Sie sind auf Seite 1von 7

DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE : EINE EINFÜHRUNG

4.7 1 Der interkulturelle Ansatz

Der Blick der lernenden auf den deutschsprachigen Raum

Überall da, wo sich der kommunikative Ansatz ausschließlich oder überwiegend auf
den Alltag im deutschsprachigen Raum beschränkte, wurde eine Reduktion
vorgenommen, die eigentlich nur für eine bestimmte Zielgruppe sinnvoll ist: für die
Personen, die in nächster Zeit in den deutschsprachigen Raum reisen. Und auch
für diese Personen gilt, dass das Leben im deutschsprachigen Raum nicht nur aus
dem Lösen von Fahrkarten am Fahrkartenautomaten und aus Einkaufen besteht,
sondern auch aus Gesprächen mit Bewohnern des deutschsprachigen Raums. Und
diese wollen von den lernenden vielleicht wissen, wie es in ihrem Land aussieht,
was die lernenden vom deutschsprachigen Raum halten, welche kulturellen
Ereignisse sie besonders gern besuchen usw.
Versprachlichung des Eigenen : Die Fähigkeit, über Eigenes sprechen zu
können, wird noch wichtiger, wenn nicht der Aufenthalt im deutschsprachigen
Raum, sondern die Kommunikation mit Sprechern des Deutschen im
eigensprachlichen Raum für die lernenden im Vordergrund steht. Egal ob
Touristen, Freunde oder Wirtschaftskontakte, beim Gespräch mit diesen Personen
ist es für die lernenden wichtig, dass sie ihre eigene Welt, die Unterschiede zur
deutschsprachigen Welt und die unterschiedlichen Einschätzungen, die mit
bestimmten Verhaltensweisen verbunden sind, thematisieren können. Genereller
gesagt: Über die Bewältigung des kommunikativen Alltags des zielsprachigen
Raums hinaus ist es für den Fremdsprachenunterricht also notwendig, sich damit
auseinanderzusetzen, dass die lernenden aus einem anderen Teil der Welt
kommen und einen eigenen Blick auf Phänomene und Ereignisse des
zielsprachigen Raums mitbringen.
Der interkulturelle Ansatz, der sich zum Teil innerhalb des kommunikativen
Ansatzes, zum Teil aber auch in der Auseinandersetzung mit ihm entwickelte,
versucht diese Defizite auszugleichen. Er entstand nicht im luftleeren Raum ; die
linguistische Weiterentwicklung der (kulturellen) Pragmatik stand ebenso Pate wie
eine sich in der Welt verstärkende Migrationssituation, die u. a. auch zur Forderung
DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE : EINE EINFÜHRUNG

nach interkulturellem Lernen führte.

Definition

interkulturelle Ansatz nimmt die Interaktion von Eigenem und


Fremdem und damit den Blick des lernenden auf die deutsche Sprache und
Kultur als Ausgangspunkt seiner didaktischen Überlegungen. Die Fertigkeiten
Lesen und Schreiben, ästhetische Texte und generell ein stärker reflektierender
und vergleichender Umgang mit Sprache und Kultur spielen im Gegensatz zu
den stärker alltagsorientierten Ansätzen wieder eine wichtige Rolle.

Dialog von Eigenem und Fremdem: Die grundlegende Idee des interkulturellen
Ansatzes war es, das Eigene und das Fremde miteinander ins Gespräch zu
bringen, also nicht nur zu lernen, wie man sich als Fisch im Wasser in der
Zielsprache und Zielkultur bewegt, sondern zu akzeptieren, dass lernende mit
eigenen Erfahrungen und Wertvorstellungen, mit einer eigenen Mehrsprachigkeit
und unterschiedlichen Sprachlernerfahrungen in den Lernprozess einsteigen.
Daher war der interkulturelle Ansatz mit generellen Zielen wie
Völkerverständigung verbunden und hatte allgemeine Lernziele wie die
Sensibilisierung der lernenden für Unterschiede zwischen Kulturen, den Abbau
von Vorurteilen und die Entwicklung von Toleranzfähigkeit.
Prototypische Lehrwerke? In die Gründerzeit des interkulturellen Ansatzes
gehören zwei Lehrwerke. Auf der Ebene der Anfänger, heute würde man sagen,
auf den Niveaustufen A 1 bis B 1, versuchte das Lehrwerk Sprachbrücke durch die
Konstruktion eines fiktionalen Landes »Lilaland« und der Reise der deutschen
Familie Klinger in dieses fiktionale Land den lernenden die Möglichkeit zu geben,
ihre jeweils eigene Position gegenüber dem Deutschen zu versprachlichen und mit
deutschen Wahrnehmungen des Anderen konfrontiert zu werden. Sprachbrücke ist
ein einsprachiges Lehrwerk, es kann also die jeweiligen kulturellen Kontraste im
Lehrwerk nicht abbilden, sondern entwickelt auf der Ebene des fiktionalen Landes
prototypische Situationen, die Raum für die Versprachlichung des Eigenen und die
DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE: EINE EINFÜHRUNG

