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› GESCHICHTE

Der Gral und das Abendmahl

Ein Da-Vinci-Gemälde prägt unser Bild vom letzten Mahl, das Jesus mit seinen Jüngern ass.
Malte das Universal-Genie die Szene authentisch?
Alexander Schick
Der Zionsberg liegt knapp 1,5 km
südwestlich des Tempelbergs. Nach

K aum ein Künstler hat unsere abend-


ländische Vorstellung vom letzten
Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern
Meinung etlicher Forscher hat sich
hier der Abendmahlssaal befunden.
Im Bild: die katholische Kirche Dormi-
so nachhaltig geprägt wie Leonardo da tio Sanctae Mariae. Der traditionelle
Vinci. Doch entspricht sein Gemälde Abendmahlssaal befindet sich in dem
vom letzten Abendmahl den dama- Gebäude ganz links.
ligen historischen Begebenheiten?
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Wie gut kannte der Künstler das an-
tike Judentum und die Bibel? Was wis-
sen wir mit Bestimmtheit über das be-
rühmteste aller Festmähler?

WO IST DER 12. JÜNGER?


Im Mittelpunkt des Da-Vinci-Werks
sitzt Jesus Christus – dargestellt und
bekleidet wie ein Mensch in der Re-
naissance und nicht wie ein Jude aus
dem 1. Jahrhundert. Sein Aussehen
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und seine Kleidung sind völlig unty-


pisch für das antike Judentum.
Bis heute stellt man sich in der Kunst
Jesus Christus oft als Europäer vor. Als
ein jüdischer Freund vor einiger Zeit
in einem evangelischen Gemeinde-
saal einen Vortrag hielt und hinter sich
ein Bildnis eines blondgelockten Jesus
sah, meinte er: «Schauen Sie, was Sie
aus dem Juden Jesus gemacht haben. Der Abendmahlssaal: Gotische Säulen tragen das Gewölbe des 10 mal 18 Meter
Einen blonden Germanen!» grossen Raumes, den die Franziskaner im 14. Jh. erneuerten. Niemand weiss,
Damit hatte er Recht: Mit dem Chris- wie der Raum zur Zeit Jesu ausgesehen hat. Das Gebäude ist zu oft zerstört und
tus der Bibel, mit dem Jesus des anti- wieder neu aufgebaut worden.

22 › factum 6 I 2006
GESCHICHTE ‹

Code» wird dem Zuschauer Browns


Gemäldeinterpretation trotzdem mit
modernster Technik auf einem High-
Tech-Videoschirm vor Augen geführt.
Die Person neben Jesus wird als Zeich-
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nung hervorgehoben und dazu wird er-


klärt: «Meine Liebe, das ist Maria Mag-
dalena.»
Viele sind jedoch von Dan Browns
Interpretation in «Sakrileg» so faszi-
niert, dass Bücher mit Abbildungen
des «Letzten Abendmahls» zur Zeit
reissenden Absatz finden.
Allerdings fragt sich kaum jemand,
Rekonstruktion des Tempels zur Zeit Jesu. Zu den grossen Festen strömte über eine wo denn der zwölfte Jünger ist, wenn
viertel Million Pilger nach Jerusalem. die Person neben Jesus tatsächlich Ma-
ria wäre ... das Abendmahl mit nur elf
Jüngern? Das wäre zur Zeit Leonardos
ein echtes Sakrileg – ein Religionsfrevel
– gewesen!
Nur wenige Dan Brown-Fans ma-
chen sich klar, dass ein am Ende des 15.
Jahrhunderts entstandenes Gemälde
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nichts Authentisches über das histo-


rische Abendmahl, das 1450 Jahre frü-
her stattfand, aussagen kann. Das be-
rühmte Bild zeigt lediglich, wie sich der
Maler das Abendmahl vorstellte.

SPURENSUCHE IM 1. JAHRHUNDERT
Um zu verstehen, was sich beim letz-
ten Abendmahl genau ereignet hat,
Schätzungsweise 30 000 Lämmer wurden zum Passafest geschlachtet. Ein Stück wie es gefeiert wurde, warum es das
von jedem Lamm wurde auf dem grossen Altar vor dem Tempel verbrannt und das bedeutendste Ritual in der Christen-
Blut am Fusse des Brandopferaltars vergossen. heit wurde und ob es einen Heiligen
Gral gab, bzw. was der Gral überhaupt
ist (ein Kelch?), müssen wir etwas tun,
Der neu was Leonardo da Vinci nicht machte.
entdeckte Wir müssen uns auf Spurensuche in
Siloahteich in das Jerusalem des 1. Jahrhunderts be-
Jerusalem. geben, in die Zeit, in der Jesus lebte
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und wirkte.
Die moderne Archäologie in Israel
hat aus der Zeit Jesu sensationelle
Funde ans Tageslicht gebracht, so dass
man heute sogar die Frage beantwor-
ten kann, wie das Trinkgefäss beim
Abendmahl aussah, das später als Gral
zu einer der grössten Reliquie im Mit-
telalter werden sollte.

