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Einführung in die theoretischen und methodologischen Grundlagen

der Ethnohistorie
1. Einheit Karl Wernhart, Werner Zips;
“Einführung in die theoretischen und methodologischen Grundlagen der Ethnohistorie”
• Konzept der Ethnohistorie und Kulturgeschichte
o historische Dimension ist wichtig
o an jüngerer Geschichte von Gesellschaften interessiert
o interpretativer Zugang durch schriftliche Quellen, Bildquellen, kommunikative Forschungsmethoden etc.
o Seit „Entdeckungen“ Europas vor allem europäische Quellen
▪ daher: Quellen- und Ideologiekritik
o Feldforschung, diskursanalytische Verfahren, kritische Hermeneutik
o Dynamik geschichtlicher Prozesse anhand der Praktiken der Subjekte untersuchen
o soziales Handeln von Subjekten einbeziehen, denn Kulturveränderungen werden nicht als losgelöste
Phänomene betrachtet
• Diskussion von Theorieansätzen
o Krise der SOWI
▪ nicht mehr ethnologische Monographien über „Andere“
o ungleiche Machtverhältnisse zwischen Subjekten und Objekten
o Weg von „klassischer“ hegemonialer Praxis „die Anderen“ als schrift- und daher geschichtslose, primitive
Völker zu definieren
▪ Auffassung von Wissenschaft als sozialer Prozess hat zu besserem Verständnis geführt
o Gegen Annahme, Ethnolog:innen könnten „sich in die Anderen hineinversetzen“ und sie so beschreiben
(quasi übersetzen)
▪ Privilegierter Beobachter:innen-Standpunkt: jeweilige „Kultur“ unter einen Glassturz stellen um
von außen analysiert werden zu können
o 3 entscheidende Verkürzungen:
1. Soziale, ökonomische und politische Strukturen, Deuten und Handeln von Akteuren wird
ausgeblendet
2. Kommunikatives Handeln, symbolische Praktiken ignoriert, Handlungsfähigkeit und Anteil an
Veränderung sozialer Praxis nicht wahrgenommen
3. Kommunikative Erfahrungen nicht entsprechend anerkannt
o Intersubjektive Beziehungen entscheidend für Kommunikation
o Statt passivem Beobachten → Dialog, Beziehungen
o Kommunikatives Handeln mehr als Verständigung: Teilnahme an Interaktionen
o Handelnde Menschen führen wirtschaftliche, gesellschaftliche, politische, religiöse etc. Strukturen nicht
nur fort, sondern verändern diese auch
o Geschichtliche Prozesse in zeitlicher Dynamik rekonstruieren um der Veränderung Rechnung zu tragen
o Feministische Theorie
▪ Hypothese von Zustimmung Unterdrückter zur Unterdrückung
▪ AkteurInnen nicht ihre Handlungsfähigkeit absprechen
• Bedeutung kommunikativer Forschung für die EH
o lange Zeit visuelles Paradigma (Beobachten)
▪ Subjektivität der Beobachteten ignoriert
▪ Sorge um „Aussterben der Primitivkulturen“: eher Angst vor Unvollständigkeit von
Sammlungen
▪ Distanz
▪ Koepping: Angst vor Vertrautsein & Teilhabe haben zum Versuch der Eliminierung der
Subjektivität und vermeintlicher Objektivität geführt
▪ Archiv- und Bibliotheksarbeit nur Scheinlösung
▪ neben Bibliotheksstudien auch kommunikative Forschungsmethoden zentral
▪ Quellenkritik ermöglicht Kontextualisierung, aber verändert an vernachlässigter Subjektivität
der Beschriebenen wenig
▪ deshalb: diskursives Paradigma (postmoderne Wende)
• Subjektivität und Eigen-Sinn sozialer Akteure berücksichtigen
• Gleiche Beteiligung von Forschenden und Erforschten an Texten anerkennen: ohne
Erforschte keine Forschung
▪ Kompetentes Handeln, reflexiver und situationsbezogener Gebrauch von Wissenssystemen
▪ Statt völligem begrifflichen Erfassen der Anderen → selbstreflexive Haltung, Offenheit in
Begegnung, Respekt
▪ Bewusstwerdung über politische Bedingungen der Forschung
▪ Öffnung der Ethnologie für Vielstimmigkeit
▪ Vielzahl von Geschichten und nicht nur die eine Menschheitsgeschichte
▪ Unterschiedliche historische Erfahrungen, soziale Lage, Gender verschieben Perspektivität der
Akteure
▪ Informantinnen als Co-Autoren der Texte neutralisiert die Differenz nicht aber Umgestaltung
der einseitigen wissenschaftlichen Autorität
• Zielsetzung, Aufgaben, Ausblick
o alle sozialen Gruppen haben Geschichte
o Subjekte haben Geschichte mitgestaltet
o Spannungsverhältnis zwischen „eigener“ und „fremder“ Geschichte
o Nicht „Hexenglaube und Magie“ nach wissenschaftlich rationalen Maßstäben beurteilen (Habermaas)
o aber: sozial wichtige Begriffe entprovinzialisieren (Geertz)
o Gleichwertigkeit bei Verschiedenheit
o Erkenntnisinteresse: soziale und kulturelle Praxis von Akteuren im historischen Kontext
o Interviews, Quellenkritik, methodische Offenheit
1. Einheit Werner Zips;
“No Peace without Equal Rights and Justice”
• „Im Namen der Gerechtigkeit.“ → Gerechtigkeit wird nicht als Wert verstanden, sondern als Maßstab für
vernünftige Diskurse.
• Jürgen Habermas:
o „Anthropologie der Gerechtigkeit” – Diskurtheorie des Rechts und den darin behaupteten inneren
Zusammenhang von Recht und Gerechtigkeit.
o gibt westlicher Moderne den Vorrang
o übersieht dabei irrationale jahrhundertelange Gewaltverhältnisse
o eurozentrische Verzerrung des „wilden Denkens“, „mythisches Denken primitiver Völker“
o Geltungswürdigkeit von Recht beruht auf Legitimation durch rationalen, diskursiven Einigungsprozess
o sieht das „modernere“ westliche Modell zwar als unperfekt, hat aber keine bessere Option
• Transkulturelle Ethnohistorie:
o Interesse an rechtlichen Systemen, politischen Vorstellungen, governance im internationalen Vergleich
o Korrektur eurozentrischer politisch-rechtlicher Entwicklungsmodelle
o historische Monopolstellung Europas/Westen in Bezug auf Recht und Gerechtigkeit im 18. Jh. nicht
haltbar
o Evolutionistische Postulate (Gerechtigkeit als Errungenschaft der Aufklärung des Westens) zeigen
Herrschaftsansprüche
o Europäische Kolonialherrschaft → königliche Willkür (slave codes)
o Annahme, europäische Herrschafts- & Rechtsmodelle wären „gerechter“/„besser“ als vermeintlich
„primitive“ Modelle der Anderen
o evolutionistische Grundannahmen hinterfragen
o Eigennützige Ideologien (Beherrschung legitimieren)
• Karibische Geschichtsschreibung.
o ab 1492
o „Entdeckung der Neuen Welt“
o wenig materielle Zeugnisse
• Maroons in Jamaica:
o Maroons vermischten sich mit indigener Bevölkerung; entstammen meist von Ghana (Asante)
o entflohene Sklaven → schaffen Gegenwelt zu der systematischen Ungleichheit auf den Plantagen der
Weißen
o bewaffneter Guerillakrieg gegen GB → Friedensvertrag 1739 → „Staat im Staat“ → politische,
militärische Organisation sowie rechtliche Selbstkontrolle, weitgehend autonomen Gesellschaft bis heute
o strebten Demokratie nach dem westafrikanischen Vorbild, kommunikative Gerechtigkeit
• Stachelschwein
o wurden von kolonialer Seite als Widersacher der Sklaverei, „Menschen fressende Wilde“ bezeichnet und
eine Gefahr für die westliche Zivilisation
o tatsächlich wehrt sich das Stachelschwein nur wenn es angegriffen wird
o Stachelschwein als Symbol des Widerstands bei den Asante, Gemeinschaft auf dem damaligen
Staatsgebiet von Ghana;
o Tier, dass mit Pfeilen kämpft die Teil seines Körpers sind → natürliche Waffe; zur Verteidigung gegen
wesentlich größere und stärkere Aggressoren.
• Asante in Ghana:
o „Kämpfe vor Deinem Tod, wenn sich dieser nicht vermeiden lässt.“
o auch bei den Maroons
o Gerechtes urteilen durch unparteiliches Verfahren erhält Zusammenhang von Recht und Rechtfertigung
▪ Befangenheit (biasness) wird als unvereinbar mit den Rechtsprinzipien der Verfahren erachtet
▪ Verpflichtung zur Unparteilichkeit des Königs → Bedingung bei Entscheidungssuche
▪ Einhaltung des geltenden Rechts rücksichtslos
▪ Wenn erwiesen ist, dass das Gesetz unterschiedslos für alle gilt und „mit guten Ohren“
(unparteiisch) kann gesatztes Recht Geltung beanspruchen.
▪ Gerechtigkeit als Bedingung für gutes Regieren
▪ Recht muss für alle gelten, Gesetzgeber ist nicht ausgenommen
• Diskursive Gerechtigkeit:
