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G. W. F.

H egel

Phänomenologie
des Geistes
Ä-
Klassiker Auslegen

Herausgegeben von
Otfried Höffe
Band 16

O tfried H ö ffe ist o. P rofessor für P h ilosoph ie


an der U n iv ersität T ü b in gen .
G. W. F. Hegel

Phänomenologie
des Geistes
Herausgegeben
von Dietmar Köhler
und Otto Pöggeler

2 bearbeitete Auflage

Akademie Verlag
Titelbild: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Brustbild in den jüngeren Jahren
(genaue Datierung unbekannt), wahrscheinlich von Riepenhausen angefertigt,
im Besitz des Hegel-Archivs der Ruhr-Universität Bochum.

IS B N -10: 3-05-004234-6
ISBN -13: 978-3-05-004234-3

© Akademie Verlag Gm bH , Berlin 2006

Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach D IN /IS O 9706

Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, Vorbehal­


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written permission from the publishers.

Gesamtgestaltung: K . Groß, J. Metze, Chamäleon Design Agentur, Berlin


Satz: H ans Herschelmann, Berlin
Druck und Bindung: M B Medienhaus, Berlin
Gesetzt aus Janson Antiqua

Printed in the Federal Republic of Germany


V

Inhalt

Zitierweise und S ig le n ........................................................... V II

1.
E in fü h ru n g
Dietmar Köhler/Otto Pöggeler................................................ 1

2.
Z u H egels P ortrait d er sinnlichen Gewißheit
Andreas G raeser........................................................................ 35

3.
D ie W ahrnehm ung; od er das D ing,
und die T äu sch u n g
Joachim H a g n e r ........................................................................ 55

4.
H e g el’s “ Inverted W orld”
Joseph C. F la y ............................................................................ 91

5.
D ie Bew egung des Anerkennens in H egels
Phänom enologie des G eistes
Ludwig Siep .............................................................................. 109

6.
Selbstbewußtsein als Leitfaden der Phänomenologie
des G eistes
Otto Pöggeler.............................................................................. 131

7.
D e r B egriff der Vernunft in H egels Phänomenologie
Klaus Düsing.............................................................................. 145

8.
T h e Path o f R eason in H eg el’s Phenom enology
o f Spirit
Marcos Bisticas-Cocoves............................................................. 165
VI I nhalt

9.
G estalten nicht des Bewußtseins, sondern einer W elt -
Ü berlegun gen zum G eist-K apitel der
Phänom enologie des G eistes
Elisabeth Weisser-Lohmann .................................................... 185

10.
H eg els G ew issensdialektik
Dietmar Köhler.......................................................................... 211

11.
D ie M etaph er des K n oten s als Leitfaden zur
Interpretation d er Phänom enologie des G eistes
Luis Mariano de la Maza ......................................................... 229

12 .
D as absolute W issen. Zeit, Geschichte, W issenschaft
Gabriella Baptist........................................................................ 245

13.
D ie E n tsteh un g der ,enzyklopädische^
Phänom enologie in H egels propädeutischer
G eistesleh re in N ürn berg
Udo R am eil................................................................................. 263

A usw ah lbib liograp h ie........................................................... 291

P e r s o n e n r e g is t e r ................................................................. 297

N ach w eise .............................................................................. 301

Hinw eise zu den Autoren 303


VII

Zitierweise und Siglen

Zitierweise

Hegels Phänomenologie des Geistes wird zitiert nach dem von


W. Bonsiepen und R. Heede herausgegebenen Band 9 im Rah­
men der historisch-kritischen Ausgabe der Gesammelten Werke,
Hamburg 1980 (= G W 9).

Siglen

GW G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke. (In Verbin­


dung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft)
hg. von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der
Wissenschaften. Hamburg 1968 ff.
Werke G. W. F. Hegel: Werke. Vollständige Ausgabe durch
einen Verein von Freunden des Verewigten. Berlin
1832 ff.
TW G. W. F. Hegel: Werke. Theorie-Werkausgabe hg. von
E. Moldenhauer und K. M. Michel. Frankfurt a. M.
1969 ff.
Br Briefe von und an Hegel. 4 Bde. H g. von Johannes
Hoffmeister. Hamburg 1952/1953.
______________________________________ 1

Dietmar K öhler/O tto Pöggeler

Einführung

Hegels Buch Die Phänomenologie des Geistes erschien 1807 als


„erster Teil“ eines Systems der Wissenschaft. Das Werk erläuter­
te selbst seinen Ansatz und die Ausführung. Es ordnete sich
zugleich in das Systemganze ein. Doch diese Einordnung -
und damit auch wohl der Ansatz und die Ausführung - wurden
Hegel später problematisch. Blickt man auf den Weg von H e­
gels Denken im ganzen, dann steht dieses Werk an einem
Wendepunkt. Es nimmt die Motive auf, durch die Hegel sich
seit seinen frühesten Arbeiten anleiten ließ; es wird später aber
auch umgedeutet - Materialien aus der Phänomenologie des
Geistes können verwandelt in andere Zusammenhänge aufge­
nommen werden. So hat dieses Werk bei Hegel selbst schon
ein Schicksal; seine Wirkung mußte den spezifischen Charak­
ter annehmen, Hegels Systematik aufzusprengen und neuen
Frageansätzen zu überliefern.

I. Ansatz, Ausführung und Einordnung der


Phänomenologie
Zweifellos hat Hegels Phänomenologie noch bei der N ieder­
schrift eine große Ausweitung erfahren. Trotzdem konnte H e­
gel bei der Publikation wenigstens für etwa zwei Jahre der
Auffassung sein, die Ausführung entspräche dem Ansatz. Wur­
de aber nicht eine Geschichte des Bewußtseins ausgeweitet zu
einer Aufschlüsselung von Weltgeschichte überhaupt? Doch
2 D ie t m a r K ö h ler /O tto P ö g geler

glaubte Hegel in abschließenden Erörterungen, auch vom G e­


schichtsbezug aus seine Phänomenologie bruchlos in sein System
einordnen zu können.

1 .1 Der Ansatz der Phänomenologie

Hegel hat seiner Phänomenologie des Geistes nachträglich eine


„Vorrede“ mit auf den Weg gegeben, die zugleich Vorrede zum
geplanten System der Wissenschaft ist. Auf diese Vorrede folgt im
gedruckten Werk jener einführende Text, der mit den nachfolgen­
den Partien gleich zu Anfang in den Satz gegeben wurde, im
späteren Inhaltsverzeichnis dann den Titel „Einleitung“ bekam.
Dieser Text führt in das Ganze der Phänomenologie ein, die aber
bei der Abfassung des Textes noch „Wissenschaft der Erfahrung
des Bewußtseins“ heißen sollte. Hegel gibt in ihr die Absicht
dieser Wissenschaft an, die mit der geplanten Logik in näheren
Zusammenhang steht. M it ironischen Wendungen lehnt Hegel es
ab, daß man unabhängig vom Erkannten und vorweg das Erken­
nen als Werkzeug oder Medium klären könne. Diese angeblich
„natürliche Vorstellung“ setze schon voraus, daß das Erkennen
auf der einen Seite stehen könne, das zu erkennende Objektive
oder das „Absolute“ auf der anderen. Solche Vorstellungen und
Redensarten machen nach Hegel „nur eine leere Erscheinung des
Wissens aus, welche vor der auftretenden Wissenschaft unmittel­
bar verschwindet“. Hegel muß aber zugeben: Die Wissenschaft
ist, wenn sie auftritt, auch nur eine Erscheinung des Wissens; sie
steht neben anderen Erscheinungen und kann als bloße Erschei­
nung unwahr sein. Da ein Versichern oder die Berufung auf eine
bessere Ahnung hier nicht hilft, muß das erscheinende Wissen
selbst dargestellt werden „als der Weg des natürlichen Bewußt­
seins, das zum wahren Wissen dringt“. (GW 9, 55)

Das natürliche Bewußtsein ist nur Begriff des Wissens und


nicht reales Wissen (es fügt sich mit der erkannten Sachhaltig-
keit noch nicht in das Ganze des Erkennens ein). Der Zweifel
muß dem natürlichen Bewußtsein das zufällig Erkannte neh­
men und das Bewußtsein so auf den Weg der Verzweiflung
bringen. Die Darstellung des erscheinenden Wissens ist der
„sich vollbringende Skeptizismus“; aber sie springt nicht von
E in f ü h r u n g 3

diesem zufälligen Wissen, es aufgebend, zu jenem, sondern ist,


„die ausführliche Geschichte der Bildung des Bewußtseins selbst
zur Wissenschaft“ . Die Negation eines Erkannten ist eine „be­
stimmte Negation“; sie geht durch die Negation des Einen zu
einem bestimmten Anderen fort. Als ein notwendiger Fortgang
durchläuft sie die Vollständigkeit der Formen des Bewußtseins;
so ist sie eine Geschichte, die ihr Ziel hat. N ur das natürliche
Bewußtsein wird durch den Tod, den es von außen erleidet, über
sein bestimmtes Dasein hinausgetrieben; das Bewußtsein, das
seine Beschränktheit negiert, tut sich diese Negation selbst an
und kann so eine letzte Vollendung als Selbstgewißheit errei­
chen. Die „Methode der Ausführung“ dieses Weges wird von
Hegel einleitend und vorweg eigens vorgestellt. Der entspre­
chende Text bekam später den Titel „Einleitung“.
Die Bildung des Bewußtseins zur Wissenschaft kann als „Prü­
fung der Realität des Erkennens“ gefaßt werden. Eine Prüfung
verlangt einen Maßstab, der an die Prüflinge gelegt wird; doch ein
Philosophieren, das sich selbst rechtfertigen muß, hat kein Amt
über sich, welches Prüfungsmaßstäbe fesdegt. Sind die Wahrheit
und das Ansich, die bei einer Prüfung des erscheinenden W is­
sens vorausgesetzt werden müssen, nicht der von uns selbst auf­
gestellte Gegenstand, also bloß „unser“ Gegenstand? Das Be­
wußtsein überhebt uns dieser Trennung zwischen dem, was an
sich, und dem, was für uns ist. Diese Unterscheidung fällt in das
Bewußtsein. So hat das Bewußtsein den Maßstab der Prüfung an
ihm selbst; es unterscheidet in sich ein Ansichsein und ein Füran-
deressein, Gegenstand und Begriff, Wahrheit und Gewißheit.
Hegel nimmt diese Redeweisen durchaus vorläufig und unge­
klärt aus der Tradition auf. So ist es gleichgültig, ob (begriffsre-
alistisch) der Begriff gegenüber dem Gegenstand oder (nomi-
nalistisch) der Gegenstand gegenüber dem Begriff als das
Maßgebliche gilt. Wir brauchen das Bewußtsein nicht zu prü­
fen und dafür keinen Maßstab als unsere Zutat zu liefern, weil
das Bewußtsein sich selbst prüft, nämlich die genannten Seiten
in sich unterscheidet und zum Ausgleich bringt. Was dem Be­
wußtsein das Ansich war, erweist sich als ein Für-es; durch die
bestimmte Negation entspringt ein neuer Gegenstand für das
Bewußtsein, so daß eine neue Prüfung beginnen muß. Diese
„dialektische Bewegung“ ist das, was in der Wissenschaft der
Erfahrung des Bewußtseins „Erfahrung“ genannt wird.
4 D ie t m a r K ö h ler /O tto P ö g geler

Hegel besteht darauf, daß die gemachte Erfahrung nichts


Zufälliges ist (das wäre etwa dann der Fall, wenn sich das Haus,
welches wir anstreben, nicht als das gesuchte Café, sondern als
eine Sparkasse erwiese). Sicherlich sei das Bewußtsein in der
Erfahrung begriffen und werde von Erfahrung zu Erfahrung
getrieben. Wir bringen auch in der Tat, weil wir schon das
ganze System der Wissenschaft und vor allem die Logik vor
Augen haben, eine „Zutat“ ein: Wir sehen, daß der Weg des
Bewußtseins notwendigerweise von einem Gegenstand zum
anderen führt und sich in der Selbstgewißheit vollendet. (Aller­
dings hat Hegel 1805/06 nur die Grundelemente dieser Logik
skizzenartig vorgestellt, ohne diese Konzeption jemals näher
auszuarbeiten. Keineswegs darf die der Phänomenologie zugrun­
deliegende Logikkonzeption mit der späteren „Wissenschaft
der Logik“ gleichgesetzt werden. Die Frage nach Schlüssigkeit
sowie Vollständigkeit der der Phänomenologie zugrundeliegen­
den Logikkonzeption muß somit gleichfalls offen bleiben.)
In Hegels Phänomenologie wirft der Skeptizismus nicht eine
Erfahrung nach der anderen in den Abgrund des Nichtigen;
vielmehr vollbringt er sich, indem er einen notwendigen Ver­
lauf nimmt. In einem Satz, der einen eigenen Abschnitt bildet,
faßt Hegel gegen Ende der Einleitung die Konsequenz aus
dieser Auffassung zusammen: „Durch diese Notwendigkeit ist
dieser Weg zur Wissenschaft selbst schon Wissenschaft, und
nach ihrem Inhalte hiemit Wissenschaft der Erfahrung des Be­
wußtseins.11
Die Erfahrung des Bewußtseins begreift in sich das ganze
System oder das Reich der „Wahrheit des Geistes“. Die Bestim­
mung „G eist“ meint das Absolute; in Hegels damaliger Logik
oder spekulativer Philosophie ist diese Bestimmung der ab­
schließende Begriff. Die Wahrheit des Geistes ist die Entfal­
tung aller seiner Möglichkeiten, also der Grundbestimmungen
der Logik. In der Natur- und Geistesphilosophie von 1805/06
gibt Hegel am Schluß an, daß sein System der Wissenschaft
sich in die spekulative Philosophie einerseits und in die Natur -
und Geistesphilosophie andererseits gliedere. Die Grundbe­
stimmungen der „spekulativen Philosophie“, jetzt einfach „L o ­
gik“ genannt, werden so angegeben: „absolutes Sein, das sich
Anderes (Verhältnis) wird, Leben und Erkennen - und wissen­
des Wissen, Geist, Wissen des Geistes von sich“ . (G W 8, 286)
E in f ü h r u n g 5

Der Gedankenstrich in dieser Aufzählung von sechs Teilen ist


noch ein schwacher Nachklang davon, daß Hegel in den frühe­
ren Jenaer Jahren zwischen der Logik als einer kritischen D ar­
stellung der Grundbegriffe und der Metaphysik als Darstel­
lung des Trägers des Begreifens dieser Begriffe trennte. In
jedem Fall ist die Phänomenologie des Geistes von der Erfahrung
des Bewußtseins her durch den Gang der Momente der Logik
bestimmt; dieser logische Gang macht sich mit seiner Notwen­
digkeit gegenüber dem Bewußtsein „hinter seinem Rücken“
geltend. Die Momente dieser Logik sind aber nicht - wie in der
Logik selbst - „abstrakte reine Momente“ ; sie stellen sich hier
vielmehr dar in Beziehung auf das Bewußtsein, das mit ihnen
seine Erfahrung macht, und so als „Gestalten des Bewußtseins“.
In komprimierten Sätzen hält die kleine Einleitung am Schluß
fest, daß das Bewußtsein über seine Erfahrungen „zu seiner
wahren Existenz sich forttreibt“. Dabei erreiche es einen Punkt,
wo es den Schein ablegt, mit Fremdartigem und Anderem be­
haftet zu sein; die Erscheinung werde dem Wesen gleich. In der
Phänomenologie selbst wird Hegel dann das Selbstbewußtsein
einen „Wendungspunkt“ nennen, der aus dem Gegensatz zwi­
schen dem farbigem Schein des sinnlichen Diesseits und der
leeren N acht des übersinnlichen Jenseits heraustritt und in den
„geistigen Tag der Gegenwart“ einschreitet (GW 9, 127). Die
Gestalt der sinnlichen Gewißheit mag dem Sein der Logik, also
dem Bereich der Qualitäts- und Quantitätskategorien, entspre­
chen. Die Wahrnehmung erreicht das Verhältnis, also Relati­
onskategorien wie Substanz und Akzidens. Das bloße Daß des
Seins schließt sich also auf zu einem Verhältnis, doch muß die
Kraft dieses Verhältnis überbrücken: die Substanz ist Kraft,
welche aus sich herausgeht und die Akzidenzien trägt, sie aber
in die Substanz zurücknimmt. So kann die Wahrheit der G e­
wißheit seiner selbst, die im Text selbst und im späteren Inhalts­
verzeichnis dann auch als Selbstbewußtsein angesprochen wird,
sich aus dem Leben und seiner Verflechtung in das Seiende
erheben. Im Folgenden geht es dann darum, daß die spekulati­
ven Momente wissendes Wissen, Geist, Wissen des Geistes von
sich zur Erfahrung kommen; diesen Teilen der Logik oder
spekulativen Philosophie entsprechen in der Phänomenologie
die Gestalten der Vernunft, des Geistes, dann der Religion und
des absoluten Wissens. Hegel sagt am Schluß der Einleitung,
6 D ie t m a r K ö h ler /O tto P ö g geler

mit eben diesem Punkte (also nach dem Wendungspunkt des


Selbstbewußtseins) falle die Darstellung des Bewußtseins „mit
eben diesem Punkte der eigentlichen Wissenschaft des Geis­
tes“ zusammen. Die eigentliche Wissenschaft des Geistes ist
die Logik oder spekulative Philosophie; der Punkt an ihr, auf
den es ankommt, ist die Überwindung zwischen dem Dingli­
chen und dem Bewußten. Die Vernunft kann sich in allem
suchen, was ist, der Geist sich als das Absolute verstehen. Doch
muß das Bewußtsein auf dem Weg von der Vernunft über den
sittlichen und religiösen Geist sein Wesen, Geist zu sein, erst
noch erfassen. Dann aber kann es „die Natur des absoluten
Wissens selbst bezeichnen“ .

1 .2 Die Ausführung des Ansatzes

W ill man nachweisen, wie die Phänomenologie des Geistes den


genannten Ansatz ausführt, dann muß man den Weg der Phä­
nomenologie im ganzen nachvollziehen. Das kann nur exem­
plarisch und im übrigen andeutend geschehen. H egel beginnt
mit der Gestalt der „sinnlichen Gewißheit“ . Wenn diese G e­
stalt später auch „unmittelbare Gewißheit“ genannt wird, dann
ist klar, daß die Sinnlichkeit hier auf die weiteste Entfernung
von der Selbstgewißheit verweist und so von dieser wegführt
zur Unmittelbarkeit. Die sinnliche Gewißheit ist ein Wissen
des Unmittelbaren oder des Seienden; in ihr weiß ein Einzel­
ner unmittelbar das Einzelne oder das reine Dieses, bzw. D ie­
se im Plural. Vom Reichtum möglicher Erfahrungen wird
gegenüber diesem Diese nur angegeben, daß sie sind. Es zeigt
sich, daß diese Diese nur zu meinen sind, die Gewißheit also
unmittelbar oder sinnlich bleibt. H egel gebraucht deshalb ei­
nen Doppeltitel: „Die sinnliche Gewißheit; oder das Diese
und das M einen“ .
Ehe Hegel die Gestalt der sinnlichen Gewißheit auftreten
läßt und sie so als Phänomen erfaßt, sagt er in einführenden
Bemerkungen, worum es überhaupt geht. Das unmittelbare
Wissen des Unmittelbaren erscheint als die reichste Erkennt­
nis; sie führt uns in den Reichtum hinaus, der sich in Raum und
Zeit zeigt, aber auch hinein in die Fülle, die wir durch Teilung
eines einzelnen Stücks erreichen. Sie erscheint als die wahrhaf­
E in f ü h r u n g 7

teste Gewißheit, und doch ist sie die abstrakteste und leerste,
da sie von allem nur sagt, daß es sei. Der Gegenstand ist nur
das reine Dieses, und das Ich ist ebenfalls nur reiner Dieser.
Doch das Unmittelbare erweist sich schon als vermittelt durch
einen Unterschied: ein Dieser, der weiß, ist unterschieden
vom Diesen als Gegenstand. Unzählige weitere Unterschiede
kommen hinzu, und so ist die sinnliche Gewißheit in ihrer
Wirklichkeit immer nur ein Beispiel, das Vermittlungen vor­
aussetzt. Die sinnliche Gewißheit weicht dieser Erfahrung
aus, indem sie nur etwa den Gegenstand als das Wesen oder
das Wahre setzt, sich das Unwesentliche und Vermittelte
nimmt. Doch der Gegenstand entschwindet der Gewißheit.
W ird er etwa im Jetzt gesucht, dann ist dieses die Nacht; bald
aber ist die N acht entschwunden und das Jetzt der Mittag.
Wenn wir die Wahrheit aufgeschrieben haben, ist sie schal
geworden. Doch das Jetzt erhält sich in dem, was als Tag oder
N acht bei ihm herspielt; es ist immer schon zu einem Allge­
meinen geworden, einem „Sein überhaupt“ . Die Sprache kann
gar nicht aussprechen, was die sinnliche Gewißheit meint; sie
widerlegt mit ihrer Richtung auf das Allgemeine unsere M ei­
nung. Ähnlich ist es beim Hier, welches das Haus oder der
Baum sein kann, jedenfalls eine vermittelte Einfachheit oder
Allgemeinheit!
Damit der Unterschied und die Vermittlung beseitigt würde,
sollte der Gegenstand allein das Wesen sein. Er wurde in einer
Verkehrung zum Unwesentlichen; er ist nur, weil ich ihn meine,
nämlich mich auf ihn richte als den meinen. Das Wesen der
sinnlichen Gewißheit wird so zurückgedrängt in das Ich. In der
Unmittelbarkeit des Sehens und Hörens soll nun die Wahrheit
liegen. Doch wird auch diese Unmittelbarkeit des Ich sofort
aufgehoben: Ich sehe diesen Baum, doch sieht ein anderer ein
Haus. Das Eine verschwindet zugunsten des Anderen; was be­
stehen bleibt, ist das Ich als Allgemeines. Hegel weist hier noch
einmal die Forderung Krugs zurück, die idealistische Philoso­
phie solle doch einmal diesen bestimmten Menschen oder nur
dieses Ding, seine Schreibfeder etwa, deduzieren. Schon im
Kritischen Journal der Philosophie, das Schelling und Hegel ge­
meinsam herausgaben, hatte Hegel die Forderung Krugs abge­
wehrt: Eine solche Deduktion versucht die idealistische Philo­
sophie gar nicht, da es ihr ausschließlich um Wesentliches geht.
8 D ie t m a r K ö h ler /O tto P ö g geler

Doch kann ein Kritiker wie Krug mit seiner Forderung gemäß
der Phänomenologie gar nicht einmal sagen, „welches dieses
Ding oder welchen diesen Ich sie meine, denn dies zu sagen ist
unmöglich“ (GW 9, 73).
Muß man nicht das Ganze der sinnlichen Gewißheit in ihrer
Unmittelbarkeit als Wesen setzen, also die Ungetrenntheit
von Gegenstand und Ich? Die sinnliche Gewißheit muß sich
dann durchhalten als die sich selbst gleichbleibende Bezie­
hung zwischen Gegenstand und Ich. Doch auch von dieser
Beziehung, dem „reinen Anschauen“, gilt, daß sie nicht festzu­
halten ist. U m durch die Sprache nicht ins Allgemeine einzu­
treten, müssen wir diese unmittelbare Beziehung uns zeigen
lassen. Wir müssen „in denselben Punkt der Zeit oder des
Raums eintreten“, wo etwas unmittelbar gewußt wird. Indem
das Jetzt gezeigt wird, ist es aber schon ein anderes; es ist
„gewesen“ , und was gewesen ist, ist nicht mehr das gesuchte
unmittelbare Sein. Ich behaupte ein Jetzt als das Wahre meiner
Gewißheit; doch indem ich es aufzeige, ist es schon gewesen.
Ich behaupte diese Negation, das Gewesensein, als Wahrheit.
Doch das Jetzt stellt sich in einer Negation der Negation wieder
her. Aber es ist nicht nur das viele Jetzt, sondern das reflektierte
Erste und Unmittelbare, eine „einfache Vielheit“ oder „die
Bewegung“ einer „einfachen Komplexion“. Diese reflektierte
Einfachheit ist als Zusammenfassung des Vielen schon ein
vermitteltes Allgemeines.
Hegel spricht von einer „Dialektik“ und bezieht sie auf die
Skepsis. Wie im Kritischen Journal in seinem Aufsatz über den
Skeptizismus, so gibt Hegel auch hier dem antiken Skeptizis­
mus recht, der anders als der moderne die Behauptung der
Realität oder des Seins äußerer Dinge nicht für unantastbar
hält. Zugleich verweist Hegel auf die alten Eleusischen M yste­
rien der Ceres und des Bacchus: das Geheimnis des Essens des
Brotes und des Trinkens des Weins ist, daß alles Einzelne und
Sinnliche aufgezehrt wird. Auch die Tiere seien von dieser
Weisheit nicht ausgeschlossen. Hegel kehrt dann noch einmal
zurück zur Auseinandersetzung mit Krug: Er meine dieses Stück
Papier, worauf ich dies schreibe oder geschrieben habe; doch
das Gemeinte könne nicht gesagt werden, weil es der Sprache
unerreichbar sei, da diese schon dem Bewußtsein und dem
Allgemeinen angehöre. Die Sprache habe „die göttliche N a ­
E in f ü h r u n g 9

tur“, die Meinung unmittelbar zu verkehren, nämlich vom


schlechthin Einzelnen und Individuellen zum Allgemeinen zu
führen.
In der Tat hat Hegel das Programm ausgeführt, das er in der
Einleitung skizzierte. Das Sprechen und schon das Zeigen ver­
kehren die Meinung, die das schlechthin Individuelle sucht, in
seine Wahrheit, in ein erstes Allgemeines. Was als Wahrheit
aufgestellt wurde (das schlechthin individuelle Sein) ist nur
Meinung; was wirklich in meiner Gewißheit hegt, ist schon
etwas Reflektiertes und Allgemeines. Diese Wahrheit, die wirk­
lich in der Gewißheit hegt, wird zum Them a der weiteren
phänomenologischen Erfahrung: Statt ein Unmittelbares wis­
sen zu wollen, nimmt die nächste Gestalt wahr und heißt des­
halb „die Wahrnehmung“.
Man hat früh schon deutlich gemacht, daß Hegel sich in
seiner Dialektik der sinnlichen Gewißheit und der Wahrneh­
mung an der antiken Philosophie orientiert. Die Beispielsätze
vom Jetzt, das Tag und N acht ist, sind der Darstellung der
pyrrhonischen Skepsis durch Sextus Empiricus entnommen.
Die Wahrnehmungskritik scheint den platonischen Theaitet im
Auge zu haben. Kritisch mag eingewandt werden, daß Hegel
den Gegensatz zwischen dem „echten“ antiken Skeptizismus
und dem nicht radikalen modernen Skeptizismus übersteigere;
sicherlich hat Hegel Hume nicht so intensiv im Original gele­
sen wie etwa Hobbes. Doch die Phänomenologie soll keine Fra­
gen entscheiden, die in der Geschichte der Philosophie zu
erörtern sind. Vielmehr sucht die Phänomenologie für eine Ein­
führung in den Um gang mit logischen Grundbestimmungen
einfache Exempel. Dabei scheut Hegel die gewaltsame Kon­
struktion nicht. (Schwerlich wird sich z. B. jemand finden, der
den aufgeschriebenen Satz vom Jetzt als der N acht am Mittag
prüft und seine „Wahrheit“ nur noch als eine schal gewordene
hat.) Hegel will aber auch nicht systematisch die Leistung deik-
tischer Ausdrücke oder okkasioneller Bedeutungen wie ,Je tz t“,
„H ier“ , „Dieser“ genauer bestimmen. Vielmehr will er zeigen,
daß der Gebrauch der Kategorien der Qualität und der Quanti­
tät über sich hinaustreibt zu den Kategorien der Relation oder
des Verhältnisses (und auch der Modalität - in einem freilich
noch näher zu spezifizierenden Sinne). Ohne Zweifel greift
Hegel zurück auf seine Logik oder spekulative Philosophie.
io D ie t m a r K ö h ler /O tto P ö g geler

Auf diese führt also eine kritische Auseinandersetzung mit dem


Anfang der Phänomenologie zurück.1
Zweifellos stellt der Anfang von Hegels Logik wie der Anfang
der Phänomenologie sich gegen die Kategorienlehre Kants. H e­
gel macht den Schritt Kants rückgängig, der das Sein (die
Existenzbehauptung) von dem Realen oder sachhaltigen Prädi­
katen scheidet. Hegel nennt die Realität aus den Qualitätskate­
gorien Realität, Negation, Limitation das „Sein“ , das bei Kant
als Gegensatz von Dasein und Nichtsein zu den Modalitätska­
tegorien gehört. Dieses Sein erweist sich dann als ein in sich
reflektiertes; wenn ich „Es ist“ sage, dann zeigt sich darin
immer schon eine Vermittlung. Da das Sein als Realität oder
Sachhaltigkeit aufgefaßt wird, kann Hegel von ihm zum Grund­
verhältnis zwischen Substanz und Akzidens übergehen. Das „Es
ist“ erweist sich als Substanz, die ihre Akzidenzien trägt. Die
Wahrnehmung, die sich dieses Wahre nimmt, muß dann in ei­
nem zweiten Gang daraufhin geprüft werden, was an ihrer Wahr­
heit ist. Damit ist die Wahrheit der sinnlichen Gewißheit zuerst
einmal beiseite gerückt, doch nicht endgültig aufgegeben. Im
absoluten Wissen wird sich erweisen, daß und wie die sinnliche
Gewißheit mit ihrer Wahrheit zum absoluten Wissen gehört. Das
absolute Wissen sieht aber nicht mehr mit dem geraden Blick des
natürlichen und bornierten Bewußtseins nur auf die Wahrheit der
sinnlichen Gewißheit; es sieht zugleich mit einem zweiten
Blick alle anderen Wahrheiten, nämlich die anderen logischen

1 Zu Hegels Kritik der sinnlichen Gewißheit vgl. Purpus, W 1905: Die Dialektik
der sinnlichen Gewißheit bei Hegel, dargestellt in ihrem Zusammenhang mit der Logik
und der antiken Dialektik. Nürnberg; Diising, K. 1973: Die Bedeutung des antiken
Skeptizismus fiir Hegels Kritik der sinnlichen Gewißheit. In: Hegel-Studien 8, 119—
130; ferner Graeser, A. 1987: Zu Hegels Portrait der sinnlichen Gewißheit. In:
Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie. 34. Band, 437^453. Uber
die Verflechtung mit der Krug-Kritik vgl. Pöggeler, O. 1976: Hegels Kritik der
sinnlichen Gewißheit. In: Sinnlichkeit und Verstand. H g. von Hans Wagner. Bonn,
167-185. Zur neueren Literatur vgl. Seil, A. 1995: Das Problem der sinnlichen
Gewißheit. Neuere Arbeiten zum Anfang der Phänomenologie des Geistes. In: Hegel-
Studien 30, 197-206. Zum Skeptizismusbezug vgl. Büchner, H . 1990: Skeptizismus
und Dialektik. In: Hegel und die antike Dialektik. H g. von Manfred Riedel.
Frankfurt a. M., 227-243; Roettges, H . 1987: Dialektik und Skeptizismus. Die Rolle
des Skeptizismus fiir Genese, Selbstverständnis und Kritik der Dialektik. Frankfurt a.
M. Zur Verbindung der Bestimmung des Seins mit dem schlechthin Individuel­
len in den Jahren 1805-1808 vgl. Shikaya, T. 1978: Die Wandlung des Seinsbe-
grifis in Hegels Logik-Konzeption. In: Hegel-Studien 13, 119-173.
E in f ü h r u n g i i

Grundbestimmungen. So kann das absolute Wissen der Wahr­


heit der sinnlichen Gewißheit ihren begrenzten Platz anweisen
und in reflektierter Weise zur sinnlichen Gewißheit zurück­
kehren.
Die Phänomenologie der Wahrnehmung entfaltet die Dia­
lektik des Verhältnisses am Beispiel des Verhältnisses von Ding
und Eigenschaften. Wollen wir uns in der Welt orientieren,
dann müssen wir vieles zu einem Substanziellen zusammen­
nehmen (etwa viele Bestimmungen über Temperatur, Feuchtig­
keitsgrad und Windbewegung zu der Rede von dem „schönen
Wetter“). Kann das Bewußtsein aber das Eine des Substanziellen
mit dem Vielen der Eigenschaften zusammendenken? Über­
raschenderweise führt dieses Problem zur folgenden Gestalt
des Verstandes. Der Logik des Verhältnisses entsprechen also
zwei phänomenologische Gestalten; die spätere Wissenschaft
der Logik spricht von einer Logik des Wesens, da das Wesen aus
dem Verhältnis zur Erscheinung gedacht wird; sie kann die
Exempel der Phänomenologie, also Ding und Eigenschaften
und auch Spiel der Kräfte und verkehrte Welt, in neuer Ord­
nung in sich aufnehmen. Der Verstand deutet die Substanz (in
der Tradition von Leibniz) als Kraft und findet so in der Kraft
die „Idee“ des Verhältnisses, welche Grundverhältnisse wie
Substanz und Akzidens oder auch Kausalität und Wechselwir­
kung verständlich macht. Die Kraft geht aus sich heraus und
gibt so den vielen Eigenschaften Raum; sie nimmt dieses Viele
wieder in sich zurück und ist so ein Spiel der Kräfte. Dabei
kommt es zur Verkehrung des gesetzhaft Allgemeinen einer
übersinnlichen Welt und der Erscheinung mit dem Individuel­
len. Der Verstand faßt damit die sinnliche Gewißheit und die
Wahrnehmung zusammen, um so das Bewußtsein mit seinem
Gegenstandsbezug zu einer Vollendung zu führen. Das Spiel
der Kräfte, in seiner höheren Erfüllung gedacht, erweist sich als
das Leben; dieses Leben geht anders als das bloße Ding selbst­
tätig aus einem Lebenskeim hervor, indem es die Mannigfaltig­
keit des Lebendigen ausformt. Das Leben kann zur Erkenntnis
seiner selbst fortschreiten. Deshalb muß das folgende Kapitel
über die Wahrheit der Gewißheit seiner selbst zeigen, wie das
Leben zum Erkennen und zur selbsthaften Freiheit kommt. Es
ist also eine verkürzte Rede, wenn diesem Kapitel im Inhaltsver­
zeichnis der einfache Titel „Selbstbewußtsein“ gegeben wird.
12 D ie t m a r K ö h ler /O tto P ö g geler

Kann das, was ist, kann also letztlich das „Absolute“ als Selbst­
bewußtsein gefaßt werden? Dieses Selbstbewußtsein müßte dann
eins sein können mit dem Leben und dessen Verwurzelung in
der Dinglichkeit. Hegel prüft an handlichen Exempeln Versu­
che, den Zusammenhang von Leben und Selbsthaftigkeit zu
fassen. Das Exempel des Kampfes auf Leben und Tod soll
zeigen, daß der Zusammenhang nicht als bloße Negation des
Lebens, als ein Töten gesehen werden kann, weil dann das
Leben nur verschwindet. Aber auch die Unterwerfung der ei­
nen Seite zugunsten der Herrschaft der anderen bleibt unzu­
länglich. Die Arbeit des Menschen, die an einer Geformtheit
des Dinglichen und Lebendigen anknüpft, bietet eher schon
einen Lösungshinweis. Bleibt aber nicht das endliche Selbstbe­
wußtsein dem unendlichen gegenüber? Stoizismus und Skepti­
zismus weisen auf die Einheit beider hin, doch bricht der Gegen­
satz im unglücklichen Bewußtsein und seinem religiösen
Verhalten neu auf. Die Dialektik dieser Lösungsversuche führt
zur Position der Vernunft, die in allem waltet, so daß die mensch­
liche Vernunft sich in allem wiederfinden kann.
Wenn die Vernunft auftritt mit der These, sie sei alle Realität,
dann wird der Idealismus von Fichtes Rede vom Ich aufgenom­
men. Diese These ist metaphysisch-logisch angesetzt; durch
den vierten Abschnitt von Hegels Logik über das wissende
Wissen wird sie in den Gang der Logik überhaupt einge­
schmolzen. Die Wissenschaft der Erfahrung oder Phänome­
nologie des Geistes soll zeigen, daß sie nicht unvermittelt ist
mit dem natürlichen Bewußtsein. Mögliche Vermittlungswei­
sen werden phänomenologisch überprüft. Kann eine beobach­
tende Vernunft sich selbst und ihre Formen in der toten und
lebendigen Natur vorfinden, dann psychologisch-logisch im rei­
nen Selbstbewußtsein und auch physiognomisch oder mit der
Gallschen Schädellehre in der Leiblichkeit des Selbst? In einem
zweiten Prüfungsgang wird gefragt, ob und wie das Selbstbe­
wußtsein sich selbst verwirklichen kann. Wenn Faust sich in das
Leben stürzt, zeigt sich in der Lust eine Notwendigkeit, die den
Einzelnen aufhebt und in ein übergreifendes Ganzes rückt. Doch
dieses Ganze ist dabei so wenig leitend wie im proklamierten
Gesetz des Herzens oder im Eigensinn des Bestehens auf „Tu­
gend“ . Die spezifisch praktische Seite des Selbstbewußtseins
kommt in einem dritten Prüfungsgang zur Geltung.
E in f ü h r u n g i 3

Die Gewißheit, alle Realität zu sein, ist nach Hegel verwirk­


licht im Geist, der für ihn der sittliche Geist ist. Die Impulse,
die den Einzelnen als Familienpietät und Patriotismus leiten,
sind zugleich vorfmdbar als Formen des sittlichen Zusammen­
lebens, der Familie und des Gemeinwesens. Geist ist „das Indi­
viduum, das eine Welt ist“ , so das „sittliche Leben eines Vol­
kes“ (GW 9, 290). In seiner Natürlichkeit kommt der Mensch
jedoch vor als Frau oder Mann. Die Frau ist natürlicherweise
stärker auf Geburt und Tod ausgerichtet und damit auf das
Leben in der Familie; der Mann will mittels der Gesetze das
Gemeinwesen formen und regieren. So treten sich Antigone
und Kreon in der größten aller Tragödien gegenüber und gehen
an ihren einseitigen Ausrichtungen zugrunde. Hegel übersetzt
hier (wie ähnlich schon in Frankfurter Aufzeichnungen) einen
Satz aus der Antigone des Sophokles mit seinen Grundworten:
„Weil wir leiden, anerkennen wir, daß wir gefehlt“ (GW 9, 256).
(In Wahrheit sagt Antigone bei Sophokles anderes: „Wenn Du
recht hast, werde ich durch mein Leiden anerkennen müssen,
daß ich gefehlt habe - wenn aber ich Recht hätte, wirst Du
durch Dein Leiden anerkennen müssen, daß Du gefehlt hast.“
H egel erzwingt sich sein Exempel.) Leiden und Untergang
zeigen auf die jeweilige Einseitigkeit, die das Sichzurückstellen
in das übergreifende Ganze verfehlt. Dieses Leiden muß aner­
kannt werden, wenn das Gefüge des Ganzen (Familie und G e­
meinwesen als Grundcharaktere der sittlichen Wirklichkeit)
sichtbar werden soll. So müssen Mann und Frau (wie im römi­
schen Recht) sehen, daß jeder Mensch fähig ist, Träger von
Rechten zu sein. Dann kann sich über Entfremdungsprozesse
die Sphäre von Wirtschaft, Handel und deren privatrechtlicher
Absicherung emanzipieren; das Gewissen in seiner Vereinzelung
kann in der Anerkennung des anderen Gewissens neu zur Ge­
meinsamkeit finden. Diese Gemeinsamkeit erlangt ihr Selbst­
verständnis in der Religion.
Hegels Plan einer Logik von 1806 benennt als abschließende
spekulative Grundbestimmungen den Geist und dazu das W is­
sen des Geistes von sich. So erscheint die Religion in der Phäno­
menologie des Geistes als das Selbstbewußtsein des Geistes und
damit als erstes Wissen des sichwissenden Geistes. Hegel un­
terscheidet den sichwissenden Geist vom daseienden Geist.
D er Geist steigt aus seiner Allgemeinheit über die Bestimmung
14 D ie t m a r K ö h ler /O tto P ö g geler

oder Besonderung zur Einzelheit herab. Die Bestimmung führt


zu den Momenten Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Vernunft und
Geist; diese Momente sind abstrakte Seiten des Geistes, die für
sich keine Wirklichkeit in der Zeit haben. Dagegen behauptet
Hegel nun, das Herabsteigen zur Einzelheit, etwa zur sinnli­
chen Gewißheit und zur Wahrnehmung als Gestalten des Be­
wußtseins, unterscheide sich in der Zeit. Diese „Verläufe“ der
Seiten oder Momente des Geistes prägen auch die Grundmög­
lichkeiten einer Geschichte der Religion. Religion als Sichwis­
sen des Geistes führt von der Unmittelbarkeit zum Sichwissen
seiner selbst (so von der Naturreligion über die geistige Kunst­
religion zur offenbaren Religion). Die einzelnen Gestalten die­
ser Religionen bilden sich dadurch, daß das Sichwissen des
Geistes durch die Momente oder Seiten des Geistes hindurch­
greift auf die Gestalten dieser einzelnen Seiten, die als wirkli­
che in der Zeit sind. So bestimmt und besondert sich die erste
Gestalt der Naturreligion, indem sie das Sein der sinnlichen
Gewißheit und den Herrn des Selbstbewußtseins als Gestalt des
Göttlichen auffaßt: als das Licht, das sich vom Dunkel trennt, das
dann auch als Herr angesprochen wird (wie in der altiranischen
und der jüdischen Religion). Die Kunstreligion geht wiederum in
der Weise der sinnlichen Gewißheit vom Sein aus; sie möchte das
Göttliche zuerst einmal in der steinernen Statue haben. Die
offenbare Religion geht aus von Jesus als diesem Gottmen­
schen, um schließlich die Dreieinigkeit Gottes zu entfalten.
Hegel sagt, die Reihe des Fortschreitens der Gestalten gehe
über Knoten immer wieder in sich zurück, um dann neu zu
beginnen (GW 9, 367). So geht die Entfaltung des Bewußtseins
im Verstand in sich zurück, um als Selbstbewußtsein neu zu
beginnen. Diese Knoten können die einzelnen Seiten des Geistes
zu einem Bund zusammenfassen, so daß die sinnliche Gewißheit
neben die Selbständigkeit des Selbstbewußtseins als Herr zu
liegen kommt. Das Sichwissen des Geistes kann diese nebenei­
nanderliegenden Bestimmungen zusammennehmen und das
Göttliche nach seinen Erscheinungsweisen bestimmen. So folgt
die Naturreligion der sinnlichen Gewißheit, aber auch der
„geistigen Wahrnehmung“ (G W 9, 372). Sie wird dann zur
Pflanzen- und Tierreligion, da für die Wahrnehmung das Inne­
re und die äußeren Glieder auseinandertreten. Die Religion des
Verstandes folgt dann mit den ägyptischen Pyramiden und
E in f ü h r u n g i 5

Obelisken dem „instinktartigen Arbeiten“ eines Werkmeisters.


H at die Religion in der vernünftig interpretierten christlichen
Religion alle ihre Möglichkeiten ausgeschöpft und zusammen­
gefaßt, dann kann ein absolutes Wissen das weltliche Dasein
des Geistes und das Sichwissen des Geistes in der Religion so
vereinigen, daß das religiöse Erfahren mit der Weltlichkeit des
Geistes vereinigt wird. Damit wird der Geist sich selbst durch­
sichtig; gemäß den Worten einer Hymne Schillers schäumt die
Unendlichkeit des Geistes aus dem Kelch des versammelten
Geisterreiches.

I. 3 Einordnung in das System

In den abschließenden Ausführungen zum absoluten Wissen


kommt Hegel noch einmal zurück auf die Ausführungen der
vorangestellten Einleitung. Er hatte dort die Notwendigkeit
und Vollständigkeit in der Darstellung des erscheinenden W is­
sens unsere „Zutat“ genannt. Nunmehr sagt er: Was wir hinzu­
getan haben, ist die Versammlung aller Momente zum Ganzen
und darin das Festhalten des Begriffes als Begriffes, also auch
der begriffenen Entfaltung der Logik hinter dem Rücken des
erfahrenden Bewußtseins. Hegel nimmt ebenso noch einmal
die Rede von der Realisierung des Begriffs auf, die im absoluten
Wissen erreicht sei. Noch nicht in der Religion, erst im absolu­
ten Wissen erscheint diese Realisierung als unser selbstgewis­
ses Tun. Hegel bemerkt aber auch: Zuerst muß der Begriff mit
allen seinen Möglichkeiten erfahren und vorgestellt werden,
ehe die Wissenschaft diesem Erfahren im ganzen die begriffene
Form geben kann. Die Wissenschaft erscheint „nicht eher“ , als
bis der Geist zum Bewußtsein des Daseins und damit der Ent­
faltung des Begriffs in die einzelnen Grundbegriffe gekommen
ist. Hegel kann auch sagen, das Bewußtsein, das auf anderes
gerichtet sei, erweise sich als Selbstbewußtsein; in diesem Sinn
spricht er vom „Erkennen“ . Dabei ist also vorausgesetzt, daß
das Selbstbewußtsein sich als Vernunft, Geist und Religion
weiterentfaltet hat zum selbstbewußten und selbsthaften Geist.
Die einzelnen Grundbegriffe, die „Wesenheiten“ der Logik
oder spekulativen Philosophie, müssen in ihrem ganzen Bau in
die Bewegung des Bewußtseins hineingenommen werden, das
i6 D ie t m a r K ö h ler /O tto P ö g geler

von Bestimmung zu Bestimmung getrieben wird. Der Begriff, der


da ist und damit der Zerstreuung in das Nebeneinander seiner
einzelnen Bestimmungen und Momente übergeben wird, trägt
über diese Bewegung die Zeit in sich, die das Hinausgehen über
das Bestimmte und Besondere ist. Wird die Entfaltung des
Begriffs in seiner Vollständigkeit dargestellt, dann kann der
Begriff die Zeit, das bloße Nebeneinander, „tilgen“ . Die Zeit ist
das Schicksal und die Notwendigkeit nur des Geistes, der noch
nicht vollendet ist (GW 9, 429 f.).
Die Bewegung, in der der Geist sein Wissen von sich als
Selbstgewißheit hervorbringt, ist „die Arbeit, die er als wirkliche
Geschichte vollbringt“ (G W 9, 430). So bereitet der Geist sich
das Element, in dem die Wissenschaft zur Entfaltung kommt.
In der Wissenschaft, nämlich in der Logik als der spekulativen
Philosophie, fällt das abstrakte M oment (das Sein oder das
Ding mit seinen Eigenschaften) nicht mehr auseinander in die
Dialektik von Gegenstand und Begriff oder von Wahrheit und
Wissen bzw. Gewißheit. Vielmehr wird (durch die Leistung der
Phänomenologie des Geistes) das Ganze der Momente überschaut
und nach seinem notwendigen Verlauf hin durchschaut; so kön­
nen die einzelnen Momente unmittelbar in ihrer reinen G e­
stalt, befreit vom Erscheinen für das erfahrende Bewußtsein
und dem Fortgetriebenwerden dieses Erfahrens, dargestellt
werden. Doch muß diese Wissenschaft der Logik sich ihrer
begrifflichen Form wieder entäußern. Zu ihr gehört auch die
Unmittelbarkeit, die sich als Gewißheit vom Unmittelbaren
und damit als sinnliches Bewußtsein verstehen und so mit der
sinnlichen Gewißheit immer neu anfangen muß. Diese Unm it­
telbarkeit gehört zum absoluten Wissen, das eben die sinnliche
Gewißheit als ihr Anfängen und damit die Phänomenologie in
sich enthält. Doch gibt es auch eine Entäußerung, in der das
Bewußtsein über seine Grenzen hinausgeht und sich selbst so
aus seinem Bezug auf die Grundbestimmungen der Logik ent­
läßt. Das Wissen vom Logischen opfert sich in das „zufällige“
Geschehen, das sich als Natur und Geschichte zeigt. Die W is­
senschaft kann (den Einwand Krugs zurückweisend) sehr wohl
sagen, was das Gestein innerhalb der N atur ist, aber nicht, daß
es soundsoviele Gesteinsarten gibt. Gesagt werden kann, daß
die Philosophie auftreten muß, aber nicht, daß sie das an be­
stimmten Plätzen Großgriechenlands getan hat.
E in f ü h r u n g i 7

In der Geschichte bewahrt die Erinnerung auf, was gesche­


hen ist (und nach Hegel entgeht der Erinnerung nichts Wesent­
liches). Am Schluß der Ausführungen zum absoluten Wissen
unterscheidet Hegel drei Formen von Geschichte: 1. die G e­
schichte, die als konkrete Naturgeschichte oder als Geschichte
des Geistes das Erinnerte in der Form der Zufälligkeit bewahrt,
2. die Erinnerung „nach der Seite ihrer begriffenen Organisati­
on“ (G W 9, 434) (hier leiten die Grundbestimmungen der
Logik die Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins, die
nun angesprochen wird als „Wissenschaft des erscheinenden
W issens“); 3. die begriffene Geschichte, welche die wirkliche
Geschichte mit Hilfe der Phänomenologie deutet und z.B. klar­
machen kann, was jene Philosophie ist, die zufälligerweise in
Großgriechenland begann. Diese begriffene Geschichte ist für
Hegel sowohl als Schädelstätte des Geistes ein Golgatha als
auch das Aufschäumen des Weins im Kelch. In dieser G e­
schichte bleibt der absolute Geist nicht mehr „das leblose Ein­
same“ sondern ist der Zusammenhang eines Reiches Gottes.
Nachträglich stellte Hegel seinem Buch, der selbständig ge­
wordenen Phänomenologie des Geistes, noch eine Vorrede voran,
die aber die Vorrede zum ganzen angekündigten System der
Wissenschaft ist. In einer Kritik der irregehenden Überzeu­
gungen der Zeit reklamiert Hegel als entscheidende Aufgabe,
die Philosophie aus einer bloßen Liebe zum Wissen zur Wissen­
schaft zu erheben und damit als System zu entfalten. Das vorge­
legte Buch wird als „Phänomenologie des Geistes“ vorgestellt, so
daß der Titel geändert werden mußte. Hegel legt den Akzent
darauf, daß diese Phänomenologie die ungeheure Arbeit der
„Weltgeschichte“ eigens aufnimmt; Bildung wird so etwas ganz
anderes, als sie bei den Griechen noch sein konnte, nämlich
Verarbeitung des schon Erarbeiteten (GW 9, 25). Hegel wie­
derholt mit eindringlichen Worten, daß zum Bewußtsein das
Hinausgetriebenwerden über jede einzelne Erfahrung gehört,
damit der Tod, den das Bewußtsein eigens als seinen über­
nimmt. Wiederholt wird auch, daß die Phänomenologie des
Geistes die Momente der Logik über die Erfahrung des natür­
lichen Bewußtseins aufnimmt (G W 9, 30 f.). Diese Vorrede sagt
nichts anderes als die „Einleitung“ , doch sagt sie es anders.
i8 D ie t m a r K ö h ler /O tto P ö g geler

II. D as Schicksal der Phänomenologie

Als Hegel 1801 in Jena, dem Zentrum der idealistischen Philo­


sophie und des romantischen Aufbruchs, etwas verspätet auch
noch als Dozent auftrat, versprach er das, was ein Philosoph
damals seinen Hörern und Freunden schuldig zu sein schien:
sein „System“. Beginnen wollte er mit einer Logik und M eta­
physik, also mit einer alten Disziplin, die im idealistischen
Aufbruch beiseite gerückt worden war. Doch konnte er erst im
Frühjahr 1807 Gedrucktes vorlegen: den ersten Teil seines
Systems, von dem er Anfang M ai gegenüber Schelling zuge­
stand, daß er „eigentlich die Einleitung“ sei („denn über das
Einleiten hinaus, in mediam rem, bin ich noch nicht gekom­
men“).2 Eine „unselige Verwirrung“ habe den ganzen „buch-
händler- und druckerischen Verlauf“ wie zum Teil die „Kom ­
position sogar selbst“ beherrscht; die „größere Unform der
letztem Partien“ müsse dem Umstand zugute gehalten werden,
daß er „die Redaktion überhaupt in der Mitternacht vor der
Schlacht bei Jena geendigt habe“ .
Als Preußen unter den Schlägen Napoleons wie ein Karten­
haus zusammenbrach, flüchtete Hegel im brennenden Jena mit
den letzten Niederschriften zur Phänomenologie zu Freunden.
Nach dem Bericht des Buchhändlers Frommann kam der Jung­
geselle mit seinem ganzen Haushalt, nämlich mit 6 Personen,
vor allem einer Dame, die nach zwei Kindern „in Unehren“ auch
von Hegel ein Kind erwartete. Dabei nagte Hegel längst buch­
stäblich am Hungertuch: Das väterliche Erbe war aufgezehrt, und
die außerplanmäßige Professur brachte nicht viel ein. Es war zu
einem langwierigen Streit mit dem Verleger gekommen, da H e­
gel das Honorar für sein System oder doch für seine Phänomeno­
logie vorweg brauchte. Hegel war zum Druckort Bamberg ausge­
wichen und verfertigte dort noch eine zusätzliche Vorrede, die
zugleich in das angekündigte System der Wissenschaft im gan­
zen einführte. Als er dann die Redaktion der Bamberger Zei­
tung übernahm, begann er gleich mit der Arbeit an der Logik
oder spekulativen Philosophie. Als Nürnberger Gymnasialdi­
rektor brachte er vordringlich seine Phänomenologie in den

2 Briefe von und an Hegel. H g. von Karl Hegel, 1. Theil, Leipzig 1887, 100 ff;
Brief von H egel an Schelling vom 1. M ai 1807.
E in f ü h r u n g i 9

Unterricht ein; das Ergebnis aber war, daß eine andersartige


und verkürzte Phänomenologie zu einem Teil der Philosophie
des subjektiven Geistes innerhalb einer Enzyklopädie wurde.
Das Buch von 1807 blieb schließlich ortlos zurück.
Am Schluß der Phänomenologie des Geistes hält Hegel fest, daß
die Zeit zum Schicksal und zur Notwendigkeit jenes Geistes
wird, der „nicht in sich vollendet“ ist. Der Phänomenologie
selber geht es um eine Vollendung des Geistes, welche die Zeit
als schicksalhaft zerstreuende tilgt, indem sie alle Schicksale
gemäß einer verborgenen Logik zu einem Ganzen auf ein Ziel
hin sammelt. Eben dieses Werk, das Schicksal überwinden soll,
hatte gegen alle Pläne sein eigentümliches Schicksal. Gab es im
Denken Hegels von Anfang an Impulse, die zu dieser Rolle der
Phänomenologie des Geistes führten und diesen einleitenden
ersten Systemteil zu einem schicksalhaften Werk wider Willen
machten? In jedem Fall kann das Werk auf eine doppelte Weise
wirken: Es kann aufgefaßt werden als eine große Krise auf
Hegels Weg zum System oder umgekehrt dazu anleiten, H e­
gels Systematik in eine offene Geschichte zurückzustellen.

II. 1 E in W erk wider Willen?

Nach der Schlacht bei Jena sah Hegel den Sieger Napoleon
durch die Stadt reiten, und er sprach ihn an als die Weltseele, die
sich konzentriert zu einem Punkt auf einem Pferd. Keineswegs
sprach Hegel, wie oft zitiert wird, vom Weltgeist, der in der
Geschichte vorwärts stürmt; er erinnerte, jetzt auch mit der Ge­
schichte des Neuplatonismus befaßt, an die Weltseele der Plato-
niker, die die Gesetze für die Wirklichkeit in sich trägt. Wie
Napoleon die Verfassungen für reformierte europäische Staaten
mit sich trug, so ist die Geschichte nach Hegel überhaupt die
Ausformung von Strukturen und deren Gesetzlichkeiten. Hegel
tritt mit diesem Vertrauen, das Neues und vielleicht Endgültiges
mit seiner Gesetzlichkeit hervortreten wolle, an den Umbruch
Europas heran, der sich ihm seit seiner Jugend aufdrängte. Als
Hegel gerade in das Tübinger Stift eingetreten war, brach die
Französische Revolution aus; bestimmender war für die Stu­
denten die deutsche Revolution des Geistes, die den Umsturz
über die überlieferte Religion, Kunst und Philosophie brachte.
20 D ie t m a r K ö h ler /O tto P ö g geler

Lessing hatte sich kurz vor seinem Tode jede vorschnelle


Kritik an dem angeblichen Atheisten und Fatalisten Spinoza
verbeten und sich selbst auf ein Hen kai pan zurückgezogen.
Diese Formel wurde zum Losungswort für Tübinger Stiftler
wie Hegel und Hölderlin; sie forderte dazu auf, den Anfang der
Philosophie neu aufzunehmen. Das Älteste des Alten, das Sein
des Parmenides und das in sich unterschiedene Eine des Hera-
klit, wurden als bleibende Aufgabe von der Moderne her und
von deren Streit über Religion und Sittlichkeit aus erfaßt. H e­
gel hat in Tübingen auch die Dialoge Platons und die Romane
Jacobis gelesen; ihm mußte auch Herder nahekommen, der von
Hemsterhuis aus den Menschen in die wechselseitige Steige­
rung von Liebe und Selbstheit hineinstellte. Hegels Ausgangs­
punkt war gerade nicht die Weise, wie Werther sich im Kreisen
um sich problematisch wurde, oder wie Faust in der Welt Selbst­
verwirklichung gewann. Wenn Fichte und der junge Schelling
die Freiheit dem Selbstverlust entgegenstellten, dann fragte
Hegel nach der konkreten Geschichte, die erst so spät wieder
durch Revolution und Neubeginn zur Freiheit zurückkehrt. Als
Hegel in Frankfurt erneut in der Nähe Hölderlins lebte, notier­
te er sich für sein Fragment über die Liebe aus Shakespeares
Romeo und Ju lia die Einsicht: ,Je mehr ich gebe, umso mehr
habe ich“ . Diese wechselseitige Steigerung bestimmt auch -
wie die Antigone-Tragödie des Sophokles zeigen kann - die
fortschreitende Differenzierung des Lebens der Menschen un­
ter den Mächten der Geschichte. Eine abschließende Arbeit aus
der Frankfurter Zeit über Religion und Philosophie zeigt in
zwei allein erhaltenen Fragmenten, daß die Ökonomie am blo­
ßen Haben und die Philosophie am trennenden Begriff festhält.
Dagegen zeige die Religion die Kraft der Liebe in der Erhe­
bung des endlichen Lebens zum unendlichen Leben. Bedarf
aber nicht das Geheimnis der Einheit des Endlichen und U n ­
endlichen einer metaphysischen Klärung?
So verwundert es nicht, daß Hegel als Jenaer Dozent die
Logik und Metaphysik zu seinem Anliegen machte. Die Logik
führt die Grundbegriffe von einfachen Setzungen und Entge­
gensetzungen wie Sein und Nichts zu komplizierten Relatio­
nen wie Substanz und Akzidens und fragt schließlich nach dem
Träger dieser Bewegung; die Metaphysik entfaltet diesen Trä­
ger. So kann Hegel die Frage entscheiden, wie weit Fichtes Ich
E in f ü h r u n g 21

oder Schellings Geistnatur den Idealismus prägen können. Er


hat ein begriffliches Kriterium für die Frage, welche Weisen
der Sittlichkeit und der Religion die Zukunft bestimmen dür­
fen. Der Weg von der ersten Natur zur zweiten Natur der
Sittlichkeit und zum Sichwissen des Geistes in Kunst, Religion
und Philosophie führt zurück zum Absoluten, das sich begriff­
lich entfaltet und auslegt. Diese Auslegung wird am Ende der
Jenaer Jahre in einer einheitlichen Logik oder spekulativen
Philosophie durchgeführt: Die Metaphysik, zuerst auf die Sub­
stanzen von Welt, Seele und G ott bezogen, wird selbst zur
Logik; die Selbstauslegung des Logos führt über Leitfäden des
Weltbezugs wie Mechanismus, Chemismus und Leben zur
Auslegung des Geistes gemäß den Ideen des Wahren, des G u­
ten und der religiösen Erhebung. D a die Logik nun nicht mehr
Hinführung zur Metaphysik ist, muß sich seit 1804 eine neue
Disziplin melden, welche die Aufgabe einer Einleitung über­
nimmt: eine Geschichte der Erfahrung des Bewußtseins.
Was kann das Wort „Geschichte“ in diesen Zusammenhän­
gen bedeuten? Es verweist zuerst einmal auf einen Ordnungs­
zusammenhang, etwa auf die Reihenfolge der Fähigkeiten, die
man dem Menschen zuschreibt. Hegel hat schon in einem
Berner Manuskript zur Psychologie und Transzendentalphilo­
sophie exzerpierend und sammelnd die Geschichte des Be­
wußtseins im Sinne der empirischen Psychologie zur transzen­
dentalphilosophischen Fragestellung geführt. Was Geschichte
sein kann, hat er dann in Frankfurt in der Nähe Hölderlins vom
Schicksal-haben her verstanden. Wenn der Jenaer Aufsatz Glau­
ben und Wissen in der Einbildungskraft die verbindende Mitte
von Sinnlichkeit und Verstand findet, dann öffnet diese Einbil­
dungskraft durchaus metaphysische Bereiche, das Subjekt-Ob-
jekt, die Geist-Natur. Die Öffnung dieser Bereiche wird getra­
gen von jenen geschichtlichen Gemeinschaften, die Hegel mit
Herder und Hölderlin als „Volk“ anspricht. Die Potenzen, die
ein solches Volk ermöglichen, wollen zusammengefaßt und so
auch Geschichte werden. Hegels Natur- und Geistesphiloso­
phie von 1803/04 spricht von drei Potenzen: Sprache und G e­
dächtnis, welche in Symbolen das, was ist, aufnehmen; das
Werkzeug und damit der Prozeß der Arbeit, der rechtlich ge­
ordnet werden muß; der Besitz und die Familie, also der Kam pf
um Anerkennung des Besitzes wie die Liebe und ihre Bildung
22 D ie t m a r K ö h ler /O tto P ö g geler

von Gemeinsamkeit. Die Realphilosophie von 1805/06 gibt


dann im Ich als Intelligenz und Willen ein Prinzip an, durch das
der „abstrakte“ Geist, der mit seinen Potenzen den „wirklichen“
Geist ermöglicht, geordnet werden kann. Vom abstrakten Geist,
vor allem der Unterscheidung von Anschauung, Vorstellung und
Begriff her, werden auch die Leistungen von Kunst, Religion und
Philosophie bestimmt. Die Weise, wie die Philosophie zur Reli­
gion tritt, ist aber geschichtlich bestimmt. So zeigt Hegel am
Abschluß einer Naturrechtsvorlesung, daß der Mensch vor einer
offenen Zukunft steht, in der er sich aus der M ajestät der Frei­
heit heraus nimmt, was ihm nur gegeben zu sein schien.3 Hegel
glaubt dann aber zeigen zu können, daß die vernünftig interpre­
tierte christliche Religion das Ergebnis der Geschichte ist und
mit der Philosophie als Wissenschaft zusammengeht.
M it diesen Fragen nach den Potenzen des abstrakten Geistes
und der Verschiebung im Verhältnis zwischen Sittlichkeit, Re­
ligion und Wissenschaft öffnet sich der Weg zur Ausgestaltung
der Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins zur Phäno­
menologie des Geistes. Für seine Logik und Metaphysik von
1804/05 reklamiert Hegel selbst im Rückblick ein „Voraus“ ,
das erst den Anfang der L o gik ermögliche. D am it überein
stimmt die Nachricht von Rosenkranz (S. 202), daß die Erfah­
rung des Bewußtseins seit 1804 in den Einleitungen zur Logik
und Metaphysik entwickelt worden sei. Die Realphilosophie
von 1805/06 grenzt ihre Entwicklungen ausdrücklich ab von
einer Entwicklung im Sinne der „Erfahrung des Bewußtseins“
(GW 8,196). Im Winter 1805/06 liest Hegel erstmals Geschich­
te der Philosophie. Karl Rosenkranz hat in seinem Leben Hegels
(S. 202) uns den Schluß dieser Vorlesung überliefert; das Zitier­
te wird in der Ausgabe der Vorlesungen zur Geschichte der
Philosophie durch Michelet ergänzt. Danach zeigt diese Vorle­
sung in dreierlei Hinsicht Übereinstimmungen mit der Phäno­
menologie des Geistes·. 1. in der leitenden These: „Es ist eine neue
Epoche in der Welt entsprungen“ . 2. In der Überzeugung, daß
der Weltgeist das fremde, gegenständliche Wesen von sich ab­
getan habe und der Kam pf des Endlichen mit dem absoluten
Selbstbewußtsein geendigt sei (wie die Phänomenologie des

3 Rosenkranz, K. 1988: Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben. Berlin 1844.


Unveränd. reprograph. Nachdruck. Darmstadt, 141.
E in f ü h r u n g 23

Bewußtseins und des Selbstbewußtseins es darstellen); 3. im


Nachweis, daß die Sittlichkeit als zweite Natur sich selbst er­
faßt und dabei über Kunst und Religion in einer Veränderung
der geschichtlichen Konstellation sich zum absoluten Wissen
erhebt. Hegel hat dann im Februar 1806 die ersten Textstücke
zu einer Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins in den
Satz gegeben. D a Hegel vorweg Honorar verlangen mußte, kam
es zum Streit mit dem Verleger; dabei zeigte sich, daß im Sep­
tember 284 Seiten gesetzt waren. Hegel stand also im Vernunft-
Kapitel. D a er im Sommer die ersten gedruckten Bogen für
seine Vorlesungen verwandte, konnte die Vorlesungstätigkeit
auf die Abfassung des Textes zurückwirken. In jedem Fall kam
es zu einer großen Ausweitung des Vernunft-Kapitels.
Offensichtlich wollte Hegel die „Wissenschaft der Erfah­
rung des Bewußtseins“ zuerst als einführenden Teil in einem
Buch unterbringen, das zum Hauptinhalt die Logik oder spe­
kulative Philosophie hatte. Doch bekam der erste Teil, der nur
die Einleitung war, eine unvorhergesehene Ausdehnung mit
unproportionierten Teilen. Den sechs Hauptabschnitten der
spekulativen Philosophie entsprachen acht Abschnitte der W is­
senschaft der Erfahrung, da zur Wahrnehmung des Verhältnis­
ses der Verstand als Auffassung der Idee des Verhältnisses trat
und im Wissen des Geistes von sich Religion und absolutes
Wissen unterschieden wurden. Die Darstellung der sinnlichen
Gewißheit, ein Achtel des Ganzen, brauchte 16 Seiten; folglich
hätte das Ganze mitsamt der Einleitung mit etwa 120 Seiten
abgeschlossen sein können. Doch die Vernunft als phänomeno­
logische Entsprechung zum absoluten Wissen hat statt 16 Sei­
ten 214 Seiten. So gebrauchte die Phänomenologie im ganzen
765 Seiten, denen noch eine Vorrede von 91 Seiten vorange­
stellt wurde. Während der Niederschrift war der einleitende
erste Teil der spekulativen Philosophie explodiert und ergab
einen eigenständigen umfangreichen Band.
H egel mußte sich auch um eine neue Gliederung des G an­
zen bemühen. Schon im Text, dann im Inhaltsverzeichnis
werden sinnliche Gewißheit, Wahrnehmung und Verstand als
„Bewußtsein“ zusammengefaßt und damit der „Wahrheit der
Gewißheit seiner selbst“ als dem „Selbstbewußtsein“ gegen­
übergestellt. Die Ausführungen über das Selbstbewußtsein wer­
den zweigeteilt, da es sich erst zu sich aus dem Leben erheben
24 D ie t m a r K ö h ler /O tto P ö g geler

muß. Die folgenden Abschnitte bekommen detaillierte Unter­


gliederungen. Das Inhaltsverzeichnis setzt zum Bewußtsein und
Selbstbewußtsein als dritten Teil einen Teil, der nur durch den
großen Buchstaben C (zu A. Bewußtsein und B. Selbstbewußt­
sein) angegeben wird. Was folgt, wird dann freilich sehr detail­
liert durchgegliedert. Doch erreichen die verschiedenen Glie­
derungsansätze keine Eindeutigkeit. Auch greift Hegel zu
einem neuen Strickmuster. In der Darstellung der sinnlichen
Gewißheit herrscht ganz und gar die Dialektik in der Verkeh­
rung von Wahrheit und Gewißheit; zuerst wird in einem Meta­
text das Them a „Sein“ angegeben, dann folgt die Dialektik der
Erfahrung, die am Schluß wieder in Metaerörterungen ausläuft.
Die Darstellung des wahren Geistes räumt den Metaerörte­
rungen einen eigenen Abschnitt ein (a. Die sittliche Welt), um
dann erst die Dialektik der Erfahrungen und damit den eigent­
lichen phänomenologischen Text zu bringen (b. Die sittliche
Handlung). Die Vorrede nimmt von der kleinen „Einleitung“
das Programm für den Weg zum absoluten Wissen auf. Doch
die „Bildung“ des natürlichen Bewußtseins ist zu jener moder­
nen Bildung geworden, welche die Arbeit der Weltgeschichte
im Ganzen aufnehmen muß. Es ist nunmehr weniger vom Be­
wußtsein die Rede als vielmehr vom Geist, der sich über seine
Entfremdungen in der Weltgeschichte ausbilden muß. Die Wis­
senschaft der Erfahrung des Bewußtseins bekommt deshalb den
neuen Titel einer Phänomenologie des Geistes.
Als Hegel Gymnasialdirektor in Nürnberg geworden war,
baute er seinen Philosophieunterricht auch auf seinem gerade
erschienenen ersten systematischen Buch auf, der so schwieri­
gen und prekären Phänomenologie des Geistes. Für die zusam­
mengefaßten Mittelklassen plante Hegel 1808/09 eine propä­
deutische Geisteslehre aus Phänomenologie und Psychologie.
Dabei führte die Dialektik der sinnlichen Gewißheit nicht
mehr anhand des Exempels deiktischer Worte in den Umgang
mit den Bestimmungen der Seinslogik ein; vielmehr knüpfte sie
das Wissen an die Sinnlichkeit, welche äußere Gegenstände
aufnimmt. Das Selbstbewußtsein wurde als praktisches Be­
wußtsein gefaßt, die Phänomenologie des Selbstbewußtseins in
diesem Sinne reduziert. Als Hegel zur beobachtenden Vernunft
kam, brach er ab; wegen Zeitmangels ging er nicht zur Psycho­
logie, sondern sofort zur Logik weiter, deren propädeutische
E in f ü h r u n g 25

Funktion zur Geltung kommen sollte. Wenn die Propädeutik


aus Phänomenologie und Psychologie zum Denken und damit
zur logischen Tätigkeit hinführt, dann ist das, was Denken als
Tätigkeit des Geistes bedeutet, auch im System selbst, in der
Geisteslehre, Thema. So konnte Hegel dazu kommen, die Phä­
nomenologie mit der Psychologie zusammen in die Philosophie
des subjektiven Geistes einzubauen. Dabei stellte er der Phäno­
menologie, die schon die Trennung von Gegenstand und Bewußt­
sein voraussetzt, noch die sog. Anthropologie voraus: Diese Leh­
re von der „Seele“ sieht den Menschen bestimmt durch die
Einführung in die außermenschliche und die menschliche Natur,
also etwa durch Klima und Rasse. Die Phänomenologie, verkürzt
auf den Weg bis zur Vernunft, betrachtet nur noch das gegen­
ständliche Bewußtsein. Sie ist damit ihrer Funktion nach wie in
ihrer Ausführung nur noch äußerlich, von ausgewählten M ate­
rialien her, mit der Phänomenologie von 1807 verbunden.
Für das Schicksal der Phänomenologie des Geistes von 1807 ist
entscheidend geworden, daß Hegel jene Logik umgestaltete,
welche den Weg des erfahrenden Bewußtseins hinter dessen
Rücken leitete. Das Neue an der Logik-Konzeption von 1805/
06 war, daß Hegel ausdrücklich den Begriff des Lebens (zu­
sammen mit dem Erkennen) in die logischen Grundbestim­
mungen aufnahm. Doch zeigt die Phänomenologie der Ver­
nunft, daß das Leben ein zweites M al vorkommt, nämlich als
Wissen vom Lebendigen im wissenden Wissen! Hegel scheint
einmal den neuplatonischen Weg vom dinglichen Sein zum
Leben und zum Wissen folgen zu wollen; dann (mit dem Ein­
satz des wissenden Wissens) folgt er eher der kantischen K ri­
tik, die in einer dritten Kritik von der Urteilskraft her die Tele­
ologie des Lebens zur Kritik der theoretischen und der praktischen
Vernunft stellt. Die Wissenschaft der Logik, die dann in Nürn­
berg wirklich ausgearbeitet und publiziert wurde, gestaltet die
Logik oder spekulative Philosophie noch einmal völlig um. Die
Seinslogik und die Relationslogik als Lehre vom Wesen im
Unterschied zum Schein bilden die objektive Logik; ihnen folgt
die subjektive Logik, die an die Lehre von Begriff, Urteil und
Schluß eine Lehre von den Ideen anhängt. Dabei wird der Idee
des Lebens der Mechanismus und Chemismus vorausgeschickt;
während aber die Idee des Lebens in der Logik zusammen mit
der Idee des Erkennens ausführlich entfaltet wird, bleibt für die
26 D ie t m a r K ö h ler /O tto P ö g geler

Bestimmung der Idee des Guten nur eine kurze Skizze. Die ab­
solute Idee wird nur noch genannt. Die Idee des Schönen oder
das Ideal wird z. B. abgedrängt in die Realphilosophie, nämlich
als erster Teil der Ästhetik oder Philosophie der Kunst entfaltet.
Hegel hätte gut daran getan, seinen Schülern und Lesern
darzulegen, warum er Schwierigkeiten mit der Phänomenologie
von 1807 bekommen hatte. Wenn er schließlich eine Philoso­
phie des subjektiven Geistes aus Anthropologie, Phänomeno­
logie und Psychologie aufbaute, konnte er schwerlich noch die
Phänomenologie zusammen mit der Psychologie in die Propä­
deutik rücken oder gar eine Phänomenologie als exemplari­
sche Einführung in den Um gang mit logischen Bestimmungen
nutzen. Selbstverständlich konnte die Phänomenologie mit ih­
ren Gestalten nicht mehr in eine Wissenschaft der Logik ein­
führen, die mit ihren Grundbestimmungen einen anderen und
neuen Verlauf genommen hatte. Zeigt nicht die Unausgegli­
chenheit der Ideenlehre, daß Hegel selbst in seiner Logik un­
terschiedlichen Motiven folgte? Kantianisierende Hegelianer
wie Rosenkranz haben deshalb diese Ideenlehre schon aus der
Logik zu entfernen versucht. Statt diese Probleme offenzule­
gen, griff Hegel gelegentlich direkt auf seine Phänomenologie
zurück, z. B. wenn er die abschließenden Bestimmungen der
Moralität innerhalb der Rechtsphilosophie entfaltete. In einer
Erläuterung zum § 25 der Berliner Enzyklopädie beklagt Hegel,
daß die Entwicklung der konkreten phänomenologischen G e­
stalten der Sittlichkeit, Kunst und Religion Parallelen zeige zur
Philosophie des Geistes. Doch ging die Parallelität 1807 noch
nicht direkt auf die Realphilosophie, sondern auf die Entfal­
tung des Geistes und des Wissens des Geistes von sich als der
abschließenden Bestimmung in der spekulativen Philosophie!
Offenbar war die Phänomenologie des Geistes für den Verlag
kein Verkaufserfolg. Im Juni 1829 teilte der Buchhändler We-
sche aus Frankfurt mit, daß er den Rest der ersten Auflage vom
Verlag Goebhardt aufgekauft habe und nun eine zweite Auflage
machen wolle. Hegel hielt eine „Umarbeitung des Werkes für
nötig“ und wollte gegebenenfalls gegen die Eigenwilligkeiten
des Verlages einschreiten. (Wie er seinem Schwager von Meyer
am 9. August schrieb (Br IV, 68)). K urz vor dem Tode, am
1.10.1831, schloß Hegel mit der Buchhandlung Duncker und
Humblot einen Vertrag wegen des Druckes und Verlags (der
E in f ü h r u n g 27

zweiten verbesserten Ausgabe) der Phänomenologie ab. In der


Tat machte Hegel sich an eine Redaktion; dabei strich er die
Bezeichnung der Phänomenologie als des ersten Teils des Sys­
tems der Wissenschaft. In einer Notiz nahm er die alten Leitvor­
stellungen auf, dieser „erste Teil“ sei „eigentlich“ ein „Voraus der
Wissenschaft“. Doch nun sprach Hegel von einer „eigentümli­
chen früheren Arbeit“ , die in eine vergangene philosophische Si­
tuation gehöre, nämlich ein herrschendes „abstraktes Absolutes“
bekämpfen sollte (also den Idealismus Fichtes und Schellings Iden­
titätsphilosophie). Die Devise lautete nun: „nicht umarbeiten“.
Eine Umarbeitung, die das Werk der neuen Logik und der neuen
Realphilosophie angepaßt hätte, war auch kaum vorstellbar. Eine
Umarbeitung hatte Hegel gleich nach der Publikation des Wer­
kes gegenüber Schelling gefordert. U m 1830 hätte nur eine
gänzliche Neufassung die Anpassung an die erreichte Ausbil­
dung des Systems bringen können. Doch bleibt die Frage, ob
die Ausbildung des Systems nicht auch Fragen unterdrückt hat,
die in der Phänomenologie noch wirksam blieben und dem Werk
eine eigentümliche Wirkung verschaffen mußten.

II. 2 Zur W irkungsgeschichte

Jene Schüler und Freunde Hegels, die sich schon in Jena oder
doch in Heidelberg mit seinem Denken beschäftigten, mußten
sich an der Phänomenologie des Geistes, dem ersten großen öf­
fentlichen Werk, orientieren. Das ist in der Tat der Fall bei
Gabler und Hinrichs und auch bei dem Heidelberger Theolo­
gen Daub. Die eigentliche Hegelschule bildete sich aber in
Berlin; für diese neuen Schüler war die Phänomenologie des Geis­
tes nur ausnahmsweise noch einbezogen in die Vorlesungstätig­
keit Hegels. So konnte Michelet berichten, Hegel habe die
Phänomenologie seine „Entdeckungsreisen“ genannt. Karl R o­
senkranz, als Biograph mit der Entwicklung von Hegels Den­
ken befaßt, mußte in der Phänomenologie eine vorübergehende
Krise im Hegelschen Weg zur Ausarbeitung des Systems sehen.
Die Junghegelianer, die Hegel von den Erfahrungen der Zeit
her aufnahmen, mußten wie David Friedrich Strauss und Bruno
Bauer statt auf das fertige System wieder auf die Phänomenologie
des Geistes setzen. So konnte Karl Marx in seinen Pariser Manu-
28 D ie t m a r K ö h ler /O tto P ö g geler

skripten versuchen, die Eierschalen der Logik in Hegels Den­


ken beiseite zu schieben und von der Phänomenologie des
Selbstbewußtseins her Geschichte aufzuschlüsseln. Während
Hegel in einer traditionellen theoretischen Einstellung das
Ewige in der Gegenwart habe finden wollen, müsse nunmehr
die Praxis über den Kam pf von Herr und Knecht und die wach­
sende Arbeitsteilung eine Vollendung der Geschichte in der Zu­
kunft erreichen. Als die französische Hegelforschung auf Hegels
Jenaer Entwürfe und die Phänomenologie des Geistes aufmerksam
geworden war, konnte Alexandre Kojéve von Hegels Phänome­
nologie des Selbstbewußtseins aus den Gang der Weltgeschichte
überhaupt deuten. Diesen Gedankengängen fiel die Gunst ei­
ner Wendezeit zu, als Francis Fukuyama sie 1989 unter den
Titel des „Endes der Geschichte“ stellte: Die Unterschiede
zwischen den Kulturen sollen nicht darüber hinwegtäuschen,
daß die Geschichte so etwas wie ein Ziel erreicht, wenn die
Menschen rational und effizient ihre Subsistenz durch Arbeit
gewinnen, dazu sich gegenseitig anerkennen und damit welt­
weit eine marktwirtschaftliche Demokratie durchsetzen.
Fraglich aber bleibt, ob solche Spekulationen, mögen sie
auch auf angebliche anthropologische Konstanten zurückgrei­
fen, wirklich geschichtliches Geschehen fassen können. Rudolf
Haym hat schon 1857 in seinen Vorlesungen Hegel und seine
Zeit bei Hegel eine verbliebene wirklichkeitsfremde Metaphy­
sik aufweisen wollen und diesen leitenden Traditionsrest auf
reale geschichtliche, nämlich restaurative Motive zurückge­
führt. Hegel habe Kants Transzendentalphilosophie nicht zur
historischen Kritik verdichten können, sondern diese Trans­
zendentalphilosophie als Psychologie mit der konkreten G e­
schichte vermischt. „Um Alles zu sagen: Die Phänomenologie ist
eine durch die Geschichte in Verwirrung und Unordnung ge­
brachte Psychologie und eine durch die Psychologie in Zerrüt­
tung gebrachte Geschichte.“4 Wilhelm Dilthey sah die Aufga­
be, Hegels frühe Wege neu zu deuten. Den Jenaer Arbeiten
Hegels konnte er sich aber nur noch in wenigen Fragmenten
zuwenden. Dabei sollte gezeigt werden, wie Fichtes und Schel-
lings transzendentale Geschichte sich bei H egel mit der kon­

4 Haym, R. 1857: Hegel und seine Zeit. Vorlesungen über Entstehung und Entwick­
lung, Wesen und Werth der Hegelschen Philosophie. Berlin, 243.
E in f ü h r u n g 29

kreten Geschichte verbindet; wenn Dilthey sich in seinen spä­


ten Ausarbeitungen auch wieder dem hermeneutischen Anlie­
gen zuwandte, dann konnten Hegels Anstöße sich auswirken.
Als Martin Heidegger die Tradition des Denkens grundlegend
destruieren wollte, mußte er der Phänomenologie des Geistes be­
sondere Aufmerksamkeit widmen. Das galt in gesteigertem
Maße, als er nicht nur mit Sein und Zeit nach der Geschichtlich­
keit des Daseins fragte, sondern sein Denken in die Geschichte
der Wahrheit des Seins zurückstellen wollte. Trat der Weg von
Leibniz zu Hegel und Schelling und dann zu Nietzsche nicht
als ein zweiter Aufbruch des Denkens zur Geschichtserfahrung
hin zum Anfang philosophischen Fragens bei den Griechen?
Hegels Phänomenologie wird in die Nähe von Schellings Frei­
heitsschrift gerückt. Doch wird die Kontroverse zwischen den
beiden idealistischen Philosophen genügend deutlich? Auch
Schellings Unterscheidung zwischen dem, was in G ott der
Grund ist und was er selbst ist, soll wie Hegels Ansatz auf eine
letzte teleologische Vermittlung zielen. Besteht Schelling aber
nicht gemäß dem „kabbalistischen Ansatz“ auf dem nichtver-
mittelbaren Unterschied von Grund und Existenz, so daß das
Böse, aber auch Krankheit und Wahnsinn die Vermittlung stö­
ren können? Die Philosophie muß dann zeigen, wie G ott den
Grund gewähren läßt und ihn in eine Bewegung der Liebe und
Weisheit aufnimmt. Dagegen verlangt Hegel in seiner Vorrede
zur Phänomenologie, daß die Philosophie den Namen der Liebe
zum Wissen ablegen und statt bloßer Weisheit wirkliches Wissen
werden müsse. Hegel nimmt die Bewegungen der Geschichte in
konkreten Analysen auf, die Schelling versagt blieben. Doch muß
Heidegger ihm Vorhalten, daß er trotz anderslautender Erklä­
rungen das Nichts und den Entzug, wie sie sich in der Todeser­
fahrung zeigten, nicht ernst genug genommen habe.5
Auf unterschiedlichen Linien des Denkens hat Hegels Phä­
nomenologie des Geistes neue Aktualität erhalten. Dabei ist sie
gegen das spätere Hegelsche System ausgespielt oder auch mit
den Jugendschriften zusammen als eine lebendige Linie He-
gelschen Denkens gegen die Systembildung gestellt worden.

5 Zum Verhältnis von H egels Phänomenologie und Schellings Freiheitsschrift vgl.


zuletzt Köhler, D. 2006: Freiheit und System im Spannungsfeld von Hegels Phäno­
menologie des Geistes und Schellings Freiheitsschrift. Paderborn/München.
30 D ie t m a r K ö h ler /O tto P ö g geler

Die Aufarbeitung der frühen Texte Hegels und vor allen der
Jenaer Entwürfe hat aber gezeigt, daß die Phänomenologie aufs
Engste mit Hegels Logik und mit der Realphilosophie verbun­
den ist und in spezifischer Weise auf die Probleme der System­
bildung verweist. Kann überhaupt eine Logik jene Grundbe­
griffe vorweg bereitstellen, die dann in der Realphilosophie
anzuwenden sind? Oder sind das Substanz-Akzidens-Verhält-
nis und die Kausalität eher Konzeptionen, die sich erst in unter­
schiedlichen Anwendungsfeldern erfüllen? Dann muß das offe­
ne Ganze dieser Konzeptionen „phänomenologisch“ vermittelt
werden, ohne daß man dem Weg der Erfahrung einen endgülti­
gen Abschluß geben könnte.
Wenn man heute versucht, die Hegelsche Phänomenologie
ihrer eigenen „Idee“ nach aufzunehmen, so sieht man sich
durch die Auseinandersetzung mit Hegels „Programm“ unmit­
telbar genötigt, erneut nach der Gestalt eines zukünftigen Phi-
losophierens zu fragen. Von der Phänomenologie her zeigt sich
das Problem des Hegelschen Systems überhaupt: die Vermitt­
lung von System und Geschichte und darüber hinaus die der
Philosophie mit anderen Weisen unserer Verständigung über
unser In-der-Welt-sein. Konkret verstanden werden kann die
Phänomenologie aber nur, wenn man beachtet, was Hegel über
die programmatischen Erklärungen hinaus tut.
Angesichts des völlig unproportionalen Aufbaus der Phäno­
menologie müssen die Beiträge dieses Bandes die Grundintenti­
on des Werkes, dessen strukturellen Aufbau wie auch die aktu­
elle philosophische Relevanz der Phänomenologie anhand von
exemplarischen Analysen zu den einzelnen Kapiteln erörtern.
Bei einem Werk vom Umfang der Phänomenologie ist es kaum
möglich und auch wenig sinnvoll, einen Kommentar in stren­
ger Analogie zum Text durchzuführen, da der Kommentar dann
ebenso unproportional wie seine Vorlage bleiben würde und
zudem schwer handhabbar wäre. Stattdessen bietet sich aber die
Möglichkeit, die spezifischen Paradigmen der jeweiligen K a­
pitel herauszuarbeiten und deren Funktion für die Gesamtkon­
zeption des Hegelschen Werkes zu erläutern.
Im einzelnen werden sich die Beiträge von A. Graeser der
Sinnlichen Gewißheit und von J. Hagner dem Wahrnehmungs­
kapitel widmen. Das dritte Kapitel „Kraft und Verstand“ wird
dann anhand von J. C. Flays Untersuchungen über „Hegels ,In-
E in f ü h r u n g 31

verted World“1 dargestellt. Uber den engeren Kontext des Selbst-


bewußtseins-Kapitels hinausgreifend heben die Beiträge von O.
Pöggeler und L. Siep die Funktion des Selbstbewußtseins als Leit­
faden der Phänomenologie sowie die tragende Rolle der Anerken­
nung hervor. Zum Vernunft-Kapitel folgen dann die Abhandlun­
gen von K. Düsing und M. Bisticas-Cocoves, denen sich die
Ausführungen zum Geist-Kapitel von E. Weisser-Lohmann über
das Problem der Sittlichkeit und D. Köhler über die Gewissensdi­
alektik anschließen. Auf die Schlußkapitel über die Religion und
das absolute Wissen gehen dann die Untersuchungen von M. de
la Maza und G. Baptist ein. Abschließend wirft der Beitrag von U.
Rameil noch einen Blick auf die „Verwindung“ der Phänomeno-
logie-Konzeption in Hegels Nürnberger Propädeutik.
Für die Aufarbeitung der umfangreichen Sekundärliteratur
zu Hegels Phänomenologie des Geistes konnten die Herausgeber
bei der ersten Auflage des vorliegenden Bandes von 1998 mit
Unterstützung der Fritz Thyssen-Stiftung die Hilfe von Frau A.
Seil gewinnen. Ihr und der Stiftung sei dafür gedankt. Inzwi­
schen legte L. Siep auch im Deutschen einen vollständigen
Kommentar zur Phänomenologie des Geistes vor, der auch um­
fangreiche Literaturangaben bringt.
Der letzte Beitrag dieses Bandes gilt der Rolle, die die Phä­
nomenologie in der philosophischen Propädeutik spielt, wie
Hegel sie als Nürnberger Gymnasialrektor vorgetragen hat.
Diese Entwürfe wurden jetzt in zwei Halbbänden der Akade-
mie-Ausgabe von Hegels Gesammelten Werken ediert (Ham­
burg 2006). Die Materialien wurden dabei ausgerichtet auf ihr
Ergebnis, die Enzyklopädie als Grundriss des Systems, publi­
ziert zum Gebrauch für die Lehre an der Universität. Die
Niederschriften und Nachschriften wurden an anderer Stelle
von ihrem Ausgangspunkt, der Idee und den Materialien der
Phänomenologie des Geistes, in entwicklungsgeschichtlicher An­
ordnung dargeboten (vgl. Kozu 1999). So kann leichter gefragt
werden, wie noch in Hegels Berliner Zeit die propädeutische
Einführung in das System sich in der Enzyklopädie der Wissen­
schaften Geltung verschaffte, nämlich in den Ausführungen über
die drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität. Ersetzen
nicht diese Erörterungen, aber auch die Darlegungen zum Ver­
hältnis der Religion zur Philosophie sowie die Geschichte der
Philosophie die Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins,
32 D ie t m a r K ö h ler /O tto P ö g geler

die zur Phänomenologie des Geistes wurde? Doch wollte Hegels


noch kurz vor seinem Tode die Phänomenologie neu drucken
lassen, freilich als eigentümliche Arbeit aus einer früheren Zeit
und Problemlage.
Hegel hat in seinen Nürnberger Jahren die Wissenschaft der
Logik mit drei Bänden in selbständiger Ausführung vorgelegt.
In Berlin kam er nur dazu, die Rechtsphilosophie als eigenständi­
ges Kompendium für die Vorlesungen zu publizieren. So ist die
Naturphilosophie wie die Philosophie des subjektiven und des
absoluten Geistes nur fassbar in den Paragraphen der Enzyklo­
pädie und in den Vorlesungen über die Philosophie der Natur
und die Philosophie des subjektiven Geistes, die Ästhetik oder
Philosophie der Kunst, die Philosophie der Religion und die
Geschichte der Philosophie. Auf den Vorlesungen beruhte je­
doch ein Großteil von Hegels Wirkung zu Lebzeiten und im
Jahrzehnt nach seinem Tode.
Innerhalb der Akademie-Ausgabe von Hegels Gesammelten
Werken konnte die Edition der Jenaer Schriften und Systement­
würfe abgeschlossen werden. Die editorische Arbeit war beglei­
tet von einer lebhaften philosophisch-historischen Aufarbeitung
dieser Texte. So hielten die verschiedenen Hegel-Gesellschaften
es für nötig, die Eigenständigkeit der Arbeit von Hegel in den
Jenaer Jahren zu diskutieren. Die entsprechende Tagung wurde
in Rotterdam gehalten. Heinz Kimmerle, der die Tagung organi­
sierte, publizierte auch die gehaltenen Vorträge. Diese schlos­
sen mit einem Hinweis auf die Kontroversen um Hegels Phäno­
menologie des Geistes. In der Phänomenologie wurde Hegels
Jenaer Entwicklung von bestimmten Perspektiven aus zusam­
mengefasst, aber schon auf einer neuen Stufe der Entwicklung
der Hegelschen Systematik.
Hegel hat in seiner Wissenschaft der Erfahrung des Bewusst­
seins, die dann zu einer Phänomenologie des Geistes wurde, die
logischen Grundbegriffe einüben wollen. Dafür benutzte er als
Exempel deiktische Worte wie Dieses, Hier und Jetzt, aber
auch große literarische Werke von den Dramen des Sophokles
bis zu den Romanen von Diderot und Jacobi. Hegels Lektüre
des Neveu des Rameau von Diderot in der Übersetzung Goethes
wurde von Hans Robert Jauß analysiert in seinem Grundwerk
Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik. So konnte
Hegel von seiner Phänomenologie des Geistes her geradezu als
E in f ü h r u n g 33

Literaturwissenschaftler erscheinen. Zudem ist Hegels Phänome­


nologie ein Werk, das auch in der Dichtung und Kunst aufgenom­
men wurde.
M it dem jungen Marx und Hegelinterpreten wie Alexandre
Kojeve konnte man in Hegels Phänomenologie jenes Geheimnis
der Hegelschen Philosophie finden, das auch uns noch die
Geschichte aufschließen kann. Inzwischen habe wir genauer zu
beachten gelernt, wie die phänomenologischen Tendenzen bei
Hegel und seinen Nachfolgern eingebettet sind in den wech­
selnden systematischen Rahmen. Das Frühjahr 2007 bringt die
2oo. Wiederkehr des Datums des Erscheinen der Phänomenolo­
gie des Geistes. So ist es nötig, die Geschichte der Interpretation
dieses Werkes in die Erörterung seiner Bedeutung für uns ein­
zubeziehen. Die folgenden Bemühungen um das Werk, die nur
eine kleine Auswahl aus der breiten Zuwendung zu ihm geben,
mögen diesem Ziel dienen.

