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Pop-Art und Lebenswelt

von Walter Biemel

Aron Gurwitsch %um 70. Geburtstag

»Wir ivollen etwas verstehen, ivas schon ojfen vor unsern


Augen liegt. Denn das scheinen wir, in irgend einem Sinne,
nicht gu verstehen.«
Wittgenstein:
Philosophische Untersuchungen.

In der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts hat Erfreuliche in der Vielfalt der künstlerischen
plötzlich ein Umschlag in der Kunst stattgefunden, Äußerungen) doch andere Ausdrucksmöglich-
der so überraschend kam, daß er nicht nur ver- keiten unmöglich zu machen. Matisse, Braque,
blüffte, sondern weite Kreise ratlos werden ließ, Picasso z. B. fanden ihren Weg auf einer anderen
und zwar gerade Kreise, die der Kunst sehr zu- Ausdrucksebene. Die ungegenständliche Kunst
getan waren. Allerdings ist das insofern nicht er- entwickelte in ihren mannigfachen Versuchen und
staunlich, als sich diese neue Kunst gerade als eine Verwirklichungen Werke, die sich an eine immer
Anti-Kunst verstand, eine Gegenspielerin zur kleinere Gruppe von wirklichen Kennern wandte,
herrschenden Kunst. Es sollte eine Art Kunst- die alle Variationen und Entfaltungsmöglichkeiten
revolution demonstriert werden: ein Umsturz in zu verfolgen und in gewissen Grenzen zu beurteilen
der Art der Darstellung, dem Inhalt des Dar- imstande waren — Spreu vom Weizen scheiden
gestellten, und das heißt zugleich ein Umsturz in konnten. Die ungegenständliche Kunst wurde
Bezug auf die Einstellung zur Kunst, was ein- mehr und mehr zu einer esoterischen Kunst, was
schließt den Umsturz in Bezug auf das Publikum, keineswegs ihren Charakter als Kunst antastet.
an das sich diese neue Kunst wandte.
Zugleich mit dieser Entwicklung geschah aber
Die Zeit, die diesem Umsturz (oder Umsturz- etwas anderes; das Interesse an Kunstausstellungen
Versuch) voranging, war zweifellos geprägt durch erfaßte immer größere Kreise (die Besucherzahlen
die Herrschaft der ungegenständlichen Kunst. Ein bei den großen Retrospektiven erreichten un-
faszinierendes Phänomen, vielleicht das faszinie- glaubliche Höhen). In dieser widersprüchlichen
rendste Phänomen unseres Jahrhunderts. Daß die Situation: Voraussetzung der exklusiven Kenner-
Kunst nicht durch den dargestellten Gegenstand schaft zur Beurteilung und zunehmendes Interesse
zur Kunst wird, das hatte Kant schon 150 Jahre breiter Schichten der Bevölkerung am Kunstleben-
früher theoretisch durchdacht - aber es dauert geschah plötzlich der Umsturz: Eine Kunst für die
manchmal lange, bis ein Gedanke zur prägenden breite Masse, für das Volk: Popular-Art oder Pop-
Wirkung gelangt. Und wenn das geschieht, ist oft Art meldete sich zu Wort.
der eigentliche Urheber vergessen. Aber nicht
darauf kommt es an, sondern daß der Gedanke in War der Gegenstand aus der Kunst verbannt, so
der Tat ein eigenes Leben gewinnt, den Urheber tauchte er nun wieder auf, ergriff so energisch
überlebt und wirkt. Besitz vom Bild, daß er oft in seiner vollen ding-
lichen Gegenständlichkeit Raum beanspruchte und
Die ungegenständliche Kunst gewann mehr und nicht etwa bloß als Abbildung oder Darstellung.
mehr an Einfluß, ohne (und das ist gerade das Die höchst nuancierte Farb- und Formgebung

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wurde durch primitiv erscheinende, sich ausdrück- zu finden, die ihm in der gelebten Welt versagt
lich primitiv gebende Darstellungsmittel verdrängt. geblieben war. Ja es konnte so weit gegangen
Das Verhaltene, ja Introvertierte einer Kunst werden, daß erst von der Kunst her das gelebte
äußerster Diskretion, einer Kunst, die nur von der Leben seinen Sinn erhielt. Was Hegel schon im
Nuance lebte (wenn wir an Wols denken, Abb. 1), vergangenen Jahrhundert in seiner Ästhetik heraus-
wurde nun durch eine laute, hemdsärmelige, bei- gestellt hatte, daß uns die Natur durch die Kunst
nahe marktschreierische Äußerungsform ver- zugänglich wird - hatte seine Wirkung getan. Der
drängt. Mußte man bei der ungegenständlichen Umschlag der falsch verstandenen Aristotelischen
Kunst sehr lange nach möglichen Zeichen, nach Auffassung, daß die Kunst eine Nachahmung der
dem möglicherweise zur Sprache Kommenden Natur sei (woran Jahrhunderte festgehalten hatten)
sinnen (im Grunde genommen suchte jeder Künst- war radikal vollzogen worden. Nun ereignete sich
ler nach einer ganz persönlichen, einmaligen aber etwas Unerwartetes, das wir bewußt einen
Sprache), so bediente sich die neue Kunst der ver- Umschlag genannt haben - das gelebte Leben fand
trauten Gegenstände für ihre Sprache, so tauchte sich in der esoterisch gewordenen Kunst nicht
plötzlich ein Wurstbrötchen auf, ein Stück Pastete, wieder. Zugleich aber herrschte die Auffassung,
ein vergrößertes Leitungsrohr (Oldenburg). daß Kunst notwendig zum Leben gehöre und nicht
das Privileg einiger, weniger Sachkenner sei. Die
Das breite Publikum fühlte sich nicht mehr aus- esoterische Kunst schien dem Menschen sein Leben
geschlossen, ja vor den Kopf gestoßen, hier fand nicht verständlich zu machen, es war auch nicht
es wieder . . . Was fand es wieder? Unsere These möglich, in dieser Kunst eine Ausflucht aus dem
lautet: In dieser Kunst findet der Betrachter seine Leben zu finden — da erstand plötzlich eine Kunst
gewohnte Lebenswelt wieder. Die Pop-Kunst ist der Lebenswelt, eine Kunst, die dem Verlangen der
eine Kunst, in der die Lebenswelt sich plötzlich breiten Masse nach Wiedererkennen, nach Ver-
vorstellen kann, präsentieren kann, sich selbst ständnis, nach möglicher Identifikation entgegen-
behaupten kann. kam. Damit dies möglich wurde, dazu war aller-
dings wiederum eine Besinnung nötig, die von
Lange Zeit herrschte die Meinung, zwischen der Philosophen vollzogen wurde, und zwar in ver-
Welt, in der wir leben, und der Welt der Kunst schiedenen Denksphären. Das sei kurz erläutert.
klaffe ein Hiatus. So beschränkt, bescheiden, ja
unglücklich die Welt des Durchschnittsmenschen 1927 war in »Sein und Zeit« erstmals in einem
ist, in der Kunst konnte er sich davon erholen, in philosophischen Werk eine systematische Analyse
die Kunst konnte er sich flüchten, um da die Freude unserer Umwelt gegeben worden. Es ging darum

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freizulegen, was an Verstehen vorausgesetzt wer- Wittgenstein, der (soweit mir bekannt ist) weder
den muß, damit es für den Menschen eine vertraute Heidegger noch Husserl durch unmittelbare Text-
Umwelt geben kann, und zwar nicht an explizitem lektüre wirklich kannte, hat in seinen »Philosophi-
theoretischen Verstehen, sondern an unmittelbar schen Untersuchungen« (1945) plötzlich auch die
vollzogenem Verstehen. Heidegger zeigte bei unmittelbar gelebte Erfahrung als Ausgangspunkt
seinen Analysen, wie wir nicht weiterkommen, für seine Sprachanalysen genommen, die hier in
wenn wir das theoretische Verstehen, ausgehend Form von Sprachspielen vorgeführt werden. Das
vom bloßen Betrachten, als Modell nehmen. Es sei durch einige Zitate kurz in Erinnerung ge-
gilt vielmehr das eigenartige Verstehen zugänglich rufen.
zu machen, das vor-prädikativ im konkreten Um-
gang mit den Gebrauchsdmgen unserer Umwelt Nr. 432 »jedes Zeichen scheint allein tot. Was gibt
(Zeug-Welt) realisiert wird, die eigenartige Sicht ihm Leben? - Im Gebrauch lebt es. Hat es den
dieses Verstehens explizit zu machen, um so zu lebenden Atem in sich? - Oder ist der Gebrauch
begreifen, wie sie in unserer Alltagswelt im Spiel sein Atem?« Und Nr. 43 »Man kann für eine große
ist. Das Aufdecken der Verstehens-Strukturen Klasse von Fällen der Benützung des Wortes
konnte nicht einer unmittelbaren empirischen »Bedeutung« - wenn auch nicht für alle Fälle seiner
Schilderung entnommen werden, sondern geht Benützung - dieses Wort so erklären: Die Bedeu-
hinter die Empirie zurück, zeigt allererst ihre tung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.«
Ermöglichung. Diese Erläuterung der Bedeutung durch den un-
mittelbaren Gebrauch, der natürlich immer inter-
Husserl hat - wahrscheinlich durch die Lektüre subjektiv verstanden ist, kehrt wie ein Leitmotiv
und Auseinandersetzung mit »Sein und Zeit« an- im Werk Wittgensteins immer wieder.
geregt - zu Beginn der dreißiger Jahre in seinem
philosophischen Vokabular einen neuen terminus Im Gegensatz zum »Tractatus«, wo nach einer
geprägt - den Begriff der Lebenswelt. Unter exakten, formalisierbaren Idealsprache gesucht
Lebenswelt versteht er die Welt, die durch ein wird, entdeckt Wittgenstein später, daß wir diese
anonymes Leisten des Subjekts konstituiert wird, Idealsprache zum Leben gar nicht nötig haben, daß
ohne daß das Subjekt sich dieses Leistens bewußt das wissenschaftliche Ideal der Exaktheit ein ganz
würde, vielmehr trifft es immer nur auf das schon begrenztes Problem ist; so wichtig und unentbehr-
Geleistete, eben die ihm zugängliche Umwelt, in lich es für die Wissenschaften auch sein mag, im
der es lebt. Diese Welt ist auch für den wissen- unmittelbaren Leben kommen wir ohne es aus und
schaftlichen Weltentwurf die Voraussetzung. Die es wäre verfehlt, die Sprache zu verwerfen, die keine
wissenschaftliche Welt baut auf der Lebenswelt »mathematische« Exaktheit besitzt. Im Zusammen-
auf, setzt sie voraus. Die Lebenswelt ist - worauf hang mit der Erläuterung des Begriffs Spiel heißt
A. Gurwitsch eigens hinwies - eine geschichtlich- es m den »Philosophischen Untersuchungen«
soziale Welt, in der ein jeweiliges geschichtliches (Nr. 71) »Ist das Unscharfe nicht oft gerade das,
Menschentum in Vergemeinschaftung lebt. Die was wir brauchen?« Dreißig Jahre vorher hatte
Lebenswelt ist durchaus einem Wandel unter- Heidegger bei seiner Hermeneutik der Umwelt
worfen, aber wir dürfen sie aus diesem Grund nicht sehr ähnliche Gedanken ausgesprochen - durch em
gering einschätzen gegenüber der scheinbar fixen konsequentes phänomenologisches Sehen dessen,
Welt der Wissenschaften. Sie ist vielmehr die Welt, was sich in unserer Alltagswelt tatsächlich er-
die immer schon vorausgesetzt wird auch für den eignet, wobei es galt, die Voreingenommenhek des
Wissenschaftler. Husserl hat in der »Krisis«-Arbeit »rein theoretischen« Betrachtens zu überwinden.
besonders eingehend das geschichtliche Moment
der Neuzeit untersucht, in dem die thematische In den »Philosophischen Untersuchungen« lesen
Wandlung der Lebenswelt durch die wissenschaft- wir noch: Nr. 241 »Richtig und falsch ist, was
liche Betrachtung erfolgt ist, und zwar bei Galilei. Menschen sagen; und in der Sprache stimmen die
Der Paragraph 9 der »Krisis« wurde von ihm immer Menschen überein. Dies ist keine Überemstimmung
wieder überarbeitet und ausgeweitet, weil er hier der Meinungen, sondern der Lebensform.« Und
eine ganz fundamentale Wandlung innerhalb der Nr. 23 »Das Wort ,Sprachspiel‘ soll hier hervor-
Neuzeit erkennt. (Es sei hier auf die eingehende heben, daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist
Besprechung von A. Gurwitsch in »Philosophy einer Tätigkeit, oder einer Lebensform.«
and Phenomenological Research« Bd. XVII, Nr. 3,
März 1957 hingewiesen »Discussion: The last Im Begriff der Lebensform denkt Wittgenstein
work of Edmund Husserl (The Lebenswelt).«) etwas Entsprechendes zu dem, was Husserl die