ken Judentums, haben solche Darstel- Rechten von Jesus Christus Maria Mag- ERINNERUNG AN DEN AUSZUG
lungen nichts gemein; sie entsprangen dalena und nicht der Jünger Johannes Jesus war nach Jerusalem gekommen,
der Fantasie des jeweiligen Malers. dargestellt sei. Das Leonardo-Gemälde um mit seinen Jüngern das Passamahl
So auch der Christus beim «Letzten liefere den Beweis, dass Jesus mit Ma- zu halten. Das Passafest (oder Pessach)
Abendmahl» von Da Vinci. Eine histo- ria verheiratet gewesen sei. ist eines der grossen jüdischen Feste,
risch verlässliche Aussage über das, Was von Dan Browns Gemälde- das bis heute im Judentum auf der
was sich beim Abendmahl 33 n. Chr. er- interpretation zu halten ist, hat der ganzen Welt gefeiert wird. In Lukas 22,
eignete, kann das berühmte Gemälde Da-Vinci-Kenner Prof. Frank Zöllner 1 bis 2 und 8 bis 13 wird berichtet:
jedenfalls nicht geben. Ganz im Gegen- in einem Interview deutlich gemacht:
«Es war aber nahe das Fest der un-
teil! Das Bild ist voller historischer Feh- «Völliger Unsinn!» (FACTUM 4/2005). gesäuerten Brote, das Passa heisst.
ler. Die Identifikation der Person auf Leo- Und die Hohenpriester und Schriftge-
Nicht zuletzt durch den Roman «Sa- nardos Bild mit Maria ist unhaltbar. lehrten trachteten danach, wie sie ihn
krileg» kursiert das Gerücht, dass zur Im Film «Sakrileg – The Da Vinci töten könnten; denn sie fürchteten

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› GESCHICHTE

sich vor dem Volk (...) Und er sandte


Petrus und Johannes und sprach: Geht
hin und bereitet uns das Passamahl,
damit wirs essen. Sie aber fragten ihn:
Wo willst du, dass wirs bereiten? Er
sprach zu ihnen: Siehe, wenn ihr hi-
neinkommt in die Stadt, wird euch
ein Mensch begegnen, der trägt einen
Wasserkrug; folgt ihm in das Haus, in
das er hineingeht, und sagt zu dem
Hausherrn: Der Meister lässt dir sa-
gen: Wo ist der Raum, in dem ich das
Passamahl essen kann mit meinen

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Jüngern? Und er wird euch einen gros-
sen Saal zeigen, der mit Polstern ver-
sehen ist; dort bereitet es. Sie gingen
hin und fandens, wie er ihnen gesagt
hatte (...)»

Zur Zeit Jesu kamen bis zu einer viertel


Million Pilger nach Jerusalem, um das
Fest in der Stadt beim Tempel Gottes
zu feiern. Die Kreuzritter eroberten 1099 Jerusalem. In ihrer historischen Naivität haben
Die Wurzeln des Passafestes gehen sie viele Ort völlig falsch benannt. So bezeichneten sie den islamischen Felsendom
zurück auf den Auszug der Kinder Is- auf dem Tempelberg als «Templum Salomonis» (Tempel Salomos). Dabei war
raels aus Ägypten. Mose sollte Gottes dieser bereits im 6. Jh. vor Chr. zerstört worden. Auch der Tempel aus der Zeit Jesu
Volk aus der Sklaverei herausführen. war schon um 70 n. Chr. von den Römern zerstört worden. Der Felsendom steht
Da aber der Pharao sich weigerte, die zwar an der Stelle des einstigen zerstörten jüdischen Tempels, stammt aber erst
Israeliten ziehen zu lassen, schickte aus dem 7. Jh. n. Chr.
Gott die zehn bekannten «biblischen
Plagen» (2. Mose 7,14 ff.). Als zehnte
Plage hatte Gott die Tötung der Erstge-
burt unter den Ägyptern angekündigt
(2. Mose 11,1 bis 10). Den Kindern Is-
rael aber gebot er:

«Ihr sollt aber ein solches Lamm neh-


men, an dem kein Fehler ist, ein männ-
liches Tier, ein Jahr alt (...) Da soll es
die ganze Gemeinde Israel schlachten
gegen Abend. Und sie sollen von sei-
nem Blut nehmen und beide Pfosten
an der Tür und die obere Schwelle da-
mit bestreichen an den Häusern, in de-
nen sie’s essen, und sollen das Fleisch
essen in derselben Nacht, am Feuer
gebraten, und ungesäuertes Brot dazu
Rekonstrukion des Tempelberges zur Kreuzritterzeit. Das Hauptquartier war
und sollen es mit bitteren Kräutern
essen (...) So sollt ihrs aber essen: Um in der Al-Aksa-Moschee untergebracht. Die darunter befindlichen Gewölbehallen,
eure Lenden sollt ihr gegürtet sein und die auf Herodes den Grossen zurückgehen, hielten die Kreuzritter für Stallungen
eure Schuhe an euren Füssen haben des salomonischen Tempels, so entstand die irreführende Bezeichnung der
und den Stab in der Hand und sollt es «salomonischen Ställe».
essen als die, die hinwegeilen; es ist des
HERRN Passa. Denn ich will in dersel- Israeliten, die vor der zehnten Plage «Und wenn eure Kinder zu euch sa-
ben Nacht durch Ägyptenland gehen gen werden: Was habt ihr da für einen
verschont blieben (2. Mose 12,27).
und alle Erstgeburt schlagen in Ägyp- Brauch?, sollt ihr sagen: Es ist das Pas-
tenland unter Mensch und Vieh und Seit Jahrhunderten wurde das Passa-
saopfer des HERRN, der an den Israe-
will Strafgericht halten über alle Göt- fest als Erinnerung an den Auszug ge-
liten vorüberging in Ägypten, als er die
ter der Ägypter, ich, der HERR. Dann feiert, denn Gott hatte geboten: Ägypter schlug und unsere Häuser er-
aber soll das Blut euer Zeichen sein an rettete» (2. Mose 12,26 bis 27).
den Häusern, in denen ihr seid: Wo ich «Ihr sollt diesen Tag als Gedenktag ha-
das Blut sehe, will ich an euch vor- ben und sollt ihn feiern als ein Fest für
DAS PASSAFEST ZUR ZEIT JESU
übergehen und die Plage soll euch den HERRN, ihr und alle eure Nach-
nicht widerfahren, die das Verderben kommen, als ewige Ordnung» (2. Mose Zur Zeit Jesu liessen die Juden zum
bringt, wenn ich Ägyptenland schlage» 12,14). Passafest einjährige Lämmer am Tem-
(2. Mose 12,5–13). pel schlachten. Man schätzt, dass ca.
Während des Essens erzählt der jü- 30 000 Lämmer zu diesem Fest geop-
Der Name Passa bedeutet «vorbeige- dische Hausvater seinen Kindern die fert wurden. Es erinnerte jeden Ju-
hen» und erinnert an das Vorbeigehen Geschichte des Exodus, gemäss dem den an die Rettung seiner Vorfahren
des Würgeengels an den Häusern der Auftrag Gottes: aus der Sklaverei und vor der zehn-

