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Der Zusammenhang des Problems des Nichts mit den Kategorien ist eine Fra-
ge, auf welche Kant selbst in der Entfaltung der Kritik der reinen Vernunft auf-
merksam gemacht hat, freilich in einer scheinbar 2ufälligen und nebensächlichen
Weise. Am Schluß der Transzendentalanalytik, im Abschnitt zur Amphibolie
der Reflexionsbegriffe und als eine Anmerkung, die nach Kants eigenen Worten
bloß den systematischen Bau vervollständigen soll, heißt es:
„Ehe wir die transzendentale Analytik verlassen, müssen wir noch etwas hinzufügen,
was, obgleich an sich von nicht sonderlicher Erheblichkeit, dennoch zur Vollständigkeit
des Systems erforderlich scheinen dürfte. Der höchste Begriff, von dem man eine Tran-
szendentalphilosophie anzufangen pflegt, ist gemeiniglich die Einteilung in das Mögliche
und Unmögliche. Da aber alle Einteilung einen eingeteilten Begriff voraussetzt, so muß
noch ein höherer angegeben werden, und dieser ist der Begriff von einem Gegenstande
überhaupt (problematisch genommen, und unausgemacht, ob er Etwas oder Nichts sei).
Weil die Kategorien die einzigen Begriffe sind, die sich auf Gegenstände überhaupt
beziehen, so wird die Unterscheidung eines Gegenstandes, ob er Etwas, oder Nichts sei,
nach der Ordnung und Anweisung der Kategorien fortgehen." (B 346—B 347)
In Übereinstimmung mit solcher Bemerkung zeigt Kant, wie den vier Gruppen
von Kategorien, seiner berühmten Tafel gemäß, vier Modi des Nichts entspringen,
und zwar: das Nichts als „leerer Begriff ohne Gegenstand" (ens rationis), das Nichts
als „leerer Gegenstand eines Begriffs" (nihil privativum), das Nichts als „leere An-
schauung ohne Gegenstand" (ens imaginarium) und das Nichts als „leerer Gegenstand
ohne Begriff" (nihil negativum).
Kurz und bündig, aber mit bewunderungswürdiger Genauigkeit, zeigt Kant
ferner in jedem dieser Modi des Nichts seine Grundcharaktere, führt jeweils das
entsprechende Beispiel an und fixiert letztlich einige Unterschiede und Zusammen-
hänge unter ihnen, die für die strenge Erfassung und Abgrenzung ihrer Begriffs-
merkmale von großer Bedeutung sind. All das ist jedoch in wenigen Zeilen, 70
insgesamt, zusammengefaßt, und zwar auf den Seiten A 290—A 292.
Es ist nicht unsere Absicht, uns in diesem Vortrag bei der Betrachtung der
besonderen Probleme aufzuhalten, die jeder dieser Modi des Nichts in Bezug auf
die entsprechende Kategoriengruppe, der er entspringt, auf weis t. Das würde ja
eine Ausführlichkeit erfordern, welche die Grenzen unserer Darlegung überschrei-
ten würde. Wir gedenken vielmehr eine Grundfrage im allgemeinen auszuarbei-
*) Das Thema dieses Vertrags gehört zur Problematik, die der Verfasser in seinem
unlängst erschienenen Werk in spanischer Sprache El Problema de la Nada en Kant
entwickelt hat.
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) Aus dem Spanischen'übersetzt von Alberto und Renoe Rosales.
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