Literatur
Briefe von und an H egel. H g. von Karl H egel, 1. Theil, Leipzig 1887.
Büchner, Hartmut 1990: Skeptizismus und Dialektik. In: H egel und die antike
Dialektik. H g. von Manfred Riedel. Frankfurt a. M., 227-243.
Diising, Klaus 1973: Die Bedeutung des antiken Skeptizismus für H egels Kritik
der sinnlichen Gewißheit. In: Hegel-Studien 8, 119-130.
Graeser, Andreas 1987: Zu H egels Portrait der sinnlichen Gewißheit. In:
Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie. 34. Band, 437-453.
Haym, Rudolf 1857: H egel und seine Zeit. Vorlesungen über Entstehung und
Entwicklung, Wesen und Werth der Hegelschen Philosophie. Berlin.
Jauß, Hans Robert 1982: Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik.
Frankfurt a. M., 467-504.
Köhler, Dietmar 2006: Freiheit und System im Spannungsfeld von Hegels Phäno­
menologie des Geistes und Schellings Freiheitsschrift. Paderborn/München.
Kozu, Kunio 1999: Bewußtsein und Wissenschaft. Zu H egels Nürnberger
Systemkonzeption (Hegeliana Band 10). Frankfurt a. M.
Pöggeler, Otto 1976: H egels Kritik der sinnlichen Gewißheit. In: Sinnlichkeit
und Verstand. H g. von Hans Wagner. Bonn, 167-185.
Pöggeler, Otto 2004: Die Phänomenologie - Konsequenz oder Krise in der
Entwicklung Hegels? In: Die Eigenbedeutung der Jenaer Systemkonzeptio­
nen Hegels. H g. von H einz Kimmerle. Berlin, 257-267.
Purpus, Wilhelm 1905: Die Dialektik der sinnlichen Gewißheit bei Hegel,
dargestellt in ihrem Zusammenhang mit der Logik und der antiken Dialektik.
Nürnberg.
Roettges, Heinz 1987: Dialektik und Skeptizismus. Die Rolle des Skeptizismus
für Genese, Selbstverständnis und Kritik der Dialektik. Frankfurt a. M.
34 D ie t m a r K ö h ler /O tto P ö g geler

Rosenkranz, Karl 1988: G eorg Wilhelm Friedrich H egels Leben. Berlin 1844.
Unveränd. reprograph. Nachdruck. Darmstadt.
Seil, Annette 1995: Das Problem der sinnlichen Gewißheit. Neuere Arbeiten
zum Anfang der Phänomenologie des Geistes. In: Hegel-Studien 30, 197—
206.
Shikaya, Takako 1978: Die Wandlung des Seinsbegriffs in H egels Logik-
Konzeption. In: Hegel-Studien 13, 119-173.
Siep, Ludwig 2000: Der Weg der Phänomenologie des Geistes. Frankfurt a. M.
Speight, Allen 2001: Hegel, Literature and the Problem of Agency. Cambridge.
2
Andreas Graeser

Zu Hegels Portrait der


sinnlichen Gewißheit

i.

Die Wissensauffassung, die Hegel zu Beginn des Bewußtseins­


kapitels charakterisiert, ist dadurch bestimmt, daß das erken­
nende Subjekt meint, unmittelbaren Zugang zur Realität zu
haben. Die Prüfung dieses Anspruches ergibt jedoch, daß das
erkennende Subjekt beim Versuch der Identifizierung seiner
Gegenstände selbst auf allgemeine Termini angewiesen ist und
daß die Gegenstände dem erkennenden Subjekt mithin durch
Begriffe vermittelt sind. Sie sind als gewußte Gegenstände also
weder unmittelbar gegeben noch überhaupt Einzelnes. Mithin ist
die in Rede stehende Wissensauffassung von einer internen Dis­
krepanz gekennzeichnet. Diese Diskrepanz eliminieren heißt,
eine Revision der Wissensauffassung vornehmen und so zu
einer neuen Position vorstoßen, die Mängel der kritisierten
Vorstellung hinter sich läßt.
Hegels These wird, zumindest in dieser allgemeinen Form,
als korrekt angesehen. Strittig ist allenfalls die Art ihrer Recht­
fertigung. So hat die Beschreibung und Kritik der sinnlichen
Gewißheit in einigen Punkten vehementen Protest hervorgeru­
fen. Namentlich die Rede vom „Das Jetzt“ , „Das H ier“ usw.
wurde als triviales Mißverständnis bezüglich der linguistischen
Rolle von Ausdrücken diagnostiziert, welche indexikalische
Funktion haben. (Zur Kritik siehe namentlich Becker 1969,
108-151; ders. 1971, 19-29, sowie Soll 1976, 283-287. - Die
positiven Züge der Verwandtschaft mit modernen Attacken
36 A nd reas G raes er

gegen die Theorie des Gegebenen vermerkt gut Solomon 1983,


319-337.) In diesem Kontext wurde auch Hegels Neigung
kritisiert, diese Ausdrücke als allgemeine Termini zu behan­
deln und sie so mit „Baum“ und „H aus“ auf eine Stufe zu
stellen. (Siehe z.B . Hamlyn 1961, 141 ff.) An apologetischen
Einlassungen hat es wohl nie gemangelt (so etwa bei Düsing
1973, 119-130; siehe dagegen Graeser 1985). Doch gibt es
keine eigentlichen Verteidigungsversuche. Einer der wenigen
Verteidigungsversuche - er stammt aus der Feder von Wolf­
gang W ieland1- macht zwar geltend, daß sich Hegel der Unzu­
lässigkeit der Redeweise durchaus bewußt war. Allerdings läßt
die Erörterung in der eben genannten Arbeit nicht recht deut­
lich werden, warum Hegel diesen Punkt (und Stein des Ansto­
ßes) dann nicht als solchen zu erkennen gibt.
Die nachfolgenden Erörterungen bemühen sich um die Skiz-
zierung eines Interpretationsrahmens, innerhalb dessen Hegels
Rede als Teil der Beschreibung der Position der sinnlichen
Gewißheit verständlich werden soll. Insbesondere versuchen
sie, plausibel zu machen, daß Hegels zugegebenermassen miß­
verständliche Redeweise ihrer Intention nach als notwendiger
Teil einer Selbstbeschreibung bzw. Selbstthematisierung der
sinnlichen Gewißheit zu verstehen ist. Damit würde die Rede­
weise als solche zwar nicht immunisiert (s. u.). Doch wäre mit
der Verschiebung der relevanten Ebenen auch ihr Stellenwert
ein anderer geworden und damit auch die Bedingung modifi­
ziert, unter der sie kritisierbar ist.

1 Wieland 1973, 67-82, bes. 70: „Doch wird man H egel nicht gerecht, wenn man
ihm logische oder semantische Fehler nachweist und nicht gleichzeitig die M ög­
lichkeit in Rechnung stellt, daß er diese Fehlerhaftigkeit selbst gekannt und
berücksichtigt hat“. - Siehe auch Wiehl 1973, 41: „Die Sprache, die dieses Be­
wußtsein spricht, um seine Erfahrung auszusprechen: das Jetzt ist Tag, das Hier ist
Baum -, muß ihm unnatürlich, ja verkehrt Vorkommen“. Vgl. auch Scheier 1980,
39: „Die Prüfung [...] kann nun wohl als spitzfindig oder sogar als unverständig
erscheinen, wenn sie nicht ausschließlich bezogen bleibt auf die hier vom B ewußt-
sein behauptete, und unbeschadet, ob geschichdich aufgetretene oder eigens für
diesen Anfang abstrahierte Wahrheit“.
Zu H e g e ls P o r t r a i t d e r s in n lic h e n G e w is s h e it 37

II.

Die sinnliche Gewißheit wird gelegentlich als vor-philosophi-


sche Position charakterisiert, - als Weise der alltäglichen Welt­
zuwendung etwa,2 deren Selbstverständnis durch keinerlei Pro-
blematisierung ihrer begrifflichen Annahmen getrübt ist. Für
dieses Verständnis3 könnte u. a. sprechen, daß die für philoso­
phisches Denken wichtige Unterscheidung zwischen Ding und
Eigenschaft erst auf der Stufe der Wahrnehmung Gestalt an­
nimmt. M ag die als sinnliche Gewißheit beschriebene Bewußt­
seinsgestalt auch als vorphilosophische Position gelten, so ist
damit allerdings nicht gesagt, daß die Position nicht philoso­
phisch relevant sei. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein.
Denn Hegel bringt diese Bewußtseinsgestalt, „die Realität oder
das Seyn von äußern Dingen als diesen, oder sinnlichen, habe
absolute Wahrheit für das Bewußtseyn“ (GW 9, 69) und „Die,
welche solche Behauptung aufstellen ..." / „aber sie sprechen
,wirkliche Dinge, äußere oder sinnliche Gegenstände, absolut
einzelne Wesen1 ..." (G W 9, 69 f.) mit hier nicht näher spezifi­
zierten Positionen philosophischer Art in Verbindung. Genau­
er gesagt, scheint Hegel sagen zu wollen, daß die von ihm im
vorangehenden beschriebene und kritisierte Position Bestand­
teil eben jener Auffassungen sei, welche ihre Thesen bezüglich
der Erkenntnis von Gegenständen auf die Sinneswahrnehmung
bzw. auf die Annahme einer vermeintlichen unmittelbaren Be­

2 V gl. z. B. Daniels 1983, 88. Schon N ink 1948, 16, spricht von einer „vorphilo­
sophischen, unkritischen Einstellung“. - Siehe hingegen Westphal 1973, 89: „Die
sinnliche Gewißheit ist eine unwirkliche Abstraktion. Unser Wissen von der
äußeren Welt fängt nicht in der verdünnten Sphäre reiner Sinnlichkeit an, sondern
in der konkreten Lebenswelt des alltäglichen Bewußtseins von Dingen und ihren
Eigenschaften.“ - 9 1 : „U m den Primat der Wahrnehmung in H egels Phänomeno­
logie der Erfahrung zu verstehen, muß man jedoch mehr als das bloß Abgeleitete
des Appells an sinnliche Gewißheit begreifen. Man muß auch einsehen, daß mit
diesem Nam en überhaupt keine wirkliche Bewußtseinsform bezeichnet ist“.
3 H egel selbst, der in der „Vorrede“ der Ph.d.G., (G W 9, 24) und in der Philoso­
phischen Propädeutik ( T W 4, 111) von „sinnlichem Bewußtsein“ (im Gegensatz zu
„wahrnehmendem Bewußtsein“) spricht, charakterisiert die sinnliche Gewißheit
gelegentlich auch als „gemeines Bewußtsein“ (T W 19, 374-375) und spricht von
ihm als dem „ungebildeten Standpunkt des Individuums“ („Vorrede“ zur Ph.d.G.,
G W 9, 24).
38 A nd reas G raes er

ziehung zwischen dem erkennenden Subjekt einerseits und dem


erkannten Objekt andererseits gründen. So zeigt insbesondere
Hegels Kommentar „Eine solche Behauptung weiß zugleich
nicht, was sie spricht, weiß nicht, daß sie das Gegentheil von
dem sagt, was sie sagen will“ (G W 9, 69) bzw. „sagen aber,
gemäß vorhergehenden Bemerkungen, auch selbst unmittelbar
das Gegentheil dessen, was sie meynen“ (a. a. O.), daß bestimm­
te philosophische Positionen etwa bezüglich der Realität und
ihrer unmittelbaren Erkennbarkeit aus prinzipiellen Gründen
zum Scheitern verurteilt sind. Sie scheitern - in Hegels Sicht der
Dinge - da, wo auch die sinnliche Gewißheit scheitern muß,
sofern sie als Wissensanspruch auftritt. Dieser Punkt ist wichtig.
Denn er beleuchtet den eigentlichen Stellenwert der in Rede
stehenden Bewußtseinsgestalt: M ag sie auch nicht das sein, was
wir unter einer eigentlichen Theorie der Gegenstandserkenntnis
(dazu siehe Röd 1981, 69-86) verstehen und von einer solchen
erwarten würden, so stellt sie doch etwas dar, was im Rahmen
bestimmter Theorien bezüglich unmittelbarer Gegenstandser­
kenntnis verankert zu sein scheint und den Nerv solcher Theori­
en ausmachen würde.4 In der Tat ist Hegels Unterfangen in der
Phänomenologie des Geistes wohl am meisten gedient, wenn die von
ihm sinnliche Gewißheit genannte Bewußtseinsgestalt unabhän­
gig von historischen und systematischen Konstellationen und
unabhängig auch von ontogenetischen oder phylogenetischen
Gesichtspunkten als philosophisch relevanter Kernbestand va­
riabler Auffassungen wahrscheinlich gemacht werden könnte.
Der springende Punkt wäre, daß Hegel - zu recht oder unrecht
- unterstellt, daß mit solchen Auffassungen stets Annahmen
verbunden sind, wie sie die sinnliche Gewißheit als Bewußt­
seinsgestalt ausmachen; und es wäre Hegels Absicht zu zeigen,

4 Dies wäre mit der allgemeinen Charakterisierung „Empirismus“ verträglich,


die Taylor 1975, 141/dt. 1978, 195 gibt: „Diese Auffassung hat evidentermaßen
mit dem Empirismus eine gewisse Ähnlichkeit. Sie ist nicht mit ihm identisch,
denn sie ist nicht etwa genauso eindeutig spezifiziert wie der Empirismus. Aber
die Vorstellung, daß das Bewußtsein primordial empfänglich ist und vor der
intellektuellen (d. h. der begreifenden) Tätigkeit einsetzt, ist sicherlich ein empiri-
stisches Them a, ebenso wie die Auffassung, daß den Äußerungsformen dieser
Empfänglichkeit (Rezeptivität) ein höherer Grad an Gewißheit zukommt als
irgendwelchen anderen Ansichten, zu denen wir hinsichdich der Eigenschaften
oder Tätigkeiten des Bewußtseins kommen könnten.“
Zu H e g e ls P o r t r a i t d e r s in n lic h e n G e w is s h e it 39

daß die Unhaltbarkeit dieser Position rein immanent aufgewie­


sen werden könne, d. h. anhand ihrer eigenen Annahmen und
Voraussetzungen.

III.

Von der „Einleitung“ der Phänomenologie des Geistes her gilt,


daß jede philosophische Position auf dem Wege der Selbstprü­
fung des Bewußtseins auf ihre Stimmigkeit hin zu testen sei. Nun
steht und fällt Hegels Vorstellung der Selbstprüfung des Bewußt­
seins5 allerdings mit der Annahme, daß sich die in Frage stehende
Position selbst thematisieren kann. Im Fall der sinnlichen Ge­
wißheit ist dies jedoch zweifelhaft. Denn so, wie sich Hegel aus­
drückt, scheint es sich um eine geradezu vorsprachliche Stufe zu
handeln. Doch ist diese Interpretation vielleicht weder zwingend
noch eigentlich notwendig. Was den Gedanken der Selbstprü­
fung hier gefährdet, ist die Tatsache, daß die Prüfung des Wis­
sensanspruches der sinnlichen Gewißheit in Hegels Schilderung
(GW 9, 64) von „uns“ vorgenommen wird: „Sie ist also selbst zu
fragen [...] antworten wir also zum B eyspiel...“ Ein solches
Vorgehen muß die möglichen Meriten der phänomenologischen
Methode (dazu siehe besonders Dove 1970, 615-641; ders. 1974,
605-621) Hegels in Frage stellen. Denn wenn Hegel in der
„Einleitung“ die Position des phänomenologischen Beobachters
dadurch definiert, daß ihm bzw. uns das reine „Zusehen“ bleibt, so
meint er, daß jede „Zuthat“ unsererseits überflüssig sei (GW 9,
59). Sicher gibt es Stellen - so vor allem „diese Betrachtung der
Sache ist unsere Zuthat“ (GW 9, 61)6 -, die die Frage nahelegen,
ob Hegel über einen kohärenten Begriff des „reinen Zusehens“
verfügt. Auch mag man sich fragen, ob das Ideal einer rein
beschreibenden Perspektive unter den Bedingungen heutigen

5 Dazu siehe G W 9, 59 f. - Der Gedankengang bedarf weiterer Rechtfertigung.


Eine solche Rechtfertigung versuche ich in Graeser 1986, 182-186.
6 Im Blick auf unsere Stelle hier ergeben sich sicher Probleme. - Claesges 1981,
133 scheint das Problem als weniger gravierend anzusehen: „Das natürliche Be­
wußtsein aber, an dem die sinnliche Gewißheit als eines der es bestimmenden
Momente nachweisbar ist, kann sehr wohl über das Bewußtsein seiner selbst
verfügen und ist in der Lage, die Funktion und Bedeutung, die ein rein unmittel­
bares Wissen in seinem Gegenstandsverständnis hat, anzugeben“.
40 A nd reas G raes er

Philosophierens, namentlich seit Heideggers Ausführungen in


Sein und Zeit §§31 ff., nicht überhaupt als Chimäre gelten muß.
Doch handelt es sich bei diesen Problemen solange um Schwie­
rigkeiten vergleichsweise zweitrangiger und fernerhegender
Art, als Hegel selbst keinen Zweifel daran läßt,7 daß die Be­
schreibung und Prüfung der sinnlichen Gewißheit eben nicht
eigentlich Sache ihrer Selbstthematisierung des Bewußtseins
ist, sondern Sache einer von außen und zudem retrospektiv
herangetragenen Betrachtung: Wir sind es, die die sinnliche
Gewißheit befragen und wir sind es, die die Antworten geben
und die sinnliche Gewißheit sogar auf etwas „aufmerksam ma­
chen“ (G W 9, 67).8
M it welchem Recht tun wir dies? Woher wissen wir, wie sich
die sinnliche Gewißheit äußern würde, wenn sie sich äußern
könnte? Eine Antwort auf diese Frage erscheint schwierig,
wenn nicht gar unmöglich. Denkbar wäre, daß wir unterstellen,
was die sinnliche Gewißheit sagen müßte, wenn sie sich äußern
würde. Der damit angezeigte Weg wäre der einer transzenden­
talen Argumentation: Hegel könnte von einer unbestreitbaren
Facette der Erfahrung ausgehen und von daher schließen, daß
die in Rede stehende Erfahrung bestimmte Züge haben müsse,
um überhaupt eine Erfahrung dieses Typus sein zu können (so
Taylor 1976, 152). Doch stellt auch dieser Weg in Wirklichkeit
keine gangbare Option dar. Denn genaugenommen verfügen
wir über kein Faktum, das uns das sinnliche Bewußtsein bzw.
die sinnliche Gewißheit als Bewußtsein sui generis und inner­
halb ihrer eigenen Grenzen vor Augen führen könnte. Wenn

7 Verschiedene Autoren weisen auf die Struktur des sokratischen Dialoges hin,
der in H egels Inszenierung der Prüfung der sinnlichen Gewißheit zugrunde liege.
Zu diesem Zweck verweist Westphal 1973, 83 auf Platon, Theaitet 16 lh—162h,
d. h. auf Sokrates’ Ausspruch, daß „keine der Reden von mir ausgeht, sondern stets
von dem Mitunterredner, während ich mich nur auf die Kleinigkeit verstehe, die
darin besteht, daß ich die Rede eines anderen weisen Mannes einer richtigen
Behandlung und Prüfung unterwerfe [...]. Also abermals muß ich mich an den
weisen Theaitet wenden“. Die Analogie liegt nahe, ist jedoch für diesen Zusam ­
menhang nicht sehr illustrativ.
8 Vgl. auch Heinrich 1983, 1. Aufl. 1974, 113: „Das sinnliche Bewußtsein als
solches vermag nicht Rede und Antwort zu stehen. E s existiert auch niemals rein als
solches. Wohl aber existieren zeitgenössische und vorhergehende philosophische
Strömungen, mit denen die Diskussion über solches Bewußtsein von nöten er­
schien.“
Zu H e g e ls P o r t r a i t d e r s in n lic h e n G e w is s h e it 41

Hegel zu Beginn der Darstellung sagt: „W ir haben uns ebenso


unmittelbar oder aufnehmend zu verhalten“ (G W 9, 63), so
statuiert er einen Kernzug der sinnlichen Gewißheit, der nicht
eigentlich vorfmdlich ist. Er ist das Produkt einer Idealisierung:
Hegel selbst fragt nach dem geeigneten Ausgangspunkt für die
Darstellung des erscheinenden Wissens und erklärt rhetorisch
forcierend - „kann kein anderes sein als ...“, - daß hier nur
„unmittelbares Wissen, Wissen des Unmittelbaren“ in Frage
komme.9 Was also wird unter dem Titel „sinnliche Gewißheit“
beschrieben, wenn nicht das Produkt einer Abstraktion?

IV.

Gewiß kann die Thematisierung der sinnlichen Gewißheit


nicht als reguläre Beschreibung gelten, geschweige denn als
etwas, was sich uns darbietet, wenn wir das Bewußtsein im Akt
der Reflexion betrachten. Eher handelt es sich um ein Gedan­
kenexperiment mit dem Ziel, tatsächliche oder mögliche Kon­
struktionen dieser Art als widersprüchlich zu erweisen. Zu die­
sem Zweck konstruiert Hegel freilich auch denkbare Wege der
Rechtfertigung, die die Position der sinnlichen Gewißheit be­
schreiten müßte: Es ist dieser Kontext, der auch das Verständnis
jener Redeweisen bestimmt, welche in der Kritik gelegentlich
als unzulässig betrachtet werden.
So gesehen wäre die Rede vom „Das H ier“, „Das Jetzt“ , „Das
Diese“ Teil einer Position, die Hegel der sinnlichen Gewißheit
als notwendiges - wenn auch nicht notwendig bewußtes - Ele­
ment des Selbstverständnisses unterstellt und auf das er sie
verpflichtet. Unter dieser Voraussetzung wäre es also nicht
gerechtfertigt, mit Wolfgang Wieland zu sagen: „Es entspricht
der Naivität der sinnlichen Gewißheit recht gut, wenn sie von
den Komplikationen einer gezielten Was-Frage noch ebenso­
wenig weiß wie von den Schwierigkeiten, die sich durch eine
Substantivierung - das „Jetzt“ - ergeben können, wenn man

9 Die Destruktion der Unmittelbarkeit ist ein zentrales Thema bei Hegel. Grund­
legend für die Einschätzung dieser Them atik sind H egels Erörterungen in der
Wissenschaft der Logik, - siehe „Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht
werden?“, ^ . L . I ( T W 5 ) .
42 A nd reas G raeser

den ursprünglichen Funktionssinn des Wortes „jetzt“ dabei


vergißt“ (Wieland 1973, 75). Denn es ist keineswegs ausgemacht
- und auch nicht mit Hegels Begriff des „gemeinen Bewußtseins“
notwendig verbunden -, daß ein Advokat der sinnlichen Gewiß­
heit simpliciter naiv ist und die alltagssprachliche Verwendung
solcher Ausdrücke a fortiori nicht beherrscht. Allerdings wäre
auch nicht einsichtig, daß jemand, der die Regeln seiner Mutter­
sprache beobachtet, in dem Augenblick, da er die Position der
sinnlichen Gewißheit expliziert, zu solchen Sätzen wie „das Jetzt
ist die Nacht“ Zuflucht nehmen würde. Glaubhafter ist, daß H e­
gel unterstellt, eine Position von der Art der sinnlichen Gewißheit
müßte konsequenterweise Ausdrücke wie „Diese(s)“, „H ier“ ,
„Jetzt“ regelrecht substantivieren und als Eigennamen auffas­
sen, denen reale Segmente der Wirklichkeit als Bedeutungen
gegenüberstehen.
Doch ist eine solche Unterstellung gerechtfertigt? Welche
Gründe könnte Hegel für sie geltend machen? Die wenigen
Anhaltspunkte, die Hegels Schilderung bietet, weisen in folgende
Richtung: Die sinnliche Gewißheit kennzeichnet jene Form von
Unmittelbarkeit, die als „Beziehung unmittelbar reine Bezie­
hung“ sei (GW 9, 63); und von dieser Beziehung gilt, daß „ein
reiner dieser; der einzelne, [...] reines dieses, oder das einzelne“
weiß (a. a. O.). Unmittelbarkeit wird auf dieser Stufe als Bezie­
hung zwischen einem unmittelbaren Objekt (GW 9, 67): „wie das
unmittelbare beschaffen ist“) und einem Subjekt bzw. Wissen
verstanden. Dieses ist seinerseits als unmittelbar anzusehen, weil
es rein aufnehmender Natur (GW 9, 63) ist und seinen Gegen­
stand in keiner Weise begrifflich strukturiert (GW 9, 63): „als
nichts an ihm, wie es sich darbietet, zu verändern“ / „sie hat von
dem Gegenstand noch nichts weggelassen“). Wenn jemand das
sinnliche Bewußtsein also nicht nur als bloßen Bestandteil,
sondern wie Epikur geradezu als Kernstück einer Wissensauf­
fassung ansieht, so tut er dies in der Annahme, daß allein diese
Beziehung genuines Wissen von einem Gegenstand eröffnet.10
In diesem Sinn scheint die Annahme einer strikten oder gar

10 Der heutige Leser denkt hier besonders an Bertrand Russells Konzeption des
„Wissens durch Bekanntschaft“ und damit an seine Vorstellung von Sinnes-Daten
als unmittelbar gegebenen Gegenständen des Bewußtseins. Vgl. z. B. Russell 1970,
1. Aufl. 1912, 25: „We shall say that we have acquaintance with anything of which
Zu H e g e ls P o r t r a i t d e r s in n lic h e n G e w is s h e it 43

radikalen Unmittelbarkeit insbesondere darin deutlich zu wer­


den, daß Objekt und Subjekt dieser Beziehung im Horizont
der externen Sichtweise sozusagen als nicht-konzeptualisierte
und auch nicht konzeptualisierbare Pole beschrieben werden.
Dies könnte auch erklären, weshalb Hegel das Demonstrati­
vum „Dies(e)“ zur Fixierung beider Pole verwendet. Der Aus­
druck könnte in Analogie zu dem verstanden werden, was in der
Philosophie Russells logische Eigennamen sind. Die Verwen­
dung regulärer Eigennamen und der ihnen äquivalenten Kenn­
zeichnungen würde bereits Beschreibungen einführen. Damit
wären die in Rede stehenden Gegenständlichkeiten schon nichts
mehr, was sich im vorausgesetzten Sinne von Unmittelbarkeit
zueinander in Beziehung setzen ließe.

V.

Allerdings bietet Hegels Vorgehen einige Probleme. Vom Re­


sultat der Argumentation des ersten Kapitels her betrachtet ist
klar, daß Hegel jenes Vertrauen, das der Advokat der sinnlichen
Gewißheit in die Verwendung deiktischer Ausdrücke und in den
Vollzug entsprechender Gebärden setzt, für unbegründet hält. In
diesem Sinne scheint Hegels eigene Position bereits eine gewisse
Nähe zu jenen Überlegungen aufzuweisen, die W. V. O. Quine
namentlich in Word and Object entwickelte. Doch geht es in der
von Hegel portraitierten Position genau genommen nicht um
die Annahme, daß wir uns auf Gegenstände beziehen können;
es geht vielmehr um die weiterreichende Position, daß wir dies
in der Weise der Unmittelbarkeit tun können. Nun gilt es zu
sehen, daß diese weiterreichende Annahme - sie ist für moder­
ne Begriffe geradezu eine contradictio in terminis - genauge­
nommen nicht als Position der Auffassung in Erscheinung tritt,
welche zur Debatte steht: Da, wo Hegel das Demonstrativum
„Dies(e)“ einführt und gewissermaßen als logischen Eigenna­
men für den Gegenstand der sinnlichen Gewißheit eintreten
läßt (G W 9, 63), wird nicht etwa die sinnliche Gewißheit in
actu beschrieben. Vielmehr geht es um eine Erläuterung der

we are directly aware, without the intermediary of any process of inference or any
knowledge of truth.“ - H egel denkt sicher an Epikur (vgl. etwa fr. 247 Us.).
44 A nd reas G raes er

Position. Die Betrachtung des Gegenstandes als „Dies(e)“ ist


also nicht Teil einer Selbstdefinition der in Rede stehenden
Position. Diese wird erst im Anschluß an die methodischen
Hinweise thematisch (GW 9, 64). Dort aber wird die Verwen­
dung des Ausdrucks „Dies(e)“ bereits selbstverständlich als
Teil der Selbstbetrachtung der Position der sinnlichen Gewiß­
heit vorausgesetzt.
Vergleichbar ist das Prozedere im Wahrnehmungskapitel.
Auch hier entwickelt und bestimmt Hegel den Gegenstand
zunächst in der Perspektive des „für uns“. Erst im Anschluß
an diese - wie Hegel meint - wenig ausgeführte Bestimmung
(GW 9, 71) wird die Perspektive der Wahrnehmung und damit
auch die Sicht ihrer Erfahrung mit dem Gegenstand eröffnet.
Doch sind die begrifflichen Strukturen, die innerhalb dieser
Erfahrung Gestalt gewinnen, schon bestimmt. - Hegels Orien­
tierung am Vorsprung des Standpunktes „für uns“ 11 bietet uns
im ersten Kapitel jedenfalls das Problem, daß eine Auffassung
über die sinnliche Gewißheit (z. B. G W 9, 63 „läßt sie erschei­
nen“) als Auffassung der sinnlichen Gewißheit selbst behauptet
wird. Damit wird zugleich deutlich, daß die Frage „Was ist das
Diese?“ die sinnliche Gewißheit auf eine Position behaftet, die
ihr unterstellt wurde. Dieser Punkt ist wichtig. Denn wenn wir
voraussetzen, daß die Substantivierung des Ausdrucks „Dies(e)“
in Hegels Augen philosophisch bedeutsam ist, so bleibt zu
fragen, weshalb Hegel meint, ihr einen systematischen Stellen­
wert zuweisen zu müssen.

VI.

Der fiktive Dialog mit der sinnlichen Gewißheit ((GW 9, 64)


„Sie ist also selbst zu fragen: Was ist das D iese?“) entzündet
sich also an der Gegenstandsauffassung, die der sinnlichen
Gewißheit als Theorie einer Gegenstandserkenntnis eigentüm­
lich ist oder eigentümlich sein müßte. In diesem Zusammen­
hang (G W 9, 64) finden nun die Substantivierungen („Das Die­

11 Die Beobachtung dieses Vorsprungs wird namentlich von Ottmann 1974 gut
betont.
Zu H e g e ls P o r t r a i t d e r s in n lic h e n G e w is s h e it 45

se“ , „Das H ier“, „Das Jetzt“)12 statt. Sicher ist es eine Sache zu
sagen, daß wir im Rahmen der sinnlichen Gewißheit (oder im
Rahmen einer beliebigen empiristischen Position, welche auf
dieser fußt und geltend macht, jene Unmittelbarkeit aufzuwei­
sen, welche das Ideal unmittelbarer Gegenstandserkenntnis er­
füllt) unsere Gegenstände zu treffen versuchen, ohne Begriffe
zu Hilfe zu nehmen. Sicher ist es eine andere Sache zu sagen,
daß wir uns in solchen Situationen auf Gegenständlichkeiten
von der Art eines „Das Diese“ beziehen. Aber genau dies scheint
Hegel vorauszusetzen: Unmittelbarkeit in dem zu Beginn des
Kapitels vorausgesetzten Sinn reinen Aufnehmens besagt ja,
daß das aufnehmende Subjekt seine Gegenständlichkeit weder
gliedert noch überhaupt in einer Beziehung zu anderen mögli­
chen Gegenständen erfährt. Diese Weise reinen Aufnehmens, die
gegen sämtliche Formen und Horizonte indifferent sein müßte,
würde sich genaugenommen auch von solchen beobachtungsarti­
gen Zuwendungen unterscheiden, die man mit Moritz Schlick als
Konstatierungen zu bezeichnen hätte (z. B.: „Hier jetzt blau und
grün ...“). Denn derartige Äußerungen vollziehen sich bereits
im Horizont selektiver und jedenfalls kontextuell geprägter
Erfahrungen. Genau diese Möglichkeit selektiver Erfahrung
scheint für die sinnliche Gewißheit ex hypothesi ausgeschlos­
sen.
In diesem Sinn ist es nicht erstaunlich, wenn die Beschrei­
bung voraussetzt, daß „H ier“ und ,Je tz t“ für einen „unwandel­
baren“ Gegenstand stehen, der im Modus seiner Unmittelbar­
keit alles Raum- und Zeitbewußtsein nicht nur erfüllt, sondern
geradezu ausfüllt: Das Hier, Das Jetzt usw. Von hieraus be­
trachtetwäre es nicht gleichgültig, ob der Beispielsatz die Form
,Je tzt ist Nacht“ oder „Das Jetzt ist Nacht“ erhält (G W 9, 64).

12 Die Verbindung von „dies“, „jetzt“, „dort“ findet sich in dieser Form in den
Zweiten Analytiken des Aristoteles: „Die Wahrnehmung ist von dem Solchen und
nicht von einem Diesen; aber was man wahrnimmt, ist mit Notwendigkeit ein
Dieses, sowie irgendwo und jetzt“ (87b29). Hier, wie 100al6 („Man nimmt zwar
das Einzelne wahr, aber es ist eine Wahrnehmung von einem Universalen, z. B.
einem Menschen, nicht dem Menschen Kallias“), ist anzunehmen, daß Aristoteles
also zwischen einem referentiell intendierten x auf der einen Seite unterscheidet,
und einem Wahrnehmungsgehalt y, als welches x wahrgenommen wird. - Vgl.
hierzu Lloyd 1979, 145. Hierzu sind die KOINA-Strukturen zu vergleichen, die
sich in der Aisthesis-Kritik des Theaitet finden. Vgl. Graeser 1985, 51-56.
46 A nd reas G raes er

Die Äußerung „Jetzt ist Nacht“ wäre eine bloße Konstatierung.


Derjenige, der diese Äußerung macht, weiß, daß diese Konsta­
tierung deshalb nicht aufgeschrieben werden kann, weil die
Worte „hier“ und „jetzt“ dann ihren Sinn verlieren.

vn.
Nun behauptet Hegel zwar nicht, daß der Advokat der sinnli­
chen Gewißheit dies nicht wisse. Doch zeigt die Formulierung
„Das Jetzt ist die N acht“, daß Hegel die Konzeption der sinn­
lichen Gewißheit mit einer Auffassung verbindet, die ihrem
eigenen Selbstverständnis nach diese Einsicht eben nicht vor­
aussetzen darf. Denn damit wäre die Annahme radikaler U n ­
mittelbarkeit bereits destruiert. Gleichwohl ist der Satz „Das
Jetzt ist die N acht“ nicht leicht zu verstehen. Das „ist“ hat die
Funktion des Identitätszeichens. Der Satz selbst bringt dem­
nach eine Identität von “N acht“ einerseits und dem durch „Das
Jetzt“ gewissermaßen unmittelbar benannten Gegenstand zum
Ausdruck. In der Sicht der sinnlichen Gewißheit würde es sich
bei dem, was hier gesagt wird, vermutlich nicht einmal um eine
urteilshafte Struktur handeln, sondern um den Bericht einer
unmittelbaren Kontaktnahme von der Art, wie sie bei Aristote­
les gelegentlich im Begriff der Phasis vorgestellt wird. Diese
Struktur ist nicht irrtumsfähig (siehe Berti 1987, 141-164).
Wenn Hegel hier also eine Art von nicht-propositionaler Be­
nennung vor Augen gehabt haben sollte,13 so würde dies gut zur

13 Ähnlich wird die Struktur bei H egel von Claesges 1981, 142 verstanden:
„Die Antwort ist nicht ein Urteil, ein Aussagesatz, sondern hat die Funktion
einer unmittelbaren Benennung. Das Jetzt hat einen Namen: N acht (die herr­
schende Dunkelheit). Die Benennung ist so beschaffen, daß N am e und Benann­
tes eine unmittelbare Einheit bilden“. - Allerdings ist fraglich, ob mit dieser
Interpretationshypothese viel gewonnen ist. Denn wenn Hegel (was Claesges der
Sache nach vielleicht vor Augen hat) tatsächlich etwas von der Art gemeint hatte,
was zeitgenössische Philosophen unter nicht-propositionaler Wahrnehmung im
Unterschied zu propositionalem Wahmehmen verstehen (vgl. etwa Todd 1975,
325-362; Crawford 1972, 201-210), so wäre schwer einzusehen, was H egel dann
genau mit dem Wandel des Wahrheitswertes des Satzes „Das Jetzt ist die N acht“
gemeint haben könnte. Im Interesse einer Verteidigung der Rede von der
Wahrheit, die „schal geworden ist“ wäre zu sagen, daß H egel den aufgeschriebe­
nen Satz selbst als Bericht über ein (nicht-propositionales?) Wahmehmungser-
Zu H e g e ls P o r t r a i t d e r s in n lic h e n G e w is s h e it 47

eingangs geschilderten Situation der Unmittelbarkeit passen.


Namentlich die Implikation (G W 9, 63 f.), daß sich die sinn­
liche Gewißheit fälschlicherweise als Einheit von Sache und
Wissen versteht, wohingegen in der Reflexion „ein Dieser als
Ich, und eines Dieses als Gegenstand herausfallen“, könnte
diese Deutung stärken. - Allerdings läßt sich nicht leugnen,
daß Hegel selbst an einen Satz denkt bzw. an eine Wahrheit; die
Durchführung der Prüfung des Bewußtseins zeigt zudem, daß
Hegel konzediert, daß Sätze ihren Wahrheitswert ändern kön­
nen.
Eine Lösung dieser Schwierigkeit scheint allerdings unter
der Voraussetzung denkbar, daß Hegel die von ihm selbst statu­
ierte Identitätsbehauptung als Formulierung betrachtet, wel­
che das Bewußtsein artikulieren müßte: Unmittelbarkeit im
relevanten Sinn der Hypothese behaupten, hieße eine Identifi­
kation von Gegenstand und Zeit(-stelle) vornehmen. Mehr
noch: Die Behauptung einer Unmittelbarkeit von jener Art, wie
sie im tatsächlichen oder vermeintlichen Anspruch der sinnli­
chen Gewißheit vorausgesetzt wird, läuft in Hegels Augen auf
so etwas wie eine essentielle Prädikation von N acht vom Jetzt
hinaus. Aber eben diese essentielle Prädikation wäre unange­
messen: „so wenig die Nacht und der Tag sein Seyn ist, ebenso­
wohl ist es auch Tag und N acht“ (GW 9, 65).

V III.

Dieser Hinweis genügt Hegel, um das sich im Bewußtsein der


sinnlichen Gewißheit „erhaltende Jetzt“ als nicht „unmittel­
bares, sondern ein vermitteltes“ zu charakterisieren. Damit ist
eine wesentliche Komponente der Gewißheit des sinnlichen
Bewußtseins erschüttert. Denn die Unmittelbarkeit, die hier
von der sinnlichen Gewißheit in Anspruch genommen wurde,
steht und fällt mit der Voraussetzung, daß die Bezugnahme auf

eignis verstanden wissen will. Dann freilich bliebe zu fragen, ob H egel nicht
etwa - um die Terminologie M oritz Schlicks zu verwenden - eigentliche
Konstatierungen („hier jetzt so und so“) mit Protokollsätzen verwechselt („M. S.
nahm am so und sovielten April 1934 und zu der und der Zeit an dem und dem Ort
blau wahr“). Zur Unterscheidung selbst siehe Schlick 1934, 79-99, bes. 97.
48 A nd reas G raes er

die Gegenstände in keinerlei Weise vermittelt ist. Aber eben


diese Voraussetzung ist nicht gegeben. In diesem Sinn ist auch das
für das Selbstverständnis der sinnlichen Gewißheit unverzichtba­
re Vertrauen in ein singuläres, nicht-austauschbares Jetzt nicht
begründet. Ähnlich wie Russell (1970, l.A u fl. 1912, 25 ff.)
zugestehen müßte, daß Sinnes-Daten (rote Flächen usw.) nicht
eigentlich unmittelbar gegeben sind, sondern im Gegenteil als
Beispiele elementarer begrifflicher Klassifikationen angesehen
werden müssen (vgl. Solomon 1983, 321 ff.), müßte der Ad­
vokat der sinnlichen Gewißheit verstehen, daß selbst ein als
Gegenstand unmittelbarer Bekanntschaft vorausgesetztes Jetzt
kein wirklich singulärer Gegenstand ist und somit nicht als
Garant sinnlicher Gewißheit gelten kann.
Bereits hier gelangt Hegel zum relevanten Teil seiner Schluß­
folgerungen bezüglich der Prüfung der sinnlichen Gewißheit:
„das allgemeine ist also in der T h at das wahre der sinnlichen
Gewißheit“ (G W 9, 65; vgl.GW 9, 70 f. u. ö.). Damit ist gesagt,
daß die in Rede stehende Bewußtseinsgestalt keine akzeptable
Theorie der Gegenstandserkenntnis darstellt. Denn die sinn­
liche Gewißheit „meint“ zwar Einzelnes, aber sie kann diesen
Gegenstand nur als Allgemeines verfügbar machen. Damit ist
nicht nur die vorausgesetzte Beziehung begriffloser Unmittel­
barkeit destruiert; auch der als „an sich“ angenommene Cha­
rakter oder Status des vorausgesetzten Gegenstandes (siehe
„Einleitung“ , G W 9, 58 f.) erweist sich in Hegels Augen als
Teil einer unzulänglichen Gegenstandsauffassung.
Allerdings wirft Hegels Betrachtung ein zusätzliches Pro­
blem auf. Denn er charakterisiert die Sprache als Korrektiv des
sinnlichen Bewußtseins: „Die Sprache aber ist, wie wir sehen,
das wahrhaftere, in ihr widerlegen wir selbst unmittelbar unsere
Meynung, und da das allgemeine das wahre der sinnlichen
Gewißheit ist, und die Sprache nur dieses wahre ausdrückt, so
ist es gar nicht möglich, daß wir ein rein sinnliches Seyn, das wir
meynen, je sagen können“ (G W 9, 65). - Man mag geltend
machen, daß Hegel hier der Position der sinnlichen Gewißheit
auf einem Terrain zu begegnen sucht, das ihr fremd ist und
gemäß den Bemerkungen der „Einleitung“ nicht ohne weiteres
als Begegnungsfeld immanenter Kritik angesehen werden darf.
Zwar hegt es nahe, mit Charles Taylor geltend zu machen, daß
„etwas wissen“ soviel impliziere wie „sprachlich artikulieren
Zu H e g e ls P o r t r a i t d e r s in n lic h e n G e w is s h e it 49

können“.14 Doch wird diese Annahme, die für Wittgensteins


Argumentation gegen die Möglichkeit einer Privatsprache wich­
tig ist, von Hegel nicht als Voraussetzung formuliert (siehe
auch Solomon 1983, 3 30-3 31).15 Selbst wenn sie für Hegel
wichtig war, bleibt fraglich, ob er dieser Annahme retrospektiv
den Status einer Voraussetzung einräumen dürfte. Denn im
weiteren Verlauf der Erörterung skizziert er die Möglichkeit,
daß sich der Advokat der sinnlichen Gewißheit sozusagen wort­
los auf die Unmittelbarkeit der Erkenntnisbeziehung beruft,
die in einer deiktischen Geste veranschaulicht werden könne
(G W 9, 67 f.). Hier nun scheint das Argument der Sprachlich-
keit - zumindest in Hegels Sicht der Dinge - keine Rolle zu
spielen. Denn Hegels Argumentation stellt im wesentlichen auf
die Überlegung ab, daß das Jetzt, welches aufgezeigt werden
soll, bereits aufgehört habe, zu bestehen.
Gleichwohl bleibt zu fragen, in welchem Sinn die Sprache als
Korrektiv zur sinnlichen Gewißheit anzusehen ist. Was kann
das Argument bezüglich der Sprache als Allgemeinem16 über­
haupt sicherstellen?

14 Taylor 1976, 162: „Now H egels démarche in face of his conception is very
similar to W ittgenstein’s: H e challenges sensible certainty to say what it expe­
riences. T h e underlying principle is the same, viz. that if it is really knowledge
then one must be able to say what it is“. Vgl. ders. 1975, 195: „Er behandelt das
Vermögen, sich durch Sprechen auszudrücken, wie eine maßgebende Eigenschaft
des Wissens. Und es fällt wohl schwer, ihm hier nicht recht zu geben. Denn
deutlich ist im Wissen, im hier relevanten Sinn, ein sicheres Bewußtsein von dem,
was gewußt wird, enthalten“.
15 Hinzuzufügen wäre hier, daß H egel den Maßstab sprachlicher Artikuliertheit
aus der Perspektive des „für uns“ quasi nur als Instrument der Erläuterung ein­
führt. Denn Sätze wie „Sie sagt von dem, was sie weiß, nur dies aus: E s ist11(G W 9,
63) „enthält allein das Seyn der Sache“ (a. a. O.), dürfen natürlich nicht als Berich­
te darüber gelesen werden, was die sinnliche Gewißheit de facto artikuliert oder
was jemand, der diese Position einnimmt, de facto äußert. Vielmehr handelt es
sich um Erläuterungen (und Bewertungen) bezüglich des angenommenen Be­
wußtseinsstandes dessen, der eine solche Position einnimmt.
16 Ähnliche Überlegungen finden sich auch in der Enzyklopädie (1830) § 20 und
in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I (T W 18, 534-538) im Z u ­
sammenhang der Charakterisierung des Megarikers Stilpon.
50 A nd reas G raes er

IX.

Diese Frage ist deshalb schwer zu beantworten, weil Hegels


Position nicht klar genug hervortritt. Dies betrifft nicht allein
den Begriff von Allgemeinheit, der in Hegels Beschreibung
operativ ist; es betrifft auch die Natur der von Hegel behaupteten
Diskrepanz zwischen dem, was wir „meinen“ , und dem, was wir
„sagen“ (G W 9, 65/69 f.). - Was Hegels Charakterisierung des
Allgemeinen angeht, so fällt z. B. auf, daß dieser Begriff von dem
des Ganzen bzw. der Vielheit (GW 9, 68) überlagert wird, ohne
daß Hegel eigens die Möglichkeit in Betracht zöge, daß ein
Ganzes seinerseits auch ein Besonderes oder Einzelnes sein
kann (vgl. gut Soll 1976, 287). In diesem Zusammenhang bliebe
zu fragen, in welchem Sinn etwas von der Art einer aufgezeigten
Gegenständlichkeit, welche Teile hat, in dem Sinn allgemein
ist, in welchem ein Begriff allgemein ist, der von einem Gegen­
stand exemplifiziert wird.17
Diese Frage berührt nun auch die Deutung der Diskrepanz
zwischen „meinen“ und „sagen“. Wohl hegt es nahe, den von
Hegel angesprochenen Sachverhalt in der unterschiedlichen
Seinsweise zu sehen, die den Begriff als Allgemeines charakte­
risiert, den Gegenstand allerdings, der unter den Begriff fällt,
als Einzelding. Diese Deutung bietet sich auch insofern an, als
jene griechischen Philosophen, die Hegel in seiner Ansicht
bestärkten (siehe Anm. 16), der Sache nach das Problem vor
Augen hatten, Partikuläres mittels allgemeiner Termini er­
schöpfend zu beschreiben. In diesem Zusammenhang wäre,
gewissermaßen exemplarisch, auf die Argumentation zu ver­
weisen, die Sextus Empiricus (Adv.Log.I, 195-198) für die ky-
reanische Schule nennt. Doch ergibt sich für diese Deutung
eine Komplikation. Denn der Zusammenhang im ersten Kapi­
tel der Phänomenologie des Geistes betrifft nicht, oder zumindest

17 Ähnliche Probleme stellen sich bereits im Zusammenhang der Frage nach dem
Status der Universalien in der Kategorien-Schrift des Aristoteles. Auch hier gibt es
ein Schwanken zwischen der Eigenschafts-Konzeption auf der einen Seite und der
Aggregats-Auffassung auf der anderen Seite. Dieses Schwanken wird m. E. beson­
ders gut von Jones (1975, 161 ff.) herausgestellt. - Zur Berührung zwischen der
Auffassung der Kategorien-Schrift und der Sicht der Idee als Vielheit im Platoni­
schen Philebos (15a) siehe Frede 1978, 34. - Ich habe die Auffassung übernommen
in: Graeser 1983, 30-56, siehe weiter Oehler 1984, 180 ff.
Zu H e g e ls P o r t r a i t d e r s in n lic h e n G e w is s h e it 51

nicht primär, die Frage, ob eine Gegenständlichkeit x vermittels


eines Prädikats F erschöpfend beschrieben werden könne oder
nicht. Zur Debatte steht vielmehr die Frage, ob es überhaupt so
etwas wie eine begriffslose Erkenntnis geben könne und ob uns
ein unmittelbarer Zugang zur Realität offensteht.
In diesem Zusammenhang fällt nun auf, daß Hegel im Rah­
men der Beschreibung der sinnlichen Gewißheit Ausdrücke
wie „Baum“ und „Haus“ (GW 9, 65 f.) zuläßt, ohne dieses Fak­
tum zu bemängeln, geschweige denn von vornherein gegen die
Position der sinnlichen Gewißheit zu wenden (vgl. z. B. Adler
1931, 322, Hypolite 1946, 91 und Soll 1976, 284, Anm. 2).
Daß er dies nicht tut und den offensichtlich mühevollen
Umweg über eine Destruktion des Diese, Hier und Jetzt ein­
schlägt, spricht gegen die zunächst angenommene Deutung;
damit ist zugleich ein Präjudiz für die Annahme gegeben,
daß der Widerspruch zwischen dem Einzelnen, welches „ge­
meint“ wird und dem Allgemeinen, welches „gesagt“ wird, für
Hegel hier zumindest nicht in der Relation zwischen dem Ein­
zelnen zu suchen ist, welches ein Universales exemplifiziert,
und dem Universalen, welches vom Gegenstand exemplifi­
ziert wird. Dieser Sachverhalt läßt - unter der Vorausset­
zung, daß Hegel diese naheliegende Möglichkeit einer At­
tacke gegen die sinnliche Gewißheit nicht einfach übersehen
hat - wohl nur die Deutung zu, daß sich Hegel tatsächlich
für eine andere Frage interessierte, die er als vordringlich und -
um einen Ausdruck der Fragerichtungen Heideggers aufzuneh­
men - als ursprünglich empfand. Vordringlich ist für ihn die
Frage, ob wir mittels deiktischer Ausdrücke und entsprechen­
der Gesten jenes unmittelbare Fundament zu identifizieren
vermögen, das der sinnlichen Gewißheit als Ausgangspunkt
dient oder dienen müßte. Demgegenüber ist die Tatsache, daß
Dinge im Lichte von Begriffen beschrieben werden, sozusagen
bereits ein abkünftiges Phänomen, welches keiner besonde­
ren Aufmerksamkeit bedarf. Wenn dies so ist, so betrifft der
von Hegel behauptete Widerspruch zwischen „meinen“ und
„sagen“ auf der hier relevanten Ebene den Umstand, daß
„das H ier“ , „das Jetzt“ im Sinne des (G W 9, 68) Gesagten
eben nicht etwas Einzelnes ist, sondern „eine Vielheit von
Itzt zusammengefaßt“ . Mithin geht es um den Gegensatz
zwischen dem Ausgesagten, das Teile hat und in diesem Sinn
52 A nd reas G raes er

allgemein ist und dem Gemeinten, das als Gemeintes nichts


von der Art ist. - Daß das Jetzt als Ausgesagtes allerdings ein
Ganzes ist, welches Teile hat, ist zweifelhaft.18

Literatur
Adler, Charles 1931: Le fondement du savoir dans la Phénoménologie de l’esprit
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Heinrich, Johannes 1983 (1. Aufl. 1974): Die Logik der ,Phänomenologie des
Geistes4, Bonn.

18 Für vielfältige Anregungen danke ich den Teilnehmerinnen und Teilnehmern


meines Seminars über die Phänomenologie des Geistes, insbesondere Dr. Martin
Bondeli, Dr. Eduard Marbach, Dr. Duen Marti-Huang und Dr. Jean-Claude Wolf
[1986], für ihre unschätzbare Hilfe bei der Herstellung dieser Version bin ich
Rebecca Iseli zu Dank verpflichtet.
Zu H e g e ls P o r t r a i t d e r s in n lic h e n G e w is s h e it 53

Hypolite, Jean 1946: Génèse et Structure de la Phénoménologie de l’esprit de


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Jones, Barrington 1975: An Introduction into the First Five Chapters of the
Categories, in: Phronesis 20.
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Hans F. Fulda und Dieter Henrich (Hg.), Materialien zu H egels Phän om e­
nologie des Geistes4, Frankfurt a.M.
3
Joachim H agner

Die Wahrnehmung; oder das


Ding, und die Täuschung

Es gibt nicht viele Forschungsbeiträge, die sich ausschließlich


oder auch nur ausdrücklich mit dem Wahrnehmungs-Kapitel
befassen. Die wenigen Untersuchungen, für die das gilt, lesen
es entweder als Palimpsest, dessen Hypotexte Platons Theaitetos
(Westphal, M . E. 1973), Kants Kritik der reinen Vernunft (West-
phal, M . E. 1973) sowie bestimmte Abschnitte aus Humes Trak­
tat sein sollen (Westphal, K. R. 1996). Oder sie konzentrieren
sich - offenbar unter der Voraussetzung der Unabhängigkeit
der spekulativen Methode und ihrer verschiedenen Momente
gegenüber besonderen Inhalten - auf die begrifflich-systema-
tischen Aspekte der hegelschen Argumentation (Becker 1969,
1971 u. 1982, Scheier 1980).
Daneben wird das Wahrnehmungs-Kapitel nur noch im
Rahmen übergeordneter Bemühungen verhandelt. Seine D eu­
tung ist dann etwa Bestandteil des Versuches, die Phänomenolo­
gie des Geistes von 1807 mit einer besonderen Systemkonzepti­
on Hegels in Zusammenhang zu bringen (Heidegger 1980), sie
als durchgängige Kantkritik zu etablieren (Görland 1966) oder
sie vor dem Hintergrund einer eigenen systematischen Theorie
als idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins zu entwi­
ckeln (Claesges 1981).
Ein Mangel herrscht dagegen an Interpretationen, die sich
als Kommentar auf den Text und seine Schwierigkeiten einlas­
sen, ohne in einer der beiden obengenannten Weisen einseitig
zu verfahren. In die Richtung einer solchen Untersuchung, die
auch die Grundlage für alle weiterführenden Überlegungen
56 J o a c h im H agn er

schafft, ist wohl erst ein - allerdings raumgreifender - Schritt


unternommen worden (Fink 1977), an den ich mit der folgen­
den Rekonstruktion des Wahrnehmungs-Kapitels und seiner
Argumentation anschließen möchte.
Zuerst soll jedoch dasjenige skizziert werden, was als die
Aufgabe, der systematische Sinn oder die „Idee“ der Phänome­
nologie bezeichnet werden kann. Denn ich werde im folgenden
immer wieder auf bestimmte methodische und begriffliche Be­
stimmungen zurückgreifen müssen, die sich allesamt der Tat­
sache verdanken, daß die Phänomenologie eine ganz bestimmte
„Idee“ verwirklichen soll.
Die groben Züge dieser Skizze sind dabei bereits durch die
drei Bedeutungen der Phänomenologie festgelegt, über deren
Kombination sich nach meiner Auffassung ihre „Idee“ konsti­
tuiert: Nach Hegel ist die Phänomenologie Einleitung in die
spekulative Logik, idealistische Geschichte des Selbstbewußt­
seins in einem distinkten Sinn und „sich vollbringendefr] Skep-
ticismus“ (G W 9, 56). Und diese drei Bedeutungen will ich
denn auch kurz darlegen (1.), bevor ich mit dem Versuch begin­
ne, die Argumentation des Wahrnehmungs-Kapitels zu rekon­
struieren (2.).

I. Die „Idee“ der Phänomenologie

1.1 Einleitung in die spekulative L o gik

Zu Beginn von Hegels Jenaer Zeit hatte die Logik die Aufgabe
einer Einleitung in die Metaphysik als der eigentlichen W is­
senschaft zu versehen. Diese frühere, von Schelling als „wissen-
schaftliche[r] Skepticismus“ (Schelling 1859, 269) etikettierte
Logik, die Logik der endlichen Reflexion sollte im Durchgang
durch die endlichen Reflexionsbestimmungen des Ich deren
grundsätzliche Widersprüchlichkeit aufzeigen, den Erkennt­
nisanspruch der endlichen Reflexion zurückweisen und so in
die Metaphysik als Wissenschaft des Seienden an sich einleiten.
Hegel selbst setzt diese Logik zu Beginn seiner Jenaer Zeit
weitgehend dem gleich, was Fichte und Schelling als idealisti­
sche Geschichte des Selbstbewußtseins betrieben haben.
D ie W a h rn eh m u n g; o d er das D in g , u n d d ie T ä u sch u n g 57

In dem Logik-Fragment von 1804/05 (G W 7, 3-125) ist die


Logik dann aber nicht mehr nur Logik der endlichen Reflexi­
on. Dort werden auch Fragen der metaphysischen Erkenntnis
untersucht, die in Hegels früheren systematischen Skizzen erst
an dem Punkt aufgenommen wurden, an dem die Erörterung
von der Logik zur Metaphysik überging oder sich schon am
Anfang der Metaphysik befand. Und in seinem Systementwurf
zur Realphilosophie von 1805/06 vereinigt Hegel die Logik
mit der Metaphysik zur „philosophia speculativa s[ive] logica“
(Kimmerle 1967, 55), wie dieser erste Systemteil in einer Vor­
lesungsankündigung für das Sommersemester 1806 bezeichnet
wird.
Die auf diese Weise vakant gewordene Stelle jedoch einer in
die spekulative Logik einleitenden Wissenschaft wird 1807 mit
der Phänomenologie besetzt.
Daß es überhaupt eine Einleitung geben muß, ist in dem
Umstand begründet, daß die spekulative Logik in der Zeit, und
d. h.: neben anderen, etwa empiristischen, kritischen und skep­
tischen Positionen der Philosophie auftritt. Will sie in einem
solchen Zusammenhang den Anspruch rechtfertigen, ihr
spekulativ-idealistisches Wissen sei das einzig wahre, dann
müssen zuvor alle anderen Wahrheitsansprüche zurückgewie­
sen werden.
Die Berücksichtigung dieser Wahrheitsansprüche und der
ihnen entsprechenden Standpunkte ist somit für die Phänome­
nologie als Einleitung grundlegend.
Nun hatte Hegel schon in der Differenz-Schxiit festgestellt,
daß dazu mehr als die bloße Entgegensetzung eines neuen, als
überlegen nur behaupteten Systems oder eine Beschreibung des
aktuellen Zustands der Philosophie erforderlich ist, wie sie
Reinhold in seinen Beyträgen versucht hatte. Die Anerkennung
des Überlegenheitsanspruchs eines bestimmten philosophi­
schen Systems bleibt auf diese Weise zufällig, sie bleibt davon
abhängig, daß ein „allgemeineres Bedürfniß der Philosophie“
(G W 4, 7), das sich selbst nicht die Gestalt eines Systems zu
geben vermag, in einer „instinktiven Hinneigung“ (G W 4, 7) in
diesem System etwas von dem entdeckt, worauf auch sein Be­
dürfnis geht.
Nach Hegel ist dieser Makel der Zufälligkeit erst da getilgt,
wo die Anerkennung in der Einsicht in die eigene Unwahrheit
58 J o a c h im H agn er

gründet, welche die wahre Philosophie, die in den frühen Jenaer


Schriften noch überwiegend als Kritik in Erscheinung tritt, der
jeweiligen Position nachweist. N ur auf diese Weise kann sie
den Boden bereiten für das Auftreten und die Anerkennung des
allein wahren philosophischen Systems.
Die Phänomenologie als Einleitung weist daher die Wahr­
heitsansprüche aller anderen philosophischen Standpunkte
nicht nur einfach zurück. Sondern sie versucht, diese Zurück­
weisung als freiwilliges, in deren eigener dialektischer „Erfah­
rung11 (G W 9, 60) gründendes Eingeständnis der Unhaltbar­
keit des jeweiligen Wahrheitsanspruchs seitens der betroffenen
Positionen zu gestalten.
Damit dieser Versuch angestrengt werden kann, sind aber
zwei zusätzliche Bestimmungen erforderlich, die dann gemein­
sam mit ihrer Charakterisierung als Einleitung in die speku­
lative Logik die „Idee“ der Phänomenologie ausmachen: Nach
Hegel ist sie zum einen sich vollbringender Skeptizismus. Das
Programm eines solchen Skeptizismus ist der methodische
Ausdruck jenes Bestrebens, konkurrierende Standpunkte zu ei­
nem freiwilligen Eingeständnis in die Unhaltbarkeit ihrer
Ansprüche auf Wahrheit zu bewegen, sie auf dem Wege einer
Selbstprüfung zu dieser Erkenntnis gelangen zu lassen. Inso­
fern ist dieses Programm die Gestalt, in der die Phänomenologie
in die spekulative Logik einleitet. Zusammen gehört damit das
Konzept des sich in seinen Erscheinungen selbst denkenden
Geistes oder der Idee, das dessen systematische Absicherung
darstellt. Darauf werde ich unten noch kurz eingehen.
Die Durchführung des Programms des sich vollbringenden
Skeptizismus setzt jedoch die Aufnahme anderer Positionen
und ihrer Wahrheitsansprüche in einer ganz eigenen Hinsicht
voraus: Sie müssen als Weisen des Fürwahrhaltens angesehen
werden und deshalb eine besondere Struktur zugewiesen be­
kommen, wenn so etwas wie eine Selbstprüfung möglich sein
soll. Diese Struktur muß so beschaffen sein, daß sie allen aufge­
nommenen Standpunkten nachgewiesen werden kann. Sie muß
grundsätzlich ausschließen, daß auch nur eine dieser Positionen
behaupten kann, ihr würde diese Struktur nicht zugrunde liegen
und sie könne deshalb nicht als Weise des Fürwahrhaltens be­
trachtet werden. Untersucht haben die Struktur der Weisen des
Fürwahrhaltens daraufhin u. a. Cramer 1978, bes. 376-89, mit
D ie W a h rn eh m u n g; o d er das D in g , u n d d ie T ä u sch u n g 59

dem sich Bonsiepen 1993, 148-53 kritisch befaßt, Scheier 1980,


19/20 und Claesges 1981, 70-74. Und entwickelt wird sie im
Rahmen der idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins,
welche die Phänomenologie nach der zweiten, noch ausstehenden
Bestimmung ist. Sie soll im folgenden zuerst dargelegt werden,
da das Programm des sich vollbringenden Skeptizismus unab­
hängig von den Weisen des Fürwahrhaltens und ihrer spezifi­
schen Struktur kaum durchgeführt werden kann.

1.2 Idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins

Die Phänomenologie realisiert das Projekt einer vollständigen


genetischen Darlegung der Vermögen und Leistungen der Sub­
jektivität in einer systematischen, durch das Prinzip des Selbstbe­
wußtseins und seiner vielschichtigen Struktur geleiteten Abfolge bis
hin zur vollendeten Selbstbeziehung. Sie steht damit in der
Tradition einer idealistischen Geschichte des Selbstbewußt­
seins, deren noch unsystematische, sensualistische Anfänge in
Condillacs Traité des sensations von 1754 hegen und die ihre
Fortsetzung dann in Fichtes Grundlage der gesamten Wissen­
schaftslehre von 1794/95, seiner Wissenschaftslehre nova methodo
von 1797-99 und Schellings System des transzendentalen Idealis­
mus von 1800 findet. - Eine detaillierte Untersuchung dieser
Zusammenhänge, der Bedeutung einer Geschichte des Selbst­
bewußtseins für und in dem gedanklichen Werdegang Hegels
in der Jenaer Zeit, der Rolle, die sie für Phänomenologie spielt,
sowie ihrer subjektivitätstheoretischen Aspekte hat Düsing 1993
angestellt. Auf diesen Aufsatz beziehen sich die folgenden Aus­
führungen, sofern sie die idealistische Geschichte des Selbst­
bewußtseins bei Hegel betreffen.
Konstitutiv für eine solche Geschichte des Selbstbewußt­
seins ist zunächst bei Fichte und Schelling wie bei Hegel neben
der prinzipiengeregelten Entwicklung der Fähigkeiten und
Leistungen der Subjektivität die Unterscheidung eines betrach­
teten Ich von einem betrachtenden Ich.
Das betrachtende Ich verkörpert dabei die komplexe Struktur
der vollständig entwickelten Selbstbeziehung und ist in dieser
Eigenschaft das Prinzip, dem die Entwicklung jener Vermögen
und Leistungen systematisch gehorcht. Das betrachtete Ich nä­
6o J o a c h im H agn er

hert sich im Zuge dieser Entwicklung dem betrachtenden Ich


stufenweise an, indem es sukzessive für sich wird und sich
zuletzt in erfüllter Selbstbeziehung weiß.
Die dargelegten Fähigkeiten und Leistungen der Subjekti­
vität, das, womit das betrachtete Ich auf der jeweiligen Stufe
seiner Genese identisch ist, konzipiert Hegel nun, anders als
Fichte und Schelling, als Weisen des Fürwahrhaltens.
Die Struktur einer solchen Weise des Fürwahrhaltens ist
bestimmt durch die Dichotomie von Wissen oder Gewißheit
und Wahrheit als dem „«w sich“ (GW 9, 58) sowie durch die von
Bewußtsein, dem Subjekt des Fürwahrhaltens, und Gegenstand.
Diese Bestimmung ermöglicht erst die Selbstprüfung an dem je
eigenen Maßstab (GW 9, 59/60) sowie die in diese Selbstprü­
fung eingeschlossene dialektische Erfahrung, wie sie für das
Programm des sich vollbringenden Skeptizismus konstitutiv
ist.
Der Gegenstand oder die Wahrheit als die eine Seite der
Dichotomie kann dann im Zusammenhang mit der Unter­
scheidung des betrachteten von dem betrachtenden Ich unter
einer doppelten Optik betrachtet werden: In der Sichtweise des
betrachteten Ich ist er nur „für es“ (G W 9, 59), mit den Augen
des betrachtenden Ich gesehen zeigt er sich, wie er „für uns“
(GW 9, 58) ist. Die Phänomenologie liefert keinerlei Anhalts­
punkte dafür, daß „für es“ und „für uns“ noch einer anderen
Instanz zugeordnet werden könnten als dem betrachteten bzw.
dem betrachtenden Ich. Eine Gleichsetzung etwa des „für uns“
mit der Erfahrung des Lesers der Phänomenologie, wie er sie in
der Beobachtung der „dialektischefn] Bewegung des natürli­
chen Bewußtseins“ macht (Westphal, M. E. 1973, 85), sollte
deshalb eigentlich nicht in Betracht kommen. Diese Gleichset­
zung scheint denn auch weder zu rechtfertigen, daß das Bewußt­
sein sukzessive dem mit „für uns“ bezeichneten Standpunkt
angenähert wird, noch dürfte sie begründen können, weshalb
der Text der Phänomenologie immer wieder darauf hinweist, daß
sich etwas nur „für uns“ auf eine bestimmte Weise darstellt,
nicht jedoch „für es“, für das Bewußtsein. Denn die Erfahrung
des Lesers fiele, wenn sie tatsächlich der Beobachtung des Be­
wußtseins und seiner Erfahrung geschuldet wäre, mit dieser
Erfahrung zusammen, so daß „für uns“ und „für es“ nicht mehr
unterschieden wären.
D ie W a h rn eh m u n g; o d er das D in g , u n d d ie T ä u sch u n g

1.3 Sich vollbringender Skeptizismus

Dem Subjekt der einzelnen Weisen des Fürwahrhaltens, wie sie


die Phänomenologie als idealistische Geschichte des Selbstbe­
wußtseins darstelllt, tut sich eine Kluft zwischen seiner Gewiß­
heit oder seinem Wissen und dem auf, was es für die Wahrheit
hält. Es erfährt in der von ihm selbst durchgeführten „Prüjfung“
(G W 9, 58), daß sein Wahrheitsanspruch nach seinem eigenen
Maßstab ungerechtfertigt ist, daß das Wahre das Gegenteil
dessen ist, was ihm als das Wahre galt, und gerät darüber in eine
„Verzweiflung“ (G W 9, 56), an der es als Subjekt einer be­
stimmten Weise des Fürwahrhaltens zugrunde geht. Erst dem
absoluten Wissen bleibt diese Verzweiflung erspart, indem es
seinen Wahrheitsanspruch bewähren und Gewißheit oder W is­
sen und Wahrheit zur Deckung bringen kann. Im absoluten
Wissen wird, unter Beibehaltung ihrer Differenz, die Überein­
stimmung zwischen dem Subjekt des Fürwahrhaltens und dem
Gegenstand erreicht.
Diese Prüfung des Wahrheitsanspruchs heißt nun „Skeptizis­
mus“, weil sie die Vorläufigkeit aller Weisen des Fürwahrhaltens
mit Ausnahme des absoluten Wissens transparent macht und
sie so vernichtet. Und „sich vollbringender Skeptizismus“ heißt
sie, weil sie diese Vernichtung nach Hegels Konzeption nicht
als äußere Einwirkung, sondern je als Selbstprüfung an einem
von ihr akzeptierten Maßstab herbeiführt.
Die Voraussetzung dafür, daß der Weg der Verzweiflung, auf
den der sich vollbringende Skeptizismus das Subjekt des Für­
wahrhaltens bringt, nicht mit dessen erster Selbstprüfung, son­
dern erst im absoluten Wissen endet, ist Hegels Theorie der
bestimmten Negation und deren Auffassung als eines metho­
dischen Prinzips, vermittels dessen logische und realgeschicht-
liche Vorgänge gleichermaßen erfaßt werden können. Und die
Bedingung dafür, daß die einzelnen Stationen dieses Weges und
ihre Reihenfolge nicht willkürlich gewählt werden können, die
Bedingung der Systematizität der Kritik, wie sie die Phänomeno­
logie als sich vollbringender Skeptizismus übt, ist die These, daß
die Weisen des Fürwahrhaltens zugleich Erscheinungsweisen
des Geistes oder der Idee sind, die sich in ihnen selbst denkt und
erkennt: Den Weisen des Fürwahrhaltens hegen die Kategori­
en der spekulativen Logik zugrunde. Deren Abfolge und dia­
62 J o a c h im H agn er

lektischer Zusammenhang verbürgt die systematische Notwen­


digkeit aller Schritte auf dem Weg von der sinnlichen Gewiß­
heit bis zum absoluten Wissen.
Orientiert scheint diese Abfolge dabei an der Anordnung der
Kategorien, wie sie Hegel in seinem ersten Entwurf einer spe­
kulativen Logik von 1805/06 vorgenommen hat: „absolutes
Seyn, das sich andres (Verhältniß wird) Leben und Erkennen -
und wissendes Wissen, Geist, Wissen des Geistes von sich“
(GW 8, 286). Dem Wahrnehmungs-Kapitel würden danach die
Kategorien des Verhältnisses zugrunde liegen. Und diese Auffas­
sung, zu der Pöggeler 1966 in kritischer Auseinandersetzung
vor allem mit Fulda 1965 gelangt ist, wird, außer von Hansen
1994, bes. 47-49, inzwischen allgemein akzeptiert.
Die Konzeption eines sich in seinen Erscheinungen selbst
denkenden und erkennenden Geistes oder der Idee dagegen
stand Hegel schemenhaft wohl schon zu Beginn seiner Jenaer
Zeit vor Augen, obwohl das systematische Umfeld dort noch
ein anderes war. Denn der Aufsatz Ueber das Wesen der philoso­
phischen Kritik entwickelt eine Konzeption von Kritik, die diese
Konzeption strukturell zu präfigurieren scheint: Es sei wichtig
für die Kritik, heißt es dort: „die Mannichfaltigkeit der Reflexe
des Geistes, deren jeder seiner Sphäre in der Philosophie haben
muß, sowie das untergeordnete und mangelhafte derselben zu
kennen“ (G W 4, 120). Als „Reflexe des Geistes“ werden dabei
diejenigen Standpunkte bezeichnet, in denen die „Idee der
Einen und selben Philosophie“ (G W 4, 118) noch von dem
„Schein“ (GW 4,119) der „Subjectitivät und Beschränktheit,
welche sich in die Darstellung [...] einmischt“ (G W 4, 119),
verdeckt ist. Demnach dürften die unvollkommenen „Gestal-
t[en]“ (G W 4, 119) der Idee der Einen und selben Philosophie
auf den Reflexen des Geistes fußen, so wie in der Phänomenolo­
gie die kategorialen Momente des Geistes oder der Idee die
Weisen des Fürwahrhaltens als ihre Erscheinungen fundieren.
D ort denkt und erkennt sich der Geist in diesen seinen E r­
scheinungen. Und obwohl in der Untersuchung Ueber das We­
sen der philosophischen Kritik von solchem Denken und Erken­
nen seiner selbst nicht die Rede ist, deutet sie es doch wenigstens
an: Denn da die Kritik zu ihrem Maßstab die Idee der Einen und
selben Philosophie nimmt, da sie die kritisierten Positionen von
der Warte des Geistes aus betrachtet, ist sie immer auch mit sich
D ie W a h rn eh m u n g; o d er das D in g , u n d d ie T ä u sch u n g 63

selbst befaßt, wenn sie die Mannigfaltigkeit der Reflexe des


Geistes kennenlernt.
Im Zusammenhang mit der Einleitungsfunktion der Phäno­
menologie gerät die Konzeption des Geistes, der sich in seinen
Erscheinungen selbst denkt und erkennt, allerdings in einen
Zirkel, der sich offenbar ebenfalls schon in dem Aufsatz Ueber
das Wesen der philosophischen Kritik andeutet: Nach Hegels An­
spruch verfährt die Phänomenologie in der Entwicklung der ein­
zelnen Weisen des Fürwahrhaltens, denen jeweils kategoriale
Momente des Geistes oder der Idee zugrunde hegen, dialek­
tisch. Das dialektische Verfahren und die Kategorien gehören
aber der spekulativen Logik zu, deren Ebene durch die Darle­
gung der Weisen des Fürwahrhaltens allererst erreicht werden
sollte. Und in der Untersuchung Ueber das Wesen der philosophi­
schen Kritik wird die Kritik als „Subsumtion unter die Idee [der
Philosophie]“ (G W 4, 118) definiert, die als ihr Maßstab ange­
setzt wird. Die Kritik weist den Standpunkten, mit denen sie
sich befaßt, das Vorhandensein dieser Idee, wenn auch in einer
noch unvollkommenen Gestalt auf. Sieht man davon ab, daß der
Kritik als Subsumtion unter die Idee der Philosophie nur die­
jenigen Positionen eine Angriffsfläche bieten, in denen „die[se]
Idee [...] vorhanden ist“ (G W 4, 118), nicht dagegen die
Standpunkte der „Unphilosophie“ (GW 4, 119), dann hegt die
Schwierigkeit dieser Konzeption von Kritik darin, daß die Kritik
erst zu der Idee der Philosophie hinführen soll, derer sie sich als
Maßstab längst bedient. Wie in der Phänomenologie als Einlei­
tung die Darstellung der Weisen des Fürwahrhaltens, so greift
demnach auch die Kritik im Rahmen ihrer propädeutischen
Tätigkeit zu Mitteln, die ihr erst zur Verfügung stehen dürften,
wenn diese Vorbereitung abgeschlossen ist. In dem Aufsatz
Ueber das Wesen der philosophischen Kritik scheinen sich somit
nicht nur die Konzeption des sich in seinen Erscheinung selbst
denkenden und erkennenden Geistes oder der Idee vorzuberei­
ten, sondern auch die damit verbundenen Schwierigkeiten.
Wenn ich nun im folgenden den Versuch unternehme, Hegels
Darlegung der Wahrnehmung und ihrer dialektischen Erfah­
rung zu rekonstruieren, dann geschieht das vor dem Hinter­
grund der gerade angedeuteten drei Momente der „Idee“ der
Phänomenologie·. Die Erfahrung der Wahrnehmung ist also ein­
mal Bestandteil der Einleitung in die spekulative Logik. Und
64 J o a c h im H agn er

daraus ergibt sich für einen Kommentar die Verpflichtung, auf


die konkurrierenden Wahrheitsansprüche und die ihnen zuge­
hörenden Standpunkte zumindest hinzuweisen, die im Wahmeh-
mungs-Kapitel zurückgewiesen werden könnten. Denn eine
solche Zurückweisung sollte in die Einleitungsfunktion der
Phänomenologie eingeschlossen sein.
Außerdem stellen die Wahrnehmung und ihre Erfahrung ein
Kapitel in der idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins
dar, was für einen Kommentar die Aufgabe bedeutet, den Be­
stimmungen Rechnung zu tragen, die mit der Darlegung der
Vermögen und Leistungen der Subjektivität und ihrer Um deu­
tung in einer solchen Geschichte unmittelbar zusammenge­
hören. So gilt es z. B., die beiden mit „für es“ und „für uns“
bezeichneten Perspektiven auseinanderzuhalten, die sich im
Text mitunter zu überschneiden scheinen. Vor allem jedoch gilt
es, die Wahrnehmung als eine Weise des Fürwahrhaltens anzu­
sehen, deren spezifische Struktur sie nicht nur von den Fähig­
keiten und Leistungen unterscheidet, wie sie Fichte und Schel­
ling darlegen, sondern auch von dem psychischen Vorgang der
Wahrnehmung, wie wir ihn aus „alltäglichen“ Zusammenhän­
gen kennen.
Ein entscheidender Unterschied dazu wird denn auch deut­
lich, wenn man bedenkt, daß die Wahrnehmung zuletzt eine
Etappe auf dem Weg darstellt, der als sich vollbringender Skep­
tizismus zum absoluten Wissen führt. Die Wahrnehmung be­
ansprucht die vollständige Kongruenz von Subjekt und Gegen­
stand als die Wahrheit. Von solcher vollständigen Überein­
stimmung, die erst im absoluten Wissen zustande kommt, und
selbst von der bloß formalen, wie sie sich im Selbstbewußtsein
herstellt, ist die Wahrnehmung jedoch noch weit entfernt. Weil
sie als eine Weise des Fürwahrhaltens aber mit ihrem Wahr­
heitsanspruch zusammenfällt, geht sie an der Erfahrung seiner
Unhaltbarkeit zugrunde. Der Wahrnehmung kommt insofern,
wie den anderen Weisen des Fürwahrhaltens auch, Bedeutung
nur im Rahmen ihrer Abfolge, nur als Aufgehobener zu. Und
das dürfte weder auf die Vermögen und Leistungen der Subjek­
tivität in Fichtes und Schellings idealistischer Geschichte des
Selbstbewußtseins zutreffen, die dort je für sich reale Bedeu­
tung haben, noch auf den psychischen Vollzug der Wahrneh­
mung.
D ie W a h rn eh m u n g; o d er das D in g , u n d d ie T ä u sch u n g 65

II. Die Wahrnehmung; oder das Ding,


und die Täuschung
Inhalt und des Resultat des Wahrnehmungs-Kapitels ist, kurz
zusammengefaßt, das Folgende: Das Subjekt des Fürwahrhal­
tens, das „ Wahrnehmen“ (G W 9, 71), erfährt an seinem Gegen­
stand, dem „Ding von vielen Eigenschajften“ (G W 9, 71), den
Widerspruch von Vielheit und Einheit. Der Gegenstand chan­
giert beständig zwischen diesen beiden Bestimmungen. Weil
das Kritierium, welches das Wahrnehmen für die Wahrheit in
Anschlag bringt, jedoch die Sichselbstgleichheit ist, sucht es
diesen Widerspruch zu vermeiden, indem es zunächst sich
selbst und dann andere Gegenstände als Ursache für das Auftre­
ten der jeweils widersprechenden Bestimmung ansieht. Es gelingt
ihm aber weder auf die eine noch auf die andere Art, die Sich­
selbstgleichheit seines Gegenstandes als die Wahrheit zu ret­
ten. Der Wahrheitsanspruch, der die Wahrnehmung als eine
Weise des Fürwahrhaltens auszeichnet, erweist sich so als un­
haltbar, und das bedeutet ihren Untergang. Diejenige Weise
des Fürwahrhaltens, die nach der Wahrnehmung aufgenom­
men wird, ist der Verstand, der zu seinem Gegenstand den
Gedanken der Kraft hat. In dem Gedanken der Kraft, die ihr
Einssein immer wieder auf die Vielheit ihrer Äußerungen oder
Eigenschaften hin überschreitet, um von da aus in ihr Einssein
zurückzukehren, ist der Widerspruch von Einssein und Viel­
heit aufgehoben und bewahrt. Die Kraft ist die Idee des Sub-
stanz-Akzidens-Verhältnisses, für welches das Ding und seine
vielen Eigenschaften stehen.
Eine solche Zusammenfassung wirft nun eine ganze Reihe
von Fragen auf: Welche Überlegungen führen zu der Bestim­
mung des Gegenstandes der Wahrnehmung als Ding von vielen
Eigenschaften? Worin gründet der Widerspruch von Einssein
und Vielheit und in welchen Gestalten zeigt er sich? Weshalb
muß das Wahrheitskriterium des Wahrnehmens die Sichselbst­
gleichheit sein? Was ist die Bedingung dafür, daß es das Vor­
kommen derjenigen Bestimmung, welche die Sichselbstgleich­
heit gerade zu zerstören droht, erst sich selbst und anschließend
anderen Gegenständen zuschreiben kann?
Zu diesen Fragen, wie sie die kurze Zusammenfassung von
Inhalt und Resultat des Wahrnehmungs-Kapitels aufwirft, kom­
66 J o a c h im H agn er

men noch weitere hinzu, sobald man in dessen Lektüre eintritt.


Sie betreffen z. B. den Gebrauch bestimmter Begriffe und Ar­
gumente, derer Hegel sich bedient, oder die Anzahl der Phasen,
welche die Erfahrung des Wahrnehmens durchläuft.
Die Rekonstruktion der Argumentation des Wahrnehmungs-
Kapitels hat somit nicht nur die Aufgabe, auf die konkurrieren­
den Positionen und ihre Wahrheitsansprüche hinzuweisen, die
Hegel vor Augen gestanden haben könnten, oder die Bestim­
mungen zu berücksichtigen, die mit der Darlegung der Fähig­
keiten und Leistungen der Subjektivität in einer idealistischen
Geschichte des Selbstbewußtseins und der Umdeutung dieser
Fähigkeiten zu Weisen des Fürwahrhaltens Zusammenhängen,
sondern sie muß auch die genannten Fragen beantworten.

II. 1 D ie Bestim m ung des G egenstandes der


W ahrnehmung als D ing von vielen Eigenschaften

Nach Hegel soll sich diese Bestimmung aus einer Entwicklung


des Resultats der Erfahrung der sinnlichen Gewißheit (G W 9,
71) ergeben. In der Beobachtung dieser Erfahrung hatte sich
dem betrachtenden Ich gezeigt, daß die Wahrheit der sinn­
lichen Gewißheit als das „an sich“ nicht das einzelne sinnliche
„Diese“ (G W 9, 64) ist, und zwar weder als „Itzt“ (a. a. O.) noch
als „H ier“ (a. a. O.). Es ist vielmehr die bestimmte Negation
dieses aufgezeigten einzelnen sinnlichen Itzt oder Hier, deren
Ergebnis die Wahrheit dieser ersten Weise des Fürwahrhaltens
darstellt. ,,[E]in in sich reflectirtes, oder einfaches, welches im
Andersseyn bleibt, was es ist; ein Itzt [oder Hier], welches abso­
lut viele Itzt [oder Hier] ist“ (G W 9, 68), ein unmittelbares,
sinnliches Allgemeines11 (G W 9, 68), zu dem „das Aufzeigen“
(GW 9, 68) als „eine Bewegung, von dem gemeynthen [einzel­
nen Itzt oder] Hier aus durch viele [Itzt oder] H ier“ (a. a. O.)
führt: Das ist das Resultat der Erfahrung der sinnlichen Gewiß­
heit oder ihre Wahrheit, aus welcher Hegel das Ding von vielen
Eigenschaften als Gegenstand der Wahrnehmung „für uns“ zu
entwickeln beansprucht. Im folgenden gilt es also nicht allein,
nachzuvollziehen, wie diese Entwicklung geschieht, sondern es
muß zugleich geprüft werden, ob sie tatsächlich nur die Wahr­
heit der sinnlichen Gewißheit zur Grundlage hat.
D ie W a h rn eh m u n g; o d er das D in g , u n d d ie T ä u sch u n g 67

Eine Bemerkung jedoch vorab: Das Subjekt der sinnlichen


Gewißheit, das betrachtete Ich, verliert in der Bewegung des
Aufzeigens, in dem Füreswerden des „an sich“ seine Wahrheit
oder seinen Gegenstand und fällt dadurch mit dieser Bewegung
zusammen: „Es erhellt, daß die Dialektik der sinnlichen Gewiß­
heit nichts anders, als die einfache Geschichte ihrer Bewegung
[...] und die sinnliche Gewißheit selbst nichts anders als nur
diese Geschichte ist.“ (G W 9, 68) Dieses Zusammenfallen be­
deutet für die sinnliche Gewißheit ihre Vernichtung als eine
Weise des Fürwahrhaltens, für die das Gegenüber von Wissen
und Wahrheit oder Bewußtsein und Gegenstand gerade konsti­
tutiv sein sollte. Die Wahrnehmung als dasjenige betrachtete
Ich, dem ein „Moment[e]“ (GW 9, 71) des für es gewordenen
„an sich“ der sinnlichen Gewißheit oder des Resultats ihrer
Erfahrung die Wahrheit oder der Gegenstand ist, wird insofern
als ein anderes neu von dem betrachtenden Ich aufgenommen.
Es kann daher nicht ein und dasselbe betrachtete Ich als „das
Bewußtsein“ sein, daß „statt des ersten Ansich, des einzelnen,
[...] ,das Für-es-sein dieses Ansich1“ (Scheier 1980, 48/49) er­
greift. Im Rahmen einer idealistischen Geschichte des Selbst­
bewußtseins, die als sich vollbringender Skeptizismus in die
spekulative Logik einleitet, gerät das Subjekt jeder einzelnen
Weisen des Fürwahrhaltens in Verzweiflung und geht zugrunde.
Es wird demnach nie das Subjekt einer Weise des Fürwahrhal­
tens mit dem der ihr nachfolgenden identisch sein, wie Scheier
das unterstellen muß, wenn seine Feststellung richtig sein soll.
Soweit die Vorbemerkung. Die Entwicklung des Dings und
seiner vielen Eigenschaften aus der Wahrheit der sinnlichen
Gewißheit beginnt Hegel nun mit der Verteilung dieses Allge­
meinen, das „für uns“ das „Princip“ (GW 9, 71) der Wahrneh­
mung ist, auf die zwei Seiten, die für eine Weise des Fürwahr­
haltens konstitutiv sind. Auf der Gegenstandsseite tritt es da­
nach in der Gestalt des vermittelten Einfachen auf, das im
Anderssein bleibt, was es ist. Und auf der Seite des Subjekts
zeigt sich das Allgemeine als die Bewegung des Aufzeigens, die
dem Wahrnehmen gleichgesetzt wird.
Das Aufnehmen beider Gestalten und des Allgemeinen selbst
durch das betrachtende Ich ist nach Hegel ein „nothwendiges“
(G W 9, 71). Denn das, was dabei aufgenommen wird, ist „ge­
worden“ (a. a. O.), insofern es das Ergebnis der Erfahrung der
68 J o a c h im H agn er

sinnlichen Gewißheit ist. Das ,,erscheinende[s] Aufnehmen“


(a. a. O.) des reinen unmittelbaren Seins als des Prinzips der
sinnlichen Gewißheit und seiner Momente, die nicht als Resul­
tat der Erfahrung des Subjekts einer ihr vorhergehenden Weise
des Fürwahrhaltens vorliegen, bedarf im Gegensatz dazu einer
anderen Rechtfertigung, wie sie von Becker 1971, 21, Scheier
1980, 46 und ausführlich von Claesges 1981, 127-33 erörtert
wird.
Das Aufnehmen der Wahrnehmung mit ihrem Prinzip des
Allgemeinen nach der sinnlichen Gewißheit und dem Prinzip
des reinen unmittelbaren Seins ist nun notwendig auch im H in­
sehen auf die Abfolge der Kategorien, welche den Weisen des
Fürwahrhaltens als den Erscheinungen des Geistes oder der Idee
zugrunde liegen sollen: In dem Logik-Entwurf von 1805/06
wird das ,,absolute[s] Seyn [...] sich andres ( Verhältniß [...])“ . Und
„sich andres“ oder Verhältnis ist auch das einzelne Itzt oder Hier
geworden, wenn es sich als Allgemeines entpuppt. Warum es
sich bei diesem Verhältnis aber um das eines Dinges - als Sub­
stanz - und seiner vielen Eigenschaften - als deren Akzidenzien
- und bei dem Gegenstand der Wahrnehmung um das Ding von
vielen Eigenschaften handeln muß, das geht weder aus der Ver­
hältniskategorie unmittelbar hervor, die dem Wahrnehmungs-
Kapitel zugrunde liegt, noch hat Hegel das zu diesem Zeitpunkt
aus der Wahrheit der sinnlichen Gewißheit entwickelt. Er weist
lediglich darauf hin, daß das Einfache, in dessen Gestalt das
Allgemeine hier auftritt, ein vermitteltes Einfaches ist, dem man
als einem sinnlich-unmittelbaren vermittelten Einfachen diese
Vermittlung müsse ansehen können. Und damit soll dann bereits
das Ding von vielen Eigenschaften vorliegen.
Plausibel wird diese Bestimmung jedoch offenbar erst dann,
wenn sie im Kontext der Einleitungsfunktion betrachtet wird,
welche die Phänomenologie als sich vollbringender Skeptizismus
übernimmt. In dieser Funktion ist die Berücksichtigung kon­
kurrierender Standpunkte für sie verpflichtend. Und im Falle
des Wahrnehmungs-Kapitels könnte es sich bei diesen Stand­
punkten einmal um den Humes handeln, wie er ihn in den
Abschnitten Vom Skeptizismus in bezug a u f die Sinne und Von der
alten Philosophie im ersten Buch seines Traktats vertritt.
Hume erörtert besonders in dem letzteren Abschnitt Schwie­
rigkeiten im Zusammenhang mit dem „Körper“ (Hume 1978,
D ie W a h rn eh m u n g; o d er das D in g , u n d d ie T ä u sch u n g 69

288) als „Eine[m]‘‘ (Hume 1978, 288) und seinen vielen „sinn-
lichefn] Qualitäten“ (Hume 1978, 288), die an die Probleme
erinnern, die das Wahrnehmen mit dem Einssein des Dinges
und seiner Vielheit hat: „Es wird von den urteilsfähigsten Philo­
sophen zugestanden, daß die Vorstellung eines Körpers nichts
ist als ein vom Geiste geschaffenes Zusammen von Vorstellun­
gen verschiedener, an sich selbständiger sinnlicher Qualitäten,
die ein Objekt zusammensetzen und [dabei] eine konstante Ver­
bindung miteinander zeigen. So gewiß nun aber diese Qualitä­
ten an sich selbständige Bewußtseinsobjekte sind, so betrachten
wir doch jedesmal das Ganze, das sie bilden, als Eines und
zugleich als etwas, das trotz sehr wesentlicher Veränderungen
dasselbe bleibt. Die zugestandene Zusammengesetztheit steht
aber offensichtlich mit dieser angenommenen Einfachheit, und
[ebenso] die Veränderung mit der Identität im Widerspruch.“
(Hume 1978, 288) Einem Vergleich dieser Passage mit Hegels
Erörterung der Erfahrung des Wahrnehmes im Hinsehen auf
die beiden Texten zugrundeliegenden Intentionen und den G e­
brauch bestimmter Begriffe zeigen sich zwar gravierende U n ­
terschiede. Doch die sprechen in meinen Augen nicht gegen
eine Bezugnahme Hegels auf diesen und noch einen anderen
Abschnitt aus dem humeschen Traktat, wie sie Westphal, K. R.
1996, bes. 154—169 nachzuweisen sucht. Sie dürften jedoch ein
Indiz dafür sein, daß Hegel die Positionen, die er aufnimmt,
idealisiert.
Eine solche Idealiserung bedeutet zum einen die M öglich­
keit, philosophische Probleme aus ihrem ursprünglichen Zu­
sammenhang zu lösen und sie in einem veränderten systemati­
schen Kontext neu zu verhandeln. Sie macht es außerdem m ög­
lich, daß eine Weise des Fürwahrhaltens durchaus für mehrere
Standpunkte stehen kann. Sie ist dann deren von historischen
Zufälligkeiten gereinigte theoretische „Essenz“ : So ist es ist gut
möglich, daß Hegel bei seiner Bestimmung des Gegenstands
der Wahrnehmung als Ding von vielen Eigenschaften und bei
der Darlegung ihrer Erfahrung nicht nur an Humes Schwierig­
keiten mit dem einen Körper und seinen vielen sinnlichen Qua­
litäten gedacht hat, sondern auch an gewisse aristotelische (Fink
1977, 95) und kantische (Westphal, M . E. 1973, 84/85; Fink
1977, 92) Theoreme oder an bestimmte Lehrstücke der plato­
nischen Philosophie.
70 J o a c h im H agn er

In den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie etwa erläutert


Hegel die Wendung Platons gegen die „leere Dialektik“
(T W 19, 71) der Sophisten. Und zu deren Charakterisierung
bedient er sich des Beispiels vom Ding und seinen Eigen­
schaften. Außerdem beinhaltet diese Charakterisierung eine Be­
schreibung, welche die der Erfahrung des Wahrnehmens sein
könnte, wie sie sich „für uns“ darstellt: „Die Einheit des Entge­
gengesetzten schwebt nämlich jedem Bewußtsein überhaupt
vor; aber das Bewußtsein, dem das Vernünftige nicht zum Be­
wußtsein kommt, hält dabei das Entgegengesetzte immer aus­
einander. Daß alles eins ist, sagen wir von jedem Dinge: ,Es ist
dies Eine, und ebenso zeigen wir auch die Vielheit an ihm auf,
viele Teile und Eigenschaften1, - aber es wird dabei gesagt, es sei
in ganz anderer Rücksicht Eins, als es Vieles ist, bringen diese
Gedanken nicht zusammen. So geht das Vorstellen und Reden
von einem herüber und hinüber zum anderen.“ (T W 19, 71)
Die Bestimmung des Gegenstandes der Wahrnehmung als
Ding von vielen Eigenschaften wird zu dem frühen Zeitpunkt,
an dem Hegel sie vornimmt, also offenbar nur dann plausibel,
wenn man berücksichtigt, daß das Wahrnehmungs-Kapitel
eine - verdeckte - Auseinandersetzung mit bestimmten Positio­
nen einschließt, für die eine Betrachtung des Dinges und seiner
Eigenschaften unter der Perspektive des Gegensatzes von Ein­
heit und Vielheit zentral ist. Daß diese Bestimmung ihrer Ent­
wicklung aus der Wahrheit der sinnlichen Gewißheit vorange­
stellt ist, könnte darauf hindeuten, daß sie dabei die Rolle einer
leitenden Hinsicht spielen wird. Und das läßt vermuten, daß
nicht nur die vorgezogene Bestimmung des Gegenstandes, son­
dern auch seine Entwicklung als Ding von vielen Eigenschaften
zu ihrem Verständnis mehr voraussetzt als nur die Wahrheit der
sinnlichen Gewißheit.