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GESCHICHTE ‹

ten Plage, aber auch an die Sündhaf- Beim Siloah-Teich bemerkten die Die meisten Abendmahlsgemälde,
tigkeit des Menschen, der sich nicht Jünger einen Mann mit einem Wasser- so auch das von Leonardo da Vinci,
ohne weiteres in die Nähe Gottes be- krug. Nur – eigentlich war das Wasser- stellen Jesus und seine Jünger hinter
geben kann. holen in der Antike Arbeit der Frauen. einem grossen länglichen Tisch sit-
Das Blut der Passalämmer wurde Nur eine Gruppe lebte damals z. T. zend dar. Damit der Betrachter alle
aber nicht mehr an die Türpfosten ge- ohne Frauen – die Essener. So vermu- Gesichter gut sehen kann, sind diese
strichen, sondern am Fusse des Brand- ten etliche Forscher, dass es sich bei Tische wie bei einer öffentlichen Ver-
opferaltars im Tempel vergossen, wie dem Mann um einen Essener gehan- sammlung gehalten, wo der Vorstand
es in 3. Mose 1,5 vorgeschrieben ist. delt hat, die in Jerusalem ein eigenes den Besuchern gegenübersitzt. Dies
Ein Stück von jedem Lamm wurde auf Stadtviertel hatten. Sie galten als gast- hat zwar den Vorteil, dass der Betrach-
dem Brandopferalter verbrannt und frei und könnten Jesus und seinen Jün- ter des Gemäldes alle Personen sehr
ging in Rauch auf (3. Mose 1,13). Der gern einen ihrer Gästeräume zur Verfü- gut sehen kann, nur historisch korrekt
Rest wurde feierlich beim Passafest im gung gestellt haben. ist es keineswegs für eine Mahlfeier im
Kreise der Familie verzehrt. Ebenso wie Jesus kritisierten die Es- 1. Jahrhundert.
Ein Passalamm konnte man nur am sener die Tempelpriesterschaft von Je- Nicht zuletzt aufgrund von Ausgra-
Tempel für die Feier kaufen, es musste rusalem auf das heftigste, ein möglicher bungen weiss man, dass man damals
ja kultisch rein sein. Dies aber war Grund, dass man ihm den Gastraum in einer hufeisenförmigen Art um ei-
weder Jesus noch einem seiner Jün- ohne weitere Fragen überliess. Dies nen Tisch herum auf Bänken gelegen
ger möglich, denn Jesus wurde von war nicht ganz ungefährlich, denn Je- hat. So berichtet dies auch das Johan-
der Tempelpolizei «steckbrieflich» ge- sus wurde ja bereits von der Tempelbe- nesevangelium:
sucht. hörde verfolgt.
«Es war aber einer unter seinen Jün-
In Lukas 22,2 steht: Das Essenerviertel wird auf dem
gern, den Jesus lieb hatte, der lag bei
«Und die Hohenpriester und Schriftge- sog. Zionsberg in Jerusalem lokalisiert Tisch an der Brust Jesu» (Johannes
lehrten trachteten danach, wie sie ihn (vgl. Rainer Riesner, Essener und Ur- 13,23).
[Jesus] töten könnten.» gemeinde in Jerusalem, S. 78 ff.). Hier
Jesus konnte mit seinen Jüngern also wird auch seit Jahrhunderten das sog. In Leonardos Abendmahlsbild fehlt
nur ein Passamahl ohne Passalamm «Coenaculum» – das Obergemach – dieses Detail, denn er hat die Jünger
feiern. Nirgendwo wird in den Evange- als Ort des letzten Abendmahls und fälschlicherweise als am Tisch aufrecht
lien erwähnt, dass Jesus und die Jünger auch als Versammlungsort der ersten sitzend dargestellt.
ein Passalamm verzehrten. Christen verehrt. Auch die Darstellung des Festmahls
Die Lutherbibel übersetzt das grie- Es ist übrigens genau dieser Ort, den ist bei Leonardo unhistorisch. Es gab
chische Wort «Passa» interpretie- Dan Brown als Sitz der «Bruderschaft weder dicke Brotlaibe noch Fisch, wie
rend als Passalamm. Es bedeutet aber von Zion» ausgibt. Diese hat es aber man dies aufgrund seines Bildes mei-
Passa[mahl]. nachweislich nie gegeben. nen könnte.
Da weder Jesus noch seine Jünger 70 n. Chr. ist das Gebäude im 1. jü-
A. SCHICK, MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG
aus Jerusalem stammten, mussten sie dischen Krieg von den Römern zerstört DER ISRAELISCHEN ANTIKENVERWALTUNG
einen Raum für das Fest finden. Jesus worden. Später wurde das Haus wie-
sagte: der aufgebaut und war auch als ers-
«Siehe, wenn ihr hineinkommt in
te Kirche genutzt worden. Als 1099 die
die Stadt [Jerusalem], wird euch ein Kreuzfahrer kamen, war der Ort wieder
Mensch begegnen, der trägt einen Was- verfallen. Sie bauten ihn neu auf.
serkrug; folgt ihm in das Haus, in das 1219 wurde die Kirche und der
er hineingeht, und sagt zu dem Haus- Abendmahlssaal von den Ägyptern
herrn: Der Meister lässt dir sagen: Wo zerstört. Im 14. Jh. übertrug der Papst
ist der Raum, in dem ich das Passa-
den Franziskanern diese Stätte, die sie
lamm essen kann mit meinen Jün-
gern?» (Lukas 22,10–11). in der heutigen gotischen Gestalt wie-
der aufbauten. Im 16. Jh. wurde die
Das Wasser konnte man damals nur christliche Stätte von den Moslems in
am Siloahteich schöpfen, der sich un- eine Moschee umgewandelt. Heute
terhalb des Tempelberges zwischen darf der Besuch des Abendmahlssaales
dem Käsemacher- und dem Kidrontal bei keiner Israelreise fehlen, doch jeder Dieses Keramikgeschirr wurde in Qum-
befand (heute: Stadt Davids). Dieser Tourist ist enttäuscht, denn von dem ran ausgegraben. Das Tongeschirr durfte
Teich ist erst im Sommer 2004 von isra- ursprünglichen Saal ist nichts erhal- nach einer rituellen Verunreinigung nicht
elischen Archäologen wieder entdeckt ten. mehr benutzt werden.
worden (siehe FACTUM 1/2006).
Das Becken mit grossen steinernen SITZEN ODER LIEGEN? Zu einer Passafeier gehören neben
Stufenreihen wurde als jüdisches Ritu- «Und am Abend kam Jesus mit den dem Lamm noch weitere Gerichte: bit-
albad genutzt und hat immense Aus- Zwölfen», berichten uns die Evangelien tere Kräuter, als Erinnerung an den bit-
masse. Bisher ist nur ein Teil ausgegra- weiter (Markus 14,17). Auch hier lässt teren Geschmack der ägyptischen Skla-
ben, aber man schätzt die Grösse auf sich erkennen, wie ungenau Leonardo verei, und ungesäuertes Brot, das ohne
rund 500 m2. Dies war nach dem neu- das Abendmahl wiedergegeben hat. Hefe gebacken wird, als Erinnerung an
testamentlichen Bericht auch der Ort In seinem Gemälde fällt Licht durch das Brot, das beim hastigen Aufbruch
der Heilung des Blindgeborenen (Jo- die Fenster. Doch es war ein Mahl am aus Ägypten keine Zeit zum Aufgehen
hannes 9,1 bis 7). Abend. hatte. Das Matzebrot ist sehr dünn und

