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MASARYK UNIVERSITÄT IN BRÜNN

Philosophische Fakultät
Institut für Germanistik, Nordistik und Nederlandistik

Bakkalaureatsarbeit

Das österreichische Deutsch

Bearbeitet von: Petr Šubrt

Eingereicht von: PhDr. Anna Mikulová, Ph.D.


Ich erkläre hiermit, dass ich meine Bakkaulaureatsarbeit
selbstständig ohne fremde Hilfe geschrieben habe, und dass ich nur die
im Literaturverzeichnis angeführten Quellen verwendet habe.

...............................................

2
An dieser Stelle möchte ich mich bei Frau PhDr. Anna Mikulová, Ph.D.
herzlich bedanken.

3
Inhalt
Einleitung………………………………………………………………..2

1. Allgemeiner Teil………………………………………………………7
1.1. Historischer Hintergrund……………………………………………7
1.2. Das österreichische Wörterbuch…………………………………...10
1.3. Sprachschichten in Österreich……………………………………...12
1.4. Gegenseitiger Einfluss der tschechischen Sprache und des
österreichischen Deutsch………………………………………..............15
1.5. Sprache und Identität in Österreich………………………...............19

2. Linguistische Merkmale der österreichischen Standardsprache…….23


2.1. Österreichische Aussprachebesonderheiten……………………….23
2.2. Grammatik…………………………………………………………28
2.3. Wortschatz…………………………………………………………34
2.4. Das österreichische Amtsdeutsch………………………………….35
2.5. Das österreichische Deutsch im Rahmen der EU………………….31

3. Schluss……………………………………………………………….47
Literaturverzeichnis…………………………………………………….49
Anhang…………………………………………………………………50

4
Einleitung
„Der Österreicher unterscheidet sich vom Deutschen durch die
gemeinsame Sprache!“1
Dieser Satz kommt ursprünglich aus dem Englischen und soll
auf die Vergleiche der amerikanischen und britischen Sprache
aufmerksam machen. Es wurde wahrscheinlich von Karl Farkas auf die
deutsch- österreichischen Verhältnisse angepasst und folglich mit großem
Erfolg in seinem Kabarett vorgeführt. Dieses Zitat gestattet einen breiten
Raum für Überlegungen darüber, wodurch sich die Sprache in Österreich
von derer in Deutschland unterscheidet.
Das Hauptthema meiner Arbeit stellt das österreichische
Deutsch dar. Die deutsche Sprache wird in erster Linier in der
Bundesrepublik Deutschland, Österreich, in Lichtenstein und in der
Schweiz gesprochen, was die unterschiedlichen Varianten des Deutschen
entstehen lässt. In diesem Sinne wird sich mein Interesse auf die
Ausprägung der deutschen Sprache in Österreich richten.
Am Anfang werden die historischen Hintergründe und Einflüsse
der anderen Sprachen skizziert, damit man sich das notwendige
Vorwissen aneignen kann. Man berührt auch das Thema vom
Zusammenhang der Sprache und Identität, was besonders in der heutigen
Zeit eine große Rolle spielt. Im zweiten Teil werden vor allem die
Besonderheiten in der Aussprache, im Wortschatz und in Grammatik
untersucht, und zwar im Vergleich zum Binnendeutschen. Es wird
insbesondere auf die Abweichungen der Sprachen in Österreich und
Bundesrepublik Deutschland hingewiesen. Schließlich wird sich mein
Augenmerk auf das österreichische Amtsdeutsch und österreichisches
Deutsch im Rahmen der EU richten.
Diese Gedankenfolge wird großteils im Rahmen der
Standardsprache vorgenommen, d.h. die Schriftsprache und ihre
mündliche Realisierung. Die mündlichen Sprachweisen der

1
Sedlacek, R. Österreichisches Deutsch. Wien: Ueberreuter, 2004 (7)

5
Umgangssprache und des Dialekts werden aufgrund des breiten
regionalen Spektrums nicht in diese Arbeit einbezogen.

6
1. Allgemeiner Teil

1.1. Historischer Hintergrund


Am Anfang des 6. Jahrhunderts bildete sich aus verschiedenen
germanischen Gruppen der neue Volksverband der Baiern. Die Baiern
stoßen sowohl nach Süden, als auch nach Osten aus ihrem Territorium
vor. Es handelt sich vorwiegend um die Gebiete des heutigen
österreichischen Alpenraums im Osten und der Donauraum östlich der
Enns. Man kann somit feststellen, dass gerade durch die Baiern die
Frühgeschichte im heutigen Raum von Bayern und Österreich eine
gemeinsame, bis zur zeitgenössischen Zeit nachwirkende
Sprachgrundlagen geschaffen wurde. Schon in dieser Zeit entstehen
sprachliche Grundlagen, die einen Ausgangspunkt für die spätere
Weiterentwicklung der Dialekte darstellen.2
Mit der Errichtung der Marktgrafschaft 976 beginnt allmählich
die eigene politische Geschichte Österreichs, welche dann im Jahre 1156
an Intensität zunimmt, als Kaiser Barbarossa das Land zu einem
Herzogtum erhebt. Dieses Herzogtum nahm mit der Zeit innerhalb des
Heiligen Römischen Reiches eine prominente Stellung ein, indem Wien
die Hauptstadt Sitz des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches wurde.
Im Spätmittelalter des 14. und 15. Jh.s. kommt es zur
Entwicklung der regionalen frühneuhochdeutschen Schreibsprachen aus
den dialektalen Differenzierungen. Im österreichischen und bayerischen
Raum wird die bairisch-österreichische Schreibsprache verwendet, vor
allem im amtlichen Verkehr.3
Im 15. Jh. beginnt Martin Luther, seine reformatorischen
Bestrebungen zu verwirklichen. Als eine gültige und möglichst
verständliche Sprachform wählt er für seine Übersetzungsarbeiten die
ostmitteldeutsche meißnisch-obersächsische Schreibsprache, die jedoch
deutliche Merkmale oberdeutscher bairisch-österreichischer Sprache

2
Wiesinger, P. Die deutsche Sprache in Österreich. In: Wiesinger, P. (Hrsg.). Das
Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau, 1988. (S. 11-12)
3
Wiesinger, P. Die deutsche Sprache in Österreich. In: Wiesinger, P. (Hrsg.). Das
Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau, 1988. (S. 13-14)

7
aufweist. Dies hat zur Folge, dass im bairisch-österreichischen Raum
eine fortdauernd wirksame Tendenz vorlag, die durch einen ständigen
Übergang zwischen Dialekt, Umgangssprache und Schrift- und
Standardsprache getragen wird.
In der Regierungszeit Kaiserin Maria Theresias kommt es auch in
Österreich zur Aufnahme der ostmitteldeutsch-meißnischer Prägung.
Dadurch wurde klar zum Ausdruck gebracht, dass Wien die vorbildlichen
Formen aus dem sächsich-meißnischen Gebiet übernimmt. Die
sprachnormierenden Werke, welche die sprachlichen Richtlinien
bestimmen, werden von dem in Leipzig wirkenden
Sprachwissenschaftler Johann Christoph Gottscheld, dem Haupt
literarischen Aufklärung, verfasst. Sein sprachkritisches Wirken führt
weiterhin zur Sprachreform und ferner zur Übernahme der mitteldeutsch-
norddeutschen Form, was letztendlich zur Einführung der allgemein
gültigen Form der deutschen Schriftsprache im gesamten
deutschsprachigen Raum führte4. Die Bestrebungen für das Erlernen und
die Verbreitung der ostmitteldeutsch-meißnischer Prägung werden
folgendermaßen in Gang gesetzt. Die schon oben erwähnten
sprachnormierenden Werke von Johann C. Gottsched werden in Wien
neu publiziert oder nachgedruckt und durch die Anhänger dieser
Sprachverbindlichkeiten an den Schulen und Universitäten in Österreich
verbreitet. Weiter werden zahlreiche deutsche Grammatiken in
Österreich verfasst und an der Wiener Theresianischen Akademie die
Ausbildungsstätte des jungen österreichischen Adels errichtet.
Nicht alle folgen jedoch der offiziellen Sprachpolitik. Es bildet
sich eine Strömung des Widerstands, die auf eine österreichische
Varietätseigenstädigkeit basiert. Der bedeutendster Vertreter dieser
Gruppe ist der Sprach- und Naturwissenschaftler Johann S.V.
Popowitsch. Er sammelt die spezifisch österreichischen Wörter und
verfasst gegen die Anhänger Gottscheds gerichtete spöttische Texte. Kein
Werk von ihm wird jedoch veröffentlicht und die Tätigkeit der ganzen
Gruppe um ihn bleibt ohne größeren Erfolg.

4
Wiesinger, P. Das österreichische Deutsch in Gegenwart und Geschichte, LIT Verlag,
Wien, 2006 (S. 8)

8
Nach der Bildung der österreichisch-ungarischen
Doppelmonarchie 1866 verlieren die nördlichen deutschen Provinzen
ihre Geltung als Maßstab für ein richtiges dialektfreies Deutsch. Ihre
Stellung übernehmen die dialektfreien deutschen Regionen, die sich auf
dem Boden der Monarchie befinden. Dies sind vor allem die Regionen
der benachbarten Staaten des heutigen Österreichs, wie Prag in
Tschechien oder Laibach in Slowenien. Die Sprache wird in diesem
Raum durch neuen Wortschatz gekennzeichnet, was man durch ständigen
Kontakt mit den slawischen, romanischen und magyarischen Nationen
begründen kann. In dieser Zeit spricht man zum ersten Mal über
„österreichisches (Hoch)deutsch“ und damit gewinnt die
Eigenständigkeit des österreichischen Deutsch beachtlich an Nachdruck
und Bedeutung. 1879 kodifiziert Österreich die im Lande üblichen
schriftsprachlichen Gewohnheiten als „Regeln und Wörterverzeichnis für
die deutsche Rechtschreibung“.5
Der nächste Entwicklungsschritt der Sprache folgt nach dem
Zweiten Weltkrieg. Im Jahre 1945 erlangt Österreich die Souveränität
und das Volk entfaltet sein Nationalbewusstsein, wobei die Sprache als
ein wichtiges Merkmal für die Stärkung dieses Nationalgefühls
verdeutlicht wird. Es gibt jedoch auch ansatzweise auch Tendenzen, die
ein selbstständiges Deutsch, das im Rahmen der Verschriftlichung der
Dialektismen festgesetzt ist, fordern. Auf diese Bewegungen reagiert der
damalige Bundeskanzler Leopold Figl, indem er die Nation für
„österreichisch“, aber die Muttersprache für „deutsch“ erklärte. Kurz
darauf erscheint in 1951 ein „Österreichisches Wörterbuch“, das unter
anderem die gehoben-umgangssprachliche Ausdrücke beinhaltet.6
Die Besonderheiten des österreichischen Deutsch sind also ein
wichtiges Resultat des Verlaufes vom natürlichen, spontanen
Sprachwandel sowie des ständigen multikulturellen Sprachkontakts im
Mitteleuropa. Schließlich sind noch zwei Aspekte hervorzuheben, die zur
Eigenständigkeit des Österreichischen Deutsch beigetragen haben, und

5
Wiesinger, P. Die deutsche Sprache in Österreich. In: Wiesinger, P. (Hrsg.). Das
Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau, 1988. (S. 16)
6
Wiesinger, P. Die deutsche Sprache in Österreich. In: Wiesinger, P. (Hrsg.). Das
Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau, 1988. (S. 17)

9
zwar erstens, die unermüdlichen, zielstrebigen manchmal auch
staatlichen Standardisierungsprozesse, und zweites, der in österreichische
Verhältnisse wurzelnde Sprachgebrauch von Künstlern und
Schriftstellern seit dem 18.Jht.

1.2. Das österreichische Wörterbuch


Das österreichische Wörterbuch, „ein Wörterbuch der guten,
richtigen deutschen Gemeinsprache“, erscheint in 1951 erstmals in der
Geschichte und tritt an die Stelle der österreichischen „Regeln für die
deutsche Rechtschreibung nebst Wörterverzeichnis“, die bis 1938 für alle
Schulen verbindlich waren. Im Unterschied zu seinem Vorgänger ist
dieses Buch dadurch gekennzeichnet, dass es die für Österreich
spezifischen Besonderheiten berücksichtigt. So beinhaltet dieses in dieser
Zeit außerordentliche Werk eine ganze Menge der allgemeinsprachlichen
Wörter der österreichischen Umgangssprache und der österreichischen
Mundarten.
Dass es sich um ein rein österreichisches Werk handelt, kann man
anhand folgender Merkmale bestätigen.
 „Es ist herausgegeben im Auftrag des österreichischen
Bundesministeriums für Unterricht und ausdrücklich für den
Schulunterricht als geeignet erklärt; die oberste Normautorität der in
diesem Wörterbuch kodifizierten Sprachnormen ist also offenbar die
österreichische Regierung.
 Es ist beim Österreichischen Bundesverlag Wien erschienen.
 Sämtliche Bearbeiter sind Österreicher, nämlich Schulbeamte und
Hochschullehrer.“7
1979 erscheint die 35. Auflage, eines entscheidend bearbeiteten
und erweiterten ÖWB. Diese Neubearbeitung zeichnet sich nicht nur
durch umgangssprachliche und mundartliche Wörter, sondern auch durch
eine sozialistische Kennzeichnung, aus. Dadurch sollte ein klarer
Unterschied zu dem derzeitig in Deutschland üblichen Wortschatz
akzentuiert werden.

