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Eine schauerliche Mordtat

soll sich einer alten Chronik zufolge zur Zeit des Dreißigjährigen
Krieges zugetragen haben. Der Anführer einer jener plündernden
Banden, die damals weite Landstriche heimsuchten, schlug einem
gefangenen Bauern die rechte Hand ab, da dieser sich standhaft
weigerte, seinen mit dieser Hand geschworenen Eid zu brechen und
den Versteck der Frauen, Kinder und Greise seines Dorfs zu
verraten. Der Unhold ließ die abgehackte Hand darauf hohnlachend
unter den Augen des verblutenden Bauern vergraben und warf den
Ärmsten selber wilden Hunden zum Fräße vor. In der Nacht darauf
jedoch, als der Mörder im Kreise seiner Kumpanen zechend am
Lagerfeuer saß, kam plötzlich aus dem Dunkel eine riesige, schwarze
Hand hervorgekrochen und erwürgte den darüber vor Entsetzen
erstarrten Bösewicht. Als die Bauern später von dieser unheimlichen
Begebenheit erfuhren, und an der Stelle nachgruben, an der die
abgeschlagene Hand ihres treuen Freundes verscharrt worden war,
fanden sie keine Spur mehr von ihr vor. Seitdem sind immer wieder
Fälle bekannt geworden, in denen „eine schwarze, unheimliche,
riesige Hand“ da und dort aufgetaucht sein soll und bisher
ungesühnte Verbrechen auf dieselbe, schauerliche Weise rächte. Bis
sich in jüngster Zeit, tief beeindruckt von diesen Vorfällen, ein paar
entschlossene Männer zu einem Geheimbund zusammenschlössen,
dem sie' den Namen

Die schwarze Hand


gaben. Das Wirkungsfeld dieser Männer umschließt heute die ganze
Welt. Überall, wo etwas Böses im Gange ist, tauchen sie ebenso
überraschend auf, wie die gespensterhafte Totenhand in der alten
Chronik.
Duell auf dem Meeresgrund

Von Lutz Veith

Mitten durch den Atlantischen Ozean erstreckt sich ein


unterseeischer Gebirgszug von gewaltigen Ausmaßen. Nur
seine höchsten Gipfel ragen über das Wasser, bilden die
Inselgruppen zwischen Europa und den USA, zwischen
Afrika und Südamerika. Diese phantastische, unterseeische
Gebirgslandschaft ist der Schauplatz einer abenteuerlichen
Begebenheit, bei der geheime kartographische Pläne, ein
versunkener Goldschatz – und DIE SCHWARZE HAND
die Hauptrolle spielen.
1.

Unheimlicher Besuch zur Nacht

Die Dämmerung war schon eingebrochen, als die


gepolsterte Türe zum Privatbüro Direktor Krischkowskis
leise aufgemacht wurde. Eine dunkle Gestalt huschte
herein, schloß die Türe von innen zu und eilte zu dem
Schreibtisch in der Ecke. Ein Lichtschein flammte auf.
Gerade hell genug, um den Stoß aufgestapelter Papiere auf
dem Schreibtisch zu erkennen. Es war ein merkwürdiges,
fluroszierendes Licht, das von den Fingerspitzen eines
schwarzen Handschuhs ausging und wie ein Glühwürm­
chen über dem Schreibtisch hin- und herglitt. Da hielt es
jäh inne. Verlöschte. Der nächtliche Eindringling konnte
sich gerade noch hinter den Vorhängen an einem der hohen
Fenster verbergen, als die Deckenbeleuchtung aufflammte
und zwei Männer hereintraten.
„Nehmen Sie Platz, Ferdoc!“ sagte der eine und deutete
auf den Polstersessel vor dem Schreibtisch, während er
sich dahinter aufseufzend auf den Stuhl setzte, »ich kam
früher als vorgesehen von der Besprechung zurück. Wir
haben also Zeit, alles in Ruhe noch einmal durchzu­
sprechen. Soweit ich durch Casari informiert bin, wollen
Sie morgen früh um 5 Uhr starten?“
„Jawohl“, versicherte der mit Ferdoc Angeredete.
„Pinguin“ hat die Azoren verlassen. Um 10 Uhr werden
wir an Bord sein. Um 11 Uhr ist der erste Tauchversuch
vorgesehen.“
Das Telephon summte. Unwillig nahm der hinter dem
Schreibtisch Sitzende den Hörer ab. „Ja, hier Krisch­
kowski… Wie, mich sprechen? … Und wenn es der Kaiser
von China wäre – nein!“ Wütend warf Direktor Krisch­
kowski den Hörer auf die Gabel. „Daß man auch keine
Minute Ruhe haben kann!“ knurrte er und zog an seiner
Zigarre. „Aber – erzählen Sie weiter, Ferdoc!“
„Wenn alles gut geht, Herr Direktor, kann ich Ihnen bis
zum Nachmittag den Funkspruch durchgeben. Ich bin
sicher, daß wir bis dahin das Gold gehoben haben. Ist das
erst geschehen, dann kann Casari mit seinen Experimenten
beginnen. Konnten Sie ihn übrigens inzwischen umstim­
men?“
„Umstimmen?“ Casari ist ein hoffnungsloser Phantast.
Nur gut, daß Sie wenigstens vernünftig sind. Denn wenn
ich als Geschäftsmann schon ein so kostspieliges Unter­
nehmen finanziere, dann möchte ich zur gegebenen Zeit
auch einen Nutzen haben.“ .
„Sie wissen, daß ich ganz Ihrer Meinung bin, Herr
Direktor, aber…“ Ferdoc schaut Krischkowski prüfend an,
„schließlich verdanken wir die Ortung des Goldschatzes
Casari. Nur mit Hilfe seines Seismographen entdeckten wir
das unterseeische Hochtal bei den Azoren und konnten
feststellen, daß hier unter meterhohen Schlamm- und
Schlickschichten Goldbarren von einem märchenhaften
Wert verborgen sein müssen. Daß wir uns nicht täuschten,
bewiesen die ersten Proben.. Casari interessiert sich für
andere Schätze auf dem Meeresgrund; Um Öl und um
Uran, um neue Energiequellen und…“
„Ich weiß, ich weiß!“ Krischkowski geht erregt im
Zimmer auf und ab. „Casari ist der Ansicht, daß diese,
noch verschlossenen Tresore auf dem Grund der Welt­
meere nicht einem Land, geschweige denn einem Wirt­
schaftsunternehmen zugute kommen sollen, sondern der
ganzen „Menschheit“. Wenn ich bloß dieses Wort
„Menschheit“ höre!“
„Wir dürfen Casari nicht unterschätzen, Herr Direktor.
Er allein ist im Besitz der kartographischen Aufnahmen. Er
allein kennt im Atlantischen Ozean jede' Stelle, an der es
sich zu tauchen lohnt. Er hat den unterseeischen Gebirgs­
zug erforscht, der sich von Island über die Azoren und
Tristan da Cunha bis nach Bouvet hinunter erstreckt. Jenes
unterseeische, geheimnisvolle Land also, das in seiner gan­
zen Ausdehnung die Länge des gesamten amerikanischen
Kontinents noch übertreffen dürfte. Casari ist der Auf­
fassung, daß es sich dabei um den vor 12000 Jahren
versunkenen Erdteil Atlantis handelt. Er will…“
„Zum Donnerwetter! Ich will als erstes das Gold in Geld
umsetzen, um die in diesem Unternehmen investierten
Millionen wieder frei zu bekommen. Dann will ich mit
Hilfe dieser neuen, flüssig gemachten Beträge an die
systematische Förderung der unterseeischen Bodenschätze
gehen. Dazu habe ich Casari als Hydrobiologen und Sie als
Ingenieur engagiert. Dazu steht mir Fräulein Kerkonnen als
Radarspezialistin zur Verfügung.“
Ferdoc verbeugt sich: „Sie wissen, Herr Direktor, daß
Sie auf mich rechnen können. Und auf Fräulein Kerkonnen
auch. Sollte Casari weiter Schwierigkeiten machen …“
„Nun?“ Krischkowski beugt sich interessiert vor, „was
ist, wenn Casari alles an die große Glocke hinge, uns die
Regierung auf den Hals hetzte? Was dann?“
Ferdoc lächelt hintergründig. „Noch weiß niemand außer
uns Bescheid, Herr Direktor. Die kartographischen
Aufzeichnungen Casaris, die er wie seinen Augapfel
behütet, werde ich …“
Krischkowski reicht Ferdoc die Hand. „Wir verstehen
uns“. Krischkowski senkt seine Stimme: „Mein Konzern
beschäftigt heute eine halbe Million Menschen. Er wird,
wenn die Verwirklichung unserer Pläne erst anläuft, bald
einer, zwei Millionen Menschen Arbeit und Brot geben.
Gegenüber solchen Gegebenheiten bedeutet ein Einzelner
nichts.“
Wieder zeigt Ferdoc sein hintergründiges Lächeln. „Es
ist schon mancher Taucher“, sagt er leise, „von einem
Tauchversuch nicht zurückgekehrt. Sie können sich auf
mich verlassen, Herr Direktor. Dem Schicksal läßt sich
nachhelfen. Die Interessen des Ganzen stehen immer über
den Plänen Einzelner.“
„Ich will kein Aufsehen, Ferdoc“, auch Krischkowski
hat seine Stimme gesenkt, „ich kann es ja Ihnen im
Vertrauen sagen: ich lasse Casari überwachen. Sollte er
abspringen wollen, so werden wir das rechtzeitig
verhindern. Doch – es geht schon auf acht Uhr. Sie werden
morgen Ihre ganze Kraft brauchen. Ich will nur rasch
meine Post durchsehen, dann gehen wir.“
Während Krischkowski in dem Stoß aufgestapelter
Papiere auf dem Schreibtisch blättert, ist Ferdoc an das
Fenster getreten und schaut hinaus. Bis hinüber zum Hafen
reicht die Sicht. Dort liegen, ein Stuck weiter rechts, die
Wasserflugzeuge verborgen, mit denen Ferdoc, Casari und
Fräulein Kerkonnen morgen früh zum Expeditionsschiff
abfliegen werden. Ferdoc brütet vor sich hin. „Es wird
nicht leicht sein“, überlegte er mit verkniffenem Gesicht,
„aber…“
„Zum Teufel, was ist denn das?!“ Krischkowski hält
fassungslos ein Stück Papier in der Hand. Springt auf. Eilt
zur Ferdoc ans Fenster. »Hier, sehen Sie sich das einmal
an!“
Ferdoc nimmt ruhig das Stück Papier. Es ist eine
flüchtig hingeworfene Kartenskizze, den Atlantik mit
seinen unterseeischen Gebirgszügen darstellend. Und
darüber, gleich einem bedrohlichen Schatten aufgemalt,
eine riesige, gespensterhafte schwarze Hand.
„Wie kommt das unter meine Post?“ Krischkowski ist
außer sich. „Bisher hielt ich „Die Schwarze Hand“ für
einen schlechten Witz. Irgendein verrückter Klub, dachte
ich, der mehr in der Einbildung der Leute, als in Wirk­
lichkeit existiert.“
Ferdoc studiert die Karte. „Das ist mehr als ein
schlechter Witz! Es scheinen Leute an unseren Plänen
interessiert zu sein, die ich nur als höchst gefährlich
bezeichnen kann. Ist Ihre Sekretärin zuverlässig? Oder
kann sie vielleicht bestochen sein? Bestochen… von der
Schwarzen Hand?“
„Wie … meinen Sie das?“ Krischkowski ist ganz blaß.
Sein Herz macht ihm wieder zu schaffen. Schwer stützt er
sich auf den Fenstersims.
„Die Schwarze Hand“, antwortet Ferdoc, „wurde bereits
im Zusammenhang mit verschiedenen, dunkeln Affären
genannt. Niemand weiß genau, wer eigentlich dahinter­
steckt. Aber es scheinen sehr maßgebliche Kreise zu sein,
die notfalls vor Mord und Totschlag nicht zurück­
schrecken. Nach meinen bisherigen Ermittlungen sind es
Leute, wie…, na etwa wie Casari…“
„Casari?!“ Krischkowski starrt Ferdoc entgeistert an.
Unwillkürlich ist er seitlich an dem Fenster zurückgetreten
und lehnt sieh keuchend an den großen Vorhang. Mit
einemmal wendet er sich wie elektrisiert um. Reißt den
Vorhang weg. Da geht das Licht aus.
Ferdoc hat seine Pistole aus der Tasche gerissen. Aber er
kommt nicht zum Schießen. Hinter dem Vorhang löst sich
eine dunkle Gestalt. Hebt langsam eine schwarze Hand, die
von fluroszierenden Lichtern wie von tanzenden, kleinen
Feuerspiralen umflossen ist. Die beiden Männer über­
kommt eine bleierne Müdigkeit. Polternd entfällt die
Pistole Ferdocs mit einemmal schwer gewordenem Arm.
Krachend sinkt Krischkowskis massiver Körper zu Boden,
im Fall den Vorhang mit sich reißend. Der unheimliche
Fremde steht immer noch unbeweglich. Dann läßt er seine
Hand mit den langsam verglühenden Lichtern sinken und
schreitet, ohne die beiden Männer nur noch eines Blicks zu
würdigen, zur Tür, die geräuschlos hinter ihm ins Schloß
fällt.
Ferdoc ist der erste, der wieder zu sich kommt.
Taumelnd erhebt er sich, tastet an der Wand zum
Lichtschalter. Aber die Beleuchtungsanlage funktioniert
nicht. Er will die Tür daneben öffnen. Sie ist von außen
abgeschlossen. Mit einem unterdrückten Fluch läßt er sich
wieder auf den Boden nieder und setzt sein Feuerzeug in
Brand.
Da liegt seine Pistole! Ein Griff, ein leises Knacken. Die
Waffe ist entsichert. Aber dann lacht er plötzlich unter­
drückt auf, als er im Schein des brennenden Feuerzeugs das
verzerrte Gesicht Krischkowskis sieht, der mit weit aufge­
sperrtem Mund daliegt. Nein, die Pistole hat keinen Sinn
mehr.
Das Leuchtzifferblatt seiner Uhr zeigt 8 Uhr 10 Minuten.
Also konnten sie höchstens 5 Minuten lang bewußtlos
gewesen sein. Der unbekannte Eindringling, das war
Ferdoc als Ingenieur klar, mußte über einen Strahlen­
apparat verfügen, der das Nervensystem narkotisierte.
Wahrscheinlich waren auf dieselbe Weise auch die
Drähtchen der Glühlampe an der Deckenbeleuchtung
unterbrochen worden, so daß als erstes das Licht ausging.
Und dann …
„Die Schwarze Hand… Die Schwarze Hand!!!“ Es ist
Krischkowski, der diese Worte hervorstößt. Schwerfällig
richtet er sich an der Wand hoch, verwundert die kleine
Flamme des Feuerzeugs anstarrend. „Was… was… ist hier
eigentlich los?“ fragt er mit stockender Stimme, „warum
sitzen wir in dieser rabenschwarzen Finsternis auf dem
Boden?“
„Wir sitzen wie die Maus in der Falle, Herr Direktor!“.
sagt Ferdoc gelassen, „die Schwarze Hand scheint sich in
Ihrem Privatbüro gut auszukennen. Auch das Telephon…“
vorsichtig tastet er sich zum Schreibtisch hinüber und
nimmt den Hörer ab, „hier, keine Verbindung. Gestört.
Was machen wir nun?“
„So leicht soll es den Burschen doch nicht gemacht
werden!“ Krischkowski erhebt sich. „Geben Sie mir doch
Ihr Feuerzeug. Danke.“ Er knipst es an. Geht entschlossen
an den Schreibtisch.
„Was wollen Sie tun?“ Auch Ferdoc ist aufgestanden
und schaut interessiert zu, wie Krischkowski im flackern­
den Lichtschein des Feuerzeugs hastig unter den Schreib­
tisch leuchtet.
„Ich habe vorsichtshalber einmal zwei funktelegraphi­
sche Alarmanlagen einrichten lassen“, knurrt Krischkows­
ki, „die eine zur Kriminalpolizei, die andere zu meiner
eigenen Abwehrabteilung. In spätestens zehn Minuten sind
wir frei: Nur schade, daß ich vorher nicht hier saß. Dann
wäre uns der Halunke nicht entkommen.“
„Wie merkten Sie eigentlich, daß sich jemand hinter
dem Vorhang verborgen hatte?“, fragt Ferdoc, „mir ist das
ganz entgangen.“
„Auch ich wäre wohl nie darauf gekommen, wenn ich
nicht plötzlich, als ich mich an den Vorhang anlehnte,
dahinter einen menschlichen Körper gespürt hätte. Sie
können sich meinen Schrecken im ersten Augenblick
vorstellen. Als ich zupacken wollte, war es bereits zu spät.“
Bei diesen Worten wird die Türe aufgerissen. Schein­
werfer blenden die beiden Männer, werden abgestellt.
„Bitte lassen Sie alles liegen und kommen Sie gleich
heraus.“ ruft eine klare, männliche Stimme. „Es ist doch
hoffentlich sonst nichts geschehen, Herr Direktor?“
Krischkowski geht an den eindringenden Männern
vorüber und drückt dem Sprecher unter der Türe beide
Hände.“ Sie kamen rascher, als ich zu hoffen wagte,
Humbry. Nun können Sie zeigen, was Ihr Metier wert ist.“

