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Demosthenes
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ISBN 978-3-8252-3407-2
(UTB-Bestellnummer)
Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Anhang
Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
Abbildungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
Einleitung
Ziel dieses Bandes ist es, einen umfassenden Überblick und einen er-
leichterten Einstieg in die Schwellenzeit zwischen der klassischen Epo-
che Griechenlands und dem anbrechenden Hellenismus zu bieten. Die
primär personenbezogene Darstellung soll dabei helfen, die zugrunde
liegende Materie – das nachklassische Athen und die alles verändernde
Machtpolitik des 4. Jahrhunderts v. Chr. – leichter zu verstehen. Die
Biographie des athenischen Redners und Politikers Demosthenes
(384 – 322 v. Chr.) kann als Orientierung dienen, die genannte Um-
bruchzeit möglichst konzise zu begreifen. Obwohl die Frage nach dem
Charakter der athenischen Demokratie im 4. Jahrhundert v. Chr. im-
mer noch ein zentrales Thema der historischen Forschung ist, stand die
Entwicklung Athens in dieser Epoche bislang sehr selten im Zentrum
größerer, übergreifender Darstellungen und wurde vor allem in der uni-
versitären Lehre von der klassischen Epoche des 5. Jahrhunderts v. Chr.
mit den großen Themen Perserkriege – Dualismus zwischen Athen
und Sparta – Peloponnesischer Krieg und dem Aufstieg Makedoniens
infolge des Eingreifens seiner schlagkräftigen Könige Philipp II. und
Alexander III. in griechische Angelegenheiten überschattet.
Der vorliegende Band möchte dem Leser eine sehr komplexe, aber
auch höchst spannende Zeit näher bringen. Dabei soll die Präsentation
des Demosthenes und seiner Zeit nicht nur als Orientierungshilfe und
Prüfungsvorbereitung im Rahmen der akademischen Ausbildung die-
nen, sondern auch als Darstellung eines geschichtlichen Paradigmas
überzeitlicher Natur verstanden werden. Das ‚überzeitliche‘ Profil des
Demosthenes gewinnt Kontur durch seine beispielhafte Haltung im
Kampf um Freiheit (eleuthería) und Autonomie der griechischen Stadt-
staaten. Er positioniert sich selbst als früher Vertreter der später so ge-
nannten Balance-of-Power-Theorie, welche heutzutage in der Politik-
wissenschaft als Modell der Balance-of-Threat modifiziert wird.
Daneben liegt die Fokussierung auf die Person des Demosthenes im
Trend der derzeitigen deutschsprachigen Geschichtsforschung, in der
wieder mehr Wert auf die Biographie als historische Wahrnehmung gelegt
wird. Demosthenes war unbestritten der größte Rhetor der Antike – so
antike und moderne Urteile –, jedoch wurde seine historische Rolle im-
mer höchst kontrovers beurteilt: An ihm ist paradigmatisch die Entwick-
lung der modernen Geschichtswissenschaft und auch die Trennung der
historischen und der philologischen Forschung abzulesen.
2 Einleitung
Balance-of-Power (BoP)-Theorie
In der internationalen Politikforschung galt bis 1985 die BoP-Theorie als das
Erklärungsmodell der Bündnispolitik von Staaten unterschiedlicher politisch-
militärischer Stärke. Allianzen werden gebildet, um eine Balance in den zwi-
schenstaatlichen Beziehungen herzustellen, wobei sich die Bündnisse besonders
gegen einen aggressiven und damit vermeintlich starken oder im Wachstum
begriffenen Gegner richten, um dessen Hegemonialstellung zu vermeiden.
Balance-of-Threat (BoT)-Theorie
Seit der Studie von Stephen M. Walt (1985) ist darunter eine Bündnispolitik
zu verstehen, die das angenommene oder reale Bedrohungspotential der
einzelnen Länder als Grundlage einer Entscheidung für oder gegen eine Al-
lianz nimmt. Angestrebt wird ebenso wie in der BoP-Theorie eine politisch-
militärische Balance zwischen den Nationen (balancing), ursächlich gegen
den vermeintlich stärksten und am aggressivsten auftretenden Staat gerichtet.
Allerdings entscheiden sich schwächere Staaten gemäß der BoT-Theorie in
der Regel für ein Bündnis mit dem militärisch stärksten Staat (bandwago-
ning), da sie ihr eigenes Sicherheitsbedürfnis unter der potentiellen Bedro-
hung (threat) höher bewerten als die Ausschaltung einer Hegemonialmacht.