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Lebenswelt nannte und was Heidegger bei seiner Pop-Art und Werbung
Umweltanalyse in der spezifischen Weise des In-
der-Welt-seins des Daseins zu fassen bestrebt war, Das erste Moment, das aus der Lebenswelt, als sie
dessen eigentümliche Sicht er herausstellte, im bestimmend gefaßt wird, ist die Werbung. Wir
Gegensatz zum rein Theoretischen. Deswegen müssen deswegen versuchen Klarheit zu schaffen,
kann Wittgenstein dann auch seine zunächst wie die Werbung in Erscheinung tritt.
paradox klingende Behauptung zu Recht auf-
stellen: »Wir führen die Wörter von ihrer meta- Es wird immer wieder behauptet, die Pop-Kunst
physischen wieder auf ihre alltägliche Verwendung habe etwas Plakathaftes. Aber was bedeutet das?
zurück.« (Nr. 116) Zunächst einmal kann es besagen, daß zur Lebens-
welt die Reklame gehört. Die hochindustrialisierte
Gesellschaft begnügt sich nicht zu produzieren, sie
Diese Hinweise sollen nicht als unmittelbare Ein- muß ihre Produkte auch an den Mann bringen.
flüsse verstanden werden (was unmittelbarer Ein- Deswegen ist ein großer Wirtschaftszweig gar
fluß ist und was nicht, kann hier nicht verfolgt nicht der Produktion gewidmet, auch nicht der
werden), es kommt darauf an, daß mit »Sein und Verteilung der Güter, sondern ihrer Anpreisung.
Zeit« und dann durch die »Krisis«-Arbeit und im Es wird systematisch für die Produkte geworben.
angelsächsischen Raum durch Wittgensteins »Phi- Um werben zu können, muß auf die Mentalität des
losophische Untersuchungen« etwas gedacht und möglichen Käufers eingegangen werden. Eine
ausgesprochen wurde, was Früchte trug, was in möglichst breite potentielle Käuferschicht soll an-
das »epochale Bewußtsein« trat. Und wir sind der gesprochen werden. Es geht dabei nicht darum,
Auffassung, daß diese Vorbereitung eine Voraus- überhaupt Kenntnisse von der Psyche des Käufers
setzung dafür war, daß plötzlich eine Kunstform zu gewinnen, sondern es kommt darauf an, die
auftreten konnte, die sich nun der Lebenswelt Mentalität des Publikums in einer ganz bestimmten
eigens zuwendet. Die Wirkung der Philosophen Absicht und aus einer ganz bestimmten Hinsicht
hatte der Lebenswelt eine Bedeutsamkeit verliehen, zum Thema zu machen, nämlich in der Absicht der
die sie darstellbar machte, ja eine Zuwendung zu möglichen Beeinflußbarkeit. Das geht so weit, daß
ihr rechtfertigte. in dem fortschrittlichsten industrtellen Land, den
USA, die Wahl des mächtigsten Mannes konse-
quent auch als eine Frage der Werbung betrachtet
Nach diesen einleitenden Uberlegungen sei nun werden kann. Nicht der Fähigste wird gewählt,
versucht, sozusagen in Anwendung der phäno- sondern wer die Mittel der Werbung am besten
menologischen Schau auf die Kunst selbst, frei- handhabt. (Vgl. »The selling of the President« von
zulegen, welche Momente der Lebenswelt in der Joe McGinnis.)
Kunst zum Vorschein gelangen - in der Kunst, die
sich Pop-Kunst nennt. Anders formuliert: wie die Bei der Werbung haben wir den eigenartigen Sach-
Lebenswelt beschaffen ist, tn der die heutigen verhalt, daß die Fakten, die gewonnen werden, den
Künstler existieren und die sie fasziniert. Es kommt Betroffenen nicht zugänglich gemacht werden, wie
nicht darauf an, ob in dieser Kunst alle wichtigen das sonst im Bereich der Wissenschaft der Fall ist,
Momente in Erscheinung treten, aber es ist z. B. in der Wissenschaft von der Psyche, die sich
signifikant, welche Momente die Künstler als als Psychoanalyse etabliert hat, wobei durch die
wichtig bezeichnen, nicht in einer theoretischen Kenntnisse der Prozeß der Aufhebung der Neu-
Uberlegung, sondern im Schaffen, im Hervor- rosen in Gang gebracht werden soll, sondern diese
bringen ihrer Werke. Die folgenden Uberlegungen Kenntnisse sollen eigens verschwiegen werden, da
verstehen sich als Erläuterung dessen, was in der mit dem Zur-Kenntnis-nehmen der gewonnenen
Kunst selbst geschieht. Es kann durchaus sein, daß Einsichten in diesem Fall zu befürchten ist, daß die
diese Erläuterung unangemessen, unzulänglich, ja betreffenden Personen sich der Einflußnahme zu
geradezu falsch ist, aber wir kommen um einen entziehen trachten, daß Abwehrmechanismen aus-
Versuch der Erläuterung nicht herum, wenn wir gelöst werden.
Kunst ernst nehmen wollen. Wie weit die Erläute-
rung führt und ob sie überhaupt irgendwohin Aus welchem Grund kann das geschehen? Wes-
führt, das wird sich daran zeigen, ob sie uns hilft, wegen ist ein Sichsträuben zu befürchten, sobald
in die »Form« dieser Kunst hineinzugelangen, das sich der Betreffende über die Mittel der Werbung
anfängliche Befremden ihr gegenüber zu über- klar geworden ist? Weil mit der Bekanntgabe der
winden. gewonnenen Kenntnisse plötzlich offenbar wird,

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wie verletzlich, wie ausgeliefert der Mensch be- bei Erfolgen sofort nachahmen wollen, ist der
stimmten Einflüssen gegenüber ist. Deswegen soll Prozeß der Nivellierung im Sinne der Gewöhnung
nicht offen dargelegt werden, was die Unter- und Anpassung der Werbemethoden ständig im
suchungen zutage gefördert haben, sondern es Gange. Dazu kommt noch, daß die Werbung durch
gehört zu einer guten Wirkungsmöglichkeit, daß Querverbindungen versucht, besonders empfind-
der Zu-Beeinflussende gerade nicht weiß, wie, liche Punkte anzurühren. Herrscht beispielsweise
wodurch, wann er beeinflußt werden kann. tn einem Land eine nationalistische Atmosphäre, so
wird die Werbung versuchen, unter diesem Zeichen
Die Werbung ist eine Art geheimer Besitzergrei- das jeweilige Produkt anzupreisen. Herrscht ein
fung. Der die Ware Wählende soll den Eindruck besonderes Interesse an Sex, so wird ein Sex-
haben, als ob er in seiner Entscheidung ganz frei Untergrund oder auch Vordergrund mit ins Spiel
sei, während er faktisch den Werbeeinflüssen unter- gebracht.
liegt. Dieser Sachverhalt erklärt die Notwendigkeit
des Verbergens der Mittel, des Vorgehens, über-
Die Methode des Vorgehens bei der Werbung ist
haupt des ganzen Prozesses der Einflußnahme als
weithin bestimmt durch das angestrebte Ziel. Es
Besitzergreifung. Letzten Endes handelt es sich
geht darum, eine ideale Vorstellung, wir könnten
um ein Problem der Macht. Aber um eine Macht,
auch sagen eine illusionäre Vorstellung vom be-
die als solche gerade nicht zutage treten soll;
treffenden Produkt zu erzeugen. Es kommt nicht
während es sonst zur Macht gehört, daß sie sich
darauf an, ob das Produkt der Vorstellung von ihm
als Macht aufspielen will, um Eindruck zu er-
entspricht, sondern daß die erzeugte Vorstellung
wecken und einzuschüchtern, ist diese Macht eine
für wahr gehalten wird, daß der Konsument dazu
gewollt versteckte, geheime Macht.
überredet wird, daß dieses Produkt seinen Wün-
schen entspricht. Denn dann wird er dieses Produkt
Das ist der eine Grundzug - der nächste betrifft
wählen. Das bedeutet nichts anderes, als daß die
nicht den Machtcharakter der Werbung, sondern
Werbung darum bestrebt ist, eine Schein-Welt auf-
ihr Vorgehen, sozusagen ihre Methode. Um zu
zubauen. Wir sind an Platonische Verhältnisse er-
wirken, muß die Macht auffallen. Das kann auf
innert: Die Scheinwelt als die Welt der bloßen
verschiedenste Weise realisiert werden. (Die Detail-
Meinung. Das trifft auf die Welt der Werbung zu.
analyse sei hier gespart.) Zum Auffallen gehört
dann auch, daß in möglichst kurzer Zeit dem, der
beeinflußt werden soll, klargemacht werden muß, Aber was hat das alles mit Pop-Art zu tun? Wir
worum es geht. Die Werbung darf nicht zu kom- gingen von der Behauptung aus, die Pop-Art habe
pliziert und langatmig sein. (Wenn in den Ostblock- etwas von der Plakatkunst. Diese Behauptung ist
staaten am Straßenrand Tafeln angebracht sind, in nur sinnvoll, wenn wir uns Rechenschaft geben,
denen die unverbrüchliche Treue mit der brüder- was es mit dem Plakathaften der Werbung auf sich
lichen Sowjetunion angepriesen wird, in der üb- hat. Das sollte aufgedeckt werden. Denn - wie wir
lichen bombastischen Sprachregelung, so ist das sahen — hat die Werbung selbst keinerlei Interesse,
keine Werbung, erstens kann beim Vorbeifahren ihre Methoden und ihre Ziele aufzudecken, da sie
mit dem Automobil sowieso nur ein Teil der sich dadurch selbst schaden würde. Die Werbung
Sprüche gelesen werden, und es wird wohl niemand als Errichtung einer Scheinwelt fürchtet nichts so
deswegen halten - und zweitens ist denen, die die sehr als die Aufhebung des Scheines, da dies ihrer
Anbringung dieser Tafeln angeordnet haben, wohl Selbstaufhebung gleichkäme. Dessen müssen wir
klar gewesen, daß sie damit nicht viel erreichen uns bewußt sein, wenn wir nun das »Plakathafte«
werden. Statt Werbung ist es hier eher ein ideo- der Pop-Art in Betracht ziehen wollen.
logisches Glaubensbekenntnis, das sich dann auch
im Laufe der Jahre wandeln kann, wie das der Fall Unsere These lautet: die Pop-Kunst ist eine Anti-
war.) Plakat-Kunst. Damit wird die gängige Behauptung
auf den Kopf gestelit. Das sei kurz erläutert. Hat
Das Leben wird immer gehetzter, besonders in den die Pop-Kunst es mit der Lebenswelt zu tun, ist sie
großen Bevölkerungszentren, der Großstädter wird die Kunst der Lebenswelt par excellence (wozu
zugleich immer abgestumpfter, weil ihn eine Fülle gerade auch gehört, daß sie sich als Anti-Kunst
von Eindrücken überfallen. Darum muß etwas Aus- versteht) — wird andererseits die Lebenswelt in zu-
gefallenes und spontan Wirkendes gesucht werden. nehmendem Maße durch die Werbung beherrscht,
Da andererseits immer wieder eine Gewöhnung an dann muß dieser Vorgang auch in der Pop-Kunst
das Ungewöhnliche eintritt und die anderen Werber zum Vorschein kommen.