o Verfahrensvorstellung von Gerechtigkeit, statt einseitiger autoritärer Gerechtigkeit
o zwangslose Einigung, Herstellung eines kommunikativen Konsenses
o Einbezug aller potentiell Involvierten und Legitimation durch deren Anerkennung
o rechtliche, politische Prozesse hinterfragen
o rational argumentierte, kritisierbare Geltungsansprüche
o Maroons eines von vielen Beispielen
▪ auf Gewinnmaximierung ausgelegte Zweckrationalität vs. auf Integration und
Interessensausgleich ausgelegte Rationalität
▪ Britisches Kolonialrecht bestimmt bis heute jamaikanisches Rechtssystem
• Conclusio: Historische Gerechtigkeit und Ethnohistorie
o institutionalisierte Doppelmoral in meisten bisherigen Machtverhältnissen
o Sklaverei, Kolonialismus, strukturelle Gewalt, Fremdbestimmung
o Deshalb: neuer Rechtsdiskurs auf Basis von Gerechtigkeit
o diskursive Verfahren, gleichberechtigte Selbstbestimmung aller Betroffenen
o UN-Sicherheitsrat hinterfragen (Vetorecht der 5 ständigen Mitglieder → USA, RUS, GB, FR, C)
▪ sind Kriterien diskursiver Gerechtigkeit nicht gegeben können Großmächte einfach „nein“
sagen
o Prozedurale Gerechtigkeit als Voraussetzung für „echten“ Frieden.
2. Einheit Werner Zips;
“Jamaican Version: The Good, the Bad, and the Ugly”
• Bourdieu:
o praxeologische Theorie:
▪ schafft Verbindung von Struktur und Praxis, Gesellschaft und Individuum, Objektivismus und
Subjektivismus, Geschichte und Gegenwart
o praxeologisches Forschungsinteresse:
▪ Frage warum Menschen miteinander und gegeneinander das tun, was sie tun
▪ unbewusstes Handeln verstehen
o Feld:
▪ Arena des sozialen Lebens
▪ nie abgesondert, sondern in Relation zu anderen Feldern
▪ Reggae nicht nur als Feld für sich sehen, sondern Handlungsanleitungen aus der
Unterhaltungsindustrie einbauen.
▪ jede soziale zusammenhängende Gruppe in der einzelne Akteure mit ihrem Kapitaleinsatz
konkurrieren
▪ Individuum wird vom Feld (Geschichte, Spannungen, Konflikte) + eigener individueller
Geschichte geprägt
▪ Prägt durch eigene Handlungen – können „Vorgaben“ des Feldes widersprechen – selbst das
Feld
▪ Feld gibt quasi Handlungsrahmen „vor“
o Habitus:
▪ Sozialisierung
▪ inkorporierte soziale Strukturen die wiederum organisierende, schöpferische Prinzipien der
Praktiken darstellen
▪ besteht aus einem Bündel historischer Beziehungen, die in den Individuen in Form von
mentalen und körperlichen Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsschemata „abgelagert“
wurden
▪ ist die Gesamtheit des menschlichen Auftretens in Form von Sprache, Kleidung,
Musikgeschmack etc.; kann sich im Laufe des Lebens durch neue Sozialisierungen (Schule, Uni,
etc.) wieder verändern
▪ Habitus besteht aus „(...). Strukturierten Strukturen – der durch historische Inkorporation
erworbenen Dispositionen, die wiederum als strukturierende Strukturen die Praktiken in den
sozialen Feldern regulieren.“ (262)
o Kapital:
▪ Formen von Macht, nicht notwendigerweise materiell, sondern symbolisch
▪ lt. Bourdieu besitzt jedes Individuum soziales, kulturelles und ökonomisches Kapital und sich
damit im Feld positioniert
• Dancehall:
o Einfluss der Unterhaltungsindustrie: Western Filme
o Hintergrundwissen notwendig:
▪ Günstige Ausstrahlungsrechte
▪ Filme liefen sehr oft im Fernsehen
▪ Hohe Arbeitslosenrate
▪ Outlaw als Identifikationsfigur für männliche Binnenmigranten
▪ Aus kleinbäuerlichen Gemeinden am Land in Ghettos der Städte (hauptsächlich Kingston)
▪ Quasi selbst Outlaws
o Weniger Roots Reggae
▪ One Love, Black Liberation & Rastafari, equal rights
▪ Bob Marley, Peter Tosh, Bunny Wailer, Burning Spear etc.
o Mehr Dancehall Reggae
▪ Slackness (sexuelle Inhalte), gun tunes
▪ Yellowman, (Outlaw) Josey Wales
o großer Kontrast, ist aber nicht falsch oder sinnlos; Vorannahmen sind schlichtweg falsch, weil die Realität
diese vorkonstruiert und das Bild verzerren.
o wie können Kontraste so betrachtet werden, dass sie Sinn ergeben?
o Wie lassen sich Logik und Zusammenhänge erkennen?
▪ Kriminalität, Waffen, Gewalt neben Peace and Love?
▪ „Equal Rights and Justice“ neben Homophobie?
o Historische Tiefe relevant
▪ Widerstand gegen Sklaverei
▪ Relation zu anderen Feldern
o self-propelling program = ich muss mir ein Feld vorstellen, dass in sich Sinn ergibt und sich selbst
weiterproduziert.
• Conclusio:
o Unterschiedliche Einflüsse auf dem Feld sind keine einfache Verschmelzung, sondern dadurch, dass im
Feld eine Arena entstanden ist aus Kampf um Rechte ist es eher ein Zusammenwirken und
Entgegenwirken von Einflüssen.
o Daher: Platz für Widersprüche
o One Love und gun tunes können in einem Feld nebeneinander Sinn ergeben
o Reggae und Dancehall wie Wasser und Öl in einem Glas. Nur weil man Wiedersprüche in einem Feld sieht
muss man es nicht gleich verurteilen. Es haben im Laufe der Geschichte viele Strukturen in das Feld
eingewirkt und daraus sind diese Spannungen entstanden.
o Habitus heißt nicht, dass man nur eine Prägung hat… man kann daneben noch andere Prägungen haben
(nicht nur Prägung durch Reggae, sondern auch durch die Western-Filme)
o Nur weil es gewisse historische Prägungen gibt muss es nicht heißen, dass diese Handlungsvorgaben
sind! (Struktur & Individuum)
o Es gibt Strukturen die von außen auf ein Individuum einwirken, sich aus historischen Dingen ergeben
haben, darauf einen Einfluss haben aber gleichzeitig ist das Individuum kein blinder Sklave dieser
Strukturen und kann weitgehend das Feld selber strukturieren! Habitus ist eine Prägung aber nicht der
Zwang etwas zu machen.
o Handlungsrahmen kann eingehalten werden, das ist aber nicht zwingend!
• Reggae:
o afrikanische Traditionen, Sklaverei, Kolonialismus, Überlebenskampf, (bewaffneter) Widerstandskampf
(Maroons), Unabhängigkeitsbewegungen, ökonomische Ausbeutung, Prekarität, Einfluss und Verbreitung
von Mainstream- Kulturprodukten
o Reggae ist in seinen gegenwärtigen Ausdrucksformen wie jedes Feld ein Produkt der Geschichte, die es
erzeugt hat.
• Respect due – symbolisches Kapital
o Praxeologische Theorie: Überwindung sozialwissenschaftlicher Gegensätze Subjektivismus –
Objektivismus, Gesellschaft – Individuum
o Überschneidung von Struktur und Handeln
o Individuelles & kollektives Handeln als „Akkumulation von Geschichte“ (261)
o Wird meistens „eingehalten“, aber eben nicht zwingend
o Individuum nicht passiver Struktur untergeordnet: nicht „alle gleich“
o Aber Einfluss von Strukturen nicht verleugnet
o Reggae-Dancehall: vor allem symbolisches Kapital (Ehre & gegenseitiger Respekt)
o Wettbewerb um Positionen
o Wettbewerb und Einsatz von symbolischem Kapital bestimmen das Feld
o Verhaltensmuster aus Western-Filmen, Schusswaffen, materieller Besitz, Autos/Motorräder, lyrische
Fähigkeiten, Rastafari Philosophie, Panafrikanismus, weltpolitisches Wissen
• Perry Henzels „The Harder They Come” (1972)
o Der junge Ivan verlässt sein Heimatdorf tief im Inneren Jamaicas, ohne Geld und fährt in die Hauptstadt
Kingston, wo er von seiner Mutter im Ghetto aus ökonomischer Not nicht aufgenommen wird, schließt
sich einer „Ersatzfamilie“ an.
o Ivans Praktiken sind an das Feld des Großstadt-Ghettos „unangepasst“ wie „ein Fisch außerhalb des
Wassers“ → er verinnerlicht die neuen Regeln schnell.
3. Einheit Werner Zips;
Ethnozentrismus, Tempozentrismus und der Rollentausch zwischen Wilderer und Hase
• Jomo Kenyatta
o berühmter Professor der Sozialanthropologie
o Schüler von Bronislaw Malinowski
o ohne seine Ausbildung hätte seine Schrift keine Reichweite gehabt → Ausbildung als symbolisches Kapital
o damals: europäische Ethnologen müssten die Geschichte über „Eingeborene“ schreiben, weil sie selber
nicht dazu fähig wären weil
▪ schriftlos, geschichtslos, unterentwickelt, unfähig sich selber zu repräsentieren