7
Ammon, Ulrich. Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und in der Schweiz.
Berlin, New York: de Gruyter, 1995. (S. 137)

10
Seit 1951 aber noch deutlicher seit 1979 ist im Rahmen der
Entwicklung des ÖWB eine klare Tendenz erkennbar, indem das
Wörterbuch dem vollen Sinn des Wortes immer mehr entspricht. Es zeigt
nicht nur die orthographischen Formen auf, sondern es bietet auch ein
breites Angebot an Informationen zur Bedeutungen, Verwendungsweisen
und Gebrauchsebenen von dokumentierten Wörtern.8
Die jüngste 38. Auflage des ÖWB vom Herbst 1997 gilt weiterhin
vor allem als ein Nachschlagewerk der Rechtschreibung. Gerade die
Rechtschreibung ist voll von Neuerungen, die im ÖWB eine erhebliche
Erweiterung erwirken. Als ein Beispiel lässt sich die Änderung der
Schreibung von <ß> und Ersetzen durch <ss> aufführen. In erster Linie
bleibt dieses Werk jedoch ein Wörterbuch der deutschen Standardsprache
in ihrer österreichischen Varietät. Eine besondere Aufmerksamkeit wird
den Wörtern aus Deutschland gewidmet, bei denen man unterscheidet, ob
sie in Österreich als allgemein ungebräuchlich oder in Deutschland als
gebräuchlich gewertet werden.
Das ÖWB wird in erster Linie als ein Schulbuch angesehen, aber
es findet auch im täglichen Leben, auf Ämtern oder in Büros,
Anwendung. Es gibt brauchbare Auskünfte über orthographische und
grammatische Erscheinungen, wie zum Beispiel die Verbflexion;
insbesondere der unregelmäßigen Verben und Angaben über deren
Gebrauch. Es ist von enormer Wichtigkeit, dass die Aufgabe des ÖWB
darin besteht, das österreichische Deutsch mit seinen spezifischen
Besonderheiten im Wortschatz, in Bedeutungen und seiner Grammatik
sowie in der Aussprache zu kodifizieren. Diese Aufgabe ist aufgrund der
Verwischung von Sprachunterschieden durch Massenmedien umso
bedeutungsvoller.
Schließlich kann man annehmen, dass dieses Wörterbuch seine
Anwendung eher außerhalb als in Österreich findet, da die Nicht-
Österreicher folglich ein größeres Interesse haben, sich über die
österreichischen Wortschatzbesonderheiten Informationen einzuholen.

8
Reiffenstein, I. Das Österreichische Wörterbuch: Zielsetzungen und Funktionen. In:
Muhr, R., Schrodt R., Wiesinger P. (Hrsg.). Österreichisches Deutsch: linguistische,
sozialpsychologische und sprachpolitische Aspekte einer Nationalen Variante des
Deutschen. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky, 1995. S. (160)

11
1.3. Sprachschichten in Österreich
Jeder einzelne Sprecher ist an geltende gesellschaftliche und
sprachliche Verhaltensweisen und Normen gebunden. Weitere Faktoren,
die während des sprachlichen Kontaktes wahrzunehmen sind, stellen die
gesellschaftlichen Gruppen, die die bestimmte Sprachschicht festlegen,
und die Gesprächssituation, die dann die sprachliche Ebene bestimmt,
dar. Die einzelnen Sprachschichten besitzen einen unterschiedlichen
sprachsoziologischen Rang und genießen eine unterschiedliche
Wertschätzung. Nebenbei gibt es die Spracheigenschaften, die alle
sprachliche Ebene betreffen.9
Die sprachliche Situation in Österreich sieht heutzutage so aus,
dass jeder Österreicher je nach Herkunft, Alter, Geschlecht, Stand,
Bildung, Gesprächspartner und Situation unterschiedliche Formen der
gesprochenen und geschriebenen deutschen Sprache gebraucht. Diese so
genannten Sprachformen sind charakteristisch für unterschiedliche
Kreise und Situationen, die der gesellschaftlichen Konventionen
unterliegen. Im Rahmen des Sprachganzen werden die einzelnen
Sprachschichten anhand der gesellschaftlichen und situativen Faktoren
festgelegt und beschrieben.10
Für die Beschreibung der Gliederung der gesprochenen Sprache
in Österreich wird von einem vierstufigen Modell ausgegangen. Dieses
unterscheidet vier Schichten der gesprochenen Sprache: Basisdialekt,
Verkehrsdialekt, Umgangssprache und Standardsprache. Um die
erheblichen Unterschiede zwischen der Standardsprache Hochdeutsch
und der mündlich gebrauchten Dialekte zu mildern, vermittelt gerade die
Umgangssprache die Übergangsform. „Die gesellschaftliche
Wertschätzung und damit das Prestige der einzelnen Sprachschichten
nimmt vom Dialekt über die Umgangssprache zur Standardsprache zu
bzw. umgekehrt ab.“11

9
Wiesinger, P. Das österreichische Deutsch in Gegenwart und Geschichte, LIT Verlag,
Wien, 2006 (S. 26)
10
Wiesinger, P. Die deutsche Sprache in Österreich. In: Wiesinger, P. (Hrsg.). Das
Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau, 1988. (S. 18)
11
Wiesinger, P. Die deutsche Sprache in Österreich. In: Wiesinger, P. (Hrsg.). Das
Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau, 1988. (S. 18)

12
Als Beispiel nennt Peter Wiesinger in seinem Buch den
folgenden Satz, welcher der Schriftsprache entspricht:
Heute Abend kommt mein Bruder nach Hause
Danach folgen die in Niederösterreich und nördlich von Wien
gebrauchten Äquivalente:
Basisdialekt: Heint af d´Nocht kimmt mein Bruider hoam.
Verkehrsdialekt: Heint auf d´Nocht kummt mein Bruader ham.
Umgangsprache: Heint åb´nd kommt mein Bruder z´Haus.
Standardsprache: Heute åb´nd kommt mein Bruder nåch Haus.12

Unter dem Basisdialekt versteht man die vererbten örtlichen bis


kleinräumigen Sprachformen, die besonders von den älteren,
alteingesessenen, traditionellen Dorfbevölkerung unter den Bauern und
Handwerker im alltäglichen Leben und in der Familie verwendet werden.
In Städten stellt dies der Stadtdialekt dar, der in erster Linie von den
unteren und teilweise auch von den mittleren sozialen Schichten der
Arbeiter und Angestellten im Alltag gesprochen wird. In einigen Fällen
wird er auch bei denjenigen Personen erkennbar, die ihre
Gesellschaftssicht zwar wechseln, aber ihre sprachlichen Gewohnheiten
nicht aufgeben. So wird der Basisdialekt als sprachliche Grundlage für
alle andere Sprachformen angesehen.
Der Verkehrsdialekt stellt die jüngere Schicht des
Landesdialektes dar, der auf einzelne Erscheinungen des Stadtdialektes
zurückkommt. Den Verkehrsdialekt wird besonders von den jüngeren
Generation auf dem Lande verwendet, ungeachtet der Stellung oder
beruflichen Tätigkeit, also Bauern, Angestellte oder Arbeiter in
Kleinbetrieben. Es kann sich sowohl um die örtlichen als auch
auswärtigen Beschäftigten handeln. Dieser Dialekt erstreckt sich von den
größeren Städten aus und schafft somit die bestehenden sprachlichen
Unterschiede, die vor allem einzelne Sozialschichten betreffen, ab.
Dieses Phänomen hat die Veränderung des Verkehrsdialektes zum
Regionaldialekt zur Folge. Diese Tendenz ist – im Rahmen Österreichs -

12
Wiesinger, P. Die deutsche Sprache in Österreich. In: Wiesinger, P. (Hrsg.). Das
Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau, 1988. (S. 18)

13
zum Beispiel in Niederösterreich zu finden, da dort die gravierenden
Unterschiede zwischen dem Wiener Stadtdialekt und der Landdialekten
in der Umgebung deutlich spürbar zutage treten. Die ländlichen
Dorfdialekte befinden sich also unter starkem Einfluss der benachbarten
Groß- und Kleinstädte – dies ist in Wien der Fall – und unterstehen somit
folglich ständigem Wandel. Schließlich lässt sich noch eine Gruppe der
Menschen erwähnen, die zu der höheren dörflichen Sozialschicht
angehören, wie etwa Ärzte, Lehrer, Pfarrer. Diese Leute sind ständig
beruflich im Kontakt mit einer breiten Gesellschaftsschicht und so
zeichnen sie sich durch ihre sprachliche Flexibilität aus. Im Alltag
verwenden sie also sowohl den Verkehrsdialekt, als auch die
Umgangssprache.
Die Umgangssprache dient als Vermittler zwischen dem Dialekt
und der Schriftsprache. Je nach der Situation kann die Umgangssprache
einen unterschiedlichen Charakter aufweisen, dem dann die Verwendung
der Ausdrucksmittel anzupassen ist. Man unterscheidet besonders den
verallgemeinernden und distanzierenden Charakter. Im Laufe der Zeit
nähert sich die Umgangssprache der Schrift- und Standardsprache an und
erweckte den Anschein, allmählich als gehobene Sprachform der
mittleren und höheren Sozialschichten verwendet zu werden.
Die höchste Schicht der gesprochenen Sprache stellt die
Standardsprache dar, die auch als regionale Realisierung der
Schriftsprache charakterisiert wird und häufig die Bezeichnung
„Hochdeutsch“ trägt. Da es sich um die Sprache der Öffentlichkeit
handelt, erscheint sie oft im öffentlichen Verkehr, aber man hört sie auch
bei Lehrern in der Schule, von Pfarrern oder Beamten in den städtischen
Ämtern. Im Rahmen der Standardsprache tritt die Hochsprache als eine
Variation auf, die sich insbesondere auf lautliche Ebene unterscheidet.
Ihren Gebrauch findet man vor allem im Rundfunk und Fernsehen, da
dort die ausgebildeten Berufssprecher tätig sind.13
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Kriterien, nach
denen man sich entweder für Dialekt oder Standardsprache entscheidet,

13
Wiesinger, P. Die deutsche Sprache in Österreich. In: Wiesinger, P. (Hrsg.). Das
Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau, 1988. (S. 20)

14
die in der sozialen Zugehörigkeit und der bestimmten Situation liegen.
Im Großen und Ganzen wird der Dialekt von den unteren Sozialschichten
gebraucht und im Gegensatz dazu die Standardsprache von den höheren
Schichten. Zum Schluss sind noch die Konnotationen zu erwähnen, die
durch den Gebrauch jeweiliger Sprachformen entstehen. Mit dem stark
ausgeprägten Dialektgebrauch ist im Allgemeinen die Zugehörigkeit zur
bäuerlichen oder unteren Sozialschicht verstanden, auf der anderen Seite
lässt der Sprecher der Standardsprache die Vorstellung zu, dass es sich
um einen Angehörigen der Bildungsschicht handelt.14

1.4. Gegenseitiger Einfluss der tschechischen Sprache und des


österreichischen Deutsch
Österreich liegt im Südosten des deutschen Sprachraums, was
zur Folge hat, dass es im Süden, Osten und Norden von sechs
Fremdsprachen umgeben wird. Diese sind das Italienische, aus regionaler
Sicht handelt es sich vor allem um die Gebiete in Süd- und Osttirol, das
Slowenische, das sein Einflussgebiet in den südlichen Teilen der
Steiermark, Kärntens und Burgenlands besitzt, das Ungarische, das seine
Sphäre an der Ostgrenze des Burgenlands hat, und schließlich das
Slowakische und das Tschechische, das in Nieder- und Oberösterreich
vordringt. So werden über ganze Jahrhunderte die kulturellen und
sprachlichen Kontakte gepflegt.15
Die gegenseitigen Beziehungen zwischen den Ländern Böhmen
und Mähren und Ländern Österreichs wurden schon in der Zeit der
Schlacht am Weißen Berg geprägt. Den großen Aufschwung erlebten
diese internationalen Kontakte jedoch erst im 19. Jh.. Die Ursache dafür
liegt in der beginnenden industriellen Revolution, was als Beginn der
ständigen Zuwanderung der Tschechen nach Österreich – besonders nach
Wien – aufgefasst wird. Die zunehmende Industrialisierung und die
verbesserte Infrastruktur locken viele Tschechen aus dem benachbarten

14
Ammon, Ulrich. Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und in der
Schweiz. Berlin, New York: de Gruyter, 1995. (S. 199)
15
Wiesinger, P. Das österreichische Deutsch in Gegenwart und Geschichte, LIT
Verlag, Wien, 2006 (S. 219)

15
Grenzgebiet an und so werden die Bewohner aus Böhmen und Mähren
dort - vorwiegend in der Hauptstadt Wien - im Laufe der Zeit ansässig.
Was die Zahlen betrifft, die dieses Vorgehen bezeugen, lebten im Jahre
1880 in Wien 25 186 Tschechen und um 20 Jahre später sogar 133 000.
In den Jahren 1921 und 1948 werden die Tschechen zur Rückkehr
aufgefordert, dennoch nehmen mehr als 4000 Personen die Möglichkeit
nicht wahr. Schließlich kommt es noch 1968 zur Vermehrung der
tschechischen Population in Wien. Circa 100 000 politischen Flüchtlinge
finden hier ihre Zuflucht, jedoch werden sie von den bereits „ansässigen“
Tschechen nicht in ihre Gemeinschaft integriert.
Das lange Zusammenleben der Tschechen mit den Österreichern
in der österreichisch-ungarischen Monarchie hinterlässt deutliche Spuren
im österreichischen Deutsch. Nicht nur das österreichische Deutsch
wurde vom Tschechischen erheblich beeinflusst, sondern auch das
Tschechische beinhaltet eine ganze Reihe von Austriazismen.
Im Laufe der Geschichte findet man jedoch klare Tendenzen,
wann viele Wörter fremder, in der Regel französischer oder italienischer
Herkunft, über das österreichische Deutsch ins Tschechische
durchdringen. Ein solches Wort ist beispielsweise Trafik, das im
Italienischen Handel bedeutet, aber im Tschechischen bis heute häufig
als trafika verwendet wird. Die bundesdeutsche Entsprechung heißt dann
Tabakladen. Auch das Wort Montur wird eingedeutscht, es stammt aus
dem Französischen und bedeutet die Uniform. Im Tschechischen finden
wir dazu entsprechendes Äquivalent mundúr, das man auch als
Bezeichnung für Uniform gebraucht wird, jedoch auf einer anderen
stilistischen Ebene.16 Viele Austriazismen im Tschechischen haben ihre
Herkunft im Lateinischen. Das Wort Matura wird gewohnheitsmäßig
sowohl in Österreich als auch in der Schweiz verwendet. Das Wort geht
auf die lateinische Bezeichnung maturitas zurück und bedeutet Reife. In
Deutschland ist allerdings das dafür verwendete Äquivalent Abitur. Der