II.2 D ie Entwicklung des G egenstandes der


W ahrnehmung als D ing von vielen Eigenschaften

Doch zunächst bildet diese Wahrheit noch den Ausgangspunkt


des nächsten Schrittes dieser Entwicklung, der die Ansetzung
vieler Eigenschaften rechtfertigen soll: Hegel weist darauf hin,
daß das Allgemeine, wie es Prinzip der Wahrnehmung ist, ein
D ie W a h rn eh m u n g; o d er das D in g , u n d d ie T ä u sch u n g 71

sinnlich-unmittelbares Allgemeines darstellt. Es hatte sich aus


der bestimmten Negation des einzelnen sinnlichen Diesen er­
geben, die „ein Negiren und ein Außewahren zugleich“ (G W 9,
72) ist. Sie vernichtet das einzelne sinnliche Diese nicht nur, sie
„bewahrt“ (a. a. O.) es als „Nichts von einem Inhalte, nemlich
dem Diesen“ (a. a. O.), mitsamt seinem sinnlichen, unmittel­
baren Charakter auch auf. Und entsprechend handelt es sich bei
dem Allgemeinen, das Resultat dieser bestimmten Negation ist,
um ein sinnlich-unmittelbares Allgemeines.
Diese Erinnerung an die N atur des Allgemeinen ist deshalb
wichtig, weil Hegel anschließend den Sachverhalt, daß ein sol­
ches Allgemeines „die Vermittlung oder das negative“ (a. a. O.)
einschließt, das sich daran dann als Unterscheidung oder „Ent­
gegensetzung“ (G W 9, 73) zeigt, als „unterschiedene, bestimmte
Eigenschafft“ (GW 9, 72) bezeichnet. Von Eigenschaft kann
hinsichtlich dieses Sachverhalts nur dann gesprochen werden,
wenn es ein unmittelbares, sinnliches Allgemeines ist, das die
Negation einschließt.
Wo das jedoch der Fall ist, da sollen ineins mit der Setzung
einer solchen unterschiedenen, bestimmten Eigenschaft „viele
solche Eigenschafften, eine die negative der ändern, gesetzt“
(a. a. O.) sein. Eine ausdrückliche Begründung dieser Behaup­
tung liefert der Text allerdings nicht. Er gibt lediglich einen
Hinweis darauf, wie eine solche Begründung aussehen könnte,
indem er von „unterschiedenen, bestimmten Eigenschaften“
spricht und feststellt, daß „eine [solche unterschiedene, be­
stimmte Eigenschaft] die negative der ändern“ (a. a. O.) ist. Die
Bestimmtheit, die eine Eigenschaft erst zur Eigenschaft qualifi­
ziert, gründet danach in ihrer Unterscheidung oder, wie Hegel
an einer anderen Stelle sagt: in ihrer - konträren - „Entgegen­
setzung“ (G W 9, 73) gegen eine andere, die sie nicht ist. Doch
das erfordert nur die Setzung zweier Eigenschaften. Viele E i­
genschaften müssen aufgrund einer solchen Entgegensetzung
erst da gesetzt werden, wo sie von vornherein im Bereich der
gegebenen Mannigfaltigkeit des sinnlichen Wissens geschieht,
wo der „Reichthum des sinnlichen Wissens“ (G W 9, 71), den
Hegel der Wahrnehmung zuspricht, bereits vorhanden ist. Erst
dort ist das Salzige dann tatsächlich nicht nur dem Bitteren,
sondern genauso dem Scharfen oder dem Sauren entgegenge­
setzt. Die Setzung einer Eigenschaft, welche die Setzung vieler
72 J o a c h im H agn er

Eigenschaften einschließt, steht somit unter ähnlichen Voraus­


setzungen wie die „barbarisch[e]‘‘ (G W 12, 83) Disjunktion des
empirischen disjunktiven Urteils, die Hegel in der Wissenschaft
der Logik erläutert: „Ein empirisches disjunctives Urtheil ist
ohne Nothwendigkeit; A ist entweder B oder C oder D u.s.f weil
die Arten B, C, D u.s.f. sich vorgefunden haben“ (G W 12, 81).
„Die Farbe ist entweder violett, indigoblau, hellblau, grün, gelb,
orange, oder roth“ (G W 12, 83).
Auf diese Weise also beansprucht Hegel, an dem sinnlich­
unmittelbaren Allgemeinen als der Wahrheit der sinnlichen
Gewißheit die vielen Eigenschaften aufgewiesen zu haben. Von
dem Ding, dessen Eigenschaften sie sein sollen, war dabei noch
nicht die Rede. Das sucht Hegel erst in den beiden folgenden
Schritten zu entwickeln, die zugleich den grundsätzlichen W i­
derspruch sichtbar machen sollen, der in einem solchen Ding
angelegt ist. Und das dürfte denn auch die Ursache dafür sein,
daß Hegel zunächst nicht das Ding, sondern die bloße „Dingheit
überhaupt“ (GW 9, 72), das „Medium“ (a. a. O.) oder „Auch“
(a. a. O.) der vielen Bestimmtheiten entwickelt, welches eines
der beiden - einander widersprechenden - Momente darstellt,
die den Gegenstand der Wahrnehmung nach Hegel auszeich­
nen.

n.2.1 Das Ding als „Auch, gleichgültige Einheit“ (G W 9, 73)

Am Anfang der Entwicklung dieses ersten Moments des G e­


genstandes steht die Erinnerung daran, daß das sinnlich-unmit-
telbare Allgemeine in der Gestalt eines vermittelten Einfachen
Gegenstand der Wahrnehmung ist. Als ein Einfaches, das im
Anderssein bleibt, was es ist, bezieht sich dieses vermittelte
Einfache auf sich selbst. Und wenn man dieses Sichaufsich-
selbstbeziehen fokussiert und gleichzeitig die Negation, die
Unterscheidung oder Entgegensetzung, die das Allgemeine
bzw. das vermittelte Einfache als Eigenschaft ausgezeichnet
hatte, ausblendet, dann hat man es nach Hegel nicht mehr mit
Eigenschaften, sondern mit „ Bestimmtheiten“ (GW 9, 72) zu
tun, die sich entsprechend „a u f sich selbst“ (a. a. O.) beziehen
und „gleichgültig gegen einander [sind], jede für sich, frey von
der ändern“ (a. a. O.). Aus Eigenschaften wie „weiß“ , „rot“ oder
„schwarz“ , die einander konträr entgegengesetzt sind und sich
D ie W a h rn eh m u n g; o d er das D in g , u n d d ie T ä u sch u n g 73

insofern ausschließen, werden auf diese Weise Bestimmtheiten


wie „weiß“ , „scharf“ oder „kubisch“ , die einander keineswegs
entgegengesetzt sind und sich daher gegenseitig „ruhig“
(a. a. O.) lassen.
Die Dingheit überhaupt aber als Auch der vielen Bestimmt­
heiten ist nichts anderes als die bloße Verdinglichung jenes im
Gedanken des vermittelten Einfachen oder der Bestimmtheit
enthaltenen Sichaufsichselbstbeziehens, das rein für sich be­
trachtet wird: „Die einfache sich selbst gleiche Allgemeinheit
selbst [J. H.] aber, ist wieder von diesen ihren Bestimmtheiten
unterschieden, und frey“ (a. a. O.). Daß sie diese als Medium
einschließen soll, erscheint von daher genauso problematisch
wie die Behauptung, das Sichaufsichselbstbeziehen der Be­
stimmtheiten und damit ihre Gleichgültigkeit gegeneinander
gründe in der „Theilnahme“ (a. a. O.) an der sich auf sich
selbstbeziehenden Allgemeinheit als der Dingheit überhaupt
oder dem Auch. Denn das würde voraussetzen, daß Hegel aus
der Wahrheit der sinnlichen Gewißheit nicht die vielen E i­
genschaften bzw. Bestimmtheiten, sondern die Dingheit über­
haupt oder das Auch und die vielen Bestimmtheiten dann als
dessen Momente entwickelt hätte. Wie sich gezeigt hat, geht
die Argumentation jedoch den umgekehrten Weg, indem sie
sich für das Sichaufsichselbstbeziehen, das zur Dingheit über­
haupt als Auch einfach verdinglicht, nicht etwa entwickelt
wird, auf die vielen Bestimmtheiten beruft.
„Gerechtfertigt“ erscheint diese Verdinglichung nun einzig
vor dem Hintergrund der Bestimmung des Gegenstandes der
Wahrnehmung als Ding von vielen Eigenschaften, wie Hegel
sie - offenbar auch im Hinsehen auf eine Auseinandersetzung
mit Positionen, die in seinen Augen für eine Untersuchung des
Dinges und seiner Eigenschaften stehen - bereits vor ihrer
Entwicklung vorgenommen hat. Diese Bestimmung bildet die
Hinsicht, unter der die Verdinglichung des im Gedanken des
vermittelten Einfachen oder der Bestimmtheit implizierten
Sichaufsichselbstbeziehens dann sogar unumgänglich erscheint.
Denn wo von vornherein feststeht, daß es um das Ding von
vielen Eigenschaften gehen soll, da können diese Eigenschaften
bzw. Bestimmtheiten, nachdem sie einmal entwickelt worden
sind, nicht einfach nur für sich bestehen, sondern müssen Be­
stimmtheiten von oder genauer: in etwas sein - es handelt sich ja
74 J o a c h im H agn er

um Bestimmtheiten von sinnlich-unmittelbarem, also z. B.


räumlichen Charakter. Unabhängig von dieser Hinsicht, aus
der Wahrheit der sinnlichen Gewißheit allein erhellt dagegen
nicht, wie man von den vielen Bestimmheiten zur Dingheit
überhaupt als deren Auch gelangt.
Die anschließende Entwicklung des zweiten Moments des
Gegenstandes der Wahrnehmung, das diesen überhaupt erst als
das Ding auszeichnet, setzt das Auch und die Gültigkeit seiner
Entwicklung aber voraus. Denn dieses zweite M oment ist das
Ergebnis einer veränderten Sichtweise des Auch, wie sie das
gleiche Verfahren erforderlich macht, das auch die Betrachtung
der vielen Eigenschaften als Bestimmtheiten ermöglicht hatte:
Dabei wird jeweils eines der beiden Implikate des sinnlich­
unmittelbaren Allgemeinen oder vermittelten Einfachen, ent­
weder das Sichaufsichselbstbeziehen oder die Negation hervor­
gehoben, während von dem anderen gänzlich abgesehen wird.
Und war es oben die Hervorhebung des Sichaufsichselbstbezie-
hens, die zur Auffassung der vielen Eigenschaften als Bestimmt­
heiten geführt hatte, so ist es jetzt die Fokussierung der N ega­
tion - als Unterscheidung oder Entgegensetzung -, welche die
Ansicht der vielen Bestimmtheiten als Eigenschaften und damit
auch die veränderte Sichtweise des Auch nach sich zieht.

n.2.2 Das Ding als „Eins, ausschließende Einheit“ (GW 9, 73)

Hegel beginnt seine Entwicklung dieses zweiten Moments des


Gegenstands der Wahrnehmung mit einem Verweis auf die
Ursache für die Bestimmtheit der Eigenschaften, durch die sie
erst zu Eigenschaften werden. Die Bestimmtheit sollte in der
konträren Entgegensetzung einer Eigenschaft gegen andere
gründen, die sie nicht ist, in der Tatsache also, daß sie „sich a u f
andere als entgegengesetzte beziehen“ (GW 9, 73). Eine solche
Beziehung der Entgegensetzung kann freilich nicht innerhalb
eines Auch oder der Dingheit überhaupt als Medium statt­
haben, in dem die gegeneinander gerade gleichgültigen Be­
stimmtheiten sich auf sich selbst beziehen. Vielmehr müssen die
Eigenschaften ihre „entgegengesetzte Beziehung nothwendig
an Eigenschafften [haben], die aus ihrem Auch entfernt sind“
(a. a. O.). Beinhaltet ein Auch etwa die Eigenschaft „weiß“ , dann
muß die ihr entgegengesetzte Eigenschaft, etwa „schwarz“ , in
D ie W a h rn eh m u n g; o d er das D in g , u n d d ie T ä u sch u n g 75

einem anderen Auch sein. Nun ist jedoch das erste Auch durch
die Eigenschaft „weiß“ selbst bestimmt und damit dem durch
die Eigenschaft „schwarz“ bestimmten Auch entgegengesetzt,
das es ausschließt. Und das nötigt nach Hegel dazu, das Auch
oder die Dingheit überhaupt jetzt als Eins, ausschließende Ein­
heit oder Ding zu betrachten.
Ob der Gegenstand der Wahrnehmung also als Auch der
vielen Bestimmtheiten oder als Eins, als Dingheit überhaupt
oder als Ding aufgefaßt werden muß, das scheint davon abzu­
hängen, welches der beiden Implikate des unmittelbar-sinn-
lichen vermittelten Einfachen gerade in den Vordergrund ge­
rückt wird: Ist es das Sichaufsichselbstbeziehen, das die gegen­
einander gleichgültigen Bestimmtheiten auszeichnet, dann muß
der Gegenstand als Auch angesehen werden. Ist es dagegen die
Negation, die als Entgegensetzung die Bestimmtheiten zu be­
stimmten Eigenschaften werden läßt, so muß er als Eins be­
trachtet werden.
Der Widerspruch aber, der in dem Gegenstand vorhanden
sein soll, gründet offenbar darin, daß dem unmittelbaren, sinn­
lichen vermittelten Einfachen das Sichaufsichselbstbeziehen ge­
nauso wesentlich zugehört wie die Negation, daß es Bestimmt­
heit und Eigenschaft zugleich ist und sich infolgedessen keines
dieser beiden dauerhaft ausblenden läßt. Die sich auf sich selbst
beziehende Bestimmtheit „weiß“ , die gleichgültig neben den
Bestimmtheiten „kubisch“ , „scharf“ oder „schwer“ besteht, ist
zugleich die bestimmte Eigenschaft „weiß“ , da sie den Eigen­
schaften „schwarz“, „rot“ oder „gelb“ konträr entgegengesetzt
ist. Und das würde vor dem Hintergrund des eben angedeute­
ten kausalen Zusammenhangs zwischen der Hervorhebung ent­
weder des Sichaufsichselbstbeziehens oder der Negation und
der Ansicht des Gegenstandes als Auch oder Eins bedeuten, daß
dieser immer abwechselnd bald als Auch der vielen Bestimmt­
heiten oder als Vielheit, bald als Eins angesehen werden muß.
D er Widerspruch von Vielheit und Einheit wäre insofern nur
eine Auswirkung desjenigen „Widerspruchs“ , der in dem un-
mittelbar-sinnlichen vermittelten Einfachen angelegt ist.
j6 Jo a c h im H a g n e r

II.3 Die Erfahrung des Subjekts der W ahrnehmung

Bevor Hegel mit der Beobachtung der Erfahrung beginnt, die


das Wahrnehmen mit seinem Gegenstand macht, legt er zu­
nächst die Bedingungen dar, unter denen diese Erfahrung steht:
Dabei ist vorausgesetzt, daß sich die Erfahrung des Subjekts
einer Weise des Fürwahrhaltens stets als Prüfung der Überein­
stimmung seines Wissens mit dem Gegenstand oder der Wahr­
heit vollzieht, die als das Wesentliche oder das „an sich“ Maß­
stab der Prüfung ist.
Als Maßstab darf sich der Gegenstand oder die Wahrheit nun
nicht verändern. Und so setzt auch das Wahrnehmen seinen
Gegenstand zunächst als das unveränderliche Wesentliche oder
„an sich“ an.
Wie die sinnliche Gewißheit hat es den Gegenstand dann
„nur zu nehmen, und sich als reines Auffassen zu verhalten; was
sich ihm dadurch ergibt, ist das Wahre. Wenn es selbst bey
diesem Nehmen etwas thäte, würde es durch solches hinzuset­
zen oder weglassen die Wahrheit verändern“ (G W 9, 73).
Anders als die sinnliche Gewißheit hat das Wahrnehmen je­
doch „das Bewußtseyn der Möglichkeit der Täuschung“ (G W 9,
74). Es hat die Möglichkeit bewußt, in seinem Auffassen den
Gegenstand zu verfehlen. Und insofern das die Unterscheidung
eines richtigen von einem falschen Auffassen einschließt, ver­
hält sich das Wahrnehmen bereits nicht mehr als reines Auffas­
sen.
Wie kommt es aber zu einem solchen Bewußtsein von der
Möglichkeit der Täuschung? Das Wahrnehmen ist das Allge­
meine als die Bewegung des Aufzeigens, und die impliziert die
Täuschung über die Wahrheit des einzelnen sinnlichen Diesen:
Das Aufzeigen dekuvriert das Itzt als „gewesenes, oder als ein
aufgehobenes“ (GW 9, 68), und so geht die Bewegung des
Aufzeigens zu diesem gewesenen oder aufgehobenen Itzt als
dem Anderssein des ersten Itzt über. Insofern „ist das Andersseyn
selbst unmittelbar für es, aber als das nichtige aufgehobene“
(GW 9, 74). Denn daß die Wahrheit des Itzt in seinem Gewe­
sen· oder Aufgehobensein besteht, stellt sich ebenfalls als T äu ­
schung heraus. Und infolgedessen wird „dieses Andersseyn, oder
Aufheben des ersten [...] selbst wieder aufgehoben, und so zu dem
Ersten zurückgekehrt“ (GW 9, 68).
D ie W a h rn eh m u n g; o d er das D in g , u n d d ie T ä u sch u n g 77

Dieses Erste ist freilich nicht mehr das einzelne unmittelbare,


sondern ein allgemeines Itzt als ein Einfaches, welches im An­
derssein bleibt, was es ist, ein Einfaches, das sich selbst gleich bleibt.
Und da dieses Einfache als Gegenstand die Wahrheit oder das
„an sich“ verkörpert, ist das „Kriterium der Wahrheit“ (GW 9,
74), welches das Wahrnehmen ansetzt, „die Sichselbstgleichheit“
(a. a. O.).
Nun hatte sich jedoch gezeigt, daß das unmittelbar-sinnliche
vermittelte Einfache ebenso durch das Sichaufsichselbstbezie-
hen wie durch die Negation ausgezeichnet ist, so daß es sich
wechselweise als Bestimmtheit und als bestimmte Eigenschaft
und den Gegenstand als Auch und als Eins präsentiert. Dem
Wahrnehmen werden sich auf diese Weise „verschiedene [n]
Momente“ (a. a. O.) oder Ansichten darbieten, die es vor dem
Hintergrund der für die Wahrheit geforderten Sichselbstgleich­
heit miteinander vergleicht. „[W]enn sich aber in dieser Verglei­
chung eine Ungleichheit hervorthut“ (a. a. O.), dann wird das
Wahrnehmen darin nicht eine Unwahrheit des Gegenstandes
sehen, der als sich selbst gleicher keinerlei Ungleichheit zuläßt,
sondern seiner selbst. Und entsprechend wird es versuchen, die
durch es zerstörte Sichselbstgleichheit auch selbst wieder herzu­
stellen: Das Wahrnehmen wird im Rahmen seiner Erfahrung ein
„Verhalten“ (a. a. O.) an den Tag legen, das Hegel entsprechend
als „sich selbst gleiches“ (a. a. O.) bezeichnet. Sinnvoll und er­
forderlich ist dieses Verhalten - wie auch die Vergleichung ver­
schiedener Ansichten des Gegenstandes - freilich nur da, wo ein
Bewußtsein von der Möglichkeit der Täuschung vorhanden ist,
wo das Subjekt des Fürwahrhaltens bewußt hat, daß eine be­
stimmte Ansicht des Gegenstandes falsch sein kann.
Wie gestaltet sich nun aber die Erfahrung eines Subjekts,
das über ein solches Bewußtsein verfügt? Was unternimmt das
Wahrnehmen, um die Sichselbstgleichheit seines Gegenstandes
zu gewährleisten? Bevor ich versuche, das im einzelnen darzu­
stellen, werde ich der besseren Übersicht halber zuerst Inhalt
und Resultat der drei Phasen, die ich mit Claesges 1981, 157/58
an der Erfahrung des Wahrnehmens unterscheide, kurz zusam­
menfassen.
In den beiden ersten Phasen (G W 9, 74 f.) bietet sich der
Gegenstand als „rein Eine[r]“ (G W 9, 74) oder als „Eines11
(GW 9, 75) und damit als Ding dar. Daher versucht das Wahr­
78 J o a c h im H agn er

nehmen auch zuerst, das Eins als die sichselbstgleiche Wahrheit


des Gegenstandes festzuhalten. Es kann jedoch nicht umhin, die
Eigenschaften, die einem solchen Ding zugehören, auch als die
vielen sich auf sich selbst beziehende Bestimmtheiten aufzufas­
sen und sieht sich deshalb gezwungen, die Wahrheit des Gegen­
standes in der Vielheit des Auch zu sehen, die der ersten Wahr­
heit widerspricht. Doch auch diese Wahrheit vermag das Wahr­
nehmen nicht als sich selbst gleiche aufrechtzuerhalten, da die
Bestimmtheiten sich immer auch als Eigenschaften zeigen und
zur Auffassung des Gegenstandes als Eins nötigen. Und so
scheitert der Versuch des Wahrnehmens, die Sichselbstgleicheit
des Gegenstandes zu garantieren, in der ersten und zweiten
Phase seiner Erfahrung an der Tatsache, daß dem unmittelbar­
sinnlichen vermittelten Einfachen das Sichaufsichselbstbezie-
hen genauso eigentümlich ist wie die Negation und es sich
deshalb gleichzeitig als Bestimmtheit und als bestimmte Eigen­
schaft darbietet. Denn das hat am Gegenstand den Widerspruch
von Eins und Auch oder Einheit und Vielheit zur Folge. Um
diesen Widerspruch zu vermeiden, ergreift das Wahrnehmen
dann bestimmte Maßnahmen: In der ersten Phase nimmt es das
der Sichselbstgleichheit jeweils widersprechende M oment ein­
fach auf sich, während es dieses M oment in der zweiten Phase
„seiner Reflexion in sich“ (GW 9, 75) zurechnen kann, die es
von seiner „einfachen Auffassung“ (a. a. O.) des zunächst wahr­
genommenen Moments unterscheidet. Keine der beiden Maß­
nahmen ist aber erfolgreich.
Außerdem wird dem Wahrnehmen als Ergebnis der zweiten
Phase seiner Erfahrung bewußt, daß die einander widerspre­
chenden Momente des Gegenstandes insofern an diesem selbst
sind, als er in sich zurückgeht oder „in sich reflectiert ist“ (G W 9,
77). Das Wahrnehmen wird also die beiden Momente, die in
der dritten Phase (a. a. O.) in einer bestimmten Hinsicht für die
Einheit und die Vielheit stehen, das Füressein und das Fürein-
anderessein, nicht mehr auf sich einerseits und den Gegenstand
andererseits, sondern auf zwei verschiedene Gegenstände ver­
teilen. Auf diese Weise soll das Einssein, das der Gegenstand für
sich, als in sich reflektierter ist, als seine sichselbstgleiche Wahr­
heit gerettet werden. Indem jedoch auch das mißlingt, geht das
Wahrnehmen und mit ihm sein Gegenstand schließlich zu­
grunde.
D ie W a h rn eh m u n g; o d er das D in g , u n d d ie T ä u sch u n g 79

II.3.1 Die erste Phase

Zuerst nimmt das Wahrnehmen den Gegenstand als rein Einen


fürwahr. Es bemerkt jedoch an ihm auch „die Eigenschafft [...],
die allgemein ist, dadurch aber über die Einzelnheit hinausgeht.
Das erste Seyn des gegenständlichen Wesens als eines Einen,
war also nicht sein wahres Seyn; da er das Wahre ist, fällt die
Unwahrheit in mich, und das Auffassen war nicht richtig.“
(GW 9, 74) Das Wahrnehmen bemerkt an dem Gegenstand
etwas, das als Anderssein seine erste Wahrheit, rein Einer zu
sein, aufhebt. Dabei kann es sich allerdings nicht um eine E i­
genschaft als bestimmte Eigenschaft handeln, der gerade keine
Allgemeinheit zukommt, sondern nur um die sich auf sich selbst
beziehende Bestimmtheit.
Das bestätigt sich, wenn das Wahrnehmen „um der All­
gemeinheit der Eigenschafft willen“ (a. a. O.) als die „zweyte
Wahrheit“ (G W 9, 68) des Gegenstandes ihn als „Gemeinschaft
überhaupt“ (G W 9, 74) ansetzt und nicht als Eins, wie das der
Fall hätte sein müssen, wenn das Wahrnehmen eine bestimmte
Eigenschaft bemerkt hätte. Das geschieht erst jetzt: „Ich nehme
nun ferner die Eigenschafft wahr als bestimmte, anderem entge­
gengesetzte, und es abschließende.“ (a. a. O.) M it der Wahrneh­
mung einer Eigenschaft gehört jedoch die Ansicht des Gegen­
standes als Eins zusammen. Und so gerät auch dem Wahrneh­
men jetzt die Gemeinschaft überhaupt zum „ausschließendefn]
Eins“ (a. a. O.).
Es nimmt also die Gemeinschaft überhaupt als Unwahrheit
auf sich und behauptet nun, der Gegenstand sei in Wahrheit
ausschließendes Eins. Das Wahrnehmen stößt aber auf eine
Vielheit von sich auf sich selbst beziehenden, gegeneinander
gleichgültigen Bestimmtheiten, die seine Behauptung des G e­
genstandes als ausschließendes Eins Lügen strafen.
Deshalb gilt ihm nun das „allgemeinefs] gemeinschafftlichefs]
Medium“ (a. a. O.), das Medium als Auch der vielen Bestimmt­
heiten als die Wahrheit über den Gegenstand. Daß er abschlie­
ßendes Eins sei, nimmt das Wahrnehmen als eine weitere U n ­
wahrheit auf sich.
Zugleich hat es damit alle Möglichkeiten erschöpft, den G e­
genstand als Einen zu nehmen, der sich als solcher selbst gleich
bleibt: Das Wahrnehmen sieht sich immer wieder gezwungen,
8o J o a c h im H agn er

das vermittelte Einfache als Bestimmtheit und den Gegenstand


damit als die Vielheit des Auch zu betrachten.
Wenn es also vor diesem Hintergrund noch etwas „einfa-
che[s]“ (a. a. O.) wahrnimmt, dann kann das nur noch „die ein­
zelne [bestimmte] Eigenschajft für sich“ (a. a. O.) sein. Doch die
wird zu einem einzelnen sinnlichen Diesen, zu einem „sinn­
lichen Seyn überhaupt“ (GW 9, 75), wenn sie rein für sich
genommen wird. Denn bestimmte Eigenschaft als ein „be­
stimmtes Seyn“ (G W 9, 74) ist etwas nur in Entgegensetzung
gegen anderes.
Indem jedoch das Wahrnehmen es mit einem einzelnen sinn­
lichen Diesen zu tun hat, geht es in das „Meynen11 (GW 9, 7 5)
der sinnlichen Gewißheit und damit „in sich“ (a. a. O.) zurück.
Denn das Wahrnehmen ist nichts anderes als die Wahrheit
jenes Vermeinens eines einzelnen sinnlichen Diesen, das des­
halb in es übergegangen war. Und das geschieht immer wieder:
,,[D] as sinnliche Seyn und Meynen geht selbst in das Wahrneh­
men über; ich bin zu dem Anfang zurückgeworfen, und wieder
in denselben, sich in jedem Momente und als Ganzes aufheben­
den Kreislauff hineingerissen.“ (a. a. O.)
Allerdings gerät das Wahrnehmen in diesen Kreislauf nicht
als dasselbe wieder hinein, das es vor seinem Regreß in die
sinnliche Gewißheit war. Denn ihm ist dabei bewußt geworden,
„daß das Resultat und das Wahre desselben seine Auflösung,
oder die Reflexion in sich selbst aus dem Wahren ist“ (a. a. O.).
Das Wahrnehmen gelangt bei seinem Versuch, die Sichselbst-
gleichheit des Gegenstandes als Eins zu sichern, schließlich zu
einem einzelnen sinnlichen Diesen. Das konfrontiert es mit sich
selbst, indem es in Ansehung seiner in die sinnliche Gewißheit
oder in sich selbst zurückzugehen gezwungen ist. Dem Wahr­
nehmen wird so bewußt, was „für uns“ schon feststand, daß es
kein „einfaches reines Auffassen, sondern in seinem Auffassen
zugleich aus dem Wahren heraus in sich reflectirt“ (a. a. O.) ist.
Auf diese Weise verändert das Wahrnehmen freilich das
Wahre: Sein Gegenstand, das sichselbstgleiche vermittelte Ein­
fache, wandelt sich ihm zu einem einfachen sinnlichen Diesen
und damit zu einer Wahrheit über es selbst. Im Falle der sinn­
lichen Gewißheit, deren Verhältnis zu ihrem Gegenstand ein
gänzlich unmittelbares war, mußte aufgrund einer Veränderung
an ihrem Gegenstand die „Kraft ihrer Wahrheit“ (G W 9, 66) in
D ie W a h rn eh m u n g; o d er das D in g , u n d d ie T ä u sch u n g 81

das Subjekt gesetzt werden. Das Wahrnehmen dagegen hat, als


Folge der ersten Phase seiner Erfahrung, seine Reflexion in sich
selbst aus dem Wahren bewußt. Es kann deshalb Veränderun­
gen des Gegenstandes als „Unwahrheit11 (G W 9, 75) auf das
Konto seiner Reflexion in sich buchen und so vorerst die Sich-
selbstgleichheit des Gegenstandes retten: ,,[E]s unterscheidet
sein Auffassen des Wahren von der Unwahrheit seines Wahr­
nehmens“ (a. a. O.). Dem schreibt es alles das zu, was darin der
sichselbstgleichen Wahrheit des Gegenstandes widerspricht.

n.3.2 Die zweite Phase

Wie zu Beginn der ersten nimmt das Wahrnehmen auch in der


zweiten Phase seiner Erfahrung den Gegenstand zunächst als
Eins und damit als Ding auf. Die verschiedenen allgemeinen,
sich auf sich selbst beziehenden Bestimmtheiten aber, die das
Wahrnehmen in der ersten Phase genötigt hatten, ihn als G e­
meinschaft überhaupt oder Auch anzusehen, schreibt es jetzt
seiner Reflexion zu: Es nimmt das M oment des Auch auf sich
und versucht auf diese Weise die Sichselbstgleichheit des G e­
genstandes als Eins oder Ding aufrechtzuerhalten: „Diß Ding
ist also in der T h at nur weiß, an unser Auge gebracht, scharf
auch, an unsre Zunge, auch kubisch an unser Gefühl und so fort.
Die gänzliche Verschiedenheit dieser Seiten nehmen wir nicht
aus dem Dinge, sondern aus uns; sie fallen uns an unserem von
der Zunge ganz unterschiedenen Auge und so fort, so auseinan­
der. Wir sind somit das allgemeine Medium [als Auch], worin
solche Momente sich absondern, und für sich sind.“ (GW 9,
7 5 f.) Durch ein solches Verhalten hätte das Wahrnehmen dann
den Widerspruch in seinem Gegenstand vermieden, der sonst
zwischen dem M oment der Allgemeinheit, für welches das Auch
der vielen sich auf sich selbst beziehenden Bestimmtheiten
steht, und dem des Eins entstanden wäre. Es hätte die Sich­
selbstgleichheit auf diese Weise noch einmal aufrecht erhalten.
Von Dauer kann dieser Zustand aber nicht sein. Denn das
Wahrnehmen hat zu seinem Gegenstand das Ding, das Ding
nur durch „die Bestimmtheit“ (GW 9, 76) ist, durch die „es
ändern sich entgegensetzt“ (a. a. O.). Und ausgerechnet aus
dieser grundlegenden Bedeutung der Bestimmtheit soll sich für
das Wahrnehmen nun die Notwendigkeit ergeben, die Wahr­
82 J o a c h im H agn er

heit des Dinges in das Auch der vielen sich auf sich selbst
beziehenden Bestimmtheiten zu setzen und das Einssein als
Unwahrheit seiner Reflexion in Rechnung zu stellen. Hegel
sucht das in drei Schritten plausibel zu machen. In einem ersten
erinnert er daran, daß die Bestimmtheit der Dinge in der Be­
stimmtheit ihrer Eigenschaften gründet, die sich ihrerseits der
Negation der ihnen jeweils entgegengesetzten Eigenschaften
verdankt. Wenn eine bestimmte Eigenschaft ist, dann müssen
immer auch die ihr entgegengesetzten sein. Auf diese Weise
hätte Hegel gezeigt, daß die Bestimmtheit des Dinges das Vor­
handensein von Eigenschaften voraussetzt.
Die einander entgegengesetzten Eigenschaften sollten aller­
dings verschiedene, einander dadurch ebenfalls entgegenge­
setzte Dinge auszeichnen; sie sollten nicht Eigenschaften ein
und desselben Dinges sein können. Und so muß dort, wo der
Aufweis ihrer Vielheit den ersten Schritt auf dem Weg zu dem
Auch als Wahrheit des Gegenstandes darstellen soll, in einem
zweiten nachgewiesen werden, daß sie durchaus an einem Ding
sein können: Hegel betrachtet zu diesem Zweck die Eigen­
schaften als je „eigene Eigenschafft des Dinges“ (a. a. O.). Zu­
gleich hebt er an dem Ding hervor, daß es als die Wahrheit „an
sich selbst [ist]; und was an ihm ist, ist an ihm als sein eigenes
Wesen, nicht um anderer willen“ (a. a. O.). In diesem Kontext
kann dann die bestimmte Eigenschaft, die als eigene Eigen­
schaft des Dinges etwas an ihm ist, nicht „nur um anderer
Dinge willen, und für andere Dinge, sondern [muß in erster
Linie] an ihm selbst“ (a. a. O.) sein. Das bedeutet für die be­
stimmte Eigenschaft jedoch, daß die ihr entgegengesetzten an
dem gleichen Ding sein müssen wie sie selbst. Denn andernfalls
wäre sie primär um desjenigen Dinges willen, an dem diese
jeweils sind.
In dem zweiten Schritt wäre somit gezeigt worden, daß die
Bestimmtheit des Dinges das Vorhandensein von vielen be­
stimmten Eigenschaften an dem gleichen Ding zur Bedingung
hat. Um nun aufzuweisen, daß es sich bei dieser Vielheit von
bestimmten Eigenschaften strenggenommen nur um eine Viel­
heit von sich auf sich selbst beziehenden Bestimmtheiten und
bei dem Ding, an dem sie sein sollen, nur um die Dingheit
überhaupt, um das Medium als Auch handeln kann, greift Hegel
in einem dritten Schritt auf Bestimmungen zurück, die er im
D ie W a h rn eh m u n g; o d er das D in g , u n d d ie T ä u sch u n g 83

Rahmen der Entwicklung des Gegenstandes der Wahrnehmung


vorgenommen hat. Denn danach ist eine Vielheit, die nicht an
verschiedenen, sondern an einem Ding ist, eigentlich gar nicht
mehr an einem Ding, sondern „in der Dingheit“ (a. a. O.), dem
Medium als Auch. Und in diesem Medium befinden sich ent­
sprechend keine bestimmten Eigenschaften, sondern Bestimmt­
heiten, die „an und für sich und gleichgültig gegen einander
sind“ (a. a. O.).
Von der Bestimmtheit des Dinges, die den Ausgangspunkt
gebildet hatte, würde somit tatsächlich ein bestimmter Weg zu
dem Auch der vielen sich auf sich selbst beziehenden Bestimmt­
heiten führen: „Es ist also in Wahrheit das Ding selbst, welches
weiß, und auch kubisch, auch scharf, und so fort ist, oder das
Ding ist das Auch, oder das allgemeine Medium, worin die vielen
Eigenschaften außer einander bestehen, ohne sich zu berühren
und aufzuheben; und so genommen wird es als das wahre ge­
nommen.“ (a. a. O.)
Die Vielheit der „verschiedenen und unabhängigen Eigen­
schafften“ (a. a. O.), die in diesem allgemeinen Medium als
Auch ist und daher eigentlich eine Vielheit von sich auf sich
selbst beziehenden Bestimmtheiten oder ,jreye[n] Materie[n]“
(a. a. O.) darstellt, diese Vielheit steht nun im Widerspruch zu
der „Einheit des Dings mit sich selbst“ (a. a. O.), die ebenfalls im
Wahrnehmen aufgetreten war. „Sie ist es demnach, welche das
Bewußtseyn auf sich zu nehmen hat“ (a. a. O.). In der ersten
Phase der Erfahrung des Wahrnehmens hatte dieses Aufsich-
nehmen der Einheit des Dings als der Unwahrheit darin bestan­
den, daß das Wahrnehmen einfach das Auch oder die Gemein­
schaft als das Wahre behauptet hatte (GW 9, 74). In der zweiten
Phase hat das Wahrnehmen aber die Möglichkeit bewußt, sein
Auffassen des Wahren von der Unwahrheit seines Wahrneh­
mens zu unterscheiden und diese Unwahrheit seiner Reflexion
in sich gutzuschreiben. Das Wahrnehmen schlägt daher die
Vielheit der sich auf sich selbst beziehenden Bestimmtheiten im
Auch als die Wahrheit dem Auffassen und das Einssein des
Dinges als die Unwahrheit seiner Reflexion zu und versucht so,
die Sichselbstgleichheit des Gegenstandes als Auch zu garantie­
ren. - Wenn allerdings gesagt wird, „es[, das Ding als Eins] ist
weiß, auch kubisch, und auch scharf u.s.f.“ (GW 9, 76), dann
sind dabei Vielheit und Einheit, Auffassen und Reflexion gerade
84 J o a c h im H agn er

noch nicht unterschieden, sondern vereint und widersprechen


einander. Der zuletzt zitierte Satz macht das graphisch sichtbar,
indem er, im Unterschied etwa zu G W 9, 76, 20-23, wo nur das
„auch“ abgesetzt ist, neben diesem „auch11, das die Vielheit be­
zeichnet, zugleich das „es11, das für die Einheit steht, und das
„ist11, die Kopula, die beide Momente verbindet, hervorhebt. -
Um die Vielheit des Auch und das Einssein nun aber doch
jeweils dem Auffassen und der Reflexion zuweisen und damit
die Sichselbstgleichheit des Dings aufrechterhalten zu können,
führt das Wahrnehmen jetzt das insofern“ (a. a. O.) ein: „Es
wird also von dem Dinge gesagt, es ist weiß, auch kubisch, und
auch scharf u.s.f. Aber insofern es weiß ist, ist es nicht kubisch,
und insofern es kubisch und auch weiß ist, ist es nicht scharf u.s.f.
Das in eins setzen dieser Eigenschafften kommt nur dem Be-
wußtseyn zu, welches sie daher an dem Ding nicht in Eins fallen
zu lassen hat. Zu dem Ende bringt es das Insofern herbey, wo­
durch es sie auseinander, und das Ding als das Auch erhält.“
(a. a. O.)
Dennoch ist der Versuch des Wahrnehmens gescheitert, die
Sichselbstgleichheit des Dinges als die Wahrheit dadurch zu
sichern, daß es dasjenige Moment, das sie zerstören würde,
seiner Reflexion zurechnet. Denn das Wahrnehmen hat nicht
nur sich selbst, sondern auch das Ding sowohl „zum reinen
vielheitslosen Eins, wie zu einem in selbständige Materien auf­
gelösten Auch“ (G W 9, 77) als einer Vielheit von sich auf sich
selbst beziehenden Bestimmtheiten machen müssen. Hegel
beschreibt diesen Vorgang im Hinsehen auf das Ding als
„Zurückgehen[s]“ (a. a. O.): Das Ding geht von dem Eins, das
sich dem Wahrnehmen zuerst als dessen Wahrheit dargestellt
hatte, in das Auch über, das ihm für eine Unwahrheit seiner
Reflexion galt, und aus diesem wieder in die Einheit mit sich
selbst zurück, in der es den Unterschied aus sich auszuschließen
scheint und sich dem Wahrnehmen wieder als Eins zeigt.
Das Ding ist freilich ebensowenig dasselbe, nachdem es so in
sich zurückgegangen ist, wie das Wahrnehmen in seinem Zu­
rückgehen in sich dasselbe geblieben war. Nach Hegels Bestim­
mung sollte es vielmehr „ein in sich reflektiertes, oder einfaches
[sein], welches im Andersseyn bleibt, was es ist“. Und so wird
jetzt auch dem Wahrnehmen bewußt, daß das Ding sich für es
„auf eine bestimmte Weise darstellt, aber zugleich aus der Weise,
D ie W a h rn eh m u n g; o d er das D in g , u n d d ie T ä u sch u n g 85

in der es sich darbietet, heraus und in sich reflectirt ist, oder an


ihm selbst eine entgegengesetzte Wahrheit hat“ (a. a. O.). Das
Wahrnehmen ist auf diese Weise „aus dieser zweyten Art, sich
im Wahrnehmen zu verhalten, nemlich das Ding als das wahre
sich selbst gleiche, sich aber für das ungleiche, für das aus der
Gleichheit heraus in sich zurückgehende, zu nehmen, selbst
heraus, und der Gegenstand ist ihm itzt diese ganze Bewegung,
welche vorher an den Gegenstand und an das Bewußtseyn ver­
teilt war“ (a. a. O.).
Das bedeutet freilich nicht, daß das Wahrnehmen gleicher­
maßen das Einssein wie die ihm widersprechende Vielheit des
Auch als die Wahrheit seines Gegenstandes ansetzt. Es wird im
Gegenteil nach wie vor versuchen, einen Widerspruch in die­
sem Gegenstand als der Wahrheit zu vermeiden, deren Krite­
rium die Sichselbstgleichheit bleibt. N ur kann das Wahrneh­
men jetzt, wo ihm der Gegenstand für die ganze Bewegung gilt,
das jeweils widersprechende M oment nicht mehr einfach auf
sich nehmen oder es seiner Reflexion zuschreiben. Sondern es
muß einen Weg finden, den Widerspruch auf der Seite des
Gegenstandes selbst aufzuheben.

II.3.3 Die dritte Phase

Auch in dieser Phase ist das Ding zunächst wieder „Eins11


(GW 9, 77). Und insofern es „in sich reflectirt“ (a. a. O.) ist, ist
es als Eins „für sich11 (a. a. O.). Das Ding stellt sich jedoch auch
dem Wahrnehmen dar. Es ist „auch fü r ein anderes11 (a. a. O.).
Und weil das Ding aus der bestimmten Weise, auf die es sich
darstellt, gleichzeitig auch heraus und in sich reflektiert ist, weil
die Wahrheit, die es an ihm selbst hat, jeweils derjenigen entge­
gengesetzt ist, die sich dem Wahrnehmen zeigt, „ist es ein
anderes für sich, als es für anderesf, für das Bewußtsein,] ist“
(a. a. O.).
In diesem Umstand aber, daß der Gegenstand für sich und für
ein anderes ist, daß ihm also ein „gedoppelte[s] verschiedenefs]
Seyn“ (a. a. O.) zukommt, gründet in der dritten Phase der
Erfahrung des Wahrnehmens die Vielheit, die der Einheit wi­
derspricht, die der in sich reflektierte Gegenstand für sich ist.
Und der Versuch, die Sichselbstgleichheit des Gegenstandes als
Eins zu retten, wird entsprechend darin bestehen müssen, die
86 J o a c h im H agn er

Vielheit des Zugleich von Füres- und Füreinanderessein von


dem einen Gegenstand fernzuhalten.
U m das zu erreichen, hätte das Wahrnehmen in der ersten
Phase seiner Erfahrung das der Einheit widersprechende M o­
ment einfach auf sich genommen. In der zweiten würde es
dieses M oment auf das Konto seiner Reflexion gebucht haben.
In der dritten Phase jedoch ist eine solche Verteilung der Bewe­
gung vom Einssein zur Vielheit und zurück auf den Gegenstand
und das Wahrnehmen nicht mehr möglich, da „dem Dinge
selbst“ (a. a. O.) als der ganzen Bewegung genauso „das Eins-
seyn zufkommt]“ (a. a. O.) wie die Vielheit des gedoppelten
verschiedenen Seins. Soll der Widerspruch zwischen der Viel­
heit des Gegenstandes und seinem Einssein dennoch vermieden
und er in diesem Einssein als sichselbstgleicher erhalten wer­
den, dann müssen die beiden Momente, in denen die Vielheit
gründet, das Fürsichsein und das Füreinanderessein „verschie­
denein] Dingefn]“ (a. a. O.) zugesprochen werden: „[D]er W i­
derspruch, der an dem gegenständlichen Wesen überhaupt ist,
vertheilt sich an zwey Gegenstände. Das Ding ist also wohl an
und für sich, sich selbst gleich; aber diese Einheit mit sich selbst
wird durch andere Dinge gestört; so ist die Einheit des Dings
erhalten, und zugleich das Andersseyn außer ihm, so wie außer
dem Bewußtseyn.“ (a. a. O.) Das Füreinanderessein müßte vor
diesem Hintergrund nicht mehr dem Gegenstand selbst zuge­
sprochen werden. Es käme ihm einzig aus der Sicht eines ande­
ren Gegenstandes zu, so daß er nur noch durch ein Moment,
durch das Einssein, das er für sich ist, und nicht mehr zugleich
durch die Vielheit von Fürsichsein und Füreinanderessein be­
stimmt wäre. Der Widerspruch wäre aufgehoben und die Sich­
selbstgleichheit des Dinges als Eins gerettet.
Das Wahrnehmen wird aber erfahren, daß „an das abgeson­
derte einzelne Ding selbst der Unterschied“ (a. a. O.) von Für­
sichsein und Füreinanderessein und damit zugleich der Wider­
spruch von Einssein und Vielheit kommen muß.
Hegel beginnt die Darstellung dieser Erfahrung mit der Fest­
stellung, daß die beiden „verschiedenen Dinge“ (a. a. O.), an die
das Fürsichsein und das Füreinanderessein verteilt werden sol­
len, „für sich gesetzt“ (a. a. O.) sind und beiden das Füreinande­
ressein nur von der Warte des jeweils anderen aus zugehört. Auf
diese Weise ist „jedes nicht von sich selbst, sondern nur von
D ie W a h rn eh m u n g; o d er das D in g , u n d d ie T ä u sch u n g 87

dem ändern verschieden“ (a. a. O.). Die in diese Verteilung


eingeschlossene Unterscheidung der beiden Dinge bedeutet
jedoch eine Beeinträchtigung des Fürsichseins und des Eins­
seins. Denn in einer solchen Unterscheidung ist jedes Ding
„selbst als ein unterschiedenes bestimmt, und hat den wesentlichen
Unterschied von den ändern an ihm“ (a. a. O.). Hegel spielt mit
dieser Formulierung wieder auf die Wandlung der Dingheit
überhaupt in das Ding als Konsequenz der Betrachtung der sich
auf sich selbst beziehenden Bestimmtheiten als bestimmte E i­
genschaften an. Danach ist für ein Ding, dessen Bestimmtheit
in einer spezifischen Eigenschaft gründet, die Entgegensetzung
oder der Unterschied zu denjenigen anderen Dingen grund­
legend, die durch die jeweils entgegengesetzten Eigenschaften
bestimmt sind. Es ist „als ein unterschiedenes bestimmt“ . Und
weil sich dieser Unterschied bestimmten Eigenschaften ver­
dankt, hat das bestimmte Ding mit ihnen zugleich den Unter­
schied „an ihm11.
Damit wäre aber der Versuch des Wahrnehmens mißraten,
die Sichselbstgleichheit seiner Wahrheit, das Fürsichsein des
Gegenstandes und sein Einssein aufrecht zu erhalten, indem es
das Fürsichsein und das Füreinanderessein auf zwei verschie­
dene Gegenstände verteilt: Denn daß die beiden Dinge in ihrer
Entgegensetzung aufeinander bezogen sind, bedeutet, daß sie
jeweils auch für ein anderes sind, und zwar genau so, wie Hegel
das beschrieben hatte: Für das andere Ding ist das eine das
Gegenteil dessen, was es selbst auszeichnet, und damit von
seiner Warte aus ein anderes als das eine Ding für sich ist. Und
daß das Ding den Unterschied in Gestalt seiner Eigenschaften
an ihm hat, heißt, daß er „nothwendig als wirklicher Unterschied
mannichfaltiger Beschaffenheit [oder als Vielheit] an ihm“
(G W 9, 78) ist.
Nun kommen das Füreinanderessein und die Vielheit nur
insofern an das jeweilige Ding, als sie im Verhältnis zueinander
betrachtet und damit ihre Bestimmtheit auf ihren Unterschied
zurückgeführt wird. Insofern das Wahrnehmen ein Ding, das als
Ding bestimmt sein muß, ausschließlich „für sich“ (a. a. O.) in
den Blick nimmt, zeigt es sich als „einfache Bestimmtheit“
(a. a. O.), die erst der Grund seines Unterschieds von dem
anderen Ding ist. Das Ding wäre so weder für ein anderes, noch
hätte es die Vielheit an sich. Und damit nicht mit dem „ge­
88 J o a c h im H agn er

doppelte[n[ Insofern“ (a. a. O.) beides doch wieder an das Ding


kommt, führt das Wahrnehmen den Unterschied des Wesent­
lichen und des Unwesentlichen ein: Diesen Unterschied hatte
es bislang auf sich und seinen Gegenstand verteilt. Doch da der
Gegenstand jetzt die ganze Bewegung ist, muß auch dieser
Unterschied als ganzer auf ihn übertragen werden: Die ein­
fache Bestimmtheit macht dann „seinen wesentlichen es von
ändern unterscheidenden Charakter“ (a. a. O.) aus, während
die „sonstige mannichfaltige Beschaffenheit das unwesentliche“
(a. a. O.) ist. „Das Ding hat hiemit zwar in seiner Einheit das
gedoppelte Insofern an ihm, aber mit ungleichem Werthe.“ (a. a. O.)
Was das Einssein des Gegenstandes dann dennoch zerstört,
ist nun ausgerechnet dasjenige Moment, welches das Wahrneh­
men als das wesentliche angesetzt hatte: Die einfache Bestimmt­
heit sollte das Ding von dem anderen Ding so unterscheiden,
daß sein Fürsichsein und sein Einssein garantiert sind. Unter­
scheidung bedeutet im Wahrnehmungs-Kapitel immer auch
Negation. Im Falle der einfachen Bestimmtheit durfte es sich
dabei allerdings nicht um die Negation irgendeines „ändern“
(a. a. O.) handeln, weil dadurch notwendig das Füreinanderes­
sein und die Vielheit an das Ding kämen. Die einfache Be­
stimmtheit muß vielmehr als „absolute Negation alles Anders-
seyns“ (a. a. O.) einen entsprechend „absoluten Unterschied11
(a. a. O.) hersteilen. Dam it geht jedoch „das Aufhören des für
sich seyns“ (a. a. O.) und des Einsseins des Dinges einher. Denn
das Ding, das als einfache Bestimmtheit absolute oder „nur sich
auf sich beziehende Negation“ (a. a. O.) ist, negiert sich selbst
und damit auch das Fürsichsein, das es auszeichnen sollte. Und
wo es nicht für sich ist, da kann es in diesem Kontext nur für ein
anderes sein.
Außerdem ist das Ding „für sich seyendes Eins [...] nur, inso­
fern es nicht in [ein]er Beziehung auf andere steht“ (a. a. O.).
Und die geht das Ding gerade durch den absoluten Unterschied
ein, den es als einfache Bestimmtheit vermittels der absoluten
Negation alles Andersseins herstellt. Es „verhält [...] sich zu
ändern, und ist wesentlich nur diß Verhalten; das Verhältniß
aber ist die Negation seiner Selbständigkeit, und das Ding geht
vielmehr durch seine wesentliche Eigenschaft zu Grunde“ .
Dem Wahrnehmen ist es also auch in der dritten Phase seiner
Erfahrung nicht gelungen, durch die Ansetzung der einfachen
D ie W a h rn eh m u n g; o d er das D in g , u n d d ie T ä u sch u n g 89

Bestimmtheit als wesentliches M oment des Dinges und U r­


sache seines Unterschieds von dem anderen Ding seine Sich-
selbstgleichheit, sein Fürsichsein und Einssein zu garantieren.
M it der einfachen Bestimmtheit tritt neben dem Fürsichsein
des Dinges als Eins immer auch das Füreinanderessein und
damit die Vielheit an ihm auf. Der Gegenstand ist „in einer und
derselben Rücksicht das Gegentheil seiner selbst, fü r sich insofern e[r]
fü r anderes, und fü r anderes insofern e[r] fü r sich ist11 (G W 9, 79).
Der Gegenstand ist Eins und Vielheit zugleich. Und damit ist es
zu der zweiten Umkehrung des Bewußtseins innerhalb der Phä­
nomenologie gekommen, an der das Wahrnehmen und sein G e­
genstand zugrunde gehen. Denn „ein fü r sich seyn, welches mit
dem Seyn fü r ein anderes behafftet ist“ (a. a. O.) entspricht nicht
mehr der unmittelbaren, sinnlichen Allgemeinheit, die als ver­
mitteltes Einfaches Gegenstand der Wahrnehmung war. Ein
solches Fürsichsein ist vielmehr „die unbedingte absolute Allge­
meinheit“ (a. a. O.). Und die ist als Kraft Gegenstand des Ver­
standes.

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_________________________________________________4

Joseph C. Flay

H egel’s “Inverted world”

T he “Inverted world” occupies a most crucial position in H e­


gel’s Phenomenology of Spirit: it serves to carry us forward from
the phenomenological examination of appearing consciousness
as pure consciousness, i. e., as pure intentional consciousness
over against a pure intended world, into the examination of
appearing consciousness as self-consciousness. Its importance
cannot be overestimated; for such a movement in the interpre­
tation of the meaning and structure of consciousness is central
to Hegel’s philosophy. We are moved from an “epistemological”
and “intellectualistic” consideration of consciousness as a
“somewhat” which is different in kind from that which is its
object to an examination of consciousness as a living, internal
involvement in the world such that the “knower” cannot be
treated as a mere spectator. Yet it has remained for the most part
one of the most obscure passages in the Phenomenology, a state of
affairs which is usually attributed to the inherent absurdity of
the position outlined in this passage. A verkehrte Welt is, after all,
a topsy-turvy, absurd world.1
I shall suggest in this paper that this “inverted world” is
exactly that: an absurd position. This is not to say that it is to be

1 Jean Hyppolite and H ans-Georg Gadamer must be excepted here. Both have
made sustained attempts to make sense of this passage, the former in a reference to
Christian doctrine and the latter in reference to Plato and Aristotle. M y own
attempt here to comprehend this passage in reference to Kant and Leibniz does
not disagree with either interpretation, but rather supplements them. See H yppo­
lite 1946 and Gadamer 1964. See also H orn 1963 and Goldstein 1988.
92 J o seph C. F lay

ignored or condemned as “fantastic,” but rather that its impor­


tance and intelligibility lay in its very absurdity, in its appearance
as an unintelligible inversion of what previously was taken to
constitute the intelligibility of the world of appearance. More
precisely, I shall suggest that this inverted world is a misunder­
standing and perversion of the conclusion to which we should
have been brought at this point in the Phenomenology. It is
H egel’s intention, underscored by the conditional rather than
indicative construction of this section, that we see this misun­
derstanding as a misunderstanding. When on the other hand
the inversion is correctly understood, it brings to the phenome­
nological “we” undergoing the Bildungsprozess of the Phenome­
nology of Spirit the explicit realization that consciousness is not
merely finite intentionality, but as such is infinite. Consciousness is
self-consciousness, consciousness limited by nothing but itself.

I.

Any attempt to interpret a single section of a philosophical work


is beset with difficulties. In the case of Hegel, it verges on
insanity. An interpretation of the “inverted world” cannot,
therefore, simply stand on its own, but must include in its struc­
ture an interpretation of the whole work of which it is a part.
T he limits of a short essay preclude such an interpretation of the
whole. Nevertheless, I shall attempt an adumbrated version of
an interpretation which hopefully will suffice as a groundwork
for an interpretation of the section of the Phenomenology at
hand.
T he “inverted world” stands near the end of the examination
of understanding-consciousness and its object, force. It com­
pletes the analysis of consciousness seen as intending conscious­
ness over against the world. This examination of consciousness
as consciousness, in turn, stands at the beginning of the exami­
nation of spirit which manifests itself concretely as world history
and as the true substance of the individual. T he latter constitute
the ultimate subject-matter of the Phenomenology of Spirit. What
is important for us, then, is to understand what part the analysis
of understanding-consciousness and force plays in the whole of
the articulation and analysis of spirit.
H e g e l ’s “ In v erted w o rld ” 93

T he task of the Phenomenology is clearly laid out both in its


“Preface” and in the “Introduction” to The Science of Logic. It is
to display the becoming of a science in general, a becoming
which is a journey from immediate spirit or sensible, common-
sense consciousness to authentic knowledge or philosophical
science. T he former is for-itself spiritless: it is in-itself its own
substance, but is not aware of itself as substance nor of this
substance as subject. T he latter, authentic knowledge, is for
itself its own pure concept. It has come to be at home with itself,
having achieved access to being, to the primordial ground of
what-is as such (G W 9, 24; G W 21, 32-34, 54—55). It is neces­
sary to display this becoming primarily because ordinary or
natural consciousness is a being in the world for which philoso­
phy makes no sense. But equally this display is required because
to be science, to be the absolute grasping of absolute knowledge,
the true domain of this science must be existentially embraced,
casting aside the bonds of natural consciousness (G W 9,
431-432). Philosophical science (and this is the only science of
which we here speak) is an absurdity, an unnatural inversion (ein
Verkehrtes), from the vantage point of immediate spirit or natu­
ral consciousness. Thus, the whole task of the Phenomenology of
Spirit is to display and clarify the intelligibility of what appears
at first to be an absurdity (GW 9, 23). Hegel’s remarks here in
the preface demonstrate his view of the necessity for a discus­
sion of inversion and inverted worlds and offer a clue to its place
in the work, namely at that point at which natural consciousness
is forced first to give up its “natural” world. This is at the point
where the analysis of consciousness becomes the analysis of self-
consciousness.
The means by which this task is to be accomplished is equally
clearly indicated. We must undertake a journey of doubt and
despair (GW 9, 56), upon which we pass through our own
substance and world spirit as it has come to be (G W 9, 25-26).
In less figurative language, we are to place our own existence
{Dasein) before ourselves, no longer simply to undergo it but
now to become explicitly aware of what this undergoing entails
in both structure and content. In short, we prepare ourselves for
philosophical science by becoming explicitly aware of the con­
tent and structure of what we nesciently undergo in the many
modes through and in which we maintain ourselves in and
94 J o seph C. F la y

toward the world. In the process of this education we become


aware of the mediation and negativity entailed in any mode of
being in the world. This education, then, is a journey of doubt
and despair, not because we find that all modes except absolute
knowing are false modes a fond, but rather because actuality is
revealed as not immediately accessible in any one mode of being
in and toward the world.
One of the many modes is that of understanding-conscious-
ness. Understanding is a mode in which man faces what-is, not
as sensuous, material being, but as categories or Gedankendinge.
These Gedankendinge are intended as constituting the uncondi­
tioned universal, the absolute ground (Urgrund) of what ap­
pears, and to constitute it such that the distinctions which are
immediately manifest in the various modes of perception and
action are unconditionally grounded and united within an
“objective” realm of “ideas.” Understanding is to be the self­
grounding knowledge of the supersensible ground of the sensi­
ble and is therefore an attempt to hold the “really real” before a
knowing intentional consciousness.
T he phenomenological analysis of understanding-conscious-
ness grows out of the failure of perceptual-consciousness to
ground itself. Perception and the extended world which is its
“object” show themselves as a revelation of a manifold of uni­
ties, spread out in experience within the matrix of perceiver-
perceived. But there is also present in this manifold a unity
which is an unconditioned universal, a spatio-temporal unity
which “holds together” the manifold, extended “this-here-now.”
When common sense (or a philosophical position based on the
postulates that perception is knowledge and that the essence of
what-is is extension) attempts to explicate this its own unity, it
falls either into a mere positing of this unity as a “given” or as
axiomatic, or into a species of deception which equivocates on
the relationship between the various aspects of the one and the
many experienced within the perceptual world. Perception, to
be sure, has successfully grasped the “this-here-now” which
eluded immediate sense awareness, and therefore has “truly
taken” the objects of its world. But such a taking or having of
what-is falls short of its own demands for knowledge; for there
remains a je ne sais quoi which marks perceptual knowledge and
empirical philosophy as abstract rather than concrete know­
H e g e l ’s “ In v erted w o rld ” 95

ledge. Understanding-consciousness purports to overcome this


lacuna with its explicit recognition of and attendance to Gedan-
kendinge as the constituting factors of ultimate reality.
Thus the purpose of the phenomenological analysis of under-
standing-consciousness is to ascertain whether and to what ex­
tent such a mode of being in and toward the world is capable of
being absolute, unconditioned knowledge which comprehends
the absolute, unconditioned “object.” The course of the inquiry
will reveal the negative conclusion that understanding fails in its
task to be absolute knowledge because, like the whole of the
mode of pure consciousness, it presupposes the subject-object
dualism and the primacy of the given. T he positive conclusion,
manifested by a discussion of the inverted, absurd world, will be
a dialectical recognition of the truth that consciousness is self-
consciousness, i. e., that consciousness is an involvement in and
toward the world in which subject and object mutually implicate
each other as a duality which arises out of an original unity rather
than as a pre-given dualism which then has to be unified.
With this brief outline of the problematic and thematic out of
which and for which the consideration of understanding arises,
we can now turn to the question of the structure of the examina­
tion of this mode of consciousness which leads to the considera­
tion of an inverted, absurd world.2

II.

In the process of the examination of understanding we find a


movement embracing two fundamental stances. T he first is a
stance or mode of knowing and being in which the essence of
what-is is to be found in a supersensible realm transcendent to
the knower and constituted as a kingdom of laws which remains
static and unaffected by change. T his arises simply as a demand
o f the dialectic of perceptual appearance. Appearance itself
stands “between” the knower and the intelligible reality in vari­
ous ways. Ultimately appearance is constituted as extension and
motion and the mundus intelligibilis as non-sensuous force

2 For a more detailed account of my view of the section on Consciousness and of


the whole o f the Phenomenology see Flay 1984.
c)6 J o seph C. F lay

(Kraft). T his is the first supersensible world and entails the


denial of extension and of the perceptual world as a matrix of
this-here-now as ultimate reality.
Clarification of this position comes with an examination of
Leibniz’ position, especially as shown in his “New System of
Nature and of the Communication of Substances,” Sections 2
and 3 (Leibniz 1960 b). As will be seen below, I am attempting
to understand this chapter in the Phenomenology as a “discus­
sion” between Leibniz and Kant. A careful comparison of the
Leibniz work just referred to, together with the beginning sec­
tion of “Understanding” on extension and force - a task which is
beyond the confines of the present, brief essay - would show
that Hegel has in mind here essentially the position of Leibniz.
T his view would be further supported by a consideration of
Hegel’s remarks on Leibniz in the Vorlesungen über die Geschichte
der Philosophie (T W 20, 233-255).
On the view represented here, instead of vacillating between
perceiver and perceived or between the various manifestations
of oneness and manyness, we attempt to hold the totality of the
process of this world “as at once inseparably united in regard to
the process of grasping the truth” (GW 9, 84-8 5).3 We have as
our phenomenological object a stance of intentional conscious­
ness which holds before itself the metaphysical, non-sensuous
“inner of things” constituted as force (GW 9, 85). We are exam­
ining a mode of consciousness which attempts to comprehend
what-is as such and in totality in its a priori, non-sensuous
ground.
This first supersensible world, however, fails to be an uncon­
ditioned, but instead involves us with a distinction between
inner and outer of things, a distinction between appearance and
reality which itself calls for a ground. On the one hand, appear­
ance is constituted by the play or manifestation of forces and
consequently is a realm of change. This is in fact the same world
which perceptual consciousness holds before itself. On the other
hand, reality is constituted by an objective realm of law, a king­
dom of laws which ground appearance and the changing, but
which is itself unaffected by change.

3 Cf. Leibniz’ discussion of perception and apperception in the New Essays on the
Understanding, Bk. IV, chaps. 1 4 (Leibniz 1960 a).
H e g e l ’s “ In v erted w o rld ” 97

T he question arises: Wherein lies the necessity of these laws


in respect to the world of appearance? If we re-examine what
such a consciousness is undergoing we find that it is involved in
a process of explanation {Erklären), duplicating the world of
appearance, but placing this world under the rubric of un­
changeable law. This first supersensible world is “the immediate
and unmediated raising of the perceptual world into the element
or realm of universality; it has its necessary counterpart and
antitype in the perceptual world which still retains for itself the
principle of alteration and succession” (GW 9, 96-97). In short,
understanding in this stance does nothing but repeat the consti­
tution of the manifold or the world of appearance under the
form of universality and necessity. It involves itself in a tautolog­
ical process, and “is an explanation [Erklären] which not only
clarifies nothing [nichts erklärt], but rather is so clear [klar\ that,
when it prepares to say something different from that already
said, it says nothing and merely repeats again the same thing”
(G W 9, 95). T he “clearing” that is made is the same as that
which is to be cleared. But there is here a positive result as well:
“Through the process nothing new arises in reference to the
state of affairs itself, but the process is of importance only as a process
of the understanding “ (a. a. O.). With this realization conscious­
ness “has crossed over from the inner as object to the other side
within understanding” (a. a. O.).
The second supersensible world, and the second major stance
for understanding-consciousness has arisen for us. T he essence
of what-is is now to be found in the understanding itself, consti­
tuted such that its laws embrace change and distinction within
unchanging universality. Appearance itself is taken up into this
realm, or better, has already been taken up into it, since the
phenomenological analysis of perception yielded the truth of
perception as an indissoluble matrix of perceiver-perceived.
The “collapse into the one side” now introduces the uncondi­
tioned universal, the inner for knowledge and being, as appear­
ance. “T he supersensible is the sensible and the perceptual
posited as they are in truth; the truth of the sensible and percep­
tual is, however, to be appearance. T he supersensible is there­
fore appearance as appearance” (G W 9, 90). A distinction is
here made between appearance as Schein, as things appearing,
and, on the other hand, appearance as appearance: Erscheinung
98 J o seph C. F lay

als Erscheinung. Hegel has articulated this distinction and its


importance for us here most clearly in the preface: “Appearance
is the process of arising into being and passing away, a process
which itself does not arise and does not pass away, but which is
in-itself and constitutes the actuality and the process of the life
of truth” (GW 9, 35). T hat is to say, appearances appearing
constitute the positivity of appearance itself which in turn is
their ground as process itself. Appearance, the self-containment
of coming into being and passing away, is the truth which we
have named the unconditioned universal. Appearance as such,
then, and the second supersensible world, are one and the same.
There now follows a rather closely packed discussion of the
result of the movement to this second supersensible world.
From the realization that explanation is nothing but the expla­
nation of appearances whose ground lies in understanding itself
(that is to say, in being in and toward the world of appearance in
this mode of consciousness), we come to the realization that the
realm of law (non-change, permanence through manyness) and
the realm of change (appearances, manifold occurrences) are
one and the same for consciousness. Yet at the same time the
distinction is maintained between that which happens (the ap­
pearing of appearances) and the laws, rules, and principles as
well as the ground for that which happens.
“Understanding thus learns that it is a law for the sphere of
appearance for distinctions to come about which are no distinc­
tions. In other words, it learns that what is self-same or like-
named is repelled from itself; and precisely therefore that the
distinctions or differences are only such that they are in truth no
distinctions and are transcended yet preserved in the whole: or
that what is not self-same or what is unlike-named is absorbed.”
(GW 9, 96).
It is at this point where we reach a contradictory state of
affairs and the discussion of the “inverted world” arises. T he law
of appearance itself seemingly destroys the sought-after unity
and stability which is to constitute lawfulness. Laws as well as
the concept of law itself embrace an identity in difference and a
difference in identity.
H e g e l ’s “ In v erted w o rld ” 99

III.

Before proceeding now to a discussion of this “inverted world,”


I should like to lay some groundwork with a glance toward
Kant. I suggest that in the movement from the first to the
second supersensible world (and their respective consciousnes­
ses) we have undergone, by means of a dialectical critique of the
first supersensible world, a phenomenological counterpart to
Kant’s Copernican revolution and the proofs for its necessity
which are contained in the transcendental deduction.4 T he law
expressed by the understanding is to be the law of the inner of
things, i. e., of the ground and essence of appearances. Insofar
as consciousness is concerned, the realm of appearance as it
stands for perceptual consciousness cannot ground itself. But we
have also found, in the discussion of the first supersensible
world (which both Kant and Hegel ascribe to Leibniz), that a
supersensible beyond cannot ground appearance either, but is
only the immediate taking up of what occurs sensuously and
perceptually into an intelligible, non-sensuous world. Yet either
there must be an intelligible, unconditioned realm or we are
abandoned to the ungrounded “knowledge” of the perceptual
world. If the latter is the case, our inquiry is at an end and, while
we certainly have “natural knowledge” and can and do operate
with concepts of necessity and laws, we are nonetheless con­
demned to the philosophical skepticism of Hume.
Kant’s “transcendental turn” had arisen from the same dilem­
ma and he proffered his alternative to the positions of Hume
and Leibniz. With the transcendental deduction he laid the
groundwork for the ultimate principle of understanding: “Every
object stands under the necessary conditions of synthetic unity
of the manifold of intuition in a possible experience” (Kant
1911, A158, B197). T he pure principles of understanding then

4 It might be added here that such a suggestion is possible is attested to by H egel


himself in the Preface, namely that we are to re-traverse the path already taken by
world spirit in such a way that we make it our own. See G W 9, 24-26. Leibniz and
Kant play a major role in the introductory chapters of the Encyclopedia where, in
more didactic form, a preparation for the Logic is made. M y suggestion that it is
Leibniz and Kant that are here being “repossessed” can be established only by
evidence which I hope will become manifest in the remainder of this paper.
io o J o seph C. F la y

articulate the meaning of this ultimate principle and establish


Kant’s version of the law of appearance.
“T h at there should be principles at all is entirely due to pure
understanding. N ot only is it the faculty of rules in respect to
that which happens, but is itself the source of principles accord­
ing to which everything that can be presented to us as an object
must conform to rules.” (Kant 1911, A158-59, B197-98)
T hat is to say: through the principles of the understanding
the forms of the manifold as manifold and the structure and very
possibility of this manifold as objective experience (empirically
real and transcendentally ideal) are brought together in such a
way that both the stability and the instability of the world are
grounded in understanding itself. Neither necessity nor contin­
gency, thought nor intuition, spontaneity nor givenness are prior
to the other; each without the other is abstract, and it is this that
the analytic of principles rectifies. Thus the unity of the spatio-
temporal world and the constituting syntheses of knowledge
yield the law of appearance which we must now repeat:
“T he highest principle of all synthetic judgments is therefore
this: every object stands under the necessary conditions of syn­
thetic unity of the manifold of intuition in a possible experi­
ence.” (Kant 1911, A158, B197)
Kant has now established the ground for both knower and
known. But in spite of the fact that “we have now not merely
explored the territory of pure understanding, and carefully sur­
veyed every part of it, but have also measured its extent, and
assigned to everything in it its rightful place” (Kant 1911, A2 35,
B294), Kant finds it necessary to follow with a two-fold discus­
sion: namely that of “T he Ground of the Distinction of All
Objects in General into Phenomena and Noumena” and “T he
Amphiboly of Concepts of Reflection.” A question arises here
concerning why this analysis occurs between the “Transcenden­
tal Analytic” and the “Transcendental Dialectic”. T hat is, why, if
we have so completely articulated and established the law of
appearance, can we not simply proceed to expose the nature of
the misuse of pure reason and explicitly attack previous meta­
physics as a “logic of illusion”?
Kant’s answer to this question is the following. He argues that
although we have indeed “assigned everything its rightful place”
and are now prepared to “explore the sea of illusion surrounding
H e g e l ’s “ In v erted w o rld ” io i

the island of truth” (Kant 1911, A235-36, B295), in order to


help strengthen our conviction we might first give a summary
statement of what has been explored and demonstrate that we are
under compulsion to accept its findings. This demonstration can
reveal to us “by what title we possess even this domain, and can
consider ourselves as secured against all opposing claims” (Kant
1911, A236, B295). This is accomplished, not by an actual
summary of the “Transcendental Analytic,” but (1) by under­
scoring the distinction between phenomena and noumena, and
marking the difference between this distinction and that offered
by Leibniz between mundus intelligibilis et mundus sensibilis and
(2) by discussing an amphiboly which arises when understand­
ing does not make this distinction properly in its own employ­
ment.5 In other words, the reason for the insertion of these two
sections is to articulate the difference between the intelligibility of the
world in Kant’s own doctrine of experience and that of the mundus
intelligibilis of Leibniz.
Kant argues here that if the critique contained in the “Trans­
cendental Dialectic” and the exposition offered in the “Trans­
cendental Doctrine of M ethod” is to be correctly understood,
we must comprehend how and to what extent the critical system
differs from conventional metaphysics: namely that there is in
critical-transcendental philosophy no external distinction be­
tween worlds or between aspects of the same world. While
“Leibniz erected an intellectual system of the world, or rather
believed that he could obtain knowledge of the inner of things
by comparing all objects merely with the understanding and
with the sundered, formal concepts of its thought, [...] [leav­
i n g - J F ] sensibility [...]only a confused mode of representa­
tion [...] of the thing in itself (Kant 1911, A270, B326), Kant
himself has articulated an “intelligible world” in which “the
condition of the objective employment of all our concepts of
understanding is merely the mode of our sensible intuition, by
which objects are given to us” as a manifold (Kant 1911, 286,
B342). Previous metaphysics were involved in “a transcendental
amphiboly, that is, a confounding of an object of pure under­
standing with appearance” (Kant 1911, A270, B326).

5 In both sections it is Leibniz to whom Kant opposes himself.


10 2 J o seph C. F la y

W hat is clarified here is that the concept as concept of the


understanding is indeed the same as the inner of things; but
what ‘inner’ means here is not the same as what it meant for
Leibniz and his predecessors. T he distinction between inner
and outer, appearance and supersensible, is no longer a distinc­
tion insofar as knowledge is concerned in its own appearing. My
object is no longer a supersensible, merely intelligible “beyond”
which is a transcendent intended by intentional consciousness;
rather understanding itself is the totality of the ground of the
object as object. Understanding is not subjective, but “em­
braces” the subjective-objective distinction. To be sure, Kant
does not offer H egel’s move from consciousness to self-con-
sciousness, but it can be argued that he laid the ground for this
move.6
“In dealing with appearances I shall always be obliged to
compare my concepts, in transcendental reflection, solely under
the conditions of sensibility; and accordingly space and time will
not be determinations of things-in-themselves but of appear­
ances. W hat the things-in-themselves may be I do not know,
nor do I need to know, since a thing can never come before me
except in appearance.” (Kant 1911, A276-77, B332-33)
Given the explicit articulation of this difference Kant can now
proceed to his arguments concerning the nature of the mistaken
transcendent application of understanding-consciousness. T he
radical turn from transcendence to immanence has been made
the focal point, underscoring and justifying his claim for a
“Copernican revolution.”

IV

I have suggested that we can gain some comprehension of


Hegel’s treatment of understanding by turning our attention to
Kant. In particular, I have suggested that the dialectical move­
ment from the first supersensible world to the second can be
seen as H egel’s version of Kant’s rejection of both Leibniz and

6 On this, see Kant’s discussion of self-consciousness at B139. Hegel, at any rate,


saw Kant in this way. See his discussion of this in his lectures on Kant in his
Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (T W 20, 332).
H e g e l ’s “ In v erted w o rld ” 10 3

Hume and his articulation of his own transcendental position.


I have now offered an interpretation of the meaning and sub­
stance of the two sections which separate the doctrine of princi­
ples from the transcendental dialectic: namely, that it was im­
portant for Kant to underscore and argue for the difference
between his own “transcendental” position and that metaphy­
sics which constituted previous attempts to offer the uncondi­
tioned. Finally, I have suggested that this “clarification” on the
part of Kant lays the ground for the argument that conscious­
ness is self-consciousness.
M y purpose for discussing Kant’s phenomena-noumena dis­
tinction and his discussion of the amphiboly was to allow the
following further suggestion: Hegel has made the same clarifica­
tion in his discussion of the inverted world that Kant made in these
sections of the Critique of Pure Reason just discussed.
At the point at which we left the Phenomenology the contradic­
tions produced by the law of appearance were introduced. If I
may repeat this passage:
“Understanding thus learns that it is a law for the sphere of
appearance for distinctions to come about which are no distinc­
tions. In other words, it learns that what is self-same or like-
named is repelled from itself; and precisely therefore that the
distinctions or differences are only such that they are in truth no
distinctions and are transcended yet preserved in the whole: or
that what is not self-same or what is unlike-named is absorbed.”
(GW 9, 96).
A second law (and second supersensible world, since under­
standing now gives the law of the inner world) now arises in
which what was “formerly characteristic of the sphere of ap­
pearance, and lay outside the inner world, [finds - JF] its way
into the region of the supersensible itself’ (G W 9, 95). T he
mundus intelligibilis et mundus sensibilis, the unchanging and the
changing, the one and the many, the identical and the different,
are now of one and the same domain as opposed to the differing
domains of the first supersensible world. Yet this single domain
which we have now reached is identified as the inner of things,
the ground of appearance itself. And this world first appears as a
second supersensible world, with a second law of appearance
which is both absurd and the inversion and perversion of the
first. T he reason for the perversion and inversion is that all
10 4 J o seph C. F la y

distinction is internal distinction: the one is many and the many


are one.
It is at this point that a demand is made that “thoughtlessness
brings both laws together and becomes aware of their opposi­
tion. To be sure the second is also a law or an inner, self-like
Being, but a self-likeness rather of unlikeness, a constancy of
inconstancy” (G W 9, 96). T hat is to say: we cannot thoughtless­
ly continue to interpret this second supersensible world as the
first was interpreted; they are generically different. The discus­
sion of the second world and its law as inverted, perverted, and absurd
is the articulation of this distinction, demonstrating what would be
the case were this second domain of intelligibility, containing
contradiction, truly a second, supersensible world standing over
against either appearance of the first supersensible world. T he
absurdity is brought to a halt when we are reminded of the
actual nature of this second law of appearance: to wit, that the
“distinctions between inner and outer, appearance and the su­
persensible, as two actualities, is no longer a distinction which is
here present” (GW 9, 97-98, italics mine JF).
T he task to be accomplished is the same as Kant’s discussed
above. T he difference is that it is carried out, not by directly
insisting upon the difference as such, but by drawing absurd
conclusions which follow when the distinction between the old
metaphysics (the first supersensible) and the new position (the
second supersensible) is not made. Without the distinction ab­
surd contradictions follow and the “second supersensible world”
in fact only serves to make unintelligible the world of appear­
ance which it purports to ground and make intelligible. Sour
becomes sweet, N orth Pole becomes South Pole, crime be­
comes a good, punishment becomes a benefit, etc., because the
changing and the unchanging are of the same domain and at the
same time predominantly law, i. e., unchanging necessity.7 Inso­
far as the changeable perceptual world is this second, supersen­
sible, lawful world, instability, change, and difference are no
more or less a proper constituent of this domain as are stability,
changelessness, and identity. Differences and therefore identi­
ties, as traditionally interpreted, become meaningless. T he law

7 Zimmerman 1982, 369 offers a criticism of this point. However, I think that I
have taken into account all the things he thinks that I have omitted.
H e g e l ’s “ In v erted w o rld ” 10 5

of this second supersensible domain, as here misinterpreted, is in


fact lawlessness.
When, however, the distinction is made as it really now is -
namely as internal distinction - the supersensible as supersen­
sible disappears. It is not the case that sweet is sour, North Pole
is South Pole, wrong is right, etc., but rather that they deter­
mine each other, necessarily standing in a self-defining relation­
ship. This is the law of appearance, the dialectical constitution
of internal definition and determination. Law is within the realm
of appearance itself and thus changing appearance is uncondi­
tioned or self-conditioned.
“Thus the supersensible world, which is the inverted, per­
verse world, simultaneously overreaches the other supersen­
sible and has the other in itself; the supersensible world is for
itself inverted, that is, is the inverted of itself. It is itself and its
opposed world within one unity. Only thus is difference as inner
difference, or difference in reference to itself: it is infinity”
(GW 9, 99).
The Gedankendinge are within experience itself, constituting
the world as it is in experience, and in particular in explanation.
Understanding-consciousness is therefore infinite because lim­
ited by nothing but itself. T hat is to say: since the distinction
between the manifold of perception, extended and in flux, and
the lawful, ordered understanding is itself only a distinction
within consciousness itself, there is no supersensible and trans­
cendent some-what over against consciousness itself. As Kant
had also said, but Hegel now gives its strongest interpretation:
“W hat the things-in-themselves may be I do not know, nor do I
need to know, since a thing can never come before me except in
appearance” (Kant 1911, A276-77, B332-33). For Hegel, the
structure and meaning of the intending (Meinen) and the “this”
(Dieses) with which the analysis of consciousness began is wholly
within consciousness. T> say now that consciousness is aware of
itself as inverted is to say that it is aware of this immanent
transcendence and thus can come, phenomenologically, to the
awareness of being self-awareness, self-consciousness, Selbstbe-
wufitsein.
Thus, the inverted, absurd world remains inverted and absurd
from the point of view of a pure attitude of consciousness where
the knower stands over against and transcendent to the objec­
io 6 J o seph C. F la y

tive appearance and the supersensible which grounds this ap­


pearance. But when the limits of consciousness are explicitly
brought before us, when there is awareness of an inversion and
perversion of this duality and a collapse of the knowing and the
knowable into experience as such, then the absurdity evapo­
rates. With this “evaporation of the absurdity” we have made
that crucial step forward toward absolute knowledge and philo­
sophical science. We have brought into radical question the
common sense, natural attitude (which, as Hegel has already
pointed out in the Preface, holds science to be absurd and
perverse) that objects and truth are an sich and other than con­
sciousness (G W 9, 103).

At this point, of course, the parallel with Kant begins to disinte­


grate. And well it should; for if Kant had pursued the argument
further, the history of German idealism would have been differ­
ent. H egel’s argument to the end of this section on understand­
ing rounds out the transition to the realization that conscious­
ness is self-consciousness. We cannot follow this out here.
I hope only to have thrown some light on a difficult and
obscure but crucial passage in H egel’s Phenomenology of Spirit.
I have suggested and tried to show that this obscurity lay in its
absurdity and that this absurdity is the result of a dialectical
argument in which, by means of a reductio argument based upon
the suppression of a vital difference, Hegel shows two things:
(1) a misinterpretation in which the immanence of difference in
a transcendental philosophy is treated as a transcendence, and
(2) the correct understanding of this position from which we are
led to the principle of idealism. Both are demonstrated by argu­
ing that the distinction between appearance and a supersensible
unconditioned is a mistake. I have suggested that a backward
glance at Kant’s distinction between phenomena and noumena
and the discussion of the amphibolies of reflection would help to
make Hegel’s intention clear.
H e g e l ’s “ In v erted w o rld ” 10 7

Bibliography
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Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, Band V, Hildesheim.
Leibniz, Gottfried 1960 b: Système nouveau de la nature et de la communication
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Zimmerman, R. 1982: H egel’s Inverted World Revisited. In: T h e Philosophical
Forum, 13,342-370.
5
Ludw ig Siep

Die Bewegung des


Anerkennens in der
Phänomenologie des Geistes

Das IV. Kapitel der Phänomenologie des Geistes gehört zweifellos


zu den wirkungsmächtigsten des gesamten Werkes. Vor allem
im Marxismus und der französischen Existenzphilosophie sind
die Themen von Begierde und Kampf, Herrschaft und Knecht­
schaft, Arbeit und unglücklichem Bewußtsein rezipiert, disku­
tiert und oft zur Grundlage der gesamten Hegel-Interpretation
gemacht worden.1 In der Gegenwart war es vor allem der Be­
griff des wechselseitigen Anerkennens, der ein prinzipielles In­
teresse der Interpreten auf sich gezogen hat. Man hat in diesem
Begriff das Prinzip der praktischen Philosophie Hegels über­
haupt2 und über Hegel hinaus den Grundbegriff der „mora­
lischen Grammatik sozialer Konflikte“3 oder der marktwirt­
schaftlichen Demokratie4 gesehen.
Im folgenden soll zunächst die Bedeutung des Begriffs Aner­
kennung für den ersten Abschnitt (A.) des Selbstbewußtseins­

1 Am wirksamsten wohl bei Kojéve, A. 1947: Introduction a la lecture de Hegel.


Paris, repr. 1968 (deutsche Auswahl unter dem Titel „.Hegel. Eine Vergegenwärti­
gung seines Denkens11, hg. von I. Fetscher, Frankfurt 1975). Kritisch dazu Gadamer,
H . G . 1973: Hegels Dialektik des Selbstbewußtseins. In: H . F. Fulda, D. Henrich,
Materialien zu H egels „Phänomenologie des Geistes“ . Frankfurt, 217-242 (bes.
Anm. 4 u. 6) sowie Pöggeler, O. 1973: Zur Deutung der Phänomenologie des Geistes.
In: ders., Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg/München, 189 f.
2 V gl. Siep, L . 1979: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Untersu­
chungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes. Freiburg/München.
3 Vgl. Honneth, A. 1992: Der Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik
sozialer Konflikte. Frankfurt.
4 V gl. Fukuyama, F. 1992: Das Ende der Geschichte. München.
n o L u d w ig S ie p

kapitels (I) und dann für den weiteren Verlauf der Phänome­
nologie erörtert werden (II). Dann gehe ich auf die neueren
grundsätzlichen Adaptationen des Begriffes Anerkennung
ein (III).

I.

In der Phänomenologie des Geistes geht es um das Verhältnis von


„Wissen“ und „Gegenstand“ - modern gesprochen könnte man
sagen, um die „ontologischen Implikationen“ (ontological com­
mitments) die in jeder Auffassung von Erkenntnis stecken. Sie
sind in den Auffassungen vom Gegenstand des Wissens ebenso
enthalten wie in den Maßstäben und Kriterien für „eigent­
liches“ (objektives, angemessenes, „wissenschaftliches“) Wissen
selber. Beim letzteren kann man an Putnams Kriterien der ratio­
nalen Akzeptierbarkeit denken.5
„Wissen“ wird aber von Hegel in einem ganz weiten Sinne
gefaßt: Es gehören dazu alle Ansprüche auf Wahrheit - nicht
nur theoretische Ansprüche, etwas Wahres auszusagen, sondern
auch die Gewißheiten des praktischen Lebens, der Moral und
Religion, ja sogar die Ansprüche „wahrer“ Kunstwerke und
gerechter Institutionen. Die Frage ist, welche Aufassung der
„eigentlichen“ Wirklichkeit oder der Realität (auch der geisti­
gen) darin bewußt angenommen oder eben implizit vorausge­
setzt ist. Und vor allem: Wie gehört das Wissen, nicht nur sein
Inhalt, sondern auch die subjektive Gewißheit selber zu dieser
Wirklichkeit? Das Resultat, auf das Hegel hinaus will, ist die
Unhaltbarkeit der Unterscheidung von Wissen und Gegen­
stand, Subjektivität und Realität selber. Die eigentliche Realität,
das „Absolute“ , erweist sich als ein System von Begriffen und
logischen Relationen, die sowohl objektiv wie subjektiv, wirklich
wie „für sich“ bzw. geistig sind.
Zum Bewußtsein gehört selber der Versuch, sich zu vergewis­
sern, ob eine Auffassung von der Wirklichkeit adäquat ist, sich
im Handeln und im Vergleich mit der Meinung anderer be­
währt. Man kann nach Hegel diesen „Erfahrungstest“ auch auf

5 Vgl. Putnam, H . 1982: Vernunft, Wahrheit und Geschichte (übers, v. J. Schulte).


Frankfurt a.M., 176.
D ie B ew egun g d es A n erken n en s iii

die Fragen der impliziten Ontologie und der Wissensstandards


anwenden. Die Frage lautet dann, ob sich beim Erwerb oder der
Aussage des Wissens die Maßstäbe bewähren, die für wahres
Wissen und objektive Realität aufgestellt worden waren. Nach
Hegel lassen sich sogar große Teile der menschlichen Kultur­
geschichte als solche Erfahrungsprozesse „lesen“. Freilich muß
der Philosoph sie dazu in Sequenzen ordnen, die nicht immer
dem faktischen Verlauf entsprechen. Das gelingt ihm letztlich
nur, weil er in den historischen Erfahrungsprozessen bereits die
logischen Beziehungen und begrifflichen Relationen erkennen
kann, die die absolute, durch keine einseitige Metaphysik oder
Wissenschaftstheorie mehr verzerrte Wirklichkeit ausmachen.6
Im Verlaufe der kritischen Prüfung von Positionen, die auf
den Gegensatz zwischen Wissen und Gegenstand - beide im
erwähnten weiten Sinne genommen - „eingeschworen“ sind, ist
man am Anfang des Kapitels „Selbstbewußtsein“ zu der These
gelangt, daß das Selbstbewußtsein die eigentliche Realität aus­
macht. Hegel schickt dem Fortgang der Prüfungs- oder Erfah­
rungsgeschichte eine größere, ziemlich kompliziert gegliederte
Einleitung voraus (TV vor Abschnitt A., G W 9, 103-109). In
dieser wird zunächst das Resultat der bisherigen Prüfung aus
der Sicht des resümierenden Philosophen charakterisiert. Und
zwar zunächst von der Seite des Wissens, dann von der der
„Realitätsauffassung“ (der Ontologie des Lebens, G W 9,
104-107).
Verwirrend ist, daß Hegel dann bereits eine „Erfahrung“
(G W 9, 107 f.) darstellt, durch die erst der „Begriff“ des Selbst­
bewußtseins vollendet sei: die Erfahrung der Begierde. Sie ist
ein Versuch, die alleinige Realität des Selbstbewußtseins da­
durch zu erweisen, daß die sinnliche Welt gänzlich für die
Selbstbestätigung im Genuß „instrumentalisiert“ wird. In der
„Handlungserfahrung“ ergibt sich aber, daß eine wirkliche und
dauerhafte Befriedigung des begehrenden Selbst (nicht der bloß
dumpfen, animalischen Begierde) nur in einem lebendigen, sich
selber durch den Genuß hindurch erhaltenden und behaupten­
den „Gegenüber“ möglich ist.7 Damit gewinnt die These von

6 V gl. Marx, W 1971: Hegels Phänomenologie des Geistes. Die Bestimmung ihrer Idee
in „Vorrede“ und „Einleitung“. Frankfurt a.M., vor allem Kap. VI.
7 V gl. dazu die plastische Interpretation bei Gadamer 1973, 225 f.
in L u d w ig S ie p

der Realität des Selbstbewußtseins erst die Stufe, die dem Ende
der Erfahrungsgeschichte des Bewußtseins in den ersten Kapi­
teln adäquat ist: daß nicht nur das Subjekt für sich, sondern die
von seinen Wünschen und Vorstellungen unabhängige, blei­
bende, „objektive“ Gegenständlichkeit den Charakter von Sub­
jektivität oder Selbstbezogenheit hat.
Die daran anschließende Betrachtung des Begriffes des Selbst­
bewußtseins (G W 9, 108 f.) geschieht aber wiederum aus der
Perspektive des Philosophen (G W 9, 109 „für uns“) und zeigt
in dem Erreichten bereits die Struktur des Geistes, eines kollek­
tiven Selbstbewußtseins, in dem individuelle Subjekte („ver­
schiedene für sich seiende Selbsbewußtsein“) sich „in vollkom­
mener Freiheit und Selbständigkeit ihres Gegensatzes“ entwik-
keln können (a. a. O.). Diese Einheit von „Ich, das Wir, und
Wir, das Ich ist“ erweist sich später als die vollendete Anerken­
nung im rechtlichen, sittlichen, religiösen und philosophischen
Leben eines Volkes.
In der an diese Einleitung des IV Kapitels anschließenden
Prüfung von „Gestalten“ des Selbstbewußtseins - d. h. Positio­
nen, die die These von der eigentlichen Realität des Selbstbe­
wußtseins vertreten - geht Hegel aber mehrere Schritte zurück.
Er beginnt mit einer neuen begrifflichen Exposition der inter­
subjektiven Struktur des Selbstbewußtseins, die er ausdrücklich
„Bewegung des Annerkennens“ (a. a. O.) nennt. Auch dieser
Struktur entsprechen die folgenden Erfahrungen (die G W 9,
110 u. mit dem Satz beginnen „Das Selbstbewußtsein ist zu­
nächst einfaches Fürsichsein“) nur erst teilweise, vor allem nur
„asymmetrisch“ .
Auf die komplizierte Exposition dieser Struktur will ich zu­
nächst kurz eingehen. Vorauszusetzen ist dabei, daß nach dem
HI. Kapitel („Kraft und Verstand“), das sich mit der Naturwis­
senschaft und Naturphilosophie des 16. bis 18.Jahrhunderts
befaßt hatte, sowohl die (eigentliche) Realität wie das Selbst­
bewußtsein grundsätzlich durch eine Struktur gekennzeichnet
sind, die Hegel „Unendlichkeit“ nennt. Sie besteht darin, daß
etwas durch sich selbst in sein Gegenteil übergeht oder sein
Gegenteil „ist“ . Wie Hegel das an den Begriffen und Prozessen
der Natur, verstanden als ein durch Gesetze geordnetes Kräfte­
spiel, dargelegt hat, kann hier nicht erörtert werden. Wichtig
ist, daß sowohl Selbstbewußtsein überhaupt wie individuelles
D ie B ew egun g d es A n erken n en s 113

Selbstbewußtsein diese Struktur besitzen, die Hegel bei der


Erörterung der Bewegung des Anerkennens „Doppelsinn“
nennt. Er besteht darin, daß jedes selbstbewußte Wesen in ge­
wisser Weise seine Identität in einem anderen selbstbewußten
Wesen hat, aber dieses „Anderssein“ seiner selbst auch negieren
muß. Es muß sich durch Ausgrenzen wiedergewinnen und das
andere dadurch zugleich „frei entlassen“ . Aber es kann das nicht
allein durch eigenes Handeln, sondern das andere muß den
gleichen Prozeß für sich bzw. „durch es selbst“ vollziehen.
Hegel nennt das den Doppelsinn des Tuns, „ebensowohl sein
Tun als das Tun des Anderen zu sein“ (GW 9, 110).
Wollte man diese Struktur der Intersubjektivität oder des
sozialen Wesens des Selbstbewußtseins in modernen Termini
vereinfachend wiedergeben, so könnte man sagen, daß das Wer­
den und die Veränderung eines selbstbewußten Wesens nicht
ohne Erwartungen (bzw. „Erwartenserwartungen“), Anstöße,
Reaktionen, Bestätigungen etc. von „Partnern“ möglich ist. Be­
wußtsein der eigenen Individualität, das hatte schon Fichte in
seinem Naturrecht von 1796 zu „deduzieren“ versucht, setzt
Interaktionen und wechselseitige Verstehensprozesse zwischen
Individuen voraus. Hegel versucht schon in den Jenaer Schrif­
ten eine bestimmte Sequenz von Interaktionen aufzuweisen, in
der sich ein individuelles Selbstbewußtsein „bilden“ kann. Eine
solche Sequenz hegt offenbar auch der Erörterung der Bewe­
gung des Anerkennens in der Phänomenologie zugrunde. Jeden­
falls kann man sich die Stufen dieser Bewegung eigentlich nur
anhand solcher Interaktionen klarmachen.
Merkwürdig ist aber, daß Hegel für die erste Stufe in der
Phänomenologie keine entsprechende Gestalt darstellt. „Es ist
für das Selbstbewußtsein ein anderes Selbstbewußtsein; es ist
außer sich gekommen“ (GW 9, 109) - dabei könnte man noch
an die Erfahrung der Begierde denken, die Hegel gerade disku­
tiert hat. Sie hatte ergeben, daß eine dauerhafte Selbstbestäti­
gung nur in einem Gegenüber möglich ist, das selbst entschei­
dende Charakteristika des Selbstbewußtseins hat (Lebendigkeit,
Fähigkeit, sich in der Beschränkung oder „Negation“ seiner
selbst zu erhalten etc.). Man muß diese Erfahrung aber schon
sehr weit auslegen - und zwar in Hinsicht darauf, was der frühe
Hegel nicht Begierde, sondern Liebe nannte -, um darauf die
Kennzeichnungen anwenden zu können, die Hegel im folgen­
ii4 L u d w ig S ie p

den von der ersten Stufe der „Bewegung des Anerkennens“


gibt: sich „als ein anderes“ zu erfahren und in diesem anderen
zugleich „sich selbst“ zu sehen. Daß man sich selbst in der
hingebenden Selbstvergessenheit an den anderen „verloren“
hat, läßt sich an der nicht nur begehrenden, sondern empfin­
denden Liebe aufweisen - ebenso auch der Sachverhalt, daß es
einem in den Gefühlen des Anderen um sich selbst geht, näm­
lich um das Geliebt- und darin Anerkanntwerden.
Für die zweite Phase der Bewegung des Anerkennens, die
sowohl diesen Selbstverlust wie die Vereinnahmung des anderen
rückgängig macht bzw. „aufhebt“, kann man in der Phänome­
nologie dann die Erfahrung des Kampfes heranziehen, deren
Struktur hier gewissermaßen vorgezeichnet ist. Allerdings sind
beim Kam pf um Anerkennung die Momente zu unterscheiden,
die Hegel hier ineinsfallen läßt: das Anderssein als das Hängen
an der eigenen sinnlichen Existenz und ihren Bedürfnissen und
Freuden einerseits; der Andere, der einem die eigene Identität
und Individualität sowohl bestreitet wie bestätigen muß, auf der
anderen Seite.
Daß dieses Aufheben des Anderen und des Andersseins eine
„Rückkehr in sich selbst“ ist, die nicht nur die eigene Identität
und Selbständigkeit aus der Abhängigkeit vom anderen zurück­
gewinnt, sondern auch diesen anderen wieder frei entläßt, wird
aber nicht mehr im Selbstbewußtseinskapitel „erfahren“, son­
dern erst im „Geist“ . Es zeigt sich nämlich, daß die Anerken­
nung selbstbewußter und selbständiger Wesen nur in einem
gemeinsamen Selbstbewußtsein möglich ist, das in Institutionen
„substantialisiert“ ist und sich im Leben und Bewußtsein der
Individuen bestätigt findet. Für die „interpersonale“ Anerken­
nung bedarf es einer Anerkennung des „Ich“ im „W ir“ und des
„W ir“ im „Ich“ .
In den Schriften vor und nach der Phänomenologie hatte Hegel
dies schon als Resultat des Kampfes um Anerkennung darge­
stellt, insofern dieser Kam pf zum Bewußtsein der Notwendig­
keit des Rechtszustandes führte.8 Auf den Rechtszustand weist
Hegel möglicherweise am Ende der Begriffsanalyse des Aner­
kennens hin, wenn er davon spricht, daß sich die Individuen

8 Vgl. dazu Siep, L. 1974: Der Kampf um Anerkennung. Zu Hegels Auseinanderset­


zung mit Hobbes in den Jenaer Schriften. In: Hegel-Studien 9, 155-207.
D ie B ew egun g d es A n erken n en s

anerkennen „als gegenseitig sich anerkennend“ (G W 9, 110).