• Buch: Facing Mount Kenya
o schreibt über „seine“ Gikuyu
o Kenyatta war selbst ein Gikuyu bzw. ist dort aufgewachsen
o neue und postmoderne Ethnographie
o hat Machtmonopol euro-amerikanischer Autorität in Frage gestellt
• Hintergrund
o Jahrhundertelange „Erforschung“ des „Rests der Welt“ durch (hauptsächlich männliche) westliche
Wissenschaftler
o Für & über Andere gesprochen/geschrieben
o Keine Einspruchsmacht der Beschriebenen
o Zugang zu meinungsbildenden Medien nicht für alle offen
o Akademische Qualifikationen Voraussetzung → Zugang nicht für alle gleich
o Fremdherrschaft in wissenschaftlicher Darstellung
o Akademische Würden/Titel/Ausbildung als symbolisches Kapital für Zugang zu öffentlicher Meinung
o Kenyatta hätte ohne Studium in London bei Malinowski nicht als Afrikaner über Afrikaner:innen
schreiben „können“
o Wegen dieser Machtstellung: Malinowski als Lehrer, Kenyatta als Schüler
o Obwohl Kenyatta wahrscheinlich mehr Wissen über Gikuyu, Kenia und Afrika hatte
o Klare Stellung der „Eingeborenen“ als Objekte der Betrachtung
o Keine Grenzen für die westliche Wissenschaft
o Beforschte konnten nicht „zurückschreiben“ um das Bild gerade zu rücken
• He is a rabbit turned poacher
o Kenyatta: Fremdherrschaft und koloniale Kontrolle wird nicht ewig halten – irgendwann ist gut und die
Dämme werden brechen
o Keine Gerechtigkeit, wenn ich nicht einmal die Personen der Gegenwart einbeziehe geschweige denn
jene der Zukunft
o Kenyatta bricht mit ethnozentrischer Meta-Erzählung moderner Ethnographie
▪ Universalität, Fortschritt, Vernunft, Zivilisation (europ. Moderne) nicht mehr als exklusiv
europäisch
o Für Narrativ der Moderne waren „primitive Kulturen“ eine konstitutive Gegenwelt
o Erst durch Erschaffung „primitiver Anderer“ („Peripherie“) konnte sich westl. Moderne als
evolutionistisches „Ziel“ und als Zentrum darstellen
o „Universalität“ der Moderne als Legitimation zur Herrschaft
o Kolonialismus & Mission als „Heilsbringer“
o Implizite Gewaltbeziehung moderner Ethnographie
o Symbolische Gewalt von Kenyatta angedeutet (Wilderer & Hase)
o „He (the African) is a rabbit turned poacher. “ Beschreibt die Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien.
▪ auch umgekehrt lesbar: Erst als der Hase zum Wilderer wurde, entdeckte der
(ethnographische) Wilderer seine lange verborgenen „hasenartigen Eigenschaften“ und
beginnt auf das wechselseitige Verstehen und Verständnis umzusteigen.
• Malinowskis programmatische Selbstlegitimation
o offenbart die bestimmenden Elemente der „modernen“ Anthropologie
o selbstgewisse wissenschaftliche Autorität, hierarchische Beziehung zu den Objekten der
ethnographischen Beobachtung, hegemoniale Verantwortung für koloniale Interessen und der
zivilisatorische Auftrag („to improve the Natives“)
o Solange die Objekte der Beobachtung ihre Gegenperspektiven nicht veröffentlichen konnten, blieb die
Parteilichkeit der ethnographischen Fremdrepräsentation unhinterfragt.
o An das Ende des Kolonialismus glaubten vermutlich nicht einmal die Herrschenden selbst.
o Freiheit, Gleichheit, Bürgerlichkeit galten nur innerhalb Europas.
• Kritik Kenyattas an den „professionellen Freunden des Afrikaners:
o „But the African is not blind. He can recognise these pretenders to philanthropy, and in various parts of
the continent he is waking up to the realisation that a running river cannot be dammed for ever without
breaking its bounds.”
o seinen Freund und Lehrer Malinowski erwähnt er jedoch nicht in diesem Zusammenhang.
o Im Gegenteil: Er dankt ihm für die unermüdliche Hilfe und Motivation. Malinowski schrieb in der
Einleitung für Kenyattas Buch:
o „Mr. Kenyatta reminds us. The educated, intellectual minority of Africans, usually dismissed as
“agitators”, are rapidly becoming a force.”
• Objekte der Beobachtung „schreiben“ zurück
o Bedeutende Rolle der Anthropologie (& verwandte Disziplinen) im einseitigen Diskurs der Moderne
o „Wissenschaft vom Menschen“ auf „unbekannten Teil der Menschheit“ reduziert (westlicher
Wissenstand)
o Hegemoniale Interessen
o Besseres Wissen über „wilde Völker“ als Voraussetzung für Beherrschbarkeit
o Anthropologie & Kolonialismus nicht zwingend identisch, aber viele Verknüpfungen
o Solange keine Gegenperspektiven veröffentlicht wurden, Parteilichkeit der Fremdrepräsentation
unhinterfragt
o Monologe (Monographien) im Einklang mit europ. Herrschaftsmonopol
o Interpretationsmonopol des Westens durch Kenyatta durchbrochen
• Postmoderne Kritik
o gegen koloniale Repräsentationsformen, wiss. Autorität
o Radikaler Pluralismus statt ahistorische Portraits über Andere
o Paradigmenwechsel von „Studium des wilden Teils der Menschheit“ zu „inter- und multikulturellen
Dialogen“
o primär mit Selbstkritik beschäftigt
o Man bezieht sich nur mehr auf literarische Autorität und nicht auf generelle Verbrechen.
o Die Kritik der PM ist prinzipiell nicht schlecht oder falsch, sondern wenn sich die Anthropologie zu sehr
mit Kritik an sich selber beschäftigt und andere politische Felder unbeachtet bleiben wird sich an den
realen Machtstrukturen wenig verändern.
o Zeigt das akademische Herrschaftsverhältnis indem die PM auf die Ideen anderer Kollegen und
hauptsächlich feministischer KollegInnen zurückgreift und diese als Neuerfindungen bezeichnet.
o So wie die Europäer meinten sie hätten Teile der Erde entdeckt haben Clifford und die Postmoderne
geglaubt diese Ansätze entdeckt zu haben, FeministInnen haben diese bereits vorher schon entdeckt.
o Wenn ich meine eigene Machtposition aufgebe wird es mir schwer fallen an den Machtbeziehungen
etwas zu ändern. Wenn der Wilderer seine Macht aufgibt, hat er dann überhaupt noch Möglichkeiten die
Wilderei zu verändern? Oder soll man zu reflektieren beginnen um längerfristige Änderungen
hervorzuheben?
o Kritik des Othering ist keine neue Idee des PM
• Neue Ansätze
o Bedürfnisse, Geltungsansprüche und Perspektiven aller Teilnehmer:innen
o Dekonstruktion einseitiger Autorität
o Pluralität, Respekt
o Dialog, Kooperation, Polyphone Repräsentation, Globale Gleichberechtigung
o Ende der kolonialen Autorität aber nicht gleich Ende der ethnographischen Autorität
o Anthropologie und Kolonialismus in engem Wechselspiel
• Tempozentrismus
o richtet sich auf Wahrnehmungs-, Deutungs-, und Entscheidungsdefizite, die mit der Einnahme
kurz(sichtig)er Zeithorizonte regelmäßig verbunden sind
o in der Regel politische Entscheidungsprozesse vor Augen
o kritische Beleuchtung dieser allgegenwärtigen Fehlfunktion einer Politik
o reicht in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
o Vernachlässigung der Konsequenzen für zukünftige Generationen
o Temporärer Eigennutzen kolonialer Politiken
o (un)bewusste Haltungen, kurzfristigen Nutzen (Profitsteigerung, Gewinnmaximierung etc.) nicht durch
längerfristige Überlegungen zu hinterfragen
o vor allem in Wirtschafts- und Umweltpolitik (CO2-Emissionen, globale Erwärmung, wohin mit
radioaktiven Müll?)
4. Einheit Andre Gingrich;
Ethnizität für die Praxis
• Drei Bereiche
o Veralltäglichung wissenschaftlicher Begriffe
o Entkontexualisierung bringt Begriffserweiterung und -veränderung
o Positive Entwicklung, wenn Öffentlichkeit von wissenschaftlichen Konzepten Gebrauch macht
o Einsichten der Wissenschaft (Anthropologie) werden transportierbar
o Signal: öffentliches Bedürfnis vorhanden; Auftrag: Wissenschaft darf sich einmischen
o öffentliches Interesse an Ethnizität aus drei Bereichen
▪ Migration: Ansicht, dass grundsätzlich es auf der Welt verschiedene Kulturräume gibt die nicht
miteinander kompatibel sind und Konfliktpotential dahinter ist, falsch! Vermischung gab es
schon immer!
▪ Nationales Selbstverständnis: es gäbe eine österreichische Essenz die seit Ewigkeiten besteht