16
Spáčilová,L.: Der gegenseitige Einfluss des Tschechischen und des österreichischen
deutsch in näherer Geschichte und Gegenwart. In: Muhr, R., Schrodt R., Wiesinger P.
(Hrsg.). Österreichisches Deutsch: linguistische, sozialpsychologische und
sprachpolitische Aspekte einer Nationalen Variante des Deutschen. Wien: Hölder-
Pichler-Tempsky, 1995. S. (331-332)

16
tschechische Ausdruck für die Abschlussprüfung an der Mittelschule und
Gymnasium lautet dann maturita.
Es liegt auf der Hand, dass der größte Einfluss besonders auf
den Wortschatz im umfassenden Maße in denjenigen sozialen Gruppen
auffällig wird, in denen die Kontakte der benachbarten Völker am
meisten verflochten waren. In der zweiten Hälfte des 19. Jh.s. kommen
viele Frauen aus Böhmen und Mähren nach Wien, um dort als
Dienstmädchen und Helferinnen einen Beruf auszuüben. Nach der
Rückkehr ins Land bringen sie viele österreichische Ausdrücke mit. So
werden zum Beispiel alte Stoffreste im österreichischen Deutsch mit dem
Wort Hader bezeichnet. Dies dringt dann ins Tschechische als hadr (in
Böhmen) oder hadra (in Mähren) ein. Ein weiterer Bereich, wo beide
Sprachen ständig durcheinander konfrontiert werden, stellt die Sprache
der Handwerker dar. Die tschechischen Handwerker – vor allem die
Schuster, Mauer und Schneider – hatten ihrer Zeit sogar die Oberhand in
Wien. Manche Fachausdrücke werden noch heute in beiden Ländern
alltäglich verwendet. Im Tschechischen erscheint das Wort špendlíky,
dessen Ursprung im österreichischen Begriff Spendeln anzunehmen ist.
Im Deutschen verwendet man das Äquivalent Stecknadeln. Der zuletzt
hier erwähnte Bereich, an dem sich das lange Zusammenleben der
Tschechen und Österreichern demonstrieren lässt, sind die
Speisebezeichnungen sowie die Küchensprache. Die österreichischen
Ausdrücke sind schon in den Bezeichnungen fürs Geschirr zu finden, wie
etwa Nudelwalker, was sein Äquivalent im deutschen Wort Nudelholz hat
und in der tschechischen Sprache umgangssprachlich válek na nudle
heißt. Eine ganze Reihe der in Österreich verwendeten Wörter finden wir
bei Obst und Gemüse, wie zum Beispiel Karfiol (im Deutschen
Blumenkohl, im Tschechischen karfól), oder Marillen (im Deutschen
Aprikosen, in der tschechischen Schriftsprache meruňky).17 Überdies sind
noch heute in einigen österreichischen Restaurants diejenigen

17
Spáčilová,L.: Der gegenseitige Einfluss des Tschechischen und des österreichischen
deutsch in näherer Geschichte und Gegenwart. In: Muhr, R., Schrodt R., Wiesinger P.
(Hrsg.). Österreichisches Deutsch: linguistische, sozialpsychologische und
sprachpolitische Aspekte einer Nationalen Variante des Deutschen. Wien: Hölder-
Pichler-Tempsky, 1995. S. (333-334)

17
Nachspeisen geläufig, deren Bezeichnung aus der tschechischen Sprache
kommt. Zum Beispiel wenn böhmische Kolatschen (tschechisch koláče)
oder Liwanzen (lívance) bestellt werden. Schließlich muss man noch
Buchteln mit Zwetschken-Powidl (buchty se švestkovými povidly) und
Powidltascherln erwähnen, die in keinem Kochbuch fehlen dürfen und
die klassische Demonstration der Ähnlichkeit deutscher und
tschechischer Äquivalente darstellen.18
Auch die Phraseologismen unterliegen gelegentlich dem
tschechischen Einfluss. Sie werden wörtlich übersetzt und ohne weiteres
übernommen. Als ein Beispiel lässt sich das steht nicht dafür aufführen.
Es handelt sich um ein Idiom, das im Tschechischen das lohnt sich nicht
bedeutet. Diese regional spezifischen Wendungen kommen jedoch nur im
bestimmten Gebieten und ausschließlich in der gesprochenen Sprache
vor.
Abschließend wird anhand ein paar Beispiele die Beeinflussung
des österreichischen Deutsch durch der tschechischen Sprache
anschaulich gemacht.
Österreichische Tschechisch Deutsche Variante
Variante
Eine Prüfung udělat zkoušku z biologie eine Prüfung in
aus Biologie Biologie bestehen
bestehen/ablegen
auf etwas/j-n na něco/někoho zapomenout etwas/j-n (Akk.)
vergessen vergessen
auf Urlaub jet na dovolenou in Urlaub fahren
fahren
Vorbereitungen přípravy na něco Vorbereitungen für
auf etwas etwas
auf zwei Tage jet na dva dny do Berlína für zwei Tage nach
nach Berlin Berlin fahren
fahren

Aus der linguistischen Sicht lässt sich also feststellen, dass es im


österreichischen Deutsch eine Vielzahl an Wörtern gibt, die der
tschechischen Variante entweder völlig entsprechen oder zumindest eine
große Ähnlichkeit aufweisen.

18
Zeman, Dalibor : Das österreichische Deutsch und die österreichisch-tschechischen
Sprachbeziehungen : ein kulturhistorischer und sprachlicher Abriß / eingereicht von
Dalibor Zeman , 2003

18
Die Austriazismen im Tschechischen werden in die Hochsprache
nur vereinzelt integriert. Viele von ihnen findet man jedoch heutzutage in
den mährischen Dialekten, die insbesondere in den Grenzregionen
verbreitet sind. In der gesprochenen Sprache kommt es im Großen und
Ganzen vor, dass sich einige Entlehnungen zur veraltenden Sprache
entwickeln und so auch mit abnehmender Frequenz verwendet werden.

1.5. Sprache und Identität in Österreich


„Die Experten sagen, wir Österreicher sind eine Willensnation.
Das heißt, dass nicht eine gemeinsame Sprache, Kultur, Abstammung
unser Österreich-Sein bestimmt, sondern allein der Wille zu dieser
Gemeinsamkeit. Und ich finde das für ein großartiges Fundament, denn
es grenzt sich von selbst von niemandem ab und es grenzt niemanden
aus. Das Österreich-Bekenntnis ist kein Nein gegenüber irgend
jemandem, sondern nur ein starkes Ja zu Österreich.“ (Bundespräsident
Thomas Klestil, Festrede bei der Ostarrichi-Feier in Neuhofen am 19.Mai
1996)19
Wenn man sich mit der Frage der österreichischen Identität
beschäftigt, dann muss man auf die Geschichte zurückgehen. Die
doppelsinnige Identität der Österreicher ist schon in der Zeit des
Römischen Reiches zu erkennen, aber nach der Gründung des
Kaiserreichs Österreich entfaltet sich diese Situation umso deutlicher.
Die Mehrfachidentität macht eine deutsche, und eine andere, die dem
multinationalen Staatsgebilde gehört, aus. Damit ist der Grundstein für
darauffolgende gegenseitige Spannungen gelegt, die dann zu Beginn des
20.Jh.s eskalieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg, besonders dann nach
der Wiedererlangung der staatlichen Souveränität, zielt Österreich
deutlich darauf ab, sich von jeglichem deutschen Einfluss zu distanzieren
und die eigenen Traditionen zu akzentuieren. Es handelt sich sowohl um
alle kulturellen und nationalen Bereiche, sondern auch um ihre Sprache,
und zwar die Sprache der Österreicher. Von nun an bildet sich immer
mehr ein österreichisches Nationalbewusstsein heraus. Dieses

19
Rudolf de Cillia/Ruth Wodak: Ist Österreich ein „deutsches” Land?, Studienverlag,
Innsbruck, 2006 (S. 72)

19
Nationalbewusstsein, welches das österreichische Selbstverständnis
stimuliert und verstärkt, wird jedoch seit Ende der 70er Jahre durch die
Frage abgeschwächt, ob man für die Sprache der Österreicher die
Bezeichnung „Österreichisch“ offiziell verwenden könne. In dieser
Hinsicht sind auch die in Österreich nicht überschaubaren Tendenzen
erwähnenswert, welche die Schaffung der eigenständigen
österreichischen Sprache „Österreichisch“ anstreben. Die Bedeutung der
deutschen Sprache in Österreich ist auch in dem Sinne von großer
Wichtigkeit, weil die Sprache die geistig-kulturelle Prägung der
Gesellschaft widerspiegelt und so für bestimmtes Sprachverhalten
charakteristisch ist. Sie wird also als ein wichtiges Merkmal für die
Identität der Gesellschaft betrachtet und dadurch ist sie grundlegend für
die Nation und dessen Zugehörigkeit. An dieser Stelle spielt die schon
oben erwähnte doppelte Identität, also deutschsprachig und Österreicher,
eine grundlegende Rolle. Sie identifizieren sich zwar mit ihrem Land,
aber diese Einstellung können sie leider nicht begründen. Dies weist
darauf hin, dass es ihnen offensichtlich das Können und Fähigkeiten
fehlen, wie man mit der staatsnationalen Identität umgeht.20
Um die Sprachsituation in Österreich näher zu betrachten, kann
man eine ganze Reihe an Faktoren andeuten, die mehr oder weniger
bewusst im Alltag auftreten. Zu Beginn muss man kurz das Ansehen der
deutschen Sprachen von den nicht Muttersprachlern im Allgemeinen
ansprechen. Die meisten empfinden die Sprache in Österreich eher als ein
Dialekt des Deutschen und halten so ausschließlich die Sprache in
Deutschland für das „wahre“ Deutsch. Als Beispiele für diese
Behauptungen können folgende genannt werden. In erster Linie sind die
Unterschiede vor allem in Massenmedien erkennbar. Das in vielen
Publikationen erwähnte und auffällige Bespiel sieht man in der Serie
„Kommissar Rex“, in der ein österreichischer Schauspieler als Wiener
Kommissar Standarddeutsch spricht, und im Gegensatz dazu, seine

20
Muhr, R. Zur Sprachsituation in Österreich und zum Begriff „Standardsprache“ in
plurizentrischen Sprachen. In: Muhr, R., Schrodt R., Wiesinger P. (Hrsg.).
Österreichisches Deutsch: linguistische, sozialpsychologische und sprachpolitische
Aspekte einer Nationalen Variante des Deutschen, Wien: Hölder-Pichler-Tempsky,
1995. (S. 91)

20
Kollegen einen ausgeprägten österreichischen bzw. wienerischen Dialekt
sprechen. Das Problem steckt jedoch in der Unterordnung der Mitarbeiter
zum Chef, was eine Anspielung auf die niedrigere Stellung der
österreichischen Sprache zur Folge hat, oder im Extremfall die führende
Stellung der Deutschen symbolisieren könnte. Diesen enormen
Schwierigkeiten werden auch österreichische Übersetzer ausgesetzt, die
die Aufträge für Deutsche anfertigen. Es wird ihnen eine deutliche
österreichische Prägung vorgeworfen, was zur Folge hat, dass die
Übersetzung als falsch beurteilt wird. 21 Dies alles hat im gewissen Maße
negative Auswirkungen auf die Beurteilung der Sprache und im weiteren
Sinne auf das Land als solches. Für den Einzelnen kann das
beispielsweise eine Benachteiligung im Bereich der Berufschancen und
für das Land können diese Tatsachen weitgreifende Folgen haben, wie
etwa den Verlust der Anerkennung von Seiten anderer Staaten.
Wie die Österreicher selber ihre Sprache wahrnehmen und
welche Stellung sie für ihre Sprachgewohnheiten einnehmen, lässt sich
aufgrund der folgenden Kriterien erklären.
• „Weitverbreitete sprachliche Minderwertigkeitsgefühle
gegenüber bundesdeutschen Sprechern;
• Unsicherheit der Normen der eigenen Sprache
gegenüber, die nicht selten zur Verleugnungshaltungen, Abwertung und
Ablehnung des sprachlich Eigenen als Dialekt führt;
• Nichtwissen über die Merkmale des eigenen Deutsch;“22
Aus den Untersuchungen, die man in der österreichischen
Öffentlichkeit durchführt, ergibt sich, dass die meisten ihre alltägliche
und so übliche sprachliche Ausdrucksweise als unpassend erachten und
stattdessen, die üblicherweise nicht verwendete Sprache als die

21
Muhr, R. Zur Sprachsituation in Österreich und zum Begriff „Standardsprache“ in
plurizentrischen Sprachen. In: Muhr, R., Schrodt R., Wiesinger P. (Hrsg.).
Österreichisches Deutsch: linguistische, sozialpsychologische und sprachpolitische
Aspekte einer Nationalen Variante des Deutschen, Wien: Hölder-Pichler-Tempsky,
1995. (S. 79-80)
22
Muhr, R. Zur Sprachsituation in Österreich und zum Begriff „Standardsprache“ in
plurizentrischen Sprachen. In: Muhr, R., Schrodt R., Wiesinger P. (Hrsg.).
Österreichisches Deutsch: linguistische, sozialpsychologische und sprachpolitische
Aspekte einer Nationalen Variante des Deutschen, Wien: Hölder-Pichler-Tempsky,
1995. (S. 81)