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Die Reklame ist um so besser, je besser sie von sich
selbst auf das Produkt verweist; das Bild ist um so
besser, je mehr wir an es selbst gefesselt werden.

Aber es kann doch nicht bestritten werden, daß


Reklame-Momente mit verarbeitet oder einfach
übernommen werden. Wird dadurch das Bild nicht
doch zur Reklame, zum Plakat? Wenn wir Bei-
spiele aufzeigen, in denen ganz einfach eine Re-
klame-Darstellung wiedergegeben wird, ist dann
nicht doch das Bild zum Mittel der Werbung ge-
worden?

Machen wir uns den Sachverhalt klar. Wir haben


einerseits ein bestimmtes Produkt (z. B. eine
Suppe), dann haben wir das Plakat, das für diese
Suppe wirbt, und dann haben wir das Bild, das
dieses Plakat wiedergibt. Wir sagten schon: Bild

tomato und Plakat fallen nicht zusammen, selbst wenn eine


inhaltliche Übereinstimmung in Bezug auf das
Dargestellte feststellbar ist. Wir sind versucht, an
die Platonische Unterscheidung zu erinnern: Ur-

SoüP bild (Idee des Tisches z. B.) - Nachbild (dieser


bestimmte Tisch) und Abbild (Bild dieses Tisches).
Aber es handelt sich hier doch um etwas anderes.
Wir haben nicht, was Platon im 10. Buch des
Staates der Kunst vorwirft, eine zunehmende Ent-
A.bb. 2 fernung von dem eigentlich Seienden, dem Urbild,
der Idee — sondern wir haben hier, wie Husserl
sagen würde, eine Wandlung der Intention.

Das scheint jedoch der gerade formulierten These Bei der Reklame sollen wir nicht an der Darstellung
2u widersprechen. Sehen wir näher zu. Es ist un- kleben, sondern das Dargestellte soll uns ganz und
bestreitbar, daß manche Pop-Bilder den Reklame- gar auf die angepriesene Sache verweisen, je besser
Bildern der Werbung sehr nahe kommen. Wir ihr das gelingt, um so besser ist sie. (Das ist gerade
könnten geradezu eine Skala der Annäherung auf- das Kriterium für ihr Gut-sein.) Bei dem Bild mit
stellen, bis zum extremen Fall, wo ein Reklame- dem Reklame-Inhalt geht es um etwas ganz ande-
Bild geradezu zitiert wird in der Pop-Kunst res - jetzt sind wir nicht mehr bei der Sache, dem
(Campbell-Suppe, Abb.2, VW, Coca-Cola u. viele Markenartikel, jetzt verweist die Darstellung nicht
a.). Und doch, selbst wenn wir eine solche Wieder- mehr auf etwas anderes (z. B. die Suppe), sondern
gabe im Sinne der Wiederholung haben, handelt es gerade durch die Wiederholung der Reklame ge-
sich um etwas anderes. Worin besteht der Unter- schieht ein sonderbarer Blickwechsel — die Reklame
schied? verweist auf sich selbst. Wenn wir im Bild eine
VW-Reklame haben (Abb. 3), dann sollen wir
Habe ich eine Campbell-Suppen-Reklame und habe nicht an den möglichen Kauf dieses Autotyps
ich ein Bild mit einer Campbell-Suppen-Reklame, denken, sondern an die Reklame selbst. Das ist
so habe ich zwei verschiedene Sachen. Worin etwas ganz und gar Ungewohntes, genauer gesagt,
besteht die Verschiedenheit? Zunächst kann man das steht in krassem Gegensatz zum Wesen der
sagen: Die Reklame soll für den Kauf dieses Pro- Reklame.
duktes werben, indem sie darauf aufmerksam
macht, es dem möglichen Käufer vor Augen führt Die Reklame soll zwar fesseln, aber nicht indem sie
usw.; ist das auch beim Bild der Fall? Offenbar ausspricht, was Reklame ist, sondern durch den
nicht. Das Bild ist selbst ein verkäufliches Produkt. Inhalt, auf den sie verweist. Wir sahen ja, daß die
Es wirbt nicht für etwas anderes. Sollte das mit Werbung, indem sie wirbt, gerade verschweigt,
dazukommen, dann nur auf beiherspielende Weise. was Werbung ist. Sobald man ihr auf die Schliche

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Wir müssen uns darüber im Klaren sein: die Pop-
Kunst richtete sich ursprünglich nicht an den
ästhetisch Gebildeten — dieser wurde vielmehr von
ihr als von einer Antikunst abgestoßen - sondern
an den Alltagsmenschen. Man kann sagen, die
Pop-Kunst ist Ausdruck des Aufstandes der Massen
gegenüber der Elite, der Massen-Kunst gegenüber
der esoterischen Kunst (der Abstraktion). Um das
sein zu können, muß sie mit solch naiven Mitteln
wirken, an die der Alltagsmensch gewöhnt ist. (Es
ist kein Zufall, daß die Pop-Kunst in den angel-
sächsischen Ländern entstanden ist, bei denen der
Durchschnittsmensch tonangebend ist.) Aber die
Naivität der Pop-Kunst ist eine Schein-Naivität.
Wäre die Pop-Kunst nur ein Abklatsch der Re-
A.bb. 3 klame-Welt, die uns ständig umgibt, dann wäre
sie ganz und gar überflüssig, Reklame haben wir
auch ohne sie genug. Sie ist vielmehr eine Schein-
kommt, wird sie ohnmächtig. In der Pop-Kunst Welt, dazu berufen, den Schein aufzuheben, durch-
wird die Werbung selbst zum Thema. Der Be- schaubar zu machen. In ihrer naiven Ausdrucks-
trachter soll sich der Werbung stellen, der Be- weise will sie die Naivität zugleich aufheben. Wenn
trachter soll sich Rechenschaft geben, was tn der das gelingt und insofern das gelingt, ist sie über die
Werbung geschieht, wie er durch die Werbung Naivität hinaus.
geleitet (verführt) wird. Das kann nicht mit theo-
retischen Mitteln geschehen, der Alltagsmensch Sie ist die Einsicht tn die Verstricktheit und Aus-
verabscheut die Theorie, sie bleibt ihm radikal geliefertheit der Naivität und damit die Über-
fremd. Soll er doch beeinflußt werden, so daß eine windung der Naivität. (Deswegen bei manchen
Wandlung bei ihm in die Wege geleitet wird, so Pop-Künstlern wie Vostell der Verweis auf die
muß das mit der unmittelbaren Sprache der bild- Medien der Meinungsbildung, immer wieder Col-
lichen Darstellung geschehen. lagen mit Zeitungsausschnitten.) Die Pop-Kunst
sagt in scheinbar naiver Sprache, wie es mit der
Die Wiederholung der Werbung steht in der Pop- Naivität bestellt ist. Um das sagen zu können, muß
Kunst also nicht im Dienste der Werbung, sondern schon Reflexion vollzogen sein. Wenn Wessel-
soll Reflexion auf die Werbung in Gang bringen, mann in einem Bild eine Kücheneinrichtung
soll das Alltagsbewußtsein aus seiner Unmittelbar- wiedergibt Eisschrank, Uhr, Blumenvase, Coca-
keit herausreißen. Das ist die Pop-Kunst als Anti- Cola-Flasche, so soll ja gerade durch die Wieder-
Plakat-Kunst. Sie kann nur durch die Mittel der gabe Distanz zum Wiedergegebenen gewonnen
Plakatkunst, die unmittelbar anspricht, aus der werden, sonst wäre so etwas einfach sinnlos.
Unmittelbarkeit herausreißen, die Gefahr der Wer-
bung vor Augen führen. Um diese Kunst zu verstehen, die sich ganz natür-
lich gibt, müssen wir zur Naivität zurückfinden
Wir haben hier also ein entscheidendes Moment aus und zugleich die Naivität überwunden haben. Das
der modernen Lebenswelt, das in der Pop-Kunst Durchschauen des Scheines, in dem die Naivität
sichtbar gemacht wird: die Macht der Werbung steht, ist ihre Wirkung. Einmal durchschaut, wird
als unentbehrliches Mittel der Konsum-Gesell- der Schein machtlos. Zugleich hebt sich mit dieser
schaft. Der Betrachter soll sich als Konsument Wirkung die Kunst selbst auch auf, denn sie ist
erfahren und nicht nur unmittelbar als Konsument nicht mehr als diese Wirkung.
leben, ohne sich dessen Rechenschaft zu geben,
was das heißt. Eine bestimmte Anonymität soll Aus diesem Sachverhalt wird verständlich, wie die
aufgehoben werden. Wer reflexionslos an diese Pop-Kunst in doppelter Weise ihre Wirkung aus-
Bilder herantritt, sieht darin bloß den Spiegel des üben kann. Einmal, wie gerade gesagt, indem der
Vertrauten und freut sich darüber, wie das Kind, Betrachter in der naiven Ebene verbleibt und
wenn es Bekanntes wiederfindet; wer wissen will, Freude am Wiederfinden des Bekannten hat (eine
was hier vor sich geht, sieht im Spiegel sich selbst der naivsten Freuden), das möchte ich zugleich
und sein Verhalten — seine Lebenswelt. ihre effektlose Wirkung nennen; und dann die

