arbeiten im
sich ein etwa 20 Meilen langes und 5 Meilen Schatten an Werkstücken und Alshinjira dis-
breites Tal. Das Tal wird von einem etwa 50 kutieren über philosophische, magische und
Schritt breiten, aber flachem Fluss durchzogen, technische Probleme. Doch über allem liegt ein
welcher Wasser für die angrenzenden Felder leichter Geruch von Fäulnis und Verfall, denn
liefert. Der Fluss stürzt als Wasserfall von den in dieser Stadt bleiben die Toten nicht lange in
Wolkenkämmen in eine enge Schlucht, die von ihren Gräbern. Nergabath ist eine Hochburg
den Einheimischen „Schlucht der Klagen“ ge- der Nekromantie. Dies liegt zum einem an der
30 Jahrtausende alten Verehrung des Totengot- Schädeln und Knochen sind allgegenwärtig.
tes VisRa, zum anderen daran,dass sich in der Die Wände sind mit bunten, sich wiederholen-
Stadt mehrere Kraftlinien kreuzen, die Nekro- de Mustern verziert. Auf einigen Häusern und
mantie und Geisterbeschwörung maßgeblich am Straßenrand stehen große Skulpturen von
M erleichtern. Nergabath ist schon immer ein Mensch-Tierhybriden, mit Edelsteinaugen. Sie
Ort der wandelnden Geister gewesen und der sollen magische Wächter sein und Feinde des
Y Kult des VisRa erhebt seit Jahrhunderten regel- Herrschers erkennen, um sie mit ihren steiner-
mäßig Tote. Einige führende Persönlichkeiten nen Klauen zur Strecke zu bringen.
R der Stadt sind ebenfalls Untote. Viele Geister Neben den luxuriösen Villen der Oberschicht
stammen aus der Vergangenheit der Stadt, und finden sich in der Oberstadt ausgedehnte Plät-
A wollen ihren Nachfahren eine Nachricht oder ze und Grünflächen, die für die Bewohner des
Ratschlag geben. Oder Opfer von Gewaltver- kargen Ödlandes eine reine Beleidigung sind.
N brechen kommen zurück, um ihre Täter anzu- Hier finden sich weitläufige Dattelpalmenhai-
klagen. ne, Brunnen mit Wasserspielen und künstliche
O Bisher waren freie Geister eher die Ausnah- Bachläufe, die dem Fluss im Tal nachempfun-
me, doch in der letzten Zeit sind solche Er- den sind, samt Schilf, Krokodilen und Fischen.
R scheinungen häufiger geworden. Auffällig ist, Eines der wichtigsten Gebäude der Oberstadt
dass viele aus der Zeit der Machtergreifung ist der Tempel des göttlichen Skarabäus, der
Khalduns und noch weiter davor stammen. Die Haupttempel des VisRa-Kultes. Das Sandstein-
Priester des VisRa tun alles, um die Bevölke- gebäude wird außen von acht Knochensäulen
rung ruhig zu halten und die Geister zur „Ruhe geziert und über der Pforte zur Andachtshal-
zu betten“. le schwebt ein Skarabäus aus Mondsilber und
Onyx. Die Andachtshalle dient den Angehö-
rigen als Ort der Trauer und der Einkehr. In
Nischen in den Wänden der geräumigen Halle
Die Unterstadt werden die Toten aufgebahrt. Die Nischen sind
mit Inschriften und Mosaiken, die das jenseiti-
Die Stadt teilt sich in eine Unterstadt und eine ge Reich VisRas zeigen, verziert. Die Halle ist
Oberstadt. Die Unterstadt besteht aus einem dunkel gehalten und nur von den Feuern vor
Gewirr an engen dunklen Gassen zwischen fla- der zentralen Statue des VisRa erhellt. Die Sta-
chen, einfachen Lehmhäusern. Gelegentlich er- tue des VisRa stellt einen Mann ohne Gesichts-
hellt eine Lampe oder ein leuchtender Stein die züge dar, der eine doppelköpfige Schlange wie
Gassen. Händler und Handwerker nutzen ver- eine Waage in der linken und ein Sichelschwert
schiedene mit Mineralien versetzte Öle, um den in der rechten Hand hält. An der Decke des
Lampen vor ihren Geschäften eine andere Far- Kuppelbaus sind geschliffene Edelsteine in die
be zu geben. Auf den Prachtstraßen durch das Decke eingelassen, die den Feuerschein re-
Umland und durch die Stadt, die zur Oberstadt flektieren und so einen Sternenhimmel erzeu-
führen, steht an jeder zweiten Straßenkreu- gen. Zwischen den Edelsteinen sollen mindere
zung eine Statue des Herrschers Khaldun, mit stellare Geister hin und herspringen und wie
einer immer brennenden Feuerschale auf deren Sternschnuppen wirken. Von der Andachtshal-
Sockeln, die für Beleuchtung sorgen. Zu Füßen le führen Gänge zu den Quartieren der ledi-
der Statuen legen die Bewohner der Unterstadt gen Priester, während Priester mit Familien in
Blumen nieder und verbrennen kleine Zettel der Stadt einfache Häuser bewohnen. Weitere
mit Gebeten an VisRa. Gänge führen zu den Arbeitsräumen, wie den
Balsamierungsräumen, Leichenhallen oder den
Erweckungskammern.
Der Tempel dient mehren Zwecken. Zum ei-
Die Oberstadt nen ist er das religiöse Zentrum der VisRa-Ver-
ehrung. Hier werden die Toten der Stadt gesam-
Die Oberstadt ist von den Monumental- melt, aufgebahrt und mumifiziert. Nach einer
bauten der Oberschicht geprägt. Die Gebäude Trauerzeremonie werden die Leichen in einer
bestehen aus Sandstein oder Mamor und sind Prozession zur Nekropole gebracht. Gleichzei-
mit Totenornamenten verziert. Stuckwerke mit tig dient der Tempel als Forschungsstandort
für die Priester, Magier und Alchimisten. Sie ist Die Nekropolen 31
auch die Garnison und Ausbildungsstätte der
Tempelgarde. Die Elitegarde des Herrschers re- Im Westen der Stadt liegen die Nekropolen.
sidiert mit ihm im Knochenpalast. Diese wurden über Jahrtausende in den Fels
geschlagen und dienten schon immer der Be- M
Gekrönt wird die Oberstadt vom Knochenpa- stattung der Toten. Im Reich der Sumurrer war
last, dem Sitz des Herrschers von Nergabath, Nergabath die Begräbnisstätte der Herrscher Y
der sich an den Tempel des göttlichen Skara- und auch damals schon das Zentrum der Vis-
bäus anschließt. Der Sandstein ist so behauen, Ra-Verehrung. Die meisten Grabstätten liegen R
dass er von Weitem aussieht als wäre er aus unterirdisch im Felsen der Berge verborgen,
tausenden Knochen gebaut. Es gibt einen di- doch besondere Herrscher haben sich Grabma- A
rekten Durchgang zwischen Kochenpalast und le über der Erde anlegen lassen. Diese Königs-
Tempel, da der Palast einst nur ein einfaches gräber sind besonders ausladend und erinnern N
Wohngebäude für die Priesterschaft war, bevor an eine Kombination aus großen Wohnhäu-
der Herrscher die Macht übernahm und den sern,mit Garten und mehreren Zimmern für O
Palast ausbaute. Nun überragt die Knochen- Wachen und Bedienstete, und kleinen Tempeln
kuppel alle anderen Gebäude. Die beiden Sei- voller Statuen und Opferschalen. R
teneingänge des Palastes werden von je zwei Die eigentlichen Grabkammern liegen meist
großen Statuen des VisRa flankiert. Der Kno- unter dem Tempel und sind nur über verborge-
chenpalast ist noch nicht vollendet, gerade im ne Eingänge innerhalb des Grabmals zu errei-
Inneren wird noch viel ausgebaut und deko- chen. Viele dieser Königsgräber werden noch
riert. immer von den Nachfahren einiger Bedienste-
Im Zentrum des Knochenpalastes und auf ter gepflegt. Andere sind längst verfallen und
einer Linie mit der Andachtshalle des Tempels vergessen.
des göttlichen Skarabäus, liegt der Thronsaal
des Herrschers. Beide Hallen sind durch eine Das trockene Klima begünstigt Mumifizie-
schwere, zweiflügelige Bronzetür getrennt, rung, die bevorzugte Bestattungsart des Vis-
in die von außen der Aufstieg des Herrschers Ra-Kultes. Die präparierten Leichname werden
Khaldun als Bildergeschichte eingraviert ist. in Grabnischen oder Grabkammern beigesetzt,
Nur bei besonderen Anlässen wird die Tür ge- welche anschließend versiegelt wurden. Be-
öffnet und auserwählten Bürgern ein Blick auf sonders angesehene Bewohner, Herrscher oder
den Thron des Khaldun gewährt. Der Thron hohe Beamte haben reich verzierte Grabkam-
wird von zwei steinernen Kreaturen flankiert, mern, die durch magische Fallen geschützt
die an eine Mischung als Lamassu, Riesenska- sind. In den Grabkammern wimmelt es von
rabäus und Flugskorpion erinnern. Der Thron hochgiftigen Fetzen-Taipanen. Sie gelten dem
selber hat Armlehnen, die wie mehrere Schlan- VisRa als heilig, da sie Nagetiere und Grabräu-
gen geformt sind. Die Rückenlehne erinnert ber gleichermaßen von den Mumien und den
an einen mit Skarabäenflügeln bewehrten, ge- Grabkammern fernhalten. Wer von einem Fet-
krönten Fetzen-Taipan. Das Maul der Schlange zen-Taipan gebissen wird und überlebt, gilt als
ist weit aufgerissen und die langen Giftzähne von VisRa gesegnet.
sind entblößt. Die Augen des Taipans bestehen Die Nekropole ist eine sehr gefährlicher Ort.
aus faustgroßen Rubinen. Der Schleier zwischen den Sphären ist hier
Hinter dem Thron geht es in den Ratssaal des besonders dünn und Dämonen können leicht
VisRramanten-Rats. Der VisRamanten-Rat ist, herüberwechseln. Auch kommt es vor, dass
neben dem König, das Machtorgan der Stadt ein Arbeiter verschwindet und nach Wochen
und verwaltet die alltäglichen Angelegenhei- seine Leiche aus dem Nichts wieder auftaucht,
ten Nergabaths. Der Rat besteht aus den sechs so verstümmelt oder deformiert, dass er nicht
höchsten VisRa-Priestern und dem Herrscher einmal mehr als Teil eines Knochengolems zu
Khaldun als Vorsitzendem. gebrauchen ist. Die Nekropole zieht auch Lei-
chenfresser an. Nicht nur Hyänen, Nagetiere
und Geier haben es auf die Leichen abgesehen,
auch Ghule haben sich in den Gängen der Nek-
ropole eingenistet.