factum 6 I 2006 ‹ 25
› GESCHICHTE

knackig. Es hat nichts mit den dicken Kalksteinge-


Brotlaiben zu tun, die Leonardo da fässe aus den
Vinci malte. Ausgrabungen
im jüdischen
REINHEITSVORSCHRIFTEN Viertel von
Aufgrund von Ausgrabungen in Israel Jerusalem. Sol-
wissen wir heute genau, welches Ge- che Steintas-
schirr man zur Zeit Jesu benutzte. sen erfüllten
Das Essgeschirr musste kultisch rein die stren-
sein. Am weitesten verbreitet zur Zeit gen jüdischen
Jesu war Tongeschirr, doch hier gab Reinheits-
es grosse Probleme mit der kultischen vorschriften.
SCHICK©WWW.BIBELAUSSTELLUNG.DE (MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG
Reinheit. Prof. Allan Millard: DES ARCHAEOLOGICAL MUSEUMS, JERUSALEM)

«In alter Zeit waren Töpferwaren zum


überwiegenden Teil unglasierte Ton- Im jüdischen Viertel von
waren, die von einer eingefüllten Flüs- Jerusalem ausgegrabene
sigkeit etwas aufsaugten. Aus diesem Wasserkrüge, wie sie wohl
Grund war es nicht möglich, sie voll- auch auf der Hochzeit zu

A. SCHICK, MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG


ständig zu reinigen. War also der In- Kana verwendet wurden.
halt eines solchen Gefässes unrein ge- Sie dienten «für die Reini-
wesen, musste es zerbrochen werden.»
gung nach jüdischer Sitte»
(Millard, Zeit der ersten Christen, S.
22 ff.) (Johannes 2,6). Sie sind
jeweils 65 bis 80 cm hoch