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eigentliche Wirkung, die ein Erfassen der Lebens- Um die Eintönigkeit und die in der puren Trieb-
welt ist und der Mächte, die verborgen an ihrer befriedigung steckende Unbefriedigung zu über-
Gestaltung mitwirken und damit zugleich ein spielen, muß der Gegenstand der Triebbefriedi-
Durchschauen dieser Mächtigkeit. Die Lebens- gung reizvoll erscheinen, verlockend, verführe-
welt wird bei dieser Betrachtungsweise nicht ver- risch. So kann eine Vielfalt vorgetäuscht werden
lassen, bloß die anonymen Kräfte, die sie mit- in der Monotonie der Triebbefriedigung. Die Re-
gestalten, werden plötzlich sichtbar. Das ist nun duzierung der Liebe auf Triebbefriedigung ist das
allerdings eine ganz andere Anonymität, als die, factum, mit dem das Individuum nicht fertig wird.
von der Husserl sprach, wenn er den Plan einer zu Worin findet dieser Sachverhalt seinen Nieder-
entfaltenden Ontologie der Lebenswelt ent- schlag? In der Darstellung der Frau.
wickelte; Husserl meinte das anonyme Leisten des
transzendentalen Ego, hier ist es das bewußt ano-
nym bleiben-wollende Leisten einer Art sozialen Die Frau ist kein ebenbürtiger Partner, mit dem
Über-Egos. eine Auseinandersetzung nicht nur möglich ist,
sondern ständig stattfindet, die Frau wird zum
Lustobjekt. Sie kann auch zum Prestige-Objekt
werden, durch das in der Gesellschaftshierarchie
der Rang fixiert wird und das deswegen beim
Pop-Kunst und Sex sozialen Aufstieg gewechselt werden muß, für jede
Rangstufe das entsprechende Haus, die entspre-
chende Frau. Sie wird als Objekt betrachtet. So
kostbar ein Objekt auch sein mag, die Beziehung
Ein zweites Moment aus der Lebenswelt, wie wir
sie heute erfahren, ist das Hochspielen des Sexus. zu ihm kann nicht das ersetzen, was die Beziehung
zwischen zwei Menschen zu geben vermag. Des-
wegen das baldige Abstumpfen und Veröden, die
Die moderne Lebenswelt ist erfahren in der ge- Eintönigkeit und Leere, die solch eine Objekt-
doppelten Aufteilung von Arbeitszeit und Zeit zur beziehung belastet.
Entspannung. Der technisierte Fortschritt bringt
Entlastung von Kraftaufwand, aber die Mono-
tonie der Arbeitsleistung bleibt im Großen und Es muß nun gezeigt werden, ob dieser kurze Aufriß
Ganzen bestehen. Deswegen wird die Freizeit er- in der Pop-Kunst seine Bestätigung findet, was
sehnt als die Zeit, wo nichts verrichtet werden insofern von Bedeutung ist, als unsere These
muß. Aber die Schwierigkeit ergibt sich nun, daß lautete, daß die Pop-Kunst eine Darstellung der
das Bewußtsein, durch die Monotonie eingeschlä- Lebenswelt ist im Sinne einer Auseinandersetzung
fert und abgestumpft, in der Freizeit keineswegs mit ihr und nicht der Entwurf einer idealistischen
eine Gegenform zur vorherigen Seinsweise findet, Welt.
vielmehr die Monotonie auch in die Freizeit
hinübernimmt. Die Freizeit ist so keineswegs die Wir gehen von der Darstellung der Frau aus, wie
Zeit, da das Individuum zu sich selbst findet, sie bei Tom Wesselmann zu finden ist. In der Reihe
sondern die Zeit, die irgendwie totgeschlagen »The great american nude« steht im Mittelpunkt
werden muß. immer ein Akt. Betrachten wir die in Aachen
hängende Ausführung (Nr. 54, von 1964, Abb.4),
Es entsteht ein großer neuer Industriezweig, die so fällt zunächst der Gegensatz auf zwischen der
sogenannte »Zerstreuungs-Industrie«. Je genauer provozierenden Haltung der Frau und dem spießi-
das Leben reglementiert wird, desto größer ist der gen, kleinbürgerlichen Miiieu des Zimmers, das
Drang nach Freiheit, der jedoch gar nicht verwirk- durch konkrete Gegenstände repräsentiert wird:
licht werden kann, da der Spielraum von Seins- Blumenstrauß, Eisbecher, Tisch, Stuhl, Vorhang,
möglichkeiten nicht vorgegeben ist, sondern vom Telephon, Zentralheizung. Die Frau liegt mit ge-
Individuum erschlossen werden muß. Die Flucht spreizten Beinen da, zum Sexualakt auffordernd.
aus der Eintönigkeit, die sowohl die Zeit der Arbeit Zugleich ist die Gestik so stereotypisiert, daß sie
wie die Zeit der Entspannung immer mehr aus- jedes Aufreizende und Verführerische verliert. Es
füllt, geschieht im Triebleben. Allerdings stellt ist nichts Einmaliges, Erregendes dargestellt, son-
sich bald heraus, daß Triebhaftigkeit ohne »Geistig- dern gleichsam die gewohnte Gestik der Lust-
keit« (Sexus ohne Eros) selbst wiederum eintönig befriedigung, die beinahe etwas Mechanisches ver-
wird. rät.

201
Das Gesicht der Frau ist ganz neutral gehalten, es eine Handlung antizipiert, die zum Alltagsablauf
ist kein Individuum, das auf dem Bett liegt, keine gehört, wie das Sich-waschen, das Autofahren und
von Liebe erregte Person, die den Partner freudig Essen. Nichts Erregendes haftet ihm an.
erwartet. Deswegen stört es gar nicht, daß kein
Gesicht gemalt ist, bzw. das Gesicht nur an- Abb. 5
gedeutet bleibt, der Leib soll verführen, das Ge-
sicht ist nebensächlich. Hier liegt kein Individuum
mit einer Lebensgeschichte, die in den Gesichts-
zügen ihre Prägung gefunden hat, sondern ein
bloßes Lust-Objekt. Deswegen ist der elegante
Körper mit den hübschen Brüsten das Wichtige
und die Geste der Empfangsbereitschaft. Der
Partner ist nicht dargestellt, denn er ist der Be-
trachter, er ist das Subjekt, für das die Frau sich
hinräkelt.

In »Bathtub Collage« (Nr. 3, von 1963, Abb.5) ist


der gleiche schlanke Frauentyp präsentiert, tn der
gleichen Neutralität, die Atmosphäre ist hier durch
das saubere Badezimmer geprägt. Was diese Akt-
bilder von Wesselmann gemeinsam haben, das ist
die Kühle, die Leidenschaftslosigkeit, ja Neutrali-
tät, die eben durch die Objekthaftigkeit der dar-
gestellten Frau, die ein Gegenstand unter anderen
ist, erzeugt wird. Deswegen haben diese Bilder
auch nichts Obszönes, obgleich besonders im zu-
erst analysierten die Verweisung auf den Sexual-
akt unverkennbar ist. Aber der Sexualakt wird als

202
In einem anderen Bild von Wesselmann (Great Wenn der Partner zum beliebig austauschbaren
american nude Nr. 98, Abb. 6) ist von der Frau nur Objekt wird, ist die Beziehung als solche in den
ein Teil präsentiert: eine Brust mit übertriebener Bereich der Beliebigkeit versetzt, in den Bereich
Brustwarze, ein Teil des Kopfes, an dem nur die der Machbarkeit und Verfügbarkeit, der dann gar
knalligen roten Lippen und die strahlend weißen nicht so sehr von dem Arbeitsbereich unterschieden
Zähne wiedergegeben sind, sowie eine blonde, den ist - in beiden herrscht die Stimmung der Eintönig-
Kopf umrahmende Mähne - sonst ist noch dar- keit. Die Darstellung der Frau in »Bathtub Collage«
gestellt ein Aschenbecher mit rauchender Zigarette, gerät plötzlich in die Nachbarschaft der sauber ver-
eine leuchtende Orange und eine Packung Kleenex- packten hygienischen Utensilien, deren wir zum
Tücher. Das Bild hat eine befremdende Starre. gesunden Leben bedürfen. Wir stoßen hier auf
Alles ist hygienisch steril dargestellt und zugleich eine Verdinglichung, die kaum zu übertreffen ist.
ist ein Schritt weiter vollzogen zum Objekt-werden Deswegen sind diese Bilder, selbst wenn sie auf-
der Frau. reizende Gesten darstellen, gar nicht mehr auf-
reizend - denn die pure Geste macht es nicht aus.
Was von ihr sichtbar wird, unterscheidet sich
nicht von den anderen Objekten. Ein Moment
Die Geste ist vielmehr das Gleichartige, besonders,
der Lebendigkeit kommt nur der Apfelsine zu,
wenn sie zur puren Geste erstarrt ist, bar jeden Aus-
ihrem Strahlen, alles übrige ist kühl, distanziert,
drucks. Das ist aber genau der Sachverhalt, auf den
fixiert. Die geöffneten Lippen der Frau, die hervor-
wir beim Versuch der Analyse der Alltagswelt ge-
stechen, haben nichts Verführerisches, sie sind zur
stoßen waren.
Grimasse erstarrt — die Brust scheint auch eher ein
Ding zu sein als ein Sexualmerkmal. So erfüllt
dieses Bild eine Atmosphäre der Langeweile und Der paradoxe Vorgang, daß mit der Annäherung,
des Überdrusses. Es ist der Überdruß vor dem der Übertreibung der Distanzverminderung zu-
bloßen Sex-Objekt, ein Überdruß an der Grenze gleich eine zunehmende Objekt-Werdung statt-
des Ekels. Gerade die so hygienisch saubere Dar- findet, ist im Bild »Seascape« (Nr. 18, 1967) deut-
stellungsweise, auf die der Künstler aus ist, wirkt lich sichtbar. Hier ist das Bild von zwei über-
a-sexuell, unterkühlt. In solch einem Medium kann dimensionierten Brüsten auf tiefblauem Hinter-
nichts vom Verzehrenden einer Liebe aufkommen, grund ausgefüllt. Wären die Brustwarzen nicht so
deswegen erhält nur die Apfelsine eine wirklich deutlich dargestellt, so könnte es sich um eine
lebendige Tönung, hier ist noch etwas von Natur bergige Erhebung vor dem Aleereshintergrund
präsent, nicht bei der Person. handeln.