32 Leben und Sterben geschaltete Meinung. Den Heranwachsenden
in Nergabath wird nahegelegt ein Jahr als Tempeldiener oder
Tempelwache zu arbeiten.
Nergabath ist eine isolierte Stadt und nur Auch im Sprachgebrauch hat sich der Herr-
M wenige Händler und machen sich auf den be- scher verewigt. Die Bewohner rufen ihn an,
schwerlichen Weg hierher. Die Dralquabar wenn sie sich freuen. Der deutlichste Unter-
Y meiden die Stadt, da sie Nergabath für verflucht schied zu anderen Eshbathi sind eindeutig die
halten. Die wenigen Händler, die die Stadt er- Untoten und Mumien, die nahezu allgegenwär-
R reichen, werden in speziellen Handelsarealen tig sind. In der Stadt gibt es zwei Sorten von Un-
am Eingang der Schlucht aufgehalten. Auf eine toten: niedere Untote und hohe Untote. Niedere
A Quarantäne wird hier verzichtet. Selten verlas- Untote dienen als einfache Diener, Lastenträger
sen Fremde das Handelsareal, um bis zur Stadt oder Feld- oder Bauarbeiter. Die meisten Toten
N vorzudringen. Fremde werden grundsätzlich werden nach etwa drei Monaten Mumifizierung
misstrauisch betrachtet. Das Leben in Nerga- wieder erhoben und dann für niedrige Arbeiten
O bath erscheint auf den ersten Blick ereignis- eingesetzt. Jeder Bürger ist verpflichtet seinen
los und langweilig. Ihre Nahrung besteht aus Körper nach seinem Tod dem Tempel zu spen-
R auf Stein gebackenem Brot, dünnem Bier und den. Aber nicht jeder Verstorbene hat das Glück
vielen Milcherzeugnisse aus Ziegen-, Ghaal- nach seinem Tod mit seiner vollen Geisteskraft
und Varkenmilch. Fleisch und Fisch sind selbst wieder aufzuerstehen. Die Priesterschaft prüft
an hohen Feiertagen eine Seltenheit. Das all- die Seele des Verstorbenen und entscheidet, ob
tägliche Leben ist eintönig für die Bürger der er würdig ist, in seinen Körper zurückkehren
Stadt. Nur die Prozessionen zur Nekropole sind zu dürfen. Dieses Privileg erfahren nur sehr
eine gern gesehene Abwechslung. Regelmäßi- wenige, meistens Priester und einflussreiche
ge Tempelbesuche sind Pflicht für die Bürger, Personen. Die meisten Seelen dürfen ewig ru-
ebenso wie Opfer. Jedes Haus hat im Eingangs- hen, während ihre Körper VisRa im Diesseits
bereich einen kleinen Schrein des Herrschers. dienen. Die Untoten gehören dem Tempel und
Auch wenn es offiziell nicht verboten ist, an- damit Khaldun. Jeder der einen Untoten zu Ar-
dere Götter zu verehren, finden sich hier keine beit einsetzen will, muss diesen beim Tempel
organisierten Kulte anderer Götter. für einen Zeitraum mieten. Danach kehrt der
Die gesamte Stadt ist durch den Personen- Untote zu seinem Herren zurück.
kult um den Herrscher Khaldun geprägt, der Besonders angesehene Personen und Wür-
als Abgesandter des VisRa gilt. Dazu kommt, denträger haben die Möglichkeit ihre Seele im
dass der Herrscher selbst ein Untoter ist. Vor Moment ihres Todes aus ihrem Körper extra-
etwa 200 Jahren hatte die höchste VisRa-Pries- hieren und nach der gründlicher Konservierung
terin, das Auge des VisRa, eine Vision von einem ihrer Leiche wieder in den Körper zu transfe-
göttlichen Gesandten. Sie suchten und fanden rieren zu lassen. Sie werden als höhere Untote
Khalduns kaum verwesten Leichnam in einer bezeichnet. Ihnen ist es erlaubt sich durch eine
zugemauerten Grabkammer aus der Zeit des großzügige Spende freizukaufen. Die Meisten
sumurrischen Inselreiches. Seine Seele fanden dieser höheren Untote streben aber einen hö-
sie in einem VisRa-geheiligtem skara- bäenfor- heren Rang in Tempelgarde oder Priesterschaft
migen Gefäß, welches der Leichnam in seinen an. Unter besonderen Umständen erhebt sich
Händen hielt. Sie gingen vor ihm auf die Knie ein Untoter selbst mit seinem Geist.
und schworen ihm ihre Treue. Kurz darauf saß In der Oberstadt patrouilliert eine Garde aus
Khaldun auf dem Thron der Stadt. So lautet auf schwarzen Kynokephalen, die als Ehren- und
jeden Fall die offizielle Version der Geschich- Elitegarde des Herrschers agiert. Khaldun hat
te. Khaldun ist auch im Alltag allgegenwärtig. seit seiner Thronübernahme ein weit verzweig-
In Nergabath gibt es Münzen mit dem Konter- tes Spitzelnetz in der Stadt aufgebaut, dessen
fei des Herrschers, die im Volksmund einfach einzige Aufgabe es ist Aufruhr in der Bevölke-
Schädel genannt werden. Ihr Wert entspricht rung aufzuspüren und Verschwörer und Unru-
einem Aureal. Die Priester des VisRa, welche hestifter auszuschalten. Der Herrscher unter-
von Khaldun persönlich handverlesen sind, hält einen kleinen, geheimen, nur ihm hörigen
sind in der Stadt für die Volksbildung zustän- Orden von Attentätern, die Phantome. Sie sol-
dig und sorgen mit Propaganda für eine gleich- len aus Lebenden und Untoten bestehen und
33

M
Y
R
A
N
O
R

Bild: K. Schwabe, »Der Herrscher Khaldun«.

Khaldun setzt sie ein, um mögliche Gegner in liegt in Nergabath begraben. Der Kataklysmus
der Stadt zu beseitigen. Gleichzeitig sind die traf die Stadt sehr hart. Abgeschnitten von ih-
Phantome seine Augen und Ohren jenseits der ren Geldgebern erhoben sich die Priester zu
Stadt. Angeblich hat er ein Phantom in jeder den Herrschern der Stadt. Nach einer Hungers-
Eshbathiya der Wüste und einigen Städten des not im Jahr 4581 v. IZ wurden erstmals Untote
Seebundes. zur Bewirtung der Felder eingesetzt. Was als
Notlösung gedacht war, wurde schnell zum all-
täglichen Anblick. Der Priesterrat wurde zum
VisRamanten-Rat und die Stadt zur Hochburg
Geschichte der Stadt: der Nekromantie. Anfangs wurden die Untoten
noch mittels Magie erhoben, doch die Konser-
Nergabath ist sehr alt. Sie gehörte zu den vierung der Toten war äußerst mangelhaft und
ersten Kolonien, die je von den Sumurren ge- die Untoten mussten aufwändig gepflegt wer-
gründet wurden. Sumurrer nutzten die Berge, den, da ihnen die Sonne schwer zu schaffen
in denen Nergabath liegt, für ihre Gräber. Hier machte. Durch Schutzformeln, die die Alshin-
lebten nur wenige Priester, Arbeiter und Bau- jira in Amulette bannten, wurde der Feldein-
ern, die sich um die Gräber und die dazugehö- satz erleichtert. Mit der Zeit gingen die Pries-
rigen Tempel kümmerten. Die Stadt wurde in ter dazu über, Untote mit Mirakeln zu erheben.
offiziellen Dokumenten nicht erwähnt, da die Von der imperialen Besetzung der Narkramar
Grabstätten der Herrscher geheim bleiben soll- und deren Abfall haben die Bewohner Nerga-
ten. Nicht jeder Herrscher der alten Sumurrer baths nicht viel mitbekommen.
34 Mit dem Ende der imperialen Besetzung zog der Oberfläche. Die einfachen Bürger hungern
eine Einheit Kynekophalen in das Gebiet um und die Lebensmittelpreise steigen. Viele beten
die Eshbathya. Der VisRamanten-Rat rekru- zu Khaldun, er möge VisRa bitten, das Sterben
tierte den Stamm und machte sie zu den Wäch- der Pflanzen und Tiere und damit den Tod sei-
M tern der Grabmäler, um diese vor zunehmen- ner Anhänger auszusetzten. Doch Khaldun und
der Grabräuberei und Aasfressern zu schützen. die VisRa-Priesterschaft haben den Knochen-
Y Aus den einfachen Wächtern entwickelten sich palast verschlossen. Zudem trägt Khaldun seit
über die Jahrhunderte eine schlagkräftige und mehreren Monaten bei öffentlichen Auftritten
R gefürchtete Elitegarde, die nur dem VisRa- nur noch eine goldene Maske ohne Gesichts-
manten-Rat untersteht und sich durch ihren züge. In der Bevölkerung macht das Gerücht
A schwarze Fellfarbe ausszeichnet. die Runde, dass hinter dem goldenen Antlitz
nicht mehr Khaldun, sondern ein Doppelgän-
N Vor etwa 200 Jahren tauchte Khaldun aus ger steckt. Der echte Khaldun soll entrückt,
dem Nichts auf und übernahm die Herrschaft auf einer Sphärenreise verschollen oder end-
O über die Stadt. Viele Einzelheiten zum Umsturz gültig tot sein. Der VisRamenten-Rat geht mit
sind heute zerstört oder verschollen. Unge- aller Härte gegen diese Gerüchte vor. Doch die
R wöhnlich ist, dass ein Großteil der Aufzeichun- Anzeichen sind allgegenwärtig, dass etwas im
gen des Tempels in dieser Zeit Lücken auf- Knochenpalast nicht stimmt.