21
Höherwertiger ansehen. Es besteht jedoch in den Zweifelsfällen eine
starke Tendenz, die eigenen Ausdrücke gegenüber denjenigen
Ausdrücken bevorzugen, die regional bundesweit verbreitet sind. Daraus
ergibt sich die Vorragstellung der bundesdeutschen Ausdrücke.23
In einigen Bereichen wird allerdings auf diese österreichische
Prägung keine Rücksicht genommen. Besonders im Falle der
österreichischen Literatur werden die österreichischen Ausdrücke durch
die bundesdeutschen Variationen ersetzt. Die Gründe dafür sind in den
deutschen Verlagen und seinen Korrektoren erkennbar, die von den
österreichischen AutorInnen nur aus dem Grunde gewählt werden, weil
der Buchmarkt in Österreich zu klein ist und sie auf diese Art und Weise
nach Deutschland gehen müssen. Damit verliert die österreichische
Literatur ihre eigene Sprache und was noch wichtiger ist, ihre
identitätsbildende Funktion. Ein weiterer Bereich, in dem es immer
intensiver zur Verflechtung mit Deutschland kommt, zuweilen kann man
sogar über die Anpassung sprechen, ist die Industrie und der Handel. Die
engeren Kontakte bringen einen starken Zufluss der Produkte,
selbstverständlich mit bundesdeutschen Bezeichnungen, mit sich. So
kann man zum Beispiel im Supermarkt „Aprikosen“ statt Marillen
finden, oder im Möbelgeschäft keine „Kästen“ sondern nur Schränke.
Ähnliche Tendenzen – Vordringen der bundesdeutschen Ausdrücke in
Österreich - treten auch im Radio bei den Moderatoren, im Fernsehen, in
der Werbung oder in den Werbespots zutage. Die Massenmedien haben
dann später einen großen Einfluss auf die Kinder und Jugendliche, die
sich die neue Ausdrucksweise mehr oder weniger bewusst aneignen.24
Zum Schluss lassen sich noch Ergebnisse einer Befragung zur
Sprachbeurteilung und Spracheinschätzung in Österreich in der

23
Muhr, R. Zur Sprachsituation in Österreich und zum Begriff „Standardsprache“ in
plurizentrischen Sprachen. In: Muhr, R., Schrodt R., Wiesinger P. (Hrsg.).
Österreichisches Deutsch: linguistische, sozialpsychologische und sprachpolitische
Aspekte einer Nationalen Variante des Deutschen, Wien: Hölder-Pichler-Tempsky,
1995. (S. 83)
24
Muhr, R. Zur Sprachsituation in Österreich und zum Begriff „Standardsprache“ in
plurizentrischen Sprachen. In: Muhr, R., Schrodt R., Wiesinger P. (Hrsg.).
Österreichisches Deutsch: linguistische, sozialpsychologische und sprachpolitische
Aspekte einer Nationalen Variante des Deutschen, Wien: Hölder-Pichler-Tempsky,
1995. (S. 84-88)

22
Zeitspanne von 1991 bis 1993 aufführen. 90% der Österreicher
bezeichnen ihre Muttersprache als Deutsch und 10% als „österreichisch“.
Nichtsdestoweniger mehr als 50% der Befragten sind der Meinung, dass
man die Sprache in Österreich statt „Deutsch“ auch „Österreichisch“
nennen könnte. Die Frage, ob sie sich als eine Nation fühlen, bejahen
80% der Befragten. Diese Untersuchung soll dokumentieren, dass die
Mehrheit der Österreicher das österreichische Deutsch, als Varietät der
deutschen Sprache, für ein wichtiges Merkmal der österreichischen
nationalen Identität erachten.25

2. Linguistische Merkmale der österreichischen


Standardsprache

2.1. Österreichische Aussprachebesonderheiten


Als die allgemein verbindliche höchste Gebrauchsform des
Deutschen wird die sog. Standardlautung festgelegt. Sie wird im ganzen
deutschsprachigen Raum als Vorbild betrachtet, wobei sie zwar im Alltag
verwendet wird, aber gleichwohl auch hoch geschätzt ist. Nebenbei gibt
es noch die sog. Hochlautung, die es anstrebt, eine freie Aussprache ohne
umgangssprachliche Prägung zu erreichen. Weil die Standardlautung im
Gegensatz zur Hochlautung häufiger in der Praxis vorkommt, und dank
seiner Verbreitung regionalen Einflüssen ausgesetzt ist, entsteht auf diese
Art und Weise eine österreichische Abweichung.

Betonung
Die Besonderheiten der österreichischen Aussprachevariante
findet man vor allem bei Namen und Wörtern fremder Herkunft. Als ein
Beispiel kann man Kaffee aufführen. Im Binnendeutschen spricht man
dieses Wort als ['kafe] aus, in Österreich hört man jedoch [ka'fe:]. Eine
weitere Abweichung von der Standardlautung ist bei einigen
Wortzusammensetzungen zu finden, in erster Linie geht es um die

25
Wiesinger, P. Das österreichische Deutsch in Gegenwart und Geschichte, LIT
Verlag, Wien, 2006 (S. 416-417)

23
Eigenschaftswörter, die durch ein vorangesetztes Steigerungswort
akzentuiert werden. Dies ist beispielsweise bei dem Prädikatverband
vorkommenden zusammengesetzten Intensivadverb der Fall, wie etwa er
ist úralt, was der Standardlautung entspricht, und er ist urált, nach der
österreichischen Aussprache. Als weitere demonstrative Beispiele lassen
sich folgende aufzählen: steinreich, bettelarm oder himmellang. Es gibt
eine ganze Reihe an einheimischen Wörtern, derer Betonung nach der
Bedeutung variiert: dúrchaus – durcháus, úmbauen – umbáuen. Im
Großen und Ganzen ist für Österreich die Erstbetonung charakteristisch,
wie z.B. állerdings, áusführlich, úrsprünglich. Nur ausnahmsweise wird
von diesem Gebrauch abgewichen: Dúrcheinander (aber: durcheinánder),
oder únsterblich (aber: Unstérblichkeit).26

Vokale
Der Unterschied zwischen der Standardlautung und
österreichischer Aussprache im Bereich der Vokale liegt besonders in der
Wahl der kurzen oder langen Vokale. Dies sieht man als eine weitere
deutsch-österreichische Aussprachedifferenz. Die Länge und Kürze des
Vokals ist also in der österreichischen Aussprache manchmal anders
verteilt als in der Standardlautung. Die Länge kommt beispielsweise in
diesen Wörtern vor: Amboß ['ambo:s], Rebhuhn ['re:phu:n] usw., gekürzt
werden die Vokale wie etwa bei Geburt [gə'burt] oder Benelux
[bεnə'luks]. Ähnlicher Kürzung unterliegen auch die Langvokale im

Wort- oder Silbeninneren: Standardlautung - spielbar ['ȓpi:lba:r],

österreichische Aussprache - ['ȓpi:lbar].27


Wenn man die einzelnen Vokale näher betrachtet, dann findet
man weitere Differenzen. Langes [a:], in verschiedenen Schreibvarianten
< a, aa, ah >, spricht man in Wörtern wie Walfisch, Walnuss aus,

26
Lipold, G. Die östererichische Variante der deutschen Standardaussprache. In:
Wiesinger, P. Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau Verlag, 1988.
(S. 40)
27
Lipold, G. Die östererichische Variante der deutschen Standardaussprache. In:
Wiesinger, P. Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau Verlag, 1988.
(S. 42)

24
dagegen ist in Wörtern fremder Herkunft schon die Abweichung
deutlich, wie z.B. Afrika ['afrika].
Kompliziert scheint es bei der e-Laute zu sein. Das Problem
liegt in der Verschiedenheit der Aussprache eines und desselben Wortes
im Rahmen der verschiedenen Regionen, somit lässt sich dafür keine
einheitliche Regel feststellen. Als ein demonstratives Beispiel kann man
das Wort „Wetter“ erwähnen, das regional in unterschiedlichen Varianten
des betonten Vokals erscheint: z.B. in Teilen Vorarlbergs in ['wætr], in
Teilen Kärnten ['we:tʌ] und in Niederösterreich und Oberösterreich
['we:da]. Der Grund für diese Mannigfaltigkeit der Aussprache liegt vor
allem in der unterschiedlichen historischen Entwicklung der Sprache im
Rahmen des deutschsprachigen Raumes.
Der nächst erwähnte, von der Standardlautung abweichende
Vokal ist ein kurzes offenes [ε]. Die österreichische Aussprache ist
jedoch in diesem Falle nicht eindeutig, es geht mehr oder weniger um die
Schwankung zwischen [ε] und [e:]. In der Standardlautung finden wir das
Wort nämlich ['nε:mlIç], im Gegensatz dazu, gibt es die österreichischen
Varietäten wie ['nεmlIç] oder ['ne:mlIç].
Als weiterer besprochener Volkal folgt langes geschlossenes
[e:]. Dies tritt bei Wörtern fremder Herkunft im Rahmen der
österreichischen Aussprache auf, wie z.B. Kaffee [ka'fe:].
Unterschiedliche Aussprachevarianten findet man auch bei Büffet
[by'fe:]. Eine Abweichung weisen die unbetonten Silben auf, wie etwa
die Vorsilben be-, ge- [bə- gə-], die in der österreichischen Variante als
[be- ge-] ausgesprochen werden.
Was die i-Laute betrifft, ist die Abweichung nur geringfügiger
Natur. Nur beispielsweise die Wörter Nische und Liter variieren in der
Aussprache, und zwar werden sie in Österreich mit kurzem [I]
verwendet. Bei Wörtern fremder Herkunft auf –ik, -it, -iz ist auch die
Tendenz zur Kürze zu finden: Politik, Profit, Notiz [poli'tik ~ pro'fit ~
no'tits]. Im Gegensatz dazu, wird in Österreich die Silbe –ir allgemein
mit Länge gekennzeichnet: Saphir [za'fi:r], die Standardlautung lautet
['za:fir].

25
Bei den o-Lauten gibt es eine ganze Reihe an Abweichungen
von der Standardlautung. Langes [o:] findet man in der österreichischen
Aussprache in Geschoss, Amboss, und meistens auch ob. Ein
Kürzungsregel gilt bei den Nachsilben nichtdeutschen Herkunft wie –
atisch, -etisch,-itisch, -otisch, bei denen oft die Kürze in der

geschlossenen Variante [o] erscheint: [idi'otiȓ] [-'o:tiȓ]. Dieses Regel


kann jedoch nur in dem Falle angewendet werden, wenn eine

Flexionssilbe angehängt wird: idiotische [idi'otiȓə].


Österreichische Abweichungen werden bezüglich die ö-Laute
ausschließlich in heimischen Ausdrücken erfasst. In der folgenden
Aufzählung werden diejenigen Beispiele angeführt, die in der
Abweichung die Kürze haben: Börse, behördlich, Bischöfe, Herzöge u.a.
Die letztlich erwähnte Aussprachedifferenz bei den Vokalen, im Rahmen
der Abweichung der österreichischen Aussprache von der
Standardlautung, ist die Aussprache des <u>. So ist beispielsweise bei
Wörtern wie Geruch [gə'ru:x] und zuweilen auch Bruch [brux ~ bru:x]
die Länge zu finden. Die Kürze wird dagegen in ruchlos, Geburt, Husten,
pusten u.a. gesprochen.28

Konsonante
Erste Abweichung bei den Konsonanten liegt es in der
unterschiedlichen Aussprache von <v> bei Wörtern fremder Herkunft. In
der Standardlautung wird [v] ausgesprochen, dagegen in der
österreichischen Aussprache vorwiegend [f]: November, Vizekanzler,
nervig. Es gibt auch Fälle, in denen man [f] und [v] mit etwa gleicher
Häufigkeit verwendet, z.B. Vers, Advokat usw.29
Weitere unterschiedlich verwendete Varietät findet man

zwischen [s] und [ʃ], was vor allem bei den Anlautverbindungen sp-, st-

28
Lipold, G. Die östererichische Variante der deutschen Standardaussprache. In:
Wiesinger, P. Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau Verlag, 1988.
(S. 41-44)
29
Lipold, G. Die östererichische Variante der deutschen Standardaussprache. In:
Wiesinger, P. Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau Verlag, 1988.
(S. 45)

26
der Fall ist. In Österreich wird der [s] Variante häufig den Vorrang
gewährt, und zwar insbesondere von den Menschen mit höherer

Ausbildung. So spricht man in folgenden Wörtern häufiger [s] als [ʃ] aus:

Stil, Strategie, sporadisch. Die Verwendung der Aussprache von [ʃ]

nimmt jedoch mit der Zeit zu, wie etwa bei Standard, Start, spontan
usw.30
Die Aussprache von „-ig“ bietet zwei Variationen, und zwar [-

ɪk] und [-ɪç]. In Österreich wird [-ɪk] heutzutage zunehmend bevorzugt,

z.B. heilig ['haelɪk], Essig ['εsɪk]. In der Standardlautung wird jedoch die

Variante mit [-ɪç] verwendet. Die Tendenz der Eindeutschung von

Fremdwörtern beeinflusst die österreichische Aussprache, in dem


beispielsweise anstatt „ch“ am Wortanfang [k] zu hören ist, wie in
Chemie, China. Gleichfalls ist es beim „ch“, das im Wortinneren vor
Vokal steht, z.B. Melancholie, Orchester. In dem zuletzt erwähnten Fall
kann man vereinzelt auch noch [-ç] hören.31
Schließlich werden noch nasalierte Vokale angedeutet. Der
Gebrauch der ɲ-Aussprache wird in Österreich vermieden, beispielsweise
haben die Wörter wie Bonbon und Balkon folgende Aussprachevarianten:
[bo:'bo:] [bal'kon]. Gleicherweise verhält sich die Aussprache der
fremden Nachsilbe –ion, die in Österreich im Gegensatz zu der

