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Letzebuerger Journal

Luxemburg im ersten Weltkrieg


Auszug aus dem Kriegstagebuch von Jean-Pierre Flohr
Vor drei Jahren sollte mein Enkelsohn Nicolas im Lyzeum über „Luxemburg im
ersten Weltkrieg“ vortragen. Da er trotz emsiger Suche im Internet nur wenige,
dazu noch äußerst dürftige Angaben über das vorgenannte Thema fand, bat er
mehrere Erwachsene um Hilfe. Nach Bestandsaufnahme verfügte er über
folgende nicht gerade überwältigende Informationen: „Von 1914 bis 1918
besetzten die Deutschen das neutrale Luxemburg. Großherzogin Marie-
Adélaïde beging den unverzeihbaren Fehler, den Deutschen Kaiser im
Großherzoglichen Palais zu empfangen und musste darum auch nach dem
Kriege abdanken. Unsere Großeltern haben die Jahre 1914 – 1918 insbesondere
in schlechter Erinnerung, da sie übermäßig unter der im Land herrschenden
Hungersnot litten“.

Die blutjunge Großherzogin Marie-Adélaïde

So wandte sich der junge Mann in seiner Bedrängnis an mich, seinen Großvater,
mit der Bitte um möglichst schnelle Hilfe. Der gute Pépé wollte bereits
kapitulieren. Doch stieß er in letzter Minute mit Hilfe des Internets auf die
„Étude sur la vie quotidienne au grand-duché de Luxembourg au cours de la
Grande Guerre (1914-1918) à travers le „Kriegstagebuch“ (journal de guerre)
de Jean-Pierre Flohr (Studie über das tägliche Leben im Großherzogtum
Luxemburg im Verlauf des Großen Krieges (1914-1919) nach dem
Kriegstagebuch von Jean-Pierre Flohr. Eine Seminararbeit von Sarti Laury, nach
der Chronik von Jean-Pierre Flohr, veröffentlicht in den Wissenschaftsarchiven
des deutschen GRIN Verlags (www@grin.com).
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Dieser Verlag ist spezialisiert auf die Online-Veröffentlichung von


akademischen Texten, die im Laufe der vergangenen Jahre von Studenten
verfasst wurden.

Durch Zahlung eines Geldbetrages konnte ich ohne Weiteres diese Studie, auf 72
Seiten, herunterladen. Leider wird derzeit die Studie nicht mehr vom GRIN-
Verlag angeboten. Des Weiteren meldet „Amazon“, dass die Broschüre, in der
ebenfalls die gleiche Studie abgedruckt ist, zurzeit vergriffen ist.

Was das Kriegstagebuch von Jean-Pierre Flohr angeht, so stehen immerhin in


der Luxemburger Nationalbibliothek folgende Publikationen zur Einsicht:
1921: Kriegstagebuch eines Neutralen in Luxemburg.
1939: Kriegstagebuch eines Neutralen.
1954 – 1958: Kriegstagebuch eines Neutralen. Aufzeichnungen und
Stimmungen (Zeitschrift: Letzebuerger Ex-Militär).

Wie aus den vorhergehenden Erklärungen hervorgeht, handelt es sich bei der
Publikation über „Luxemburg im zweiten Weltkrieg“ nicht über die integrale
Veröffentlichung des Kriegstagebuchs des Luxemburger Jean-Pierre Flohr. Das
von Flohr verfasste Tagebuch dient vielmehr dem Deutschen Sarti Laury, der
Geschichte an den „Facultés Universitaires Saint-Louis“ in Brüssel (FUSL)
studiert, zu einer Seminararbeit über das Leben in Luxemburg unter deutscher
Besetzung. Wobei er zusätzlich höchst arbeitsam die wissenschaftlichen
Arbeiten namhafter Luxemburger Historiker, wie Christian Calmes, Gilbert
Trausch, Jean Kill, Emile-Théodore Melchers…, konsultierte.