weisen und Teile des VisRamanten-Rats einen In den ältesten Grabmälern und Ruinen
unnatürlichen Tod starben. Die Chroniken be- leuchten seltsame Piktogramme auf, deren Be-
richten hier von einer mysteriösen Seuche, die deutung nicht geklärt werden kann. Selbst die
in der Stadt ausbrach. Die Isolation der Stadt Befragung der Geister hat keine klaren Aus-
wurde noch weiter vorangetrieben und viele, sagen erbracht. Die Priesterschaft vermutet,
die mit der Machtübernahme unzufrieden wa- es handele sich um eine Warnung. Gerade im
ren, flohen in die Berge. Dort bildeten sich die Zusammenhang mit der herrschenden Hun-
ersten Rebellenlager, angeführt von einem jun- gersnot, deutet alles auf das Ende der Stadt hin.
gen ehemaligen Tempelgardisten namens Qes. Deshalb brechen erstmals Händler aus Negra-
Etwa 10 Jahre später erhoben sich die Rebellen bath mit Erz, Wein, Gift und Kunstgegenstän-
und versuchten in den damals noch unfertigen den aus den Gräbern in die Eshbathi jenseits
Knochenpalast einzudringen, um Khaldun zu der Berge auf. Sie sollen über den Handel neues
töten. Der Aufstand scheiterte kläglich, Qes Wissen und Nahrungsmittel in die Stadt brin-
wurde gefangen genommen und bei lebendi- gen und sie vor dem Untergang retten.
gem Leib öffentlich ausgeweidet. Seine Organe
wurden den Krokodilen im Fluss zum Fraß vor-
geworfen. Sein Kadaver wurde anschließend
verbrannt, so dass er nicht wiederauferstehen Die Berge im Umland
kann. Die wenigen Rebellen, die fliehen konn-
ten, halten sich seitdem versteckt. In den La- Auch wenn die Gegend um die Stadt als re-
gern geht das Gerücht um, Qes‘ Geist würde lativ unbewohnt gilt, haben sich seit ein paar
durch die Wüste wandern und an den Feuern Jahrhunderten einige hundert Bergbauern in
der Bergbauern noch immer für die Sache der den Bergen niedergelassen. Die Bergbauern
Rebellion werben. leben von den geringen Erträgen ihrer Felder.
Während sich Nergabathi und Bergbauern an-
Die Zeiten haben sich in den letzten Jahren fangs noch ignorierten, weckten die mit Gold,
verschlechtert. Das Hochwasser ist jetzt das Edelsteinen und magischen Artefakten gefüll-
dritte Jahr in Folge ausgeblieben und die Erträ- ten Gräber schließlich bei den Bauern Begehr-
ge der Felder sind spärlich ausgefallen. Viele lichkeiten, woraufhin sie sich der Grabräuberei
Pflanzen sind abgestorben und Tiere verendet. zuwandten. Die Priesterschaft hasst die Berg-
Die wenigen Tiere, die noch leben, verschwin- bauern dafür und führt öfters Strafexpeditio-
den nach und nach aus den Ställen, ohne dass nen in die Berge. Doch die Bauern kennen sich
sie eine Spur hinterlassen. Die Nergabathi ma- zu gut in ihrem Terrain aus und so kehren die
chen die Rebellen in den Bergen dafür verant- Truppführer meist mit leeren Händen zurück.
wortlich. Die Fische im Fluss treiben leblos an Die Lager der Bergbauern sind nach dem Er-
scheinen von Khaldun zu einem Rückzugsort Ihre Tiere treiben die Nergabathi auf die Flus-
35
für Zweifler, Querdenker und Rebellen gewor- sauen. Die Stadt verfügt über einige reichhalti-
den. ge Gold-, Edelstein-, Zinn- und Kupferminen in
Das Umland wimmelt vor Raubtieren, Ghu- den Bergen, die ausschließlich von Untoten un-
len, teilweise sogar freien Dämonen und Geis- ter Aufsicht der Priesterschaft bewirtschaftet M
tern. Besonders Geier und Hyänen streifen werden. Seit sich Nergrabth im Fernhandel ver-
durch die felsige Landschaft und lauern auf sucht, haben sich neue Wirtschaftszweige ent- Y
eine Gelegenheit sich auf einen unachtsamen wickelt. Zu den Exportwaren zählen vor allem
Untoten oder Wanderer zu stürzen. Wissen über die alten Sumurrer und Nekro- R
mantie, aber auch Kunstgegenstände, teilweise
Kopien oder auch Originale aus den Gräbern, A
welche das Kunsthandwerk belebt und zu einer
Die Wirtschaft von Nergabath Wiederaufleben der alten sumurrischen Ar- N
beitstechniken geführt hat.
Die Bewohner von Nergabath leben haupt- Aber auch die Produktion von Giften und die O
sächlich von Ackerbau und Viehzucht. Sie Zucht von Gifttieren haben einen Aufschwung
pflanzen in den Nähe des Flusses Getreide und erlebt, diese waren bisher hauptsächlich für R
Gemüse an. An einigen Berghängen wird un- die Verwendung in religösen Zeremonien be-
ter hohem Personal- und Wassereinsatz Wein stimmt. Einige Züchter und Melker produzie-
kultiviert, der ausschließlich für die Obrigkeit ren gezielt für den Export, doch kämpfen sie
bestimmt ist. Eine kleiner Anteil der geringen noch mit der Haltbarkeit der Substanzen. Auch
Weinproduktion geht ebenfalls in den Export die Alchimisten der Priesterschaft profitie-
und bringt als Rarität auf den Märkten jenseits ren von der Überproduktion an Giften, da sie
der Wüste enorme Preise, auch wenn sein Ge- als Ausgangsstoff für die unterschiedlichsten
schmack als staubig und sehr trocken beschrie- Tinkturen und Mittel dienen.
ben wird.
Jan Stawarz
36
Nandramukti – Hochburg
M
der Erleuchtung
Y
R Einwohner: Amaunir, Menschen (Standard, Einziges Exportgut sind die Lotusblüten, die als
Bansumiter, Vesai), Pardir, Tighrir, Shingwa Färbemittel, Droge oder als Zutat in alchemis-
A Symbol: Goldene Lotusblüte mit dreistrahli- tischen Erzeugnissen dienen. Der Handel wird
gem Lichtkranz auf rotem Grund zentral über die gleichnamige Hauptstadt abge-
N Herrschaft: Radjar mit einem beratenden wickelt und die Lotushändler sind sehr wohl-
Priesterrat habende Leute.
O Bewohner: Amaunische Oberschicht, gläubige Seine Bewohner gelten als friedfertig und
Mitglieder einer Kastengesellschaft, gefangen gläubig. Die Gesellschaft des Radjarats teilt
R in religiösen Auseinandersetzungen. sich in ein Kastensystem, dessen höchste Kaste
die Amaunir bilden. Im lokalen Glauben durch-
lebt jeder Bewohner mehrere Leben und wer
ein gutes Leben geführt hat, wird im nächsten
Leben in einer höheren Kaste wiedergeboren.
Schlechte Personen werden bestraft und in
einer niedrigeren Kaste wiedergeboren. Die
Götter haben im Glauben der Nandra keine
Sonderrolle, sondern unterliegen den gleichen
Regeln. Gläubige Isbaristen erhoffen sich selbst
nach einer mehrere Leben dauernden Reihe
von guten Taten als Adliger und dann sogar als
Gott wiedergeboren zu werden. Einige Gläu-
bige, die Minaministen, behaupten sogar, dass
es keine Götter gibt, sondern am Ende des We-
ges das Lösen aus dem ewigen Kreislauf der
Wiedergeburt steht. Gelehrte und Priester der
Stadt streiten heftig über diese Kontroverse.
Gelegentlich kommt es zu offenen Konflikten
Bild: P. Horstmann
der beiden Glaubensgruppen. Fanatiker beider
Seiten verüben immer wieder Anschläge oder
Attentate auf Priester oder Adlige der anderen
Seite, weshalb sich hohe Beamte und Adlige oft
andramukti liegt in mitten des Dschungels von unauffälligen Leibwachen schützen lassen.
N und ist eins der kleinen Radjarate. Einst
ein Teil des Radjarates Sulas, spaltete es sich im
Ihre Nachbar-Radjarate sehen die Nandra als
religiöse Spinner, die nicht groß beachtet wer-
Bürgerkrieg davon ab und seither herrscht ein den, da das Radjarat keine große Militär- oder
lauwarmer Konflikt zwischen den beiden Rad- Handelsmacht ist. Einzig Sulas will Nandra-
jaraten. mukti vernichten und sich das Gebiet einver-
Durch geschickte Bündnispolitik der verstor- leiben.
benen Radjara BiMao der Weisen hat das Rad-
jarat es geschafft, Bündnisse mit seinen ande- Die Hauptstadt Nandramukti ist am Kamala-
ren Nachbarn auszuhandeln, die sie vor einem jhila, dem Lotussee, gelegen. Unzählige Kanäle,
Krieg mit Sulas schützen. Das Radjarat besitzt im Uferbereich des See und stadtnahe Flüsse,
kaum Rohstoffe und lebt hauptsächlich von der sorgen dafür, dass das jährliche Hochwasser
Landwirtschaft. Seine Einwohner leben vom der Regenzeit die Siedlungen und die Haupt-
Fischfang, der Viehzucht und vom Ackerbau. stadt nicht überflutet und die Felder mit Wasser
und fruchtbarem Schlamm versorgt werden. keine Hindernisse für die Jharranothen-Kar-
37
Die Stadt liegt in den Überresten einer Tem- ren darstellen, formen das Stadtbild und sind
pelanlage, die schon zur Zeit der Aurishaner heute noch an den Stadträndern teilweise vom
entstanden sein soll. Die Jharra nutzten die Dschungel überwuchert oder schon vor langer
Tempelanlage als Zentrum ihrer Sonnengott- Zeit im Schlamm des nahen Sees versunken. M
verehrung und waren auch für die Anpflan- Die Herrschaft hat über die Zeitalter öfters ge-
zung des Lotus verantwortlich. Nandramukti wechselt und daher finden sich in und an den Y
war damals eine Enklave des Echsenvolkes, aus Tempeln Anzeichen von echsischer oder an-
der sie ihren Angriff auf die Amaunir führten. derer Besiedlung. Ein Großteil ist aber bei der R
Sie soll eine Hochburg der Forschung gewe- letzten Eroberung durch das Imperium und dem
sen sein.Unter einer der Pyramide soll sich die makshapuramischen Bürgerkrieg zerstört wor- A
Gruft des großen Jharra-Priesters und Tempo- den. Die amaunischen Bewohner haben sich in
manten Ssskra‘Nark befinden, der angeblich den Steingebäuden ihre Wohnungen eingerich- N
dort noch immer durch die Zeit reist und an tet. Die einfachen Bürger haben sich außerhalb
diesen Ort zurückkehrt. der steinernen Strukturen angesiedelt, die vom O
Auch heute ist Nandramukti ein Zentrum Zentrum der Stadt durch ein breites Wasserbe-
der Magie, gerade die Sadhaka sind hier sehr cken abgegrenzt werden. Das Wasserbecken ist R
deutlich häufiger zu finden als BaLoa. Nach in der Trockenzeit von tausenden Lotusblüten
Abzug des Imperiums zogen sich viele Sadhaka bedeckt.
nach Nandramukti zurück, da sie sich nicht in Im Zentrum der Stadt steht eine 50 Schritt
die Machtspiele der Radjars einmischen woll- hohe Stufenpyramide, die wohl von den Auris-
ten. Häufig sitzen sie in den Tempelruinen und hanern erbaut wurde und eventuell einst Zent-
meditieren über magische Probleme. rum ihrer Aurisha-Verehrung war. Heute dient
sie als Sitz des Radjars und seines Hofstaates
Große Zwiebeltürme mit Steingesichtern, und als Tempel der Aurisha.