Standardlautung [-iɔn] insbesondere als [-i'o:n] zu hören ist, wie in

Nation [natsi'o:n].32

30
Lipold, G. Die östererichische Variante der deutschen Standardaussprache. In:
Wiesinger, P. Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau Verlag, 1988.
(S. 45)
31
Lipold, G. Die östererichische Variante der deutschen Standardaussprache. In:
Wiesinger, P. Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau Verlag, 1988.
(S. 46)
32
Lipold, G. Die östererichische Variante der deutschen Standardaussprache. In:
Wiesinger, P. Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau Verlag, 1988.
(S. 46)

27
2.2. Grammatik
Wenn man die Unterschiede der deutschen und österreichischen
Variation des Deutschen besprechen will, dann fallen jedem in erster
Linie die Unterschiede in der Lexik auf. Die Ursache dessen liegt in der
Tatsache, dass die österreichischen Sprachmerkmale hauptsächlich in der
gesprochenen Sprache erscheinen und nur die lexikalischen Ausdrücke
kodifiziert wurden. Die grammatischen Merkmale sind bis dahin nie in
einem Kanon erschienen, und werden so oft als „nicht-standardsprachlich
angesehen“.
Die Substantive scheinen als Beispiel am aussagekräftigsten zu
sein. Die Genusdifferenzen gegenüber dem Binnendeutschen haben ihre
Ursache in der unterschiedlichen historischen und regionalen
Entwicklung der Sprache. In Österreich verwendet man meistens das
Maskulinum anstatt dem Neutrum, was man im Binnendeutschen als
standardsprachlich ansieht, z.B: der Gehalt (bdt. das Gehalt), oder der
Marzipan (bdt. das Marzipan). Des Weiteren entsprechen die Feminina
in Österreich vorwiegend dem Maskulinum, in Einzelfällen auch dem
Neutrum, des Binnendeutschen. Zu dieser Wortgruppe zählen
beispielsweise die Dress (bdt. der Dress), wie auch die Ausschank (bdt.
der Ausschank), oder die Schneid (bdt. der Schneid). Die Neutra
kommen österreichweit an diejenigen Stellen vor, wo im
Binnendeutschen (auch oder ausschließlich) das Maskulinum erscheint,
wie etwa das Match (bdt. Der Match), „das Podest“ (bdt. der Podest),
das Radar (bdt. der/das Radar).33
Im österreichischen Deutsch lassen sich auch einige Fälle
verzeichnen, in denen einem bestimmten Genus zwei mögliche Varianten
des Binnendeutschen entsprechen. So kann man in Österreich dem
Maskulinum zwei Alternativen des Binnendeutschen zuteilen. Als
Beispiele können folgende Substantive angeführt werden: der Quader
(bdt. der, die Quader), der Katheder (bdt. der, das Katheder), oder der
Meteor (bdt. der, das Meteor). Gleichfalls treten die Substantive auf, die

33
Tatzreiter, H. Besonderheiten der Morphologie in der deutschen Sprache in
Österreich. In: Wiesinger, P. (Hrsg.). Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz:
Böhlau Verlag, 1988. (S. 73-74)

28
in Österreich als Neutrum stehen, hingegen im Binnendeutschen in zwei
Varianten in Erscheinung treten, z. B. das Chor (bdt. der, das Chor), das
Mündel (bdt. der, die Mündel) oder das Ar (bdt. das, der Ar). Des
Weiteren können die Feminina in Österreich lediglich ein Genus
besitzen, im Binnendeutschen dagegen zwei mögliche Geschlechter
haben: die Kontur (bdt. die, der Kontur), die Soda (bdt. die, das Soda).34
Die oben angeführte Tendenz gilt jedoch auch umgekehrt, das
heißt, dass die in Österreich festgelegten zweigeschlechtigen Substantive
im Binnendeutschen nur eine einzige Möglichkeit vom Genus haben
können: der, das Gehalt (bdt. das Gehalt), das, die Brezel (bdt. die
Brezel), der, das Tunnel (bdt. der Tunnel). Schließlich lässt sich noch
eine Gruppe der Substantive erwähnen, die durch den unterschiedlichen
Genusgebrauch in Österreich und Deutschland durch
Endungsveränderung gekennzeichnet sind. Diese Wortveränderung kann
zur Folge haben, dass dann zwei Äquivalente für dasselbe Wort
(zuweilen mit Bedeutungsverschiebung) entstehen, wie etwa das Offert
(bdt. die Offerte), der Akt (bdt. die Akte). Diese Formulierungen mit
Endungen erwecken den Eindruck, dass es sich um umgangssprachliche
Ausdrücke handelt, was man jedoch nicht völlig bestreiten kann.
Trotzdem können sie unter bestimmten Umständen in die Hochsprache
integriert werden, z.B. der Schurz (bdt. die Schürze), der Schneck (die
Schnecke), der Zeck (bdt. die Zecke).35
Das österreichische Deutsch weist gewisse Schwankungen und
Abweichungen in der Nominativflexion gegenüber dem Binnendeutschen
auf. Es handelt sich um die Erhaltung bzw. den Abfall des –e und die
Endungen –e und –en bei maskulinen Substantiven. Man untersucht also
grundsätzlich die Frage des auslautenden –e. Im Großen und Ganzen
liegt die Tendenz vor, dass die Form mit auslautendem –e in der
Schriftsprache vorkommt, hingegen ist dies in der gesprochenen Sprache
nicht der Fall. In den folgenden Beispielen werden die

34
Tatzreiter, H. Besonderheiten der Morphologie in der deutschen Sprache in
Österreich. In: Wiesinger, P. (Hrsg.). Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz:
Böhlau Verlag, 1988. (S. 76)
35
Tatzreiter, H. Besonderheiten der Morphologie in der deutschen Sprache in
Österreich. In: Wiesinger, P. (Hrsg.). Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz:
Böhlau Verlag, 1988. (S. 76-79)

29
schriftsprachlichen Formen und die umgangssprachlichen Ausdrücke (in
Klammern) angeführt: der Biologe (Biolog), der Käse (Käs), der
Psychologe (Psycholog).36
Eine weitere Abweichung des Österreichischen vom
Binnendeutschen stellt die Schwankung in der Genetivendung dar,
beispielsweise der Fratz - österr. des Fratzen, bdt. des Fratzes. Einige
Alternativen des in Österreich gebrauchten Genitivs werden sogar im
Binnendeutschen größtenteils aus der Standardsprache beseitigt: der
Spatz –österr. des Spatzen, Spatzes, bdt. des Spatzen. Weiterhin variiert
die Bildung des Genitivs in Österreich in manchen Fällen, indem man
sowohl die Variante des Genitiv-s als auch ohne –s verwendet, z.B. des
Akku, Akkus, „des Iran, Irans“. Darüber hinaus gibt es im Gegensatz zum
Binnendeutschen im Genitiv der Monatsnamen zwei mögliche Varianten,
und zwar die Endung –(e)s und auch die Formen ohne Endung, wie z.B.
des Jänner, des April, des September. Neben den Monatsnamen findet
man diese verkürzten Formen auch bei manchen Sprachbezeichnungen,
Farbbezeichnungen oder Namen von Planeten: des Deutsch, des Weiß,
des Pluto.37
Den nächsten Bereich der grammatikalischen Differenzen macht
die Pluralbildung aus. Die Abweichungen treten bei einigen Substantiven
auf, die im Binnendeutschen zwar einen Umlaut haben, jedoch im
Österreichischen kein Umlaut gebildet wird: die Erlässe (bdt. die
Erlasse), die Pfröpfe (bdt. die Pfropfe). Im Gegensatz dazu, können
einige Pluralformen ohne Umlaut in Österreich der binnendeutschen
Variante mit Umlaut entsprechen, wie etwa die Schalle (bdt. die Schälle).
Vereinzelt können beide Formen zulässig sein, z.B. die Zwiebacke (bdt.
die Zwiebäcke, auch Zwiebacke). Eine weitere Gruppe bilden die
Substantive weiblichen, manchmal auch männlichen Geschlechts auf –
el, die im Plural die Endung –n haben, z.B. „der Knödel und die Knödel
aber das Knödel und die Knödeln. Dieselbe Pluralendung besteht auch

36
Tatzreiter, H. Besonderheiten der Morphologie in der deutschen Sprache in
Österreich. In: Wiesinger, P. (Hrsg.). Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz:
Böhlau Verlag, 1988. (S. 79-80)
37
Tatzreiter, H. Besonderheiten der Morphologie in der deutschen Sprache in
Österreich. In: Wiesinger, P. (Hrsg.). Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz:
Böhlau Verlag, 1988. (S. 80-82)

30
bei allen Diminutiven auf –erl. Es muss jedoch darauf hingewiesen
werden, dass in einigen Fällen die Pluralformen auf –n im Rahmen der
österreichischen Standardsprache nicht zugelassen werden, wenn sie
auch ab und zu in der Schriftsprache erscheinen. Exemplarisch seien: die
Knödeln, die Schlüsseln. Die Doppelformen im Plural sind dadurch
gekennzeichnet, dass sie wahlweise die Endung –n haben können und der
Umgangssprache entstammen: die Brösel, die Bröseln; die Mädel, die
Mädeln. Zum Schluss muss man noch die für Österreich typischen
Pluralvarianten anmerken, das sind die Fremd-, Lehnwörter oder Wörter,
die man sporadisch verwendet und die man oft in Fachbereichen findet.
Interessant scheint die Tatsache zu sein, dass es sich oft sowohl im
österreichischen Deutsch als auch im Binnendeutschen zwei mögliche
Varianten bieten, wie z.B. die Interieurs (bdt. die Interieure, Interiöre),
die Waggons, Waggone (bdt. die Waggons).38
Die Abweichungen bezüglich der Verben beziehen sich vor
allem auf die unterschiedlichen Formen der Vergangenheit bei den
starken und unregelmäßigen Verben. Am Anfang muss hier die
Perfektbildung angesprochen werden, sodass man in den folgenden
Verben in Österreich sein, jedoch aber in Deutschland meist haben
gebraucht: liegen, stehen, sitzen, hängen, knien, lehnen, schweben,
stecken.39 Darüber hinaus variieren manche Formen des Partizip Perfekts
und Imperfekts. Als Beispiel dienen schallen (Imperfekt österr.:
schallte/scholl, bdt. nur schallte), hauen (Partizip II österr.:
gehaut/gehauen, bdt. ist gehaut umgangssprachlich).40
Kleine Unterschiede findet man auch bei den in Österreich
erscheinenden Präsenzformen, die vom Binnendeutschen variieren. Diese
Besonderheiten sind jedoch eher umgangssprachlichen Prägung. Es

38
Tatzreiter, H. Besonderheiten der Morphologie in der deutschen Sprache in
Österreich. In: Wiesinger, P. (Hrsg.). Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz:
Böhlau Verlag, 1988. (S. 82-85)
39
Muhr, R., Grammatische und pragmatische Merkmale des österreichischen Deutsch.
In: Muhr, R., Schrodt R., Wiesinger P. (Hrsg.). Österreichisches Deutsch: linguistische,
sozialpsychologische und sprachpolitische Aspekte einer Nationalen Variante des
Deutschen. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky, 1995. S. (227)
40
Tatzreiter, H. Besonderheiten der Morphologie in der deutschen Sprache in
Österreich. In: Wiesinger, P. (Hrsg.). Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz:
Böhlau Verlag, 1988. (S. 89-90)

31
handelt sich um Verben, die auf –ern oder –eln enden und die dann in 1.
Person Singular in zwei möglichen Varianten erscheinen können, und
zwar mit oder ohne auslautendes –e. So kann man in Österreich
beispielsweise folgende Varianten der 1.Person Singular von „wandern“
finden: „ich wandre, wandere, wandr“. Ähnlich verhalten sich die Wörter
wie „versichern“ (österr. versicher, bdt. ich versichere), oder „fördern“
(österr. ich förder, bdt. ich fördere) u.a. Des Weiteren ist die Situation in
der 2. Person Singular bei denjenigen Verben ähnlich, die in ihrem
Stamm auf –sch enden und die Form mit Endung –t bilden. Den
binnendeutschen Ausdrücken wie „du naschst, wischst, löschst“ stehen
die in der österreichischen Umgangssprache häufigen Varianten „du
nascht, wischt, löscht“ gegenüber.41
Eine gewisse Abweichung weist auch die Verwendung vom
Reflexivpronomen sich auf. Der verstärkte Gebrauch bezieht sich
besonders auf die Umgangssprache und der Einfluss der
tschechisch/slowakischen Sprache ist in diesem Falle ganz deutlich, z.B.
Es lohnt sich nicht (bdt. Es lohnt nicht), Er soll sich nicht zu viel
erwarten. (bdt. Er soll nicht zu viel erwarten.)42
Bei den Adjektiven variieren nur die Steigerungsformen. In
Österreich sind die Kurzformen vom Superlativ sehr verbreitet, die
hingegen in Deutschland nur selten auftreten. Einerseits tauchen diese
Formen oft in der Amts- und Werbesprache auf, andererseits wird ihre
Anwendung in der Hochsprache nicht empfohlen, z.B. schnellst, billigst,
modernst. Eine Besonderheit betrifft die Steigerungsformen von bald,
diese lauten: bald – ehes –ehestens. In der Praxis kommen dann in Amts-
und Werbeschreiben folgende Formulierungen vor: ehester Besuch oder
eheste Vorsprache. Im Binnendeutschen kann man anstatt dessen die
Äquivalente wie etwa möglichst rasch, oder baldmöglichst verwenden.
Mehr als im Binnendeutschen werden die Steigerungsformen mit Hilfe