Das Tagebuch von Jean-Pierre Flohr –


eine Studie „summa cum laude“

Nach eingehender Beschäftigung mit den Angaben in diesen letzteren


wissenschaftlichen Abhandlungen kommt der Autor, Sarti Laury, zur Einsicht,
dass Jean-Pierre Flohr in jeder Hinsicht der wohl Bestinformierte über
„Luxemburg im zweiten Weltkrieg“ ist. Er müsste demnach ein hohes Amt
bekleidet haben, das ihm direkte Einsicht in die damaligen Staatsgeschäfte gab.
In seinen Bemühungen um eine möglichst objektive Berichterstattung habe er
gleichwohl gewisse Sympathien für Großherzogin Marie-Adélaïde nicht
unterdrücken können.

Die letzteren Schlussfolgerungen gehen sonderzweifel in die richtige Richtung,


war doch Jean-Pierre Flohr (1875 - 1935), großherzoglicher Hofkommissar. Als
solcher wurde er im Jahr 1923 Ritter im großherzoglichen Orden der
Eichenlaubkrone. Da er in den Jahren 1914 – 1918 mehrmals Reisen nach
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Bayern unternahm (Das Haus Luxemburg war mit dem bayerischen Königshaus
verwandt und hatte dazu noch Besitztümer in Bayern), ist anzunehmen, dass er
bereits vor dem ersten Weltkrieg im Dienst der großherzoglichen Familie stand!

Vor 1914: Eine Großbourgeoisie, die nach Deutschland schielt

Zum allgemeinen Verständnis stellt Autor Laury Sarti das Kriegstagebuch des
Luxemburger Jean-Pierre Flohr in einen historischen Rahmen. Ein Luxemburg,
das infolge seines Beitritts zum deutschen Zollverein industriell regelrecht
aufblüht. So sind zu Ende des 19. Jahrhunderts an dem Aufbau der
Stahlindustrie, mit deutschem Kapital, vornehmlich Deutsche beteiligt. Die so
eingeleitete Industrialisierung des Landes führt zu einer starken Einwanderung
von deutschen Staatsbürgern. So wird auch verständlich, dass die
Großbourgeoisie Luxemburgs rein wirtschaftlich nach Deutschland ausgerichtet
ist. Was nicht verhindert, dass sie kulturell eher nach Frankreich tendiert.
Dagegen schwimmen die anderen Bevölkerungsschichten des Landes, vom
einfachen Bürgertum bis zu den Arbeitern, eher auf einer patriotisch-
nationalistischen Welle. So ist das Volk je nach Agieren seiner Nachbarländer
einmal gegen Deutschland, das andere Mal gegen Frankreich und wenn
erforderlich gegen Belgien.

Ungewollte Böllerschüsse zum Einmarsch der deutschen Truppen

Die eigentliche Invasion Luxemburgs durch die Deutschen Truppen datiert auf
den 2. August 1914.

Doch als am Nachmittag des 1. August die Luxemburger Musikföderation


(UGDA) in Clerf ein großes Musikfest eröffnet, meldet sich bereits aus Bahnhof
Ulflingen per Telefon ein Offizier der deutschen Vorhut, mit der Forderung,
sofort das Schießen auf die deutsch-kaiserliche Armee einzustellen.
Darüber können die in Clerf versammelten Musiker und Sänger nur lachen, denn
die Kanonenschüsse waren harmlose Böllerknalle, die zu Festbeginn über die
Öslinger Koppen dröhnten. Erst gegen 20.00 Uhr zirkuliert in der Stadt
Luxemburg die Nachricht vom Einzug der Deutschen Truppen in Ulflingen,
gefolgt um 22.00 Uhr von der freudig aufgenommenen Nachricht, dass die
Deutschen sich heim ins Reich zurückgezogen haben..