203
Dieses Bild gibt nicht nur unterkühlten Sex, son- Das Zum-Objekt-werden der Frau ist in den 1969
dern Verleugnung des Sex durch Übertreibung entstandenen Figuren, die Sexmobiliar genannt
eines natürlichen Geschlechtsmerkmales ms Rie- werden könnten, am krassesten ausgedrückt
sige, in ein Naturobjekt, deswegen tst der Titel des (Abb.7). Einerseits soll die dargestellte Frau durch
Bildes zu Recht »Seascape«, es könnte allerdings provozierende Posen und entsprechende Be- bzw.
auch »Breastcape« heißen. Diese Brustlandschaft Entkleidung reizen, zugleich wird der Reiz aber
ist alles Verführerischen, Anlockenden, Zärtlichen aufgehoben durch die pure Dienlichkeitsfunktion,
bar - es ist ein totales Objekt, ja ein erstarrtes Ob- die er als Teil eines Gebrauchsgegenstandes erfüllt
jekt mit dem wir nichts anfangen können, das uns (Stuhl, Tisch). Während sonst bei der aufreizenden
nichts zu sagen hat: die letzte Konsequenz des alles Zurschaustellung der Sexualität der Objektcharak-
verdrängenden Triebes, der seines Objektes über- ter den Beteiligten nicht unmittelbar bewußt ist
drüssig geworden ist. und erst durch Reflexion und Analyse klargemacht
Nun gibt es allerdings auch andere Darstellungen werden muß, ist er hier ganz unmittelbar unüber-
der Frau im Bereich der Pop-Kunst, z. B. bei Allan schaubar verwirklicht. Flier überschlägt sich die
Jones. Im Bild »Number 1« (What do you mean, Pansexualisierungstendenz unserer Lebenswelt und
what do you mean?, 1968) ist das Sex-Moment wirkt komisch. Allerdings würde dieser Effekt erst
stärker betont als bei Wesselmann, ohne daß der in dem Augenblick eintreten, wenn diese Gebilde
Objekt-Charakter sich gewandelt hätte. Der sinn- nicht zum Anschauen dargeboten werden, sondern
liche Reiz ist geradezu herauspräpariert. Durch zum tatsächlichen Gebrauch. Dann würde nämlich
den eng anliegenden Strumpf soll das Moment der der Gebrauch dieser Gegenstände die Sinnlosigkeit
Spannung überbetont werden. Die übertrieben der Sex-Darstellung unmittelbar vor Augen führen.
hochgestöckelten Schuhe sollen genau so provo- Wir befinden uns hier am äußersten Gegenpol der
zierend wirken wie die drallen Brüste mit den er- puritanistischen Einstellung, die die Beine des
regten Spitzen. Aber zugleich hat der metallische Konzertflügels verschämt bekleidet, um nicht un-
Effekt, der von dem Strumpf-Bein ausgeht, etwas erlaubte Assoziationen aufkommen zu lassen.
abweisend Kühles. Die erschreckte Grimasse der Hier sind Tisch-Beine wirkliche Beine einer mög-
Frau wirkt auch abweisend statt anziehend. Das lichst realistisch dargestellten Frauensperson, die
ist keine Person, sondern eine Mischung von Pin- ausdrücklich ihren Beruf zu erkennen gibt, so daß
up-Puppe und Schaufenster-Figur. keine Täuschung möglich ist.

Abb. 7

204
Abb. 8

Allan Jones hat am konsequentesten den Objekt-


Charakter der Frau als Sexperson bloßgestellt, in-
dem er sie in der Tat zu einem Gebrauchsgegen-
stand werden läßt - damit aber auch zugleich den
Unsinn, um nicht zu sagen die Perversion, dieser
slbb. 9
Richtung aufgedeckt. Diese Objekte könnten
geradezu Sex-Besessene von ihrer Besessenheit In den Bildern Roy Lichtensteins tritt die Frau in
heilen und Nicht-Besessene davor bewahren. anderer Weise in Erscheinung, nicht als Sex-Objekt
(Abb.10). Wenn wir uns ihre Erscheinungsweise
In Lindners »Leopard Lilly« (1966, Abb.8) ist eine klar machen, stoßen wir zugleich auf ein neues
Kombination von maschineller Versachlichung
mit monströser Verunstaltung des weiblichen Abb. 10
Körpers. Auf die abstoßend angeschwollenen
Schenkel mit der Darstellung des Geschlechts sind
Utensilien aus der technischen Umwelt aufgesetzt,
die die Gestalt dann auch zur Puppe werden lassen,
zum zusammengebastelten Objekt.

Bei Vostell finden wir in seinen Collages häufig


Sex-Elemente, aber dabei handelt es sich eher um
Zitate aus der Alltagswelt, diese Verweise sind ein-
geordnet in die verschiedenen Fetzen von Massen-
medien, auf die wir tagtäglich stoßen, von den
politischen Meldungen bis zu Pin-up Reproduk-
tionen. In den späteren Bildern tritt die politische
Aussage in den Vordergrund, so ist im Bild »Miß
Amerika« (1968, Abb.9) die Frau nur eine Ivon-
trastgestalt, um den Gegensatz des harmlosen Miß-
Betriebes mit einer Erschießungsszene aus Vietnam
herausspringen zu lassen.

205
Moment der Lebenswelt, um die es uns ja bei dieser daß es sich hier nicht einfach um eine Wiederholung
Analyse geht. Es ist die Gleichförmigkeit. Hier nun der Comics auf einer etwas kultivierteren und maß-
nicht die Gleichförmigkeit von Arbeits-Zeit und stabmäßig vergrößerten Ebene handelt, sondern
Frei-Zeit, sondern die Gleichförmigkeit der Per- zugleich um ein Durchschauen des Mechanismus.
sonen und Situationen.
Es geht um ein Aufdecken der Scheinwelt der
Die Lebenswelt erscheint als der Raster, den wir Idealisierung des Durchschnittsmenschen, ein Auf-
nicht gewählt haben, in den wir durch die heute decken der Flucht in die ewig erscheinende jugend
herrschenden Zustände hineingezogen werden. ( die Frauen sind immer jung, hübsch, zärtlich) und
Deswegen ist jedes Individuum jedem anderen zugleich ein Aufdecken der Lebenswelt als einer
Individuum gleich, jedes macht die gleiche Er- stereotypen Welt.
fahrung, hat die gleichen Hoffnungen, Wünsche,
Enttäuschungen, Resignationen. Zugleich ist aber Diese Bilder können auch verschieden gelesen
dieses Moment der Uniformierung gekoppelt mit werden, in der naiven Weise, in der die Identi-
dem Moment, auf das wir schon bei der Werbung fizierung für echt genommen wird (dann sind sie
gestoßen waren, nämlich der »Idealisierung«. in der Tat nur monumentale Comics) oder in der
Weise des Aufdeckens des Scheins, dann führen sie
Lichtenstein wählt immer den gleichen mädchen- zur kritischen Distanz, zur Reflexion. Die Freude
haften Frauentyp, der sich leicht begeistert, sich daran ist dann nicht mehr unmittelbar, sondern ein
leicht in Tränen auflöst, verzweifelt ist und dann Belächeln der vorherigen Unmittelbarkeit. In
wieder hoffnungsvoh, sentimental und auch etwas diesem Lächeln steckt ein leichtes Sich-Grausen
überlegend — bei dem jedoch alles um den Zustand vor der Welt, in der alle Personen gleich aussehen
der Verliebtheit kreist, es ist eigentlich ein Back- müssen, das Gleiche fühlen und das Gleiche sagen,
fisch. Es ist das idealisierte Durchschnittsmädchen. sich das Gleiche wünschen, am Gleichen ver-
Die Verkoppelung der Idealisierung und Ver- zweifeln.
durchschnittlichung scheint mir für seine Frauen-
darstellungen das Kennzeichnende zu sein. Die Lim den Eindruck der Naivität erwecken zu kön-
Person soll nichts Außergewöhnliches sein, da mit nen, muß die Ebene der Naivität radikal durch-
dem Außergewöhnlichen eine Identifizierung brochen sein. Wenn diese Bilder auf die Dauer
schwer fällt, und es soll doch eine Person sein, die eintönig wirken, so steckt dahinter die Intention
schöner ist, sensibler, mitfühlender und umworbe- des Künstlers, daß unsere gemeinschaftliche Le-
ner als der Durchschnittstyp. Die Lebenswelt ist benswelt der Gefahr der Uniformierung ausgesetzt
hier gegenwärtig in der Weise der Typisierung. ist. Ein Gedanke, den wir schon in »Sein und Zeit«
Das Mädchen, das auf seinen Geliebten wartet, ist finden, bei der Analyse der Öffentlichkeit und des
ein Durchschnittsmädchen, der Geliebte ein Durch- Verfallenseins. Ein Grund für die Jugendrevolte,
schnittsgeliebter, sie sehen so aus wie der Durch- wie sie gerade in den Vereinigten Staaten ihren
schnittsmensch sich ein Mädchen, eine Geliebte Ausgang nahm, ist zweifellos die Rebellion gegen
und die dazu gehörige Situation ausmalt. diese Uniformierung.

Die Verbindung mit den Comic-strips besteht Es sei nun gestattet, auf einen Künstler aus dem
nicht nur in der Weise der Darstellung, mit dem Bereich der Pop-Kunst hinzuweisen, bei dem die
Raster und den Sprechblasen und der Farbwieder- Verbindung des Reklamehaften mit der Sexwelt
gabe, wie sie beim Druck üblich ist, sondern vor ganz unübersehbar ist - und so die Verbindung mit
allem in der Weise der Identifizierung, die hier dem vorher Abgehandelten herzustellen - ich
vom Betrachter erwartet wird. Wir sollten nicht meine Mel Ramos.
übersehen, daß die Comic-strips eine Welt der Tag-
träume ist (mit dem Superman, der entführten und Wir sahen, wie die moderne Werbung darauf aus
bedrohten Frau, die befreit werden muß, wie im ist, durch alle Mittel den Käufer zu ködern. Dabei
Märchen - hier steht der Bösewicht an der Stelle werden alle möglichen Assoziationen ins Spiel
der Hexe), wo sich jeder idealisiert wiederfinden gebracht - Assoziationen, die nichts mit der
kann, woran sich jeder verlieren kann, um aus der Qualität oder dem spezifischen Gebrauch des
Monotonie des Gelebten zu entfliehen. Konsumartikels zu tun haben, wichtig ist nur das
Reizhafte daran, das Ansprechen auf den Reiz. Am
Aber zugleich sollten wir nicht übersehen — was leichtesten ansprechbar ist die Sphäre des Trieb-
schon bei der Analyse der Reklame der Fall war - haften, besonders in einer Gesellschaft, die gerade

