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Wolf-Dietrich Greinert
Eine „Geschichte
Wolf-Dietrich
Geschichte derGreinert
Berufsausbildung
der Berufsausbildung
in Deutschland
in Deutschland“ kann, streng genommen, nur im
Kontext einer umfassenden Bildungsgeschichte, d. h. unter Einschluss der Entwicklung
der sog. „allgemeinbildenden Schulen“ geschrieben werden. Nur auf diese Weise werden
alle Facetten der gesellschaftlichen Funktion des beruflichen Bildungswesens über einen
längeren Zeitraum hinweg hinreichend deutlich. Doch dies erscheint in Form eines Hand-
buchartikels allein schon wegen des zu erwartenden Umfanges als nicht durchführbar. Der
folgende Text beschränkt sich folglich auf die Geschichte des institutionellen Kerns der
beruflichen Ausbildung in Deutschland, auf die historische Entwicklung des sog. „Dualen
Systems“, der größten beruflichen Qualifikationsmaschine des deutschen Bildungswesens.
Bezüglich der eingangs aufgestellten Forderung kann auf eine einschlägige Untersuchung
des Autors verwiesen werden (vgl. Greinert 2003).
Betrachtet man die Soziogenese des Dualen Systems der Berufsausbildung unter struktu-
rell-funktionalen Gesichtspunkten, so lassen sich drei Entwicklungsphasen voneinander
abgrenzen (vgl. Greinert 1993):
> eine Gründungs- bzw. Protophase (1870–1920),
> eine Konsolidierungsphase (1920–1970) und
> eine sich dem Ende zuneigende Ausbauphase (etwa ab 1970).
mann 1992). Anders ist nicht zu erklären, warum Deutschland an der Schwelle zum 20.
Jahrhundert, im Scheitelpunkt der Industriellen Revolution das antiquierte ständische
Ausbildungsmodell des Handwerks per Gewerbegesetzgebung wiederbelebte und – dies
war wohl so weder gemeint noch voraussehbar – zum Vorbild seiner nicht-akademischen
Berufsausbildung überhaupt machte (vgl. Stütz 1969). Die Restauration der im Mittelalter
entstandenen Handwerkerausbildung mit den Qualifikationsstufen Lehrling – Geselle –
Meister erfolgte im Zuge der sog. „Mittelstandspolitik“ des Kaiserreiches, jenem großange-
legten Versuch, den alten – sozial und ökonomisch verfallenden – Mittelstand (Handwerk,
Kleinhandel, Kleinbauerntum) vor der Proletarisierung zu bewahren und in ein „Bollwerk
gegen die Sozialdemokratie“ zu verwandeln (vgl. Greinert 1975).
Konkret hieß das, dass die Reichstagsmehrheit aus Konservativen, Zentrum und Teilen
der Nationalliberalen zwischen 1878 und 1897 – und dann noch einmal 1908 – neben ei-
nigen Novellen zum Schutze des Detailhandels eine Reihe von Gewerberechtsnovellen
durchsetzte, die die Forderungen der mittelständischen Interessengruppen zwar nicht voll
erfüllten, jedoch eine deutliche Bevorrechtigung von Handwerk und Detailhandel im
wirtschaftlichen Bereich auf Kosten Dritter – vor allem der Konsumenten – legalisierten.
Die wichtigste Novelle, das sog. „Handwerkerschutzgesetz“ von 1897 ermöglichte zur
Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen der selbständigen Handwerker die Einrich-
tung von Handwerkskammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts und schuf –
nicht zuletzt zur Wettbewerbsbegrenzung – das Institut der sog. „fakultativen Zwangs-
innung“ (vgl. Rinneberg 1985). Der „große Befähigungsnachweis“, der die Führung eines
Handwerksbetriebes vom Meistertitel abhängig macht, wurde zwar 1890 vom Reichstag
beschlossen, scheiterte jedoch am Einspruch des Bundesrates. Als nicht ganz adäquater Er-
satz sozusagen wurde 1908 der sog. „kleine Befähigungsnachweis“ Gesetz: Die Ausbildung
von Lehrlingen durften fortan nur geprüfte Meister besorgen.