Doch am 2. August 1914 wird es ernst. Die deutschen Truppen rücken nicht nur
massiv über den Landweg in Luxemburg ein, sondern auch mit der Eisenbahn.
Dennoch nimmt das Leben im Lande irgendwie seinen geordneten Weg. So sind
am späten Abend in der Hauptstadt (20.539 Einwohner) die Wirtshäuser auf der
Place d’Armes prallgefüllt mit Luxemburgern, die eifrig das Tagesgeschehen
kommentieren. Plötzlich werden die Gespräche von Pferdegeheul übertönt.
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Denn genau vor den Gästen in den Wirtshäusern, also auf der „Place d’Armes“
(Paradeplatz), hat sich eine erste deutsche Artilleriekolonne eingenistet.

Die Deutschen Landser kommen im guten Glauben nach Luxemburg, das Land
von den französischen Soldaten zu befreien! Darum auch ihr Gebrüll in den
Gassen der Stadt Luxemburg „Wo sind die Franzosen?“

Das neutrale Luxemburg sind die Hände gebunden: Es darf sich nicht
wehren!
Die wenigen Luxemburger Soldaten dürfen bei dem Einmarsch der Deutschen
nicht eingreifen, da Luxemburg als neutrales Land nicht das Recht auf
Selbstverteidigung hat. Soll doch u.a. Deutschland nach Beschluss des Wiener
Kongresses für die Unabhängigkeit des Landes bürgen! Dagegen haben die
Soldaten Luxemburgs einzig und allein für Ruhe und Ordnung in Luxemburg zu
sorgen.

In der Nacht vom 2. auf den 3. August 1914 durchqueren 13.535 deutsche
Soldaten das Großherzogtum Luxemburg in Richtung Frankreich und Belgien.

Erst am Tag nach der Invasion Luxemburgs, nämlich am 3. August 1914, erklärt
das Deutsche Reich der Republik Frankreich den Krieg!

Großherzogin und Regierung protestieren

Am 3. August 1914 tritt das Luxemburger Abgeordnetenhaus zu einer


außerordentlichen Sitzung zusammen, im Laufe derer Staatsminister Paul
Eyschen (1841 – 1915) im Namen der Regierung gegen den deutschen
Einmarsch prostiert, sowie von Berlin eine Erklärung zur flagranten Verletzung
der Neutralität Luxemburgs einfordert. Großherzogin Marie-Adélaïde (1894 –
1924) protestiert ihrerseits beim Deutschen Kaiser Wilhelm II. (1859-1941).

Die Antwort aus Berlin lässt nicht auf sich waren. So erkennt Reichkanzler
Theobald von Bethmann Hollweg (1856 – 1921) das dem Lande angetane
Unrecht zur alleinigen Verteidigung des Deutschen Volkes. Bei der Besetzung
Luxemburgs handele es sich keineswegs um einen feindlichen Akt gegenüber
einem mit Deutschland befreundeten Land (!). Auch verspricht er
Reparationsgelder nach Kriegsende.

Schnell haben die deutschen Soldaten Quartier in Schulen und


Industriegebäuden Quartier bezogen. Während die Offiziere Unterkunft in
Privathäusern finden.
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Im Palais Festessen für den Kaiser und seine Suite


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Am 6. September 1914
macht Großherzogin Marie-Adélaïde
den riesengroßen Fehler,
den Deutschen Kaiser
in Audienz zu empfangen.
Beim anschließenden Essen
im großherzoglichen Palais
lässt sich der Kaiser
von Reichkanzler von Bethmann-Hollweg,
dem Staatsekretär im Auswärtigen Amt
Gottlieb von Jagow (1863 – 1935)
und von Großadmiral Alfred von Tirpitz (1849- 1930) assistieren.
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Von Jagow, von 1907 bis 1909 Gesandter Deutschlands in Luxemburg, war
gegen die Verletzung der Neutralität von Belgien und Luxemburg gewesen.