Der Vorgang ist bald geklärt. Wie Ferdoc schon


vermutete, mußte der fremde Eindringling über einen
besonderen Strahlen-Apparat verfügen. Der schwarze,
fluoreszierende Handschuh hatte dabei als eine Art Sender
gedient, mit dessen Hilfe die Glühlampen zum Kurzschluß
gebracht und Krischkowski und Ferdoc durch einen
elektrischen Schock betäubt worden waren. Humbry
berichtete außerdem, daß er während der letzten Stunden
jede Spur von Casari verloren habe. Einer seiner Leute
hatte ihn noch vom Labor im selben Hause weggehen
sehen. Dann war er plötzlich im Straßengewühl ver­
schwunden.
„Damit liegt der Verdacht nahe“, wirft Ferdoc ein, „daß
der nächtliche Eindringling niemand anders als Casari ist.“
Humbry überlegt. „Noch kann ich nichts Endgültiges
sagen. Aber vielleicht empfiehlt es sich, Casari auf jeden
Fall festzunehmen, sofern Sie ohne Casaris Hilfe zurecht­
kommen. Sonst…“
Ferdoc steht auf. „Ich komme zurecht.“ betont er. „Ich
sah diesen Augenblick kommen. Ich habe vorgesorgt. Die
Pläne liegen im Labor Casaris auf dem Expeditionsschiff.
Die Geräte wurden gestern ebenfalls hinausbefördert. Ich
mache den Vorschlag, daß wir unverzüglich heute Nacht
noch abfliegen. Wir dürfen keine Minute mehr verlieren.
Denn wer weiß, wer mit Casari noch alles im Bunde ist.“
Das Telephon, dessen Störung inzwischen behoben
wurde, summt. „Darf ich?“, fragt Humbry. Krischkowski
nickt müde. Humbry nimmt den Hörer. Meldet sich.
Lauscht. „Casari ist soeben in seinem Labor eingetroffen“,
flüsterte er, „er wird es nicht mehr verlassen!“
Eine Viertelstunde später erhält Ferdoc von Krisch­
kowski Vollmachten ausgehändigt, um das für morgen
angesetzte Projekt beschleunigt durchzuführen. Krisch­
kowski verabschiedet sich, um mit seinem Wagen nach
Hause zu fahren. Humbry läßt ihn von seinen tüchtigsten
Leuten begleiten. Wenige Minuten darauf läutet das
Telephon wieder. Ferdoc überreicht Humbry den Hörer:
„Sie werden gewünscht. Anscheinend brennt es schon
wieder irgendwo.“
Humbry wechselt nur ein paar Worte. Dann sagt er
lakonisch zu Ferdoc: „Direktor Krischkowski ist soeben
das Opfer eines Autounfalls geworden. Er wurde bewußt­
los ins Krankenhaus eingeliefert. Nach den bisher vorlie­
genden Ermittlungen versagten in seinem Wagen Bremse
und Steuerung, so daß sein Chauffeur in vollem Tempo auf
ein Haus prallte.“
„Wie konnte denn das geschehen? Weiß man, wie der
Autounfall zustande kam?“ Ferdoc ist außer sich. „Der
Chauffeur wird doch nicht als Handlanger der „Schwarzen
Hand“ seinen eigenen Schädel einrennen, nur um einen
Autounfall zu inszenieren!“
Humbry mustert Ferdoc verstohlen. Dann geht er
langsam zur Türe. „So dumm dürften die eigentlichen
Attentäter kaum gewesen sein“, sagte er im Hinausgehen,
„unsere geheimnisvollen Kontrahenten arbeiten mit neu­
artigen, technischen Hilfsmitteln, vor denen keine Bewa­
chung schützt. Aber auch der gerissenste Halunke macht
einmal einen Fehler. Ich glaube, es wird höchste Zeit, dem
ehrenwerten Herrn Casari auf den Busch zu klopfen.
Wollen Sie mich begleiten?“
Ferdoc springt auf. „Ich wüßte nicht, was ich lieber täte.
Ich muß ohnedies Fräulein Kerkonnen holen. Sicher wird
sie im Labor sein.“
„In welchem Labor?“ fragt Humbry und zündet sich
seine Pfeife an, während sie auf den Lift warten.
„Im Labor Casaris. Fräulein Kerkonnen ist ja als Radar­
spezialistin Casaris engste Mitarbeiterin bei der kartogra­
phischen Aufnahme der unterseeischen Bodenverhältnisse
im Atlantik gewesen. Sie ist eine hervorragende Fachkraft.
Schade, daß ich ihr heute keine Nachtruhe gönnen kann.
Aber wir müssen spätestens in einer Stunde abfliegen.
Sonst könnten vielleicht noch manche Überraschungen
eintreten. Ich fühle mich Direktor Krischkowski seit
seinem Unfall noch mehr verpflichtet. Sind seine Verlet­
zungen ernsthafter Art?“
„Ich weiß es selber noch nicht genau.“ Humbry drückt
unwillig über die Verzögerung noch einmal am Liftknopf.
„Aber wir werden sofort nach der Untersuchung durch den
Arzt Bescheid erhalten. Na endlich!“ Humbry läßt Ferdoc
als ersten in den Fahrstuhl treten. Die Türe schließt sich.
Ein leises Summen. Der Lift fährt abwärts.
2.

Casari wird verhaftet

Im Laboratorium Casaris, das eine halbe Autostunde von


der Stadt entfernt unmittelbar neben der felsigen Steilküste
am Meer liegt, brennen alle Lichter. Es ist ein langge­
streckter, niederer Bau, dessen mittlerer, halbrunder Teil
eine schmale Hafeneinfahrt umschließt. Das Küstenhinter­
grund ist von einem hohen Zaun abgesperrt, der lediglich
durch ein vom Laboratorium weit abgesetztes Pförtnerhaus
entlang der betonierten Straße passiert werden kann. Das
Grundstück ist Eigentum des Krischkowski-Konzerns, in
dessen Auftrag vor fünf Jahren von dem kleinen, ausge­
baggerten Hafen an der Steilküste aus die ersten Tauch-
versuche Ferdocs und Casaris erfolgten. Bis sie mit ihren
Tiefseetauchkugeln in immer größere Tiefen vorstießen
und schließlich mit einem eigens dafür ausgerüsteten
Expeditionsschiff an die systematische Erforschung des
Atlantik gingen.
Die Öffentlichkeit erfuhr nur wenig davon. Wurden die
Experimente bisher doch unter größter Geheimhaltung
durchgeführt. Lediglich mit dem wissenschaftlichen Stab
der Marineabteilung des Landes war Verbindung aufge­
nommen.
Am Pförtnerhäuschen hielt ein Wagen. Eine Frauen-
stimme wechselte ein paar Worte mit dem Schließer.
Langsam glitt das quer über die breite Straße führende
Eisentor auseinander. Der Wagen fuhr weiter. Hielt vor
dem mittleren Teil des Gebäudes. Ein kleiner, rundlicher
Mann sprang eilfertig über die Stufen herab und riß die
Wagentüre auf. „Endlich, Signora!“, rief er aus, „Signore
wartet schon.“ Dann wendet sich der Kleine wieder um und
rennt mit einem Satz die Stufen hinauf: „Signore Casari!“,
schreit er, „Signore Casari, Signora Kerkonnen ist da!“
„Aber Pepino“, ruft die solcherart Angekündigte
vorwurfsvoll, warum machen Sie denn einen solchen
Lärm? Wollen Sie mir nicht lieber die, eingekauften
Leckerbissen mit hinauftragen helfen?“
Reumütig kehrt Pepino um, stammelt eine Entschul­
digung und schleppt die Körbe ins Haus. Langsam, fast
zögernd, folgt ihm die schlanke, hochgewachsene Frau,
schon unter der Türe von einem, sie um einen Kopf
überragenden Mann begrüßt.
„Wir machten uns Sorgen, Kaarina. Du bliebst so lange
aus…“ Fürsorglich legt der Mann seinen Arm um die
Schultern von Kaarina Kerkonnen und begleitet sie ins
Haus.
Die Türe fällt zu. Es ist wieder dunkel und still. Aber im
Lichtschein, der aus den breiten Fenstern hell über die
Gebüsche neben der Autoauffahrt flutet, ist jetzt deutlich
eine dunkle Männergestalt zu erkennen, die sich vorsichtig
an den parkenden Wagen heranschleicht, die Türe öffnet
und im Wageninnern verschwindet. Dann wird die Türe
leise wieder aufgemacht. Geduckt steigt der Fremde heraus
und nähert sich im Schatten der unter dem Fenster
liegenden Wand dem Haus. Ein leiser Kratzton ist hörbar,
so, wie wenn Metall auf Glas stößt. Dann ist der Fremde
wie vom Boden verschluckt.
In der Diele hilft Casari Kaarina aus dem Mantel.“ Du
siehst angegriffen aus“, sagt er besorgt, „ist etwas Unan­
genehmes passiert?“
„Ach Luigo!“ Kaarina wendet sich plötzlich um und
schmiegt sich wie schutzsuchend in Casaris Arme. „Ich
erzähle es Dir nachher. Hörst Du mein Herz klopfen. Ich
habe solche Angst. Wegen morgen. Wegen unserer ganzen
Arbeit. Ich werde das Gefühl nicht mehr los, daß hier
irgend jemand seine Hände mit im Spiel hat. Daß Dinge in
Vorbereitung sind, die Böses bringen. Du weißt ja, ich
verbrachte meine Kindheit hoch droben im Norden, in den
Wäldern Lapplands. Dort haben die Menschen in den
langen Nächten, wenn die Sonne monatelang nicht mehr
scheint, Gesichter. Meine Mutter wurde schon von ihnen
heimgesucht. Es sind Gesichter ähnlich der tanzenden
Nordlichter über den nächtlichen Tundren. Auch ich leide
darunter … Oh – wären wir zusammen nur fort von hier.
Wären wir doch in den weiten, schweigenden Wäldern
meiner Heimat…“
„Aber Kaarina!“ Casari schließt die bebende Frau fest in
seine Arme. „So kenne ich Dich gar nicht. Eine sonst so
kühle und sachliche, eine so gefeierte Frau der
Wissenschaft, die selber schon in der Tauchkugel die
schwärzeste Tiefe des Ozeans erlebte, ohne mit der
Wimper zu zucken … sag, was ist mit Dir?“
Kaarina Kerkonnen faßt sich. „Komm“, sagt sie leise,
„wir wollen drinnen noch eine Tasse Kaffee zusammen
trinken. Pepino hat ihn schon aufgegossen. Riechst Du es
nicht?“
Als sie an dem kleinen Tisch in Casaris Wohnraum Platz
genommen haben und Pepino den Kaffee aufträgt, bittet
Kaarina: „Erzähle doch Du mir zuerst von Deiner
Auseinandersetzung mit Krischkowski. Sicher ging es
wieder um das alte, unleidliche Thema.“
„Ja, das war es!“ Wütend zündet sich Casari eine
Zigarette an. Im Augenblick hat er seine Sorgen um
Kaarina vergessen. Erlebt die erregten Stunden noch
einmal, die er mit Krischkowski am Vormittag verbrachte.
Als er dem Konzern-Allgewaltigen drohte, er würde von
heute auf morgen seine Stellung quittieren, wenn
Krischkowski nicht wenigsten« zu einem Kompromiß
bereit wäre.
Kaarina hört seinen erregten Worten mit geschlossenen
Augen zu. Sie spürt, wie die bange Nervosität langsam
wieder von ihr weicht. Aufatmend beugt sie sich vor und
trinkt einen Schluck des heißen, belebenden Getränks. Sie
hat sich nun wieder so sehr in der Gewalt, daß sie sogar
lächeln kann. „O Du großer Kindskopf!“ unterbricht sie
Casaris Schilderungen. Wir dürfen nicht mit offenem
Visier kämpfen. Krischkowski ist im Grunde seines
Herzens kein schlechter Mensch. Aber er ist Geschäfts­
mann, Unternehmer, verantwortlich für einen großen
Konzern. Er m u ß ja zuerst an seine eigenen Interessen
denken. Gönnen wir ihm diesen Spielraum. Ich mache Dir
einen Vorschlag. Du nimmst am morgigen Versuch nicht
teil. Wenn das Gold erst gehoben ist und Krischkowski
damit wenigstens einen Teil der beträchtlichen Auslagen
für unsere Forschungsarbeiten gedeckt weiß, dann läßt sich
alles sicher auf eine friedliche Art lösen.“
Casari schaut betroffen auf. Kaarina begegnet offen
seinem Blick. „Ich werde selbstverständlich mit Ferdoc
morgen früh starten“, fügt sie noch hinzu, „es darf nicht der
Anschein erweckt werden, als würden wir ein Komplott
aushegen.“
Da ist es mit Casaris Fassung vorbei. „Niemals!“ Er
springt auf und geht mit großen Schritten im Zimmer auf
und ab. „Niemals werde ich es zulassen, daß Du allein mit
Ferdoc den gefährlichen Versuch unternehmen wirst.
Schon verschiedentlich versuchte er, unauffällig an meine
Aufzeichnungen heranzukommen. Ich traue ihm nicht
mehr über den Weg.“
„Vielleicht hast Du recht“, meint Kaarina leise, „umso
mehr ergibt sich aus diesem Verdacht die Notwendigkeit,
daß Du morgen den Versuchen fernbleibst. Daß nicht Du
morgen die neue Tiefseekugel ausprobierst, sondern
Ferdoc. Gönne ihm doch den Triumph, daß e r der Mann
ist, der das Gold aus der Tiefe holt.“
„Wenn es nur um das lächerliche Gold ginge!“ Casari
setzt sich wieder. Dann ergreift er über den Tisch die lose
aufgelegte Hand der jungen Frau. „Kaarina!“, bittet er,
„wenn es ein Mensch überhaupt begreifen kann, dann mußt
D u es doch verstehen, um was es mir bei unserer ganzen
Arbeit geht. Fünf Jahre sind wir nun beisammen. Ich
vertraute Dir alles an. Wie oft malten wir uns aus, was für
eine unsägliche Wohltat es für die Menschheit bedeuten
würde, das geheimnisvolle, unterseeische Land mit seinen
reichen Schätzen in den Dienst der Wissenschaft zu stellen.
Nicht einmal 150 Millionen Quadratkilometer umfaßt das
Festland unserer Erde. Die Völker darauf rücken immer
enger zusammen. Immer geringer wird ihr Nahrungs- und
Wirtschaftsaum. Politische und soziale Spannungen,
Angstpsychosen und blutige Kriege sind die Folge. Da gibt
es nun in den Tiefen der Weltmeere ein noch unentdecktes
Neuland, das über das Doppelte größer als das eigentliche
Festland ist, das 70 Prozent der Erdoberfläche ausmacht.
Hier ruhen unerschöpfliche Lager an Mineralien aller Art,
an Öl und Uran. Ein einziger Kubikkilometer Ozeanwasser
enthält tonnenweise Magnesium, Pottasche, Bromin, Jod,
Borate, Eisen, Kupfer, Uranium, Silber und Gold. Alle
diese Schätze können nach dem neuesten Stand unserer
Forschungen gehoben werden. Wir können heute schon
Meerwasser in Trinkwasser verwandeln und weite,
bisherige Wüsten in fruchtbares Ackerland verzaubern.
Wir können Magnesium und Aluminium aus Ozeanwasser
herstellen. Meeresalgen können uns Textilien liefern. Ebbe
und Flut, Meereswellen und Unterwasserdruck erschließen
uns Energiequellen, die denen der atomphysikalischen
Forschung nicht viel nachstehen. Das alles bietet uns das
Neuland Meer, das den meisten Menschen so fremd ist,
wie der amerikanische Kontinent, ehe Kolumbus zum
erstenmal dessen Boden betrat.“
„Aber – was erzähle ich Dir da! Oft und oft haben wir
uns darüber die Köpfe heiß geredet. Was aber soll aus allen
diesen schönen Plänen werden, wenn ein einziger Konzern
sie lediglich nach seinen wirtschaftlichen Interessen nutzt?
Der Konzern wird immer mehr Kapital auf Kapital häufen
– und die Menschen werden ärmer denn je sein. Schon
heute wären Wissenschaft und Technik in der Lage, jedem
Erdenbürger ein wirklich lebenswertes Dasein zu ermög­
lichen. Statt dessen häufte jede neue Erfindung bisher nur
neues Elend auf das alte. So aber und nicht anders würde es
auch mit der Erschließung der Weltmeere geschehen, wenn
nicht dafür Vorsorge getroffen wird, daß diese neue,
koloniale Eroberung endlich einmal zum Wohle aller
Menschen ausgenützt wird. Das sind …“
„Hast Du das alles Krischkowski erzählt?“ wirft Kaarina
Kerkonnen leise ein.
„Ja!“ antwortet Casari, „ich mußte meinem Herzen
einmal Luft machen. Mit dem Gold mag er anfangen, was
er will, Aber der Meeresboden, dieses phantastische, unter­
seeische Territorium, gehört allen Menschen.“
„Still!“ Kaarina löst ihre Hand behutsam aus der Casaris
und lauscht. „Hast Du eben nichts gehört?“
Sie lauschen. Plötzlich splittern die Fensterscheiben
klirrend entzwei und Pepinos Stimme dringt verworren aus
dem Garten. Casari ist mit einem Satz am Fenster, reißt die
hohen Flügel auf, springt hinaus. Kaarina Kerkonnen sitzt
bewegungslos am Tisch. Sie hält den Kopf gesenkt, so, als
ob sie sich vor einem Überfall fürchten würde.
Da fährt draußen ein Wagen vor. Kaarina hört
verschiedene Stimmen durcheinanderrufen. Dann wird die
Türe aufgestoßen. Schwere Schritte im Vorraum. Immer
noch rührt sich die junge Frau nicht von der Stelle. Erst als
Humbry und Ferdoc eintreten, steht sie langsam auf und
sieht die Herren fragend an.
„Es tut uns leid, daß wir stören müssen, Fräulein
Kerkonnen“, begrüßt sie Ferdoc, „aber Herr Humbry hat
einen wichtigen Auftrag zu erfüllen. Bitte nehmen sie den
Vorfall mit Ruhe auf.“
„Sind Sie mit Herrn Casari schon lange beisammen?“
Fragt Humbry und schaut sich prüfend um.
„Ein gewisser Pepino“, Humbry mustert Kaarina
kritisch, „bemerkte anscheinend, daß einer meiner Beamten
im Park draußen Wache hielt. Es kam zu einem
Handgemenge, in das sich Herr Casari einmischte. Wir
kamen also gerade noch zur rechten Zeit. Leider muß ich
Ihnen mitteilen, daß ich beauftragt, bin, Professor Casari
bis auf weiteres in Schutzhaft zu nehmen. Verschiedene
Ereignisse der letzten Stunden zwingen dazu. Alles weitere
wird Ihnen Herr Ferdoc berichten. Ich muß mich leider
gleich wieder empfehlen. M i t dem Professor. Wir sehen
uns jedoch auf jeden Fall vor Ihrem Abflug noch einmal.
Sofern Sie nach den vorliegenden Ereignissen …“
„Lassen Sie das nur meine Sorge sein“, fällt ihm Ferdoc
ins Wort. „Bitte, Fräulein Kerkonnen, nehmen Sie doch
wieder Platz. Ich bin überzeugt, Ihr Verständnis zu finden.“
Kaarina hört, wie Casari in der Diele vergeblich fordert,
mit ihr noch einmal sprechen zu dürfen. Dann poltern
wieder Schritte die Treppen hinunter. Ein Motor wird
angelassen. Kaum hörbar fährt der Wagen auf dem
knirschenden Kies zur Straße vor. „Signora?!“ hört sie
Pepino noch sagen, der wie ein Häuflein Elend unter der
Türe steht. Da ist es auch mit Kaarina Kerkonnens Fassung
zu Ende. Sie spürt, wie ihr die Sinne schwinden. „Rasch,
Wasser!“ vernimmt sie die befehlende Stimme Ferdocs und
glaubt, auf dem nun über sie sich beugenden Gesicht des
Ingenieurs ein verzerrtes, triumphierendes Lächeln zu
erkennen. Dann versinkt sie in eine tiefe Ohnmacht.
So bleibt ihr der Anblick erspart, der die Augen Pepinos
mit einemmal vor lauter Schrecken entsetzt weitet und
selbst Ferdoc für einen Augenblick wie gelähmt erstarren
läßt. Denn hinter der zerbrochenen Fensterscheibe taucht
langsam eine merkwürdige, schwarze Hand aus der Nacht,
erkenntlich nur an ihren fluroszierenden Umrissen. Die
gespenstische Hand also, die Ferdoc nur zu gut in
Erinnerung ist. Trotzdem ihm wie im Fieber die Zähne
aufeinander schlagen, zwingt sich Ferdoc dazu, langsam
seine rechte Hand in seine Hosentasche zu schieben. Dann
zieht er sie mit einemmal blitzschnell heraus und feuert
seine ganze Pistole auf die unheimliche Erscheinung vor
dem Fenster ab. Mit dem Knall der Schüsse sind auch seine
Lebensgeister wieder erwacht. Er stürzt ans Fenster. Aber
niemand ist draußen. Nur der Wind raschelt in dem
Gebüsch, das die Autofahrt gegenüber säumt.
3.