Die wechselseitige Anerkennung als Person macht nach Hegel
nämlich den wesentlichen Charakter der Rechtsbeziehung aus.
Die Phänomenologie enthält am Ende des Kapitels A. aber nur
sehr indirekte Hinweise auf den Rechtszustand, auf die ich noch
zurückkomme. Daß Hegel aber an den Gestalten von Liebe,
Kampf, natürlicher Herrschaft und Arbeit festhält, bedeutet,
daß der rechtsphilosophische Zusammenhang einer Auseinan­
dersetzung sowohl mit der aristotelischen Politikphilosophie9
wie vor allem mit dem neuzeitlichen Naturrecht10 erhalten
bleibt.
Die Erörterung der Struktur der Anerkennung ist abge­
schlossen, wenn man auf die Phasen des Selbstverlustes und
seiner Aufhebung die Erkenntnis der „Doppelsinnigkeit“ des
Tuns anwendet. Und das noch einmal in einer „gedoppelten“
Weise: das Tun der Aufhebung muß sowohl ein Tun gegen sich
und den anderen wie ein Tun des einen und des anderen sein.
Selbstbewußtsein verlangt, sich im anderen und gegen den ande­
ren zu erkennen, und dies durch wechselseitige Hingabe und
Befreiung.
Die Erfahrungsgeschichte des Kampfes um Anerkennung und
der Beziehung von Herrschaft und Knechtschaft, die nun folgt,
muß als die der zweiten Phase der Anerkennungsbewegung,
nämlich der Aufhebung des Andersseins und des anderen „selb­
ständigen Wesens“ verstanden werden - wie gesagt als eine
noch unvollständige, die nicht zur vollendeten Rückkehr ge­
langt. Ich kann das hier nur kurz skizzieren.
Es geht zunächst darum, die „ontologische Position“ des
Selbstbewußtseins in der unmittelbaren Begegnung mit dem
anderen zu bestätigen - die These nämlich, daß die eigentliche
Realität das reine Bewußtsein seiner selbst, alles andere Bewuß­
te dagegen unwesentlich bzw. „nichtig“ sei. Diese Bestätigung
hat wiederum zwei Momente: Zum einen muß das selbstbewuß­
te Individuum die Bedeutung dieses reinen „Fürsichseins“ ge­

9 H egel behandelt Liebe in den Jenaer Schriften ja als ein M oment der Familie
und bezieht sich damit deudich auf Aristoteles’ Theorie der ersten natürlichen
Gemeinschaft im ersten Buch der Politik.
10 V gl. Siep 1974 und Duso, G . 1987: L a critica Hegeliana delgiusnaturalismo nel
periodo di Jena. In: G. D uso (Hg.), II contratto sociale nella filosofía política moderna.
Bologna, 311-362.
116 L u d w ig S ie p

wissermaßen im „Innenverhältnis“ bestätigen. Das heißt, es


muß zeigen, daß ihm dieses Selbstbewußtsein alles, das übrige
Dasein dagegen - im Konfliktfalle - nichts bedeutet. Und zwei­
tens muß man diesen Beweis einem anderen gegenüber führen,
der bloß zur Bestätigung dieser „Freiheit“ des ersten Indivi­
duums da ist.
Hegel hat in den früheren Jenaer Schriften klargemacht, daß
ein solcher Beweis der Sinn aller Zweikämpfe um Ehre ist: das
Selbtsbewußtsein bzw. das Selbstbild, dem sich jeder verpflichtet
fühlt, ist bei jeder Bestreitung als das Höchste, wichtiger als das
Leben, zu erweisen. Er bringt dieses Zweikampf-Modell aber
zugleich in Beziehung zu einer Figur des klassischen Natur­
rechts: der Erwerbung eines Sklaven in einem gerechten Krieg.
Diese von Aristoteles bis Grotius aufrechterhaltene These be­
sagte, daß man demjenigen, den man in einem gerechten Krieg
besiegt hat, gegen Schonung seines Lebens zum Sklaven ma­
chen dürfe. Diese Vorstellung lag auch der Theorie des Unter­
werfungsvertrages zwischen einem Volk und seinem Eroberer
zugrunde, die sich noch bei Hobbes findet und die dann von
Rousseau so heftig bekämpft wurde. Es handelt sich also beim
Ausgang des Kampfes um Anerkennung um eine erste, gewis­
sermaßen „rohe“ Form von sozialen Herrschaftsverhältnissen.
Hegel folgt nun dem Verfahren der Phänomenologie, wenn er
diesen Versuch der Bestätigung scheitern und in das Gegenteil
des Intendierten bzw. dessen „Verkehrung“ Umschlägen läßt. Er
zeigt das zunächst auf der Seite desjenigen, der im Kam pf sein
Selbstbewußtsein wirklich über das Leben gesetzt hat und daher
„H err“ geworden ist; dann auf der Seite des durch Furcht
um sein Leben Gescheiterten, zum Knecht Gewordenen. Das
Scheitern bzw. die Umkehrung trifft für beide Seiten zu, aber
während es beim Herrn in der Aporie endet, führt es beim
Knecht zu einer ersten Form der Bestätigung der Freiheit des
Selbst in dem ihm gegenüberstehenden Anderen.
Der Herr, oder das Herrschaftsbewußtsein, ist aus mehreren
Gründen zum Scheitern verurteilt. Zum einen, weil der andere,
Unterworfene, nicht mehr zu einer freien Anerkennung in der
Lage ist, eine erzwungene Bestätigung aber „nicht zählt“ . Dem
entspricht auf der begrifflichen Ebene die fehlende „Doppel­
sinnigkeit des Tuns“ : Das, was der Herr an Befreiung und Be­
stätigung seines reinen Selbstbewußtseins leistete, ging über die
D ie B ew egun g d es A n erken n en s 117

Fähigkeit des Unterlegenen hinaus, war nicht zugleich „Tun des


Anderen“ . Schließlich scheitert aber auch der Versuch, die U n ­
abhängigkeit des Selbst vom Leben und von den anderen zu
erweisen: Der Herr braucht den Knecht - wie Aristoteles sagte,
als ein Organ oder lebendes Werkzeug - um leben zu können,
er wird von ihm abhängig.
Daß der zunächst gescheiterte Knecht dagegen zu einer posi­
tiven „Umkehrung“ geführt wird, die ihn sogar einen Schritt
über das Bewußtsein des Herrn hinausführt, liegt daran, daß
sich bei ihm drei Erfahrungsmomente verbinden können: er­
stens die Furcht als „Erschütterung“ aller bestimmten Bedürfnis­
se und Wünsche; zweitens, der Dienst am Herrn, dessen freies
Selbst ihm als erstrebenswertes Ziel erscheint, dem er seine
eigenen „unfreien“ Zwecke unterordnet; und schließlich die
Arbeit, die das durch Furcht und Dienst befreite Selbstbewußt­
sein zu einer „Vergegenständlichung“ in den Dingen befähigt.
Hier folgt Hegel der poiesis-Konzeption des Aristoteles, die er
zugleich bewußtseinstheoretisch deutet. Nach Aristoteles über­
trägt ja der Technit die Form des geplanten Produkts aus der
Seele in den Stoff. Für Hegel bedeutet das: Der die Dinge
bearbeitende Mensch schaut sein eigenes Selbst im Gegenstand
an und befreit sich zugleich von der Macht der N atur - seiner
inneren durch „innerweltliche Askese“ und der äußeren durch
„technische“ Naturbeherrschung.
Die Bearbeitung der Natur enthält aber nur die Vorausset­
zung, nicht die Gewißheit einer Erfahrung der Freiheit. Wie
Hegel zu Beginn des nächsten Abschnittes sagt (GW 9, 116),
trennt der Knecht („das dienende Bewußtsein“) noch zwischen
der Vergegenständlichung seines selbständigen Tuns in den be­
arbeiteten Dingen und dem Freiheitsbewußtsein, das er im
Herrn vor sich hatte. Der eigentliche Schritt zur „neuen Gestalt
des Selbstbewußtseins“ (a. a. O.) wird wieder durch den analy­
sierenden Philosophen eingeleitet, der erkennt, daß die Einheit
der beiden Momente, nämlich des freien Selbstbewußtseins und
seiner Herrschaft über die Dinge, in einem Selbstbewußtsein
liegt, für das die eigentliche Realiltät der Dinge in ihrer gedank­
lichen Form oder in den Begriffen besteht (a. a. O.).
Hegel führt für diese Gestalt die antiken Philosophien des
Stoizismus und Skeptizismus sowie - nach ihren ebenfalls „um­
kehrenden“ Erfahrungen - das vorneuzeitliche Christentum ein
118 L u d w i g S ie p

(im Abschnitt „Das unglückliche Bewußtseins“). Das kann hier


nicht ausführlich erläutert werden. Ich gehe im folgenden nur
übersichtsweise auf die für die „Bewegung des Anerkennens“
wichtigen Aspekte im weiteren Verlauf der Phänomenologie ein.

II.

Hegel hatte in den Jenaer Schriften vor der Phänomenologie dem


Kam pf um Anerkennung die „Aufhebung“ der individuellen
Selbstbehauptung in einer geistigen Gemeinschaft folgen las­
sen. In der - fast gleichzeitig mit der Phänomenologie konzipier­
ten - Philosophie des Geistes von 1805/06 waren dies die ökono­
mischen Austausch- und die rechtlichen Anerkennungsverhält­
nisse. Später, in den Geistphilosophien der Heidelberger und
Berliner Enzyklopädie weist er ebenfalls auf das Rechtsverhältnis
hin, in dem die als Person anerkannten Individuen eine „gei­
stige Existenz“ gewonnen haben. Im Manuskript von 1805/06
folgt dann ein ausdrücklich in den Termini des Anerkennens
und Anerkanntseins gefaßter Prozeß der Auseinandersetzung
und Vereinigung des individuellen Selbstbewußtseins mit dem -
in Gesetzen und Institutionen „verwirklichten“ - allgemeinen
Willen bzw. Geist des Gemeinwesens.
Dagegen fährt die Phänomenologie ganz anders fort. Sie leitet
zu den „theoretischen“ Formen des spätantik-philosophischen
und mittelalterlich-christlichen Selbstbewußtseins über. Erst
später, im zweiten und dritten Teil des Vernunftkapitels und im
Geistkapitel (VI) geht es wieder um praktische und soziale For­
men des Selbstbewußtseins. Dabei werden freilich die Grund­
formen der Hegelschen Sittlichkeitskonzeption, die vor allem
in der späteren Rechtsphilosophie systematisch entfaltet werden,
als phänomenologische Erfahrungsstufen behandelt: die Fami­
lie in der Erörterung der (alt-griechischen) Sittlichkeit, Aspekte
der bürgerlichen Gesellschaft (unter dem Titel „Reichtum“)
und solche des Staates in dem Abschnitt über die Bildung und
die Entfremdung des Geistes.
Daß auch diese Formen der Sittlichkeit zur Bewegung der
Anerkennung gehören, kann man der Tatsache entnehmen, daß
Hegel am Ende des Geistkapitels, im Abschnitt über die M ora­
lität, noch einmal auf den Begriff des Anerkennens zurück­
D ie B ew egun g d es A n erkennens 119

kommt, der nun verwirklicht ist. In allen diesen Formen der


praktischen Vernunft und des sittlichen Geistes geht es aber
nicht primär um die „interpersonalen“ Anerkennungsverhält­
nisse, sondern um das Verhältnis des individuellen - sich aber
dann als Repräsentant einer allgemeinen Vernunft verstehen­
den - Selbstbewußtseins zu dem allgemeinen Willen bzw. dem
Geist einer Gemeinschaft. M it den Worten der Einleitung zum
Selbstbewußtseinskapitel geht es um das Verhältnis des „Ich“
zum „W ir“ und umgekehrt. Hegel benutzt dabei anders als
1805/06 aber nur selten den Begriff Anerkennung.
Daß die Erfahrung von Kam pf und Herrschaft - in den Ter­
mini des neuzeitlichen Naturrechts: von Naturzustand und „na­
türlich“ despotischer Herrschaft - zum Rechtsverhältnis führe,
kann man nur insofern sagen, als auf die Herrschaft der Stoi­
zismus folgt, dessen Philosophie für Hegel die Grundlage des
römischen Rechts darstellt. Dieses wird unter dem Titel
„Rechtszustand“ dann viel später, am Ende des ersten Teils des
Geistkapitels, behandelt. Aber auch hier ist das interpersonale
Rechtsverhältnis nur ein Aspekt. Hegel zeigt in diesem Kapitel
vor allem, daß die Idee der Rechtsperson als Inhalt einer Staats­
und Gesellschaftsordnung nicht ausreichend ist und ihre Ver­
wirklichung in ihr Gegenteil, die absolute despotische Herr­
schaft, Umschlägen muß. Auch hier ist aber die mangelhafte
interpersonale Anerkennung, die vor allem in der Eigentums-
Struktur des römischen Familienrechts zum Ausdruck kommt
(der pater familias als Eigentümer der Mitglieder seines H au­
ses), nur ein Aspekt der unzureichenden Anerkennung der Indi­
vidualität in der Staatsordnung.
Während in den Jenaer Geistphilosophien die „praktische“
Bedeutung des Anerkennens im Vordergrund stand, ist in der
Phänomenologie der Wissensaspekt bedeutsamer. Das Selbstbe­
wußtsein in seiner Reflexivität und seinem Autonomie-Bewußt-
sein soll als „Prinzip“ der Realität erwiesen werden. Dadurch
wird es aber von seiner einseitigen Fassung in den „Subjektivi­
tätsphilosophien“ (Kant, Fichte) und dem geistigen Selbstver­
ständnis der Epoche befreit. Es wird als „geistige Substanz“ der
Wirklichkeit erkannt. Dafür stellt Hegel zwei Prozesse in den
Vordergrund: Zum einen die zunehmende „Subjektivierung“
der Wirklichkeit in Begriffen der Vernunft und einer im erken­
nenden und handelnden Subjekt „zu sich kommenden“ objek­
12 0 L u d w ig S ie p

tiven gedanklichen Ordnung (Abschnitt „Beobachtende Ver­


nunft“). Zum anderen die Erhebung des Prinzips der selbstbe­
wußten Individualität und Personalität zum Maßstab sozialer
Ordnungen (Gestalten der praktischen Vernunft) sowie zum
Inhalt dessen, was als letzte, absolute Wahrheit gilt (Geist und
Religion). Auch diese Prozesse können als Stufenfolge der An­
erkennung des Ich im Wir und umgekehrt verstanden wissen.
Die „praktische“ Anerkennung des individuellen Selbstbe­
wußtseins durch andere Individuen, sogar durch die soziale
Ordnung und die Aktivität des Gemeinwesens, reicht dafür
nicht aus. Vielmehr will das Selbstbewußtsein - wie sich schon
im zweiten Abschnitt des Selbstbewußtseinskapitels zeigt - sein
Wesen auch in einem von den zufälligen Individuen unabhän­
gigen Subjekt anerkannt wissen. Diesem Anerkennungsstreben
entspricht der religiöse Begriff eines absoluten geistigen We­
sens, das die Individuen anerkennt bzw. „liebt“ .
Auch über die Verehrung eines jenseitigen, „ganz anderen“
Selbst geht die Bewegung des Anerkennens aber noch hinaus.
Das individuelle Bewußtsein will sich mit diesem G ott vereini­
gen. Das Christentum, für Hegel die vollendete Religion, lehrt
daher einen Prozeß der Trennung und Wiedervereinigung G ot­
tes und des Menschen. In seiner nach-reformatorischen Ent­
wicklung hebt es die Jenseitigkeit dieses Gottes auf und „ver­
söhnt“ ihn mit den Menschen in der religiösen und sittlichen
Gemeinschaft. Deren vollendete rechtliche und staatlich-insti-
tutionelle Form wird in der Phänomenologie - anders als in der
früheren und späteren Philosophie des Geistes - zwar nicht
systematisch erörtert, aber sie wird in der kritischen Form der
Behandlung der antiken Sittlichkeit und des entfremdeten G ei­
stes der Neuzeit schon sichtbar. Daraus kann man nach meiner
Auffassung nicht schließen, daß Hegel diese Formen bloß als
institutioneile Verkörperungen von Reflexionsakten des Geistes
verstehe (vgl. Honneth 1992, 98, 104). Hegel parallelisiert ja
ausdrücklich das moralische Anerkennen und das religiöse Be­
wußtsein: Aus der Einsicht in ihre wechselseitige Entsprechung
ensteht das absolute Wissen.
Da das moralische Bewußtsein von Hegel als Vollendung der
praktischen Seite des Anerkennens dargestellt wird, soll darauf
noch kurz eingegangen werden. Hegel nimmt hier die Themen
noch einmal auf, die ihn seit seinen Frankfurter Schriften be­
D ie B ew egun g d es A n erken n en s 12 1

schäftigt haben: die Trennung und Versöhnung des „abwei­


chenden“ Individuums bzw. des „Verbrechers“ von der mora­
lisch und rechtlich integrierten Gesellschaft. Diese Auseinan­
dersetzung wird für ihn jetzt aber durch die Debatten um die
„geniale“ Moral des Individuums in den Schriften des Sturm
und Drang und der Romantik repräsentiert.11 Wenn die M ora­
lität in der Autonomie des Gewissens besteht, kann sie jederzeit
mit den allgemeinen moralischen Maßstäben in Konflikt gera­
ten.
Die verschiedenen Konstellationen und „Verkleidungen“ die­
ses Konfliktes im Abschnitt über die Moralität führen aber zu
einer „Versöhnung“ in Form eines wechselseitigen Verzichtes.
Einerseits muß das auf sein Gewissen pochende Individuum die
Einseitigkeit und den möglichen Irrtum seiner Entscheidung
bekennen. Auf der anderen Seite muß das allgemeine mora­
lische Bewußtsein die Gewissensentscheidung, auch in ihrer
Nonkonformität und „Bosheit“ , als notwendiges M oment des
Geistes anerkennen. „Das Wort der Versöhnung ist der dasei­
ende Geist, der das reine Wissen seiner selbst als allgemeinen
Wesens in seinem Gegenteile, in dem reinen Wissen als der
absolut in sich seienden Einzelheit anschaut - ein gegenseitiges
Anerkennen, welches der absolute Geist ist“ (G W 9, 361). G e­
wissen und allgemeine Gesetzlichkeit sind anerkannt als zwei
Momente eines Geistes, der sich in der individuellen Entschei­
dung konkretisiert und fortentwickelt.
Die praktischen und sozialen Formen dieser Versöhnung hat
Hegel in der Phänomenologie nicht entwickelt. Der Hinweis im
Schlußkapitel auf die Entsprechung zwischen dieser Gestalt der
M oralität und der entwickelten (durch Reformation und Auf­
klärung geläuterten) christlichen Religion läßt aber vermuten,
daß er sie vor allem in Formen religiöser Moralität am Werk
sieht. Die religiöse Gemeinde ist das primäre Medium der
wechselseitigen Korrektur von öffentlicher Moral und privatem
Gewissen. Daß diese vernünftige Religiosität nur in einer be­
rufsständisch gegliederten, rechts- und sozialstaatlich verfaßten

11 Vgl. Pöggeler, O. 1956: Hegels Kritik der Romantik, Bonn (Diss.) sowie Siep, L.
1995: Individuality in HegeTs Phenomenology ofSpirit. In: K . Ameriks u. D. Sturma
(Hg.), The Modem Subject. Conceptions ofthe Seif in Classical German Philosophy. New
York, 140 ff.
12 2 L u d w ig S ie p

Monarchie möglich ist, hat Hegel in den übrigen geistphiloso­


phischen Schriften von 1805 bis 1830 in extenso dargelegt.

III.

Hegel hat den Begriff der Anerkennung von Fichte übernom­


men. Dieser hatte in seiner Naturrechtsschrift das Rechtsver­
hältnis als wechselseitiges Anerkennen freier Selbstbestimmung
verstanden und dieses Verhältnis als Bedingung für individuel­
les Selbstbewußtsein überhaupt „deduziert“ .12 Für Hegel ist das
Recht - analog zu der von Herder beeinflußten historischen
Schule - eine von mehreren Formen des Volksgeistes. Er ent­
wickelt aber in seinen Jenaer Schriften, anknüpfend an die ge­
netischen Theorien des Selbstbewußtseins bei Fichte und dem
frühen Schelling, eine Theorie der Bildung des Geistes, in dem
ein vernünftiges Selbstbewußtsein sich selbst erkennt und aner­
kannt findet. Er differenziert dabei die „interpersonalen“ Aner­
kennungsformen in eine Sequenz, die Liebe, Kam pf und Recht
umfaßt.
Auf dieser baut eine „höherstufige“ Bewegung des Anerken­
nens zwischen den Individuen und dem - in Institutionen objek­
tivierten - Geist eines Gemeinwesens auf. M it den Termini des
Geistbegriffs der Phänomenologie·, eine Bewegung der Anerken­
nung des „Ich“ im „W ir“ und umgekehrt. D a Hegel in den
Jenaer Schriften die Formen der Religion, Kunst und Philoso­
phie noch weitgehend als Formen eines „sittlichen“ Volksgeistes
versteht, gehören auch sie in diesen höherstufigen Anerken­
nungsprozeß. Gegen Ende der Jenaer Zeit trennt Hegel aber
den „absoluten Geist“ deutlicher vom „objektiven“. Der erstere
ist in seiner Vollendung von den historischen und sozialen Be­
dingungen eines Volksgeistes unabhängig, er hat sein Material
allein in den Bildern, Vorstellungen und Begriffen seiner Selbst­
darstellung und Selbsterkenntnis. Andererseits bleibt die freie,
vor der Vernunft der Individuen gerechtfertigte Sittlichkeit des
Staates auf die Formen des absoluten Geistes angewiesen.

12 Vgl. Siep, L. 1992: Einheit und Methode von Fichtes „Grundlage des Naturrechts“.
In: ders., Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus. Frankfurt a.M., 47 ff.
D ie B ew egun g d es A n erkennens 12 3

D a in der Phänomenologie der Nachweis im Vordergrund


steht, daß die eigentliche Realität die Struktur des Geistes hat,
sich das Selbstbewußtsein also keiner „fremden“ Realität ge­
genüber findet, sondern einer, die auf sein Wissen und Handeln
hin angelegt ist und sich darin „reflektiert“ , steht in ihr der
Prozeß der wechselseitigen Anerkennung von Ich und Wir im
Vordergrund. Dabei nehmen aber die praktischen Themen der
„Integration“ eines selbstbewußten Individuums, das seine Ver­
nunft als Leitfaden des Handelns benutzt, in ein Gemeinwesen,
das vor dieser Vernunft gerechtfertigt ist, breiten Raum ein.
Hegel erörtert die in der Geschichte aufgetretenen Konstella­
tionen der unmittelbaren Einheit bzw. „naiven“ Identifizierung
des Individuums mit seiner Gemeinschaft und die der Trennung
des autonomen Selbstbewußtseins von den Sitten und Institu­
tionen der - familiären, staatlichen oder religiösen - Gemein­
schaft. Ziel dieses Prozesses ist eine Integration bei gewisser­
maßen optimalem „Bewegungsspielraum“. Dieses Ziel heißt
nach wie vor Anerkennung als wechselseitige Bejahung und
„Freigabe“ .
Was die Hegelsche Theorie der Anerkennung für die prakti­
sche Philosophie interessant macht, ist vor allem zweierlei: Zum
einen die Ausweitung der rechtlichen Anerkennung des wech­
selseitigen Respekts vor der Freiheit der Person auf Formen der
„solidarischen“ Zustimmung zum Wohl und zur persönlichen
„Identität“ des Anderen. Zum anderen der Gedanke eines inte­
grierten „Musters“ von Zustimmung, Abgrenzung und Freiga­
be. Wenn Hegel diese „Bewegung“ zum Leitfaden einer syste­
matischen Darstellung der Verhaltensweisen, sozialen Gebilde
(Familie, Professionen, Staat) und Institutionen (Recht, Verwal­
tung, Staatsgewalten etc.) macht, dann stellt er damit einer
sowohl systematischen wie „konkreten“ praktischen Philoso­
phie ein - vielleicht noch heute brauchbares - Prinzip zur Ver­
fügung.
Man muß aber auch sehen, daß Hegels eigene philosophische
Konzeption der Anwendung dieses Prinzips Grenzen setzt. Sie
führt zu einer grundsätzlichen „Asymmetrie“ in seiner Aner­
kennungstheorie - vor allem einer Asymmetrie zugunsten des
„W ir“ bzw. der geistigen „Substanz“ eines Gemeinwesens ge­
genüber den Individuen. Diese Asymmetrie zeigt sich hinsicht­
lich der beiden vorhin erwähnten Aspekte: In der institutionel­
12 4 L u d w ig S ie p

len „Realität“ der Staaten kommt der Anerkennung der persön­


lichen Einmaligkeit nur eine untergeordnete Rolle zu. Der
Aspekt der „Freigabe“ des anderen durch Verzicht auf „Verein-
nahmung“ ist im Verhältnis Individuum-Staat einseitig zugun­
sten des letzteren ausgelegt.
Die Ansprüche der Individuen auf Anerkennung ihrer beson­
deren, „unverwechselbaren“ Identität13 müssen für Hegel emo­
tional in der Familie, rational in der sozialen Umgebung seines
Berufsstandes erfüllt werden. Schon auf der Ebene des Standes
geht es aber in erster Linie um die kompetente, „rechtschaffe­
ne“ Ausübung der Berufspflichten und standesgemäßen Verhal­
tensweisen. Wie das Innovatorische, Schöpferische der indivi­
duellen Lebensführung - auch und gerade wenn sie eine „per­
sönliche“ Auslegung etablierter Verhaltensweisen darstellt - auf
die gemeinsamen Sitten „durchschlagen“ kann, hat Hegel schon
auf der Ebene der gesellschaftlichen Gruppen (Stände) nicht
erörtert. N och weniger ist eine solche Wirkung auf der Ebene
staatlicher Willensbildung sichtbar. Die Lehre der staatlichen
Gewalten in der Rechtsphilosophie reduziert die Bedeutung der
persönlichen Meinung fast gänzlich auf die „sachkompetente“
Äußerung in Ständeabordnungen der gesetzgebenden Gewalt.14
Schon in den Wahlverfahren der westeuropäischen National­
versammlungen sah Hegel eine gefährlich „ungefilterte“ Mani­
festation privater Meinung im Raum staatlicher Rechtsetzung.
Die Anerkennung des „abweichenden“ Individuums aber wird
von Hegel auf der rechtlichen Ebene nur in den Institutionen
der Begnadigung oder des außerordentlichen Appells an die
Persönlichkeit des „übergesetzlichen“ Monarchen konkreti­
siert.
Hegel hat in der Jenaer Geistphilosophie von 1805/06 das
M oment der verzichtenden Freigabe des anderen ausdrücklich
auch auf das Verhältnis des Staates zum Individuum angewandt
(GW 8, 255). Das hat ihn nicht davon abgehalten, dieses Ver­
hältnis nach wie vor als eines der Substanz zu ihren Akzidenzien

13 Vgl. Habermas, J . 1968: Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenenser


„Philosophie des Geistes“. In: Ders.: Technik und Wissenschaft als „Ideologie“. Frankfurt,
16 ff. Ders. 1974: Können komplexe Gesellschaften eine vernünftige Identität ausbilden?
In: J . Habermas, D. Henrich. Zwei Reden aus Anlaß des Hegel-Preises. Frankfurt,
30 f.; Honneth 1992, 33 ff., 148 ff.
14 Vgl. L . Siep, Hegels Theorie der Gewalteneilung. In: Siep 1992, 254.
D ie B ew egun g d es A n erkennens 12 5

zu begreifen. Natürlich ist der Hegelsche Substanzbegriff nicht


der des Aristoteles und das Bemühen der Phänomenologie wie
der Wissenschaft der Logik besteht gerade darin, die Substanz als
Subjekt zu begreifen, das sich in den selbständigen Individuen
manifestiert und reflektiert. Gleichwohl bleibt auf der institu­
tioneilen Ebene etwas von der Zufälligkeit und Ersetzbarkeit
der Akzidenzien im Verhältnis zur Substanz erhalten (eine defi­
nitive Abgrenzung von wesentlichen und unwesentlichen Akzi­
denzien gibt es für Hegel nicht).
Sittlich zu leben, heißt vor allem auch begreifen, daß die
staatlichen Institutionen Selbstzwecke sind, für die die Existenz
und das Wohl der Einzelnen im Konfliktfall bloß akzidentell
sind. In den staatlichen Institutionen wird, nach Hegels späterer
Rechtsphilosophie, „in the long run“ zwar auch den besonderen
Interessen der Individuen optimal Rechnung getragen. In der
Freilassung der individuellen Besonderheit in den - staatlich
stabilisierten - Marktverhältnissen der bürgerlichen Gesell­
schaft und in der Sicherung des bürgerlichen Eigentums- und
Vertragsrechts ordnet sich der Staat tatsächlich in gewissem
Maße der Entfaltung der Besonderheit der Individuen unter,
macht sie zum „Staatszweck“ . Insofern verzichtet er auf totali­
täre oder paternalistische Vereinnahmung.
Aber diese Freigabe hat, jedenfalls vom Standpunkt der mo­
dernen Rechtsentwicklung aus, doch enge Grenzen. Wenn der
Staat gefährdet ist, hat er das Recht „vollkommen tyrannisch“
(G W 8, 259) zu verfahren. Bei der weitgehenden Akzeptanz des
Krieges - nicht nur des defensiven - in der Hegelschen Rechts­
philosophie liegt darin eine erhebliche Beschränkung der „Frei­
gabe“ . Aber auch die Freiheit der öffentlichen Meinung und das
Recht der Kritik wird bei Hegel in engen, staatserhaltenden
Grenzen gehalten (vgl. Grundlinien der Philosophie des Rechts
§§ 315-320). Dies wird verstärkt durch die untergeordnete
Stellung repräsentativ-demokratischer Elemente in der H egel­
schen Gewaltenteilung.
Dennoch kann man den Standpunkt vertreten, daß Hegel für
einen Staat, in dem die Besonderheit der Individuen sich in -
sozial „abgefederten“ - Marktprozessen entwickeln kann und
seine Auffassung vom Gemeinwohl demokratische Anerken­
nung erfährt, die beste Begründung geliefert habe. So hat etwa
im Anschluß an die Interpretation von Kojeve vor wenigen
12 6 L u d w ig S ie p

Jahren Francis Fukuyama argumentiert. (Vgl. Fukuyama 1992)


Man kann gegen seine Deutung allerdings einwenden, daß er
Hegels Geistphilosophie anthropologisch umdeutet und seiner
Geschichtsphilosophie einen prognostischen Akzent verleiht,
auf den Hegel ausdrücklich verzichtet. Das kann hier nicht
weiter ausgeführt werden.15
Gegen diese affirmative Adaptation der Anerkennungslehre
kann man auch versuchen, die kritischen Momente gerade ihrer
früheren Jenaer Fassung herauszustellen und Hegels eigene
Entwicklung als Abfall davon zu deuten. Dies hat Axel Honneth
zum Gegenstand einer weit über Hegel hinausreichenden U n ­
tersuchung der „Grammatik moralischer Konflikte“ gemacht.
(Zum Folgenden vgl. Honneth 1992)
Nach Honneth hat Hegel vor allem in seinen frühen Jenaer
Schriften (1802/03) eine Theorie von Anerkennungsformen
entwickelt, auf die noch eine gegenwärtige kritische Gesell­
schaftstheorie aufbauen könnte.16 In der Konzeption des
„Kampfes um Anerkennung“ habe Hegel ein Modell für die
„moralischen Konflikte“ sozialer Gruppen geliefert, die die m o­
ralische und rechtliche Entwicklung der Menschheit verständ­
lich mache. Diese Konflikte gehen von der Erfahrung verwei­
gerter Anerkennung aus und führen - im günstigen Falle - zu
höheren, konkreteren und institutioneil gesicherteren Formen
der Anerkennung.
Auch das Ziel dieser Entwicklung werde in Hegels Jenaer
Anerkennungstheorie in den Grundzügen vorgezeichnet, näm­
lich in den drei Formen der Anerkennung, die schon das System
der Sittlichkeit (1802/03) erkennen läßt: „Im affektiven Aner­
kennungsverhältnis der Familie wird das menschliche Individu­
um als konkretes Bedürfniswesen, im kognitiv formellen Aner­
kennungsverhältnis des Rechts wird es als abstrakte Rechtsper­
son und im emotional aufgeklärten Anerkennungsverhältnis des
Staates wird es schließlich als konkretes Allgemeines, nämlich

15 Für eine ausführliche Kritik an Fukuyama vgl. Pöggeler, O. 1995: Ein Ende der
Geschichte? Von Hegel zu Fukuyma. Vorträge der Nordrhein-Westfälischen Akade­
mie der Wissenschaften. G 332, Opladen.
16 Vgl. dazu auch die alternative, auf eine nicht-rechtsförmige M oral zielende
Untersuchung von H egels Anerkennungstheorie bei Wildt, A. 1982: Autonomie
und Anerkennung. Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption. Stuttgart.
D ie B ew egun g d es A n erkennens 12 7

als in seiner Einzigartigkeit vergesellschaftetes Subjekt aner­


kannt“ (Honneth 1992, 45). Liebe, Recht und Solidarität sind
die drei Formen der Anerkennung, um deren Realisierung und
Anreicherung es in den sozialen Anerkennungskämpfen geht.
Wie Honneth diesen Ansatz durch „nachmetaphysische“ So­
zialtheorien zu transformieren versucht, kann hier nicht erör­
tert werden. Wichtig für die PMwowiewo/og/e-Interpretation ist
aber, daß Honneth, wie zuvor Jürgen Habermas (Habermas
1968, 36) in diesem Werk schon einen „Abfall“ von der frühe­
ren Anerkennungslehre erblickt. Während in dieser die drei
Anerkennungsformen noch als „Medien“ der Bildung von G e­
sellschaft konzipiert seien, würden sie seit 1805, definitiv aber
dann in der Phänomenologie des Geistes, zu bloßen Reflexions­
stufen eines „monologisch“ verstandenen Geistes. Die unter
dem Einfluß Fichtes durchgeführte „bewußtseinsphilosophi­
sche Durchgestaltung“ (Honneth 1992, 55) seiner Geistphilo­
sophie reduziere die Formen der Anerkennung auf Stufen der
Entäußerung und Rückkehr des Geistes zu sich.
In der Geistphilosophie von 1805/06 sieht Honneth dies vor
allem auf der höchsten Stufe der Anerkennung, in der - ehemals
als „Solidarität“ verstandenen - Sittlichkeit des Staates manife­
stiert: Der Staat sei nur noch als „institutioneile Verkörperung“
eines „Reflexionsaktes“ des Geistes verstanden (Honneth 1992,
98), die Sphäre der Sittlichkeit sei nun „von aller Intersubjek­
tivität gereinigt“ (Honneth 1992, 101). In der Phänomenologie
sei der Kam pf um Anerkennung ganz auf die „Funktion der
Bildung des Selbstbewußtseins“ reduziert und auf die „in der
Herr-Knecht-Dialektik repräsentierte Bedeutung einge­
schränkt“ (Honneth 1992, 104). Durch die „methodisch überle­
gene“ Konzeption der Phänomenologie habe Hegel sich endgül­
tig den „Rückgriff auf die stärkste seiner älteren Intuitionen, das
noch unfertige Modell des Kampfes um Anerkennung ver­
sperrt“ (a. a. O.).
Es ist deutlich, daß meine oben vorgeschlagene Interpretati­
on mit dieser Deutung in einigen Punkten kollidiert. Es sei hier
nur noch einmal daran erinnert, daß Hegel den Begriff des
Geistes unmittelbar vor der Exposition der „Bewegung“ des
Anerkennens als ein „W ir“ versteht, innerhalb dessen die In­
dividuen sich verselbständigen und sich einander sowie dem
„W ir“ entgegensetzen können. Die Bewegung der Anerken­
12 8 L u d w ig S ie p

nung selber enthält dann alle Strukturelemente der Anerken-


nungs-Konzeption der früheren Schriften.
Die Gründe dafür, daß Hegel sie im weiteren Verlauf der
Phänomenologie nicht explizit „erfüllt“ und daß die praktische
Bedeutung der Anerkennung in ihr zurücktritt, sind oben ange­
deutet worden. Am Ende der Reihe der praktischen Gestalten
des Geistes, im Moralitätskapitel wird dann aber ausdrücklich
das wechselseitige Anerkennen - sogar des „Außenseiters“ - als
Inhalt des absoluten (!) Geistes bezeichnet. Von einer monolo­
gischen Struktur kann man nur sprechen, wenn man den Begriff
der Reflexion bewußtseinstheoretisch versteht und ihn um seine
logisch-ontologischen Aspekte, die vor allem die spätere He-
gelsche Reflexionslogik entfaltet, verkürzt.
Zuzugestehen ist Honneth und Habermas aber, daß Hegel
das „Potential“ seiner Anerkennungslehre weder in der Phäno­
menologie noch in den früheren und späteren Schriften aus­
schöpft. Das läßt sich auch in einer immanenten Kritik der
Ausführung dieser „Intuition“ in den verschiedenen Schriften
Hegels zeigen. (Vgl. Siep 1979, 278 ff.)
Hegel hat nach meiner Deutung die Bewegung des Anerken­
nens nicht auf den Kam pf um Anerkennung verkürzt. Das muß
auch gegen die geschichtsphilosophische Überbewertung des
Kampfes um Anerkennung bei Kojeve betont werden. Sieht
man das Selbstbewußtseinskapitel der Phänomenologie im Rah­
men der Begriffsexplikation der „Bewegung des Anerkennens“
und im Rahmen der übrigen Jenaer Texte, dann wird deutlich,
daß der Kam pf um Anerkennung - erst recht die auf ihn folgen­
de Erfahrungsgeschichte von Herrschaft und Knechtschaft -
nur eine Form und eine Stufe in der „Bewegung des Anerken­
nens“ ist. Die verschiedenen Interaktionsformen, die zu dieser
Bewegung gehören, machen als ganze den Bildungsprozeß
und - von ihren Einseitigkeiten und Asymmetrien befreit -
auch das „Leben“ des Geistes aus. Das gilt auch noch für die
späteren Konzeptionen des objektiven und absoluten Geistes.
Daß Hegel entgegen seinen Intentionen und Begriffen gerade
die Institutionen des objektiven Geistes nicht von einem Primat
der Anerkennung des Staates durch die Individuen freigehalten
hat, soll aber nicht bestritten werden.
D ie B ew egun g d es A n erkennens 12 9

Literatur
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Lichte seiner Fichte-Rezeption. Stuttgart.
6
Otto Pöggeler

Selbstbewußtsein
als Leitfaden der
Phänomenologie des Geistes

Karl Marx fand 1844 in seinen Pariser Manuskripten zum


Ansatz seiner Verwirklichung der Philosophie. Er entwarf sei­
ne Kritik der Nationalökonomie als eine neue Phänomenolo­
gie des Geistes. Das geniale Frühwerk Hegels war für ihn die
Geburtsstätte und das Geheimnis der Hegelschen Philosophie
und damit der Philosophie überhaupt: das Wesen des Geistes
wurde in die Arbeit gelegt. Hegel habe freilich die Arbeit zu
sehr in der geistigen Arbeit gefunden, nämlich von der Theorie
her und damit von der Erfüllung des Geistes in seiner Gegen­
wärtigkeit her gesehen. Doch Hegels Ausführungen über den
Kam pf des Herrn und des Knechtes zeigten auch, daß das
politische Herrschaftsdenken zugunsten eines Weges zur Frei­
heit über die gemeinsame Arbeit überwunden werden müsse.
M arx gab seinen ökonomisch-philosophischen Manuskripten
konsequenterweise eine Kritik der Hegelschen Dialektik mit,
vor allem eine Übersicht über die Phänomenologie. Überra­
schenderweise beginnt diese Übersicht nicht mit einem Kapitel
„A. Bewußtsein“ ; vielmehr faßt sie Bewußtsein, Selbstbewußt­
sein und Vernunft zusammen unter einem ersten Kapitel „A.
Selbstbewußtsein“ . Freunde wie Bruno Bauer hatten, noch von
der Kritik der Religion herkommend, von Hegels Phänomenolo­
gie her die antike Religions- und Geistesgeschichte entschlüsselt
und Hegels Philosophieren dabei als eine Philosophie des Selbst­
bewußtseins gefaßt. Die Auseinandersetzungen auf dem Felde
der Religion führte Soren Kierkegaard fort, wenn er Hegels
Schriften im ganzen auf das unglückliche Bewußtsein festlegen
13 2 O tto P ö g geler

wollte und damit wieder einen Abschnitt der Phänomenologie


des Selbstbewußtseins zum Zentrum machte. Statt einer Phä­
nomenologie des Geistes gab Kierkegaard eine Lehre von den
Stadien des Existierens, die den Weg des Menschen im Glau­
ben gipfeln ließ und deshalb in Hegels spekulativem Denken
eine Verirrung sehen mußte.
Das 20. Jahrhundert hat diese Auseinandersetzung mit H e­
gel, die sich an der Phänomenologie des Selbstbewußtseins
orientierte, fortgesetzt. So hat Jean Wahl 1929 ein Buch über
das unglückliche Bewußtsein in der Philosophie Hegels veröf­
fentlicht. Wenige Jahre später hat Alexandre Kojeve seine Pari­
ser Vorlesungen über Hegel begonnen, die von der Phänome­
nologie des Selbstbewußtseins her Hegels Philosophie als ein
Erfassen der Menschwerdung des Menschen und seiner G e­
schichte deuten. Heute können wir kaum noch das Vertrauen
Kojeves teilen, die menschlichen Gruppen und Völker seien in
der einen Menschheitsgeschichte zusammengeschlossen wor­
den, für die Hegel ein zureichendes Bewußtsein der Prinzipien
einer vernünftigen Einrichtung der politischen Sphäre und ei­
ner Kritik der religiösen Überzeugungen gefunden habe. So
stellt sich uns die Frage, in welcher Weise Hegel, vor allem in
seiner Phänomenologie, vom Selbstbewußtsein gesprochen habe.
Diese Frage soll in drei Schritten entfaltet werden. Zuerst soll
gefragt werden, wie das Kapitel über das Selbstbewußtsein in
der Phänomenologie eigentlich zu interpretieren ist. Dann soll
verdeutlicht werden, wie eigentlich das Selbstbewußtsein für
Hegel der Leitfaden für eine Bestimmung des absoluten W is­
sens ist. Schließlich mag abschließend darauf hingewiesen wer­
den, wie Hegel mit seinem Ansatz sich in die Geschichte der
Philosophie eingefügt und wie seine Aufgabenstellung heute
von uns wiederholt werden kann.

I. Die Phänomenologie des Selbstbewußtseins

Hegel gab im Februar 1806 die ersten Textstücke jenes Werkes


zur Druckerei, das später den Titel einer Phänomenologie des
Geistes bekam. Diese Textstücke waren die Darstellung der
ersten Gestalten, beginnend mit der sinnlichen Gewißheit. Den
Anfang machte eine kurze Einführung in den Sinn dieses Sy­
P h ä n o m e n o l o g ie d e s S elbstbew u s s t s e in s 13 3

stemteils, der zuerst eine Hinführung zur Logik oder spekula­


tiven Philosophie und auch nur der erste Teil eines Buches über
Logik sein sollte. Dieser kurzen Einführung hat Hegel später
(im Inhaltsverzeichnis) den Titel „Einleitung“ gegeben.
Diese Einleitung fragt, welches Wissen denn überhaupt fähig
sei, eine Wissenschaft und das heißt zuerst einmal eine Logik
oder spekulative Philosophie aufzubauen. Kann das Wissen
sich prüfen, ob seiner Gewißheit Wahrheit zukommt? Hegel
besteht darauf, daß das Wissen von seiner Natur oder seinem
Wesen aus auf eine Selbstprüfung angelegt sei. Das Wissen
kann und muß immer wieder die Erfahrung machen, daß seiner
Gewißheit die Wahrheit nicht entspricht. In der deutschen All­
tagssprache weist das Wort „Gewißheit“ in der Tat auf eine
enttäuschbare subjektive Einstellung hin, während das Wort
„Wahrheit“ stärker auf Objektivität zielt. Ich bin dessen gewiß,
daß es auch morgen schönes Wetter sein wird; aber trifft diese
Gewißheit die objektive Konstellation? Die Erfahrung, die ich
morgen mache, mag diese Frage entscheiden.
Einer Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins geht es
nicht um solche empirischen Fragen. Diese Wissenschaft will
ja hinführen zur Logik oder spekulativen Philosophie, also zum
rechten Gebrauch der Grundbegriffe und Denkformen. An­
hand einfacher Exempel soll dem Leser, der ein Buch mit einer
Logik in die Hand nimmt, der rechte Um gang mit Grundbe­
griffen klargemacht werden. Ein solches Exempel ist zum Bei­
spiel das Wort „dieses“ . Die Gewißheit meint mit diesem Wort
das reine, schlechthin individuelle Sein zu fassen. Die anderen
Menschen, die dieses Wort hören, sind sich aber nicht sicher, ob
dieses Dieses oder jenes Dieses gemeint ist. Das bedeutet, daß
auch das Wort „dieses“ schon eine komplexe Allgemeinheit in
sich enthält. Die Gewißheit, das reine Sein zu fassen, wird
enttäuscht. Was wirklich in dieser Gewißheit hegt, die sich in
einem Wort wie „dieses“ ausspricht, ist schon eine Diesesheit:
dieses eine Ding, das viele allgemeine Eigenschaften haben
kann. Der Gebrauch von Kategorien aus der Sphäre des Seins
(also der Qualität und Quantität) führt von sich aus weiter zum
Gebrauch der Kategorien aus der Sphäre der Relation, also zum
Beispiel zum Substanz-Akzidens-Verhältnis. Hinter dem Rük-
ken des erfahrenden Bewußtseins oder des erscheinenden Gei­
stes hegt der notwendige Weg der Wissenschaft der Logik, der
1 34 O tto P ö g geler

vom Sein zur Relation führt und dann weiter zu den anderen
spekulativen Grundbestimmungen. Die Gestalten des Bewußt­
seins entsprechen damit den Momenten der Wissenschaft der
Logik, die Phänomenologie als Lehre von den Erscheinungen
des Geistes ist bezogen auf die Logik als die eigentliche W is­
senschaft des Geistes.
Hegel hat am Ende seiner damaligen Realphilosophie die
Grundmomente und damit die Hauptabschnitte der Logik der
spekulativen Philosophie angegeben: Sein, Verhältnis, Leben
und Erkennen; wissendes Wissen, Geist, Wissen des Geistes
von sich. Hegel faßt die spekulative Philosophie nun einheit­
lich als Logik, doch in der genannten Gliederung klingt noch
die alte Zweiteilung in Logik und Metaphysik nach. Zuerst
werden die logischen Grundbegriffe und Denkformen angege­
ben; zu den Kategorien treten differenzierende Denkformen
wie die Teleologie als Grundzug des Lebens und Erkennens.
Dann wird in einem metaphysischen Teil gefragt, wie das Er­
kennen, das als wissendes Wissen die Realität weiß, überhaupt
existiert. Dieses wissende Wissen ist nur möglich, wenn die
einzelnen in ihrem Volk leben, das Volk oder der sittliche Geist
ein Wissen dieses Geistes von sich in Religion und W issen­
schaft gewinnt und damit Gott, Welt und Seele zusammen­
schließt. Die Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins, die
dann den Titel einer Phänomenologie des Geistes bekam, folgt
diesem Weg der Logik, indem sie das natürliche und ungebil­
dete Bewußtsein seine Erfahrungen mit dem Gebrauch der
logischen Momente machen läßt. D a Hegel die Phänomenologie
des Geistes in das Systemganze einfügt, hat diese Phänomenolo­
gie zwei Textsorten: zuerst gibt der Verfasser, der schon das
Ganze des Systems im Blick hat, an, um welche logischen M o­
mente es geht. Dann zeigt er, wie das natürliche Bewußtsein mit
dem jeweiligen logischen M oment seine Erfahrungen macht.
So wird bei der Darstellung der ersten Gestalt angegeben,
daß es dem sinnlichen Bewußtsein um das reine Sein geht.
Dann wird an Exempeln (dem Gebrauch von deiktischen Wor­
ten wie „dieses“) gezeigt, wie das ungebildete Bewußtsein seine
Erfahrung mit dieser logischen Bestimmung macht. Die Erfah­
rung sagt, daß wir von dieser logischen Bestimmung zu anderen
Bestimmungen geführt werden, nämlich zuerst zu der Relation
zwischen dem einen Ding und den vielen Eigenschaften, dem
P h ä n o m e n o l o g ie d e s S elbstbew u s s t s e in s 13 5

Them a der Wahrnehmung. In der Tat ist es so, daß die Eigen­
schaften (etwa die Härte des Tisches) nicht losgelöst von ihrem
Träger durch den Raum fliegen - das wäre eine Welt, in der wir
nicht leben könnten. Die dritte Gestalt des Verstandes muß
schließlich zu dem Resultat kommen, daß das eine Ding mit
seinen Eigenschaften als Relation nur möglich ist, wenn die
Substanz, die die Eigenschaften trägt, Kraft ist, die aus ihrer
Einheit heraus geht zur Vielheit der Eigenschaften und diese
Eigenschaften dann auch immer wieder an ihre Einheit zurück­
bindet. So erst kommt die „Idee“ des Verhältnisses zur Sprache,
welche die Trennung von Substanz und Akzidenzien erst m ög­
lich macht. Die zwei logischen Momente „Sein“ und „Verhält­
nis“ spiegeln sich in drei Gestalten des Bewußtseins, weil die
dritte Gestalt den zusammenfassenden Knoten für die entfalte­
ten logischen Bestimmungen zuzieht.
Damit ist die Linie der Gestalten des Bewußtseins, das sich
dem Gegenstand gegenüberstellt, abgeschlossen. Die abschlie­
ßende Erfahrung sagt, daß der Gegenstand dieselbe Struktur
zeigt wie das Bewußtsein: jene Kraft, die von der Einheit oder
Identität zur Vielheit oder Differenz führt und dann wieder
zurück zur Einheit und Identität. Damit kann eine neue Ent-
wicklungslinie beginnen: ist nicht das, was überhaupt ist, in
seiner erfüllten Form Leben, das sich aus seiner Entelechie
heraus zu einem gegliederten Ganzen bildet und dieses geglie­
derte Ganze immer wieder an die einheitliche Entelechie zu­
rückbindet? Dieses Leben kann sich selbst erkennen. Das ge­
schieht im Menschen, der um die Welt und um sich selbst weiß.
Wenn die Tiere wüßten, auf welche Weise sie jeweils Pferde
oder Elefanten wären, dann wären sie vernünftige Wesen wie
wir; doch nur die Menschen bauen so etwas wie eine Biologie
und sogar eine Veterinärmedizin auf. Die Phänomenologie muß
zur Erfahrung bringen und so mit dem natürlichen Bewußtsein
einüben, daß die Strukturmomente des Lebens und des Erken-
nens das, was ist, bestimmen und damit eine „Wahrheit der
Gewißheit seiner selbst“ gewonnen werden kann. Erst im spä­
teren Inhaltsverzeichnis hat Hegel diesen Erfahrungsprozeß
unter den Titel „Selbstbewußtsein“ gestellt. Es handelt sich um
das sich erkennende oder selbstbewußte Leben oder das leben­
dige Selbstbewußtsein. So hat die Erfahrung des Selbstbewußt­
seins zwei Teile: es geht zuerst um die Unabhängigkeit des
13 6 O tto P ö g geler

Selbstbewußtseins im Leben, dann um dessen Freiheit oder


Selbsthaftigkeit, in der das Einzelne selbst doch eingebunden
bleibt in das übergreifende Ganze von Leben und Selbstbe­
wußtsein. Die ersten drei Gestalten zeigen, wie der Herr die
Begierde, er selbst zu sein, im Kam pf auf Leben und Tod be­
hauptet, wie dann das Bestehenbleiben des Lebens den Knecht
neben den Herrn stellt und schließlich diese Entgegensetzung
aufgelöst wird in der Arbeit, die dem Menschen die Herrschaft
über die Dinge und das Leben gibt. Der zweiten Reihe der
Gestalten hat Hegel selbst präzise Titel gegeben: „Stoizismus,
Skeptizismus und unglückliches Bewußtsein“.
Hegel entnimmt der Sozialphilosophie und der Geistesge­
schichte einfache Exempel, um mit ihnen (wie vorher mit dem
Gebrauch des Wortes „dieses“) zu illustrieren, daß das, was ist,
sowohl Dinglichkeit und Leben wie auch Selbstbewußtsein ist.
Das Selbstbewußtsein bleibt mit seiner Freiheit eingebunden
in die Unmittelbarkeit des Seins und des Lebens; von dieser
Eingebundenheit muß es sich durch eine Negation befreien.
Doch das natürliche und ungebildete Bewußtsein mißversteht
diese Negation, wenn es sie allzu borniert als ein T öten auffaßt.
In diesem Auffassen fallen die Position des Lebens und die
Negation seiner Unmittelbarkeit so auseinander, wie in einem
Kam pf auf Leben und Tod der Sieger und der T>te als bloßer
Leichnam auseinanderfallen. Die Erfahrung lehrt, daß die N e ­
gation der Unmittelbarkeit des Lebens im Selbstbewußtsein
anders aufgefaßt werden muß, also nicht abstrakt der Position
des Lebens gegenüberstellt werden darf. Das negierte Leben
muß im Selbstbewußtsein seine Unmittelbarkeit verlieren, aber
als Grund des Selbstbewußtseins doch bestehenbleiben. Um Po­
sition und Negation in der nötigen Weise zu vermitteln, führt
Hegel ein anderes Exempel ein: Das Verhältnis von Knecht­
schaft und Herrschaft. Er gibt sich alle Mühe, deutlich zu
machen, daß er kein sozialphilosophisches Them a verfolgt,
sondern ein illustrierendes Exempel gebraucht. Der Knecht,
der die Gefahr des Todes nicht durchsteht und am Leben hängt,
steht für die bleibende Unmittelbarkeit des Lebens, der Herr
für das Selbstbewußtsein, das diese Unmittelbarkeit im Beste­
hen der Todesgefahr aufzuheben vermochte. Der Knecht ist nur
Knecht zusammen mit dem Herrn, der ihn zur Arbeit zwingt
und dabei von der Arbeit des Knechtes lebt. Das Sein des
P h ä n o m e n o l o g ie d e s S elbstbew u s s t s e in s 13 7

Dinglichen und die Unmittelbarkeit des Lebens auf der einen


Seite, die Selbsthaftigkeit und Herrschaft auf der anderen Seite
werden durch Schlüsse vermittelt. Dabei wird der Herr sowohl
durch den Schluß der Herrschaft wie durch den Schluß des
Genusses charakterisiert. Der Schluß der Herrschaft lautet: der
Herr ist die Macht des Seins; das Sein ist die Macht des Knech­
tes; der Herr ist die Macht des Knechts. Der Schluß des Genus­
ses lautet: der Herr bezieht sich auf das Ding durch den Knecht;
der Knecht bezieht sich auf das Ding durch die Arbeit; der Herr
bezieht sich das Ding durch die anderwärts geleistete Arbeit
(eben im bloßen Genuß der zubereiteten Speise auf dem Tisch).
Statt Leben und Selbstbewußtsein im Absoluten in unmittel­
barer Position und abstrakter Negation auseinanderfallen zu
lassen, werden hier also die beiden Strukturmomente miteinan­
der vermittelt. Doch bleibt diese Vermittlung einseitig und
ungleich: der Herr tut nicht gegen sich selbst, was er gegen den
Knecht tut. Er unterwirft sich nicht selbst der Arbeit; so muß
seine Herrschaft sich im luxurierenden Genuß totlaufen. D es­
halb deutet Hegel eine dritte Gestalt an, die das Verhältnis von
Herrschaft und Knechtschaft von der Seite des Knechtes aus
sieht, dann aber auch diese einseitige Perspektive überwindet.
Die Arbeit erweist sich als der wahre Weg zur Freiheit. Indem
der Knecht das Dingliche und Lebendige durch seine Arbeit
formiert, gewinnt er Herrschaft und braucht den fremden Herrn
nicht mehr: er selbst ist der Herr seines Kornfeldes und der
Herr seiner Herde. D arf man in der Arbeit die wahre Vermitt­
lung von Leben und Selbstbewußtsein sehen? Hier antwortet
Hegel mit einem „teils-teils“ : die Arbeit muß in einer bestimm­
ten Weise aufgefaßt werden, nicht als separiertes Tun des blo­
ßen Bourgeois, sondern als Überwindung des Gegensatzes von
Herrschaft und Arbeit durch den Bürger, der sowohl Bourgeois
wie Citoyen ist.
Eine zweite Reihe von Erfahrungsprozessen zeigt nicht so
sehr die Überwindung der Unmittelbarkeit des Lebens, sondern
die Konkretion der Freiheit im Selbstbewußtsein. Wenn Hegel
hier auf Gestalten der Geistesgeschichte verweist, dann nicht
innerhalb einer geschichtlichen Erörterung; die Gestalten il­
lustrieren nur Erfahrungen, die das Bewußtsein im Umgang
mit Momenten der Logik macht. H at der Mensch erst einmal
erfahren, daß er mit seiner Arbeit die bildende Kraft der Natur
13 8 O tto P ö g geler

fortsetzt und so selbstbewußt und selbsthaft wird, dann kann er


mit dem Stoizismus in diesem Selbstbewußtsein zugleich den
Logos der Welt finden. Bleibt der Stoizismus aber nicht un­
menschlich, wenn er immer nur wiederholt, der Mensch solle
auf dem Thron wie in den Ketten sich mit dem Logos einigen
und damit frei sein? Beteuerungen dieser Art bleiben „langwei­
lig“ , da sie kein Kriterium für ein Handeln in konkreten Situa­
tionen angeben. Der Skeptizismus als zweites Exempel zeigt,
wie das Selbstbewußtsein die Bindung an das Gegebene durch
den Aufweis von dessen Widersprüchlichkeit auflöst. Das un­
glückliche Bewußtsein zieht Phänomene der jüdisch-christ-
lichen Religionsgeschichte heran und macht deutlich, daß der
konkrete Mensch in seiner Endlichkeit sich mit G ott als dem
absoluten Selbst vermitteln kann.
Die einführenden Erläuterungen zur Darstellung dieser E r­
fahrungsprozesse sagen klar, worum es geht: das ungebildete
Bewußtsein soll den Um gang mit jenen logischen Bestimmun­
gen lernen, die ihm sagen, daß das, was ist, also die Verflech­
tung von Welt, Seele und Gott, sowohl als Leben wie als Selbst­
bewußtsein gedacht werden muß. Dabei wird klar, daß es nicht
um den einzelnen Menschen als selbstbewußtes Wesen geht.
Vielmehr soll das absolute Selbst aufgefaßt werden als ein Pro­
zeß, in dem das Leben und mit diesem die Dinglichkeit sich
zum Selbstbewußtsein erhebt. Dieser Prozeß ist eine kompli­
zierte Vermittlung, indem die beiden Seiten sich gegenseitig
anerkennen müssen. Das Leben muß anerkennen, daß es zum
Selbstbewußtsein tendiert; das Selbstbewußtsein muß im L e­
ben seine bleibende Grundlage sehen. Gott soll Mensch wer­
den, der Mensch sich aus G ott wissen. Dieser Prozeß des Aner­
kennens zeigt, daß die höchste logische Struktur die Teleologie
ist, in der ein Ansich für sich selbst wird.

II. Selbstbewußtsein und absolutes W issen

Die logischen Grundbegriffe und Denkformen dienen Hegel


dazu, das, was ist, von seinem Grunde her und in seinem Zu­
sammenhang zu begreifen. So stehen neben den Partien der
spekulativen Philosophie, die man in einem engeren Sinn „lo­
gisch“ nennen kann, „metaphysische“ Partien. Diese metaphy­
A bso lu tes W is s e n 13 9

sischen Partien tragen zur Zeit der Abfassung der Phänomenolo­


gie die Titel „Wissendes Wissen“, „Geist“ , „Wissen des Gei­
stes von sich“ . Die Weisen des Wissens und Verhaltens, die hier
entfaltet werden, sollen durch die phänomenologischen Ab­
schnitte über Vernunft, Geist, Religion und absolutes Wissen
eingeübt werden. Wenn die Vernunft die Ausrichtung des Be­
wußtseins auf einen Gegenstand mit dem Selbstbewußtsein
verbindet, muß sie in drei Abschnitten jeweils drei Gestalten
vorführen, also der Einstellung des Bewußtseins und der Ein­
stellung des Selbstbewußtseins die Synthese von Bewußtsein
und Selbstbewußtsein folgen lassen. So erweist sich das Wissen
als ein Wissen, das um die Realität weiß. Das Kapitel über den
Geist als sittlichen Geist zeigt, wie dieses wissende Wissen real
existiert: in den einzelnen Menschen, in Ständen oder Klassen,
in Völkern, in der Geschichte. In der Religion gewinnt der
Geist ein Wissen von sich, nämlich von seinem sinngebenden
Grund und seiner alles zusammenfügenden heiligen Mitte, die
in einer unmittelbaren Zuwendung „G ott“ genannt wird.
Die Gestalten der Religion werden von den vorher vorge­
führten Gestalten her gewonnen. Die vorherigen Gestalten bil­
den Linien, auf denen zwei Gestalten in einer dritten Gestalt
den abschließenden „Knoten“ finden: die sinnliche Gewißheit
und die Wahrnehmung im Verstand, die Begierde des Herrn
und das Herrschafts-Knechtschafts-Verhältnis in der Arbeit,
jedenfalls Stoizismus und Skeptizismus im unglücklichen Be­
wußtsein. Die Religion greift durch das Bündel dieser Linien
hindurch und versteht sich dann von den Gestalten her, die
jeweils als erste, als zweite und als dritte Gestalt in diesem
Bündel der Linien nebeneinander hegen. So versteht sich die
erste Gestalt der Naturreligion von der sinnlichen Gewißheit
her, aber auch von der Begierde des Herrn und vom stoischen
Ich her. Sie setzt (etwa in der iranischen Religiosität) mit der
sinnlichen Gewißheit das Licht in seinem Unterschied vom
Dunkel als das Göttliche; dieses Göttliche wird dann (so in der
jüdischen Religiosität) zum Herrn, der das Licht zum Kleid hat.
Auf diese Weise werden die überhaupt möglichen Formen von
Religiosität phänomenologisch abgeleitet. Damit wird aber die
Geschichte der Religion logisch begriffen, denn hinter den
phänomenologischen Gestalten stehen die Grundmomente der
Logik, so hinter der sinnlichen Gewißheit das reine Sein.
14 0 O tto P ö g geler

Wenn Hegel Naturreligion, Kunstreligion und offenbare


Religion unterscheidet, dann unterstellt er der Naturreligion
den Standpunkt des Bewußtseins, der griechischen Kunstreli­
gion den Standpunkt des Selbstbewußtseins, der christlichen
als der offenbaren Religion aber die Einheit von Bewußtsein
und Selbstbewußtsein. In dieser offenbaren Religion ist Gott
nicht allein das unmittelbar vorgegebene Licht, aber auch nicht
nur die heilige Statue mit ihrer menschlichen Gestalt, vom Künst­
ler geschaffen; Gott wird erfahren in der Einheit der Unmittel­
barkeit und der selbstbewußten Kunst, nämlich in diesem sterb­
lichen und geschichtlichen Menschen, in dem der Anspruch
Gottes an die Menschen sich zeigt. Die offenbare Religion ist
deshalb die trinitarische Religion, in der die urchristliche E r­
fahrung des Göttlichen auf den Begriff gebracht wird. So aber
kann schon in der religiösen Sphäre die Geschichte mit ihren
Erfahrungen hintendieren auf die Durchsichtigkeit des Begriffs.
Das Wissen des Geistes von sich ist nicht nur Religion, die
unmittelbar einen letzten Sinn sucht, sondern zugleich das ab­
solute Wissen, das das religiöse Wissen des Geistes von sich
mit dem reflektierten Wissen vereint und so den letzten Knoten
für das Bündel der phänomenologischen Gestalten bildet. H e­
gel macht darauf aufmerksam, daß zu den Gestalten des Be­
wußtseins Gestalten der Aufhebung des Bewußtseins im Selbst­
bewußtsein treten: zur sinnlichen Gewißheit tritt die physiogno-
mische Beobachtung der Seele, zur Wahrnehmung das Bestehen
der Aufklärung auf dem Verhältnis der Nützlichkeit, zum Ver­
stand das moralische Selbstbewußtsein. N ur so kann (in der
Gestalt der schönen Seele) die Anschauung des Göttlichen
zugleich Selbstanschauung sein. Nicht das Selbstbewußtsein in
seinem Gegensatz zum Bewußtsein, sondern beide in ihrer
Synthese sind somit der Leitfaden für das absolute Wissen.
Diese Synthese ist „logisch“ schon angezeigt im unglücklichen
Bewußtsein, das auf sein Unglück verzichtet und so das einzel­
ne Selbstbewußtsein aus einem übergreifenden teleologischen
Prozeß versteht. Erst in diesem Prozeß wird erreicht, was das
Selbstbewußtsein nur anzeigt: ein letztes Durchsichtigwerden
des Absoluten, das alle einzelnen Gestalten in sich zurückholt.
Das absolute Wissen ist nicht eine Gestalt des Bewußtseins unter
anderen Gestalten, sondern jene „Gestalt“ , die zum Beispiel die
sinnliche Gewißheit ist, aber eine sinnliche Gewißheit, die über
A bso lu tes W is s e n 14 1

ihren Ort im ganzen des Prozesses aufgeklärt ist und deshalb


um ihre Grenze weiß. So kann die Phänomenologie zur W is­
senschaft der Logik hinführen, die nicht allein vom Sein spricht,
sondern das Sein im Zusammenhang aller spekulativen Grund­
momente sieht.
Die Phänomenologie des Geistes kann in allem Bewußtsein von
etwas eine Tendenz zum Selbstbewußtsein finden, weil das
Selbstbewußtsein gefaßt wird als Selbstbewußtwerden des Ab­
soluten (und damit nach der religiösen Sprache: des Gottes in
uns). Die einzelnen Menschen können an diesem Selbstbewußt­
sein nur teilnehmen je nach dem Ort, den sie im sitdichen und
religiösen Geist und in der Geschichte als dem Durchsichtigwer­
den des Absoluten einnehmen. Es ist die Metaphysik Hegels,
die seinem Denken eine besondere Affinität zur Geschichte
gibt. Dabei muß Hegel die Geschichte des Bewußtseins, die
von der Logik geleitet ist, unterscheiden von der kontingenten
Weltgeschichte. Er sagt am Schluß der Phänomenologie·. „Seine
Grenze wissen, heißt sich aufzuopfern wissen“. Das spekulative
Wissen der Logik und die phänomenologische Einübung dieses
Wissens müssen die Zufälligkeit in Natur und Geschichte außer
sich setzen und eigens freilassen. Damit unterscheidet sich die
phänomenologische Geschichte von der wirklichen Geschich­
te: die Geschichte des Bewußtseins ist eine „begriffene Organisa­
tion“ möglicher Erfahrungen, welche den Begriffen der Logik
folgt; zu ihr tritt das Zufällige, daß zum Beispiel die Ausrichtung
auf das Sein gerade in Großgriechenland gefunden worden ist.
Erst die Verbindung dieser kontingenten Geschichte mit der
Phänomenologie als der begriffenen Organisation der geschicht­
lich möglichen Erfahrungen ergibt die „begriffene Geschichte“,
die das Ewige und Bleibende im Kontingenten findet und so zu
einem logischen Verstehen von Geschichte und Geist führt.

III. Selbstbewußtsein als Teleologie

Die Dualität des Bewußtseins von etwas erweist sich nach Hegel
als Leben, das im Anderen und mit dem Anderen sich selbst findet
und Selbstbewußtsein werden soll. In diesem Selbstbewußtsein
wird das, was an sich ist, erst für sich, und so ist dieses Selbstbe­
wußtsein ein teleologischer Prozeß. Von dieser Voraussetzung
14 2 O tto P ö g geler

aus konnte Hegel zur Zeit der Abfassung der Phänomenologie


die neuplatonische Tradition und ihre jüdische (phiionische)
sowie christliche Umformung neu aneignen. Dabei geriet Aris­
toteles in die Rolle dessen, der diesen Neuplatonismus anführt,
wenn er das Selbstbewußtsein (die Noesis Noeseos) zugleich
als Leben (Zoe) und Wirklichkeit (Energeia) faßt. Hegels be­
tonte Rede vom „wirklichen“ Wissen, das erst in einem ge­
schichtlichen Prozeß zu sich findet, muß von der aristoteli­
schen Auffassung der Energeia als Zoe und Noesis Noeseos her
entschlüsselt werden. Hegel ist mit seiner Phänomenologie des
Selbstbewußtseins seinem Freunde Schelling zugleich nah und
fern. Auch Schelling sucht in seiner Schrift über das Wesen der
menschlichen Freiheit von 1809 im Absoluten das, was dunkler
Grund ist, mit dem zu vermitteln, was Gott als er selbst ist.
Hegel besteht jedoch darauf, daß dieses Verhältnis vor aller
Anthropologie, Theologie und Metaphysik logisch aufzuklä­
ren ist. D a sowohl Marx wie Kierkegaard diese logischen Be­
mühungen aufgaben, mußten sie vorschnell Thesen über den
wirklichen Menschen und seine Geschichte oder die gläubige
Existenz Hegel entgegenhalten.
Hegel faßt in der Vorrede zur Phänomenologie seine Weise,
vom Selbstbewußtsein in metaphysischer Absicht zu sprechen,
in die Formel zusammen, die Substanz müsse als Subjekt ge­
dacht werden. Damit stellt er nicht dem Bewußtsein das Selbst­
bewußtsein und auch nicht der antiken Orientierung am Sein
die neuzeitliche Ausrichtung auf eine letzte Selbstgewißheit
entgegen; vielmehr deutet er das Subjektsein der Substanz als
einen teleologischen Prozeß. Damit kommt der Begriff, in dem
das Absolute sich durchsichtig wird, in einen Bezug zur Zeit
und zur Geschichte. Der Schluß der Phänomenologie nennt die
Zeit den Begriff, der (in der Zerstreuung der Geschichte) da ist.
So sei die Zeit das Schicksal und die Notwendigkeit des Geis­
tes, sofern dieser unvollendet sei. Vom in sich vollendeten Geist
wird dagegen gesagt, daß er durch den Begriff die Zeit und
damit die schicksalhafte Zerstreuung „tilgt“ . Diese Vollen­
dung des Geistes hat Hegel für seine eigene Zeit beansprucht.
Diesen Anspruch konnte er aber nur geltend machen, indem er
die entscheidenden Probleme der spekulativen Philosophie
kurzschlüssig auflöste, zum Beispiel die Idee des Guten und
damit den sittlichen Geist zu nahe an die teleologische Struktur
A bso lu tes W is s e n 14 3

des Lebens heranrückte. Hier können wir Hegel nicht folgen.


Die Phänomenologie des Geistes arbeitet noch an der Lösung
dieser metaphysischen Probleme und verwickelt sich dabei in
unaufgelöste Schwierigkeiten. So kann gerade dieses Hegel-
sche Werk uns dazu dienen, die Hegelsche Philosophie auf die
in ihr hegenden Probleme hin aufzubrechen und so auf die
Fragen unserer Zeit zu beziehen.
7
Klaus Düsing

D er Begriff der Vernunft


in Hegels Phänomenologie

Es gilt heute nicht mehr als selbstverständlich, daß vernünftiges


Argumentieren der Wahrheits- oder der Entscheidungsfindung
dient. Dies läßt sich zum einen aus Versuchen ersehen, eigens
allgemeine Rationalitätskriterien aufzustellen und für sie zu vo­
tieren oder für rationale Entscheidungskriterien im Praktischen
zu werben; es läßt sich zum anderen und vor allem aus postmo­
derner Vernunftkritik und aus der Diagnose schon des späten
Husserl, erst recht aber des späten Heidegger ersehen, die
Vernunft der europäischen Wissenschaften sei in eine Krise
geraten, ja sie verberge als universal gewordene technische Ver­
nunft schließlich alle Wahrheit des Seienden. - Weder ist in
solchen Voten für Rationalität noch in derartigen Kritiken an
der Vernunft einhellig bestimmt, was Vernunft eigentlich be­
deutet, noch sind die Gründe für sie oder gegen sie jeweils
gleichartig, z. T. sind speziell die verschiedenartigen Gegen­
gründe miteinander inkompatibel. So ist das Reden über Ver­
nunft gegenwärtig offenbar diffus geworden.
Damit ist eine Situation entstanden, in der eine Rückwendung
zu Bestimmungen der Vernunft in der klassischen deutschen
Philosophie von Kant bis Hegel von besonderem Orientie­
rungswert sein kann. Gerade Hegel befand sich in einer ähnli­
chen Lage wie wir heute, da er zu bestimmten der Vernunft
wenig gewogenen Positionen von großer zeitgenössischer Be­
deutung, sei es des Sturm und Drang und der frühen Klassik, sei
es der Romantik, Stellung zu nehmen sich genötigt sah. So hebt,
um nur zwei Beispiele zu nennen, Goethe in Faust 1 das U nge­
14 6 K la u s D ü s in g

nügen Fausts an den Wissenschaften und am Betreiben von


Wissenschaft hervor. Ironischerweise freilich ist es Mephisto,
der ihn zum vollblütigen Leben verführt und der z. B. die zum
geflügelten Wort gewordenen Verse spricht: „Grau, teurer
Freund, ist alle Theorie/Und grün des Lebens goldner Baum“
(V 2038 f.). Das Anstößige dieses Diktums müssen wir uns erst
wieder vergegenwärtigen. Für Hegel ist dies offensichtlich an­
stößig; denn hiermit wird die Theorie, d. h. alle Wissenschaft
und alle Philosophie herabgewürdigt.1 Oder Friedrich Schlegel
erklärt im „Gespräch über die Poesie“, die Poesie sei der U r­
quell, von dem alles, auch die Wissenschaft ausgehe und zu dem
alles zurückkehre, ein Gedanke, der sich teilweise schon bei
Hamann und Herder und als ganzer ebenso beim jungen Schel­
ling findet. M it solcher Wissenschafts- und Vernunftskritik setzt
Hegel sich auseinander; sein generelles Argument lautet: Ver­
nunft und wissenschaftliche Erkenntnis sind in solcher Kritik
unterbestimmt; wahre Vernunfterkenntnis ist nicht abstrakt,
sondern konkret-allgemein, erfaßt somit auch das lebendige
Seiende. Hegel unterscheidet jedoch von solcher uneinge­
schränkten Vernunfterkenntnis sowohl der reinen logischen
Gedanken als auch des realen natürlichen und geschichtlich­
geistigen Universums die begrenzte Bedeutung der endlichen
Vernunft in der Phänomenologie.
So soll im folgenden gezeigt werden, erstens daß die Vernunft
in der Phänomenologie von 1807 eine bestimmte, aber vorläufige
Weise des Fürwahrhaltens innerhalb einer systematischen G e­
schichte des Selbstbewußtseins darstellt, zweitens daß Anfangs­
und Endpunkt dieser Position des vernünftigen Fürwahrhaltens,
an dem die Romantiker prinzipiell ihr Ungenügen finden, die
Kantische theoretische und praktische Vernunft ist, über die
Hegel vernunftimmanent hinausführen will, und drittens, wie
die endliche Vernunft innerhalb des subjektiven Geistes in der
Enzyklopädie einen neuen systematischen Stellenwert erhält und
wie sie zur absoluten Vernunfterkenntnis steht. Am Schluß
möge ein Hinweis auf die Bedeutung der nicht-instrumentellen
und nicht-technischen endlichen Vernunft innerhalb einer mo­
dernen Subjektivitätstheorie stehen.

1 Vgl. G . W F. Hegel: Ästhetik. H g. von F. Bassenge. Berlin 1955. Nachdruck:


Frankfurt a.M. o. J. II, 574.
D e r B e g r i f f d e r V e r n u n f t in H e g e ls Phänomenologie !47

I. Vernunft in der Geschichte des Selbstbewußt­


seins. H egels Phänomenologie von 1807
Vernunft ist in der Phänomenologie von 1807 eine zentrale Weise
des Fürwahrhaltens, die das Bewußtsein auf seinem Wege der
„Bildung ... zur Wissenschaft“ (GW 9, 56)2, nämlich zur siche­
ren wissenschaftlichen Erkenntnis durchläuft; vorausgehen
Weisen des Fürwahrhaltens des Bewußtseins wie sinnliche G e­
wißheit, Wahrnehmung, Verstand und das Fürwahrhalten des
Selbstbewußtseins; es folgen die Gestalten des Geistes und de­
ren Weisen des Fürwahrhaltens. Nun kommt Vernunft nicht
einfach als eine Fähigkeit unseres Geistes neben anderen wie
Empfindung, Wahrnehmung, Verstand vor. Hegel spottet auch
in der Phänomenologie wie schon im Skeptizismus-Aufsatz von
1802 über die damalige anthropologische bzw. psychologische
„Hererzählung“ einer „Kollektion“ von Vermögen, als seien
diese vorhanden in unserem Geist „wie in einem Sacke“ (GW 9,
169; vgl. G W 4, 237: „Sackvoll Vermögen“; vgl. auch 329).
Hintergrund dieser Kritik ist das Programm einer systema­
tischen idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins, wie
Hegel es von Fichte und Schelling aufnimmt. Die idealistische
Geschichte des Selbstbewußtseins hat, kurz gesagt, zwei grund­
legende Aufgaben3: Zum einen hat sie in systematischer Stufen­
folge, die durch ein Prinzip geregelt ist, die verschiedenen Fä­
higkeiten und Leistungen des Selbstbewußtseins darzulegen,
bis dieses eine erfüllte Selbstbeziehung erreicht; durch diese
Systematik und ihr Prinzip hebt sich die idealistische Geschichte
des Selbstbewußtseins von der empirischen Anthropologie ab.
Zum anderen muß sie zwischen betrachtendem und betrachte­

2 V gl. hierzu Marx, W. 1981: Hegels Phänomenologie des Geistes. Die Bestimmung
ihrer Idee in „Vorrede“ und „Einleitung“. 2. erw. Aufl. Frankfurt a.M., 45 ff.
3 Hierzu sei der Verweis erlaubtauf meinen Aufsatz: Hegels „Phänomenologie“ und
die idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins (zuerst: serbokroatisch in: Godisnjak
za povijest filozofije 6, 1988, 32-48). N eue Fassung in: Hegel-Studien 28 (1993),
103-126. D ort wird auch deutlich, daß die idealistische Geschichte des Selbstbe­
wußtseins einen empirischen Vorläufer hat in Condillacs Schilderung, wie an
einer menschlichen Statue ein Vermögen nach dem anderen erwacht (vgl. Condil­
lac, E. B. de 1754. Traité des sensations. 2 Bde. Paris). H egel erwähnt diese Lehre
Condillacs in der Enzyklopädie, vgl. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften
im Grundrisse (1830), G W 20, § 442 Anm.
14 8 K la u s D ü s in g

tem Ich auf den jeweils verschiedenen Stufen unterscheiden


und zeigen, wie das thematisierte und erörterte, betrachtete Ich
sich von Stufe zu Stufe mit Bestimmungen der Subjektivität
anreichert, bis es dem betrachtenden Ich, das für die vollentwik-
kelte methodische und inhaltliche Position des erfüllten, selbst­
bezüglichen Ich steht, gleich wird und darin zur Vollendung
gelangt. Schon aus diesem Aufbau ersieht man, daß die Selbst­
beziehung des Selbstbewußtseins hier nicht nach einem Modell
starrer und statischer Subjekt-Objekt-Beziehung gedacht wird.
Die stufenartige Entwicklung des betrachteten Ich oder des
Ich-Objekts geschieht hier über eine systematische Entfaltung
von Fähigkeiten und Leistungen des Ich, in denen dieses in
zunehmend komplexer Weise für sich wird, bis es sich schließ­
lich in seiner vollendeten Selbstbeziehung erfaßt. Diese be­
stimmt Hegel als das „absolute Wissen“ .
Hegel ordnet freilich die Geschichte des Selbstbewußtseins
in der Phänomenologie in einen gegenüber Fichte und Schelling
neuen systematischen Kontext ein.4 Sie ist für ihn weder Be­
standteil eines transzendentalen Idealismus als Grundlegung
des Systems wie bei Fichte noch ein transzendentaler Idealismus
als eine Art Geistesphilosophie wie bei Schelling; sie ist für
Hegel vielmehr systematische Einleitung in das System, näm­
lich in die spekulative Logik als den ersten Systemteil.5 Diese
Einleitungsfunktion erhält die Phänomenologie, nachdem Hegel
in Jena zunächst mit einer solchen Einleitungsfunktion seine
frühe Logik als Theorie der Reflexion und der endlichen Ver­
nunft betraut hat. Erst als Hegel die Logik in spekulativer Be­
deutung konzipierte und ihr die rein gedankliche Erkenntnis
des Absoluten auftrug, wurde eine neue systematische Einlei­
tung erforderlich, die Phänomenologie als Geschichte des Selbst­
bewußtseins, die die Entwicklung der Weisen des Fürwahrhal­
tens bis zum „absoluten Wissen“ darlegt. - D a hierbei aber
keine der vorläufigen Arten des Fürwahrhaltens einer Prüfung

4 Vgl. zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Konzeptionen Schellings


und H egels in dieser Frage Marx, W. 1977: Aufgabe und Methode der Philosophie in
Schellings System des transzendentalen Idealismus und in Hegels Phänomenologie des
Geistes. In: Ders.: Schelling: Geschichte, System, Freiheit. Freiburg und München,
63-99. Vgl. ferner meinen in der vorigen Anmerkung erwähnten Aufsatz.
5 Vgl. dazu Fulda, H . F. 1975: Das Problem einer Einleitung in Hegels „Wissenschaft
der Logik“. 2. Aufl. Frankfurt a.M.
D e r B e g r i f f d e r V e r n u n f t in H e g e ls Phänomenologie :49

standhält, ist der geschilderte Weg des Selbstbewußtseins ein


„sich vollbringender Skeptizismus“ (G W 9, 56), in dem das
fürwahrhaltende Bewußtsein in weitem Sinne als Subjekt des
Fürwahrhaltens auf jeder Stufe, die eine in sich abgeschlossene
Bewußtseinsgestalt bildet, in Verzweiflung gerät. Der argumen­
tative Fortgang innerhalb einer Stufe wird dabei durch eine
„dialektische Erfahrung“ des Bewußtseins bewerkstelligt, in der
es gewahr wird, daß das Gegenteil dessen, was es jeweils für das
Wahre hielt, sich als das Wahre erweist. Diese Einsicht verur­
sacht den Zweifel und die Verzweiflung des Bewußtseins. Dar­
aus ergibt sich generell, daß in dieser Geschichte des Selbst­
bewußtseins als „sich vollbringendem Skeptizismus“ nicht die
Fähigkeiten und Leistungen des Ich als solche erörtert und
systematisch entwickelt werden, sondern nur, sofern sie Weisen
des Fürwahrhaltens darstellen, also nicht etwa die Empfindung
als solche, sondern die sinnliche Gewißheit. - Die Phänomenolo­
gie ist somit Geschichte des Selbstbewußtseins als „Wissen­
schaft der Erfahrung des Bewußtseins“, wie der ursprüngliche
Zwischentitel lautete6; sie ist dies jedoch allein als systematische
Einleitung in das System, speziell in die spekulative Logik und
als „wissenschaftlicher Skeptizismus“, der die „dialektische Er­
fahrung“ des Bewußtseins und dessen jeweiligen Weg der Ver­
zweiflung darstellt. N ur durch solchen Weg der Verzweiflung
gelangt das Bewußtsein zum wahren Wissen.
Diese Geschichte des Selbstbewußtseins als systematische
Darlegung sich als unwahr erweisender Gestalten des Fürwahr­
haltens, bis das wahre Wissen erreicht wird, ist für Hegel zu­
gleich Phänomenologie oder Erscheinungslehre des Geistes.
Die Gestalten des Bewußtseins und seines jeweiligen Fürwahr­
haltens werden damit metaphysisch gedeutet als Erscheinungen
des Geistes, der noch nicht in seiner Wahrheit auftritt. Die
Geschichte des Selbstbewußtseins als Einleitung in die Logik
und als „sich vollbringender Skeptizismus“ erhält damit ein
spekulativ-metaphysisches Fundament. Ob dies allerdings dem
Charakter der Einleitung, die doch erst metahysische Erkennt­
nis ermöglichen sollte, gerecht wird, bleibt fraglich.

6 Das Titelproblem ist gelöst in Nicolin, F. 1967: Zum Titelproblem der Phänome­
nologie des Geistes. In: Hegel-Studien 4, 113-123.
15 0 K la u s D ü s in g

In diese Konzeption von Hegels Phänomenologie ist nun die


Explikation der endlichen Vernunft als einer bestimmten Weise,
das Wahre zu fassen, eingeordnet. Schon mit der vorangehen­
den Position des „Selbstbewußtseins“ wird nach Hegel „das
einheimische Reich der Wahrheit“ (G W 9, 103) betreten. Für
das Selbstbewußtsein ist das Wahre oder der Gegenstand von
der Art des Selbstbewußtseins; Gegenstand bedeutet hierbei
nicht etwa naturhaftes oder technisch hergestelltes Körperding,
sondern hat die weite Bedeutung, noematisches Korrelat des
vorstellenden Selbstbewußtseins zu sein, das das Selbstbewußt­
sein für das eigentlich Seiende und insofern Wahre hält. Aber
dem Selbstbewußtsein ist sein Gegenstand noch ein anderes
Selbstbewußtsein, auf das es sich negativ bezieht; deutlich wird
dies insbesondere am Kam pf auf Leben und Tod oder am
Verhältnis von Herr und Knecht als Selbstbewußtseinsgestal-
ten. Vernunft bedeutet demgegenüber das Fürwahrhalten des
Selbstbewußtseins, das zu seinem Gegenstand, dem Selbstbe­
wußtsein, ein positives Verhältnis gewinnt. So hat die Vernunft
die Gewißheit, „alle Realität zu sein“ (GW 9, 133)7; solche
Gewißheit schrieb Fichte dem reinen Ich zu. Das vernünftige
Fürwahrhalten entdeckt, daß sein noematisches Gegenüber
selbst ein positiv Vernünftiges ist. So ist das Vernünftige, das
alle Realität ist, in seinem Begriff kein abstraktes und leeres,
sondern ein erfülltes Allgemeines. Solches vernünftige Für­
wahrhalten kommt in der Phänomenologie jedoch nur einem
einzelnen Selbstbewußtsein zu; darin liegt die Vorläufigkeit
auch dieses Fürwahrhaltens begründet.
Das vernünftige Fürwahrhalten des einzelnen Selbstbewußt­
seins muß nun realisiert werden; diese Realisierung gliedert
sich in eine Sequenz bestimmter Gestalten. Die erste Phase des
Fürwahrhaltens ist das theoretische Erkennen der Natur und
der Naturseite des Geistes aufgrund eines leitenden vernünfti­
gen Prinzips; hier zeigt sich, daß das theoretisch Aufzunehmen­
de und zu Erkennende ein nur Vorgefundenes Vernünftiges ist.
Bloß passives Vorfmdlichsein aber ist nicht die eigentümliche
Existenzweise des Vernünftigen für vernünftige Betrachtung.
So sucht das Vernünftige sich in einer zweiten Phase aktiv zu

7 Vgl. J . G. Fichte-Gesamtausgabe. Abt. I, Bd. 2. H g. von R. Lauth und H . Jacob


unter Mitwirkung von M . Zahn. Stuttgart-Bad Cannstatt 1965, etwa 299.
D e r B e g r i f f d e r V e r n u n f t in H e g e ls Phänomenologie

realisieren als einzelnes Selbstbewußtsein. D a zu Beginn die


Vernunft- und wissenschaftsfeindliche Position Fausts in Goe­
thes Faust 1 erwähnt wurde, sei hier speziell auf Hegels kritische
Deutung verwiesen. Hegel legt in dem Abschnitt: „Die Lust
und die Notwendigkeit“ die Auffassung dar, daß Fausts Position
sich ungewollt in ihrer paradoxen Konsequenz als vernünftig
erweist. Faust wendet sich von der Wissenschaft ab und stürzt
sich in dasjenige, was er für das Leben hält; er genießt Lust und
Befriedigung der Begierde und bleibt darin in seiner Einzelheit
befangen. Was er eigentlich sucht, ist dagegen erfüllte, leben­
dige Allgemeinheit. In der Erfahrung der Wesenlosigkeit der
Lusterlebnisse des Einzelnen hegt - dies ist Hegels Argument -
die schmerzhafte Einsicht verborgen, daß das Gegenteil dessen,
was er für das Wahre hielt, die Lust des Einzelnen, das Wahre
ist, die Notwendigkeit und das Schicksal, die freilich nicht un­
begriffen bleiben dürfen, sondern die als erfüllte Allgemeinheit
begriffen werden müssen. - Die dritte Phase des vernünftigen
Fürwahrhaltens besteht in Versuchen der Realisierung der prak­
tischen Vernunft des einzelnen Selbstbewußtseins, das in sich
die sittlich erfüllte Allgemeinheit zu tragen beansprucht.