Die Gewerberechtsnovelle von 1897 war nicht nur das wichtigste Gesetz des Kaiserrei-
ches im Hinblick auf die ökonomische Stabilisierung und Neuordnung des Handwerks,
sie ist – zusammen mit der Novelle von 1908 – auch zum Fundament des „deutschen Sys-
tems“ der Berufsausbildung, des Dualen Systems, geworden. Die Novelle regelte das Lehr-
lingswesen grundsätzlich neu: sie enthielt in den Paragraphen 126 bis 128 „allgemeine“
und in den Paragraphen 129 bis 132 „besondere“, d. h. nur auf die Lehrlingsausbildung
im Handwerk bezogene, Vorschriften, Bestimmungen, die eine langanhaltende Bevorrech-
tigung des Handwerks in der – quantitativ am meisten ins Gewicht fallenden – gewerbli-
chen Berufsausbildung zementierten (vgl. Schlüter/Stratmann 1985).
Kann man die Wiederbelebung der handwerklich-ständischen Berufsausbildung als eine
konservativ-klerikale Variante von Mittelstandspolitik bezeichnen, so muss man den Ver-
such, die zweite „Säule“ dualer Berufsausbildung, die Fortbildungsschule, zu etablieren, als
eine liberale Variante von Mittelstandspolitik einordnen. So genannte „Fortbildungsschu-
len“ existierten seit dem 18. Jahrhundert in Deutschland sowohl als allgemeine Erzie-
hungsanstalten für die schulentlassene Jugend (Sonntagsschulen) als auch als gewerbliche –
insbesondere der Handwerkerausbildung dienende – Einrichtungen. Es waren indes keine
erfolgreichen und beliebten Schulen, und ihr Bestand unterlag dauernder Gefährdung
(vgl. Thyssen 1954). Eine größere Dynamik bekam die Fortbildungsschulpolitik in den
deutschen Ländern erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, als infolge des rapiden Be-
völkerungswachstums die Lücke in der sekundären Sozialisation – vor allem der männli-
chen Jugendlichen – für die bürgerliche Gesellschaft zu einem nicht mehr zu übersehen-
den Massenproblem zu werden schien. Allerdings schlug der erste Versuch, über eine all-
Geschichte der Berufsausbildung in Deutschland 501
Republik“ stärkere Veränderungen an der Struktur des Systems vornahm (vgl. Biermann
1990).
Man kann in dieser politisch bewegten Entwicklungsphase im Wesentlichen drei ausbil-
dungspolitische Handlungsstränge unterscheiden:
> den Versuch der Industrie, ein spezifisch modernes, an rationalen Kriterien orientiertes
Berufsausbildungsmodell für die eigenen Bedürfnisse aufzubauen, das vorzugsweise der
Verfügungsgewalt der Unternehmerschaft unterworfen sein sollte;
> den Versuch von Unternehmern, Berufsschullehrern und staatlicher Bürokratie, eine ex-
plizit entpolitisierte Berufsschule zu schaffen, die sich als „niedere Fachschule“ mit
Pflichtcharakter an den Qualifikationsbedürfnissen „der Wirtschaft“ orientieren sollte;
> den Versuch vor allem gewerkschaftlich orientierter Kräfte, Einfluss auf die Berufsaus-
bildung über ein umfassendes Gesetz zu erreichen, das vor allem die Mitwirkungsrechte
der gesellschaftlichen Interessenvertreter der Arbeitnehmerschaft festschreiben sollte.
Die – gegenüber der ersten Epoche stark veränderten – Problemlagen, die als Auslöser und
Triebkräfte dieser politischen Handlungskomplexe gelten können, sind leicht auszuma-
chen: es sind dies die Qualifikationsbedürfnisse einer entwickelten, auf Massenproduktion
ausgerichteten Industrie, der Wegfall der politisch konservativen Legitimationsbasis der
Fortbildungsschule und die einseitige Privilegierung der Unternehmerschaft in Bezug auf
die Berufsausbildung durch die Gewerbegesetzgebung.
(1) Schon in der letzten Konjunkturphase vor dem Ersten Weltkrieg (1895–1913) verän-
derten sich infolge beschleunigten Wachstums die Qualifikationsanforderungen der Indus-
trie. Besonders in den Pionierbetrieben des Maschinenbaues und der Elektroindustrie er-
zwangen die neuen Größenordnungen neue Produktionsmethoden, deren Muster in den
USA entwickelt worden waren (vgl. Hanf 1987). Hierzu gehörten: Spezialisierung des
Produktionsprogramms, detaillierte Selbstkostenberechnung für die einzelnen Fabrika-
tionsstufen, Leistungsvorgaben und Kontrolle, Normierung austauschbarer Teile und de-
ren Sicherung durch sog. Toleranzlehren („Passungen“). Dieser Rationalisierungsschub er-
forderte einen neuen Typus von Industriearbeiter, der – anders als die bislang beschäftig-
ten „Künstler-Handwerker“ – gewillt war, sich den Anforderungen und Zwängen der neu-
en Produktionsmethoden zu unterwerfen.
