1 „Heuneburg“ heißt der steil aufragende, grün überwucherte Hügel in
2 der Nähe der süddeutschen Stadt Sigmaringen an der Donau, auf 3 dem vor vielen Jahrhunderten eine keltische Burg stand. Für 4 Archäologen ist dieser Hügel von großer Bedeutung. Hier führen sie 5 Ausgrabungen durch und versuchen, anhand der ausgegrabenen 6 Objekte Aufschluss über die Lebensweise der Kelten, eines längst 7 untergegangenen Volkes, zu gewinnen. Als die Archäolo gen am Fuß 8 der Heuneburg im letzten Sommer die Reste einer keltischen 9 Siedlung ausgruben, machten sie eine spektakuläre Entdeckung: Bei 10 den Grabungen kam ein Tor aus Stein ans Tageslicht. 11 Für die Archäologen ist das etwas Einmaliges: „Das kennt man 12 aus der Zeit um 500 vor Christus nördlich der Alpen überhaupt 13 nicht!“ Alle bisher bekannten keltischen Gebäude, auch jene Bauten, 14 die vor zweieinhalb Jahrtausenden an der Heuneburg standen, 15 waren aus Holz und Lehm. Nun aber stand da auf einmal ein 16 steinernes Tor. Auch die Reste von zwei Mauern, die, jede noch 17 etwa einen halben Meter hoch, bei den Grabungen zum Vorschein 18 kamen, waren aus behauenen Steinen errichtet. Eine solche 19 Bauweise aus der Zeit um 500 v. Chr. ist in Mitteleuropa einzigartig. 20 Nördlich der Alpen sind aus jener Zeit keine Bauten aus Stein 21 überliefert. 22 Wir kennen von den Kelten jener Zeit weder die Namen der 23 Herrscher und Helden noch die Lieder der Dichter. Und doch waren 24 die Kelten ein Volk, das damals große Teile West- und Mitteleuropas 25 dominierte. Es gibt nur wenige europäische Länder, in denen sie 26 nicht ihre Spuren hinterlassen haben. Zwar werden sie in Berichten 27 zeitgenössischer griechischer und römischer Schriftsteller vor allem 28 als wilde Krieger beschrieben. Doch schon in früher Zeit besaßen 29 die Kelten eine vielseitige und hoch entwickelte Kultur. Die Kelten 30 waren es, die in Mitteleuropa den Bergbau einführten. Über 31 Jahrhunderte betrieben sie Salzbergwerke in den Alpen wie in 32 Hallstatt und Hallein, zwei Orte, die heute in Österreich liegen. Au ch 33 die Technik der Glasherstellung war bei ihnen weit entwickelt. Die 34 Eisenverarbeitung wiederum beherrschten sie so gut, dass selbst 35 die alten Römer, die in der Waffentechnik erfahrene Experten 36 waren, die keltischen Schwerter bewunderten. Wie archäologisc he 37 Funde belegen, reichten die Handelsverbindungen der Kelten von 38 der Ostsee bis zum Mittelmeer. Bei Ausgrabungen keltischer 39 Siedlungen in Mitteleuropa fand man griechische Weinkrüge. 40 Gerade der hohe Entwicklungsstand der keltischen Kultur 41 nördlich der Alpen wie auch der neue Fund an der Heuneburg 42 werfen eine interessante Frage auf, die nun erforscht werden soll: 43 Haben Kelten vor zweieinhalb Jahrtausenden schon in Städten 44 gelebt? Einzelne Hinweise, dass dies der Fall gewesen sein könnte, 45 hatten sich schon aus früheren Forschungen ergeben. So konnte 46 man zum Beispiel nachweisen, dass die keltische Gesellschaft 47 bereits nach relativ komplexen Regeln organisiert war. Auch weiß 48 man inzwischen, dass die keltische Wirtschaft stabile, dauerhafte 49 Strukturen besaß. Vor diesem Hintergrund wäre es also durchaus 50 denkbar, dass die Kelten um 500 v. Chr. auch eine städtische 51 Lebensweise kannten. Mit neuen Ausgrabungen an mehreren 52 keltischen Siedlungsorten hoffen die Archäologen, auf die Frage 53 eine Antwort zu finden. 54 Auch an der Heuneburg sind neue Ausgrabungen geplant, die 55 dazu einen wichtigen Beitrag leisten könnten, denn kein 56 frühkeltischer Fundplatz ist so gut erforscht wie dieser. In der 57 Siedlung am Fuß des Burghügels wurden bei früheren Grabungen 58 bereits Häuser gefunden, die offensichtlich an einer Straße lagen. 59 Die Archäologen vermuten, hier habe vielleicht schon eine frühe 60 Form von Siedlungsplanung zugrunde gelegen. Unter den Resten 61 sogenannter Grubenhäuser stieß man zudem auf Abfälle der 62 Metallverarbeitung, an anderer Stelle fand man Spuren von 63 Textilverarbeitung. Gab es in dieser Siedlung womöglich ein 64 besonderes Viertel für Handwerker mit ihren Werkstätten? Auch dies 65 wäre ein Indiz für eine städtische Lebensweise. Ein weiterer 66 Gesichtspunkt ist die Einwohnerzahl. Nach Schätzung der 67 Archäologen könnten an diesem Ort etwa ein- bis zweitausend 68 Menschen gelebt haben, was für die damalige Zeit eine ziemlich 69 große Bevölkerung wäre. Genügen diese drei Faktoren schon, um 70 von einer „Stadt“ zu sprechen? Die Archäologen beantworte n die 71 Frage mit einem vorsichtigen „Ja“, das sie gleich wieder 72 einschränken. Nach ihrer Auffassung fehlen noch wichtige Elemente 73 wie eine religiöse Kultstätte und ein Marktplatz, die man trotz aller 74 Bemühungen bisher noch nicht nachweisen konnte. Im Grunde sind 75 sie aber überzeugt, dass es einen Markt gab, denn dafür spricht die 76 Lage des Ortes an der Donau. An diesem großen Fluss nämlich 77 verlief einer der wichtigsten alten Handelswege nördlich der Alpen. 78 Und schließlich ist auch das einzigartige steinerne To r - „für diese 79 Region war das ein Monumentaltor!“ - ein Indiz dafür, dass dieser 80 Ort überregionale Bedeutung hatte. Muss man also annehmen, dass 81 die an der Heuneburg ausgegrabene Siedlung eine keltische Stadt 82 war? Wenn das der Fall wäre, dann wäre dies die älteste Stadt 83 Mitteleuropas! Doch bis diese Frage sich zuverlässig beantworten 84 lässt, muss an der Heuneburg noch weiter gegraben werden.
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