Stufenpyramiden, seltsame verwitterte Statu- Der Radjar residiert in einem Palast, der in
en und Fresken, breite Straßen und Plätze, die die unteren Stufen der Pyramide gebaut wurde.

Bild: K. Schwabe, »Stadtansicht«


38 YiRor der Unnarrbare ist ein junger unerfahre- Weisheit und guter Taten einen Wandel zum
ner Herrscher, der sich auf die Ratschläge sei- gottgleichem Wesen vollzog. Einige Einwohner
nes priesterlichen Beraterstabes verlässt, die der Stadt und Bewohner des Umlandes streben
schon seiner verstorbenen Mutter dienten. noch heute diesem mystischen Herrscher nach,
M um, wie er, ihre sterbliche Hülle hinter sich zu
Unzählige Fresken und Inschriften auf der lassen. Diese dritte Glaubensrichtung versucht
Y Pyramide erzählen die Legende eines Feliden aus dem Untergrund heraus, das Kastensystem
– den viele für einen Aurishaner halten – na- abzuschaffen und Gleichheit des Volkes einzu-
R mens Bharrnar, der vom einfachen Bettler zum führen, in der keine Unterschiede zwischen den
Priester oder Herrscher der Stadt aufstieg und Spezies bestehen. Die Oberen der Stadt verfol-
A nach vielen Prüfungen seines Glaubens, seiner gen diese Bhanamisten mit brutaler Hand.

N Jan Stawarz

O
R

Bild: K. Schwabe, »Überwachsenes Relief«


39
Das Aggdrim oder Erzschnapper
M
as Aggdrim ist ein der Domäne Aggari zu- anderen Daimoniden und Artgenossen nicht Y
D geordneter Daimonid, der vermutlich aus
der Pervertierung von Waranen und größeren
halt. Ein Grund hierfür ist die sehr schlechte
Sicht der Erzschnapper. Sie können zwar die R
Raub- echsen entstanden ist. Körperwärme potenzieller Beute sehen, erken-
nen sonst aber nur grobe Umrisse und haben A
Es lebt auf der verdorbenen Erde über Nara- keinerlei Farbwahrnehmung. Auch scheinen
kam und wird sowohl für seine Aggressivität sie weder über ein ausgeprägtes Gehör, noch N
gefürchtet, als auch als Quelle alchimistischer über einen guten Geruchssinn zu verfügen. Al-
Rohstoffe geschätzt. Das Aggdrim wirkt wie lein ihre gute Tarnung und ihre hohe Angriffs- O
aus dem Gestein herausgebrochen. Die schrof- lust scheinen diese Wesen am Leben zu halten.
fe und kantige Haut ist bräunlich bis grau und Aggdrim sind in der Lage sich von Gesteinen R
ähnelt stark dem Gestein des Nistplatzes. Der zu ernähren, wenn die Not es erfordert, benö-
Kopf ist flach und gedrungen. Die kleinen lid- tigen aber in regelmäßigen Abständen frisches
losen Augen stieren hungrig geradeaus. Aus Fleisch oder Aas, jedoch keinerlei Wasser.
den Nüstern und aus dem Maul tritt beständig
eine mineralische Säure aus, die auch Eisen Einmal im Jahr begeben sich die Aggdrim
und Stahl zersetzen kann. Der Leib des Wesens zu einem vulkanischen Krater, in welchem die
wirkt unangenehm aufgebläht. Auf dem Rü- Männchen versuchen ein Weibchen zu begat-
cken finden sich steinerne Auswüchse, die als ten. Dabei begatten sie, bedingt durch ihre un-
Panzerung dienen. Nur nahe der Kehle ist das terentwickelten Sinne, alles, was sie für einen
Aggdrim relativ ungepanzert. Die krummen, möglichen Geschlechtspartner halten. Viele
kurzen Beine lassen es auf den ersten Blick Aggdrim verlieren in diesem Paarungswahn
langsam wirken, doch auf kurze Distanzen ist ihr Leben, da sie einfach zerquetscht werden.
es ein hervorragender Sprinter. Die überlebenden Weibchen legen ihre Eier im
Zentrum des Kraters ab, nachdem die männ-
lichen Exemplare diesen verlassen haben. Die
Aggdrim betreiben keinerlei Brutpflege, die
Verbreitung Jungen werden nur von den giftigen Dämp-
fen des Kraters geschützt und ernähren sich
Aggdrim leben in den Talsenken über Nara- in ihren ersten Wochen von den Kadavern im
kam. Sie sind außerhalb der Paarungszeit stark Krater. Sind die Kadaver verzehrt, verlassen die
territoriale Einzelgänger, besetzen solange sie jungen Aggdrim ihren Geburtsort und suchen
genug Nahrung finden, jedoch nur kleine Ge- sich kleinere Territorien in der Umgebung. Mit
biete von einigen Rechtmilia. Gewässer werden zwei Jahren ist die Brut ausgewachsen und
von Aggdrim gemieden, da diese strikte Nicht- selbst fortpflanzungsfähig.
schwimmer sind. Auch Regen können die Kre- Die durchschnittliche Lebenserwartung ei-
aturen nicht ausstehen. Bei entsprechendem nes Aggdrim liegt bei nur etwa fünf Jahren.
Wetter kann man sie weit bis in die Höhlensys-
teme Narakams kreischen hören. Die Narakami nutzen den Aggdrim als Quel-
le alchimistischer Substanzen. Bei Bedarf wer-
den kleine Gruppen an die Oberfläche gesandt
und suchen ein schlafendes Exemplar, das sie
Lebensweise mit einem mittel aus Pilzen betäuben. Dann
müssen sie schnell Speichel, Blut und Urin
Erzschnapper werden von wenig mehr als ih- abzapfen und sich rasch entfernen, da das Be-
ren Trieben gesteuert. Die bevorzugte Jagdwei- täubungsmittel schnell abgebaut wird. Manche
se ist die Lauerjagd. Dabei macht es auch vor Erzschnapper entwickeln auch eine Toleranz
40 gegenüber dem Betäubungsmittel und führen Gewicht: 5 Quader
dann zu Verlusten unter den Sammlern. MU 14 IN 12 KO 20
Biss: AT 8 TP 2W6+1 DK H
Klauen: AT 8 TP 1W6+3 DK H
M Schwanzschlag: AT 12 TP 1W6+3 DK HN
Im Spiegel der Kulturen PA 10 INI 1W6+9 RS 7 WS 10
Y LE 40 AU 65 GS 8 MR 12/4 GW 10
Aggdrim sind nur in Narakam bekannt. Sie Jagd: +7, Angriff
R stellen eine Bedrohung dar, wenn sie sich in die Beute: Felshaut (6 Ag), Blut (3 Au), Fleisch (ungenieß-
Tunnel Narakams verirren, werden aber nicht bar), Speichel (5 Ag), Urin (3Ag)
A übermäßig gefürchtet. Attribute: Heißblut (I), Wärme-
sicht, Raserei (3), Resistenz (Feuer)
N Daniel Bluhm Fertigkeiten: Hinterhalt (3), Talent Sinnenschärfe (3;
4/12/12), Umreißen (1; Schwanzschlag)
O Werte des Aggdrim Kampfweise: Aggdrim schlagen und beißen im Kampf
Verbreitung: Oberfläche Narakams wahllos um sich. Sie kämpfen bis der Angreifer sich zu-
R Größe: 2 bis 3 Schritt Körperlänge rückzieht oder bis zum Tod.
41
Der Zorn der Nanja
T
H
von Roland Hofmeister für DSA4.1 bzw. den dem Stand der Helden entsprechend generös A
Regeln aus Wege nach Tharun (die Helden_innen werden mit reichlich Essen
und Pflaumenwein bedacht). Von Anfang an ist R
D er Marakai von Arinda im Achipel Kan-
da, Toto Nobuga, hat ein großes Problem.
Das Problem Toto Nobugas ist, dass der Archi-
darauf bedacht, die Eindringlinge von ihrem
Auftrag, Sanja aus dem Hain zu holen, abzu-
bringen.
U
pelrichter sein Geheimnis gelüftet hat (ein Ge- • Wann immer sich die Heldengruppe vom N
heimnis, das ihn vor den Göttern und in den Gästehaus am Rande des Dorfes Richtung Tor
Augen seiner Untertanen für das Amt des Ma- aufmacht, taucht eine Gruppe junger Mäd-
rakai ungeeignet macht) und dieser, als eine chen auf, die mit ihren bäuerlichen sexuellen
Art Schweigegeld, Totos jüngste Schwester als Reizen versuchen, die Heldengruppe von ih-
Masha verlangt: Sanja, die der Nanja vom Bam- rem Weg abzubringen.
buswald als Dienerin zur Seite steht. Die ers- • Bauern tauchen auf, erzählen von Monstern
te Delegation, die zur Nanja geschickt wurde, auf den Feldern oder bei der Alten Mühle
kam mit Schweineköpfen statt Menschenköp- außerhalb des Dorfes und bitten die Helden-
fen und der dezenten Bitte zurück, man möge gruppe, ebenjene zu vernichten.
doch nicht vergessen, dass Sanja als Tribut an • Während eines Gelages erzählt Mong Hang
die Nanja vor drei Erntezeiten geschickt wor- der Heldengruppe von der Angst, durch eine
den war und dass noch nie jemand den Tribut wütende Nanja gestraft oder vernichtet zu
von einem Höherstehenden zurückgefordert werden. Diese Gefahr erscheint für die Dorf-
habe. bewohner schrecklicher als der Zorn des In-
selherren, der ja zuerst die Helden_innen tref-
Die zweite Delegation, die Heldengruppe, fen würde.
soll Sanja zurückbringen, notfalls mit Gewalt,
und einen Frevel an den Gesetzen Nanurtas Was die Heldengruppe nicht weiß und den
riskieren. Der Inselherr hofft, dass die Helden- Dorfbewohnern nicht bewusst ist: Alle Bewoh-
gruppe sein Problem lösen wird. ner Buschans haben einen verhältnismäßig
einfachen Zugang zur Nanja: Sie müssen nur
durch drei leere Kammern des Hains schreiten,
um vor dem Schrein der Nanja zu stehen.