II. Anfangs- und Endpunkt der Entwicklung des


vernünftigen Fürwahrhaltens
D er Anfang und das Ende der Entwicklung des vernünftigen
Fürwahrhaltens sind gekennzeichnet durch eine Auseinander­
setzung Hegels mit Kants und Fichtes Prinzip des reinen Ich
sowie mit Kants Begriff der praktischen Vernunft.
Die Vernunft ist sich gewiß, „alle Realität zu sein“ ; dies ist
nach Hegel das Prinzip des „Idealismus“ (GW 9, 133 u. ö.)8, das
Kant in der Einheit der Apperzeption und Fichte in dem Grund­
satz: „Ich bin Ich“ erfasse. Für Hegel ist darin enthalten, daß

8 V gl. zur Interpretation Hyppolite, J. 1946: Genese et structure de la phénoménolo­


gie de Pesprit de Hegel. Paris, 211-222; vgl. auch Labarrière, P. J . 1968: Structures et
mouvement dialectique dans la phénoménologie de Vesprit de Hegel. Paris, 95 ff. Vgl. vor
allem die detaillierte, wohlerwogene Interpretation, die auch H egels Kant- und
Fichtekritik am Anfang des Vernunftkapitels erläutert, von Kaehler, K. E ./
Marx, W. 1992: Die Vernunft in Hegels Phänomenologie des Geistes. Frankfurt a.M.,
35-83.
15 2 K la u s D ü s in g

sich das Ich oder das Selbstbewußtsein nicht nur ein Gegen­
stand neben anderen ist, sondern einziger Gegenstand mit Aus­
schluß denkbarer anderer; es begreift sich wesentlich als alle
Wahrheit in positiver Selbstbeziehung, und darin ist sein selbst­
bezügliches Fürwahrhalten allgemein und vernünftig; es er­
kennt in allem, was ist, wesentlich Selbstbewußtsein; dies gilt,
wie sich dann erweist, auch für alles naturhaft Seiende als defizi-
entes Selbstbewußtsein. So ist das reine Ich oder die Apperzep­
tion Kategorie, d. h. allgemeine Grundbestimmung des Seien­
den überhaupt, von dem sich auf der Stufe der vernünftigen
Selbstbeziehung zeigt, daß dies Seiende denkendes Wesen ist,
oder die ontologische Bedeutung der Kategorie ist in sich ego­
logisch. In der Realphilosophie von 1805/06 hatte Hegel er­
klärt: „Logos [ist] Vernunft, Wesen des Dings und Rede, Sache
und Sage, Kategorie.“ (G W 8, 190)9 Hier wird die griechische,
genauer Aristotelische Herkunft von Kategorie hervorgehoben
als Einheit von gedanklicher Aussage und Bedeutung des Seien­
den. In der Phänomenologie wird dieser Logos subjektivitäts-
theoretisch gefaßt; er ist die Vernunft, die sich und alles als
Selbstbewußtsein weiß. Diese Position der Vernunft reicht so­
mit in Varianten von den Griechen bis zu Kant und Fichte; und
sie ist grundsätzlich auch Hegels eigene Position.
In der Darstellung der Phänomenologie haften dieser Position
jedoch noch Vorläufigkeiten an, die Hegel u. a. im Rekurs auf
seine Jenaer Kant- und Fichte-Kritik benennt und die generell
darin bestehen, daß dies Vernünftige nur ein begrenztes Für­
wahrhalten eines endlichen Selbstbewußtseins ist. Zum einen
erklärt Hegel, daß die Position der Vernunft als Idealismus
unmittelbar auftritt unter Vergessen des Weges, der zu ihr führt.
Auch für die Gestalt des vernünftigen Fürwahrhaltens gilt, daß
das Bewußtsein auf jeder Stufe neu und ohne Berücksichtigung
der vorherigen Stufen beginnt. Darin liegt implizit der Vorwurf
gegen die Kantische und insbesondere gegen die Fichtesche
Philosophie, daß sie jeweils mit ihrem Prinzip anfangen, dessen
Gültigkeit nur versichern können und keine systematische Ein­
leitung zur Rechtfertigung dieses Prinzips voranschicken, wie
Hegel dem System und der spekulativ-logischen Erkenntnis mit

9 Die Ergänzung folgt Hoffmeister (vgl. Hegel: Jenaer Realphilosophie. H g. von


J. Hoffmeister. Nachdruck: Ham burg 1967, 183).
D e r B e g r i f f d e r V e r n u n f t in H e g e ls Phänomenologie 15 3

der Phänomenologie eine systematische Einleitung als Rechtfer­


tigung dieser Erkenntnis weise vorausgehen läßt. Auch die bei­
den Einleitungen Fichtes in die Wissenschaftslehre von 1797 sind
für Hegel offenbar nur äußerliche propädeutische Hinführun­
gen, nicht aber systematische Einleitungen zur Rechtfertigung
des Prinzips.
Zum anderen faßt das idealistisch verstandene vernünftige
Selbstbewußtsein die Kategorie nur als unmittelbare einfache
Einheit auf und kann daher nicht begreifen, wie die Vielheit der
Kategorien als Arten der Kategorie, d. h. des Ich, das für sich
alle Wahrheit ist, daraus hervorgehen soll. Die Benennung die­
ser Vorläufigkeit ist zugleich ein Vorwurf vor allem gegen die
Theorie Kants; die Vielheit der Kategorien als einen „Fund“
aus den Urteilsformen aufzunehmen, bezeichnet Hegel als
„eine Schmach der Wissenschaft“ (GW 9, 135; vgl. auch 167 f.).
Diese Kant-Schelte ist ihm mit Fichte und Schelling gemein.
Der Vermeidung dieses Kant angelasteten Fehlers galt die sy­
stematische Kategorienentwicklung schon in Hegels früher J e ­
naer Logik von 1801/02; und noch in der Wissenschaft der Logik
und in der „Enzyklopädie“ findet sich die gleiche Kritik an Kant
(Vgl. G W 12, 44; G W 20, § 42 Anm.) sowie die Betonung, daß
in der Logik die reinen Gedankenbestimmungen systematisch
entwickelt werden müssen. Der Gerechtigkeit halber sei er­
wähnt, daß Kant in Briefen und Reflexionen eine eigenständige
systematische Entwicklung der Urteilsformen und dementspre­
chend der Kategorien sehr wohl entworfen hat;10 aber dies
konnten die Idealisten nicht kennen. Hintergrund für dieses
eigentlich zur Logik gehörige Problem der systematischen Ent­
wicklung der Kategorien ist in der Phänomenologie offenbar der
von Hegel in der Jenaer Zeit mehrfach geäußerte Gedanke, daß
die Logik Idealismus sei, wenn sie vom Kantisch-Fichteschen
Prinzip des ,Ich denke1 ausgehe. (Vgl. G W 4, 400; vgl. auch

10 Vgl. Reich, K. 1986: Die Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel. 3. Aufl. Ham­
burg. Zur neueren Literatur über die Systematik von Kants Urteilstafel vgl. die
detaillierte Übersicht bei Brandt, R. 1991: Die Urteilstafel. Kritik der reinen Ver­
nunft A 67-76; B 92-101. Hamburg, 9^43. - Daß die Urteilstafel und Kants Erläu­
terungen dazu in der Kritik der reinen Vernunft selbst schon die Anforderungen an
systematische Entwicklung erfüllten, dürfte m. E. wohl zweifelhaft bleiben.
154 K la u s D ü s in g

G W 7, 3 f.)11 Das reine selbstbezügliche ,Ich denke1 muß in


seine ihm eigenen Bestimmungen oder Kategorien systema­
tisch entfaltet werden. Im Vernunftkapitel der Phänomenologie
skizziert Hegel hierzu seine Vorstellung: Das Prinzip des den­
kenden Selbstbewußtseins enthält in seiner Einheit, der selbst­
bezüglichen Identität, schon den Unterschied. Dieser muß nun
eigentlich spekulativ-syllogistisch entfaltet werden in den Be­
griffsbestimmungen des Allgemeinen, Besonderen und Einzel­
nen; in ihnen weiß das Selbstbewußtsein jeweils spezifisch von
sich; in deren Relationen und im geregelten Übergang von
einer Bestimmung zur anderen erfaßt es sich schließlich insge­
samt in seiner Denkbewegung. Es weiß als entfaltetes in dieser
Struktur und dieser Bewegung des spekulativen Schlusses von
sich, dessen Inhalt jene Begriffsbestimmungen sind.12
Diese Konzeption des erfüllten Wissens des Selbst von sich
wird in der Phänomenologie vom vernünftigen Selbstbewußtsein
jedoch nicht realisiert. Dessen Begrenztheit und Vorläufigkeit
besteht letztlich nach Hegel darin, daß es, da es sich nicht
immanent in seinen ihm eigenen Bestimmungen entfalten kann
als bloß unmittelbar verstandene Einheit, inhaltsleer und inso­
fern abstrakt bleibt. Deshalb muß bei Kant ein Mannigfaltiges
von außen hinzutreten; deshalb konzipiert Fichte die Theorie
des „Anstoßes“ , der auf das Ich geschieht, damit weitere Ent­
wicklung überhaupt möglich ist. Auch diese Kritik an der Leer­
heit des reinen Kantischen bzw. Fichteschen Ich hatte Hegel
schon in Glauben und Wissen dargelegt. In der Phänomenologie
hebt er deutlicher hervor, daß dieser Idealismus sich in einen
grundlegenden Widerspruch begibt, nämlich für sein Prinzip,
das vernünftige Ich, alle Realität zu beanspruchen und doch das

11 Vgl. Rosenkranz, K . 1844: Hegels Leben. Berlin, 188; dort findet sich das
H egel-Zitat (vermudich aus der zweiten Hälfte der Jenaer Zeit): „Fichtes W issen­
schaftslehre sowie Schellings Transzendentalidealismus sind beides nichts anders
als Versuche, die Logik oder spekulative Philosophie rein für sich darzustellen.“
12 In der Jenaer Realphilosophie von 1805/06 bemerkt H egel einmal, daß die
„Copula“ in einem solchen spekulativen Schluß, d. h. das Verbindende, logisch
gesehen: der spekulative Mittelbegriff, der die Extreme zugleich in sich enthält,
das Ich ist (vgl. G W 8, 197 Anm.). Zur weiteren Ausführung der subjektivitäts­
theoretischen Bedeutung des spekulativen Schlusses in der Logik sei der Verweis
gestattet auf die Darlegung des Verf.s 1995. Das Problem der Subjektivität in Hegels
Logik. Hegel-Studien. Beiheft 15. 3. Aufl. Bonn, 203 f., vgl. 266 ff.
D e r B e g r i f f d e r V e r n u n f t in H e g e ls Phänomenologie 15 5

Mannigfaltige oder den Anstoß als ein ihm Äußeres von ihm
abzutrennen.
Die Vernunft ist also, wie sich gezeigt hat, eine Weise des
Fürwahrhaltens des Selbstbewußtseins, nach der das Ich als
Prinzip des Idealismus sich gewiß ist, Kategorie, d. h. Einheit
von Denken und Seiendem zu sein; aber es bleibt begrenzt und
einseitig, da es unmittelbar auftritt und seine Gewißheit nur
versichert, da es jene Einheit als eine einfache und unmittelbare
versteht, die nicht entfaltet werden kann in innere Differenzie­
rungen, und da es damit selbst leer und abstrakt ist und allererst
erfüllt werden muß. Zunächst wird ihm die vernünftige, kon­
krete Einheit als in der Natur gegebene und vorfmdliche ein­
leuchtend; dabei verhält sich das vernünftige Fürwahrhalten als
Naturerkennen. Aber die selbstbezügliche Vernünftigkeit kann
sich zur Vernunft als Inhalt nicht passiv verhalten; sie muß ein
spontanes, tätiges Verhältnis zum Vernunftinhalt des Vorge­
stellten entwickeln. Dies geschieht durch die praktische Ver­
nunft und die verschiedenen Weisen ihrer Realisierung. Es ist
eine und dieselbe Vernunft oder eine und dieselbe Gattung des
Fürwahrhaltens des vernünftigen Selbstbewußtseins, das sich
gewiß ist, Einheit von Denken und Seiendem oder alle Realität
zu sein, und das diese Gewißheit einerseits theoretisch und
anderseits praktisch zu realisieren sucht. Der Übergang zu
praktischen Realisierungen der Vernunft beruht nach Hegels
Darlegungen auf Defizienzen des theoretischen vernünftigen
Erkennens.
Auch in der Explikation der praktischen Realisierung der
Vernunft, speziell ihrer höchsten Stufen als „gesetzgebende“
und „gesetzprüfende Vernunft“ bezieht sich Hegel kritisch auf
Kant als den entscheidenden Repräsentanten der Aufklärung,
die bis in seine eigene Zeit fortwirkt, und zwar auf Kants ethi­
sche Lehre von der praktischen Vernunft. Die Zurückweisung
dieser Kantischen Lehre durch Hegel beruht offensichtlich auf
einer anderen Vernunftkonzeption. Vor allem diese und weniger
Hegels grundlegende Mißverständnisse von Kants ethischen
Argumentationen13 seien hier hervorgehoben.

13 V gl. dazu z. B. Görland, I. 1966: Die Kantkritik des jungen Hegel. Frankfurt
a.M. 160 ff. Eine detaillierte immanente Interpretation der genannten beiden
Abschnitte der Phänomenologie liefert Scheier, C.-A. 1986: Analytischer Kommentar
15 6 K la u s D ü s in g

M it der Darlegung der „gesetzgebenden Vernunft“ erinnert


Hegel an Kants ethische Autonomie; in der Entwicklung ihrer
Widersprüche, wie Hegel sie sieht, aber wird sie ins Gegenteil
verkehrt. Hegels Konzeption besteht darin zu zeigen, daß die
subjektive Gewißheit des Selbstbewußtseins vom Vernunftin­
halt, der sich als „sittliche Substanz“, als ein geschichtlich-kon-
kretes sittliches Gemeinwesen erweist, abhängig ist und in Be­
zug darauf nur ein Moment bleibt. Die Gewißheit des Selbst­
bewußtseins in der Gesetzgebung ist nach Hegel lediglich -
ganz anders als für Kant - das „Moment des Fürsichseins dieser
Substanz“ (G W 9, 229. Zum Folgenden vgl. 229 ff.).
Sucht das Selbstbewußtsein eigenständig bestimmte prakti­
sche Gesetze zu geben, so gerät es nach Hegel in den Wider­
spruch, etwas als absolut gültige Pflicht zu deklarieren, was
doch unter einer Bedingung steht, und einen Inhalt des Wollens
für praktisch notwendig zu erklären, der bloß zufällig ist. So
kritisiert Hegel z. B. das neutestamentliche Liebesgebot, das
Kant noch positiv aufnahm und als moralische Pflicht interpre­
tierte: „Liebe deinen Nächsten als dich selbst“ . Dies sei ein
Wohltun aus zufälliger Empfindung, was Kant ausdrücklich aus­
geschlossen hatte. Es müsse ferner eingeschätzt werden, was für
den Anderen gut und zweckmäßig sei; und dies Einschätzen sei,
bloß vom Einzelnen ausgeübt, nicht substantiell; es bleibe im
Grunde nur Hilfe in der N o t übrig, die inhaltlich von zufälligen
Umständen abhängig sei. Das Wohltun des Einzelnen, sofern es
eine bestimmte Pflicht darstellen soll, wird von Hegel also als
inkonsistent dargelegt. Signifikant für den Hintergrund dieser
Auffassung ist Hegels Satz: „Das Verständige“, nämlich das
Gute kennende, „wesentliche Wohltun i s t ... in seiner reichsten
und wichtigsten Gestalt das verständige allgemeine Tun des
Staats“ (G W 9, 231). Der Staat als sittliche Substanz ist nach
Hegel der Garant für allgemeines, verständiges und erfolgrei­
ches Wohltun; der Staat erfüllt nach dieser Ansicht am besten
und am wirksamsten das neutestamentliche Liebesgebot. Ange­
sichts dieser etatistischen Auffassung legt sich die Vermutung

zu Hegels Phänomenologie des Geistes. Die Architektonik des erscheinenden Wissens.


2. Aufl. Freiburg und München, 275-288; eine problemorientierte, die inhaldiche
Gedankenentwicklung erhellende Darlegung geben Kaehler, K . E./M arx, W.
1992,215-228.
D e r B e g r i f f d e r V e r n u n f t in H e g e ls Phänomenologie 15 7

nahe, daß Hegel von der Civitas terrena grundsätzlich offenbar


auch die Erfüllung der Aufgaben der Civitas Dei erwartet.
Das Liebesgebot ist nur ein Beispiel für eine bestimmte
Pflicht; Hegel kritisiert in der Phänomenologie alle bestimmten
Pflichten, da sie die praktische Notwendigkeit von Handlungen
bedeuten, deren gewollte bestimmte Inhalte zufällig sind. D a­
durch sollen ganze Bereiche ethischer Reflexion irrelevant wer­
den. Solche Zufälligkeit der Inhalte des Wollens sah freilich
auch Kant, weshalb er das Sittengesetz als reine formale Allge­
meinheit der Maximen konzipierte. Nach Hegels Vorstellung
kann es allerdings bei der Zufälligkeit der Willensinhalte nicht
bleiben, wenn Pflichten in der Wirklichkeit ausgeführt werden
sollen.
Hegels Beweisziel besteht hier darin zu zeigen, daß die „ge­
setzgebende Vernunft“ mit den von ihr vorgestellten inhaltlich
bestimmten Pflichten inkonsistent wird. Die nächste Folge ist,
daß vom bestimmten Inhalt zu abstrahieren und nur die formale
Allgemeinheit gebotener Handlungen zu untersuchen ist. Dies
geschieht durch die „gesetzprüfende Vernunft“ . Hegel wendet
sich hiermit - wie schon im Naturrechtsaufsatz von 1802 -
wiederum gegen Kants Moralphilosophie, nämlich gegen Kants
Kriterium der Moralität von Handlungen, das in der formalen
Allgemeinheit der Maximen hegt. Hegels Argument dagegen
ist dem vorigen äquivalent: eine bloß formal allgemeine Pflicht
kann entgegengesetzte Inhalte in sich aufnehmen und damit
Entgegengesetztes gebieten, das sich nach Hegel zudem jeweils
in sich als inkonsistent erweist. Damit wird der Inhalt erneut
zum internen Bestandteil der Allgemeinheit der Pflicht, was,
wie erwähnt, auf Kants Lehre nicht zutrifft.
Hegel hat bei seiner Kritik offensichtlich ein anderes Modell
von praktischer Vernunft vor Augen: Die sich als autonom und
gesetzprüfend ansehende Vernunft des einzelnen Selbstbewußt­
seins hat für Hegel in Wahrheit kein eigenständiges Bestehen;
sie ist vielmehr nur das M oment des Fürsichseins und der G e­
wißheit der konkreten sittlichen Substanz, des Volkes, das in
einem Staat lebt. Das Selbstbewußtsein als das Fürsichsein der
sittlichen Substanz stellt diese sittliche Substanz als seine Ver­
nunft thematisch vor. Die Gesetze oder die Pflichten, die es
kennt, sind Regeln und Gesetze des Staates; andere Gesetze von
substantieller sittlicher Bedeutung sieht Hegel nicht vor. Die
15 8 K la u s D ü s in g

sittliche Substanz aber ist kein unwirkliches Ideal, sondern der


gegenwärtige Staat als Institution des Willens Aller. Hegel on-
tologisiert damit die praktische Vernunft als allgemeine Ver­
nunft; (vgl. hierzu und zum Folgenden G W 9, 235 f.); er deutet
sie als Substanz, innerhalb deren das Sich-Wissen des tätigen
einzelnen Selbstbewußtseins nur M oment bleibt. In diesem
Sich-Wissen des einzelnen Selbstbewußtseins weiß die sittliche
Substanz von sich. Eine solche Vernunft als bestehende sittliche
Substanz ist freilich nicht mehr genuin praktisch. - In dieser
Vernunft als sittlicher Substanz ist die letzte Gestalt des ver­
nünftigen Fürwahrhaltens als „gesetzprüfende Vernunft“ nach
Hegel fundiert; die Vorläufigkeit auch dieser sittlich-substan-
tiellen Vernunft aber besteht darin, daß ihr Wesen nur Substanz
ist, die ihr Wissen allenfalls im einzelnen Selbstbewußtsein als
ihrem M oment hat; ihr Wesen ist noch nicht derjenige Geist,
der aus eigenem Wesen sich selbst weiß, und damit letztlich
noch nicht vollständig sich wissende Subjektivität. Solches W is­
sen der Subjektivität von sich kommt für Hegel nur auf dem
Boden des endgültigen, keinem Zweifel mehr unterliegenden
Fürwahrhaltens zustande, auf dem Boden des „absoluten Wis­
sens“ .

III. „Vernunft“ als M om ent des subjektiven


Geistes in der Enzyklopädie
Die grundlegende Veränderung der Phänomenologie innerhalb
der Geistesphilosophie, ihre entscheidende inhaltliche Verkür­
zung um mehr als die Hälfte und ihre Beendigung schon mit
dem „Vernunft“-Kapitel, das selbst abbreviativ bleibt, sowie ihre
Verbindung mit der „Psychologie“ findet schon in den Schul-
kursen in Nürnberg statt. D a eine historisch-kritische Edition
hierzu noch fehlt und eine historische Rekonstruktion dieser
Abänderungen bisher zu bedeutsamen Teilergebnissen geführt
hat, aber noch nicht abgeschlossen ist,14 mögen hier folgende

14 Vgl. hierzu Rameil, U . 1988: Der systematische Auflau der Geisteslehre in Hegels
Nürnberger Propädeutik. In: Hegel-Studien 23, 19-49; ferner ders. 1990: Die Phä­
nomenologie des Geistes in Hegels Nürnberger Propädeutik. In: Hegels Theorie des subjek­
tiven Geistes in der „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse“.
H g. von L. Eley. Stuttgart-Bad Cannstatt, 84-130.
D e r B e g r i f f d e r V e r n u n f t in H e g e ls Phänomenologie 15 9

Bemerkungen genügen: Schon in der „Geisteslehre“ für die


Mittelklasse von 1808/09 plant Hegel der Sache nach einen
Übergang von der „Phänomenologie“ in die „Psychologie“ , der
jedoch nach Hegels Bericht erst ein Jahr später durchgeführt
wird. Schon in diesem Kurs von 1808/09 endet die „Phänomeno­
logie“ mit einer Kurzfassung des „Vernunft“-Kapitels. Die erste
heute erhaltene „Psychologie“ stammt von 1810/11. Hinzuge­
fügt sei, daß Hegel aufgrund der Vorschriften des bayerischen
„Normativs“, eines allgemeinen Lehrplans, an der Schule in
Nürnberg Psychologie zu lesen hatte. Daraus entwickelt Hegel
den Gesamtkontext der verkürzten „Phänomenologie“ und der
„Psychologie“ in seinem Sinne. Die Nürnberger propädeu­
tischen Entwürfe enthalten so zumindest in der Anlage, was
Hegel dann im Kontext der Enzyklopädie in den drei Auflagen
näher, wenn auch immer noch in geraffter Zusammenfassung
entwickelt; die in Berlin geplante ausführlichere Schrift über
Philosophie des subjektiven Geistes kommt nicht zustande.15
Die inhaltlichen Abänderungen der Phänomenologie, die nun
mit dem „Vernunft“-Kapitel in die „Psychologie“ überleitet,
sind wesentlich durch den neuen systematischen Kontext der
Philosophie des subjektiven Geistes begründet. Dabei hält der
späte Hegel an der früheren Phänomenologie als notwendiger
systematischer Einleitung in die spekulative Logik prinzipiell
noch fest.16 - Die „Phänomenologie“ als Teil der Philosophie
des subjektiven Geistes, die die spekulative Logik systematisch
voraussetzt, kann erstens nicht systematische Einleitung in diese
Logik sein. Daraus folgt, daß die Positionen des Bewußtseins,
Selbstbewußtseins und der Vernunft ein anderes Verhältnis zu
Kategorien der Logik haben als in der Konzeption der Phäno­
menologie als Einleitung; sie beruhen auf explizit schon entwik-
kelten Kategorien. Die „Phänomenologie“ als Teil der Philoso­
phie des subjektiven Geistes kann daher zweitens kein „sich
vollbringender Skeptizismus“ mehr sein. Die Abfolge der Be­

15 V gl. auch H egels Stichworte und Gliederungen zum subjektiven Geist in der
Berliner Zeit: Ein Hegelsches Fragment zur Philosophie des Geistes. Eingeleitet und
hg. von F. Nicolin. In: Hegel-Studien 1 (1961), 9-48 sowie Hegels Vorlesungsnotizen
zum subjektiven Geist. Eingeleitet und hg. von F. Nicolin und H . Schneider. In:
Hegel-Studien 10(1975), 11-77.
16 V gl. z. B. in der zweiten Auflage der Wissenschaft der Logik (1831), s. G W 21,
32. Vgl. zu diesem Problem Fulda, H . F. 1975, 22 ff., 83 ff.
i6 o K la u s D ü s in g

wußtseins- und Selbstbewußtseinsstufen ist kein Weg des Zwei­


fels und der Verzweiflung, der an die Einleitungskonzeption
gebunden ist. Diese „Phänomenologie“ legt infolgedessen drit­
tens auch innerhalb der einzelnen Stufen keine „dialektische
Erfahrung“ des Bewußtseins mehr dar, die wiederum zu jenem
„sich vollbringenden Skeptizismus“ und damit zur Einleitungs­
konzeption gehört. - Die „Phänomenologie“ innerhalb der Phi­
losophie des subjektiven Geistes bleibt jedoch systematische,
idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins. Hegel wendet
sich erneut gegen die damalige empirisch-psychologische „me­
chanische Sammlung“ von „Kräften“ des Geistes17 und fordert
eine prinzipiengeleitete organisch-systematische Entwicklung
von Fähigkeiten und Leistungen des Geistes, die nicht mit inad­
äquaten, nur für Naturseiendes geltenden Bestimmungen cha­
rakterisiert werden. Die systematische Geschichte des Selbst­
bewußtseins in „Phänomenologie“ und „Psychologie“ inner­
halb der Theorie des subjektiven Geistes gilt jedoch nun nicht
mehr einer Stufenfolge von Weisen des Fürwahrhaltens, weil
dies wiederum zur Einleitungskonzeption gehört, sondern einer
geregelten Abfolge der Fähigkeiten und Leistungen des subjek­
tiven Geistes selbst, in deren Ausübung und in deren Konstitu­
tionsprodukten dieser sich stufenweise selbst begreift.
Die „Phänomenologie“ innerhalb der Philosophie des sub­
jektiven Geistes stellt den endlichen Geist in seiner Entzweiung
dar, nämlich im gegensätzlichen Verhältnis von Bewußtsein bzw.
Selbstbewußtsein einerseits und Gegenstand andererseits. Diese
„Phänomenologie“ endet folgerichtig mit der Position der Ver­
nunft als der Rückführung dieser entzweiten Momente in die
Einheit. Die Vernunft repräsentiert die Einheit der Idee auf der
Stufe des endlichen Selbstbewußtseins; sie ist Identität der Sub­
jektivität und der Objektivität als entwickeltes Ich; dies findet in
sich die Allgemeinheit des Objekts und weiß sich als „über das

17 Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), s.


G W 20. § 445 Anm. Vgl. auch § 451 Zusatz (T W 10, 257). Zur Bedeutung der
Geschichte des Selbstbewußtseins in H egels Philosophie des subjektiven Geistes
vgl. Lugarini, L . 1979: Die ,vernünftige Betrachtungsweisei des Geistes in der Hegel-
schen Psychologie. In: Hegels philosophische Psychologie. H g. von D. Henrich. Hegel-
Studien. Beiheft 19. Bonn, 141-158, ebenso Düsing, E. 1986: Intersubjektivität und
Selbstbewußtsein. Behavioristische, phänomenologische und idealistische Begrün­
dungstheorien bei Mead, Schütz, Fichte und Hegel. Köln, 328 ff.
D e r B e g r i f f d e r V e r n u n f t in H e g e ls Phänomenologie 161

Objekt über greifende“ (GW 20, § 438 (nur in der dritten Auf­
lage)) Subjektivität, die sich begreift; darin besteht für das Ich
alle Wahrheit.
Diese Position der Vernunft wird nur im Überblick charakte­
risiert; es werden keine speziellen, konkreten Gestalten ver­
nünftigen Selbstbewußtseins geschildert wie in der Phänomeno­
logie von 1807; Vernunft bedeutet auch keine vorläufige Weise
des Fürwahrhaltens. M it der „Vernunft“ wird vielmehr der in
Ich und Objekt entzweite Geist nur im allgemeinen zu einer
höheren, und zwar vermittelten Einheit entwickelt. Die Ver­
nunft als diese Einheit bildet die generelle Grundlage der philo­
sophischen „Psychologie“ und ihrer zusammenhängenden Ex­
plikation der Fähigkeiten und Leistungen des Geistes, der in
sich bleibt und zunehmend vernünftige Selbsterkenntnis in sich
hervorbringt. Diese wird erreicht im vernünftigen Denken
des subjektiven Geistes, das spekulativ-syllogistisch von sich
weiß.18 - Hegel verwendet hierbei das durch Kant in der D e­
duktion der Kategorien allererst fundierte und durch Reinhold
als allgemeines, ursprüngliches Prinzip gefaßte Modell der
Selbstbeziehung des Selbstbewußtseins als Subjekt-Objekt-
Beziehung, das für Hegel zum Modell der Selbstbeziehung als
Identität von Subjekt und Objekt wird, die den Unterschied in
sich enthält. Dies in der Geistesphilosophie verwendete Modell
beruht auf der in der Logik dargelegten spekulativen Einheit
von Subjektivität und Objektivität des reinen Denkens seiner
selbst. Diese Einheit wird dort aber erst stufenweise aus ganz
anderen Verhältnisbestimmungen entwickelt; sie ist für Hegel
Resultat immer komplexer werdender reiner Beziehungsweisen
und ihrer Relata; sie wird also keineswegs einfach angesetzt
oder gar vorausgesetzt, sondern durch solche ideale Genesis
allererst konstituiert und damit zugleich begründet. Sie ist es,
die die kategoriale Grundbestimmung für jene selbstbezügliche
Vernunftidentität des subjektiven Geistes darstellt.

18 Zur Interpretation dieses Denkens des subjektiven Geistes sei der Verweis auf
die Darlegung des Verfassers erlaubt: Hegels Begriff der Subjektivität in der Logik und
in der Philosophie des subjektiven Geistes. In: Hegels philosophische Psychologie. H g. von
D. Henrich. Hegel-Studien. Beiheft 19. Bonn 1979, 201-214.
IÖ 2 K la u s D ü s in g

VI. Schluß

Vernunft bedeutet also je nach systematischem Kontext für


Hegel erstens eine Weise endlichen Fürwahrhaltens, nach der
das Wissen des Ich von sich als Einheit von Denken und Seien­
dem konzipiert wird; diese Einheit darf, wie Hegel gegen Kant
und Fichte erklärt, weder in theoretischer noch in praktischer
Hinsicht abstrakt und formal bleiben, sondern muß als konkrete
Einheit entwickelt werden. Uber die Kantische und Fichtesche
Begrenzung der formalen Vernunft führt also nicht die Beru­
fung auf die ästhetische und poetische Anschauung oder das
Gefühl hinaus, wie sie die Romantiker Vornahmen, sondern
vielmehr solche Konzeption der in sich konkreten Vernunft.
Vernunft bedeutet zweitens ein M oment des realen subjektiven
Geistes, nämlich die Rückkehr des in Bewußtsein bzw. Selbstbe­
wußtsein und Gegenstand entzweiten Geistes in seine Einheit,
die eine sich wissende Einheit von Subjektivität und Objektivität
des Selbstbewußtseins ist. Diese wird eigens explizit im Sich-
Denken des subjektiven Geistes. Solche Vernunft ist drittens
fundiert in einer spekulativen, unendlichen Einheit, die Hegel
auch als absolute Vernunft ansieht und die die Einheit der
absoluten, sich in allem wissenden, über die Objektivität „über-
greifenden Subjektivität“ (G W 20, §215 Anm.; vgl. § 2 1 4 und
§ 577) ist.
Man kann sicherlich Einwände gegen die absolute Metaphy­
sik Vorbringen, zu der Hegels Theorie der absoluten und auch
der endlichen Subjektivität gehört. Von unbestreitbarer syste­
matischer Bedeutung aber ist Hegels subjektivitätstheoretische
Konzeption der Vernunft in den verschiedenen Kontexten. Ver­
nunft ist jeweils die Einheit des Wissens von sich. Hegel ver­
wendet dabei durchaus reflektiert das Selbstbewußtseinsmodell
der Subjekt-Objekt-Beziehung und Subjekt-Objekt-Einheit, das
für ihn aus anderen Weisen der Beziehung und Selbstbeziehung
entsteht; es ist ein Selbstbeziehungsmodell neben anderen, für
Hegel freilich das entscheidende. Eine moderne Subjektivitäts­
theorie kann aus dieser Hegelschen Theorie durchaus inhalt­
liche und methodische Einsichten für Strukturbestimmungen
der Selbstbeziehung gewinnen. - Ferner ist Hegels Konzeption
der Bedeutungen der Vernunft in den verschiedenen Kontexten
keineswegs von der Grundbedeutung einer instrumenteilen
D e r B e g r i f f d e r V e r n u n f t in H e g e ls Phänomenologie 16 3

oder einer technischen Vernunft beherrscht. Vernunft bedeutet


vielmehr - wie schon in der griechischen Logos-Ontologie -
eine ontologische Struktur als Einheit des Wissens und des
Seienden, welche Einheit für Hegel freilich der existierenden
Subjektivität zukommt. Aber diese bemächtigt sich weder ihrer
Welt noch des Seienden, um etwa dessen genuinen Sinn zu
verbergen, sondern erkennt das eigentlich Seiende als sich
selbst, als Subjektitvität. Darin hegt zugleich - gegen die R o­
mantiker und speziell den jungen Schelling gewendet -, daß das
Denken Vorrang vor der Poesie in der erfüllten Selbstbezie­
hung des Selbstbewußtseins hat. Das Selbst erfaßt sich wesent­
lich im Denken. Obwohl dies Denken dialektisch und d. h. in
Widersprüchen vorgeht, hält Hegel am Vorrang der Einheit
vor jeder Vielheit fest; sonst geht jede argumentative Konsi­
stenz verloren. So steht Hegels Theorie der Vernunft in der
Kontinuität der griechischen Ontologie des Logos und ist als
Subjektivitätstheorie zugleich in bestem Sinne modern.

Literatur
Brandt, R. 1991: Die Urteilstafel. Kritik der reinen Vernunft A 67-76; B 92-101.
Hamburg.
Condillac, E. B. de 1754: Traité des sensations. 2 Bände. Paris.
Diising, Edith 1986: Intersubjektivität und Selbstbewußtsein. Behavioristische,
phänomenologische und idealistische Begründungstheorien bei Mead, Schütz,
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Düsing, Klaus 1979: H egels Begriff der Subjektivität in der Logik und in der
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Düsing, Klaus 31995: Das Problem der Subjektivität in H egels Logik. Hegel-
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Düsing, Klaus 1993: H egels „Phänomenologie“ und die idealistische Geschichte
des Selbstbewußtseins. In: Hegel-Studien 28, 103-126.
Fulda, Hans Friedrich 1975: Das Problem einer Einleitung in H egels „Wissen­
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Görland, Ingtraud 1966: Die Kantkritik des jungen Hegel. Frankfurt a.M.
G . W F. Hegel: Ästhetik. H g. von F. Bassenge. Berlin 1955. Nachdruck: Frank­
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Hyppolite, Jean 1946: Genèse et structure de la phénoménologie de l’esprit de
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Kaehler, K . E., Marx, Werner 1992: Die Vernunft in H egels Phänomenologie des
Geistes. Frankfurt a.M.
Labarrière, P. J . 1968: Structures et mouvement dialectique dans la phénoménolo­
gie de l’esprit de Hegel. Paris.
16 4 K la u s D ü s in g

Lugarini, A. 1979: Die ,vernünftige Betrachtungsweise4des Geistes in der Hegel-


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Ders.: Schelling: Geschichte, System, Freiheit. Freiburg, München, 63-99.
Marx, Werner 1981: H egels Phänomenologie des Geistes. Die Bestimmung ihrer
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Nicolin, Friedhelm 1961 (Hg.): Ein Hegelsches Fragment zur Philosophie des
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Nicolin, Friedhelm 1967: Zum Titelproblem der Phänomenologie des Geistes.
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Nicolin, Friedhelm, Schneider, Helmut 1975 (Hg.): H egels Vorlesungsnotizen
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Scheier, Claus-Artur21986: Analytischer Kommentar zu Hegels Phänomenologie
des Geistes. Die Architektonik des erscheinenden Wissens. Freiburg, M ün­
chen.
8
M arcos Bisticas-Cocoves

T he Path o f Reason
in H egel’s
Phenomenology o f Spirit

T he fifth chapter of H egel’s 1807 Phänomenologie des Geistes


offers, at first glance, excellent fodder for his critics. T he puta­
tive subject matter of the chapter is reason, yet it contains the
seemingly irrational juxtaposition of phrenology, Faust, and the
categorical imperative. Its style resembles a pastiche, encom­
passing dense analysis, poetic flight, oblique reference, and vitu­
perative critique. In short, “Reason” appears to present an ex­
cellent example of “senseless and maddening words” that form
“the instrument of the most ponderous and general mystifica­
tion that has ever existed.” 1
First impressions are not everything, however: T he chapter
on reason contains a coherent argument. Its unity can be ex­
pressed in several ways. First, the chapter is consistent with
H egel’s larger argumentative strategy; it is only with an eye to
the whole of the project of the Phenomenology that we can under­
stand the argument of “Reason.” Further, the chapter possesses
a unity of example: Above all, Hegel’s goal in the chapter on
reason is a coming to terms with the history of German Ideal­
ism; the targets of his critiques, and the tools he uses to attack,
can often be found in Kant, Fichte, and Schelling.

1 Schopenhauer, A. 1958: The World as Will and Representation, translated by


E. F. J. Payne, New York, vol. 1,429; cf. Sämtliche Werke, edited by Wolfgang Frhr.
von Löhneysen, Stuttgart-Frankfurt a.M. 1960, 579-80.
1 66 M arco s B is t ic a s - C o co ves

A detailed exegesis of the chapter on reason would require a


book.2 T he goal of this paper is more limited: It will try to
outline a strategy for reading the chapter. This strategy is two­
pronged: First, it requires an exposition of the general move­
ment of the text as a whole and its reflection in the chapter on
reason; second, it demands the differentiation of various levels
of argument in the text. It will therefore address both of these
points, and then proceed to a sample reading of “T he Actualiza­
tion of Rational Self-Consciousness through Itself,” the second
section of “Reason.”

I. M ovements

T he title of the fifth chapter of the Phenomenology is the “Gewißheit


und Wahrheit der Vernunft,” the “Truth and Certainty of Reason.”
To understand the significance of this title, we must understand the
chapter’s place in the text; therefore, some general remarks con­
cerning the structure of the Phenomenology are in order.
T he Phenomenology is not simply the exposition of an argu­
ment, but a movement towards an end. This goal goes by several
names: Hegel calls it both “absolute knowing” and “speculative
philosophy”; it is the point where consciousness possesses ade­
quate knowledge of its object, where it’s certainty is adequate to
the truth.
T he movement of the text can be characterized in a number
of ways. M ost clearly, it is a linear path towards absolute know­
ing. T he point of origin for this movement is natural conscious­
ness. T he movement itself is the experience of consciousness.
Knowledge proceeds towards its goal through a series of dis­
creet stages or “shapes of consciousness.” Each of the chapters
corresponds to a shape of consciousness. These stages do not
have equal value; rather, they entail a real development, where
each stage contains and goes beyond its predecessor in the quest
for knowledge.
T he Phenomenology also possesses a triadic movement. T he
table of contents divides the chapters of the text into three

2 In fact, one has been written; see Kaehler, K. E. and Marx, W 1992: Die Vernunft
in Hegels Phänomenologie des Geistes. Frankfurt a.M.
T h e P a th o f R e a s o n in H e g e l ’s Phenomenology of Spirit 16 7

groups. T he first three chapters (“ Sense-Certainty,” “Percep­


tion,” and “Force and the Understanding”) fall under the rubric
o f “Consciousness.” T he fourth chapter, “the Truth of Self-
Certainty,” is called “Self-Consciousness.” T he last four chap­
ters (“Reason,” “Spirit,” “Religion,” and “Absolute Knowing”)
form the final group.
This formal division provides substantive content for the
argument of the text. As stated above, the goal of the text is the
point where consciousness adequately knows its object, where
certainty is equal to truth. In “ Consciousness,” the focus remains
on the object and the attempts of consciousness to know it
directly. After the failure of these attempts, consciousness is
thrown back upon itself, it attempts to know itself, and it attains
“ Self-Consciousness.” Yet this one-sided focus on the knower
does no justice to the object; thus, in the final section of the text,
Hegel treats the increasingly intimate relation of the knower
and the known.
This triadic movement, from object to consciousness to their
unity, does not merely characterize the book as a whole, but is
reflected in particular chapters as well. Thus, for instance,
“ Sense-Certainty” begins with an attempt at unmediated know­
ledge of the object. When this fails, consciousness tries to grasp
the process of knowing by turning to itself as an immediate
knower. When this too leads to incoherence, it attempts to see
the whole of the process of knowing in its immediacy.
This understanding of the movement and goal of the text is
crucial for a reading of “Reason.” First, both the title of the
chapter and the triadic structure of the text as a whole point to
the fact that reason forms a turning point for consciousness:
N o t only has certainty attained to the truth in the chapter, but
the last moment of the triadic movement of the text begins with
“Reason.” Hegel emphasizes the centrality of the chapter by
identifying the perspective of reason with idealism·. “Reason is
the certainty of consciousness that it is all reality; thus does
idealism express its concept.”3 Consciousness looks at the world
rationally, and the world looks back rationally.

3 Hegel, G . W. F.: Phenomenology of Spirit, translated by A. V. Miller, Oxford 1977,


140 (hereafter, Miller); cf. G W 9, 133.
1 68 M arco s B is t ic a s - C o co ves

Further, the triadic structure of the text is reflected in “Rea­


son.” T he chapter has three major sections: “Observing Rea­
son,” “the Actualization of Self-Consciousness through Itself,”
and “the Individuality Which is Real in and for Itself’ (hereaf­
ter, “Observing Reason,” “Active Reason,” and “Individuality”).
Thus, reason begins with knowledge of an object (“Observing
Reason”), it continues with knowledge of itself (“Active Rea­
son”), and finishes with the unity of the knower and the known
(“Individuality”). Similarly, the three sub-sections of “Observ­
ing Reason” display the same pattern: T he “Observation of
Nature” is concerned with the object, “Logical and Psycholo­
gical Laws” with consciousness, and “Physiognomy and Phre­
nology” with consciousness taken as an object.
Finally, reason not only parallels the development of the text
as a whole, it repeats the preceding experience of consciousness
on a higher level. “Observing Reason,” with its focus on ob­
jectivity, explicitly recapitulates “Consciousness.” (Miller 145;
G W 9, 137) “Active Reason” and “Individuality” echo the les­
sons of “Self-Consciousness”: “Active Reason,” with its focus on
intersubjectivity and struggle, develops the themes of “Lordship
and Bondage,” while “Individuality,” with its emphasis on the
isolated individual mediating its relation to the universal, reiter­
ates the “Freedom of Self-Consciousness.”

II. Levels

To understand the movement of the text and the role of reason


within that movement better, we must further differentiate the
rhetorical and argumentative structure of the text. In particular,
we must recognize that the text is written simultaneously on a
number of levels.
T he argument of the Phenomenolog)/ has two primary levels.
On the one hand, there is the experience of consciousness on its
path to absolute knowing. On the other, there is a framing meta­
discussion that takes place on the level of speculative philosophy.
Hegel identifies the first level as for consciousness. The second he
identifies as for us, the speculative observers of the experience of
consciousness, we who have already attained to the truths of
logic and can make sense of that which makes no sense to
T h e P a th o f R e a s o n in H e g e l ’s Phenomenology of Spirit

consciousness. For brevity’s sake, I will call the first level “phe­
nomenological,” the second “logical” or “speculative.”
The relation of the phenomenological to the logical is com­
plex. T he Phenomenology records the experience of conscious­
ness on its way to speculative philosophy. Each shape of con­
sciousness undergoes a discreet form of experience; yet the
progress from one form to another is beyond consciousness.
We, the speculative observers, go behind the back of conscious­
ness and contribute the link between stages. We see what the
experience of consciousness means implicitly; as such, we pro­
vide the starting point for the new stage of consciousness.
This distinction between levels is important for the argumen­
tative and rhetorical structure of the book. In the early chapters,
there is a clear distinction between two sorts of text; for exam­
ple, “Sense-Certainty” begins with a brief excursus on the spec­
ulative level, in which the departure point for consciousness is
identified as the immediate (das Unmittelbare), the singular (das
Einzelne), or as being (Sein). Consciousness then proceeds gar­
ners its experience on the phenomenological level, and the
chapter ends with the result of this dialectic, the universal (das
Allgemeine), restated on the speculative level.
This tripartite structure remains clear in “Perception” ; some
of the notorious difficulties in “Force and the Understanding”
can be attributed to the lack of a clear distinction between
argumentative levels. With “ Self-Consciousness,” another pat­
tern begins: Each of the chapters (“Reason” included) begins
with a long introduction on the speculative level which is set off
from the text proper. In “Reason,” each of the introductions to
the major sections is also written from the speculative perspec­
tive. It is only when we arrive at the subsections that we encoun­
ter the experience of consciousness; and there, too, we have
both logical and phenomenological text.
Logic does not only frame the phenomenological discussion,
it also underlies it. Each shape of consciousness corresponds to a
logical determination (Miller 491; G W 9, 432); the experience
of consciousness is a training in speculative philosophy. T here­
fore, to understand reason, we must understand the logical
determination that underlies the chapter.
The logical determination can be described in three ways.
First, it can be characterized as a wissendes Wissen, a “knowing
17 0 M arco s B is t ic a s - C o co ves

knowledge.” Hegel conducted lectures on the philosophy of


spirit in 1805/06, simultaneous with the composition of the
Phenomenology. T he notes to these lectures contain a brief sketch
of a speculative logic; some have argued quite convincingly that
this is the logic that underlies the Phenomenology.'1' T he determi­
nations of this logic fall into two groups of three: being (Sein),
relationship (Verhältnis), life and cognition (Leben und Erken­
nen)·, and then knowing knowledge (wissendes Wissen), spirit
(Geist), and knowledge of spirit of itself (Wissen des Geistes von
sich) (GW 8, 286). As Pöggeler has argued, the determinations
can be mapped onto the Phenomenology, with wissendes Wissen
corresponding to reason.5
What, then, is a “knowing knowledge” ? Perhaps it is a knowl­
edge that knows that it knows; one that is confident that the
world can be known, that it will find its own rational structure in
the world. Perhaps a “knowing knowledge” is an attempt to
recast a Kantian transcendental logic, in much the way that
Hegel attempts to do so with the “subjective logic” in the N u ­
remberg Wissenschaft der Logik. Such a possibility is implicit in
H egel’s engagement with idealism in general, and Kant and
Fichte in particular, in the introduction to the chapter.
T hat said, Hegel does not mention wissendes Wissen in the
chapter explicitly. What he does discuss, however, is the cate­
gory (die Kategorie), and perhaps we can identify these determi­
nations with each other. T he category is the unity of being and
essence as a thinking actuality (Miller 142; G W 9, 134). In
“Observing Reason,” the category is found on the side of the
object, in “Active Reason” on the side of consciousness, and in
“Individuality” in the unity of consciousness and its object.
Thus, observing reason is confident that it vnllfind the unity of
the being and essence; that is, it is confident that it will find the
reflection of its rationality in the law-governed nature of con­

4 See, for instance, Fulda, H . F. 1966: Zur Logik der Phänomenologie von 1807. In
Hegel-Studien. Beiheft 3, 75-101; Pöggeler, O. 1993: Hegels Phänomenologie des
Selbstbewußtseins. In: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Second edition,
Freiburg, München, 231-98, esp. 268 ff.; and Trede, J. H . 1975: Phänomenologie
und Logik. In: Hegel-Studien 10, 173-209.
5 Pöggeler, O. 1988 -.Ansatz und Aufiau der Phänomenologie des Geistes. In: Journal
of the Faculty o f Letters. Vol. 13, Tokyo, 11-36, esp. 21 ff.
T h e P a th o f R e a s o n in H e g e l ’s Phenomenology of Spirit 171

crete things. Active reason tries to realize the unity of being and
essence; that is, it tries to force its idea of the good on the world.
Finally, individuality is the category: T he categorical imperative
is nothing but the assertion that the law or essence can be
derived or tested by the concrete individual consciousness.
Hegel expresses the logical relations inherent in reason in a
third way: Reason is nothing but the progressive mediation of
universality (Allgemeinheit) on the one hand and individuality or
singularity (Einzelnheit) on the other. Hegel often makes re­
course to this language, further identifying the universal with
essence and mediation, the singular with actuality (Wirklichkeit)
and immediacy. Thus, for example, the task of classification in
observing reason is finding the universal in individual things;
the pleasure and necessity is about the inevitable universal con­
sequences of singular acts of pleasure; and the making of law is
about the singular individual creating universally valid law.
A final key to understanding the phenomenological develop­
ment of consciousness rests in H egel’s use of example. Hegel
explicates the experience of consciousness by means of exam­
ples taken from philosophy, history, and literature. Thus, the
“Freedom of Self-Consciousness” is illustrated through the ex­
amples of stoicism, skepticism, and the Christian religion; Sitt­
lichkeit is presented through the example of Greek drama, in
particular through Sophocles’ Antigone·, and “Conscience” is
exemplified in Jacobi’s Woldemar.
Since the standpoint of reason is that of idealism, it is no
surprise that Hegel’s examples in the chapter are often drawn
from Kant, Fichte, and Schelling. Thus, the final moment of the
“Observation of N ature” is an implicit critique of Schelling’s
philosophy of nature. Similarly, Hegel clearly has Kant, and, to a
lesser extent, Fichte, in mind in his discussion of the making and
testing of law; less obviously, but equally the case, is the criticism
o f Kant’s practical philosophy in “Virtue and the Way of the
World.” Finally, idealism provides the chapter a broader unity.
Ju st as Kant’s philosophy moves from the theoretical to the
practical, so the movement and the examples in reason begin
with the theoretical (in “Observing Reason”) and move to the
practical (in “Active Reason” and “Individuality”).
N o t all o f H egel’s examples are taken from idealism, however;
rather, he surveys the rationalism of his day. Thus, the observa­
17 2 M arco s B is t ic a s - C o co ves

tion of nature discusses not only Kant and Schelling, but also
Aristotle, Linnaeus, Benjamin Franklin, J. J. Winterls, F. A. C.
Gren, G. T. Treviranus, and H. Steffans, among others. His
consideration of physiognomy takes Lavater as its chief exam­
ple, while Gall’s work is the departure point for his discussion of
phrenology. As we shall see in the next section, the examples of
active reason include Goethe’s Faust I, Rousseau’s Fmile, Schil­
ler’s The Robbers, and Cervantes’s Don Quixote.
A question remains: Does the argument dictate the example,
or the example the argument? Perhaps the question is mis­
placed; history, philosophy, and literature are not contingent
occurrences for Hegel, but part of a world-historical develop­
ment; perfectly appropriate examples of the experience of con­
sciousness will present themselves, and in fact must necessarily
present themselves, for they are products of a consciousness
that has a necessary development and expression. Be that as it
may, one cannot help but wonder if, for example, “Pleasure”
could have an example other than Faust: For, if the experience
of consciousness is a training in logic, and if that experience is
valid for all consciousnesses, then thousands of examples of
pleasure must present themselves every day.

III. A Reading o f Active Reason

As we have seen, “Reason” demands a reading that is sensitive to


its place in the Phenomenology and to the multi-level structure of
the text. As an example of how the chapter could be read,
I would like to turn to its second section, “T he Actualization of
Rational Self-Consciousness through Itself’ or, as Hegel also
refers to it, “Active Reason.” T he section possesses an introduc­
tion and three subsections: “Pleasure and Necessity,” “T he Law
of the H eart and the Madness of Self-Conceit,” and “Virtue and
the Way of the World.” In what follows, I will deal with the
introduction and each subsection separately.
T h e P a th o f R e a s o n in H e g e l ’s Phenomenology of Spirit : 73

The “Introduction”

Active reason begins with a thirteen-paragraph introduction.


T he discussion takes place completely on the speculative level;
we are not yet directly concerned with the experience of con­
sciousness, but with the background necessary to comprehend
that experience. T he introduction has four parts: T he first con­
cerns the transition from conscious to self-conscious reason and
the general path of self-consciousness in the chapter (para­
graphs 1-2);6 the second, the category of substance (para. 3-6);
the third, the relation of substance to the discussion at hand
(para. 7-11); while the fourth is an a synopsis of what is to come
(para. 12-13).
The object before us is now self-consciousness (para. 1). In
phrenology, we have a complete (if relatively immediate) pene­
tration of inner and outer, of universal and singular, of con­
sciousness and object. Insofar as both consciousness and object
are determined as self-consciousness, we have reached our goal:
the adequacy of concept to object, truth to certainty. Conscious­
ness sees itself in the object; the object is no longer alien to it. In
fact, we have made the transition to self-consciousness.
The development of active reason will also parallel that of
self-consciousness; it will be a movement from independence to
freedom (para. 2). T hat said, however, there is no neat one-to-
one correspondence of its moments to self-consciousness; still,
we will see the outlines of Begierde in Lust, of the struggle for
self-consciousness in the battle for virtue, and of work in the
process of actualization.
For us, the result of the experience of observing reason is
substance (para 3). Substance is the interpenetration of the con­
sciousness and its object, of actuality and essence, and of the
universal and the singular. In this, its initial form, substance
remains unrealized; the “outer existence” of substance, how­
ever, is the realm of “ethical life” (Sittlichkeit). T he moments of

6 Given that I would like to discuss the text closely, and the fact that the various
editions and translations of the text do not share pagination, I have thought it best
to refer to the subsections o f “Active Reason” (the introduction, “Pleasure,” “The
Law of the H eart”, and “Virtue”) by paragraph number. T he numbering of each
subsection of the text will begin anew with “paragraph 1.”
17 4 M arco s B is t ic a s - C o co ves

substance are fully expressed in the life of a people; It is the


interdependence of the universal community and its singular
members: T he member depends on the community for its sur­
vival, but the community itself is made up of its members and is
therefore dependent on them for its actuality (para. 4-6).
Substance and ethical life are also the initial categories in the
sixth chapter of the Phenomenology, “ Spirit”; their appearance
might seem premature in “Reason.” Yet this is only partially the
case, for substance has a dual aspect: It is both the goal towards
which the experience of consciousness is moving and the origin
from which it is departing (para. 7). Ethical life is a goal in that
substance has only made its initial appearance and therefore is
not fully realized (para. 10). It is an origin in that this very
immediacy must be overcome (para. 8-9). Put less technically, a
human individual is necessarily part of a community, even if he
or she does not realize it; the task of the remainder of the
chapter on reason will be the realization that consciousness is
rooted in a social world. Insofar as consciousness does not real­
ize its social nature, “ethical life” is a goal; insofar as it is part of
society, ethical life and substance are the points of departure.
H egel’s paradigms of ethical substance are often taken from
the ancient world, particularly the Greek world. Thus, he closes
his discussion of substance in the introduction by identifying the
moral standpoint of ethical life with the wisdom of the ancient
world (para. 6). T his has important implications for his choice
of examples in “Active Reason” : Since he argues that it is
closer to the “spirit of our times” to understand the unity of
ethical life as an origin rather than a goal, the examples of active
reason will illustrate a consciousness that has left the ancient
world behind.
Hegel summarizes the path of “Active Reason” at two points:
once at the end of the introduction, and once at the beginning of
“Virtue and the Way of the World.” Both introductions high­
light the logical background of the development of self-con-
scious reason. In “Pleasure and Necessity,” the singular indivi­
dual confronts the empty universality of fate. In the “Law of the
Heart,” both consciousness and its object contain both univer­
sality and singularity; yet these moments are united in con­
sciousness and opposed in the object. Finally, both virtue and
the way of the world are the mediated unity of universality and
T h e P a th o f R e a s o n in H e g e l ’s Phenomenology of Spirit : 75

singularity; and this identity is in part the basis for the overcom­
ing of active reason.

Die Lust und die Notwendigkeit

“Pleasure and Necessity” is one of the shortest portions of the


Phenomenology, consisting of only seven paragraphs. It falls into
three parts. T he first is written on the speculative level and
explains the goal of consciousness (para. 1). In the second,
consciousness compares its intention with its experience (para.
2-6). T he final paragraph of the subsection concerns the result
o f this experience, both for consciousness and for us.
Self-consciousness confronts an object which is also deter­
mined as self-consciousness (para. 1). Its goal is to become con­
scious of itself in the other. T he parallel with the chapter “Self-
Consciousness” is explicit; the logical background is equally clear:
Consciousness is individual and has abandoned universality. Its
singularity or immediacy manifests itself in the enjoyment of
immediate sensation and in its abandonment of the universality
o f observation, theory, science, and law (para. 1; cf. para. 2).
H egel’s takes his example of Lust from Goethe’s Faust I. Faust
himself is the consciousness that has rejected the universality of
science and law. Mephistopheles is Hegel’s 11Erdgeist,” the rep­
resentative of sense and singularity that tempts consciousness
away from the observation of nature. Gretchen is the other, the
consciousness through which Faust seeks his recognition and
his pleasure.
Hegel signals his use of Goethe through a speech of Mephis­
topheles (para. 1). Interestingly, Hegel does not quote; he para­
phrases, and this even though the paraphrase retains the form of
verse. T he source of this inexactitude might be found in the
failure of Hegel’s memory. But perhaps there is another, deeper,
reason: Hegel “quotes” only in so far as it suits his purpose. He
chooses a long speech; he cuts an entire passage from it; he even
edits lines and changes the gender of pronouns. In short, he
takes what he needs, and only as much as he needs. Hegel is not
providing us with a reading of Goethe; rather, Goethe is provid­
ing Hegel with an example of pleasure.
Although the experience of consciousness in “Pleasure” is
similar to that in “ Self-Consciousness,” it is importantly differ-
17 6 M arco s B is t ic a s - C o co ves

ent. M ost significantly, pleasure is not identical with desire, an


operative concept in “ Self-Consciousness” (para. 3). In desire,
consciousness negates its immediate, living object. In pleasure,
the object has the value of the category; that is, it is not merely
immediately present, but has “the form of thought” (ibid.). It is
not the being of the object that must be negated, but the con­
sciousness of its independence. Where desire seeks to consume
its object, pleasure will seek union with the other, Faust with
Gretchen.
T he experience of pleasure has two aspects for consciousness.
T he first contains a moment consciousness fully expects: It
becomes one with the object and thus an object to itself (para. 3).
Yet even here, it does not get quite what it had planned: Unity
with the object changes its very character; the particular, inde­
pendent individual becomes part of the whole; or, to use Hegel’s
language, the sublation of the singular is the universal.
T he enjoyment of its happiness has another, less expected,
result: T he sublation of singularity in universality is equally the
negation of the singular (para. 4—6). This negation of the singu­
lar at the hands of the universal takes the phenomenological
form of the individual at the hands of fate or necessity. Every­
thing that consciousness does turns against it; all of Faust’s plans
lead to destruction: Lust (pleasure) leads to Verlust (loss). Con­
sciousness experiences this loss as a senseless inversion; it
doesn’t understand that actions have consequences. It lives in
the moment, in the immediacy of feeling.
For consciousness, the result of its experience is nothing but
the awareness of its loss (para. 7). For us, however, conscious­
ness has revealed itself to be implicitly universal: For Hegel, the
negation of the singular is the universal, and the singular con­
sciousness has brought about its own negation. This unity of
singularity and universality will set the stage for the next shape
of consciousness.

Das Gesetz des Herzens, und der Wahnsinn des Eigendünkels

“T he Law of the H eart and the Madness of Self-Conceit,” the


second subsection of active reason, has three parts. T he first is
written for us; it makes the transition to the law of the heart,
characterizes its goal, and describes its object (para. 1-5). T he
T h e P a th o f R e a s o n in H e g e l ’s Phenomenology of Spirit 177

second depicts the experience of consciousness (para. 6-9). T he


final part displays the result of experience for consciousness
(para. 10-11), for its object (para. 12-13), and for us (para. 14).
As consciousness attempts to realize its happiness in pleasure,
it experiences its own necessary destruction at the hands of a
cruel and unfeeling destiny. We, the speculative observers, know
better: T he singular is necessarily sublated in the universal, and
this sublation is only in part negation. We see that the universal
is necessary to the singular; and the immediate unity of these
two moments will be the logical point of departure for the next
shape of consciousness.
Consciousness is now the immediate unity of singularity and
universality; that is, it is the (universal) law of the (singular)
heart (para. 1-2). Where the previous shape of consciousness
sought only its own enjoyment, the heart takes pleasure in the
general welfare; and since its pleasure is immediately law, it
seeks to realize the universal good (para. 4). T he heart is con­
fronted with an object that also contains the moments of univer­
sality and singularity; however, they appear in opposition rather
than in unity. T he object is a “violent ordering of the world”
under which humankind suffers; it is a universal law which
oppresses the individual heart (para. 3).
The task of consciousness, then, is to realize its law in the
world, to translate its law from inactuality to actuality. In so
doing, however, it falls into contradiction. As actualized, the law
o f the heart becomes part of the living universal order. It is
therefore no long the law of the heart, but the law of the world.
M y law is no longer my law; the condition of eutopia is outopia
(para. 6). Further, when consciousness elevates its individual law
to supposed universality, it is revealed for what it is: the law of a
particular heart. It is not the law of all hearts; others see it as only
the law of one heart, and thus as oppressive to theirs (para. 7).
Further still, the consciousness that acts cannot dismiss the
world as an alien actuality, for the world is the product of its own
activity (para. 8).
Therefore, the result of the experience of consciousness is
madness (para. 10-11). T he heart experiences unbearable con­
tradiction at is very root. T he law of its heart should be actual
and have universal validity; yet when its law is actual, it is
invalid. Further, the law of its heart is the essential; yet the
17 8 M arco s B is t ic a s - C o co ves

imperative to actualize it demonstrates that the world order is in


fact the essential, and consciousness itself the inessential. In
short, the law of the heart is and is not essential, it should and
should not be actualized.
T he world order is equally perverse (para. 12-13). On the
one hand, it is supposedly the expression of the law of all hearts;
on the other, each member has the law of its own heart. What
should be a universal order is in fact a universal war: Each tries
to realize its law and therefore enters into a struggle for domi­
nance with others.
For us, experience of consciousness results in an opposition
(para. 14). Each side of the opposition maintains a mediated and
immediate relation of universality and singularity. T he one em­
phasizes both the inactuality of the universal and the perversion
of the singular and is called “virtue” ; the other stresses the
contingency of the universal and the power of singularity and is
designated as “the way of the world.”
Several examples may form the basis for this subsection. One
obvious source is the natural law tradition of the 17th and 18th
centuries; in particular, Hegel may be making reference to
Rousseau, Paine, and Hobbes. In the Émile, Rousseau observes
that “ [t]he heart receives laws only from itself,”7 “the entire
right of nature is only a chimera if it is not founded on a natural
need in the human heart,” (Emile 235; Œuvres 523) “the first
sentiment of justice is innate in the human heart,” (Emile 279;
Œuvres 584) and most significantly:
“Laws! Where are there laws, and where are they respected?
Everywhere you have seen only individual interest and men’s
passions reigning under the name. But the eternal laws of nature
and order do exist. For the wise man, they take the place of
positive law. They are written in the depth of the heart by
conscience and reason. It is to these that he ought to enslave
himself in order to be free. ... Freedom is found in no form of
government; it is in the heart of the free man.” (Emile 473;
Œuvres 857)

7 Rousseau, J.-J. 1979: Emile: or.; On Education. Translated by Allan Bloom, New
York, 234 (hereafter, Emile); cf. Œuvres completes IV. Emile. Education-morale-bota-
nique. Edited by Bernard Gagnebin and Marcel Raymond, Paris 1969, 521 (here­
after, Œuvres).
T h e P a th o f R e a s o n in H e g e l ’s Phenomenology of Spirit 17 9

Rousseau’s themes form the basis for H egel’s point of depar­


ture: T he law of the heart is opposed to arbitrary positive law,
and the wise man should follow his heart, not the established
order.
Consciousness in its madness rails against “fanatical priests”
and “gluttonous despots” (para. 11). This may be a reference to
Thom as Paine, who contrasts a just government founded on
rights to an unjust one founded by priests and conquerors in the
Rights of Man.9 Similarly, the madness of the world order may be
a reference to Hobbes: Where Hegel describes the universal
order as a “struggle of all against one another” (para. 13), the
state of nature is a war “of every man, against every man” for
Hobbes.9
N o t all of H egel’s examples are philosophical, however.
Schiller’s play The Robbers (Die Räuber) could form the literary
basis for the section as a whole. T he Schiller’s protagonist is
Karl Moor, a passionate nobleman with a good heart. Through
the treachery of his brother, Franz, Karl flees to the woods and
becomes the leader of a band of robbers. Karl comes to despise
society and its conventions, while Franz becomes lord of the
manor. Franz goes slowly insane in the family keep; after a series
o f tragedies brought about by his passionate nature, Karl realiz­
es the madness of his ways: “Oh! fool that I was, to fancy that I
could amend the world by misdeeds and maintain law by law­
lessness!” 10 T he play ends with Karl’s surrender to authorities.
T his is, in its own way, a précis of the subsection. Karl is the
law of the heart, Franz the world order; Karl, naturally good,
opposes his evil brother and tries to live by his own law. Both
brothers are revealed to be, in their own way, mad; both are
effectively destroyed by the final curtain.
On another level, the path of the law of the heart begins with
Emile and ends with Karl Moor. Rousseau may provide a start­
ing point for Hegel, but Schiller provides the opportunity to
take Rousseau’s assumptions to their logical, if unforeseen, con-

8 Paine, T. 1925: The Life and Works of Thomas Paine. Volume 6, edited by
W illiam M. Van der Weyde, N ew Rochelle 72 ff.
9 H obbes, T. 1968: Leviathan. N ew York, 185.
10 Schiller, F.: Works. Volume 3, translated by various hands, N ew York, 276; cf.
Schillers Werke. Band IE , edited by H erbert Stubenbach, Weimar 1953, 134.
18 0 M arco s B is t ic a s - C o co ves

elusion. For Hegel, the noble savage is the precursor to the


savage noble.

Die Tugend und der Weltlauf

Following the pattern of the other subsections of active reason,


“Virtue and the Way of the World” has an introduction (para.
1-5), a middle section which describes the experience of con­
sciousness (para. 6-12), and a result both for consciousness and
for us (para. 11-13).
W hat does Hegel mean by the “virtue” and “the way of the
world” ? T he virtuous consciousness esteems the good over the
self; vicious individuals fail to actualize the good in their lives;
rather, they pervert its purity for their own ends. Virtue is
opposed by the consciousness that follows the way of the world:
For the latter, the good is only a means to pleasure and preserva­
tion subordinate to the self; it can be realized or not, depending
on what is advantageous. Both forms of consciousness recognize
the value of both the good and the self; they simple estimate
their worth differently.
Both virtue and the law of the heart try to improve the world,
yet they are importantly different. For the law of the heart, the
good is an immediate feeling which can be, must be realized.
Virtue, however, has a more complex relationship to the good:
T he heart is not to be trusted; in fact, it is the heart itself which
is the source of all perversion; it must be disciplined and made
virtuous.
Both virtue and the way of the world are logically determined
as the mediated unity of universality and singularity (para. 1).
T he phenomenological form of the moment of singularity is the
self, that of universality the law or the good. These moments do
not have equal weight for the opposing consciousnesses: The
essential moment for virtue is the good, while that for the world
is the self. Virtue identifies perversion in itself and the world as
singularity; its goal is to subordinate singularity to universality
in both itself and its other. T he way of the world, on the other
hand, makes use of the universal good only insofar as it suits its
purpose.
Virtue experiences its attempt to realize the good as a battle
(Kampf) against the way of the world (para. 3). It wishes to fight
T h e P a th o f R e a s o n in H e g e l’s Phenomenology of Spirit 181

on behalf of the universal, which is as of yet unrealized or


abstract (para. 4). T he good is therefore an essence that can be
actualized by the individual through action. Hegel identifies this
abstract, unrealized universality with human gifts, powers or
capabilities (para. 5). To fight for the good or to use one’s gifts,
one has to involve the moment of singularity or the self; and in
fact, to fight for the good is to use one’s gifts.
However necessary to virtue, the battle against the way of the
world is a sham (para. 6). First, virtue need not fight: It has faith
that the good will ultimately triumph, and the good itself cannot
be injured. Further, virtue should not fight: T he good has been
equated with its weapons, and these must not be damaged;
similarly, the weapons of the way of the world are also the
manifestation of the good, and they too must not be harmed.
Finally, virtue cannot fight. It uses its gifts in battle; these have
been identified with the universal, which has been equated in
turn with the good. However, the way of the world also employs
its weapons, or the good, against virtue. Therefore, insofar as it
is engaged in battle, the way of the world embodies the good and
is invulnerable to the attacks of virtue. In short, consciousness is
caught in contradiction, and conflict is impossible: Virtue must
act and cannot act; it wants to attack the good to preserve the
good; it must utilize the singular to combat the singular.
The way of the world has no such scruples, however. It can
fight, and does. It can “risk and endure the loss of anything and
everything” (para. 7). For consciousness, the outcome of the
battle is clear: T he way of the world must triumph. Where
virtue is only abstract, the world is actual; where virtue is in
itself, the world is for itself; where virtue is paralyzed, the world
is victorious (para. 9).
The defeat of virtue has a dual result for consciousness. On
the one hand, virtue as a shape of consciousness is left behind:
T he way of the world is not evil, but active, and the good can be
actualized (para. 10-11). On the other, the way of the world is
equally transcended: It existed only through contrast to virtue;
its individuality existed only by way of contrast to universality
(para. 12). T he experience of consciousness has revealed that
the self necessarily actualizes the common good, despite its
worst intentions.
1 82 M arco s B is t ic a s - C o co ves

For the speculative observer, the experience of consciousness


demonstrates that the movement of individuality is the actuality
of universality (para. 13). With this, active reason comes to an
end: Universal and singular, essence and actuality, conscious­
ness and the world are no longer opposed; the transition to
“T he Individuality Which is Real in and for Itself’ has been
made.
In writing “Virtue and the Way of the World,” Hegel may
have several examples in mind. T he most probable is Kant; in
the Critique of Practical Reason, he writes:
“T he stage of morality on which man [...] stands is respect
for the moral law. T he disposition which obliges him to obey it
is: to obey from duty and not from a spontaneous inclination or
from an endeavor unbidden but gladly undertaken. T he moral
condition which he can always be in is virtue [Tugend], i. e.,
moral disposition in conflict [Kampf|, and not holiness in the
supposed possession of perfect purity of the intentions of the
will.” 11
For Kant, morality is a struggle of the individual against
himself: Virtue is a “moral disposition in conflict,” that is, a
battle between universal duty and individual inclination.
T he literary example behind “Virtue” may be Cervantes’ Don
Quixote de la Mancha. N o t only does Hegel liken virtue to a
knight (para. 6, 7), but the protagonists of both texts engage in
empty rhetoric and pointless battles that recall a world that has
passed away. In the end, the way of the world triumphs over
both Don Quixote and virtue: T he old knight dies, and a way of
life with him.

IV. Conclusion

H egel’s critics to the contrary, the Phenomenology possesses a


unity of argument. “T he Actualization of Rational Self-Con-
sciousness through Itself’ forms a prime example of the text’s
coherence. First and foremost, it demonstrates the text’s logical

11 Kant, I. 1985: Critique of Practical Reason, translated by Lewis White Beck, New
York, 87; cf. Kants Werke, Volume 5, edited by the Königlich Preußische Akademie
der Wissenschaften, Berlin 1903, 84.
T h e P a th o f R e a s o n in H e g e l’s Phenomenology of Spirit 18 3

unity. Active reason begins with the opposition of universality


and singularity, essence and actuality, and the entire subsection
is explicitly the progressive mediation of these moments. Odd
twists and turns on the phenomenological level make sense once
the logical connection is clarified. For instance, the surprising
identification of the good with powers and capabilities in “Vir­
tue” is possible only because both are phenomenological shapes
o f universality and essence.
Further, the phenomenological level possesses a narrative
unity. If the Phenomenology as a whole is a Bildungsroman, this is
especially apparent in active reason. “Pleasure” is something of
a greedy child, the “Law of the H eart” an idealistic adolescent,
“Virtue” a weary man who knows what evil lurks in the hearts of
men. T he progressive logical mediation in the subsection is
reflected in the increasingly complex experience of conscious­
ness.
Finally, the section demonstrates a unity of literary example.
Faust, The Robbers, and Don Quixote are of a piece: Goethe places
Faust in a mythic medieval world; Schiller finds Karl M oor in a
forest and a castle two centuries previous to himself; Cervantes’s
knight lives in a world without chivalry. T hey are all men of a
lost past who rage against a world gone wrong.
In short, a reading of “T he Actualization of Rational Self-
Consciousness” demonstrates that we need only distinguish the
various threads of Hegel’s argument to avoid getting caught in
tangles. Hegel is no Gordius, and it is possible to unravel his
work.12

Bibliography
Fulda, Hans-Friedrich 1966: Zur Logik der Phänomenologie von 1807. In: Hegel-
Studien. Beiheft 3, 75-101.
H egel, G eorg Wilhelm Friedrich 1977: Phenomenology of Spirit. Translated by
A. V. Miller. Oxford.
H obbes, Thom as 1968: Leviathan. New York.
Kaehler, Erich Klaus and Werner Marx 1992: Die Vernunft in H egels Phänome­
nologie des Geistes. Frankfurt a.M.

12 M y thanks to Dietmar Köhler, Mary Rawlinson, and Ellen Feder for their
suggestions while I was preparing this manuscript.
18 4 M arco s B is t ic a s - C o co ves

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9
Elisabeth W eisser-Lohmann

Gestalten nicht des


Bewußtseins,
•· sondern
einer Welt - Überlegungen
zum Geist-Kapitel der
Phänomenologie des Geistes

In der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes ergeht an die


Wissenschaft die Forderung, das unmittelbare Selbstbewußt­
sein nicht außer sich zu belassen, sondern sich mit ihm zu
vereinigen, bzw. zu zeigen, daß und wie das Selbstbewußtsein
der Wissenschaft selbst angehöre. Hegel begründet diese For­
derung damit, daß ohne die Wirklichkeit des Bewußtseins die
Wissenschaft nur der Zweck, nur erst ein Inneres, geistige Sub­
stanz nicht aber Geist sei. Die Wissenschaft, so fordert Hegel,
„hat sich zu äußern und für sich selbst zu werden, dies heißt
nichts anders, als sie hat das Selbstbewußtsein als eins mit sich
zu setzen“ (GW 9, 23).
Gegen den Dogmatismus der Denkungsart, der von der M ei­
nung geleitet wird, das Wahre bestehe in einem Satze, der als
ein Resultat oder als Unmittelbares gewußt werde, entfaltet
Hegel das Programm einer Wissenschaft, die die Darstellung
des absoluten Wissens mit dem Prinzip der Wirklichkeit, dem
unmittelbaren Selbstbewußtsein, vereinigt. Dieses Programm
hat Konsequenzen sowohl für das Verhältnis von Wissenschaft
und Wirklichkeit als auch für das Selbstbewußtsein. M it den
Konsequenzen sind auch die beiden Perspektiven genannt, die
Hegels Phänomenologie von an Anfang an charakterisieren. Ein­
mal soll sich der hier beschrittene Weg der Wissenschaft für das
Selbstbewußtsein als Weg zum wahren Wissen erweisen, zum
anderen soll dieser Prozeß eine Entäußerung des wahren W is­
sens in die Welt sein. Für das Selbstbewußtsein stellt sich dieses
Programm als Leiter zum wahren Wissen dar. Für das absolute
i8 6 E l is a b e t h W e is s e r - L o h m a n n

Wissen, die Metaphysik, wird dieser Weg zu einer Selbstbesin­


nung1, zu einer ,Erinnerung1, die dem allgemeinen Geist sein
Selbstbewußtsein gibt (GW 9, 25). Beide Perspektiven sind in
der Darstellung der Phänomenologie eng verwoben. Hegel nennt
die Phänomenologie sowohl „Darstellung des werdenden W is­
sens“ wie auch „Wissenschaft von der Erfahrung des Bewußt­
seins“. Die entscheidende Rolle der Erfahrung bei der Um set­
zung dieses Programms ist bedingt durch die Funktion, die
Hegel dem Selbstbewußtsein zuweist: die Wissenschaft ist bei
ihrer ,Entäußerung1 auf die Erfahrungen des Selbstbewußtseins
angewiesen, nur in ihnen sind die Bestimmungen der Wissen­
schaft wahrhaft wirklich, nur in ihnen kommt diesen Bestim­
mungen „G eist“ zu. Die Phänomenologie macht deutlich, daß es
sich bei diesen Erfahrungen nicht um bestimmte Sinneserfah­
rungen handelt, aus denen dann Erkenntnisse abgeleitet wer­
den. ,Erfahrung1 schließt hier alles ein, was dem Menschen
begegnet: wissenschaftliche Einsichten, Dinge des Lebens, G e­
wissensfragen, religiöse Erfahrungen und philosophische Ein­
sichten. Es ist Hegels Anspruch an eine phänomenologische
Darstellung, daß sie diesen Zusammenhang von Wissen und
Erfahrung herleitet und herausarbeitet. Was aber haben be­
stimmte Wahrheitsdefmitionen mit den sozialen und religiösen
Erfahrungen des Individuums zu tun? Inwiefern können diese
Erfahrungen als für die Wissenschaft notwendige ausgewiesen
werden?
Der von Hegel formulierte Anspruch verbietet eine rein er­
kenntnistheoretische Herleitung oder Darstellung des wahren
Wissens, es gehört vielmehr zum Wesenszug dieser Phänomeno­
logie, daß sie beim natürlichen Bewußtsein und dessen Stellung­
nahmen1, dessen Verständnis der Wirklichkeit ihren Ausgang
nimmt. Dabei ist es zunächst gleichgültig, in welcher Weise
dieses Bewußtsein in Spiel kommt, ob ihm für das wahre Wissen
eine begründende, oder epistemologische und rein explikato-
rische Funktion zukommt. Grundsätzlich geht die Darstellung
der Phänomenologie von der ganzen Mannigfaltigkeit subjektiver
Weltdeutungen aus, ohne zunächst Auswahlkriterien zu formu­
lieren. In der Vielfalt der subjektiven Weltdeutungen soll sich
das absolute Wissen darstellen. Das die Untersuchtung leitende,
wissende Ich kann daher gar nicht umhin, exemplarische For­
men aus dieser Vielfalt aufzuwählen. Die Kriterien der Auswahl
G e s t a l t e n n ic h t d e s B e w u s s t s e in s , s o n d e r n e in e r W elt 18 7

bleiben für den Leser zunächst im Dunkeln, deutlich macht


Hegel allerdings, daß der Zielpunkt des Weges, das wissende
Wissen, diese Auswahl bestimmt. Es dürften somit die logischen
Grundbestimmungen des absoluten Wissens sein, die hier die
Auswahlkriterien stellen. Einer weiteren Bedingung müssen
die herangezogenen exemplarischen Erfahrungen genügen: Sie
müssen als eigenständige Formen auftreten. Denn das Recht
des Individuums, daß die Wissenschaft ihm die Leiter reiche,
gründet sich auf „seine absolute Selbständigkeit, die es in jeder
Gestalt seines Wissens zu besitzen weiß“ (G W 9, 23).
Aus diesem Ansatz ergibt sich für die Darstellung dieser W is­
senschaft eine enge Verschränkung von systematischer Pro­
blementfaltung und Rückgriff auf Wirklichkeiten des Selbstbe­
wußtseins, die für Hegel in konkreten (geistes)geschichtlichen
Phänomenen anschaulich werden. Wenn diese Verschränkung
für die phänomenologische Darstellung unaufgebbar ist, so
stellt sich gleichwohl die Frage, inwiefern die Wissenschaft des
Absoluten, also die an die Phänomenologie sich anschließende
Logik oder spekulative Philosophie auf diese Darstellung, auf
diese wie Hegel in der „Einleitung“ formuliert, „Untersuchung
und Prüfung der Realität des Erkennens“ angewiesen ist. „Weil
nun jenes System der Erfahrung des Geistes nur die Erscheinung
desselben befaßt, so scheint der Fortgang von ihm zur Wissen­
schaft des Wahren, das in der Gestalt des Wahren ist, bloß negativ
zu sein, und man könnte mit dem Negativen als dem Falschen
verschont bleiben wollen, und verlangen, ohne weiteres zur
Wahrheit geführt zu werden; wozu sich mit dem Falschen abge­
ben?“ (G W 9, 30)
Ist aber das zu prüfende Wissen vom Standpunkt des absolu­
ten Wissens tatsächlich nur das Falsche, das der Wissenschaft
entgegengesetzte? N ur scheinbar schwankt Hegel bei der Be­
stimmung des Verhältnisses zwischen Phänomenologie und dem
Wissen der Wissenschaft, wenn er die Phänomenologie einmal
als Weg zum wahren Wissen somit als ,Propädeutik1 zur eigent­
lichen Wissenschaft einführt, an anderer Stelle aber der Phäno­
menologie selbst das Prädikat der Wissenschaft zuschreibt oder
sie als einen Teil der Wissenschaft bestimmt. Die wechselnden
Bestimmungen schreiben sich aus der doppelten Programmatik
des Ansatzes her: das unmittelbare Bewußtsein soll zur Wissen­
schaft geführt werden, dieser Weg ist aber zugleich als eine
i8 8 E l is a b e t h W e is s e r - L o h m a n n

notwendige „Entäußerung“ des absoluten Wissens zu begrei­


fen, der reine Begriff muß ins Bewußtsein übergehen. Diesen
doppelten Anspruch bringt die Formulierung, „das Wahre (ist)
nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subjekt aufzufassen
und auszudrücken“ (G W 9, 18)1 zum Ausdruck. Diese Formel
verdeutlicht die doppelte Perspektive der Phänomenologie, ein­
mal ist sie für das natürliche Bewußtsein Leiter und Instrument
zum wahren Wissen, und damit Vorwissenschaft, Propädeutik.
Vom reinen Begriff aus ist diese Entäußerung in die Phänomene
aber nicht wohlwollendes Entgegenkommen, sondern gehört
notwendig zum Begriff des absoluten Wissens selbst und inso­
fern ist die Phänomenologie Teil der Wissenschaft oder selbst
Wissenschaft. M it dieser doppelten Programmatik ist die Ver­
schränkung von Begriff und Phänomen für die Phänomenologie
fundamental.
Dieses Ineinander von systematischer Problementfaltung, die
sich durchaus - mit Erweiterungen - als Fortführung des tran­
szendentalen Programms einer Herleitung oder Deduktion des
wahren Wissens auffassen läßt, und historischer Betrachtungs­
weise hat in der Rezeptionsgeschichte unterschiedliche Auf­
nahmen gefunden. M it I. H. Fichte stellt sich für R. Haym die
Phänomenologie als ein Zwitter dar: Erkenntnistheoretischer und
realphilosophischer Beweisgang seien von Hegel gemischt wor­
den, daraus konnte nichts Ganzes entstehen.2 Es wird der Vor­
wurf erhoben, Hegel habe sich nicht zwischen zwei Beweisgän­
gen zu entscheiden gewußt und beide daher in unzulässiger
Weise vermischt. Während K. Marx an der Phänomenologie den
anthropologischen Ansatz, daß Hegel hier das Wesen der Arbeit
erfasse und den wirklichen Menschen als das Resultat seiner

1 Das „ebensosehr“ im zweiten Satz zeigt, daß es im ersten Satzteil heißen müßte,
„das Wahre ist nicht allein“ . Der Hintergrund dieser These wird plausibel, wenn
Schellings Abkehr von Fichtes ,Subjektivierung‘ und die gleichzeitige Wendung
zu Spinozas Zentralbegriff „Substanz“ mitgedacht wird. Schellings Wende soll
hier gleichsam auf höherer Ebene wieder rückgängig gemacht werden. Vgl.
Metzke, E . 31970: Die Vorreden Hegels. Heidelberg, 160.
2 Fichte, I. H . 21841: Beiträge zur Charakteristik der neueren Philosophie oder kriti­
sche Geschichte derselben von Des Cartes und Locke bis au f Hegel. Sulzbach. Haym, R.
1857: Hegel und seine Zeit. Berlin. Zur Rezeptionsgeschichte insgesamt vgl. Pög-
geler, O. 21993: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg, München,
170 ff.
G e s t a l t e n n ic h t d e s B e w u s s t s e in s , s o n d e r n e in e r W elt

eigenen Arbeit begreife, hervorgehoben hat, wurde von jünge­


ren Marxisten, wie G. Lukäcs, Hegels Phänomenologie für die
Entwicklung einer revolutionären Geschichtskonzeption in An­
spruch genommen. Hegel und die Phänomenologie wird unter
dem Gesichtspunkt, „daß ... nur der ganze Geist eine wirkliche
Geschichte“ hat, zum „Vorläufer des historischen Materialis­
mus“ . „Die Methode der Phänomenologie beruht auf einer Ein­
heit historischer und systematischer Betrachtungsweise, auf der
Überzeugung, daß zwischen logisch-methodologischer Abfolge
der Kategorien, ihrer dialektischen Folge auseinander und zwi­
schen der historischen Entwicklung der Menschheit ein tiefer
Zusammenhang besteht.“3 Bereits in den frühen (vormarxisti­
schen) Arbeiten suchte Lukäcs die Hegelsche Phänomenologie
für das eigene Anliegen, die Grundlegung einer Ästhetik frucht­
bar zu machen. Dort allerdings überwogen - wohl unter dem
Einfluß der Hegel-Kritik von E. Lask - die Zweifel an der
Legitimität dieses Verfahrens, logisch-systematische Katego­
rien mit geschichtlichen Erfahrungen zu korrellieren bzw. iden­
tisch zu setzen.
Hegels Programm einer Phänomenologie des Geistes mit der
Verknüpfung von systematischer Darstellung und Inanspruch­
nahme historischer Phänomene bleibt bis in die jüngste Zeit für
die Hegel-Forschung kontrovers. Zugespitzt kuliminiert die
hier angesprochene Problematik in der Frage, ob die Entwick­
lung, die das lernende Bewußtsein in der Phänomenologie voll­
zieht „in der Bahn einer zuvor entworfenen Logik läuft“4 oder
nicht. Der Blick in die strittigen Diskussionsfragen zeigt, daß
nicht nur die Verknüpfung selbst problematisch ist, sondern
insbesondere der Rang und die Funktion der beanspruchten
historischen Phänomene für den Gesamtprozeß des werdenden
Wissens. Die ins Spiel gebrachten Beispiele lassen sich nur
schwer mit der Chronologie der tatsächlichen Ereignisse ver­
einbaren, schwer auch ist der ,Leitfaden1 für die notwendige
Abfolge den geschilderten Phänomenen selbst zu entnehmen.

3 Lukäcs, G . 1948: Der junge Hegel. Über die Beziehungvon Ökonomie und Dialektik.
Zürich. N A 2 Bde Frankfurt a.M. 1973 (nach dieser Ausgabe wird zitiert), 718.
4 Schmitz, H . 1992: Hegels Logik. Bonn, Berlin. 301. Zur Kontroverse um diese
Frage, vgl. Fulda, H . 1965: Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der
Logik. Frankfurt a.M.; Düsing, K. 1976: Das Problem der Subjektivität in Hegels
Logik. Bonn.
19 0 E l is a b e t h W e is s e r - L o h m a n n

Gegen die Versuche, die in Anspruch genommenen Beispiele


mit der tatsächlichen Chronologie und dem geschichtlichen
Ablauf in Einklang zu bringen, hat O. Pöggeler darauf verwie­
sen, daß die Phänomenologie das System der spekulativen Be­
stimmungen als Geschichte darstellt: Die Phänomenologie „setzt
die spekulativen Bestimmungen als Gegenstände der Gestalten
des Bewußtseins und ist so eine Entäußerung der Logik aus der
„Form des reinen Begriffs“ in die „Geschichte der Erfahrungen,
die das Bewußtsein mit seinen Gegenständen macht.“ (Pöggeler
1993, 354) Entscheidend ist hierbei, daß diese ,Entäußerung1
des reinen Begriffs noch unvollkommen ist: „sie hält den G e­
genstand in der Beziehung auf das Bewußtsein fest, faßt am
Gegenstand nur das auf, was in die spekulative Bestimmung ...
eingeht“ (a. a. O.). Von dieser ersten Stufe der Entäußerung
muß sie dann den Gegenstand aus der Beziehung auf das Be­
wußtsein auf seine Gegenständlichkeit freigeben. Erst mit die­
ser „Aufopferung“ des Geistes ist die kontingente Geschichte
erreicht. Als geordneter Zusammenhang kann die kontingente
Geschichte daher erst durch die Fragestellung der Phänomeno­
logie begriffen werden: erst in ihrer Beziehung auf das Bewußt­
sein werden bestimmte geschichtliche Phänomene begreifbar.
Der Zusammenschluß beider ,Entäußerungsstufen1 - kontin­
genter Geschichte1 und ,Entäußerung des Begriffs als Bewußt­
seinsgeschichte1 - machen die „begriffene Geschichte aus, in
der der Geist sein Gewordensein erinnert und sich selbst be­
greift“ (Pöggeler 1993, 355).
Es kann in dieser begrenzten Arbeit nur ein Teilaspekt der
hier vorgestellten Problematik aufgegriffen werden. Die zu­
nächst als These eingeführte Deutung des Zusammenhangs
zwischen spekulativen Grundbestimmungen und der Inan­
spruchnahme geschichtlicher Phänomene soll im folgenden an
einer begrenzten Stufe des werdenden Wissens geprüft werden,
an der Entwicklung des Bewußtseins im Geist-Kapitel. Dabei
wird die Frage nach der Logik, die die phänomenologischen
Gestalten tragen, hier unerörtert bleiben müssen. Vorrangig
soll es um die Klärung des Rangs der von Hegel herangezoge­
nen geschichtlichen Ereignisse gehen. Inwieweit deutet Hegel
hier geschichtliche Erfahrungen des Individuums als Entäuße­
rungen einer logischen Grundbestimmung und wie rechtfertigt
er die von ihm behauptete Entsprechung von Wissensbestim­
G e s t a l t e n n ic h t d e s B e w u s s t s e in s , s o n d e r n e in e r W elt 19 1

mung und sozialer Institution? Gelingt es Hegel diesen Zusam­


menhang plausibel zu machen und zu rechtfertigen, so werden
die historischen Gestalten als Entäußerungen des spekulativen
Wissens faßbar. Dann aber müssen die ausgewählten Beispiele
keineswegs der tatsächlichen Chronologie der Ereignisse ent­
sprechen. Sie könnten dann lediglich als exemplarische Formen
in Anspruch genommen werden. Hegels Inanspruchnahme der
Französischen Revolution soll im folgenden der Prüfstein für
diese Fragen sein. Im Zentrum soll dabei die Klärung der Frage
stehen, ob Hegel die Inanspruchnahme geschichtlicher Erfah­
rungen als exemplarische Wissensformen für den Gesamtent­
wurf der Phänomenologie beibehalten hat. Oder, ob nicht mit
dem Geist-Kapitel eine andere Beweisabsicht verfolgt wird, die
einen anderen Bezug zur Geschichte voraussetzt, und etwa auf
die tatsächliche Chronologie der Ereignisse Rücksicht zu neh­
men hätte.