Ebenfalls am 6. September beschließt der Kaiser, sein Kriegshauptquartier von


Koblenz nach Luxemburg zu verlegen. Erst am 28. September verlässt der
deutsche Kriegsstab Luxemburg in Richtung Charleville-Mézières.

In Kohabitation mit den deutschen Okkupanten

Im besetzten Luxemburg sieht die Regierung keinen anderen Ausweg als mit
Deutschland eine Vereinbarung über die Führung des Landes zu finden. So
sollen sich die Interventionen des Okkupanten auf Militär und Polizei, der
Kontrolle der Brücken und der Eisenbahnen und der Aufrechterhaltung der
öffentlichen Ordnung und Ruhe, sowie der Verhaftungen von
Spionageverdächtigen beschränken. Die Regierung verpflichtet sich ihrerseits,
das Land nach streng neutralen Prinzipien zu führen, sowie die Beziehungen mit
Deutschland zu pflegen. Im Gegenzug gewährleistet der Okkupant Ruhe hinter
der Front durch den Einsatz von Landsturmbataillonen.

Am 2. Oktober 1915, in einer Zeit, wo die Kohabitation des kleinen Luxemburgs


mit Grossdeutschland immer verzwickter wird, stirbt Staatsminister Paul
Eyschen. An Herzversagen nach ärztlichem Befund. Den hartnäckigen
Gerüchten, nach denen es sich um einen Freitod gehandelt habe, geht weder
Jean-Pierre Flohr noch Laury Sarti nach.
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Das Ehrengeleit beim Staatsbegräbnis für Staatsminister Eyschen bilden 24


Deutsche Offiziere unter dem Kommando des Oberbefehlshabers der deutschen
Truppen in Luxemburg, Oberst von Tessmar.

Luxemburg: in vier Jahren acht Regierungen!

Mit einer in Staatsgeschäften leider unerfahrenen Großherzogin, die auf ihr


Vorrecht beharrt, den Staatsminister (Chef der Regierung) nach eigenem
Gutdünken auszuwählen, stürzt die Regierung von einer Krise in die andere. Auf
der Suche nach neuen Majoritätsverhältnissen, womöglich zu Ungunsten der
Linken, löst die Großherzogin kurzerhand das Abgeordnetenhaus auf. Das
mitten im Krieg. Erst nach Neuwahlen kann am 24. Februar 1916 ein
einigermaßen regierungsfähiges Kabinett gebildet werden. Anstatt dem Rufe des
Volkes nach einer Regierung der nationalen Einheit nachzukommen, bekämpfen
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sich die politischen Gruppierungen gegenseitig. Derweil die Mehrzahl des


Luxemburger bitteren Hunger leidet, folgt eine Regierungskrise der anderen.
Bei den Neuwahlen zum Abgeordnetenhaus von 1918 geht die Rechtspartei mit
23 von 50 Sitzen als bei weitem stärkste politische Kraft hervor. Nach wenigen
Wochen wirft die neugebildete Regierung das Handtuch. Die Großherzogin will
Demission zuerst nicht annehmen.

Am 28. September 1918 atmen die Luxemburger auf, als die 8.nach 1914
gebildete Regierung ihre Geschäfte aufnimmt. Dies zu einem Zeitpunkt, wo nur
noch Nahrungsmittel zu horrenden Preisen auf dem Schwarzmarkt erhältlich
sind, und das Land darüber hinaus vor seinem wirtschaftlichen Ruin steht .Vor
dem Abgeordnetenhaus legt die Regierung eine Prioritätsliste vor, mit
eigenartigerweise an erster Stelle die Revision der Verfassung, gefolgt erst an
zweiter Stelle von der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln.
Weiterhin will man sich der internationalen Beziehungen vorrangig annehmen.
Abgeordnetenhaus und Presse fordern die Freilassung der nach Deutschland
verschleppten Luxemburger. Auch prangern sie die sehr miesen Verhältnisse im
Eisenbahnwesen an!