Das neue Ausbildungsmodell, das die Industrie etwa ab Mitte der 20er Jahre entwickel-
te, war daher stark von den Ideen der von Frederick W. Taylor entwickelten „Wissen-
schaftlichen Betriebsführung“ beeinflusst und umfasste im Wesentlichen drei neue Di-
mensionen: eine institutionelle mit Lehrwerkstatt (vgl. v. Behr 1981) und Werkschule
(vgl. Fenger 1968), eine methodische mit psychologischen Auswahlverfahren, standardi-
sierten Lehrgängen (Ploghaus 2003) und Lehrmitteln sowie eine berufssystematische mit
den sog. „Ordnungsmitteln“ Berufsbild, Ausbildungsplan und Prüfungsanforderungen
(vgl. Benner 1987). Für die Entwicklung und Ausbreitung dieses Modells wurden spezielle
Institutionen – wie Deutscher Ausschuss für Technisches Schulwesen (DATSCH), Deut-
sches Institut für Technische Arbeitsschulung (DINTA), Arbeitsausschuss für Berufsaus-
bildung (AfB) – gegründet (vgl. Herkner 2003), die eine bis dahin in der traditionellen
Handwerksausbildung unbekannte Systematisierung und Perfektionierung der Berufsaus-
bildung entwickelten und durchsetzten (vgl. Pätzold 1981). Die Vormachtstellung des
Handwerks in diesem Bereich war mit der Durchbrechung seines faktischen Prüfungsmo-
nopols im Jahre 1936 weitgehend beseitigt. Mit dem „Facharbeiter“ war ein neuer Qualifi-
Geschichte der Berufsausbildung in Deutschland 503
kations-, ja Sozialtyp entstanden, der spätestens seit den 30er Jahren die Leitfigur im Dua-
len System abgab (vgl. Ebert 1984).
Trotzdem gelang es der Industrie nicht, ein völlig eigenständiges Berufsausbildungsmo-
dell durchzusetzen. In den 20er Jahren mit ihrer „Werkschulbewegung“ noch auf Kon-
frontationskurs, vollzog sie im Schatten der Weltwirtschaftskrise mit der Anerkennung der
öffentlichen Berufsschule als zweiten Lernort stillschweigend die Eingliederung ihrer Fach-
arbeiterausbildung in den Organisationsrahmen der (traditionalen) dualen Berufsausbil-
dung (vgl. Hoffmann 1962). Die hohe Effizienz und spätere internationale Wertschätzung
des deutschen Berufsausbildungssystems wurden indes erst durch diese innovative Integra-
tion von traditionalen und modernen Elementen begründet.
(2) Die etwa ab 1920 „Berufsschule“ genannte Fortbildungsschule entwickelte sich im Ge-
gensatz zur Industrieausbildung in dieser zweiten Phase nur langsam und unstet zum allge-
mein anerkannten Lernort (vgl. Kümmel 1981). In der Weimarer Zeit geriet sie – trotz al-
ler demonstrativen Programmatik – als Instrument zur Regulierung des Arbeitsmarktes
und der Aufrechterhaltung der Arbeitsmoral jugendlicher Erwerbsloser vor allem während
der sog. Stabilisierungskrise (1923–1926) und der Weltwirtschaftskrise (1930–1933) ins
schulpolitische Abseits. Über alle Interessengruppen hinweg war man sich zwar einig, dass
die „neue Berufsschule“ in erster Linie der Förderung der Berufstüchtigkeit verpflichtet
sein sollte, die in den Weimarer Jahren periodisch anwachsende Zahl jugendlicher Er-
werbsloser im berufsschulpflichtigen Alter zwang indes die Bürokratie, die Schule primär
als soziales Auffangbecken zu nutzen. Diese sozialpolitische Instrumentalisierung drohte
das pädagogisch-didaktische Konzept der Schule, das Berufsprinzip bzw. die Idee der be-
ruflichen Bildung, und damit auch deren materielle Grundlage, zu zerstören (vgl. Schütte
1992).
Erst nach dem Ende der Weimarer Republik, mit der Zentralisierung der Schulverwal-
tungen der Länder in einem „Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volks-
bildung“ im Jahre 1934 war die Basis für eine Vereinheitlichung des zersplitterten öffentli-
chen Berufsschulwesens gegeben – allerdings auch für seine ideologische Steuerung durch
die Nationalsozialisten (vgl. Seubert 1977). 1937 wurden die unterschiedlichen Benen-
nungen der beruflichen Schulen einheitlich geregelt, 1938 wurde eine reichseinheitliche
Berufsschulpflicht eingeführt, 1940 durch Erlass der zeitliche Umfang des Berufsschulun-
terrichts einheitlich festgelegt. Ab 1937 ging die zentrale Bürokratie auch daran, Betriebs-
ausbildung und Berufsschulunterricht durch Schaffung gemeinsamer und einheitlicher
Lehrpläne strikter aufeinander zu beziehen („Reichslehrpläne“); im gleichen Jahre wurde
die wichtige Frage der Trägerschaft der Berufsschule bzw. ihre Finanzierung rechtlich ver-
einheitlicht (vgl. Kipp 1987).