Reaktion auf das Fremde lassen.


Für fortgeschrittenere lernende entstand das Lehrwerk Sichtwechsel, ein
ebenso programmatischer Name wie Sprachbrücke, das sich die Sensibilisierung
der lernenden für die Unterschiede zwischen den Kulturen auf die Fahnen
geschrieben hatte. Die in Kapitel 5.2.1 abgebildeten und diskutierten Aufgaben aus
Sichtwechsel zeigen, wie weitgehend sich dieses Lehrwerk auf die Beschäftigung
mit Wahrnehmungsprozessen eingelassen hat und wie stark es dadurch von den
traditionellen Vorstellungen, mit welchen deutschlandkundlichen Themen sich ein
Lehrwerk befassen sollte, abweicht.
Kosten interkulturelle Vorgehensweisen zu viel Zeit? Beide Lehrwerke
wurden sehr kontrovers diskutiert. Einer der Hauptvorwürfe war, dass mit dem
interkulturellen Lernen sehr viel Zeit für die Umsetzung von Lernzielen, die der
Menschenbildung allgemein zuzuordnen seien, verwendet werde, die der
Fremdsprachenunterricht doch eigentlich gar nicht habe, weil er sich um
Kernbereiche wie Wortschatz, Aussprache, Grammatik oder Landeskunde
kümmern müsse. Wer z. B. bei der Wortschatzvermittlung davon ausgeht, dass
man hauptsächlich mit 1:1-Entsprechungen von Ausgangssprache und Zielsprache
arbeiten könne (s. genauer Kap. 8.5), für den war der Aufwand zu groß, den ein
Lehrwerk wie Sprachbrücke trieb, um lexikalische Einheiten wie ,mein Freund,, ,ein
Freund von mir,, ,ein Bekannter, usw. zu vermitteln und um die lernenden für die
möglichen Unterschiede des Ausdrucks von Nähe und Distanz zu sensibilisieren.

c..1 er Freund im Wörtersee

Ab und zu mache ich zusammen mit einem Freund eine Radtour. Mein Freund findet das
völlig in Ordnung. Aber ein Bekannter von mir hat sich neulich fürchterlich darüber
aufgeregt, daß ich mit einem Freund von mir unterwegs bin , während mein Freund zu
Hause bleibt. Mein Freu nd, das ist der Mann, mit dem ich zusammenlebe. Der Freund von
mir, das ist ein Mann , mit dem ich höchstens zusammen radfahre . Und der Bekannte, mit
dem würde ich nicht mal radfahren. Den kenn ich halt, ich kann auch nichts dafür.
Eva Witte
Aufgaben
DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE : EINE EINFÜHRUNG

1. a) Schreiben Sie, bitte die Wörter heraus, die eine


Beziehung zwischen Menschen bezeichnen!
Beispel: ein Freund

b) Bringen Sie bitte diese Wörter in eine Reihenfolge!

2. Suchen Sie bitte in Ihrer Sprache die passenden Wörter für Freund.
Bekannter usw.! Gibt es für alle deutschen Ausdrücke passende
Wörter in Ihrer Sparehe?

3. Gibt es in lher Sprache Begriffe, für die es im Deutschen Keine direkte


Übersetzung gibt ?