▪ neuer Exotismus: am wenigsten Relevanz, weil Ethnologie und Anthropologie bereits engagiert
sind in diesem Bereich
o Ethnizität ist ein entkontexualisiertes Alltagsvokale geworden
o Einmischung in diesem Bereich legitim, weil Fachwissen vorhanden
• 7 Thesen
o 1. These: Ethnizität bezeichnet das soziale Verhältnis zwischen zwei oder mehreren Gruppen, unter
denen die Auffassung vorherrscht, dass sie sich kulturell voneinander in wichtigen Fragen unterscheiden.
o 2. These: Ethnische Gruppen tendieren unter Umständen zu Ethnozentrismus
▪ Summe aller Fremdzuschreibungen können völlig unterschiedlich sein
▪ wenn man von der eigenen Gruppe und dem Rest der Welt spricht verkleinert man den Rest
und vergrößert die eigene Gruppe → deshalb sind Fremdzuschreibungen relevanter
▪ Fremdzuschreibungen sind wichtig damit die eigene Gruppe nicht beginnt zu groß zu denken
▪ Ebenbürtigkeit ist ebenfalls nicht gut, weil man sich als kleine Gruppe mit dem Rest der Welt
(riesig) gleichstellt
▪ So wie jede Person einmal mehr und einmal weniger egoistisch ist und dabei unterschiedliche
Glaubwürdigkeit aufweist, so tendieren auch ethnische Gruppen unter bestimmten Umständen
zum Ethnozentrismus. Ethnozentrismus ist manchmal unvermeidlich, aber er ist selten richtig.
▪ Ethnozentrismus unterminiert durch: intern abweichende Meinungen, Summe aller
Fremdzuschreibungen
o 3. These: Ethnisch ist kein Synonym für rassisch
▪ „Ethnisch“ ist keine sprachkosmetische Verkleidung für „rassisch“ oder „völkisch“.
▪ Ethnische Unterschiede zu verabsolutieren kann leicht zu Rassismus führen, ethnische
Unterschiede zu ignorieren aber ebenso.
▪ Ethnisch nicht gleich rassisch oder völkisch: keine ewige, unabänderliche Eigenschaft,
relationaler/dynamischer Begriff
▪ Ethnizität, ethn. Identität/ Gruppe ersetzt „Rasse“ nicht
▪ Gefahr besteht im Alltag, wenn „ethnisch“ im Sinne unveränderlicher Identität verwendet wird
▪ Lässt sich leicht für rassistische & nationalistische Praktiken missbrauchen
▪ Leugnung von Ethnizität kann Minderheiten deren Recht auf Gestaltung eigener Verhältnisse
entziehen
• zu sagen, dass, Fremde wie wir sind könnte man beispielsweise auf den Ramadan
verzichten, weil wir praktizieren ihn ja nicht und sie sind ja wie wir
• auch schwarz, weiß – ich seh keine Farben
o 4. These: Ethnizität ist kein Synonym für Nation
▪ Nationen sind politische Gemeinschaften, die dauerhaft im selben Staatverband leben oder
leben wollen. Ethnizität hingegen überschreitet oft nationale und staatliche Grenzen.
▪ Nationsbegriff erst seit 19. Jh. von Europa im Rest der Welt implantiert
▪ Heute geläufige Form: ab ca. 1790
• Gemeinsames Bekenntnis zur Verfassung, selber Staat
• Ius solis
• Ius sanguinis
▪ „unmarkierte“ ethnische Mehrheiten & „markierte“ ethnische Minderheiten
• Minderheiten können sich größeren ethn. Gruppen jenseits von Staatsgrenzen
zugehörig fühlen, die anderswo die Mehrheit bilden
• Slowakische Minderheit in Ungarn, slowenische in Österreich etc.
▪ Minderheiten können auch in mehreren Staaten Minderheiten bilden
• Basken in Frankreich & Spanien
o 5. These: Ethnizität ist kein Synonym für Kultur
▪ Ethnizität als Beziehungsgeflecht aktualisiert bloß bestimmte Aspekte der beteiligten Kulturen
in diesem Wechselverhältnis und kombiniert dies mit Außeneinwirkungen.
▪ „Kultur im weiteren Sinn“: Gesamtheit aller ideellen und materiellen Manifestationen einer
Gesellschaft
▪ „Kultur im engeren Sinn“: längerfristig gewachsene, vorherrschende Weltbilder und daraus
abgeleitete Praktiken
▪ Gesamtheit beteiligter Kulturen für die Ethnizität nicht ausschlaggebend
▪ Was Ethnizität ausmacht, macht nicht automatisch Kultur aus
▪ Ethnizität umfasst Teilelemente, verbunden mit Fremdzuschreibungen & Praktiken
▪ Kultur (im engeren Sinn) umfasst einerseits mehr: alle nicht im Beziehungsverhältnis
aktualisierten Elemente
▪ Gleichzeitig auch weniger: keine Fremdzuschreibungen
o 6. These: Ethnizität ist dynamisch
▪ dünnes Konzept, weil es von anderen Faktoren beeinflusst wird
▪ ethnische Grenzen durchlässig und veränderbar
▪ Angebliche „ursprüngliche“ Frühzustände nicht vorhanden
▪ Heterogenität als Normalzustand, Homogenität die Ausnahme
▪ Politische, wirtschaftliche, soziale & demographische Faktoren beeinflussen & verändern
immer wieder, wer von wem warum welcher ethnischen Gruppe zugeordnet wird, bzw. wer
sich welcher Gruppe zuordnet
o 7. These: Ethnizität variiert
▪ Ethnische Grenzen durchlässig & fließend
▪ Durchlässige Bereiche/Übergangszonen wachsen in Zeiten postkolonialer Globalisierung
▪ Kann dazu führen, dass Personen ethnische Identität verleugnen, besonders betonen, oder
dass ethnische Identität belanglos wird
▪ Andere Aspekte der Identität können in den Vordergrund rücken (Gender, Alter, soziale
Herkunft)
▪ Übergangszonen fördern Übertritte, Assimilation & Entstehen hybrider Formen
▪ Immer mehr Menschen hatten „anderswo“ andere ethnische Identität als jetzt
▪ Immer mehr „verzichten“ auf ethnische Identität, nur „Staatsbürger:innen“
▪ Hybride ethnische Identitäten in Einwanderungsgesellschaften
• Entthronte Menschen
o Mitte der 1990er: Peter Schweizer und Andre Gingrich → erstmals eine aus europäischen Kontext
heraus entwickelte Differenzierung erarbeitet. Unterschieden wurde zwischen „entthronten Mehrheiten“
und „jungen National-Regimes“.
o ethnischen Mehrheiten, die im Zerfallsprozess eines relativ älteren, multiethnischen Staatsverbandes
einen Teil ihrer früheren Position verlieren oder verloren haben (etwa die deutschsprachigen
Gruppierungen im Habsburgerreich vor 1918). Vor dem Zerfall hatten diese ethnischen Mehrheiten, im
Verhältnis zu den anderen Bevölkerungsgruppen eine Reihe wirklicher und eingebildeter Privilegien – die
durch den Zerfall und danach abhanden kamen.
• Ethnicity Inc.
o erste und grundsätzlichste Konsequenz für historische Anthropologie aus den rezenten globalen
Veränderungen eine verstärkte methodologische Aufmerksamkeit für transnationale und globale
Dimensionen von Geschichtsprozessen → es wäre irreführend für länger zurückliegende Perioden so zu
tun, als wären globale und überlokale Faktoren nicht anzunehmen
o Wesentlichste und nachhaltigste, Forschungsertrag aus dem Schnittfeld zwischen Ethnizitäts- und
Globalisierungsforschung von Jean und John Comaroff: „Ethnicity Inc.“ (2009) → durchaus nutzbar für
eine Aufwertung des sozialen, medialen und politisch-rechtlichen Status von Minoritäten in der
jeweiligen Mehrheitsgesellschaft.
o Schnittstelle Ethnizitäts- und Globalisierungsforschung
o Einbindung Fragen ethnischer und nationaler Identität und oft untergeordnet in Expansionsprozesse
globaler medialer, oder auch juridisch und politisch artikulierter Kommerzialisierung
o Vermarktung von Ethnizität aber sehr stark von Indigenität; Ethnicity Incorporated;
o Indigenität aber auch Ethnizität wird zu einem Verkaufsargument; touristische Vermarktung; eingebettet
in größere Zusammenhänge in unserer neoliberalen Zeit
o intelectual property → Kultur wird zu einem intellektuellen Eigentum das man vermarkten kann
o a reduction of politics to law → Reduktion von Politik (Ausverhandeln von unterschiedlichen Interessen)
und wird durch rechtliche Abhandlungen ersetzt (ich besitze das, du besitzt das)
o a growing naturalization of identity → konstruktivistische Ansätze, dass Ethnizität natürlich, angeboren
oder biologisch ist; wird hier auch suggeriert; die Zulu sind die Zulu;
o kann Zerfallsprozesse auslösen, beschleunigen oder intensivieren; Assimilations- und Auflösungsprozesse
unter kleinen indigenen Gruppen in USA; zunehmende Kommerzialisierung kann auch das Gegenteil
bewirken und nutzbar werden; → Laos, Ethno- und Ökotourismus; eher peripher gelegene Minderheiten-
Gebiete sind relativ erfolgreich;