Welche Rolle spielt Kaarina Kerkonnen?

Der Wagen, mit dem Casari auf Humbrys Anweisung


abgeholt wurde, hat inzwischen die Stadt erreicht. Casari
sitzt zusammengekauert im Hintergrund des geräumigen
Fahrzeugs. Kaum daß er Notiz von seinem Begleiter
nimmt, einem jungen Mann in einem grauen Sportanzug.
Erst nach und nach bekommt Casari wieder einen klaren
Kopf. Es ist die einfachste Art, geht es ihm durch den Sinn,
einen unliebsamen Mitarbeiter kalt zu stellen. Krisch­
kowski schien keine Mittel zu scheuen, um seine Ziele zu
verwirklichen. Aber, und bei diesen Gedanken schießt
Casari jäh das Blut zu Kopf, was wird mit Kaarina
geschehen? Hatte sie nicht bei ihrer Unterredung selbst
darauf hingewiesen, daß sie morgen auf jeden Fall an den
Tauchversuchen teilnehmen würde? War es nicht
merkwürdig, daß sie von sich aus nichts unternommen
hatte, um ihn in der Diele noch einmal zu sehen?
Oberhaupt – welche Rolle, welche wirkliche Rolle, spielte
Kaarina?
Es gab da verschiedene dunkle Stellen, aus denen der
Professor nicht klug wurde. Kaarina Kerkonnen kam
damals auf Empfehlung einer berühmten Universität als
Radar-Spezialistin zu Krischkowski und wurde von diesem
in seine Abteilung verwiesen. Ihr Name war in den inter­
nationalen Fachkreisen schon bekannt geworden, so daß er
sich glücklich, pries, eine so außergewöhnliche Fachkraft
zur Verfügung zu bekommen. Aber hatte sie sich nicht
immer im Grunde vor ihm verschlossen? Wohl glaubte er,
Kaarinas Liebe gewiß zu sein, so wie sein ganzes Herz der
herben, kühlen, aber in ihrem Wesen doch so ungemein
liebenswürdigen Finnin gehörte. Wenn er es sich aber jetzt
überlegte, dann mußte er sich eingestehen, daß Kaarina
stets gewisse Geheimnisse vor ihm wahrte. So wie sie
heute Nachmittag bis zum Abend fort gewesen war. Er
hatte sie nach der Auseinandersetzung mit Krischkowski in
der Stadt gesucht. Als sie endlich abends wieder ins Labor
kam – hatte sie es nicht vorzüglich verstanden, seine
Fragen abzulenken und ein anderes Gesprächsthema
einzufädeln? War es nicht schon oft so gewesen?
Casari versinkt wieder in dumpfes Brüten. Er kann es
nicht glauben, daß Kaarina ihre Liebe nur gespielt hat, daß
ihre Zärtlichkeit nur dem Ziele galt, seine Vertraute zu
werden – und die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen
Arbeit anderweitig interessierten Kreisen in die Hände zu
spielen. Sei es Krischkowski, sei es Ferdoc oder gar noch
eine dritte Stelle. Sein Herz will es nicht glauben. Wer
durfte sich aber heute noch auf sein Herz verlassen?
Der Wagen hielt. Zu seinem Erstaunen bemerkt Casari,
daß sie vor dem Haupteingang des imposanten Gebäudes
des Krischkowski-Konzerns parken. „Bitte nach Ihnen,
Herr Professor!“ meldet sich nun sein schweigsamer
Begleiter und weist auf die Wagentüre. Dann betreten die
beiden Männer die Portierloge. Im breiten, heil erleuch­
teten Gang dahinter wartet der Lift. Sie fahren aufwärts. Da
hält der Lift. Casari weiß von vielen, früheren Besuchen
her, daß sich hier die Privatbüros Krischkowskis befinden.
„Sie kennen den Weg ja selber“, verbeugt sich sein
Begleiter, als sie den Lift verlassen haben und weist zu
einer Türe im Hintergrund, „Herr Direktor Krischkowski
erwartet sie.“
Casari schaut auf die Uhr. Es ist 11 Uhr nachts. Um
diese Zeit pflegt Krischkowski sonst grundsätzlich nicht im
Büro zu sein. Selbst in den dringendsten Fällen verlegte er
Termine auf den anderen Morgen. Weshalb heute diese
Eile?
„Schön, daß Sie kommen, Professor!“ Die hohe, breite
Gestalt Krischkowskis füllt fast den Türrahmen. Herzlich
schüttelt er Casari beide Hände. „Kommen Sie herein. Ich
glaube, wir haben uns manches zu erzählen. Nur gut, daß
ich noch in der Lage dazu bin. Denn wenn es nach dem
Wunsch gewisser Leute gegangen wäre, dann läge ich jetzt
mit zertrümmertem Schädel auf dem Operationstisch.
Wissen Sic, wer dann als Täter ausgegeben worden wäre?
Sie! Herr Professor Casari! So raffiniert war dieser Plan
ausgehegt. Ich wäre wohl so oder so dessen Opfer
geworden, wenn mein tüchtiger Humbry in der Stille nicht
vorgebaut hätte. Verschiedene, recht merkwürdige Vorfälle
der letzten Stunden setzten mir nun noch so sehr zu, daß
wir in den nächsten Tagen durchaus zu einem für beide
Teile erträgliche Kompromiß kommen werden, der Ihren
ideellen Beweggründen ebenso Rechnung tragen soll, wie
meinen wirtschaftlichen Erwägungen. Aber fürs Erste geht
es um Wichtigeres.“
Obwohl Casari auf alle möglichen Überraschungen
gefaßt war – dieser Empfang verschlägt ihm die Sprache.
Mit wachsender Aufmerksamkeit lauscht er den sachlichen
Darstellungen Krischkowskis, der ihm zuerst auseinander­
setzt, durch welchen raffiniert ausgeklügelten Plan er,
Krischkowski, und Casari beseitigt werden sollten.
Im Privatwagen Krischkowskis entdeckte der schon
lange Verdacht schöpfende Humbry einen Mechanismus,
der bei hoher Geschwindigkeit automatisch die Steuerungs-
und Bremsvorrichtung gestört hätte, so daß ein folgen­
schwerer Unfall zwangsläufig eingetreten wäre. Dieses
Attentat wat für heute Abend geplant. Um die vermutlichen
Täter in Sicherheit zu wiegen, tat Humbry nach außen hin
so, als ob der Anschlag geglückt wäre. Aus demselben
Grund fand auch die Verhaftung Casaris statt. „Sie können
sich jetzt sicher denken, wer nach Humbrys Meinung der
Hauptübeltäter ist!“, schließt Krischkowski seine Schilde­
rung und sieht den Professor erwartungsvoll an, so, als ob
Casari im Grund viel mehr über diese Dinge Bescheid
wissen müßte, als er nach außen hin zur Schau trage.
„Nun,“ Casari zögert, „nach dem vorliegenden Tatbe­
stand kann niemand anders als Ingenieur Ferdoc in Frage
kommen. Ihm gegenüber hatte ich seit längerem ohnedies
private Bedenken. Aber ich nahm erst an, daß er in Ihrem
Auftrag handeln würde.“
Der Dierktor lacht: „Da haben Sie nicht unrecht. Sie
m u ß t e n ja auf diesen Verdacht kommen, nachdem Sie
ja mein Gespräch heute abend mit Ferdoc anhörten. Aber
dabei scheint selbst Ihnen entgangen zu sein, daß ich bei
dieser Unterredung eine ganz bestimmte Rolle spielte. Ich
wollte mich vergewissern, wie weit Ferdoc gehen würde.
Seine spontane Reaktion bewies, daß er auch vor diesem
letzten Mittel nicht zurückschreckt. Nun, Humbry hat die
entsprechenden Maßnahmen getroffen, daß uns der
eigentliche Übeltäter in spätestens einer Stunde Rede und
Antwort stehen muß. Das verdankt jedoch auch Humbry
vor allem Ihrer mutigen Initiative, lieber Professor.“
Damit erhebt sich Krischkowski und drückt Casari die
Hand: „Ich freue mich,“ sagt er leise und feierlich, „auf
diese Weise einmal „Die Schwarze Hand“ selber in der
meinen zu spüren. Ohne ihr segensreiches Wirken wäre
heute viel Böses geschehen. Sie können zukünftig voll und
ganz mit mir rechnen. Der Krischkowski-Konzern wurde
durch sie von einer Katastrophe bewahrt. Das soll Ihnen als
einem der hervorragendsten Vertreter dieses internationa­
len Geheimbundes nie vergessen werden.“
Casari ist unwillkürlich auch aufgestanden und glaubt,
seinen Ohren nicht zu trauen. Fassungslos schüttelt er
seinen Kopf „Sie irren sich, Herr Direktor. Ich weiß von
der „Schwarzen Hand“ nicht mehr, wie sie. Ich verstehe
Sie nicht. Ich …“
„Aber Professor!“ Der Direktor verbeugte sich: „Ich
werde selbstverständlich Ihrem damit geäußerten Wunsch
entsprechen und nach außen hin niemals den Eindruck
entstehen lassen, daß ich von Ihrem Geheimnis wüßte.
Aber mir persönlich können Sie es doch anvertrauen,
nachdem wir ja heute abend an dieser Stelle bereits eine
äußerst eindrucksvolle Begegnung hatten. Oder waren Sie
vielleicht nicht hinter jenem Vorhang am Fenster verbor­
gen, während ich Sie an dieser Stelle mit Ferdoc offen­
sichtlich ans Messer lieferte?“
Casaris Gesicht zeigt eine solche Ratlosigkeit, daß nun
selbst Direktor Krischkowski unsicher wird. „Ja zum
Teufel,“ brummt er und tritt unsicher einen Schritt von
Casari zurück, „wer verbirgt sich dann eigentlich hinter der
Schwarzen Hand?“
4.