Abb. 11 : Interkulturelle Wortschatzverm ittlung (aus/nach Mebus u . a. 1989, S. 102)

Abbildung 11 zeigt ein derartiges Vorgehen. Dass eine Sprecherin mit einem
Mann, den sie kennt, zusammen Fahrrad fährt und sowohl sie als auch ihr Freund
das völlig in Ordnung finden, ist etwas, was in einigen Ausgangskulturen anders
bewertet wird . Wenn man nur 1:1-Entsprechungen in der Ausgangssprache für die
deutschen Wörter ,Freund, und ,Bekannter, sucht, hat man zwar auch Wörter
g9lernt, aber zumindest nach den Vorstellungen des interkulturellen Ansatzes ein
wichtiges Moment des Deutschlernens verpasst.
Es würde sicher zu viel der normalerweise für das Fremdsprachenlernen zur
Verfügung stehenden Zeit absorbieren, wenn jedes neue Wort auf diese Weise
eingeführt würde. Für viele Wörter wird dies nicht notwendig sein, bei manchen, bei
denen es sicher auch sinnvoll wäre, wird im Unterricht nicht genug Zeit dafür zur
Verfügung stehen. Aber der Fremdsprachenunterricht muss an einzelnen Stellen
exemplarisch zeigen, so die interkulturelle Grundannahme, wie wichtig es ist, die
Wahrnehmungen und Werte der lernenden und die zielkulturellen
DEUTSCH ALS FREM DSPRACHE : EINE EINFÜHRUNG

Normvorstellungen miteinander ins Gespräch zu bringen, z. B. können


exemplarisch Aufgaben gestellt werden , bei denen die Unterschiedlichkeit der
Aufteilung eines Wortfeldes oder unterschiedliche Konnotationen von Konzepten
wie Freundschaft oder generell Nähe und Distanz oder Freiheit diskutiert werden .
Überflüssiges Konzept? Diese Diskussion um den Sinn und Unsinn des
interkulturellen Lernens als Teil des Fremdsprachenunterrichts spiegelt sich auf der
theoretischen Ebene wider in dem Artikel von Edmondson/House (1998), die
versuchen, das interkulturelle Lernen als Konzept aus der
frem dsprachendidaktischen Diskussion als überflüssig zu verbannen: Lernziele wie
fried liches Zusammenleben seien nicht konkret und auch nicht
fremdsprachenspezifisch genug - es gäbe keine besonderen interkulturellen
Lernstrategien oder psycholinguistischen Prozesse, die sich von anderen
fremdsprachlichen Lernprozessen unterscheiden. Hu (1999) hat diese Position
ebenfalls kritisiert und an Beispielen gezeigt, dass keinesfalls jede
fremdsprachliche Interaktion auch interkulturell ist.
Interkulturelles Lernen und Bildung : Man kann durchaus geteilter Meinung
darüber sein, inwieweit die häufig zitierte Empathiefähigkeit, die Neugier auf
andere Kulturen sowie die Fähigkeit, andere Meinungen zuzulassen und fremde
Kultur wertzuschätzen, Überhöhungen des Auftrags des Fremdsprachenunterrichts
sind und wie weit sie nicht Teil eines fächerübergreifenden allgemeinbildenden
Konzeptes sind. Aber da auch Fremdsprachenunterricht Teil der Menschenbildung
ist und hier eine besondere Rolle spielen kann, kann man zumindest akzeptieren,
dass es Teil der interkulturellen Fremdsprachendidaktik sein muss, sich mit der
h ;nführung zu Empathiefähigkeit usw. auseinanderzusetzen (s. dazu ausführlicher
Kap. 9.3.3).
(Zu starker) Fokus auf Landeskunde? Die Entwicklung der
Landeskundediskussion wird oft in drei Phasen beschrieben:
kognitive Vermittlung bzw. Realienkunde, die mit der GÜM einhergeht,
Alltagskunde, die zum kommunikativen Ansatz passt, und
interkulturelle Landeskunde (s. dazu ausführlich Kap. 9.3).