DES ISRAELMUSEUMS
Bei den Ausgrabungen in Qumran hat und aus einem Steinblock
man die Küche der Gemeinschaft ent- geschlagen. Diese Stein-
deckt. Fein säuberlich aufgestapelt, krüge können bis zu 80
lagen hier über 1000 Becher und Tel- Liter Wasser aufnehmen.
ler. Das war viel mehr Geschirr, als
eine Gemeinschaft von max. 150 Per-
sonen benötigte. Doch weil das Ge-
schirr schnell unrein werden konnte – aufzubewahren und als Reliquie zu Eschenbachs «Parzival». Im 13. und 14.
und damit nicht mehr brauchbar war verehren. Jh. verschmelzen die mittelalterlichen
– hatte man das Geschirr offensichtlich Romane die bekannten Artussagen mit
gleich in grösserer Menge vorrätig. RELIQUIENKULT IM MITTELALTER der Gralslegende und anderen Mythen.
Da man nicht jedes Mal sein Geschirr Der Mythos um den Heiligen Gral ist Als Gralshelden sind Lancelot und Ga-
zerschlagen konnte, löste man das Pro- auf einen unbiblischen Reliquienkult lahad bis in die Gegenwart bekannt.
blem der kultischen Reinheit durch zurückzuführen. Erste Reliquienkulte Auch heute noch lebt der – nebenbei
Gefässe aus Kalkstein, die man rituell finden sich in der Zeit der Byzantiner bemerkt völlig unbiblische – Gralsmy-
reinigen und dann wieder verwenden im 4. Jh. Sie wurden massiv verstärkt thos weiter.
konnte. In Jerusalem wurde eine ganze durch die Kreuzzüge. Jeder Fürst oder Richard Wagners «Parzifal» gehört
Industrie zur Herstellung solcher Kalk- Bischof wollte für seine Kirche Gegen- zu den Höhepunkten der Bayreuther
steingefässe entdeckt. Sie wurden auf stände besitzen, die mit Jesu Wirken in Festspiele und auch Hollywood hat
einer Drehbank hergestellt, mit einem Zusammenhang standen. die Gralssuche mehrmals verfilmt. Am
Meissel bearbeitet und schliesslich po- Spötter sagen, dass es alleine vom bekanntesten wurde «Indiana Jones
liert. Kreuz Jesu so viele Partikel gäbe, dass und der letzte Kreuzzug» mit Harrison
In den letzten Jahrzehnten sind bei diese mehr als einen Baum ausmach- Ford.
Ausgrabungen in Israel eine Vielzahl ten.
solcher Steingefässe entdeckt worden. Reliquien wurde eine magische Kraft EVANGELIUM = EVANGELIUM?
Die enorme Bedeutung dieser Funde zugeschrieben, so auch dem Abend- Im Mittelalter blühte der Aberglaube
hat Roland Deines in seiner Studie «Jü- mahlsbecher, der als Heiliger Gral be- und man dichtete dem Abendmahls-
dische Steingefässe und pharisäische kannt wurde. Es verwundert nicht, gefäss magische Kräfte an. Wer ihn be-
Frömmigkeit» aufgezeigt. dass es nicht nur einen Heiligen Gral sass, der konnte sogar auf ewiges Le-
Wie sah also der Abendmahlsbe- gab, sondern gleich mehrere Becher ben hoffen. Dabei galt das Gefäss nicht
cher aus, der im Mittelalter zum Heili- als der echte Kelch vom letzten Abend- nur als der Kelch des letzten Abend-
gen Gral stilisiert wurde? Es muss aller mahl ausgegeben wurden. Sowohl die mahls, sondern auch als das Gefäss,
Wahrscheinlichkeit nach so ein Kalk- Kathedrale zu Genua als auch die Ka- mit dem das Blut Jesu bei der Kreuzi-
steinbecher gewesen sein, niemals thedrale zu Valencia eifern darum, den gung aufgefangen wurde. Die Wurzeln
aber ein edelsteinverzierter Metallbe- «echten» Gral zu besitzen. Der Santo dieser Vorstellung reichen bis in das
cher, wie ihn mittelalterliche Darstel- caliz in Valencia ist eine kunstvoll ver- 4./5. Jh. zurück.
lungen völlig inkorrekt darstellen. zierte Achatschale. Eine solche ist aber In dieser Zeit entstanden etliche
Auch die Vorstellung, dass sich das unmöglich beim Abendmahl benutzt Schriften, die den Anspruch erhoben,
Abendmahlsgeschirr von 33 n. Chr. worden. «Evangelien» zu sein und als deren Ver-
erhalten habe, ist absurd. Die Jünger Die ersten Gralslegenden tauchen im fasser Personen des Neuen Testaments
hatten kein Interesse, den Steinbecher 12. Jh. auf. Berühmt ist Wolfram von ausgegeben wurden.

26 › factum 6 I 2006
A. SCHICK, MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG DER ISRAELISCHEN
ANTIKENVERWALTUNG UND DES ROCKEFELLER MUSEUMS JERUSALEM

Kalksteingefäss, ausgegraben am
Tempelberg. Aus solchen Gefässen
wurde zur Zeit Jesu getrunken.

Der Gral in der


Mitte von Ar-
tus’ Tafelrunde;
französische
Handschrift
des 14. Jh.