Damit war in den späten 30er Jahren durch die zentralistische Politik der Nationalsozia-
listen die Form der klassischen Pflichtberufsschule juristisch fixiert: dreijährige Berufs-
schulpflicht, acht Wochenstunden Unterricht, Beschulungspflicht der Schulträger (Stadt-
und Landkreise), einheitliche Lehrpläne, enge Anlehnung der Berufsschule an die betrieb-
liche Ausbildung, Berufsschulbeiräte, Berufsschullehrer als Beamte. Die nationalsozialis-
tische Bildungsverwaltung vermochte jedoch nicht, diese Bestimmungen auch flächen-
deckend umzusetzen, teils aus Zeit- und Geldmangel, teils aus Desinteresse. Erst nach dem
Kriege, in der Bundesrepublik, konnte ein öffentliches Berufsschulwesen auf breiter Basis
realisiert werden, das der in den 30er Jahren vorgegebenen Rechtsstruktur weitgehend
folgte (vgl. Grüner 1983) – nun aber wieder unter föderalistischem Vorzeichen.
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(3) Die mit den Gewerberechtsnovellen von 1897 und 1908 bekräftigte Einbindung des
Berufsbildungsrechts in das Gewerberecht wurde zwar schon früh in Frage gestellt, erst ab
1919 jedoch, als die Gewerkschaften als Tarifpartner anerkannt waren, datiert der konkre-
te politische Versuch, eine umfassende Regelung des Lehrlingswesens in einem speziellen
Gesetz durchzusetzen und auch ein Mitwirkungsrecht der Gewerkschaften an der Durch-
führung der Berufsbildung zu erreichen (vgl. Pätzold 1982). Es dauerte jedoch zehn Jahre
bis die Reichsregierung dem Reichstag einen entsprechenden Gesetzentwurf zuleitete, des-
sen abschließende Beratung und Verabschiedung aufgrund der von der Weltwirtschaftskri-
se hervorgerufenen Turbulenzen aber unterblieb. Auch die Nationalsozialisten schafften es
nicht – hauptsächlich wegen der massiven Einflusskämpfe um die Berufsausbildung zwi-
schen Deutscher Arbeitsfront (DAF) und Reichswirtschaftsministerium – mehrfach pro-
duzierte Gesetzesentwürfe rechtskräftig werden zu lassen.
Nach dem Kriege gingen diese Bemühungen um eine spezielle und einheitliche Gesetzge-
bung für das Lehrlingswesen weiter, es gelang indes nur im Jahre 1953 dem Handwerk für
seinen Bereich, im Rahmen der Handwerksordnung (HWO) umfassende Berufsbildungs-
regelungen durchzusetzen – gegen den erklärten Widerstand der Besatzungsmächte und
der SPD. 1959 wurde dann durch eine Gewerkschaftsinitiative die Diskussion wieder auf-
genommen, Mitte der 60er von der Regierung abrupt beendet, dann aber Ende der 60er
Jahre von den beiden großen Parteien zu Ende gebracht: SPD und CDU/CSU konnten
sich im Rahmen einer „Großen Koalition“ auf eine gemeinsame Gesetzesinitiative einigen,
die dann am 14. August 1969 als „Berufsbildungsgesetz“ (BBiG) zur Verabschiedung ge-
langte (vgl. Nolte/Röhrs 1979). Mit diesem Datum – das wurde allerdings erst sehr viel
später sichtbar – ging eine weitere Epoche der Berufsbildung in Deutschland zu Ende.
aufeinander abgestimmt (vgl. Benner/Püttmann 1992); das Problem der vor allem in der
handwerklichen Ausbildung auftretenden Qualifizierungsdefizite ist mit einem groß ange-
legten Ausbauprogramm für überbetriebliche Berufsbildungsstätten (ÜBS) einer Lösung
nähergebracht worden; die pädagogische Qualifikation der betrieblichen Ausbilder ist seit
1972 durch Erlass formal geregelt (1999 novelliert).