II. Stellung des Geist-Kapitels

Die Suche nach einer Konzeption von praktischer oder politi­


scher Philosophie in der Phänomenologie orientiert sich meist an
den dort gegebenen Analysen von Handlungweisen, wie Kam pf
und Arbeit, an Hegels Auseinandersetzung mit Institutionen,
wie Familie und Recht, oder aber an den in Anspruch genom­
menen historischen Prozessen wie Aufklärung und Franzö­
sischer Revolution. Die Analysen des Geist-Kapitels scheinen
in diesem Zusammenhang besonders geeignet für eine systema­
tische Darstellung der praktischen Philosophie Hegels.5
Von den vorausgegangenen Erscheinungsformen, Bewußt­
sein, Selbstbewußtsein und Vernunft sollen sich die Erfahrun­
gen, die das Bewußtsein im Geist-Kapitel macht, dadurch unter­
scheiden, daß die Gestalten des Geistes nun als „sich selbst
tragende absolute reale Wesen“ auftreten. Alle bisherigen G e­
stalten des Bewußtseins sind Abstraktionen desselben, isoliert in
einzelne Momente haben sie den Schein, als ob sie als solche
wären. In der „Vorrede“ allerdings hatte Hegel betont, daß

5 So ordnet Lukács etwa dem Geist-Kapitel die Sphäre des objektiven Geistes zu,
vgl. Lukäcs 1948, 728.
19 2 E l is a b e t h W e is s e r - L o h m a n n

allen Gestalten des Bewußtseins der Charakter der Selbständig­


keit zukommt. Hier nun erscheinen sie als bloße Abstraktionen.
Für Hegel gründet die Selbständigkeit aller auftretenden G e­
stalten, in der absoluten Form, daß alle Formen des Wissens für
das Bewußtsein unmittelbar gewiß sind. Ihre Selbständigkeit ist
zunächst rein subjektiv; erst auf der Stufe des Geistes aber soll
ein wirkliches sittliches Wesen erreicht sein: „Der Geist ist als
sittliche Leben eines Volks, insofern er die unmittelbare Wahrheit
ist“ (G W 9, 240). Die Gewißheit des Bewußtseins bezieht sich
nicht mehr ausschließlich auf ,subjektive1 Wissensformen, son­
dern hat eine wirkliche Welt zum Gegenstand, der „Selbstän­
digkeit“ muß ein objektiver Sinn zukommen. Wie aber wird
dieses erreicht? Überschreitet Hegel mit diesem neuen An­
spruch nicht das bisherige Anliegen der Phänomenologie Prü­
fungsverfahren für Wissensansprüche zu sein?
Die Frage, die sich auf diesem neuen Erfahrungsniveau er­
gibt, ist, ob die im Geist-Kapitel ins Spiel gebrachten Phäno­
mene noch in gleicher Weise als bloße Prüfungsinstanzen bzw.
als ,Lektionen1 verstanden werden können. Ist mit dem Geist-
Kapitel nicht überhaupt ein Neuansatz ins Spiel gebracht, der
das vorausgehende Programm, nämlich die Prüfung von W is­
sensformen sprengt? Nun werden allerdings auch schon in den
vorausgehenden Prüfungen, praktische Verhältnisse mit heran­
gezogen, etwa das Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft
im Kontext der Prüfung der „Wahrheit der Gewißheit seiner
selbst“. Der Kam pf auf Leben und Tod hat unabweislich prakti­
sche Konsequenzen. Das ursprünglich ,theoretische1 Prüfungs­
verfahren muß durch die Aufnahme neuer Prinzipien erweitert
werden. Hegel macht hier deutlich, daß Wahrheit nicht allein
durch eine subjektive Perspektive zu gewinnen ist. Die Ausein­
andersetzung mit dem Mitmenschen ist gefordert.6 Die neuen
Wahrheitsbestimmungen und die notwendig mit ihnen verbun­
denen Erfahrungen muß Hegel in Abgrenzung von vorausge­
gangenen Erfahrungsgestalten ausweisen. Welche Bedingun­
gen muß das lernende Bewußtsein erfüllen, um die neuen Er­
fahrungen zu ermöglichen? Ändert sich auf der anderen Seite

6 Die Rolle der „Anerkennung“ für diesen Prozeß hat L. Siep herausgearbeitet.
Vgl. Siep, L . 1979: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Freiburg;
sowie den Beitrag von L. Siep in diesem Band.
G e s t a l t e n n ic h t d e s B e w u s s t s e in s , s o n d e r n e in e r W elt : 93

etwas an der Entäußerung des absoluten Wissens selbst oder


auch an der Art und Weise, wie diese Entäußerungen aufgefaßt
werden? M it dem Geist-Kapitel stellt sich somit in neuer Form
die Frage nach dem Zusammenhang von logischer Grundbe­
stimmung und historischem Phänomen. In diesem Zusammen­
hang ist insbesondere der ,Rang‘ der historischen Gestalten für
die Darstellung des werdenden Wissens im Geist-Kapitel zu
klären.
Die Erfahrungen, die das lerndende Bewußtsein an den G e­
stalten von Bewußtsein, Selbstbewußtsein und Vernunft macht,
erweisen die nur begrenzte Gültigkeit der jeweiligen Überzeu­
gung. Die gesetzgebende und gesetzprüfende Vernunft wird
mit Erfahrungen konfrontiert, die die nur begrenzte Gültigkeit
ihrer Gewißheiten erweisen. Vom Ganzen des sittlichen Be­
wußtseins haben sie sich durch ihre Verabsolutierungen isoliert:
sie sind haltungslose Momente des sittlichen Bewußtseins. Wie
bei allen negativen Erfahrungen zeigt sich auch hier ein Positi­
ves: die sittliche Substanz stellt sich mit dieser Erfahrung als
Bewußtsein dar (vgl. G W 9, 234). Aufgrund dieser Erfahrung ist
dem Bewußtsein das „Rechte“ nicht länger rein äußerlich, son­
dern es ist ihm „an und für sich“ . Allerdings geht dieses
Prüfungsverfahren bloß auf Allgemeinheit (im kategorischen
Imperativ etwa). Gegenüber den zu meisternden Erfahrungen
erweist es sich als formal, ihm kann eine nur begrenzte Gültig­
keit eingeräumt werden: „Das geistige Wesen ist h ierm it... für
das Selbstbewußtsein als an sich seiendes Gesetz“ (GW 9, 235).
Dies an sich seiende ewig gültige Gesetz wird zur sittlichen
Substanz, es ist das Wesen des Selbstbewußtseins. Die schöne
Sittlichkeit der griechischen Polis ist für Hegel Ausdruck einer
Einheit von Individuum und Gesetz. „Die Substanz und das
allgemeine, sichselbstgleiche, bleibende Wesen, - ist er der
unverrückte und unaufgelöste Grund und Ausgangspunkt des
Tuns Aller, - und ihr Zweck und Ziel, als das gedachte Ansich
aller Selbstbewußtsein“ (G W 9, 239).
Das Auseinanderbrechen dieser Einheit deutet Hegel als ein
Fortgehen des Geistes zum wissenden Bewußtsein. Substanz
und Bewußtsein treten fortan als getrennte Faktoren auf. Für
das werdende Wissen ergibt sich ein Weiterschreiten zu neuen
Wissensformen aufgrund einer Differenz zwischen Ansich und
Fürsichsein des Geistes. Der Geist ist auf dieser ersten Stufe
19 4 E l is a b e t h W e is s e r - L o h m a n n

zum einen Substanz, die unwankende gerechte Sichselbstgleich-


heit. Für sich selbst ist die Substanz aber zum anderen „das
aufgelöste, das sich aufopfernde gütige Wesen, an dem Jeder
sein eignes Werk vollbringt, das allgemeine Sein zerreißt und
sich seinen Teil davon nimmt“ (a. a. O.). Diese Auflösung und
Vereinzelung der Substanz im Selbst macht das wirkliche und
lebendige dieser Gestalt des Bewußtseins aus. Das Selbst und
die geteilte Substanz sind jeweils in unmittelbarer Einheit ver­
bunden: „das Individuum, das eine Welt ist“. Der Konflikt zwi­
schen den aufeinanderstoßenden Welten - für Hegel wird er
exemplarisch in dem Aufeinandertreffen von Kreon und Anti­
gone - zerstört die Selbstgewißheit, die das Subjekt bisher mit
seiner Deutung der Welt verband: „Weil wir leiden, anerken­
nen wir daß wir gefehlt“ - dieses Leid ist für Hegel ein Zeichen
für die zerbrochene Einheit und die Schuld. Es ist diese Ent­
fremdung, die Anlaß gibt zum Weiterschreiten. Der Geist aber
muß diese Unmittelbarkeit verlassen und „durch eine Reihe von
Gestalten zum Wissen seiner selbst gelangen“.
Unter der Mannigfaltigkeit der Erfahrungsformen muß
ausgewählt werden. Die neuen Gestalten sollen nicht als
bloße Einzelformen auftreten, sondern sich als daseiende G e­
stalten bewähren. Die Auswahl der exemplarischer Gestalten
bzw. Erfahrungsformen ist auch hier durch das Anliegen des
absoluten Wissens bestimmt, absolute Formen als wirkliche
zu erweisen. H egel führt daher im folgenden jene ,Leit­
themen1 bzw. Grundbestimmungen an, die er aus der Sphäre
der praktischen Philosophie in die spekulative Philosophie
aufnehmen will. Zur Familie tritt das Gemeinwesen mit der
Regierung, das System der persönlichen Selbständigkeit und
das Eigentum, das persönliche und dingliche Recht, - diese
Unterscheidung orientiert sich noch K ant -, Arbeit, Erwerb
und Genuß sowie der Zusammenschluß in „eigenen Zusam­
menkünften“, d. h. Korporationen treten hinzu (G W 9, 246).
All diese Gestalten, das wird von Hegel an dieser Stelle noch-
einmal betont, „unterscheiden sich aber von den vorherge­
henden dadurch, daß sie die realen Geister sind, eigentliche
Wirklichkeiten, und statt Gestalten nur des Bewußtseins, G e­
stalten einer Welt“ (G W 9, 240). Die Gewißheit, alle Realität
zu sein, ist nach Hegel in diesen Gestalten erreicht: Sie sind
Gestalten des sittlichen Geistes.
G e s t a l t e n n ic h t d e s B e w u s s t s e in s , s o n d e r n e in e r W elt : 95

Zumindest drei Fragen stellen sich gegenüber dem vorausge­


gangenen Prozeß der Wissensprüfung. Zum einen ist die Rolle
des Geistes für diese neue Stufe der Phänomenologie zu klären -
werden im Geist-Kapitel weiterhin an exemplarischen Gestal­
ten logische Grundbestimmungen eingeübt? Wie ist zum ande­
ren das „Weiterschreiten“ zu deuten? Findet dies losgelöst und
unabhängig vom Prozeß des werdenden Wissens statt, so daß
das werdende Wissen einen bereits in und durch sich selbst
bestimmten Prozeß nur nachvollzieht - oder ist der Fortgang
auch hier allein durch das werdende Wissen bestimmt? Drittens
- und hierauf soll zunächst eingegangen werden -, was bedeutet
es, wenn die Gestalten nun eine Welt bilden? Bereits die Erfah­
rungen des freien Selbstbewußtseins haben gezeigt, daß eine
rein in der Selbstgewißheit verbleibende Wahrheitsbestimmung
scheitert. M it M acht drängt sich das andere Selbstbewußtsein
auf und fordert die Anerkennung der eigenen Wahrheit - im
Kam pf zwischen Herr und Knecht. Nun sind diese Erfahrun­
gen aber nicht mehr lediglich für das Bewußtsein entscheidend,
sondern sie sollen nun eine „Welt“ prägen und bestimmen. Was
zuvor noch als Konflikt zwischen verschiedenen Wahrheitsan­
sprüchen auftrat, hat sich nun zu einem geschichtlichen Faktor
entwickelt, der das Leben der Individuen insgesamt bestimmen
sollen. Wie ist diese Ausweitung des Anspruchs zu begründen?
Das „Wissen“ selbst und die Ansprüche an seine Leistungsfä­
higkeit hat sich gewandelt. Nicht mehr das, was dem Einzelnen
gewiß ist, kann als wahr gelten, sondern das was gestaltend die
Welt selbst bestimmt. Neben den Wissenschaften sind dies etwa
die Sprache, Arbeit und Familie. Jede dieser neu auftretenden
,Wissensformen1 dringt unmittelbar gestaltend in die Welt
selbst ein wird zur Institution. Das ,Wissen1 des Selbstbewußt­
seins ist zu einem Machtfaktor geworden. Für die Darstellung
des werdenden Wissens bedeutet dies, daß es sich fortan an
realen geschichtlichen Gestalten zu orientieren hat, denn in
ihnen sind diese Wissenformen grundgelegt. Erst an diesen
konkreten Gestalten lassen sich die ,Fortschritte1 des Wissens
auf dem Weg zum absoluten Wissen aufweisen.
Die Sittlichkeit der griechischen Polis, das unmittelbare Wis­
sen der Substanz führt über den Konflikt in der sittlichen Hand­
lung zum abstrakten Wissen der sittlichen Substanz: Die Sittlich­
keit geht in der formalen Allgemeinheit des Rechts unter. In ihr
19 6 E l is a b e t h W e is s e r - L o h m a n n

bringt sich das Selbst zur Geltung. In Gestalt der Person hat es
Wirklichkeit gewonnen, zu dem Preis allerdings, daß die Ein­
heit von Selbst und Substanz nun aufgelöst ist: „die Welt hat
hier die Bestimmung, ein Äußerliches, das Negative des Selbst­
bewußtseins, zu sein“ (GW 9, 2 64).7 Das Individuum kann sich
in den ,neuen1 Institutionen nicht wiederfinden - das „gemein­
same“ Werk bzw. das „Tun aller“ ist als Identifikationsbasis
zerstört. Die dem Bewußtsein gegenüberstehende Welt er­
scheint als fremde Wirklichkeit; sie ist in ihrem (negativen)
Dasein aber auch als Werk des Bewußtseins zu begreifen. „Sie
erhält ihr Dasein durch die eigne Entäußerung und Entwesung
des Selbstbewußtseins“ (GW 9, 264). „Für sich“ sind die vom
Bewußtsein isolierten, losgebundenen Elemente „das reine Ver­
wüsten, und die Auflösung ihrer selbst“. Dies negative Wesen
erweist sich aber, so Hegel, als die Entfremdung der Persön­
lichkeit selbst, in dieser Weise schwingt sie sich zum „Spiel“ der
„tobenden Elemente“ auf. Als Geist weist sich diese Gestalt für
Hegel aus, indem sie - auch in ihrer Entfremdung - sich als eine
selbstbewußte Einheit von Selbst und Wesen erweist. In eine
gedoppelte Welt zerfällt die einst „Eine Welt“ des Geistes: „die
erste ist die Welt der Wirklichkeit oder seiner Entfremdung
selbst; die andre aber die, welche er, über die erste sich erhe­
bend, im Äther des reinen Bewußtseins sich erbaut“ (G W 9,
266). Die beiden einander entgegengesetzten Welten - als
Diesseits die Welt der Bildung und als Jenseits die Welt des
Glaubens - sind in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit zu begrei­
fen. Die Entfremdung ist ein Produkt des Bewußtseins. Es ist
für Hegel die Aufklärung, die die hier herrschenden Gestalten,
verwirrt und revolutioniert. „Nützlichkeit“ und „Zweck“ sind
jene Begriffe, die nun das Verhältnis des Bewußtseins zur Wirk­
lichkeit bestimmen. In der neuen Gestalt des Bewußtseins, Die
absolute Freiheit und der Schrecken, werden diese Begriffe nicht

7 Es ist problematisiert worden, daß der Rechtszustand des römischen Reichs hier
nicht wie in der gleichzeitig entstandenen Realphilosophie II (1805/06) bzw. der
späteren Rechtsphilosophie den Ausgangspunkt für die Sphäre der Sitdichkeit
bildet. Vgl. Siep 1979. H egel selbst allerdings betont in der Phänomenologie, daß
der Rechtszustand eine entwickelte Form des Wissens ist (vgl. G W 9, 264). Zu
beachten ist in diesem Zusammenhang auch, daß das Recht hier nicht als ein
Prinzip eingeführt, sondern als eine Gestalt des Geistes: die Person und das auf sie
gegründete Recht ist hier Inhalt und Zweck des römischen Staats.
G e s t a l t e n n ic h t d e s B e w u s s t s e in s , s o n d e r n e in e r W elt : 97

mehr auf die außenstehende Wirklichkeit angewandt, sondern


in das Selbst zurückgenommen. Der in das Diesseits und Jen ­
seits entzweite Geist kehrt in diesem Prozeß in das Selbstbe­
wußtsein zurück. Die Darstellung der neuen Gestalt des Gei­
stes, der Moralität, hat den Übergang „in ein anderes Land“ zur
Voraussetzung - nur dort, wo sich die neuen Wissensformen als
Gestalt organisieren, wird diese Gewißheit erfahrbar.

III. Die sittliche Totalität ist ein Volk

„Die absolute sittliche Totalität (ist) nichts anderes als ein Volk“
(NA 449) - mit dieser Formel begegnet Hegel in seinen Jenaer
Anfängen der Kantisch/Fichteschen Zergliederung der Sittlich­
keit in Legalität und Moralität. Hegels positive Darstellung des
eigenen Ansatzes hebt mit diesem Diktum der Einheit der abso­
luten Sittlichkeit an. Die Identifikation des Sittlichen mit einem
Volk zerbricht allerdings in der „Tragödie des Sittlichen“ : das
Negative, als Einzelheit aber auch als Rechtssphäre und Öko­
nomie macht sich als Prinzip geltend und zerstört die unmittel­
bare Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit. Hegel faßt die­
sen Einbruch des Negativen keineswegs rein punktuell auf, so
als ob dies ausschließlich ein Geschehen wäre, das sich für die
griechische Polissittlichkeit ereignet. Hegel faßt diesen Ant­
agonismus grundsätzlicher, er findet sich auf verschiedenen
Ebenen. Einmal stellt er sich als der immerwährende Kam pf
des lichtvollen Appollon gegen die Eumeniden, die unterirdi­
schen Mächte dar. Dieser Gegensatz tritt aber auch in den
beiden Ständen des Staates auf: dem allgemeinen Stand als der
Lichtseite steht der Stand der Nichtfreien gegenüber. Letzte­
ren, charakterisiert Hegel mit Platon als durch eine böse ge­
waltsame N atur beherrscht. Es sind nicht militärische Erfah­
rungen, die die besondere Rolle des Kriegerstandes als dem
Stand der Freien ermöglichen. Es ist die Erfahrung des Todes,
das Risiko des eigenen Lebens, die den Charakter dieses Stan­
des bilden. Dieses Bewußtsein ist „das reale absolute Bewußt­
sein der Sittlichkeit“ (NA 462; 150, 151). Der Stand der Nicht­
freien, welcher in der Differenz des Bedürfnisses und der Ar­
beit, und im Rechte und der Gerechtigkeit des Besitzes und des
Eigentums ist, schließt die Gefahr des Todes nicht in sich. Zwar
19 8 E l is a b e t h W e is s e r - L o h m a n n

ermöglicht dieser zweite Stand und mit ihm der dritte Stand, die
Bauern, den Freien die Unabhängigkeit von der Sorge um die
eigene Subsistenzsicherung. Eine Leistung, die ihren Anteil an
der Sittlichkeit des Volkes allerdings nicht zu bessern vermag,
in Beziehung auf die absolute Sittlichkeit ist das Werk des zwei­
ten und dritten Standes rein negativ zu bewerten.
Dies bedeutet für Hegel aber nicht, daß diese Mächte unter­
drückt werden müssen. Erst das Gewährenlassen dieser negati­
ven Mächte in einem begrenzten Raum des Staates ermöglicht
für ihn die Bewahrung der Sittlichkeit des Ganzen. Durch diese
Differenzierung innerhalb der sittlichen Macht ist für Hegel im
Naturrechts-Aaisntz der Bestand der Sittlichkeit eines Volkes
garantiert. Historisch ist auch diese Differenzierung in Stände
durch das Prinzip der formellen Einheit und Gleichheit im
römischen Reich untergegangen. Dies ist auch das Ende der
absoluten Sittlichkeit. In der Situation einer juridischen Gleich­
heit aller kann nur die bewußt Aufnahme des negativenPrinzips,
des Bourgeois, des Privatlebens, in das Allgemeine Abhilfe brin­
gen. Es bleibt allerdings die Differenzierung und Absonderung
eines edlen Standes, der für Hegel in dieser Situation die Be­
wahrung der absoluten Sittlichkeit verbürgen könnte. Die Aus­
bildung dieser Subsysteme der Sittlichkeit ist für Hegel im
Naturrechts-Auisaiz eine Leistung der „N atur“ . Sein Ansatz
steht damit konträr zur Tradition des Naturrechts, für die sich
aus den natürlichen Rechten des einzelnen das Rechts- und
Eigentumssystem der bürgerlichen Gesellschaft herleiten läßt.
Für Hegel kommt dieser Ansatz beim einzelnen einer „Atomi­
sierung“ der Sittlichkeit gleich.
Die Identifikation der Sittlichkeit mit einem Volk ist seit den
frühen Jenaer Arbeiten der Ausgangspunkt für Hegels Ansatz
einer praktischen Philosophie. Dieser Ausgangspunkt hat auch
für die Phänomenologie Gültigkeit, wenn für die Einübung in
spezifisch praktische Wissensformen Gestalten einer Welt nicht
lediglich Gestalten des Bewußtseins erfahren werden müssen.
Vergleicht man den frühen Jenaer Ansatz mit der Konzeption
des Geist-Kapitels in der Phänomenologie so dürfen die Diffe­
renzen in systematischer Hinsicht nicht ignoriert werden. Im
Naturrechts-Aaisntz gibt Hegel in Abgrenzung von der Traditi­
on des Naturrechts eine Darstellung seiner Konzeption von
praktischer Philosophie und damit einhergehend seiner Auffas­
G e s t a l t e n n ic h t d e s B e w u s s t s e in s , s o n d e r n e in e r W elt 19 9

sung der absoluten Sittlichkeit. Im Kontext einer Phänomeno­


logie des werdenden Wissens können diese Ziele nicht in glei­
cher Weise verfolgt werden. Kann es einer Darstellung des
werdenden Wissens doch nicht darum gehen, die Institutionen
der Sittlichkeit losgelöst vom Bewußtsein aufzuzeigen. Viel­
mehr müssen die subjektiven Voraussetzungen dieser Einrich­
tungen im Bewußtsein aufgewiesen werden. Wie aber ist die
Auffassung des Naturrechts-Aufeatzes, daß die Natur des Sitt­
lichen selbst jene Differenzierungen und Aufspaltungen her­
vorzubringen vermag, die eine Integration auch des zunächst
negativ Erfahrenen in die Totalität ermöglicht, mit dem Pro­
gramm der Phänomenologie zu vereinbaren? Für O. Pöggeler ist
es die Aufnahme der modernen Naturrechtstheorien und der
Nationalökonomie, die Hegels Position in der Phänomenologie
bestimmt. Wenn Hegels Konzeption des Sittlichen jetzt mit
dem Subjekt einsetzt, so ist dies nicht nur gegenüber dem N a­
turrechts-Kuisatz ein Novum. N och in den Jenaer Vorlesungen
(1803/04) hatte Hegel eine Potenzenlehre entwickelt, die den
Geist wesentlich als Mitte faßt. Der Geist ist Mittler zwischen
Begriff und Bewußtsein.8 Erst 1805/06 in der Realphiloso­
phie II ersetzt Hegel diese Potenzenlehre. Das „Ich“ wird nun
zum Zentrum, von dem aus Formen wie Arbeit, Eigentum und
Recht entwickelt werden. Wie bringt die Phänomenologie diese
Formen ins Spiel?
Die Programmatik der Phänomenologie läßt auch hier zwei
Argumentationswege zu. Zum einen müssen diese Formen als
vom Bewußtsein hervorgebrachte eingeführt werden. Zum an­
deren sind sie „Selbstentäußerung“ bzw. Erinnerung des abso­
luten Wissens, müssen somit aus diesem entfaltet werden. Es
wurde bereits darauf hingewiesen, daß darüberhinaus mit dem

8 „Wir betrachten die Momente des sich organisierenden Bewußtseins weder auf
der Seite des Subjekts in der Form von Vermögen, Neigungen, Leidenschaften,
Trieben usw. noch auf der ändern Seite des Gegensatzes als eine Bestimmtheit der
Dinge, sondern wie es als Einheit und Mitte von beidem absolut für sich ist“,
(Fragment 20, in: G W 6, 290) In den einzelnen Potenzen, Sprache, Gedächtnis
und Arbeit vollzieht sich Sozialisation und Individualisierung des Menschen.
D am it ist die Entfaltung dieser Potenzen „nicht Them atik einer Philosophie des
„subjektiven“ Geistes, der vom „objektiven“ Geist unterschieden wird“, sondern
diese Formen konstituieren sich aus dem Zusammenspiel von Begriff und Be­
wußtsein (Pöggeler 1993, 66).
200 E l is a b e t h W e is s e r - L o h m a n n

Geist-Kapitel eine spezifisch neue Situation im Prozeß des wer­


denden Wissens erreicht ist. „Die Vernunft ist Geist, indem die
Gewißheit alle Realität zu sein, zur Wahrheit erhoben, und sie
sich ihrer selbst als ihrer Welt, und der Welt als ihrer selbst
bewußt ist“ (G W 9, 238). M it der hier erreichten ,Wissens­
form1 sind alle weiteren Grundbestimmungen des absoluten
Wissens für das lernende Bewußtsein künftig nur noch an kon­
kreten geschichtlichen Gestalten erfahrbar. Für die Phänomeno­
logie entsteht somit die Aufgabe das „sittliche Wissen“ an wirk­
lichen Gestalten zu explizieren, d. h. gemäß dem oben entwik-
kelten Programm - sowohl als Werk des Bewußtseins als auch
als Entäußerung des absoluten Wissens darzustellen.
Betrachtet man allerdings die von Hegel als wirkliche Gestal­
ten angeführten Beispiele, so stellt sich die Frage, ob hier wirk­
lich eine neue Stufe erreicht ist. In gewisser Weise werden ja
auch in den vorausgegangenen Gestalten die Erfahrungen an
realen Beispielen der Geschichte veranschaulicht. So hatte H e­
gel den Übergang der griechischen Antike ins römische Reich
bereits im Kontext der Erfahrungen des Bewußtseins themati­
siert. Aus dem jeweils einseitigen Bewußtsein von „Herrschaft“
und „Knechtschaft“ entwickelten sich die Bewußtseinformen
der stoischen und skeptischen Philosophie.
Dieser Übergang von Bewußtseinsgestalten, die der griechi­
schen Polis angehören zu Bewußtseinsformen, die mit dem
römische Reich verbunden sind, wird nun nocheinmal im Geist-
Kapitel thematisiert: die Gestalt der unmittelbaren Sittlichkeit
der griechischen Polis wird durch die Gestalt der Person und
das abstrakte Rechtssystem abgelöst. Hegel selbst betont die
Differenz zwischen den beiden ,Beispielen1: „was dem Stoizis­
mus nur in der Abstraktion des Ansich war, ist nun wirkliche
Welt“ . Diese Wirklichkeit war im Bewußtseinskapitel nur als
Gestalt des Bewußtseins aufgetreten, jetzt ist eine Ebene er­
reicht, auf der der erreichten Wissensform der fundamentale
Zusammenhang von Wissensform, Selbstdeutung und Weltge­
staltung durchsichtig wird. Was zuvor nur als bewußtseinsim-
mant thematisierbar war, wird für die Phänomenologie mit dieser
Einsicht allererst explikabel.
An der historischen Gestalt des „römischen Reiches“ sind für
den Erfahrungsprozeß des Bewußtseins als Geist nur der für die
reale Gestalt grundlegende Inhalt bzw. der herrschende Zweck
G e s t a l t e n n ic h t d e s B e w u s s t s e in s , s o n d e r n e in e r W elt 201

herauszugreifen.9 Die ganze Fülle der mit diesen Strukturen


verwobenen kontingenten und inkontingenten Elemente wird
von dieser Darstellung nicht erreicht. Im Unterschied zu ande­
ren Darstellungen der Sittlichkeit bleibt die Auffassung des
werdenden Wissens an jene Inhalte gebunden, die im Bewußt­
sein des Subjekts aufweisbar sind und für das lernende Bewußt­
sein diese Gestalt prägen. Ihre Auswahl bleibt bestimmt vom
absoluten Wissen, das sich in diese Gestalten entäußert. Diese
These soll nun im folgenden an Hegels Darstellung der franzö­
sischen Revolution anschaulich gemacht werden.
Die Notwendigkeit einer institutioneilen Sicherung von ,E i­
gentum1 durch Recht ist für Hegel die unhintergehbare Konse­
quenz aus dem Untergang der griechischen Sittlichkeit. Die
formale Gleichheit der Personen vor dem Recht ermöglicht
zwar ein durch Verträge geschütztes Eigentum, das auftretende
„Selbst“ bleibt allerdings ohne alle Realität. Die „Gewißheit,
alle Realität zu sein“ kommt hier allein den institutioneilen
Formen, nicht aber dem Selbst zu. Im Verhältnis zum Selbst ist
die Welt ein bloß Äußerliches, das Negative des Selbstbewußt­
seins. Hegel zeigt an dieser Konstellation, daß das Individuum
als Person zur vollkommenen Unwesentlichkeit herabsinkt. Auf
der anderen Seite erhält die äußere Welt ihr Dasein durch die
negative Arbeit des Selbstbewußtseins. „Verwüstung“ bestimmt
das Verhältnis des Selbst zur Welt. „Das Ganze ist daher, wie
jedes einzelne Moment, eine sich entfremdete Realität; es zer­
fällt in ein Reich, worin das Selbstbewußtsein wirklich sowohl es
als sein Gegenstand ist, und in ein anderes, das Reich des reinen
Bewußtseins, welches jenseits des Ersten nicht wirkliche G e­
genwart hat, sondern im Glauben ist.“ (GW 9, 265)

IV. Die absolute Freiheit und der Schrecken

Die vorausgegangenen Bildungsstufen des Geistes zeigten das


Streben des entfremdeten Geistes die fehlende Substanz zu
gewinnen. Das Streben nach Substantialität fand in der „N ütz­

9 Zur Problematik des hier verwendeten Zweckbegriffs, vgl. die Arbeit von
M . Bienenstock 1992: Politique dujeune Hegel. Jen a 1801-1806. Paris.
202 E l is a b e t h W e is s e r - L o h m a n n

lichkeit“ seinen Gegenstand und Zweck. „Herrschaft“ und


„Reichtum“ als die Sphären dieses Prinzips bestimmen das Stre­
ben. Im Unterschied zu vorausgegangenen Bildungsstufen wur­
den die „Objekte“ des Strebens zu Machtfaktoren, Bildung und
Sprache sind zu Machtfaktoren aufgestiegen. Grundlage für die
in Abschnitt drei, Die absolute Freiheit und der Schrecken, erreich­
te Bildungsstufe ist die Zurücknahme des Prinzips ,Nützlichkeit
eines Gegenstandes1in das Subjekt. In seiner Selbstbestimmung
erfaßt sich das Subjekt wesentlich als „Sein für anderes“. Dieses
Sein für anderes erweist sich aber als „das absolute sich selbst
doppelt Sehen“ (G W 9, 317). Das einzelne Subjekt erweitert
sich zum allgemeinen Subjekt, „die Gewißheit seiner ist das
allgemeine Subjekt und sein wissender Begriff ist das Wesen der
Wirklichkeit“ (a. a. O.). Damit ist der Geist „absolute Freiheit“
geworden, insofern dieser reinen Selbstbestimmung, der Spon­
taneität des Subjekts, keinerlei Widerstand entgegentritt. Bei
der Bestimmung des eigenen Handlungsspielraums sieht sich
das Subjekt ja keinem anderen freien Wesen gegenüber, da ihm
selbst Allgemeinheit zukommt, ist diese Freiheit absolut gren­
zenlos.
Wie bei allen Gestalten so lassen sich auch hier zwei Momen­
te unterscheiden. Zum einen bestimmt Hegel diese Gestalt als
Selbstbewußtsein, dessen Selbstgewißheit das Wesen aller gei­
stigen Massen der realen sowie der übersinnlichen ausmacht.
Zum anderen erscheinen Wesen und Wirklichkeit des Geistes
in Gestalt des Wissens des Bewußtseins von sich. Vom Selbstbe­
wußtsein geht die Forderung aus, der real allgemeine Wille soll
mit dem Willen aller einzelnen identisch sein. Ist aber der
einzelne Wille mit dem allgemeinen Willen als identisch ge­
setzt, so kann ein einzelner Wille sich auch auf den „Thron der
Welt“ setzen und als Allgemeinheit handeln. Unbenannt bleibt
hier Hegels Bezugspunkt, Napoleon, der von Hegel als „Voll­
ender“ der von der Revolution postulierten Freiheit des Einzel­
nen aufgefaßt wird. Das einzelne Selbstbewußtsein ist mit allen
einzelnen identisch. Auf dem „Thron der Welt“ ist das Bewußt­
sein allein das Element, worin die geistigen Wesen oder Mächte
ihre Substanz haben. Historisch hat diese absolute Herrschaft
den Zusammenbruch des Ständestaats zur Voraussetzung, jenes
Systems also, das sich durch „Teilung in Massen organisierte“ .
„In dieser absoluten Freiheit sind also alle Stände, welche die
G e s t a l t e n n ic h t d e s B e w u s s t s e in s , s o n d e r n e in e r W elt 203

geistigen Wesen sind, worein sich das Ganze gliedert, getilgt“


(G W 9, 318). Nach wie vor ist das Prinzip der „Nützlichkeit“
Prädikat alles realen Seins. In dieser neuen Gestalt bleibt es als
Prinzip nicht auf die Gegenstände der Außenwelt beschränkt,
sondern ist auf das Selbst übertragen worden.
Wie aber kann das Bewußtsein sich selbst ohne den Bezug auf
einen Gegenstand bestimmen? Das Bewußtsein selbst wird G e­
genstand des Bewußtseins. Der bestehende Gegensatz herrscht
nun allein im Bewußtsein als Verhältnis zwischen allgemeinem
und einzelnem Bewußtsein. Dieser rein ,bewußtseinsimmanen­
te1 Gegensatz verhindert die Gestaltung eines positiven Werks.
Weder ein „allgemeines Werk der Sprache“ noch eines der
Wirklichkeit, weder Gesetze noch allgemeine Einrichtungen
der bewußten Freiheit vermag dieses Bewußtsein vorzubringen.
Hegel diskutiert in diesem Zusammenhang die Frage, ob der
sich Bewußtsein gebenden Freiheit überhaupt die wirkliche G e­
staltung in einem Werk gelingen kann. Aber weder dann, wenn
sie die allgemeine Substanz zum Gegenstand erhöbe, die Tei­
lung der Gewalt und die Teilung der Arbeit zuließe, die allge­
meine Freiheit auf diese Weise in Glieder gesondert aufträte,
noch dann, wenn das allgemeine Werk aus einem einzelnen
wirklichen Willen hervorginge, kann dies gelingen. Im ersten
Fall, der Gewaltenteilung und ständischen Gliederung der ge­
sellschaftlichen Arbeit, sind die Individuen dazu verurteilt, eine
spezifische Aufgabe zu übernehmen, ein bestimmtes Sein zu
werden. Sie hören damit auf, allgemeines Selbst zu sein. Aber
auch mit dem zweiten Modell, das der Herrschaft eines einzel­
nen, in dem das Tun dieses einzelnen wirklichen Willen als
Werk hervortritt, sind notwendig „alle anderen Einzelnen von
dem Ganzen dieser Tat ausgeschlossen“ . Es sind die hier herr­
schenden ,Wissensformen1, die ein „positives Werk“ verhin­
dern. Für Hegel eröffnet die Bewußtseinsgestalt der „allgemei­
nen Freiheit“ keinen Weg zu einem positiven Werk. Diese
Gestalt bleibt „nur das negative Tun-, sie ist nur die Furie des
Verschwindens“ (GW 9, 319). In einem positiven Werk kon­
kretisiert sich dagegen das Handeln aller. Hier aber fehlt dem
Handeln jeder Bezug zu einer gestaltbaren Wirklichkeit. Einzi­
ger Bezugspunkt ist die Allgemeinheit des Selbst, diese kann
sich aber ausschließlich im ,Vernichten1 der anderen Selbstbe­
wußtseine verwirklichen.
204 E l is a b e t h W e is s e r - L o h m a n n

Allein der Tod ist das Werk der „allgemeinen Freiheit“. Die­
ser T )d hat keinen „inneren Umfang noch Erfüllung“. Was in
diesem T>d negiert wird, ist der „unerfüllte Punkt des abso­
lutfreien Selbsts: „er ist also der kälteste, platteste Tod, ohne
mehr Bedeutung, als das Durchhauen eines Kohlhaupts oder
ein Schluck Wassers“ (GW 9, 320).
Auch die Weisheit der Regierung geht über die „Plattheit der
Silbe“ ,Tod‘ nicht hinaus, d. h. die Regierung kann, dies war
bereits deutlich geworden als Hegel nach den Gestaltungsmög-
lichkeiten für ein positives Werk fragte, gar nichts anderes sein,
„als der sich fortsetzende Punkt oder die Individualität des all­
gemeinen Willens“ . Diese schließt notwendig die übrigen Indi­
viduen aus ihrer Tat aus - de facto hat sich in Hegels Gegenwart
in dieser Gestalt das zweite Modell (die absolute Herrschaft
eine Individuums) durchgesetzt. In ihrer Tat wird diese Regie­
rung zum bestimmten Willen, dadurch ist sie dem allgemeinen
Willen entgegengesetzt: „sie kann daher schlechterdings nicht
anders, denn als eine Faktion sich darstellen“ (a. a. O.).
Für den Bildungsprozeß des werdenden Wissens bedeutet
dies, daß eine weiterführende Analyse der Erfahrung des Selbst­
bewußtseins möglich wird: das Bewußtsein ist hier bestimmt
durch die Erfahrung der absoluten Freiheit. In dieser Gestalt
wird sie zum Gegenstand der Erfahrung. Ansich ist die absolute
Freiheit abstraktes Selbstbewußtsein, der Schrecken des Todes
ist seine Realität und als solcher wird er hier erfahren. Diese
Erfahrung steht konträr zu jenem Begriff, den das Selbstbe­
wußtsein von der „absoluten Freiheit“ hat: „daß nämlich der
allgemeine Wille nur das positive Wesen der Persönlichkeit sei“
(GW 9, 321). Für das lernende Bewußtsein zeigt sich hier ein
Umschlagen: „Der allgemeine Willen, als absolut positives wirk­
liches Selbstbewußtsein, schlägt, weil es diese zum reinen Den­
ken oder zur abstrakten Materie gesteigerte selbstbewußte Wirk­
lichkeit ist, in das negative Wesen um, und erweist sich ebenso
Aufleben des sich selbst Denkens oder des Selbstbewußtseins zu
sein.“ (GW 9, 321)
In der konkreten geschichtlichen Gestalt, der französischen
Revolution, ist es aber letztlich nicht die Einsicht in den negati­
ven Charakter des Selbstverständnisses, die eine Abkehr von
der Schreckensherrschaft1 ermöglicht, sondern es ist die Furcht
vor dem absoluten Herrn, dem T>d, die eine „Organisation der
G e s t a l t e n n ic h t d e s B e w u s s t s e in s , s o n d e r n e in e r W elt 205

geistigen Massen“ akzeptieren lehrt. Die Furcht vor dem Tod


ermöglicht hier einen Wandel und die Abkehr und Preisgabe
des ursprünglichen Zwecks dieser Gestalt, die Verwirklichung
der Freiheit durch das einzelne Selbstbewußtsein. Das Selbst­
bewußtsein kehrt zu einem nur geteilten und beschränkten
Werke zurück, einem Werke aber der substantiellen Wirklich­
keit. In diesem Werke durchdringen sich Selbstbewußtsein und
Substanz in der gleichen Weise wie am Ausgang dieses Prozes­
ses. Wäre dies allerdings das einzige Ergebnis dieser Erfah­
rung, dann müßte der Geist diesen Kreislauf immer wieder
durchlaufen. Es gilt, so betont Hegel, noch einen anderen
Aspekt bei dieser ,Rückkehr1 zu beachten. In der zurückgelasse­
nen Gestalt des Geistes - der absoluten Freiheit - war die „Welt
schlechthin in der Form des Bewußtseins, als allgemeiner Wil­
le“ mit dem Selbstbewußtsein in Wechselbeziehung. „Die Bil­
dung, die es in der Wechselwirkung mit jenem Wesen erlangt,
ist daher die erhabenste und letzte, seine reine einfache Wirk­
lichkeit unmittelbar verschwinden und in das leere Nichts über­
gehen zu sehen“ (G W 9, 322). Hier erfährt das Selbst seine
Entfremdung unverfälscht, nicht erfüllt als Reichtum oder
Ehre. Alle Bestimmungen der Bildung, Ehre, Reichtum, Spra­
che des Geistes und der Einsicht, der Himmel des Glaubens
oder das Nützliche der Aufklärung sind in der Negation der
absoluten Freiheit verlorengegangen. Zugleich aber ist diese
Negation in ihrer Wirklichkeit nicht ein Fremdes, „sondern sie
ist der allgemeine Willen, der in seiner letzten Abstraktion nichts
Positives und daher nichts für die Aufopferung zurückgeben
kann“, - diese „unerfüllte Negativität des Selbsts schlägt im
innern Begriffe zur absoluten Positivität um“ (G W 9, 322). Das
Bewußtsein erfährt, daß der allgemeine Wille allein „sein reines
Wissen und Wollen ist“ . In diesem Wissen und Wollen verliert es
nicht sich selbst, denn es ist das Selbstbewußtsein als das „reine
Wissen von dem Wesen als reinem Wissen“ . Auf dieser Ein­
sicht baut die „ M °ralität“ als die neue Gestalt des Bewußtseins
auf. Für das lernende Bewußtsein erfahrbar werden die neuen
Bewußtseinsgehalte aber nur in einer neuen Gestaltung. Diese
neue Gestalt des Geistes verwirklicht sich in einem anderen
Land bzw. in einem anderen Volk.
2 o6 E l is a b e t h W e is s e r - L o h m a n n

V Gestalten nicht des Bewußtseins,


sondern einer Welt
Die Freiheit des Selbstbewußtseins ging von den Bewußtseins­
gestalten „Stoizismus“ und „Skeptizismus“ in die Gestalt des
„unglücklichen Bewußtseins“ über. Wie der Geist entwickelt
auch das „unglückliche Bewußtsein“ eine doppelte Welt. Die
vom „unglücklichen Bewußtsein“ hervorgebrachten Welten
werden von Hegel allerdings nur als Gestalten des Bewußtseins
eingeführt, nicht aber begegnen sie als Gestalten einer Welt.
Aus der in diesen Gestalten herrschenden Entfremdung
zwischen Selbst und Substanz geht für Hegel das moderne
Bewußtsein hervor. Aus der Herrschaft des abstrakten Rechts
im römischen Reich geht die mittelalterliche Welt mit ihrer
Trennung von „Diesseits“ und „Jenseits“ hervor. Die mit der
Person und ihrer Suche nach Substantialität einsetzende Ent­
fremdung erreicht in der „absoluten Freiheit“ ihren H öhe­
punkt. Grundmotiv aller im Geist-Kapitel vollzogenen Bewe­
gungen, ist die Suche des Selbst nach wirklicher Substanz,
nach einer Einheit von Ich und Welt. Die Identifikation über
selbstgesetzte Zwecke, Reichtum oder Macht, erweist sich als
instabil - beide können sich in wechselnden Kontexten als gut
bzw. als schlecht erweisen. Auch der Glaube vermag dem
zerrissenen Selbst keine Einheit zu bieten: Ist er doch hier
nur Flucht aus der wirklichen Welt. Die Aufklärung zeigt
diese negative Bedeutung des Glaubens auf. M it ihrem Prin­
zip ,Nützlichkeit1 versöhnt sie das Reich der Wahrheit des
Glaubens mit dem Prinzip der Wirklichkeit. Diese N ützlich­
keit1 soll sich aber nicht nur als ein Prädikat des Gegenstan­
des, sondern auch als die Wirklichkeit des Subjekts erweisen.
In der Gestalt der „absoluten Freiheit“ gewinnt das Bewußt­
sein diese Wirklichkeit. Das Bewußtsein erfährt den allgemei­
nen Willen als sein Wissen und Wollen. Auf der Grundlage
dieser neuen Erfahrung baut sich die neue Gestalt, die M ora­
lität, in einem anderen Land auf.
Für die Gestalt der „absoluten Freiheit“ bleibt die Todeser­
fahrung das Entscheidende. Eine Organisation und Gliederung
des allgemeinen Willens wird hier nur aus Furcht vor diesem
absoluten Herrn akzeptiert. Diese Furcht allein ermöglicht den
Verzicht auf die Verwirklichung des Allgemeinen durch den
G e s t a l t e n n ic h t d e s B e w u s s t s e in s , s o n d e r n e in e r W elt 207

Einzelnen und damit die Rückkehr zu einem geteilten und be­


schränkten Werke.
In der seit dem Naturrechts-Aaisntz für Hegel gültigen Bin­
dung der sittlichen Lebensformen an ein Volk, zeigen sich somit
entscheidende Differenzen. War es im Naturrechts-Aufsatz die
„Natur“ dieses Volkes, die die Grenzen einer sittlichen G e­
meinschaft bestimmten, so zeigt Hegel in der Phänomenologie,
daß es die Grenzen des Bewußtseins sind, die ein Volk an diese
oder jene Gestalt binden. Der hier zugrundegelegte Bewußt­
seinsbegriff ist allerdings exemplarisch zu verstehen, er ist der
„Geist“ dieser Gestalt, damit nicht unmittelbar als Wirklichkeit
in jedem einzelnen Individuum dieser Gestalt nachzuweisen.
Auch die verstärkte Rezeption der Naturrechtslehren hindert
Hegel nicht daran, an seinem ursprünglichen Ansatz, der Ver­
bindung von „Sittlichkeit“ und Volk, festzuhalten. Dieser An­
satz wird insofern korrigiert, als diese „Natur“ im Selbst, im
Individuum durch die jeweilige Bewußtsseinsform die Grenzen
dieser Gestalt bestimmt. Der Zweck, bzw. der allgemeine Wille
ist für das lernende Ich am Ende des ,Terrors1 die Einsicht, daß
sich das Allgemeine nur im eigenen Wissen und Wollen bestim­
men läßt. Auch ,Irrwege1 müssen für diese Einsicht gegangen
werden. Gestalten, die etwa die Freiheit des Selbst zu ihrem
Zweck machen, bleiben dem Ziel alles Wissens und Handelns
seit dem Untergang der griechischen Sittlichkeit verpflichtet,
die Einheit von Selbst und Substanz herzustellen. Diese Einheit
läßt sich nur in der Sittlichkeit eines Volkes verwirklichen, eine
Gestalt des Geistes die fähig ist, begrenzte Aufgaben zu ,regio-
nalisieren1 und in einem Ganzen zu organisieren. Im Werk-
Begriff als dem Maßstab auch für die Gestalt der „absoluten
Freiheit“ wird deutlich, wie Hegel die Ansprüche des modernen
Individuums an Selbstverwirklichung mit dem Konzept einer
sittlichen Totalität im „Werk eines Volkes“ zu vereinigen sucht.
Diese „absolute Freiheit“ als Gestalt der Welt bleibt an diese
,N atur1, an diesen Zweck gebunden, er ist ihre ,Substanz1.
Für das lernende Bewußtsein, das zum absoluten Wissen fort­
schreitet, ist der Übergang von einer Gestalt zur anderen -
gleichgültig, ob diese nun eine Gestalt des Bewußtseins oder
eine Gestalt der Welt ist - nur durch die neu gewonnenen
Einsichten zu vollziehen. Dieser Übergang ist aber dem Be­
wußtsein der wirklichen Gestalten verwehrt. Indem das Indivi­
2 o8 E l is a b e t h W e is s e r - L o h m a n n

duum mit seiner ,Deutung1 und ,Auffassung1 gestaltend in die


Welt eingreift, ist seine Entfremdung und die Versuche ihrer
Überwindung zu einem Machtfaktor in der sozialen und politi­
schen Realität geworden. Hier erweist sich die Bedeutung der
Sprache, des Reichtums, des Glaubens. Sie sind diejenigen Fak­
toren, die diese Gestalt der Welt ermöglichen und sie legitimie­
ren. Eine „gestaltete Welt“ wird hier zum erfahrbaren Gegen­
stand des lernenden Bewußtseins, so wie auf den früheren Stu­
fen Gestalten des Bewußtseins erfahrbar wurden. Das in dieser
Welt heimische Bewußtsein ist in seiner ganzen Wirklichkeit
sosehr in diese Gestalt eingebettet, daß ihm das einfache Wei­
terschreiten zu einer neuen Gestalt versagt bleibt. Dies ist die
,neue‘ Situation, die mit dem Geist-Kapitel für die im Erfah­
rungsprozeß in Anspruch genommenen Gestalten besteht. D ie­
se Gestalten sind insofern unlösbar an ihre Wirklichkeit gebun­
den, als die Bewußtseinsformen hier objektive Institutionen
hervorbringen und tragen. Für den Erfahrungsprozeß des wer­
denden Wissens werden auch diese Gestalt einer Welt zum
Objekt der Erfahrung und des Lernens der Grundbestimmun­
gen des absoluten Wissens.
Muß aber nicht dieses Weiterschreiten des Geistes, die Teleo­
logie, die sich an dem Endpunkt dieses Prozesses orientiert,
nicht gerade an diesem Wendepunkt problematisch erscheinen?
Werden die wirklichen Gestalten nicht vom spekulativen W is­
sen für den eigenen Zweck - sich Bewußtsein zu geben - miß­
braucht? Für die frühe Jenaer Konzeption gab die Natur eines
Volkes die inneren Entwicklungsmöglichkeit an. Interner Maß­
stab für die Beurteilung der einzelnen Gestalten war die Fähig­
keit zur Ausbildung der absoluten Sittlichkeit. Ein Vergleich der
unterschiedlichen Gestalten, ihre Reihung in einer Teleologie
war nicht angestrebt. Die jeweilige „N atur“ gab Ziel, Zweck
und Möglichkeiten der einzelnen Gestalten vor. Vor dem Ziel
die Wissenschaft, das absolute Wissen zu erreichen, werden die
wirklichen Gestalten im Bildungsprozeß der Phänomenologie
Teil eines notwendigen Weiterschreitens zu neuen vollendete­
ren Gestalten. Auffällig bleibt die Zurückhaltung Hegels bei
der konkreten Zuordnung der von ihm geschilderten Gestalten
zu historischen Phänomenen: die französische Revolution, N a ­
poleon usw. werden nicht ausdrücklich genannt. Hegels Bezug
auf konkrete geschichtliche Phänomenen wurde von der For­
G e s t a l t e n n ic h t d e s B e w u s s t s e in s , s o n d e r n e in e r W elt 209

schung wiederholt herausgearbeitet.10 Daß Hegel sich bei der


Benennung seiner historischen Bezugspunkte zurückhält, könn­
te ein Hinweis darauf sein, daß die erfahrenen Gestalten für ihn
eben nicht nur in dieser historischen Situation auftreten, son­
dern als exemplarische Formen sich durchaus in anderen Kon­
stellationen wiederfmden lassen. Die Teleologie bezöge sich
aber dann nur auf den Gang des Wissens, nicht aber ist sie
damit automatisch in der Geschichte selbst wirksam. Dies wür­
de bedeuten, daß den vom lernenden Bewußtsein erfahrenen
Gestalten auch im Geist-Kapitel rein exemplarische Bedeutung
zukommt. Die herangezogenen historischen Beispiele sind als
exemplarische Gestalten allein von den Formen des absoluten
Wissens in Anspruch genommen. Ihre Reihung und Teleologie
bezöge sich lediglich auf den Lernprozeß bzw. auf die Selbst­
deutung der Gegenwart im absoluten Wissen, nicht aber wäre
hier der faktischen Geschichte eine immanente Zielgerichtet­
heit zugrundegelegt.11

Literatur
Bienenstock, Myriam 1992: Politique du jeune Hegel. Jena 1801-1806. Paris.
Diising, Klaus 1976: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn.
Fichte, I. H . 21841: Beiträge zur Charakteristik der neueren Philosophie oder
kritische Geschichte derselben von Des Cartes und Locke bis auf Hegel.
Sulzbach.
Fulda, H . 1965: Das Problem einer Einleitung in H egels Wissenschaft der Logik.
Frankfurt a.M.
Haym, R. 1857: H egel und seine Zeit. Berlin.
Lukacs, Georg 1948: D er junge Hegel. U ber die Beziehung von Ökonomie und
Dialektik. Zürich. N A 2 Bände. Frankfurt a.M. 1973.
Metzke, E . 31970: Die Vorreden Hegels. Heidelberg.
Pöggeler, O tto 21993: H egels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg/
München.
Schmitz, Hermann 1992: H egels Logik. Bonn, Berlin.
Siep, Ludwig 1979: „Anerkennung“ als Prinzip der praktischen Philosophie.
Freiburg.

10 Vgl. etwa die Studie von D. Köhler zu Hegels Jacobi-Rezeption in: ders. 1993:
Hegels Gewissensdialektik. Hegel-Studien 28, 127-141.
11 Jener „tiefe Zusammenhang“, den Lukacs zwischen der logischen Abfolge der
Kategorien und der historischen Entwicklung der Menschheit in der Phänomeno­
logie aufgewiesen sieht, wäre hier somit gerade nicht zu finden.
10

Dietm ar Köhler

H egels Gewissensdialektik

Bei der Betrachtung der vorliegenden Interpretationen zum


Kapitel VI. C. c. von Hegels Phänomenologie des Geistes, „Das
Gewissen, die schöne Seele, das Böse und seine Verzeyhung“,
fällt zunächst auf, daß die begrifflich-systematischen, gleichsam
Hegel-immanenten Interpretationen1 und diejenigen, die dieses
Kapitel als eine Art Zeit- und Literaturkritik verstehen,2 offen­
bar auseinanderfallen. Ferner tritt die Interpretation der Phäno­
menologie in diesen Arbeiten in keinen wesentlichen Bezug zu
Hegels Arbeiten bzw. Vorlesungen im Umfeld der Phänomeno­
logie, insbesondere den Jenaer Systementwürfen wie dem Vorle­
sungsmanuskript zur Realphilosophie von 1805/06.

1 Hierzu zu rechnen sind u. a. Lübbe, H . 1964: Zur Dialektik des Gewissem nach
Hegel. In: Hegel-Studien. Beiheft 1. Heidelberger Hegel-Tage 1962. Vorträge und
Dokumente. H g. von H .-G . Gadamer. Bonn, 247-261; ferner Kaan, A. 1966: Le
mal et son pardon. In: Hegel-Studien. Beiheft 3. Hegel-Tage Royaumont 1964.
Beiträge zur Deutung der Phänomenologie des Geistes. H g. von H .-G . Gadamer.
Bonn, 187-194; schließlich Scheier, C.-A. 1980: Analytischer Kommentar zu Hegels
Phänomenologie des Geistes. Die Architektonik des erscheinenden Wissens. Freiburg/
München, besonders 469-509.
2 V gl. Hirsch, D. E 1926: Die Beisetzung der Romantiker in Hegels Phänomenologie.
Ein Kommentar zu dem Abschnitte über die Moralität. In: Die idealistische Philosophie
und das Christentum. Gesammelte Aufsätze von D. Emanuel Hirsch. H g. von
C . Stange. Gütersloh, 117-139; zuerst abgedruckt in: Deutsche Vierteljahrsschrift
für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Bd. 2. 1924. H eft 3, 510-532.
Daneben von besonderer Bedeutung ist die Arbeit von Falke, G . 1987: Hegel und
Jacobi. Ein methodisches Beispiel zur Interpretation der Phänomenologie des Geistes. In:
Hegel-Studien 22, 129-142.
2 12 D ie t m a r K ö h ler

Demgegenüber geht die nachfolgende Untersuchung sowohl


von einer engen Verschränkung von systematisch-begrifflicher
Problementfaltung mit der Zeit- und Literaturkritik im ,Gewis­
senskapitel1 der Phänomenologie des Geistes, aufgrund welcher die
Gewissensdialektik erst ihren eigentlichen Leistungssinn ent­
faltet, wie von einer Entsprechung des Aufrisses der spekula­
tiven Philosophie von 1805/06 mit dem „Programm“ der Phä­
nomenologie aus.3 Diese sachliche Übereinstimmung, nach der
„jedem abstracten Momente der Wissenschaft eine Gestalt des
erscheinenden Geistes“ d. h. jedem spekulativen Begriff der
Logik eine je spezifische sachliche Erörterung in der Phänome­
nologie entsprechen müßte (vgl. G W 9, 432), kann in dieser
kurzen Arbeit selbstverständlich nicht eigens aufgewiesen, son­
dern muß vorausgesetzt werden; jedoch soll der Vergleich zur
gewandelten Ausprägung der Gewissensdialektik in Hegels
späterer Rechtsphilosophie zeigen, daß die spezifischen Änderun­
gen dieser Konzeption auf eine Wandlung des „Systems“ im
Ganzen, insbesondere der spekulativen Philosophie, und damit
auch auf eine modifizierte Funktion der Phänomenologie zurück­
gehen.
Die folgenden Überlegungen hätten demnach zunächst auf
die Verschränkung von Zeitkritik und begrifflich-systemati-
scher Problementfaltung in der Gewissensdialektik einzugehen,
um daran anschließend den Sinn des ,Gewissenskapitels1 im
Ganzen der Phänomenologie herauszustellen sowie schließlich
die veränderte Funktion und Ausprägung der Gewissensdialek­
tik innerhalb der Hegelschen Rechtsphilosophie im Kontext des
gewandelten „Systems“ darzulegen.

3 Gegenteiliger Auffassung ist Schmitz, H . 1992: Hegels Logik. Bonn, Berlin;


besonders 300-307. Ohne seiner Argumentation hier im einzelnen entgegenzutre­
ten, was den Rahmen dieser Untersuchung bei weitem sprengen würde, muß an
dieser Stelle doch angemerkt werden, daß seine eigenwillige Deutung von Hegels
Aufriß der spekulativen Philosophie im Vorlesungsmanuskript zur Realphiloso­
phie von 1805/06 (vgl. G W 8, 286) wie auch das von ihm praktizierte Verfahren,
wesendiche Teile des Hegelschen Textes als nicht zur „eigendichen“ Phänomenolo­
gie von 1807 gehörig auszuschließen, keineswegs überzeugen. Demgegenüber
betrachtet die nachfolgende Untersuchung den vorliegenden Text der Phänomeno­
logie als eine - trotz der „größeren Unform der letztem Partien“ - sich zu einem
sinnvollen Ganzen zusammenfügenden Einheit, und dies gerade vor dem Hinter­
grund seiner Entsprechung zum o. g. Aufriß der spekulativen Philosophie.
H eg els G e w is s e n s d ia l e k t ik 2I3

I. Die Verflechtung von Zeitkritik und


begrifflich-systematischer Problem ­
entfaltung im ,Gewissenskapitel‘
der Phänomenologie des Geistes

Im Zuge einer Analyse des komplexen Zusammenhanges von


Hegels Kritik an zeitgenössischen Positionen auf der einen und
strenger, begrifflich-systematischer Argumentation auf der an­
deren Seite im Kapitel VI. C. c. der Phänomenologie des Geistes
erscheint es zunächst zweckmäßig, den Argumentationsgang
dieses Kapitels in seinen wesentlichen Etappen kurz zu skizzie­
ren:
Nach seiner Kritik an der nur abstrakten Allgemeinheit der
Französischen Revolution in dem Abschnitt über „Die absolute
Freiheit und der Schrecken“ am Schluß des Kapitels VI. B.
„Der sich entfremdete Geist; die Bildung“ weist Hegel auf, daß
der sich entfremdete Geist sich der selbstzerstörerischen abso­
luten Freiheit abkehren und dem Land des moralischen Gei­
stes - Preußen als dem Land der Kantischen Moralphiloso­
phie - mit Notwendigkeit zuwenden müsse.
Jedoch bleibt auch der Standpunkt der Kantischen Moralphi­
losophie und seiner Postulatenlehre ein bloßes „Durchgangs­
stadium“ der Entfaltung des moralischen Selbstbewußtseins,
indem die Abschnitte über „Die moralische Weltanschauung“
und „Die Verstellung“ zeigen, daß das der Kantischen M oral­
philosophie entsprungene moralische Bewußtsein sich in eine
Vielzahl von Widersprüchen verstrickt, welche sämtlich darauf
zurückgehen, daß das Bewußtsein Moralität und Pflicht in ein
von ihm selbst verschiedenes Wesen setzt und somit einen U n ­
terschied macht, „der nicht einmal mehr in den Worten liegt“ .
(G W 9, 339)4

4 Daß die Kantische Moralphilosophie und hier im speziellen seine Postulaten­


lehre in H egels Interpretation zum Teil erhebliche Umdeutungen erfahren und
som it Hegels Kant-Kritik nur mit deudichen Einschränkungen als berechtigt zu
werten ist, kann in dieser Arbeit leider nicht näher verfolgt werden. Den Anfängen
von H egels Deutung der Kantischen Postulatenlehre ist Klaus Diising in dem
Aufsatz nachgegangen: Die Rezeption der Kantischen Postulatenlehre in den frühen
philosophischen Entwürfen Schellings und Hegels. In: Hegel-Studien. Beiheft 9. Bonn
21982,53-90.
2 14 D ie t m a r K ö h ler

Im Gegensatz zu dem moralischen Bewußtsein weiß das G e­


wissen als unmittelbares Wissen seiner selbst in dem Ab­
schnitt VI. C. c. „Das Gewissen, die schöne Seele, das Böse und
seine Verzeyhung“ sich selbst zugleich als das reine Allgemeine
bzw. die Pflicht, da es keine andere Bestimmung als diese Sich-
selbst-Gleichheit hat. Seine Gewissenhaftigkeit besteht dann
nicht in der daseienden äußeren Handlung, sondern in der
Überzeugung seiner Pflichtgemäßheit. Diese Überzeugung
muß ausgesprochen werden, nur so kann sie von den Anderen,
die ihrerseits ihre Überzeugung ausdrücken, anerkannt werden.
Durch dieses wechselseitige Aussprechen der Überzeugung ist
die strukturelle Gleichheit wie allgemeine Anerkennung der je
individuellen Gewissen gegeben.
Das Gewissen verliert so alle gegenständliche Äußerlichkeit;
nur die von ihm selbst geäußerte Rede kehrt quasi als „Echo“ zu
ihm zurück. Damit aber fehlt diesem Gewissen die „Kraft der
Entäußerung“, als absolute Innerlichkeit, die ihre Reinheit zu
bewahren sucht, wird es zur „schönen Seele“. Das wirklich
handelnde Gewissen jedoch begibt sich durch die Bestimmtheit
seiner Handlung in den Gegensatz zur Allgemeinheit der
Pflicht; zugleich steht seine besondere Einzelheit im Gegensatz
zu den anderen Einzelnen.
Dem beurteilenden Gewissen nun gilt das handelnde als böse
und heuchlerisch, da es mit dem Allgemeinen ungleich ist,
jedoch sein Tun als pflichtgemäße Gewissenhaftigkeit, die ja
immer dem Allgemeinen entsprechen müßte, ausspricht. Auch
das beurteilende Gewissen seinerseits ist aber böse und heuch­
lerisch, indem es die Tat des handelnden Gewissens nach seiner
Überzeugung beurteilt, selbst jedoch gar nicht handelt, d. h. die
Pflicht nicht verwirklicht. Darüber hinaus unterstellt es dem
von der Pflicht überzeugten handelnden Gewissen eine aus dem
Inhalt der Handlung entlehnte Absicht und gibt diese indivi­
duelle Einschätzung als allgemein gerechte Beurteilung aus.
Insofern also auch das beurteilende Gewissen das Moment
des Bösen enthält, erkennt sich das handelnde in jenem wieder
und bekennt sich um der Gleichheit mit dem anderen willen,
erwartet aber auch von dem beurteilenden Gewissen das Einge­
ständnis seiner Schuld. Das beurteilende Gewissen verweigert
jedoch als „hartes H erz“ dieses Eingeständnis, es stellt dem
Eingeständnis des Bösen seine „schöne Seele“ entgegen. D a­
H eg els G e w is s e n s d ia l e k t ik 2I5

durch setzt es sich selbst ins Unrecht und ist zerrüttet, da ihm
die Verwirklichung und Anerkennung im anderen fehlt. In der
Folge muß das urteilende Gewissen sein einseitiges, nicht aner­
kanntes Urteil aufgeben, d. h. verzeihen, ebenso wie ihm von
dem handelnden Bewußtsein verziehen wird: Die Versöhnung
als gegenseitiges Anerkennen ist Ausdruck des absoluten Gei­
stes.
In diesem Prozeß weiß der absolute Geist sich als Gegensatz
und Wechsel mit sich selbst, d. h. sowohl als handelndes - ein­
zelnes, für-sich-seiendes - Gewissen als auch als beurteilendes,
somit abstraktes und unwirkliches Gewissen. In der Rede voll­
zieht sich die Versicherung der Gewißheit des Geistes in sich
selbst. Erst über diese Entäußerung kehrt das in seinem Dasein
entzweite Wissen in die Einheit seines Selbst zurück als „das
allgemeine sich selbst Wissen in seinem absoluten Gegenthei-
le“ (G W 9, 362).
Die hier aufgezeigte Struktur des ,Gewissenskapitels1 stimmt
nun recht genau und an einzelnen Stellen bis hin zu wörtlichen
Anklängen mit dem Entwicklungsgang von Friedrich Heinrich
Jacobis Roman Woldemars überein, wie in Ansätzen bereits in
den 20er Jahren von Emanuel Hirsch und zuletzt ausführlich
von Gustav Falke nachgewiesen worden ist.6 Der erste Teil des

5 Jacobi, F. H .: Werke. H rsg. v. F. Roth und F. Koppen. Nachdruck. Darmstadt


1980. Bd. 5. Woldemar: 1. und 2. Teil.
Auf die unterschiedlichen Fassungen des Woldemar ist in diesem Zusammenhang
nicht näher einzugehen, da H egel nicht ganze Textpassagen übernimmt oder gar
zitiert, sondern nur einzelne Worte aus dem Woldemar verwendet (z. B. „schöne
Seele“), die wie die Grundproblematik des Romans als invariante Elemente hin-
sichdich der diversen Modifikationen der einzelnen Fassungen gelten können.
(Daß der Begriff „schöne Seele“ seit Schiller und Goethe als durchaus geläufiger
Zeitbegriff auftaucht, spricht nicht gegen H egels terminologische Anknüpfung an
Jacobi, da H egel diesen Begriff hier in einer spezifisch Jacobischen Ausprägung,
welche mit derjenigen Goethes und Schillers völlig inkompatibel ist, verwendet.)
6 Siehe hierzu Anm. 4. Den Ausführungen Falkes ist in diesem Zusammenhang
nur zuzustimmen, jedoch betrachtet seine Arbeit nicht hinreichend die begriff-
lich-systematische Problementfaltung der Hegelschen Gewissensdialektik sowie
ihre Funktion hinsichdich der Gesamtintention der Phänomenologie, sondern liest
das ,Gewissenskapitel· unter „sozialhistorischer“ Perspektive als eine Art von
Literatur- und Zeitkritik. Fraglich bleibt überdies, ob dem Bezug zu Jacobis
Woldemar wirklich ein so herausragender struktureller Vorzug gegenüber dem zu
anderen Romantikern einzuräumen ist, was der m. E. paradigmatischen Rolle der
216 D ie t m a r K ö h ler

Romans bringt eine allgemeine Exposition der Moralitäts-, Tu­


gend· und Gewissensproblematik, wobei Woldemar als die
Hauptfigur des Romans den Standpunkt des Gewissens mit
Nachdruck gegen die überkommenen Tugend- und Moralitäts-
konzeptionen sowie die Positivität der Gesetze proklamiert.
Dieser Teil läßt sich mit der positiven Darstellung des Gewis­
sensstandpunktes in der Phänomenologie gleichsetzen als einer
Überwindung der Kantischen Trennung von Bewußtsein und
Pflicht. Im zweiten Teil des Romans wird die unmittelbare G e­
wissenhaftigkeit Woldemars dadurch problematisiert, daß ihre
Einseitigkeit und damit ihr Widerspruch zur Allgemeinheit der
Tugend aufgewiesen, ja das Gewissen selbst aufgrund seiner
Absolutsetzung gegenüber den anderen und der damit einher­
gehenden mangelnden Einsicht in die Berechtigung des Gewis­
sensstandpunktes anderer als böse und heuchlerisch entlarvt
wird. Modern gesprochen müßte man sagen, daß das Phänomen
der Intersubjektivität als Korrektiv gegenüber dem zum absolu­
ten Maßstab erhobenen je individuellen Gewissenstandpunkt
geltend gemacht wird. Diese Problementwicklung entspricht
wiederum genau der der Gewissensdialektik der Phänomenologie,
wobei das handelnde Gewissen mit Woldemars „Gegenspiele­
rin“ Henriette, das beurteilende Gewissen aber mit Woldemar
selbst zu identifizieren ist.
D a Hegel schon seit seiner Zeit im Tübinger Stift Jacobis
Romane Woldemar und Allwill rezipiert hat und später in den
ersten Jenaer Jahren in Glauben und Wissen ausdrücklich zu
Jacobis Moralitätskonzeption, wie sie u. a. im Woldemar entfaltet
ist, kritisch Stellung bezieht (vgl. G W 4, 382 f.), muß seine
Kenntnis dieses Romans als einer möglichen Vorlage für die
Darstellung der Gewissensdialektik in der Phänomenologie des
Geistes nicht erst eigens nachgewiesen werden. Es könnte im
Gegenteil der Eindruck entstehen, als sei das „Gewissenskapi­
tel“ ausschließlich zum Zweck einer Kritik an den zeitgenössi-

einzelnen Momente der Gewissensdialektik doch widerspräche. Vgl. Falke 1987,


134, Anm. 6.
Anders - und m. E. treffend - dagegen interpretiert Otto Pöggeler H egels Bezug
zu den Romantikern, da er sowohl die strukturelle Parallelität zu Jacobis Wolde­
mar, wie die N ähe der Einzelgestalten im ,Gewissenskapitel· zu H egels Sicht
seiner Zeitgenossen (Novalis, Hölderlin, Schleiermacher, Fr. Schlegel u. a. ) auf­
weist. Vgl. Pöggeler, O. 1956: Hegels Kritik der Romantik. Bonn; besonders 49 ff.
H eg els G e w is s e n s d ia l e k t ik 2I7

sehen Moralitätskonzeptionen - nicht nur derjenigen Jacobis -


verfaßt worden.
Jedoch gibt es auch Indizien dafür, daß Hegel entgegen etwa
seiner schroffen Polemik gegenüber dem Woldemar in den Vor­
lesungen über die Ästhetik1 in dem ,Gewissenskapitel1 der Phäno­
menologie noch in einer durchaus positiven Weise an Jacobi
anknüpft. Zunächst ist zu bedenken, daß der Standpunkt der
Gewissensdialektik als der Abschluß des Geist-Kapitels die
höchste Stufe der Entfaltung der Moralitäts- und Sittlichkeits-
problematik innerhalb der Phänomenologie darstellt. Ihm folgen
nur noch die Kapitel über „Die Religion“ und „Das absolute
Wissen“ , welche aber nicht mehr ausdrücklich die Moralitäts-
problematik thematisieren. Ferner aber ist durch das Motiv der
Versöhnung in der gegenseitigen Anerkennung die Sphäre des
absoluten Geistes bereits berührt; das Prinzip der Anerken­
nung, welches schon in dem Abschnitt über „Herrschaft und
Knechtschaft“ eine herausragende Rolle spielt, erweist sich als
eine letzte teleologische Struktur, die zu Religion und absolutem
Wissen hinführen soll. So weist die Phänomenologie hinsichtlich
der Moralitätsproblematik keinerlei „Alternativen“ zum Stand­
punkt der Gewissensdialektik auf, - im Gegenteil: Jene Dialek­
tik, zu der wie in Schellings Freiheitsschrift von 1809 das M o­
ment des Bösen notwendig hinzugehört, muß als unabdingbare
Voraussetzung für die Möglichkeit des Guten bzw. der Wahr­
heit der Sittlichkeit gelten. Die Konzeption Jacobis wird hier
also nicht einfach kritisiert und überwunden, sondern sie ist
geradezu als paradigmatisch für den Erfahrungsprozeß des mo­
ralischen Bewußtseins aufzufassen.
Diese Einschätzung wird bestätigt durch die teleologische
Gesamtstruktur der Phänomenologie und insbesondere des
Geist-Kapitels. Weder die Interpretation der Antigone oder der
Romane Diderots noch die Charakterisierung der Französi­
schen Revolution sowie die Kritik an der Kantischen Morali-

7 V gl. Werke 10, 310: „Diese Schwäche [gemeint ist Werther] hat später bei
immer steigender Vertiefung in die gehaldose Subjektivität der eigenen Persön­
lichkeit noch mannigfach andre Formen angenommen. Die Schönseeligkeit z. B.
Jakobi’s in seinem Woldemar läßt sich hierher rechnen. In diesem Roman zeigt sich
die vorgelogene Herrlichkeit des Gemüths, die selbsttäuschende Vorspieglung der
eigenen Tugend und Vortrefflichkeit im vollsten Maaße. ... “
218 D ie t m a r K ö h ler

tätskonzeption sind für Hegel Selbstzweck; vielmehr sollen sie


einführen in die unterschiedlichen „Etappen“ der Erfahrungs­
geschichte des Bewußtseins und damit zugleich wesentliche
Grundbegriffe einer „Philosophie des Geistes“ explizieren.
Folglich ist es nicht als zufällige Nachlässigkeit Hegels anzuse­
hen, daß Kant nur mit einer Bemerkung, die völlig außerhalb
des diskutierten Problemzusammenhanges steht, zitiert wird
und der Nam e Jacobis gar nicht auftaucht: Beide Positionen
stehen in ihrer paradigmatischen Funktion stellvertretend so­
wohl für eine bestimmte geistesgeschichtliche Epoche wie für
eine spezifische, systematische Konzeption. Die Verknüpfung
der beiden letztgenannten Momente macht ein wesentliches
Charakteristikum der Phänomenologie aus, so daß eine explizite,
isoliert vorgetragene Kant- bzw. Jacobi-Kritik abseits der zu
entfaltenden Sachprobleme dem Grundtenor der Phänomenolo­
gie gerade zuwiderliefe, da ja die Aufgabe der letzteren nach
Hegel eben darin besteht, die Geschichte, d. h. „das wissende
sich vermittelnde Werden“ des entäußerten Geistes in ihrer
„begriffnen Organisation“ aufzubewahren. (GW 9, 433 f.)

II. Stellung und Bedeutung der Gewissens­


dialektik innerhalb der Phänomenologie des
Geistes sowie hinsichtlich des damaligen
Hegelschen , Systems4

Unter der Voraussetzung, daß das von Hegel in der Vorrede


und der Einleitung vorgetragene „Programm“ der Phänomeno­
logie dem Text selbst im wesentlichen entspricht, ergibt sich ein
notwendiger Fortgang auf dem Weg der bestimmten Negation
von den einfachsten Gestalten des Bewußtseins in der sinn­
lichen Gewißheit bis hin zum absoluten Wissen, in welchen sich
die Gewissensdialektik als ein Entwicklungsstadium dieses Pro­
zesses einreihen muß.8 Näheren Aufschluß über die konkrete

8 Auf die Probleme der Entwicklungsgeschichte und Modifikationen während


der Ausarbeitung der Phänomenologie des Geistes kann an dieser Stelle nicht weiter
eingegangen werden; es mag hinsichtlich der hier allein verfolgten Fragestellung
genügen, von der uns vorliegenden Textfassung auszugehen, die jedoch m. E.
H eg els G e w is s e n s d ia l e k t ik 2 19

Stellung der Gewissensdialektik innerhalb dieser teleologischen


Gesamtstruktur gewährt der Aufriß des Geistkapitels, den H e­
gel mit dem Satz beschließt:
„Die sittliche Welt, die in das Disseits und Jenseits zerrissene
Welt und die moralische Weltanschauung sind also die Geister,
deren Bewegung und Rückgang in das einfache fürsichseyende
Selbst des Geistes sich entwickeln, und als deren Ziel und
Resultat das wirkliche Selbstbewußtsein des absoluten Geistes
hervortreten wird.“ (G W 9, 240)
Insofern der „Rückgang in das einfache fürsichseyende Selbst
des Geistes“ über die vollkommene Entäußerung sich in der
Gewissensdialektik darstellt, entfaltet diese das zentrale Motiv
der Phänomenologie, die Substanz als Subjekt zu fassen und zwar
als Resultat einer Vermittlung, d. h. einer „sich bewegende [n]
Sichselbstgleichheit“ (GW 9, 19). Dies drückt sich am Schluß
des ,Gewissenskapitels1 darin aus, das das gegenseitige Sich-
Anerkennen im versöhnenden ,Ja “ dem absoluten Geist gleich­
gesetzt wird, indem dieses Anerkennen den Punkt markiert, wo
der absolute Geist sich als Gegensatz und Wechsel mit sich

nicht als reines „Zufallsgebilde“ aufzufassen ist. Vgl. hierzu Pöggeler, O. 21993:
H egels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg, München; ferner ders.
1966: Die Kom position der Phänomenologie des Geistes. In: Hegel-Studien.
Beiheft 3,27-74.
In anderer Weise thematisiert auch Hermann Schmitz diese Problematik; gegen­
über seiner „Rekonstruktion“ des „ursprüglichen Plans“ der Phänomenologie nimmt
sich der vorliegende Text eher wie eine „Entgleisung“ Hegels aus. Das ,Gewissens­
kapitel· hätte sich nach Schmitz’ Hypothese urspünglich dem nach seiner Ausle­
gung zentralen Kapitel V C. a. „Das geistige Thierreich und der Betrug, oder die
Sache selbst.“ anschließen müssen, da nach seiner Theorie das gesamte Geist-
Kapitel (VI) wie auch die Kapitel V II und VTTT aus dem „ursprünglichen Plan“ der
Phänomenologie herausfallen. Ohne Schmitz’ Behauptungen hier im einzelnen ent­
gegenzutreten, was zweifellos eine eigenständige Abhandlung erfordern würde,
erheben sich doch Bedenken gegen das von ihm praktizierte Verfahren: Auf der
einen Seite ergibt gerade das Geist-Kapitel auch in seiner tatsächlichen Stellung
innerhalb des Textes der Phänomenologie nach meiner Überzeugung einen guten
Sinn, auf der anderen Seite fasse ich Hegels historische Anspielungen keineswegs
als „zum Him mel schreiende Anachronismen“ auf, sondern als paradigmatische
Gestalten für die Erfahrungsgeschichte des Bewußtseins. Ich unterstelle in diesem
Zusammenhang, daß H egel seine Auffassung von „Geschichte“, wie er sie auf den
letzten Seiten der Phänomenologie entfaltet, dem Text selbst durchgehend zugrun­
delegt, was Schmitz offenbar nicht tut, da er schließlich auch das gesamte Kapitel
über das absolute Wissen aus der „ursprünglichen Fassung“ der Phänomenologie
eliminieren möchte. V gl. Schmitz 1992, 238 ff.; besonders 282 ff.
220 D ie t m a r K ö h ler

selbst erkennt, d. h. das in seinem Dasein absolut entzweite


Wissen in die Einheit des Selbstbewußtseins zurückkehrt. Hier­
in vollzieht sich die Vermittlung der abstrakten Allgemeinheit
der Pflicht, des An-sich, mit der absoluten Einzelheit des Selbst,
dem Für-sich. So stellt die Gewissensdialektik als noch zum
Geist-Kapitel gehörig in gewisser Weise auch schon die Über­
leitung zu den folgenden Kapiteln über die Religion und das
absolute Wissen dar.
In diesem Zusammenhang erscheint es bemerkenswert, daß
der Standpunkt der gegenseitigen Anerkennung in der Gewis­
sensdialektik zu Beginn des Religions-Kapitels nicht etwa in
Form einer Zurückweisung kritisch aufgehoben wird, sondern
in diesem siebten Kapitel der Phänomenologie lediglich die vor­
her schon implizit enthaltene Religions-Thematik ausführlich
in den verschiedenen Stufen ihrer Entwicklung entfaltet wird.
Die Gewissensdialektik läßt sich somit gleichsam als „Schnitt­
stelle“ der Sphären des subjektiven, des objektiven und des
absoluten Geistes - um diese Termini hier einmal in einer allein
auf die Phänomenologie zu übertragenden Bedeutung zu gebrau­
chen - auffassen. Das einzelne handelnde und sich dabei absolut
setzende Selbstbewußtsein könnte dabei stellvertretend für die
Sphäre des subjektiven Geistes stehen, während im beurteilen­
den Gewissen sowie der Allgemeinheit der Pflicht und der Rede
vor dem Hintergrund der „Intersubjektivitäts-Problematik“ die
Sphäre des objektiven Geistes dargestellt wird, wie schon zuvor
die Frage nach der geschichtlichen Wahrheit der Sittlichkeit
wesentlich dem objektiven Geist zuzuordnen ist. Das Prinzip
der Anerkennung schließlich wie die Sich-selbst-Gewißheit in
der Bewegung seiner Gegensätze verweisen auf den absoluten
Geist.
Aus dem Bisherigen ergibt sich, daß die Gewissensdialektik
keineswegs allein die Spitze von Hegels Erörterung der Morali-
tätsproblematik darstellt, sondern zugleich die Grundstruktu­
ren spekulativer Begriffe, insbesondere die - von Hegel positiv
gefaßte - antinomische Grundstruktur des Geistes freilegt. Dies
geschieht in exemplarischer Weise mittels der Beschreibung
des Erfahrungsprozesses des Bewußtseins im Um gang mit den
spekulativen Grundbegriffen, damit der Geist sich in seiner
„Tiefe“ offenbaren kann, wie Hegel noch im letzten Absatz der
Phänomenologie fordert (vgl. G W 9, 433). Somit steht die Erläu­
H eg els G e w is s e n s d ia l e k t ik 221

terung des Geist-Begriffs im ,Gewissenskapitel1 in enger Ver­


wandtschaft zur Logik oder spekulativen Philosophie und ist
nicht allein Sache der Ethik oder der praktischen Philosophie.
Vielmehr ist in diesem Zusammenhang auf die grundsätzliche
Entsprechung der Kapitelabfolge in der Phänomenologie zur
damaligen Gliederung von Hegels Logik, wie sie sich aus der
Übersicht am Schluß des Vorlesungsmanuskriptes zur Real­
philosophie von 1805/06 ergibt ([1.] „absolutes Seyn, [2.] das
sich andres (Verhältniß wird) [3.] Leben und Erkennen - und
[4.] wissendes Wissen, [5.] Geist, [6.] Wissen des Geistes von
sich“ (G W 8, 286, Numerierung D. K.)), zu verweisen.9 Das
Geist-Kapitel der Phänomenologie entspräche demnach dem
fünften Kapitel der Logik als einer spekulativen Philosophie.
(Bekanntlich ist Hegels in dem o. g. Aufriß des Systemfragmen­
tes III beschriebene Logikkonzeption nie zur Ausführung ge­
langt, sie darf jedoch keinesfalls mit der späteren Wissenschaft
der Logik gleichgesetzt werden.)
Bereits in der Vorrede zur Phänomenologie führt Hegel aus,
daß die Logik nur die Bewegung „des Lebens der Wahrheit“
methodisch darlege und so den „Bau des Ganzen in seiner
reinen Wesenheit“ aufstelle (GW 9, 35). Demnach behandeln
Logik und Phänomenologie ein- und denselben Inhalt in je
spezifischer Art und Weise. Der Logik hegen jedoch die G e­
genstände des Wissens bereits in „der Form der Einfachheit“
(G W 9, 30) als bestimmte Begriffe vor, während in der Phäno­
menologie als einer Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins
die Gestalten des Bewußtseins noch in den Gegensatz des Seins
und des Wissens bzw. des Wissens und der Wahrheit auseinan­
dertreten und sich wieder aufheben (vgl. G W 9, 432). Dem ­
gemäß führt die Phänomenologie gewissermaßen auf notwendig
zu beschreitenden Umwegen ein in die spekulativen Grundbe­
stimmungen, von denen im ,Gewissenskapitel1insbesondere die
Strukturen des Geistes in seinem Verhältnis zum Selbstbewußt­

9 Die Entsprechung der einzelnen Momente der Logik oder spekulativen Philo­
sophie gegenüber denen der Phänomenologie des Geistes hat Otto Pöggeler mehr­
fach dargelegt, zuletzt in dem Aufsatz: Ansatz und Auflau der Phänomenologie des
Geistes. In: Journal of the Faculty of Letters. T h e University o f T>kyo. Aesthetics.
Vol. 13.T)kyo 1988,11-36; besonders S. 21 ff. Diesen Ausführungen schließt sich
die nachfolgende Interpretation vollinhaldich an.
222 D ie t m a r K ö h ler

sein sowie die in diesem Zusammenhang zentralen Phänomene


der Sprache, des Bösen und der Versöhnung in ihrem Bezug
zum Göttlichen erörtert werden. Gerade die Gewissensdialektik
gibt in ihrer oben charakterisierten Funktion ein ausgezeichne­
tes Beispiel für den engen systematischen Zusammenhang von
Logik und Phänomenologie in Hegels frühem philosophischen
„System“ , wobei dieses „System“ , dessen genaue Ausgestaltung
nur aus den Fragmenten und Entwürfen jeweils zu erschließen
ist, weder als ein uniformer, in sich völlig konsistenter Block
noch als ein vages, mehr oder weniger zufälliges Beziehungs­
gefüge aufzufassen ist.

III. Die modifizierte Funktion


der Gewissensdialektik innerhalb
der Rechtsphilosophie

Bereits in den Nürnberger Jahren Hegels wandelt sich die Rolle


der Phänomenologie, wie Hegel sie etwa im Paragraphen 129
der Philosophische[n] Enzyklopädie fü r die Oberklasse definiert,
grundlegend gegenüber der Phänomenologie von 1807: Die Phä­
nomenologie des Geistes rückt neben Anthropologie und Psy­
chologie und untersucht den Geist als Bewußtsein, insofern er
sich auf ein Anderes als ein Objekt bezieht. Deutlicher noch
tritt die veränderte Stellung der Phänomenologie in der Glie­
derung in allen drei Auflagen der Enzyklopädie der Philosophischen
Wissenschaften im Grundrisse zutage. Hier gehört die Phänome­
nologie des Geistes neben der Anthropologie und der Psycho­
logie zur Lehre vom subjektiven Geist und umfaßt nunmehr
lediglich die Abschnitte „Bewußtsein als solches“ , „Selbstbe-
wußsein“ und „Vernunft“. Die Gewissensproblematik kann aber
nach dieser Einteilung nicht mehr innerhalb der Phänomenolo­
gie des Geistes abgehandelt werden, sondern sie fällt in einen
anderen Teil der Realphilosophie, in das Moralitätskapitel der
Lehre vom objektiven Geist.10

10 Zur gewandelten Funktion und Ausprägung der Phänomenologie im Hinblick


auf das spätere „System“ H egels vgl. Pöggeler 1988, 30 ff.
H eg els G e w is s e n s d ia l e k t ik 223

Diese systematische Einordnung entspricht genau der Glie­


derung der Grundlinien der Philosophie des Rechts von 1820, wo
die Gewissensthematik im zweiten Teil „Die Moralität“ unter
dem dritten Abschnitt „Das Gute und das Gewissen“ noch ein­
mal von Hegel ausführlich behandelt wird. Jedoch weist schon
die Form der Behandlung gegenüber der Phänomenologie von
1807 wesentliche Differenzen auf: Während dort ein notwendi­
ger Entwicklungsprozeß vor dem Hintergrund einer teleologi­
schen Gesamtstruktur auf dem Wege der bestimmten Negation
durchlaufen wurde, verweist die Einteilung in Paragraphen
allein bereits auf eine eher statische Konzeption der Gewissens­
thematik in der Rechtsphilosophie. Der argumentative Fortgang
vollzieht sich nicht mehr in Analogie zur dramaturgischen Kon­
figuration von Jacobis Woldemar, wie Hegel überhaupt nach
seiner scharfen Kritik an Jacobis Betonung der Subjektivität in
den Vorlesungen zur Ästhetik und zur Geschichte der Philoso­
phie nicht mehr ohne weiteres positiv an Jacobis Ausführungen
zum Moralitätsproblem anknüpfen kann. Im Gegenteil müßte
die Kritik an Jacobis Standpunkt zugleich als - von Hegel frei­
lich nicht ausgesprochene - Kritik an der eigenen früheren
Position gelten. Bei der Behandlung der Gewissensthematik
innerhalb der Rechtsphilosophie werden die einzelnen Momente
nicht mehr wie in der Phänomenologie des Geistes in einer dialek­
tischen Bewegung aufgehoben; vielmehr behalten sie trotz der
erforderlichen kritischen Einschränkungen eine relative Be­
rechtigung als notwendige Konstituenten der Sittlichkeit. Von
einer Gewissensdialektik kann daher zumindest nicht mehr im
gleichen Sinne die Rede sein wie in der Phänomenologie.
Zwar wird auch in der Rechtsphilosophie dem individuellen
Gewissensstandpunkt als der subjektiven Überzeugung von der
Pflichtmäßigkeit einer Handlung der objektive Standpunkt der
überindividuellen Grundsätze und Gesetze gegenübergestellt.
Jedoch ist dieser letztere Standpunkt nicht wiederum ein G e­
wissensstandpunkt wie der des beurteilenden Gewissens in der
Phänomenologie, sondern der Staat als der objektive Garant von
Recht und Pflicht ist es, der das subjektive Gewissen nicht
anerkennt (vgl. § 137). Die nur formelle, d. h. inhaltslose Wil­
lensbestimmung des Gewissensstandpunktes, welche auf das
rein subjektive Wissen und Wollen des an und für sich Guten
zurückgeht, wird zwar auch in der Weise problematisiert, daß
224 D ie t m a r K ö h ler

das Gewissen ständig Gefahr läuft, ins Böse und in Heuchelei


umzuschlagen, da seiner Überzeugung jeder beliebige - also
auch schlechte und unmoralische - Inhalt beigelegt werden
könnte. Hingegen vollzieht sich die Art und Weise dieser Pro-
blematisierung auf einem anderen Weg als in der Phänomeno­
logie. Es werden nämlich unterschiedliche „Typen“ von Pro­
blemfällen - von der Heuchelei anderen gegenüber über den
„Probabilismus“ , nach welchem irgendein guter Grund als
zureichender Rechtfertigungsgrund der Handlung reklamiert
wird, bis hin zur sich als das Absolute behauptenden Subjektivi­
tät des Selbstbewußtseins, die insbesondere anhand der Ironie­
konzeption Friedrich Schlegels dargestellt und kritisiert wird -
vorgeführt, welche sämtlich auf die Gleichgültigkeit der ab­
strakten Sichselbstgleichheit des Gewissens gegenüber jedwe­
dem Inhalt der Handlung zurückzuführen sind. Unter Punkt
„e)“ des Paragraphen 140 wird dabei auch der Standpunkt der
subjektiven Überzeugung im Sinne Woldemars scharf kritisiert,
da jener der Möglichkeit des Irrtums unterliegt und somit kei­
nerlei Geltung gegenüber der objektiven Wahrheit der Sittlich­
keit beanspruchen kann. Diese unterschiedlichen Einwände
gegen den - zunächst nicht unberechtigten - Gewissensstand­
punkt könnten zwar ggf. auch als eine Art dialektischer Prozeß
gedeutet werden, doch müßte dieser zweifellos einem anderen
Typus zugerechnet werden als die dialektische Entgegenset­
zung von handelndem und beurteilenden Gewissen.
Die Charakterisierung im einzelnen deckt sich allerdings in
vielen Punkten mit derjenigen im ,Gewissenskapitel1 der Phäno­
menologie, weshalb Hegel auch insbesondere im Hinblick auf die
Beschreibung der „schönen Seele“ vor dem Hintergrund der
sich als das Absolute behauptenden Subjektivität ausdrücklich
auf diesen Abschnitt der Phänomenologie verweisen kann. Eben­
so deckt sich die These, daß nur der Mensch, insofern er auch
böse sein könne, gut sei, im Zusatz zum Paragraphen 139 der
Rechtsphilosophie mit dem zentralen Gehalt des ,Gewissenskapi­
tels1 der Phänomenologie. Das methodische Vorgehen wie auch
die dahinterstehende strukturelle Gesamtkonzeption weichen
jedoch eindeutig von der Phänomenologie ab, wie ja auch die
versöhnende Ausgleichung nicht mehr durch das gegenseitige
Sich-Bekennen und Anerkennen als „Werk“ des absoluten Gei­
stes zustande kommt, sondern die abstrakte Allgemeinheit des
H eg els G e w is s e n s d ia l e k t ik 225

Rechts wird mit der abstrakten Moralität des subjektiven G e­


wissensstandpunktes in der konkreten Sittlichkeit im Sinne des
konkreten sittlichen Staates vermittelt.
Obgleich Recht und M oralität erst in dem tragenden Funda­
ment der Sittlichkeit zur Wirklichkeit gelangen und die Idee des
Sittlichen bereits auf das Unendliche, mithin Absolute verweist,
kann doch das ,Gewissenskapitel1in der Rechtsphilosophie nicht in
gleicher Weise als Überleitung zur Sphäre des absoluten Geistes
aufgefaßt werden, wie die Gewissensdialektik der Phänomenolo­
gie des Geistes. Dies geht mit der unterschiedlichen Funktion
beider Texte im Kontext des „Systemganzen“ einher: Während
die Gewissensdialektik in der Phänomenologie sowohl die Mora-
litäts- und Sittlichkeitsproblematik wie auch auf der anderen
Seite die spekulativen Grundbegriffe und -Strukturen erörtert,
konzentriert sich das entsprechende Kapitel der Rechtsphilosophie
wesentlich auf die Moralitätsproblematik sowie die Überleitung
zur Sittlichkeit. Die insofern stark eingeschränkte Funktion der
Abhandlung über das Gewissen erklärt sich zudem durch den
weit weniger engen Bezug der Rechtsphilosophie zur - inzwischen
stark modifizierten - Logik; man könnte dies bildlich so ausdrük-
ken, daß die Gewissendialektik von einem Zentralbereich des
„Systems“ über die Realphilosophie mehr in die Peripherie ge­
wandert sei. D a die Realphilosophie und die Ideenlehre ein­
schließlich der Idee des Guten wie auch der für die Jenaer Logik­
konzeption noch so bedeutsame Begriff des Lebens nunmehr
innerhalb der Wissenschaft der Logik keinen so breiten Raum
mehr einnehmen, fehlt der Gewissensthematik die entscheiden­
de Verbindungslinie zur Logik. (Vgl. Pöggeler 1988, 34.)
Auf der anderen Seite bildet die Gewissensdialektik innerhalb
der Rechtsphilosophie nicht mehr im gleichen Sinne quasi die
Spitze der Erörterungen über Moralität und Sittlichkeit, inso­
fern sie als - gleichwohl notwendiges - M oment doch nur eine
Art „Durchgangsstadium“ innerhalb der Verwirklichung der
Sittlichkeit ausmacht. Hegels eigene Verweise auf die Phänome­
nologie des Geistes könnten die in diesem Zusammenhang beste­
henden Differenzen leicht verschleiern; die von Hegel rekla­
mierten Übereinstimmungen zur Gewissensdialektik der Phä­
nomenologie betreffen jedoch primär Einzelergebnisse seiner
Untersuchung, nicht aber die Gesamtkonzeption und -inten­
tion der Gewissensdialektik.
226 D ie t m a r K ö h ler

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß der Wandel


hinsichtlich Funktion und Anlage der Gewissensdialektik von
der Phänomenologie des Geistes zur Rechtsphilosophie als Ausdruck
einer tiefgreifenden Veränderung der systematischen Gesamt­
konzeption zu interpretieren ist. Während es auf der einen
Seite vordringliche Aufgabe der Phänomenologie ist, die spekula­
tiven Grundbegriffe und in diesem Kapitel namentlich den
Geistbegriff mittels der dialektischen Bewegung der Erfah­
rungsgeschichte des Bewußtseins zu entfalten, übernimmt die
Rechtsphilosophie vor dem Hintergrund eines weit mehr durch­
konstruierten Systemganzen, innerhalb dessen jedem Glied spe­
zifische Aufgaben zugewiesen sind, primär die Diskussion der
Moralitäts- und Sittlichkeitsproblematik. Der Vergleich der bei­
den unterschiedlichen Versionen der Gewissensdialektik kann
dabei zugleich einigen Aufschluß darüber geben, warum und in
welcher Hinsicht sich die Phänomenologie von 1807 nicht mehr
ohne weiteres in Hegels spätere Systemkonzeption einfügen
kann. Obgleich die voranstehende Untersuchung sich auf einen
einzigen Teilaspekt der Phänomenologie beschränken mußte,
mag sie vielleicht doch gezeigt haben, inwiefern ein derartiger
entwicklungsgeschichtlicher Vergleich auch hinsichtlich ande­
rer Problemkomplexe sich als fruchtbar erweisen könnte.