Ferdoc hat vorgesorgt

Auch Ferdoc ist seit der Erscheinung der „Schwarzen


Hand“ vor dem Fenster in Zweifel geraten. Er darf keine
Zeit mehr verlieren, keine Vorsichtsmaßnahme außer Acht
lassen. Daher hat er auch seine Pistole rasch wieder
geladen, nachdem sich die Schüsse zuvor als ergebnislos
erwiesen, und ist mit der entsicherten Waffe bis vor zum
Pförtnerhaus gelaufen. Dabei stößt er unterwegs auf einen
von Humbrys Beamten. Ferdoc verschweigt ihm gegen­
über, was ihn eigentlich zu seinem Pirschgang bewegt.
Statt dessen umschreiten die beiden Männer das ganze,
langgestreckte Laboratorium, bis sie wieder an der steil ins
Meer abfallenden Felsküste angekommen sind. Sie haben
nirgends etwas Verdächtiges gefunden. Aber es ist eine
dunkle, wolkenlose Nacht, so daß sich gut irgend ein
fremder Eindringling versteckt halten kann. „Wir sollten
einen Hund hier haben!“ schlägt Ferdoc dem Beamten vor,
„um für alle Zweifelsfälle gesichert zu sein. Könnten Sie
nicht mit Ihrem Wagen einen solchen, vierbeinigen
Wächter besorgen?“
Der Beamte ist unschlüssig. Er macht darauf aufmerk­
sam, daß er Anweisung hat, bis zur Wiederkehr Humbrys
hierzubleiben. Für alle Fälle, wie er entschuldigend
hinzufügt.
„Machen Sie sich wegen mir keine Sorgen!“
beschwichtigt ihn Ferdoc. „Ich werde mich schon zu
verteidigen wissen. Aber sobald Herr Humbry kommt, muß
ich mit ihm zum Wasserflugplatz. Die Dame im Haus wird
wahrscheinlich zurückbleiben. Da dürfte es schon
angebracht sein, wenn Sie noch einen scharfen Hund bei
sich haben. Und vielleicht noch einen oder zwei weitere
Beamte dazu. Bitte führen Sie diesen Auftrag sofort aus.
Sie kennen mich ja. Außerdem habe ich noch Vollmachten,
von Direktor Krischkowski persönlich ausgestellt und
unterschrieben. Bitte überzeugen Sie sich selber.“
Der Beamte liest im Schein seiner Taschenlampe die
Papiere. Darauf ist vermerkt, daß der Ingenieur Ferdoc das
Recht habe, im Namen Direktor Krischkowskis alle ihm
für nötig erscheinenden Maßnahmen zu treffen und alle
dem Konzern angehörenden Personen ihm Folge zu leisten
haben. „Nun gut,“ sagt der Beamte, „ich werde selbst­
verständlich Ihren Wunsch erfüllen. Aber könnten wir das
nicht auch telephonisch regeln?“
„Lieber nicht,“ gibt Ferdoc zu bedenken, „das Telephon­
gespräch könnte abgehört werden. Wir müssen mit allen
Möglichkeiten rechnen. Erledigen Sie den Auftrag daher
persönlich. In spätestens einer Stunde sind Sie ja wieder
zurück. Zudem dürfte Herr Humbry vorher eintreffen. Ich
werde ihn informieren.“
Der Beamte verbeugt sich. Eilt zum Pförtnerhaus die
Straße entlang. Gleich darauf hört Ferdoc, wie er mit
seinem Wagen wegfährt.

*
Kaarina Kerkonnen hat unter Pepinos Bemühungen ihre
jähe Schwäche überwunden. Wo ist Ferdoc?“ fragt sie, als
sie sich mit Pepino allein im Zimmer sieht. „O Signora“,
ereifert sich Pepino, „fort ist er. Hoffentlich kommt er nie
wieder. Hoffentlich kommt dafür…“
„Still, Pepino!“ Kaarina macht eine abwehrende
Handbewegung, steht auf und eilt zur Türe. „Wenn Herr
Ferdoc je vor mir zurück sein sollte, so sage ihm, ich wäre
nebenan ins Bad gegangen. Ich käme gleich wieder.“
Damit schlägt sie die Türe hinter sich zu. Pepino hört ihre
Schritte draußen auf der Treppe. Er kennt sich überhaupt
nicht mehr aus. Wie aufgescheuchte Ameisen laufen die
Gedanken in seinem Kopf durcheinander. Nur gut, daß er
seinen Trost wenigstens in der Tasche hat. Einer jener
alten, roten Weine, wie sie nur in seiner italienischen
Heimat gedeihen und von denen sein Herr manche
Flaschen im Keller unter dem Labor gelagert hat. Pepino
genehmigte sich sonst nur ganz selten ein solches
Fläschchen. Aber seitdem heute diese fürchterliche,
schwarze Hand am Fenster erschien, seitdem hat der arme
Pepino in seiner Verzweiflung schon fast eine ganze
Flasche leergetrunken. Während er nun den Rest vollends
leert und ringsherum nirgends mehr einen Menschen sieht,
fühlt er sich mit einem Mal so jämmerlich alleingelassen
und ausgestoßen, so ausgeliefert jener bedrohlichen
«Schwarzen Hand“, daß er nur noch schleunigst in den
Keller hinuntergeht und dort sorgfältig eine neue, volle
Flasche unter seiner weiten Jacke verbirgt. „O mama mia!“
murmelt er dazu vor sich hin und bekreuzigt sich, „was
mag es in dieser schrecklichen Nacht wohl noch alles für
Überraschungen geben …“
Kaum ist der kleine, rundliche Mann wieder schnaufend
die Kellertreppe heraufgestiegen, da prallt er auf dem Flur
fast mit Kaarina Kerkonnen zusammen. Verlegen räuspert
er sich. Aber seine verehrte Signora scheint ihn gar nicht
zu beachten. Mit leichenblassem Gesicht geht sie an ihm
vorüber. „Wie ein Gespenst…“ denkt Pepino, dem bei
diesem ungewohnten Anblick kalte Schauer über den
Rücken jagen, so daß er nur noch in die Küche wanken
kann, dort den Korkenzieher aus der Tischschublade
nimmt, die Flasche entkorkt – und ansetzt. „Signore Casari
wird es sicher verzeihen,“ flüstert er mit bebenden Lippen,
„wenn er erst wieder zurück ist.“
Kaarina hat im Wohnraum Platz in einem der tiefen
Sessel genommen und starrt vor sich hin. Sie kann ihr
kurzes, flüchtiges Erlebnis immer noch nicht ganz fassen.
Sie war in ihrem Wagen gewesen. Hatte in dem
Geheimfach an der Seitentür hastig nach einem bestimmten
Gegenstand gesucht. Diesen auch gefunden, aber… Hier,
sie hat ihn ja von dem schmalen Kabel losgerissen. Sie hat
ihn mitgenommen, um sich zu überzeugen, daß sie keinen
Hirngespinsten erlag. Langsam öffnet sie ihre zur Faust
geballte Hand. Ein schwarzes, seidenartiges Knäuel liegt
darin zusammengepreßt.
Vorsichtig faltet es Kaarina unter dem Tisch
auseinander, sich erst vergewissernd, daß man sie auch
durch das Fenster nicht beobachten kann. Es ist ein
schwarzer Handschuh, von vier Schüssen durchlöchert…
Da hört sie Schritte. Rasch verbirgt sie das kleine,
schwarze Knäuel in der Tasche ihres Kostüms. Richtet sich
auf. Es ist Ferdoc, der von seinem nächtlichen Rundgang
zurückkommt.
„Entschuldigen Sie bitte,“ begrüßt Ferdoc die wie aus
tiefen Gedanken Aufschreckende, „daß ich Sie allein ließ.
Aber die Dinge überstürzen sich. Darunter leider auch
Begebenheiten, die uns zwingen, sofort zu handeln. Das
heißt in unserem Fall, in spätestens einer Viertelstunde
abzufliegen. Trotz der Verhaftung Casaris. Ich kann Ihren
Schmerz verstehen. Aber vertrauen Sie mir. Es ist ein
Irrtum, der bis morgen Abend aufgeklärt sein wird. Ich
habe alle nötigen Schritte veranlaßt. Darf ich auf Ihre
Unterstützung rechnen, Fräulein Kerkonnen? Sie wissen ja,
um was es bei den morgigen Versuchen geht. Direktor
Krischkowski übergab mir alle Vollmachten. Hier sind die
Papiere.“
Kaarina nimmt mechanisch die Papiere. Überfliegt sie.
„Sie fordern viel, Herr Ferdoc,“ sagte sie leise, „ich weiß
nicht…“
„Aber ich weiß, daß Sie sich darüber nicht mehr den
Kopf zerbrechen brauchen!“ tönt plötzlich eine klare
Männerstimme vom Fenster herein. „Rühren Sie sich nicht
von der Stelle!“ herrscht dieselbe Stimme Ferdoc an, der
schon nach der Pistole in seiner Tasche greifen wollte.
„Sobald Sie die geringste Bewegung machen, schieße ich.
Daß die Kugel sitzt, darauf können Sie sich verlassen.“
Ferdoc kennt die Stimme nur zu gut. Es ist Humbry.
Humbry, den er erst in frühestens einer halben Stunde
zurückerwartete. Sollte er gar nicht fortgewesen sein?
Sollte er vielleicht…
„Heben Sie die Hände hoch!“ befiehlt Humbry und ist
mit einem Satz im Zimmer, „Ihr Doppelspiel ist
aufgedeckt, Ferdoc. Ich hätte Ihnen ja gerne noch etwas
Zeit gelassen. Aber die Situation wäre vielleicht für
Fräulein Kerkonnen zu gefährlich geworden. Trotz Ihres
außergewöhnlichen Muts, Gnädigste, von dem ich mich
inzwischen verschiedentlich überzeugen konnte. Haben Sie
Ihren Handschuh wieder gefunden? Es tut mir leid, daß ich
ihn bei meinem Experiment beschädigen mußte. Aber“,
Humbry steht nun dicht hinter Kaarina, ohne Ferdoc aus
dem Auge zu lassen, „ich mußte mich einmal selber davon
überzeugen, wie dieser ehrenwerte Herr darauf reagierte.
Der Erfolg war …“
In diesem Augenblick schießt plötzlich vom Ring an der
emporgehobenen, rechten Hand Ferdocs aus eine blitzlicht­
artige Stichflamme auf, die Humbry gleich einem winzi­
gen, feurigen Pfeil für den Bruchteil einer Sekunde zu
berühren scheint. Humbry spricht den letzten Satz nicht zu
Ende. Wie von einem elektrischen Schlag getroffen sinkt er
ächzend um. Liegt schwer atmend am Boden.
„Fräulein Kerkonnen!“ Ferdoc hat seine Hände gesenkt
und spricht so ruhig, als ob nicht das Geringste geschehen
wäre, „Fräulein Kaarina Kerkonnen, Sie kennen ja dieses
eben vorgeführte Zaubermittelchen aus eigener Erfahrung.
Ich hatte das Vergnügen, damit im Büro Krischkowskis aus
ihrer dabei wirklich „Schwarzen Hand“ Bekanntschaft zu
machen. Bitte, bleiben Sie ruhig sitzen. Wir wollen uns
nichts weiter vormachen. Ich habe Sie von Anfang an
durchschaut. Ich bewundere Ihre für eine Frau außerge­
wöhnliche Tapferkeit. Noch größere Hochachtung habe ich
jedoch von Ihrem technischen Können. Daher muß ich Sie
bitten, so leid es mir tut, mit mir unverzüglich das Haus zu
verlassen. Ich versichere Ihnen, daß Ihnen kein Haar
gekrümmt wird, wenn Sie sich fügen. Im Hafen vor dem
Labor liegt unser kleines Tauchboot. Sie kennen es. Es
bietet Raum für zwei Personen. Mit diesem Boot werden
wir unter Wasser ein Stück aufs Meer hinausfahren, wo uns
ein Wasserflugzeug erwarten und bis zum Expeditions­
schiff bringen wird. Geben Sie sich keinen Hoffnungen
hin, dort durch irgendwelche, technische Mätzchen etwas
zu erreichen. Kapitän Cross ist auf unserer Seite. Wir
werden das Gold heben, die Versuche durchführen und
dann mit den wichtigsten Geräten und Casaris Aufzeich­
nungen mit dem Tauchmutterschiff einen vereinbarten
Kurs ansteuern. Das Expeditionsschiff wird gesprengt. Die
Besatzung wird jedoch rechtzeitig davon verständigt. Ich
erzähle Ihnen das deshalb so ausführlich, weil ich weiß,
daß Sie vor allem eine kühle, sachliche Frau der Wissen­
schaft sind. Wit werden Sie, wenn Sie Wert darauf legen
sollen, nach Erledigung dieser Affäre freigeben. Wir hätten
das schon vorher getan, wenn wir Sie nicht zur Klärung
einiger bis jetzt noch nicht endgültig bekannter, wissen­
schaftlicher Zweifelsfälle bezüglich Casaris unterseeischer
Vermessungen brauchten. Das zu Ihrer Orientierung. Und
jetzt – darf ich Sie bitten, mir zum Hafen voranzugehen?“
Kaarina deutet auf den bewegungslos daliegenden
Humbry. „Und wie können Sie das verantworten?“ fragt
sie, „gehört das auch zu den Methoden Ihrer Auftrag­
geber?“
Ferdoc lächelt hintergründig. „So gut, wie es zu Ihren
Methoden gehört, Fräulein Kerkonnen. Nur daß meine
Strahlendosierung länger vorhält. Sie kann auch noch län­
ger vorhalten. Eine ganze Ewigkeit lang. Aber von diesen
Möglichkeiten machen wir nur Gebrauch, wenn Not am
Mann ist. Wie Sie ja auch sehen,“ damit nimmt Ferdoc sei­
ne Pistole aus der Tasche, „bediene selbst ich mich im all­
gemeinen noch der sonst gewohnten Methode, obwohl…“
Vor der Türe ist ein Geräusch, als ob irgend ein
schwerer Gegenstand zu Boden gefallen wäre. Ferdoc
stutzt. Reißt die Türe auf. Sieht eine Gestalt am Boden.
Feuert seine Pistole ab. Zündet das elektrische Licht an.
Vor ihm liegt, sich in einer roten Lache krümmend, Pepino.
„Wenn Not am Mann ist…“, preßt Kaarina heraus. Sie
bebt am ganzen Leib. Aber sie beherrscht sich. Nur jetzt
keine Sentimentalität zeigen. Rasch geht sie ein paar
Schritte vor und beugt sich über den Verblutenden.
„Pepino!“, ruft sie leise und versucht den Kopf des immer
rascher Atmenden zu heben. Aber das Gesicht ist ganz mit
Blut verschmiert. Entsetzt läßt sie den schweren Kopf
zurückgleiten. Erhebt sich. Bleibt noch einen Herzschlag
lang wie in tiefem Schmerz versunken stehen. Und sagt
dann mit fester Stimme: „Ich will Ihnen keine Gelegenheit
geben, Ferdoc, Ihr Gewissen mit einem zweiten Mord zu
belasten. Aber sagen Sie“, und damit wendet sie sich um
und sieht Ferdoc fest an, „wie ist es Ihnen eigentlich zu
Mute, nachdem sie einen unschuldigen Menschen achtlos
wie ein wildes Tier getötet haben? Spüren Sie keine Furcht,
daß aus dieser bösen Tat eine schlimme Ernte wachsen
könnte?“
Ferdoc schaut mit verkniffenem Gesicht zu Boden. Ohne
den Blick zu heben, antwortet er: „Wenn jede böse Tat auf
Erden ihre Sühne fände, dann müßte man die ganze
Menschheit ins Gefängnis stecken oder an den Galgen
bringen. Ich bedauere, ausgerechnet diesen Wicht erschos­
sen zu haben. Aber was spielt sein Leben für eine Rolle?
Lassen Sie es sich als Warnung dienen, Kaarina Kerkon­
nen! Wenn es um Projekte von einer solchen Tragweite
geht, wie unser bevorstehendes Abenteuer, dann kann es
keine Rücksichtnahme mehr geben. Wo gehobelt wird,
fliegen Späne. Als ein solcher Span fiel dieser arme Tropf.
Er lauschte. Er hat unsere Unterredung mit angehört. Ich
hätte ihn ohnedies so oder so zum Schweigen bringen
müssen.
Kaarina schreitet, ohne sich noch einmal umzuschauen,
vor Ferdoc her der Tür zu, über die Treppe, über den Kies,
zum Hafen. Ein Motor läuft an. Ein paar Wellen schlagen
an die Küste, schäumen wie von einer mächtigen Faust
aufgerührt, und verebben. Leer und ausgestorben liegt das
Laboratorium. Nur im mittleren Teil über der schmalen
Hafeneinfahrt brennt noch Licht. Leuchtet grell über die
beiden zusammengekrümmten Männer am Boden – und
über einen merkwürdigen, durchlöcherten schwarzen
Handschuh auf dem Sessel, auf dem eben kurz zuvor noch
Kaarina Kerkonnen saß.
5.

