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Österreich
Österreich hat seit vielen Jahrhunderten ein besonderes politisches und kulturelles Profil
entwickelt. Bei seiner prominenten Stellung im deutschsprachigen Gebiet war das wohl
unvermeidlich. Als Beginn einer gewissen politischen Eigenständigkeit wird oft das Jahr 1156
gesehen, in dem Kaiser Barbarossa das Land zu einem Herzogtum innerhalb des Heiligen
Römischen Reichs erhob. Hundert Jahre später rückt dieses Herzogtum sogar an die Spitze des
Reichs. Seine Hauptstadt Wien ist dann vom Ende des Mittelalters (Kaiserwürde Rudolfs von
Habsburg 1273) bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts (Abdankung Franz' II. 1806) – mit nur
verhältnismäßig geringen Unterbrechungen – Sitz des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches,
das die meisten deutschsprachigen Länder einschließt (ausgenommen die Schweiz, die 1648
endgültig ausscheidet).
Trotz dieser prominenten Stellung, vielleicht sogar gerade wegen ihr, hat sich Österreich
jedoch im Verlauf dieser langen Zeitspanne nicht durch sprachliche Besonderheiten vom übrigen
deutschsprachigen Gebiet abgesetzt. Die Herausbildung einer eigenen Schreibtradition im
Spätmittelalter hat keine varietätsseparatistischen Züge. Sie liegt in der damaligen Tendenz der
Herausbildung dialektübergreifender Regionalvarietäten („Regionalsprachen") und unterscheidet
sich nicht grundsätzlich von der Entwicklung der anderen regionalen deutschen
„Schreibsprachen“ zu jener Zeit.
In der Zeit der Aufklärung schließt sich Österreich den von sächsischem Gebiet
ausgehenden sprachlichen Einigungsbestrebungen an. In der Regierungszeit Kaiserin Maria
Theresias (1740-1780) werden die sprachnormierenden Werke des Leipziger Sprach- und
Literaturpapstes Johann C. Gottsched in Wien neu aufgelegt oder nachgedruckt und in Österreich
verbreitet. Wien beansprucht also keine Führungsrolle bei der Standardisierung der deutschen
Sprache, obwohl es Kaiserstadt war.
Auch die Abdankung von Franz II. als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches bei
dessen Auflösung im Jahre 1806, also der Verlust seiner zumindest symbolischen Stellung als
Oberhaupt der meisten deutschsprachigen Länder, beeinträchtigt nicht die enge sprachliche
Verbindung Österreichs mit dem übrigen deutschen Sprachgebiet, zumal dem Land schon bald
andere wichtige Funktionen zuwachsen, die diese Verbindung wieder stärken. Dazu zählt
insbesondere der Vorsitz Österreichs in der Bundesversammlung des Deutschen Bundes in der
Zeit von 1815 bis 1866. Bis zu diesem Zeitpunkt, also über die Mitte des 19. Jahrhunderts
hinaus, ist Österreich mit den übrigen deutschsprachigen Staaten politisch ebenso eng verbunden
wie diese untereinander.
Erst nach 1866, als es Preußen gelingt, Österreich aus dem Verband der sich
vereinigenden deutschen Staaten hinauszudrängen, entstehen dann die äußeren Voraussetzungen
für eine auch sprachliche (varietätsmäßige) Sonderstellung Österreichs. Preußen im Bündnis mit
Italien und einigen kleinen norddeutschen Staaten besiegte Verbündete Österreichs mit der
Mehrzahl in einem Krieg 1866 (Schlacht bei Königgrätz). Daraufhin wird im Friedensvertrag
von Prag (1866) der Deutsche Bund, den Österreich bis dahin angeführt hat, aufgelöst. Die
staatspolitische Abtrennung Österreichs von Deutschland wird schließlich durch die Vereinigung
des Norddeutschen Bundes und der süddeutschen Staaten besiegelt.
Seit der Zeit findet man immer häufiger einzelne Austriazismen in Wörterbüchern, z. B.