Das Dorf Buschan
Buschan liegt am Rand des Hains. Ein idylli-
sches, kleines Dörfchen, umgeben von Reisfel- Der Hain der Nanja
dern, mit Pfirsich- und Maulbeerbäumen in den
Gärten der einfachen, dennoch gepflegten Häu- Der Hain der Nanja ist eine kleine Globule, in
ser. Im Dorf leben sechs Familien (die Lengs, die der ein Wald aus Bambus, Rotem Ahorn, und
Tonoos, die Hui, die Tzhie, die Wunns und die Silberweiden wächst. Durch den Hain schlän-
Hangs). Dorfältester ist Mong Hang. Er residiert gelt sich ein etwa 1,5 Schritt breiter Pfad, der
in einer kleinen Villa gleich neben dem Tor, das immer wieder von 10 Schritt langen und 5
in den Hain führt. Auf dem Gelände seines An- Schritt breiten Lichtungen, im folgenden Kam-
wesens steht auch der Dorfschrein für Nanurta, mern genannt, unterbrochen wird. Da die Wän-
die Nanja und Pateshi. de dieses Naturgewölbes aus Bambus bestehen,
kann man
Der Empfang der Heldengruppe ist kühl,
42 a) d
 urch sie hindurchsehen (allerdings nur etwa machen muss und wer den Kopf spielen darf.
drei Schritt, danach verliert sich der Blick im Fünf andere Bauern sind als Rakshazars ver-
Dickicht) kleidet.

T b) sich durch sie hindurchschlagen (und damit 2. Ein paar Gruus (1W6+3), die ähnlich kostü-
den Weg zum Zentrum deutlich abkürzen). miert sind wie die Helden, werden von W6
H Wenn die Helden_innen eine Orientierungs- Diwen angegriffen. Greifen die Held_innen
probe +5 schaffen, sollte sich der Weg deut- nicht ein, erleben sie ein Massaker. Greifen
A lich verkürzen. sie ein, werden die Gruus den Held_innen als
ergebene Diener folgen, im Geheimen aber
R Heldengruppen, die über entsprechende Flug- sabotieren sie, wo es nur geht. Heiltränke
tiere verfügen, können auch versuchen, den fehlen, Runensteine werden entwendet, So-
U Hain zu überfliegen und von oben in die Glo- cken geklaut ... (wie erfahrene Gruu in Wege
bule einzudringen. Von oben sieht der Hain wie nach Tharun, S. 266 bzw. Werte unerfahre-
N eine dichte, grüne Decke aus. Stoßen die Flie- ner Diwen, S. 272)
genden durch das Blätterdach, landen sie auto-
matisch in einer der Kammern nach Wahl des 3. Die Kammer ist ein Friedhof. Überall stehen
Spielleiters. Startet der Fliegende wieder und Grabstelen, Weihrauchstäbchen glühen. An-
verlässt den Hain, ist er wieder in Tharun. Bei zahl der Held_innen frische Gräber befinden
erneuten Eindringen in den Hain landet er in sich auf dem Friedhof. Die Grabstelen tragen
einer ausgewählten Kammer. den Namen der Held_innen. Helden mit dem
Nachteil „Aberglaube“ oder „Totenangst“ er-
Die Lichtverhältnisse im Hain sind eher leiden entsprechende Nachteile.
schlecht, durch das Blätterdach dringt nur grün
gedämpftes Licht, die Sicht ist um zwei Stufen 4. Die Heldengruppe findet eine Kiste in der
verringert. Ohne Lichtquelle wirkt das Laby- Mitte der Kammer. Das Schloss lässt sich
rinth beklemmend (jene in der Heldengruppe leicht öffnen (Schlösser knacken −1). In der
mit dem Nachteil „Raumangst“ leiden unter Kiste befinden sich die Köpfe der ersten
entsprechenden Beeinträchtigungen), Licht- Delegation. Sobald sich die Held_innen die
quellen werfen verwirrende Schattenbilder (alle Köpfe näher ansehen, schlagen diese die Au-
Helden_innen mit dem Nachteil „Aberglaube“ gen auf und beginnen zu singen! Sie singen
erleiden entsprechende Beeinträchtigungen) von Niederlagen, von Vernichtung und der
Macht der Nanja.
Um den heiligen Schrein des Hains in der Mitte
der Globule hat die Nanja ein Labyrinth auf- 5. Die Heldengruppe hört ein Flüstern, das erst
gebaut, das aus mehreren Kammern besteht. kaum wahrnehmbar ist, dann immer lauter
Die Kammern können den Themen »Abschre- wird und zu einem vielstimmigen Chor an-
ckung«, »Bestechung« und »Bekämpfung« schwillt. ”Verschwindet, verschwindet, ver-
zugeordnet werden. Es ist sowohl möglich, schwindet!”
die Kammern selbst auszuwählen, als auch per
Würfel zu entscheiden, wie groß das Labyrinth 6. Die Heldengruppe betritt W20+1 mal die
werden (2W6 Kammern + der Schrein im Her- gleiche Kammer, sie laufen im Kreis. In der
zen) und wie viele Kammern es haben soll. Kammer finden sie Spuren ihrer selbst, die
sie beim letzten mal hinterlassen haben:
Müll, Fußspuren, Blutspuren, Lagerfeuer …
Die Kammern
der Abschreckung (1W6)
1. Die Helden_innen können lauten Streit Die Kammern
hören. Wenn sie sich leise genug nähern der Bestechung (1W6)
(Schleichen +3) können sie sehen, wie sich 1. Mitten in einer durch Lampions erleuchteten
mitten in der Kammer zwei Bauern darum Kammer ist ein Teetisch bereitet. Die Tee-
streiten, wer denn beim überraschend echt kanne hat ein Geheimnis: In der Kanne gibt
wirkenden Hornlöwenkostüm den Hintern es zwei Wasserbehälter. Durch das Öffnen
oder Verschließen bestimmter Löcher, die am
Die Kammern 43
der Vernichtung (2W6)
hohlen Griff sind, kann Flüssigkeit aus dem
einen oder anderen Behälter ausgeschenkt 2. Ein Hornlöwe stellt sich der Heldengruppe in
werden. Das heißt, ein leidlich geschickter den Weg. Wollen die Helden weiter, so müs-
Attentäter könnte seinem unbedarften Opfer sen sie den Hornlöwen überwinden. (Werte T
Gift und sich selbst Tee einschenken (Ver- der Chi‘itri siehe Wege nach Tharun, S. 272)
gleichsprobe gegen die Sinnenschärfe des H
Opfers auf Verbergen). In der Teekanne be- 3. Ein Rudel Lykhora (2W6) (s. WnT, S. 277) la-
finden sich zum Einen ein wohlschmecken- gern in der Kammer. Schleichen +3, um unbe- A
der Tee, zum Anderen ein starker, warmer merkt durch die Schlafenden zu schleichen.
Reisschnaps, dessen Genuss stark berauscht. Werden die Wesen wach, greifen sie die Hel- R
den_innen an.
2. Die Heldengruppe findet eine Kiste, in der U
der Brustharnisch “Bambuswehr” liegt. Eine 4. Eine fleischfressende Pflanze versperrt den
Stimme erklingt: “Wenn ihr meinen Hain Weg. (Werte wie Disdychonda ZooBotanica N
verlasst, soll die Wehr euer sein.” Verlässt die Aventurica, S . 233)
Heldengruppe den Hain nicht, verwandelt
sich der Brustpanzer in einen Haufen loser 5. Sobald die Heldengruppe die Kammer be-
Bambusstäbchen. treten, sprießt Bambus und wächst im atem-
raubenden Tempo in die Höhe. Körperbe-
3. Die Heldengruppe findet die Kammer leer vor. herrschung-Probe +2 um unbeschadet zum
anderen Ende der Kammer zu kommen. Das
4. Der Dorfälteste wartet in der Kammer und Gewicht der Ausrüstung behindert entspre-
bittet die Heldengruppe höflich, aus dem chend. Schaffen es die Helden nicht, werden
Hain zu verschwinden und die Nanja in Ruhe sie regelrecht aufgespießt. Der/ die Held_in
zu lassen. erhält 1W20 TP.

5. Mitten in der Kammer stehen weiche, ein- 6. Die Kammer ist leer, der Boden sandig. Die
ladende Liegen, mehrere Masha spielen im Kammer zu durchqueren sieht einfach aus.
Halbdunkel der Kammer auf Saiteninstru- Doch der Boden ist eine Falle: Treibsand!
menten eine einschläfernde, beruhigende KK-Probe +3, um nicht darin bis zur Brust
Musik, aus diversen Räuchertiegelchen steigt zu versinken. Sind alle Helden_innen ver-
schwerer, süßer Duft auf. sunken, endet das Abenteuer hier (vorerst).