Beispiel → Österreichischer Arzt, mit philippinischer Krankenschwester an seiner Seite und türkischem Patienten vor ihnen
(EH-Buch S. 115-116).
5. Einheit Julia T. S. Binter;
Vermittler zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
• Museen und KSA
o lange gemeinsame Geschichte; Museen
o dienten als Arbeitsstätte/Inspirationsquelle
o universitäre und museale Praxis seit 80er stark geworden
o neue Positionierung von Museen als contact zones
▪ Bedeutung von kulturellem Erbe von verschiedenen Interessensgruppen verhandelt
▪ anhand historischer Erfahrungen und historischer Forschung
o Ethnohistorie entwickelte sich zu einer kritischen, selbst-reflexiven und kommunikativen Historischen
Anthropologie
▪ sowohl an der Universität als auch im Museum historische Forschung als integraler Bestandteil
der KSA Praxis angesehen
▪ Überschneidungen von universitärer und musealer Forschung weniger stark ausgeprägt.
o Museum als umkämpfte Arena kulturellen Erbes
1. Der altmexikanische Federkopfschmuck, Weltmuseum Wien:
o Wien, 15. September 1995.
o MinisterInnen von Yankuikanahuak International – altmexikanischer Federkopfschmuck im Besitz des
Weltmuseum Wiens – fordern am Heldenplatz die Rückgabe der „Heiligen Krone des Montezuma“
o für die DemonstrantInnen ein Symbol der Selbstbestimmung/spirituellen Kraft des präkolumbianischen,
unabhängigen Mexikos
o Museumsdirektor und Kulturministerin dagegen, weil Teil des österreichischen Kulturerbes, weil AT ihn
für die Nachwelt erhalten habe
o Restitution / Leihgabe schwierig wegen Fragilität
o Welche Rolle spielen Museen als Austragungsorte?
o Post-/koloniale Geschichte zu Mexikos, Beziehungen zu Österreich
• Exhibitionary complex
o Postkoloniale Theorien: Dekonstruktion des Museums als Teil des „exhibitionary complex“ (Bennett
1995) der Moderne
o Diente zur Produktion von Abgrenzungen gegenüber „Anderer“ (Frauen, sozial Schwache,
„Exotische“/„Primitive“)
o Nachfolger von Wunderkammern, Kuriositätenkabinetten
o Museen demonstrierten Macht, Objekte, Menschen zu ordnen und zu kontrollieren
o Gleichzeitig Teilhabe der Besucher an Macht zu Wissen und Deuten
o Museumsbesuch als civilizing ritual
o Museen als permanente Institutionen verfolgten Bildungsauftrag, Geschmäcker zu formen und
(eurozentrische) Weltbilder zu etablieren (v.a. ethnographische)
o Sammeln von materieller Kultur um „aussterbende Kulturen“ für die Nachwelt zu bewahren; Anleitungen
zum Sammeln für Kulturvergleiche
2. Das „Ghost Dance Shirt“, Kelingrove Art Gallery and Museum, Glasgow
o Wounded Knee, South Dakota, 29. Dezember 1890
o bei der Deportation von 370 Frauen/Männern/Kindern der Minneconjou-Lakota-Sioux eröffneten
Soldaten das Feuer, 300 Menschen sterben, Massaker brachte den endgültigen Widerstand der „Native
Americans“ gegen die SiedlerInnen (Wounded Knee = Gedächtnisstätte des American Indian Movements)
o Glasgow, Schottland, 1992
o Anwalt John Earl aus Atlanta sieht im Rahmen der Sonderausstellung „Land of the Brave“ in Glasgow ein
„Ghost Dance Shirt“, welches Wounded Knee als Sammlungskontext ausweist, und informiert die
Wounded Knee Survivors Association.
o Nach 100 Jahren als anonymes Objekt in der ethnographischen Abteilung der Kelingrove Art Gallery and
Museum werden das Hemd und seine Provenienz erstmals problematisiert.
o Zuordnung zum Massaker möglich
o Museum gegen Rückgabe
▪ Befürchtet weltweite Repatriierungswelle
▪ Erhalt als Bildungshilfsmittel über gewaltvolle Besiedlung der USA
o 1995: Einzelvitrine & Geschichte; Gästebuch eröffnet Diskussionsraum
o öffentliche Anhörung der Restitutionsforderung – 31. Juli 1999 → Hemd in einer feierlichen Zeremonie
an seinen Ursprungsort zurückgebracht: Obsorge der South Dakota Historical Society übergeben.
• Blackfoot Shirt Project
o Forschungsprojekte, Pitt Rivers Museum in Oxford
o Umgang mit Sammlungen muss nicht zwingend mit Repatriierung enden
o Vertreter, Künstler und jugendliche der Blackfoot Nation erstmalige Auseinandersetzung mit Blackfoot
Shirts
o für beide Seiten gewinnbringende, identitätsstiftende und „heilende“ Qualitäten entfalten. → lernen,
um die Gegenwart zu verstehen, damit man die Zukunft aufbauen kann.
• Glocal Frictions
o Mitsprache der Herkunftsgesellschaften im Umgang mit historischen Sammlungen ist aus der
ethnographischen Museumspraxis nicht mehr wegzudenken.
o Grundvoraussetzung: transnationaler wirtschaftlicher und kultureller Bewegungen und
Interdependenzen → „Globalisierung“
o Seit 20. Jh. → beschleunigte Verdichtung von Raum und Zeit lässt Menschen, Technologien, Kapital,
Ideen schneller global zirkulieren
o Distanz zwischen Museen und Menschen aus den Herkunftsländern der Sammlungen – heute oftmals
nicht mehr weit entfernt → „Menschen mit Migrationshintergrund“ in der unmittelbaren Nachbarschaft.
o Museen werden äußerst unterschiedlich definiert – über wirtschaftlich gewinnbringende, kulturelle
Veranstaltungszentren bis hin zu Plattformen interkulturellen Dialogs.
o museum frictions: Spannungen zwischen unterschiedlichen Interessen in Museum im Zeitalter der
Globalisierung
o global theatres: Handlungsspielräume von lokalen Geschichten und globalen Interdependenzen geprägt
o Kunstanthropologie: setzt sich mit der interdependenten Beziehung von Menschen und Objekten
auseinander → Funktion von Objekten als „Kunst“ im westlichen Sinn – zur visuellen Kontemplation.
3. „Art/artifact“ – Von Jagdnetzen und Meisterwerken afrikanischer Kunst
o New York, 1988.
o Jagdnetz auf einem Podest unter einem Lichtspot inszeniert, Interesse der Besucher geweckt
o Jagdnetz, in seinem ursprünglichen Verwendungskontext wenig bis keine ästhetische Bedeutung.
o durch Ähnlichkeit zeitgenössischer Kunst und Inszenierung als Kunstwerk neue Interpretation
o Vogels Erfahrung führt uns vor Augen, dass Repräsentations-/Form und Inhalt inhärent
zusammengehören
▪ Inszenierung von Objekten, Platzierung im Raum, Relation zu anderen Objekten, Vitrinen- und
Podestwahl, Beleuchtung, Farbgebung, Zusammenspiel mit Beschriftungen und anderen
Quellen wie Fotografien und Videos sowie die allgemeine Architektur des Ausstellungsortes
beeinflussen die Rezeptionserfahrung.
o Unterschiedliche Reaktionen der BesucherInnen zeigen, dass museale Repräsentationen keine
totalisierende Macht ausüben.
4. „ExitCongoMuseum“ – Ein koloniales Museum neu gedacht
o Tervuren, Belgien, 2000
o Ausstellung „ExitCongoMuseum“ im Königlichen Museum für Zentralafrika → Ausstellung stellt die Frage,
wie die Zukunft eines „ex-kolonialen“ Museums, ehemals „Musée du Congo belge“, aussehen könnte –
legt Kontaktgeschichte/n Belgiens mit Zentralafrika offen und macht sie kritisierbar.
o Ziel der Ausstellung: eurozentrische Haltung umgehen und Persönlichkeit und Kreativität kongolesischer
Künstler rekonstruieren
o Zeigt, dass ästhetischen Wertschätzung und sozio-kulturelle Kontextualisierung sich keinesfalls
gegenseitig ausschließen.
o Kunst aus den beiden Amerikas, Asien, Australien und Afrika hat das Recht aufgrund ihrer ästhetischen
Qualitäten wertgeschätzt zu werden.
o Die den Objekten eingeschriebene Lebensgeschichte zur kritischen Rekonstruktion post-/kolonialer
Kontaktgeschichte und zum interkulturellen Dialog nutzen.
o „Contact Zone“ → Museen sind für viele BesucherInnen nicht nur ein Ort der Kontemplation, des
Staunens, des Lernens oder des multisensorischen Erlebnisses, sondern auch einer, der oftmals
schmerzhafte Erinnerungen darstellt.
5. Das Weltmuseum Wien – Ein Ausblick
o Wien, April 2013.
o „Museum für Völkerkunde“ wurde 1928 in „Weltmuseum Wien“ umbenannt
o folgte dem Trend, sich von den überkommenen Forschungspraktiken und eurozentrischen Weltbildern
der Disziplin zu distanzieren und den epistemologischen und methodologischen Richtungswechsel der
Postmoderne im Namen zu reflektieren.
o Treffpunkt für Menschen und Kulturen, wo Wertschätzung und Begeisterung für kulturelle Vielfalt gelebt
und vermittelt werden.
o Museen beherbegen Objekte, die sowohl aufgrund Ästhetik analysiert und wertgeschätzt als auch bzgl.
Lebensgeschichte & sozio-kultureller Bedeutungen befragt werden können
o Potenzial ethnohistorischer/anthropologischer Forschung so vielfältig wie Ausstellungs- und
Aufbewahrungskontexte
o Museumsobjekte können mithilfe von Archivarbeit und Oral History Einblicke in post-/koloniale
Kontaktgeschichten geben
o Können im Dialog mit Herkunftsgesellschaften für beide Seiten gewinnbringende Wissensproduktion
anregen
6. Einheit Karl R. Wernhart/Julia T. S. Binter;
Die Quellengattungen und Nachbarwissenschaften der Ethnohistorie
• Ethnohistorie (Wiens)
• Bibliotheks- und Archivarbeit und Feldforschung
• benützt für Analyse/Hinterfragung und Darstellung der Kulturbilder differente Quellen
• Bibliotheks- und Archivmaterial, ethnographische Datenerhebungen
• FF ermöglicht die Aufnahme von Oraltraditionen (Oral History)
• Cyber Anthropology
• stärkere Bedeutung; besonders umsichtige Quellen- und Ideologiekritik
• Quellen
• in Europa und Übersee bekannte Bibliotheks- und Archivmaterialien
• auch Archivbestände in Privatbesitz sowie
• in Tonarchiven festgehaltene bzw. aufgenommene Oraltraditionen sowie
• Internet Ressourcen (digitale Veröffentlichungen der Archive und Bibliotheken/ins Internet gestellte
Informationen von Forschern und/oder betroffenen Bevölkerungsgruppen selbst) müssen eine
Berücksichtigung erfahren
• Hauptaufgabe der historischen Methode → Sammlung des Stoffes
• weitere Aufgabe → Erkenntnis des Zusammenhangs der betreffenden Tatsachen
• Ernst Bernheim (1889:153) definiert Quellen folgendermaßen:
▪ Das Material, woraus unsere Wissenschaft ihre Erkenntnis schöpft, nennen wir schlechthin
Quellen
• Aloys Meister (1923:8) meint:
▪ Alles das, woraus wir eine historische Erkenntnis schöpfen können, ist eine historische Quelle
• Wilhelm Bauer (1921:152) versteht unter Quellen alles,
▪ was uns zur geistigen Rekonstruktion geschichtlichen Lebens den Stoff liefert
• Den Stoff, woraus wir historische bzw. ethnohistorische Erkenntnisse oder kulturelle Manifestationen von
Ethnien und Gruppen in Raum und Zeit erkennen, nennen wir zeitgenössische historisch-ethnographische