Totales Versagen von Legislative und Exekutive

Fazit: Nach dem Tode von Staatsminister Paul Eyschen haben Legislative
(Großherzogin und Abgeordnetenhaus), sowie Exekutive (Großherzogin und
Regierung) total versagt. Die Großherzogin, da sie zu sehr auf ihre Vorrechte
pochte, während die politischen Gruppierungen sich rein bildlich bis aufs
Messer bekämpften. Anstatt eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden.
Wie soll unter solchen Voraussetzungen eine Regierung von Bestand sein?

Kein Wunder demnach, dass nach dem Krieg der Ruf nach der Bildung einer
Republik wach wurde!

Indessen hungert Luxemburg wie nie zuvor!

Obwohl Luxemburg bereits vor dem Kriege auf Importe an Lebensmitteln


angewiesen war, verfügt das Land dennoch zu Beginn der Okkupation durch
Deutschland an Lebensmittelreserven. Allein mit dem vorhandenen Mehl hätte
man 1.407 Eisenbahnwagons füllen können. Von der irrigen Auffassung aus, der
Krieg dauere nur wenige Wochen, lässt die Regierung regelrechte
Hamstereinkäufe zu. Angesichts der Hungersnot in der Region um Longwy und
in der belgischen Provinz Luxemburg kommt das Land seinen Nachbarn mit der
Lieferung von fast 100.000 Kg an Getreide, Gemüse, Kartoffeln und Butter zu
Hilfe.
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Anfänglich bleiben die Preise für Nahrungsmittel dank des Deutschen


Zollvereins einigermaßen stabil. Den Gerüchte zum Trotze, dass die Amerikaner
nicht mehr in der Lage sind, Getreide nach Luxemburg zu liefern, kommen in
der Schweiz jede zweite Woche mehrere für Luxemburg bestimmte
Wagenladungen mit Mehl an. Die mit Schweizer Pünktlichkeit, dank der
Absicherung durch eidgenössische Soldaten, wohl behalten Luxemburg
erreichen.

Im Jahr 1915 beginnt für die Luxemburger eine ihrer grausamsten


Hungerperiode in der fast tausendjährigen Geschichte des Landes. Das hält
jedoch die Regierung nicht davon ab, am 14. Juni 1915 in der Kathedrale zu
Luxemburg ein feierliches Tedeum anlässlich des 21. Geburtsjahres der
Großherzogin feiern zu lassen. Dies selbstverständlich in Anwesenheit des
Deutschen Offizierstabes unter dem Kommando von Oberst von Tessmar,
Oberbefehlshaber der deutschen Streitkräfte in Luxemburg.

Am 3. November 1916 unterschreibt die luxemburgische Regierung eine


Vereinbarung mit der Reichsregierung, nach der die Bevölkerung Luxemburgs
im gleichen Masse mit Lebensmitteln versorgt wird wie die Deutschen.

Dennoch mangelt es vielen Luxemburgern an den Grundnahrungsmitteln, wie


Mehl und Brot, Kartoffeln, Fleisch, Butter…

In zwei Luxemburger Tageszeitungen glaubt man die Hauptschuldigen für die


Hungersnot gefunden zu haben. Vor dem Kriege sind nämlich viele Polen,
vornehmlich jüdischen Glaubens, ins Land gekommen. Arm wie die
Kirchenmäuse. Diese werden nun beschimpft als lästige Ausländer, galizische
Insekten, Pollaken, Hyäne des wirtschaftlichen Schlachtfeldes.

In Wirklichkeit sind es die Luxemburger Bauern und Händler, welche die Waren
aufstocken, um sie darauf umso teurer verkaufen zu können. So ist in den
Jahren 1914-1916 der Brotpreis um 25%, der Kartoffeln um 33% und von Milch
auf 75% gestiegen. Reis und Gemüse kosten das Doppelte. Um diese
Teuerungen einigermaßen abzubremsen erhalten die Arbeitnehmer eine
Teuerungszulage. Die bedauerlicherweise dazu führt, dass die Preise für
Nahrungsmittel in Luxemburg noch teurer worden. So steigt allein im Jahr 1916
der Lebenskostenindex von 40 auf 50%.