206
im ßegriff ist, sich von alten Tabus zu lösen; — das
wird nun transponiert und reduziert auf das
was jahrhundertelang verdrängt wurde oder nur Schauen, und zwar das Schauen des Abbildes. Um
versteckt geäußert werden konnte, ist plötzlich dabei zu einer Ersatzbefriedigung zu gelangen,
aussprechbar, ausdrückbar geworden und (wie muß das, was an unmittelbarer körperlicher Prä-
oben gesagt) ist zugleich der Sex als »Hobby« für
senz fehlt, durch Entblößung des Dargestellten
die Freizeit als Gegengewicht zur lustlosen Arbeit
ersetzt werden. Das Modell muß jugendlich sein,
propagiert.
muß reizvolle Formen aufweisen, muß schwindeln,
als ob es sich nach dem Betrachter (den es gar nicht
In der Kunst von Mel Ramos (besonders in der kennen kann) sehnte.
zweiten Hälfte der sechziger Jahre) wird systema-
tisch Sex mit Werbung verkoppelt. »Klassische«
Pin-up Gestalten treten als Werbe-Reiz-Mittel in Aber die Schwierigkeit, die sich aus dieser bild-
Erscheinung, in deutlicher Pop-Manier, nicht durch lichen Präsenz ergibt, ist die sich bald einstellende
Photo-Montagen, sondern durch realistische Dar- Monotonie. Denn da das Zur-Schaugestellte mög-
stellungen. (Z. B. Tomato-Catsup, 1965; Colgathe, lichst den Durchschnittsbetrachter befriedigen
1965; Lucky-Strike, 1965; Velveeta, 1965.) Die muß, den Betrachter, der nicht mit Problemen
nackte Dame in der Catsup-Reklame, die sich zärt- konfrontiert werden will, gerade auch im Bereich
lich an die mit Tomatenmark gefüllte Flasche des Sex nicht, muß das Modell reizvoll aber auch
schmiegt, als ob es ihr Liebhaber sei, hat nur die zugleich harmlos, nichtssagend sein. Da die Posi-
Funktion des Blickfanges. Denn weder wird tionen der Darstellung durch die Zensur oder was
Catsup aus nackten Mädchen hergestellt, noch der verbleibende Anstand gebietet, auch begrenzt
sind, ist binnen kurzem der Bereich möglicher
besonders für sie. Und beim »Colgathe«-Bild soll
Darstellbarkeit erschöpft. Die immer lächelnde,
der Betrachter durch die barbusige Person an-
freundliche Frauengestalt, mit den vom Publikum
gezogen werden und die Zahnpasta dann mit in
bevorzugten Durchschnittsmaßen, wirkt genauso
Kauf nehmen. Die schlanke liegende Pin-up Ge-
stereotyp, wenn nicht noch stereotyper als die
stalt auf dem Velveeta-Käse benützt diesen Käse
Frauen von Roy Lichtenstein. Da war immerhin
sicher nicht zur Haut- oder Haarpflege und der
noch eine größere Variationsbreite der Situationen,
Geschmack des preiswerten Käses erinnert den
die an Gelebtes erinnerten, es evozierten. Flier ist
Konsumenten auch nicht an das teure Mädchen.
von der Lebenswelt nur ihr Ersatz gegenwärtig,
die Flucht in Scheinbefriedigung mit Schein-Lust-
Ein Wort zur Pin-up-Atmosphäre. Die ganze
Objekten, die sich nur zum Schein anbieten. Ihre
Pin-up-Industrie könnte sich nicht so unglaublich
»Gegenwart« läßt ihr tatsächliches Fehlen nur um
entfalten und fabulöse Umsätze machen, neue
so deutlicher werden. Die fehlende Befriedigung
Berufe entstehen lassen, wie den des Photomodells,
im Alltag wird durch die Flucht zu diesen zum
wenn es in unserer Gesellschaft nicht eine große
bloßen Ansehen reduzierten Objekten nicht über-
Kategorie unbefriedigter Menschen gäbe, die sich
wunden, sondern gerade besonders deutlich spür-
durch die Pin-up-Darstellungen eine Scheinbefrie-
bar.
digung schaffen wollen, eine Ersatzbefriedigung.
Denn während sonst im Bereich der Reklame-
Das Gesagte ist leicht mit Beispielen von Mel
Kunst durch die Reklame der Kauf der Ware an-
Ramos zu belegen. In seiner Pin-up-Darstellung
geregt werden soll, ist das hier gar nicht möglich
wird das Sinnlose dieser Flucht zum Schein eines
und auch gar nicht beabsichtigt. Die Pin-up-
Scheines unmittelbar vorgeführt.
Industrie ist kein groß angelegter Mädchenhändler-
Industriezweig. Die Mädchen, die gezeigt werden,
sind nur zum Anschauen da. Genauer gesprochen, Durchschnittlichkeit im Schein des bloßen Schei-
sie werden auch nicht leibhaft vorgeführt (wie das nes, Stereotypie, das erzeugt Langeweile, Über-
beim Striptease der Fall ist), sondern nur die druß. Manchmal geht Ramos so weit, daß er aus-
Wiedergabe ihres Abbildes wird zum Verkauf an- gesprochen Vulgarität präsentiert - käuflichen
geboten. Es wird also eine Schein-Sex-Welt kon- Schein-Sex. Auch hier sind wir der Ansicht, daß
struiert, für eine Scheinbefriedigung. Sagten wir diese Art der Sex-Darstellung die Funktion hat,
vorher, in der modernen Sex-Atmosphäre werde die Überdrüssigkeit an dieser Art von Sex sichtbar
die Frau zum puren Lust-Objekt degradiert, so zu machen. Das Wählen des gleichen Modells z. B.
sind wir hier noch eine Stufe weiter — die Frau wird »Blue Coat« 1966 und »The Pause that refreshes«
zum Schau-Lust-Objekt. Was eigentlich nur in 1967, läßt den Betrachter unmittelbar die Grenzen
unmittelbarem Erleben erfahren werden kann, der Darstellbarkeit erfahren.

207
Die Unsinnigkeit dieser Sex-Vorführungsreklame sinnloses Animalisches, wenn dadurch nicht ein
wird dann unübersehbar, wenn das Pin-up-Modell Zug zur Perversion sichtbar gemacht werden soll,
nackt auf ein riesiges belegtes Brötchen gesetzt eine Perversion, die den angeödeten Sex-Betrieb
wird (»Virnaburger« 1965). Entweder besagt das, neu anregen soll.
daß die Person zum alsbaldigen Verzehr bestimmt
ist, wie das mit rohem Fleisch belegte Brötchen, Die verschiedenen Möglichkeiten der Ebene des
oder daß sie so leicht verderblich ist, wie das hier Betrachtens, die wir immer wieder bei der Pop-
Angepriesene. In beiden Fällen ist das Ganze nicht Kunst feststellen konnten, läßt sich auch bei Mel
sehr appetitanregend; so wie diese Art von Sex- Ramos leicht nachweisen. Wer seine Sex-Werbe-
Werbung überhaupt. Wenn die bekannte Coca- plakate in Hinblick auf Sex betrachtet, findet in
Cola-Reklame »The Pause that refreshes« so illu- ihnen einen Ersatz für die schon scheinhafte Ersatz-
striert wird, daß ein überbusiges nacktes Pin-up Welt der Pin-ups. Wer sie, mit Husserl zu sprechen,
sich ein überdimensioniertes Cola-Abzeichen vor nicht in der Geradehin-Einstellung anstaunt, für
den Leib hält, ist die Ironie dieses entspannenden den wirken sie enthüllend, eine Konsum-Welt
Pause-Machens nicht zu übersehen. Denn die Pause bloßstellend, der jedes Mittel gut ist, um den
soll ja nicht mit der dargestellten Person verbracht Käufer anzulocken und zum Kauf zu verführen.
werden, so ausgezogen sie auch dastehen mag,
sondern zum Genuß des Reklame-Artikels an- Die sexuelle Unbefriedigung des Durchschnitts-
regen. menschen bietet eine günstige Angnffsfläche, wo-
bei nicht übersehen werden darf, daß die Un-
Was Mel Ramos in seinen Darstellungen bloß- befriedigung durch diese »Sex-Industrie« noch be-
stellte, hat seither solche Ausmaße in der Werbung wußt gesteigert wird. Die Person, mit der man
angenommen, daß das, was 1965 noch als ent- zusammenlebt, die altert, auch krank sein kann,
larvend angesehen werden konnte, heute durch die von Sorgen geplagt, wird dem immer gepflegt er-
konkrete Werbung überrundet wurde. Es ist so scheinenden Pin-up-Modell gegenüber gestellt,
nicht überraschend, wenn er in seinen späteren Bil- wobei dem einfachen Menschen nicht sofort klar
dern plötzlich die Pin-ups mit Tieren kombiniert, wird, wie leer und konventionell dieses Modell
die Werbe-Effekte ohne Werbe-Marken präsentiert letzten Endes doch wirkt und daß der eigentliche
(Abb.ll). Dies ist wohl weniger ein Hinweis auf Grund für die Unbefriedigung die Degradierung
antike Mythen als einer auf das Animalische, in dem der Liebe zum Sex ist. Diese Degradierung, auf die
sich diese Welt der Pin-ups bewegt, aber auch ein wiederholt hingewiesen wurde, soll nicht etwa

208
überwunden werden, der ganze Sex-Rummel will nicht, wir sehen es weder in seiner Häßlichkeit
sie vielmehr endgültig fixieren. noch in seiner Hübschheit - in dem Augenblick,
wo der Umgang unterbrochen ist, sind wir ge-
Wie weit der Künstler sich darüber Rechenschaft zwungen, uns dem Ding als Sehobjekt zu stellen.
gibt, sich darüber bis zu den letzten Konsequenzen
im Klaren ist, muß offen bleiben. Daß Mel Ramos Wir könne die Türe des Eisschranks in Wessel-
in einer neuen Phase seines Wirkens den Überdruß manns Gebilde nicht öffnen, um aus dem Schrank
an dieser Art Pin-up-Darstellung selbst durch- etwas herauszunehmen — dabei achten wir nicht
gemacht hat, scheint in der Tat der Fall zu sein. auf die Türe, sind nicht bei der Türe, sondern bei
Im Bild »fudy and the faeger« (1969), das einer dem, was wir aus dem Eisschrank brauchen - in
neuen Serie angehört, ist der weibliche Akt ent- diesem Augenblick, wo die Eisschranktür keine
fremdet. Es ist kein sich zur Schau stellendes Tür zum Öffnen ist, erscheint sie als eigenständiger
Pin-up-Girl mehr, vielmehr eine in blauen Tönen Gegenstand. Jetzt, wo der Gebrauch unterbunden
gehaltene Gestalt, in einer surrealistischen Atmo- ist, erscheint sie als etwas Zu-betrachtendes. Wir
sphäre des Fliegens, während der Vogel davor stellen fest, ob sie hübsch aussieht, protzig, dürftig
realistisch in den natürlichen Farben dargestellt - wir achten auf ihre Maße, auf ihre Gestalt. Aus
ist, als ob er einem ornithologischen Werk ent- dem Umgang herausgelöst wird sie zum »ästheti-
nommen wäre. schen Objekt« - also zu einem für die Sinne zu-
gänglichen Gegenstand des bloßen Betrachtens.
Heidegger hatte uns gezeigt, daß wir die Dinge
unserer Umwelt im Umgang kennenlernen, des-
Die Gegenstände der Pop-Kunst wegen gab er ihnen den Namen des »Zuhandenen«.
Jetzt wird einerseits dieser Umgang unmöglich
Wenn die Hinwendung zur Lebenswelt ein Grund- gemacht, aber die Dinge sollen doch als Dinge,
zug der Pop-Kunst ist, wie wir das zu interpretieren die für den Umgang bestimmt waren, präsentiert
versuchen, dann ist es geboten, das Präsentieren werden. Es geschieht also eine Wandlung im Hin-
der Gegenstände zu analysieren. blick auf die Verlagerung der Bedeutung.