Die Masha sind nur eine Illusion: Werden Nach etwa drei Tagen werden sie von den
die Masha näher betrachtet (Sinnenschärfe Bewohnern Buschans befreit und aus dem
+4) erkennt der/ die entsprechende Abenteu- Hain geführt. Waffen und Ausrüstungen
rer_in, dass die Masha nur Bambuspuppen in bleiben im Treibsand zurück.
aufwendigen Gewändern sind. Die Helden_
innen müssen dem Drang widerstehen, sich 7. Das Szenario ähnelt der Version 5 der Kam-
niederzulegen (je Spielrunde, die hier ver- mern der Versuchung. Mitten in der Kammer
blieben wird Selbstbeherrschung-Probe +3, steht ein weicher Diwan. Rund um den Di-
sonst legt sich die vom Zauber betroffenen wan leuchten blaue Laternen, im Halbdun-
hin und schlafen ein. Sollten alle einschlafen, kel spielen einige Masha Instrumente. Auch
wachen sie in der Gästehütte in Buschan auf) diesmal wird die Heldengruppe betäubt, je-
doch nicht bis zum Tiefschlaf. Danach grei-
6. Vor der Heldengruppe öffnet sich ein Weg fen die Bambus-Masha zur Schwinge und fal-
aus dem Hain hinaus. Draußen scheint es len über die Heldengruppe her.
gerade die gelbe Stunde zu sein, alles sieht
friedlich und freundlich aus, während die Bambus-Masha und Bambus-Gurai
Kammer düster und bedrohlich wirkt (jene Größe: 1,60 bis 1,7 Schritt (aufrecht gehend)
mit dem Nachteil „Aberglaube“ müssen eine Gewicht: *25 Stein
Selbstbeherrschung-Probe schaffen, sonst lau- MU 14 KL 13 IN 14 CH 14
fen sie schnurrstacks aus dem Hain hinaus) FF 13 GE 13 KO 10 KK 12
44 Dorn: anbeterin an. (Werte WnT, S. 214)
INI 11+1W6 AT 13 PA 10 TP 1W6 DK H
Kurzschwinge: 10. D
 ie Dorfbewohner haben für die Nanja ei-
INI 11+1W6 AT 15 PA 10 TP 1W6+4 DK N nige fremde Brigantai angeheuert. Diese
T LeP 15 AuP8 KaP– MR 0 GS 7 warten in einem Hinterhalt auf die Helden-
RS 1 BE 0 (Masha) gruppe (1W6+3 Brigantai. Durch eine Illu-
H RS 4 BE 2 (Holztorax und Toppet, sion der Nanja sind diese kaum im Dickicht
Bambus-Gurai) zu erkennen.)
A Vorteile/Nachteile: Angst vor Feuer 8
Sonderfertigkeiten: Wuchtschlag Angeheuerte Brigantai
R Talente: Sich verstecken 9, Schleichen 9, Sich Ver- MU 14 KL 11 IN 13 CH 11
kleiden 12, Selbstbeherrschung 10, Musizieren 7 FF 10 GE 15 KO 13 KK 15
U Anzahl: 1 LeP 38 AuP38 AsP – MR 5 GS 8
Größenkategorie: mittel RS 4 BE 2 (langer Bronn) Aus 8
N Typus: Belebtes Holz, humanoid Halbschwinge:
Beute: Bambus und Waffe INI 11+1W5 AT 14 PA 10 TP 1W6+3 DK N
Flucht: Verlust von 75 % der LeP Langholz:
Sonderregel: Empfindlichkeit gegenüber Feuer: Scha- INI 11+1W5 AT 14 PA 14 TP 1W6+5 DK NS
den durch Feuer wird verdoppelt. kleine Spange:
FK 12 LZ 1 TP 1W6+4
8. In der Kammer warten einige Dorfbewohner. Reichweite 10 20 35 50 80
Sie bitten die Helden, aus dem Hein zu ver- Vorteile/Nachteile: Goldgier 5
schwinden. Sonst, so drohen diese, gäbe es Sonderfertigkeiten: Finte, Kampfreflexe , Rüstungs-
ernste Probleme. Gehen die Helden_innen gewöhnung I, Wuchtschlag
nicht auf die Forderung ein, werden die Bau- Talente: Athletik 9*, *Klettern 6, Körperbeherrschung
ern-Brigantai die Helden angreifen. 8, Schwimmen 2, Selbstbeherrschung 10, Sinnenschär-
fe 6, Überreden 5
Bauernbrigantai aus Buschan: Größenkategorie: mittel
MU 12 KL 12 IN 14 CH 10 Typus: Kulturschaffender, humanoid
FF 14 GE 13 KO 13 KK 12 Beute: je nach Brigantai
Waffenlos: Kampfverhalten: Brigantai versuchen Gegner aus
INI 10+1W6 AT 12 PA 9 TP 1W6 DK H dem Hinterhalt anzugreifen. Ein Brigantai wird zu-
Langdorn: rückbleiben und die Gegner mit der Kurzspange be-
INI 11+1W6 AT 10 PA 9 TP 1W6+3 DK N arbeiten
Langholz: Flucht: individuell; spätestens nach dem Verlust der
INI 11+1W6 AT 11 PA 8 TP 1W6+5 DK NS Hälfte der LeP versuchen die Brigantai zu fliehen.
LeP 34 AuP38 KaP– MR 4 GS 8 Sonderregeln: Tarnung: Wenn Brigantai bewegungs-
RS 2 BE 0 (Spragner) Aus 7 los im Hain stehen, sind sie kaum zu sehen. Sie erhal-
Sonderfertigkeiten: Finte, Wuchtschlag ten in diesem Fall eine Erleichterung auf Sich Verste-
Vorteile/Nachteile: keine cken von 3.
Talente: Athletik 4, Klettern 2, Körperbeherrschung
4, Schwimmen 2, Selbstbeherrschung 2, Sinnesschärfe 11. D
 ie Kammer ist eine kreisrunde Lichtung,
6, Sich Verstecken 3, Menschenkenntnis 7, Überreden in deren Mitte ein einzelner Baum steht, der
3, Pflanzenkunde 10, Ackerbau 10 mit seiner schirmartigen Krone die Lich-
Größenkategorie: mittel tung nach oben abschließt. Der Boden ist
Typus: Kulturschaffender, humanoid mit Moos bewachsen. Der Baum selbst ist
Beute: je nach Brigantai, Essen, Flasche Bambus- hochgiftig, wer die saftig aussehenden, ro-
schnaps, Amulette ten Äpfel isst, ist so gut wie verloren (Wir-
Kampfverhalten: Die Bauern Brigantai kämpfen wie kung wie Kukris) Die Berührung der Rinde
… Bauern. Ohne Raffinesse, ohne Taktik oder von einzelnen Ästen verätzt die Haut
Flucht: individuell; spätestens nach Verlust eines (1 Wunde)
Viertels der LeP versuchen die Brigantai zu fliehen. 12. D
 ie Nanja selbst greift die Heldengruppe
9. Aus dem Unterholz greift eine Riesen-Gottes- an. Sie steht auf einem Stein in der Mitte
der Kammer und wird von dort die Helden
Der Sieg ist unser? 45
mit Zaubern bearbeiten. Ihr zur Seite ste- Wird die Nanja besiegt, gibt sie Sanja frei.
hen Bambus-Gunarai, die die Helden_in- Eine Bitte hat die Nanja aber noch: Sie möchte
nen mit Holzschwertern angreifen. Nach ihrer nun ehemaligen Schutzbefohlenen einen
spätestens drei Zaubern oder wenn die W6 Bonsai-Miniaturgarten in Form eines Modells T
Bambus-Krieger zerstört werden, flieht sie des Hains mitgeben. Besonders scharfäugige
in Richtung Tempel. Helden_innen können im Garten Miniaturen H
von sich entdecken (Sinnenschärfe+3). Der Mi-
Der Schrein im Herz des Tempels
niaturgarten ist schwer und kann nur zu zweit A
getragen werden. Verlassen die Helden den
Endlich erreicht die Heldengruppe das In- Hain, so stehen sie automatisch im Dorf Bu- R
nerste des Hains. Auf einer überraschend schan.
großen Lichtung steht ein runder, 10 Schritt U
durchmessender, erleuchteter Pavillon. Das Die Heldengruppe soll zudem den Archipel-
Auffallendste an der Lichtung ist, dass am richter begleiten. Auf seinen Wunsch hin sollen N
nächtlichem Himmel ein Mond zu sehen ist, die Helden ihre weitere Ausbildung am Hof des
eine Erinnerung daran, dass die Helden_innen Archipelars absolvieren. Damit will er ihre Lo-
sich in einer Feenwelt befinden. yalität erkaufen und dem Inselherrn zum Ab-
Im Pavillon, dem Tempel der Nanurta, erwar- schied noch einmal ein bitterböses „Geschenk“
tet die Nanja die Heldengruppe zum Kampf. machen. Nach ihrer Ausbildung sollen die Hel-
den wieder zurück auf die Insel kommen und
Die Nanja gegen ihren ehemaligen Herren agieren. Der
Größe: 2,00 Schritt Körpergröße Inselherr kann den Wunsch des Richters nicht
Gewicht: 50 Stein ausschlagen.
MU 13 KL 13 IN 15 CH 18 Der Miniaturgarten ist ein hochpotentes, ma-
FF 14 GE 13 KO 11 KK 11 gisches Artefakt, eine Art Portal in den Hain.
Waffenlos: Wegen der antimagischen Eigenschaften der
INI 13+1W6 AT 8 PA 8 TP 1W6 DK H Tharuner Sonne verliert das Artefakt täglich
Dorn: etwas an Macht, so dass die Nanja spätestens
INI 13+1W6 AT 8 PA 8 TP 1W6+1 DK H am Abend der Abreise von der Insel ihre Rache
LeP 24 AuP38 AsP 100 MR 10 GS 9 durchführt. Schon während einer Nachtruhe
RS 0 BE 0 Aus 8 auf der Reise zurück nach Arinda tauschen die
Vorteile/Nachteile: Herausragendes Aussehen Schwester des Inselherren und die Nanja ihre
Sonderfertigkeiten: keine Plätze, eine Illusion verhehlt das wahre Ange-
Talente: Athletik 3, Betören 15, Handel 2, Klettern 14, sicht der Nanja. In der Nacht der Abreise will
Körperbeherrschung 12, Menschenkenntnis 3, Schwim- sie den Richter, der mit ihr eine Kabine teilt,
men 6, Selbstbeherrschung 6, Sinnenschärfe 7, Überre- in eine Frau verwandeln und damit in der tha-
den 7, Sich Verstecken 10 runischen Gesellschaft jeder weltlichen und
Zauber: Die Nanja kann in ihrem Hain quasi alles kon- geistlichen Macht entreißen. Danach will sie
trollieren, wie sie will. Bei ihren Zaubern dominiert das durch das Portal zurück in ihren Hain fliehen.
Element Humus, hier durch Pflanzen und Ranken reprä- Aufmerksame Heldengruppen können den
sentiert. Tausch bemerken, da sich die Nanja etwas an-
Größenkategorie: mittel ders verhält als die echte Sanja. Ob die Hel-
Typus: Fee, humanoid dengruppe etwas bemerkt, hängt von der Auf-
Beute: keine (Feenkörper lösen sich nach dem Tod des merksamkeit der Helden ab.
