Sie sind auf Seite 1von 2

Tolle Stimmen fragwürdig besetzt: „Turandot“ in der Deutschen Oper Berlin

Turandot, Giacomo Puccini


Deutsche Oper Berlin, 23. Mai 2019
Musikalische Leitung: John Fiore
Inszenierung: Lorenzo Fioroni
Bühne: Paul Zoller
Kostüme: Katharina Gault
Chöre: Jeremy Bines
Kinderchor: Christian Lindhorst
Turandot: Anna Smirnova
Altoum: Clemens Bieber
Calaf: Stefano La Colla
Liù: Meechot Marrero
Timur: Andrew Harris
Ping: Samuel Dale Johnson
Pang: Gideon Poppe
Pong: Michael Kim
Ein Mandarin: Byung Gil Kim
Erste Damenstimme: Cornelia Kim
Zweite Damenstimme: Amber Fasquelle
Chor der Deutschen Oper Berlin
Kinderchor der Deutschen Oper Berlin
Orchester der Deutschen Oper Berlin
Giacomo Puccinis letztes Werk kam erst nach seinem Tod zur Aufführung und vereint alles,
wofür der Maestro steht: komplexe Frauenrollen, Musik, die sofort unter die Haut geht, und
schließlich alles, was sich Puccini musikalisch und thematisch unter dem Orient vorstellte.
Vieles davon gibt es auch in der Deutschen Oper Berlin zu sehen und zu hören, ein paar
Dinge dieser Liste fehlen aber.
Stefano La Colla singt die Arie, für die wir alle hergekommen sind: „Nessun dorma“. Dabei
darf sich der Heldentenor im Smoking an die Rampe stellen und wie in der T-Mobile-
Werbung mit den Armen rudern. Singen kann er allerdings, das muss man ihm wirklich
lassen.
Als unbekannter Prinz (Calaf) tritt La Colla entschieden und energisch auf, seine Stimme
unterstützt das. Zuweilen klingt er etwas zu energisch, manche seiner Hochtöne wirken
unangenehm gehalten. Die positive Kehrseite davon ist, dass er kein arg zu breites Vibrato an
den Tag legt, sondern häufig auch einen schmaleren Klang verwendet.
Anna Smirnova gibt eine fabelhaft brutale Gewaltherrscherin Turandot. Sie ist dramatischer
Sopran durch und durch und beweist eine tonale Zielsicherheit bis in die Spitzentöne – hin
und wieder vielleicht etwas schrill. Ihr Mezzo füllt mühelos den Raum und schimmert über
das Orchester hinweg.
Was Smirnova allerdings wirklich nicht verkörpert, ist die Prinzessin Turandot, die ja trotz
allem noch jung ist. Denn eigentlich könnte man der Figur auch nahezu kindliche Naivität
zusprechen, wenn man bedenkt, dass sie eine 2.000 Jahre alte Gewalttat rächen möchte und
sich schließlich durch den Kuss eines hübschen Prinzen widerspruchslos umstimmen lässt.
Diese Seite der Medaille fehlt bei Smirnova leider gänzlich, eher noch hätte man eine
schallende Backpfeife nach diesem Kuss erwartet. Die Gewalt steht zwar auch durch die
Inszenierung im Vordergrund, trotzdem könnte man sich etwas mehr Verletzlichkeit für diese
Rolle vorstellen. Immer nur big und bad wird schließlich auch irgendwann langweilig.
Auch Meechot Marrero ist als Liù nicht unbedingt weich. Ihr Spiel und ihre Stimme besitzen
einen gewissen androgynen Charakter. Aktuell verleiht sie auch vermehrt kernigeren
Frauenrollen ihre Stimme, jüngst einer von Barry Kosky sehr taff gezeichneten Kunigunde in
Bernsteins Candide an der Komischen Oper Berlin. Weiterhin kann man sie erleben als
Frasquita (Carmen) oder Papagena (Zauberflöte), aber eben auch als Micaëla und Pamina.
Es bleibt abzuwarten, in welche Richtung sich das junge Talent entwickeln wird – die
porzellanhafte Zerbrechlichkeit einer Liù kauft man ihr allerdings nicht ganz ab. Davon
abgesehen ist an ihrer Stimme natürlich nichts auszusetzen, nicht umsonst singt sie in Berlin
momentan alles, was halbwegs in ihr Stimmfach passt.
Der Sonnenkaiser Altoum bleibt dezent im Hintergrund. An ein paar Stellen zeigt Clemens
Bieber aber, was sein Tenor in Sachen herrschaftlicher Deklamation kann. Spielerisch gibt er
ein gesetztes, weises Staatsoberhaupt, das eigentlich die Faxen seiner Tochter schon lange
dicke hat.
Dann gibt es da noch drei Nebenrollen, die eigentlich Hauptrollen sind: die drei Chinesen
(ohne Kontrabass) Ping (Samuel Dale Johnson), Pang (Gideon Poppe) und Pong (Michael
Kim). Sie sind ein fantastisch eingespieltes Team, das auch klanglich hervorragend
harmoniert. Sie bringen es sogar zustande, dass selbst die etwas affigen Slapstick-Einlagen
wirklich witzig sind.
Der Inszenierung von Lorenzo Fioroni muss ich wirklich etwas zugestehen: hier habe ich zum
ersten Mal in einem Opernhaus ein ernst gemeintes erschrockenes Zusammenfahren des
Publikums erlebt. Wenn nämlich (Achtung, Spoiler!) zu Beginn des dritten Akts das
Bühnenbild nach vorne umkippt, stand für ein paar Sekunden die erschütternde Frage im
Raum: „War das Absicht?“
Diese Momente erschafft Fioroni an einigen Stellen im Stück, aber nicht immer sind sie so
eindrucksvoll. Sein Ansatz ist stark dekonstruktiv und dadurch manchmal ein bisschen
langweilig. Er hat Puccinis Vorlage von jeglichem exotistischen Pomp „befreit“, sodass man
zwischenzeitlich gar nichts mehr zum Gucken hat – auch schade. Seine Interpretation des
Endes gibt auf jeden Fall Gesprächsstoff. Ob man schließlich mit seiner Meinung mitgehen
möchte, bleibt wohl jedem selbst überlassen. Man kann ja notfalls immer noch die Augen
schließen, die Musik ist schön genug.

Das könnte Ihnen auch gefallen