Das Marineministerium schaltet sich ein

Um dieselbe Zeit, als Ferdoc das kleine Tauchboot ins


offene Meer hinaussteuert, biegt am Wasserflugplatz der
Stadt eine dunkle Limousine mit hoher Geschwindigkeit
um eine Straßenbiegung und hält mit kreischenden Rädern
vor einem hohen, viereckigen Gebäude. „Flugleitung“ steht
mit flimmernden Leuchtbuchstaben entlang der Front des
ersten Stockwerks. Ein Chauffeur springt heraus, reißt die
Wagentür auf. Zwei Männer steigen aus und laufen rasch
die Stufen zum breiten Portal empor. Es sind Direktor
Krischkowski und Professor Casari. Die beleuchtete Uhr
über dem Eingangsportal zeigt ein paar Minuten nach
zwölf.
Die beiden Herren werden erwartet. Ein hochge­
wachsener Mann in Fliegerkombination begrüßt sie. „Nun,
Kapitän“, fragt ihn Krischkowski, »nichts neues seit
unserem Anruf?“
„Nein, Herr Direktor.“ Der Flugkapitän macht eine Türe
auf und geleitet die späten Besucher in ein behaglich
eingerichtetes Zimmer. „Es trafen lediglich Ihre beiden
Herren ein. Sie sind draußen im Hafen bei der Maschine
geblieben. Sonst hat sich niemand gemeldet.“
„Sonderbar!“ Krischkowski wendet sich an Casari:
„Nach unseren Abmachungen müßte Ferdoc mit Fräulein
Kerkonnen längst hier sein. Sie wollten spätestens gegen
Mitternacht starten. Auch von Humbry ist keine neue
Information eingegangen. Wie reimen Sie sich das
zusammen?“
„Es könnte ja sein“, meint Casari, „daß Ferdoc noch
über andere, bisher uns unbekannte Mittelsleute verfügt.
Daß er vielleicht an einer anderen Stelle ein anderes
Flugzeug zur Verfügung hat.“
„Das dürfte kaum möglich sein“, wirft der Flugkapitän
ein. „Die Flugleitung hat alle diesbezüglichen Stellen im
Umkreis von 300 Kilometern benachrichtigt. Es kann
nirgends eine Maschine starten, ohne daß wir es nicht
rechtzeitig erfahren würden. Und, falls es notwendig wäre,
den Start verhindern.“
Krischkowski geht an das Telephon. Wählt eine
Nummer. Wartet. Niemand meldet sich. Er legt den Hörer
auf. Wählt wieder. „Ja, Fräulein, sagen Sie, was ist denn
eigentlich mit der Nummer 0768397 los? Ich bekomme
keine Verbindung.“ – „Nein, nicht erst im Augenblick. Ich
versuche es schon seit einer Stunde. – Wie? Leitung immer
noch gestört? – Danke.“ Casari schaut den Direktor
fragend an. „Ob Humbry vielleicht etwas zugestoßen ist?
Sollten wir nicht lieber doch für alle Fälle die
Kriminalpolizei verständigen? Oder wenigstens die mit uns
zusammenarbeitende Abwehrstelle der Marine? Es geht ja
nicht nur um das Gold. Denken Sie an die Pläne, an unsere
Apparate. Sollten diese verloren gehen oder beschädigt
werden, so wäre unsere ganze langjährige Arbeit umsonst.
Wir könnten von vorne anfangen. Und“, fügt er leise noch
hinzu, „denken Sie auch an Fräulein Kerkonnen …“
Krischkowski geht nervös im Zimmer auf und ab. „Sie
stehen doch mit Kapitän Cross in Verbindung?“ wendet er
sich an den Piloten, „hat er auf dem „Pinguin“ etwas
Verdächtiges festgestellt?“
„Vor einer Viertelstunde hatte ich das letzte Funk­
gespräch mit Cross. „Nichts neues an Bord“, lautete der
Bescheid, wir erwarten Euer Eintreffen in Höhe der
vereinbarten Position südlich der Azoren.“ Soll ich Ihnen
die Unterlagen bringen, Herr Direktor?“
Krischkowski winkt mit einer Handbewegung ab.
„Solange Ferdoc noch nicht abgeflogen ist, „spricht er leise
zu Casari, „besteht eigentlich kein Grund, um die offiziel­
len Stellen in Aufregung zu versetzen. Warten wir lieber
noch eine Weile. Humbry wird sicher jeden Augenblick
Bescheid geben oder selber kommen.“
„Sie werden mich für befangen halten, Herr Direktor.
Aber an Bord des Pinguin befinden sich im Tresor meines
Arbeitsraums sämtliche Unterlagen meiner Bestandsauf­
nahme der unterseeischen Bodenverhältnisse des Atlantik.
Es würde im Augenblick zu weit führen, Ihnen im
Einzelnen alles zu erklären. Doch wird Ihnen bekannt sein,
daß sich der Meeresboden ständig hebt und senkt. Bei der
Reparatur von unterseeischen Kabeln stellte sich z. B.
heraus, daß diese ein paar Jahre früher über 3000 Meter
tiefer lagen. Diese Vorgänge veranlaßten mich, bei meinen
unterseeischen Messungen und Beobachtungen auch die
Vulkanherde auf dem Meeresboden aufzuspüren. Ich
glaube, im Atlantik so ziemlich die bedeutendsten
derartigen Vulkane ausfindig gemacht zu haben. An der
Stelle, an der unser Tauchversuch heute stattfinden sollte,
befindet sich in dem unterseeischen Hochtal nicht nur das
ermittelte Gold, sondern etwa 1000 Meer tiefer eben einer
jener rätselhaften Vulkane. Wir leben ohnedies auf der
Erde gewissermaßen wie auf einer dünnen Eierschale, die
uns mit einer Isolierschicht zwischen 30 und 60 Kilometer
Mächtigkeit von den glühenden Feuerströmen darunter
trennt. Nun kann durchaus die Möglichkeit bestehen, daß
diese Isolierschicht in den Tiefen der Ozeane infolge des
dort herrschenden ungeheuren Wasserdrucks bedeutend
dünner ist. Das bedeutet mit anderen Worten, daß, wenn z.
B. jemand auf dem Meeresboden in der Nähe eines solchen
Vulkans zur Hebung irgendwelcher Mineralien eine
Explosion auslösen würde, daß eine solche Explosion unter
Umständen die Isolierschicht der Erde an einer solchen
besonders empfindlichen Stelle durchstoßen könnte und
auf diese Weise die darunter liegenden, unvorstellbaren
Energien zu einer Art Kettenreaktion kämen, wodurch
weite Teile unserer Erde einer verheerenden Katastrophe
ausgesetzt wären. Das sind…“
„Aber Professor!“ Krischkowski legt seinen Arm um
Casaris Schultern, „Sie malen düstere Schreckgespenster
auf. Was hat das alles mit Ihrer wissenschaftlichen Arbeit
zu tun?“
„Leider sehr viel.“ führt Casari weiter aus, „sollte z. B.
irgendein Unbefugter an der Stelle, wo wir das Gold erkun­
deten, die darüber lagernden Schlamm- und Schlickmassen
zur rascheren Förderung dieses Schatzes sprengen wollen,
so wäre die zuvor aufgewiesene Gefahr unter Umständen
bereits gegeben. Sollten darüber hinaus meine Pläne in die
Hände fremder, militärisch interessierter Kreise fallen, so
stände diesen damit eine schreckliche Vernichtungswaffe
zur Verfügung. Mit Hilfe von ferngesteuerten Atom­
Tiefsee-Raketen ließen sich zahlreiche der in Küstennähe
liegenden unterseeischen Vulkane – und davon gibt es eine
ganze Menge! – gleich hochempfindlichem Dynamit zur
Explosion bringen, wodurch zusammen mit dem
Atomzertrümmerungsprozeß ein doppelter Effekt einträte.
Überschwemmungen von ganzen Kontinenten könnten die
Folge sein, die der Atlantis-Katastrophe nicht viel nach­
stehen würden. Damals, vor 12000 Jahren, ereignete sich
wahrscheinlich eine ähnliche Erdkatastrophe, wobei sich
aller Voraussicht nach erst der Atlantische Ozean in seiner
heutigen Ausdehnung bildete. Das eigentliche Atlantis
versank in seinen Fluten. Die Azoren, der Ausgangspunkt
unserer neuesten Versuche, stellen nur ein Überbleibsel
davon dar, die höchste Erhebung eines riesigen, über 3000
Meter hohen Unterwasser-Gebirges, in dessen Tälern einst
blühende Kulturen und menschliche Siedlungen waren.
Vielleicht verstehen Sie jetzt auch, warum ich mich so
angelegentlich mit dem Atlantis-Problem beschäftige. Über
die ganze Tragweite dieser Überlegungen habe ich bisher
noch zu keinem Menschen gesprochen. Außer – mit
Fräulein Kerkonnen…“
Der Flugkapitän ist höflich beiseite getreten, so daß er
die leisen, zum Teil nur geflüsterte Worte Casaris nicht
hören konnte. „Ja, aber Professor!“, keucht Krischkowski,
„damit bekommt Ihre Tätigkeit ganz andere Zusammen­
hänge. Damit…“
Das Telephon läutet. Krischkowski eilt an den Tisch,
nimmt den Hörer. Wechselt ein paar Worte. Steht
sprachlos. „Es war die Abwehr-Abteilung des Marine­
ministeriums“, stößt er heraus, „es lägen Informationen
vor, die zu einer sofortigen Aussprache zwängen. Die
Herren werden in wenigen Minuten hier sein.“
6.