Feenwesens auf) Die Heldengruppe darf eine Talentprobe
Kampfverhalten: Die Nanja meidet direkte Kämpfe, sie auf Sinnenschärfe ablegen. Bei einem Erfolg
setzt ihre Zauberkraft ein oder zieht sich nach 3 KR in von bis zu 3 Punkten* bemerken die Gruppe
den Hain zurück. Wird sie im Hain gestellt, ergibt sie nichts, da die Schwester des Inselherren sich
sich, sobald sie weniger als 10 LP hat. relativ normal verhält. Dass sie ihren Bruder
kaum erkennt, liegt an ihrer langen Trennung.
Bei 3 bis 5 Punkten finden sie Sanjas Verhalten
merkwürdig. Sie ist sehr um den Miniaturgar-
46 ten besorgt, vergisst immer wieder, etwas zu an dem Richter nehmen will, wie genau verrät
essen und zu trinken, kennt sich kaum mit der sie allerdings nicht. Stellen sich die Helden auf
Etikette des Reiches aus. Bei 6-8 Punkten neh- die Seite der Nanja, bittet sie sie, niemand zum
men die Auffälligkeiten, die bemerkt werden, Richter zu lassen, sobald der Minigarten in der
T stark zu. Es kommt oft vor, dass sie auf direkte Kabine des Richters steht. Stellen sie sich ge-
Ansprache nicht reagiert und sie lässt sich viele gen die Nanja, hat diese ein Problem. Als Sanja
H Selbstverständlichkeiten des Lebens in Tharun wird sie versuchen, den Minigarten vorbei an
von den Helden erklären. Bei mehr als 9 Punk- der Heldengruppe ins Zimmer zu schmuggeln.
A ten ist es klar: Vor den Helden ist die Nanja, die
sich als Sanja ausgibt.
R
Alternativ kann die Heldengruppe auch Ver- Der Sieg ist unser!
U suchen, sich friedlich mit der Nanja zu einigen.
Dazu müssen sie einiges an Überzeugungsar- Sollte die Heldengruppe rechtzeitig erken-
N beit leisten, hat doch die Nanja allen Grund, die nen, dass die Nanja ein falsches Spiel treibt,
Eindringlinge als ihre Feinde anzusehen (Über- könnte sie versuchen, den Angriff zu verhin-
zeugen-Probe +8). Die Helden können aber ei- dern. Die Nanja wird zuerst versuchen, den
niges tun, um die Nanja auf ihre Seite zu ziehen: Richter zu verwandeln, dann fliehen. Gegen die
Heldengruppe schickt sie drei Bambus-Krie-
• Die Heldengruppe legt Waffen und Rüstun- ger in den Kampf. Sollte der Minigarten zer-
gen ab und tritt der Nanja fast nackt gegen- stört werden, ist die Nanja besiegt. Sie verliert
über: Erleichterung um 2. schlagartig alle Zaubermacht und verwandelt
• Die Helden übermitteln Sanja die Grüße ihres sich in ein weinendes, schwaches Häufchen
Bruders: Erleichterung um 1. Elend. Da sie eine Dienerin der Nantura ist, soll
• Die Helden fordern die Herausgabe Sanjas im sie auf Wunsch des Richters zurück in den Hain
Namen des Archipelars und des Inselherrn: gebracht werden.
Erschwernis um 2. Konnte die Heldengruppe die Nanja nicht
• Die Helden treten Aggressiv und Respektlos enttarnen oder kamen dem Richter zu spät zu
auf: Erschwernis um 2. Hilfe oder arbeiten sogar mit der Nanja zusam-
• Die Heldengruppe erklärt ihr Handeln, sie men, so verwandelt er sich dauerhaft in eine
deckt das Geheimnis des Inselherrn auf und Frau. Damit ist er sein Amt los, niemand wird
erwähnt die Erpressung: Erleichterung um 4. ihm glauben, dass er der Archipelrichter ist
• Die Heldengruppe macht ein wertvolles Ge- und selbst wenn jemand dies glauben sollte,
schenk: Erleichterung um 1. ist er nach der strengen Gesellschaftsordnung
• Die Heldengruppe macht kein Geschenk: Er- Lanias nicht mehr für dieses Amt qualifiziert,
schwernis um 1. trotz metallischem Schimmer der Haare. Da der
• Die Heldengruppe macht ein unpassendes Richter um die Geheimnisse von Toto Nobuga
Geschenk (z. B. Plündergut aus dem Hain): weis, ist es wohl am besten, wenn die Helden
Erschwernis um 3 Punkte. das Schiff wenden lassen und den Richter im
• Die Heldengruppe bietet jemand aus ihrer Palast ihres Herren unterbringen. Auf jeden
Mitte als Geisel an: Erleichterung um 4. Fall wird die Heldengruppe dem Archipelar so
einiges erklären müssen. Entweder, wohin sein
Von der Qualität der Überzeugungskraft Richter verschwunden ist (wenn die Helden-
hängt ab, wie die Nanja weiter mit den Hel- gruppe treu zu Toto Nobuga hält und den Rich-
den umgeht. Bei einer bestandenen Probe wird ter verschwinden lässt) oder wer denn die Frau
sie die Helden zumindest nicht mehr angrei- mit dem metallisch schimmernden Haar ist, die
fen, sondern darum anflehen, von ihrem Plan von sich behauptet, der Archipelarrichter zu
abzulassen. Bei 3 bis 7 übrigen Punkten wird sein und unverschämterweise Respekt von den
sie Sanja ohne Murren gehen lassen, an ihrem Guarai des Archipels einfordert …
geheimen Plänen hält sie in beiden Fällen fest
und den Miniaturgarten als Geschenk mitge- Egal, wie das Abenteuer endet, die Helden
ben. Erst ab 8 übrigen Punkten wird sie den haben sich 150 Abenteuerpunkte verdient.
Helden verraten, dass sie fürchterliche Rache
47
Die magischen Traditionen
der Kerrishiter: Die Priesterinnen M
Y
ie kerrishitische Gottheit mit dem Aspekt Geschichte und Errungen- R
D Magie ist Bal’ Ashindi,1 doch beherrschen
die meisten Priesterinnen eines kerrishitischen
schaften der Priesterinnen A
Kultes diese Gabe. Nicht begabte Personen Ohne eine Geschichte der kerrishitischen
werden oftmals nur als Kulthelfer angesehen, Kulte ist eine Geschichte der Priesterinnen un- N
wenn sie nicht als vom Gott auserwählt gelten vollständig. Doch sollen an dieser Stelle zumin-
und eine Weihe erhalten haben. Nicht selten dest einige wichtige Frauen genannt werden. O
trifft man Priesterinnen von großer astraler Als Lahalkasch mit den bansumitischen Aus-
Kraft und mit der Weihe ihrer Gottheit. Als wanderern nach Süden zog, soll es eine Gruppe R
Ausnahme müssen dagegen magisch begabte aus dem heißen Zentrum der Wüste gegeben
Jungen gelten, welche nicht Astrologe sondern haben, welche immer wieder gegen seine Füh-
Priester werden. Meist ist in ihrem Horoskop rung rebellierte. Ihr Anführer rief einen Geist
oder bereits in ihrer Biographie, eine überaus der Luft in sich und griff den Heroen an. Doch
große Nähe zur Gottheit angezeigt. noch bevor dieser reagieren konnte, soll sich
eine Hohepriesterin (Naditu, vgl. imp. Erzprae-
torin, Stufe VI) Bal’ Ingras mit Namen Ninde-
na in eine Frau aus reinem Feuer verwandelt
Die Priesterinnen und sich dem Zauberwirker entgegen gestellt
haben. Im folgenden Magierduell konnte sie
Die Kerrishiter sehen sich als Erben der Welt, den Mann aus der Wüste wiederholt schlagen,
welche ihnen von den Göttern als uneinge- sodass dieser am Ende die Herrschaft des Feu-
schränktes Geschenk übergeben wurde. Daher ers anerkannte. Auch bei den Eroberungen der
ist Religion in ihrem Leben ein wesentlicher neuen Heimat werden immer wieder Prieste-
Bestandteil und viele Stadtstaaten sind de jure rinnen genannt, die mit ihrer Gabe Schlachten
Theokratien, auch wenn die reale Gewalt in den und Ereignisse zum Wohle der Kerrishiter wen-
Händen eines Handelsrates liegt und die Pries- deten. Allein eine Lawir-Priesterin der Großen
terinnen „nur“ den Vorsitz des Rates besetzen. Mutter aus einer Siedlung nahe des heutigen
Da in den meisten Städten mit einem „Kerrish“ Kerrish-Mu wird in den Schriften genannt.
voran die gleichen Familien Handel, Militär Mundrameni, so der überlieferte Name, soll
und Kult dominieren, ist die Stellung der Pries- als Kind zu Bal’ Sehthanit konvertiert sein und
terinnen kaum zu gering einzuschätzen. brachte es als geweihte Tsharagh (vgl. imp. Me-
Umgekehrt gilt die Gabe Bal’ Ashindis als tropolitin, Stufe VII) bis in die Spitze des Kul-
Sprungbrett in die höheren Kreise der Gesell- tes. Sie starb, als sie ihre ganze Kraft in einen
schaft, kann sich doch eine begabte Priesterin Zauber legte, welcher alle durch den Feind ver-
unter den Junggesellen einer Stadt oder gar ei- gifteten Brunnen der Stadt säuberte und die
ner ganzen Insel einen Partner aussuchen. Und Bewohner so vor dem Verdursten rettete. Auf
jede Familie, selbst die Sargonim oder die Qis- vielen Inseln gibt es Priesterinnen, die als lo-
humdanit, würden sie mit offenen Armen emp- kale Heilige verehrt werden, und die mit ihrer
fangen. Macht den Vulkan der Insel besänftigten. In
Kerrish-Thalam wird von der Enhutu (im. Mat-
riarchin, Stufe VIII) Ingrashta aus der Fami-
lie der Iquatar aus Kerrish-Thalam berichtet,
welche eine wahre Tochter Bal’ Ingras gewesen
1 Die kerr. Göttin der Weisheit und der Magie. Vgl. Jen- sein soll. Sie gab dem Tempel nicht nur seine
seits des Nebelwalds, Die Kerrishiter: Weltsicht und heutige Struktur, sondern galt auch als über-
Glauben, S. 176.