41
Tatzreiter, H. Besonderheiten der Morphologie in der deutschen Sprache in
Österreich. In: Wiesinger, P. (Hrsg.). Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz:
Böhlau Verlag, 1988. (S. 90-91)
42
Muhr, R., Grammatische und pragmatische Merkmale des österreichischen Deutsch.
In: Muhr, R., Schrodt R., Wiesinger P. (Hrsg.). Österreichisches Deutsch: linguistische,
sozialpsychologische und sprachpolitische Aspekte einer Nationalen Variante des
Deutschen. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky, 1995. S. (227)

32
von Kompositionen in Österreich gebildet. Diese gehen zwar auf einen
umgangssprachlichen Ursprung zurück, dennoch werden sie in die
Hochsprache integriert. Als Beispiel dienen blutarm (sehr arm), bocksteif
(sehr hart), oder kreuzbrav (sehr brav und ehrlich).43
Was die Adverbien anbelangt, sind drei Abweichungen
anzumerken. Erstens sind es die Pronominaladverbien, die als
österreichische Variante dem Binnendeutschen gegenüberstehen, z.B.
darnach (bdt. danach), oder darnieder (bdt. danieder). Das
österreichische Wörterbuch bevorzugt jedoch den Gebrauch von danach,
danieder. Zweitens findet man in amtlichen Texten statt hier- die
österreichischen Formen mit hie-, woraus sich die folgenden
Zusammensetzungen bilden, wie etwa: hiebei, hiefür, hieher, hiezu, u.a.
Diese Varianten werden jedoch im Rahmen des Binnendeutschen als
veraltet angesehen und nur noch im Bereich der Landwirtschaft
gebraucht. Das österreichische Wörterbuch lässt allerdings den Gebrauch
von beiden Varianten, also sowohl hier- als auch hie- zu. Drittes handelt
es sich um die in Österreich typisch vorkommende Adverbialendung –s,
beispielsweise: öfters, durchwegs, weiters, durchgehends usw. Im
Binnendeutschen gelten diese Varietäten als umgangssprachlich.44
Die letzt erwähnte Wortart stellen die Präpositionen dar. Die
Besonderheiten liegen in den Artikelformen, die unter Umständen mit
den Präpositionen zusammengehen. Dies ist besonders in der
gesprochenen Sprache der Fall, nichtsdestoweniger kann man ein paar
solcher Verschmelzungen auch in der Hochsprache finden, die jedoch
ausschließlich auf ein bestimmtes Substantiv gebunden sind. So eine
feste Verbindung ist beispielsweise am Land (bdt. auf dem Land).
Schließlich wird die unterschiedliche Verwendung von ein paar
Präpositionen in der Tabelle skizziert.

43
Tatzreiter, H. Besonderheiten der Morphologie in der deutschen Sprache in
Österreich. In: Wiesinger, P. (Hrsg.). Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz:
Böhlau Verlag, 1988. (S. 94-95)
44
Tatzreiter, H. Besonderheiten der Morphologie in der deutschen Sprache in
Österreich. In: Wiesinger, P. (Hrsg.). Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz:
Böhlau Verlag, 1988. (S. 96-97)

33
Österreich Deutschland
Auf der Uni war viel los. An der Uni war viel los.
Alles liegt auf dem Boden. Alles liegt am Boden.
Der Tisch steht beim Fenster. Der Tisch steht am Fenster.
Am Wochenende Zum Wochenende
Ich wollte auf die Schule/in die Ich wollte zur Schule.
Schule.
Zu Mittag/ in der Mittagszeit Am Mittag

2.3. Wortschatz
Die Austriazismen besitzen eine Funktion der
„Demonstrationsaustriazismen“, so kommen sie häufig in den
öffentlichen Darstellungen vor, wie etwa in Reiseführern, Kochbüchern
aber auch in den Beitrittsverhandlungen Österreichs zur Europäischen
Union. Im Rahmen der einzelnen typischen Merkmale der
österreichischen Lexik muss besonders auf einen immer intensiverer
werdenden sprachlichen Einfluss Deutschlands eingegangen werden, der
dann die Gegenüberstellung des Binnendeutschen und des
österreichischen Deutsch akzentuiert.
„Ein Autofahrer, der sich das Pickerl besorgen wollte, übersah
an der Ausfahrt nach dem Autobahnknoten die Vorrangtafel.“ „Ein
Autofahrer, der auf dem Weg zum TÜV war, übersah an der Ausfahrt
nach dem Autobahnkreuz das Vorfahrtschild.“45 Diese zwei Sätze kann
man ein Anschauungsbeispiel für die unterschiedliche Ausdrucksweise
des Alltagslebens in Österreich und Deutschland demonstrieren. In wie
weit sich die Lexik der beiden Ländern unterscheidet, wird anhand der
Darstellung von spezifisch österreichischen Ausdrücken skizziert, die in
Österreich für standardsprachlich gelten.
Die erste behandelte Wortgruppe machen diejenigen Wörter aus,
die zwar sowohl im Binnendeutschen als auch im österreichischen
Deutsch vorkommen, aber unterschiedliche Bedeutungen haben. Als

45
Ebner, J. Wörter und Wendungen des österreichischen Deutsch. In: Wiesinger, P.
(Hrsg.). Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau Verlag, 1988. (S. 101)

34
Beispiel kann man den Fuß anführen. Wenn jemand behauptet, sich den
Fuß gebrochen zu haben, dann stellt sich der Österreicher darunter den
Körperteil von den Hüften bis zu den Zehen vor, hingegen der Deutsche
nur vom Knöchel bis zu den Zehen. Dies kann jedoch folglich zu
Missverständnissen führen. Im Weiteren kann man das Wort Hacke
anbringen, das man in Österreich im Sinne von Beil verwendet, dagegen
im Binnendeutschen als Bezeichnung für ein Gerät zur Bodenbearbeitung
fungiert, wofür man im österreichischen Deutsch wiederum die Haue als
Äquivalent findet. Ferner kann man mit den Ausdruck Haken im
österreichischen Slang „Arbeit“ oder „Beschäftigung“ verwenden. Die
markanten Unterschiede werden auch in den Bezeichnungen von
Backwaren deutlich. Die im Binnendeutschen üblichen Brötchen werden
in Österreich als Semmeln bezeichnet. Die österreichische Bedeutung von
Brötchen entspricht jedoch dem garnierten, belegten Brot, was der
Binnendeutsche als belegtes Brötchen bezeichnet. Für ein belegtes
Brötchen findet man in Österreich ein anderes Äquivalent, und zwar das
Wort Sandwich, das normalerweise „ein belegtes Brötchen aus
Weißbrot“ bezeichnet.46
Des Weiteren werden ein paar Beispiele von Wörtern angeführt,
die sowohl im Binnendeutschen als auch in Österreich geläufig gebraucht
werden, hingegen mehrere Bedeutungen haben und sie im Rahmen des
Binnendeutschen und österreichischen Deutsch mehr oder weniger
variieren. Beispielsweise kann man folgende Ausdrücke, wie etwa Fratz,
erwähnen. Darunter versteht man im Binnendeutschen ein liebes Kind
oder nettes Mädchen, in der freundlichen und herzlichen Einstellung. Im
Gegensatz dazu gilt diese Bezeichnung in Österreich im pejorativen
Sinne für ein lästiges Kind. Darüber hinaus benutzt man in den deutschen
Schulen für die schriftliche Hausaufgabe den Begriff Schularbeit (in
Österreich jedoch: Hausübung), dem in Österreich eine schriftliche, in
Zahl und Form amtlich festgelegte Prüfungsarbeit entspricht (im
Binnendeutschen: Klassenarbeit). Es gibt allerdings auch Wörter, die

46
Ebner, J. Wörter und Wendungen des österreichischen Deutsch. In: Wiesinger, P.
(Hrsg.). Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau Verlag, 1988. (S. 111-
124)

35
eine im ganzen deutschen Sprachgebiet übliche Bedeutung haben, in
Österreich jedoch eine völlig andere. Dies ist beim Wort Spezi der Fall,
weil man darunter üblicherweise im Gemeindeutschen ein
Erfrischungsgetränk aus Limonade und Coca-Cola versteht, die
Österreicher benutzen Spezi aber als Bezeichnung für einen Freund oder
Kamerad.47
Man kann im österreichischen Wortschatz eine ganze Reihe von
denjenigen Wörtern finden, die als Besonderheit andere Wortbestandteile
als die im Binnendeutschen vorkommenden Wörter haben. Dies betrifft
insbesondere die Zusammensetzungen selbstständiger Wörter oder die
Ableitungen mit gängigen Vorsilben. Als ein demonstratives Beispiel
führt man die Vorsilben er- und auf-, die man mit dem Grundwort
scheinen verbindet, so entstehen dann zwei unterschiedliche Varianten
für das Verb „vorkommen, auftreten“, im Binnendeutschen findet man
erscheinen, in Österreich wird jedoch aufscheinen häufiger verwendet.
Man muss allerdings die Tatsache anbringen, dass die binnendeutsche
Variante sowohl in Deutschland als auch in Österreich ihre Geltung hat.
So lassen sich folgende Beispiele anführen: absammeln (bdt.
einsammeln), ausreden (bdt. aussprechen), ausspotten (bdt. verspotten),
Flugzettel (bdt. Flugblatt), sich niederlegen (bdt. hinlegen).48
In jeder Sprache gelten die idiomatischen Ausdrücke als Gewürz
der Sprache, die Gespräche und auch schriftliche Texte beleben und sich
so großer Beliebtheit erfreuen. Auch der österreichische Sprachgebrauch
kennt viele Idiome, die entweder als typisch österreichische Wendungen
gekennzeichnet sind, oder sich in gewissem Maße vom Binnendeutschen
unterscheiden. Die Vielzahl dieser Wendungen wird jedoch als
umgangssprachlich angesehen. Zu den abweichenden Redewendungen
gehören z.B.: ins Narrenkastl schauen (bdt. gedankenverloren starr
blicken), keinen Tau von etwas haben (bdt. keine Ahnung haben), oder da

47
Ebner, J. Wörter und Wendungen des österreichischen Deutsch. In: Wiesinger, P.
(Hrsg.). Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau Verlag, 1988. (S. 124-
151)
48
Ebner, J. Wörter und Wendungen des österreichischen Deutsch. In: Wiesinger, P.
(Hrsg.). Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau Verlag, 1988. (S. 153-
155)

36
schau her (bdt. sieh einmal an). Spezifisch scheinen auch die
österreichweit verwendeten Redensarten zu sein. Damit sind die
Wortgruppen oder stereotype Sätze gemeint, die unverändert in einen
Text hineingesetzt werden. Zu den am häufigsten verwendeten gehören:
eh klar (bdt. natürlich, war ja zu erwarten), eh scho(n) wissen (bdt. wie
ja ohnedies bekannt), Jessas na! (Ausruf großen Erschreckens).
Schließlich sind noch die idiomatischen Ausdrücke zu erwähnen, die
zwar auch im Binnendeutschen erscheinen, aber in der österreichischen
Variante Differenzen aufweisen. So ist es beispielsweise bei den
folgenden Idiomen: so sicher wie das Amen im Gebet (bdt. so sicher wie
das Amen in der Kirche), auf die Länge (bdt. auf die Dauer), die sieben
Zwetschken packen (bdt. die sieben Sachen packen).49
Aus den oben angeführten Beispielen wird deutlich, dass sich
der österreichische Wortschatz in verschiedenen Lebensbereichen vom
Binnendeutschen unterscheidet. Man kann an dieser Stelle ein paar
spezifische Beispiele im Rahmen der drei Bereiche benennen.
Den ersterwähnten Bereich machen Staatswesen und
Verwaltung aus. So ist der Chef einer Länderregierung in Österreich der
Landeshauptmann, dagegen in Deutschland der Ministerpräsident. Die
Abweichung findet man auch in der Bezeichnung der Volksvertretung,
die man in Österreich als Nationalrat nennt, ein Gegenstück dazu ist in
Deutschland der Bundestag. Darüber hinaus kommen gleicherweise in
der staatlichen Verwaltung eine ganze Menge ähnlicher Varietäten vor,
wie etwa: Bollette (bdt. Zollerklärung), Wachzimmer (bdt. Polizeibüro),
Einvernahme (bdt. Verhör). Eine zweite umfangreiche Gruppe an
Wörtern, die sich in den österreichischen und deutschen Varianten
unterscheiden, stellen die Bezeichnungen für Berufe, Werkzeuge und
Privatleben der Bauern und Handwerker dar. Den Ursprung dieser
Abweichung findet man in der historischen Sprachentwicklung, was
bereits in vorherigen Kapiteln besprochen wurde. Diese spezifisch
österreichischen Wörter, die dem bairischen Dialekt ähneln, sind

49
Ebner, J. Wörter und Wendungen des österreichischen Deutsch. In: Wiesinger, P.
(Hrsg.). Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau Verlag, 1988. (S. 158-
163)

37
beispielsweise Fleischhauer (bdt. Fleischer), Jause (bdt.
Zwischenmahlzeit), Lederer (bdt. Gerber), oder Watsche (bdt. Ohrfeige).
Die letzt angedeutete Gruppe stellt die schon oben kurz erwähnte
Küchensprache vor, die die Ausdrücke von Speisen und
Speisenzubereitung umfasst. Exemplarisch kann man nennen: Backhendl
(bdt. paniertes Hähnchen), Dalken (in Fett gebackene
Germteigscheiben), überkochen (kurz kochen lassen), Obers (süße
Sahne), Ribisel (bdt. Johannisbeere), usw.50
Zusammenfassen lässt sich die Überlagerung vom
österreichischen Deutsch und dem Binnendeutschen so akzentuieren,
dass die Festlegung klarer Grenzen nicht möglich ist. Dies ist einerseits
sprachgeschichtlich zu begründen, anderseits durch den starken
Sprachaustauch zwischen den beiden Ländern auf dem Gebiet der
Wirtschaft, Fremdenverkehr oder Literatur. In den letzten Jahren wird die
positive Tendenz deutlich, dass die „Austriazistik“ immer mehr an die
Bedeutung gewinnt und eine markante Weiterentwicklung durchläuft.