„Original Chianti, von der besten Sorte …“

Im Pförtnerhaus an der Straße zu Casaris Laboratorium


brennt trotz der späten Nachtstunde noch das Licht. Der
Pförtner, ein älterer, grauhaariger Mann, schüttelt
verzweifelt den Kopf. Schon seit über einer Stunde funk­
tioniert das Telephon nicht mehr. Seit der Ingenieur Ferdoc
den unbekannten, fremden Mann wieder fortgeschickt hat.
Aber es muß noch ein anderer dieser merkwürdigen Leute
hier sein. Es ist dem Pförtner nicht entgangen, daß es wohl
die gleiche Anzahl Menschen waren, die mit dem Wagen
zuvor bei ihm wieder passierten. Aber darunter befand sich
Professor Casari. Einer der Fremden mußte also zurück­
geblieben sein. Schon lange versuchte der Alte, wenigstens
Pepino telephonisch zu erreichen. Aber auch im Labora­
torium meldete sich niemand. Es ist wie verhext. Dazu ist
nun draußen ein Sturm aufgezogen, daß der Wind nur so an
den Fenstern rüttelt. Laut dringt das Toben der Brandung
von der Felsküste hinter der Straße herein. Der Pförtner hat
Furcht. Er wagt keinen Fuß vor das Haus zu setzen. Selbst
seine resolute, stämmige Frau, die ihm im Lehnstuhl in der
Ecke Gesellschaft leistet, wird unruhig. „Es ist fast wie in
einem Kriminalroman“, flüstert sie erschauernd, als der
Sturmwind aufheult, „weißt du, wie in dem Buch, das wir
neulich…“
Draußen hupt es. Ein Hund bellt. Dem Pförtner ist es, als
sänke ihm ein schwerer Stein vom Herzen. Im beleuchteten
Schirm der Fernsehanlage erkennt er vor dem Tor das
Fahrzeug, mit dem der Fremde vor einer Stunde abgefah­
ren ist. Er drückt auf den Knopf an der Schaltanlage.
Automatisch öffnet sich das Tor, gibt die Einfahrt frei.
Rasch fährt der Wagen weiter zum Labor vor. „Endlich!“
stößt die Pförtnersfrau heraus, „ich habe wirklich Angst
bekommen. Erinnerst Du Dich an das Motorengeräusch vor
einer halben Stunde? Es war, als ob im Hafen ein Boot
ausgelaufen wäre, fast so, wie in dem Roman …“
„Jetzt höre doch endlich mit dieser dummen Geschichte
auf!“, fährt sie ihr Mann unwillig an und gähnt, „ich
möchte nur wissen, wenn ich heute zum Schlafen komme.“
Aber seine Gleichgültigkeit ist nicht echt. Mit pochendem
Herzen lauscht er in den Sturm hinaus.
Nur gut, daß der Pförtner nicht die Augen der drei
Männer im Kopf hat, die eben rasch aus ihrem Fahrzeug
klettern und hinter dem kläffenden Hund ins Haus stürzen.
Der Beamte, den Ferdoc fortschickte, hatte nachträglich
doch Bedenken bekommen. Wohl wußte er, daß Humbry
zurückgeblieben war. Aber … So hatte er gleich von der
Stadt aus telephonisch zurückgerufen, ohne jedoch eine
Verbindung zu bekommen. Auch Direktor Krischkowski
war nicht zu sprechen. Mit dem Auto zur Flugleitung, wie
es hieß. In Begleitung von Professor Casari. Das alles
machte den Beamten nun doch nervös. So rasch er konnte,
fuhr er mit seinen Kollegen und dem Polizeihund zurück.
Irgendetwas stimmte nicht, das war ihm inzwischen klar
geworden.
Wie recht er mit dieser Überlegung hatte, das zeigte ihm
nun der Anblick in Casaris Wohngebäude. Als erstes
finden sie den blutüberströmten Pepino am Boden liegen.
Und, dahinter in dem hell erleuchteten Raum, Humbry.
Schon will der Beamte einen seiner Männer mit dem
Wagen zur nächsten Polizeistelle schicken, um ja keine
eventuellen Spuren des Täters zu verwischen, da kommt
von der Stelle, wo Pepino liegt, ein abgrundtiefer Seufzer.
„O mama mia“, stöhnt es, „o himmlische Jungfrau, o Ihr
Engel in den Wolken …“ Keuchend wälzt sich das
jammernde, runde Bündel ein wenig zur Seite, schlägt die
Augen auf, schaut seine beiden, roten Hände an und sinkt
erneut wimmernd zu Boden. „Pepino ist tot“, klag er herz­
erweichend, „der arme Pepino ist mausetot, erschossen,
ermordet, verblutet, oh …“
„Verdammt und zugenäht!“ Tönt es da vom Zimmer
nebenan, und ehe sich die verblüfften Beamten von ihrem
Erstaunen noch erholen können, kommt auch schon
Humbry auf allen Vieren angekrochen. „Was ist das hier
eigentlich für eine ausgekochte Schweinerei?!“ Knurrt er
zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor und
kriecht vollends zu Pepino, so daß er sich in der blutigen
Lache daneben beide Hände beschmutzt. Erschrocken halt
er inne. Betrachtete gleich Pepino zuvor seine roten Hände.
Riecht daran. Und bricht auf einmal in ein schallendes
Gelächter aus. Kann nicht mehr aufhören, so daß die
Beamten ganz verstört herbeieilten und ihn aufrichteten.
„Übergeschnappt!“ flüsterte der eine leise, „Nerven­
geschichten …“
So plötzlich, wie Humbry zu lachen begann, hört er
wieder auf. Stürzt sich auf Pepino, die zwei Männer
zurückschleudernd, die ihn halten wollen. Reißt den
Wimmernden hoch. Schüttelt ihn. „Jetzt bleibt mir bloß
vom Leib?, „schreit er seine Beamten an, die Pepino aus
seinen Armen befreien wollen, „was Ihr hier seht, ist kein
Blut, sondern Wein! Original Chianti von der besten Sorte,
ich kenne den Tropfen!“
Zehn Minuten später ist der ganze Sachverhalt geklärt.
Pepino hatte gelauscht und dabei ab und zu einen Schluck
aus seiner Flasche genommen, um sein zitterndes Herz zu
beruhigen. Als Ferdoc die Türe aufriß, verbarg er die
Flasche rasch unter seiner Jacke. Die Pepino zugedachte
Kugel traf durch einen merkwürdigen Zufall die noch
halbvolle Weinflasche und verletzte Pepino lediglich
geringfügig mit einem Streifschuß an der Seite. Durch den
dickflüssigen, dunkelroten, langsam den Boden und die
Kleider Pepinos tränkenden Wein mußte Ferdoc den
Eindruck gewinnen, daß er getroffen hatte.
Trotz dieser offensichtlichen Zusammenhänge läßt sich
Pepino nur schwer beruhigen. Mit Müh und Not entlockt
ihm Humbry wenigstens die wichtigsten Bruchteile des
erlauschten Gesprächs zwischen Ferdoc und Katarina
Kerkonnen. Per Beamte, den er rasch zum Hafen
hinunterschickte, bestätigt, daß das kleine Tauchboot fort
ist. Mit äußerster Energie hält sich Humbry auf den
Beinen. Er ist wütend über sich selber. Wütend, daß er in
eine solche plumpe Falle gegangen ist, daß er bei Ferdoc
nicht mit Möglichkeiten rechnete, die bisher selbst einem
erfahrenen Kriminalisten unbekannt waren. Aber jetzt hilft
kein nachträgliches Überlegen mehr. Sie müssen auf der
Stelle fort, nachdem ja auch die Telephonleitungen gestört
sind. Fort zum Hafen, wo nach der Information seines
Beamten Krischkowski und Casari anzutreffen sind. Sie
werden dort vergeblich warten. Ferdoc benötigt das bereit­
gestellte Wasserflugzeug nicht. Der gerissene Halunke hat
alle überspielt.
Mit aufheulendem Motor jagt der Wagen zum Pförtner-
haus zurück. Rast mit höchster Geschwindigkeit der Straße
entlang, der Stadt zu. Vergeblich versuchte der Pförtner
von den aufgeregten Männern auch nur ein aufklärendes
Wort zu erhaschen. Ebenso vergeblich, wie der halb
berauschte und halb vor Entsetzen um den Verstand
gebrachte Pepino Ordnung in seinem wirren Kopf zu
bekommen versucht. Als er sich schließlich aufrafft und,
um der trostlosen Einsamkeit zu entfliehen und trotz des
Sturms draußen zu seinem Freund, dem Pförtner, hinüber­
zueilen, da springt ihn schon an der Tür ein großes,
unheimliches Tier an und wirft ihn zu Boden.
Es ist der Polizeihund, den Humbrys Leute versehentlich
zurückgelassen haben. Damit ist es mit Pepinos letzten
Kräften zu Ende. „O mama mia“, haucht er mit letzter
Kraft, „o himmlische Jungfrau, o ihr Engel in den Wolken
…“ Dann versinkt er, halbtot vor Schrecken unter dem
knurrenden Hund liegend, in eine tiefe Ohnmacht.
7.

„Auch wir wollen die Welt verbessern!“

Unbemerkt von den im weiten Umkreis alarmierten


Luftüberwachungsstationen rast in einer Höhe von über
10000 Metern ein einsames Flugzeug wie ein silberner
Pfeil unter dem Sternenhimmel dahin. Die Maschine trägt
keine Positionslichter. Weit unter ihr brodelt und kocht das
schwarze Wolkenmeer, das die Sicht zum Atlantik verhüllt.
Kaarina Kerkonnen kann sich keine Vorstellung mehr
machen, wo sie sich befinden, welche Geschwindigkeit das
Flugzeug hat. Sie sitzt auf dem Ledersessel in der hinteren
Kabine der Maschine, während Ferdoc vorne neben dem
Piloten Platz genommen hat and an matt leuchtenden
Instrumenten hantiert. Die Aufnahme vom Tauchboot war
trotz des hohen Seegangs ohne Schwierigkeiten erfolgt.
Ferdoc hatte allen Möglichkeiten Rechnung getragen. Als
sie mitten auf dem freien Meer in der stockdunklen Nacht
an die Wasseroberfläche kamen, lagen sie bereits im
Scheinwerfer eines ganz langsam und tief fliegenden
Flugzeugs. Dann wurden sie auf einmal samt ihrem
Tauchboot emporgehoben, so, als ob ein großes,
schwingendes Netz das Boot aus dem Wasser ziehen
würde, worauf Ferdoc lachend die Taucherluke öffnete und
Kaarina bat, doch die schmale Eisenleiter emporzusteigen.
Mechanisch gehorchte sie und befand sich zwischen den
breiten Schwimmern des Flugzeugs, dessen Rumpf hoch
darüber emporragte. Da war auch Ferdoc schon neben ihr
und führte sie einen wiegenden, zu beiden Seiten
gesicherten Steg entlang in die Kabine.
Automatisch schloß sich die Türe. Kaarina spürte, wie
die Motoren rascher liefen, wie das Flugzeug stieg, Dann
glaubte sie zwei kurze, explosionsartige Geräusche zu
hören, wahrscheinlich der ausgelöste Düsenantrieb, worauf
sie jedes Gefühl für Geschwindigkeit verließ. Aber die
Geschwindigkeit war sicher bedeutend. Schneller viel­
leicht, als daß sie von etwaigen Verfolgern noch rechtzeitig
eingeholt werden konnten. Doch wer konnte jetzt
überhaupt noch helfen? So blieb Kaarinas einzige
Hoffnung die kleine, vor ihrem Gespräch mit Ferdoc noch
rasch in ihrem Wagen ausgelöste Radar-Station, mit deren
Hilfe sie das vereinbarte Zeichen für höchste Gefahr an die
Zentrale der „Schwarzen Hand“ gegeben hatte. Ferdoc
konnte davon nichts bemerkt haben. So wie es ihr auch
gelang, den schwarzen Handschuh heimlich auf dem Sessel
zurückzulassen, ehe sie Casaris Wohnraum verließ. Rasch
verließ, um Ferdoc nicht mehr die Möglichkeit zu geben,
sich umzuwenden oder gar Pepinos angebliche Verwun­
dung näher anzusehen. War es doch auch Kaarina nicht
entgangen, als sie sich über den röchelnden Pepino beugte,
daß das „Blut“ des Ärmsten aus Casaris Weinkeller
stammte. Trotz der lähmenden Ungewißheit ihrer Situation
muß Kaarina doch vor sich hinlächeln, als sie sich dieser
Szene erinnerte.
„Sie scheinen ja recht vergnügt zu sein!“ Fragt plötzlich
Ferdoc, der sie in einem Spiegel beobachtete, „darf ich den
Anlaß Ihrer Freude wissen?“ Bei den letzten Worten ist
Ferdoc aufgestanden und langsam nähergekommen.
Kaarina ist über diese unvermutete Ansprache zuerst
ganz erschrocken, aber sie läßt sich nichts anmerken.
Kaarina weiß, daß sie ein gefährliches Spiel treibt. Ein
Spiel, das sie nun Ferdoc auslieferte und eben dadurch das
Verhängnis herbeizuführen schien, zu dessen Abwehr sie
sich spontan bereit erklärte, als sie vor nun über einem Jahr
ein berühmter Gelehrter anläßlich eines offiziellen
Banketts zum erstenmal in das Wirken der „Schwarzen
Hand“ einweihte. Wie schwer war es ihr seitdem gefallen,
die ihr damit übertragene Aufgabe vor Casari zu verheim­
lichen. Oft stand sie Todesängste aus, er würde Mißtrauen
schöpfen, er könnte ihre Heimlichkeiten falsch auslegen.
Aber sie schwieg. Auch Ferdoc wird nichts von ihr
erfahren. Tote können nicht mehr reden. Für den äußersten
Notfall hat Kaarina vorgesorgt. Der Gedanke daran erfüllt
sie nun mit einer fast heiteren Gelassenheit, so daß ihr
Lächeln gar nicht mehr erkünstelt ist, als sie bewußt
hochmütig zur Ferdoc aufsieht und Wort für Wort
betonend sagt: „Sie werden den Anlaß meiner Freude noch
bald genug erfahren, Ferdoc. Ich zweifle jedoch daran, daß
Sie dann auch vergnügt sein werden. Sie scheinen
vergessen zu haben, daß hinter mir ein Kreis von
Menschen steht, der Sie schon viel länger beobachtet, als
wir beide uns kennen.“
Ferdoc lacht spöttisch: „Sie wollen mich an die
„Schwarze Hand“ erinnern? Dieser Kinderschreck kann
mir nichts anhaben. Ich glaube, darüber besser informiert
zu sein, als Sie ahnungsloser Engel sich träumen lassen.
Irgendein verrückt gewordener Professor, ein Philosoph
seines Zeichens, ist die treibende Kraft. Gleich dem
Rattenfänger von Hameln zog er durch alle Länder und
machte mit der Drehorgel seiner obskuren Beweisgründe
eine ganze Reihe, ich gebe es zu, recht respektabler Leute
von Rang und Namen, ebenso verrückt. Gegen das Böse
auf der Welt, so lautet das Programm dieser Wolken­
kuckucksheimer, wollten sie Sturm laufen. Ober alle
wirtschaftlichen und staatspolitischen Interessen hinaus
dafür Sorge tragen, daß die moderne Wissenschaft und
Technik nur edlen Zwecken dienen sollte. Diesen
honigsüßen Welsen sind auch Sie auf den leim gegangen.
O, ich wußte es schon lange. Der Name „Schwarze Hand“
ist ja auch so recht beschaffen, um träumerische
Mädchenherzen zu Heldentaten anzuregen. Soll doch diese
Schwarze Hand dereinst einem Unschuldigen abgeschlagen
worden sein und seitdem als gespensterhaftes Phantom
überall dort auftauchen, wo eine Untat sich anbahnt. Da auf
Gespenster in unserer aufgeklärten Zeit nur wenig Verlaß
ist; spielt der alte Professor diese Rolle selber. Sie sehen,
ich bin informiert. Unerklärlich ist mir nur, wie eine so
kluge Wissenschaftlerin wie Professor Kaarina Kerkonnen
an solchen Mätzchen Gefallen finden konnte. Wissen Sie
was? Schlagen Sie sich das dumme Zeug aus dem Kopf.
Kommen Sie in unser Lager. Auch hinter mir steht ein
Kreis von Menschen. Nur daß es sich dabei um Männern
handelt, die sich ganz bestimmte, konkrete Ziele setzten.
Auch wir wollen die Welt verbessern und das Los der
Massen freundlicher gestalten. Aber dazu ist nach unserer
Auffassung vor allem einmal Macht erforderlich, politische
Macht und wirtschaftliches Kapital. Wir sind auf dem
besten Wege, diese Voraussetzungen zu verwirklichen. Ich
selber verkörpere nur ein kleines Rädchen in diesem
großen, weltbewegenden Getriebe. Kommen Sie auf unsere
Seite, Kaarina Kerkonnen. Sie werden für Ihre wissen­
schaftliche Tätigkeit Voraussetzungen bekommen, die
Ihnen keine Macht der Welt sonst bieten kann. Gerade als
Radar-Spezialistin haben Sie bei uns unerhörte Chancen.
Geben Sie Ihr Ja zu meinem Vorschlag. Sie können sich
dann von jetzt ab ungehindert bewegen. Denn wenn eine
Frau, wie Sie, Ihr Wort gibt…“
Kaarina hat tief in den Ledersessel zurückgelehnt
schweigend zugehört. Aber nun unterbricht sie Ferdocs
Redestrom: „Wenn Sie soviel auf mein Wort geben,
Ferdoc, dann gebe ich Ihnen jetzt mein Wort darauf, daß
Sie den heutigen Tag nicht als freier Mann überleben
werden. Täuschen Sie sich nicht! Der „Kinderschreck“ der
Schwarzen Hand, wie Sie den hinter mir stehenden Kreis
entschlossener Menschen zu nennen beliebten, wird Ihnen
zur gegebenen Zeit die Quittung für Ihr verbrecherisches
Tun geben. Damit habe ich mit Ihnen mein letztes
Gespräch geführt.“ Mit diesen Worten wendet sich Kaarina
brüsk von Ferdoc ab. Sie weiß nicht, woher ihr auf einmal
der Mut zu diesen Worten kam. Aber sie fühlt mit einem
Male eine stete, feste Sicherheit in ihrem Herzen. Mag
kommen was will – sie wird davor bestehen.
Ferdoc lächelt nur: „Sie sehen in Ihrem Zorn reizend
aus, Kaarina Kerkonnen. Aber – schauen Sie doch einmal
auf Ihre Uhr. In fünf Minuten wassern wir. In weiteren fünf
Minuten sind wir an Deck des „Pinguin“. Zehn Minuten
darauf werden wir mit dem Tauch-Mutterschiff in die Tiefe
gehen. In spätestens einer halben Stunde dürfte ich mit der
Tauchkugel das Gold aufnehmen. Sie wissen ja, es ist ein
ganzer Berg von Gold. Trotzdem wir offiziell nicht zur
Gilde der Schatzsucher gehören, nehmen wir diesen
verlockenden Happen mit. Gold macht auch heute noch
Weltgeschichte. Man muß es nur richtig unter die Leute
bringen. Nun, mittlerweile wird der mit uns verbündete
Kapitän Cross vom Unterwasser-Mutterschiff aus die
Besatzung des „Pinguin“ wie Hasen in die Rettungsboote
jagen. Darauf wird „Pinguin“ sich gemächlich zur Seite
legen und ebenfalls so tun, als ob er ein Tauchboot wäre.
Zuvor wird selbstverständlich noch Casaris Tresor sicher­
gestellt, was inzwischen durch Kapitän Cross bereits
geschehen sein dürfte. Und dann brausen wir, ungestört
von allen etwa noch eintretenden Überraschungen, in 1000
Meter Tiefe auf großer Fahrt einem sehr weit entlegenen
Ziele zu. Selbstverständlich“, Ferdoc verbeugt sich iro­
nisch, „setzen wir Sie, meine verehrte .Kollegin, nicht dem
Risiko eines Rettungsbootes aus, sondern wir werden sie
entgegenkommenderweise mit zu uns an Bord nehmen.
Bitte kontrollieren Sie meine Worte: in spätestens einer
Stunde, noch lange vor Taganbruch, ist die Episode abge­
schlossen. übrigens; Wir landen bereits. Der Lichtschein,
den Sie unter sich sehen, ist der Scheinwerfer unseres
geliebten „Pinguins“.“
Und so geschieht es. Das Meer ist hier auf der Höhe der
Azoren spiegelglatt. Kaum sind sie gewassert, nimmt sie
auch schon die Motorbarkasse des „Pinguin“ auf. Als sie
an Bord sind, will Kaarina unauffällig einen der geschäftig
an ihr vorbeihastenden Matrosen der Besatzung anspre­
chen. Aber Ferdoc kommt ihr zuvor. „Lassen Sie sich nur
nicht aufhalten!“ ruft er dem bereitwillig stehenbleibenden
Mann zu, „ich werde den kleinen Dienst für Fräulein
Kerkonnen übernehmen!“ Leise zu Kaarina gewandt
flüstert er lachend: „Wenn Sie sich jetzt noch außer von
Ihrem Kinderschreck von Kinderstreichen etwas erhoffen,
Kaarina Kerkonnen, dann wird sie beides, so leid es mir
tut, gleich schwer enttäuschen. Aber kommen Sie, Kapitän
Cross wartet.“
Schon sind sie mit dem Lift im Innern des Expeditions­
schiffs in das darunter durch einen besonderen Mecha­
nismus mit dem Schiffsrumpf des „Pinguin“ verbundene
Tauchboot hinabgeglitten. Kaarina hört die automatischen
Luftpressen. Sie spürt, wie das Tauchboot sich abstößt,
sinkt. Ferdoc ist nicht mehr zu sehen. Wahrscheinlich ist er
schon unten im Maschinenraum, von wo aus durch einen
ähnlichen Mechanismus die in gemeinsamer Arbeit
neukonstruierte Tiefsee-Tauchkugel auf dieselbe Weise
erreicht werden kann. Sie hat damit selber schon Tauch-
versuche unternommen. Bis in eine Tiefe von 1000 Metern
reicht der Radius des Unterwasser-Mutterschiffs. Von hier
aus kann dann die Tiefsee-Tauchkugel durch atomphysi­
kalischen Antrieb abgestoßen werden und „brennt“ sich
regelrecht bis in Tiefen von 3000 und 4000 Metern durch.
Die Steuerung erfolg durch Radar, ebenso das Einholen der
Tauchkugel, die sich nach Auslösen einer bestimmten
Steuervorrichtung automatisch wieder an dem Unter­
wasser-Mutterschiff hermetisch fest ansaugt. Alle diese
technischen Neuerungen haben sie in den letzten Jahren in
gemeinsamer Arbeit entwickelt. Und nun sollte alles in
dieser schamlosen Weise verraten und verkauft werden?
Wie mochte es jetzt über dem Wasser aussehen? Hatte
Kapitän Cross seine Warnung an die Besatzung des
„Pinguin“ schon durchgegeben?
Verstört blickt sich Kaarina in der sonst so vertrauten
Kabine um. Da hängen am Hacken ihre Tauchanzüge, mit
denen sie oft in geringeren Tiefen die phantastischen
Geheimnisse der Unterwasser-Landschaft belauschten.
Auch Casaris Tauchanzug ist da. Hier… Mit zitternden
Händen streicht Kaarina behutsam darüber. Und da ist es
nun selbst mit der Fassung dieser sonst so wagemutigen,
beherrschten Frau zu Ende. „Luigo“, flüstert sie mit
bebenden Lippen und schlägt aufschluchzend die Hände
vor ihr Gesicht. „Luigo…“
8.