Wozu dient eine Lebensmittelkarte, wenn die Metzgerladen wegen


Fleischmangel geschlossen bleiben? Und wer will noch Brot essen, das aus
90% aus Roggen besteht. Darüber hinaus wird den Bürgern abgeraten, selbst
Brot zu backen, da das Mehl mit Kohlrabis gestreckt ist. An den Kleidern, in
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denen die Bürger aller Bevölkerungsschichten regelrecht schwimmen, da zu


groß geworden, stellt Jean-Pierre Flohr in seinem Tagebuch sehr treffend fest,
dass das Volk grausam hungert“. Abmagerungen um die 30 Pfund sind keine
Seltenheit!

Obwohl ab April 1917 der Verkauf von Nahrungsmitteln in den Geschäften unter
Regierungskontrolle steht, ist der Preiszerfall nicht aufzuhalten. Insbesondere
auch in den Metzgerläden. Dagegen blüht der Schwarzhandel geradezu auf! Nur
muss man die erforderlichen Geldmittel oder wertvolle Gegenstände zum
Umtausch haben!

1917 werden die wenigen Kartoffellieferungen regelrecht gestürmt. Anstatt ihr


Vieh an die Händler zu verkaufen, schlachten die Bauern selbst Schweine und
Kühe, um sie nach Verarbeitung zu Schinken, Räucherfleisch und Wurst zu
überteuerten Preisen an Privatpersonen zu verkaufen. So ist es auch nicht
verwunderlich, dass die Preise für Nahrungsmittel in Luxemburg in der Regel
200% über denen in Deutschland liegen!

Immerhin ruft der Bischof Luxemburgs, Johannes Joseph Koppe s (1883 –


1918). die Bauern auf, ihre kriminellen Praktiken aufzugeben. Er hat mit
seinem Aufruf leider so wenig Erfolg, wie die Regierung in ihren Bemühungen,
die Preise für die Grundnahrungsmittel einzudämmen!

Obwohl im Januar 1918 die Deutschen nicht weniger als 172 Waggons mit
Getreide und 72 Waggons mit Mehl nach Luxemburg liefern, werden in den
Läden Luxemburgs im Frühjahr des gleichen Jahres nur Kartoffel angeboten.

Im September 1918 setzt die Regierung den Kartoffelpreis für 100 Kg auf 22
Franken fest .In Wirklichkeit müssen die Einwohner Luxemburgs aber 50 bis 60
Franken zahlen.

Der Umschwung kommt erst im Oktober 1918, als allgemein angenommen


wird, dass der Krieg für Deutschland verloren ist. Und am 11. November 1918,
dem Tag des Waffenstillstandes, sind, oh ein Wunder, die Regalen der Geschäfte
wieder prallgefüllt mit den Nahrungsmitteln. Unter diesen übrigens auch ganz
seltene wie Kaffee, Kakao und Schokolade. Leer sind für diesmal Keller,
Speichern und sonstige gute Verstecken!

Noch kann das Volk nicht aufatmen, wütet doch im ganzen Lande die sehr
gefürchtete, da äußerst gefährliche spanische Grippe!
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Unabhängigkeit Luxemburgs längere Zeit in Frage gestellt!

Darüber hinaus befürchten viele Luxemburger, dass das Land für die allzu
sympathische Haltung der Großherzogin und der Regierung gegenüber dem
deutschen Okkupanten teuer bezahlen müsse.

Die Deutschen, die zu Kriegsbeginn fest überzeugt waren, aus den Kämpfen
siegreich hervorzugehen, wollten nach Kriegsende ein etwas größeres
Luxemburg schaffen. So sollten die Region um Longwy und der
deutschsprachige Teil Belgiens zu Luxemburg kommen. Um dann als
Föderalstaat fest in deutsche Hand zu kommen!