Baisl „Kneipe“, Jänner „Januar“, Karfiol „Blumenkohl“, Kren „Meerrettich“, Marille
„Aprikose“, Paradeiser „Tomate“, Ribisel „Johannisbeere“ usw.
Nach 1945 ist eine Politik der entschiedenen Distanzierung von Deutschland möglich.
Österreich wird von Deutschland getrennt. Aber auch in der österreichischen Bevölkerung
entwickelt sich mit der Zeit eine Mehrheit, die sowohl die staatliche als auch schließlich die
nationale Eigenständigkeit Österreichs bejaht. Nachdem noch 1956 bei einer repräsentativen
Meinungsumfrage nur 49% der österreichischen Bevölkerung die Österreicher für ein „eigenes
Volk“ und 46% für einen Teil des „deutschen Volkes“ halten, sind 1979 immerhin schon 68%
und 1990 sogar 74% der Auffassung, Österreich sei eine eigene „Nation“. Weitere 20% glauben
1990: „die Österreicher beginnen sich langsam als Nation zu fühlen“, und nur 5% vertreten die
Ansicht: „die Österreicher sind keine Nation“.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine Übergangsphase, in der man sogar die
Bekundungen der Zugehörigkeit zur deutschen Sprachgemeinschaft vor Scheu vermeidet. Diese
Scheu kommt unter anderem zum Ausdruck in der offiziellen Umbenennung des
muttersprachlichen Unterrichts an österreichischen Schulen in Unterrichtssprache im Jahre
1949. 1952 wird das Schulfach in Deutsche Unterrichtssprache und 1955 in die einfachere
Bezeichnung Deutsch zurückbenannt.
Die Schweiz geht politisch schon viel länger einen eigenen Weg als die beiden anderen
nationalen Zentren der deutschen Sprache, Österreich und Deutschland. Nach dem Schweizer
Geschichtsverständnis beginnt dieser Eigenweg schon im Jahre 1291 mit dem Ewigen Bund der
„Waldstätte“ und späteren Kantone Uri, Unterwalden und Schwyz, wobei letztere dem Land den
– standarddeutsch diphthongierten – Namen gab (Schwyz > Schweiz). Auf diese
Entstehungsgeschichte bezog sich auch die offizielle 700-Jahrfeier des Landes im Jahre 1991.
Der Bund von 1291 richtet sich gegen die Abhängigkeit vom österreichischen Hause Habsburg
und befreit sich schließlich mit dem Westfälischen Friedensvertrag, der im Jahre 1648 den
Dreißigjährigen Krieg beendet, daraus. Seitdem ist die Schweiz politisch selbständig.
Im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts bildet sich in der damals noch rein
deutschsprachigen Schweiz zunächst eine eigene landschaftliche Schreibsprache heraus, ähnlich
wie in anderen Regionen des deutschen Sprachgebiets. In dieser Schreibsprache erscheinen
beispielsweise noch die Schriften des einflussreichen Reformators Ulrich Zwingli (1484-1531),
der in Zürich wirkt. Die staatliche Eigenständigkeit der Schweiz wirkt aber im weiteren nicht in
Richtung einer Festigung dieser eigenen Schreibsprache. Vielmehr wird die Schweizer
Schreibsprache schon im Verlauf des 16. Jahrhunderts durch Übernahme der neuhochdeutschen
Diphthonge schrittweise an die Schreibsprachen des übrigen deutschen Sprachgebiets
herangeführt.
Dass die Schweiz dennoch gegen Ende des 19. Jahrhundert nur in sehr
beschränktem Maße ein eigenständiges Zentrum der deutschen Sprache bildet,
zeigt sich vor allem an der mangelnden Kodifizierung des eigenen Standarddeutsch. Im
Gegensatz zu Österreich entscheidet sich die Schweiz nach der gescheiterten
Rechtschreibkonferenz in Deutschland vom Jahre 1876 nicht dafür, ein eigenes
Rechtschreibwörterbuch herauszugeben.