Das Interessante am interkulturellen Vorgehen bei der Landeskundevermittlung ist


DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE : EINE EINFÜHRUNG

nun, dass dieses kein Gegensatz zu dem stärker deklaratives Wissen


vermittelnden kognitiven Vorgehen ist, sondern dass es dieses umfasst und
darü ber hinausgeht. Dies wird in Kapitel 9.3.3 ausführlich behandelt werden.
Die Beschäftigung mit landeskundlichen Aspekten ist im interkulturellen Ansatz
häufig so stark in den Vordergrund getreten, dass man der Auffassung sein konnte,
er beschränkte sich auf diese. Ein Ernstnehmen der Perspektive der lernenden
kann sich jedoch nicht nur auf landeskundliche Elemente beschränken, sie muss
auch deren Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache und ihren
Sprachlernprozessen umfassen (vgl. Rösler 1993).
Herausforderung - Umgang mit Stereotypen: Die Hervorhebung der
Auseinandersetzung mit Eigenem und Fremdem führt dazu, dass die
Beschäftigung mit Mentalitäten und Stereotypen im interkulturellen Ansatz zum
ersten Mal eine große Rolle spielt. Dies ist eine große Herausforderung, denn bei
einer interkulturellen Grundkonzeption ist es unbedingt notwendig, sich mit den
Bildern der zielkulturellen Region in den Köpfen der lernenden, mit den Bildern, die
in der zielkulturellen Region von der Kultur der lernenden bestehen, und mit deren
Wechselwirkungen zu beschäftigen (zum Umgang mit nationalen Stereotypen s.
ausführlicher Kap . 9.5). Dabei sind jedoch drei mögliche Gefahren zu beachten:
die Gefahr, dass die Heterogenität von Welt durch die Beschäftigung mit
gruppenspezifischen Bildern aus den Augen verloren wird,
die Gefahr, dass man sich statt mit Stereotypen als Konstrukten mit ihrem
vermeintlichen Wahrheitswert beschäftigt, und
die Gefahr, dass ein unangemessenes Vorgehen zur Verstärkung von
Stereotypen beiträgt.

Einordnung : Die interkulturelle Orientierung der 1980er Jahre hat die


Fremdsprachendiskussion um die Einsicht erweitert, dass die lernenden nicht
einfach die zielsprachliche Kommunikation einüben, sondern dass sie als Personen
mit eigenen Verhaltensweisen und Wertesystemen an den neuen kulturellen
Kontext und die neue Sprache herangehen. Das ist nicht nur für die intellektuelle
Auseinandersetzung mit dem deutschsprachigen Raum von Bedeutung, sondern
kann auch Konsequenzen für den Sprachlernprozess haben. Trotzdem ist das
DEUTSC H ALS FR EM DSPR AC HE : EINE EINFÜHRUN G

Gegenargument der ,Zeitverschwendung, ernstzunehmen: So wie die


kommunikative Orientierung dazu geführt hat, dass bestimmte Arbeiten an
Formaspekten in verschiedenen Kontexten an den Rand gedrängt und nicht
ausreichend behandelt wurden, so muss sich auch das interkulturelle Vorgehen
fragen lassen, welche Aspekte des Fremdsprachenlernens durch die Erweiterung
des Gegenstandes an den Rand gedrängt werden oder zu kurz kommen, da ja die
Zeit im Unterricht und der Platz in Lehrwerken nicht beliebig ausgedehnt werden
können.

4.8 1 Aufgabenorientierung als Kernkonzept des


Fremdsprachenunterrichts

Aufgaben für den kommunikativen Unterricht

In der GÜM und im audiolingualen Ansatz wurde viel geübt: Lücken wurden gefüllt,
Sätze umgeformt, Muster nachgesprochen usw. Überwiegend wurden sprachliche
Formen geübt, meistens gab es eine richtige Lösung, eigene inhaltliche Beiträge
seitens der lernenden waren nicht erwünscht, sie hätten eher von den
Bemühungen um die richtige Form abgelenkt. Im kommunikativen und im
interkulturellen Ansatz wurde weitaus mehr Wert darauf gelegt, dass die lernenden
auch eine Art inhaltlichen Input leisten.
Im Gegensatz zu den geschlossenen Formübungen der vorhergehenden
Ansätze spielen offene Aufgabenstellungen, die es den lernenden erlauben, sich
mitzuteilen, eine größere Rolle. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass auf der
Ebene der Übungen und Aufgaben große Unterschiede zwischen den Ansätzen
vorliegen (zur Unterscheidung von Übungen und Aufgaben s. Kap. 5.2.1) und dass
die Aufgabenorientierung seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zu einem
der einflussreichsten Konzepte geworden ist (vgl. Müller-Hartmann/Schocker-von
Ditfurth 2005; Wicke 2012) .

Definition

Das könnte Ihnen auch gefallen