2.4 Das österreichische Amtsdeutsch


Die öffentliche Verwaltung in jedem Staat beruht auf dem Recht
und den Gesetzen. Diese bilden die Grundlage der Rechts- und
Verwaltungssprache, die ein breites Spektrum an Sprachbesonderheiten
umfasst. Zu den markantesten Differenzen dieses Bereiches im Rahmen
des österreichischen Deutsch gehören insbesondere die Terminologie,
eine spezifische Syntax und der Stil der Texte. Dies scheint jedoch von
großer Bedeutung zu sein, weil in der heutigen Zeit jeder Bürger im
Kontakt mit Verwaltungsorganen und Behörden steht.
Im Bereich der Syntax kann man im Rahmen der
österreichischen Amtstexte eine starke Tendenz zu wortreichen und
längeren Sätzen feststellen, was dagegen in den bundesdeutschen
Amtstexten nicht so oft der Fall ist. Dies liegt darin begründet, da es sehr
häufig zur Anhäufung der Attribute durch nominale Satzglieder kommt.
50
Ebner, J. Wörter und Wendungen des österreichischen Deutsch. In: Wiesinger, P.
(Hrsg.). Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau Verlag, 1988. (S. 169-
184)

38
Diese Beliebtheit der Attribute kann man anhand folgender Beispielen
anschaulicher machen: die modernen Streitkräfte, der Betrag der Miete,
Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit, usw. Womit sich jedoch die
österreichische Amtstexte von den bundesdeutschen unterscheiden, zeigt
der häufigere Gebrauch von Satzgefügen, die allerdings meistens nur aus
einem Nebensatz bestehen. In der bundesdeutschen Amtssprache treten
dahingegen die Satzgefüge in beträchtlicher Anzahl auf, die zwei oder
mehr Nebensätze haben. Im Endeffekt kann man also die österreichische
Rechts- und Verwaltungssprache aufgrund der häufiger gebrauchten
Mehrfachattribute und zu langen Satzklammern als komplizierter als die
bundesdeutsche bezeichnen.51
Im Rahmen der Stilistik sind die österreichischen Amtstexte
durch den häufigen Gebrauch von Passivformen gekennzeichnet. Man
muss dabei alle Varianten des Passivgebrauchs beachten, d.h.
Vorgangspassiv, Zustandspassiv und auch die Passivumschreibungen.
Neben dem stark vertretenen Passivgebrauch kommen diejenigen Verben
stärker vor, die sich durch geringe Variabilität und häufige Wiederholung
auszeichnen. Dies kann man so interpretieren, dass ständig fast nur
dieselben Verben wiederholt in den Texten erscheinen. Zu den typischen
Verben gehören können (+ Infinitiv), das Hilfsverb sein in Verbindung
mit einem substantivischen oder adjektivischen Prädikativ, sowie:
anwenden, gelten, in/außer Kraft treten usw. Nicht nur diese Merkmale
sondern auch das Subjekt führen zur Unpersönlichkeit und Sachlichkeit
der Amtssprache. Dies wird anhand der folgenden Substantive
demonstriert: konkretes (z.B. Beamter), abstraktes (z.B. Verhältnis) oder
formales (es) Substantiv. Gleicherweise fungieren auch die häufig
auftretenden Attribute, die als Mehrfachattribute zum wichtigen
stilistischen Merkmal werden, oder ferner die abstrakten
Verbalsubstantive auf –ung (z.B. Verfügung, Erklärung), die zum
Nominalstil der Rechts-und Verwaltungssprache beitragen. Man kann
also den hohen Abstraktheitsgrad der österreichischen Rechts- und
Verwaltungssprache nicht leugnen. Wenn man dann zusammenfassend

51
Wiesinger, P. Das österreichische Deutsch in Gegenwart und Geschichte, LIT
Verlag, Wien, 2006 (S. 109-115)

39
die Frage des Vergleichs der österreichischen und bundesdeutschen
Amtstexte stellt, wird klar, dass dem Passivgebrauch, dem durch
abstraktes Substantiv ausgeprägten Subjekt und dem erhöhten Gebrauch
von Nomen vor den Pronomen den Vorrang gewährt.52
Das Hauptmerkmal der österreichischen Amtssprache ist die
Lexik, die vor allem durch die Terminologie der Fach- und
Sondersprache gekennzeichnet ist. Im Rahmen dieses Bereiches kann
man drei Gruppen unterscheiden.
Erstens handelt es sich um die Fachausdrücke, die anstelle
gemeinsprachlicher Ausdrücke vorkommen. Diese Wörter und
Wendungen sind schon traditionell in der Amtssprache fest verankert und
aufgrund ihrer langen Tradition verleihen sie der österreichischen
Rechts- und Verwaltungssprache eine archaische Prägung. Für ihre
Jargonhaftigkeit erfreuen sich bei den Juristen und Verwaltungsbehörden
großer Beliebtheit: z.B.: Verbücherung (Eintragung in die Amtsbücher),
einberichten (mittteilen), betrauen (befassen), anher (hierher), außer
Ansatz bleiben (unberücksichtigt bleiben). In dieser Gruppe kann man
zugleich diejenigen Austriazismen einbeziehen, die in Deutschland
entsprechende Äquivalente bilden, wie etwa Kundmachung (bdt.
Bekanntmachung), oder Einlaufstelle (bdt. Annahmestelle).53
Die zweite Gruppe machen die gemeinsprachlichen Ausdrücke
mit fachsprachlicher Eigenbedeutung aus. Der Unterschied von der
vorherigen Gruppe liegt darin, dass die Wörter zwar auch in der
Gemeinsprache verwendet werden, aber sich im Rahmen der Rechts- und
Verwaltungssprache durch für diesen Bereich spezifische Bedeutungen
auszeichnen. Bei der Anwendung spielt in erster Linie der Kontext eine
wichtige Rolle, weil danach die Bedeutung entweder der Amtssprache
oder Gemeinsprache zuzuteilen ist. Exemplarisch können folgende
Beispiele angeführt werden: Ausflug (einer Tätigkeit) – Ergebnis,
Ausschreibung (einer Lohnsteuerkarte) – Ausstellung, Anlage
(Hochschulbildung im Sinne der Anlage 1) – Anhang, unschädlich (die

52
Wiesinger, P. Das österreichische Deutsch in Gegenwart und Geschichte, LIT
Verlag, Wien, 2006 (S. 118-122)
53
Wiesinger, P. Das österreichische Deutsch in Gegenwart und Geschichte, LIT
Verlag, Wien, 2006 (S. 124-125)

40
Verknüpfung beider Tätigkeiten ist unschädlich) - ohne
Beeinträchtigung.54
Als dritten und letzten Punkt kann man an dieser Stelle die
spezifischen Fachausdrücke, die den größten Teil der österreichischen
Amtssprache darstellen, erwähnen. Zu ihnen gehören insbesondere die
Einfach- und Mehrfachkomposita. So kann man beispielsweise in den
Wirtschaftstexten folgende Komposita ausfindig machen:
Einfuhrumsatzsteuer Umsatzsteuervoranmeldung,, Familienbeihilfekarte,
Straßenverkehrsbeitragsgesetz Wareneingangsbuch u.a. Charakteristisch
treten in diesen Textsorten die Adjektivkomposita vor, die
folgenderweise durch die Bildungen auf – pflichtig und –frei entstehen:
z.B. aktivierungspflichtig, abgabepflichtig, steuerfrei, beitragsfrei. Wie
man an den vorliegenden Beispielen ersehen kann, haben die einzelnen
Glieder der Komposita nicht zwingend die Grundbedeutung, sondern
erlangen eine neue Bedeutung, im Weiteren geht der ursprüngliche
semantische Bezug zwischen dem Grundwort und dem
55
Bestimmungswort verloren.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Verständlichkeit der
österreichischen Rechts- und Verwaltungssprache als eine komplizierte
Angelegenheit werden kann, die oft schwer zu erschließen ist. Die
Hauptprobleme der Sprachbarriere stellen der komplizierter Satzbau und
der Fachwortschatz dar. Zur Zeit gibt es eine heftige Diskussion in
Österreich, die sich die Verbesserungsmaßnahmen im Rahmen der
Rechts- und Amtstexten zum Ziel setzt.

2.5. Das österreichische Deutsch im Rahmen der EU


Als Einstieg in diese Kapitel dient eine kurze Einführung in die
Sprachpolitik der Europäischen Union. Was also die sprachpolitische
Frage der EU betrifft, kann man feststellen, dass sich die EU große Mühe
gibt, im Rahmen der internationalen Organisationen eine großzügige

54
Wiesinger, P. Das österreichische Deutsch in Gegenwart und Geschichte, LIT
Verlag, Wien, 2006 (S. 124-125)
55
Wiesinger, P. Das österreichische Deutsch in Gegenwart und Geschichte, LIT
Verlag, Wien, 2006 (S. 126)

41
Sprachenpolitik betreffend der Kosten für Dolmetscher- und
Übersetzungsdienste zu betreiben. Die Anzahl der Amtssprachen der EU
entspricht der Anzahl der Mitgliedstaaten, wodurch der Weg zur
permanent stark akzentuierten sprachlichen Diversifizierungspolitik
gebahnt wird. Es darf in keinem Fall der Umstand zugelassen werden,
dass eine gemeinsame Sprache für alle Nationen Europas eingeführt
wird. Dies könnte folglich zur Unterdrückung der anderen Sprachen und
so auch der Kulturen im Rahmen der Gemeinschaft führen. Um diese
wenn auch theoretischen Denkweisen auszuweichen, setzt sich die EU
gewissenhaft und gründlich dafür ein, die Vielsprachigkeit in der
Europäischen Union zu fördern. Auf diese Art und Weise wird die
Wichtigkeit der Sprachvielfalt dokumentiert, was den Baustein der
europäischen Identität bildet. Wenn auch die Sprache durch die EU mehr
oder weniger geregelt wird, gilt dies alles nur für die unterschiedlichen
Sprachen, wie etwa Deutsch, Französisch, Englisch usw. Die
Problematik der plurizentrischen Sprachen sowie der Berücksichtigung
der Varietäten innerhalb einer Sprache wird jedoch bis dahin keiner
Regelung oder zumindest einer Untersuchung unterzogen.56
In Österreich wurde im Vorfeld der 1993/94 der Beitritt zur EU
das Thema, insbesondere war das Augenmerk auf die Frage
„Österreichisches Deutsch“ gerichtet. In der Öffentlichkeit war die Angst
vor dem Verlust der österreichischen Identität und charakteristischen
österreichischen Speisen deutlich spürbar. So wurde die
Beitrittskampagne gegen diese Bedenken gerichtet. Als demonstratives
Beispiel kann der Slogan „Erdäpfelsalat bleibt Erdäpfelsalat“ angeführt
werden, mit dem man zum Ausdruck bringt, dass die für Österreich
charakteristischen Bezeichnungen von Speisen erhalten bleiben und nicht
durch bundesdeutsche Ausdrücke ersetzt werden. Des Weiteren kam es
zu diesem Zeitpunkt zu der heftigen Diskussion über die Identität, welche
durch Ängste vor der Thematisierung des „Europa der Regionen“ und der
„Subsidiarität“ ausgelöst wurde. Dies hängt letztendlich gleicherweise

56
De Cillia, R. Erdäpfelsalat bleibt Erdäpfelsalat, Österreichisches Deutsch und EU-
Beitritt. In: Muhr, R., Schrodt R., Wiesinger P. (Hrsg.). Österreichisches Deutsch:
linguistische, sozialpsychologische und sprachpolitische Aspekte einer Nationalen
Variante des Deutschen. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky, 1995. S. (160)

42
mit dem befürchteten Verlust einer an der „Esskultur“ orientierten
Identität zusammen. All diese Bedenken des Identitätsverlusts hatten zur
Folge, dass die Werbekampagne im Sinne der Nationalisierungsstrategie
geführt wurde.57
Im Rahmen der Beitrittsverhandlungen ersuchten
Bundeskanzelamt und Außenministerium die Ministerien darum, sich zur
österreichischen Sprachbesonderheiten zu äußern. So wurden
verschiedene Listen erstellet, die typisch österreichische Ausdrücke
einbezogen. Diese Vorgehensweise wurde jedoch schließlich außer Acht
gelassen, indem man diesen Faktor aufgrund der komplizierten
Verhandlungen übersah. Dies erfolgte erst in den Nachverhandlungen, in
denen das Landwirtschaftsministerium feststellte, dass im Rahmen des
Lebensmittelrechts der EU 23 Bezeichnungen vorkommen, die eine
Abweichung von den österreichischen Ausdrücken darstellen. Diese
Austriazismenliste hat folglich ihren Eingang ins „Protokoll Nr. 10 über
die Verwendung spezifisch österreichischen Ausdrücke der deutschen
Sprache im Rahmen der Europäischen Union“ gefunden, was ein Teil des
Vertrages zwischen Österreich und der EU ausmacht. Die
Berücksichtigung der Austriazismen im Rahmen des Beitrittsvertrages
spielte auch in der Beitrittskampagne eine zentrale Rolle, weil man damit
die Bedenken vor dem Verlust der österreichischen Identität oder vor
dem Einheitsdeutch milderte. Ebenso lassen sich auch die unpopulären
Ansichten betreffend die Berücksichtigung der Austriazismen erwähnen.
So sollte sich beispielsweise in diesem Falle nur um einen
demonstrativen Akt handeln, der dann im Referendum die für den Beitritt
notwendige Minimalgrenze von 5% sichern sollte.58
Bei der Aufnahme von Begriffen in den Katalog der
Austriazismen sollte sich keineswegs um bloß regionale oder
mundartliche Ausdrücke handeln, sondern wurde es vorgesehen, die
Begriffe mit offiziellem Charakter zu erfassen. So hat man die Texte des
geltenden EU-Rechts und des österreichischen Rechts verglichen. Nur