Mystische Darstel- Typische Darstellung des «Heiligen Gral»: Wunschdenken


lung des Grals. des Mittelalters.

Viele sind heute verwirrt, wenn sie nam Jesu von Pilatus zur Bestattung Das Nikodemus-Evangelium war «ein
hören, dass es mehr «Evangelien» überlassen wurde (Johannes 19,38), immens populäres Buch und wurde
gab, als die bekannten vier aus dem mehr aber nicht. An keiner Stelle wird von einer lateinischen Übersetzung im
Neuen Testament. Aber die Bezeich- berichtet, dass das Blut Christi bei der 5. Jahrhundert ausgehend in jede eu-
nung «Evangelium» (gute Nachricht) Kreuzigung in einem Gefäss aufgefan- ropäische Sprache übersetzt. Eine die-
war nicht nur eine christliche Formu- gen worden sei. ser Übersetzungen wurde vollständig
lierung, sondern wurde in der grie- Die Christen späterer Jahrhunderte in einem späteren Artusroman (...) in-
chisch-römischen Welt auch vorher begnügten sich aber nicht mit die- tegriert». (Barber, Der Heilige Gral, S.
schon benutzt, wenn z. B. ein Herr- sen biblischen Berichten, sondern er- 152).
scher ein grosse Schenkung machte fanden Legenden, welche die Ge- Im Nikodemus-Evangelium 16,7
oder einen Triumph im Krieg erzielte, schehnisse bei der Kreuzigung stark wird auch zum ersten Mal der Name
so war dies eine «gute Nachricht», ein ausschmückten. Dabei wurden Bege- des römischen Soldaten – Longinus –
Evangelium. benheiten erfunden, die sogar heute überliefert, der mit seiner Lanze in die
Als die frühen Christen den Begriff noch die katholische und auch die or- Seite Jesu gestochen hat. In einer spä-
«Evangelium» aufgriffen, meinten sie thodoxe Frömmigkeit prägen, wie z. B. teren Legende ist Longinus ein blinder
damit die Berichte von dem Wirken die Geschichte von dem Schweisstuch römischer Soldat.
und Leben Jesu. Später wurde dieser der Veronika. In der Bibel findet sich
Begriff aber auch für erfundene Be- nichts davon. «Als das Blut Jesu den Lanzenschaft
richte oder Spruchsammlungen über Dennoch prägten diese und andere hinunter auf seine Hand läuft, führt
er die blutige Hand zu seinen Augen
Jesus benutzt, so beim Thomas- oder apokryphe (= verborgene, von der Kir-
und wird auf der Stelle von seiner
dem Philippus-Evangelium. Auch das che nicht anerkannte ausserbiblische) Blindheit geheilt.» (Barber, Der Hei-
Judas-Evangelium, das zu Ostern 2006 Schriften ganz massiv über Jahrhun- lige Gral, S. 153)
für weltweite Schlagzeilen und Irritati- derte die christliche Kunst und die
onen gesorgt hat, ist historisch wertlos. Glaubensvorstellungen. (Dazu gehört Neben dem angeblichen Abendmahls-
Es stammt auch nicht von dem Verräter auch der Ochs und Esel in unseren kelch, dem Heiligen Gral, wurde des-
Judas (vgl. FACTUM 4/2006). Krippenspielen – nur die apokryphen halb auch die Heilige Lanze verehrt.
Aus dem 4. Jh. ist uns das sog. Niko- Schriften berichten von Ochs und Esel Wer sie in der Schlacht mit sich führte,
demus-Evangelium überliefert, das die bei der Geburt Jesu im Stall [Pseudo- der meinte auf Gottes Beistand im
Legende kolportiert, Joseph von Arima- Matthäusevangelium, Kapitel 14], Krieg rechnen zu können. Der Grals-
thia habe bei der Kreuzigung das Blut nicht die biblischen Evangelien! Eben- historiker Barber urteilt:
Jesu im Abendmahlsgefäss aufgefan- sowenig werden im Neuen Testament «Heute sind die Reliquien, mit weni-
gen. die Namen der Heiligen Drei Könige gen Ausnahmen, Teil einer fernen Ver-
Die Evangelien berichten zwar, wie verraten. Aber im Volksglauben sind gangenheit (...) Im Mittelalter dagegen
dem jüdischen Ratsherrn der Leich- diese Dinge fest verankert.) waren Reliquien immens machtvolle

factum 6 I 2006 ‹ 27
› GESCHICHTE

Objekte, für die im wahrsten Sinne


des Wortes das Lösegeld für einen Kö-
nig bezahlt wurde.» (Barber, Der Hei-
lige Gral, S. 157)

Ganze Kriege wurden um den Besitz


solcher Reliquien geführt und beson-
ders durch die Kreuzzüge gab es eine

ULRIKE PFLANZ©A. SCHICK/WWW.BIBELAUSSTELLUNG.DE


wahre Reliquienschwemme in Euro-
pa. Man brachte alle möglichen Ge-
genstände aus dem Heiligen Land mit
und dichtete ihnen magische Eigen-
schaften an. Das Ganze gehört in den
Bereich des Aberglaubens und hat
nichts mit der befreienden Botschaft
der Bibel zu tun.
Nach dem Zeugnis des Neuen Testa-
ments ist Jesus Christus der Erlöser, er
schenkt das ewige Leben und kein kul-
tischer Gegenstand.