Quellen (Wernhart et. al, 2021:53)
• Primärquellen
▪ authentische zeitgenössische Quellen
• Sekundärquellen
▪ abgeleitete Quellen
• Literatur
▪ abgeleitetes Schrifttum von Quellen
• Ernst Bernheim unterscheidet Quellengattungen
▪ Überreste
• Überreste im engeren Sinne (körperliche Reste, Sprache, Zustände, Institutionen,
Produkte, Geschäftsakten)
• Denkmäler (Inschriften, Monumente, Urkunden)
▪ Traditionen
• bildliche (Gemälde, Skulpturen)
• mündliche (Erzählungen, Sagen, Sprichwörter)
• schriftliche (Inschriften, Genealogien, Annalen, Chroniken, Biographen)
▪ Aufgabe der Heuristik
• alles, was als Quelle dienen kann, aufzuspüren und zur Kenntnis heranzuziehen
• 9 Quellengattungen für die ethnohistorische Forschungsrichtung
1. Schriftliche Quellen
a. publiziertes Material
i. Dietrich Schüller (1979:6f., 163-169) untereilt in
1. Erlebnisberichte
a. Darstellung ethnographischer Details erfolgt "unbeabsichtigt“
2. Landeskunden
a. Bereiche die geographische, ethnographische, wirtschaftliche,
naturkundliche, historische und andere Aspekte zusammenfasst sind
grundsätzlich „bewusst“ → wissenschaftlicher Charakter
3. beide können „aus eigener“ oder „aus fremder Anschauung“ stammen
4. Reisebeschreibungen, Tagebücher, Bordbücher, Landeskunden, Kosmographien,
Monographien, Briefe
5. der Ethnohistorie dient jeder publizierte Originalbericht, gefüllt mit
ethnographischen Daten als Quelle
b. unpubliziertes Material
i. Manuskripte, aufbewahrt in Archiven, Sammlungen oder in Privatbesitz
ii. Tagebücher, Bordbücher, Briefe, Urkunden, Kaufverträge
iii. bekannte Archive der ehemaligen Kolonialmächte, auch österreichische Archivbestände
iv. viele hochspezialisierte Forschungsdisziplinen existieren
v. ohne diese, unmöglich ethnographisch-historische Manifestationen aus Archivmaterial
zugänglich zu machen
vi. Diplomatik, Akten- und Briefkunde, Spiegelkunde, Chronologie
2. Bildquellen und andere audio-visuelle Quellen
a. Die Bildkunde hat die Aufgabe, das Wesen, die Entwicklung, die Bedeutung und die Verwertung des
Bildes als historische Quelle darzulegen.
b. bildliche Darstellungen werden in 4 Gruppen eingeteilt: Darstellungen von
i. Personen, Orten, Ereignissen, Sachen
c. Erich Keyser: auch Unterscheidung nach ihrer Art der Herstellung
i. flächige Bilder (Ölgemälde, Aquarelle, Federzeichnungen)
ii. körperliche Bildwerke (Skulpturen, Reliefs, Medaillen)
d. 20. Jahrhundert: Fotographie und Film
i. ermöglicht Bezug zur historischen Realität
ii. Visual Anthropology
e. Quellenkritik
i. authentische Bilder von Nachbildungen/Fälschungen unterscheiden
ii. Quellenwert wird durch
1. Herstellungswert (zeugt von Person, Ort, Zeit, Art der Herstellung)
2. Stoffwert (Edelmetall Pergament)
3. Kunstwert und Darstellung- oder Inhaltswert ausgedrückt
4. Mindestansprüche an die Quellenauthentizität
5. bildliche Darstellungen zeigen Europäer in zeitgenössischen exotischen Trachten,
umgeben von fremdartigen Kulturinventar
6. Zeichnern sind die Kultur und Umwelt der Einheimischen ins Auge gesprungen
7. besondere Bedeutung: Manuskriptbilder und Aquarelle die an Ort und Stelle
gezeichnet wurden und handgeschriebene Berichte haben
8. Bildquellen ohne authentischen Begleittext sind wertlos → seltsame Kuriosa und
Rarissima
9. Von Bildvergleichen mittels ästhetisch-ethnologischer Kriterien ist abzuraten; für die
ethnohistorische Forschungsrichtung nicht vertretbar.
10. Bedeutung ethnographischer Dokumentarfilme
a. Rekonstruktion ethnographisch-historischer Fakten und Inhalte
b. Anliegen betroffener Gruppen aus ihrer Sicht das historisch gewordene
Selbstverständnis zu artikulieren
c. Interviews mit Aussagen im Sinne der Oral History, realgeschichtliche
Informationen
3. Kartographische Quellen
a. wenig beachtete Quellengruppe
b. Karte nur als Darstellungsmittel um Gruppierungen von Ethnien in einem Territorium aufzuzeigen
c. Rudolf Ogrissek unterscheidet
i. Geschichtskarten
1. Sachverhalt der Geschichte zum Inhalt
2. abgeleitete Quelle
ii. historischen Karten
1. stellen Karten dar, die in einem vergangenen Zeitraum entstanden sind
2. authentische zeitgenössische Quelle → tatsächliche Quelle
3. für Entdeckungs- und Kolonialgeschichte → einzige Nachrichten für schrittweise
Erschließung der südlichen, westlichen und östlichen Hemisphäre
4. dient als Kontrollorgan für die in europäischen schriftlichen Quellen berichteten
neuen Entdeckungen
5. mit zahlreichen bildlichen Darstellungen illustriert, zeigen meist „Eingeborene“ und
ethnographische Details → können als Bildquellen gewertet werden, auch
Textpassagen
6. Problem der Lokalisation von Ethnien → auf Karten waren Küstennamen und
Stammesgebiete eingezeichnet, Ethnien waren im Migrationsprozess, Wanderungen
können dadurch nachgewiesen werden
7. auf kartographische Leistungen außereuropäischer Völker verweisen
iii. Alte Globen
1. abgeleitetes Quellenmaterial
2. zeitlich nachhinken
4. Flugschriften, Zeitungen und Pamphlete
a. Einzelpublikationen, Journale oder Tageszeitungen
b. müssen genauer Quellen- und Ideologiekritik unterzogen werden
c. Flugschriften
i. nicht periodische und in stark variierende Zeitabständen veröffentliche Einzelzeitungen
ii. Verbreitungsmittel von Nachrichten, Ereignissen, Zweck Informationen zu verbreiten,
Unterhaltung
iii. öffentlich, indirekt, einseitig, auch Abbildungen und Karten enthalten
iv. auch politisch-ideologische wie religiöse Blätter, Plakate oder Pamphlete
d. Zeitungen oder Journale
i. Informationsquellen, Informationsgehalt, politischer Gesichtspunkt
5. Oraltradition
a. mündliche Überlieferungen über die Vergangenheit eines Ethnos, Gruppe
b. große Bedeutung in ethnologischer Quellenkunde
c. nur mündlich tradiert, erst durch die Aufzeichnungen des Feldforschers als Quellen der Wissenschaft
d. Unterscheidung zwischen „aus erster Hand“ (authentische Quelle) und „aus zweiter Hand“
e. können als historische Quellen betrachtet werden
f. Laut Vasina (1965):
i. Kette von Zeugnissen; am Beginn → Ereignis oder die Tatsache die von dem Beobachter
aufgenommen wird; Erst die Kenntnis der Wort- sowie der Inhaltsbedeutung des Textes eines
Zeugnisses macht es möglich, zu einem genauen Verständnis seines Gesamtinhaltes zu
gelangen. Für diese Interpretationsarbeit ist die Kenntnis der Sprache der zu untersuchenden
Ethnien unumgänglich.
g. Quellenkritik
i. unverfälschter Zustand
h. Kombination von oralen Quellen und authentisch-schriftlichen Quellen → mündlich-quellenkritische als
auch literale Kontrolle
6. Narrative und biographische Interviews
7. Realien
a. ethnographische Objekte, die in Sammlungen und Museen aufbewahrt werden
b. durch Ausgrabungen freigelegten Funde der Prähistorie und Archäologie, wie Monumente, Epigraphica
c. Laut Graebner (1911:11):
i. all das, was wir an faktischen Bestandteilen der menschlichen Kulturen, gestorbenen oder
lebenden, greifbar in Händen und vor Augen haben
d. große quellenkundliche Bedeutung, hohes Alter → Kulturhistorie nicht gelungen das Alter nahzuweisen
e. Ethnohistorie steht vor gleichem Problem; versuchen dennoch Realien chronologisch-historisch exakte
Anhaltspunkte abzugewinnen
f. 19. und 20. Jahrhundert
g. bei älteren Sammlungen gibt es Anhaltspunkte, dass chronologische Zuordnung früher anzusetzen ist
h. durch die Ethnoarchäologie können kulturelle Manifestationen durch Ausgrabungen um Jahrhunderte
zurückverfolgt werden; diese Aufgabe kommt nicht mehr direkt der Ethnohistorie zu sondern der
Kulturgeschichte (verbindet Ethnohistorie mit Archäologie)
8. Feldforschungsberichte
a. schriftliche und audiovisuelle Dokumentation von Felduntersuchungen
b. 19. und 20. Jahrhundert
c. Feldforscher wollten möglichst exakte wissenschaftliche Methode anwenden um präzise Ergebnisse zu
liefern
d. Qualität ist Quantität vorzuziehen
e. Fischer/Zanolli (1968) unterscheiden:
i. intensionale Betrachtungsrichtung (vom Kulturträger selbst)
ii. notative (vom Ethnographen)
iii. beide sollten angewendet werden
f. Franz Boas plädiert für eine Verbindung von Feldforschung und Linguistik; Sprache als wesentlicher
Aspekt um die Kultur der Ethnien zu verstehen und zu beschreiben
g. traditionelle FF wurde mittels
i. kommunikativen Diskursansatz
ii. inklusiver Analyse
iii. teilnehmender Beobachtung vor Ort
iv. empirischer Datenerhebung
v. narrativen Interview erneuert
vi. postmoderne Wendung
9. Online-Ressourcen im Internet
a. Internet als computervermittelter, sozialer Handlungsraum = Untersuchungsfeld der Ethnologie
b. Youtube, Facebook etc. sind völlig neuartige Formen historisch relevanter Zeugnisse
c. erfordert einen quellenkritischen und forschungsethisch sensiblen Umgang da sie sich ständig ändern
können
d. inhärente Wandelbarkeit und potenzielle Überalterung
e. Graubereich zwischen privat und öffentlich → Fragen nach Einverständnis des Urhebers zur Verwendung
f. Offline- und Online-Welten fließen ineinander
g. das Digitale wird zur Grundvoraussetzung kultureller Produktion
h. Abgesehen von der Materialität und Infrastruktur sowie den politischen Ökonomien, die den Zugang zu
und die Erhaltung und Nachhaltigkeit von digitalen Medien kontrollieren, sind es soziale und politische
Ungleichheiten, die die Produktion. und den Zugang digitaler Quellen beeinflussen → „digital divide“
i. Generation, Gender, Ethnizität
10. Quellenkritik
a. Quellenkritik:
i. äußere
ii. innere
iii. Achtung wegen Fälschung und Echtheit
iv. Entstehungszeit, Entstehungsort, Urheber, Abhängigkeitsverhältnisse zu anderen Quellen wie
Inhalt sind zu untersuchen
b. das wissenschaftlich-historische Material wird nun mit „Mitteln und Konzepten der Ethnologie“
ausgewertet
c. Quellensequenz
i. das interpretierte Material wird zur Darstellung gebracht
d. Folk History
i. Charles Hudson
ii. Geschichte mit den Augen der betreffenden Akteure zu sehen
e. Ethnohistorie
i. strebt danach, die kulturellen Manifestationen von Ethnien und Gruppen zu erfassen, um sie in
dynamischer Form zur Darstellung zu bringen
f. Ethnohistoriker gewinnt dem Material andere Akzente ab
Zusammenfassung
1. “Einführung in die theoretischen und methodologischen Grundlagen der Ethnohistorie”