Eine verzweifelte Situation

Eine Viertel-Flugstunde und an die 1000 Meter Wasser­


tiefe von Kaarina entfernt kauern zur selben Zeit eine
Anzahl Männer in einem der neuentwickelten Marineflug­
zeuge, deren Geschwindigkeit weit über der Schallgrenze
liegt. Casari und Humbry befinden sich unter ihnen,
Beamte des Marineministeriums und Krischkowski, der es
sich nicht nehmen ließ, diese außergewöhnliche Expedition
zu begleiten. Geht es doch dabei nicht nur um das von ihm
finanzierte Tiefsee-Unternehmen, sondern nun steht die
Existenz seines ganzen Konzerns auf dem Spiel.
Die Beamten des Ministeriums hatten ihm bittere
Vorwürfe gemacht, hatten ihm und Casari mit sofortiger
Inhaftierung gedroht, wenn sie ihre Karten nicht offen auf
den Tisch legten. Sie waren durch mysteriöse Funksprüche
gegen Mitternacht von den bevorstehenden Experimenten
bei den Azoren unterrichtet worden, wobei die Position des
Expeditionsschiffes ebenso genau angegeben wie mit
Stichworten die ganze Tragweite des Unternehmens
skizziert war. Absender dieser, das ganze Ministerium in
Alarmzustand versetzenden Informationen war die
„Schwarze Hand“. Trotz sofortiger Peilung konnte die
Funküberwachungsstelle den Sender nicht ermitteln. Als
dann noch Humbry mit seinen Männern angekeucht kam
und berichtete, was sich mittlerweile in Casaris Laborato­
rium zugetragen hatte, stieg die Atmosphäre auf
Siedehitze. Zu allem Unglück hin meldete gleich darauf
der Flugkapitän des startbereiten Wasserflugzeugs, daß
irgend ein Defekt vorliegen müßte. Er könnte seine
Maschine nicht hochkriegen. So stiegen sie schließlich mit
reichlicher Verspätung mit einer der neuen Maschinen des
Ministeriums auf. Jagdflugzeuge waren angefordert und
sollten nachfolgen, sofern sie nicht bereits die angegebene
Position erreicht hatten. Das Ministerium rechnete mit
allen Möglichkeiten.
Casari sitzt vorne neben dem Piloten. Sollte der
„Pinguin“ noch nicht versenkt sein, so sieht er einen
Ausweg. Nämlich die zweite, früher gebaute Tiefsee-
Tauchkugel, die wohl keine so großen Tiefen erreicht, wie
das neue Gerät, aber doch wenigstens die Chance bietet,
zum Unterwasser-Mutterschiff zu gelangen, in dem sich
nach den Ausführungen Humbrys, Casaris ganze Aufzeich­
nungen – Kaarina Kerkonnen befinden sollen. Kaarina …
Casari weiß noch nicht, wie er es anstellen soll, um unter
Wasser mit der Tauchkugel überhaupt etwas auszurichten.
Aber er m u ß den Versuch wagen. Sofern überhaupt noch
dazu Gelegenheit war.
In Flugrichtung flammen Scheinwerfer auf. Der Pilot
drückt die Maschine tiefer, vermindert die Geschwin­
digkeit. Eine kaum mehr zu bändigende Aufregung
bemächtigt sich der Männer. Sie erkennen im grellen
Scheinwerferlicht, daß das Expeditionsschiff noch
unbeschädigt ist. Leuchtschirme flammten auf, das Meer in
weitem Umkreis taghell erleuchtend. Aber was ist das?
Unten treiben kleine Boote. Darin stehen Menschen und
winken herauf. Es sind die Rettungsboote des „Pinguin“ …
Casari wußte später nicht mehr genau, wie er von der
wassernden Maschine heraus in eine der Rettungsbarkassen
und mit der Hilfe der Matrosen an Deck des „Pinguin“
kam. Es war ihm klar, daß das Schiff jederzeit auseinander­
bersten konnte. Aber noch fand er die zweite Tauchkugel
unzerstört. Die automatische Abstoßanlage funktionierte.
Casari tauchte!
Gerade noch rechtzeitig, wie die Beobachter im
Flugzeug und in den Booten erkennen konnten, ehe der
„Pinguin“ wie von einer gewaltigen Faust hochgehoben
und auseinandergerissen wurde. Niemand konnte jedoch
mit Gewißheit sagen, ob Casaris kühnes Unternehmen
geglückt war. Oder ob er mit den Trümmern des absacken­
den Pinguins mit in die Tiefe gerissen wurde.
Nun erlebten die Wartenden eine Überraschung, die sich
so unwirklich wie ein sensationeller Filmstreifen vor ihren
verblüfften Augen abspielte. Ein Jagdflugzeug gab als
erstes die Meldung durch, daß ein Flugzeug unbekannter
Nationalität geortet worden wäre, das sich, wie die Geräte
aufzeigten, mit einer unwahrscheinlichen Geschwindigkeit
nähern würde. Kaum lag diese Nachricht vor, da schoß
auch schon ein glühender Pfeil über's Wasser, verschwand
am Horizont, kehrte langsamer werdend in einem weiten
feurigen Bogen über dem nächtlichen Meer wieder zurück,
nahm die Form eines runden, rotierenden Kreises an und
hielt gerade über der Stelle des untergegangenen
Expeditionsschiffes wie von Geisterhänden festgehalten in
der Luft. Schon wollten die Jagdflugzeuge Feuer auf den
unheimlichen Flugapparat eröffnen. Da stieg vom Zentrum
des rotierenden, nun rötlich flimmernden, fliegenden
Kreises eine Rakete auf und zersprühte hoch am nächt­
lichen Himmel, eine riesengroße, von feurigen Spiralen
gezeichnete, schwarze Hand bildend.
„Nicht schießen!“ Brüllte Krischkowski, der vom
Flugzeug aus zugeschaut hatte und schüttelte vor Aufre­
gung den Beamten neben sich an den Schultern: „Geben
Sie es doch Ihren Jägern durch! Nicht schießen!!!“ Der
Beamte, nicht minder beeindruckt von diesem unerwar­
teten Szenarium, hatte jedoch bereits den Befehl durch­
gegeben. Die Jagdflugzeuge kreisten höher, setzten sich ab.
Während dessen war von der geheimnisvollen Flugma­
schine aus, sichtbar nur den in der Nähe in den Rettungs­
booten treibenden Matrosen, ein Mensch abgesprungen
und im Wasser verschwunden. Die es sahen, glaubten einer
optischen Täuschung erlegen zu sein. So wie es auch
Casari ging, der unvermittelt in einer Tiefe von 1000
Metern unter dem Wasser dieselbe unwirkliche Erschei­
nung im Licht seiner Tauchkugel erkannte. Aber Casari
mußte in diesem Augenblick seine ganze Aufmerksamkeit
auf die Steuerung richten. War es doch in dem unte­
rseeischen Hochtal, kurz nach dem er die Tauchkugel
Ferdocs gesichtet hatte, zu einem regelrechten Duell mit
dem gefährlichen Gegner gekommen. Es war ein
unheimlicher, lautloser, erbitterter Zweikampf knapp über
dem Meeresgrund. Ferdoc hatte das Gold schon geborgen.
In den beiden Fangarmen des an der Tauchkugel aufmon­
tierten Kranes glühte es im Scheinwerferlicht gleißend auf,
als ob die Tauchkugel hinter einem feurigen Stern
hergezogen würde.
Es ist eine verzweifelte, fast hoffnungslose Situation.
Casari kann nur immer wieder versuchen, Ferdoc daran zu
verhindern, zum Tauch-Mutterschiff zurückzukommen. Zu
diesem Zweck muß er ständig so manövrieren, daß er mit
seiner Tauchkugel über der Ferdocs bleibt. Er hat dabei den
Vorteil, daß sein Gegner durch die zentnerschwere Gold-
last schwerfälliger ist, weniger rasch von der Stelle kommt.
Aber Ferdoc scheint einen ganz besummten Plan zu
verfolgen. Stück um Stück drängt er die Tauchkugel
Casaris über das unterseeische, steil abfallende Felsmassiv
aufwärts.
Es ist, von außen her gesehen, ein phantastischer
Anblick, so abenteuerlich anmutend, wie die Spiele und
Kämpfe der fabelhaften Leuchtfische der Tiefseefauna, die
diese unterseeischen Regionen bevölkern. Gleich ihnen
umtanzen sich die beiden, von zuckenden Lichtern
geisterhaft umsprühten Kugeln. Ab und zu blitzen grelle
Scheinwerfer auf, lassen das Gold in den Fangarmen von
Ferdocs Kranen wie eine unterseeische Sonne aufleuchten,
und verlöschen wieder. Aber für die beiden Männer hinter
den dünnen Wänden ist es ein Kampf auf Leben und Tod.
Casari weiß, daß wenn es Ferdoc gelingt, die automa­
tischen Saugdruckkammern des Mutterschiffs zu erreichen
– daß dann alle Bemühungen vergeblich sind. Niemand
wird Ferdoc dann mehr daran hindern können, im Schutz
der Tiefsee das Weite zu suchen.
Da nähert sich von oben her ein großer, dunkler
Schatten. Casari sieht auf dem Fernseh-Empfänger am
Schaltbrett, wie der Schatten genau über ihm steht. Nun
kann er auch im Scheinwerfer die Umrisse erkennen. Es ist
das auf Ferdoc wartende Tauchboot. Kapitän Cross wird
durch Ferdoc funktelegraphisch unterrichtet worden sein,
um seinem Komplicen zu Hilfe zu eilen. Jetzt erst begreift
Casari, warum ihn Ferdoc so hartnäckig nach oben drängte.
Das Tauchmutterschiff kann nur bis zu einer Tiefe von
1030 Metern operieren. Casaris Geräte zeigen den Stand
von 9S0 Metern.
Mit voller Wucht stürzt das große Tauchboot senkrecht
herunter. Casari spürt die Erschütterung, sieht am
Fernsehschild, wie Ferdoc geschickt seitwärts steuerte und
gerade noch dem Stoß ausweichen kann. Dabei stoßt
Ferdocs Tauchkugel jedoch gegen den steil aufsteigenden,
unterseeischen Berg. Stürzt wie gelähmt von der Wucht
des Aufpralls ein paar Meter von Casari entfernt in den
gähnenden, schwarzen Abgrund, der auf der anderen Seite
des Gebirgskammes senkrecht abfällt. Während Casari
seine Tauchkugel wieder auffangen kann, sieht er, wie
Ferdoc nebenan jäh seine gewohnte Lage verliert, so daß
der Kranen mit dem Gold nach unten kippt und die Kugel
darüber wie ein Bleigewicht in die Tiefe zieht.
Ein paar hundert Meter taucht Casari noch hinterher,
zuerst eine neue Finte seines Gegners vermutend. Aber
dessen Absturz wird immer rascher. Wahrscheinlich wurde
bei dem unerwarteten, heftigen Aufprall der Steuer­
mechanismus beschädigt. Wohl waren die Tauchkugeln so
konstruiert, daß normalerweise bei solchen Unglücksfällen
automatisch eine Auftriebskraft ausgelöst wurde, durch die
die Kugel an die Wasseroberfläche trieb. Die schwere
Goldlast an Ferdocs Tauchgerät verhinderte jedoch offen­
sichtlich diese Rettungsmöglichkeit. Casari schaudert. War
doch der Atlantik hier an manchen Stellen bis über 6000
Meter tief. Das Schicksal Ferdocs war damit besiegelt. Er
mußte in seiner Kabine qualvoll ersticken. Kein Mensch
konnte ihm mehr Rettung bringen.
Nun schaltet Casari das elektrische „Auge“ seiner
Tiefseekugel ein, die dadurch rasch nach oben steigt. Mit
Hilfe dieser technischen Einrichtung steuert die Tauch­
kugel automatisch das Mutterschiff an, eine Vorsichts­
maßnahme, im Falle einmal die Fernsehanlage nicht mehr
funktionieren sollte und keine Funkverbindung mehr
bestand.
So erreicht er schon nach kurzer Zeit das große
Tauchboot. Casari atmet schwer. Im Kampf mit Ferdoc war
ihm ein glücklicher Zufall zur Hilfe gekommen. Der
Übeltäter war seiner eigenen Gier erlegen, von dem
erbeuteten Goldschatz in die Tiefe gerissen worden. Aber
wie konnte es Casari jetzt gelingen, ins Mutterschiff zu
kommen? Wohl würde er mit Hilfe der automatischen
Saugdruckkammern aufgenommen werden, ein Vorgang,
der ebenfalls automatisch vor sich ging und den auch
Kapitän Cross nicht verhindern konnte. Aber Cross wird
ihn nicht lebend aussteigen lassen. Und was geschah dann
mit Kaarina? Mit seinen Plänen?
Da, Casari glaubt seinen Augen nicht zu trauen; da
schlängelt sich wieder jene merkwürdige Erscheinung dicht
an ihm vorbei, die ihm vorher beim Kampf mit Ferdoc
schon aufgefallen war. Casari läßt seine Scheinwerfer mit
höchster Lichtstärke aufflammen. Im Radarschirm des
Fernsehgeräts erkennt er genau eine menschenähnliche
Gestalt in einem hellen Tauchanzug mit fischartigen
Armen und Beinen. Der ganze Anzug ist von ähnlichen,
zuckenden Lichtreflexen umsprüht, wie Casaris Tauch­
kugel. Der unbekannte Taucher schien demnach für seine
waghalsige Tiefseefahrt dasselbe, physikalische Verfahren
angewandt zu haben, das sich bei ihren eigenen Tauch­
geräten bewährt hatte. Im Grunde war es ein einfacher
Vorgang, der lediglich darin bestand, den in größeren
Tiefen immer stärker werdenden Wasserdruck durch eine
Art „Gegendruck“ zu neutralisieren. Wie war dieses in
seiner technischen Verwirklichung sehr komplizierte
Verfahren, dem Unbekannten jedoch mittels eines dünnen
Tauchanzugs möglich? Wie kam er überhaupt hierher?
Was beabsichtigte er?
Der Taucher enthebt Casari allen weiteren Überlegun­
gen. Er macht Zeichen, winkt, weist auf das bewegungslos
sich wiegende Tauchboot. Entschlossen drückt Casari den
Hebel herunter, steigt weiter auf, ist schon dicht unter dem
Mutterschiff, hört das Rauschen in den Wasserkammern,
spürt, wie die Tauchkugel von der Saugdruckkammer
aufgenommen wird. Rasch wendet er sich von seinen
Geräten weg der Rücken wand zu, hinter der sich nun eine
schmale, kreisrunde Lücke auftut. Ohne sich zu besinnen
klettert Casari die Eisenleiter hoch, erreicht den
Maschinenraum, stürzt zur Führungskabine. Dort liegt
Kapitän Cross vornübergebeugt wie schlafend über der
Schalttafel des Steuergeräts. Mit fliegenden Händen zerrt
Casari an dem Schaltknopf, der die Auftauchvorrichtung
auslöst. Gebannt starrt er auf die vibrierende Nadel des
daneben montierten Instruments. 960 – 940 – 910 – Sie
steigen!
Casari wischt sich über die Augen. Sieht sich um. Wo ist
Kaarina? Gebückt rennt er die niedere Türe hinaus, den
Gang vor, stolpert fast über einen lang hingestreckten
Körper am Boden, beugt sich darüber. „Kaarina?!“
Ja, es ist Kaarina Kerkonnen! Sie liegt wie im Schlaf.
Atmet leise. Wie Kapitän Cross… Casari steht eine Weile
fassungslos. Dann trägt er Kaarina rasch in die Koje
nebenan. Bettet sie behutsam auf die Couch an der Wand.
Rennt zur Führungskabine zurück. Findet auch dort noch
Kapitän Cross in derselben unbeweglichen Lage, leise und
kurz atmend.
Die Instrumente zeigen 400 Meter. In wenigen Minuten
müssen sie auftauchen. Aber – wie ist das alles nur
möglich gewesen?