Literatur
Diising, Klaus 21982: Die Rezeption der Kantischen Postulatenlehre in den frü­
hen philosophischen Entwürfen Schellings und H egels. In: Hegel-Studien.
Beiheft 9. Bonn, 53-90.
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nologie. Ein Kommentar zu dem Abschnitte über die Moralität. In: Die ideali­
stische Philosophie und das Christentum. Gesammelte Aufsätze von D. Em a­
nuel Hirsch. H g. von Carl Stange. Gütersloh, 117-139; zuerst abgedruckt in:
Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte.
Bd. 2. 1924. H eft 3, 510-532.
Jacobi, Friedrich Heinrich: Werke. H rsg. v. Friedrich Roth und Friedrich K o p ­
pen. Nachdruck. Darm stadt 1980. Bd. 5. Woldemar: 1. und 2. Teil.
Kaan, André 1966: L e mal et son pardon. In: Hegel-Studien. Beiheft 3. Hegel-
Tage Royaumont 1964. Beiträge zur Deutung der Phänomenologie des G ei­
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Lübbe, Hermann 1964: Zur Dialektik des Gewissens nach Hegel. In: Hegel-
Studien. Beiheft 1. Heidelberger Hegel-Tage 1962. Vorträge und Dokumente.
H g. von H ans-G eorg Gadamer. Bonn, 247-261.
Pöggeler, Otto 1956: H egels Kritik der Romantik. Bonn.
Pöggeler, Otto 1966: Die Komposition der Phänomenologie des Geistes. In:
Hegel-Studien. Beiheft 3, 27-74.
Pöggeler, Otto 21993: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg,
München.
Pöggeler, Otto 1988: Ansatz und Aufbau der Phänomenologie des Geistes. In:
Journal of the Faculty of Letters. T h e University of T>kyo. Aesthetics. Vol. 13.
Tokyo, 11-36.
Scheier, Claus-Artur 1980: Analytischer Kommentar zu H egels Phänomenologie
des Geistes. Die Architektonik des erscheinenden Wissens. Freiburg/M ün­
chen.
Schmitz, Hermann 1992: H egels Logik. Bonn, Berlin.
11

Luis M ariano de la M aza

Die Metapher des Knotens


als Leitfaden zur
Interpretation der
Phänomenologie des Geistes

Die Einleitung zum Religionskapitel der Phänomenologie enthält


einige der schwierigsten Passagen des Werkes, die jedoch zu­
gleich - schon ihrer Ausdrucksform nach - eine entscheidende
Funktion für die Entschlüsselung der Bedeutung des Ganzen zu
haben versprechen. Unter diesen Texten ragen die Paragraphen
acht bis zehn hervor, in denen Hegel den Sinn der Bewegung
der verschiedenen Gestalten der Religion ankündigt und gleich­
zeitig ihren Zusammenhang mit den Hauptstrukturen der vier
großen vorhergehenden Abschnitte des Werkes, nämlich „Be­
wußtsein“, „Selbstbewußtsein“ , „Vernunft“ und „G eist“ auf­
zeigt. Hegel unterstreicht die besondere Stellung der Religion
im Ganzen, indem er sie als „Selbstbewußtsein des Geistes“
dem „G eist in seiner Welt“ oder dem „Dasein“ des Geistes
gegenüberstellt. M it diesem Letzten meint Hegel ein dynami­
sches, sich selbst bewegendes Ganzes, das aus verschiedenen
Momenten besteht: „Die Momente aber sind das Bewußtsein,
das Selbstbewußtsein, die Vernunft und der Geist·, - der Geist
nämlich als unmittelbarer Geist, der noch nicht das Bewußtsein
des Geistes ist“ . (G W 9, 365)1
Die Reihenfolge dieser Momente ist nicht zeitlich gemeint.
Sie werden eher als unzertrennbare Aspekte des ganzen Geistes
konzipiert, und deshalb können sie keine sich in der Zeit er­
streckende Wirklichkeit beanspruchen. Die Wirklichkeit des

1 Rechtschreibung und Zeichensetzung folgen der Studienausgabe von H.-F.


Wessels und H . Clairmont. Hamburg 1988.
230 Luis M a r ia n o d e l a M a z a

ganzen Geistes entfaltet sich aber zeitlich (in einem Sinn, der
noch geklärt werden muß) über einzelne Gestalten, die dem
Allgemeinen eine besondere Konkretisierung verleihen. Diese
Gestalten werden als „Unterschiede“ innerhalb der soeben ge­
nannten Momente dargestellt, wie z. B. die „sinnliche Gewiß­
heit“ , die Wahrnehmung“ und „Kraft und Verstand“ den ganzen
Geist unter dem Aspekt des Bewußtseins bestimmen.
N un behauptet aber Hegel im 10. Paragraphen des Reli-
gionskapitels, daß die Gestalten, die bis zu diesem Punkte auf­
traten, aus der Perspektive des selbstbewußten Geistes anders
geordnet sind als sie bisher erschienen. Und er fügt dieses
seltsame Gleichnis hinzu: „Wenn also die bisherige Eine Reihe
in ihrem Fortschreiten durch Knoten die Rückgänge in ihr
bezeichnete, aber aus ihnen sich wieder in Eine Länge fortsetz­
te, so ist sie nunmehr gleichsam an diesen Knoten, den allge­
meinen Momenten, gebrochen und in viele Linien zerfallen,
welche in Einen Bund zusammengefaßt, sich zugleich symme­
trisch vereinen, so daß die gleichen Unterschiede, in welche
jede besondre innerhalb ihrer sich gestaltete, Zusammentref­
fen“ (G W 9, 367).
Es ist leicht einzusehen, daß das Bild des Knotens, wie alle
anderen von ihm abhängenden, unbedingt erhellt werden muß,
wenn man ein Minimum von Klarheit über die Organisation
des Ganzen und die Entsprechung seiner Teile gewinnen will.
Dies soll im Folgenden versucht werden, wobei die Resultate
einer früheren Forschungsarbeit erneut aufgenommen und zu­
sammengefaßt werden.2

I. Knoten als Unterbrechung und Neuanfang


einer Kontinuität
In der soeben zitierten Passage der Phänomenologie spricht
Hegel von einer fortschreitenden Reihe, in der bestimmte
„Rückgänge“ durch „Knoten“ bezeichnet werden; aus diesen
Knoten setze sie aber ihre Bewegung in eine „Länge“ fort. Der
Zusammenhang dieses Textes weist ohne Zweifel darauf hin,

2 Vgl. De la Maza, L. M. 1998: Knoten und Bund. Zum Verhältnis von Logik,
Geschichte und Religion in H egels Phänomenologie des Geistes. Bonn.
D ie M etaph er des K no ten s 23I

daß sich die genannte Reihe auf die „Gestalten“ der Phänomeno­
logie bezieht, das heißt auf jene „Unterschiede“ die die „Wirk­
lichkeit“ des ganzen Geistes ausmachen. Jeder Leser der Phäno­
menologie kann selbst feststellen, wie die genaue Bestimmung
dieser Gestalten von Kapitel zu Kapitel zunehmend schwieriger
und fraglicher wird. Während am Anfang die ersten zwei Kapi­
tel die Gestalten der „sinnlichen Gewißheit“ und der „Wahr­
nehmung“ deutlich zu bestimmen vermögen, geschieht im drit­
ten Kapitel eine merkwürdige Verdoppelung des Titels, die
auch Indiz einer inhaltlichen Doppelung in der Gestaltung von
„Kraft und Verstand“ zu sein scheint. N och komplizierter wird
die Abgrenzung im vierten Kapitel, das nun ausdrücklich in
zwei Abschnitte aufgeteilt ist, die wiederum auf mehr als eine
Gestalt hinweisen, etwa „Begierde“ , „Herrschaft“ und „Knecht­
schaft“ im ersten Abschnitt, „Stoizismus“ , „Skeptizismus“ und
„unglückliches Bewußtsein“ im zweiten Abschnitt. Vom fünften
Kapitel an wird das Problem der eindeutigen Ausgrenzung von
Gestalten praktisch unlösbar und es drängt sich die Feststellung
auf, daß die Gestalten der Phänomenologie nicht als fixe Einhei­
ten betrachtet werden dürfen, sondern vielmehr als das was sie
nach Hegel darstellen, nämlich Erfahrungen eines sich bilden­
den Bewußtseins, flüssige Bestimmungen, die je nach dem Zu­
sammenhang, in dem sie erscheinen, als eine gewisse Ganzheit
von Erfahrungen oder selbst als ein Erfahrungsmoment einer
anderen Gestalt genommen werden.
Es kann m. E. keinen Zweifel darüber geben, daß der Fort­
schritt von einer Gestalt zur anderen, unabhängig von der
Tatsache ihrer problematischen Ausgrenzung, in bestimmten
Punkten der Darstellung unterbrochen wird, um dann wieder
von Neuem anzufangen. Gerade diese Punkte werden von
Hegel mit einer der Bedeutungen der Metapher des Knotens
bezeichnet. Er weist ausdrücklich darauf hin, was er genau in
diesem Zusammenhang mit der Metapher beabsichtigt, oder
mit anderen Worten, was er mit den genannten Unterbre­
chungspunkten meint, nämlich die „allgemeinen Momente“.
Wir wissen bereits, was die „ M °mente“ bedeuten: Bewußtsein,
Selbstbewußtsein, Vernunft usf. Sie sind „allgemein“ in bezug
auf die Gestalten, die sie als ihre „Unterschiede“ enthalten. Die
Knoten werden auch „Rückgänge“ genannt, eine Bezeichnung,
die für Hegel nicht nur den negativen Sinn eines Unterbre-
232 Luis M a r ia n o d e l a M a z a

chens oder Zurücktretens, sondern zugleich den positiven Sinn


vom „Übergang in ein Weiteres“ (Werke VII/1, 241) hat. Inso­
fern kann er behaupten, daß sich die Reihe der Gestalten „wie­
der in Eine Länge“ fortsetzt.
Dieser Bedeutungskomplex von ,Knoten1 wird nicht nur in
der Phänomenologie, sondern auch an anderen Stellen des He-
gelschen Werkes angewendet. So z. B. in den Jenaer Systement­
würfen zur Naturphilosophie, wo Knoten für die Unterbre­
chung der Linie des Stammes einer Pflanze steht, oder für den
Samen, von dem aus eine neue Pflanze sich entfaltet (G W 6,
197; vgl. auch G W 8, 136)3. Im selben Sinne erscheint die
Metapher im Abschnitt über die „Knotenlinie von Maßverhält­
nissen“ der Wissenschaft der Logik , denn dort handelt es sich um
die sprunghafte Unterbrechung einer quantitativen Kontinuität
innerhalb einer bestimmten Qualität, die dann zu einer qualita­
tiv neuen Bestimmung übergeht, um sich weiter zu entwickeln.

II. Knoten als Verknüpfung von einzelnen


Punkten zu M omenten eines Ganzen unter
der M acht eines Prinzips

Eine zweite Bedeutungskonstellation für die Metapher des K no­


tens spricht sowohl in der Phänomenologie wie in anderen Texten
Hegels von der Verknüpfung einer Vielheit von verschiedenen
Elementen durch ein einheitsstiftendes Prinzip. In Hegels H a­
bilitationsschrift De Orbitis Planetarum ist die Rede von der
Schwere, welche durch das wechselseitige Verhältnis von Fak­
toren „eine Reihe von Knoten und Zentren“ erzeugt, „von
denen jeder zwar die übrige Vielheit des Verhältnisses besitzt,
aber sie unter die Macht seines eigenen Prinzips zurückge­
bracht hat und durch sein Gesetz und seine eigene Organisation
zusammenhält“ .4

3 Rechtschreibung und Zeichensetzung folgen den Studienausgaben von K . Dii-


sing und H . Kimmerle, Ham burg 1986, und von R.-P. Horstmann, Hamburg
1987.
4 Hegel, G . W. F. 1986: Dissertatio Philosophica de Orbitis Planetarum. Übersetzt,
eingeleitet und kommentiert von W. Neuser, Weinheim, 121.
D ie M etaph er des K no ten s

Eine ähnliche Anwendung der Metapher kann in der Geistes­


philosophie des dritten Jenaer Systementwurfs festgestellt wer­
den. D ort wird vom erblichen Monarchen gesagt, daß er ein
„fester, unmittelbarer Knoten“ ist, weil er die einzelnen Inter­
essen im sittlichen Ganzen zusammenfügt (G W 8, 262). Auch
in seinen Einleitungen zu den Berliner Vorlesungen zur G e­
schichte der Philosophie tritt dieser Sinn der Knoten hervor,
denn Hegel behauptet, daß einzelne Prinzipien verschiedener
Philosophien sich z. B. in der platonischen oder der alexandrini-
schen Philosophie zu einem Ganzen vereinigen und so „gleich­
sam in einem Knoten aufbewahrt werden“.5
Was haben diese Exempel der Metapher mit der Phänomeno­
logie gemeinsam? Eben dieses, daß die „allgemeinen Momente“,
Bewußtsein, Selbstbewußtsein usf. Knoten nicht nur in dem
Sinne sind, daß der Anfang eines jeden Momentes die Unter­
brechung des Fortschreitens der Gestalten bedeutet und ein
Neuanfang in der Bewegung ansetzt, sondern auch im Sinne
einer bestimmten Form der Vereinigung aller einzelnen Gestal­
ten innerhalb des Ganzen, das sie darstellen. Und zwar findet
diese Vereinigung unter der Macht eines besonderen Prinzips
statt, das von Fall zu Fall eine neue Synthese herstellt. M it
Hegels Worten: „In der betrachteten Reihe bildete sich jedes
Moment, sich in sich vertiefend, zu einem Ganzen in seinem
eigentümlichen Prinzip aus“ (G W 9, 367). Und einige Zeilen
weiter unten heißt es, daß der „seiner selbst gewisse Geist“
(d. h. die Religion) es nicht gestattet, daß diese einzelnen Prin­
zipien sich isolieren und deshalb alle Momente in sich versam­
melt und zusammenhält.
Es stellt sich nun die Frage, was für Prinzipien Hegel mit
jedem allgemeinen M oment oder Hauptabschnitt der Phänome­
nologie in Zusammenhang bringt. Außer den allgemeinen Titeln
Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Vernunft und Geist, gibt Hegel
keinen ausdrücklichen Hinweis auf die zugehörigen Prinzipien.
Dennoch kann versucht werden, ihren Sinn aufgrund einer
aufmerksamen Lektüre der entsprechenden Partien der Phäno­

5 H egel, G. W F. 1959: Einleitung in die Geschichte der Philosophie. H g. von


J . Hoffmeister. Hamburg, 130 f., 132.
234 Luis M a r ia n o d e l a M a z a

menologie auszulegen. Hier kann ich meine eigene Interpreta­


tion nur sehr knapp zusammenfassen.6
Das Prinzip, das alle Gestalten des Bewußtseins zu einer
strukturellen Einheit zusammenfügt, kann m. E. als Prinzip der
bewußtseinsbestimmten Gegenständlichkeit ausgelegt werden.
Damit ist die Grundstruktur gemeint, von der Hegel nur eine
operative Bestimmung liefert, wenn er in der Einleitung zur
Phänomenologie schreibt, daß das Bewußtsein etwas von sich
unterscheidet, worauf es sich zugleich bezieht (G W 9, 58). M it
dieser Struktur gewinnt Hegel ein operatives Schema, das nicht
nur allgemein für den Vergleich von Wahrheit und Gewißheit
oder Gegenstand und Begriff wichtig ist, sondern darüber hin­
aus auch für die Bewegung der ersten drei Gestalten bestim­
mend ist, die zusammen den Hauptabschnitt Bewußtsein aus­
machen. Dazu finden wir eine ausdrückliche Äußerung Hegels
im Kapitel über das absolute Wissen: „Der Gegenstand ist also
teils unmittelbares Sein, oder ein Ding überhaupt - was dem
unmittelbaren Bewußtsein entspricht; teils ein Anderswerden
seiner, sein Verhältnis oder Sein fü r anderes, und Fürsichsein, die
Bestimmtheit - was der Wahrnehmung - teils Wesen oder als
Allgemeines, - was dem Verstände entspricht“ (G W 9, 422 f.).
Die ganze Entwicklung des Bewußtseins ist darauf gerichtet die
Trennung desselben von dem Gegenstand aufzuheben, und ge­
nau das ist mit dem Prinzip des Bewußtseins gemeint.
Das Moment des Selbstbewußtseins faßt alle seine Gestalten
unter einem anderen Prinzip, und zwar dem Prinzip der Aner­
kennung. Obwohl dieses eine gewisse Verwandtschaft hat mit
dem, was Hegel in der Realphilosophie, genauer gesagt in der
Geistesphilosophie der Jahre 1803/04 und 1805/06 ausführt, ist
seine Bedeutung alles andere als eine realphilosophische. Die
verschiedenen Vermittlungsweisen zweier entgegengesetzter
Selbstbewußtsein dienen nur als Exempel für das Verhältnis von
Substanz und Subjekt - oder, logisch ausgedrückt, von Leben
und Erkennen - d. h. für ihre gegenseitige Bedingtheit in einer
teleologischen Struktur, von welcher Hegel z. B. Folgendes
schreibt: „Die einfache Substanz des Lebens also ist die Ent­
zweiung ihrer selbst in Gestalten, und zugleich die Auflösung

6 Weiteres darüber in meinem schon erwähnten Buch: Knoten und Bund, Zweiter
Teil, 5.1, 6.2, 7.2, 8.2.
D ie M etaph er des K no ten s 235

dieser bestehenden Unterschiede“; aber „in diesem Resultate


verweist das Leben auf ein anderes, als es ist, nämlich auf das
Bewußtsein, für welches es als diese Einheit, oder als Gattung,
ist“ . Dieses Bewußtsein hat sich zunächst nur abstrakt als „reines
Ich“ zum Gegenstand, aber durch seine Erfahrung „wird sich
ihm dieser abstrakte Gegenstand bereichern, und die Entfaltung
erhalten, welche wir an dem Leben gesehen haben“ (GW 9,
106 f.). In den zwei Teilen des Selbstbewußtseinkapitels wird
nach dem Vorbild der Anerkennung einerseits gezeigt, daß das
Leben keinen bloß substantiellen, sondern einen subjektiven
Charakter hat; und andererseits, daß die Subjektivität des freien
Denkens auf die allgemeine Substanz des Lebens zurückbezo­
gen werden muß.
Das Prinzip, das alle Gestalten der Vernunft zu einem allge­
meinen M oment verknüpft, ist das Prinzip des philosophischen
Idealismus, das Prinzip der Identität oder der Einheit von Sein
und Denken. In der Einleitung zum Vernunftkapitel setzt sich
Hegel mit Fichte und Schelling auseinander, indem er fordert,
aus der unmittelbaren Gewißheit der Identität Ich = Ich eine
entwickelte Wahrheit zu machen: „Das Selbstbewußtsein ist
aber nicht nur fü r sich, sondern auch an sich alle Realität erst
dadurch, daß es diese Realität wird, oder vielmehr sich als solche
erweist“ (G W 9, 133). Im absoluten Wissen bezieht sich Hegel
rückblickend auf die Vernunft und behauptet, daß sie von der
abstrakten Einheit des Seins und des Selbstbewußtseins aus­
geht, die sich dann durch die folgenden Gestalten zum Ich = Ich
als erfüllte Einheit entfaltet (GW 9, 423 ff.). Diese Entwicklung
geschieht zunächst auf einer einseitig theoretischen Ebene, aber
schon der zweite und der dritte Teil des Vernunftkapitels gehen
zum praktischen Ich über, wenngleich auf eine ebenso einseitige
Weise, die noch der Individualität verhaftet bleibt.
Das Geistkapitel bedeutet einen entscheidenden Schritt zu
einer reicheren und allgemeineren Betrachtungsweise, die als
Prinzip der Versöhnung ausgedrückt werden kann. Hiermit ist
noch nicht der ganze Geist gemeint, sondern nur derjenige, den
Hegel den „unmittelbaren Geist“ nennt, der erst im Religions­
kapitel sich selbst in der Fülle seiner Bestimmungen bewußt
werden kann (G W 9, 365 f.). Das Prinzip der Versöhnung be­
steht aus einer Konkretisierung auf der Ebene des praktisch -
gesellschaftlichen Lebens des allgemeinen Prinzips der Aner­
236 Luis M a r ia n o d e l a M a z a

kennung, welches die Gestalten des Selbstbewußtseins vereinigt


hatte. Es handelt sich jetzt um die Überwindung der Gegensätze
und einseitigen Positionen, die notwendig aus dem Handeln des
freien Subjekts im Gemeinwesen entstehen, etwa zwischen dem
göttlichen und menschlichen Gesetz in der griechischen Sitt­
lichkeit, oder zwischen Bildung und Glauben bzw. zwischen
dem Bösen und der „schönen Seele“ in der christlichen und
modernen Welt.

III. Knoten als Anhalts- und Richtungspunkte


der Entwicklung
Die soeben genannten Prinzipien haben eine enge Verbindung
mit der dritten Bedeutungskonstellation des Knoten-Bildes.
Diese erscheint ausdrücklich in einem späteren Werk Hegels,
nämlich in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Wissenschaft
der Logik. Dort ist die Rede von einer „natürlichen“ Logik, die
im Denken instinktartig wirkt. Ihre Grundbestimmungen müs­
sen aber bewußt gemacht werden, weil sonst die Mannigfaltig­
keit des Bewußtseinsstoffes keine Festigkeit und Richtung be­
kommt: „In diesem Netze schürtzen sich hin und wieder festere
Knoten, welche die Anhalts- und Richtungspunkte seines L e ­
bens und Bewußtseins sind; sie verdanken ihre Festigkeit und
Macht eben dem, daß sie, vor das Bewußtsein gebracht, an und
für sich seiende Begriffe seiner Wesenheit sind“ (G W 21, 15)7.
Wenn wir unsere Aufmerksamkeit wieder auf die Einleitung
des Religionskapitels richten, können wir feststellen, daß Hegel
für das, was er hier mit den Knoten verbildlicht auch den Aus­
druck „allgemeine Richtungen“ gebraucht (GW 9, 367). Nach
seiner Vorstellung geschieht im Übergang vom Geist zur Reli­
gion eine Neuordnung der Gestalten, die bis dahin eine fort­
schreitende Reihe bildeten, jetzt aber als parallele Linien be­
stimmt werden. Diese Linien entsprechen den allgemeinen
Momenten die bisher die Gestalten vereinigt hatten, denn sie
reproduzieren dieselben Inhalte oder „Unterschiede“ , die frü­
her innerhalb der verschiedenen Momente dargestellt wurden.

7 Rechtsschreibung und Zeichensetzung folgen der Studienausgabe von H .-J.


Gawoll. Ham burg 1990.
D ie M etaph er des K no ten s 237

Aber wenn sie jetzt auch als Knoten bezeichnet werden kön­
nen - Hegel tut es nicht ausdrücklich geschieht das aus einem
anderen Grund als einer Unterbrechung und Neuentwicklung
einer fortschreitenden Kontinuität oder als einer Zusammenfü­
gung einer Mannigfaltigkeit von Gestalten unter einem ge­
meinsamen Nenner, obwohl das Letztere mit der neuen Bedeu­
tung des Knotens näher verwandt ist. Denn das, was bis jetzt als
Prinzip der Vereinigung von Gestalten erschien, wird nun als
Orientierungspunkt der Entwicklung des ganzen Geistes be­
trachtet: „Es erhellt übrigens aus der ganzen Darstellung von
selbst, wie diese hier vorgestellte Beiordnung der allgemeinen
Richtungen zu verstehen ist, daß es überflüssig wird, die Bemer­
kung zu machen, daß diese Unterschiede wesentlich nur als
Momente des Werdens, nicht als Teile zu fassen sind“ (a. a. O.).
Von diesen Momenten sagt Hegel auch, daß es in der Phänome­
nologie darauf ankommt, sie als Bestimmungen aufzufassen in
denen der Geist sich seines Wesens bewußt wird, was wiederum
an die schon erwähnten Anhalts- und Richtungspunkte der Wis­
senschaft der Logik erinnert.

IV. Knoten als Verbindung von G eistigem und


Natürlichem, Logischem und Empirischem
Eine der wichtigsten Eigentümlichkeiten der Phänomenologie
hängt damit zusammen, daß sie bildlich ausgedrückt auf zwei
Schienen läuft, die sich sowohl unterscheiden als auch aufeinan­
der beziehen. Einerseits handelt es sich um die Darstellung des
Weges des natürlichen, sich bildenden Bewußtseins, das vom
erscheinenden Wissen zum wahren Wissen fortschreitet, bis es
den Punkt erreicht, „auf welchem es seinen Schein ablegt, mit
Fremdartigem, das nur für es und als ein anderes ist, behaftet zu
sein, oder wo die Erscheinung dem Wesen gleich wird“ (GW 9,
55, 62). Dieser Punkt ist nicht erst derjenige, wo die Phänome­
nologie zur Logik oder „spekulativen Philosophie“ (G W 9, 30)
übergeht, sondern bereits der Wendepunkt innerhalb der Phä­
nomenologie, wo die Trennung von Bewußtsein und Gegenstand
überwunden wird, d. h. der Anfang des Selbstbewußtseinskapi-
tels. Von da an bewegt sich die Phänomenologie im „einheimi­
schen Reich des Geistes“ (GW 9, 103), obwohl die Kulmination
238 Luis M a r ia n o d e l a M a z a

des Prozesses, das Selbstbewußtsein des Geistes, später im Reli­


gionskapitel und dann in einer anderen Form im absoluten
Wissen stattfindet.
Andererseits aber behauptet Hegel, daß „jedem abstrakten
M oment der Wissenschaft“ - also den Kategorien der Logik -
„eine Gestalt des erscheinenden Geistes“ - also der Phänomeno­
logie - entspricht (G W 9, 432). Dementsprechend gehören auch
schon der sinnlichen Gewißheit, der Wahrnehmung, der Kraft
und dem Verstände bestimmte logische Kategorien an. Darauf
ist die „wissenschaftliche“ Notwendigkeit, mit der die Gestalten
des Bewußtseins aufeinanderfolgen, begründet, was aber nur
„für uns“ -nämlich für diejenigen, die den Weg des sich bilden­
den Bewußtseins schon hinter sich haben - begreifbar ist, nicht
aber für das Bewußtsein selbst, das die verzweifelnde Erfahrung
der Unzulänglichkeit seines Wissens macht (G W 9, 61).
Für diese Verbindung des Logischen oder Geistigen mit dem
Empirischen oder „Natürlichen“ (im Sinne der „Erfahrungen“
des „natürlichen“ Bewußtseins) ist wieder eine bestimmte Be­
deutung der Metapher des Knotens relevant, die auch an einer
anderen Stelle von Hegel verwendet wird. In den Vorlesungen
zur Philosophie der Geschichte bezieht er sich auf die ägyptische
Religion mit Hilfe dieser Metapher, weil er gerade auf eine
solche Verbindung aufmerksam machen will: „Osiris, die Sonne,
der N il, dieses Dreifache ist in einem Knoten vereinigt [...] So
ist dieses Heterogene, die Naturerscheinung und das Geistige,
in Einem Knoten verwebt“. Und weiter unten noch einmal:
„Keine Bestimmung ist Bild ohne zugleich Bedeutung zu seyn,
jede ist jedes: aus einer erklärt sich die andere. Es entsteht so
eine reiche Vorstellung, die aus vielen Vorstellungen zusam­
mengeknüpft ist, worin die Individualität der Grundknoten
bleibt, und nicht in das Allgemeine aufgelöst wird“ (Werke IX,
255 f.).
Kann nicht dasselbe von den Gestalten der Phänomenologie
gesagt werden? Es handelt sich sicherlich auch um konkrete,
individuelle Vorstellungen, mit deren Hilfe allgemeine oder
reine Gedanken der Logik für das noch ungebildete Bewußtsein
verbildlicht werden, und zwar auf eine Weise, in welcher die
Notwendigkeit der Bewegung in einer bestimmten Reihenfolge
von Gegenständen nur „für uns“ einsichtig ist, während für das
natürliche Bewußtsein das eigentliche Fundament seiner Erfah-
D ie M etaph er des K no ten s

rang „hinter seinem Rücken vorgeht“ (G W 9, 61). Die Exem­


pel, die Hegel auf Grund einer propädeutischen Rücksicht­
nahme für den Zweck einer eigentümlichen, noch nicht im
Element der Wissenschaft fortschreitenden Einführung in die
spekulative Philosophie aussucht, enthalten sicherlich eine ge­
wisse Mischung von Vorstellungen, in denen der täuschende
Schein von wahrem Wissen vorläufig erduldet wird. Trotzdem
kann in ihnen der logische Sinn der phänomenologischen G e­
stalten gesehen werden, etwa die Kategorien des Seins (wie
Realität und Negation, Einheit und Vielheit, Unendlichkeit),
dargestellt als vermeintlich unmittelbares und einzelnes Dieses,
das sich aber in Wahrheit als vermitteltes Allgemeines erweist;
oder das Substantialitätsverhältnis der Relationskategorien, dar­
gestellt als das Ding mit vielen Eigenschaften in der Gestalt der
Wahrnehmung, usf.8

V. Knoten als Entgegensetzungen, die


aufgehoben werden müssen
Die Metapher des Knotens steht nicht nur für den positiven
Sinn einer Vereinigung oder Verbindung von verschiedenen
und eventuell auch heterogenen Elementen in einer Einheit,
sondern sie weist auch auf das Gegenteil hin, wie schon bei der
ersten der untersuchten Bedeutungskonstellationen festgestellt
werden konnte. Nun kommt am Ende dieser Untersuchung
wieder einmal ein negativer Aspekt vor, der jetzt nicht als die
Unterbrechung einer Kontinuität erscheint, die dann wieder
von Neuem fortgesetzt wird, sondern als Ende einer Entwick­
lung in der entgegengesetzte Gesichtspunkte vorgetragen wer­
den. Diese Entgegensetzungen tauchen zunächst in den Über­
gängen von einer Gestalt des Bewußtseins zur anderen auf, die

8 Obwohl dies in letzter Zeit bestritten worden ist, (vgl. Schmitz, H . 1992: Hegels
Logik, 300-307) scheint mir immer noch der Vorschlag von O. Pöggeler, die
Systemskizze am Ende der Geistesphilosophie vom dritten Jenaer Systementwurf
(1805/06) als wichtigsten Hinweis für die Entsprechungen zwischen Phänomeno­
logie und L ogik heranzuziehen, die angemessenste und am besten begründete
Position. Vgl. dazu Pöggeler, O. 1973: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes.
Freiburg, München 1973, 269 ff. Siehe auch W. Bonsiepens Einleitung zu der in
Fußnote 1 erwähnten Studienausgabe der Phänomenologie, XX V I ff.
240 Luis M a r ia n o d e l a M a z a

Hegel als „ Umkehrung des Bewußtseins“ (GW 9, 61) bezeichnet,


aber sie erscheinen auch auf einem höheren Niveau wieder,
nämlich im Kontrast zwischen den verschiedenen Momenten
des ganzen Geistes, für die Hegel gerade die Metapher des
Knotens anwendet. Jedes dieser Momente vertritt, wie schon
gesagt, ein eigentümliches Prinzip, das von den anderen aus­
gegrenzt und ihnen gegenübergestellt werden kann. Darauf
bezieht sich Hegel, wenn er sagt, daß die Länge, in der sich die
unterbrochene und wiederhergestellte Reihe von Gestalten
fortsetzte, „nunmehr an diesen Knoten, den allgemeinen M o­
menten, gebrochen und in viele Linien zerfallen“ ist, welche
dann symmetrisch „in Einen Bund zusammengefaßt“ werden
(GW 9, 367). Es handelt sich also um eine Entgegensetzung,
die als solche überwunden wird, wobei für die neue Einheit
nicht mehr die Metapher des Knotens, sondern nun die des
Bundes verwendet wird.
Sinnverwandte Anwendungen der Metapher des Knotens fin­
den sich auch in anderen Werken Hegels. So etwa in seinem
Artikel Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Natur­
rechts, wo die Knoten auf die Gegensätze in der Komödie bezo­
gen werden (GW 4, 460 f.); oder in den Vorlesungen über Philoso­
phie der Weltgeschichte im Zusammenhang mit der formellen
Freiheit der Französischen Revolution, die immer wieder neue
Konflikte erzeugt: „der Wille der Vielen stürzt das Ministerium
und die bisherige Opposition tritt nunmehr ein; aber diese,
insofern sie jetzt Regierung ist, hat wieder die Vielen gegen
sich. So geht die Bewegung und Unruhe fort. Diese Kollision,
dieser Knoten, dieses Problem ist es, an dem Geschichte steht,
und den sie in künftigen Zeiten zu lösen hat“ (Werke IX, 541).
Die „Lösung“ der Phänomenologie ist gerade diejenige, die mit
der Metapher des Bundes illustriert wird: die Religion als totali-
sierende Instanz, die keinen neuen Knoten hinter den anderen
bildet, sondern vielmehr aus der Reihe der Knoten heraustritt
und alle Linien, in denen sich die Knoten gebrochen hatten,
zusammenbindet, so wie dies etwa im Bund eines Blumenstrau­
ßes oder im Bündel einer Getreidegarbe geschieht. Dieses Bild
erlaubt m. E. ohne jeden Zweifel, die besondere Stellung des
Religions-Kapitels in der Phänomenologie zu unterstreichen. In
ihm wird die gesamte Entwicklung des erfahrenden Bewußt­
seins zusammengefaßt, es stellt also kein weiteres abstraktes
D ie M etaph er des K n o tens 241

Moment, sondern vielmehr die „Substanz“ des ganzen Geistes


dar. Von dieser Substanz behauptet Hegel in der Einleitung
zum Religionskapitel, daß sie „nunmehr herausgetreten“ ist und
daß sie, alle Momente „in sich versammelnd und zusammenhal­
tend“ , in diesem „gesamten Reichtum ihres wirklichen Geistes“
fortschreitet, wobei alle ihre besonderen Momente „die gleiche
Bestimmtheit des Ganzen“ „gemeinschaftlich“ in sich „nehmen
und empfangen“ (G W 9, 367). Dementsprechend stellt Hegel
die verschiedenen geschichtlichen Gestalten der Religion so
dar, daß in ihnen alle anderen Gestalten wieder Zusammentref­
fen, die bisher unter einem eigentümlichen Prinzip an einen
bestimmten Knoten gebunden waren: „Wenn also dem sich
wissenden Geiste [d. h. der Religion] überhaupt Bewußtsein,
Selbstbewußtsein, Vernunft und Geist angehören, so gehören
den bestimmten Gestalten des sich wissenden Geistes die be­
stimmten Formen an, welche sich innerhalb des Bewußtseins,
Selbstbewußtseins, der Vernunft und des Geistes an jedem be­
sonders entwickelten“ (G W 9, 366).
Abschließend kann gesagt werden, daß die Metapher des
Knotens besonders deshalb nützlich ist, weil sie es ermöglicht,
eine Vielfalt von Aspekten der Phänomenologie zu erörtern, die
die meisten Kommentare kaum in ihrem Zusammenhang be­
achten. M it ihrer Hilfe kann vor allem das besondere Verhältnis
der Gestalten der Phänomenologie zur Logik, zur Geschichte
und zur Religion besser verstanden werden. Es wird klar, daß
der eigentliche Gegenstand der Darstellung des erscheinenden
Wissens nicht die Gestalten des natürlichen Bewußtseins als
solche sind, sondern vielmehr die durch diese Gestalten illu­
strierte Bedeutung der logischen Begriffe und der spekulativen
Prinzipien, unter deren Macht sie geordnet werden. Aus diesem
Grund konnte Hegel die Phänomenologie als Text für sein letztes
Kolleg in Jena über Logik oder spekulative Philosophie im
Sommersemester 1806 heranziehen.9
Ebenso sollte nicht mehr daran gezweifelt werden, daß in
keinem früheren Kapitel als im Religionskapitel die Zeit in
einer welthistorischen Dimension vorkommt, denn nur in ihm

9 Siehe dazu den Bericht von Gabler und Rosenkranz in Kimmerle, H . 1967:
Dokumente zu H egels Jenaer Dozententätigkeit (1801-1807). In: Hegel-Studien 4,
71,84.
242 Luis M a r ia n o d e l a M a z a

stellt sich der ganze Geist als Pendant der Religion dar. Von ihm
sagt Hegel in der Einleitung des Kapitels: „Der ganze Geist nur
ist in der Zeit, und die Gestalten, welche Gestalten des ganzen
Geistes als solchen sind, stellen sich in einer Aufeinanderfolge
dar, denn nur das Ganze hat eigentliche Wirklichkeit, und daher
die Form der reinen Freiheit gegen anderes, die sich als Zeit
ausdrückt“ (G W 9, 365). Wenn aber Hegel einige Zeilen weiter
unten behauptet, daß innerhalb der Momente des Bewußtseins,
des Selbstbewußtseins, der Vernunft und des unmittelbaren
Geistes sich die Gestalten auch zeitlich unterscheiden, dann
meint er nicht die weltgeschichtliche Zeit sondern nur eine
„begriffene Organisation“ (GW 9, 434) derselben, die gewisse
Erscheinungsformen aus ihr abstrahiert, um sie nach systemati­
schen Kriterien für den Zweck der Bildung des Bewußtseins zu
benutzen. Es handelt sich also um Beispiele, die aus der G e­
schichte genommen werden und innerhalb der Momente (oder
Knoten) in einer diachronischen Reihenfolge erscheinen, wel­
che aber im Übergang von einem Knoten zum anderen unter­
brochen und neu begonnen wird.
Im allumfassenden Bund der Religion dagegen taucht zum
ersten Mal der Geist als eine Totalität auf, die zwar noch nicht
die „begriffene Geschichte“ ist, die Hegel im absoluten Wissen
von der zufällig-realen und von der phänomenologischen G e­
schichte unterscheidet, (a. a. O.) wohl aber eine weltgeschicht­
liche Dimension erreicht, die in den idealtypischen Formen der
Religionsgeschichte - der natürlichen Religion des Orients, der
Kunst-Religion der Griechen und der offenbaren Religion der
Christen - aufgenommen wird. Diese geschichtliche Erschei­
nung des ganzen Geistes ist für Hegel insofern notwendig, weil
sie es ermöglicht, daß der Geist sich selbst in der Zeit als
„daseiender“ oder gegenständlicher Begriff anschaut, bevor er
sich im absoluten Wissen auch zur „Form “ des Begriffs erheben
und somit die reine Durchsichtigkeit einer begriffenen G e­
schichte erreichen kann. In diesem Sinne stellt die Religion den
„absoluten Inhalt“ des absoluten Wissens dar (G W 9, 426).
Hierin liegt aber gerade ihre unentbehrliche Funktion für die
Phänomenologie, wie Hegel sie versteht: „Eh daher der Geist
nicht ansich, nicht als Weltgeist sich vollendet, kann er nicht als
selbstbewußter Geist seine Vollendung erreichen. Der Inhalt
der Religion spricht daher früher in der Zeit, als die Wissen­
D ie M etaph er des K n o tens 243

schaft, es aus, was der Geist ist, aber diese ist allein sein wahres
Wissen von ihm selbst“ (G W 9, 429 f.). In welcher Weise kann
aber nach Hegel die Religion den Weltgeist vollenden? Die
Antwort lautet: Indem sie selbst ihre Entwicklung vollendet,
und das heißt, indem zwischen der Form in der sich ein Volk in
seiner eigenen Religion selbst erkennt und dem weltgeschicht­
lichen Dasein dieses Volkes eine reale Entsprechung stattfindet
(G W 9, 370). D a aber die Menschwerdung Gottes wesentlicher
Bestandteil der Religion als Selbstbewußtsein des Geistes ist,
kann diese, laut Hegel, ihr Ziel nur im Christentum erreichen.

Literatur
D e la Maza, Luis Mariano 1998: Knoten und Bund. Zum Verhältnis von Logik,
Geschichte und Religion in H egels Phänomenologie des Geistes. Bonn.
H egel, G eorg Wilhelm Friedrich 1986: Dissertatio Philosophica de Orbitis Pla­
netarum. Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von W Neuser, Weinheim.
Hegel, G eorg Wilhelm Friedrich 1959: Einleitung in die Geschichte der Philoso­
phie. H g. von J . Hoffmeister. Hamburg.
Kimmerle, H einz 1967: Dokumente zu H egels Jenaer Dozententätigkeit
(1801-1807). In: Hegel-Studien 4, 21-99.
Pöggeler, Otto 1973: H egels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg,
München.
Schmitz, Hermann 1992: H egels Logik. Bonn, Berlin.
12

Gabriella Baptist

Das absolute Wissen.


Zeit, Geschichte,
Wissenschaft

Der letzte Kapitel der Phänomenologie des Geistes ist vielleicht


einer der kontroversten Texte Hegels überhaupt. Seine Stellung
am Ende, wodurch dieses Kapitel gleichzeitig als eine Einlei­
tung zum damals vorgesehenen zweiten Teil des Systems zu
verstehen ist, sein zirkuläres Zurückstreben zum Anfang und
die zeitliche Nähe zur Verfassug der berühmten Vorrede, sein
erneutes Aufwerfen der Problematik der Kontingenz und der
Zeit gerade bei der Thematisierung des Absoluten und nach­
dem der „Weg des Bewußtseins“ zu Ende gelaufen ist, zwingen
den Interpreten, sich mit den Beziehungen von Phänomenolo­
gie und Logik einerseits, Phänomenologie und Geschichte an­
dererseits auseinanderzusetzen, das heißt sich mit den „G e­
heimnissen“ dieses Werkes selbst zu befassen.
Das Problem einer vernünftigen Erkenntnis des Absoluten
stellte sich Hegel bekanntlich schon in Jena als philosophische
Aufgabe; darüber hinaus war hier bereits von einem „Wissen des
absoluten Geistes von sich“ (Hegel G W 8, 280) die Rede gewe­
sen und dabei auf einer Dreiteilung in Kunst, Religion und
Wissenschaft verwiesen worden.1 Im letzten Kapitel der Phäno­
menologie soll es nun gerade um die Selbstkonstruktion dieses

1 V gl. G W 8, 277 ff. Schon in diesem Kontext wird der Kunst die Erkenntnis­
weise der Anschauung und der Vorstellung sowie das logische Niveau der Form
und der Unmittelbarkeit zugesprochen; die Religion wird als der vorgestellte
Geist behandelt, wobei auf der Stufe des Wesens und seiner Versöhnung mit der
Wirklichkeit argumentiert wird; bei der absoluten Wissenschaft der Philosophie
ist endlich der Begriff erreicht.
246 G a b r ie l l a B a p t is t

Absoluten gehen, was zur Totalisierung des begrifflichen Pro­


zesses in der spekulativen Logik, aber auch zur erneuten Entäu­
ßerung in die Kontingenz der Natur und der Geschichte und
also zurück in den Weg des Bewußtseins überleiten soll.
Nicht nur wegen der Fülle an philosophischen Anregungen
sind allerdings diese Seiten vom Anfang an wie von einer Aura
des Heldenhaften umgegeben gewesen: In einem Brief an
Schelling vom l.M a i 1807 bittet Hegel den Freund um Ver­
ständnis wegen der größeren „Unform der letztem Partien“
seines Werkes, deren Redaktion „überhaupt in der Mitternacht
vor der Schlacht bei Jena geendigt“ wurde (Hoffmeister 31969,
I 161-162). Die Gefahr, daß die Lebensnot mehr Verwirrung
denn geistige Klarheit bewirkt haben könne, vermindert jeden­
falls in keiner Weise die philosophische Kraft dieser Seiten, die
seit je zur Auseinandersetzung herausgefordert haben. Unter
den bedeutendsten philosophischen Interpretationen dieses
Teils der Phänomenologie seien hier erwähnt Heideggers Frei­
burger Vorlesung aus dem Wintersemester 1930/31 (Heidegger
1980), Marcuses Hegelbuch aus dem Jahre 1932 (Marcuse
1989, II 347-362) und Kojeves Vorlesungen, die zwischen 1933
und 1939 bei der Ecole des Hautes Etudes in Paris gehalten
wurden. Zu den Kommentaren kann hier auf die ausführlichere
Lektüre von Rousset (Hegel 1977, 7-88, 123-246) sowie auf die
Interpretation von Labarriere verwiesen werden, der das Kapi­
tel über das absolute Wissen als „Schlüssel“ sowohl des stati­
schen Gleichgewichts des ganzen Werkes als auch der dynami­
schen Bewegung seiner Gestalten und Sektionen deutet (Labar­
riere 1968, 185 ff.).

I. Die letzte „Versammlung“ der einzelnen


phänomenologischen M omente und die
neue Gestalt des Geistes: das „Bewußtsein“
des absoluten W issens und sein Werden

Die Überwindung des Zwiespaltes von Gegenstand und Be­


wußtsein, welche das absolute Wissen als solches charakteri­
siert - „der sich in Geistsgestalt wissende Geist oder das begreif-
fende Wissen“ (G W 9, 427), nach Hegels ausdrücklicher Defini­
D as abso lu te W is s e n .Z e it , G e s c h ic h t e , W is s e n s c h a f t 247

tion - wird zunächst dadurch vorbereitet, indem die Totalität


der Momente des Gegenstandes selbst und des ihm jeweils
entsprechenden Verhaltens des Bewußtseins - das heißt im
Grunde der ganze Werdegang der Phänomenologie - noch ein­
mal wiederholt wird. Eine Aufzählung der früheren phänome­
nologischen Momente war schon im Kapitel über die Religion
als eine rekapitulierende Besinnung auf die Bewegung des Gan­
zen umrissen worden.2 Aber eigentlich hatte auch die Einleitung
zum 6. Kapitel „Der Geist“ mit einer Skizzierung der früheren
Momente des Bewußtseins, des Selbstbewußtseins und der Ver­
nunft angefangen (G W 9, 239)3. Die erneute Rekapitulation
schlägt allerdings eine pointiertere Auswahl der früheren Stufen
vor, und vermag somit über die theoretischen Intentionen des
Kapitels Auskunft zu geben. Deswegen sei es hier erlaubt, den
zusammenfassenden Überblick in seinen Hauptpunkten noch­
mals zu wiederholen, um dabei seine systematische Bedeutung
hervorzuheben.
Zuerst erweist sich der Gegenstand in den phänomenolo­
gischen Stufen des unmittelbaren Seins des Anfanges, der Wahr­
nehmung und des Verstandes als das Wissen des Bewußtseins,
dann findet die Erfahrung der beobachtenden Vernunft - nach
der „das Seyn des Ich ein Ding ist“ und also das Ding als aufgeho­
ben gilt, denn: „Das Ding ist Ich“ (G W 9, 423) - ihre Bestäti­
gung im gebildeten Selbstbewußtsein des sich entfremdeten
Geistes, nach dem die Dinge bloß nützlich sind. Dies in seinem
Gang durch das Bewußtseins-, Vernunft- und Geistkapitel ver­
folgte Wissen des wahren Seins der Dinge wird schließlich im
moralischen Bewußtsein und im Gewissen ein Wissen des wah­
ren Wesens und der absoluten Wesenheit, des Inneren und des
Selbst, wobei Dasein und Gewißheit zusammenfallen. Dabei
gelingt „die Versöhnung des Geistes mit seinem eigentlichen
Bewußtseyn“ (GW 9, 424), während bei der Verzeihung das

2 V gl. dazu die Dissertation von Mariano de la Maza, Knoten und Bund.
3 Dies scheint allerdings eine Charakteristik von jedem entscheidenden Punkt der
phänomenologischen Entwicklung zu sein, vgl. wie z. B. im 4. Kapitel: „Die
Wahrheit der Gewissheit seiner selbst“ die früheren Bewußtseinsstufen kurz wie­
derholt werden (G W 9, 103 f.) und auch wie am Anfang des 5. Kapitels: „Gewiß­
heit und Wahrheit der Vernunft“ der Übergang zwischen Bewußtsein, absolutem
Wesen und Verstand, der zum Selbstbewußtsein wird, und unglücklichem Be­
wußtsein kurz umrissen wird (G W 9, 132).
248 G a b r ie l l a B a p t is t

Dasein auch noch mit dem Wissen des Ich = Ich gleichgestellt
wird, wobei die „Versöhnung des Bewußtseyns mit dem Selbst-
bewußtseyn“ (G W 9, 42 5) angestrebt wird. Dies wird aber erst
vom religiösen Geist erreicht, obwohl das noch bewußtseinsmä­
ßig geschieht, da die Versöhnung in der Form des Ansichseins
eines objektivierten Gottes als eines realen Wesens erfolgt. Die
Vereinigung des Bewußtseins des Geistes und seines Selbstbe­
wußtseins, seines Wissens des Seins und seines Wissens des Wesens
ist jetzt jedenfalls als die eigentliche Aufgabe des absoluten
Wissens eingeführt, was „diese Reihe der Gestaltungen des
Geistes beschließt“ (GW 9, 425), da der Geist sich zu wissen
hat, wie er in der Einheit des Begriffes an und für sich ist, das
heißt als ein Wissen von dem reinen Wissen, als ein Wissen von dem
Begriff.
Die Gestalt der schönen Seele hatte sich schon - zwar einsei­
tig, weil der eigenen Realisierung und Erfüllung entgegenge­
setzt - als ein Wissen von sich selbst als Geist erwiesen. Im
handelnden Geist und in der Religion hatte dieses noch leere
Wissen schließlich seinen Inhalt erlangt und seinen Begriff mit
dem Dasein und mit dem Wesen zusammengebracht, aber le­
diglich auf vorstehende Weise. Im absoluten Wissen soll dar­
über hinaus der Begriff „das Wissen des Thuns des Selbsts in
sich als aller Wesenheit und alles Daseyn, das Wissen von diesem
Subjecte als der Substanz, und von der Substanz als diesem Wis­
sen seines Thuns“ (G W 9, 427) sein, das heißt das handelnde
Bewußtsein, noch inhaltsarm, und das religiöse Bewußtsein,
noch entzweit in seinem Wissen von dem Wesen und Wissen
von dem Sein, sollen in einem begrifflichen Wissen von sich
vereinigt werden, was eben „die Versammlung der einzelnen
Momente“ sowie „das Festhalten des Begriffes in der Form des
Begriffes“ (GW 9, 427) erlaubt.
Der Leitfaden für die Auswahl der früheren Stufen der phä­
nomenologischen Entwicklung ist ausdrücklich ein logisch-sy-
stematischer, wie die wiederholte Anwendung von argumenta­
tiven Instrumenten wie an sich/für sich/an und für sich, Sein/
Wesen/Begriff, Bewußtsein/Selbstbewußtsein/Vernunft oder
Geist oder Inhalt/Form bestätigt. Vergleicht man diesen Leit­
faden mit der Darstellung am Anfang des Geistkapitels oder des
Religionskapitels, so drückten die früheren Zusammenfassun­
gen im ersten Fall bloß eine Skizze des Bewußtseins des Geistes
D as abso lu te W is s e n .Z e it , G e s c h ic h t e , W is s e n s c h a f t 249

als Bewußtsein seines Seins aus,4 im zweiten Fall jedoch die ver­
schiedenen Weisen des Bewußtseins des absoluten Wesens als des
Selbst, eines erstmaligen Wissens von sich, obwohl noch in der
Bestimmung des geistigen Wesens als eigentlichen Gegenstan­
des, wie dies in der Religion als eines ersten Selbstbewußtseins des
Geistes sich zeigte. Bei der letzten Vollendung des früheren
Ablaufes im absoluten Wissen gelangt man zum absoluten
Selbstbewußtsein des Geistes zunächst über das Bewußtsein sei­
nes Begriffes. Deswegen ist diese Rekapitulation des Weges über­
haupt die „letzte Gestalt des Geistes“ (G W 9, 427) in seinem
Bewußtsein, das er von sich als absoluter hat. Es ist ein „Geist,
der seinem vollständigen und wahren Inhalte zugleich die Form
des Selbsts gibt, und dadurch seinen Begriff ebenso realisirt als
er in dieser Realisirung in seinem Begriffe bleibt“ (GW 9, 427),
wobei seine Wahrheit und seine Gewißheit, sein Dasein oder
Inhalt und sein Selbst, sein Wesen oder seine Form als letzte
Gestaltung des begrifflichen Wissens, als Wissenschaft in dem
Begriff transparent werden.
Diese nochmalige Versammlung der phänomenologischen
Gestalten kann als das „Sein“ oder „Dasein“ des absoluten W is­
sens selbst gedeutet werden, als seine erste Stufe und als Objekt
seines absoluten Bewußtseins. Nicht zufällig wird hier gerade auf
jene Wissenschaft verwiesen, die die Phänomenologie als dem
philosophischen Bewußtsein selbst erscheinende „Wissenschaft
der Erfahrung des Bewußtseins“ bietet, was hier skizziert und
mit Hervorhebung der begrifflich-systematischen Intention
dargestellt wird: Das Sein oder das Bewußtsein des absoluten Wis­
sens ist so die begriffliche Wahrheit seines eigenen Werdens, sein
gewußter Weg als Gestalt des wissenschaftlichen Begreifens, die
letzte und perfekte Gestaltung, weil einerseits der Unterschied
und die Zerrissenheit des Bewußtseins endgültig überwunden
ist, aber dennoch andererseits im Begriff das Objekt der Wissen­
schaft und also des philosophischen Bewußtseins ist.5

4 Auch am Anfang des Religionskapitels werden die Stufen des wahren, des sich
entfremdeten und des seiner selbst gewissen Geistes als Gestalten des „Bewußt-
seyn[s]“ des Geistes vorgestellt (G W 9, 364).
5 V gl. G W 9, 428: „Dieser Inhalt bestimmter angegeben, ist er nichts anders, als
die so eben ausgesprochene Bewegung selbst; denn er ist der Geist, der sich selbst
und zwar fiir sich als Geist durchläufft, dadurch daß er die Gestalt des Begriffes in
seiner Gegenständlichkeit hat“.
250 G a b r ie l l a B a p t is t

II. G eist und Zeit: das „Selbstbewußtsein“ des


absoluten W issens und sein Wesen
Diesen dargelegten wissenschaftlichen Weg als solchen und in
seinem Daseinscharakter stellt Hegel als einen zeitlichen dar.
Es ist nicht nur die Zeit, in der der Geist phänomenologisch
erscheint - die äußerliche Zeit des Weltgeistes in seinem Sein
etwa von der sittlichen Antike bis zum postrevolutionären Ich -,
es ist auch nicht bloß die gedachte Zeit des Selbstbewußtseins
des Geistes - die verinnerlichte Zeit seines Wesens und seiner
Substanz in der absoluten Gottesgeschichte typologisch darge­
stellt -, es ist vielmehr die begriffliche Zeit des Denkens, die in
einem kurzen Abriß der modernen Philosophie ausgelegt wird.
Durchsichtig genug scheinen die Verweise auf eine philo-
sophiegeschichtliche Linie, die von Descartes’ Gleichstellung
vom Denken und Sein über Spinozas Thematisierung einer
selbstlosen Substanz, zu der Leibniz die Individualität hinzuge­
tan habe, weiter durch die Entäußerung der Aufklärung und der
absoluten Freiheit Rousseaus hindurch in die Verherrlichung
des Willens bei Kant, in die Sichselbstgleichung des Ich = Ich
bei Fichte und in die erneute Gleichstellung von Substanz und
Subjekt, Inhalt und Reflexion bei Schelling sowie in Hegels
philosophischem Projekt selbst mündet (vgl. G W 9, 430 f.). Der
Zusammenhang, der im Kapitel über das absolute Wissen zwi­
schen Denken der Zeit und moderner Philosophiegeschichte
hergestellt wird, ist besonders von Michael Murray (1981, 700)
und Joseph Flay herausgearbeitet worden, der die Beziehung
zwischen Geschichte der Philosophie und dem Projekt einer
Phänomenologie des Geistes selbst hervorhebt (Flay 1974,
besonders 54 ff.). Auch für Jean Hyppolite ist das absolute Wis­
sen in engem Verhältnis zu einer „Philosophie der Philosophie“
als „Logik der Philosophie“ zu deuten (Hyppolite 1971, beson­
ders 165 f., 174). Bekanntlich hat Hegel erstmals im Winter
1805/06 über Geschichte der Philosophie gelesen. Diese Vor­
lesung soll in einer besonderer Nähe zur Phänomenologie des
Geistes gestanden haben, da sie wahrscheinlich als eine Teildis-
ziplin der Geschiche des Geistes präsentiert wurde, wie Otto
Pöggeler (1989) erinnert. Nach Walter Jaeschke wollte Hegel
in Jena durch die Geschichte der Philosophie eigentlich die
Geschichtlichkeit des (absoluten) Geistes thematisieren und da­
D as abso lu te W is s e n .Z e it , G e s c h ic h t e , W is s e n s c h a f t 25 I

bei auf neue Weise Geschichte und Vernunft vereinigen, was


aber infolge des ungeklärt gebliebenen Verhältnisses zwischen
Weltgeschichte und Geschichte beziehungsweise Geschicht­
lichkeit des absoluten Geistes scheitern mußte (Jaeschke 1996,
363-373).
Das Geschehen der Philosophie, das das Kapitel über das
absolute Wissen thematisiert, ist jedenfalls nicht bloß ein ein­
faches In-die-Zeit-Fallen oder Die-Zeit-Wissen. Der zeitlich­
geschichtliche Weg des Denkens ist auch eine Aneignung der
Zeit selbst, sozusagen nicht nur ein Weg in die Zeit hinein oder
von der Zeit her, sondern auch ein Weg zur Zeit hin dank der
Akzentverschiebung von einer Zentralität der Ausdehnung des
Seins (als res extenso) zu einer Priorität der Zeit (als Temporalität
des Selbst): Die neue Zeit des Denkens ist auch ein neues
Denken der Zeit!6
Darüber hinaus erscheint dies geschichtlich sich entfaltende
Denken der Zeit nicht in irgendeiner Zeit, sondern erst, wenn
das Bewußtsein des Geistes, „der weiß, was er ist“ (GW 9, 428),
zu seinem Selbstbewußtsein, das heißt zu dem Wissen der eige­
nen Substanz und des eigenen Wesens, des eigenen Grundes
und des Selbst, also zu seiner absoluten Gewißheit emporgestie­
gen ist. Eine solche Leistung war von der Religion als ein erstes
Selbstbewußtsein des Geistes erfüllt worden, obwohl dies noch
in Form einer Bewußtseinsgestalt erschienen war. Die religiöse
Erfahrung, besonders bei der offenbaren Religion, hatte sich
von einem Wissen des absoluten Wesens und der absoluten
Substanz zu einem Wissen des Geistes als Selbst und Subjekt
entwickelt, was - in der Kunstreligion schon vom gegenständ­
lichen Dasein des Wesens zum Selbst der Gottesfigur gelangt -
schließlich durch die Menschwerdung als wahrhaftes Zentrum
der Trinitätslehre bestätigt wurde.7 Die Versöhnung zwischen

6 V gl. die von H egel hervorgehobene Annäherung zwischen Sichselbstgleichheit


des Ichs und der Zeit als Charakteristikum der zeitgenössischen Philosophie in
G W 9, 430: „so daß wie vorhin das Wesen als Einheit des Denkens und der
Ausdehnung ausgesprochen wurde, es als Einheit des Denkens und der Zeit zu
fassen wäre“. Man merke, wie schon hier die Ausdehnung des Seins (mit indirek­
tem Verweis auf Schelling) und die Tiefe des Ichs (mit indirektem Bezug auf
Fichte) bei der vorgeschlagenen Einheit von Substanz und Subjekt in wechselseiti­
ger B eziehung stehen.
7 V gl. G W 9, 419: „Diß Wissen [daß Gott selbst gestorben ist - G . B.] also ist die
252 G a b r ie l l a B a p t is t

dem ewigen Wesen und dem unmittelbar gegenwärtigen Gott,


der aber nach seinem Tod in die Vergangenheit gerückt wird
und also seine Wirklichkeit als ein Geschehnis und als ein ge­
schichtliches Ereignis beweist, ermöglichte das dritte Moment
eines wahrhaften Selbstbewußtseins des Absoluten in der G e­
meinde als ,/lllgemeinheit des Geistes, der in seiner Gemeine
lebt, in ihr täglich stirbt und aufersteht“ (GW 9, 418). D erge­
stalt gelangt man zu einer anderen Auffassung der Zeit, die über
die Abstraktheit des Ewigen und die Verzweiflung einer verlo­
renen Gegenwart hinausweist. Nach der Überwindung der vor­
stehenden und daher noch gespaltenen Dimension geht es aber
im Falle der kurz umrissenen Geschichte der modernen Philo­
sophie dagegen vielmehr um ein fürsichseiendes und begriff­
liches Wissen der Substanz und des Wesens des absoluten G ei­
stes selbst. In diesem Selbstbewußtsein des Geistes, dessen
Pointe beim Subjektwerden der Substanz und des Seins zu fin­
den ist, sind die Momente nicht mehr die noch von der Diffe­
renz des Bewußtseins affizierten religiösen Gestalten, sondern
begriffliche Weisen des Sichwissens.
Diese Teile eines systematischen Ganzen sind für Hegel der
begriffliche Grund der spekulativen Wissenschaft, welche noch
nicht als Ganzes vollendet sein kann, obwohl die Religion die
zum Subjekt gewordene Substanz und die Zeit gewordene Aus­
dehnung des Seins unbegriffen schon vorzustellen vermag. D es­
wegen fängt die philosophiegeschichtliche Übersicht bei Des-
cartes an, gerade weil erst die Religion der Moderne, und der
Protestantismus insbesondere, zu der Eingrenzung des begriff­
lichen und wissenschaftlichen Problems gelangt war, die das
Christentum als neuen Boden für das Denken der neuzeitlichen
Philosophie abgeben konnte: die Vorstellung und der Gedanke
des Absoluten als Geist und als Wissen von sich.
Also gibt es zwei brennende Fragen, denen sich das absolute
Selbstbewußtsein des Geistes widmen muß: erstens die Proble­
matik der Zeit (und eigentlich die der Neuzeit), in die es nicht
als bloßes Geschehen, sondern als geschichtliche Wissenschaft
fällt (wozu auch die Phänomenologie selbst zu rechnen ist), zwei-

Begeistung, wodurch die Substanz Subject, ihre Abstraction und Leblosigkeit ge­
storben, sie also 'wirklich und einfaches und allgemeines Selbstbewußtseyn gewor­
den ist“.
D as abso lu te W is s e n .Z e it , G e s c h ic h t e , W is s e n s c h a f t 253

tens das damit verbundene Verhältnis zu der Religion, aus der


die moderne Wissenschaft schließlich entsteht und mit der sie
verbunden bleibt, zumindest in dem Sinne, daß die erstere ihr
begriffliches Ganze vorstellungsmäßig zu antizipieren vermag.
Hier soll besonders dem ersten Problem Aufmerksamkeit ge­
schenkt werden, obwohl es eng auch mit dem zweiten verbun­
den ist, wie sich zeigen wird.
Die berühmt/berüchtigten Äußerungen über die Zeit als D a­
sein des Begriffs, welches von diesem letzteren getilgt werden
muß, sobald er zu seiner Reinheit gelangt, haben die Interpreten
viel beschäftigt und sind in maßgeblichen Deutungen als Siegel
eines Endes der Geschichte (etwa Kojéve 1947, besonders
364 ff., 381 ff.) oder als Beweis der ungenügenden Problema-
tisierung einer objektivierten Zeit verstanden worden (etwa
Heidegger 198616, 434 f., § 82). Hier geht es allerdings nicht
sosehr um eine Definition der Zeit auf natur- oder geschichts-
wissenschaftlicher Basis, dies wäre bloß eine Zeit des Geistes, in
der dieser fällt, mit allen Zufällen, die daraus entstehen würden8.
Vielmehr handelt es sich um eine Besinnung auf die Problema­
tik der Zeitlichkeit, weshalb erneut auf das religiöse Bewußtsein
verwiesen wird, das sich in der Zeit wußte und nicht bloß darin
war. Darüber hinaus steht aber auch die Bedeutung des phäno­
menologischen Weges selbst zur Diskussion, jene Verstandes-
und Begriffsoperation, die die Zeit in ihrem Sinne transfor­
miert. Wenn es stimmt, daß das Bewußtsein in die Zeit bloß
versunken ist und es deswegen noch nicht denken kann und daß
„der ganze Geist nur [...] in der Zeit“ (G W 9, 365) ist, dann
kann ein Verständnis der Temporalität als ein Denken der Zeit
nur innerhalb eines Selbstbewußtseins des absoluten Geistes
geschehen. Die Zeit (als „Fall-Raum“ des Geistes) ist deswegen
„das Schicksal und die Nothwendigkeit des Geistes“ (GW 9,
42 9)9, nur solange er seinen (diachronisch) beschränkten Weg

8 Schon in der Jenaer Naturphilosophie war von einem Tilgen und Aufheben der
Zeit die Rede gewesen, sofern von der Zeit die Dimension der Totalität ihrer
Momente hervorgehoben wurde, vgl. G W 7, 195. N ach Seba (1980, 47) sind im
absoluten Wissen „weder die physische Zeit, noch diejenige der geschichdichen
Fakten getilgt“.
9 M an beachte hier besonders den Gebrauch der Metapher des Schicksals. Den
Zusammenhang zwischen Schicksal und Notwendigkeit auf einer logischen Ebe­
ne habe ich zu bearbeiten versucht in Baptist 1997.
254 G a b r ie l l a B a p t is t

geht. Erst bei der selbstbewußten Besinnung auf das Hinter-


sich-Gebrachte, die von der Religion schon vorstellungsmäßig
geleistet wurde, erscheint dagegen jenes Andere der Zeit, wel­
ches nicht bloß eine andere Zeit (zum Beispiel der Erlösung als
ein vorgestelltes Jenseits der Zeit selbst, sei es auch nach ihrem
vermeintlichen Ende) ist, sondern hier die (synchronische) In-
temporalität der begrifflichen Betrachtung bedeutet10.
So wie bei der anfänglichen Rekapitulation des absoluten
Geistes die Versammlung der phänomenologischen Gestalten
als das Objekt und somit als das Sein seines Bewußtseins be­
trachtet wurde, so ist jetzt das Wesen oder das Selbstbewußtsein
des absoluten Wissens die in der Philosophie gewußte Geschicht­
lichkeit und Intempomlität des Geistes selbst, sein „Werden seiner
zu dem, was [der Geist] an sich ist“ (GW 9, 429), als seine wahre
und absolute Substanz.
Eine Doppelheit der Geschichte der Philosophie wurde ei­
gentlich schon in der Differenzschxiit formuliert, indem betont
wurde, wie jede genuine Philosophie sich das Problem des ewi­
gen Absoluten setzt und eine vollendete Antwort darauf gibt.11
Aber diese letzten Seiten der Phänomenologie fügen noch hinzu,
daß jetzt die Zeit der Philosophie gekommen ist, nicht irgendeine
Zeit, sondern die Neuzeit der Moderne, in der die Philosophie
zur herrschenden Gestalt des sich wissenden Geistes wird. Die
Philosophie ist der Kunst der schönen griechischen Sittlichkeit

10 Vgl. die Jenaer Überlegungen über „das andre der Zeit - nicht eine andre Zeit,
sondern die Ewigkeit, der Gedanke der Zeit“ (G W 8, 287). Ebenso auch Labar-
riere (1979, 98 und 100): „Das ist das absolute Wissen: nicht die letztgültige
Aneignung der Schlüssel des Universums, sondern jene viel ärmere Macht, welche
ein einigendes W ort riskiert, das dem unerwartet Einfallenden einen Sinn zu
geben verm ag“. „Hier, in der Fluktuation der Dinge, drückt sich die Ewigkeit des
Geistes als dieses Verständis aus, das die Zeit in Geschichte verwandelt“.
11 Vgl. die folgenden Äußerungen in G W 4, 10: „Wenn aber das Absolute, wie
seine Erscheinung die Vernunft, ewig ein und dasselbe ist, wie es denn ist; so hat
jede Vernunft, die sich auf sich selbst gerichtet und sich erkannt hat, eine wahre
Philosophie producirt, und sich die Aufgabe gelöst, welche, wie ihre Auflösung,
zu allen Zeiten dieselbe ist. Weil in der Philosophie die Vernunft, die sich selbst
erkennt, es nur mit sich zu thun hat, so liegt auch in ihr selbst ihr ganzes Werk wie
ihre Thätigkeit, und in Rücksicht aufs innre Wesen der Philosophie gibt es weder
Vorgänger noch Nachgänger“. Vgl. auch G W 4, 12: ,Jede Philosophie ist in sich
vollendet, und hat, wie ein ächtes Kunstwerk, die Totalität in sich“, deswegen ist
für H egel kein früheres System als eine bloße Vorübung für die Gegenwart zu
betrachten.
D as abso lu te W is s e n .Z e it , G e s c h ic h t e , W is s e n s c h a f t 255

und auch der Religion des christlichen Mittelalters darin über­


legen, daß sie den Begriff einer neuen Zeit und Zeitlichkeit
auslegt (dazu Brauer 1982, besonders 135 ff., 171 ff. und 185).
N ur bezüglich dieser dritten Zeit, die über die Zyklizität oder
Linearität des Endlichen und des Geschichtlichen sowie über
das Eschatologische hinausreicht, kann man von einem „Ende
der Geschichte“ reden. Dies würde dann bloß hervorheben, daß
das einzige Interesse der Geschichte der Philosophie sicherlich
nicht ihre Geschichte ist, sondern die Philosophie selbst (dazu Vieil-
lard-Baron 1978, 20). N ur in diesem Sinne ist für die philoso­
phische Wissenschaft qua Philosophie die Zeit und die G e­
schichte getilgt, indem sie sich der Macht der Notwendigkeit
bemächtigt und ihre (neue) Zeit frei in ihrem Denken bestimmt.
Ein solcher Charakter würde dann die Philosophie gar nicht als
a-historisch erklären, sondern im Gegenteil gerade ihre G e­
schichtlichkeit fundieren.

III. D er Abschluß der Gestaltung und die


Entäußerung/Erinnerung zu einer
neuen Unmittelbarkeit: die „Vernunft“
des absoluten W issens und sein Begriff

„In dem Wissen hat also der Geist die Bewegung seines Gestal-
tens beschlossen“ (G W 9, 431), da der Begriff die Versöhnung
von Sein und Selbst erlangt hat. Aber dennoch ist dies Ende
auch ein neuer Anfang, der den Aufriß des Systems vorzeichnet.
Das Wissen des Geistes von sich im Denken ist demgemäß auch
das Wissen seines Seins als der Raum außer sich - im Schauplatz
der Natur, in der der Geist das „Theater“ seines Werdens fin­
det -, sowie das Wissen seiner Selbst als die Zeit seiner Geschich­
te. Die Doppelungen und Entzweiungen, die den Lauf des
Bewußtseins begleitet hatten, kehren hier auf einem anderen
Niveau wieder, da die Spaltung von Wahrheit und Gewißheit in
der wirklichen Vernunft des Systems vereinigt wird: Die Entäu­
ßerung in die Ausdehnung des Seins und der Substanz und die
Erinnerung in die Tiefe des selbstbewußten Subjektes bilden
nun die Richtlinien einer skizzierten Philosophie der Natur und
des Geistes, aber auch einer Rückkehr zum Dasein des neuen
256 G a b r ie l l a B a p t is t

Anfanges und der neuen Geburt als „neue Welt und Geistesge­
stalt“ (G W 9, 433). Von zentraler Bedeutung ist hier besonders
die Bewegung der Erinnerung (vgl. dazu Verra 1970), in der
sowohl eine platonische Reminiszenz als auch ein christlicher
Zug wiederzuerkennen ist, indem Platos Anamnesis und Chri­
stus Kreuzweg in der „anamnèse salvifique“ des absoluten Wis­
sens zusammenfallen (Vieillard-Baron 1978, 37 ff.).
Schon in den Jenaer Logikentwürfen hatte Hegel das Erken­
nen als Operation des Resümierens und als Kreisbewegung
aufgefaßt (vgl. G W 7, 116-117), ebenso war die Selbsterkennt­
nis des Geistes als Kreislauf der Rückkehr in sich aus seinem
Anderen und in den Anfang zurück dargestellt (vgl. G W 7, 173
und 177).12 Das Sinnbild des Kreislaufes kann jetzt auch für die
neue Geschichte und Geschichtlichkeit gelten, die durch die
Vernunft und den Begriff des absoluten Wissens definiert wer­
den, also nach der Versammlung seines Werdens in seinem
Bewußtsein und nach der Besinnung auf sein zeitliches Wesen
in seinem Selbstbewußtsein. Die unterschiedlichen Typen von
Geschichte, die in der Phänomenologie selbst ihren Schauplatz
gefunden hatten - etwa die aus der Geschichte herausgezoge­
nen Beispiele zur Einübung in die Kategorialität, die tatsächli­
che Weltgeschichte, die typologische Geschichte des Bewußt­
seins oder der Religion - ordnen sich hier demnach begrifflich
zu drei verschiedenen Geschichten, bei denen eine kreisför­
mige Vermittlung zwischen dem Kontingenten und dem Lo-
gisch-Systematischen ermöglicht wird: So gibt es die zufällige
Geschichte des bloßen Geschehens, sozusagen die „histoire évé­
nementielle“ als einfaches Werden und Wahrheit des Seins und
des Lebens des Geistes, als sein Schicksal, dann die bewußt­
seinsmäßig organisierte Geschichte des erscheinenden Wissens,
die die Phänomenologie selbst als Geschichte der Erfahrung des
Bewußtseins, als Weg der Verzweiflung durch die „Gallerie von
Bildern“ (GW 9, 433) und als Gewißheit und Erkennen des
Geistes darstellt und schließlich die begriffliche und begriffene

12 Vgl. auch den dort betonten Übergang von dem absoluten Geist zur N atur als
seinem Anderen, sowie die Definition der N atur als „der sich auf sich selbst
beziehende absolute G eist“, „der als das Andre seiner selbst sich darstellende
G eist“ in G W 7, 179 und 184. Auch die Zeit wurde in der Jenaer Naturphiloso­
phie als ein Kreislauf aufgefaßt, vgl. G W 7, 195.
D as abso lu te W is s e n .Z e it , G e s c h ic h t e , W is s e n s c h a f t 257

Geschichte der Wissenschaft und der Philosophie selbst als die


erreichte Wirklichkeit des Wissens, als die wahrhafte und ge­
wußte Geschichte und Geschichtlichkeit des absoluten Geistes.
N ur bei dieser letzten Geschichte und Geschichtlichkeit gilt die
Tilgung und Aufhebung im Begriffenen nicht nur hinsichtlich
der Geschichte oder der Zeit selbst als zufälliges Geschehnis,
sondern auch hinsichtlich des bloß Geschichtlichen:13 Keine
Aufeinanderfolge von Tatsachen und auch keine Gestaltungen
charakterisieren deswegen diese allerletzte Stufe des Geistes,
sie ist vielmehr jenes Geisterreich, das nicht von ungefähr die
letzten, nach dem Zeugnis von Michelet und Rosenkranz vom
Jenaer H eft inspirierten Seiten der Berliner Vorlesungen über die
Geschichte der Philosophie abschließt. Bekanntlich gleichen die
dortigen Ausführungen vielen Begriffen und Wendungen des
letzten Kapitels der Phänomenologie, wie etwa der berühmte
Abschluß: „Es ist eine neue Epoche in der Welt entsprungen“
oder die Betrachtungen, nach denen der Standpunkt der Zeit
„die Reihe der geistigen Gestaltungen“ abschließe, welche „das
wahrhafte Geisterreich“ ist (Werke 15, 689-691).14
Bei der früheren Besinnung über die Zeit hatte man das
Zusammenfallen von zwei verschiedenen Zeiten beobachten
können, die retrospektive Zeit der Versammlung und die per­
spektivische Zeit des Horizontes, das heißt die chronologische
und lineare Zeit des Ablaufes in der Natur und in der Geschich­
te und die vorstellungsmäßige Zeit der Offenbarung und der
Erlösung als Antizipation der logisch-teleologisch-prozessualen
Zeit des begrifflichen Verständnisses. Dies markierte das Auf­
kommen der neuen Zeit des Denkens, das die Zeit des Seins als
bloßes In-der-Zeit-Sein des Geistes und die Zeit des Wesens als
Temporalität der geistigen Substanz und des geistigen Subjektes
überschreitet. Wenn die Zeit des absoluten Wissens als eine
dritte Zeit betrachtet werden muß, die weder die objektive und
endliche Zeit des natürlichen und geschichtlichen Geschehens

13 V gl. Pöggeler 1989, 112-113 zur Unterscheidung zwischen einer Geschichte


als Dasein des Geistes, als Lehre von seinen Erscheinungen und schließlich als
logisch-systematischer Begriffsgeschichte.
14 U ber das Jenaer H eft vgl. das Vorwort von Karl Ludwig Michelet in Hegel,
Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Werke 13, V I ff., sowie Rosenkranz
1844,202.
258 G a b r ie l l a B a p t is t

als Zeit des tragischen Überganges, noch die subjektive und


verinnerlichte Zeit des Sinnes als die Zeit der Reflexion ist,
dann ermöglicht diese „absolute“ Zeit der philosophischen
Neuzeit die neue Geschichte und Geschichtlichkeit des absoluten
Geistes und des Systems der Philosophie. Die Forschung hat sich
wiederholt mit der Problematik der Zeit des absoluten Wissens
auseinandergesetzt: Für Andreas Luckner bietet die Phänome­
nologie als Ganzes eine Genealogie der Zeitbegriffe im Sinne
eines dynamischen Schematismus, wobei Zeit und Begriff iden­
tifiziert werden, um den Dualismus zwischen einer Welt der
Endlichkeit und einer Welt der Ewigkeit zu verhindern, deswe­
gen muß das begreifende „Tilgen der Zeit“ in die Zeit der
Unendlichkeit, in die historisch erfüllte „Gegenwart, kairos,
Augenblick“ gestellt werden (Luckner 1994, 228 und 234). Für
Catherine Malabou ermöglicht das absolute Wissen die dialek­
tische Aufhebung nicht der Zeit überhaupt, sondern einer ge­
wissen Zeit, indem die vom Denken befreite Zukunft eine neue
Zeit der Synthese zwischen der griechisch-teleologischen und
der christlich-linearen Zeit ankündigt (Malabou 1996, 176 ff.).
In der vom absoluten Begriff geleisteten und in der Aufeinan­
derfolge des Geisterreiches erlangten „Offenbarung der Tiefe“
(GW 9, 433) gelingt nach Hegel jedenfalls das wechselseitige
Ineinandergehen von Ent-Äußerung und Er-Innerung, das
heißt von Ausdehnung in die Vergegenständlichung und Ver­
senkung ins „entgegenständlichte“ Subjekt: „Nach“ der Zeit als
„Schicksal“ der Endlichkeit und „nach“ der Geschichte als
„Golgotha“ einer Höllenfahrt15 ist diese Zeit und diese G e­
schichte des Begriffes, diese begriffliche Zeit und diese begrif­
fene Geschichte jene versöhnende geistige „Unendlichkeit“ ,
die das letzte Wort des absoluten Wissens - und der Phänomeno­
logie des Geistes - sagt: „aus dem Kelche dieses Geisterreiches /
schäumt ihm seine Unendlichkeit“ (GW 9, 434), die berühmte
Variation eines Verses aus Schillers Die Freundschaft, mit der
Hegel sein Werk abschließt.16

15 Man achte auf die Anwendung der Metapher einer „Schädelstätte des absolu­
ten Geistes“ in G W 9, 434, die analog zur früheren Darstellung der Zeit als
„Schicksal“ gebraucht wird.
16 Bekanndich hatte Schiller in dem 11. und 12. seiner Briefe Ueber die ästhetische
Erziehung des Menschen, schon an einem Tilgen der Welt sowie an eine Aufhebung
D as abso lu te W is s e n .Z e it , G e s c h ic h t e , W is s e n s c h a f t 259

In der Vorrede, bekanntlich nach dem Abschluß des Kapitels


über das absolute Wissen verfaßt, treten wiederholt Anklänge
an die dort umrissenen Züge eines neuen Denkens und einer
neuen Zeit auf. Zu demonstrieren, „daß die Erhebung der Phi­
losophie zur Wissenschaft an der Zeit ist“ (G W 9, 11), ist
schließlich als Vorhaben des ganzen Werkes vorgestellt: Nach
Hegel hat der Geist „mit der bisherigen Welt seines Daseyns
und Vorstellens gebrochen“ (G W 9, 14, Hervorhebungen von
G. B.), so daß man in einem Übergang zu einer neuen Periode
lebt, deswegen ist „unsre Zeit eine Zeit der Geburt“ (ebenda),
in der sich das Erkennen nicht mehr bloß „mit dem Ansich oder
dem Wesen begnügen“ (GW 9, 19, Hervorhebungen von G. B.)
wird. „Der Geist, der sich so als Geist weiß, ist die Wissenschaft.
Sie ist seine Wirklichkeit und das Reich, das er sich in seinem
eigenen Elemente [das heißt im Begriff - G. B.] erbaut“ (GW 9,
22).
Um mindestens eine vorläufige Bilanz des letzten Kapitels
und der zuletzt verfaßten Seiten der Phänomenologie des Geistes
ziehen zu können, sollte man abschließend noch berücksich­
tigen, daß vermutlich Hegel nur hier den Zusammenhang zwi­
schen Zeit, Geschichte und Wissenschaft ausdrücklich aufar­
beitet und so etwas wie eine Zeit und eine Geschichtlichkeit der
Vernunft und des absoluten Geistes skizzenmäßig darlegt. D ie­
ser Zusammenhang mußte später durch eine allmähliche Be­
schränkung der Rollen von Zeit und Geschichte auf die Berei­
che der Natur- beziehungsweise der objektiven Geistesphiloso­
phie eher verdeckt bleiben. Uber das Problem hinaus, ob die
von Hegel umrissene Zeit, ob die neue Art von Geschichtlich­
keit und ob die angestrebte Wissenschaft immer noch unsere
Zeit, unsere Geschichte beziehungsweise Geschichtlichkeit und
unsere Wissenschaft sind, bleiben allerdings jene getilgte Zeit
des Begriffs aus der Phänomenologie des Geistes als punktuelle
Erfahrung der Unendlichkeit, der Verweis auf eine Geschicht­
lichkeit der Vernunft und des Geistes sowie Hegels Appell zu
einer neuen Wissenschaft weiterhin eine Aufforderung auch für
das zeitgenössische Denken. Der Begriff eines absoluten Wis-

der Zeit und ihres Werdens appelliert, vgl. Schiller 1962, 341 ff., besonders 343
und 346.
2Öo G a b r ie lla B a p t is t

sens scheint zwar meistens im voraus verdächtig zu sein, trotz­


dem bedeutet er bei Hegel gar nicht so etwas wie eine endgül­
tige Offenbarung oder Verklärung und auch nicht einen End­
punkt, der ein für allemal erreicht wäre, sondern er meint
gerade die Möglichkeit, eine offene Zeit und eine offene G e­
schichte immer vom Neuen begrifflich zu versammeln und
durch „neue Geburten“ zu verwirklichen. Weder der tragische
Verlust der Endlichkeit noch die Illusion einer anderen Zeit und
einer anderen Geschichte, sondern der immer zu leistende Pro­
zeß der Entäußerung an die Oberfläche der Natur und in die
Ausdehnung des Seins sowie die Erinnerung in die Tiefe der
Geschichte und des Selbst hinein erweisen sich als ein offener
Blick auf das Ganze.

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13

U do Rameil

Die Entstehung der


,enzyklopädischen 4
Phänomenologie in Hegels
propädeutischer
Geisteslehre in Nürnberg

i.

In die Zeit von 1808 bis 1816, in der Hegel als Rektor und
Philosophielehrer am Gymnasium in Nürnberg wirkt, fallen
zwei Ereignisse, die für die genuine Gestalt der Hegelschen
Philosophie von herausragender Bedeutung sind: Zum einen
erarbeitet und veröffentlicht Hegel in den Nürnberger Jahren
die beiden Bände der Wissenschaft der Logik (1812/13 und 1816),
zum anderen entwickelt er in dieser Zeit die Enzyklopädie der
philosophischen Wissenschaften als Gesamtdarstellung seines phi­
losophischen Systems. Diese beiden philosophischen Projekte
stehen allerdings in einem ganz unterschiedlichen Verhältnis zu
Hegels Nürnberger Gymnasialunterricht. Während er mit der
Wissenschaft der Logik in den Zustand der Wissenschaft der Philo­
sophie seiner Zeit eingreifen will, „um einen neuen Begriff
wissenschaftlicher Behandlung“ (G W 11, 7)1 der Philosophie
und eine neue Grundlegung ihrer Methode zu etablieren, ent­
wirft er die Enzyklopädie unmittelbar als integralen Teil seines

1 In Ergänzung zum Siglenverzeichnis dieses Bandes werden für Zitate aus Hegels
Werken folgende Siglen verwendet:
N S: G . W. F. Hegel: Nürnberger Schriften 1808-1816. H g. vonJ.Hoffmeister.
Leipzig 1938
H Enz: G . W. F. Hegel: Sämtliche Werke. H g. von H . Glöckner. Band 6: Enzyklo­
pädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse und andere Schriften
aus der Heidelberger Zeit. Stuttgart 1968 (Faksimile-Nachdruck der Origi­
nalausgabe der Enzyklopädie, Heidelberg 1817)
264 U do R a m e il

gymnasialen Lehrprogramms und übernimmt sie in dieser Form


später dann - mit einigen Modifikationen und weiteren Ausar­
beitungen - als Grundlage auch für seine akademischen Vorle­
sungen in Heidelberg und Berlin.
Freilich hat Hegel auch auf dem Gebiet der Logik zentrale
und für die besondere Gestalt seiner spekulativen Logik charak­
teristische Elemente, die über seine Jenaer Entwürfe zur Logik
hinausgehen, im Kontext seiner Logikkurse am Nürnberger
Gymnasium ausgearbeitet; und er konnte dies tun, weil er im
Gymnasialunterricht seine eigene spekulativ-ontologische L o ­
gik vortrug, soweit er dies im Rahmen der philosophischen
Propädeutik für möglich hielt. So läßt sich anhand des überlie­
ferten Textmaterials aus Hegels Nürnberger Zeit beispielsweise
aufzeigen, daß er in seinen propädeutischen Logikkursen zum
erstenmal eine (in den Jenaer Logik-Entwürfen noch fehlende)
eigenständige Wesenslehre konzipiert; und in der Lehre vom
Begriff ist die allmähliche Herausbildung eines eigenen Ab­
schnitts zur Objektivität und die sukzessive Integration der
Ideenlehre in die subjektive Logik rekonstruierbar.2 Die Wissen­
schaft der Logik insgesamt jedoch und ihre spezifische diskursive
Darstellungsform verdanken sich nicht der gymnasialen Lehr­
tätigkeit Hegels. Vielmehr ist dieses umfangreiche Hauptwerk
der Hegelschen Philosophie als nicht unmittelbar auf die Lehre
bezogene, sondern dezidiert wissenschaftliche Publikation neben
den Unterrichtsverpflichtungen und trotz der damit verbunde­
nen Belastungen entstanden und den von Hegel als Mühsal
empfundenen Schulverhältnissen sozusagen ,abgetrotzt1. So
macht Hegel für die aufgetretenen Schwierigkeiten bei der
Abfassung und für die Verzögerungen bei der Fertigstellung der
Wissenschaft der Logik „meine Amts-Verhältnisse und andere
persönliche Umstände“ verantwortlich, die ihm „nur eine zer­
streute Arbeit“ an der wissenschaftlichen Darstellung der Logik
erlaubten (GW 12, 6).3

2 Siehe dazu Verf. 1993: Der teleologische Übergang zur Ideenlehre und die Entstehung
des Kapitels „ Objektivität“ in Hegels propädeutischer Logik. In: Hegel-Studien 28,
165-191.
3 „Vorbericht“ zur Begriffslehre von 1816, also nach Abschluß des gesamten
Projekts; ähnlich äußert sich H egel bereits zu Beginn der Veröffentlichung der
Wissenschaft der Logik in einem Brief an Niethammer vom 5. Februar 1812: „Es ist
D ie E n t s t e h u n g d e r e n z y k l o p ä d is c h e n 1P h ä n o m e n o l o g ie 265

Die Wissenschaft der Logik ist nach Hegels eigenem Bekunden


als systematische ,Fortsetzung1 der Phänomenologie des Geistes
geschrieben. Auch die Phänomenologie von 1807 ist ohne direk­
ten Bezug auf eine Lehrsituation als rein wissenschaftlich-
diskursive Abhandlung entworfen, und zwar als „Erster T heil“
dessen, was Hegel auf dem Titelblatt als „System der Wissen­
schaft“ bezeichnet (GW 9, 3). In einer „Selbstanzeige“ kündigt
Hegel an: „Ein zweyter Band wird das System der Logik als
speculativer Philosophie, und der zwey übrigen Theile der Phi­
losophie, die Wissenschaften der Natur und des Geistes enthalten“
(GW 9, 447). Nach diesem Gesamtplan einer Darstellung des
philosophischen Systems von 1807 bilden die beiden Bände der
Wissenschaft der Logik von 1812/13 und 1816 mithin den Anfang
oder den ersten Teil des auf die Phänomenologie folgenden zwei­
ten Bandes des Gesamtsystems der philosophischen Wissen­
schaften. Diese Bestimmung des Verhältnisses von Phänome­
nologie und Logik im philosophischen System greift Hegel
1812 in der „Vorrede“ zum ersten Band der Wissenschaft der
Logik auf; ursprünglich „war dem ersten Theil des Systems der
Wissenschaft (Bamb. und Würzb. bey Göbhard 1807), der die
Phänomenologie enthält, ein zweyter Theil zu folgen bestimmt,
welcher die Logik und die beyden realen Wissenschaften der
Philosophie, die Philosophie der Natur und die Philosophie des
Geistes, enthalten sollte, und das System der Wissenschaft be­
schlossen haben würde“ (GW 11, 8). Der unvermeidbar große
Umfang der Logik habe allerdings zur gesonderten Publizie-
rung der Logik geführt; „sie macht also in einem erweiterten
Plane [seil, im ,System der Wissenschaft1] die erste Folge zur
Phänomenologie des Geistes aus. Späterhin werde ich die Bear­
beitung der beyden genannten realen Wissenschaften der Phi­
losophie folgen lassen“ (a. a. O.). Diesen ursprünglichen Plan
einer Komplettierung der ausführlichen wissenschaftlichen G e­
samtdarstellung des Systems der philosophischen Wissenschaf­
ten hat Hegel allerdings nicht in die Tat umsetzen können; über
die Logik als ,erste Folge zur Phänomenologie des Geistes1 ist
er - was den diskursiv-wissenschaftlichen Darstellungsstil be­
trifft - nicht hinausgekommen. Am Ende seines schriftstelleri-

keine Kleinigkeit, im ersten Semester seiner Verheuratung ein Buch des abstruse­
sten Inhalts von 30 Bogen zu schreiben.“ (Br I, 393)
266 U d o R a m e il

sehen Werkes räumt Hegel ein, daß er die ausführliche Bearbei­


tung der realphilosophischen Systemteile hat schuldig bleiben
müssen. Allerdings kann er auf eine Kompensationsleistung
verweisen, die er als geeignet ansieht, das Fehlen der angekün­
digten monographischen Darstellung der auf die Phänomeno­
logie folgenden Systemteile auszugleichen. In einer Fußnote,
die er in der zweiten Auflage der Wissenschaft der Logik von 1832
der wiederabgedruckten „Vorrede zur ersten Ausgabe“ (von
1812) hinzufügt, merkt Hegel an: „An die Stelle des ... erwähn­
ten Vorhabens eines zweyten Theils, der die sämmtlichen än­
dern philosophischen Wissenschaften enthalten sollte, habe ich
seitdem die Encyklopädie der philosophischen Wissenschaf­
ten ... ans Licht treten lassen“ (GW 21, 9).
Die Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften kann mit­
hin - nach Hegels eigener Auskunft - als Stellvertreter1 ange­
sehen werden, der den - nach dem Systemplan von 1807 - auf
die Phänomenologie des Geistes folgenden zweiten Systemteil (Lo­
gik, Natur- und Geistesphilosophie) ersetzen soll - freilich nun
in einem anderen Darstellungsstil: nicht mehr wie anfangs ge­
plant in der umfassend ausgearbeiteten diskursiven Form wis­
senschaftlicher Monographien, sondern bloß als „Grundriß“ ,
als ein zu Zwecken der akademischen Lehre in Paragraphen
eingeteiltes und mündlich zu erläuterndes Kompendium. In
eins mit der Veränderung der Darstellungsform hat aber auch
eine einschneidende inhaltlich-systematische Änderung statt­
gefunden: Im Aufbau des neuen ^stellvertretenden1) enzyklopä­
dischen Systems hat die Phänomenologie des Geistes nicht län­
ger die Funktion einer Einleitung in das philosophische System,
und in ihm nimmt die Phänomenologie nicht mehr wie 1807 als
diese systematische Einleitung zugleich den Rang des ersten
Teils des Systems selber ein. Vielmehr ist die Phänomenologie
nun als ein systematischer Bestandteil in die realphilosophische
Lehre vom subjektiven Geist integriert, und als geistesphiloso­
phischer Systemteil ist sie reduziert auf die ersten Gestalten des
erscheinenden Geistes (Bewußtsein, Selbstbewußtsein und Ver­
nunft) des Werkes von 1807.4

4 Dies ist nicht der erste Wandel in H egels Systemkonzeption. Zu Hegels vor der
Phänomenologie liegenden Systementwürfen und zu der Rolle der Logik als wissen­
schaftlicher Einleitung in die spekulative Philosophie oder Metaphysik siehe
D ie E n t s t e h u n g d e r e n z y k l o p ä d is c h e n 1P h ä n o m e n o l o g ie 267

Die beiden herausgehobenen Charakteristika, die Hegels en­


zyklopädisches System auszeichnen, sowohl die neue darstelle-
risch-formale Präsentation als auch der neue systematische G e­
samtentwurf, sind von Hegel unmittelbar im Rahmen seiner
gymnasialen Philosophiekurse erarbeitet worden: Der kom-
pendiarische Darstellungsstil und der dreiteilige Systemaufbau
ohne vorangehende Phänomenologie als systematische Einlei­
tung (und erster Systemteil) sowie die Einbeziehung einer ab-
breviativen Phänomenologie in die realphilosophische Lehre
vom Geist resultieren aus Hegels Nürnberger philosophischen
Propädeutik.