57
Markhardt, H. Das Österreichische Deutsch im Rahmen der EU. Frankfurt am Main,
Wien: LANG, 2005. (S. 154-159)
58
Wiesinger, P. Das österreichische Deutsch in Gegenwart und Geschichte, LIT
Verlag, Wien, 2006 (S. 134)

43
diejenigen Austriazismen, denen in der deutschsprachigen Fassung ein
entsprechendes Gegenstück gegenüberstand, wurden folglich in die Liste
des Protokolls Nr.10 einbezogen. Wie weiters gemäß der
Regierungsvorlage festgelegt wurde, bleiben diese Begriffe unberührt
und besitzen die Möglichkeit vom freien Gebrauch. Abschließend ist
festzustellen, dass ausschließlich die Landwirtschaftstermini (siehe
unten) in die Liste eingetragen werden, die sowohl zu den bekanntesten
Wörtern gehören, als auch im österreichischen und europäischen Recht
vorkommen. So entstanden die wichtigsten Kriterien fürs Erstellen der
Liste von Austriazismen. Dies wird im Großen und Ganzen als
politischer Erfolg angesehen, weil es seitens Österreichs gelungen ist,
sich für die spezifischen österreichischen Ausdrücke einzusetzen und auf
diese Weise die für österreichische Identität wichtige Ess- und
Trinktradition zu bewahren.59
Wie auch immer gibt es auch die Kritik am Protokoll Nr. 10.
Häufig wurde ihm die Tatsache vorgeworfen, sich lediglich auf die
Unterschiede in der Lexik zu beschränken und auf andere markante
Unterschiede zwischen den beiden deutschen Varianten wie etwa in der
Phonetik, oder Morphologie keine Rücksicht zu nehmen. So wird dann
die Problematik der österreichischen Varietät vereinfacht, indem man nur
diese 23 typisch österreichischen Ausdrücke vor den Augen hat.
Gleicherweise kann man in bestimmten germanistischen Kreisen auch
die Kritik darüber hören, dass die Auswahl „echter“ Austriazismen in
Frage gestellt wird. Erstens wurde die Echtheit und Spezifikation der im
Protokoll Nr. 10 angeführten Begriffe als strittig angesehen und zweitens
wird auf die beschränkte regionale Verbreitung dieser Ausdrücke
hingewiesen. Als Beispiel lässt sich „Hüferl“ erwähnen, was angeblich
nur im alten Dialektwörterbuch zu finden ist. Abschließend kann man
jedoch feststellen, dass es mit der Zeit klar wird, dass das

59
Markhardt, H. Das Österreichische Deutsch im Rahmen der EU. Frankfurt am Main,
Wien: LANG, 2005. (S. 175-179)

44
„Austriazismenprotokoll“ auf keiner sprachpolitischen Absicht basierte,
sondern in erster Linie psychologische Gründe hatte.60
Das Protokoll Nr. 10 wurde zum Bestandteil des
Beitrittsvertrags und gleicherweise ins EU- Primärrecht integriert. Daraus
ergibt sich die Gleichstellung und Rechtswirksamkeit der
bundesdeutschen Ausdrücke mit den neuen 23 Austriazismen. Diese
Regelung gilt jedoch ausschließlich im Rahmen des EU-Rechts, also
greift in den alltäglichen Sprachgebrauch weder in Österreich noch in
Deutschland. Österreich verfügt daher über die Möglichkeit, an die
aufgelisteten Termine einzig und allein in der Rechtssprache der Union
festzuhalten. So können überdies aber andere nicht im Protokoll Nr. 10
einbezogene landesübliche Lebensmittelbezeichnungen
selbstverständlich österreichweit verwendet werden. Man kann jedoch
nur am Rande erwähnen, dass die Überprüfung der Durchführung des
Protokolls Nr. 10 bis dahin nicht vorgenommen wurde. Theoretisch sollte
diese Aufgabe die Europäische Kommission erfüllen, praktisch sollte
jedoch Österreich die in ihrem Interessegebiet befindenden Sachen unter
Kontrolle stellen. Dies erfolgt allerdings nicht und die Anwendung
mangelt daher an jeglicher Kontrolle.61
Die Art und Weise, wie man die das Protokoll Nr. 10 in die Tat
umsetzt, wird als „Schrägstrichlösung bezeichnet und folgenderweise in
der Mitteilung des Juristischen Dienstes des Rates der Europäischen
Union, Abteilung Rechts- und Sprachverständige vom 6. Januar 1995
beschrieben: „Bei jedem Auftauchen eines der Worte aus der rechten
Spalte der Liste des Protokolls Nr. 10 wird der entsprechende
österreichische Ausdruck aus der linken Spalte mit einem Schrägstrich
angefügt, bei unterschiedlichem Geschlecht zusammen mit Artikel bzw.
Pronomen. Beim erstmaligem Auftauchen der Schrägstrichlösung wird

60
Markhardt, H. Das Österreichische Deutsch im Rahmen der EU. Frankfurt am Main,
Wien: LANG, 2005. (S. 207-209)
61
Wiesinger, P. Das österreichische Deutsch in Gegenwart und Geschichte, LIT
Verlag, Wien, 2006 (S. 135-136)

45
eine Fußnote mit folgendem Wortlaut beigefügt: „Österreichischer
Ausdruck gemäß Protokoll Nr. 10 zur Beitrittsakte 1994“.“62
Abschließend lässt sich feststellen, dass das Protokoll Nr. 10
zwar den Anschein erwecken kann, dass es sich bei den österreichischen
Ausdrücken automatisch um Bezeichnungen für Essen handelt, dagegen
gilt es als eine symbolische Anerkennung der Existenz
standardsprachlichen Varianten und verleiht diesen auch den
gleichwertigen Status. Darüber hinaus ist das Protokoll Nr. 10 das
einzige Dokument, das sich mit den plurizentrischen Sprachen im
Rahmen der EU befasst, und damit sprachpolitische Relevanz genießt. Im
Allgemeinen scheint dieser Umstand dazu beizutragen, dass das
österreichische Deutsch sowohl in Österreich selbst, als auch im Ausland
deutlich an Prestige gewinnt.

62
Markhardt, H. Das Österreichische Deutsch im Rahmen der EU. Frankfurt am Main,
Wien: LANG, 2005. (S. 185)

46
3.Schluss
Das Ziel dieser Arbeit liegt in erster Linie in der
Gegenüberstellung des Binnendeutschen und des österreichischen
Deutsch. Anhand zahlreicher Beispiele sollte auf die Tatsache
hingewiesen werden, dass es eine ganze Reihe von Unterschieden gibt,
die als klarer Beweis dafür stehen, dass diese zwei Varietäten der
deutschen Sprache mehr oder weniger voneinander abweichen.
Zu Beginn werden der historische Hintergrund, die auf
österreichisches Deutsch wirkenden Einflüsse, sowie die enge Beziehung
der Sprache und Identität besprochen. Dies alles dient dem Erwerb
bestimmten Vorwissens bezüglich dieser Problematik, was den Einblick
auf den mittleren Teil der Arbeit erleichtert. Dort werden die
grammatikalischen, phonetischen und lexikalischen Besonderheiten des
österreichischen Deutsch behandelt und anhand praktischer Beispiele
veranschaulicht. Des Weiteren berührt man das Thema des
österreichischen Amtsdeutsch, was insbesondere auf die Rechts- und
Verwaltungssprache abzielt und nebenbei werden die unterschiedlichen
Ausdrücke vom Binnendeutschen und österreichischen Deutsch
gegenübergestellt. Letztlich kehrt man in dieser Arbeit in die moderne
Geschichte Österreichs zurück, indem die Probleme der österreichischen
Varietät der deutschen Sprache im Rahmen der Europäischen Union
dargestellt werden.
In der ganzen Arbeit wurde der Schwerpunkt vor allem auf die
Darlegung der Unterschiede zwischen dem österreichischen Deutsch und
dem Binnendeutschen gelegt. Darüber hinaus wurde die Prägung der
österreichischen Varietät der deutschen Sprache in den Vordergrund
gestellt, wodurch man zur Schlussfolgerung gekommen ist, dass es kein
einheitliches „Österreichisch“ gibt. Hingegen versteht man unter
österreichischem Deutsch eine Gesamtheit der in Österreich auftretenden
sprachlichen Eigenheiten. Trotz der zahlreichen sprachlichen
Abweichungen im Bereich der Syntax, Grammatik oder Phonetik ist es
im Rahmen der deutschen Sprachgemeinschaft von
Verständigungsproblemen kaum zu sprechen, ungeachtet der

47
Dialektformen, wo der Wortschatz in erheblichem Maße variiert. Im
Großen und Ganzen stellen gerade die Unterschiede im Wortschatz die
Hauptargumente für die Gültigkeit der eigenständigen Sprache
„Österreichisch“. Damit hängt die derzeitige Tendenz zusammen, die
darauf abzielt, vorerst die standardsprachlichen Ausdrücke von den
umgangssprachlichen klar abzugrenzen und die standardsprachlichen
Ausdrücke im Rahmen eines umfassenden Lexikons einheitlich zu
kodifizieren, das über „das österreichische Wörterbuch“ weitaus
hinausgehen sollte.
Was in dieser Arbeit an mehreren Stellen behandelt wurde, ist
die mit der Sprache eng verbundene Identität. Es wurde in erster Linie
auf die gespaltene Sprache und sich daraus ergebende gespaltene
Identität hingewiesen, selbstverständlich im Rahmen der deutschen und
österreichischen Sprache. Dieser Zustand kann nur solange bestehen, bis
es gelingt, die sprachliche Trennung durch Verselbstständigung von
„Österreichisch“ ganz und gar durchzuführen. So herrscht ja die
langjährige bis dahin ergebnislose Diskussion über dem Status der
deutschen Schrift- und Standardsprache in Österreich. Zu dieser
heutzutage vorherrschenden haarigen Situation in dieser Problematik
äußerte sich Ao. Univ.-Prof. Dr. Hermann Scheuringer im Jahre 1996:
„Deutsch in Österreich – Unterschiedliche Standpunkte und wohl kein
Kompromiss in Sicht“.

48
Literaturverzeichnis
Sedlacek, R. Österreichisches Deutsch. Wien: Ueberreuter, 2004
Wiesinger, P. (Hrsg.). Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz:
Böhlau, 1988
Muhr, R., Schrodt R., Wiesinger P. (Hrsg.). Österreichisches Deutsch:
linguistische, sozialpsychologische und sprachpolitische Aspekte einer
Nationalen Variante des Deutschen. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky,
1995
Wiesinger, P. Das österreichische Deutsch in Gegenwart und
Geschichte. Wien: LIT Verlag, 2006
Rudolf de Cillia/Ruth Wodak: Ist Österreich ein „deutsches” Land?
Innsbruck: Studienverlag, 2006
Markhardt, H. Das Österreichische Deutsch im Rahmen der EU.
Frankfurt am Main, Wien: LANG, 2005
Ammon, Ulrich. Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und in
der Schweiz. Berlin, New York: de Gruyter, 1995
Zeman, D. Das österreichische Deutsch und die österreichisch-
tschechischen Sprachbeziehungen: ein kulturhistorischer und
sprachlicher Abriss /eingereicht von Dalibor Zeman. Wien, 2003

49
Anhang

PROTOKOLL NR. 10

ÜBER DIE VERWENDUNG SPEZIFISCH ÖSTERREICHISCHER


AUSDRÜCKE DER DEUTSCHEN SPRACHE IM RAHMEN DER
EUROPÄISCHEN UNION

Im Rahmen der Europäischen Union gilt folgendes:

1. Die in der österreichischen Rechtsordnung enthaltenen und im Anhang


zu diesem Protokoll aufgelisteten spezifisch österreichischen Ausdrücke
der deutschen Sprache haben den gleichen Status und dürfen mit der
gleichen Rechtswirkung verwendet werden wie die in Deutschland
verwendeten entsprechenden Ausdrücke, die im Anhang aufgeführt sind.
2. In der deutschen Sprachfassung neuer Rechtsakte werden die im Anhang
genannten spezifisch österreichischen Ausdrücke den in Deutschland
verwendeten entsprechenden Ausdrücken in geeigneter Form
hinzugefügt.

Österreich Amtsblatt der


Europäischen Gemeinschaften

Beiried Roastbeef

Eierschwammerl Pfifferlinge

Erdäpfel Kartoffeln

Faschiertes Hackfleisch

Fisolen Grüne Bohnen

Grammeln Grieben

Hüferl Hüfte

Karfiol Blumenkohl

Kohlsprossen Rosenkohl

Kren Meerrettich

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Lungenbraten Filet

Marillen Aprikosen

Melanzani Aubergine

Nuss Kugel

Obers Sahne

Paradeiser Tomaten

Powidl Pflaumenmus

Ribisel Johannisbeeren

Rostbraten Hochrippe

Schlögel Keule

Topfen Quark

Vogerlsalat Feldsalat

Weichseln Sauerkirsche

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