Die Beantwortung dieser Frage, um die Casari und Kaarina


Kerkonnen später immer wieder im Kreis ihrer Freunde
herumrätseln, sollte für immer das Geheimnis jenes, von
dem fremden Flugzeug ins Wasser gesprungenen Tauchers
bleiben, der wenige Minuten vor dem überraschenden
Auftauchen des Unterwasser-Mutterschiffs jäh auf den
Wellen erschien. Rasch kletterte er an einer, von der ganz
tief über dem Meer wie in der Luft stehenden, fremden
Flugmaschine herabgelassenen Strickleiter in die Hohe.
Wie von einem Katapult abgeschossen schnellte das Flug­
zeug darauf hoch über den Meeresspiegel und schoß dann
jäh mit derselben, unwahrscheinlichen Geschwindigkeit
wieder davon.
Nur eine Rakete stieg noch an der Stelle auf, von wo aus
eben gleich einem feurigen Pfeil das fremde Flugzeug den
Blicken der Zurückgebliebenen entschwunden war. Es war
dieselbe Rakete, die auch kurz nach der Ankunft der
unbekannten Helfer aufgestiegen war und die nun hoch am
blassen Morgenhimmel versprühend, die feurigen Umrisse
einer großen, schwarzen Hand zeigte, die sich langsam
über dem eben aus den Fluten tauchenden Unterwasser-
Mutterschiff gleich einer dunkeln Wolke verlor.

„Vorsicht, Ferdoc lebt noch!“

Mit dieser alarmierenden Nachricht überraschte „DIE


SCHWARZE HAND“ Monate später den Tiefseeforscher
Casari, als dieser eben mit seiner jungen Frau zusammen
dem Rätsel des versunkenen Erdteils Atlantis auf der Spur
war. Die sensationellen Einzelheiten darüber schildert Heft
7 der Schriftenreihe „DIE SCHWARZE HAND“:

„Wettlauf nach Atlantis“

SIGNAL-VERLAG, STUTTGART-O

Kleines Tiefsee-abc
Es wird den Leser sicher interessieren, daß …
••• Bodenschätze aller Art in den Tiefen der Ozeane ermittelt
wurden, darunter auch Uranium und Gold. Schon heute werden
im Golf von Mexiko und im Kaspischen Meer sogen,
„submaritime Ölfelder“ bis in eine Tiefe von über 3000 Meter
ausgebeutet.
••• die Druckverhältnisse unter Wasser außerordentlich stark sind.
So wurde z. B. anläßlich der letzten Tauchversuche Prof. Picards
ausgerechnet, daß in einer Tiefe von 3000 Meter ein Riß von
1/1000 mm an Picards Tauchkugel genügte, um die Tauchkugel
samt ihren Insassen zu zermalmen.
••• Energiegewinnung aus den Weltmeeren auf verschiedene Weise
möglich ist. Die Ausnützung von Ebbe und Flut liefert die
sogen. „Blaue Kohle“. Auch Meereswellen und Unterwasser-
druck lassen sich zur Energiegewinnung verwerten.
••• Goldschätze in unvorstellbaren Mengen auf dem Meeresgrund
verborgen ruhen. Eine neugegründete, französische Gesellschaft
hofft allen Ernstes, innerhalb der nächsten 20 Jahre solche
versunkene Goldschätze im Werte von einer halben Billion Ffrs.
zu heben.
••• Leuchtfische von abenteuerlichen Formen und Farben die Tiefen
der Ozeane bevölkern. Während das pflanzliche Leben schon bei
200 Meter Tiefe aufhört, soll es den neuesten Berichten einer
dänischer Tiefsee-Expedition zufolge selbst in den tiefsten
Regionen noch u. a. eine Art leuchtender Riesenaale geben, die
bis zu 25 m lang werden,…
••• Meerwasser ein ganz besonderer Saft ist. Professor Bergmann
von der Yale-Universität in New Haven (Connecticut) vertritt
die Ansicht daß der Ozean zur maßgeblichen Nahrungs- und
Rohstoffquelle der ganzen Menschheit werden kann. Er schätzt
die Menge des gesamter Meerwassers auf 1230 Millionen
Kubikkilometer. E i n Kubikkilometer Ozeanwasser enthält
nach den Ermittlungen dieses Wissenschaftlers 1,5 Mill. t Mag­
nesia, 1 Mill. t Pottasche, 74000 t Bromin, 570 t Jod, 500 t
Borate, 220 t Eisen, 150 t Kupfer, 12,5 t Uranium, 0,3 t Silber
und große Mengen Gold.
••• Tauchkugeln mit Besatzungen, wie die Tauchkugel des Ameri­
kaners Otis Barton, bereits eine Tiefe von 1370 Metern erreich­
ten. Der Atlantik und der Pazifik haben jedoch eine durch­
schnittliche Tiefe von 4000 Metern. Die bisher tiefste Stelle der
Weltmeere wurde in der Nähe der Philippinen mit 14400 Metern
gemessen.
••• Weltmeere, bzw. ihre Wasserfläche, eine Ausdehnung von 361
Millionen Quadratkilometer einnehmen gegenüber 149 Millio­
nen Quadratkilometer Festland.
••• Zukunftsprojekte der Hydrobiologie vorsehen, mit Hilfe bereits
im Bau befindlicher, atomphysikalisch betriebener „Unterwas­
ser-Labors“, mit Tauch-Mutterschiffen und Tiefsee-Spezialgerä­
ten („Unterwasser-Arbeitskammern“) die vielfältigen Schätze
und Möglichkeiten in den Tiefen der Ozeane systematisch zu
erschließen.
In unserer technisch-wissenschaftlichen Romanschriftenreihe

Die schwarze Hand

werden, vorerst im Abstand von drei Wochen, nacheinander folgende


Hefte erscheinen:
Heft 1: Duell auf dem Meeresgrund
Über die Hälfte unserer Erde ist vom Wasser bedeckt. In
diesen unheimlichen Tiefen der Ozeane liegen märchenhafte
Schätze verborgen. Mit ihrer Auswertung beschäftigt sich
die moderne Unterwasserforschung – und DIE
SCHWARZE HAND, der die verbrecherischen Anschläge
auch auf dem Meeresgrund nicht verborgen bleiben.
Heft 2: Attentat auf RR 6
Schon seit Jahren werden in verschiedenen Ländern in aller
Heimlichkeit Weltraumschiffe gebaut. Mit ihrer Hilfe soll
als erstes einmal der Mond erobert werden, sollen
„künstliche Monde“ die Erde umkreisen. DIE SCHWARZE
HAND hat ihre tüchtigsten Leute eingesetzt, damit diese
kühnen Projekte nicht von gewalttätigen Mächten
mißbraucht werden.
Heft 3: Das Gespenst auf der Landstraße
Autospringerbanden sind heute überall zum Schrecken der
Fernfahrer geworden. Auch gegen sie hat DIE SCHWARZE
HAND den Kampf aufgenommen. In tollkühnem Einsatz
gelingt es ihren Beauftragten, eine solche, besonders
raffiniert vorgehende Bande zur Strecke zu bringen.
Heft 4: Hyänen der Wüste
Auch heute noch weist unsere Erde weite, unfruchtbare
Gebiete auf, die durch die modernen Hilfsmittel der
Wissenschaft und Technik in blühende, unzähligen
Menschen Brot und Arbeit schenkende Länder verwandelt
werden könnten. DIE SCHWARZE HAND setzt es gegen
tausend Schwierigkeiten durch, daß in der Sahara ein
solches Projekt verwirklicht wird.
Heft 5: Der Ring mit dem Schwarzen Turmalin
Die radioaktive Strahlung stellt nicht nur in Verbindung mit
der Atombombe eine Gefahr für die Menschheit dar. Schon
kleinste Dosen genügen, um einen Menschen qualvoll
dahinsiechen und sterben zu lassen. Aber sie genügen nicht,
um DIE SCHWARZE HAND zu täuschen.
Heft 6: Toto-Fälscher am Werk
Gibt es ein todsicheres Toto-System? Läßt sich dem Glück
beim Fußball-Toto unter die Arme greifen? Die Fachleute
sagen nein. Aber in Mailand heimste jemand nacheinander
Millionengewinne ein. Bis DIE SCHWARZE HAND auf
die Spur seiner Schliche kommt und den Betrüger entlarvt.
Preis pro Heft DM -.40. Bestellungen können unter Beifügung von
zusätzlich DM -.10 Porto in Briefmarken auch direkt aufgegeben
werden beim

SIGNAL-VERLAG, STUTTGART-O

Postschließfach 1054

Erscheinungsdatum: 1953

ISBN: B0000BJ0VB

Scan by Brrazo 12/2005

Die schwarze Hand

der Titel unserer technisch-wissenschaftlichen Romanschriftenreihe, die


dem Leser mit jedem Heft eine neue, atemberaubende Handlung erschließt.
Die Männer des den gleichen Namen tragenden Geheimbundes

Die schwarze Hand


sind überall zur Stelle, wo ein Verbrechen im Gange ist. Von ihrer unbe­
kannten Zentrale aus spannt sich unter dem von ihnen gewählten Zeichen
der rächenden SCHWARZEN HAND ein engmaschiges Netz um die ganze
Erde. Je nach dem Lebens- und Wirkungskreis der Übeltäter stellt ihnen

Die schwarze Hand


einen besonders ausgebildeten Spezialisten aus ihren Reihen entgegen, dem
niemand etwas vormachen kann. Auf diese Weise lernt der Leser Einblick
in so manche Zusammenhänge gewinnen, über die sonst die Öffentlichkeit
nur mangelhaft Bescheid weiß. Der Zauber fremder Länder erschließt sich
ihm. Die Geheimnisse der modernen Technik und Wissenschaft werden
aufgedeckt. Sensationelle Begebenheiten überstürzen sich. Denn Gewalttat
und Verbrechen wuchern heute überall. Aber die Übeltäter kommen nicht
ungestraft davon. Sie stehen, gleichgültig, wo und wie sie sich auch
verborgen halten, überall in jenem Schatten, den

Die schwarze Hand


über sie und ihre Untaten wirft. DIE SCHWARZE HAND, deren
unbekannte Helden sich zusammenschlossen zu einer Tag um Tag sich
stärker auswirkenden

Verschwörung gegen das Böse auf der Welt

Druck: „Schwäbische Post“, Aalen

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