II.

Hegel hat sein endgültiges und vollständiges System der Philo­


sophie erstmals 1817 in der Heidelberger Enzyklopädie der philo­
sophischen Wissenschaften veröffentlicht, zehn Jahre nach dem
Erscheinen der Phänomenologie des Geistes. Die im enzyklopä­
dischen Gesamtsystem nun als Mittelteil der Philosophie des
subjektiven Geistes fungierende Kurzversion der enzyklopädi­
schen1 Phänomenologie ist allerdings schon sehr bald nach der
Publikation des Werkes von 1807 in Hegels philosophischen
Lehrvorträgen am Gymnasium in Nürnberg entstanden. Die
erhaltenen Texte aus Hegels Nürnberger Jahren geben Auf­
schluß darüber, daß er bereits in den ersten Philosophiekursen
von 1808/09 und 1809/10 das - die ersten drei Bewußtseins-
Gestalten umfassende - Kurzprogramm der Phänomenologie
entwickelt und in den Kontext einer enzyklopädischen Gesamt­
darstellung des philosophischen Systems einordnet. Und zwar
geschieht dies in einem engen Zusammenspiel zweier Motive,
die Hegel bei der Auswahl und der Festlegung seiner Lehrin-
halte leiten: E r verbindet die strikte Orientierung an den inhalt­
lichen und formalen Vorgaben des maßgeblichen Lehrplans mit

Diising, K. 1976 : Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Hegel-Studien.


Beiheft 15. Bonn und Baum, M. 1986: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik.
Bonn.
268 U do R a m e il

dem Festhalten und der Weiterentwicklung der eigenen spezifi­


schen Konzeption einer spekulativ-idealistischen Philosophie.5
Wer sich einen Überblick über die überlieferten Quellen
verschafft, die Hegels Wechsel von Bamberg nach Nürnberg
dokumentieren, wird nicht umhin können zu konstatieren, daß
Hegel die mit diesem Ortswechsel verbundene Berufsverände­
rung von 1808 recht überstürzt und in bezug auf die ihn erwar­
tenden neuen Aufgaben weitgehend unvorbereitet vollziehen
mußte. Hegel hoffte in Bamberg bis zuletzt auf eine M ög­
lichkeit, in eine Universitätstätigkeit zurückzukehren, und ent­
schied sich erst im Oktober 1808, sozusagen in letzter Minute,
auf Niethammers Angebot einzugehen und das Amt des Rek­
tors des Aegidiengymnasiums und des Professors der philoso­
phischen Vorbereitungswissenschaften anzutreten, um sich da­
durch endlich „vom Zeitungsjoche“ (Br I 239) in Bamberg be­
freien zu können. Läßt schon diese äußerst späte Entscheidung
kaum eine hinreichend gründliche Unterrichtsvorbereitung bis
zum nahen Beginn des Schuljahres zu, so kommt noch hinzu,
daß in Nürnberg eine völlige Neuorganisation des Gymnasiums
nach Niethammers Reformplänen anstand. Als Hegel Anfang
November 1808 seine offizielle Ernennung in das für ihn gänz­
lich neue Amt erhielt, war er noch in völliger Unkenntnis über
die Inhalte des reformierten Lehrplans, der zu dieser Zeit auch
in Nürnberg noch gar nicht vorlag. Daraufhin schreibt Hegel
an Niethammer: „Selbst nach Eintreffen des Lehrplans werden
wenigstens ein paar Tage, für den Lehrer der philosophischen
Vorbereitungswissenschaften mehr als für andere, ... nötig sein,
um ihr halbjähriges Pensum zum voraus zu übersehen. - Ich
weiß auch noch gar nichts weder über die philosophischen
Lehrgegenstände oder Wissenschaften, die auf einem Gymna­
sium zu lehren sein werden, noch über Bücher, die dabei als
Leitfaden zugrunde zu liegen haben, noch ob mein Unterricht
verschiedenen Klassen ... zugeteilt werden wird“ (B rI 260 f.).
Von seinem Freund Paulus, dem neuen Kreisschulrat in N ürn­
berg, erhält Hegel wenige Tage vor Unterrichtsbeginn die erste

5 Siehe hierzu und zu den folgenden Darlegungen die ausführlichere Abhand­


lung vom Verf. 1990: Die Phänomenologie des Geistes in Hegels Nürnberger Propädeu­
tik. In: L. Eley (Hg.): Hegels Theorie des subjektiven Geistes in der „Enzyklopädie der
philosophischen Wissenschaften im Grundrisse“. Stuttgart-Bad Cannstatt, 84-130.
D ie E n t s t e h u n g d e r e n z y k l o p ä d is c h e n 1P h ä n o m e n o l o g ie 269

detaillierte Mitteilung über die anstehenden philosophischen


Lehrgegenstände, wie sie das neue, auf Niethammer zurückge­
hende Allgemeine Normativ der Einrichtung der öffentlichen Un­
terrichtsanstalten6 vorschreibt.
Welchen inhaltlichen Anforderungen sieht sich Hegel zu Be­
ginn seiner Unterrichtstätigkeit am Nürnberger Gymnasium
gegenüber? Das Normativ gibt als philosophischen Lehrgegen-
stand für die höchste gymnasiale Schulstufe, die Oberklasse, den
„allgemeinen Zusammenhang der Wissenschaften“ unter dem
Titel einer „philosophischen Enzyklopädie“ an; von Anbeginn
seiner Nürnberger Lehrtätigkeit an ist Hegel also mit der Auf­
gabe konfrontiert, gemäß dem vorgegebenen Lehrplan eine
Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften auszuarbei­
ten und vorzutragen. Für die zweijährige Mittelklasse sieht das
Normativ „logikalische Übungen“ (untere Mittelklasse) und
„Einleitung in die Philosophie“ mit der Alternative „Psycholo­
gie“ (obere Mittelklasse) vor. Hegel versucht nun offenbar zu
Beginn seines Philosophieunterrichts, den Vorgaben des Nor­
mativs in der Weise gerecht zu werden, daß er alle im Lehrplan
für die Mittelklasse aufgeführten philosophischen Lehrinhalte
(Logik, Einleitung in die Philosophie, Psychologie) miteinander
in eine inhaltlich-konzeptionelle Verbindung bringt und in ei­
nem Kursus thematisiert.7
Wenn unterstellt werden kann, daß Hegel sich - ohne jede
Lehrerfahrung im Gymnasialunterricht - in eine solche Aus­
gangssituation für seinen ersten Philosophiekurs für die Mittel­
klasse (1808/09) gestellt sieht, dann fragt sich, wie er diese Lage
zu meistern imstande ist. Schon die große Zeitnot bis zum

6 Vollständiger Abdruck in: Monumenta Germaniae Paedagogica. Bd X L II: Mittel-


schulgeschichtliche Dokumente Altbayerns, einschließlich Regensburgs. 2. Bd.
Berlin 1908. W iederabdruck in: Niethammer, F. I. 1968: Philanthropinismus —
Humanismus. Texte zur Schulreform. Bearbeitet von W. Hillebrecht. Weinheim
u. a. - Teilabdruck in: Rosenkranz, K . 1844: G. W. F. Hegels Leben. Berlin (Nach­
druck Darmstadt 1977), 2 54 f.; siehe auch T W 4, 5 98 f.
7 Dieselbe Tendenz zur Verbindung der im Normativ für eine Klassenstufe alter­
nativ aufgeführten philosophischen Lehrgegenstände läßt sich an H egels erstem
Kursus für die Unterklasse von 1809/10 beobachten, in dem er von den allgemei­
nen Begriffen der Logik zu den Grundbegriffen der RechtsPflichten- und Religions­
lehre überging; siehe H egels Bericht N S 4, T W 4, 295. Von diesem (einmaligen)
Vorgehen rückt H egel in den folgenden Jahren ab; siehe H egels Gutachten von
1812: N S 437, T W 4,405.
270 U do R a m e il

Unterrichtsbeginn läßt es nicht zu, an einen völlig neuen the­


matischen Entwurf einer „Einleitung in die Philosophie“ zu
denken; Hegel kann nichts anderes übrig bleiben, als auf seine
Jenaer Konzeption der Philosophie zurückzugreifen. Und da
liegt es auf der Hand, seinen Lehrvorträgen über die „Einlei­
tung in die Philosophie“ dasjenige philosophische Projekt zu­
grunde zu legen, das er zuletzt in Jena zum Abschluß gebracht
hatte: die Phänomenologie des Geistes von 1807. Denn die Phäno­
menologie war ja gerade als Einleitung in die Wissenschaft der
Philosophie konzipiert worden. Und auch unter der Annahme,
daß Hegel die Angaben des Normativs so auslegt, daß die für die
Mittelklasse geforderte „Einleitung in die Philosophie“ sich der
speziellen Disziplin der Psychologie zuzuwenden habe, muß sich
für ihn die Phänomenologie des Geistes als geeignetes Grundgerüst
und Leitfaden geradezu anbieten. Freilich in der Weise, daß
Hegel dabei seine spekulative Auffassung einer philosophischen
Psychologie zugrunde legt, die er von der ,gewöhnlichen1 Psy­
chologie als empirischer Lehre von den Vermögen und Leistun­
gen der Seele absetzt (siehe Enzyklopädie (1817) § 367 Anm.). Die
Phänomenologie von 1807 hat nun gerade die Aufgabe, als Ein­
leitung in die Wissenschaft der spekulativen Philosophie das
absolute Wissen als das Element der spekulativen Philosophie
dadurch zu begründen, daß die Leistungen und Fähigkeiten des
Geistes als Erkenntniskraft in ihrer genetischen Entwicklung
aufgezeigt und im Zusammenhang ihrer systematischen Abfol­
ge dargestellt werden. Die Phänomenologie als „ausführliche G e­
schichte der Bildung des Bewußtseyns selbst zur Wissenschafft“
(GW 9, 56) steht so in der Tradition einer idealistischen G e­
schichte des Selbstbewußtseins.8 Als solche soll sie - gemäß der
„Selbstanzeige“ Hegels - „an die Stelle der psychologischen
Erklärungen, oder auch der abstractern Erörterungen über die
Begründung des Wissens treten“ (GW 9, 446). Wenn Hegel
1808/09 als Them a des philosophischen Einleitungskurses im
Anschluß an die Bestimmungen des Normativs die Psychologie
wählt, dann im dezidierten Sinne einer spekulativen Lehre vom
Geist nach dem idealistischen Entwurf der Phänomenologie des
Geistes von 1807. Dem entspricht Hegels Lehrprogramm zu

8 Siehe dazu Diising, K . 1993: Hegels „Phänomenologie“ und die idealistische Ge­
schichte des Selbstbewußtseins. In: Hegel-Studien 28, 103-126.
D ie E n t s t e h u n g d e r e n z y k l o p ä d is c h e n 1P h ä n o m e n o l o g ie 271

Beginn des ersten Unterrichtsjahres, wie er es Niethammer am


14. Dezember 1808 ankündigt: „In der Mittelklasse gedenke
ich gewissermaßen Psychologie, nämlich mehr als Geisteslehre
denn als Seelenlehre in der bisherigen, gleichsam naturge-
schichtlichen, völlig unspekulativen oder durch keinen Begriff
zusammenhängenden Weise vorzunehmen.“ (B rI, 272)

III.

Aus Hegels Bestreben, die Vorgaben des Normativs mit den


spekulativ-idealistischen Inhalten seines philosophischen Grund­
konzeptes zu erfüllen, resultiert das Programm einer „Geistes­
lehre als Einleitung in die Philosophie“, wie es Hegel zu Beginn
des ersten Mittelklassenkursus von 1808/09 entwirft. Daß für
ein solches Vorhaben die Phänomenologie des Geistes die nahelie­
gende Grundlage abgeben kann, ergibt sich ganz natürlich,
verfolgt sie doch gerade die systematische Aufgabe einer - die
gewöhnliche Psychologie ersetzenden - Begründung der See­
lenvermögen bis zum absoluten Wissen und somit einer Einlei­
tung in die Philosophie, nämlich in die Logik als spekulativer
Wissenschaft.
Was Hegel im einzelnen im Kursus von 1808/09 zum Them a
macht, geht aus den beiden Manuskripten hervor, die seine
Diktate dokumentieren: Zum einen handelt es sich um Hegels
eigenes Manuskript, das ihm als Vorlage für seine Diktate dient,
zum anderen um eine Nachschrift eines (anonymen) Schülers,
die Hegel als Grundlage zu Überarbeitungen für den folgenden
Kursus von 1809/10 nutzt.9 Hegels Manuskript zeigt bereits

9 H egels Manuskript (eines der sog. Harvard-Manuskripte) wurde nach einer


ersten Edition von J . Löwenberg (Entwürfe zur Enzyklopädie und Propädeutik nach
den Handschriften der Harvard-Universität. In: Hegel-Archiv I, 1. Leipzig 1912)
von J. Hoffmeister - z. T. fehlerhaft - veröffentlicht: N S 11-50, T W 4, 70-110. -
Die Diktat-Nachschrift ist beschrieben von Ziesche, E. 1975: Unbekannte Manu­
skripte aus der Jenaer und Nürnberger Zeit im Berliner Hegel-Nachlaß. In: Zeitschrift
für philosophische Forschung 29, 438 f.; vgl. Der handschriftliche Nachlaß G. W. F.
Hegels und die Hegel-Bestände der Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz.
Teil 1: Katalog, beschrieben von E. Ziesche. Wiesbaden 1995, 212 f. - Zitate aus
diesem Manuskript sind übernommen aus der Edition des Verf. 1994: Texte zu
Hegels Nürnberger Phänomenologie. In: Hegel-Studien 29, 9-61. Zu den schwer-
272 U do R a m e il

vom ersten, drei Paragraphen umfassenden Ansatz an, daß ihm


von vornherein als Lehrgegenstand die Gestalten des Bewußt­
seins aus der Phänomenologie von 1807 vor Augen stehen: Unter
dem ursprünglichen Titel „Von den Arten des Bewußtseins,
Wissens und Erkennens“ (N S 12; T W 4, 70) skizziert er die
Abfolge sinnliche Gewißheit, Wahrnehmung und (gestr., ohne
inhaltliche Ausführung) Verstand. Im zweiten (ebenfalls nicht
weitergeführten) Ansatz seines Manuskripts entwirft Hegel ein
über die Phänomenologie hinausgehendes Gesamtprogramm
für den Kursus zur ,Geisteslehre1; unter dem Titel „Bewußt­
seins· und Seelenlehre“ (NS 13; T W 4, 71) soll die Phänome­
nologie des Geistes als Lehre vom Bewußtsein durch eine Seelen­
lehre ergänzt werden, so daß insgesamt - nach Hegels Gliede­
rungsnotiz - „I. Der Geist nach den verschiedenen Arten seines
Gegenstandes-, II. nach den verschiedenen Arten seiner Tätig­
keit“ (ebd.) thematisiert wird. Die „gewissermaßen Psycholo­
gie“, die ,mehr Geisteslehre als Seelenlehre1ist (Br I, 272; siehe
oben Abschnitt II), ist mithin nach Hegels anfänglicher Planung
zweigeteilt in eine Lehre von den Arten des Bewußtseins gemäß
seinen je verschiedenen Gegenständen (Bewußtseinslehre) und
in eine Lehre von den inneren Tätigkeiten des Geistes (Seelen­
lehre).
Der zweite Ansatz in Hegels Manuskript enthält außer dem
zweistufigen Gesamtaufbau der Geisteslehre von 1808/09 einen
Gliederungsentwurf für die Lehre vom Bewußtsein als dem
ersten Teil dieser Geisteslehre. Diese Gliederung (§ 2) gibt nun
Aufschluß darüber, welche Inhalte Hegel auf der Grundlage der
Phänomenologie von 1807 in der Bewußtseinslehre von 1808/09
zu behandeln beabsichtigt: „A. Das Bewußtsein von abstrakten
Gegenständen. B. Das Bewußtsein von der Welt des endlichen
Geistes. C. Das Bewußtsein von dem absoluten Geiste.“ (NS 13;
T W 4, 72) Setzt man diesen von Hegel zu Beginn des Unter­
richtsjahres 1808/09 skizzierten Aufriß der Bewußtseinslehre
ins Verhältnis zum Gesamtaufbau der Phänomenologie von 1807,
so ist offensichtlich, daß Hegel zunächst keineswegs eine Redu­
zierung des ursprünglichen phänomenologischen Programms

wiegenden Mängeln der alten Edition der Nürnberger Phänomenologie durch


K . Rosenkranz (Werke 18, 79-90) siehe außerdem die in Anm. 5 genannte Ab­
handlung des Verf.
D ie E n t s t e h u n g d e r e n z y k l o p ä d is c h e n 1P h ä n o m e n o l o g ie 273

vorhatte, sondern wie im Werk von 1807 eine vollständige Dar­


legung aller wesentlichen Stationen der Erscheinungslehre des
Geistes bis hin zum absoluten Wissen anstrebt.10 Der dritte und
zum endgültigen Diktattext ausgeführte Ansatz in Hegels M a­
nuskript - jetzt unter dem Titel „Geisteslehre als Einleitung in
die Philosophie“ - schließt in Inhalt und Struktur an den zwei­
ten Ansatz an: Die Zweiteilung des Lehrprogramms in eine
Lehre vom Bewußtsein und in eine Seelenlehre wird in § 2
(N S 14; T W 4, 73) formuliert, die dreiteilige Untergliederung
der Bewußtseinslehre enthält der § 6 (N S 15; T W 4, 74).
Daß Hegel sich mit den genannten „drei Hauptstufen“ (§ 6;
ebd.) des Bewußtseins am ursprünglichen Gesamtkonzept der
Phänomenologie des Geistes orientiert, macht auch der im dritten
Ansatz neu hinzugefügte Eröffnungsparagraph deutlich, in dem
Hegel das Unternehmen einer „Einleitung in die Philosophie“
im Grundzug vorweg zu charakterisieren sucht. Einerseits ist es
die Aufgabe einer Einleitung in die Philosophie als spekulative
Wissenschaft, die sich im Element des absoluten Wissens oder
des absoluten Geistes bewegt, diejenigen „verschiedenen
Beschaffenheiten und Tätigkeiten des Geistes zu betrachten“
(§ 1 - N S 14; T W 4, 73), die als seine - vorläufigen - Gegen­
stands· und Selbstbezüge den Geist in seinen unterschiedlichen
Gestaltungs- und Erscheinungsformen bestimmen, bis er zu
seiner Vollendungsgestalt als Wissenschaft gelangt; die Einlei­
tung in die Philosophie ist so die Vorbereitung auf die eigentliche
philosophische Wissenschaft und leitet insofern in sie ein, als
sie die systematische Abfolge der geistigen Vorstufen themati­
siert, die dem sich als Geist wissenden Geist voraushegen und
vom gewöhnlichen (vor-philosophischen) Bewußtsein mit dem
Ziel durchlaufen und nachvollzogen werden müssen, sich zum
spekulativen Standpunkt des Geistes selbst zu erheben. Ande­
rerseits stehen die geistigen Beschaffenheiten und Tätigkeiten,
welche die zu durchlaufenden Bewußtseinsgestalten als Erschei­
nungsformen des Geistes kennzeichnen, untereinander selbst in
einem „notwendigen Zusammenhange“ (a. a. O.) und bilden
dadurch einen inneren Entwicklungsprozeß, der im Akt der
Selbsterkenntnis des Geistes als Geist mündet; in dieser H in­

10 V gl. Pöggeler, O. 1966: Die Komposition der Phänomenologie des Geistes. In:
Hegel-Studien. Beiheft 3. Bonn 1966, 27-74.
274 U do R a m e il

sicht, daß der Entwicklungsgang des Geistes bis zu seiner


Selbsterkenntnis zugleich ein notwendiger und in seiner N ot­
wendigkeit erkennbarer und erkannter ist, „macht diese Selbst­
erkenntnis gleichfalls eine Wissenschaft aus“ (a. a. O.), und also
hat die Einleitung in die Wissenschaft selbst schon den Charak­
ter der Wissenschaft. Diese beiden in § 1 des Kursus „Geistes­
lehre als Einleitung in die Philosophie“ von 1808/09 unter­
schiedenen und in eine Beziehung gesetzten Momente - wissen­
schaftliche Hinführung zur Wissenschaft - sind nun gerade die
konzeptionell entscheidenden Charakteristika bereits der Phä­
nomenologie des Geistes von 1807, wie sie Hegel in deren „Einlei­
tung“ hervorhebt: Der Erfahrungsprozeß des Bewußtseins im
Durchgang durch seine Gestalten als Erscheinungsformen des
Geistes wird dadurch selbst „zum wissenschaftlichen Gange“
erhoben, daß „die ganze Folge der Gestalten des Bewußtseyns
in ihrer Nothwendigkeit“ aufgewiesen und dargestellt wird;
„durch diese Nothwendigkeit ist dieser Weg zur Wissenschaft
selbst schon Wissenschaft“ (GW 9, 61). Dieser Zusammenhang
von Wissenschaft als Ziel und wissenschaftlichem Weg dorthin
kennzeichnet die systematische Doppelbestimmung der Phäno­
menologie als Einleitung in die philosophische Wissenschaft und
zugleich als erster Teil des wissenschaftlichen Systems. Hegels
„Selbstanzeige“ bringt dieses Grundkonzept der Phänomenolo­
gie von 1807 auf den Begriff: „Sie betrachtet die Vorbereitung zur
Wissenschaft aus einem Gesichtspuncte, wodurch sie eine neue,
interessante, und die erste Wissenschaft der Philosophie ist“
(GW 9, 446). Daß Hegel an diese Konzeption der gedruckten
Phänomenologie zu Beginn seines Gymnasialunterrichts unmit­
telbar anzuknüpfen beabsichtigt, ist nach der in § 1 formulierten
Zielsetzung der „Geisteslehre als Einleitung in die Philosophie“
evident. Offensichtlich will sich Hegel in doppelter Weise eng
am Werk von 1807 orientieren: sowohl prinzipiell hinsichtlich
des systematischen Grundansatzes (§ 1), als auch im einzelnen
in der inhaltlichen Durchführung, indem er in der Bewußt­
seinslehre zunächst das vollständige Programm der Phänomeno­
logie des Geistes zu berücksichtigen plant (§ 6).
D ie E n t s t e h u n g d e r e n z y k l o p ä d is c h e n 1P h ä n o m e n o l o g ie 275

IV

Hegel hat das anfangs projektierte und den Schülern diktierte


Programm seines Kurses von 1808/09 zur „Geisteslehre als
Einleitung in die Philosophie“ im weiteren Unterrichtsverlauf
nicht beibehalten. Weder läßt er der Lehre vom Bewußtsein die
angekündigte Seelenlehre (oder eigentliche Psychologie) fol­
gen, noch stellt er die vollständige Reihe der Erscheinungsfor­
men des Geistes am Leitfaden der publizierten Phänomenologie
dar. In Hegels Manuskript und in der Schülernachschrift der
Diktate folgt in der Hauptgliederung dem Titel „I. Teil. Die
Lehre von dem Bewußtsein“ nicht ein entsprechender Titel
„II. Teil. Seelenlehre“; in der Untergliederung des ersten Teils
bleibt das Kapitel „A. Das Bewußtsein abstrakter Gegenstände“
ohne die in § 6 vorgesehene Fortsetzung durch ein Kapitel
„B. Das Bewußtsein von der Welt des endlichen Geistes“ und
„C. Das Bewußtsein von dem absoluten Geist“. Das einzig aus­
geführte Kapitel A erfährt die Einteilung in „I. Das Bewußtsein
überhaupt“ , „[II.] Das Selbstbewußtsein“, „III. Die Vernunft“.11
N ur bis zum Beginn des Unterkapitels „III. Die Vernunft“
folgt Hegel seinem anfänglichen Plan, der eine Darlegung der
Hauptstufen einer im wesentlichen unverkürzten Phänomeno­
logie (Bewußtseinslehre) mit anschließender Psychologie (See­
lenlehre) vorsieht; nach nur zwei Paragraphen zum Vernunft-
Kapitel12 geht Hegel - ausweislich seines Manuskripts und der

11 Den Aufbau dieses ersten Teils der Bewußtseinslehre hat Hoffmeister in seiner
Edition des Hegelschen Manuskripts durch seine Eingriffe verfälscht; H offm ei­
ster läßt die gesamte Bewußtseinslehre - gegen Hegels eindeutigen Text - geglie­
dert sein in „A. Das Bewußtsein abstrakter Gegenstände“, ,,[B. Selbstbewußtsein]“,
„C. [aus Ms.: m.] Vernunft“ (N S 15, 20, 27). In der Theorie Werkausgabe wird
Hoffmeisters eigenmächtige Gliederung zurecht kritisiert (T W 4, 74 n und 611 f.)
und - der Sache nach zutreffend, aber editorisch unzulänglich und offenbar ohne
direkten Rückgriff auf das Harvard-Manuskript - korrigiert in „A. Das Bewußt­
sein abstrakter Gegenstände; [I. Bewußtsein]“, „[ü . Selbstbewußtsein]“, „[III. Ver­
nunft]“ (T W 4, 74, 78, 85). - Die Untergliederung des Kapitels A ist in Hegels
Manuskript völlig stringent und vollständig durchgeführt, es fehlt lediglich zur
Überschrift „Selbstbewußtsein“ die Gliederungsziffer „II.“ - ausschließlich diese
ist in H egels Manuskript editorisch zu ergänzen. In der Schülernachschrift der
Diktate von 1808/09 ist auch diese Gliederungsziffer enthalten.
12 Offenbar hat H egel ursprünglich eine etwas ausführlichere Darstellung der
Vernunft vorgehabt; eine Randnotiz in H egels Manuskript von 1808/09 lautet:
276 U do R a m e il

Diktatnachschrift - zur Logik über.13 Nach der Programman­


kündigung zu Beginn des Kursus muß ein solcher Übergang zur
Logik für die Schüler überraschend kommen, hatte Hegel doch
vorweg keinerlei Hinweis darauf gegeben, daß er außer der
Geisteslehre (Bewußtseins- und Seelenlehre) noch eine andere
philosophische Disziplin zu behandeln vorhabe. Auch im Aus­
gang von Hegels damaliger philosophischen Systematik bereitet
ein solcher Übergang vom Anfang des Vernunft-Kapitels der
Phänomenologie zur Logik im Rahmen einer „Einleitung in die
Philosophie“ einige Schwierigkeiten. Zwar läßt sich an Hegels
Manuskript von 1808/09 (siehe § [33] - N S 27; T W 4, 85 -u n d
§ 29 der entsprechenden Diktatnachschrift) nachvollziehen, wie
er parallel zur Phänomenologie von 1807 bis zu deren Teil
„V. Gewißheit und Wahrheit der Vernunft“ vordringt und -
weiterhin in Orientierung an der Phänomenologie - einen (frei­
lich gestrichenen und nicht diktierten) Paragraphen zum Kapi­
tel „A. Beobachtende Vernunft, a) Beobachtung der Natur“ ent­
wirft (N S 27 n; T W 4, 85 n), um dann einen Paragraphen (siehe
§ [34] in Hegels Manuskript - N S 27 f.; T W 4, 86) zum näch­
sten Unterkapitel „b)“ der Phänomenologie anzuschließen, das
dort die Stichworte „logische und psychologische Gesetze“
(GW 9, 167) aufführt; der gestrichene ursprüngliche Anfang
dieses Paragraphen lautet in Hegels Manuskript (von Hoffmei­
ster nicht mitgeteilt): „Die logischen Gesetze“ . Daß Hegel nun
aber an die „beobachtende Vernunft“ , die in einem Akt der
Selbstreflexion „die Gesetze des Denkens11 (GW 9, 167) findet,
die Logik selbst anschließt, hat keine Parallele in der Phänome­
nologie von 1807 und entspricht nicht deren Konzeption; denn
die „nähere Entwicklung“ der „sogenannten Denkgesetze“ ge­
hört nach dem Ansatz der Phänomenologie „in die speculative
Philosophie“ (G W 9, 168), mithin nicht in die Phänomenologie,
sondern in die Wissenschaft der Logik. Diese aber bewegt sich
von ihrem Anfang an im Element des absoluten Wissens, auf
das die Phänomenologie insgesamt vorbereitet und in das sie

„Vernjunft,] allgemeines] Selbst, sowohl äußerlich als innerlich“ (vgl. N S 15 n;


T W 4, 74 n).
13 Dieser Übergang ist der Grund, weshalb Hoffmeister H egels Manuskript -
abweichend von H egels Bezeichnung seines Kursus - unter dem Sachtitel „Be­
wußtseinslehre und Logik für die Mittelklasse 1808/09“ ediert hat (N S 11; T W 4,
70, 86).
D ie E n t s t e h u n g d e r e n z y k l o p ä d is c h e n 1P h ä n o m e n o l o g ie 277

einleitet, das hier aber im Vernunft-Kapitel noch gar nicht er­


reicht ist. Daß Hegel 1808/09 gleichwohl an das verkürzte
Programm der Phänomenologie die Logik nicht etwa lediglich
im Sinne irgendwelcher „logikalischer Übungen“, wie es im
Normativ heißt, sondern in der spezifischen Bedeutung einer
spekulativen Wissenschaft anfügen will, geht aus der Einteilung
dieser Wissenschaft in „Logik des Objektiven, des Subjektiven
und der Idee“ (§ [35] - N S 28; T W 4, 86) hervor.14
Nun hatte Hegel bereits in seiner letzten Vorlesung in Jena
vom Sommersemester 1806 die Phänomenologie mit der Logik
so verknüpft, „daß er jene als Einleitung zu dieser nahm“; anders
aber als auf die Weise, wie Hegel 1808/09 tatsächlich verfährt,
bedeutete das 1806, daß Hegel „aus dem Begriff des absoluten
Wissens unmittelbar zu dem des Seins überging“ . (Rosenkranz
1844, 214) Ein solcher Übergang vom absoluten Wissen als der
Endgestalt des sich selbst als Geist erkennenden Geistes zur
Logik als spekulativer Philosophie entspricht dem systemati­
schen Entwurf der gedruckten Phänomenologie von 1807 und
der Wissenschaft der Logik (siehe oben Abschnitt I). Hegels Vor­
gehen im propädeutischen Philosophiekurs von 1808/09, die
Darstellung der Logik direkt an die Behandlung der (beobach­
tenden) Vernunft anzuhängen, findet allerdings keine zurei­
chende Begründung in der systematischen Gesamtkonzeption
seiner Philosophie. Er hat eine solche Verbindung von Phäno­
menologie und Logik weder explizit gerechtfertigt, noch in
einer späteren Lehrveranstaltung wiederholt; in Hegels gesam­
ten Werk bleibt ein solcher Übergang von der Bewußtseinsleh­
re zur Logik, wie Hegel ihn 1808/09 vollzieht, eine singuläre
Ausnahme. Offenbar hat Hegel erst im Verlauf des Unterrichts
die Entscheidung getroffen, in seinem Einleitungskurs auch die
Logik zu behandeln. Vermutlich waren nicht zuletzt didaktische
Gründe ausschlaggebend dafür, im ersten Unterrichtsjahr in
der Mittelklasse die Betrachtung der höher entwickelten Be­
wußtseinsgestalten nicht weiterzuverfolgen, auf die angekün­
digte Seelenlehre ganz zu verzichten und statt dessen die eie­

14 Zu H egels Nürnberger Ideenlehre siehe Verf. 1993: Auflau und systematische


Stellung der Ideenlehre in Hegels propädeutischer Logik. (Erscheint demnächst im
Tagungsband der Marburger Tagung (1993) über Hegels enzyklopädisches System der
Philosophie. H g. von H .-C . Lucas und B. Tuschling.)
278 U do R a m e il

mentaren Grundbegriffe der Logik einzuführen. Dabei mag


der (in Abschnitt II) erörterte Umstand eine Rolle gespielt ha­
ben, daß im Normativ auch die Logik als Lehrgegenstand für die
Mittelklasse aufgeführt ist; darauf war Hegel eigens durch Pau­
lus hingewiesen worden, der ihm Ende November 1808 als
Unterrichtsstoff für die Mittelklasse „Einleitung in die Philoso­
phie nebst logikalischen Uebungen“ (Br I, 264) angegeben hat­
te. Daß Hegel die Logik gegenüber der Geisteslehre für den
didaktisch besser geeigneten Lehrgegenstand eines philosophi­
schen Einleitungskurses hält, geht aus seinem Gutachten für
Niethammer hervor, das er 1812 auf der Grundlage seiner
inzwischen gesammelten Lehrerfahrungen verfaßt hat: „Das
Logische und Psychologische [seil. Bewußtseins- und Seelen­
lehre] ... miteinander verglichen, so ist das Logische im Ganzen
für das Leichtere anzusehen, weil es einfachere, abstrakte Bestim­
mungen zu seinem Inhalt hat, das Psychologische dagegen ein
Konkretes, und zwar sogar den Geist.“ (N S 437; T W 4, 405)15

V
Aus den bisherigen Darlegungen ergibt sich, daß durch Hegels
(unangekündigten) Übergang vom Anfang des Vernunft-Kapi-
tels der Bewußtseinslehre zur Logik das ,Kurzprogramm1 der
Phänomenologie (Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Vernunft)
1808/09 auf eine eher zufällige und - gemessen an Hegels
philosophischer Systematik - recht unerwartete Weise zustande
gekommen ist, und zwar in zweifacher Hinsicht: Zum einen ist
festzustellen, daß Hegel, solange er eine Geisteslehre plant, die
aus einer Bewußtseins- und einer Seelenlehre (oder Phänome­
nologie und Psychologie) bestehen soll, für die Bewußtseins­
lehre keineswegs an eine Kurzversion der Phänomenologie von
1807 denkt, sondern im wesentlichen deren vollständiges Pro­
gramm als Lehrgegenstand vorsieht - im Unterschied zur späte­
ren enzyklopädischen1 Phänomenologie, die ja gerade (gefolgt

15 Daß H egel hier wiederum an eine spekulativ ausgerichtete Psychologie denkt


(siehe Abschnitt II), geht ex negativo aus der Fortsetzung der oben zitierten Stelle
hervor: „Aber zu leicht ist die Psychologie, wenn sie so trivial als ganz empirische
Psychologie ... genommen werden soll.“ (a. a. O.)
D ie E n t s t e h u n g d e r e n z y k l o p ä d is c h e n 1P h ä n o m e n o l o g ie 2 79

von der Psychologie) die ursprünglichen Inhalte der Phänome­


nologie auf die ersten Bewußtseins-Gestalten reduziert; zum
anderen fällt auf, daß Hegel, sobald er im Kursus von 1808/09
von der Phänomenologie zur Logik übergeht und damit im
Grunde die Phänomenologie wie noch in Jena systematisch als
Vorbereitung auf die (spekulative) Wissenschaft behandelt, das
phänomenologische Programm auf die drei ersten Gestalten
des erscheinenden Geistes einschränkt - anders als in der Phä­
nomenologie von 1807, die zwar als eine solche Einleitung in die
spekulative Wissenschaft konzipiert ist, dazu aber immanent
das Erreichen des Standpunkts des absoluten Wissens fordert,
der durch das Durchlaufen des phänomenologischen Kurzpro­
gramms doch noch nicht eingenommen wird. Anders gesagt:
Solange Hegel 1808/09 eine Bewußtseinslehre im Rahmen ei­
ner Lehre vom Geist (also nicht mit folgender Logik, sondern
mit anschließender Psychologie oder Seelenlehre) plant und
insofern - systematisch gesehen - einen realphilosophischen
Zusammenhang (wie in der späteren Enzyklopädie) herstellt,
entwirft er gerade keine (,enzyklopädische1) Kurzform der Phä­
nomenologie, sondern hält an dem vollständigen Programm der
Phänomenologie fest; als er im Verlauf des Unterrichts an die
Phänomenologie die Logik anschließt und insofern - systema­
tisch betrachtet - der Konzeption der Phänomenologie von 1807
folgt, die ein Durchlaufen der vollständigen Reihe der Erschei­
nungsweisen des Geistes bis zum absoluten Wissen erfordert,
beschränkt er das ursprüngliche Programm der Phänomenologie
auf die spätere enzyklopädische1 Kurzform. Von Hegels syste­
matischem Gesamtentwurf seiner Philosophie aus müßte der
Behandlung der Logik das vollständige Programm der Phänome­
nologie (als Einleitung in die spekulative Philosophie oder Logik)
bis hin zur Stufe des absoluten Wissens vorausgehen - das aber
geschieht im Kursus von 1808/09 gerade nicht; vielmehr trägt
Hegel nur eine auf die ersten Bewußtseins-Gestalten reduzierte
Fassung der Phänomenologie vor. Dem tatsächlich vorgetrage­
nen Kurzprogramm der Bewußtseinslehre müßte - wie 1808/09
anfangs geplant - eine Seelenlehre (eigentliche Psychologie)
folgen - statt dessen aber geht Hegel vom phänomenologischen
Standpunkt der Vernunft bereits zur Logik über.
Die im Kursus von 1808/09 auf die erörterte Weise faktisch
entstandene Abbreviation der Phänomenologie wird von Hegel
280 U do R a m e il

im folgenden Unterrichtsjahr 1809/10 in einen veränderten


Kontext gestellt, und gerade dadurch gewinnt sie nun ihre sy­
stematische Fundierung und philosophische Begründung. Denn
nun fungiert die reduzierte Phänomenologie nicht länger als
eine - der Logik vorangehende - Einleitung in die Philosophie (wie
im tatsächlichen Verlauf des Kursus von 1808/09), sondern sie
wird von Hegel - nun von vornherein in ihrer Kurzversion - in
den Rahmen eines philosophischen Programms integriert, das -
wie bereits zu Beginn des Kursus von 1808/09 geplant, dann
aber nicht durchgeführt - außer der Bewußtseinslehre eine See­
lenlehre enthält. Die Phänomenologie hat nun nicht mehr die
Aufgabe zu erfüllen, in die spekulative Wissenschaft einzuleiten,
sondern ist Teil einer realphilosophischen Geisteslehre, der in syste­
matischer Hinsicht die Logik bereits vorausliegt.
Dieser prinzipielle Konzeptionswandel der Bewußtseinslehre
wird in Hegels Überarbeitung der Schülernachschrift der Dik­
tate von 1808/09 für den neuen Mittelklassenkursus von 1809/
10 deutlich.16 Hegel streicht in der Schülernachschrift die Über­
schrift „A. Das Bewußtsein abstrakter Gegenstände“ und besei­
tigt dadurch dieses Relikt der 1808/09 ursprünglich geplanten
vollständigen Phänomenologie; in demselben Zuge der Überar­
beitung ersetzt er den alten Gliederungsparagraphen (§ 6 von
1808/09; siehe oben Abschnitt HI), der die „drei Hauptstufen“
der gesamten Phänomenologie enthält, am Rand durch eine
neue oberste Einteilung: „Das Bewußtsein hat im allgemeinen
folgende Stufen: a) Bewußtsein überhaupt oder äußerliches Be­
wußtsein; b) Selbstbewußtsein; c) Vernunft“ (§ 5 von 1809/10).
Die ehemalige Untergliederung der ersten Hauptstufe im voll­
ständigen Programm der Phänomenologie von 1808/09 wird
dadurch unzweideutig zur Hauptgliederung der (nun von vorn­

16 Das Schülerheft mit den Diktaten von 1808/09 ist nicht nur - neben Hegels
eigenem Manuskript - ein bedeutendes Dokument für den Kursus von 1808/09,
sondern durch H egels eigenhändige Uberarbeitungsnotizen für 1809/10 die ein­
zige Textgrundlage, auf der H egels Phänomenologie von 1809/10 rekonstruierbar
ist. (Siehe dazu die in Anm. 9 genannte Edition des Verf.) Da H egel 1808/09 keine
auf die Bewußtseinslehre folgende Seelenlehre vorgetragen hat, fehlen im Schüler­
heft der Diktate von 1808/09 naturgemäß Hegelsche Notizen zur eigendichen
Psychologie als zweitem Teil der Geisteslehre von 1809/10; die Psychologie von
1809/10 ist weder durch ein Manuskript H egels, noch durch eine Diktatnach­
schrift überliefert.
D ie E n t s t e h u n g d e r e n z y k l o p ä d is c h e n 1P h ä n o m e n o l o g ie 281

herein verkürzten) Phänomenologie von 1809/10: Das Kurz­


programm der Phänomenologie, das sich im ersten Mittelklas­
senkursus vor dem Übergang zur Logik ergeben hatte, ist zum
vollständigen Inhalt der (verkürzten) Phänomenologie als des
ersten Teils der (realphilosophischen) Geisteslehre erhoben.
Ein zweiter für den eingetretenen Konzeptionswandel signi­
fikanter Eingriff betrifft - notwendigerweise - das Ende der
Lehre vom Bewußtsein; denn es ist ja nicht mehr wie 1808/09
eine Überleitung zur Logik, sondern nun zur Seelenlehre oder
Psychologie herzustellen. Folglich bezieht Hegel den Paragra­
phen über die „logischen Bestimmungen“ (§30 der Diktatnach­
schrift; in Hegels Manuskript § [34] - N S 27; T W 4, 86), der
1808/09 das phänomenologische Vernunft-Kapitel beschließt
und den Übergang zur Logik herstellt, nicht mehr in seine
Überarbeitung für 1809/10 ein (und läßt so in § 30 auch eine
den Sinn entstellende Textlücke in der Schülernachschrift un-
korrigiert); statt dessen entwirft er zwei neue Paragraphen zum
Kapitel „Vernunft“, in denen er den am Ende der (verkürzten)
Phänomenologie gewonnenen Standpunkt näher erläutert, auf
dem nun die Seelenlehre als der zweite Hauptteil der Geistes­
lehre von 1809/10 einsetzt: Der Geist, der als Bewußtsein be­
trachtet sich zu einem Gegenstand verhält, erreicht auf der
Stufe der Vernunft die Einsicht, daß sein Gegenstand „für das
Ich kein Fremdes ..., sondern von demselben durchdrungen ...
oder von ihm erzeugt ist“ (§ [47] von 1809/10 - vgl. N S 210;
T W 4, 122), so daß nun der Geist, wie er in der folgenden
Psychologie betrachtet wird, sich nur zu sich selbst und zu
seinen eigenen Bestimmungen verhält. Diesen im Schülerheft
von 1808/09 von Hegel für den Kursus von 1809/10 neu ent­
worfenen Übergang von der Phänomenologie zur Psychologie
hält er - nahezu unverändert - auch im Mittelklassenkurs zur
Geisteslehre von 1811/12 bei (siehe unten Abschnitt VII).

VI.

Die Kurzversion der Phänomenologie (von der sinnlichen G e­


wißheit bis zum Anfang der Vernunft), die sich 1808/09 durch
den Übergang vom Auffinden der logischen Gesetze durch die
beobachtende Vernunft zur Logik selbst ergeben hat, ist 1809/
282 U do R a m e il

10 als Programm des ersten Teils der realphilosophischen Lehre


vom (subjektiven) Geist festgeschrieben. In seinem Gutachten
für Niethammer vom Oktober 1812 „Über den Vortrag der
Philosophie auf Gymnasien“ beschreibt Hegel im Rückblick auf
seine Kurse von 1809/10 und 1811/12 sein Vorgehen in der
„Geisteslehre“ oder „Psychologie“ ausführlich: „Ich teile den
Vortrag der Psychologie in zwei Teile, a. des erscheinenden,
b. des an und für sich seienden Geistes; - in jenem handle ich
das Bewußtsein, nach meiner Phänomenologie des Geistes, aber nur
in den dort bezeichneten drei ersten Stufen: 1. Bewußtsein,
2. Selbstbewußtsein, 3. Vernunft, in diesem die Stufenfolge von
Gefühl, Anschauung, Vorstellung, Einbildungskraft usf. ab. Beide
Teile unterscheide ich so, daß der Geist als Bewußtsein auf die
Bestimmungen als auf Gegenstände tätig ist, und sein Bestimmen
ihm zu einem Verhältnis zu einem Gegenstände wird, daß er als
Geist aber nur auf seine Bestimmungen tätig ist, und die Verände­
rungen in ihm als seine Tätigkeiten bestimmt sind, und so
betrachtet werden.“ (N S 437; T W 4, 406)
In dieser Konstellation einer zweiteiligen Lehre vom Geist,
die das Bewußtsein als erscheinenden Geist und den Geist an
und für sich betrachtet, nimmt Hegel die dreistufige Kurz­
fassung der Phänomenologie auch in die Philosophische Enzyklo­
pädie auf, deren erste Fassung Hegel in seinen Nürnberger
Oberklassenkurscn entwickelt. Allerdings behandelt Hegel die
Phänomenologie im Rahmen der Enzyklopädie-Kurse17 nicht
ausführlich, sondern widmet ihr - „wiederholungsweise“ (N S 6;
T W 4, 298) - nur einen einzigen Paragraphen (1810/11: § 65;
1812/13: § 54), um sie ins philosophische System einzuordnen.
Auch noch in dem spätesten durch Nachschriften dokumentier­
ten Enzyklopädiekursus (1812/13)18 beginnt die Wissenschaft
vom Geist mit der Lehre von seinen Erscheinungsformen, also
mit der erörterten dreistufigen Phänomenologie des Geistes;
die später von Hegel der Phänomenologie vorangestellte An­
thropologie als Lehre vom Naturgeist (siehe Enzyklopädie (1817)
§ 307) fehlt in den Dokumenten zur propädeutischen Philoso­
phie Hegels noch durchgehend. Ein erster Hinweis auf die

17 Siehe Verf. 1995: Hegels „ Philosophische Enzyklopädie“ in Nürnberg. M it einer


Nachschrift von 1812/13. In: Hegel-Studien 30, 9-38.
18 Siehe die demnächst erscheinende Edition vom Verf.
D ie E n t s t e h u n g d e r e n z y k l o p ä d is c h e n 1P h ä n o m e n o l o g ie 283

systematische Einbeziehung einer Anthropologie, durch die


allererst die endgültige triadische Einteilung der Lehre vom
subjektiven Geist zustande kommt, findet sich zwar in einer
Uberarbeitungsnotiz Hegels im Schülerheft der Diktate zur
Geisteslehre von 1810/11, stammt aber wohl aus der späten
Nürnberger Zeit und rückt damit nahe an die Vorbereitung der
Heidelberger Enzyklopädie heran. In Hegels eigenen Abschluß­
berichten über seine Nürnberger Philosophiekurse ist jeden­
falls bis zum Schluß ausschließlich von einer aus Phänomenolo­
gie und Psychologie bestehenden Geisteslehre die Rede (siehe
N S 5-10; T W 4, 297-302). Erst in einem Gliederungsaufriß
der Geisteslehre im letzten Teil der Wissenschaft der Logik von
1816 (GW 12, 197) und in einem Schreiben Hegels an Raumer
vom August 1816 (Br II, 102) ist die Anthropologie in die Lehre
vom Geist integriert.19

VII.

Anders als noch im Mittelklassenkurs von 1808/09 hat Hegel


im Kursus des folgenden Jahres - wie gezeigt - eine klare
Vorstellung davon, daß die Betrachtung des Geistes an und für
sich durch eine Lehre vom erscheinenden Geist oder vom Be­
wußtsein vorbereitet werden muß, die genau die Stufenfolge
des Bewußtseins als solchen, des Selbstbewußtseins und der
Vernunft umfaßt. M it der Entscheidung für ein derartig - ge­
messen an der Phänomenologie des Geistes von 1807 - reduziertes
Programm der Bewußtseinslehre im Kontext einer (nun real­
philosophischen) Geisteslehre erfährt die Phänomenologie ei­
nen Wandel ihrer systematischen Konzeption; denn nun stellt
sich ihr nicht länger die Aufgabe, die ihr im philosophischen
System zukam, solange sie als Einleitung in die spekulative Phi­
losophie fungierte, nämlich bis zum absoluten Wissen als dem
Element der spekulativen Wissenschaft vorzudringen. Hegel ist
bemüht, diesen Konzeptionswandel der Phänomenologie in den
propädeutischen Philosophiekursen zur Geisteslehre der fol­
genden Jahre dadurch deutlich zu machen, daß er an deren

19 Siehe dazu Verf. 1988: Der systematische Auflau der Geisteslehre in Hegels Nürn­
berger Propädeutik. In: Hegel-Studien 23,19-49.
284 U do R a m e il

Beginn auf eine allgemeine Einleitung in die Geisteslehre noch


eine ausführliche Einleitung speziell in die Phänomenologie
(als ersten Teil der Geisteslehre) folgen läßt, in der er auf das
(gegenüber dem Werk von 1807) neue Kurzprogramm der Phä­
nomenologie reflektiert.20 Er unternimmt in zwei Anläufen den
Versuch, plausibel zu machen, daß das auf drei Bewußtseins-
Stufen eingeschränkte phänomenologische Programm hin­
reicht, die geforderte Funktion zu erfüllen, die immanente Ent­
wicklung des Bewußtseins bis zum an und für sich seienden
Geist aufzuzeigen und so zum zweiten Teil der Geisteslehre
hinzuführen. Ist dieses Ziel erreicht, so ist dadurch das dreistu­
fige Kurzprogramm der Phänomenologie als ein in sich ge­
schlossenes und vollständiges erwiesen.
In der ersten Argumentation (Meinel 1811/12: § § 6 - 8 . Vgl.
N S 201 f.: § § 7 - 9 ; T W 4, 112 f.) greift Hegel auf die grundle­
gende Subjekt-Objekt-Beziehung des Wissens überhaupt zu­
rück, die er zuvor in der allgemeinen Einleitung in die Geistes­
lehre insgesamt (§§ 1-5. Vgl. N S 200 f.; T W 4, 111 f.) analy­
siert hat. Das Bewußtsein ist in der Verschiedenheit seiner
Gestalten abhängig von der Verschiedenheit seiner Objekte
(§ 6). Objekt des Bewußtseins kann aber prinzipiell dreierlei
sein (§ 8): (1) das dem Ich Gegenüberstehende, der Gegenstand
(dann ist das Bewußtsein ein äußerliches Bewußtsein oder Be­
wußtsein überhaupt); (2) das Ich selbst, das sich somit selbst
Gegenstand wird und sich auf sich selbst bezieht (dann ist das
Bewußtsein Selbstbewußtsein); (3) etwas Gegenständliches, das
zugleich wesentlich dem Ich selbst angehört (dann ist das Be­
wußtsein Vernunft). Hegel hat die im diktierten Text so begrün­
dete Vollständigkeit der drei Bewußtseins-Stufen - nach den Auf­
zeichnungen Meinels von 1811/12 - im Unterricht näher er­
läutert: „Wir haben im Bewußtsein 1) den Gegenstand selbst,
2) Ich, 3) die Beziehung des Ichs auf den Gegenstand zum G e­

20 Diese Einleitungen in die Geisteslehre insgesamt (§§ 1-5) und in die Phäno­
menologie (§§ 6-11) sind für den Mittelklassenkursus von 1811/12 zur „Geistes­
lehre“ oder „Psychologie“, bestehend aus der Lehre vom Bewußtsein und der
Lehre vom eigentlichen Geist, durch eine Nachschrift des Schülers Chr. S. Meinel
belegt; siehe - außer der in Anm. 9 genannten Edition des Verf. - die Abhandlung
des Verf. 1991: Bewußtseinsstruktur und Vernunft. Hegels propädeutischer Kursus über
Geisteslehre 1811/12. In: F. Hespe, B. Tuschling (Hg.): Psychologie und Anthropologie
oder Philosophie des Geistes. Stuttgart-Bad Cannstatt, 155-187.
D ie E n t s t e h u n g d e r e n z y k l o p ä d is c h e n 1P h ä n o m e n o l o g ie 285

genstand. Von diesen kann jedes der Gegenstand des Bewußt­


seins sein ... Es ist unvollkommen, wenn es ein Extrem zum
Gegenstand hat, hingegen ist es vollkommen, wenn es das Be­
wußtsein in der Totalität in der Beziehung zum Gegenstand zu
seinem Gegenstand hat“ (ad § 8). Der Entwicklungsgang des
Bewußtseins von seiner Unmittelbarkeit bis zu seiner Vollkom­
menheit findet sein Telos in der Vernunft21 als der Vereinigung
von Bewußtsein und Selbstbewußtsein in einer höheren vermit­
telnden Einheit, wodurch der Begriff des Geistes an und für
sich als Betrachtungsgegenstand der folgenden (eigentlichen)
Geisteslehre oder Psychologie erreicht ist. Diese Überlegun­
gen, mit denen Hegel 1811/12 einleitend die Vollständigkeit
der dreistufigen Phänomenologie aufweist, hat er später in
die gedruckten Fassungen der Enzyklopädie der philosophischen
Wissenschaften übernommen (siehe Enzyklopädie (1817) § 334 -
H Enz 247; Enzyklopädie (1827, 1830) §417 - G W 19, 318,
G W 20, 424).
Die Vollkommenheit, die der erscheinende Geist im Ausgang
von seiner Unmittelbarkeit als sinnliche Gewißheit schließlich
als Vernunft realisiert, formuliert Hegel zum Abschluß der Ein­
leitung in die Phänomenologie von 1811/12 in einem zweiten
Argumentationsgang (§§ 9-11) als das Aufheben der Differenz
von Gewißheit und Wahrheit des Bewußtseins. Das Bewußtsein
ist in seinem notwendigen und es konstituierenden Gegen­
standsbezug zunächst „gegenständliches Wissen“ ; insofern es
das Gegenständliche in sich aufgenommen hat, hat das gegen­
ständlich bestimmte Ich Gewißheit vom Gegenstand (§ 9). In
dieser Gewißheit aber bleibt das Ich zugleich noch vom Gegen­
ständlichen (als dem Inhalt des Bewußtseins) unterschieden; Ich
und Gegenstand sind in ihrem Bezug noch einseitige Relate:
„das Subjektive ist auf diese Art dem Objektiven noch ungleich“
(§ 10). Es ist das Streben des Bewußtseins, die Ungleichheit und
Unterschiedenheit von Gegenständlichkeit und Wissen aufzu­
heben, d.h. die Gewißheit zur Wahrheit (als der Übereinstim­
mung des Subjektiven und des Objektiven) zu erheben. Der
Prozeß der Erhebung der Gewißheit zur Wahrheit findet im

21 Zur Stufe der Vernunft siehe Diising, K. 1994: Der Begriff der Vernunft in Hegels
„Phänomenologie“. In: H . F. Fulda, R.-P. Horstmann (Hg.): Vemunftbegriffe in der
Moderne. Stuttgart 1994, 245-260; wiederabgedruckt in diesem Band.
286 U do R a m e il

Durchgang durch die Gestalten des äußerlichen Bewußtseins


und des Selbstbewußtseins sein Ziel in der Vernunft (§ 11).
Entsprechend heißt es zum Abschluß der Diktate zur Phänome­
nologie von 1811/12 (in nahezu wörtlicher Übereinstimmung
mit Hegels Überarbeitungsnotizen für 1809/10), das von der
Vernunft Eingesehene sei „erstens ein Inhalt, der nicht in unse­
ren bloßen Vorstellungen oder Gedanken besteht, die wir uns
für uns machen, sondern der das an und für sich seiende Wesen
gegenständlich enthält und objektive Realität hat, und zweitens
der für das Ich kein Fremdes oder Gegebenes, sondern von ihm
durchdrungen, sich angeeignet und darin ebensosehr von ihm
erzeugt ist“ (§ 47 - vgl. N S 210: § 41; T W 4, 122). H at aber der
als Bewußtsein seinen Selbstentwicklungsprozeß beginnende
Geist in der Vernunft und als Vernunft ein Wissen gewonnen,
das seinem Ziel gemäß „nicht die bloße subjektive Gewißheit,
sondern auch Wahrheit“ ist (§ 48 - vgl. N S 210: § 42; T W 4,
123), so muß die Lehre vom Bewußtsein oder die Phänomeno­
logie des Geistes als Teil der realphilosophischen Geisteslehre
auf der Stufe der Vernunft als der Identität von Subjektivität
und Objektivität enden und übergehen in eine Betrachtung des
Geistes an und für sich, wie er „sich fernerhin nur zu sich selbst
und zu seinen eigenen Bestimmungen“ verhält (§ 49 - Vgl.
N S 267: § 127; T W 4, 42).

V III.

Die Jenaer Phänomenologie des Geistes hatte ein weiter gestecktes


Ziel und folglich auch ein umfangreicheres Programm als die
dreistufige Kurzfassung der Bewußtseinslehre in Hegels N ürn­
berger Geisteslehre. Die Notwendigkeit, innerhalb der Phäno­
menologie von 1807 auch die höheren Gestalten des Geistes zu
thematisieren, begründet Hegel retrospektiv in der Berliner
Enzyklopädie ( §25 Anm.) mit der besonderen systematischen
Funktion der Jenaer Phänomenologie als systematischer Einlei­
tung in die philosophische Wissenschaft: „In meiner Phänome­
nologie des Geistes, welche deswegen bei ihrer Herausgabe als der
erste Theil des Systems der Wissenschaft bezeichnet worden,
ist der Gang genommen worden, von der ersten, einfachsten
Erscheinung des Geistes, dem unmittelbaren Bewußtseyn, anzu­
D ie E n t s t e h u n g d e r e n z y k l o p ä d is c h e n 1P h ä n o m e n o l o g ie 287

fangen und die Dialektik desselben bis zum Standpunkte der


philosophischen Wissenschaft zu entwickeln, dessen Nothwen-
digkeit durch diesen Fortgang aufgezeigt wird.“ (G W 20, 68;
vgl. G W 19, 50) D a dieser Standpunkt des philosophischen
oder absoluten Wissens „in sich der gehaltvollste und concrete-
ste“ ist, „setzte er auch die concreten Gestalten des Bewußt-
seyns, wie z. B. der Moral, Sittlichkeit, Kunst, Religion voraus“
(G W 20, 69; vgl. G W 19, 50). So fällt das, was dem Inhalt nach
für sich genommen „den concreten Theilen“ im System der
philosophischen Wissenschaft, d. h. der realphilosophischen
Lehre vom (subjektiven, objektiven und absoluten) Geist ange­
hört, „zum Theil schon mit in jene Einleitung“ (a. a. O.) in die
philosophische Wissenschaft und ist - insofern es sich „als das
Ansich zum Bewußtseyn verhält“ (a. a. O.) - Gegenstand der
Phänomenologie des Geistes.22 Die geistigen Gehalte sind dadurch,
daß sie „so, wie sie für das Bewußtseyn sind“ (G W 9, 61), ge­
nommen werden, nur Erscheinungen des Geistes; Aufgabe der
Phänomenologie ist es gerade, in einem notwendigen (dialekti­
schen) Erfahrungsgang des Bewußtseins den Geist aus seiner
Erscheinung ,aufzuheben1 und so zum Standpunkt der spekula­
tiven Wissenschaft hinzuleiten. Im ersten Oberklassenkurs zur
„Philosophischen Enzyklopädie“ von 1808/09 diktiert Hegel
(§ 2): „Die philosophische Wissenschaft setzt voraus, ... daß der
Geist nicht mehr der Erscheinung angehört.“ (unediert)
Diejenige Bewußtseinslehre aber, die aus der Verpflichtung
entlassen ist, den Standpunkt des absoluten Wissens als notwen­
diges Resultat aus dem dialektischen Fortgang der Erschei­
nungsformen des Geistes darzustellen, um von diesem Stand­
punkt aus den Übergang zur Logik als spekulativer Philosophie
herzustellen, ist damit auch der Aufgabe ledig, die höheren

22 In seinen Berliner Vorlesungen zur Geistesphilosophie weist H egel ebenso


darauf hin, daß die höheren geistigen Gehalte in der Phänomenologie von 1807 nur
aus der Perspektive des Bewußtseins und im Verhältnis zu diesem thematisiert
werden. „In der Phänomenologie [Randnotiz: Bamberg 1807] ist nicht nur abge­
handelt das Bewußtsein, sondern auch der weitere Gehalt des Geistes, sofern er in
das Bewußtsein fällt.“ (G. W F. Hegel: Vorlesungen. Bd. 13: Vorlesungen über die
Philosophie des Geistes. Berlin 1821/1828 (Erdmann). H g. von F. H espe und
B. Tuschling. Ham burg 1994, 148; siehe auch die Vorlesungen zur Geisteslehre
von 1825 (Griesheim): Hegels Philosophie des subjektiven Geistes. H g. von M. J. Petry.
Bd. 3: Phänomenologie und Psychologie. Dordrecht, Boston 1978, 296.)
288 U do R a m e il

geistigen Gehalte vorweg aus der Perspektive ihres Verhältnis­


ses zum Bewußtsein und damit vor ihrer eigentlichen Verortung
im philosophischen System selbst zu erörtern. Eine derart funk­
tional ,entlastete1 Phänomenologie ist nun als Systemteil der
realphilosophischen Wissenschaft vom Geist notwendig redu­
ziert auf die Behandlung derjenigen Bewußtseinsgestalten, aus
deren Entwicklungsgang der Geist an und für sich resultiert,
und hat folglich in der Stufenfolge des äußerlichen Bewußt­
seins, des Selbstbewußtseins und der Vernunft ein systematisch
in sich geschlossenes und inhaltlich vollständiges Programm.
Die Ablösung der Phänomenologie von ihrer ursprünglichen
systematischen Funktion, die sie 1807 als Einleitung in die phi­
losophische Wissenschaft hatte, und ihre Neubestimmung als
integraler Teil der realen Philosophie des Geistes vollzieht
Hegel zuerst in seinen Lehrvorträgen im Rahmen der philoso­
phischen Vorbereitungswissenschaften am Nürnberger Gym­
nasium. M it dem Konzeptionswandel der Lehre vom Bewußt­
sein geht - wie erörtert - notwendig eine Reduzierung des
inhaltlichen Programms der Phänomenologie einher, so daß
Hegel - bereits kurze Zeit nach dem Erscheinen der Jenaer
Phänomenologie des Geistes (1807) in der Nürnberger philosophi­
schen Propädeutik (1808 ff.) die abbreviative Fassung der Phä­
nomenologie entwickelt. Die auf diese Weise entstandene real­
philosophische Bewußtseinslehre wird von Hegel in sein philo­
sophisches System integriert, das bereits in den Nürnberger
Philosophiekursen die Gestalt einer Enzyklopädie der philoso­
phischen Wissenschaften annimmt. In der gegenüber der Phä­
nomenologie von 1807 in ihrer systematischen Funktion verän­
derten und deshalb in ihrem inhaltlichen Programm verkürzten
Bewußtseinslehre hat Hegel diejenige Form der ,enzyklopädi­
schen‘ Phänomenologie gewonnen, die er dann - nach Voran­
stellung der Anthropologie - als Mittelteil seiner Lehre vom
subjektiven Geist in die drei gedruckten Fassungen der Enzyklo­
pädie übernimmt.
D ie E n t s t e h u n g d e r e n z y k l o p ä d is c h e n 1P h ä n o m e n o l o g ie 289

Literatur
Baum, Manfred 1986: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. Bonn.
Diising, Klaus 1976: Das Problem der Subjektivität in H egels Logik. Hegel-
Studien. Beiheft 15. Bonn.
Diising, Klaus 1993: H egels „Phänomenologie“ und die idealistische Geschichte
des Selbstbewußtseins. In: Hegel-Studien 28, 103-126.
Diising, Klaus 1994: D er Begriff der Vernunft in H egels „Phänomenologie“. In:
H . F. Fulda, R.-P. Horstmann (Hg.): Vernunftbegriffe in der Moderne. Stutt­
gart, 245-260; wiederabgedruckt in diesem Band.
G . W. F. Hegel: Nürnberger Schriften 1808-1816. H g. v o n j. Hoffmeister. Leip­
zig 1938.
G . W. F. Hegel: Sämtliche Werke. H g. von H . Glöckner. Band 6: Enzyklopädie
der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse und andere Schriften aus
der Heidelberger Zeit. Stuttgart 1968 (Faksimile-Nachdruck der Originalaus­
gabe der Enzyklopädie, Heidelberg 1817).
Pöggeler, Otto 1966: Die Komposition der Phänomenologie des Geistes. In:
Hegel-Studien. Beiheft 3. Bonn, 27-74.
Rameil, U do 1988: Der systematische Aufbau der Geisteslehre in H egels N ürn­
berger Propädeutik. In: Hegel-Studien 23, 19-49.
Rameil U do 1990: Die Phänomenologie des Geistes in H egels Nürnberger P ro­
pädeutik. In: L. Eley (Hg.): H egels Theorie des subjektiven Geistes in der
„Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse“. Stutt-
gart-Bad Cannstatt, 84-130.
Rameil, U do 1991: Bewußtseinsstruktur und Vernunft. H egels propädeutischer
Kursus über Geisteslehre 1811/12. In: F. Hespe, B. Tischling (Hg.): Psy­
chologie und Anthropologie oder Philosophie des Geistes. Stuttgart-Bad
Cannstatt, 155-187.
Rameil, U do 1993: Aufbau und systematische Stellung der Ideenlehre in Hegels
propädeutischer Logik. (Erscheint demnächst im Tagungsband der Marburger
Tagung (1993) über Hegels enzyklopädisches System der Philosophie. H g. von
H .-C . Lucas und B. Tuschling).
Rameil, U do 1993: D er teleologische Übergang zur Ideenlehre und die Entste­
hung des Kapitels „Objektivität“ in H egels propädeutischer Logik. In: Hegel-
Studien 28,165-191.
Rameil, U do 1994: Texte zu H egels Nürnberger Phänomenologie. In: Hegel-
Studien 29, 9-61.
Rameil, U do 1995: H egels „Philosophische Enzyklopädie“ in Nürnberg. M it
einer Nachschrift von 1812/13. In: Hegel-Studien 30, 9-38.
Rosenkranz, Karl 1844: G. W. F. H egels Leben. Berlin (Nachdruck Darmstadt
1977).
Ziesche, Eva 1975: Unbekannte Manuskripte aus der Jenaer und Nürnberger Zeit
im Berliner Hegel-Nachlaß. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 29,
438 ff.
291

Auswahlbibliographie

A. Textausgaben von Hegels Phänomenologie des Geistes·.

System der Wissenschaft. Erster Theil, die Phänomenologie des Geistes.


Bamberg und W ürzburg 1807.
G . W. F. H egel’s Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von
Freunden des Verewigten. Berlin 1832-45. Bd. 2. H g. J . Schulze. Berlin
1832. 2. Aufl. Berlin 1841.
In revidiertem Text hg. v. G . Lasson. Leipzig 3 1928. Sämtliche Werke Bd. 2.
Philosophische Bibliothek. Bd. 114. Zuerst 1907.
Sämdiche Werke. Jubiläumsausgabe. N eu hg. v. H . Glöckner. Stuttgart 1927—
1940 u. ö. Bd. 2. 1927 u. ö.
Nach dem Text der Originalausgabe hg. v. J . Hoffmeister. Leipzig 1937.
Philosophische Bibliothek. Bd. 114.-6. Aufl. Ham burg 1952: Sämtliche
Werke. Neue Kritische Ausgabe Bd. 5.
G . W. F. Hegel: Werke. Auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu
edierte Ausgabe. Red. E. Moldenhauer u. K. M. Michel. Frankfurt a. M.
1970 u. ö. Theorie-W erkausgabe. Bd. 3.
M it einem Nachwort v. G. Lukäcs. Texte-Auswahl u. Kommentar zur
Rezeptionsgeschichte v. G . Göhler. Frankfurt a. M ./Berlin/W ien 1970 u. ö.
Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemein­
schaft hg. v. d. Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften.
Ham burg 1968 ff. Bd. 9. H g. v. W. Bonsiepen u. R. Heede. Ham burg 1980.
N eu hg. v. H.-F. Wessels u. H . Clairmont. M it e. Einl. v. W Bonsiepen.
Ham burg 1988. Philosophische Bibliothek Bd. 414.

B. Ausgewählte Literatur zu Hegels Phänomenologie des Geistes·.

Becker, W : H egels Phänomenologie des Geistes. Eine Interpretation.


Stuttgart 1971.
Bubner, R.: Problemgeschichte und systematischer Sinn einer Phänomenolo­
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Buck, G.: Lernen und Erfahrung. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz, 2. Aufl.
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Einleitung in H egels Phänomenologie des Geistes. Bonn 1978. (Hegel-
Studien, Beiheft 21).
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Allgemeinheit in H egels „Phänomenologie des Geistes“ . Mainz 1993.
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Geistes. In: Hegel-Studien, Beiheft 4 (1969), 93-101.
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sinnlichen Gewißheit. In: Hegel-Studien 8 (1973), 119-130.
292 A u s w a h l b ib l io g r a p h ie

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Abteilung: Vorlesungen 1923-1944. Bd. 32. H g. I. Görland. Frankfurt a.
M ., 2. Aufl. 1988.
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Unveröffendichte Abhandlungen. Bd. 68. H g. I. Schüßler. Frankfurt a. M.
1993.
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Frankfurt a. M ., 5. Aufl. 1972, 105-193.
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Royaumont 1964. Beiträge zur Deutung der Phänomenologie des Geistes.
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Geistes. Frankfurt a. M. 1992.
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Köhler, D.: H egel als Transzendentalphilosoph? Zu Heideggers Phänomeno­
logie-Deutung von 1942. In: Hegel-Studien 32 (1998), 123-136.
Köhler, D.: Freiheit und System im Spannungsfeld von H egels Phänomenolo­
gie des Geistes und Schellings Freiheitsschrift. Paderborn/München 2006.
Kohl, E.: „Gestalt“. Untersuchungen zu einem Grundbegriff in Hegels
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Labarrière, P.-J.: Structures et mouvement dialectique dans la Phénoménologie
de l’esprit de Hegel. Paris 1968.
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zum Kapitel „Die Wahrheit der Gewißheit seiner selbst“ in H egels
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„Phänomenologie des G eistes“. In: Hegel-Studien 30 (1995). 197-206.
Siep, L.: D er Weg der Phänomenologie des Geistes. Ein einführender
Kommentar zu H egels „Differenzschrift“ und „Phänomenologie des
Geistes“. Frankfurt a. M. 2000.
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H egels „Phänomenologie des Geistes“. H g. H . F. Fulda u. D. Henrich.
Frankfurt a. M. 1973, 83-105.
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294 A u s w a h l b ib l io g r a p h ie

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C. Literatur zur Entwicklungsgeschichte der Hegelschen


Philosophie im Umkreis der Phänomenologie des Geistes:

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und entwicklungsgeschichdiche Untersuchungen zum Prinzip des
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philosophischen Entwürfen Schellings und Hegels. In: Hegel-Tage
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deutschen Idealismus. H g. R. Bubner. Bonn 1973, 53-90. (Hegel-Studien,
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H .-D . Klein u. J . Reikerstorfer. Frankfurt a. M. 1993, 126-138.
Düsing, K.: H egels Metaphysikkritik, dargestellt am Beispiel seiner Auseinan­
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H einz Kimmerle zu seinem 60. H g. H . Oosterling u. F. de Jong. Amster­
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seine Philosophie. In Zusammenarbeit mit M. Baum [u. a.] hg. O.
Pöggeler. Freiburg, München 1977, 43-58.
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Jauß, H . R.: Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik. Frankfurt a.
M . 1982,467-504.
Kimmerle, H .: Anfänge der Dialektik. In: D er Weg zum System. Materialien
zum jungen H egel. H g. C. Jam m e u. H . Schneider. Frankfurt a. M. 1990,
227-288.
Kimmerle, H .: Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. Hegels
„System der Philosophie“ in den Jahren 1800-1804. Bonn 1970; 2. erw.
Aufl. 1982. (Hegel-Studien, Beiheft 8).
A u s w a h l b ib l io g r a p h ie 295

Kimmerle, H .: Zur Entwicklung des Hegelschen Denkens in Jena. In:


Hegel-Tage Urbino 1965. H g. H .-G . Gadamer. Bonn 1969, 33^47. (Hegel-
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Kozu, K.: Bewußtsein und Wissenschaft. Zu H egels Nürnberger Systemkon­
zeption. Frankfurt a. M. 1999.
Meist, K . R.: Zur Entstehungsgeschichte einer Philosophie der „Weltge­
schichte“ bei H egel in den Frankfurter und Jenaer Entwürfen. Habilitati­
onsschrift. Bochum 1986.
Meist, K . R.: H egels Systemkonzeption in der frühen Jenaer Zeit. In: Hegel
in Jena. H g. D. Henrich u. K . Düsing. Bonn 1980, 59-79. (Hegel-Studien,
Beiheft 20).
Nicolin, F.: Briefe von und an Hegel. Bd 4/1: Dokumente und Materialien zur
Biographie; Bd 4/2: Nachträge zum Briefwechsel, Register mit biographi­
schem Kommentar, Zeittafel. H g. F. Nicolin. 3., völlig neu bearb. Aufl.
Ham burg 1977 u. 1981.
Pöggeler, O.: Geschichte, Philosophie und Logik bei Hegel. In: Logik und
Geschichte in H egels System. H g. H .-C . Lucas u. G. Planty-Bonjour.
Stuttgart-Bad Cannstatt 1989, 101-126. (Spekulation und Erfahrung Ü/IO).
Pöggeler, O.: Werk und Wirkung. In: Hegel. Einführung in seine Philoso­
phie. In Zusammenarbeit mit M . Baum [u. a.l hg. O. Pöggeler. Freiburg,
München 1977, 7-27.
Rameil, U .: Die Phänomenologie des Geistes in H egels Nürnberger
Propädeutik. In: H egels Theorie des subjektiven Geistes in der „Enzyklo­
pädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse“. H g. L. Eley.
Stuttgart-Bad Cannstatt 1990, 84-130. (Spekulation und Erfahrung 11/14).
Rosenkranz, K.: G eorg Wilhelm Friedrich H egels Leben. Berlin 1844.
Unveränd. reprograph. Nachdruck. Darmstadt 1988.
Siep, L.: Praktische Philosophie im deutschen Idealismus. Frankfurt a. M.
1992.
Speight, A.: Hegel, Literature and the Problem of Agency. Cambridge 2001.
297

Personenregister

(Kursiv gesetzte Seitenzahlen beziehen sich auf die Anmerkungen.)

Adler, C. 51, 52 129, 147, 148, 150, 152, 153, 154,


Aristoteles 45, 46, 50, 52, 53, 69, 91, 160, 162, 163, 165, 170, 171, 188,
1 1 5 ,116, 117, 125, 142, 152,172 197, 235, 250, 251
F ink, E. 56, 69, 89
Baptist, G . 31, 253, 260 Flay, J. C. 30, 95, 107, 250, 260
Bauer, B. 27,131 Franklin, B. 172
Baum, M. 267,19,9 Frede 50, 52
Becker, W 35, 52, 55, 68, 89 Frommann, K . F. E. 18
Berti, E. 46, 52 Fukuyama, F. 2 8 ,109, 126, 129
Bienenstock, M. 201, 209 Fulda, H . F. 52, 62, 89, 148, 159,
Bisticas-Cocoves, M . 31 163, 170, 1 8 3 ,189, 209
Bonsiepen, W. 59, 89, 239
Brandt, R. 255,163 Gabler, G . A. 27, 241
Brauer, O. D . 255,260 Gadamer, H .-G . 91, 107, 109,111,
Buchner, H . 2 0 ,3 1 129
Burri, A. 52 Goethe, J . W. 32, 145, 151, 172,
175, 183, 215
Cervantes, M. de 172, 182, 183 Görland, I. 55, 89, 155, 163
Claesges, U . 39, 46, 52, 55, 59, 68, Goldstein, L . J. 91, 107
77, 89 Graeser, A. 10, 30, 31, 36, 39, 45,
Condillac, E. B. 59, 147, 163 50, 52
Cramer, K. 58, 89 Gren, F. A. C. 172
Crawford, I. 46, 52 Grotius, H . 116

Daniels, C. 37, 52 Habermas, J. 124, 127,1 2 8 ,1 2 9


Daub, K . 27 Hagner, J. 30
Descartes, R. 188, 209, 250, 252 Hamann, G . 146
Diderot, D. 32,217 Hamlyn, D. W. 36, 52
Dilthey, W. 28, 29 Hansen, F.-P. 62, 90
Dove, K . 39, 52 Haym, R. 28, 188, 209
Düsing, E. 31, 160, 163 Hegel, K . 18
Düsing, K . 10, 31, 36, 52, 89, Heidegger, M. 29, 40, 51, 55, 145,
1 6 3 ,189, 209, 213, 226, 267, 270, 246,253,260
285,289 Heinrich, J . 40, 52
Duso, G. 115, 129 Hemsterhuis, F. 20
Henrich, D. 52
Epikur 43 Heraklit 20
Herder, G . 2 0 ,2 1 ,1 2 2 ,1 4 6
Falke, G . 211, 215, 216, 226 Hinrichs, H . F. W. 27
Feder, E. 183 Hirsch, D. E. 211, 215, 226
Fichte, I. H . 188, 209 Hobbes, T 9 ,114, 116, 178, 179, 183
Fichte, J. G. 12, 20, 27, 28, 56, 59, Hoffmeister, J. 1 5 2 ,2 6 0 ,2 7 5
60, 64, 113, 119, 122, 126, 127, Hölderlin, F. 20, 21
298 P e r s o n e n r e g is t e r

Honneth, A. 109, 120, 124, 126, Malabou, C. 258,261


127, 128, 129 Marcuse, H . 246, 261
Horn, J. C. 91, 107 Marx, K . 2 7 ,3 3 ,1 3 1 ,1 4 2 ,1 8 8
Hume, D. 9, 55, 68, 69, 90, 99, Marx, W. 111, 129, 147, 14S,
103 151,156, 163, 164, 166, 183
Husserl, E. 145 de la Maza, L. M. 31, 230, 243,
Hyppolite, J. 51, 53, 91, 107, 151, 247,261
163,250,260 Mead, G . H . 160, 163
Meinel, C. S. 284,
Jacobi, F. H . 20, 32, 171, 209, Metzke, E. ISS, 209
2 1 5 ,2 1 6 ,2 1 7 ,2 1 8 ,2 2 3 , 226 Michelet, K . L. 22, 27, 257
Jaeschke, W. 250, 251, 260 von Meyer, P. G. 26
Jauß, H . R. 32 Murray, M . 250, 261
Jones, B. 51, 53
Napoleon 1 8 ,1 9 ,2 0 2 ,2 0 8
Kaan, A. 211, 226 Nicolin, F. 149, 159, 164
Kaehler, K . E. 151, 156, 163, 166, Niethammer, E I. 268, 269, 271, 282
183 Nietzsche, F. 29
Kainz, H . P. 53 Nink, C. 37, 53
Kant, I. 10, 25, 28, 55, 69, 89, 91, Novalis (Fr. v. Hardenberg) 216
96, 99, 100, 101, 102, 103, 104,
105, 106, 107, 119, 145, 146, 151, Oehler, K . 50, 53
152, 153, 154, 155, 156, 157, 161, Ottmann, H .-H . 44, 53
162, 164, 165, 171, 171, 172, 182,
184, 194, 197, 213, 216, 217, 218, Paine, T. 178, 179, 184
226,250 Parmenides 20
Kettner, M . 53 Paulus, H . E. G. 268
Kierkegaard, S. 131, 132, 142 Platon 9, 20, 40, 50, 55, 69, 70, 91,
Kimmerle, H . 32, 57, 90, 241, 243 197,233,256
Köhler, D. 2 9 ,3 1 ,1 8 3 ,2 0 9 Pöggeler, O. 10, 31, 62, 90, 109,
Kojéve, A. 28, 33, 109, 125, 128, 121, 126, 129, 170, 184, ISS, 190,
129, 132, 2 4 6 ,2 5 3 ,2 6 0 199, 209, 216, 219, 221, 222, 225,
Kozu, K. 31 227, 239, 243, 250, 257, 261, 273,
Krug, W T. 7, 8, 10, 16 289
Purpus, W 10
Labarriére, P. J. 151, 163, 246, 260 Putnam, H . 110,129
L a sk E. 189
Lavater, J . K. 172 Quine, W. V. O. 43
Leibniz, G . W. 11, 29, 91, 96, 99,
101, 102, 107,250 Rameil, U . 3 1 ,2 5 ^ ,1 6 4 ,2 8 9
Lessing, G. E. 20 Raumer, F. L . G . v. 283
Linné, C. v. 172 Rawlinson, M. 1 S3
Lloyd, A. C. 45, 53 Reich, K. 153, 164
Locke, J. ISS, 209 Reinhold, K . L . 57, 161
Löwenberg, J . 271 Riedel, M. 10
Lübbe, H . 211,227 Röd, W 38, 53
Luckner, A. 258, 261 Roettges, H . 10, 31
Lugarini, L. 160, 162 Rosenkranz, K. 22, 26, 2 7 ,154, 164,
Lukács, G . 1 8 9 ,191, 209 241,257,261,269, 272, 277, 289
P e r s o n e n r e g is t e r 299

Rousseau, J.-J. 116, 172, 178, 179, Soll, I. 35, 50, 51, 53
184,250 Solomon, R. C. 36, 48, 49, 53
Rousset, B. 246 Sophokles 13, 20, 32, 171
Russel, B. 42, 43, 48, 53 Spinoza, B. 20, 250
Steffans, H . 172
Scheier, C. A. 36, 53, 55, 59, 67, Stilpo 49
68, 9 0 ,155, 164, 211,221 Strauss, D. F. 27
Schelling, F. W. J. 7, 18, 20, 21,
27, 28, 29, 56, 59, 60, 62, 90, Taylor, C. 38, 4 0 ,4 7 , 49, 53
142, 147, 148, 153, 154, 163, 164, T x ld , D. 46, 53
165, 171, 1 7 2 ,188, 213, 217, 226, Trede, J. H . 110, 184
235, 246, 250, 251 Treviranus, G . T. 172
Schiller, E 15, 172, 179, 183, 184,
215, 258, 259, 261 Verra, V. 256,261
Schleiermacher, F. 216, Vieillard-Baron, J.-L . 255, 256, 261
Schlegel, F. 146, 216, 224
Schlick, M. 45, 41, 53 Wagner, H . 10
Schneider, H . 159, 164 Wahl, J . 132
Schmitz, H . 189, 209, 212, 219, Weisser-Lohmann, E. 31
221, 239, 243 Westphal, K . R. 55, 69, 90
Schopenhauer, A. 165, 184 Westphal, M. 31, 40, 53, 55, 60,
Schütz, A. 160, 163 69, 90
Seba, J.-R . 253, 261 Wiehl R. 36, 53
Seil, A. 10, 31 Wieland, W. 36, 41, 42, 53
Sextus Empirikus 9, 50 Wildt, A. 126, 129
Shakespeare, W 20 Winterls, J. J. 172
Shikaya, T. 10 Wittgenstein, L. 49
Siep, L. 31, 109, 114, 115, 121,
122,124, 128, 129, 192,196, 209 Ziesche, E. 211, 289
Sokrates 40 Zimmermann, R. 104, 107
301

Nachweise

Graeser, Andreas: Zu Hegels Portrait der sinnlichen Gewiß­


heit. In leicht veränderter Form zuerst abgedruckt in: Frei­
burger Zeitschrift für Philosophie und Theologie. 34. Bd
(1987), 437-453.

Flay, Joseph C.: H egel’s Inverted World. Zuerst abgedruckt in:


T he Review of Metaphysics 23 (1970). Haverford (Pennsyl­
vania), 652-678.

Pöggeler, Otto: Selbstbewußtsein als Leitfaden der Phänome­


nologie des Geistes. Zuerst abgedruckt in: Reflections on
Various Problems of Modern Western Philosophie. Ed. by
Tetsugaku-Kai. Tokyo 1989. Vo. CIV. N o. 776. 218-210.

Düsing, Klaus: Der Begriff der Vernunft in Hegels „Phänome­


nologie“. Zuerst abgedruckt in: Vernunftbegriffe in der M o­
derne. Stuttgarter Hegel-Kongreß 1993. H g. Hans Fried­
rich Fulda und Rolf Peter Horstmann. Stuttgart 1994. 245-
260.

Köhler, Dietmar: Hegels Gewissensdialektik. In leicht verän­


derter Form zuerst abgedruckt in: Hegel-Studien 28 (1993),
127-141.

(Alle übrigen Beiträge dieses Buches sind für den einführenden


Kommentar eigens erstellte Originalbeiträge.)
3°3

Hinweise zu den Autoren

Gabriella Baptist ist außerordentliche Professorin für Moralphi­


losophie an der Fakultät für Erziehungswissenschaften der
Universität Cagliari; 1997-1999 Forschungsstipendiatin der
Alexander von Humboldt-Stiftung an der Ruhr Universität
Bochum. Wichtigste Veröffentlichungen: II problema della
modalitä nelle logiche di Hegel. Un itinerario tra il possibile e
il necessario (1992). Tra fmzione e fatticitä. La possibilitä
facoltativa nel pensiero di Edmund Husserl (in Vorbereitung).
Herausgeberin von: B. Waldenfels: Fenomenología delP estra-
neitä (2002). Pensare Palteritä, „Paradigmi“ , N . 60 (2002).
Zahlreiche Artikel zu Hegels systematischem Denken, zur
phänomenologischen und hermeneutischen Philosophie.

Marcos Bisticas-Cocoves ist Assistant Professor of Philosophy an


der M organ State University.

Klaus Düsing ist Professor für Philosophie an der Universität zu


Köln. Wichtigste Veröffentlichungen: Die Teleologie in
Kants Weltbegriff. 2. Aufl. Bonn 1986 (Kant-Studien. Er­
gänzungsheft 96), Das Problem der Subjektivität in Hegels
Logik. 3. Aufl. Bonn 1995 (Hegel-Studien. Beiheft 15), H e­
gel und die Geschichte der Philosophie. Darmstadt 1983,
Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801—
1802). Köln 1988, Selbstbewußtseinsmodelle. München
1997. Hegel e l’antichitä classica. Napoli 2001. Subjektivität
und Freiheit. Stuttgart-Bad Cannstatt 2002. Fundamente der
Ethik. Stuttgart-Bad Cannstatt 2005. Zahlreiche Artikel zur
antiken und klassischen deutschen Philosophie.

Joseph C. Flay ist Professor Emeritus of Philosophy an der Penn­


sylvania State University. Wichtigste Veröffentlichungen:
Hegel’s Quest for Certainty (1984). Aufsätze über Hegels Ver­
hältnis zur Geschichte der Philosophie und zur Philosophie
des 20. Jahrhunderts sowie über Hegels Metaphysik.

Andreas Graeser ist Professor für Philosophie an der Universität


Bern. Wichtigste Veröffentlichungen: Positionen der G e­
304 H in w e is e zu d en A uto ren

genwartsphilosophie. München 2002. Platons „Parmeni­


des“ . Stuttgart 2003. Aufsätze zur Sprachphilosophie, H er­
meneutik und Philosophiegeschichte.

Joachim Hagner ist Studiendirektor und Leiter des Fachberei­


ches Deutsch in Berlin; daneben lehrt er Didaktik der Philo­
sophie an der HU-Berlin.Veröffentlichungen: Wozu Philo­
sophie? Ein Versuch. In: Die erscheinende Welt. Festschrift
für Klaus Held. Berlin 2002. H g. Heinrich Hüni u. Peter
Trawny, 411-440 (mit Ulrich Claesges). Sein letztes Wort zu
Hegel und den Marxisten unter seinen Verehrern: Robert
Menasses „Geschichte des verschwindenden W issens“. In:
Dossier: Robert Menasse. H g. Kurt Bartsch u. Verena H ol­
ler. Graz/Wien 2004,104—121. Aufsätze zur literarischen
Rezeptionsgeschichte von Hegels Phänomenologie des
Geistes.

Dietmar Köhler ist Privatdozent an der Universität Lüneburg


sowie Lehrbeauftragter für Philosophie an der Ruhr-Uni-
versität Bochum. Wichtigste Veröffentlichungen: Martin
Heidegger. Die Schematisierung des Seinssinnes als T h e­
matik des dritten Abschnittes von „Sein und Zeit“. Bonn
1993. Freiheit und System im Spannungsfeld von Hegels
„Phänomenologie des Geistes“ und Schellings „Freiheits­
schrift“ . Paderborn/München 2006. Herausgeber: Hegels
Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Bonn
1998. Verfassung und Revolution: Hegels Verfassungskon­
zeption und die Revolutionen der Neuzeit. Hamburg 2000.
(gemeinsam mit E. Weisser-Lohmann). Aufsätze und Re­
zensionen zur Philosophie des Deutschen Idealismus sowie
zur phänomenologischen und praktischen Philosophie.

Luis Mariano de la Maza ist Professor für Philosophie an der


katholischen Universität Santiago de Chile. Wichtigste Ver­
öffentlichungen: Knoten und Bund: Zum Verhältnis von L o ­
gik, Geschichte und Religion in Hegels Phänomenologie des
Geistes (Diss. 1990, Bonn 1998). La Fenomenología del E s­
píritu de Hegel como Introducción a la Filosofía especulativa
(Ediciones Universidad Católica de Chile: Santiago de Chile
2004). Artikel und Übersetzungen zu Hegels spekulativer
H in w e is e zu d en A uto ren 305

und praktischer Philosophie, zur hermeneutisch-phänome-


nologischen Philosophie sowie zur Ethik und Sozialphilo­
sophie.

Otto Pöggeler ist em. Professor für Philosophie an der Ruhr-


Universität Bochum und ordentliches Mitglied der Nord-
rhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Wich­
tigste Veröffentlichungen: Hegels Kritik der Romantik.
Bonn 1956 und erweitert München 1996. Der Denkweg
Martin Heideggers. Pfullingen 1963, 4. erw. Aufl. 1994.
Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg/
München 1973, 2. erw. Auf. 1993. Heidegger in seiner Zeit.
München 1999. Der Stein hinterm Aug. Studien zu Celans
Gedichten. München 2000. Bild und Technik. Heidegger,
Klee und die moderne Kunst. München 2002. Schicksal und
Geschichte. Antigone im Spiegel der Deutungen und G e­
staltungen seit Hegel und Hölderlin. München 2004. Zahl­
reiche Aufsätze zum Deutschen Idealismus, zur phänome­
nologischen und hermeneutischen Philosophie, zur prakti­
schen Philosophie und zur Philosophie der Kunst.

Udo Rameil ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bergi-


schen Universität Wuppertal (Julius-Ebbinghaus-Archiv).
Wichtigste Veröffentlichungen: Raum und Außenwelt. In­
terpretationen zu Kants kritischem Idealismus (1977). Mitar­
beiter: Hegel, Gesammelte Werke Bd. 13, Bd. 20: Enzy­
klopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse
1817, 1830 (2000, 1992). Herausgeber: Hegel, Vorlesungen
(ausgewählte Nachschriften) Bd. 10: Logik 1831 (2001), Bd.
15: Philosophische Enzyklopädie 1812/13 (2002). Mitheraus­
geber: J. Ebbinghaus, Gesammelte Schriften Bd. 4: Studien
zum Deutschen Idealismus (1994), K. Reich, Gesammelte
Schriften (2001). Aufsätze zu Kant und Hegel, insbesondere zu
Hegels propädeutischer Philosophie in Nürnberg.

Ludwig Siep ist Professor für Philosophie an der Westfälischen


Wilhelms-Universität Münster. Wichtigste Veröffentli­
chungen: Hegels Fichtekritik und die Wissenschaftslehre
von 1804. (1970), Anerkennung als Prinzip der praktischen
306

Philosophie (1979), Praktische Philosophie im Deutschen


Idealismus (1992), Zwei Formen der Ethik (1997). Der Weg
der Phänomenologie des Geistes. Ein einführender K om ­
mentar zu Hegels „Differenzschrift“ und „Phänomenologie
des Geistes“. Frankfurt a. M. 2000. Konkrete Ethik. Frank­
furt a. M . 2004. Aufsätze zur praktischen Philosophie der
Neuzeit und zur biomedizinischen Ethik.

Elisabeth Weisser-Lohmann ist Privatdozentin und wissenschaft­


liche Mitarbeiterin am Lehrstuhl III des Instituts für Philo­
sophie der FernUniversität Hagen. Wichtigste Veröffentli­
chungen: Georg Lukäcs’ Heidelberger Kunstphilosophie.
Bonn 1992. Eigentum und Freiheit. Zwei Grundbegriffe der
praktischen Philosophie. Hagen 1995. Rechtsphilosophie
als Praktische Philosophie. Hegels „Grundlinien“ und die
Grundlegung einer Praktischen Philosophie, (erscheint
München 2006). Herausgeberin: Revolution und Geschich­
te. Bonn 1994. (gemeinsam mit C. Jamme). Hegels Vorle­
sungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Bonn 1998.
(gemeinsam mit D. Köhler). Verfassung und Revolution:
Hegels Verfassungskonzeptionen und die Revolutionen der
Neuzeit, (gemeinsam mit D. Köhler). Hamburg 2000. Kul­
tur, Kunst, Öffentlichkeit. Philosophische Perspektiven auf
praktische Probleme (gemeinsam mit A. Gethmann-Siefert)
München 2002. Aufsätze, Lexikonartikel und Rezensionen
zu Hegels politischer Philosophie.

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