Wir stoßen dabei auf Versuche, die Gegenstände Die Dinge sind nicht mehr verwendbar, sondern
in ihrer unmittelbaren Alltäglichkeit zu präsentie- da, um betrachtet zu werden; zugleich sollen sie
ren, wie z. B. Wesselmann im »Interieur Nr. 4« aber betrachtet werden als für den Umgang be-
(Abb.12), und zwar nicht darstellend, sondern in
ihrer unmittelbaren Dinghaftigkeit, durch Plastik- Abb. 12
Collagen. Die Wiederholung des alltäglichen Le-
bens wirkt hier durch die Herauslösung eines En-
sembles: Eisschranktür — Telephon - Blumen-
vase — Uhr — Coca-Cola-Flasche aus dem Raum, in
den es gehört und der durch diese Gegenstände
seinen besonderen Charakter erhält. Wir müssen
wieder auf »Sein und Zeit« verweisen und die Um-
welt-Analysen Heideggers. Es geht ihm darum,
das Vorverständnis freizulegen, das wir immer
schon haben müssen, damit so etwas wie die ver-
trauten Beziehungen zu unserer Umwelt möglich
sein können und wir so überhaupt eine Umwelt
haben können. Das Verständnis über den Platz, der
einem Zuhandenen zukommt, und über die Weise
des Umgangs- mit ihm, setzt das Wissen von einer
Reihe von Verweisungen voraus (eine Art struk-
turelles Schema), aber ein Wissen, das nicht
thematisch ist, sondern im konkreten Umgang mit
den Dingen impliziert ist. Durch das Herauslösen
gewisser Dinge aus diesem Kontext geschieht
zweierlei: Distanz und Nähe. Im tagtäglichen Ge-
brauch sehen wir das, womit wir umgehen, gar

209
stimmte Dinge und nicht etwa als Kunstwerke. Es Sinne des Noch-einmal, sondern es sind fünf
geschieht also eine Distanzierung, die aber nicht Variationen über das Thema Handsäge.
zur Entfremdung führt (auf diese Möglichkeit
kommen wir gleich zurück). Der Eisschrank er- In der 2. Darstellung wird die Säge als der konkrete
scheint als Eisschrank, den ich aber nun betrachte, Gebrauchsgegenstand selbst auf das Bild fixiert, die
über dessen Aussehen ich tnir Rechenschaft gebe. fünf anderen Darstellungen sind Abwandlungen
Das danebenstehende Telephon wird auch zu in der bildnerischen Darstellungsmöglichkeit. Zu-
einem Gegenstand des Betrachtens. Sonst bin ich erst die Zeichnung einer alten Säge, die einen
doch immer bei der Person, mit der ich spreche und großen Teil ihrer Zähne verloren bzw. verbogen
nicht beim Aussehen des Telephons, ja ich sehe es, hat, die nächste Variation zeigt die intakte Säge
betrachte es faktisch so gut wie gar nicht. Wenn ich mit anderer Farbe des Griffes und anderem Hinter-
es genau schildern müßte, käme ich in Verlegen- grund; die folgende gibt einen andern Griff und
heit. Das Gleiche gilt von den anderen Gegenstän- die Säge selbst gezeichnet, wobei auf die Zeichnung
den dieses Bildes. Wir erfahren hier die Möglich- Gewicht gelegt wird und nicht auf den Gegen-
keit, Gegenstände aus unserer Umwelt möglichst stand; die nächste Variation gibt den gleichen
unverändert zu übernehmen, wobei sie doch nicht Griff wie bei der konkreten Säge und den Rest als
als Gebrauchsgegenstände fungieren, weil das Schwarz-Weiß-Zeichnung; schließlich die gleiche
Gewicht vom Gebrauch auf das bloße Betrachten Säge, mit schwarzem Griff, in anderer Wendung
verlegt wurde. und auf getöntem Hintergrund.

Diese Weise des Sehens kann dazu führen, daß wir Man kann sagen, es handle sich hier einfach um
zu unserer Umgebung ein kritischeres Verhältnis eine Spielerei, aber hätte es für eine Spielerei nicht
bekommen, denn das gewöhnlich Nicht-gesehene genügt, einfach fünf dingliche Sägen aufzumontie-
wird nun zum Gegenstand des Sehens, es muß ren? Es ist wohl ein Spielen, aber ein Spielen, bei
einem neuen Kriterium standhalten. Kitsch kann dem das, was gerade über Wesselmann gesagt
z. B. nicht mehr durch Übersehen entschuldigt wurde, konsequenter durchgeführt wird. Wir
werden, sondern wirkt jetzt, wo die unmittelbare smd gezwungen, den Gegenstand aus seiner Ge-
Dienlichkeitsfunktion in Klammern gesetzt wurde, brauchswelt herauszulösen und daraufhin anzu-
abstoßend oder lächerlich. sehen, was ihm an Formmöglichkeiten zukommt,
indem verschiedene Darstellungsweisen vorgeführt
Bei dieser Art der Darstellung, durch die unmittel- werden.
bare Präsenz der Dinge, ereignet sich also doch
eine Wandlung im Bezug zu den Dingen: sie Das Spielerische ist die Variation - zugleich ge-
werden uns fern gerückt (Ausschalten des Ge- langen wir durch dieses Spielerische zum Sehen.
brauchs) und zugleich besonders nahe gebracht, Wir sind gezwungen, die Variationen nachzuvoll-
da wir uns ihnen nun aus der Perspektive des bloßen ziehen, wir gelangen so zum bildnerischen Sehen,
Betrachtens stellen müssen. Es ist also keine pure wie ein Gegenstand sich abwandelt, je nach der
Repetition, die diese Art der Darstellung vollzieht, Darstellungsweise. Abgesehen von der ersten Säge,
sondern sie fordert uns heraus, einmal auf unsere die gerade die alte ist, die abgenützte, sind die
unmittelbare Umgebung eigens zu blicken und sie anderen alle in Bezug auf den Gegenstand iden-
einer Prüfung zu unterziehen. Wir sollen nicht nur tisch, aber nicht identisch hinsichtlich der Dar-
in unserer Lebenswelt leben, wir sollen zu Gesicht stellungsmöglichkeit. So lernen wir auch die
bekommen, was sie ausfüllt, und wir sollen auf konkrete Säge sehen und fassen sie nicht bloß
dies Aussehen reflektieren. als Ding zum Schneiden auf. Gerade das Ab-
sehen vom Farbmoment - die »reale« Säge ist
In derselben Richtung liegt die Ding-Darstellung ja die farbigste - führt uns zu einem Auffassen
von Jim Dine. Als Beispiel sei das Bild »6 große des Form-Momentes. Wir verlassen bei dieser Dar-
Sägen« analysiert. Während tm Beispiel von Wessel- stellung unsere Lebenswelt nicht - entdecken aber
mann eine Gruppe von Gegenständen, die zu- neue Sichtweisen, die uns bis dahin vorborgen ge-
sammengehören, aus einer Umwelteinheit (Wohn- blieben waren. Wir entdecken, daß wir nicht in
küche) gelöst wurde, aber so, daß auf diese Einheit eine andere, künstliche Welt übersiedeln müssen,
verwiesen wird, isoliert Dine einen einzigen Gegen- um Formen zu finden, die sich zu betrachten lohnt.
stand und bringt lhn in verschiedenen Variationen. Bei Klaphek treffen wir auch auf vertraute Gegen-
Man kann sofort fragen, was für einen Sinn hat stände - allerdings des technischen Alltags. Gegen-
diese Repetition? Aber es ist keine Repetition im stände, die zu unserer technischen Zivilisation ge-

210
nen. Um den Kontakt mit ihnen zu »vermensch-
lichen« (im Grunde wird ja der Mensch hier von
der Maschine bestimmt, unterwirft sich ihr, nur
so kann er sie richtig gebrauchen), wird die
maschinelle Welt personifiziert. Je weniger mensch-
liche Bezüge gelten, desto mehr werden Maschinen
zum Schein vermenschlicht. Bei dem Bild »Dik-
tator« kommt etwas Unheimliches, Drohendes
zum Vorschein. Die glatten Flächen der Maschine,
durch die sie von der Außenwelt abgeschirmt wird,
haben hier einen abweisenden Charakter, deuten
auf etwas Verborgenes, dem man preisgegeben ist,
ohne es durchschauen zu können. Vertrautes wird
plötzlich befremdlich. Der aus der Maschine
herausreichende Hebel wirkt angsterregend. Hier
stoßen wir auf einen Zug, der schon an der Grenze
Abb. 13 der Pop-Kunst steht, bzw. über die Pop-Kunst
hinausweist.

hören: die Schreibmaschine (Abb. 13), die Rechen- Eine andere Möglichkeit des Präsentierens der
maschine, die Nähmaschine u. ä. Die Darstellungs- Gegenstände unserer Umwelt wird uns von Claes
weise ist sehr sorgfältig. Es findet eine doppelte Oldenburg demonstriert, ja bei ihm haben wir
Verwandlung statt, einmal zwischen Original- gleich mehrere Variationen der Darstellbarkeit.
gegenstand und Wiedergabe und dann zwischen
Dargestelltem und seiner Benennung. Beginnen wir mit der Darstellung der Speisen, die
dem Durchschnittsamerikaner am vertrautesten
Die Darstellung des Gegenstandes ist verein- sind, wobei die verschiedenen Arten von belegten
fachend. Die Tendenz zur Findung einer sachlichen, Brötchen (Hamburger u. ä.) bevorzugt werden.
einheitlichen, ja ganzheitlichen Form dominiert. Diese Speisen werden möglichst plastisch re-
Ähnliche Farbgebung zeigt die Tendenz auf Ein- produziert, also nicht auf die zweidimensionale
heitlichkeit. Jeder Gegenstand weist eine bestimmte Ebene übertragen, sondern dreidimensional prä-
Grundfarbe auf, die zufällige Beleuchtung und die sentiert. Das Entscheidende dabei ist ihre provo-
daraus entstehenden Effekte sind ausgeklammert. zierende Vergrößerung — ein Brötchen wächst bis
Wir könnten sagen, eine gewisse technische Ideali- zur Größe eines Menschen. Was soll dadurch
sierung finde statt. Die maschinellen Gegenstände erreicht werden? Sagten wir bei Dine, daß er nach
erhalten eine rationale, funktionale und zugleich dem Aufweis der ästhetischen Gestalt der Alltags-
ästhetische Form. Sie weisen keine Gebrauchs- gegenstände strebt - was trotz aller Verschieden-
spuren auf, auch die weitere Umgebung1, zu der sie heit auch bei Klaphek nachweisbar ist - so werden
gehören, ist ausgeschaltet. Wir haben eine zeit- wir bei Oldenburg durch die makroskopisierende
enthobene Darstellung, die geradezu platonisie- Darstellung auf das gestoßen, was uns immer um-
rend ist. Wenn der Ort, an dem die Gegenstände gibt und was wir gerade deswegen kaum noch
stehen, nicht näher gekennzeichnet ist, so könnte perzipieren. Aber jetzt ist es keine ästhetische
man darauf schließen, daß hier die Maschine Ort Funktion, die freigelegt werden soll, sondern es
und Raum bestimmt. kommt auf den Akt der Entlarvung an.