Doch nach dem 11. November 1918 sind nicht mehr die Deutschen, sondern
vielmehr die Alliierten am Zuge. Diese werfen Luxemburg
Neutralitätsverletzung vor, da die Deutschen ungehemmt ihr Kriegsmaterial und
die für die Soldaten erforderliche Verpflegung durch Luxemburg transportieren
durften. Darüber hinaus sei die Luxemburger Stahlindustrie in hohem Masse in
die Deutsche Kriegsmaschinerie eingebunden gewesen.

Frankreich hätte am liebsten Luxemburg annektiert. Doch war es an ein


Geheimabkommen mit Belgien gebunden, nachdem Luxemburg in irgendeiner
Weise unter den Einflussbereich Belgiens kommen soll.

Nichts ändern an diesen Plänen können die Tausenden von Luxemburgern, die
im November 1918 vor dem großherzoglichen Palais die Ausrufung der
Republik Luxemburg durch linksgerichtete Politiker beklatschen.

Zur Entschärfung der Lage trägt Großherzogin Marie-Adélaïde einen


persönlichen geradezu ehrenhaften Beitrag bei, indem sie am 15.Januar 1919 zu
Gunsten ihrer jüngeren Schwester Charlotte abdankt. Unerfahren und dazu noch
sehr schlecht beraten, war sie den Anforderungen an ihre Person in so
schwierigen Zeiten, wie 1914 – 1918, nicht gewachsen. In ihr allein die
Schuldige zu sehen für die Schwierigkeiten am Fortbestand eines unabhängigen
Luxemburgs, ist rein historisch gesehen keineswegs gerechtfertigt!
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Es folgt das Referendum vom 28. September 1919, wo die Luxemburger sich
mit großer Mehrheit für die Beibehaltung einer konstitutionellen Monarchie
unter Großherzogin Charlotte aussprechen, sowie für eine Wirtschaftsunion mit
Frankreich.

Gebunden durch den vorgenannten Geheimvertrag mit Belgien, lehnt Frankreich


den von Luxemburg angestrebten Wirtschaftsvertrag ab.

Das kleinere Übel: Wirtschaftsunion mit Belgien, mit letztlich


positiven Ergebnissen für Luxemburg

So wird der Weg frei für die „Union Économique belgo-luxembourgeoise“, die
im Jahr 1922 ihre Arbeiten aufnimmt.
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Gerechtigkeitshalber müssen wir erwähnen, dass Chronist Jean-Pierre Flohr


weitere sehr interessante Aspekte in seinem Tagebuch festgehalten hat. So
schreibt er sehr ausführlich über die Verhaftungen und Verurteilungen von
Luxemburgern, den Arbeiterstreik von 1917, die auf Luxemburg gefallenen
Bomben, die beständige Angst der Bevölkerung vor den in Luxemburg nicht zu
überhörbarenden Kriegsgeräusche aus Verdun, die Rolle der Luxemburger
Eisenindustrie in der deutschen Kriegsmaschinerie … und über Festlichkeiten,
die nichtsdestotrotz in Luxemburg stattfanden!

Abschließend sei eine persönliche Bemerkung erlaubt: Auch wenn Luxemburg


in den Jahren 1940 – 1944 sehr schwer unter deutscher Okkupation gelitten hat,
so stellen wir mit großer Genugtuung fest, dass dank des klugen Vorgehens von
Großherzogin Charlotte und der damaligen Regierung, ohne den heldenhaften
Einsatz von so vielen Luxemburgern zu vergessen, die Alliierten die Existenz
Luxemburgs nach Kriegsende nie in Frage stellten. Im Gegenteil, das
Großherzogtum Luxemburg hatte sich im Widerstand gegen Nazideutschland
seinen festen Platz in den Reihen der freien unabhängigen Staaten gesichert!
Henri Schumacher

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