DER GRAL IN BROWNS «SAKRILEG» Durch die Kreuzritter und die Tempelritter wurde Europa mit Reliquien geradezu
Ebenso abwegig wie die mittelalter- überschwemmt. Die Temple Church in London (im Bild) war im 12. Jahrhundert
lichen Gralslegenden ist die Gralsthe- als Hauptquartier der Tempelritter in England erbaut worden. In diese Zeit fallen
orie von Dan Brown. Er behauptet, auch die Gralslegenden.
dass der Gral das «königliche Blut» der
Maria Magdalena aus der angeblichen riographie schilt die Gattung der Bai- «Vater, wenn es nach deinem Wil-
Verbindung mit Jesus wäre («Sakrileg», gent-Monografien Pseudogeschichte, len ist, lass doch diesen Kelch an mir
vorübergehen; aber nicht mein, son-
S. 342). konservative Akademiker fügen noch
dern dein Wille geschehe» (Lukas
Es gibt aber keinen einzigen histo- das Adjektiv ‹paranoid› hinzu.» (S. 22,42).
rischen Beleg für eine Ehe zwischen 117)
Jesus und Maria, ganz im Gegenteil. Dan Brown hat die Thesen von Lin- Der Kelch ist hier eine Metapher für
Brown übernimmt auch diese These coln/Baigent/Leigh völlig unkritisch den Zorn Gottes (Jesaja 51,17) und
aus dem wissenschaftlich unhaltbaren aufgegriffen und in «Sakrileg» verar- für den bevorstehenden Kreuzestod
Buch «Der Heilige Gral und seine Er- beitet. «Es gibt absolut keine Basis für Jesu. Durch seinen Tod wird Jesus ei-
ben» von Lincoln/Baigent/Leigh, wo- irgendwelche Spekulationen über ei- nen neuen Bund (wörtlich: neues Tes-
rin die mittelalterlichen Gralslegenden nen Heiligen Gral, der eigentlich Ma- tament) mit Gott schliessen. Der alte
neu gedeutet werden. ria Magdalena ist», schreibt Prof. Darell Bund war von Gott mit Mose am Berg
Der britische Gralsforscher Richard Bock im Buch «Sakrileg-Verschwörung» Sinai bei der Gesetzesgebung geschlos-
Barber urteilt in seinem Standardwerk (Brunnen Verlag) mit Recht. sen worden. Nun kommt in Jesus Chris-
«Der Heilige Gral – Geschichte und My- tus ein neuer Bundesschluss zur Erret-
thos»: Das Buch von Lincoln/Baigent/ DAS LETZTE ABENDMAHL tung der Menschen, so die Botschaft
Leigh sei «das klassische Beispiel der Einen der ältesten Berichte über das des Neuen Testaments.
geschichtlichen Verschwörungstheo- letzte Abendmahl finden wir im 1. Ko- Die besondere Bedeutung des
rie (...) Es würde ein ebenso umfäng- rintherbrief (11,23 bis 25) von Pau- Abendmahls fasst der Neutestament-
liches Buch wie das Original beanspru- lus, der um ca. 50 n. Chr. geschrieben ler Prof. Ben Witherington III. so zu-
chen, wenn man die Aussagen in ‹The wurde: sammen:
Blood and the Holy Grail› [Der Heilige
«Der Herr Jesus, in der Nacht, da er ver-
Gral und seine Erben] Punkt für Punkt «Jesus deutet das Passamahl auf sei-
raten ward, nahm er das Brot, dankte
auseinander nehmen und widerlegen nen eigenen bevorstehenden Tod und
und brachs und sprach: Das ist mein die Befreiung, die dadurch gebracht
wollte (...) Die gesamte Argumentation Leib, der für euch gegeben wird; das wird. Wenn er im Zusammenhang mit
ist im Grunde eine eher durchsichtig tut zu meinem Gedächtnis. Desglei- dem Passamahl sagt: ‹Dies ist mein
konstruierte Kette von Vermutungen chen nahm er auch den Kelch nach Leib (...) dies ist mein Blut›, wenn er
(...) Dieses Genre lässt sich am besten dem Mahl und sprach: Dieser Kelch von einem neuen Bund spricht, dann
ist der neue Bund in meinem Blut; das
mit ‹selektiver Historie› umschreiben; meint Jesus genau das damit, was das
tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem
einzelne, die Argumentation stützende Johannesevangelium (...) deutlich
Gedächtnis.» ausspricht: dass Jesus das neue Passa-
historische Fakten werden herangezo-
lamm ist, dessen Tod die Sünden der
gen, um zu beweisen, dass das Ganze Bis heute wird in den christlichen Welt hinwegnimmt, weil er Gottes Ge-
wahr ist, ohne den Kontext oder wider- Kirchen bei der Feier des Abendmahls richt über die Sünde auf sich genom-
streitende Belege zu berücksichtigen.» dieser Bericht vorgelesen. men hat.» (Witherington, «The Search
(Barber, Der Heilige Gral – Geschichte Vom Kelch wird im Neuen Testament for the Holy Grail», S. 168 ff.)
und Mythos, S. 349) noch an anderen Stellen gesprochen.
Dem Beitrag «Der Heilige Gral» im Als Jesus nach dem Abendmahl in den In Johannes 1,29 steht: «Siehe, das
«Focus» (15. April 2006) ist zuzustim- Garten Gethsemane geht und dort be- ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde
men, wenn er urteilt: «Seriöse Histo- tet, bittet er: trägt!» So bekommt das Passafest, das