Die entscheidende Rationalisierungsarbeit wurde indes auf dem Gebiet der Ausbil-
dungsberufe geleistet: Von 1969 bis 1990 sind für 229 Ausbildungsberufe neue Ausbil-
dungsordnungen erlassen worden (bei 378 insgesamt; Stand 1990). Davon wurde die Be-
rufsausbildung von 96 v. H. aller Auszubildenden erfasst. Im Verlauf dieser ersten Phase
der Ordnungsarbeit hat sich ein Prinzip durchgesetzt, das schon Anfang der 70er Jahre das
Ziel bildungspolitischen Engagements gewesen ist: bei fast allen Ausbildungsordnungen
wurde eine Trennung zwischen einer standardisierten Grundbildung und einer differen-
zierten Fachbildung vorgenommen. Die Reformpläne der 70er Jahre sahen vor, die beruf-
liche Grundbildung berufsfeldweit zu vereinheitlichen, mit allgemeinen Inhalten sinnvoll
anzureichern und der Berufsschule zuzuschlagen, die mit einer neuen vollschulischen Ein-
gangsstufe, dem „Berufsgrundbildungsjahr“ (BGJ), dem Dualen System eine neue – mo-
dernere – Struktur verliehen hätte. Das BGJ war jedoch nur als Torso zu realisieren: die
Furcht der Arbeitgeberorganisationen – vor einer „Verstaatlichung“ der Berufsausbildung
– und der Gewerkschaften – vor dem Schwinden ihres direkten Einflusses auf die Ausbil-
dung – erzeugten eine massive politische Gegenwehr, die das Reformprojekt schließlich zu
Fall brachte (vgl. Greinert 1984).
Das Berufsgrundbildungsjahr war nur ein Ansatz, mit dem versucht wurde, in umfassen-
der Weise das berufliche Ausbildungswesen zu reformieren. Daneben lassen sich beispiels-
weise der „Kollegstufenversuch Nordrhein-Westfalen“ und das Konzept der „Berliner
Oberstufenzentren“ anführen, die unter der Zielperspektive der „Integration von allgemei-
ner und beruflicher Bildung“ geplant waren. Diese im Zuge der allgemeinen Bildungsex-
pansion und Bildungsreform in Gang gesetzten Innovationen sind zwar alle mehr oder we-
niger gescheitert. Sie waren indes dadurch legitimiert, dass sie letzten Endes auf die Behe-
bung der hinlänglich bekannten Schwächen nicht nur des Dualen Systems, sondern des
gesamten beruflichen Bildungswesens abzielten: sie sollten eine qualitative Verbesserung
der praktischen Berufsausbildung und den berechtigungspolitischen Anschluss des berufli-
chen Bildungswesens an das allgemeine Bildungswesen erbringen, also die Einebnung des
in Deutschland traditionellen Grabens zwischen Allgemeinbildung und Berufsbildung ein-
leiten (vgl. Greinert 2003).
Das unrühmliche Versanden der letzten großen Bildungsreform in der Bundesrepublik
(1965 bis 1975), dem nicht zuletzt auch die grundlegende Modernisierung des beruflichen
Bildungswesens zum Opfer fiel, muss im Zusammenhang mit dem weitgehenden Schei-
tern der übrigen gesellschaftlichen Reformen in den sechziger und siebziger Jahren gesehen
werden, eine Entwicklung, die heute als Abschluss und Kulmination der Gründungsphase
der „alten“ Bundesrepublik gelten kann. Diese Krise markiert gleichzeitig das Ende der
Epoche der „klassischen“ bzw. „organisierten“ Moderne, deren Bogen sich etwa von der
Jahrhundertwende 1900 bis eben in die 60er/70er Jahre spannt.
Insofern kann auch die Phase der „Berufsbildungsreform“ von 1965 bis 1975 – in langer
historischer Perspektive und im Rückblick von über dreißig Jahren – eher als „Abschluss,
das Ende von etwas (. . . ) als den Neubeginn, den Anfang, den Auftakt einer durch sie ge-
prägten Ära“ interpretiert werden (vgl. dazu Nolte 2006, S. 27ff.). Reformstrategisch ge-
wendet, bedeutet dies, dass die damals verfolgten Konzepte und angewandten Instrumente
Geschichte der Berufsausbildung in Deutschland 507
für eine Neuauflage reformerischer Aktivitäten nicht mehr taugen. Nicht die weitere Ver-
besserung bzw. Optimierung des Berufsbildungssystems steht auf der Agenda – wie dies
beispielsweise mit Hilfe des neuen Berufsbildungsgesetzes von 2005 versucht wird –, son-
dern sein kreativer Umbau, eine zukunftsfähige Transformation.
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