Als Historiker muss man sich fragen, ob in diesem Falle eine Bewer-
tung ex eventu vorliegt, das heißt, ob das historische Urteil über beide
Persönlichkeiten stärker vom Ausgang der makedonischen Expansion,
vielleicht sogar von der modernen historischen Betrachtung der nach-
folgenden hellenistischen Epoche abhängt, oder ob die Leistung des
Demosthenes auch schon von seinen Zeitgenossen als solche gesehen
und diskutiert wurde. Die grässliche Szene aus der Demosthenes-Vita
des Plutarch ist dem schwärzesten Tag der politischen Karriere des Red-
ners entnommen: Sieges- und weintrunken zieht der Makedonenkönig
mit seinen Kampfgenossen über das noch frische Schlachtfeld von
Chaironeia und kostet seinen Triumph inmitten der Leichen seiner
gefallenen Gegner aus. Dabei skandiert er den für einen athenischen
Volksbeschluss notwendigen Eingangssatz, der den Antragsteller nennt,
um ihn gegebenenfalls vor Gericht zu bringen, falls das Dekret später
als gesetzwidrig angefochten wird. Im Falle des ‚Siegesgesangs‘ von
Chaironeia nimmt Philipp bewusst Bezug auf den athenischen Politiker
Demosthenes, Sohn des Demosthenes, aus Paiania (Demosthénes De-
mosthénous Paianieús), den er offenbar als Zentrum des griechischen
Widerstandes ansieht. Und tatsächlich hatte es Demosthenes geschafft,
einen zweiten Hellenenbund zu schmieden, der sich der makedonischen
Streitmacht im August 338 v. Chr. in der Kephissos-Ebene östlich von
Chaironeia militärisch entgegenstellte. Zwar konnten die vereinten
griechischen Kräfte dieses Mal nicht die Erfolge des ersten Hellenen-
bundes (480 / 79 v. Chr.: Perserabwehr) wiederholen, jedoch war es
Philipp II. – laut den spätklassischen und hellenistischen Quellen des
Plutarch – bewusst, dass ihm diese Entscheidungsschlacht von Demos-
thenes aufgezwungen worden war und seine anfänglich diplomatisch
geschickte Annäherungs- und Umarmungspolitik in Griechenland ge-
scheitert war.
In den folgenden Kapiteln soll anhand ausgewählter Quellen erörtert
werden, wie sich das makedonische Interesse an einer Einbindung in
griechische Belange durch die Politik des Demosthenes zu einer Grund-
satzfrage über die Fortdauer der pólis-Autonomie ausweitete und da-
durch die fragile Balance der Machtverhältnisse im Ägäis-Raum nach-
haltig erschüttert wurde.
10 Einleitung
Literatur
A. Dihle, Griechische Literaturgeschichte. Von Homer bis zum Hellenismus,
München ²1991
A. Dihle, Die griechische und lateinische Literatur der Kaiserzeit. Von Augustus
bis Iustinian, München 1989
A. Lesky, Geschichte der Griechischen Literatur, Darmstadt ³1971
D. M. MacDowell, Demosthenes the Orator, Oxford 2009
E. Pöhlmann, Einführung in die Überlieferungsgeschichte und in die Textkritik der
antiken Literatur, I. Altertum, II. Mittelalter und Neuzeit, Darmstadt 2003 / 2008
1
Kindheit und Jugend des Demosthenes
wechselten jedoch nicht nur hier, sondern auch auf dem griechischen
Festland, so dass der persische Großkönig Artaxerxes II. Mnemon auf
der Konferenz von Sardeis im Jahre 386, zwei Jahre vor der Geburt des
Demosthenes, durch seinen Satrapen Tiribazos allen Griechen eine
koiné eiréne, einen allgemeinen Frieden, zu seinen Bedingungen diktie-
ren konnte. Persien zeigte sich hier als der wahre Gewinner der inner-
griechischen Auseinandersetzungen seit der Mitte des 5. Jahrhunderts,
jedoch sollte auch Athen von der sich bis 360 vollziehenden militäri-
schen Schwächung und politischen Isolierung Spartas profitieren.
Damit sollte einerseits Sparta sukzessive aus der Rolle des Garanten
der pólis-Autonomie gedrängt werden. Andererseits sollte die persische
Großmacht sanft in ihre Schranken gewiesen werden, indem mit dem
Hinweis auf die bestehenden Besitzverhältnisse, wie sie im Königsfrie-
den von 387 / 86 festgelegt wurden, dem Großkönig keine Möglichkeit
gegeben wurde, den Zweiten Athenischen Seebund anders als „eine in-
nergriechische Angelegenheit“ (K.-W. Welwei) zu deuten. Gleichzeitig
versuchte die athenische Seite, die Fehler des (ersten) Delisch-Attischen
Seebundes nicht zu wiederholen: Vertraglich wurde den Bündnern
eleuthería (Freiheit), autonomía (innere und äußere Unabhängigkeit
im staatlichen Handeln), die Abwesenheit von athenischen Kontroll-
beamten oder Kleruchen (Siedlern) und Abgabenfreiheit zugesichert.