28 › factum 6 I 2006
GESCHICHTE ‹

Jesus mit seinen Jüngern gefeiert hat, Man kann nicht erwarten, dass in lerdings der biblischen Bedeutung des
eine ganz neue Bedeutung. Browns Büchern oder anderen dieses letzten Abendmahls und des Messias-
Der Professor für Neues Testament, Genres die wahre Bedeutung des anspruchs Jesu in keinster Weise ge-
Rainer Riesner, erklärt dazu: «Mit dem Kreuzes oder der Auferstehung im bib- recht.
Opfer Jesu sind die alttestamentlichen lischen Sinne beschrieben sind. Christen werden bei jedem Abend-
Opfer hinfällig geworden. Vergebung «Wo Jesus nicht mehr der Gottessohn mahl daran erinnert, dass in Jesus
hängt nun nicht mehr vom Vollzug und Erlöser sein darf, da möchte man Christus Friede mit Gott geschlossen
bestimmter Riten ab, sondern allein wenigstens noch einen sympathischen wurde. Die alten Meister haben diese
vom Glauben an den Sohn Gottes» (in: Menschen als Vorbild behalten.» (Ries- Botschaft verstanden. Deshalb konnte
Dave/Riesner, Jesus und Jerusalem). ner/Betz, Jesus, Qumran und der Vati- Leonardo da Vinci ein so eindrück-
Deshalb feiern bis heute alle christ- kan, S. 198) liches Werk wie das «Letzte Abend-
lichen Kirchen das Abendmahl. So kann Brown lediglich eine Neu- mahl» erschaffen, das die Betrachter
Diese biblische Bedeutung vom letz- auflage von spekulativen Thesen über bis heute begeistert – trotz der vielen
ten Abendmahl fehlt in Dan Browns den «Heiligen Gral» bringen. Kein historischen Fehler.
Bestseller. Für Brown ist Jesus zwar ein Wunder, dass er in der Folge auch Le- In seinem aufklärenden Buch «Die
besonderer Mann, aber eben nur ein onardos «Letztes Abendmahl» abwegig Sakrileg-Verschwörung» schreibt Dar-
normal sterblicher Familien-Mensch. interpretiert. Seine Thesen werden al- rell L. Bock: «In der berühmten Abend-
mahlsszene, die Leonardo da Vinci in
Leonardos Wiedergabe des letzen Abendmahls ist historisch gesehen voller Fehler seinem Gemälde festgehalten hat, er-
und hat keinerlei Aussagekraft über das wirkliche letzte Abendmahl von Jesus und klärt Jesus, wozu er in die Welt gekom-
seinen Jüngern. Im antiken Judentum hat man nicht am Tisch sitzend gegessen, men war: Das ist mein Leib, der für
sondern halb im Liegen, so wie es die Rekonstruktion (Foto) zeigt. Deshalb heisst euch gegeben wird (...) Dieser Kelch
es auch von dem Jünger Johannes, «der auch an seiner Brust beim Abendessen ist der neue Bund in meinem Blut, das
gelegen war» (nicht gesessen, wie es in manchen Übersetzungen steht, vgl. u. a. für euch vergossen wird» (Lukas 22,19–
Johannes 21,20). Leonardos Gemälde stellt nur dar, wie man sich viele Jahrhunderte 20).
später das Abendmahl vorgestellt hat. «Jesus starb, damit wir das Geheim-
nis des Lebens verstehen und das Le-
ben vor Gott führen können, zu dem
uns Gott erschaffen hat», so Bock.
Der Theologe fügt hinzu: «Jesus kam,
um zu zeigen, wie ernst Gott die Sünde
und die Wiederherstellung des Lebens
nimmt. Er kam, um zu zeigen, dass
Gott uns so sehr liebte, dass er das Le-
ben seines kostbaren Sohnes in den
Tod gab, damit wir das Leben haben.
Und dann verwandelte Gott dieses Le-
ben in ein neues Leben, um uns zu zei-
gen, dass das Leben mehr ist als Essen,
Schlafen und Arbeiten. Dadurch, dass
er seinen einzigen und geliebten Sohn
zu uns schickte, öffnete Gott uns die
A. SCHICK

Tür zu ungebrochener Gemeinschaft


mit ihm. Das ist die Botschaft des apos-
A.SCHICK©WWW.BIBELAUSSTELLUNG.DE tolischen Zeugnisses im Neuen Testa-
ment.» (Bock, Die Sakrileg-Verschwö-
rung, S. 144)
Diese Botschaft wird weder vom Ro-
man «Sakrileg» noch den verschie-
denen Gralslegenden zugeschüttet. ■

Alexander Schick ist


Fachpublizist für Ar-
chäologie und Bibel-
forschung und leitet die
Bibelausstellung Sylt.
Zusammen mit Michael
Welte schrieb er das
Buch «Das wahre Sakri-
leg», indem die schwer-
wiegendsten Falschaus-
sagen in Dan Browns
Das letzte Abendmahl als Olivenholzschnitzerei aus Bethlehem. Die Darstellung Bestseller «Sakrileg»
ist wesentlich authentischer als Leonardos «Letztes Abendmahl», auch wenn einige erklärt und richtigge-
historische Details in dieser Schnitzerei ebenfalls nicht ganz korrekt sind. stellt werden.

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