Bis zu diesem Ansatz und späteren Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg bleibt
der Grad der Binnenkodifizierung der schweizerischen nationalen Varietät des Deutschen sehr
gering. In der Schweiz gab es damals zwei Sprachentwicklungstendenzen: einerseits die,
Tendenz in Richtung auf eine für das gesamte deutsche Sprachgebiet einheitliche
Standardvarietät sowie andererseits, und in den 30er Jahren zunehmend, die Tendenz in
Richtung auf eine massive Stärkung der Dialekte, bis hin zu Plänen, sie zu einer selbständigen
Sprache zu erheben. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg stabilisiert sich die Entwicklung in
Richtung der heutzutage vorfindlichen Diglossie mit einer spezifisch ausgeprägten nationalen
Standardvarietät.
Der Widerstand gegen den Dialektschwund und gegen die allgemeine Tendenz zum
Standarddeutschen erhält Auftrieb durch die Ereignisse des Ersten Weltkriegs und später erst
recht durch den Nationalsozialismus in Deutschland. Sowohl die im Ersten Weltkrieg
aufscheinende Gefahr, dass die Schweiz in einen romanisch- und einen deutschsprachigen Teil
zerbrechen könnte, als auch die Aggressivität und anschließende Niederlage Deutschlands
bringen die Schweiz auf innere Distanz zu ihrem nördlichen Nachbarn. Diese schlägt sich auch
in den sprachlichen Beziehungen nieder. Am deutlichsten wird das in der stärkeren Hinwendung
zum Dialekt und in der Tradition der Romantik die Dialekte „rein“ zu erhalten (Dialekt-
Purismus). Schweizerdeutsch ist Oberbegriff für alle Dialekte der deutschsprachigen Schweiz
und es wird zu einem Nationalsymbol durch das man sich sprachlich von Deutschland
abzusetzen versucht.
Die ursprünglich rein deutschsprachige Eidgenossenschaft gliedert sich mit der Zeit nach
und nach auch französisch-, italienisch- und rätoromanischsprachige Gebiete an. Von den 26
Kantonen bzw. Halbkantonen sind 17 ganz und 4 teilweise deutschsprachig. Deutsch ist die
Sprache der Ost-, Zentral- und Nordwestschweiz, Französisch spricht man in der Westschweiz.
Die Grenze zwischen deutsch- und französischsprachiger Schweiz verläuft etwa 30 Kilometer
westlich von Bern von Norden nach Süden und teilt die Kantone Bern, Freiburg und Wallis in je
einen deutschsprachigen und einen französischsprachigen Teil. Die beiden zweisprachigen
Städte Biel/Bienne und Fribourg/Freiburg liegen auf der Sprachgrenze. Italienisch ist die
Sprache des Kantons Tessin und dreier südlicher Täler des Kantons Graubünden, in welchem
auch in verschiedenen Gebieten das Rätoromanische gesprochen wird.
Als Hauptsprache(n) hat 2019 die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz Deutsch
(62.1%), Französisch (22.8%), Italienisch (8%) und Rätoromanisch (0.5%). 22.7% sprechen
schließlich andere Sprachen. Die Verteilung der Landessprachen hat sich in den letzten vier
Jahrzehnten ziemlich verändert. Die Anteile des Deutschen, Italienischen und Rätoromanischen
als Hauptsprache(n) sind zurückgegangen, während jene des Französischen und der
Nichtlandessprachen angestiegen sind. Die beiden am häufigsten genannten Nichtlandessprachen
sind Englisch 5.7% und Portugiesisch 3.5% (auch Albanisch 3.3%, Serbisch/Kroatisch 3.3%,
Spanisch 2.3%, andere Sprachen 7.9 %). Zwischen 1970 und 2019 sind die Anteile der Personen,
die Deutsch (inkl. Schweizerdeutsch) als Hauptsprache(n) angeben, von 66% auf 62% gesunken.
Für Italienisch und Rätoromanisch sind die Anteile auch gesunken, von 11% auf 8%, bzw. von
0,8% auf 0,5%. Gleichzeitig ist der Anteil der französischsprachigen Personen von 18% auf 23%
angestiegen. Der Anteil der Personen, die eine Nichtlandessprache als Hauptsprache(n) angeben,
hat stark zugenommen. Dies ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass seit 2010 mehrere
Hauptsprachen angegeben werden können.