48 ragende Elementaristin von Feuer und Erz und gemieden. Es soll auf einigen Inseln jedoch
war die erste „Hantu“ (kerr. Entflammte),2 die Mysterienkulte geben, denen auch Priesterin-
überliefert ist. Auf Kimnara aus der Familie nen angehören, die sich auf Avastada oder Xo-
der Belsunu aus Kerrish-Yih gehen die Zwei lovar als helfende Domänen eingelassen haben.
M mal dreizehn Formen des reinen Erzes zurück,
eine Schrift über Elementarismus und Alche- Als primäre Aufgabe haben die Kulte von
Y mie, während Urushane aus der Familie der Bal’ Ingra und Bal’ Sehthanit im Archipel die
Paratesch aus Kerrish-Pelu die Grundlagen der Aufgabe, die lokalen Vulkane zu beschwichti-
R modernen Weinbau-Kultur und die Nutzung gen und ein Ausbrechen zu verhindern. Ange-
kultischer Rituale zur Steigerung der Erträge sichts der wenigen Eruptionen in den letzten
A erarbeitete. Roaxane aus der Familie Amphi- Jahrhunderten, muss man ihnen hier großes
polame aus Kerrish-Shanaran gilt als heraus- Können und Erfolg attestieren. Hinzu kommen
N ragende Organisatorin und Meisterin elemen- kulteigene Aspekte, wie u. a. Handel und Hand-
tarer Quellen wie auch stellarer Domänen. Als werk bei Bal’ Ingra, Ackerbau und Viehzucht
O Geweihte der Großen Mutter Bal’ Sehthanit bei Bal’ Sehthanit oder Kampf und Militär bei
soll sie nicht weniger als 11 Wunder gewirkt Bal’ Tlingir (vgl. Memoria Myrana 49, S. 22f.). In
R haben (vgl. Memoria Myrana 49). Sie soll darü- diesem Kult gibt es auch Krieger-Priesterinnen,
ber hinaus den Kult von merkhabitischen wie welche zu Magischen Kämpferinnen ausgebil-
auch imperialen Einflüssen gesäubert haben. det werden. Die Priesterinnen von Bal’ Lebizan
teilen sich u. a. in Richterinnen und Kriegerin-
nen, ja selbst Assassininnen soll es unter ihnen
geben, ebenso wie perfekte Verführerinnen.
Magische Schwerpunkte Die Richterinnen reisen meist als Einzelgänge-
und Aufgaben rinnen durch die Regionen der Kerrishiter und
strafen Vergehen, bringen Geflohene zur Stre-
Ein wesentlicher Bestandteil der Geschichte cke und verschaffen dem Recht zur Geltung.
der Priesterschaften ist der Dualismus von Feu- Dabei gehen sie mit einer wilden Leidenschaft
er und Wasser (vgl. Jenseits des Nebelwalds, vor, welche zugleich dem Schutz der Ordnung
S. 175), bestimmt er doch die Ausrichtung der und des Rechtes gilt, wie auch der Rache an all
heimischen Ausbildung. Auf den Inseln im Ar- jenen, welche es wagen, die Gesetze zu bre-
chipel ist die elementare Quelle des Feuers die chen, gehen diese doch auf die Priesterinnen
mit Abstand führende, gefolgt von Erz, Humus, als eingesetzte Vertreterinnen der Götter und
Wasser und Luft – in eben dieser absteigenden Wahrerinnen des Großen Geschenkes zurück.
Relevanz. Eis als elementare Quelle wird nur
sehr selten auf den Vulkaninseln eingesetzt
und dann auch eher im Süden. Als Ausnahme
oder auch Besonderheit können hier die Tem- Ausbildung
pelmagierinnen von Kerrish-Salsu (Yil’ Ara-
phaar) gelten. Auf dem Festland wird man als Die Ausbildung ist denen der Astrologen
wertende Reihenfolge eher auf Erz, Humus, vergleichbar, dient sie doch ähnlichen Zwe-
Feuer, Wasser, Luft, Eis treffen. Lokale Abwei- cken: In sehr jungem Alter, spätestens mit der
chungen dieser Reihenfolgen sind durchaus Vollendung des sechsten Lebensjahres, werden
vorhanden. Beide Gruppen legen zudem wäh- die Mädchen – und vereinzelt auch Jungen –
rend der Ausbildung einen hohen Wert auf die dem Kult übergeben. Dabei übernimmt in ei-
Quellen Balburri (Harmonie) und Ashabel (Er- nem speziellen Ritual eine ältere Priesterin die
folg). Auch andere Stellare Quellen sowie Tier- symbolische Rolle der „Löwin“ (kerr. Neshtu).
geister (Schwerpunkt auf Yil’ Araphaar) wer- Damit wird die Priesterin zur Ziehmutter der
den gelehrt. Feenwesen sind den Kerrishitern Novizin (kerr. Eshu). Diese Verbindungen zwi-
insgesamt eher suspekt und Totenwesen oder schen Schülerin und Mentorin sind in der Regel
gar dämonische Quellen werden in der Regel ohne eine echte verwandtschaftliche Grundla-
ge, wobei es durchaus Beispiele gibt, dass es in
der Folge zu Heiraten zwischen den Familien
2 Entflammte, Titel der Oberpriesterin, welche für die der beiden beteiligten Frauen gekommen ist.
magische Ausbildung der Priesterinnen zuständig ist.
# Stufe Titel Weihe Magie einer erfolgreich bestandenen Prüfung. Nun
49
I Novizin Eshu Nein Kann sind die jungen Frauen im Range einer Pries-
II Akoluthin Amaru Nein Kann terin (kerr. Asari). Üblicherweise folgt nun eine
III Priesterin Asari Kann Kann Zeit, in der sie für den jeweiligen Tempel oder
IV Erzpriesterin Warûtu Kann Kann den Kult verschiedene Aufgaben übernehmen. M
V Praetorin Shugitu Kann Kann Das können bestimmte Arbeiten vor Ort sein,
VI Erzpraetorin Naditu Muss Muss es gibt aber auch immer wieder Asari, die vom Y
VII Metropolitin Tsharagh Muss Muss Tempel mit bestimmten Aufträgen hinaus in
VIII Matriarchin Enuhtu Muss Muss die Welt geschickt werden. Meist gehen sie da- R
bei inkognito vor.
A
Neben einer sehr intensiven Bildung in den
Bereichen Kultleben, Ritual, Geschichte, Gesell- N
schaft und Wissenschaften werden auch hand- Gesellschaft
werkliche oder künstlerische Fähigkeiten ge- O
fördert, ebenso wie ein ausgiebiges Programm In vielen Regionen der kerrishitischen Welt
zur körperlichen Ertüchtigung zu absolvieren stellen die Priesterinnen die magische Elite, al- R
ist. So versucht man das Potential der jungen len voran die Kulte von Bal’ Ingra, Bal’ Ashindi
Mädchen in vollem Umfang zu nutzen und zu und Bal’ Sehthanit. Darüber hinaus haben sie
fördern, denn immerhin handelt es sich dabei besonders auf den Vulkan-Inseln des Archipels
ebenfalls um Geschenke der Gottheit. von Talaminas auch eine enorme politische Re-
Umfang und Schwerpunkte der Ausbildung levanz. „In ewigen Ritualen mindern sie die Kräf-
variieren dabei ganz selbstverständlich zwi- te der lokalen Vulkane und sichern so das Überle-
schen den Kulten und innerhalb dieser auch ben ihrer Inseln und ihrer Kultur. Diese Aufgabe
zwischen den einzelnen Stadtstaaten und den verlangt große Motivation und das Hintanstellen
lokalen Tempeln. Im talamenischen Einfluss- eigener Wünsche, denn viele Priesterinnen ver-
bereich hat der Bal’ Ingra-Tempel von Ker- lassen nie ihre Heimat und bleiben ein Leben
rish-Thalam allerdings eine Führungsrolle und lang im Tempel. So kam es im Imperium zu der
gilt vielen anderen Tempel als Vorbild, dem irrigen Meinung, dass Kerrishiterinnen ihre Hei-
man nacheifert. mat nicht verlassen dürften.“3
Dass die Frauen der Kerrishiterinnen kei-
Von Anfang an wird das tägliche Leben der ne unterdrückten Sklavinnen sind, ergibt sich
Novizinnen durch Unterweisung in arkanen nicht zuletzt aus der überlebenswichtigen Ar-
Studien und Methoden begleitet. Neben der beit der Priesterinnen. Vielmehr hat sich das
Quelle Erfolg, die durchaus auch zur besseren Prinzip des Weiblichen in den letzten Jahrhun-
Vermittlung von Wissen genutzt wird, sind derten zum Ideal des Wesen erhoben und die
es meist die primären Quellen des jeweiligen Kerrishiter bringen ihren Frauen eine große
Tempels, welche zu Beginn unterwiesen wer- Wertschätzung entgegen. Oftmals sind es die
den. Mit Erreichen des zehnten Lebensjahres Frauen, welche sich ihren Mann aussuchen
können die Mädchen eine erste Prüfung able- und mittels der lokalen Priesterinnen Heiraten
gen und bei Erfolg die Stufe einer Akoluthin verabreden. Nicht selten agieren dabei die äl-
(kerr. Amaru) erreichen. Damit einher gehen testen Frauen der Familie als Botschafterin der
einige neuen Rechte und weitere Pflichten im Familie.
täglichen Betrieb des Kultes sowie eine Inten-
sivierung der arkanen Ausbildung. Zwischen Spieltechnische Werte werden wir für die
dem 12. und dem 14. Lebensjahr erreichen Priesterinnen in einer Sonderausgabe der Me-
die Schülerinnen eine weitere Schwelle – im moria Myrana bringen. Diese Sonderausgabe
Kult des Bal’ Ingra, grundsätzlich mit dem 13. wird sich mit regeltechnischen Ergänzungen
Geburtstag: Nun erfolgt eine Spezialisierung nach DSa 4.1 und WnM zu Jenseits des Nebel-
auf ihre späteren Aufgaben, seien es Arkaner walds beschäftigen.
Kampf, Forschung, Diplomatie oder eine an- Peter Horstmann
dere Variante. Die Ausbildung endet etwa mit
dem Ablauf des sechzehnten Lebensjahrs und
3 Zitat aus Jenseits des Nebelwalds, S. 196

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