• Die historische Dimension ist in der EH besonders wichtig


• Alles was man heute sich anschauen kann ist historisch gewachsen und diese Dimension ist wichtig
• Zugang durch schriftliche Quellen, Bildquellen, kommunikative Methoden
• Seit den „Entdeckungen“ Europas → hauptsächlich europäische Quellen → Quellen- und Ideologiekritik
(hinterfragen von wem ist der Text, was ist der Zweck, etc.)
• Das Soziale Handeln der Subjekte soll miteinbezogen werden um darzustellen, dass Kulturveränderungen nichts
Losgelöstes sind
• Aufheben ungleicher Machtverhältnisse zwischen Objekt und Subjekt → weg von der klassischen hegemonialen
Praxis → „Andere“ sind nicht schrift- und geschichtslose Völker
• damalige Annahme → Gesellschaft unter Glassturz stellen und von außen beobachten bzw. analysieren
• Anhand der Tätigkeiten der Objekte soll der Fall besser beschrieben werden
• Leute mit denen man forscht sind nicht passive Personen, sondern es geht um die aktive Handlungsfähigkeit aller
• Gegen die Annahme man könne als Ethnologe übersetzen
• Durch FF ergibt sich dass der Forscher selber zu Angehörigen werden der untersuchten Lebenswelt, indem statt
passivem Beobachten ein Dialog eröffnet wird
• Nicht nur beobachten, sondern wirklich teilnehmen an den Interaktionen
• Außerdem sollen geschichtliche Prozesse in ihrer zeitlichen Dynamik dadurch rekonstruiert werden können
• Bourdieu: gesellschaftliche Welt als akkumulierte Geschichte; symbolisches Kapital → kulturelle Aneignung; aus
dem Handeln und Deuten der Subjekte kann man auf die Strukturen schließen; Machtstrukturen nicht abgegrenzt
vom Handeln der Subjekte;
• feministischer Ansatz: Unterdrückte stimmen ihrer Unterdrückung zu weil sie nix dagegen tun → Feministinnen
sind dagegen; aktiver Widerstand sollte wahrgenommen werden; innere Differenz wurde durch das Beobachten
ignoriert
• kommunikative Forschungsmethode → visuelles Paradigma als Vorreiter → danach: aktiv ins Feld zu gehen, reden
usw; und nicht nur aus der Literatur zu entnehmen; Quellenkritik ermöglicht Kontextualisierung; ohne die Leute die
ich beforsche kann es keine Forschung geben (Gleichbeteiligung)! Subjektivität soll auch berücksichtigt werden.
• Nicht das andere in die eigenen Begriffe unterordnen, sondern das Andere akzeptieren; andere Kontexte bewusst
machen und reflektieren; das Fremde nicht vereinnahmen, sondern erkennen;
• Spannungsgeladene Beziehung aufgrund kolonialer Erfahrung
• EH ist nicht interessiert eine Geschichte zu konstruieren, sondern eine Vielzahl an Geschichten zu erzählen und die
eigene Geschichte auch miteinzubeziehen; alle sozialen Gruppen haben Geschichte;
• Ziel der EH → ethnozentrische Annahmen einer kritischen Revision zu unterziehen; Interviews, Offenheit und
Quellenkritik;

2. „No Peace without Equal Rights and Justice!”

• Diskurstheorie = diskursive Gerechtigkeit Habermas


• Bedeutung von Gerechtigkeit für Recht;
• Gerechtigkeit ist eher ein Maßstab für Diskurse;
• Eurozentrismus überwinden, darunter aber auch Habermas selbst → übersieht Gewaltverhältnisse, gibt westlicher
Moderne den Vorrang, macht selbst Fehler;
• Transkulturelle EH ist an rechtlichen Systemen, politischen Vorstellungen, governance interessiert
• Korrektur eurozentrischer Entwicklungsmodelle
• historische Monopolstellung von Europa ist unhaltbar, Evolutionistische Postulate zeigen Herrschaftsansprüche
• Diskurstheorie des Rechts: Gerechtigkeit ist nicht eine Kategorie (das ist richtig und das ist falsch) sondern ist das
Ergebnis von rationalen, diskursiven Einigungsprozessen
• Maroons → entflohene Sklaven, Gegenwelt zu den Plantagen, Guerillakrieg gegen GB, Friedensvertrag,
weitgehende Autonomie, Staat im Staat; gestützt auf Wissensbestände und rechtliche Überlieferungen aus Ghana
→ Unparteilichkeit des Königs bei Entscheidungssuche; Gesetz greift erst dann, wenn es für alle passt;
Gerechtigkeit als Bedingung für gutes Regieren; Demokratie nach westafrikanischem Vorbild;
• Verfahrensvorstellung von Gerechtigkeit statt einseitiger autoritärer Gerechtigkeit; Konsens; Einigung;
• Gleichberechtigte Selbstbestimmung aller Betroffenen;
• Zitat Habermas: Jeder theoretische Bezugspunkt, der Partei ergreift, ist in einer pluralistischen Gesellschaft
(Weltgesellschaft) zum Scheitern verurteilt.
• Gerechtigkeit im UN-Sicherheitsrat ist nicht haltbar, weil wenn einer sagt Nein dann ist es auch Nein;
3. „Jamaican Version: The Good, the Bad, and the Ugly”.

• Praxeologische Theorie: Zusammenhang von Geschichte und Gegenwart und auch Individuum und Gesellschaft;
• Feld → kann alles sein von einer bestimmten sozialen Gruppe die zusammenhält, Arena des sozialen Lebens
(Reggae in Europa, Reggae in Jamaica, überall);
• Habitus → habits, Sozialisation, inkorporierte soziale Strukturen;
• Kapital → Formen von Macht, nicht zwingend materiell, kann auch soziales Kapital sein → Anerkennung;
• Praxeologisches Forschungsinteresse: wieso handeln Menschen so miteinander wie sie es tun? Wieso macht der
was er macht? Man möchte unbewusstes Handeln verstehen;
• Zusammenhang Struktur und Praxis ist entscheidend;
• Beziehung zu anderen Feldern ist wichtig; nicht abgesondert betrachten;
• weniger klassischer Reggae (One Love) in Jamaica, sondern eher Dancehall (Einfluss von Westernfilmen);
• Feld als sozialer Raum der durch die Verteilung von Eigenschaften und Kapital der einzelnen Akteure konstituiert
wird; was ist die innere Logik des Feldes, wie kann ich mir die Daten anschauen sodass es Sinn macht → self-
propelling program;
• Beziehungen zu anderen Feldern → Musikindustrie, Tourismus, Politik, künstlerisches Feld etc.
• man neigt dazu Mechanismen in ein Feld zu verorten obwohl es von draußen kommt aufgrund der relationalen
Betrachtungsweise
• man glaubt, dass Reggae Interpreten Erfinder des Machismo waren obwohl sie es nicht waren; es kam von draußen
→ Teil der mental slavery (Bob Marley) → Kolonialismus, christliche Missionierung
• horizontale Verbindung zu anderen Feldern und vertikale Verbindung zur Geschichte;
• Jedes Feld ist ein Produkt seiner Geschichte; alles kann in einem Feld weiterwirken bzw. Auswirkungen haben;
einzelne Einflüsse (Sklaverei, Kolonialismus, Überlebenskampf, Prekarität) verschmelzen dabei aber nicht;
unterschiedliche Einflüsse (Kolonialismus, Kampf, Afrika) im Reggae heißt nicht, dass R. ein Misch aus allem ist,
sondern alles lebt im Reggae weiter und beeinflusst sich gegenseitig;
• aus historischen Kämpfen um Macht, Herrschaft und Dominanz entsprungene soziale Arena → gleichzeitiges
Zusammen- und Gegeneinanderwirken → Widersprüche, historische Spannungen
• es wirkt so als wären sie widersprüchlich oder als würden sie keinen Sinn machen → wie kann man diese Einflüsse
nicht mehr als Widersprüche betrachten und in Verbindung miteinander bringen? Wie können sie in
Sinnzusammenhänge gesetzt werden → Anspruch Habitus;
• es gibt immer Einflüsse die das eigene Handeln beeinflussen, gleichzeitig sind sie nicht 100-prozentig und dadurch
kann man sie weiter verändern;
• Respect due, symbolisches Kapital → Praxeologische Theorie: Überwindung sozialwissenschaftlicher Gegensätze
(Subjektivismus, Objektivismus)
• Zitat: strukturierte Strukturen die das Handeln prägen und durch dieses Handeln wieder weitere Strukturen
ändern, dazwischen kann es Veränderungen der Strukturen geben; gewisser individueller Aspekt → Individuum
wird vom Feld und eigener individueller Geschichte geprägt;
• Feld gibt Handlungsrahmen vor, wird meistens eingehalten aber nicht immer zwingend notwendig
• Balance, dass man das Individuum nicht Strukturen unterordnet und gleichzeitig die Strukturen aber betont;

4. Ethnozentrismus, Tempozentrismus

• Jomo Kenyatta
• damals war Ethnologie von europäischen Forschern dominiert über “Eingeborene” zu schreiben
• Texte über “Andere” weil sie selber nicht in der Lage wären über sich zu schreiben
• Kenyatta hat selber seine eigene Gruppe beschrieben, weil er selbst dazugehört hat; dort aufgewachsen
• keine neue oder postmoderne Ethnographie, sondern hat viel eher das Machtmonopol Europas infrage gestellt;
• jahrhundertelange „Erforschung“ des „Rests der Welt“ durch westliche Wissenschaftler;
• Andere hatten kein Mitspracherecht bei der Herstellung
• meinungsbildende Medien waren nicht für alle offen;
• Titel, Ausbildung = symbolisches Kapital für Zugang zu öffentlicher Meinung → Kenyatta hätte ohne Studium nicht
als Afrikaner über Afrikaner schreiben können
• Machtgefälle → Malinowski war Lehrer von Kenyatta obwohl Kenyatta viel mehr über Afrika weiß
• Eingeborene als Objekte der Darstellung
• keine Grenzen für westliche Wissenschaft
• um das Narrativ der Moderne Europas zu demonstrieren brauchte man eine „primitive“ Gegenwelt (Peripherie) →
Europa stellte sich als Ziel, Zentrum dar;
• implizite Gewaltbeziehung in der modernen Ethnographie;
• symbolische Gewalt wird von Kenyatta bereits angedeutet (Wilderer & Hase);
• Anthropologie hatte eine bedeutende Rolle für deren einseitigen Diskurs;
• die „Wissenschaft des Menschen“ wurde auf den „unbekannten Teil der Menschheit“ reduziert um hegemoniale
Interessen zu vertreten; Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit nur in Europa
• Anthropologie war ein Mittel des Kolonialismus → wie kann ich die anderen besser verstehen um sie besser zu
beherrschen?
• Betroffene konnten keine Gegenperspektiven veröffentlichen; nur weiße Männer haben geschrieben;
• Monologe der europäischen Anthropologie;
• „moderne“ Anthropologie will fremde Stimmen aneignen; → postmoderne Kritik → gegen koloniale
Repräsentationsformen; Paradigmenwechsel zum inter- und multikulturellen Dialog → mit Anderen arbeiten!
• PM ist eine literaturkritische Auseinandersetzung mit asymmetrischen Haltungen; alle Teilnehmer sind wichtig;
• einseitige Autorität soll dekonstruiert werden;
• Dialog, Kooperation, Gleichberechtigung, Beziehung Eigenheit-Fremdheit → das Eigene braucht das Fremde und
andersrum;
• Tempozentrismus: Einnahme kurzsichtiger Zeithorizonte → Wahrnehmung-, Deutungs- und Entscheidungsdefizite;
lässt sich auf individuelle Haltungen anwenden, meint aber hauptsächlich politische Entscheidungsprozesse;
• Konsequenzen für die folgenden Generationen werden aus dem temporären Eigennutzen heraus nicht
berücksichtigt; habitualisierte Haltungen; wie bekomme ich jetzt möglich viel Gewinn ohne auf die Konsequenzen
zu schauen;
• kurzfristige Interessen stehen im Vordergrund;
• Feld der Politik → Kapitaleinsätze; zukünftige Generationen werden ignoriert obwohl sie betroffen sind →
Diskurstheorie von Habermas;
• Kritik der PM von FeminstInnen → feministische Theorien wurden ignoriert sondern wurden als vermeintlich
„neue“ Entwürfe beschrieben → Plagiat; Kritik des othering keine neue Idee der PM