Die Benennung bringt ein neues Moment hmzu. Das kaum gesehene, in Eile hinuntergeschlungene
Die exakt-idealisierende Darstellung einer Schreib- Essen wird so aufgedunsen, daß wir uns an ihm
maschine wird »Supermann« (1962) betitelt, eine stoßen müssen. Es wird unverzehrbar, unverdau-
andere mit überdimensioniertem Wagen »Athleti- lich, unbekömmlich. Es erhält einen künstlichen
sches Selbstbildnis« (1958), eine andere »Andacht« Charakter, besonders wenn die Farben noch aus-
(1959), Nähmaschinen »Soldatenbräute« (1967), drücklich grell werden, wie bei der »dänischen
eine Säge »Die Scheidung«, eine phantastische Pastete«. Wir haben also einen Prozeß der Heran-
Rechenmaschine »Diktator« (1967). Wir stoßen führung und zugleich der Verfremdung. Der
auf ein Moment der Ironie, die zugleich ent- Charakter des Appetitlichen, der jeder Speise zu-
hüllend ist. In dieser Welt bestimmen die Maschi- kommen sollte, geht verloren, ja er kann sogar um-

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schlagen ins Ekelerregende. Wir müssen sehen,
was wir sonst nicht für ansehenswert hielten. Dabei
werden wir aber nicht an es gefesselt, sondern ab-
gestoßen. Anders ausgedrückt: Wir werden so sehr
mit der Nase auf unseren Teller gestoßen, daß die
Speise, die da ist, uns plötzlich nicht mehr genieß-
bar erscheint, aber wir kommen auch nicht von ihr
los. Wir müssen versuchen, sie als Kunstobjekt zu
betrachten, aber dafür ist sie zu vulgär und zu sehr
an ihre vergängliche Funktion gebunden.

Diese Tendenz der Vergegenständlichung ist


meiner Auffassung nach ausgesprochen entlarvend.
Wir sollen durch die Popkunst etwas aus seinem
ursprünglichen Lebenswelt-Bezug herauslösen, um
uns ihm dann besser stellen zu können. Wir sollen
uns Rechenschaft geben, wie un-appetitlich das ist,
was wir tagtäglich hinunterschlingen. Nicht- oder
Kaum-Gesehenes wird plötzlich überdimensional
unübersehbar. Speise verwandelt sich in einen
Gegenstand, dargestellt durch Holz, Kunststoff, Abb. 14
Tuch: alles ungenießbare Materien. Denn zu dieser
Darstellungsweise gehört, daß das verwendete
Material als solches eigens in Erscheinung tritt.
Der Prozeß des beinahe automatischen Verzehrens makroskopische Sehen mit der Auflösung der
wird plötzlich gehemmt. Die gewöhnliche Umwelt festen Form, z. B. beim »Giant soft swedish light
wird nicht mehr fraglos hingenommen. Mir scheint switch« (966, Abb. 14), er zwingt uns dadurch zum
bei dieser Darstellungsweise der Gegenstände und genauen Hinsehen. Gerade ein Gegenstand wie ein
bei dieser Auswahl das Moment der inhärenten Lichtschalter wird zwar ständig gebraucht, aber
Kritik das Ausschlaggebende zu sein. geradezu »blind«, ohne angesehen zu werden. Viel-
leicht steht hinter diesem Versuch der Darstellung
Bei Oldenburg folgt dieser Darstellungsmöglich- von Gegenständen aus unserer Alltagsumwelt die
keit eine andere, idealisierende, aber auch nicht Absicht, das Erstarrte, ja die Gefahr der Erstarrung
kritiklose Darstellung des modernen Wohnstils, und Uniformierung sichtbar zu machen.
als Beispiel sei »Bedroom« (1963) angeführt. Das
übergepflegte Moderne des Schlafzimmers wirkt
geradezu penetrant. War zuvor der kleine Durch-
schnittsbürger angesprochen, so ist es hier der
Wohlhabende und auf seine Wohlhabenheit Stolze.
Der Aufdeckung der Vulgarität folgt die Auf-
deckung der neureichen »Gepflegtheit«, ja des Die zwischenmenschlichen Beziehungen
Angeberischen.

Danach schafft sich Oldenburg wiederum eine Dieser Versuch einer Wesensbestimmung der Pop-
neue Darstellungsmöglichkeit durch die Weich- Kunst als Kunst der Lebenswelt sei abgeschlossen
Gegenstände. Die Verfremdung geschieht hier mit einem Hinweis auf die zwischenmenschlichen
durch die Reproduktion bestimmter Gegenstände, Beziehungen und das Moment der Aktualität.
die ihrer Bestimmung nach aus festem Material
bestehen müssen, in verformbarem Material (Lei- Das Leben kann nicht als lineares Aneinander-
nen, Stoff, Kapok u. a.). Es wird vom Betrachter reihen von Jetztpunkten verstanden werden. Wir
erwartet, daß er diese Gegenstände berührt und befinden uns vielmehr jeweils in bestimmten
durch die Berührung neue Formen erzeugt. So Situationen. Eine Verflechtung und ein Sich-
sehen wir die Gegenstände als eine bestimmte zusammenschließen dieser Situationen bildet eine
Möglichkeit unter einer Vielfalt von Möglich- Einheit, die durchaus widersprüchlich sein kann
keiten. Gelegentlich kombiniert Oldenburg das und die wir Leben nennen, wobei der Entwurfs-

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charakter oder das Wählenkönnen von Möglich- Gipsabgüssen lebender Personen gewonnen. Man
keiten genauso dazu gehört wie das Verkraften- kann sagen, diese Prozedur sei wenig künstlerisch,
müssen des faktisch Gegebenen, über das wir keine da es ja beinahe eine mechanische Übertragung ist,
Verfügungsgewalt haben. die vorgenommen wird. In der Tat ist das Element
des Künstlerischen hier auf eine ganz bestimmte
Die Bedeutung des Situationscharakters scheint Ebene verlagert. Künstlerisch ist das Auffinden
mir im Mittelpunkt der Pop-Kunst von Segal zu der sprechenden Situation und ihre Darstellung mit
stehen. Er stellt nicht dar, was die Menschen als einem Mindestmaß an Mitteln; genauer gesagt,
Gegenüber haben, die Gegen-stände, mit denen sie durch die Haltung der beteiligten Person ist nicht
umgehen, auf die sie tagtäglich treffen, sondern den nur die Person selbst präsent, sondern zugleich die
Menschen selbst in typischen Situationen, und ganze gelebte Situation. Und in der Situation
zwar Alltagssituationen. Wir verlassen also keines- spiegelt sich nicht nur das Leben dieser bestimmten
wegs den Bereich der Lebenswelt, sondern sind Person, sondern zugleich ihr Bezug zu den Mit-
vielmehr ganz explizit in ihn versetzt. Im Grunde menschen. Was an Gesten, Bewegungen, Haltun-
genommen können wir die Gegenstände, die ge- gen wirklich sprechend ist, zu sehen und dann zu
wöhnlich dargestellt werden, nur verstehen, weil isolieren und reproduzieren, das ist die eigentliche
wir sie immer schon im Zusammenhang mit einer Tat - alles übrige steht im Dienste dieses Fundes,
Situation gelebt haben, d. h. mit ihnen umgegangen dieser Einsicht.
sind. Die Isolierung der Gegenstände ist immer nur
eine Scheinisolierung, im Hintergrund ist das In »Motel« ist die ganze Atmosphäre des »Seiten-
Wissen um die zugehörige Situation präsent. Segal sprungs« präsent, vom Erregenden bis zum Depri-
geht es um diese Situation. mierenden, lm »Cafe« (Abb. 15) die Trennung und
Isoliertheit, die Stimmung des Wartens auf eine
Im Mittelpunkt steht der Mensch, das Wesen, für Erfüllung, die nicht eintritt, in »The Dry Cleaning
das es allein so etwas wie Situationen geben kann. Store« (1964) die typische Geste, die die Tätigkeit
Seine Gestalten werden durch Übertragung von der Angestellten festhält, die vielen Utensilien sind

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eigentlich überflüssig, in der gebückten Geste der Die versuchte Erläuterung eines begrenzten künst-
Schreibenden ist der ganze Prozeß gesammelt, so lerischen Phänomens könnte - trotz ihrer Be-
wie in der Geste des Mädchens, das ihre Haare auf- schränktheit - nicht überflüssig sein, wenn sich
steckt »Girl putting up her hair« (Abb.16), nicht dabei gezeigt haben sollte, daß ein Zugang von der
nur das ganze Zimmer gegenwärtig ist, ohne daß Philosophie zur Kunst und eine Rückkehr von der
es eigens gezeigt werden müßte, sondern eine be- Kunst Zur Philosophie möglich ist, weil in der
stimmte Phase des Lebens. Kunst selbst letzten Endes Philosophisches am
Werk ist.
Nun könnte man sagen, um Situationen sei es auch
Roy Lichtenstein zu tun. Seine Mädchen-Bilder
geben typische Situationen wieder. Aber bei
Lichtenstein ist - wie wir sahen - etwas von Back-
A.bb. 16
fischhaftigkeit als Hintergrund, etwas schwärme-
risch Illusionshaftes, etwas Tagträumerisches, das
ist bei Segal ganz geschwunden. Im Fragment ist
das Ganze präsent und dieses Ganze ist ganz
nüchtern und sachlich gesehen. Die Lebenswelt ist
hier wirklich die gelebte Welt des Durchschnitts-
menschen und nicht die Phantasie der Lebenswelt.
Segal liebt ausdrücklich die Durchschnittsgeste,
die Durchschnittssituation, wir könnten sagen, die
Desillusionierung. Die Frau ist nicht das idealisierte,
anbetungswürdige Geschöpf, sondern die Person,
die sich z. B. im Waschbecken lästig die Füße
wäscht, und der Mann kein verherrlichtes Indivi-
duum, sondern der müde Busfahrer oder der ge-
drückt Daherschreitende. Ich möchte sagen, die
Quintessenz dieser Kunst läßt sich auf die Formel
bringen: Was wir selbst leben, sollen wir nicht nur
leben, sondern eigens erfassen und es uns so ein-
sichtig machen.

Zu den zwischenmenschlichen Beziehungen ge-


hört auch die politische Aussage, die Stellung-
nahme zu politischen Ereignissen. Es sei hier auf
Rauschenberg verwiesen, der häufig aktuelle Ge-
schehnisse in seine Bilder einarbeitet, und auf
Vostell, der pronunziert politisch ist in seinen
Bildern. Die Funktion dieser Aussage hat die schon
herausgestellte Bedeutung der Hinführung zur
Reflexion, des Durchbrechens des Sich-treiben-
lassens im politischen Bereich. Dadurch unter-
scheidet sie sich deutlich von der bloß propagandi-
stischen Handhabung politischer Thesen, wie sie
aus dem sogenannten sozialistischen Realismus
zum Überdruß bekannt ist.

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