5. „Ethnizität für die Praxis. Drei Bereiche, sieben Thesen und ein Beispiel.“

• 7 Thesen; 7 Aussagen, Überlegungen;


• 1. These: Ethnizität ist ein soziales Verhältnis zwischen zwei oder mehreren Gruppen, mit der Auffassung, dass sie
sich kulturell voneinander unterscheiden
o Beziehungssystem von Menschen und Gruppen
o keine festgefangene Identität, sondern etwas das situationsabhängig ist
o beinhaltet bestimmte Meinungen über sich und Andere;
o ethnische Identität → das was Unterschiede ausmacht; Was nach Eigen- oder Fremdzuschreibung die
jeweiligen Besonderheiten einer Gruppe ausmacht
o ethnische Gruppe → jeweilige Gruppe; Gruppe, die sich selbst so definiert oder von anderen (auch
gegen eigenen Willen) so bezeichnet wird
• 2. These: Ethnische Gruppen tendieren zu Ethnozentrismus
o Selbstdarstellung und Abgrenzung einer Gruppe aufgrund vorherrschender Meinungen innerhalb
o andere Faktoren sind auch wichtig → intern abweichende Meinungen und die Summe aller
Fremdzuschreibungen
o Rest der Welt wird stark verkleinert, Eigenes wird stark vergrößert;
o Eigenes als eigentlich kleine Gruppe wird mit dem Rest der Welt gegenübergestellt;
• 3. These: Ethnisch ist kein Synonym für rassisch;
o Unterschiede zu verabsolutieren aber diese zu ignorieren kann beides zu Rassismus führen;
o Keine unveränderliche Identität
o Ethnizität als relationaler Begriff
o Gefahr im Alltag, wenn „ethnisch“ im Sinne unveränderliche Identität verwendet wird, lässt sich leicht
missbrauchen
o zwischen Eigenem und Fremden existiert eine Beziehung;
• 4. These: Ethnizität und Nation sind nicht identisch;
o Ethnizität überschreitet oft Grenzen
o Nation: politische Gemeinschaft, die dauerhaft im selben Staatsverbund lebt
• 5. These: Ethnizität und Kultur sind nicht identisch;
o kulturelle Aspekte äußern sich im Zusammenhang mit Ethnizität aber sind nicht starr oder festgefangen;
o Teilelemente der Kultur machen Ethnizität aus
o Kultur im „engeren“ Sinne: Kultur als längerfristig gewachsene, vorherrschende Weltbilder (Kosmologie)
einer Gesellschaft und die daraus abgeleiteten Praktiken
o Kultur im „weiteren“ Sinne: Gesamtheit aller ideeller und materieller Manifestationen einer Gesellschaft
• 6. These: Ethnizität ist dynamisch;
o Homogenität ist die Ausnahme;
o dünnes Konzept → von vielen anderen Faktoren beeinflusst;
o Ethnische Grenzen sind durchlässig und veränderbar;
• 7. These: Ethnizität variiert;
o Politische, wirtschaftliche, soziale und demographische Faktoren beeinflussen und verändern immer
wieder aufs Neue, wer von wem warum
▪ welcher ethnischer Gruppe zugeordnet wird oder wer sich welcher Gruppe zuordnet
▪ gezwungen wird, ethnische Identität zu verleugnen oder
▪ ethnische Identität besonders zu betonen
o Ethnische Identität kann belanglos werden, wenn andere Aspekte der Identität in den Vordergrund
rücken (Gender, Alter, Herkunft);
o durchlässige Bereiche wachsen in Zeiten postkolonialer Globalisierung; fördern Übertritte, Assimilation
und Entstehen von neuen hybriden Formen;
o in manchen Situationen verleugnet man seine Identität, in manchen betont man sie etc.
o Ethnizität ist keine fixe Identität, sondern ist kontextabhängig;

6. Vermittler zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; Ethnographische Museen im Spannungsfeld

• ethnographisches Museum und KSA → gemeinsame Geschichte;


• seit der postmodernen Wende (80er) gewandelt;
• von positivistischem Lesen von Quellen hin zu kritischer, selbstreflexiver, kommunikativer Forschungspraxis;
• contact zones → wo verschiedene Interessen ausgehandelt werden;
• 1. Beispiel: Federkopfschmuck, Restitution/Leihgabe aufgrund Fragilität nicht möglich, egal in welchem Feld man
gerade ist, was sind die Einflüsse von anderen Feldern?
• exhibitionary complex → Dekonstruktion des Museums als Teil des exhibitionary complex der Moderne; das
Museum dient zur Produktion und Abgrenzung gegenüber anderen (Sozialschwache, Frauen, Exotische) → alles
was kein weißer europäischer Mann war; Nachfolger von Wunderkammern; dienten im 19. Jahrhundert Normen
und Weltbilder zu formen; dabei haben sich neue Disziplinen entwickelt;
• 2. Beispiel: Ghost Dance Shirt; Massaker der Native Americans; Schottische Bevölkerung hat Parallelen zu den
gehaltvollen Verdrängungen in den USA bemerkt; gemeinsame Unterdrückung durch Briten; Schotten
solidarisieren sich mit den Natives; Museum als Diskussionsraum; Postmuseum; nicht mehr nur um das visuelle
Paradigma (Ausstellen) sondern hin zu einem Diskussionsparadigma;
• Blackfoot Shirt Project → Umgang mit sensiblen Sammlungen hat nicht die Rückgabe zur Folge; VertreterInnen,
KünstlerInnen und Jugendliche der Blackfoot Nation konnten in Museen in GB und durch die Leihgabe in Canada
sich mit solchen Shirts auseinandersetzen; spirituelle und belebte Objekte als Verbindung zu den Ahnen; kulturell
unterschiedliche Auffassungen → unterschiedlicher Umgang; was ist eine Lösung die für alle Beteiligten passt;
• Glocal Frictions → Mitsprache der Herkunftsgesellschaften im Museum; Grundvoraussetzung → transnationale
Bewegungen und Interdependenzen, Globalisierung; Distanz zwischen Museum und Menschen ist heute nicht
mehr physisch sondern eher sozial; neue kosmopolitische Arten des Zusammenlebens und gleichzeitig auch
Ungleichheiten von postkolonialen Machtverteillungen; mehr Selbstrepräsentation wird von Diaspora Communities
eingefordert; es mangelt nicht an Expertenwissen sondern dass Selbstrepräsentation wichtig ist;
• museum frictions → Spannungen zwischen unterschiedlichen Interessen in Museen im Zeitalter der Globalisierung
• global theatres → Handlungsspielräume von lokalen Geschichten und globalen Interdependenzen geprägt
• Fokus auf Dialog in postmuseums → Objekte, Produzenten oder Qualitäten geraten aus dem Blick; brauchen
Museen Objekte? Beziehung zwischen Menschen und Dingen in den Fokus; Funktion als „Kunst“ im westlichen
Sinn; außereuropäische Kunst nicht nach formalen Kriterien zu analysieren, sondern auch dynamische Kontexte
einzubeziehen; wie sinnvoll kann Kunst doch sein? Ästhetik ist nicht gleich Schönheit; europäische Maßstäbe gelten
als Norm → falsch!
• Ausblick: Museen beherbergen Objekte die anhand Ästhetik beurteilt werden können aber auch bezüglich ihrer
Lebensgeschichte und soziokultureller Bedeutung; Archivarbeit und oral history geben Einblicke in post-/kolonialen
Kontaktgeschichten

7. Quellengattungen

• von Bibliotheks- und Archivarbeit bis ethnographische Datenerhebung


• FF besonders wichtig;
• authentische zeitgenössische Quellen und abgeleitete Quellen;
• methodische Offenheit was eine Quelle sein kann; nix von vornherein ausschließen;
• 9 Quellengattungen;
o schriftliche, bildliche & audio-visuelle, kartographische Quellen, Flugschriften & Zeitungen, narrative &
biographische Interviews, Realien, Feldforschungsberichte, Online-Ressourcen
• Quellenkritik: Unterteilung zwischen äußerlicher und innerlicher Kritik; Echtheit oder Fälschung? Entstehungszeit-
und Ort; Interessen; Urheber; Abhängigkeitsverhältnis zu anderen Quellen? Quellen kritisch hinterfragen;
Interpretationen soll mehr Spielraum zugeteilt werden

8. narrativ-biographisches Interview

• in praxeologisches Paradigma eingebettet → deshalb Methoden entwickeln, um diese Strukturen zu rekonstruieren


→ Erzählungen von Akteuren
• wieso handeln Menschen so wie sie handeln? es braucht Methoden um das zu rekonstruieren und dazu braucht es
Erzählungen; nicht zu versuchen Erzählungen des anderen in meine Worte zu formulieren, sondern es diskursiv zu
gestalten;
• wichtigste Methoden in der Anthropologie → offene und qualitative Interviews immer gut;
• 1. Phase: Kontaktaufnahme und Interview ausmachen; Erzählaufforderung; möglichst offen gestaltet; Person soll
offen reden ohne andauernd nachzufragen; wenn das vorbei ist → immanentes, rückgreifendes Nachfragen →
anhand der Notizen, Stichwörter während der Erzählung; möglichst nahe an der Wortwahl der Erzählung; es
eröffnet sich ein kleinerer Erzählzeitraum;
o → 3 Formen: weitere Erzählungen, weitere Handlungsszenen, weitere Situationen;
• keine Suggestivfragen
• nach immanenten Nachfragen kann exmanentes Nachfragen folgen, wenn manche Zusammenhänge noch nicht
klar sind oder interessantes noch nicht geklärt ist;
• separate Sitzung; engerer Fragestil; nicht mehr viel erzählen, sondern konkretes;
• Abschluss: reasoning; Gespräch über das Gespräch; was hat das Gespräch ausgelöst? gibt es Theorien? Diskussion
über das Gespräch;

Peter Tosch

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